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Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945

2015
978-3-8233-7882-2
Gunter Narr Verlag 
Nicole Colin
Corine Defrance
Ulrich Pfeil
Joachim Umlauf

Dieses Sachlexikon mit über 345 Stichwörtern und sieben essayistischen Überblicksdarstellungen möchte auf dem neuesten Forschungsstand über die wichtigsten Konzepte, Ereignisse, Fakten, Entwicklungen, Institutionen und Mittler der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 kompakt und zuverlässig informieren. Über 150 beitragende Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen ziehen erstmals auf der Grundlage eines breit entwickelten interdisziplinären Forschungsfeldes eine Bilanz des bisher Erreichten, zögern jedoch auch nicht, Hindernisse, Schwierigkeiten und Probleme beim Namen zu nennen. Dem Laien bietet dieses Lexikon einen bequemen Einstieg in ein weit verzweigtes Beziehungsgeflecht, dem Kenner einen verlässlichen Überblick zu einem zentralen Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte und dem Akteur vor Ort eine handlungsleitende Darstellung zu einem transnationalen Aussöhnungsprozess, dem nicht nur in Europa Modellcharakter zugeschrieben wird. Für die zweite Auflage wurde das Lexikon aktualisiert und um einige Artikel ergänzt.

edition lendemains 28 Nicole Colin / Corine Defrance Ulrich Pfeil / Joachim Umlauf (Hg.) Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 2. Auflage Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 edition lendemains 28 herausgegeben von Wolfgang Asholt (Osnabrück), Hans Manfred Bock (Kassel), Andreas Gelz (Freiburg) und Christian Papilloud (Halle) Nicole Colin / Corine Defrance Ulrich Pfeil / Joachim Umlauf (Hg.) Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: © Plantu 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2015 1. Auflage 2013 © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Redaktionelle Mitarbeit und Satz: 1. Auflage Patricia Pasic, 2. Auflage: Anja Ernst Printed in Germany ISSN 1861-3934 ISBN 978-3-8233-6882-3 Inhaltsverzeichnis Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen .................................................................................................................. 10 Klaus-Dieter Lehmann Von „Erbfeinden“ zu „Erbfreunden“ - die Bestandsaufnahme einer europäischen Versöhnung .......................................................... 17 Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf Vorwort zur zweiten Auflage ........................................................................................................ 19 Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf Einleitung ...................................................................................................................................... 21 Michael Werner Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen .......... 25 Hans Manfred Bock Deutsch-französische Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit ......................................... 34 Reiner Marcowitz Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Ein politischer Überblick ..................... 43 Corine Defrance Von der Konfrontation zur Kooperation. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 ............................................................... 52 Ulrich Pfeil „Dreiecksbeziehungen sind immer schwer.“ Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg .......................... 62 Nicole Colin, Joachim Umlauf Eine Frage des Selbstverständnisses? Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff ........................................................................... 71 Joachim Schild Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 ..................................... 83 Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 ............................. 93 (Detailliertes Inhaltsverzeichnis siehe nächste Seite) Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 Thematische Achsen.................................................................................................................... 491 I Kunst und Kultur ............................................................................................................. 491 II Politische Kultur .............................................................................................................. 493 III Wissenschaft und Bildung .............................................................................................. 495 Personenregister .......................................................................................................................... 499 Sachregister .................................................................................................................................. 519 Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 AbiBac.................................................................................95 Académie de Berlin...........................................................95 Adam-Mickiewicz-Preis ..................................................96 Adenauer-de Gaulle-Preis ...............................................96 Allemagne d’aujourd’hui ..................................................97 André-Gide-Preis..............................................................98 Angelloz, Joseph-François...............................................98 ANR-DFG-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften..................................................99 Apollinaire-Preis ...............................................................99 Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit....100 Aron, Raymond...............................................................101 ARTE ................................................................................102 Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES).....................................................104 Association franco-allemande des assistants parlementaires e.V. (AFAAP) ................................105 Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) ..............106 Asterix...............................................................................106 Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik...........107 Auswärtige Kulturpolitik der DDR .............................110 Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs ........................112 Badia, Gilbert ...................................................................115 Baier, Lothar ....................................................................117 Barenboim, Daniel..........................................................118 Bary, Nicole......................................................................119 Bataillon, Michel .............................................................120 Baudrillard, Jean ..............................................................121 Bausch, Pina .....................................................................122 Bayerisch-Französisches Hochschulzentrum (BFHZ)....123 Beckett, Samuel ...............................................................123 Bellmer, Hans...................................................................125 Benoin, Daniel.................................................................126 Berater...............................................................................127 Berchem, Theodor..........................................................128 Berliner Ensemble (BE)..................................................129 Berliner Schule - Nouvelle vague allemande .............130 Bertaux, Pierre.................................................................130 Besson, Benno .................................................................131 Bondy, François...............................................................132 Bondy, Luc .......................................................................134 Bord, André .....................................................................135 Boulez, Pierre...................................................................135 Bourdieu, Pierre ..............................................................136 Bourel, François ..............................................................137 Braunschweig, Stéphane ............................................... 138 BRD-Literatur in Frankreich ....................................... 139 Brecht, Bertolt................................................................. 141 Breitbach, Joseph............................................................ 143 Brice, Pierre ..................................................................... 144 Bureau du CNRS en Allemagne................................... 145 Bureau international de liaison et de documentation (BILD) ........................................... 146 Camus, Albert ................................................................. 147 Candide-Preis.................................................................. 148 Carolus-Magnus-Kreis (CMK).................................... 149 Le Carreau Forbach ....................................................... 150 Carrez, Geneviève .......................................................... 150 Castellan, Georges .......................................................... 151 Caven, Ingrid................................................................... 152 Celan, Paul....................................................................... 153 Centre culturel français (Berlin/ DDR) ....................... 154 Centre d’études germaniques, Strasbourg (CEG) ..... 155 Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC).................. 156 Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA)........................................ 157 Centre Marc Bloch (CMB) ........................................... 158 Chéreau, Patrice.............................................................. 158 Cheval, René ................................................................... 159 Christadler, Marieluise .................................................. 160 CIRAC-Forum ............................................................... 161 Cloos, Hans Peter ........................................................... 162 Cohn-Bendit, Daniel...................................................... 162 Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa)........................................................................ 164 Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle..................................................................... 164 Connaissance de la RDA ............................................... 165 Curtius, Ernst Robert .................................................... 166 Dahlem, Franz ................................................................ 167 David, Claude.................................................................. 168 DDR-Kulturzentrum Paris (KUZ).............................. 169 DDR-Literatur in Frankreich ...................................... 169 De l’Allemagne................................................................ 171 Derrick ............................................................................. 173 Deutsche Buchhandlungen in Paris ............................ 174 Deutsche Sprache in Frankreich.................................. 178 Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)..................................................................... 180 Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK)... 181 Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) .............. 182 Inhaltsverzeichnis 7 Deutsches Theater in Frankreich ................................ 183 Deutsch-französische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste .................................................... 186 Deutsch-Französische Filmakademie ......................... 188 Deutsch-Französische Geschichte............................... 189 Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra)..................................................................... 190 Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (DFGWT)................................. 190 Deutsch-Französische Gesellschaften (DFG)............ 191 Deutsch-französische Gipfeltreffen............................. 192 Deutsch-Französische Gymnasien.............................. 194 Deutsch-Französische Hochschule (DFH)................... 195 Deutsch-Französische Rektorenkonferenz ............... 195 Deutsch-französische Schriftstellertreffen................. 196 Deutsch-Französischer Journalistenpreis .................. 198 Deutsch-Französischer Kulturrat................................ 199 Deutsch-Französischer Parlamentspreis .................... 200 Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis ............................................................... 200 Deutsch-französisches Historikerkomitee ................. 201 Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft (DFHI) .......................... 202 Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (DFI)... 202 Deutsch-Französisches Internetportal........................ 204 Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) ........... 204 Deutsch-Französisches Kulturabkommen ................ 206 Deutsch-französisches Schulgeschichtsbuch ............. 207 DeutschMobil - FranceMobil...................................... 208 Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich .......... 209 Dietrich, Marlene........................................................... 211 Distelbarth, Paul H......................................................... 212 Döblin, Alfred ................................................................. 213 Dokumente ..................................................................... 214 Droz, Jacques................................................................... 215 Échanges franco-allemands (EFA) .............................. 216 Eisner, Lotte H................................................................ 216 Élysée-Vertrag ................................................................ 217 Engelmann, Peter........................................................... 218 Erbfeindschaft................................................................. 219 Erinnerungsorte ............................................................. 221 Études germaniques....................................................... 223 Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor)............................................. 224 Ewig, Eugen .................................................................... 225 Existentialismus.............................................................. 226 Fassbinder, Klara Marie ................................................ 228 Fassbinder, Rainer Werner.......................................... 229 Fédération des associations franco-allemandes pour l’Europe (FAFA)............................................. 230 Fernsehen ........................................................................ 230 Film................................................................................... 232 Fink, Gonthier-Louis..................................................... 233 Föderation deutsch-französischer Häuser.................. 234 Foucault, Michel ............................................................. 235 FplusD .............................................................................. 236 Francia.............................................................................. 237 François, Étienne............................................................ 238 François-Poncet, André ................................................ 239 Frankreich Jahrbuch ...................................................... 240 Frankreich-Zentren ....................................................... 241 Franz-Hessel-Preis ......................................................... 242 Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg..... 242 Französische Germanistik............................................. 244 Französische Literatur in der Bundesrepublik .......... 248 Französische Literatur in der DDR ............................. 251 Französisches Theater in Deutschland ....................... 253 Französischsprachige Schriftsteller in Berlin............. 257 Französischunterricht in Deutschland........................ 259 Frauenbewegung............................................................ 261 Freund, Gisèle ................................................................. 265 Friedrich, Hugo............................................................... 266 Fußball ............................................................................. 267 Gay-Lussac-Humboldt-Preis........................................ 268 La Gazette de Berlin ....................................................... 269 Genet, Jean....................................................................... 270 Gerz, Jochen .................................................................... 271 Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) ........................................................................ 272 GIRAF-IFFD................................................................... 273 Gisselbrecht, André........................................................ 274 Goethe-Institute in Frankreich .................................... 274 Goldschmidt, Georges-Arthur..................................... 276 Göttingen (Barbara)....................................................... 278 Grappin, Pierre ............................................................... 279 Grosser, Alfred................................................................ 280 Grüber, Klaus Michael................................................... 281 Handke, Peter.................................................................. 282 Haneke, Michael ............................................................. 283 Harig, Ludwig ................................................................. 285 Harpprecht, Klaus........................................................... 286 Hartung, Hans................................................................. 287 Hausenstein, Wilhelm................................................... 288 Heidegger, Martin .......................................................... 289 Heinrich-Heine-Haus Paris........................................... 290 Heller, Clemens............................................................... 291 Helmlé, Eugen................................................................. 292 Hertling, Nele.................................................................. 293 Hessel, Stéphane ............................................................. 294 Historikerbeziehungen .................................................. 295 Historikerkontroverse (Briefwechsel zwischen François Furet und Ernst Nolte) ........................... 298 Inhaltsverzeichnis 8 Hörfunk ............................................................................300 Institut d’allemand d’Asnières .......................................302 Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA).......303 Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) .....304 Institut Laue-Langevin (ILL) ........................................305 Instituts français in Deutschland ..................................305 Interferenzen. Interférences. Architektur Deutschland-Frankreich 1800-2000 .....................307 Ionesco, Eugène...............................................................308 Jauß, Hans Robert...........................................................310 Joly, Jean-Baptiste ...........................................................311 Jourdheuil, Jean ...............................................................311 Journalisten ......................................................................312 Jugendbeziehungen 1945-1963 ....................................315 Jugendkultur ....................................................................317 Jünger, Ernst ....................................................................319 Jurt, Joseph .......................................................................320 Kaas, Patricia....................................................................321 Karambolage....................................................................322 Karikatur ..........................................................................323 Kiefer, Anselm.................................................................325 Kinder des Olymp (Marcel Carné)...............................327 Kino-Koproduktionen, DDR-Frankreich..................327 Klemperer, Victor...........................................................329 Kluge, Alexander.............................................................330 Konfessionelle Beziehungen .........................................331 Krauss, Werner...............................................................333 Kühn-Leitz, Elsie.............................................................334 Kulturbevollmächtigter..................................................335 Kulturwissenschaft .........................................................336 Lance, Alain .....................................................................338 Lancelot, der Bote aus Frankreich................................339 Lang, Jack .........................................................................340 Langhoff, Matthias..........................................................341 L’Arche Éditeur ...............................................................342 Lefebvre, Jean-Pierre......................................................343 Lektoren ...........................................................................344 Lemper, Ute .....................................................................346 Lendemains......................................................................346 Leo, Gerhard....................................................................347 Liebermann, Rolf ............................................................348 Lortholary, Bernard........................................................349 Lusset, Félix......................................................................349 Mann, Heinrich...............................................................350 Mathieu, Mireille ............................................................351 La mer gelée .....................................................................352 Merle, Robert ..................................................................352 Merve Verlag...................................................................353 Mey, Reinhard.................................................................354 Minder, Robert................................................................354 Mnouchkine, Ariane ......................................................356 Mode ................................................................................ 357 Moreau, Jean-Charles.................................................... 358 Mortier, Gérard .............................................................. 359 Mounier, Emmanuel ..................................................... 360 Müller, Heiner ................................................................ 361 Musik, ernste................................................................... 362 Musik, populäre.............................................................. 364 Nacht und Nebel (Alain Resnais)................................. 367 Naumann, Manfred ....................................................... 368 Nerlich, Michael ............................................................. 369 Neuer Deutscher Film ................................................... 370 Nies, Fritz......................................................................... 371 Nouvelle vague ............................................................... 372 Ophüls, Max.................................................................... 373 Ostermeier, Thomas...................................................... 374 Österreichische Literatur in Frankreich ..................... 374 ParisBerlin (Magazin).................................................... 376 Paris-Berlin (Ausstellung)............................................. 377 Passagen-Verlag.............................................................. 378 Paul-Celan-Preis............................................................. 378 Philosophie ...................................................................... 379 Picht, Robert ................................................................... 381 Politikwissenschaft ......................................................... 382 Prisma Presse .................................................................. 384 Prix Gérard de Nerval.................................................... 386 Prix Pierre Grappin........................................................ 386 PROCOPE....................................................................... 387 Programme franco-allemand du CNRS ..................... 388 Programm Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der DGAP ......................................... 388 Radioeurodistrict (RED) ............................................... 389 Raymond-Aron-Preis.................................................... 390 Recherches germaniques............................................... 390 Regards sur l’économie allemande. Bulletin économique du CIRAC .......................................... 391 rencontres.de................................................................... 391 Rencontres franco-allemandes..................................... 392 Renouvin, Pierre ............................................................ 393 Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande .................................................................. 393 Ricœur, Paul .................................................................... 394 Riesz, János...................................................................... 396 Rivau, Jean du ................................................................. 396 Robert Schuman Chor .................................................. 397 Romanistenverbände in der Bundesrepublik Deutschland.............................................. 398 Romanistik (Franko-Romanistik)............................... 399 Romanistik in der DDR ................................................ 401 Romanistische Zeitschriften......................................... 403 Rovan, Joseph ................................................................. 405 SaarLorLux Orchester ................................................... 406 Inhaltsverzeichnis 9 Sagave, Pierre-Paul ........................................................ 407 Sartre, Jean-Paul ............................................................. 407 Sauzay, Brigitte ............................................................... 408 Savary, Jérôme ................................................................ 409 Schaubühne..................................................................... 410 Schaul, Dora .................................................................... 410 Schenk, Fritz ................................................................... 411 Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs ................................................................... 412 Schlöndorff, Volker ....................................................... 413 Schmid, Carlo ................................................................. 414 Schmittlein, Raymond................................................... 416 Schneider, Romy ............................................................ 417 Schober, Rita................................................................... 418 Scholl-Latour, Peter....................................................... 419 Schroeter, Werner......................................................... 419 Schulen............................................................................. 420 Schulpolitik ..................................................................... 421 Schulte, Hansgerd........................................................... 422 Schwarzer, Alice ............................................................. 423 Schwarzinger, Heinz...................................................... 424 Schweitzer, Albert.......................................................... 425 Schygulla, Hanna ............................................................ 426 Seghers, Anna ................................................................. 427 Shoah (Claude Lanzmann) ........................................... 428 Sieburg, Friedrich........................................................... 429 Sobel, Bernard................................................................. 430 Soziologie ........................................................................ 431 Spies, Werner ................................................................. 433 Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen..................................................... 435 Städtepartnerschaften.................................................... 437 Stein, Peter ...................................................................... 439 Stereotype........................................................................ 440 Stierle, Karlheinz............................................................ 443 Stiftung Genshagen........................................................ 443 Stiftungen ........................................................................ 444 Stockhausen, Karlheinz................................................. 447 Straßburg-Preis .............................................................. 447 Straub-Huillet.................................................................. 449 Tagespresse...................................................................... 450 Thadden, Rudolf von..................................................... 452 Thalmann, Rita............................................................... 453 Théâtre national de Strasbourg (TNS) ....................... 454 Tophoven, Elmar ........................................................... 455 Tournier, Michel ............................................................ 456 Trivium............................................................................ 457 Troller, Georg Stefan..................................................... 458 Übersetzen/ Dolmetschen ............................................. 459 Übersetzung von Theaterstücken ............................... 459 Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme ............................................................... 462 Ungerer, Tomi................................................................ 463 Universität der Großregion (UGR) ............................ 463 Universität des Saarlandes ............................................ 464 Valentin, Jean-Marie ..................................................... 465 Vercors (Jean Bruller).................................................... 466 Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) ............................................................ 467 Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG)......................................... 469 Vergangenheitsaufarbeitung ........................................ 470 Vermeil, Edmond ........................................................... 472 Vernet, Daniel................................................................. 473 Versöhnung..................................................................... 474 Weckmann, André ........................................................ 476 Weimarer Dreieck ......................................................... 477 Weinrich, Harald............................................................ 479 Weisenfeld, Ernst........................................................... 480 Weiss, Peter..................................................................... 481 Wenders, Wim............................................................... 482 Werner, Karl Ferdinand ............................................... 483 Wickert, Ulrich............................................................... 485 Wintzen, René................................................................ 486 Wismann, Heinz ............................................................ 486 Zemb, Jean-Marie .......................................................... 487 Ziebura, Gilbert .............................................................. 488 Zorn, Edith ...................................................................... 490 Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen AA Auswärtiges Amt AbiBac AbiturBaccalauréat ADEAF Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France ADN Allgemeine Deutsche Nachrichtenagentur AFAA Association française d’action artistique AFAAP Association franco-allemande des assistants parlementaires AFAPE-RA Acteurs franco-allemands pour l’Europe - Rhône-Alpes AFAST Association franco-allemande pour la science et la technologie AFP Agence France Presse AGES Association des germanistes de l’enseignement supérieur AGFZ Arbeitsgemeinschaft der Frankreichzentren AIEO Association internationale d’études occitanes AJEFA Association des parents d’élèves des jardins d’enfants franco-allemands AK Arbeitskreis Deutsch-Französischer Gesellschaften AKP Auswärtige Kulturpolitik ANR Agence nationale de la recherche, Paris APEE Association pour la promotion des échanges européens APO Außerparlamentarische Opposition ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands ARTE Association relative à la télévision européenne BBC British Broadcasting Corporation BE Berliner Ensemble BeS Bund entschiedener Schulreformer BFHZ Bayerisch-Französisches Hochschulzentrum, München BfK Büro für Kulturzentren, Ost-Berlin BILD Bureau international de liaison et de documentation, Paris BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BNV Bund Neues Vaterland BR Bayerischer Rundfunk BRD Bundesrepublik Deutschland BRV Deutscher Balkanromanistenverband CALPO Comité Allemagne Libre pour l’Ouest CAPES Certificat d’aptitude au professorat de l’enseignement secondaire CCF Centre culturel français, Ost-Berlin CDE Centre dramatique de l’Est CDU Christlich-Demokratische Union CECES Centre d’études culturelles, économiques et sociales, Offenburg CEFRES Centre français de recherche en sciences sociales CEG Centre d’études germaniques, Strasbourg CEGIL Centre d’études germaniques interculturelles de Lorraine CEJ Campagne européenne de la jeunesse CELV Centre européen pour les langues vivantes CEPE Centre d’études de politique étrangère Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen 11 CERA Centre d’études et de recherches autrichiennes CERFA Comité d’études des relations franco-allemandes, Paris CERN Centre européen pour la recherche nucléaire, Genf CFA Comité France-Allemagne CHDGM Comité d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale CIDAL Centre d’information et de documentation de l’Ambassade d’Allemagne, Paris CIEP Centre international d’études pédagogiques CIERA Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne, Paris CIFRA Centrum für Interdisziplinäre Frankreich- und Frankophoniestudien, Köln CIRAC Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine, Cergy-Pontoise CITL Collège international de la traduction littéraire CMB Centre Marc Bloch, Berlin CMGR Coopération pour la musique dans la Grande Région CMK Carolus-Magnus-Kreis CNC Centre national de la cinématographie CNDI Centre national pour le développement de l’information CNPF Conseil national du patronat français CNRS Centre national de la recherche scientifique CPU Conférence des présidents d’universités CUIFER Centre universitaire international de formation et de recherche dramatiques, Nancy DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst, Bonn/ Paris DDR Deutsche Demokratische Republik DEFA Deutsche Film AG DEP Direction de l’éducation publique Deufra Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR DFD Demokratischer Frauenbund DFG Deutsch-Französische Geschichte DFG Deutsch-Französische Gesellschaft DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn DFGWT Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie DFH Deutsch-Französische Hochschule, Saarbrücken DFHI Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft DFHK Deutsch-Französischer Hochschulkolleg, Mainz DFI Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg DFJW Deutsch-Französisches Jugendwerk DFK Deutsch-Französischer Kulturrat DFK Deutsch-Französischer Rundfunkrat DFK Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris DFR Deutsch-Französische Rundschau DFU Deutsch-Französische Union DGAC Direction générale des affaires culturelles DGAP Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin DGIA Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland DGLFLF Délégation à la langue française et aux langues de France DHI Deutsches Historisches Institut, Paris DHV Deutscher Hispanistenverband DIV Deutscher Italianistenverband Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen 12 DKV Deutscher Katalanistenverband DLM Deutsche Liga für Menschenrechte DLV Deutscher Lusitanistenverband DRAC Direction régionale d’action culturelle DRV Deutscher Romanistenverband EBRA Est Bourgogne Rhône-Alpes ECML European Center for Modern Languages ECTS European Credit Transfer System EFA Échanges franco-allemands EFR Éditeurs français réunis EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EHESS École des hautes études en sciences sociales, Paris EIRIS Équipe interdisciplinaire de recherches sur l’image satirique EISCAT European Incoherent Scatter Facility ENA École nationale d’administration ENS École normale supérieure EPAT École pratique des auteurs de théâtre ESIT École supérieure d’interprètes et de traducteurs, Paris ETG Ensemble théâtral de Gennevilliers ETK Europäische Theaterkonvention EU Europäische Union EUCOR Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten EUNIC European Union National Instituts for Culture EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EZV Europäischer Zollverein FAFA Fédération des associations franco-allemandes FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei Deutschlands FEFA Fondation entente franco-allemande, Strasbourg FEMIS École nationale supérieure des métiers de l’image et du son FES Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn FFA Filmförderungsanstalt FFI Forces françaises de l’Intérieur FIF Feministisches Interdisziplinäres Forschungsinstitut FMSH Fondation Maison des sciences de l’homme, Paris FMVJ Fédération mondiale des villes jumelées FNCPG Fédération nationale des combattants prisonniers de guerre FNDIRP Fédération nationale des déportés internés résistants patriotes FNRS Fonds national de la recherche scientifique (Suisse) FRV Franko-Romanistenverband FSK Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft FU Freie Universität Berlin GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GESI Global and European Studies Institute GIRAF Groupe interdisciplinaire de recherche entre l’Allemagne et la France GkVA Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland GMC Grand Magic Circus GÜZ Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit, Köln Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen 13 HEC Hautes études commerciales HFR Hochflussreaktor HIS Hamburger Institut für Sozialforschung HU Humboldt Universität Berlin IEG Institut für Europäische Geschichte, Mainz IEP Institut d’études politiques IFF Interdisziplinäres Frankreich-Forum IFFD Interdisziplinäre Forschungsgruppe Frankreich Deutschland IFG Institut Frau und Gesellschaft IFHA Institut français d’histoire en Allemagne, Frankfurt IFRE Instituts français de recherche à l’étranger IFRI Institut français des relations internationales IHTP Institut d’histoire du temps présent, Paris ILL Institut Laue-Langevin, Grenoble IMEC Institut Mémoire de l’édition contemporaine IML Institut für Marxismus-Leninismus, Ost-Berlin INA Institut national de l’audiovisuel INALCO Institut national des langues et civilisations orientales, Paris INECC Institut européen de chant choral INHA Institut national d’histoire de l’art INSEE Institut national de la statistique et des études économiques, Paris IRAM Institut de radioastronomie millimétrique IRCAM Institut de recherche et de coordination acoustique/ musique IRG Internationale Rohstahlgemeinschaft ISFATES Institut supérieur franco-allemand de techniques, d’économie et de sciences ISL Institut franco-allemand de recherches de Saint-Louis ITEM Institut des textes et manuscrits modernes KAAD Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst KAS Konrad-Adenauer-Stiftung, Bonn KMK Kultusministerkonferenz KPD Kommunistische Partei Deutschlands KUZ Kulturzentrum der DDR, Paris LDH Ligue des droits de l’Homme LEA Langues étrangères appliquées LEG Ligue d’études germaniques LLCE Langues, littératures, civilisations étrangères LMU Ludwig-Maximilian-Universität München LRSL Laboratoire de recherches de Saint-Louis MAEE Ministère des affaires étrangères et européennes MC93 Maison de la Culture 93 MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten MHFA Mission historique française en Allemagne, Göttingen MLF Mouvement de libération des femmes MPG Max-Planck-Gesellschaft MSH Maison des sciences de l’Homme NATO North Atlantic Treaty Organization NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NRF Nouvelle revue française NSDAP National-Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen 14 NWDR Nordwestdeutscher Rundfunk ÖAD Österreichische Austauschdienst OFAJ Office franco-allemand pour la Jeunesse OIB Option internationale du baccalauréat ONUEF Office national des universités et écoles françaises ORTF Office de radiodiffusion télévision française Oulipo Ouvroir de littérature potentielle PAD Pädagogischer Austauschdienst PCF Parti communiste français PH Pädagogische Hochschule PHC Partenariats Hubert Curien PROCOPE Projets de coopération et d’échanges PUF Presses universitaires de France RAF Rote Armee Fraktion RDA République démocratique allemande RdA Revue d’Allemagne RED Radioeurodistrict RFI Radio France Internationale RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor RIHA Réseau des instituts d’histoire de l’art RTF Radiodiffusion-Télévision Française SACD Société des auteurs et compositeurs dramatiques SACEM Société des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique SAP Sozialistische Arbeiterpartei SBZ Sowjetische Besatzungszone SDR Süddeutscher Rundfunk SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SFB Sender Freies Berlin SFB Sonderforschungsbereich SFIO Section française de l’Internationale ouvrière SGDL Société des gens de lettres SHS Sciences de l’Homme et de la société SLC Salut les copains SOFE Service des oeuvres françaises à l’étranger SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutz-Staffel STO Service du travail obligatoire SWF Südwestfunk SWR Südwestrunkfunk SZ Süddeutsche Zeitung TA Travail Allemand TAZ Tageszeitung TEP Théâtre de l’Est parisien TGP Théâtre Gérard Philipe TJP Théatre jeune public, Strasbourg TNB Théâtre national de Bretagne TNP Théâtre national populaire TNS Théâtre national de Strasbourg Verzeichnis gebräuchlicher Abkürzungen 15 TU Technische Universität UAFARL Union des associations franco-allemandes pour la région Lorraine UCBRP Union pour la coopération Bourgogne/ Rhénanie-Palatinat UDE Union douanière européenne UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UFA Union franco-allemande UFA Université franco-allemande, Sarrebruck UFAFA Union francilienne des associations franco-allemandes UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNO United Nations Organization URB Union pour la région Bretagne USA United States of America VDB Verbandes Deutscher Bühnen- und Medienverlage VdF Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer VDFG Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. VdH Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen e.V. VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes WDR Westdeutscher Rundfunk, Köln WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZiF Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld ZK Zentralkomitee Klaus-Dieter Lehmann Von „Erbfeinden“ zu „Erbfreunden“ - die Bestandsaufnahme einer europäischen Versöhnung Oftmals wird das Verhältnis von Deutschland und Frankreich als eine Entwicklung von „Erbfeinden“ zu „Erbfreunden“ beschrieben. Standen sich die beiden Länder in Kriegszeiten als erbitterte Kontrahenten gegenüber, gelten sie heute als gemeinsamer Motor der europäischen Integration. 1963 besiegelten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Élysée-Vertrag eine enge Zusammenarbeit beider Länder auf politischer und militärischer Ebene sowie in den Bereichen Erziehung und Jugend. Das Vertragswerk feierte 2013 sein 50. Jubiläum. Im Laufe dieses halben Jahrhunderts haben sich Deutschland und Frankreich in einem vielseitigen und komplexen Annäherungsprozess zu mehr als nur „normalen Nachbarn“ entwickelt: Die beiden Länder sind heute enge Partner, freundschaftlich verbunden und betreiben aus der Mitte heraus das Zusammenwachsen Europas, denn die Versöhnung und Annäherung der beiden Staaten lieferte auch die Vor- und Grundlage des europäischen Integrationsprozesses. Das vorliegende Lexikon unternimmt eine umfassende Bestandsaufnahme und Analyse der deutsch-französischen Kulturbeziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und untersucht den beispiellosen Prozess, der über Annäherung und Aussöhnung schließlich zu einem dichten Netzwerk von Kooperationen führte. Exzellente Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen ziehen in ihren Artikeln eine Bilanz des bisher Erreichten, zögern jedoch auch nicht, Hindernisse, Schwierigkeiten und Probleme beim Namen zu nennen. Die systematische Verknüpfung verschiedener Bereiche - über die traditionellen kulturellen Ausdrucksformen wie Literatur, Theater, Kunst, Musik und Intellektuellenaustausch hinaus werden auch Aspekte der Massenkultur sowie der Wissenschaftsbeziehungen berücksichtigt - lassen die engen Verflechtungen der deutschen und der französischen Kultur erkennen. So wird das Lexikon zu einem einzigartigen Nachschlagewerk und zu einem weiteren Mosaikstein für ein besseres Verständnis der Nachbarn auf der anderen Rheinseite. Denn trotz des bereits Erreichten ist es unerlässlich, das gegenseitige Verständnis weiter zu fördern, das Verhältnis mit unserem Nachbarland umsichtig zu pflegen, jede heranwachsende Generation erneut an das deutsch-französische Verhältnis heranzuführen. Angesichts der gegenwärtigen europäischen Krise ist ein gutes, von Offenheit und Sympathie geprägtes Verhältnis wichtiger denn je. Deutschland und Frankreich dürfen ihre Position als freundschaftliche Partner in der Mitte Europas nicht verlieren. Das aber ist nicht selbstverständlich, gute Beziehungen müssen gehegt und gepflegt werden. Wenn Europa weiter zusammenwachsen will, muss dies durch praktisches Handeln ausgestaltet werden. Hier besitzt das franco-allemand in vielen Aspekten Vorbildcharakter. Ein sehr feinmaschiges Netz deutsch-französischer zivilgesellschaftlicher, kultureller und Bildungsinitiativen ist über die Jahre hinweg gestrickt worden. Natürlich haben auch die Goethe-Institute in Frankreich hier einen maßgeblichen Beitrag geleistet. Neben der Sicherung und des Ausbaus des Kulturaustauschs über die bestehende Mittlerszene gehört zu den Aufgaben der Zukunft aber auch die Stimulierung der Mehrsprachigkeit, denn nur in der eigenen Sprache lässt sich der Nachbar wirklich kennenlernen. Auch muss über die Zukunft und Perspektiven der vielen deutsch-französischen Institutionen und Netzwerke nachgedacht und Strategien entwickelt werden, wie man über das Bilaterale hinaus zu einer Öffnung in Richtung Europa gelangen kann. Klaus-Dieter Lehmann 18 Angesichts der fruchtbaren deutsch-französischen Kooperation, die nunmehr über 70 Jahre besteht, ist es Zeit, mit neuen Ideen frischen Wind in das kulturelle Projekt Europa zu bringen. Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann ist Präsident des Goethe-Instituts. Vorwort zur 2. Auflage Zwei Jahre nach der Erstausgabe des „Lexikons der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945“ haben wir uns entschieden, eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage vorzulegen. Ermutigt wurden wir hierzu einerseits durch die zahlreichen positiven Rezensionen in Fachzeitschriften und großen Tageszeitungen in Deutschland und Frankreich (Le Monde, FAZ, Süddeutsche Zeitung), die in der Publikation ein unverzichtbares Werk für die Beschäftigung mit den deutsch-französischen Kulturbeziehungen sehen, andererseits aber auch durch die interessierten Rückfragen des Publikums bei der Vorstellung des Buches und Podiumsdiskussionen über die deutsch-französischen Kulturbeziehungen. Wir haben Daten aktualisiert, einige typographische Fehler korrigiert und eine Reihe von Einträgen zusätzlich aufgenommen, deren Auswahl im Wesentlichen auf Anregungen von Fachkollegen und Interessierten fußt, für die wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten. Wir hoffen, dass der Blick auf das Untersuchungsfeld mit der 2. Auflage weiter verdichtet werden konnte und der intensive Austausch sowie die Gespräche mit den Experten des franco-allemand auch in Zukunft weitergeführt werden. Die Herausgeber Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf Einleitung In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 3. November 1949 bezog der gerade frisch gewählte Bundeskanzler Konrad Adenauer deutlich Position im Blick auf den französischen Nachbarn: „Im heutigen Stadium Europas sind Erbfeindschaften völlig unzeitgemäß geworden. Ich bin daher entschlossen, die deutsch-französischen Beziehungen zu einem Angelpunkt meiner Politik zu machen.“ Wie nur wenige andere hatte Adenauer die Lehre aus der kriegerischen Vergangenheit seines Landes gezogen, dabei aber auch die zentrale Bedeutung des kulturellen Austauschs für den Normalisierungsprozess der politischen Beziehungen erkannt, ohne den diese letztlich zerbrechlich bleiben würden. Daher kann es, so Adenauer, „gar nicht genug […] deutschfranzösischen Kulturaustausch geben“. Dass es sich bei der Absichtserklärung keineswegs um leere Worte handelte, beweist die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen in den 1950er Jahren, die mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages am 22. Januar 1963 durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle eine formale Grundlage erhielt. Sie konnten zu diesem Zeitpunkt bereits von einem politischen und soziokulturellen Annäherungsprozess profitieren, der 1963 einen ersten symbolischen Höhepunkt erlebte und in der Folge dann weitere Dynamisierung erfuhr. 50 Jahre später blicken wir auf ein enggestricktes Netz zivilgesellschaftlicher Interaktionen zwischen beiden Ländern, das heute den Status eines Alleinstellungsmerkmals in den internationalen Beziehungen beanspruchen kann. Nachdem sich Deutschland und Frankreich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als „Erbfeinde“ gegenüber standen, gelten sie heute als „Erbfreunde“ und Motor der Europäischen Integration. Nirgendwo anders auf der Welt gibt es so enge und vielschichtige Beziehungen und gesellschaftliche Verflechtungen zwischen zwei Ländern wie im so genannten franco-allemand . Der Anfang dieser Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg war freilich zunächst nicht unerheblich durch Misstrauen, Hass und Revanchedenken geprägt. Insofern verdient das Engagement der Frauen und Männer, die in jenen Jahren das Fundament für die deutsch-französische Verständigung legten, höchste Würdigung. Die ersten Mittler kamen aber nicht alleine aus der Reihe der politischen Eliten, sondern aus ganz verschiedenen Sektoren der Zivilgesellschaft, was der deutsch-französischen Aussöhnung Breite, Authentizität, Tiefenwirkung und Dauerhaftigkeit verlieh. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages erscheint es angemessen, sich einen Überblick über die deutsch-französischen Kulturbeziehungen zu verschaffen. Ausgehend von sieben essayistischen Darstellungen, welche einleitend die Grundlagen des inzwischen breit entwickelten interdisziplinären Forschungsfeldes beleuchten, will das vorliegende Lexikon in 345 Stichworten über die wichtigsten Beziehungsfelder, Konzepte, Ereignisse, Fakten, Entwicklungen, Institutionen und Mittler kompakt und zuverlässig informieren. In einer Art Momentaufnahme ziehen die 173 beitragenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen auf dem neuesten Forschungsstand eine Bilanz des bisher Erreichten, zögern jedoch auch nicht, neben den Erfolgen der deutsch-französischen Annäherung die Probleme und Schattenseiten zu beleuchten und Hindernisse beim Namen zu nennen. Der vorliegende Band sieht sich in der Kontinuität ähnlicher Projekte dieser Art, beispielsweise des von Jacques Leenhardt und Robert Picht 1989 herausgegebenen Bandes „Esprit/ Geist. 100 Schlüsselbegriffe für Deutsche und Franzosen“ (die französische Version erschien 1992 bzw. Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf 22 1997 unter dem Titel „Au jardin des malentendus“). Erinnert werden soll auch an das „Handwörterbuch der deutsch-französischen Beziehungen“ (2009/ 2 2015), das 2005/ 6 in zweiter Auflage erschienene „Frankreich-Lexikon“, das von Ingo Kolboom, Thomas Kotschi und Edward Reichel herausgegebene „Handbuch Französisch“ (2. Ausgabe 2008) sowie den „Dictionnaire des mondes germaniques“ (2007), die auf komplementäre Weise das Wissen über den Anderen vertiefen. Das vorliegende „Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945“ konzentriert sich ganz auf die neueste deutsch-französische Zeitgeschichte und geht dabei von einem erweiterten Kulturbegriff aus, der über die traditionell-klassischen kulturellen Hochformen wie Literatur, Kunst, Musik hinausgeht und auch Aspekte der Populärkultur, der Medien, der Technik, des Sports und der Wissenschaftsbeziehungen berücksichtigt. Wer sich einen schnellen Überblick über die deutsch-französischen Kulturbeziehungen im 20. und angehenden 21. Jahrhundert verschaffen will, kann sich in einem ersten Schritt auf die sieben einleitenden Beiträge des ersten Teils konzentrieren, die helfen sollen, die bilateralen Verbindungen in einen größeren politischen, räumlichen und theoretischen Rahmen einzuordnen. Dazu gehört für die Periode zwischen 1945/ 49-1990 auch das Verhältnis zwischen der DDR und Frankreich, das hier als ein nicht zu vernachlässigender Teil der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 verstanden werden soll. Die Übersichtsartikel bieten dem Laien den Einstieg in ein vielleicht noch unbekanntes Gebiet, dem Kenner einen verlässlichen Überblick über ein bedeutsames Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte und dem Akteur vor Ort eine handlungsorientierte Darstellung des transnationalen Aussöhnungsprozesses bzw. Kooperationsfelds. Ausgegangen wird dabei von der Beobachtung, dass den deutsch-französischen Beziehungen in einem zusammenwachsenden Europa nicht selten die Funktion eines „Werkzeugkastens“ (Chaigneau/ Seidendorf) zugeschrieben wird, von dem sich in anderen bilateralen Annäherungsprozessen engagierte Mittler inspirieren lassen. Zum Weiterlesen anregen sollen sowohl die bibliographischen Hinweise zur einschlägigen und aktuellen Forschungsliteratur am Ende eines jeden Artikels, als auch die mit einem Sternchen (*) versehenen Begriffe, Institutionen und Personen, die sich im zweiten Teil dieses Lexikons in alphabetischer Reihenfolge befinden. Da es in der Regel interessanter erscheint, dem fachlichen den Vorzug vor einem biographischen Ansatz zu geben und das Wirken der Mittler im Rahmen ihrer Aktionsfelder darzustellen, erlaubt diese Form der Verlinkung zwischen den einzelnen Beiträgen immer tiefer in die Materie einzutauchen und sich eine Vorstellung des deutsch-französischen Beziehungsnetzes zu machen, das letztlich die Grundlage des Lexikons bildet und dessen Dichte und weit verzweigter Charakter sich im Index des Lexikons spiegelt. Die Autoren dieses Lexikons konnten auf eine breite wissenschaftliche Forschung zurückgreifen, die sich in den letzten Jahren stark ausdifferenziert hat und immer häufiger auf der Basis von Kooperationsprojekten zwischen Deutschland und Frankreich entsteht. Wenngleich die ersten Jahrzehnte der geteilten Nachkriegsgeschichte bereits umfassender als spätere Perioden aufgearbeitet sind, bemühen sich die Verfasser dennoch, den Bogen ihrer Darstellung bis in die Gegenwart zu spannen. Da dies nicht immer umfassend gelingen kann, will das Lexikon auch auf wissenschaftliche Leerstellen aufmerksam machen und auf diese Weise neue Studien anstoßen. Indes: Nicht alleine Forschungsdesiderata zwingen ein Projekt wie den vorliegenden Band bisweilen zum „Mut zur Lücke“, sondern auch die quantitativen Vorgaben der Herausgeber. So mussten, um die Beziehungsgeschichte in ihrer ganzen Breite präsentieren zu können, nicht nur die Länge und damit Ausführlichkeit der Beiträge begrenzt, sondern zudem eine repräsentative Auswahl an Einträgen getroffen werden. Dies gestaltete sich in mancherlei Hinsicht nicht immer einfach und bedurfte oft längerer Diskussionen und der Konsultation von Fachkollegen. Als besonders delikat erwies sich die Frage nach den aufzunehmenden Persönlichkeiten, und es steht zu erwarten, dass die Leser die Entscheidungen der Herausgeber nicht immer teilen werden. Der eine hätte sich selber darin vermutet, der andere wird einen Weggefährten vermissen. Den poten- Einleitung 23 tiellen Kritikern sei jedoch versichert, dass wir es uns nicht leicht gemacht haben. Als wichtigstes Kriterium für eine Aufnahme haben wir uns auf die bleibende und prägende Wirkung einer Person bzw. ihrer Arbeit auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 geeinigt. Daraus ergab sich eine Präferenz für Akteure mit historischer Dimension, was die Leistung der aktuell im Kulturtransfer Tätigen nicht schmälern soll. Sie finden sich vielfach unter den Autoren dieses Lexikons und werden einen ihnen angemessenen Platz in Nachfolgeprojekten dieser Art finden. Positiv gesprochen hoffen wir im Hinblick auf die unvermeidlichen Lücken daher vor allem, dass diese Anstöße für zukünftige Forschung geben werden. Hingewiesen sei in diesem Kontext aber auch auf die Struktur des Lexikons, die sich, wie dargestellt, vor allem durch eine starke Verflechtung auszeichnet. Ein Blick in den Personenindex dürfte insofern den einen oder anderen Leser mit der getroffenen Auswahl hoffentlich wieder versöhnen. Abschließend soll gedankt werden: zu allererst den Autoren für ihre Bereitschaft zu kooperieren und ihr Wissen kondensiert zur Verfügung zu stellen; den Übersetzern (Katharina Bader, Aline Ditzler, Valérie Dubslaff, Marijke Eschenbach, Anna Franz, Cornelia Klingebiel, Bettina Rambow, Sandra Schmidt, Anna Wieland, Paula Wilegala) für ihre sprachliche Sensibilität und ihr Engagement; den vielen Kollegen und Freunden für ihre wertvollen Ratschläge; dem Goethe- Institut, dem DAAD (der Außenstelle Paris sowie der Zentrale in Bonn), dem Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg und dem Auswärtigen Amt für die finanzielle und logistische Unterstützung. Besondere Anerkennung gilt aber Patricia Pasic für die Redaktion sowie (gemeinsam mit Cora Hegewald) Anfertigung des Druckmanuskripts und Anja Ernst für die Betreuung der 2. Auflage. Ohne ihren hingebungsvollen Einsatz wäre das Lexikon nicht das, was es heute ist. Dank geht auch an den Narr-Verlag für den Mut, sich auf ein Lexikonprojekt einzulassen, das oft die Tendenz hatte, zu einer never ending story zu werden. Wir freuen uns, dass es soweit nicht gekommen ist und wünschen den Lesern nun eine spannende Lektüre. Michael Werner Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen Wer über „Kulturbeziehungen“ arbeitet, hat sich mit einem Paradox auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite setzt die Bezeichnung voraus, dass es so etwas wie Kulturen gibt, die miteinander in Beziehung treten. Dabei werden Kulturen als eigenständige Einheiten begriffen, mit Merkmalen, Codes und einer eigenen Geschichte, die diese Eigenheiten zu erklären vermag. Beziehungen zwischen solcherart verstandenen Kulturen können dann als Kontakt, Vermittlung, Transfer oder Austausch beschrieben werden. Eine andere Sichtweise - und dies wäre der Gegenpol - betont das grundsätzlich Prozesshafte von Kultur. Sie geht davon aus, dass Kultur selbst immer schon Aushandlung ist, dass sie situativ bestimmt wird, je nach Akteuren und Kontext. Als spezifische kulturelle Vorgänge erscheinen dann Interaktionen, bei denen Differenzen zugleich verhandelt und neu verortet werden. Kultur in diesem Sinn ist selber Austausch und Transfer, und die Einheiten, zwischen denen ausgetauscht wird, konstituieren sich in diesem Prozess und sind dementsprechend mobil und schwer als solche zu fassen. In der ersten Sichtweise heißt Kulturtransfer also Transfer zwischen Kulturen, in der zweiten bezeichnet er Transfer als Kultur und betont den eigenen Motor, der Kultur erst produziert. Angesichts dieses Paradoxes empfiehlt es sich, etwas weiter auszuholen, die entsprechenden Vorgänge, die hier im Mittelpunkt des Interesses stehen, näher zu bestimmen und den Begriffsapparat, den man dabei benutzt, zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren. Danach werden wir zu klären versuchen, ob das entsprechende analytische Arsenal auf die in diesem Band im Vordergrund stehenden deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 passt und wie er angesichts dieses Untersuchungsfelds möglicherweise neu zu justieren ist. Vorab indessen noch eine Vorbemerkung. Ein zusätzliches Problem der so neutral anmutenden Bezeichnung „Kulturbeziehungen“ liegt darin, dass sie gewissermaßen kulturpolitisch belastet ist. Spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkriegs haben sich die größeren europäischen Staaten auf so etwas wie *auswärtige Kulturpolitik eingelassen. Sie gingen davon aus, dass die kulturelle Außendarstellung eines Landes eine wichtige Stütze politischen Handelns darstellt. Demgemäß suchten sie die Kenntnisse ihrer Sprache, Literatur und Kultur im Ausland zu verbessern. Sie richteten Kulturinstitute ein, schickten *Lektoren an ausländische Universitäten, veranstalteten Vortragsreisen ihrer bekannten Schriftsteller und Hochschullehrer, kümmerten sich um die Gymnasialbildung, verbreiteten Bücher, förderten Übersetzungen, gründeten Forschungsinstitute und dergleichen mehr. In Frankreich waren für diese *auswärtige Kulturpolitik die bereits 1883 gestiftete *Alliance française und das 1920 gegründete Service des œuvres françaises à l’étranger zuständig, in England der British Council (1934), in Deutschland die 1925 gegründete Deutsche Akademie sowie der ebenfalls 1925 gegründete Akademische Auslandsdienst. Parallel dazu können Staaten kulturelle Beziehungen zueinander aufnehmen, die dann besondere Aktivitäten des Austauschs‚ etwa Errichtung von Kulturzentren, Lehrer- und Schüleraustausch genauer fassen und zum gemeinsamen Programm erheben. In diesem Fall, der oft in Form eines zwischenstaatlichen „Kulturabkommens“ offiziell besiegelt wird, gehören Kulturbeziehungen zum größeren Feld der International Relations . In allen derartigen Situationen handelt es sich um kulturelle Kontakte zwischen Staaten, über die dann auch, wenn man so will, die entsprechenden Kulturen miteinander in Beziehung treten. Michael Werner 26 1. Kultur als Ordnung und als Prozess Doch zunächst: kommen wir noch einmal auf den Begriff der Kulturbeziehungen zurück. In der soeben skizzierten ersten Sichtweise bieten die Kulturen Einheiten, die durch Differenzen bestimmt sind. Das ist der kognitive Aspekt. Zum Verstehen braucht es Unterschiede, an denen das Denken ansetzen kann. Kulturen sind hier unterscheidbare Einheiten. Die Spezifika einer Kultur definieren sich über Merkmale, mit denen man eine Kultur von der anderen absetzen kann. Sie werden also methodisch über implizite oder explizite Vergleiche erfasst. Hinzu kommt die grundlegende Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Auch sie stammt, wie manche andere dieser Ingredienzien, aus der antiken Ethnographie mit ihrer strukturellen Opposition von Hellenen und Barbaren. Sie lädt Differenz mit Identität auf und ist deshalb auf Grenzziehungen zwischen dem Ich (oder dem Wir) und dem (den) Anderen bedacht, die konstitutiv für die Kultur bzw. die Gesellschaft wie für die Personen sind. Sobald die Identität in den Vordergrund gerät, werden Probleme des Ein- und Ausschließens aufgeworfen. Dazu kommen noch zwei weitere wichtige, allerdings historisch markierte und deshalb nicht generell anzutreffende Merkmale dieser Sichtweise: erstens die Vorstellung von Kultur als organischer Einheit, als lebendem Organismus. Dadurch entsteht die Analogiekonstruktion: Kulturen reifen, aber sie altern auch. Der entsprechende Alterungsprozess wird dann oft als Dekadenz beschrieben - auch dies ein bereits bei Tacitus vorgeführtes Modell, der die Germanen als „junges“ Volk, Rom dagegen als von Verfall und Dekadenz bedrohte Zivilisation beschreibt und die Römer dazu anhalten will, sich auf ihre ursprünglichen republikanischen Werte zu besinnen. Zweitens die Vorstellung von Diffusion: Kulturen breiten sich aus. Damit kommt ein räumliches Moment hinzu. Aber diese Ausbreitung wird als Prozess einer mehr oder minder imperialistischen Kolonisierung gesehen, Konsequenz eines „Kulturgefälles“, wie man in der älteren Kulturtheorie gesagt hat. Ende des 19. Jahrhunderts hat man dieses diffusionistische Schema mit der Theorie von Völkerkreisen (Friedrich Ratzel) und Kulturkreisen (Adolf Bastian) in Verbindung gebracht. Derzufolge entfalten sich die Völker gewissermaßen nach einem genetischen Programm, breiten sich aus und verbreiten dadurch Kultur, Sitten, Bräuche, Technik und ähnliches mehr. Dabei werden zunächst kaum die durch diesen Ausbreitungsprozess unweigerlich ausgelösten Konflikte behandelt. Welche Völker gewinnen die Oberhand, und welche Faktoren sind dabei von Bedeutung? Im 19. Jahrhundert spielt oft unterschwellig die vitalistische Vorstellung von „jungen“ starken Kulturen mit, die sich gegen ältere durchsetzen. In einer differenzierteren Form verleibt sich diese Sicht das Zentrum/ Peripherie-Modell ein, und auch hier schon seit der Antike (die urbs als Zentrum des Imperium Romanum ), womit eine gewisse strukturierende Differenz innerhalb einer Kultur eingeräumt wird. Doch die Systemlogik dieser Differenzierung verläuft entlang einer klaren Achse: Der Kern beherrscht die Randzonen, und zugleich schwächt sich die Kontrolle in den Randzonen ab. Die Peripherie wird durch ihre Position in der Beziehung zum dominanten Zentrum definiert und umgekehrt. Auch dieses Modell bildet kulturelle Beziehungen nach einem räumlichen Schema ab, es impliziert eine mental map , in der zum Beispiel Verdichtungsprozesse (im Zentrum) gegen Ausdünnungsprozesse (am Rand) abgesetzt werden. Es operiert mit Nähe und Entfernung, mit Grenzen und Grenzkonflikten oder auch Berührungen an den Grenzen. Bei manchen Anthropologen wie etwa Marcel Mauss sehen wir eine Kombination von diffusionistischem und kulturhistorisch-evolutionistischem Modell. Von Bastian übernimmt er die beiden Begriffe der Kulturschicht (alles das, was auf die Formen, Stile und Epochen verweist, die der Ethnologe beschreibt und analysiert) und des Kulturkreises (als Vorstellung der geographisch-räumlichen Verbreitung einer Zivilisation). Auch interessiert sich Mauss, gerade weil seine Konzeption universalistisch eingetönt ist (er hat eine Universalgeschichte der menschlichen Zivilisation im Blick), für den Vorgang der Kulturkon- Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen 27 takte. Doch verbleibt auch er noch in einer zweidimensionalen, d.h. flächigen Sicht der Kulturen, die lediglich an ihren Grenzen miteinander interagieren. Die zweite Sichtweise, um auch dies noch einmal zu verdeutlichen, geht davon aus, dass Kultur - wie Gesellschaft und technischer Fortschritt - durch Kontakt entsteht, durch Zirkulation, Transfer und Bewegung, Aushandlung und Vermischung, Handel und Übersetzung, mit anderen Worten durch Interaktionsprozesse, die zwischen nicht näher definierten Einheiten vermitteln, übersetzen und Veränderungen hervorrufen. Der Motor der Kulturentwicklung liegt dann nicht mehr im Kern einzelner kultureller Monaden, sondern im Vorgang der Verflechtung. Es ist die Kombination und Überkreuzung von Wissen, Fertigkeiten und Handlungsstrategien, die neues Wissen und neue Fertigkeiten - in einem Wort Kultur oder Gesellschaft generieren. Auch dieser Prozess ist keineswegs immer harmonisch. Im Gegenteil ist er vielfach mit Konflikten verknüpft, in Macht- und Herrschaftsverhältnisse eingebunden. Dass diese These etwa zur Erklärung von Modernisierungsschüben herangezogen wurde - so etwa in den Arbeiten von Eisenstadt oder, im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte, von Joseph Needham - ist nicht weiter verwunderlich. Schon Schlözer hat 1785 gesagt, dass Wissen, Technik, Fortschritt immer aus Bewegung und Kontakt entstehen, und es als Aufgabe des Universalhistorikers bezeichnet, diese Zusammenhänge („Realzusammenhänge“) beziehungsgeschichtlich aufzuarbeiten. Manche gingen soweit, auch so identitätsstiftende Grundbegriffe wie Nation oder die Entstehung politisch-sozialer Phänomene wie nationale Bewegungen oder Religionen in und außerhalb Europas als Ergebnisse „transnationaler“ Vorgänge zu interpretieren. Das ist etwa die These von Sebastian Conrad. Der Historiker, der sich mit der Entstehung dieser Bewegungen empirisch befasst, hat zugleich auch die Ebene der historiographischen Traditionsbildung im Blick zu behalten. So konnte Conrad, um beim Beispiel der Nationalgeschichte zu bleiben, zeigen, wie das Transnationale aus der genuin nationalgeschichtlich konzipierten Geschichte konsequent ausgeblendet wurde, weil es im entsprechenden Programm nicht vorgesehen war. Eines der dabei auftretenden Probleme ist also, dass das Ergebnis transnationaler Vorgänge national re-ontologisiert oder diszipliniert, seinerseits zur heuristischen Monade umfunktioniert wird, um politische, soziale und kulturelle Legitimationsfunktionen zu übernehmen. Wie aber ist das beim Transfer entstehende Neue zu definieren? Als hybrides Objekt, als Kreolkultur, als objet métissé ? 1 Die erste vorläufige Antwort auf diese Fragen wäre eine petitio principis : Dabei entsteht etwas, das keine neue ontologische Einheit darstellt, sondern in „Kultur“ eingespeist wird, die ihrerseits als fortwährender, nie endgültig zu stabilisierender Prozess zu denken ist. Aber mit dieser Feststellung ist das sich dahinter verbergende epistemologische Problem keineswegs gelöst. Nation, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hat schon allein deshalb eigene Konsistenz, weil sie als geschichtsträchtiger, handlungsstrukturierender Referenzpunkt auf den Plan tritt und damit Geschichte produziert. Solange die Akteure sich darauf berufen und sich darüber - genauer: über seinen Gebrauch - verständigen, mag der Historiker postmodern dekonstruieren, solange er immer will: die Nation wird ihm von seinem empirischen Material immer wieder unter die Nase gehalten. Aber noch mehr: Im Grunde ist die zumindest provisorische Stabilisierung des „Neuen“ als etwas Eigenes, Spezifisches (und nicht mehr als eines nur Hybrides, aus der Kreuzung von Komponenten Erklärbares) erkenntnistheoretisch unverzichtbar. Um Wissen zu produzieren, benötigen wir stabilisierte Einheiten, die wir miteinander in Beziehung setzen und über deren Sinn wir uns miteinander verständigen. Am Beispiel der Nation: Ihre transnationale Entstehung sowie die transnationalen historischen Verflechtungen der verschiedenen Nationalbewegungen lösen sie nicht aus dem nationalen Kontext, innerhalb dessen sie sich historisch, instituti- 1 Vgl. vor allem Serge Gruzinski, La pensée métisse, Paris 1999, sowie Laurier Turgeon, Les mots pour dire les métissages: jeux et enjeux d’un lexique, in: Revue germanique internationale 21 (2004), S. 53-69. Michael Werner 28 onell und kulturell strukturiert hat und, wenn man so will, geschichtsmächtig geworden ist. Und wenn wir, als analytische Forscher, selbst von Nation sprechen, können wir nicht permanent die Anführungszeichen davor setzen, die wir als Historiker, nachdem wir den Entstehungsprozess von Nation historisiert haben, eigentlich immer setzen müssten. Wir stehen als vor einem echten Dilemma. 2. Kulturtransfer: Leistungen und Grenzen des Konzepts Bekanntlich wurden das Konzept des Kulturtransfers sowie die entsprechenden Forschungen zu Beginn der 1980er Jahre in einem deutsch-französischen Kontext entwickelt. 2 Dabei spielten vor allem drei Faktoren zusammen. Als erstes die spezifische Situation der französischen Historiographie, die versuchte, das klassische Narrativ der Nationalgeschichtsschreibung aufzubrechen, das trotz Fernand Braudel und den „Annales “ nach dem Skript der republikanisch-universalistischen, aber gleichwohl französisch getönten civilisation verfasst war und in dem deshalb Transfers von außen nur selten explizit benannt wurden. Dieses Modell war damals offen in eine Krise geraten, was auch Pierre Nora eigentlich gegen den Strich konzipierte, aber gleichwohl im strikt innerfranzösischen Rahmen konstruierte Nabelschau der „Lieux de mémoire“ veranschaulichte. Der zweite Faktor betraf die deutsch-französische historiographische Konstellation. Da die Kulturtransferforschung sich für die Dynamik von Vermittlungsprozessen zwischen national definierten Kulturen und Gesellschaften interessierte, geriet sie anfangs in eine gewisse Gegenposition zur vergleichenden Sozialgeschichte, die von fest strukturierten Gesellschaften und deshalb in ihren Grundlagen vergleichbaren Einheiten ausging und zudem der Kulturgeschichte misstraute. Diese Situation löste eine größere deutsch-französische Diskussion über das Verhältnis von Vergleich und Transferforschung aus, die inzwischen in sachlichere Bahnen geraten ist. Vergleich und „Beziehungsgeschichte“ - so die deutsche Terminologie für relationale Ansätze - werden nunmehr eher als komplementäre Verfahren gesehen. Dazu hat nicht zuletzt das Aufkommen anderer beziehungsgeschichtlicher Ansätze beigetragen. Shared History , Connected History oder Entangled History 3 haben das Spektrum erheblich erweitert und die Perspektive jeweils verschoben. Dazu kommen übergreifende Forschungsrichtungen wie Globalgeschichte und World History sowie all das, was man unter transnationalen Ansätzen fasst. Dadurch hat sich der Blickwinkel verändert, und zwar sowohl in geographischer als auch in thematischer Hinsicht. Schließlich, als dritter Faktor, die deutsch-französische Thematik als dominanter Forschungsgegenstand. Das bedeutete unter anderem, dass man sich auf die nationale Untersuchungsebene konzentrierte, und damit chronologisch auf die Zeit ab 1750. Damit verbunden war das Interesse für die Welt der Hochkultur und der Intellektuellen, in der die Vorstellungen von Nation, Staat und Geschichtsdeutung ausgehandelt wurden, für die Bildungssysteme und die Buchgeschichte, für die Disziplin- und Rechtsgeschichte. Die Konzentration auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich hat zwei sich z.T. widersprechende Entwicklungen nach sich gezogen. Auf der einen Seite operierte man mit der Vorstellung sich stark unterscheidender Kultur- und Gesellschaftsmodelle, die man mit dualistischen Oppositionen zu fassen suchte, etwa Zentralismus/ Föderalismus, Jus soli/ Jus sanguinis, Bourgeoisie/ Bürgertum, Laizismus als Trennung von Staat und Kirche/ Konkordatssystem als Kombination und Ausgleich, Civilisation/ Kultur, Lettres 2 Vgl. Michel Espagne, Michael Werner, La construction d’une référence allemande en France. Genèse et histoire culturelle, in: Annales E.S.C. 1987, S. 969-992; dies., Deutsch-französischer Kultur-Transfer als Forschungsgegenstand, in: dies. (Hg.), Transferts. Relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIII e - XIX e siècle), Paris 1988, S. 11-34. 3 Unter der zahlreichen Literatur s. Sebastian Conrad, Shalini Randeria (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/ M. 2002; Sanjay Subrahmanyam, Explorations in Connected History, 2 Bde., New Delhi 2004. Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen 29 françaises/ Philologie, Individualismus/ Holismus, Revolution/ Reformismus und dergleichen mehr. Methodisch werden solcherart dualistische Konstruktionen über den kontrastierenden Vergleich erfasst. Die politischen Gegensätze zwischen den beiden Ländern, bis hin zur Vorstellung des „*Erbfeinds“, haben diese Polarisierungen begünstigt, auch wenn die wechselseitige Bedingtheit dieser Konstruktionen heute auf der Hand liegt. Auf der anderen Seite legte man den Akzent auf die Vermittlerfiguren, die zwischen beiden Systemen übersetzten, auf Importvorgänge und Anpassungsversuche, mit anderen Worten auf den Transfer als wie auch immer gearteten Annäherungs- oder Aufweichungsprozess der gegensätzlichen Systeme. Dabei führte die Betonung der Rezeptionsseite des Transfers, die vielfach mit Pierre Bourdieus Feld-Theorie operierte, dazu, dass die soziale Logik der Positionskämpfe in der Rezeptionskultur als Schlüssel der Interpretation von Transfer benutzt wurde: Kulturimport wurde durch die Interessenlage der Protagonisten des jeweiligen Rezeptionsfelds bestimmt. Zugleich zeigt sich indessen auch, dass die historische Kontextualisierung dieser Polaritäten und der daraus resultierenden Aufarbeitung im Sinne von Kulturtransfer, d.h. von Bewegungen von einer zur anderen Seite, alsbald an gewisse Grenzen stößt. Unter den Problemen, die dabei auftreten, möchte ich zwei Gruppen unterscheiden. Die erste umfasst grundsätzliche Fragen der Erkenntnisgewinnung. Dazu gehört zunächst das Verhältnis von Untersuchungsgegenstand und analytischem Bezugsrahmen. Wie oben angedeutet, ist die Transferforschung ursprünglich mit dem Vorsatz aufgetreten, die vermeintliche Homogenität der Nationalkulturen aufzubrechen und ihre durch Transfers hervorgerufenen „Fremdanteile“, und damit in gewisser Weise ihre Heterogenität nachzuweisen. Dabei wird jedoch der Bezug auf eine Nationalkultur, als Ausgangs- und Endpunkt des Transferprozesses, keineswegs aufgegeben. Es geht um den Import oder Export „deutscher“ Kultur (Philosophie, Theater, Musik, Hochschulpolitik, Buchwesen, Technologie usw.) nach „Frankreich“ oder umgekehrt. Auch wenn der Transferforscher auf die verschiedenen Übersetzungsvorgänge und die dadurch ausgelösten kulturellen Umformungen abzielt, bleiben die nationalen Zuschreibungen erhalten. Damit wird eine zweite Frage aufgeworfen, die des Beobachterstandpunkts. Von welchem Standpunkt aus werden die Transfervorgänge untersucht, welche Vorannahmen sind damit impliziert und welche Auswirkungen hat dies auf die Analyse? Diese für jede wissenschaftliche Arbeit selbstverständlichen Grundfragen wurden in der Kulturtransferforschung nicht immer genügend reflektiert. So wäre etwa der Begriff der „Interkulturalität“ daraufhin zu hinterfragen, ob er nicht doch ontologisch verfestigte Vorstellungen von Kultur transportiert, die im Widerspruch zur Dynamik der Prozesse stehen, die untersucht werden sollen. Die Pluralität der möglichen Beobachterpositionen müsste derartige Verfestigungen relativieren und in ihrer historischen Bedingtheit aufzeigen. Die dritte Frage ist die nach dem Verhältnis zwischen einem totalisierenden, alle menschlichen Hervorbringungen umfassenden Kulturbegriff und der Vorstellung eines Marktes, der ja auch *Bourdieus Feldtheorie zugrunde liegt. Welche Rolle spielen überindividuelle Werte und Normen, die der Kultur zugerechnet werden, in einem Markt, dessen Akteure ausschließlich nach eigenem Interesse handeln? Bricht man die Frage auf die Ebene der Handelnden herunter, so bedeutet sie, dass es im Horizont der Akteure die Gelenkstellen zwischen konkurrierenden Einzelinteressen und mit der Interpretation von Kulturgegenständen verbundenen Normen genauer zu untersuchen gilt. Andersherum gesagt: In der Beschreibung und Analyse des Transfers ist die untrennbare Verbindung von Dekonstruktion der Einzelinteressen und Rekonstruktion einer wie immer gearteten Gesamtsicht auf größere Wertekomplexe (das, was die Juristen als Dogmatik bezeichnen) systematisch zu erforschen. Das eine geht nicht ohne das andere, wenn man denn der Schere von Relativierung und Essentialisierung entgehen will. Ein vierter Punkt betrifft die impliziten Raumvorstellungen der Transferforschung. Der Transferbegriff entstammt ja einer räumlichen Vorstellungswelt. Und in der Tat lässt sich fest- Michael Werner 30 stellen, dass Transferstudien oft auf einen verräumlichten Kulturbegriff zurückgreifen. Da schwingen dann Vorstellungen von Kulturräumen, von Grenzzonen zwischen Kulturen oder auch von Wanderwegen der Kultur mit, wie sie in der älteren Kultur- und Rechtsgeographie verwendet wurden. Wie der neuere spatial turn der Kultur- und Sozialwissenschaften anzeigt, ist mit der Problematik der Erfassung der räumlichen Dimension sozialen Handelns nicht nur eine empirische, sondern auch eine erkenntnistheoretische Frage aufgeworfen. Kulturen lassen sich nicht nach der Art von Flächen abbilden. Sie sind an die Menschen gebunden, die sie transportieren, und ihre räumliche Verbreitung hängt von den Kommunikationsstrukturen ab, die sich bekanntlich historisch stark gewandelt haben. Wie andere Formen von sozialen Räumen werden auch die Räume der Kultur von den Bewegungen der Akteure sowie über die vom physischen Raum nur noch bedingt abhängigen Vernetzungen der Kommunikationsströme permanent neu konfiguriert. Ein Ausdruck wie „Grenzgänger zwischen den Kulturen“ kann deshalb immer nur metaphorisch und meistens auch nur für Situationen verwendet werden, in denen ein Akteur seine kulturelle „Mehrsprachigkeit“ bewusst zu „Übersetzungshandlungen“ mobilisiert. Solche Übersetzungen sind allerdings überaus häufig und bestimmen viele Alltagssituationen in Familien, Gruppen, zwischen Berufsvereinigungen und disziplinären communities , kurz zwischen allen Personen, die sich auf unterschiedliche Codes und Normen beziehen. Mit ihrer Häufigkeit schwindet indessen die Anschaulichkeit einer Verräumlichung kulturspezifischer Prozesse, die eher vereinfacht, als dass sie komplexe Beziehungen darzustellen vermag. Territorialisierung oder räumliche Verankerung von Kultur läuft über lokale Handlungen ab. Aber sie schafft kein geschlossenes, etwa durch politische Strukturen oder durch Rechtsverhältnisse bestimmtes Territorium. Darum ist der Begriff des Kulturraums analytisch prinzipiell fragwürdig und sollte immer historisiert werden. Die zweite Gruppe von Problemen hat mit den Merkmalen des Untersuchungsgegenstands zu tun, in unserem Fall den soziokulturellen Interaktionen zwischen Deutschland und Frankreich und den Veränderungen, die sich in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich vollzogen haben. Wie wir sahen, hat die Kulturtransferforschung wie auch der Gesellschaftsvergleich nicht auf die Fixierung von zwar miteinander kommunizierenden, aber doch getrennten nationalkulturellen Einheiten verzichten können. Ohne diese Fixierungen wird ihr analytischer Referenzrahmen problematisch. Wie soll sie dann auf die wachsenden Verflechtungen zwischen den beiden Gesellschaften reagieren? Sicher, kulturelle Verflechtungen zwischen den Nachbarländern hat es historisch schon immer gegeben. Sie waren Teil einer gemeinsamen Geschichte. Aber ihre Intensität hat seit den 1950er Jahren in einem Maße zugenommen, dass man wohl von einem qualitativen Sprung sprechen kann. Das betrifft Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung wie Jugendkultur, Theater, Medien, Stadtplanung, Berufsorganisationen, Tourismus, Landwirtschaft, Unternehmenskultur und viele andere Bereiche. Das heißt nicht, dass die alten polarisierenden Konstruktionen des „Anderen“ aus den Argumentationen verschwunden wären. Im Gegenteil, sie werden anlässlich der vermehrten Kontakte immer wieder neu mobilisiert, etwa im sogenannten interkulturellen Management oder in der interkulturellen Kommunikation. Aber sie haben ihre generalisierenden Bedeutungen weitgehend verloren. Eine der Konsequenzen der zunehmenden Verzahnungen der beiden Gesellschaften - und das wäre ein zweiter Punkt - ist, dass es immer schwieriger wird, einzelne Transfervorgänge zu isolieren und analytisch getrennt zu behandeln. Vielmehr ist festzustellen, dass sie miteinander vielfach interagieren und sich gegenseitig beeinflussen. Auf diese Weise entstehen ineinander verwobene Interdependenzketten, die in die Analyse einzubeziehen sind. Um die Situation zu verdeutlichen, mag es sinnvoll erscheinen, nicht mehr von einem flächigen, zweidimensionalen Modell von horizontalen Transfers auszugehen, sondern eine dreidimensionale Konstellation zugrunde zu legen, d.h. ein Beziehungsgeflecht, das verschiedene Ebenen von Austausch, Interaktion und Interdependenz miteinander verbindet und ineinander verschränkt. Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen 31 3. Vom Transfer zur Verflechtung An dieser Stelle setzt das methodische Werkzeug der Histoire croisée an. Hier seien nur einige wenige Merkmale hervorgehoben, die für die Untersuchung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 von Bedeutung sein mögen. Der besseren Übersichtlichkeit halber sind die Argumente durchnummeriert, auch wenn dadurch die Dinge vereinfacht werden. 1. Während die Transferforschung sich auf einzelne Vorgänge von Import bzw. Export konzentriert, versucht die Histoire croisée die wechselseitige Bedingtheit der fraglichen Prozesse herauszuarbeiten. Auf vielen Gebieten lässt sich in der Tat beobachten, dass sich gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse zwar einerseits in einzelnen nationalstaatlichen Rahmungen vollziehen, dabei aber die Prozesse in anderen Staaten miteinbeziehen und somit eine transnationale Komponente aufweisen. Veränderungen etwa das Arbeitsbeziehungen und des Arbeitsrechts, der Bildungssysteme, der Umweltpolitik oder der Stadtplanung und des Transportwesens sind heute in Europa transnational miteinander verflochten. Die Entwicklungen in einem einzelnen Land können nicht verstanden und erklärt werden, ohne ihren Entsprechungen in den anderen Ländern Rechnung zu tragen. Dabei geht es keineswegs um eine Form von allgemeiner Homogenisierung. Im Gegenteil sind es gerade die Unterschiede und die Variationen im transnationalen Frage-und-Antwort-Geflecht, die heuristische Bedeutung besitzen. Für bestimmte Zuständigkeitsbereiche sind natürlich die von den EU-Institutionen erlassenen Richtlinien von Bedeutung, die dann jeweils nationalstaatlich umgesetzt werden. Aber auch hier sind die einzelnen nationalstaatlichen Wege nicht mehr voneinander zu trennen. Sie reagieren aufeinander und beinhalten sich somit bis zu einem gewissen Grad gegenseitig. 2. Die nationalkulturelle Untersuchungsebene ( scale ) hat viel von ihrer Eindeutigkeit verloren. Auch wenn man sich immer noch auf „deutsche“ und „französische“ Kultur berufen mag, derartige Zuweisungen werden heute von vielen anderen quer dazu liegenden Kategorisierungen überlagert. Jugend- und Stadtkultur, kulinarische Kulturen, lokale und regionale Zuschreibungen, Berufs- und Unternehmenskulturen, Bio-Bewegungen, Wohnkulturen und Verbraucherschutz, Wirtschaftsrecht, Werbung, Design, Film- und Musikkulturen, all dies lässt sich heute nicht mehr auf der nationalen Ebene zusammenfassen. Das heißt nicht, dass es keine spezifisch nationalen Ausprägungen dieser Kulturformen mehr gäbe. Aber sie sind eingebettet in andere Klassifikationen, Ordnungs- und Kodierungssysteme. Methodisch ergibt sich daraus die Konsequenz, die verschiedenen Untersuchungsebenen einerseits zu differenzieren und zugleich andererseits den vielfachen Verbindungen dieser Ebenen nachzuspüren. Denn auch hier gilt: Keine existiert für sich allein, vielmehr überkreuzen sie sich vielfach und stehen zueinander in einem dynamischen, mobilen Interdependenzverhältnis. 3. Den wechselseitigen Verschlingungen der Untersuchungsgegenstände und -ebenen nachzugehen, bedeutet nicht, dass die entsprechenden Verhältnisse jeweils symmetrisch wären. In der französischen Hochschulpolitik etwa schaut man derzeit mehr auf die deutschen Erfahrungen als umgekehrt. Und in Fragen der Frauenbeschäftigungsquote oder der Familienpolitik ist der Erfahrungsaustausch eher andersherum gewichtet. Aber Asymmetrie bedeutet nicht Einbahnbeziehung. Auf allen diesen Feldern geht es um sich in einem überschneidenden Kommunikationsraum verlaufende Wechselbeziehungen. Die jeweiligen sozialen und kulturellen Einheiten, die miteinander kommunizieren, sind nicht mehr im Sinne Bourdieus als tendenziell autonome Felder oder im Sinne Luhmanns als Systeme mit vorzüglich eigener Logik zu verstehen, wie das der Ansatz des Kulturtransfers noch voraussetzte. Im Gegenteil tragen ihre Vernetzung und die daraus resultierenden Interaktionen dazu bei, die jeweiligen sozialen und kulturellen Handlungseinheiten permanent umzuformen. 4. Die Vervielfachung der am Austauschprozess beteiligten Akteure, die Berücksichtigung der Tatsache, dass die Transferprozesse in mehreren Richtungen zugleich verlaufen und die Ver- Michael Werner 32 flechtung der Untersuchungsebenen führen dazu, dass sich die Forschungskonstellation entscheidend verändert. Während die klassische Transferforschung von zweipoligen Strukturen ausging (Ausgangs- und Rezeptionskultur, dazwischen die von den Vermittlern getragene Transferbewegung) und deshalb nur selten dazu kam, zusätzliche Partner ins Blickfeld zu nehmen, stellt sich die Histoire croisée das Ziel, die Vielzahl der Verflechtungen und der Bewegungsrichtungen zu berücksichtigen. Das kann natürlich nur schwer in Gestalt einer Gesamtbeschreibung komplexer Konstellationen erfolgen. Vielmehr wird versucht, die Mannigfaltigkeit der Verknüpfungen und der Interdependenzen eher an einzelnen Gegenständen aufzuzeigen. Nur da ist genauer zu sehen, wie die jeweiligen Knoten geschlungen werden. Deshalb versteht sich die Histoire croisée eher als objektzentriertes Verfahren. 5. Die Verflechtungen beziehen sich indessen nicht nur auf den Forschungsgegenstand, sie haben auch Konsequenzen für das Verfahren. In der Tat hat die fortschreitende Integration vor allem der jüngeren sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung in Frankreich und Deutschland zur Folge, dass es immer schwieriger wird, „nationale“ Forschungsgesichtspunkte zu unterscheiden. Bi-nationale Master- und Doktorandenstudiengänge, Cotutelle-Abschlüsse bei Promotionen, bilaterale und multilaterale Forschungsprojekte führen zu einer wachsenden Verknüpfung der Beobachterpositionen der Forschung und der Sichtweisen auf ihre Gegenstände. Die Themenstellungen verändern sich. In diesem Sinne heißt „croiser“, dass der Forscher selbst aktiv am Verflechtungsprozess teilnimmt. Das bedeutet, auch hier, keineswegs, dass die Unterschiede verwischt würden, um in einer neuen, homogenen Welt aufzugehen. Wenn etwas Neues dabei entsteht, so ist es vielmehr das wachsende Bewusstsein für die Verflechtung und die Interdependenz der Gesichtspunkte, seien sie nun nationaler, disziplinärer oder generationsspezifischer Art, - und damit ein Mehr an Reflexivität. Alle dieser hier kurz gezeichneten Tendenzen in der Erforschung von Kulturbeziehungen betreffen natürlich nicht nur das deutsch-französisch Forschungsfeld. Sie sind Teil einer umfassenden Entwicklung der neueren Sozial- und *Kulturwissenschaften, die mit dem Ende des europäischen (oder euro-atlantischen) Wissenschafts- und Deutungsmonopols zusammenhängt. Reflexive Selbstverständigung über die eigenen Ansätze und Methoden ist heute allenthalben angesagt. Was den deutsch-französischen Bereich in dieser Hinsicht allenfalls auszuzeichnen vermag, ist einerseits die Intensität der Verflechtungen. Dabei betreffen die Verschachtelungen nicht nur das eigentliche kulturelle Feld, etwa Theater, Musik, Kunst, Ausstellungen, Museen, Architektur, Medien, kulturelle Praktiken wie Straßenkunst, Festivals und dergleichen mehr; sie sind auch Teil eines größeren Prozesses, wo kulturelle Faktoren mit gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Entwicklungen interagieren. Des Weiteren ist festzustellen, dass das klassische deutschfranzösische Face-à-Face zunehmend an Bedeutung verliert. Andere Player und andere Bühnen sind zunehmend in die frühere Zweisamkeit miteinbezogen, man denke nicht nur an Amerika oder klassische europäische „Dritte“ wie Italien, den Benelux, die Schweiz und die aus der Habsburgermonarchie hervorgegangen Länder, sondern vor allem an den Vorderen Orient, die Türkei und den Maghreb, Afrika, Lateinamerika und den Fernen Osten. Immigration und daraus resultierende mehr oder minder hybride Subkulturen, Praktiken der Integration, der Abschließung der Vermischung sind vielschichtig und gewissermaßen quer zu den einzelnen Arenen miteinander vernetzt. Der andere Aspekt betrifft die Forschungsseite. Auch da ist zu beobachten, dass sich die alten dichotomischen Setzungen verflüssigt haben. Die Forschungsstandpunkte sind ineinander verquickt und integrieren darüber hinaus viele, außerhalb des deutsch-französischen Kerns situierte Positionen. Die Forschungskonstellation ähnelt mehr einem multipolaren dreidimensionalem Geflecht wechselseitiger Interdependenzen. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass das Modell des Transfers zwischen autonom gedachten Einheiten nicht mehr zutrifft. Nicht nur die erforschten Gegenstände und Prozesse sind ineinander verwoben, sondern auch die Positionen, von denen Konzeptionen und theoretische Ansätze zur Untersuchung von Kulturbeziehungen 33 aus sie analysiert werden. Ein fast schon klassisches Beispiel dafür wäre die Forschung über mémoire , memory und Erinnerung, in der sich national bedingte, disziplinäre, politische, ökonomische und moralische Perspektiven kreuzen. Das heißt indessen nicht, dass bestimmte „deutsche“, „französische“ oder wie auch immer anders definierte Standpunkte in einen in seinen einzelnen Komponenten nicht mehr analysierbaren „Brei“ zusammengerührt worden sind. Vielmehr bedeutet Verflechtung eine Zunahme an Komplexität, und damit die Notwendigkeit präziserer Definitionen und feinerer Differenzierung. Gerade in dieser Hinsicht und unter Berücksichtigung der genannten Erweiterungen bleiben die deutsch-französischen Kulturbeziehungen ein ungemein spannendes Laboratorium kulturwissenschaftlicher Forschung. Conrad, Sebastian, Jürgen Osterhammel (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen 2004. Conrad, Sebastian, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2006. 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Zugleich jedoch ermöglichten die verkehrs- und nachrichtentechnischen Neuerungen und die gesellschaftlichen Umwälzungen auch die Entstehung von Formen wechselseitiger transnationaler Kenntnisnahme und Kommunikation in breiteren Schichten der Bevölkerung. Die politischen Konstellationen dieser Jahrzehnte setzten diesem Interesse Grenzen in der Phase von 1919 bis 1924 sowie nach 1930, sie förderte sie in der „Locarno-Ära“ in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Dabei standen den Regierungen beider Länder erst wenige institutionelle Ansätze Auswärtiger Kulturpolitik zur Verfügung, und der allergrößte Teil der politischen Lenkung der im Kulturaustausch maßgeblichen zivilgesellschaftlichen Organisationen erfolgte bis etwa 1935 über die Gewährung oder Verweigerung der von diesen angeforderten materiellen Unterstützungen durch die öffentliche Hand. Die richtungweisende strukturelle Neuerung in den deutsch-französischen Gesellschafts- und Kulturbeziehungen bestand während der Zwischenkriegszeit in der Gründung und Gestaltungsfunktion bildungs- und wirtschaftsbürgerlicher Verständigungsorganisationen und in den mit ihnen verbundenen vielfältigen Begegnungsinitiativen. Da sie in ihrer organisatorischen Gestalt im Vergleich zur Zeit vor 1914 ein Novum waren und für die Zeit nach 1945 einen Erfahrungssockel für die Neukonzipierung der Gesellschafts- und Kulturbeziehungen darstellten, erscheint es gerechtfertigt, sie ins Zentrum einer Skizze der bilateralen Kulturbeziehungen 1919 bis 1939 zu rücken, ohne jedoch die staatlich-institutionelle Handlungsebene und die individuellinterpersonellen Interaktionsbereiche auszublenden. 1. Das pazifistische Motiv in den Kulturbeziehungen Im Ersten Weltkrieg hatte das Thema der nationalkulturellen Überlegenheit eine zentrale Rolle in der Propaganda der kriegführenden Nationen gespielt. In den Reihen der kriegskritischen Kräfte Frankreichs und Deutschlands gewann die Infragestellung dieses übersteigerten Kulturnationalismus zwischen 1914 und 1918 zunehmend an Bedeutung und wurde in den konfliktreichen ersten Nachkriegsjahren zum Ansatzpunkt für die Wiederaufnahme des Gesprächs zwischen französischen und deutschen Intellektuellen. Diese Kritik an der kulturideologischen Rechtfertigung des Krieges verband sich vor allem in der Siegernation Frankreich mit der bestürzenden Bilanzierung der Menschen- und Materialverluste, die der Grande Guerre verursacht hatte, und die Verbindung der prinzipiellen und der aktuellen Kriegskritik begründete eine von großen Teilen der Franzosen vertretene Disposition zur zukünftigen Kriegsverhinderung, so z.B. in den einflussreichen Großgruppen der Kriegsteilnehmerverbände oder der Volksschullehrergewerkschaften. In Deutschland hatte eine solche Verhaltensdisposition im Zeichen der Niederlage und des Versailler Vertrages ungleich geringere gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten. Gleichwohl wurden auch hier die kriegsgegnerischen Minderheiten zu den Protagonisten verständigungspolitischer Bemühungen im Verhältnis zu Frankreich, die (mit Vorbehalten) die Politik des Völkerbundes befürworteten. Ihre übergeordneten Ziele und ihr kleinster gemeinsamer Nenner waren Deutsch-französische Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit 35 in der Weimarer Republik die völkerrechtliche Sicherung des Friedens und die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen demokratischen Postulate in Deutschland. Die organisierte Bewegung der 1920er Jahre in Deutschland, die die aktivste Rolle spielte in den frühen Versuchen, die Kommunikation mit Gleichgesinnten in Frankreich wieder aufzubauen, war die Deutsche Liga für Menschenrechte (DLM). Sie war hervorgegangen aus dem Bund Neues Vaterland (BNV) und in Kontakt mit der aus der Dreyfus-Affäre entstandenen französischen Ligue des Droits de l’Homme (LDH), die ihrerseits ab 1918/ 19 ihr Menschenrechtsprogramm um einen internationalen Forderungskatalog erweitert hatte. Aus den direkten Gesprächen zwischen beiden Organisationen erwuchs der Entschluss der deutschen Republikaner und Pazifisten, im Januar 1922 mit dem neuen Namen Deutsche Liga für Menschenrechte ihre prinzipielle Übereinstimmung mit der Ligue des Droits de l’Homme zu bekunden und deren Zentralkomitee begrüßte noch im selben Monat diese Geste der grenzüberschreitenden Solidarität. LDH und DLM traten zugleich mit einer gemeinsamen Erklärung „An die Demokraten Deutschlands und Frankreichs“ in die Öffentlichkeit, die als erstes Dokument transnationaler Programmerklärung zwischen deutschen und französischen Gesellschaftsgruppen seit Kriegsende gelten kann. Die DLM war eine von rund 30 pazifistischen Organisationen in der Weimarer Republik und zählte nicht mehr als 200 Mitglieder zu Anfang, rund 1000 in der Mitte und etwa 2000 organisierte Anhänger gegen Ende der Republik. Sie wirkte in der politischen Öffentlichkeit und in der Gesellschaft nicht durch die Quantität, sondern aufgrund der Qualität ihrer namhaften Repräsentanten. Insbesondere Robert René Kuczynski (Direktor des Statistischen Amtes von Berlin- Schöneberg) war eine der Schlüsselpersonen der DLM in den Frankreichbeziehungen; er gab u.a. ab 1923/ 24 die „Deutsch-Französische Wirtschaftskorrespondenz“ heraus und warb für eine Europäische Zollunion. Die Öffentlichkeitswirkung zugunsten der Ziele der DLM, die vom Bekenntnis bekannter Intellektueller ausging, wurde verstärkt durch eine Reihe von Relaisstationen in der Gesellschaft. Einen zusätzlichen gesellschaftlichen Resonanzboden für ihre pazifistischdemokratische Überzeugungsarbeit fand die DLM im Bund entschiedener Schulreformer (BeS), der politisch eine kritische Nähe zur SPD aufwies und einen Schulunterricht gemäß dem Prinzip des „völkerversöhnenden Pazifismus“ propagierte. Einer seiner Mitbegründer, Siegfried Kawerau, war zeitweilig Vorstandsmitglied der DLM und einer der Inspiratoren des deutsch-französischen Schüleraustauschs und Schülerbriefwechsels. Die friedenspädagogisch begründeten deutsch-französischen Schulkontakte gingen in den späten 1920er Jahren dann in die Regie der bildungsbürgerlichen Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) über, die über vergleichsweise mehr Ressourcen verfügte als die pazifistischen Organisationen. Diese Organisationen im Allgemeinen und die DLM aufgrund ihres Frankreich-Engagements im Besonderen wurden von der überwältigenden Mehrheit der öffentlichen Meinung in der Weimarer Republik unter den Verdacht des potenziellen Landes- oder Hochverrats gestellt. Tatsächlich jedoch waren die Beziehungen der DLM zu Frankreich weder vorbehaltsnoch konfliktfrei. In den kontroversen Kernfragen der Versailler Nachkriegsordnung, der „Alleinschuld“-These des Artikel 231 und des Beitritts zum Völkerbund, wurde von DLM-Repräsentanten eine nach französischer und deutscher Seite hin kritische Stellung eingenommen und eine eigenständige Konzeption eines noch zu schaffenden „wahren Völkerbundes“ vertreten, der zum Ziel einer „Republikanisierung und Vereinheitlichung Europas“ führen sollte. Namentlich der Generalsekretär der DLM, Otto Lehmann-Rußbüldt, bezog sich dabei auf die Aufklärungstradition der Europa-Idee. Auf der Ebene gesellschaftlichen Handelns erprobten die deutschen und die französischen republikanischen Pazifisten in der Konfliktphase der frühen 1920er Jahre Praktiken vertrauensbildender Maßnahmen in der Form von öffentlichem Redner- und Schüleraustausch. Die Redner-Austauschaktionen, die Mitte 1922 begannen, lösten in Deutschland nach dem Ruhrkonflikt überaus heftige Gegenreaktionen aus und bewegten vorübergehend die nationale Öffentlichkeit beider Länder. Der Kindererholungs- und Schüleraustausch der LDH und der DLM verliefen vergleichsweise diskreter und wurden Hans Manfred Bock 36 maßgeblich gestaltet von den reformpädagogischen Kräften in ihren Reihen. Die frühesten Besuche bekannter deutscher Wissenschaftler und Schriftsteller in Paris hatten keinen direkten Bezug zu den beiden Pazifisten-Verbänden, wurden jedoch im Falle von Albert Einstein (1921) und Fritz von Unruh (1924) durch das pazifistische Milieu beider Länder ermöglicht und geprägt. Die pazifistischen Wortführer waren die prädestinierten Gegner der Nationalsozialisten. Sie standen ab 1933 zuoberst auf deren Ausbürgerungslisten und waren gezwungen, ins Exil zu gehen. Dort bildeten sie in London, Prag und vor allem in Paris Stützpunkte des Widerstandes gegen Hitler- Deutschland. Mit Unterstützung der LDH und ihrer Ansprechpartner im Umkreis der französischen Sozialdemokratie (SFIO) und des Parti radical spielten sie eine im Verhältnis zu ihrem Organisationspotential bemerkenswert große Rolle bei der Zusammenfassung der deutschen Exilanten zu Selbsthilfeorganisationen und bei der Lancierung antinazistischer Propaganda. Nach dem Scheitern der parteipolitisch geführten Verhandlungen über die Schaffung einer Volksfront der Linksparteien im Exil im Herbst 1937 sammelten sich die trotz der Kriegsdrohung nicht resignierenden Exilaktivisten noch Anfang 1939 in einer binationalen Deutsch-Französischen Union/ Union Franco-Allemande (CDFU/ UFA). War bereits die kulturelle Arbeit das stärkste Band der vorher ins Leben gerufenen Exilorganisationen (z.B. der im Mai 1934 unter dem Präsidium von *Heinrich Mann gegründeten Pariser Deutschen Freiheitsbibliothek), so machte auch die DFU/ UFA das soziokulturelle Wirken zum Leitgedanken ihres Programms. Sie unterhielt als Publikationsorgan das von dem dissidenten Kommunisten Willy Münzenberg gegründete Periodikum „Die Zukunft“, in dem auch Vertreter des republikanischen Pazifismus zu Worte kamen. Viele der Stationen und grenzüberschreitenden Kulturaktivitäten des republikanischen Milieus der Zwischenkriegszeit spiegeln sich im entsprechenden Lebensabschnitt des Leipziger Romanisten Wilhelm Friedmann und des Schriftstellers Jean-Richard Bloch sowie in ihren Beziehungen dieser Jahrzehnte. Die DFU/ UFA wollte unter Wahrung der Werte des Humanismus und der Menschen- und Bürgerrechte „mit allen geeigneten Mitteln der Annäherung und Zusammenarbeit aller wahren Repräsentanten des geistigen und politischen Lebens beider Länder“ dienen. Die Absicht der Friedenssicherung durch die Auflösung des deutsch-französischen politischen Antagonismus vermittels der Intensivierung des Kultur- und Gesellschaftsaustausches war allen organisierten und individuellen Verständigungskräften der Zwischenkriegszeit gemeinsam. Ihre politische Interessenanbindung, ihre Kriegsursachenanalyse und ihre übernationalen Gestaltungsvorstellungen hingegen divergierten. 2. Das bildungsbürgerliche Fundament der Kulturbeziehungen Die gesellschaftlichen Bedingungen für den Bau eines festeren Fundaments der bilateralen Kulturbeziehungen entstanden 1925 mit den Locarno-Verträgen, die in manchen Bereichen soziokulturelle Projekte zur Verwirklichung kommen ließen, die schon früher erwogen worden waren. So waren es auch nicht ganz neue Protagonisten im bilateralen Verkehr zwischen beiden Nationen, die im akademischbildungsbürgerlichen Milieu ab 1924/ 25 die ersten Schritte unternahmen. Generell stand die akademisch gebildete Intelligenz Deutschlands in Frankreich nach 1918 im Ruf eines aggressiven Kulturnationalismus ( pangermanisme ). Der Rechtfertigungsappell deutscher Intellektueller zur Kriegsführung vom September 1914 („Aufruf der 93“) war eine der Grundlagen für den Ausschluss deutscher Wissenschaftler von den internationalen Kongressen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Es war dann der Kunsthistoriker Otto Grautoff, der vor 1914 auf der Ile de la Cité eine Art deutsch-französischen Salon unterhalten hatte, der sich mit Förderung des Auswärtigen Amtes als privater Emissär in Frankreich erfolgreich betätigte und u.a. 1925 vom amtierenden Kultusminister die Zusage für die Aufhebung des Boykotts der deutschen Wissenschaftler erhielt. Zwei Projekte gewährleisteten dem kulturellen Interesse am anderen Land eine konkrete Basis und kontinuierlichen Informationsfluss. Zum einen war das ein doppeltes Zeit- Deutsch-französische Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit 37 schriftengründungsprojekt, das ab 1927 in der Revue d’Allemagne (RdA) und ab 1928 in der Deutsch-Französischen Rundschau (DFR) Gestalt annahm. Zum anderen wurden zwei Verständigungsorganisationen ins Leben gerufen: die Deutsch-Französische Gesellschaft (DFG) und die Ligue d’études germaniques (LEG), die ein halbes Jahrzehnt lang zu Achsen soziokultureller Interaktion wurden. Von den rund 3 000 nachweisbaren Mitgliedern der DFG waren 13,5 % Gymnasial- und Hochschullehrer, 10,2 % waren Industrielle und Kaufleute. Stark vertreten waren auch Funktionsträger der öffentlichen Verwaltung und der Justiz (je 7,4 % und 7 %), unterrepräsentiert blieben hingegen die Militärberufe (0,3%). Die aktivsten Mitarbeiter von DFG und LEG kamen aus den Lehrberufen beider Länder, ihre großzügigsten Geldgeber aus dem Bereich exportinteressierter Industrieunternehmen und der Banken. Den Höchststand an zahlenden Mitgliedern erreichte die DFG im Jahre 1930 und bei weitem am stärksten vertreten war sie in Berlin, Frankfurt/ M. und in Stuttgart. Die DFG, die mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder in Berlin hatte, fasste die regionalen Zweigorganisationen im Reich nur locker zusammen durch die Herausgabe des Zentralorgans DFR und umfasste keineswegs alle deutsch-französischen Vereinsgründungen der Locarno-Ära. So fügte z.B. die Hamburger Deutsch-Französische Gruppe e.V. sich nicht in den Organisationsrahmen der DFG ein und auch die Leipziger Société d’études franco-allemande entzog sich deren Zentralisierungsbestrebungen. Unter diesen Umständen bildeten die verschiedenen städtischen Ortsgruppen durchaus verschiedene Profile ihrer Verständigungsstrategie aus. Die Berliner DFG suchte unter Grautoffs Leitung die Nähe des diplomatischen Milieus, während die Frankfurter DFG unter dem Einfluss des Soziologen Gottfried Salomon eine Strategie vertrat, die auf die interkulturelle Lernfähigkeit der Funktionseliten zwischen Frankreich und Deutschland setzte und damit ein zentrales Motiv der Verständigungskonzeption der Nachkriegszeit vorwegnahm. Das Repertoire der transnationalen Begegnungsformen bestand aus Besuchen und Vorträgen von Repräsentanten der anderen Kultur, organisierten Reisen ins Nachbarland, Veranstaltungen erklärenden und werbenden Charakters deutscher Frankoromanisten und französischer Germanisten über das andere Land, Schüler- und (in geringem Umfang) Studentenaustausch und vor allem in der Herausgabe monatlich erscheinender Zeitschriften (DFR und RdA), die sich umfassende Aufklärung über die Nachbarnation zum Ziel setzten. Die LEG veröffentlichte zusätzlich ein Verbandsblatt („Se connaître“), das vorrangig der aktuellen Deutschlandinformation französischer Gymnasiallehrer diente. Die beiderseits vorgetragene Verständigungskonzeption der bildungsbürgerlichen Vereinigungen spiegelten jeweils deutlich den außenpolitischen Konsens der nationalen Eliten wider. Auf der deutschen Seite den Revisionsanspruch bezüglich des Versailler Vertrages und den „kulturkundlich“ formulierten Willen, den anderen besser zu kennen, um sich selbst national klarer zu definieren. Auf der französischen Seite ein republikanischer Universalismus, der von der politischen Rechten mit der Versailler Nachkriegsordnung gleichgesetzt wurde und von der Linken stärker mit pazifistischen Ideen verbunden und auch kritisch gegen Versailles gewendet wurde. Im Zusammenhang mit der Entstehung neuartiger Organisationen zur Förderung soziokultureller Kontakte erfuhren auch die interpersonellen und die institutionellen Kontaktstrukturen neue Impulse. Ab 1925 begann in größerem Maßstabe der Reiseverkehr von Intellektuellen und Künstlern in beiden Richtungen; er erfolgte überwiegend individuell und spontan, bevor die Nationalsozialisten ihn durch Visa und Devisenrestriktionen zu regulieren begannen. Vor dem Erfahrungshintergrund des neuen kulturellen Interesses am Nachbarland entstanden die essayistischen Erfolgsbücher von *Friedrich Sieburg und *Paul Distelbarth über Frankreich und von Pierre Viénot und Wladimir d’Ormesson über Deutschland; sie trugen nachhaltig bei zur Formung der beiderseitigen kollektiven Vorstellung voneinander. Gleichzeitig begann in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre die massenmedial vermittelte Informationsverbreitung durch das Radio und den Film. In Deutschland setzte sich das Interesse der Vorkriegsjahre an der Entwicklung der Bildenden Kunst in Frankreich auf breiterer Basis fort; es wurde stabilisiert durch namhafte Gales Hans Manfred Bock 38 rien (Daniel-Henry Kahnweiler, Alfred Flechtheim). In Frankreich nahm das Interesse an der Musik und ihren Interpreten aus Deutschland immer noch zu und beherrschte bis weit in die 1930er Jahre das Pariser Konzertleben (mit zahlreichen Richard-Wagner-Aufführungen). Hatte für die frühe Dritte Republik die Berufung auf Kant eine wichtige Rolle im akademischen und politischen Leben gespielt („kantisme“), so wurde von der jungen Intellektuellengeneration der Zwischenkriegszeit dem Denken Hegels, Husserls und *Heideggers eingehende Aufmerksamkeit gewidmet und dies Interesse gestaltete sich zum Ausgangspunkt eigenständiger philosophischer Synthesen (*Existentialismus, Marxismus). Aufschlussreicher als die französischen Deutschland- oder die deutschen Frankreich-Romane dieser Zeit sind für die kulturelle Problemlage zwischen den Intellektuellen beider Nationen ihre Korrespondenzen, die mittlerweile in großer Zahl veröffentlicht worden sind (Romain Rolland - Stefan Zweig, *Ernst Robert Curtius - André Gide, Wilhelm Friedmann - Jean-Richard Bloch, *Heinrich Mann - Félix Bertaux. *Pierre Bertaux‘ Berliner Briefe an seine Eltern u.a.). Die neue kulturelle Beweglichkeit zwischen Deutschen und Franzosen, die in der „Locarno-Ära“ zu Tage trat, brauchte eine Weile, bevor sie in institutionelle Politik umgesetzt wurde. Nach dem Eintritt des Deutschen Reiches in den Völkerbund (September 1926) stellte sich die Frage nach der Auswahl deutscher Repräsentanten für dessen kulturelle Einrichtungen. Unter maßgeblichem Einfluss des Preußischen Kultusministers (Carl Heinrich Becker) wurden die Spitzenpositionen in der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit und im Pariser Institut für geistige Zusammenarbeit besetzt. Albert Einstein war als überragender Wissenschaftler und Pazifist ab 1922 bereits ad personam zum Mitglied der kulturellen Völkerbund-Kommission gewählt worden, sein Stellvertreter (Hugo Andres Krüss, ab 1925 Direktor der Berliner Staatsbibliothek) kam aus dem Preußischen Kultusministerium. Diese Konstellation wiederholte sich bei der Besetzung der sichtbarsten Stellen im Pariser Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit. Die mit gouvernementaler Hilfe und Billigung geschaffenen bilateralen Kulturinstitutionen kamen erst an der Schwelle zu den 1930er Jahren zustande. In enger Verbindung mit den Schrittmachern der gesellschaftlichen Verständigungsorganisationen kam es in Paris (1928/ 1931) und in Köln (1930) zur Eröffnung deutsch-französischer Kultureinrichtungen, die den bildungsbürgerlichen Vereinigungen mit den universitären Mitteln von Lehre und Forschung zur Seite stehen und über das Nachbarland informieren sollten. Das deutsch-Französische Institut der Stadt Köln, das mit tätiger Hilfe von Oberbürgermeister Konrad Adenauer gegründet wurde und von dem Romanisten Leo Spitzer geleitet wurde, stand im Kooperationsverhältnis mit dem Ende 1931 in seiner definitiven Form eingeweihten Pariser Institut d’études germaniques, dessen Präsident der unternehmungsfreudige Verständigungspolitiker und Germanist Henri Lichtenberger war. Stärker als in diesen universitären Initiativen war der politisch-administrative Gestaltungswille am Werke in den frühesten akademischen Austauscheinrichtungen zwischen Deutschland und Frankreich, die asymmetrisch angelegt waren. Weniger der Begegnung als der Beobachtung des Nachbarlandes gewidmet waren zwei kulturelle Einrichtungen mit unterschiedlicher Zweckbestimmung: das *Centre d’études germaniques (CEG), ab 1921 in Mainz und ab 1930 in Straßburg, und das 1937 errichtete Goethe-Haus in Paris. Die Mainz-Straßburger Institution diente der Ausbildung deutschlandkundiger Offiziere und das Pariser Institut stand dem NS-Regime genehmen Kulturrepräsentanten als Anlaufstelle für Frankreichstudien zur Verfügung. Als Brückenkopf französischer Wissenschaftspräsenz in der Reichshauptstadt wurde Ende 1930 ein Akademikerhaus (Maison académique française) in Berlin eröffnet, das jungen postgradualen Wissenschaftlern eine Anlaufstelle für ihre weitere Qualifizierung bot, aber keine größere französische Kulturwerbung entfaltete. Im selben Jahr wurde die Pariser Zweigstelle des *DAAD gegründet, die von Anfang an eine Strategie der Zentralisierung der zivilgesellschaftlichen Begegnungsstrukturen zwischen deutschen und französischen Jungakademikern und die Absicht der offensiven Selbstdarstellung der deutschen Kultur verfolgte. Die offiziellen Institutionen, die diese Kulturinstitute ausgehandelt hatten Deutsch-französische Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit 39 und ihre Arbeit beaufsichtigten, waren das ONUEF (Office national des universités et écoles françaises), das vom französischen Außen- und Erziehungsministerium gleichermaßen abhängig war, und (ab 1931) der *DAAD, dessen Selbständigkeit tendenziell ab 1934 und definitiv ab 1937 von gleich mehreren NS-Reichsministerien durchbrochen wurde. Der Umfang der von diesen Institutionen verwirklichten akademischen Austauschaktionen blieb in den 1930er Jahren eng begrenzt: Die Zahl der vom *DAAD nach Frankreich vermittelten *Lektoren bewegte sich pro Jahr zwischen 12 und 19. Die diesen Austauschvorgängen zugrunde liegende Handlungsanleitung bewegte sich von der Idee, in der Begegnung mit dem Fremdnationalen das eigene Nationalgefühl zu stärken, bis zu der (von Karl Epting eingeführten) Praxis, im Bündnis mit den antirepublikanischen Kräften in Frankreich den dort dominierenden republikanischen Konsens zu bekämpfen. Die Anhänger der Weimarer Republik in Deutschland, die von den Nationalsozialisten ins Exil verwiesen und dort noch diffamiert wurden, fanden in der republikanischen Synthese ihres Gastlandes den kleinsten gemeinsamen Nenner für ad-hoc-Bündnisse. Sie erzielten in Paris vor allem mit kulturellen Initiativen (Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Deutsche Freiheitsbibliothek, Freier Künstlerbund u.a.) Erfolg, nicht jedoch mit dem Versuch der Gründung einer Deutschen Volksfront im Exil. Nach der NS-Machtübernahme wurden die pazifistischen Befürworter des Austauschs mit Frankreich als erste ins Exil gezwungen. Die Nationalsozialisten waren jedoch an der Aufrechterhaltung der organisierten Gesellschaftskontakte nach Frankreich interessiert und bauten deshalb eine neue Struktur der Kontaktpflege auf. Für sie trat nach der Auflösung der ursprünglichen DFG ab Ende 1935 unter deren usurpiertem Namen „Deutsch-Französische Gesellschaft“ eine NS- Organisation auf und hatte in Paris eine Partnerorganisation, das Comité France-Allemagne (CFA). Diese neue Struktur des soziokulturellen Austauschs zwischen Deutschen und Franzosen war vor allem das Werk von Otto Abetz, der sein bilaterales Wirken im Rahmen der deutschfranzösischen Jugendbegegnungen der späten Weimarer Jahre (Sohlbergkreis) begonnen hatte. An die Stelle des Bildungsbürgertums trat in der NS-DFG als gesellschaftliches Rekrutierungsreservoir ein prekäres Bündnis von antirepublikanischen Jugendlichen und pazifistischen Kriegsteilnehmerverbänden, deren um Ausgleich bemühte Beziehungen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre begonnen hatten. Während der NS-Besatzung Frankreichs wurden alle kulturpolitischen Institutionen und Kräfte unter der Leitung von Karl Epting im Pariser Deutschen Institut und in einem Netz von zentral gesteuerten Kulturinstituten in der Provinz zusammengefasst. In Verbindung mit der Propagandaabteilung sollte dieses kulturpolitische Dispositiv dafür Sorge tragen, den „bewussten Einsatz der Geisteskräfte des deutschen Volkes zur Beeinflussung der geistigen Schichten anderer Völker und darüber hinaus zur Erringung der geistigen Führung in Europa“ zu bewirken. 3. Das wirtschaftsbürgerliche Interesse an den Kulturbeziehungen In der Zwischenkriegszeit setzte sich fortschreitend die Einsicht durch, dass die zahlreichen Komplementaritäten in der Wirtschaftsgesellschaft Deutschlands und Frankreichs eine effiziente Grundlage für das Verständigungsbemühen sein könnten und müssten. Im Rahmen der DLM propagierte der Wirtschafts- und Sozialstatistiker Robert Kuczynski nachdrücklich die Nutzung dieser günstigen Voraussetzungen für die Lösung der deutsch-französischen Probleme. Der Generalsekretär der DFG, der Publizist und Stresemann-Intimus Edgar Stern-Rubarth, war zugleich Mitbegründer des Europäischen Zollvereins (EZV) und deutscher Vertreter in der in Frankreich relativ einflussreichen Union douanière européenne (UDE). Er warb dort für die Konstituierung regionaler Gruppen souverän bleibender Nationalstaaten, die je eine „Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsgemeinschaft“ bilden sollten. Über dergleichen werbende Aktivitäten zugunsten transnationaler Wirtschaftsabsprachen und Handlungsbeziehungen verfolgten namentlich im Stutt- Hans Manfred Bock 40 garter Raum einige Großunternehmen (Bosch AG, Linoleum-Werke in Bietigheim) eine unternehmerische Interessenpolitik, die sich mit den Zielen der DFG verband. Generell kann man feststellen, dass ab 1924 die unternehmerischen Initiativen in Deutschland und Frankreich sprunghaft zunahmen, die auf eine wechselseitig vorteilhafte Kooperation zielten. Diese Bewegung konkretisierte sich in zahlreichen Kartellbildungen, die auf deutsch-französischer Grundlage, aber mit multinationaler Dimension agierten und im deutsch-französischen Handelsvertrag vom August 1927 ihren Ausdruck fanden. Das komplexe Zusammenspiel zwischen kulturellen und ökonomischen Antrieben für die Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit ist bislang am weitestgehenden erkennbar am Beispiel der Beziehungen zwischen der Internationalen Rohstahlgemeinschaft (IRG) (Sept. 1926) und dem Deutsch-Französischen Studienkomitee (Comité franco-allemand d’information et de documentation). Diese im Mai 1926 konstituierte Verständigungsorganisation, die bald schon nach dem Gründer beider transnationalen Organisationen „Mayrisch-Komitee“ genannte wurde, stand in einem funktionalen Verhältnis zur IRG, dessen Eigenart in der Forschung kontrovers beurteilt wird, dessen gleichgerichtete Finalität jedoch offensichtlich war. Zwar war das schwerindustrielle Quotenkartell (trotz der Beteiligung Frankreichs, Deutschlands, Belgiens und Luxemburgs) keine Präfiguration der Montan-Union der Nachkriegszeit. Aber im Gegensatz zu dieser gehörte gemäß den Vorstellungen des luxemburgischen Industriellen Émile Mayrisch zur Wirtschaftsverflechtung unabdingbar eine kultur- und sozialpolitische Handlungsebene hinzu, wenn sie für alle beteiligten Produzenten und Konsumenten dauerhaft und konfliktverhindernd sein sollte. Diesem Gedanken verpflichtet war die Gründung des Deutsch-Französischen Studienkomitees, dessen Durchführung Mayrisch dem jungen französischen Intellektuellen Pierre Viénot übertrug. Der luxemburgische Wohnsitz der Familie Mayrisch (Schloß Colpach) konnte vor allem deswegen zu einem Gravitationszentrum deutsch-französischer Kulturbegegnungen werden, weil dort bereits seit den frühen 1920er Jahren ein reger Besucherverkehr aus beiden Ländern stattfand, in dessen Mittelpunkt die literarisch ambitionierte und künstlerisch interessierte Dame des Hauses, Aline Mayrisch de Saint-Hubert, stand. In ihrer Sozialisation stark durch die deutschsprachigen Länder geprägt, unterhielt sie produktive Kontakte zur „Nouvelle revue française“ (NRF) und deren spiritus rector André Gide, sowie zu den Décades de Pontigny, die unter Beteiligung des NRF-Kreises von dem Philosophen Paul Desjardins in jedem Sommer von 1922 bis 1939 ausgerichtet wurden und Intellektuelle aus vielen europäischen Ländern versammelten. Die teilweise über Colpach nach Pontigny vermittelten deutschen Kulturrepräsentanten (*Ernst Robert Curtius, Arnold Bergsträsser, Max Clauss u.a.) standen ihrerseits dem jungkonservativen und neuaristokratischen Europäischen Kulturbund nahe, der vom österreichischen Prinzen Anton Rohan ins Leben gerufen worden war und von 1924 bis 1934 existierte. Da alle drei Zirkel nach dem Prinzip der elitären Kooptation funktionierten, der deutsch-französischen Problematik höchste Priorität einräumten und die kulturelle Einheit Europas neu begründen wollten, überschnitten sich ihre Netzwerke. Die Décades de Pontigny, zu deren innerem Führungskreis bald Bernherd Groethuysen gehörte, zogen zahlreiche bürgerliche Intellektuelle aus Deutschland an und vermittelten ihnen eine Vorstellung von gelebter kultureller Einheit Europas. Der Europäische Kulturbund zielte auf die Vernetzung jungkonservativer Intellektueller, Industrieller und Politiker. Er wirkte ab 1925 in der politisch-kulturellen Öffentlichkeit mit der Herausgabe der Zeitschrift „Europäische Revue“. Im Vergleich zum republikanisch grundierten Forum der Pontigny-Dekaden und zum jungkonservativ-katholischen Forum des Europäischen Kulturbundes war das Mayrisch-Komitee weniger ideologisch als soziologisch profiliert. Mit der Zielsetzung, die kommunikativen Voraussetzungen für die deutsch-französische Kooperation auf gesellschaftlicher Ebene zu stabilisieren, kamen dort exponierte Vertreter der Industrie, der Politik und der Kultur zusammen. Das Studienkomitee beschloss schon früh, nicht mit eigenen periodischen Deutsch-französische Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit 41 Druckerzeugnissen hervorzutreten. Die internen Diskussionen zielten verstärkt auf eine Annäherung der politischen Problemdefinitionen und -lösungen beider Sektionen, blieben jedoch immer wieder in deren Aporien stecken. Dergleichen unlösbare Dauerkonflikte divergierender politischer Wahrnehmung, der tödliche Unfall von Émile Mayrisch (1928), interne Animositäten und vor allem die Neuentfachung der diplomatischen Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich ab 1930 hatten eine weitreichende Selbstparalysierung des Mayrisch-Komitees zur Folge. Es bestand schließlich jedoch in reduzierterem Format länger als das Internationale Rohstahlkartell. Nach 1933 stellten die Nationalsozialisten seine Existenz u.a. deshalb nicht in Frage, weil sie sich mit der Industrie zu arrangieren bestrebt waren und das Komitee öffentlich nicht mehr in Erscheinung trat. Den wiederholten Aufforderungen in den späten 1930er Jahren an das vormalige Mayrisch-Komitee, sich den NS-Organisationen anzuschließen, folgte das Rumpf-Komitee schließlich nicht, und es unterhielt bis 1938/ 39 eine Informationsstelle in Paris. Das Komitee stellte einen Versuch dar, von der Ebene der soziokulturellen Beziehungen und ökonomischer Interessenkomplementaritäten ausgehend eine Versachlichung des politischen Verhältnisses beider Nationen einzuleiten. Es scheiterte wohl nicht zuletzt daran, dass die Elitenrepräsentanten nicht auch imstande waren, in der Begegnung mit der anderen Seite die eigenen Gewissheiten kritisch zu befragen. Diese historische Erfahrung trug möglicherweise dazu bei, dass nach 1945 der Weg der deutsch-französischen Verständigung über die korporative Begegnung der Machteliten anfangs weniger wichtig wurde als die Zusammenführung einzelner Gesellschaftsgruppen und Funktionseliten beider Länder. Der erste deutsche Bundeskanzler warb auch deshalb seit seinem Amtsantritt für die Intensivierung der Gesellschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik und für ein deutsch-französisches Kulturabkommen, weil er in seiner Tätigkeit als Kölner Oberbürgermeister die bildungs- und die wirtschaftsbürgerliche Variante der Verständigungsbemühungen der Zwischenkriegszeit aus eigener Erfahrung kannte. Barthel, Charles, Bras de fer 1918-1929, Les maîtres de forges luxembourgeois, entre les débuts difficiles de l’UEBL et le Locarno sidérurgique des cartels internationaux (1918-1929), Luxembourg 2006. Belitz, Ina, Befreundung mit dem Fremden. Die Deutsch-Französische Gesellschaft in den deutschfranzösischen Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen der Locarno-Ära. Programme und Protagonisten der transnationalen Verständigung zwischen Pragmatismus und Idealismus, Frankfurt/ M. 1997. Blessing, Ralph, Der mögliche Frieden. 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Ein politischer Überblick 1945 standen alle europäischen Staaten vor einem Scherbenhaufen - insbesondere materiell und politisch, letztlich aber auch kulturell und moralisch: Die einen - die deutsch geführten „Achsenmächte“ -, weil sie den verbrecherisch vom Zaun gebrochenen Krieg verloren hatten, die anderen - die zur „Anti-Hitler-Koalition“ gehörenden -, weil sie den Krieg zwar gewonnen hatten, aber dies nur mit Hilfe der neuen „Supermächte“ USA und Sowjetunion sowie, mit Ausnahme Großbritanniens, nach der vorangegangenen demütigenden Erfahrung von eigener rascher Niederlage und langjähriger deutscher Besatzungsherrschaft mit teilweiser Kollaboration. Das bewirkte für die deutsch-französischen Beziehungen unmittelbar noch keine Änderung: 1 Zunächst rangen auf französischer Seite Vorherrschafts- und Verständigungskonzept miteinander, und auf deutscher Seite überwog eine negative Sicht auf die französischen Besatzer - genährt aus historischen Ressentiments, aber auch aus aktuellen Erfahrungen harter Okkupation, die sich allerdings wiederum aus dem französischen Erlebnis eines keineswegs kommoden Alltags unter deutscher Besatzung nur wenige Jahre zuvor erklärte. Gleichwohl schuf der Ausgang des Zweiten Weltkriegs mittelfristig die Voraussetzung für einen tief greifenden strukturellen Wandel im deutsch-französischen Verhältnis. Die auch aus der europäischen Schwäche erwachsende zunehmende Herausbildung einer bipolaren Weltordnung, mit der die in der frühen Nachkriegszeit verbreitete Hoffnung auf ein Europa als „Dritte Kraft“ obsolet wurde, erwies sich nämlich als ein entscheidender Katalysator für konkrete Maßnahmen zur Einigung des Kontinents. Aufgrund des zunehmenden Ost-West-Konflikts brauchten die Westeuropäer die Hilfe der Vereinigten Staaten, die wiederum als Vorbedingung für militärischen Beistand und wirtschaftliche Unterstützung eine verstärkte innereuropäische Kooperation verlangten. In dieser Situation präsentierte die französische Regierung eine Initiative zur Einigung zumindest Westeuropas: Am 9.5.1950 schlug der französische Außenminister Robert Schuman in einer Aufsehen erregenden Pressekonferenz die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor. In den letzten Jahren ist versucht worden, das Spektakuläre an diesem Schuman-Plan zu relativieren - der im übrigen eher ein Monnet-Plan war, denn es war der Leiter des französischen Planungskommissariats, Jean Monnet, der ihn entworfen hatte: Entweder wird er auf den Ausdruck kruder nationaler Interessen der beteiligten Länder und Regierungen reduziert, oder es wird schlichtweg seine zäsierende Wirkung bestritten. Solche Thesen können sich auf eine Reihe einschlägiger Quellen beziehen. Diese belegen tatsächlich, dass Monnet und Schuman weniger hehre europäische als vielmehr nationalegoistische Motive trieben: Vor allem ging es ihnen darum, das deutsche Wirtschaftspotential weiter kontrollieren zu können und Frankreichs Rolle als führende Macht auf dem Kontinent mit entsprechendem ökonomischen Potential zu bestätigen. Gleichzeitig ist mittlerweile auch offensichtlich, dass unter der Oberfläche „harter“ deutschland- 1 Im Folgenden werden bis zur deutschen Vereinigung 1990 nur die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich behandelt, da die zwischen der DDR und Frankreich nicht annähernd so eng und bis heute prägend waren wie jene zwischen Westdeutschland und seinem Nachbarn im Westen. Zum Verhältnis DDR - Frankreich vgl. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004. Reiner Marcowitz 44 politischer Forderungen bereits frühzeitig „weiche“ Überlegungen deutsch-französischer Zusammenarbeit angestellt wurden, sich hegemoniales „Dominanz“- und kooperatives „Integrationskonzept“ also keineswegs sachlich und zeitlich derart stark von einander unterschieden, wie die Forschung lange Zeit unterstellt hat; vielmehr ist seit 1944/ 45 von einer „doppelten Deutschlandpolitik“ 2 auszugehen, die immer beide Elemente enthielt. Folglich konnte sich der Schuman-Plan von 1950 durchaus auf gedankliche Vorarbeiten aus den vorangegangenen Jahren stützen. Diese begrüßenswerte Differenzierung schießt allerdings über ihr Ziel hinaus, wenn die Jahre 1944/ 45 bis 1949/ 50 derart gewissermaßen nur noch als eine Ouvertüre für die geradezu zwangsläufige deutsch-französische Aussöhnung späterer Jahrzehnte erscheinen und somit der innovative Ansatz von Schumans Vorschlag ignoriert wird. Tatsächlich können die dem Schuman-Plan zugrunde liegenden traditionellen Interessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich durch die EGKS zumindest sukzessive neben der Methode auch der Inhalt nationalstaatlicher Politik entscheidend änderte: Die Franzosen wie die übrigen beteiligten Westeuropäer sicherten sich einen zeitgemäßeren und damit dauerhafteren Einfluss auf die westdeutsche Wirtschaft, folglich auch politische und militärische Garantien für den Fall eines erneuten deutschen Erstarkens. Beides waren wiederum vor allem aus französischer Perspektive wichtige Voraussetzungen für die weiterhin beanspruchte Großmachtrolle. Die Westdeutschen ihrerseits gewannen in dem Maße ihre Souveränität wieder, wie sie bereit waren, Teile davon zugunsten des neuen gemeinsamen Ideals der westeuropäischen Einigung auf supranationalen Wegen abzugeben. Überdies war die Aussöhnung mit Frankreich namentlich für Bundeskanzler Konrad Adenauer immer auch eine Herzensangelegenheit. Da letztlich alle Beteiligten von den positiven wirtschaftlichen Effekten der EGKS - Rationalisierung, Leistungssteigerung und Wirtschaftsexpansion - profitierten und hierin auch ein Mittel zur relativen Selbstbehauptung gegenüber den dominierenden USA sahen, avancierte der einmal erfolgreich praktizierte Ansatz zum Bewegungsgesetz der europäischen Einigung: Eine sukzessive sektorale Integration - ein Begriff, der bezeichnenderweise erst nach dem 9. Mai 1950 zum Synonym für eine supranationale Einigung avancierte, - sollte zumindest im ökonomischen Bereich zum erhofften spill-over führen. Letztlich gab die EGKS trotz des Scheiterns der einfach noch zu ambitionierten Europäischen Politischen Gemeinschaft und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 auch institutionell das praktische Vorbild für zukünftige Integrationsfortschritte ab, wie sich mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge und der Schaffung von Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europäischer Atomgemeinschaft (EURATOM) 1957/ 58 zeigte. Man könnte die 1950 beginnende Integration Westeuropas geradezu als eine „Europäisierung der deutsch-französischen Frage“ bezeichnen: Das Problem einer gerechten Austarierung des unterschiedlichen, ja entgegengesetzten National- und Sicherheitsinteresses der Deutschen und ihrer Nachbarn als ein entscheidender Konfliktstoff auf dem Kontinent spätestens seit dem 19. Jahrhundert wurde mittels europäischer Kooperation und Integration zunächst neutralisiert und schließlich gänzlich suspendiert. Diesen Zusammenhang hatte Monnet in seinem Memorandum vom 3.5.1950, in dem er Schuman seinen Gedanken einer Montanunion erstmals schilderte, unmissverständlich verdeutlicht: „Il ne faut pas chercher à régler le problème allemand qui ne peut être réglé avec les données actuelles. Il faut en changer les données en les transformant.“ 3 Konkret bedeutete dies: Man versuchte nicht, die bestehenden Interessendivergenzen in traditionellen bilateralen und zwischenstaatlichen Bahnen zu kanalisieren. Hier hätte die Gefahr bestanden, dass 2 Dietmar Hüser, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“. Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944-1950, Berlin 1996. 3 Generalkommissar für den Plan Monnet, Aufzeichnung, 3.5.1950, in: Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Dokumente 1949-1963, hg. von Horst Möller und Klaus Hildebrand, Bd. 2: Wirtschaft, bearb. von Andreas Wilkens, München 1997, S. 577-580, hier S. 578 (Dok. 166). Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Ein politischer Überblick 45 historische Verletzungen und nationale Eitelkeiten eine Einigung verhinderten. Hingegen erleichterte die Verlagerung auf die europäische Ebene gegenseitige Kompromisse und Konzessionen. War nämlich die Bereitschaft zur Einigung über nationale Grenzen hinaus einmal vorhanden, verlangte sie von allen Beteiligten, einen Teil ihres nationalen Egoismus auf dem supranationalen Altar zu opfern. Ausgehend davon „europäisierten“ sich die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gleich anderen Ländern in Westeuropa in den Jahren und Jahrzehnten nach 1950 - nicht nur in ihrer operativen Politik, sondern auch im Hinblick auf eine Angleichung von Lebensstilen, Sozialstrukturen und Wertvorstellungen. Ende der 1950er/ Anfang der 1960er Jahre resultierte aus der Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen der Bundesrepublik im Zuge der zweiten großen Berlin-Krise eine weitere Aufwertung des deutsch-französischen Verhältnisses. Adenauer betrieb in den Jahren 1962/ 63 eine immer stärkere Abstimmung westdeutscher und französischer Außenpolitik. Zweifellos sah der Kanzler durch die Spannungen mit den USA spätestens seit dem Mauerbau im August 1961 die Grundlagen seiner Westpolitik gefährdet. Daher versuchte er zumindest deren zweiten Stützpfeiler - die deutsch-französische Aussöhnung und Zusammenarbeit als Kern der westeuropäischen Einigung - noch zu stärken. Entsprechend unterzeichnete er am 22.1.1963 den sogenannten Deutsch-Französischen oder *Élysée-Vertrag, der regelmäßige gegenseitige Konsultationen in den Bereichen Außen-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Kulturpolitik vorsah. Allerdings provozierte diese „Option für Paris“ 4 in den kommenden Monaten einen innenpolitischen und - mit Blick auf die Unionsparteien muss man sagen - auch innerparteilichen Streit erster Güte, an dessen Ende der Vertrag durch eine Präambel ergänzt wurde: Diese konterkarierte de Gaulles Vision einer Europe européenne durch das demonstrative deutsche Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis und zur EWG sowie dem von de Gaulle abgelehnten britischen Beitritt zur Wirtschaftsgemeinschaft. In der Zeit der Regierung von Ludwig Erhard 1963 bis 1966 eskalierten diese Spannungen geradezu, so dass die Leistung der folgenden Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Außenminister Willy Brandt schon allein darin bestand, den Gesprächsfaden mit Paris wieder aufgenommen und damit einen endgültigen Bruch verhindern zu haben. Das belastende Problem des britischen EWG-Beitritts konnte erst nach dem Rücktritt de Gaulles beseitigt werden: Angesichts der „Neuen Ostpolitik“ unter der von Willy Brandt seit 1969 geführten sozialliberalen Koalition sah der französische Staatspräsident Georges Pompidou in einer Aufnahme Großbritanniens eine Möglichkeit, das gewachsene politische Gewicht der Bundesrepublik auszugleichen und neuen französischen Rapallo-Ängsten, also der Sorge vor einem deutschen Sonderverhältnis mit der Sowjetunion, Rechnung zu tragen. Immerhin beschloss man damals auch den gemeinsamen Bau des Airbus und unterzeichnete ein Abkommen über die Einrichtung deutsch-französischer Gymnasien und eines gemeinsamen Abiturs. Eine echte persönliche Beziehung entwickelten indes erst wieder Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing zueinander. Sie schufen in den Jahren 1974 bis 1981 die oft zitierte „Achse Bonn-Paris“ bzw. den „deutsch-französischen Motor“, die sich nicht zuletzt als unabdingbar für Fortschritte der europäischen Einigung erwiesen und gleichzeitig Ausdruck einer von beiden Politikern als unzureichend, ja als falsch empfundenen amerikanischen Außenpolitik waren. Herausragendes Symbol ihres gemeinsamen Wirkens war das im September 1978 geschaffene Europäische Währungssystem. Darüber hinaus verstärkte sich aber unter der Ägide von Schmidt und Giscard d’Estaing generell die deutsch-französische und europäische Zusammenarbeit: durch die Abstimmung angesichts internationaler und weltwirtschaftlicher Krisen innerhalb des Rates der 4 Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969, München 1996. Vgl. Tim Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/ CSU 1958-1969, München 2008. Reiner Marcowitz 46 Staats- und Regierungschefs ebenso wie in Form der G 7, der Gipfelkonferenzen der sieben wichtigsten Industriestaaten. Der christdemokratische Bundeskanzler Helmut Kohl knüpfte nach 1982 im Verhältnis zum ersten sozialistischen Staatspräsidenten Frankreichs, François Mitterrand, an das vorangegangene erfolgreiche Tandem von Schmidt und Giscard d’Estaing an. Allerdings verlor dieser Bilateralismus jetzt seine latente antiamerikanische Spitze. Kohls Priorität der Westbindung deckte sich mit dem französischen Interesse an einer festen Einbindung der Bundesrepublik im Westen: Antiamerikanismus, NATO-Skeptizismus und Ökopazifismus von Teilen der SPD und seitens der Friedensbewegung sowie ihrer parlamentarischen Vertreter, den „Grünen“, hatten in Frankreich wieder die alte Sorge vor den „incertitudes allemandes“, einer unsteten deutschen Pendelpolitik zwischen Ost und West, entstehen lassen. Kohl hingegen vermittelte glaubwürdig, dass Westdeutschland ungeachtet mancher innenpolitischer Aufgeregtheit fest im Westen verankert und damit ein kalkulierbarer Partner blieb. Damit gelang es dem Bundeskanzler erstmals, gute deutsch-französische Beziehungen mit einem entspannten Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den USA zu harmonisieren. Frankreich zeigte sich nun sogar bereit, im bisher sakrosankten Nuklearbereich mit der Bundesrepublik zusammenzuarbeiten: Im Februar 1986 vereinbarten Mitterrand und Kohl verbesserte Konsultationen über den Einsatz französischer taktischer Atomwaffen. 1987 kam es zum bisher umfangreichsten gemeinsamen Manöver deutscher und französischer Streitkräfte. Überdies beschloss man eine gemeinsame Offiziersausbildung und die Aufstellung einer deutsch-französischen Brigade. Schließlich wurden am 22.1.1988 anlässlich des 25. Jahrestages der Unterzeichnung des Deutsch-Französischen Vertrags ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat sowie ein Finanz- und Wirtschaftsrat eingerichtet. Die deutsche Vereinigung stellte die deutsch-französischen Beziehungen wieder ernsthaft auf die Probe. Im Gegensatz zu den USA ängstigte die Vorstellung einer deutschen Vereinigung die politischen Führungen verschiedener europäischer Staaten, auch jene Frankreichs. Das war grundsätzlich verständlich: Der deutsche Einheitsstaat war wegen seiner kriegerischen Vergangenheit in Europa historisch ungleich belasteter als in Amerika. Zudem stellte sich für die Nachbarn Deutschlands die Frage nach dem Potential eines vereinigten Deutschlands weit dringlicher und schärfer als für die geographisch ferne Weltmacht USA, deren Status als Supermacht auch im Fall einer deutschen Vereinigung erhalten blieb. Dementsprechend besuchte Mitterrand noch Ende Dezember 1989 die DDR, um damit die Stellung der einheitsfeindlichen Regierung unter SED-Ministerpräsident Hans Modrow zu stärken. Ebenso hatte er bereits Anfang des Monats versucht, den sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow bei einem Treffen in Kiew zur Ablehnung des deutschen Wiedervereinigungsverlangens zu bewegen. Die Sorgen der französischen Staatsführung, die zwar nicht die Mehrheit der Bevölkerung, wohl aber die classe politique von den Sozialisten bis zu den Neogaullisten teilte, schwanden erst in dem Maße, wie klar wurde, daß auch ein vereinigtes Deutschland weiterhin eine Stütze westlicher Einheit und ein Motor der europäischen Integration sein werde. Im Frühjahr 1990 einte beide Regierungen wieder eine gut funktionierende Partnerschaft: In einer gemeinsamen Initiative regten Kohl und Mitterrand im April an, parallel zur „Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“ auch über die Bildung einer „Europäischen Politischen Union“ zu verhandeln. Damit sollten ebenso Klagen der kleineren europäischen Nachbarstaaten Deutschlands über ihren Ausschluss von den Einigungsverhandlungen entkräftet werden. Der deutsch-französische Vorschlag belegte, dass die „Europäisierung der deutsch-französischen Frage“ immer noch ein erfolgreiches Modell zur Lösung bilateraler Probleme darstellte. Schließlich entsprach Kohl auch der französischen Forderung nach förmlicher Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Der Abgang Mitterrands 1995 und schließlich auch jener Kohls 1998 brachten erhebliche strukturelle Veränderungen im Verhältnis beider Länder mit sich, die bis heute andauern: Erstens haben sich die Beziehungen ungeachtet der andauernden gesellschaftlichen und politischen Ver- Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Ein politischer Überblick 47 flechtungen mittlerweile nicht nur normalisiert, sondern in mancherlei Hinsicht geradezu banalisiert, mit der Gefahr, dass das Einvernehmen so selbstverständlich scheint, dass man es auch wieder vernachlässigen zu können glaubt. Zweitens wird dieses Gefühl noch verstärkt durch die zunehmende Relativierung der historischen Dimension des deutsch-französischen Verhältnisses, die Ausdruck eines tief greifenden Generationenwechsels ist: Jene Generation, die den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen noch unmittelbar erlebt hat und der die Aussöhnung mit den Nachbarn daher eine Herzensangelegenheit war, macht endgültig einer neuen Alterskohorte Platz, die der deutsch-französischen Zusammenarbeit wie der europäischen Einigung sehr viel nüchterner gegenübersteht: Für sie ist beides „nicht mehr eine Sache des Instinkts oder des Herzens, es ist eine Sache der Vernunft“. 5 Drittens wiegt diese Entwicklung umso schwerer, als mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Zerfall des Ostblocks und der Aufhebung der deutschen Teilung „jahrzehntealte Orientierungsgewissheiten“ 6 bisheriger westlicher Außenpolitik abhanden gekommen sind, einschließlich des relativen Gleichgewichts zwischen der ökonomischen Stärke der Bundesrepublik und der militärisch-politischen Vormachtstellung Frankreichs. Von diesem mehrfachen Paradigmenwechsel sind auch die politischen Akteure in Deutschland und Frankreich nicht frei: Seit Mitte/ Ende der 1990er-Jahre sind auch sie nicht mehr durch die deutsch-französische Konfliktgeschichte, insbesondere den Zweiten Weltkrieg, sozialisiert und damit auch nicht mehr unmittelbar für die geschichtliche Bedeutung der Aussöhnung beider Länder sensibilisiert. Folglich stellt sich das persönliche und politische Einvernehmen zwischen den jeweiligen Führungspersönlichkeiten auf beiden Seiten des Rheins längst nicht mehr so schnell ein, wie man es seit den Zeiten von Schmidt und Giscard d’Estaing gewöhnt ist. So fanden Gerhard Schröder und Jacques Chirac erst in der gemeinsamen Kritik am amerikanischen Militäreinsatz in Irak zueinander, ein Beleg dafür, dass eine latente oder bisweilen auch manifeste Kritik an den USA und deren Weltmachtpolitik weiterhin ein Movens der deutsch-französischen Zusammenarbeit sein kann. Bleibt daneben noch die Einsicht in die Notwendigkeit einer Kooperation im Rahmen der EU. Indes engt die wachsende Zahl von Eurobzw. EU-Skeptikern in beiden Ländern - wie auch in einigen anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft - den Manövrierraum der jeweiligen Regierungen stark ein. Das „Non“ einer Mehrheit der Franzosen im Referendum über den EU-Verfassungsvertragsentwurf im Mai 2005 hat dieser Stimmung spektakulär Ausdruck verliehen. Zudem hat sich durch die im Zuge der EU-Erweiterung stark geänderten Mehrheitsverhältnisse die Bedeutung der deutsch-französischen Kooperation relativiert. Hinzu kommen die offensichtlich geschwundene Kompromissbereitschaft der Regierungen beider Länder und die Neigung zu Alleingängen und stärkeren Egoismen. Bereits Schröder und Chirac ließen es auf dem EU-Gipfel von Nizza im Jahr 2000 über der Frage des Stimmengewichts im Ministerrat beinahe zum Bruch kommen. Unter der Ägide von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy hatte das gegenseitige Misstrauen zumindest anfänglich eher noch zugenommen, bevor die neue Weltwirtschafts- und dann vor allem die europäische Schuldenkrise die beiden zum neuen Tandem „Merkozy“ oder „Sarkokel“ zusammenschmiedete. Seit dem französischen Präsidentschaftswechsel vom Mai 2012 gibt es insbesondere finanz- und wirtschaftspolitische Meinungsunterschiede zwischen der Regierung Merkel und jener von Staatspräsident François Hollande, deren Beilegung erneut einen schwierigen Aushandlungsprozess verlangt. Zwar ist dies mitnichten ein neues Element der deutschfranzösischen Beziehungen, die selbst in Hochzeiten nie gänzlich frei waren von Eifersüchteleien und Rivalitäten, indes scheint es stärker geworden zu sein - mit erheblichen Risiken für die Kooperation beider Länder, aber auch die Zukunft der EU. Zwar droht ob der gerne beschworenen 5 Daniel Vernet, Ungewissheiten in der Europa-Politik. Neue deutsch-französische Entscheidungsträger, in: Europa-Archiv 53 (1998), S. 1-6, hier S. 3. 6 Hagen Schulze, Europa: Nation und Nationalstaat im Wandel, in: Werner Weidenfeld (Hg.), Europa- Handbuch, Bonn 2002, S. 41-65, S. 60. Reiner Marcowitz 48 Pfadabhängigkeit kein kurzfristiger Bruch, doch zumindest langfristig könnten zunächst Stagnation, dann Entfremdung und schließlich eben doch eine Scheidung des couple franco-allemand eintreten. Um dies zu verhindern, bedarf es dreier Voraussetzungen: einer andauernden Zusammenarbeit (1), eines gegenseitigen Interesses (2) und eines historischen Bewusstseins (3). (1) Deutschland und Frankreich sind miteinander verflochten wie mit keinem anderen Land: Es gibt eine Vielzahl formalisierter Treffen ebenso wie informeller Begegnungen auf allen Ebenen und zwischen den unterschiedlichsten Gruppen. Das integrierte Europa ist dank der beiden Länder und ihrer Zusammenarbeit in den 1950er Jahren überhaupt erst entstanden. Auch wenn es im Europa der 28 von heute andere Gewichtungen gibt als im einstigen Europa der 6, so gilt doch weiterhin die Regel: Ohne ein Einvernehmen von Deutschland und Frankreich ist die EU nicht handlungsfähig. Deshalb darf die Kooperation nicht still stehen. Von Adenauer stammt das europapolitische Credo „Handeln, Anfangen ist die Hauptsache“. 7 Diese Erkenntnis ist angesichts der aktuellen Herausforderungen auf europäischer und globaler Ebene weiterhin gültig, ja aktueller denn je zuvor: In den kommenden Jahren muss die EU den Spagat zwischen Erweiterung und Vertiefung schaffen. Die Bundesrepublik und Frankreich können hier nichts diktieren, doch stimmten sie schon einmal überein, könnten sie die übrigen Partner von ihren Vorschlägen zu überzeugen suchen. Das verspräche allemal mehr Fortschritte als etwaige Einzelgänge eines der beiden Länder. Auch in punkto Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss sich die EU entscheiden, will sie ein ernstzunehmender internationaler Akteur sein. Frankreichs Rückkehr in die militärische Integration der NATO kann hier Entscheidungen erleichtern, vorausgesetzt die französischen Partner in der EU, vor allem die Bundesrepublik, sind zu mehr europäischer Unabhängigkeit von den USA bereit. Schließlich bietet auch die Globalisierung Deutschen und Franzosen ein lohnenswertes Feld zur Zusammenarbeit, wenn sie auf einfache protektionistische Lösungen verzichten und auch hier den europäischen Schulterschluss suchen. Zwar stellen Deutsche und Franzosen zusammen - immerhin 145 Millionen Menschen - gerade einmal 2 % der Weltbevölkerung aus. Gleichwohl repräsentieren ihre Nationalökonomien fast 7 % des weltweiten Bruttoinlandprodukts und sogar 16 % der weltweiten Exporte, ein schlagender Beweis dafür, dass sie sich ökonomisch längst globalisiert haben. Doch mindestens so wichtig wie solche Wirtschaftsindikatoren ist natürlich die jeweilige mentale Disposition der Bevölkerung gegenüber dem neuen Globalisierungsphänomen. Hier gibt es erstaunlicherweise erhebliche Parallelen zwischen Deutschland und Frankreich: In beiden Ländern hegen viele Menschen große Skepsis gegenüber dem neuen weltweiten Wettbewerb. Mit Blick auf Deutschland mag dies vielleicht weniger erstaunen: Die Bundesrepublik ist zwar schon seit Jahren Exportweltmeister, doch die ökonomische Öffnung entsprach nie einer generellen Weltoffenheit. Über Jahrzehnte waren die alte Bundesrepublik und die DDR auf sich selbst, Westdeutschland zusätzlich allenfalls noch auf den europäischen, hier vor allem den westeuropäischen Raum fixiert - eine Folge des Sonderstatus des geteilten Deutschlands im Ost-West- Konflikt. Frankreich hingegen hat eine lange Tradition als Kolonialmacht und verstand sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch als Weltmacht. Die selbst propagierte mission civilisatrice beinhaltete immer den Anspruch des Landes, weltweit auszustrahlen und tätig zu sein. Die Frankophonie ist hierfür der sprechende Ausdruck. Doch gerade in Frankreich entstand Attac, die Organisation der Globalisierungsgegner - vielleicht sogar gerade deshalb, wegen des eigenen weltweiten Zivilisierungsanspruchs. Dementsprechend haben sich beide Länder über Jahre schwer getan, sich den Herausforderungen einer globalisierten Welt zu stellen: Ihre Arbeitsmärkte waren überreguliert, die Sozialsysteme überlastet und zahlreiche Wirtschaftssparten nicht wettbewerbsfähig. Daraus hat man in 7 Adenauer in einer Rede vor dem Ateneo in Madrid am 16.2.1967. Zit. nach Konrad Adenauer: Reden 1917- 1967. Eine Auswahl, hg. von Hans-Peter Schwarz, Stuttgart 1975, S. 488. Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Ein politischer Überblick 49 Deutschland mit der Agenda 2010 die Konsequenzen gezogen. In Frankreich zögerte man länger. Das hängt auch mit einer anderen Protest- und Streikkultur zusammen, die einen Sozialkonsens wie in Deutschland verhindert: In Frankreich fehlt es an ähnlich korporatistischen Strukturen; Demonstrationen und Proteste gehören hier zur Tagesordnung und dem entspricht die gängige Reaktion der Politiker, dem Druck der Straße nachzugeben. Beides spiegelt gewissermaßen die longue durée der erfolgreichen Grande Révolution von 1789 - eine Erfahrung, die Deutschland fehlt. Gleichwohl: Auch in Frankreich sind mittlerweile erste Reformen eingeleitet. Entscheidend wird sein, ob dieser Kurs auch unter dem sozialistischen Staatspräsidenten fortgesetzt wird - notfalls auch gegen erhebliche Widerstände. Die Deutschen sollten dies durchaus mit wohlwollendem Interesse beobachten, denn zu Herablassung oder Süffisanz besteht kein Anlass. Gleichzeitig tun beide Länder gut daran, sich biwie multilateral zu konzertieren, denn nur dann haben sie eine Chance, nicht nur Spielball der weltwirtschaftlichen Entwicklungen, einschließlich ihrer Krisen, zu sein, sondern diese auch gestalten zu können. (2) Die Eliten wie die Masse der Bevölkerung beider Länder müssen an den deutsch-französischen Beziehungen interessiert bleiben, d.h. sie müssen der grassierenden Banalisierung Einhalt gebieten, deren Beleg allein schon die weiterhin abnehmende Kenntnis der Sprache des jeweils anderen ist. Die Stärke des deutsch-französischen und mit ihm des europäischen Projekts nach dem Zweiten Weltkrieg war, dass viele Menschen die Aussöhnung und Verständigung wünschten: Politiker eingedenk der Vergangenheit, aber natürlich auch aus realen Interessen angesichts des eigenen machtpolitischen Abstiegs und wegen der gemeinsamen Bedrohung durch die Sowjetunion, Ökonomen wiederum angesichts der unübersehbaren Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Rekonstruktion, aber auch um gegenüber den dominierenden USA wieder konkurrenzfähig zu werden. Doch dies alles trug nur, weil die deutsch-französische Zusammenarbeit ebenso von breiten Bevölkerungsschichten in beiden Ländern getragen wurde. Die Aussöhnung war eben nicht von oben verordnet, sondern sie wurde von unten getragen. Das machte mit die Stärke der deutsch-französischen Beziehungen aus. Insofern entscheiden heute auch die Gesellschaften beider Länder über die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen: Nur, wenn sie das gewachsene vielfältige Austausch- und Beziehungsgeflecht nutzen und weiter vertiefen, verfügen die beiderseitigen politischen Beziehungen über den notwendigen stabilen Unterbau. (3) Das gegenseitige Interesse kann sich, ja muss sich auch aus der Erinnerung ergeben, der Erinnerung daran, dass Deutschland und Frankreich zwar einst keine *„Erbfeindschaft“ - das war vor allem ein ideologischer Begriff -, sehr wohl aber ein starker machtpolitischer und mentaler Gegensatz trennte. „Wunder unserer Zeit“ hat de Gaulle die deutsch-französische Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg einmal genannt. 8 Zwar gibt es für dieses „Wunder“ durchaus rationale Erklärungen, doch vermag nur der die über die Jahrzehnte gewachsene gegenseitige Annäherung wirklich zu schätzen, der die konfliktreiche, ja kriegerische Vergangenheit beider Länder kennt. Man sollte sich zudem vor allem in der Bundesrepublik nicht täuschen lassen durch den mittlerweile verbreiteten Begriff der „Erbfreundschaft“: Zwar liegt nunmehr selbst das Ende des Zweiten Weltkrieges schon fast 70 Jahre zurück, von anderen Kriegen, in denen Deutsche und Franzosen gegeneinander kämpften, ganz zu schweigen. Dennoch ist zumindest die historischkulturell vermittelte Erinnerung hieran noch längst nicht vergangen. Die Zeitzeugen mögen jetzt nach und nach aussterben und damit die durch direktes Erleben legitimierte kommunikative Erinnerung sowie dessen alltägliche Präsenz verschwinden, doch es bleibt immer noch eine auch die Folgegenerationen prägende unterschwellige kollektive Erinnerung. Dies gilt auch für Frankreich, wo nach wie vor latent die Gefahr des Wiederauflebens alter antideutscher Stereotypen besteht. Doch Deutsche und Franzosen sollten sich nicht nur an die kriegerischen Phasen ihrer 8 De Gaulle in einer Tischrede im Élysée-Palast am 3.7.1962. Zit. nach Charles de Gaulle, Memoiren der Hoffnung. Die Wiedergeburt 1958-1962, München, Zürich 1971, S. 449-451, hier S. 450. Reiner Marcowitz 50 gemeinsamen Geschichte erinnern, sondern auch an die schwierigen Anfänge ihrer Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar wissen wir spätestens seit Friedrich Nietzsche, dass partielles Vergessen lebensnotwendig ist. Doch gleichzeitig gilt auch, dass vollständiges Vergessen blind macht für die Gefährdungen der Gegenwart. Folglich gilt es eine Balance zu halten zwischen einer Erinnerung, die den Opfern gerecht wird und für das im deutsch-französischen Verhältnis Erreichte sensibilisiert, und dem unvoreingenommenen Blick nach vorne. Nur wenn Kooperation, Interesse und Erinnerung konstitutive Elemente der deutsch-französischen Beziehungen bleiben, ist die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich nachhaltig gesichert. Zudem hat sich die 1950 mit dem Schuman-Plan eingeleitete „Europäisierung der deutsch-französischen Frage“, also der Versuch, zwischenstaatliche Konflikte durch transnationale Selbstbindung und supranationale Zusammenarbeit zu beseitigen, bislang noch immer bewährt. Ungeachtet eines geänderten weltpolitischen Koordinatensystems und neuer generationeller Prägungen spricht nichts dafür, dieses Erfolgsrezept aufzugeben. Im Gegenteil: Angesichts der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, einschließlich der schwieriger gewordenen Ausbalancierung des machtpolitischen Gleichgewichts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, scheint der Rückgriff auf den bewährten Kooperationsmodus wichtiger denn je zuvor. Das deutsch-französische Verhältnis hat nicht nur im 19. und 20. Jahrhundert die europäische Geschichte geprägt, sondern wird wohl auch noch im 21. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung für die Geschicke des Kontinents sein. 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Ziebura, Gilbert, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997. Corine Defrance Von der Konfrontation zur Kooperation. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 Konrad Adenauer, Bundeskanzler der wenige Wochen zuvor gegründeten Bundesrepublik, gab am 3.11.1949 der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Interview, in dem er erklärte: „Es kann gar nicht genug deutsch-französische Beziehungen, gar nicht genug deutsch-französischen Kulturaustausch geben“. Das war ein ehrgeiziges Ansinnen, gab es zwischen Frankreich und Deutschland doch quasi seit Beginn der 1930er Jahre keinen Kulturaustausch mehr: die Weltwirtschaftskrise und der sich steigernde politische Radikalismus zum Ende der Weimarer Republik hatten dem sogenannten „Geist von Locarno“ ein Ende gesetzt, noch bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen und schließlich Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung Kulturbeziehungen auf Augenhöhe versiegen ließen. Ab 1945 führte Frankreich im besetzten Deutschland eine Kulturpolitik, die per se nur einseitig sein konnte. Diese einleitenden Bemerkungen veranlassen zu einer ersten Frage: War die Intensivierung der Beziehungen ein Ziel als solches oder sollte sie Politik und Diplomatie begleiten? Eine erste Antwort gab der Bundeskanzler einige Jahre später in seinen Memoiren: „Auf kulturellem Gebiet waren […] große Möglichkeiten gegeben, um für eine gute französischdeutsche Nachbarschaft zu wirken. Hier spielte der Austausch unserer jungen Menschen aller Schichten eine große und entscheidende Rolle. Nur wenn sich Franzosen und Deutsche kennenlernten, miteinander lebten und arbeiteten, nur dann würde es möglich sein, das überkommene Misstrauen zu überwinden, das in der Vergangenheit immer wieder die furchtbarsten kriegerischen Konflikte verursacht hatte.“ 1 In diesen Zeilen rückt Adenauer die Annäherung zwischen den Völkern in den Vordergrund, welche das klassische Verständnis von Kultur überschreitet. Es handelt sich hierbei um eine soziokulturelle Annäherung und eine Aussöhnung „von unten“. So gilt es die Akteure und Konzeptionen von Kulturbeziehungen zu analysieren, die von den verschiedenen Verständigungsmilieus formuliert wurden. Zu fragen ist weiterhin, was den deutsch-französischen Kulturbeziehungen seinen außerordentlichen Charakter gab: zweifellos die einzigartige Herausforderung - die *Versöhnung -, doch auch die unterschiedlichen Austauschformen, die über die Jahre entwickelt wurden. Was bleibt davon heute? Die stetig wiederkehrenden Forderungen, die deutsch-französischen Kulturbeziehungen neu zu denken, sind in dieser Hinsicht bezeichnend für eine Krise bzw. ein Krisenbewusstsein. Was können nun die Perspektiven, Herausforderungen und Ziele runderneuerter Kulturbeziehungen sein? 1. Die Neuausrichtung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen: eine Herausforderung für ein friedliches Miteinander 1.1 Die Veränderung der deutschen Mentalitäten als Grundlage für Sicherheit Nach der Kapitulation des „Dritten Reiches“ wurde Deutschland besetzt und stand unter der Oberhoheit der Alliierten. Auf dieser Grundlage führte Frankreich in seiner Besatzungszone und 1 Konrad Adenauer, Erinnerungen 1953/ 1955, Stuttgart 1966, S. 370f. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 53 in seinem Sektor in Berlin eine Kulturpolitik, deren wichtigstes Ziel die „Umerziehung des deutschen Volkes“ war. Zu diesem Zweck galt es die deutsche Gesellschaft zu entnazifizieren, zu entmilitarisieren, zu „entpreußifizieren“ und zu demokratisieren, was in einer Verbindung von repressiven und konstruktiven Elementen angestrebt wurde. Im Mittelpunkt dieser Politik stand die Neustrukturierung des deutschen Kultur- und Bildungssystems. In seiner Rolle als Besatzungsmacht wollte Frankreich kulturellen Einfluss ausüben, indem es Französischunterricht, Ausstellungen und Auftritte von französischen Künstlern in Deutschland organisierte. Diese Aktivitäten waren Bestandteil einer Prestigepolitik und reihten sich in die Tradition der *Auswärtigen Kulturpolitik Frankreichs ein. Ganz allgemein wollten die französischen Akteure zu einem Wandel der deutschen Mentalität beitragen und der scheinbaren Unabwendbarkeit der deutsch-französischen „*Erbfeindschaft“ ein Ende setzen, die ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts war. Den französischen Eliten war bewusst geworden, dass sie die nach dem Ersten Weltkrieg praktizierte Dominanzpolitik nicht ein weiteres Mal reaktivieren konnten, hing das Bild vom zukünftigen Deutschland doch ganz entscheidend von ihnen ab und lag in ihrer besonderen Verantwortung: es galt den Deutschen eine bessere Zukunft zu weisen. *Joseph Rovan wies auf diese Herausforderung in seinem richtungsweisenden Artikel „L’Allemagne de nos mérites“ 2 aus dem Jahr 1945 hin. So arbeitete die französische Militärregierung von Beginn an mit privaten französischen Verständigungsorganisationen zusammen, so dass eine Komplementarität zwischen den offiziellen Umerziehungsmaßnahmen und den privat organisierten Begegnungen entstand. Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Typen von Akteuren war umso notwendiger, weil die französische Besatzungsmacht oftmals unter dem Verdacht stand, die neuen demokratischen Strukturen autoritär durchsetzen zu wollen. 1.2 Die Normalisierung der offiziellen Kulturbeziehungen in den 1950er Jahren In der Zeit des Übergangs, die sich während der Periode des Hochkommissariats (1949-1955) verorten lässt, sah die Direction générale des Affaires culturelles ihre Hauptaufgabe in dem Ziel, die angebahnten Begegnungen und Austauschaktivitäten zu verstetigen, besonders zwischen den Jugendlichen, indem sie den Staffelstab an die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Frankreich und in der Bundesrepublik übergab. Die zivilgesellschaftlichen Akteure mussten wechselseitiges Verständnis aufbauen und sich annähern, denn es wäre ein Anachronismus zu behaupten, dass sich die Zivilgesellschaften links und rechts des Rheins bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf breiter Basis für die Aussöhnung ausgesprochen hätten. Dabei hatten vor allem die internationalen Jugendtreffen (*Jugendbeziehungen 1945-1963) und die Zusammenkünfte von unterschiedlichen Berufsgruppen einen innovativen Charakter, doch wurden viele dieser Aktivitäten bereits vor Mitte der 1950er Jahre auf dem Altar der Haushaltskürzungen geopfert. So musste das französische Hochkommissariat seine Kulturpolitik neu definieren. Ab 1954 blieben die finanziellen Zuweisungen für die *Instituts français nicht nur konstant, sie wurden sogar erhöht, doch handelte es sich hier eher um die Ausnahme von der Regel. Der Hohe Kommissar *André François-Poncet konzentrierte die Ausgaben auf Institutionen, welche sich der Verbreitung der französischen Sprache und Kultur verschrieben hatten. Diese Entscheidung muss als Schritt zurück zu einer klassischen Herangehensweise von auswärtiger Kulturpolitik verstanden werden, lag damit die Priorität doch wieder auf Kulturexport und nicht mehr auf transnationaler bzw. interkultureller Kommunikation. Frankreich verfolgte die Absicht, ein sehr dichtes Netz von Kulturzentren in der Bundesrepublik zu entwickeln (17 Kulturzentren in der Bundesrepublik und ein Institut français in West-Berlin im Jahre 1955), das es während der Besatzungszeit in der eigenen Zone aufzubauen begonnen hatte. 2 Joseph Rovan, L’Allemagne de nos mérites, in: Esprit 11 (1945), S. 529-540. Corine Defrance 54 Auf westdeutscher Seite bedeutete die Gründung der Bundesrepublik nicht automatisch die Aufnahme von gleichberechtigten Beziehungen. 1951 erhielt Bonn mit der Wiedergründung des Auswärtigen Amts nur einen Teil seiner Souveränität zurück, dessen Kulturabteilung anfangs nur einen bescheidenen Umfang besaß. Verhalten trat Bonn auch in kulturpolitischen Fragen auf, um den Bruch mit dem „Dritten Reich“ zu unterstreichen, so dass eine „Haltung der Zurückhaltung“ das bundesdeutsche Vorgehen in den 1950er Jahren charakterisierte (*Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik). Mit der Ernennung des Kunsthistorikers *Wilhelm Hausenstein zum Generalkonsul in Paris im Jahre 1950 unterstrich Adenauer seine Absicht, der bundesdeutschen Präsenz in der französischen Hauptstadt eine kulturpolitische Priorität einzuräumen. Der mit der französischen Kunst sehr vertraute *Hausenstein sollte deutsche Kultur in Frankreich bekannt machen (*Deutschfranzösische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste), um dem Nachbarn zu zeigen, dass Deutschland die gleichen westlichen Werte teile und dass es den Weg zurück in das Lager der zivilisierten Gesellschaft gefunden habe. Doch musste er in den ersten Jahren die Erfahrung machen, dass die Resonanz auf seine Initiativen sehr zurückhaltend war. Gleichzeitig gelang es ihm jedoch, Projekte von zivilgesellschaftlichen Akteuren zu fördern, wie z.B. die vom universitären Milieu angestoßene Idee zur Gründung eines Deutschen Hauses in der Pariser Cité universitaire (*Heinrich-Heine-Haus) sowie die von einer kleinen Gruppe rheinischer Historiker betriebene Einrichtung einer Deutschen Historischen Forschungsstelle (1958), das heutige *Deutsche Historische Institut in Paris. Die bundesdeutsche Haltung zur Entwicklung bilateraler Beziehungen zeichnete sich also durch eine vorsichtige Kontaktaufnahme und Initiativen aus, für die man sich das französische Einverständnis einholte und die oftmals von nicht regierungsamtlichen Akteuren getragen wurden. Mit dieser vorsichtigen aber entschlossen betriebenen Kulturpolitik versuchte Bonn Gleichberechtigung zu erlangen, die Westbindung zu vertiefen und die Annäherung an Frankreich zu erreichen. In dieser Hinsicht war die *auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik in den ersten Jahren vor allem ein Werkzeug der Diplomatie, um die übergeordneten politischen Ziele zu verwirklichen. So war auch der Vorschlag von Adenauer aus dem Jahre 1949 zu einem *Deutsch- Französischen Kulturabkommen zu verstehen. Für ein solches Projekt war es damals aber noch zu früh, so dass der Vertrag schließlich erst im Oktober 1954 unterzeichnet wurde. Ihm war jedoch kein großer Erfolg beschieden, so dass er die zwischenstaatlichen Kulturbeziehungen nicht befruchtete. Noch bevor er ratifiziert wurde, war er bereits seines Sinnes beraubt, als die bundesdeutschen Ministerpräsidenten in Düsseldorf im Februar 1955 beschlossen, dem Englischen den Vorzug vor dem Französischen als erste Fremdsprache in den Schulen zu geben (*Schulen, *Schulpolitik). Diese Entscheidung löste in Frankreich sowohl in Regierungskreisen als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene eine beachtliche Protestwelle aus. Zugleich führte das Abkommen zu keiner größeren kulturellen Präsenz der Bundesrepublik in Frankreich, um das bestehende Ungleichgewicht auszugleichen. Die Eröffnung der ersten bundesdeutschen Kulturinstitute ließ weiterhin auf sich warten: das erste *Goethe-Institut wurde erst 1957 in Lille gegründet, dann folgte Marseille und erst 1962 Paris. Eine größere Welle war erst in den 1960er und 1970er Jahren zu beobachten gewesen. So bedurfte es des *Élysée-Vertrages vom 22.1.1963, um den westdeutsch-französischen Kulturbeziehungen auf offizieller Ebene einen neuen Elan zu geben. 1.3 Ein konzeptueller Neubeginn durch die Zivilgesellschaft Trotz aller Schwierigkeiten waren die 1950er Jahre eine entscheidende Phase für die deutschfranzösischen Kulturbeziehungen. Eine beachtliche Aktivität entwickelten hierbei die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die ein neues Konzept von Kulturbeziehungen durchsetzten, das aus den Begegnungspraktiken und den Erfahrungen der Nachkriegszeit entstanden war. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 55 In den Jahren 1951/ 52 kritisierten die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die während der Besatzungszeit entstanden waren und sich der Verständigung verschrieben hatten, die „Normalisierung“ der offiziellen Kulturpolitik scharf. Zu ihnen gehörten das *Bureau international de liaison et de documentation (BILD), welches 1945 von *Jean du Rivau gegründet worden war, das 1948 von Emmanuel Mounier gegründete *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle sowie auf deutscher Seite das *Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg, zu dessen Gründungsvätern im Jahre 1948 *Fritz Schenk, *Carlo Schmid und Theodor Heuss gehörten. Insbesondere *Alfred Grosser wandte sich gegen den Schwenk der französischen Kulturpolitik zu einem veralteten Kulturbegriff, doch auch die Vereinigungen taten im Herbst 1954 ihrem Unmut nach der Unterzeichnung des *Deutsch-Französischen Kulturabkommens kund, denn sie befürchteten von den staatlichen Stellen vereinnahmt zu werden. Welches war nun das Konzept dieser Vereinigungen von Kultur und Kulturbeziehungen? Sie sprachen sich für bessere Kenntnisse der aktuellen Entwicklungen im Nachbarland aus, wollten die Konsequenzen aus der Vergangenheit ziehen und eine bessere Zukunft garantieren. *Alfred Grosser gehörte dabei zu jenen, die den Kulturbegriff neu definierten und das Urheberrecht für ein Konzept beanspruchen können, das später „erweiterter Kulturbegriff“ bezeichnet werden sollte: „Die Definition des Wortes Kultur müsste so erheblich erweitert werden. Es handelt sich nicht nur um Literatur und Kunst, sondern auch um Jugendarbeit, Bildung, Kinovereine, Wahlsoziologie und Gemeindeverwaltung [...]. Um das andere Land zu verstehen, genügt es nicht, seine Weine zu verkosten und seine Musik zu hören. Man muss auch wissen, welchen ökonomischen, sozialen und politischen Problemen es gegenübersteht. Selbstverständlich setzt ein solches Konzept auch eine erhebliche Erweiterung der Klientel voraus, die an diesem kulturellen Austausch teilnehmen soll. Es ist wichtiger, Spezialisten, Techniker, Journalisten, Lehrer, Gewerkschafter und Bauern anzusprechen als gewisse, zweifellos sehr kultivierte Kreise, die aber nur eine sehr kleine Rolle in der tiefgreifenden Änderung ihrer Länder spielen.“ 3 Die von *Grosser angesprochene Erweiterung der Klientel stellt den Hauptunterschied zur Annäherung in der Zwischenkriegszeit dar, bei der zwar eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen beteiligt waren, diese sich jedoch fast ausschließlich aus den gesellschaftlichen Eliten speisten, so dass eine breite gesellschaftliche Verankerung des Aussöhnungsgedankens nicht gelang und die *„Erbfeindschaft“ in den 1930er Jahren einem neuen Höhepunkt entgegeneilte (vgl. ausführlich den einleitenden Artikel von Hans Manfred Bock). Nach 1945 drangen die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen in sehr viel mehr gesellschaftliche Kreise vor, wobei der Schwerpunkt auf der Jugend (*Jugendbeziehungen 1945-1963) und den Mittlern lag. Zugleich entwickelten sich die ersten westdeutsch-französischen *Städtepartnerschaften, die wesentlich zum Austauschprozess und zu den Begegnungen zwischen Jugendlichen und Vertretern verschiedener Berufsgruppen beitrugen. Angesichts fehlender regierungsamtlicher Initiativen nahmen auch die Universitäten die Sache selber in die Hand und gründeten 1958 die *Deutsch-Französische Rektorenkonferenz. Doch sollten diese Unternehmungen nicht überbewertet werden, blieben sie im Umfang doch anfänglich recht bescheiden. Acht Jahre nach der Unterzeichnung der ersten *Städtepartnerschaft zwischen Ludwigsburg und Montbéliard (1950) zählte man nur 25 solcher Partnerschaften, was Ausdruck für die Hindernisse war, die es zur damaligen Zeit noch zu überwinden galt. Die Meinungsumfragen 3 Zitiert nach Corine Defrance, Les relations culturelles franco-allemandes dans les années cinquante: Acteurs et structures des échanges, in: Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann (Hg.), Wandel und Integration: deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre/ Mutations et intégration. Les rapprochements francoallemands dans les années cinquante, München 2005, S. 241-256, hier S. 251. Corine Defrance 56 gaben auch einen Hinweis darauf, dass an der gesellschaftlichen Basis noch grundlegende Verständigungsarbeit geleistet werden musste. Im Februar 1955 sahen immerhin noch 30 % der Franzosen in Deutschland eine Gefahr, und 59 % der Westdeutschen zweifelten an einer dauerhaften Verständigung mit Frankreich. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre setzte hier ein Wandel ein. 2. Die wachsende Institutionalisierung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen 2.1 Der zwiespältige Beitrag des *Élysée-Vertrages für die bilateralen Beziehungen Der von Adenauer und de Gaulle am 22.1.1963 unterzeichnete *Élysée-Vertrag war in kulturellen Fragen sehr doppeldeutig. So wurde der Begriff „Kultur“ im Vertragstext mit keinem Wort erwähnt, wollte die französische Seite doch in dieser Frage einen Kompetenzkonflikt zwischen dem Außenministerium und dem neugegründeten, von André Malraux geleiteten Kulturministerium vermeiden, das der Quai d’Orsay aus diesen Angelegenheiten heraushalten wollte. Im Vertrag war einzig die Rede von Erziehung und Jugend (*Jugendbeziehungen 1945-1963), die zweifellos zur Kultur zu zählen sind. Dabei gehören die Erziehungsfragen zu einem eher traditionellen Verständnis von Kulturaustausch, während die Jugend ein innovatives Terrain darstellte. Indem sich die Regierungen auf diese beiden Sektoren konzentrierten, vermittelten sie zum einen den Eindruck, sich Feldern anzunehmen, deren Bilanz immer noch nicht zufriedenstellend war, zum anderen aber zukunftsgewandt und erfolgversprechend für eine Vertiefung der bilateralen Beziehungen waren. So erklärt sich auch die Ankündigung zur Gründung einer neuen binationalen Organisation im letzten Teil des Vertrags: das *Deutsch-Französische Jugendwerk, welches am 5.7.1963 schließlich das Tageslicht erblickte und als Koordinierungsinstanz zwischen den Regierungsstellen und den Jugendorganisationen in der Bundesrepublik und in Frankreich wirken sollte. Auf kultureller Ebene markierte das Jahr 1963 die „offizielle“ Aufnahme des „erweiterten Kulturbegriffs“ in die Kulturpolitik der beiden Regierungen. Gleichzeitig wirkte der *Élysée-Vertrag aber auch als Katalysator für die zivilgesellschaftlichen Beziehungen, wie sich an der Entwicklung des *DFJW ablesen lässt. Zwischen 1963 und 1973 trafen sich über zwei Millionen deutsche und französische Jugendliche, bis heute haben über acht Millionen Jugendliche aus beiden Ländern an den Programmen des *DFJW teilgenommen. Auch die Zahl der jumelages stieg nach 1963 stark an, so dass 1981 die Unterzeichnung der 1 000. *Städtepartnerschaften feierlich begangen werden konnte. Heute sind es über 2 500. Diese erfreuliche Entwicklung kann jedoch nicht verdecken, dass der Vertrag den offiziellen Kulturbeziehungen keine wirklichen Impulse geben konnte. Das lag sicherlich auch am politischen Kontext, waren die deutsch-französischen Beziehungen doch zwischen 1963 und der Mitte der 1970er Jahre nicht frei von Spannungen, bevor dann Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt maßgeblichen Anteil daran hatten, dass sie sich verbesserten. Trotz allem muss festgehalten werden, dass die Vertiefung der kulturellen Kooperation weiter auf sich warten ließ, sehen wir einmal vom Erziehungssektor ab. Hier unterzeichneten beide Länder eine Vereinbarung über die Einrichtung von *deutsch-französischen Gymnasien und einem deutsch-französischen Abitur sowie deutsch-französischen bzw. europäischen Bildungsgängen im Sekundarbereich (*AbiBac etc.). Das Feld der audiovisuellen Medien deutet hingegen auf die weiterhin existierenden Probleme hin. Frankreich und die Bundesrepublik konkurrierten mit allen Mitteln um die Durchsetzung einer neuen Farbfernsehnorm in Europa, was u.a. zur Folge hatte, dass Frankreich sein SECAM- System an den Ostblock und damit auch an die DDR verkaufte, so dass ab Ende der 1960er Jahre Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 57 auch der deutsche Fernsehhimmel geteilt war. Der Austausch von Programmen zwischen der ARD und TF1 im Juni 1981 war ein weiterer Misserfolg, waren die jeweiligen Einschaltquoten doch katastrophal. Ein neuer Aufschwung ergab sich erst in der Folge des deutsch-französischen Kulturgipfels vom 6.2.1981, der jedoch in einer ersten Phase nur Anlass war, die bisherigen Misserfolge zu konstatieren, bevor er dann zum Ausgangspunkt für eine neue Dynamik werden sollte. 4 Die Verantwortlichen auf beiden Seiten mussten eingestehen, dass Kultur und Wissenschaft im Rahmen der offiziellen Beziehungen einen Dornröschenschlaf fristeten, während in Politik und Wirtschaft die Fortschritte nicht zu übersehen gewesen waren: weiterhin bereitete das Erlernen der Partnersprache Probleme, zudem war nicht zu leugnen, dass das Wissen um die intellektuellen, künstlerischen, literarischen und wissenschaftlichen Entwicklungen im anderen Land unzureichend waren. Zwar existierte seit 1967 in Grenoble das *Institut Laue-Langevin auf der Grundlage eines bilateralen Abkommens, das mit seinem Hochflussreaktor (HFR) die stärkste Neutronenquelle der Welt betreibt, doch handelte es sich hier eher um ein Leuchtturmprojekt, das die Misere in den anderen Bereichen der wissenschaftlichen Kooperation nur schwerlich verheimlichen konnte. So hatte die gemeinsame Erklärung vom Februar 1981 keine unmittelbaren Folgen, sieht man mal von der Gründung des *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) in Frankreich, der Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen dem CNRS und der Max-Planck-Gesellschaft und der Gründung der *Deutsch-Französischen Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie ab. Der eigentliche Aufschwung ließ jedoch noch fünf Jahre auf sich warten. 2.2 Neue kulturelle Großprojekte in der deutsch-französischen Kooperation Erst auf dem Frankfurter Kulturgipfel vom Oktober 1986 entschlossen sich die Regierungen beider Länder, den Weg einer verstärkten sektoriellen Institutionalisierung in der kulturellen Kooperation einzuschlagen. In der gemeinsamen Erklärung sprachen sich beide Seiten dafür aus, die Zusammenarbeit zu verdichten und zu einem Europa der Bürger beizutragen. 5 Angekündigt wurde daraufhin die Gründung von drei großen Institutionen: der *Deutsch-Französische Kulturrat, der deutsch-französische Kulturkanal *Arte und das Deutsch-Französische Hochschulkolleg (*Deutsch-Französische Hochschule). Die 1990er Jahre bestätigten dann das gesteigerte Interesse auf beiden Seiten für eine wachsende kulturelle Kooperation. Hier sind im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaft die Gründung des *Centre Marc Bloch (1992/ 94) und der neuerliche Kulturgipfel in Weimar (1997) zu nennen. Beide Seiten wollten den Weg einer Institutionalisierung der Kooperation weitergehen, wie die Eröffnung der *Deutsch-Französischen Hochschule (1999) und der *Deutsch-Französischen Filmakademie verdeutlichten. Nunmehr existierte quasi für alle Bereiche der deutschfranzösischen Kulturbeziehungen eine große bilaterale Institution, welche die Professionalisierung in den verschiedenen Sektoren favorisierte. Diese Institutionalisierungswelle beflügelte die offiziellen Beziehungen und förderte Austausch bzw. Mobilität. Zudem provozierten der Fall der Mauer und die deutsche Vereinigung beachtliche Emotionen auf internationaler Ebene und besonders auch in Frankreich. Die französische Öffentlichkeit interessierte sich für Deutschland und die Deutschen; die Ostdeutschen kamen nicht nur zu ihren „Brüdern und Schwestern“ im Westen, sondern tauchten nun auch in 4 „Gemeinsame Erklärung“, in: Presse- und Informationsamt der Bundesrepublik, Bulletin Nr. 12, Bonn, 11.2.1981, S. 101-108. 5 Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 28.10.1986; http: / / www.botschaftfrankreich.de/ IMG/ pdf/ kultur86.pdf. Corine Defrance 58 Frankreich auf, so dass neue Herausforderungen für die offiziellen Stellen wie auch für die Vereinigungen entstanden, um die Deutschen aus den neuen Bundesländern in die Kooperations- und Austauschstrukturen zu integrieren. Die Besonderheit der Situation und die intellektuelle Neugier, die bisweilen mit neuen Ängsten verbunden waren, verliehen den deutsch-französischen Kulturbeziehungen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine neue Dynamik, doch galt es das Verhältnis zwischen Frankreich und dem größeren vereinigten Deutschland neu zu konfigurieren. 3. Die deutsch-französischen Beziehungen neu denken: eine Herausforderung im Angesicht der Globalisierung 3.1 Gründe und Anzeichen für eine Krise „Die staatlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind hervorragend, doch warum wissen die Gesellschaften so wenig voneinander? “, fragte die französische Tageszeitung „Le Monde“ am 23.1.2004. Viele Beobachter hatten diese Banalisierung in den bilateralen Beziehungen bereits im Moment des 35. Geburtstages des *Élysée-Vertrages 1998 festgestellt. Sie war zum einen ein Anzeichen dafür, dass der alte Antagonismus überwunden war, zum anderen spiegelte sie eine neue Form von Gleichgültigkeit, gerade unter Jugendlichen, was in einer nachlassenden Zahl von Lernern der Partnersprache und in einem Desinteresse für die Kultur des Anderen zum Ausdruck kam, wohingegen eine steigende Faszination für die angelsächsische Kultur zu beobachten war. Dieses abflauende Bewusstsein für den spezifischen Charakter der deutsch-französischen Beziehungen ging einher mit einem Generationswechsel. Die Pioniere des franco-allemand traten nach und nach von der Bühne ab und mit ihnen auch die Motivation für ihr Engagement: „Indem der Zweite Weltkrieg und dann auch der Kalte Krieg zeitlich und mental weiter in die Ferne rückten, ging auch ein Teil der Legitimation für die deutsch-französischen Beziehungen verloren. Der Antrieb für das Engagement der neuen Generation wird nicht mehr in dem gemeinsamen Willen liegen, die Vergangenheit zu überwinden, sondern in der Absicht, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.“ 6 Ausschlaggebend waren darüber hinaus neue Prioritäten: Der Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigte die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft und die Globalisierung. Auf kultureller Ebene kam diese Neuorientierung in einer Umstrukturierung des Netzwerkes von Kulturzentren und der Ausgaben in Richtung finanziell bisher weniger bedachter geographischer Regionen zum Ausdruck, was zu Lasten des bilateralen Verhältnisses ging: eine Reihe von Kulturzentren wurden im Partnerland geschlossen oder zu Anhängseln degradiert. Die Regierungen begründeten diese Entwicklung mit notwendigen Neustrukturierungen und der Modernisierung des bestehenden Netzes. Sie wurden nicht müde zu behaupten, dass Kulturzentren zu einer überkommenen Form von Kulturbeziehungen gehören; vielmehr gelte es nun im Sinne eines erweiterten Verständnisses von Kultur auf neuen Feldern zu kooperieren, um gemeinsame Antworten auf die Probleme in den Vorstädten, der jugendlichen Gewalt und der Globalisierung zu finden. Hervorgehoben wurden dabei neue Aktionsformen wie die *Deutsch-Französische Hochschule und das *Centre Marc Bloch. Doch war die gesellschaftliche Reichweite dieser zweifellos auf hoher qualitativer Ebene arbeitenden Institutionen nur begrenzt, selbst wenn sie sich auch an Multiplikatoren wandten. Auch *Arte erreichte nur eine kleine Gemeinde vor dem Fernseher. 6 Patrick Démerin, L’état des relations franco-allemandes. Une enquête réalisée par Documents, in: Documents, 53 (1998) 4, S. 23. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 59 Nicht wenige kritisierten in dieser Zeit das fehlende Engagement beider Regierungen. Hinzu kamen Konflikte zwischen offiziellen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft. Auf dem deutsch-französischen Gipfel 1998 in Potsdam forderte die Politik die Zivilgesellschaft auf, sich stärker für die Wiederbelebung der Beziehungen zu engagieren. 7 Völlig unbegründet war dieser Aufruf sicherlich nicht, galt es doch die beiden Gesellschaften angesichts eines steigenden Desinteresses und einer „freundschaftlichen Gleichgültigkeit“ neu zu mobilisieren. Bei den Adressaten wurde dieser Appell jedoch gereizt aufgenommen, hatten sie doch nicht den Eindruck, dass sie ihr Engagement in der Vergangenheit zurückgefahren hatten, so dass sie sich Zurechtweisungen von den Regierungen verbaten, die in diesem Moment ihr Kulturbudget und die finanziellen Zuweisungen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen reduzierten. Die *Fédération des Associations franco-allemandes (FAFA) beklagte diesen Versuch der Schuldzuweisung durch die regierungsamtlichen Stellen, um auf diese Weise „die ärgerlichen Störungen in der offiziellen Kooperation zu verdecken“. 8 Die autoritär verfügte und sehr umstrittene Schließung des *Institut français in Heidelberg im Jahre 2001 war dabei ein Beispiel für die staatlichen Versuche, kulturelle Verantwortlichkeiten auf regionale Gebietskörperschaften abzugeben, was auch eine Folge der Anfang der 1980er Jahre begonnenen Dezentralisierung in Frankreich war. So betonte der damalige französische Außenminister Hubert Védrine, dass die „Kontinuität der französischen kulturellen Präsenz auch durch das [1986 gegründete] Montpellier-Haus [in Heidelberg] gewährleistet werden könne“. 9 Die Situation in Frankreich war wenig anders, wo das 1991 in Aix-en-Provence eröffnete Maison de Tübingen im Jahre 1998 die Schließung des *Goethe-Instituts von Marseille ausgleichen musste. Ab 1997 bildete sich die *Fédération des maisons franco-allemandes, deren neue Struktur die Frage nach der Neuorientierung und der veränderten Aufgaben der *Goethe- Institute in Frankreich aufwarf. Außerdem kam der Verdacht auf, dass die stärken transnationalen Aktivitäten der Städte und Regionen sowie die Existenz einer funktionierenden Kooperation zwischen den Grenzregionen den Rückzug des Staates favorisieren könnte. 3.2 Welche neuen Perspektiven für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen? Angesichts diese Krise schlug der Saarbrücker Romanist Hans-Jürgen Lüsebrink vor, die „deutschfranzösischen Kulturbeziehungen neu zu denken“. Er wünschte sich einen neuen Elan für das Erlernen der Partnersprache und der anderen Kultur, insbesondere auch der Populärkultur, um das Interesse der jungen Generation zu wecken. So schlug er vor, in Deutschland „ein weniger intellektuelles und mannigfaltigeres Frankreich zu präsentieren, mit seinen regionalen Besonderheiten und seinen Kulturen mit Migrationshintergrund, einen frankophonen Raum, der sich nicht alleine auf Paris und das Hexagone beschränkt, sondern sich gegenüber Frankophonie öffnet“. 10 Auffällig ist heutzutage, dass sich in Frankreich ein gesteigertes Interesse für Deutschland und seine Kultur entwickelt hat, was zum einen in der Wertschätzung für das neue deutsche Kino (hier vor allem die Produktionen der *Berliner Schule und deren Regisseure wie Christian Petzold u.a.), zum anderen in dem Erfolg von „Tokyo Hotel“ unter französischen Jugendlichen zum Ausdruck kam. Diese Begeisterung ließ selbst die Zahlen der Deutschlerner leicht ansteigen. In Deutschland bleibt der Anteil der Französischlerner in etwa stabil; zugleich zeigt sich auch hier ein erstaunliches Interesse für die Filmproduktionen westlich des Rheins („Willkommen bei den 7 Deutsch-französischer Gipfel in Potsdam, 1.12.1998; http: / / www.deutschland-frankreich.diplo.de/ 48- Deutsch-Franzosischer-Gipfel-in,346.html. 8 Bernard Lallement, Vous avez-dit: société civile? , in: Documents 54 (1999) 5, S. 97. 9 Hubert Védrine, La réorganisation du réseau culturel français en Allemagne, in: Documents 56 (2001) 2, S. 12. 10 Hans-Jürgen Lüsebrink, Repenser les relations culturelles franco-allemandes, in: Documents 53 (1998) 4, S. 76. Corine Defrance 60 Sch’tis“, „The Artist“, „Ziemlich beste Freunde“) und für die zeitgenössische Musik (elektronische Musik, Metal, nouvelle chanson française). Ein weiterer Ansatz, um die Kulturbeziehungen neu zu denken, liegt in der Überwindung der bilateralen Zweisamkeit und die stärkere Öffnung für Dritte, um den europäischen Einigungsprozess aktiver zu begleiten. Die Idee ist nicht neu. Das *DFJW hatte seine Programme bereits ab 1976 für Dritte geöffnet und widmet heute einen erheblichen Anteil seines Programmbudgets für die Kooperation mit Drittländern. So nahm es eine Pionierrolle in der Kooperation mit Polen und eine Art Brückenfunktion auf dem Balkan ein. Auch die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen haben sich in diesen Prozess eingeklinkt. Die *FAFA und der *Verein der Deutsch-Französischen Gesellschaften (VDFG) setzten sich seit Ende der 1990er Jahre zum Ziel, sich aktiv an der Entwicklung eines Europas des Friedens und der Freiheit im Sinne der Menschenrechte zu beteiligen und den Weg der Staaten und Völker in Mittel- und Osteuropa in die europäischen Strukturen zu bahnen. 11 Bereits Mitte der 1980er Jahre entwickelten die *Goethe-Institute und die *Instituts français gemeinsame Kooperationen mit Drittländern, die zwar nur bescheidene Erfolge hatten, doch Eingang in den 1991 verkündeten „Geist von Weimar“ fanden und zu der Frage nach den Möglichkeiten gemeinsamer Aktivitäten in Mittel- und Osteuropa führte (*Weimarer Dreieck). Seitdem wurde dieses Kooperationsprinzip, das auch aus Spargründen eingeführt wurde, auf ganz Europa und darüber hinaus ausgedehnt. So existieren deutsch-französische Kulturzentren in Ramallah, Palermo, Santa Cruz (Bolivien), Glasgow und Turin, deren Arbeit und Wirkung noch der Analyse bedarf. Im Jahre 2003 schufen beide Länder einen neuen Fonds („Élysée-Fonds“, vgl. *Élysée-Vertrag) für gemeinsame kulturelle Aktivitäten in Drittländern. Der so eingeschlagene Weg ist jedoch nicht ohne Tücke, reagieren doch mittlerweile die einen oder anderen zunehmend allergisch auf den Export des deutsch-französischen „Versöhnungs- und Kooperationsmodells“. Auch wenn die deutsch-französische Annäherung auf europäischer wie globaler Ebene zu einem wegweisenden Beispiel für Aussöhnungsprozesse nach Konflikten geworden ist, so zeigt sich aber auch, dass der simple Export wenig erfolgversprechend ist, haben die Situationen in den jeweiligen Ländern doch ihre spezifischen Besonderheiten. Aussichtsreicher erscheint vielmehr, Elemente der deutsch-französischen Erfahrung in einem Transferprozess anzubieten, um diese dann auf die lokalen Spezifika anzuwenden. Zuletzt soll noch auf das *Deutsch-Französische Schulgeschichtsbuch hingewiesen werden, das 2003 als gemeinsames Projekt von Politik und Zivilgesellschaft gestartet wurde und nur realisiert werden konnte, weil beide Akteure ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen konnten. Obwohl es bisweilen scharfe Kritik gab und die Verbreitung in den Schulen hinter den Erwartungen zurückblieb, beschlossen die Regierungen in Berlin und Warschau im Jahre 2008, ein gemeinsames deutsch-polnisches Schulgeschichtsbuch aufzulegen. Dieses Werk könnte eine wichtige Antwort auf die Probleme der Vielgestaltigkeit der Erinnerungen und die Erinnerungsdebatten in Europa liefern. Dieses Beispiel deutet auch auf die Möglichkeiten hin, die sich aus den deutschfranzösischen Erfahrungen ergeben können. Mit dem Wissen um ihre Begrenztheit können sie als „Werkzeugkasten“ dienen und neue Impulse bzw. Ansätze für neuartige Formen der Kooperation in Europa geben. Bock, Hans Manfred, Wiederbeginn und Neuanfang in den deutsch-französischen Gesellschafts- und Kulturbeziehungen 1949 bis 1955, in: Lendemains 21 (1996) 84, S. 58-66. Bock, Hans Manfred (Hg.), Projekt deutsch-französische Verständigung. Die Rolle der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Opladen 1998. 11 Vgl. hierzu auch http: / / www.fafapourleurope.fr/ et http: / / www.vdfg.de. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945 61 Defrance, Corine, La politique culturelle de la France sur la rive gauche du Rhin, 1945-1955, Straßburg 1994. Defrance, Corine, „Es kann gar nicht genug Kulturaustausch geben“. Adenauer und die deutsch-französischen Kulturbeziehungen 1949-1963, in: Klaus Schwabe (Hg.), Konrad Adenauer und Frankreich 1949-1963. Stand und Perspektiven der Forschung zu den deutsch-französischen Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Kultur, Rhöndorfer Gespräche, Bd. 21, Bonn 2005, S. 137-162. Defrance, Corine, Ulrich Pfeil, Deutsch-Französische Geschichte, Bd. 10: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945-1963, Darmstadt 2011 [frz. Version 2012]. Defrance, Corine, Ulrich Pfeil (Hg.), La construction d’un espace scientifique commun? La France, la RFA et l’Europe après le „choc du Spoutnik“, Brüssel 2012. Defrance, Corine, Ulrich Pfeil (Hg.), La France, l’Allemagne et le traité de l’Élysée, 1963-2013, Paris, 2012. Defrance, Corine, Ulrich Pfeil, Die Entwicklung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, in: Martin Koopmann u.a. (Hg.), Neue Wege in ein neues Europa. Die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, Baden-Baden 2013, S. 179-198. Miard-Delacroix, Hélène, Rainer Hudemann (Hg.), Wandel und Integration: deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre/ Mutations et intégration. Les rapprochements franco-allemands dans les années cinquante, München 2005. Miard-Delacroix, Hélène, Deutsch-Französische Geschichte, Bd. 11: Im Zeichen der europäischen Einigung. 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011 [frz. Version 2011]. Petter, Dirk, Auf dem Weg zur Normalität: Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München 2014. Pfeil, Ulrich (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007. Robert Bosch Stiftung/ Deutsch-Französisches Institut (Hg.), Deutsch-Französische Kulturbeziehungen. Bilanz und Vorschläge. Ergebnisse des VIII. Deutsch-Französischen Kolloquiums in Ludwigsburg, Stuttgart, Ludwigsburg, 1981. Röseberg, Dorothee, Marie-Therese Mäder (Hg.), Le Franco-Allemand. Herausforderungen transnationaler Vernetzung. Enjeux des réseaux transnationaux, Berlin 2013. Umlauf, Joachim, Wohin mit dem Bilateralen? Deutsch-französische Kulturprogramme in Zeiten der Globalisierung, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 50 (2000) 4, S. 71-74. Umlauf, Joachim (Hg.), Von privilegierten zu reduzierten Kulturbeziehungen? Auswärtige Kulturpolitik in Deutschland und Frankreich, Dossier in: Lendemains 26 (2001) 103/ 104, S. 79-166. Vis-à-vis: Deutschland - Frankreich, hg. vom Haus der Geschichte, Bonn 1998. Zauner, Stefan, Erziehung und Kulturmission Frankreichs Bildungspolitik in Deutschland 1945-1949, München 1994. Ulrich Pfeil „Dreiecksbeziehungen sind immer schwer.“ Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg In den Zeiten der deutschen Teilung konnte sich einem der Verdacht aufdrängen, dass sich der bundesdeutsche Alleinvertretungsanspruch auch in den Köpfen der Historiker und Politologen festgesetzt hatte und die DDR nicht als Teil des deutsch-französischen Beziehungsgeflechtes mitgedacht wurde. Wer von deutsch-französischen Beziehungen sprach, meinte Bonn und Paris, de Gaulle und Adenauer, Mitterrand und Kohl, *Versöhnung und *Élysée-Vertrag. So kann es nicht überraschen, dass die wenigen Erinnerungen an die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen 1 nach dem Untergang der DDR quasi verschwanden. Einen kleinen Einblick verdanken wir Jana Hensel, die aus ihrer „Zonenkindererfahrung“ zu berichten weiß, dass die französischen Altersgenossen in den gemeinsamen Ferienlagern in der DDR „bessere Unterkünfte bekommen hatten als wir und dass wir die ganzen drei Wochen über nicht mit ihnen sprechen durften. Auf den Schultern der anderen habe ich sie durchs Klofenster wie Außerirdische beobachtet und ihnen beim Tischtennis verzweifelte Liebesbotschaften zugeworfen, von denen ich wusste, dass sie ihre Adressaten nie erreichen würden. Später dann, wenn alle schliefen, lag ich in meinem Ferienlagerbett und versuchte, mir Paris vorzustellen. Ich träumte von bunten französischen Turnschuhen und Jogginganzügen und zwang mich gegen Mitternacht, wieder an Pawel, Agnieska oder Leschek zu denken, die es ja auch noch gab“ 2 . Glauben wir dem Schriftsteller Lutz Rathenow, dann war Frankreich für den überzeugten SED-Anhänger die „sympathischste Erscheinungsform“ der westlichen Gesellschaftsordnung oder - in Werbesprache - „die süßeste Versuchung, seit es Klassenfeinde gab“ 3 . Wie schafften es Frankreich und Paris, in den Köpfen der Deutschen hinter der Mauer zum beliebtesten imaginären Reiseziel zu werden, fragt sich Rathenow und sieht die *Stereotype durch die Wirklichkeit bestätigt. Dank France Gall und Brigitte Bardot habe sich Frankreich nicht nur als „erogene Zone der westlichen Gesellschaft“ profiliert, sondern mit seiner Literatur und Philosophie schließlich auch das subkulturelle Intellektuellenmilieu der DDR überzeugt. *Sartre und *Camus, so Rathenow, lieferten Muster für subversive Sprachstrategien und stärkten so die oppositionellen Zirkel. Diese eher anekdotenhaften Erinnerungen unterstreichen die These, dass es in der Zeit der deutschen Teilung ein zweifaches deutsches Frankreichbild gab, das im Sinne einer Histoire croisée mit der doppelten Deutschlanderfahrung westlich des Rheins gekreuzt werden muss, um schließlich den Ort der DDR in den deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1945/ 49 und 1990 zu definieren. Der Ansatz von der „Verflechtung in der Abgrenzung“ 4 bietet in einer Kombination von vergleichs-, beziehungs-, konkurrenz- und kontrastgeschichtlicher Perspektive die Möglichkeit, die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 als ein komplexes Dreiecksverhältnis zu verstehen, 1 Vgl. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004. 2 Jana Hensel, Zonenkinder, Reinbek 2002, S. 129. 3 Lutz Rathenow, Die süßeste Versuchung, seit es Klassenfeinde gibt. Gedanken zum 40. Jahrestag des deutschfranzösischen Freundschaftsvertrages, in: Berliner Morgenpost, 22.1.2003. 4 Vgl. Christoph Kleßmann, Verflechtung und Abgrenzung. Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30 (1993), S. 30-41, hier S. 30. Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg 63 das für jeden Beteiligten sowohl Möglichkeiten als auch Gefahren barg, wie Peter Bender unterstreicht: „Dreiecksverhältnisse sind in der Politik mindestens ebenso heikel wie im übrigen Leben. Fast unvermeidbar schließen sich zwei gegen einen zusammen, schaffen sich auf seine Kosten Vorteile, dehnen ihre Macht aus oder nehmen Rache. Dem armen Dritten bleibt dann meist nichts anderes übrig, als sich mit seinem Gegner zu arrangieren, um in einem neuen Zweierbündnis dem neuen Dritten zuzusetzen. Mit der Zeit kann daraus ein Ringelreihen werden, bei dem jeder mal mit jedem gegen jeden zu Felde zieht. Alle müssen ständig auf der Hut sein, Misstrauen ist ins Fundament eines Dreieckverhältnisses eingebaut.“ 5 Auch wenn durch den Frontverlauf des Kalten Krieges eine gewisse Vorentscheidung bei der Frage nach Gegnern und Verbündeten getroffen worden war, stellt sich weiterhin die Frage, in welcher Beziehung die drei Staaten und ihre Gesellschaften zueinander standen, welche Phasen und Wandlungen es in dieser Dreiecksgeschichte gab, welche Rolle die französische Seite in der deutsch-deutschen Auseinandersetzung spielte, welche Bedeutung der ostdeutschen Seite für die westdeutsch-französischen Beziehungen zukam und in welcher Form die westdeutsche Seite auf die ostdeutsch-französischen Kontakte einwirkte. 1. Frankreich - Bundesrepublik - DDR: eine asymmetrische und dynamische Dreiecksgeschichte Die wenigen Historiker, die sich vor 1990 mit den Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich beschäftigt hatten, verstanden sie in erster Linie als einen deutsch-deutschen Vergleichswettkampf mit französischer Beteiligung, bei welchem dem „anderen“ Deutschland zwangsläufig die Verliererrolle zukam. Diese Arbeiten reflektieren eine Geschichtsschreibung, die die Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei beflügelte und bisweilen selber den Mechanismen des Kalten Krieges folgte, jenem Kampf der Ideologien, bei dem zwei Weltanschauungen miteinander um die Überlegenheit ihrer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungen rangen. Sie unterstreichen die These, dass der Kalte Krieg die Gesellschaften und Kulturen in ihrer Gesamtheit mobilisierte und in alle Lebensbereiche hineinwirkte, so dass es auch für die deutsch-französischen Beziehungen von 1945 bis 1990 nicht alleine zu ergründen gilt, was während des Kalten Krieges geschah, sondern immer auch, was durch den Kalten Krieg geschah. So ist stärker als bisher zu fragen, wie sich der Kalte Krieg auf die immer wieder mit dem Begriff der „*Versöhnung“ versehene westdeutsch-französische Annäherung auswirkte. Mag dieser Prozess dem einen oder anderen Zeitgenossen damals wie ein „Wunder unserer Zeit“ vorgekommen sein 6 , so sprechen sich die Historiker heute für einen mehrschichtigen Prozess aus, der maßgeblich von Kaltem Krieg und Europäischer Integration bestimmt war, die ihrerseits wiederum ihre eigentliche Dynamik erst aus der neuen Bedrohungslage des Kalten Krieges gewann und die Kooperationsbereitschaft bzw. die Tendenz zu neuen Bündnissen beschleunigen half. Dazu gehörte der größer werdende Wille im Westen, „die Ursachen für die deutsch-französische ‚Erzfeindschaft‘ zu beseitigen“ 7 , was dadurch erleichtert wurde, dass die sich steigernde Angst vor dem ideologischen Gegenüber traditionelle Feindbilder nach und nach einebnete und vertrauensbildende Erfahrungen erleichterte. 5 Peter Bender, Das ungleichseitige Dreieck. Kräfteverschiebung zwischen Moskau, Ost-Berlin und Bonn, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49 (2001) 6, S. 525-532, hier S. 525. 6 Vgl. Ulrich Lappenküper, „Wunder unserer Zeit“. Konrad Adenauer und die Versöhnung mit Frankreich (1949-1963), in: Jürgen Aretz u.a. (Hg.), Geschichtsbilder. Weichenstellungen deutscher Geschichte nach 1945, Freiburg/ Br. 2003, S. 71-85. 7 Jürgen Elvert Die europäische Integration, Darmstadt 2006, S. 1. Ulrich Pfeil 64 Der von Franzosen und Westdeutschen beschrittene Weg der Aussöhnung, Annäherung und Kooperation ging über Hindernisse, erforderte Kompromisse, verlief nicht ohne Rückschläge und schuf eine Infrastruktur der Begegnung, für die hier nur das am 5.7.1963 eingeweihte *DFJW genannt werden soll, auf dessen Gründung die DDR mit Attacken auf Adenauer und de Gaulle reagierte, die Ausdruck dafür waren, dass es der DDR - frei nach Walter Ulbricht - auch auf diesem Felde weder gelang, die Bundesrepublik einzuholen noch zu überholen. Die heftigen Reaktionen sprechen dafür, dass das SED-Politbüro auch das *DFJW als eine neue Herausforderung im innerdeutschen Wettstreit verstand: „Wir sollten der revanchistischen und militaristischen Zielsetzung dieses Jugendwerkes, die sich aus dem Wesen des Paktes Bonn/ Paris ergibt, die Forderung nach der freien Begegnung und Zusammenarbeit der Jugend für Frieden, Demokratie, für Entspannung und Verständigung zwischen den Staaten entgegensetzen.” 8 Nun mag die „Forderung nach der freien Begegnung und Zusammenarbeit der Jugend“ aus dem Jahre 1964 als SED-Propaganda in Reinkultur abgetan werden, vor allem wenn man bedenkt, dass die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer drei Jahre zuvor den Verbindungen mit dem Westen selber einen Riegel vorgeschoben hatte. Trotzdem sollte der Kalte Krieg nicht nur als eine Geschichte von Abgrenzung, Polarisierung und Konfrontation angesehen werden. Vielmehr ist immer auch zu fragen, wie sich aus den ideologischen Auseinandersetzungen auf den verschiedensten Feldern auch Verflechtungen ergaben und sich die Grenzen poröser darstellten, als es das Bild vom Eisernen Vorhang suggeriert. Das obere Zitat ist deshalb ein Beispiel für die von der SED praktizierte Dialektik von Abgrenzung und beschränkter Öffnung, gab es doch „wohl kein vergleichbares historisches Beispiel eines Staates, der so fixiert auf seinen Nachbarn war und sich zugleich so demonstrativ und polemisch ständig von ihm abgrenzte wie die DDR in der Ära Ulbricht. Abgrenzung und Fixierung gehörten geradezu zu den konstitutiven Merkmalen dieses Staates” 9 , wie Christoph Kleßmann unterstreicht und damit die methodische Vorlage gibt, um auch die Verflechtungs- und Transferprozesse über den Eisernen Vorhang hinweg im Auge zu behalten. 2. Kultur im Kalten Krieg Der Kalte Krieg war nach Bernd Stöver eine „weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkung bis in den Alltag zeitigte“. 10 Er wurde zu einer globalen Auseinandersetzung, „in der alle Kriege und Konflikte unterhalb der Schwelle eines Dritten Weltkrieges zulässig waren“. 11 Nachdem sich die Blicke lange auf die diplomatischen Aspekte dieses Antagonismus gerichtet hatten, geriet in den letzten Jahren der guerre froide culturelle immer stärker in den Fokus, um den Mechanismen der ideologischen Auseinandersetzung auf den Grund zu gehen. Dabei zeigte sich, dass der Kalte Krieg in vielerlei Hinsicht ein Konflikt der Worte und Bilder war, bei dem sich die Kultur zu einer Waffe entwickelte, die meinungs- und damit konsensbildend im Innern und sub- 8 Vgl. Konzeption der Abt. Internationale Verbindungen des ZK der SED für das „Auftreten bei den Besprechungen über westdeutsch-französisches Jugendwerk” vom 9.1.1964; SAPMO-BArch, DY 30/ IV A2/ 20/ 460. 9 Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Bonn 2 1997, S. 447. 10 Bernd Stöver, Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947-1991, München 2007, S. 21. 11 Vgl. Wolfgang Krieger, Der Kalte Krieg in der Geschichte der internationalen Beziehungen: Tatsachen, Tabus und unbequeme Fragen, in: Wolf D. Gruner, Paul Hoser (Hg.), Wissenschaft - Bildung - Politik. Von Bayern nach Europa. Festschrift für Ludwig Hammermayer zum 80. Geburtstag, Hamburg 2008, S. 403-434, hier S. 419. Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg 65 versiv gegenüber den Gesellschaften auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wirken sollte. Sicherlich wird internationale Public relations zur Formung von Bildern bzw. Images seit langem von Regierungen zur Unterstützung der eigenen Außenpolitik eingesetzt, doch bekam dieser Aspekt im ideologischen Schlagabtausch über den Eisernen Vorhang hinweg ein besonderes Gewicht. Die Parteisäuberungen in den kommunistischen Staaten, die McCarthy-Ära in den USA, der virulente Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik, der massive Ausbau des Stasi-Apparates in der DDR der 1970er Jahre und die scharfe Auseinandersetzung zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Intellektuellen in Frankreich sind Beispiele für eine permanente Suche nach (inneren) Feinden und Feindbildern, die Ausdruck von Bedrohungsgefühlen, Ängsten und Verunsicherungen in den vom Kalten Krieg beherrschten Gesellschaften waren. Bei allen ideologischen Antagonismen, allem Blockdenken und Formen der Abgrenzung treten heute immer stärker interaktive blockübergreifende Momente und wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Ost und West in den Vordergrund. Dass die verantwortlichen Akteure die Ideologie hinter realpolitische Erwägungen zurückstellen konnten, zeigen nicht zuletzt die Wirtschaftsbeziehungen, deren beachtenswerte Stabilität zugleich auf ideologische Freiräume bzw. gegenläufige Entwicklungen und damit auf interaktionelle Potentiale hindeuten, die ihren Ursprung in der wechselseitigen Bezogenheit zwischen den beiden Systemen hatten. So gilt es auch in den ostdeutsch-französischen Beziehungen das Wirken von kulturellen Mittelsmännern zu beleuchten, welche die politischen Ziele der Funktionseliten umzusetzen hatten, indem sie die Meinung und das Verhalten des Auslands im Sinne der eigenen außenpolitischen Ziele zu beeinflussen versuchten. Sie fanden sich u.a. in Parteien, Gewerkschaften, Freundschafsgesellschaften, Geheimdiensten sowie unter Künstlern und Schriftstellern, die für ihre Arbeit wiederum narrative, semiotische und rituelle Bildkanäle (u.a. Theater, Film, Wissenschaft, Fremdsprachenunterricht, Handelsbeziehungen) und Bildinhalte (u.a. Antifaschismus, Friedenspolitik) nutzten. Gerade im Bereich der Kultur gab es in den westlichen Staaten neben den staatlichen Aktivitäten eine (zivil-)gesellschaftliche Mobilisierung, die - nicht zuletzt durch den Systemkonflikt - ein erstaunliches Maß an privater Initiative, Idealismus und Kreativität an den Tag legte und sich traditionell vom Staat abgrenzte. Im weiteren Verlauf des Kalten Krieges ließen sich diese beiden Sphären aber immer schwerer auseinanderdividieren, was Tony Shaw zu der Frage veranlasst: „War die ganze Kultur, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, nicht bloß ein Fortsatz der Politik? “ 12 Damit steht die Kultur im Kalten Krieg unter dem Verdacht, schließlich nicht mehr als staatlich gesteuerte Propaganda gewesen zu sein. Dieses Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontrolle bzw. Beeinflussung gilt es zu berücksichtigen, um den Platz der Kultur im deutschdeutsch-französischen Dreieck zu definieren. 3. Das inoffizielle Dreiecksverhältnis - eine bilderreiche Perspektive (1949-1973) „Die beiden deutschen Staaten [...] maßen sich unablässig aneinander. Sie waren unentrinnbar zur Legitimationskonkurrenz verurteilt, nicht einfach zwei Staaten im Ost-West-Konflikt, sondern zwei Teile eines Landes, die der Ost-West-Konflikt gegeneinander gestellt hatte.“ 13 Mit diesen Worten charakterisiert Peter Graf Kielmansegg zutreffend die besondere Situation der Bundesrepublik und der DDR im Kalten Krieg. Gerade in der Anfangszeit der Teilung galt es für die Regierenden in Bonn und Ost-Berlin, dem eigenen Staat Legitimierung zu verschaffen und den anderen 12 Tony Shaw, The Politics of Cold War Culture, in: Journal of Cold War Studies 3/ 3 (2001), S. 59-76, hier S. 61. 13 Peter Graf Kielmansegg, Nach der Katastrophe. Eine Geschichte des geteilten Deutschlands, Berlin 2000, S. 553. Ulrich Pfeil 66 zu delegitimieren. Dieser Wettstreit wurde auch auf kulturellem Terrain ausgefochten und sollte dem einen wie dem anderen deutschen Staat internationale Anerkennung verschaffen. Die (ost-/ west-) deutsch-französischen Beziehungen waren bereits im Moment der Gründung von Bundesrepublik und DDR (1949) von einem asymmetrischen Beziehungsgefüge gekennzeichnet, so dass die Regierenden in Ost-Berlin mit dem Mittel ihrer auf moralisch-ideologischen Fundamenten aufbauenden alternativen Außenpolitik den Versuch unternahmen, ihrerseits den Fuß in die westdeutsch-französischen Beziehungen zu bekommen, um „einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft und zur offensiven ideologischen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus“ zu leisten. 14 Diese Bemühungen intensivierte die DDR nach der Integration der beiden deutschen Staaten in ihre jeweiligen Blockstrukturen im Jahre 1955. Mit einem enormen organisatorischen und materiellen Aufwand betrieb sie im Rahmen der *Auswärtigen Kulturpolitik der DDR eine Anerkennungspolitik gegenüber dem Westen, insbesondere ab 1957/ 58, bei der Frankreich zu den „Schwerpunktländern“ gehörte. Innenpolitisch hatte sie die strukturellen bzw. organisatorischen Voraussetzungen für einen Ideologietransfer geschaffen, um nun unter ideologischer Anleitung der „führenden Partei“ dem Ziel näher zu kommen, den bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruch und die sogenannte „Hallstein-Doktrin“ zu durchbrechen. Da sich das offizielle Frankreich in dieser Frage jedoch nicht rührte und seine Politik der Nichtanerkennung fortsetzte, musste „Pankow“ „unten“ ansetzen und über die gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen versuchen, den Anerkennungsdruck über den Ausbau der transnationalen Kommunikationskanäle zu erhöhen. Die ersten Erfolge verzeichnete die DDR dabei bereits in den frühen 1950er Jahren mit den Auftritten von *Bertolt Brechts *Berliner Ensemble in und um Paris, die das Interesse an ostdeutschen Literaten in Frankreich weckten und der DDR halfen, sich gegenüber der Bundesrepublik kulturell zu distinguieren. Bis zum Fall der Mauer spielte die Perzeption und *Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich eine wichtige Rolle bei dem Bild, das sich Franzosen von der DDR machten. Erster Ansprechpartner für die ostdeutschen Frankreichpolitiker war die 1958 gegründete Freundschaftsgesellschaft *Échanges franco-allemands, die zwar von der PCF dominiert wurde, doch auch Mitglieder aus anderen politischen Milieus zählte, so dass sie das ideale Sprungbrett für die DDR war, um ihre Wahrnehmung über das kommunistische Lager hinaus auszudehnen. Auf ostdeutscher Seite wurde die 1962 gebildete *Deufra zur Partnerorganisation, die sowohl Koordinierungsstelle als auch Kontrollinstrument für die kulturpolitischen Beziehungen der DDR nach Frankreich war. Im Bereich der sozio-kulturellen Beziehungen setzte Ost-Berlin ab 1957/ 58 vor allem auf *Städtepartnerschaften, die auf französischer Seite fast ausschließlich von kommunistisch regierten Kommunen abgeschlossen wurden. Kooperationen entstanden, wenn die DDR auf französischer Seite private Partner fand wie etwa bei den *Kino-Koproduktionen. Zwar reichte das Eigengewicht der DDR nicht aus, um einen Keil zwischen Paris und Bonn zu treiben, doch musste die französische Regierung ab Mitte der 1960er Jahre die Anerkennungsbewegung zunehmend in ihre innen- und deutschlandpolitischen Überlegungen einbeziehen. Als die seit 1969 regierende sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt im Rahmen ihrer Politik des „Wandel durch Annäherung“ von der „Hallstein-Doktrin“ abrückte, zeigte sich auch Paris flexibler, so dass die Zahl der sozio-kulturellen ostdeutsch-französischen Begegnungen zunahm. Symptomatisch war für sie jedoch der Einbahnstraßencharakter, blieb die Möglichkeit für ostdeutsche Bürger zu Reisen ins nichtsozialistische Ausland begrenzt. Auch wenn es der SED-Anerkennungspolitik nicht gelang, die DDR vor 1973 als gleichberechtigten souveränen Staat in den internationalen Beziehungen zu etablieren, verdeutlicht der Blick auf Frankreich jedoch, dass die DDR bereits in den 1960er Jahren dank ihrer gezielten 14 Waltraud Böhme u.a. (Hg.), Kleines politisches Lexikon, Berlin (DDR) 5 1985, S. 475. Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg 67 Imagepolitik als singuläre Identität wahrgenommen wurde. Über das kommunistische Milieu hinaus hatte sie mit ihren kulturellen Leistungen und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb des östlichen Lagers auf sich aufmerksam gemacht. Die kulturelle Präsenz der DDR in Frankreich und ihr Selbstverständnis, als Vermächtnisverwalter von Autoren wie *Bertolt Brecht zu fungieren, verstärkten das Bild von einem alternativen deutschen Staat und fügten zu ihrer geopolitischen Realität eine identifizierte Existenz in den 1960er Jahren hinzu. Eine dem MfS („Stasi“) zur Verfügung stehende Einschätzung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Öffentlichkeitsarbeit der DDR in Frankreich von 1969 greift im Hinblick auf den Wahrnehmungsgrad ihrer Imagekampagnen daher zu kurz: „Kulturmaßnahmen der DDR - z.B. eine noch so erfolgreiche Brecht-Aufführung - würden deshalb keineswegs der DDR zugutekommen, sondern nur der deutschen Kultur. Die erwähnten Zielsetzungen und die schwierigen technischen Begleitumstände würden es mit sich bringen, dass die einsehbare DDR-Aktivität in Frankreich in Kleinstarbeit besteht, deren faktische Resultate oft kaum nennenswert seien.” 15 Mochte dieses Urteil für die 1950er Jahre noch zugetroffen haben, konnte Ost-Berlin die Erfolge seiner kulturellen Produktion zunehmend auf sein eigenes Konto verbuchen und profitierte jetzt von der organisatorischen Aufbautätigkeit in der formativen Phase der DDR. Das kulturelle Konstrukt „DDR” ließ sich nun mit seinen unterschiedlich fixierten Facetten über die ab 1957/ 58 angelegten Kommunikationskanäle exportieren und über die gewonnenen Bildträger vermitteln. Über die weltanschaulichen Grenzen hinweg hatte die SED in den unterschiedlichen kulturellen und politischen Milieus in Frankreich über den Kontakt zu Opinion leaders und Milieuöffnern wie z.B. den Germanisten *Gilbert Badia und den Historiker *Georges Castellan ihr Aktionsfeld ausdehnen können, so dass bundesdeutsche Beobachter negative Folgen für die westdeutsch-französischen Beziehungen vorhersagten und Bonn immer öfter bei französischen Regierungsstellen vorstellig wurde, um den Alleinvertretungsanspruch einzufordern. Eine besondere Brückenfunktion kam dem Antifaschismus zu, den die SED zur Ausschaltung innenpolitischer Gegner zum Gründungsmythos der DDR stilisiert hatte und nach seiner Ausformung zu einem kulturellen Konstrukt massiv in der transnationalen Kommunikation mit Frankreich einsetzte, um sich als das moralisch „bessere” Deutschland zu präsentieren. Die DDR instrumentalisierte den Antifaschismus als transnationalen Kitt, indem sie alte französische Feindbilder gegenüber Deutschland an die Bundesrepublik zu heften versuchte. Ohne die Wirkung überbewerten zu wollen, verschaffte der Antifaschismus der SED Anfang der 1970er Jahre eine bis dahin nicht gekannte innenpolitische Legitimation, die für den ostdeutschen Staat auch eine stabilisierende Wirkung auf der internationalen Bühne besaß. Mit gestärkter Brust zeigte die SED jetzt auch eine vorher nicht gekannte Bereitschaft, die Erinnerung an Exil und Emigration in Frankreich zum Anlass für einen dosierten wechselseitigen Austausch auf verschiedenen sozialen und kulturellen Feldern zu nehmen. In einem eng definierten Rahmen konnten jetzt die Erfahrungen von Frankreich-Emigranten wie *Franz Dahlem, *Edith Zorn, *Dora Schaul und *Gerhard Leo in die Beziehungen eingebracht werden, die sich zielgerichtet für politische Zwecke instrumentalisieren ließen. Auch wenn die politische und kulturelle Landschaft Frankreichs dem DDR-Bild und seiner Verbreitung Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete, markierte sie auch seine Grenzen. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Industrieländern erwiesen sich die Stärke der PCF und ihre Brückenkopffunktion nur auf den ersten Blick als günstiger Faktor. In der Tat erleichterten die französischen Genossen nach einer diffizilen Anlaufzeit der DDR ihre Bemühungen um den Auf- 15 Einzelinformation über die Einschätzung der Öffentlichkeitsarbeit der DDR in Frankreich durch das Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung von 1969; BStU, HVA 141, Bl. 108f. Ulrich Pfeil 68 bau eines breiten Kommunikationsnetzes ab Ende der 1950er Jahre. Partei, Gewerkschaft und Freundschaftsgesellschaft waren stets erster Ansprechpartner. Eine fehlende Koordination von internationalistischen bzw. klassenkämpferischen Ansprüchen und nationalen Interessen machten die Parteibeziehungen zwischen SED und PCF aber immer wieder zu einem Drahtseilakt, der wie in den Monaten des „Prager Frühlings“ in regelmäßigen Abständen der Absturz folgte. Ereignisse wie diese wirkten auch auf die sozio-kulturellen Beziehungen kontraproduktiv, denn auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene wandten sich Franzosen von der DDR ab, die ihre Entwicklung eingangs mit Sympathie verfolgt hatten. Dies galt jedoch weniger für die ostdeutschen Kulturprodukte und hier besonders die Literatur, die von Germanisten wie *Nicole Bary und *Alain Lance ins Deutsche übersetzt und in den französischen Büchermarkt eingeführt wurden. Bei dieser vergleichsweise großen Offenheit für ostdeutsche Autoren drängt sich einem aber bisweilen auch der Eindruck auf, dass die politischen Bedingungen ausgeblendet wurden, unter denen diese Literatur entstand. 4. Offizielle Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich (1973-1990) Nachdem bis 1973 nur von inoffiziellen sozio-kulturellen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich gesprochen werden konnte, setzte Ost-Berlin nach der diplomatischen Anerkennung alles daran, das bestehende Beziehungsnetz zu offizialisieren. Dabei musste sie aber schnell die Erfahrung machen, dass die Prioritäten der französischen Seite weiterhin bei der Bundesrepublik lagen und der neue französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing ein besonders enges Verhältnis zu Bundeskanzler Helmut Schmidt unterhielt, so dass für ostdeutsche Initiativen nur wenig Spielraum blieb. Notgedrungen musste die DDR also quasi ihre Anerkennungspolitik fortsetzen und sich auf das existierende Netzwerk stützen, um endlich zu den offiziellen französischen Stellen vorgelassen zu werden. Gleichzeitig musste sie jedoch auch feststellen, dass mit der internationalen Anerkennung auch die Zahl westlicher Diplomaten, Journalisten und Reisender und damit das in der DDR zirkulierende Quantum an westlichem Gedankengut zunahm. Ab 1973 begann also ein Drahtseilakt zwischen Öffnung und Abgrenzung gegenüber dem Westen, den die SED erfolgreich gestalten wollte, indem sie den Stasi-Apparat immer weiter ausbaute und die Mitarbeiter des MfS gerade auch auf die westlichen Diplomaten und ihr Privatleben ansetzte. Wie stark sie Löcher im Eisernen Vorhang fürchtete und wie wenig Selbstbewusstsein die DDR aus der internationalen Anerkennung zog, lässt sich an der Vorgeschichte des Kulturabkommens ablesen. Bereits 1974 hatte Frankreich der DDR einen Vorschlag für ein solches Abkommen übersandt, doch reagierte Ost-Berlin erst im Juli 1978 und scheute konkrete Unterredungen. Frankreich hatte es zur Bedingung gemacht, die Unterzeichnung mit der Eröffnung eines Kulturzentrums in der DDR bzw. in Ost-Berlin zu koppeln, das seinen Besuchern wie in Prag und Warschau freien Zugang zu westlichen Publikationen bieten sollte. Bei der Unterzeichnung des Kultur- und des Konsularabkommens (18.6.1980), bei dem Frankreich es vermied, eine DDR- Staatsbürgerschaft anzuerkennen, so dass es DDR-Bürgern in den Ländern der drei ehemaligen Siegermächte weiterhin freistand, ob sie den konsularischen Schutz der Bundesrepublik oder der DDR in Anspruch nehmen wollten, konnte sich Paris jedoch auch in der Frage der Kulturzentren durchsetzen und die Zusage auf Eröffnung eines französischen Kulturzentrums in Ost-Berlin erreichen. Im Oktober bestätigte DDR-Außenminister Oskar Fischer in einem Schreiben an seinen französischen Amtskollegen Claude Cheysson das Abkommen über die Eröffnung der Kulturinstitute sowie das Kulturabkommen, das im November 1981 in Kraft trat. Es dauerte aber noch bis zur Jahreswende 1983/ 84, bis dann schließlich das *DDR-Kulturinstitut in Paris und das *Centre culturel français (CCF) in Ost-Berlin ihre Tore öffneten. Frankreich und die deutsch-deutsche Kultur-Konkurrenz im Kalten Krieg 69 Die bundesdeutschen Reaktionen in diesen Jahren deuten noch auf fehlende Gelassenheit gegenüber der ostdeutschen Herausforderung für die deutsch-französischen Beziehungen hin. Bezeichnend ist dabei, dass die „Kulturoffensiven“ der östlichen Seite von den bundesdeutschen Akteuren genutzt wurden, um neue Ressourcen aus Bonn einzufordern, was schon in den 1960er Jahren geholfen hatte, das westdeutsch-französische Beziehungsnetz zu verdichten. Angesichts der ostdeutschen Konkurrenz blieb das nach 1963 von der Schließung bedrohte Pariser Büro des *DAAD geöffnet, die Zahl der westdeutschen *Lektoren in den französischen Universitäten auf hohem Niveau konstant, und die Historiker des *DHI Paris verstärkten ihre Aktivitäten, um die französischen Kollegen „bei der Stange“ zu halten. Zugleich wurde die parteilich konzipierte und kontrollierte Frankreichpolitik der DDR immer wieder als abschreckendes Beispiel von der bundesdeutschen Presse dargestellt, auf das Bonn mit größerer Selbständigkeit für seine Mittlerorganisationen reagieren sollte. So lässt sich die These aufstellen, dass die Liberalisierung der *Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik nur vor dem Hintergrund der „Negativfolie DDR“ zu verstehen ist. Fazit Blocküberschreitende Kulturbeziehungen mit dem weltanschaulichen Gegner während des Kalten Krieges unterlagen einer spezifischen Grundordnung: Während eine gleiche Gesellschaftsordnung die Verschmelzung von unterschiedlichen kulturellen Horizonten zwischen Staaten favorisiert, ging es bei den hochgradig politisierten transnationalen Beziehungen über den Eisernen Vorhang hinweg a priori um die Zurückweisung aller kultureller Einmischungsversuche durch die andere Seite und die Beweisführung für die Überlegenheit der eigenen Weltanschauung. Das Beispiel der Kulturbeziehungen zwischen der DDR und Frankreich zeigt jedoch, dass die ideologischen Frontlinien infolge realpolitischer Erwägungen weniger starr waren, als sie nach außen oftmals schienen. In der Phase der diplomatischen „Nullbeziehungen” war die SED auf die Beziehungen zwischen der von ihr weitgehend verstaatlichten DDR-Gesellschaft und der ganzen Breite der französischen Zivilgesellschaft angewiesen, die sie politisieren wollte, um ihr Potential in die Anerkennungsbewegung einzubringen und den „Anerkennungsdruck” auf die französische Regierung zu erhöhen. Nachdem sie zur Durchsetzung ihres Herrschaftsmonopols nach innen alle zivilgesellschaftlichen Initiativen mit ihren interaktiven bzw. kommunikativen Kräften so weit wie möglich ausgeschaltet hatte, wollte sich die DDR zur Dynamisierung ihrer Anerkennungspolitik als eine kommunizierende Gesellschaft präsentieren. Sie gedachte dieses Ziel über eine zivilgesellschaftliche Fassade zu erreichen, so dass sie sich nicht völlig gesellschaftlichen Begegnungen über den Eisernen Vorhang hinweg verweigern konnte. Wohl oder übel sah sie sich gezwungen, Kommunikationslöcher im „antifaschistischen Schutzwall” zuzulassen, die das Informationsmonopol der SED zwar nicht aufheben konnten, so aber doch einschränkten und einen bescheidenen Platz für Öffentlichkeit schufen. Der politisch-ideologische Balanceakt zwischen Abgrenzung und Öffnung neigte sich in den 1980er Jahren dabei immer stärker zu Ungunsten der DDR. Gerade auf dem Feld der sozio-kulturellen Beziehungen wurde deutlich, wie sich vordergründige außenpolitische Erfolge wie die diplomatische Anerkennung 1973, die KSZE-Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 und auch das Kulturabkommen mit Frankreich von 1980 mittelfristig zu einer neuen Belastung für die SED entwickelten und das Legitimationsdefizit weiter verschärften. Während die Staatspartei die Unterzeichnung von internationalen Verträgen wie selbstverständlich als Zementierung ihrer äußeren wie inneren Position verstand, unterschätzte sie die neuen Verpflichtungen und Erwartungen, die das „Erwachsenwerden“ mit sich brachte. Konnte sie vor 1973 noch die Bundesrepublik mit ihrem Alleinvertretungsanspruch als „Bremser“ weitergehender Kulturbeziehungen präsentieren, bestand dieses (vorgeschobene) Argument in den 1970er und 1980er Jahren nicht Ulrich Pfeil 70 mehr. Mit ihrem neuen Status als gleichberechtigtes Mitglied der Staatenwelt musste sie mit der Wechselseitigkeit von transnationalen Beziehungen auch den reziproken kulturellen und gesellschaftlichen Austausch akzeptieren. Dieser Herausforderung war sie schließlich aber nicht gewachsen, so dass auch die ostdeutsch-französischen (Kultur-)Beziehungen zur Erosion des SED- Regimes beitrugen. 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Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff Die Begriffsgeschichte der deutsch-französischen Kulturbeziehungen ist noch nicht geschrieben. Im Gegenteil sind Verwirrungen im theoretischen Großraum der vergleichenden Kulturanalyse bzw. der Transfergeschichte eher Regel denn Ausnahme. Zentrale Begriffe werden, häufig unhinterfragt, stark abweichend oder sich gegenseitig überlagernd verwendet. So ist beispielsweise die Frage, ob die „kulturelle Identität“ als homogenes und (einigermaßen) stabiles Gebilde gedacht wird, mit der sich eine Mehrheitsgesellschaft von anderen abgrenzt, oder vielmehr als ein heterogenes Feld, dessen Koordinaten und Bezugspunkte stets neu auszuhandeln sind, klärungsbedürftig - nicht zuletzt auch aufgrund der Bedeutungsverschiebungen, welche, wie Michael Werner in seinem Übersichtsartikel darlegt, die Bezeichnungen „Kulturbeziehung“ und „Kulturtransfer“ in den letzten hundert Jahren im Verlauf eines folgenreichen Theoriewandels erfahren haben. Ähnliches lässt sich für den in den letzten Jahren in Mode gekommenen Begriff des „Mittlers“ konstatieren. Wenngleich die Erforschung der deutsch-französischen Beziehungen in jüngerer Zeit verstärkt Biographien von Mittlerpersönlichkeiten in den Blick genommen hat, ist eine systematisch fundierte, umfassende Mittlerforschung - wie sie beispielsweise von Katja Marmetschke oder Hans Manfred Bock angestrebt wird - allein in Ansätzen sichtbar. Marmetschke folgend konzentriert sich diese zur Zeit im Wesentlichen auf „drei unterschiedliche modi operandi des Engagements“: auf Autoren, die Informationen über das andere Land sammeln und deuten, auf Organisatoren von Begegnungsagenturen oder Zeitschriften sowie auf Multiplikatoren (wie Lehrer oder *Journalisten). 1 Ein Blick in das umfängliche Personen- und Sachregister des vorliegenden Bandes zeigt jedoch, dass diese Kategorisierung einen wichtigen Mittlertypus ausschließt. So finden wir dort neben den sich in der Regel selbst als Mittler affirmierenden und mit eigenen identitären Selbstvergewisserungsstrategien ausgestatteten Autoren, Organisatoren und Multiplikatoren, die nicht selten im direkten Kontakt zu Institutionen stehen, welche den Hinweis des „deutschfranzösischen“ schon im Titel tragen (wie das *Deutsch-Französische Jugendwerk), zudem zahlreiche bedeutsame Namen (in der Regel von Künstlern und Wissenschaftlern), die für die deutsch-französische Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg in kultureller Hinsicht zweifellos überaus wichtig waren, sich selber jedoch keineswegs als intentional agierende Figuren des francoallemand begriffen haben. *Bertolt Brecht für das Theater oder *Gisèle Freund für die Fotografie haben beide maßgeblich zur Konstitution und spezifischen Ausprägung des deutsch-französischen Kulturaustausches nach dem Krieg beigetragen, obwohl sie sich dies nicht zur Aufgabe gemacht hatten, sondern vorrangig künstlerische und persönliche Ziele verfolgten. Während *Brecht bis kurz vor seinem Tod kaum Beziehung zu Frankreich unterhielt und die meisten französischen Theatermacher seinem dramatischen Werk und seiner Theorie des Epischen Theaters bis Mitte der 1950er Jahre dezidiert ablehnend gegenüberstanden, blieb das Verhältnis der in den 1930er Jahren nach Frankreich emigrierten *Freund, die sich in ihrer Arbeit keineswegs vom Gedanken der *Versöhnung leiten ließ, zum Nachkriegsdeutschland zeitlebens angespannt. Hier stellt sich 1 Katja Marmetschke, Dossier Mittlerstudien, Einleitung, in: Lendemains 146/ 147 (2012), S. 10. Nicole Colin, Joachim Umlauf 72 die Frage, ob zum Mittlerdasein tatsächlich immer auch der Einsatz für eine gemeinsame Sache oder zumindest ein starkes Interesse am Anderen gehört oder ob auch nichtintentionale Formen der Einflussnahme im anderen Land als Mittlertätigkeit bezeichnet werden können. Um die Rolle der Vermittler im deutsch-französischen Kulturfeld näher und präziser beleuchten zu können, erscheint es uns daher sinnvoll von einem erweiterten Mittlerbegriff auszugehen, der auch die spezifischen Funktionen und Leistungen der letzteren Kategorie berücksichtigt und analysiert. Eine solche Einbeziehung von (in der Regel aus dem Kunst- oder Wissenschaftsfeld stammenden) Akteuren, deren Intention in anderen, häufig eigennützigen Beweggründen zu suchen ist, erscheint auch insofern interessant, als hierdurch die (zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg) stets positive Konnotation des Mittlerbegriffs im Blick auf ihr Engagement „im Zeichen der transnationalen Verständigung“ 2 indirekt unterlaufen bzw. problematisiert werden kann. Dabei ist allerdings - angesichts des angedeuteten Begriffsdschungels - zunächst einmal zu klären, in welcher Beziehung unsere Vorstellung von Kultur eigentlich zur Kunst steht. Denn während die beiden Begriffe in literaturwissenschaftlichen oder kunsthistorischen Untersuchungen oft synonym benutzt werden, verwenden Analysen, die sich aus politischer oder historischer Perspektive dem Thema des Kulturtransfers nähern, in der Regel einen kunstfernen Kulturbegriff. Wenn Corine Defrance in ihrem Eingangsartikel Konrad Adenauer zitiert, so geht es diesem im Blick auf das „kulturelle[] Gebiet“ vor allem um den „Austausch unserer jungen Menschen aller Schichten“ - also um zivilgesellschaftliche Begegnungen und nicht die Vermittlung von Kenntnis über literarische oder künstlerische Werke des Nachbarn. Gleiches gilt für die heute oft geforderten „interkulturellen Kompetenzen“. Hier ist üblicherweise von Experten die Rede, die über die Alltags- und Arbeitskultur des anderen Landes informiert sind, nicht jedoch im besonderen Maße über Kunst und Literatur. 1. Kultur versus Kunst, Kunst als Kultur? Die in Frankreich unter den ähnlichen, aber nicht deckungsgleichen Begriffen exception oder diversité culturelle verhandelte Sonderstellung der Kultur, die den EU-Mitgliedstaaten die eigenverantwortliche nationalstaatliche Förderung bestimmter kultureller Bereiche bzw. Güter erlaubt, verfolgt, vergleichbar mit dem Prinzip der Länderhoheit in Kulturfragen in der Bundesrepublik, das Ziel Vielfalt, diversité, zu sichern. Gleichzeitig entzieht die finanzielle Unterstützung regionaler und nationaler Sprachen oder spezifischer kultureller Traditionen, die ohne Subventionen keine realistische Überlebensmöglichkeit hätten, diese faktisch den Regeln des gemeinschaftlichen Marktes. Diese Übereinkunft spiegelt letztlich die in Europa vorherrschende Vorstellung von Kultur als einem von ökonomischen Prinzipien weitgehend freigestellten Bereich, die zuweilen jedoch (und zwar in mehrfacher Hinsicht) an ihre Grenzen stößt. So erscheint es z.B. durchaus sinnvoll, künstlerisch anspruchsvolle Filmprojekte, die sich nicht über die zu erzielenden Einnahmen finanzieren ließen, zu unterstützen; inwiefern jedoch auf den globalen Massengeschmack ausgerichtete Blockbuster zur diversité culturelle in Europa beitragen, ist fragwürdig. Auch ein erweiterter Kulturbegriff, der sich explizit nicht auf die traditionellen Hochformen der Kunst (Literatur, Malerei, Musik etc.) beschränkt, sondern auch den nichtkünstlerischen Bereich (wie z.B. Design oder Esskultur) einbezieht, bereitet in diesem Kontext mitunter Schwierigkeiten: So ist es nur schwerlich einzusehen, warum z.B. die Produzenten und Vertreiber von französischer Gänsestopfleber 3 unter grundsätzlich anderen Bedingungen ihre Produkte verkaufen dürfen als 2 Marmetschke, Einleitung, S. 10. 3 2005 wurde die foie gras einstimmig von der französischen Regierung zum patrimoine culturel et gastronomique erklärt. , Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff 73 die Hersteller gewöhnlicher Leberwurst. Gleiches gilt für Quoten im Radio zum Schutze des nationalen Liedguts, an denen gerade die professionellen, kommerziell arbeitenden Musikproduzenten verdienen, sowie die immer stärker in den Mittelpunkt des staatlichen Interesses rückenden cultural industries. Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint die in Europa allgemein vorherrschende Vorstellung von Kultur als ein unökonomischer Wert bzw. symbolisches Kapital nicht selten einem heimlichen Protektionismus als Deckmäntelchen zu dienen. Letztendlich steht hinter dem europaweit unterstützten Einklagen von marktfreien Kulturreservaten und der Bewahrung einer diversité culturelle die Angst vor einem kulturellen und ökonomischen Verdrängungswettbewerb, den in der Regel die am wenigsten auf eine regionale Kultur und am meisten auf eine globalisierte Zivilisation ausgerichtete (und d.h. im Klartext: amerikanische) Kulturproduktion gewinnt. So ist, um ein sprechendes Beispiel zu wählen, die am häufigsten besuchte Sehenswürdigkeit in Frankreich inzwischen nicht mehr der Eifelturm oder der Louvre, sondern Disneyland Paris. Gleiches gilt für den staatlich oder auch zivilgesellschaftlich initiierten kulturellen Transfer. Hinter den vorgegebenen „völkerverbindenden“ oder „europäischen“ Zielen staatlicher Auslandskulturinstitute stehen zumeist (auch) politische und/ oder ökonomische Interessen, die paradoxerweise weniger transkulturelle als vielmehr nationale (und bisweilen nationalistische) Ziele verfolgen. Aber noch aus einem weiteren Grund erscheint die Frage, in welchem Verhältnis Kultur und Kunst zueinander stehen, für den hier verhandelten Gegenstand bedeutsam: Während die in der Anthropologie und Ethnologie untersuchten kulturellen Güter und Errungenschaften einer Gruppe, eines Volkes oder einer Nation, ja gerade für das Allgemeine der jeweiligen Kultur stehen, ist der spezifisch europäische Kunstbegriff, so wie er sich seit der Renaissance herausgebildet hat und heute in der westlichen Welt verwendet wird, bekanntlich strikt autorzentriert. Zwar kann sich ein Land mit den herausragenden Leistungen seiner Künstler schmücken, diese rückblickend zu einer jeweiligen nationalen „Klassik“ erklären und vermittelt durch ihrer Kanonisierung auch popularisieren, es kann sie jedoch keinesfalls zum „allgemeingültigen“ kulturellen Standard deklarieren, da der Künstler (ebenso wie der Wissenschaftler) per definitionem immer nur als Ausnahmeerscheinung zu denken ist. Im Geniekult hat dies seine stärkste Ausprägung erfahren. 2. Kultur und Zivilisation Die Schwierigkeit einer genauen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kultur und Kunst verweist implizit auch auf das Fehlen einer allgemeinverbindlichen Definition von Kultur selbst - und zwar in beiden Sprachen gleichermaßen. Dabei weicht der deutsche Kulturbegriff, wie u.a. Norbert Elias über den „Prozess der Zivilisation“ analysiert hat, in seiner Bedeutung historisch stark von der französischen Variante ab. 4 Allerdings erscheint fraglich - blickt man auf die aktuellen kulturpolitischen Entwicklungen in beiden Ländern, die sich inzwischen weitgehend angenähert zu haben scheinen - ob sich die von Elias konstatierte und für die Theoriebildung auch durchaus „praktische“ Dichotomie von deutschem Kultur- und französischem (bzw. angelsächsischem) Zivilisationsbegriff im Kontext des deutsch-französischen Kulturtransfers nach 1945 überhaupt noch sinnvoll anwenden lässt. Das identitäre Selbstverständnis und Strategien wie die exception culturelle deuten in Deutschland wie Frankreich gleichermaßen auf eine abgrenzende Idee von Kultur, die vordringlich dazu dient, eine Gruppe von anderen unterscheidbar zu machen, und eben nicht geeignet scheint - wie der von Elias als „französisch“ definierte Begriff der Zivilisation - Verbindungen zu anderen zu befördern oder gar integrativ zu wirken. 4 Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung, Bd. 1, Frankfurt/ M. 1976. Nicole Colin, Joachim Umlauf 74 Dass die französische Vorstellung von Kultur auch innerhalb der Gesellschaft im Blick auf die sozialen Hierarchisierungen systemisch eher exkludierende denn inkludierende Konsequenzen zeitigt, hat u.a. *Pierre Bourdieu in seinen soziologischen Analysen nachgewiesen. Dabei hat sich die culture générale , die Allgemeinbildung, vor allem darum als elitebildendes gesellschaftliches Ausschlusskriterium bewährt, weil sie einen direkten Bezug zur Kunst (verstanden als Hochkultur) hat, die traditionell nur oberen Gesellschaftsschichten offenstand bzw. -steht. Diese ausgrenzende Funktion wird auch durch einen erweiterten Kulturbegriff nicht unterlaufen, da durch klare Platzanweisungen innerhalb des Feldes die populären Formen von Kultur (und damit ihre Anhänger) von vorneherein als (symbolisch) minderwertig gekennzeichnet werden. 5 Das gilt für Frankreich wie Deutschland gleichermaßen. Die mit der Kunst verbundene Hochkultur hat sich als Instrument eines integrativen bzw. partizipativen Vermittlungsprozesses - sowohl im Blick auf die sozialen Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft, als auch die kulturellen Prägungen verschiedener Gemeinschaften - als untauglich erwiesen. Insofern erscheint das von Koselleck als „nicht spezifisch berufs- oder klassengebunden“ 6 beschriebene deutsche Modell der „Bildung als Lebensführung“ 7 relativierungsbedürftig. Denn wenngleich ein Opernbesuch in Deutschland nicht identischen gesellschaftlichen Beschränkungen wie in Frankreich bzw. Paris unterliegt, sind jedoch bestimmte Bevölkerungsschichten nach wie vor auch hier von gewissen Formen solch gebildeter Lebensführung weitgehend ausgeschlossen. Trotz dieser verbindenden Tendenz eines exkludierenden Kulturbegriffs sind in Deutschland und Frankreich - blickt man auf die verschiedenen Felder künstlerischer Produktion - grundsätzliche, zumeist systemische Unterschiede auszumachen, die in nicht unerheblichem Maße zunächst einmal von den historisch gewachsenen politischen Verhältnissen abhängen. Die Tatsache, dass sowohl Kultur im Allgemeinen als auch Kunst im Besonderen in Frankreich (der politischen Ordnung des Landes entsprechend) zentralistisch organisiert ist und bestenfalls vom Zentrum Macht in die Regionen delegiert wird, in Deutschland hingegen ein föderales System herrscht, in dem die Regionen umgekehrt zwar zahlreiche Kompetenzen an den Bund abtreten, ausgerechnet den Bereich der Kultur und Bildung aber gänzlich unter der Verantwortung der Länder halten, hat nicht allein eine unterschiedliche Organisation des kulturellen Lebens zur Folge, sondern spiegelt sich auch nachhaltig im künstlerischen Selbstverständnis der Künstler wider und erschwert in manchen Bereichen auch den transnationalen Kulturkontakt und -austausch: Dass in Frankreich auch nach rund 65 Jahren kultureller décentralisation das eigentliche Herz der Kunst immer noch in Paris schlägt, ist aus deutscher Perspektive schwer zu verstehen. Die Zuständigkeiten in der französischen Kulturpolitik werden auf dem Papier in vielen Bereichen offiziell zwar geteilt, tatsächlich hat jedoch Paris zumeist nicht nur das letzte, sondern auch bereits das erste Wort: So bleibt trotz offener und öffentlicher Bewerbungsverfahren die Entscheidungsmacht des Ministère de la culture et de la communication in Paris in vielen Bereichen ungebrochen - auch wenn es sich um Posten in der Region handelt, was in Deutschland aufgrund der historisch gewachsenen föderalen Strukturen unmöglich und daher auch unverständlich ist. Umgekehrt gestaltet sich das Detektieren von Hierarchien und Wertigkeiten im deutschen champ culturel für französische Kulturschaffende äußerst kompliziert, da sie (unausgesprochen) immer der französischen Logik eines metropolen Primats folgen und stets potentiell geneigt sind, künstlerische Produktionen aus Berlin über solche aus Hamburg, München oder Stuttgart zu stellen. Die im herrschenden System auch kaum zu reduzierende Macht des Pariser Kulturministeriums hinterlässt also nicht allein deutliche Spuren in der Organisation der Kunstproduktion und -distribution, sondern beeinflusst ebenfalls die Wahrnehmung und Beurteilungen der kulturellen Mittler. 5 Vgl. Pierre Bourdieu, Les règles de l’art, Genèse et structure du champ littéraire, Paris 2 1998. 6 Reinhard Koselleck, Begriffsgeschichten, Frankfurt/ M. 2006, S. 122. 7 Ebd., S. 119-122. Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff 75 Insofern bleibt Paris (auch) in künstlerischer Hinsicht ein Ballungszentrum, das sich aufgrund seiner Monopolstellung nicht mit Berlin vergleichen lässt - und das, obgleich sich die Stadt seit Mauerfall und Wiedervereinigung in ein wahres Eldorado für Künstler aus der ganzen Welt entwickelt hat, in das mehr und mehr kulturelle Institutionen und Unternehmen (wie beispielsweise Verlagshäuser) umsiedeln und Internationalität als Selbstverständlichkeit erscheint. Während aber, um ein Beispiel aus dem Theaterbereich als einem weitgehend institutionalisierten Sektor zu wählen, die regional orientierte Kulturpolitik nach Selbstdarstellung im nationalen Feld zu streben scheint, sucht die zentralistische nach nationaler Repräsentation im internationalen Kontext: So lädt das jährlich stattfindende Berliner Theatertreffen ausgewählte Inszenierungen aus ganz Deutschland ein, um diese „zentral“ zu präsentieren, wohingegen das Festival d’Automne oder auch das (weitgehend national finanzierte) Festival d’Avignon einen deutlich internationalen Akzent besitzen, da die herausragenden nationalen Produktionen ohnehin in Paris präsentiert werden müssen, um als solche wahrgenommen werden zu können. Vielleicht spiegeln sich in dieser differenten Kunstpraxis dann doch Reste jener (alten), immer wieder gern zitierten Dichotomie zwischen der deutschen Vorstellung von Kultur und dem französischen Zivilisationsbegriff: Paris steht für das alles vereinende zivilisatorische Großstadtprinzip; Berlin fungiert hingegen - zumindest in diesem Sektor - als Plattform einer lokal verwurzelten Kunst und Kultur. 3. Der Mittler im Spannungsfeld von Kultur- und Kunsttransfer Kommen wir nach diesen grundlegenden Reflexionen über das Spannungsverhältnis von Kultur und Kunst nun zurück zur Bestimmung des Mittlers im Feld der deutsch-französischen Transfergeschichte nach 1945. Die 2012 erschienene Untersuchung „Deutsch-Französische Beziehungen als Modellbaukasten? “, die darauf zielt, den erfolgreichen deutsch-französischen Aussöhnungsprozess in ihrer Beispielhaftigkeit für die europäische Integration zu untersuchen, fokussiert auf „wirtschaftliche, kulturelle, politische und soziale Beziehungen und Verflechtungen, die die Grenze der Nationalstaaten überschreiten, aber nicht in erster Linie zwischen den Staaten bzw. Regierungen entwickelt werden“. 8 Clémentine Chaigneau und Stefan Seidendorf gehen in ihrer Einleitung dabei von folgender Prämisse aus: „Soll ‚Annäherung’ und ‚Verständigung‘ zwischen Nationen gelingen, dann bedarf dieser Prozess einer dynamischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in die nichtstaatliche, zivilgesellschaftliche Akteure mit einbezogen sind.“ 9 Blickt man auf die kulturellen Beziehungen im Bereich Kunst und Wissenschaft, so lässt sich dieser schön klingende und zunächst einleuchtende Befund allerdings nicht bestätigen. Zwar sind die Fragen der so genannten „Vergangenheitsbewältigung“ auch in diesem Kontext durchaus präsent, sie jedoch als Grundlage oder gar (alleiniges) Antriebsmoment kennzeichnen zu wollen, scheint uns deutlich zu kurz gegriffen. Im Gegenteil überrascht gerade in den 1950er Jahren die zum Teil unvoreingenommene gegenseitige Annäherung und Konfrontation jenseits von Überlegungen über die jüngste deutsch-französische Geschichte und die Nazi-Barbarei. Es gilt mithin zu akzeptieren, dass Motivationen höchst variabel sind und sich keinesfalls allein unter die intentionale Mittlerschaft subsumieren lassen. So verlor beispielsweise der bekannte Theatermacher und Begründer des Festival d’Avignon Jean Vilar 1951 im Programmheft zur französischen Erstaufführung des (deutlich) frankophoben und zudem durch die Instrumentalisierung der Nationalsozialisten heftig diskreditierten „Prinzen von Homburg“ von Kleist, der in Deutschland damals als unspielbar galt, kein einziges Wort zur deutsch-französischen „*Erbfeindschaft“, geschweige 8 Clémentine Chaigneau, Stefan Seidendorf, Einleitung, in: Stefan Seidendorf (Hg.), Deutsch-Französische Beziehungen als Modellbaukasten? Zur Übertragbarkeit von Versöhnung und strukturierter Zusammenarbeit, Baden-Baden 2012, S. 16. 9 Ebd., S. 14f. Nicole Colin, Joachim Umlauf 76 denn zum Grauen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Künstlerische Gründe dominierten ganz offensichtlich bei der Wahl des Stückes, die, vielleicht gerade weil sie politisch weitgehend interesselos waren, eine umso stärkere vermittelnde Wirkung entfaltete. Gleiches gilt für die nach dem Zweiten Weltkrieg sehr rasch einsetzende französische Rezeption von *Martin Heidegger, deren Akteure dessen Verhalten zur Zeit des Nationalsozialismus, das für ihn in Deutschland mit dem Entzug seiner Lehrbefugnis (1946) immerhin schwere Konsequenzen nach sich zog, zunächst nicht thematisierten. Wenngleich in beiden Fällen der Wunsch nach Annäherung an die andere Kultur nach den schrecklichen Erfahrungen des Krieges sicherlich eine Rolle gespielt hat, kam der „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ hier ebensowenig Bedeutung zu wie dem expliziten Gedanken der *Versöhnung. Aber auch was die „nichtstaatliche[n], zivilgesellschaftliche[n] Akteure“ anbelangt, erscheint der oben zitierte Befund differenzierungsbedürftig. Betrachten wir den in den letzten Jahrzehnten zunehmend gebrauchten und teils (über-)strapazierten Begriff der „Zivilgesellschaft“ im Blick auf seine historische Herkunft aus der „bürgerlichen Gesellschaft“, so ist, jenseits bestimmter Bedeutungsverschiebungen, weiterhin festzustellen, dass es ihren „Mitgliedern [...] - überspitzt gesagt - nicht darum [geht], politische Herrschaft auszuüben, sondern Teilhabe an der Staatsgewalt zu gewinnen, um ihre wirtschaftlichen - und kulturellen und religiösen - Interessen sicherzustellen“. 10 Diese prinzipielle Negierung eines Herrschaftsanspruches führte historisch betrachtet dazu, dass der Begriff „Bourgeoisie“ zur „abgrenzenden Kennzeichnung für all diejenigen wurde, die weder manuell, noch intellektuell, noch politisch führend tätig waren“. 11 Will man diese begriffshistorische Prämisse nun rückbeziehen auf die Position jener „nichtstaatliche[n], zivilgesellschaftliche[n] Akteure“ im Feld der Kulturvermittlung, lässt sich konstatieren: Auch Wissenschaftler und Künstler sind als Bürger Teile der Zivilgesellschaft, grenzen sich in ihrer beruflichen Funktion jedoch prinzipiell von dieser ab, insofern sie qua professionellem Selbstverständnis nach Autonomie und Exzellenz streben und darin (beispielsweise als Avantgardist oder Pionier) explizit oder implizit jenen Führungsanspruch affirmieren, der dem zivilgesellschaftlichen Engagement fremd ist. Zudem können sich ihre Aktivitäten mitunter durchaus in Abweichung oder sogar in deutlichem Widerspruch zu den zivilgesellschaftlichen Interessen und Vorgaben befinden. Im Kontext der vorangestellten Überlegungen zum (schwierigen) Verhältnis zwischen Kultur und Kunst lassen sich auf der Grundlage dieser zivilgesellschaftlichen Binnendifferenz die integrativen und exkludierenden Momente von Kunst als Kultur - jenseits der inzwischen unbefriedigenden Dichotomie von Kultur und Zivilisation - besser verstehen. Innerhalb der Zivilgesellschaft besitzt die Kultur mäßigende, verallgemeinernde, ja zivilisatorische Aspekte; auf den Künstler als Künstler bezogen dominiert hingegen ihre ausgrenzende Funktion. Stärker noch als in der nationalen Kulturarbeit stellt diese Spannung (und nicht selten Verwirrung) zwischen den zivilgesellschaftlichen Bestrebungen einerseits und der auf Autonomie und Freistellung von Zweckbindungen zielenden künstlerische Produktion andererseits ein zentrales (allerdings viel zu selten thematisiertes) Problem der Kulturvermittlung dar. Denn während Museen, Stipendienprogramme und selbst Theater sich ganz selbstverständlich einem „interesselosen“ Kunstverständnis unterordnen, verfolgen im Ausland tätige Kulturinstitute, wie das *Goethe-Institut oder *Institut français, explizite zivilgesellschaftliche Aufgaben, „benutzen“ also gewissermaßen die Kunst als Mittel zum Zweck. Angesichts der dargelegten Probleme und Widersprüche erscheint es im Kontext eines erweiterten Mittlerbegriffes schwierig, eine Typisierung der Akteure über eine Beschreibung ihrer Tätigkeiten oder modi operandi vorzunehmen. Stattdessen sollte - aus genannten Gründen - vielmehr das Selbstverständnis der Akteure hinterfragt werden. Wenn geklärt ist, ob es sich um eine 10 Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 406. 11 Ebd., S. 445. Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff 77 intentionale oder eine nichtintentionale Vermittlung handelt, kann man in einem zweiten Schritt, die Verflechtungen, Schnittstellen und Wechselwirkungen der beiden Typen beschreiben und analysieren. 4. Wechselwirkungen: Intentionale und nichtintentionale Vermittlung Die Gruppe der intentionalen Mittlerfiguren umfasst im wesentlichen Deutschlandexperten in Frankreich, Frankreichspezialisten in Deutschland sowie Experten des so genannten franco-allemand in beiden Ländern. Zu trennen sind in dieser Gruppe die nichtgesteuerten von den gesteuerten, in staatlich geförderten Institutionen tätigen Mittler, die einen intentionalen, auf Information, Werbung, Völkerverständigung, *Versöhnung oder ähnliche Ziele ausgerichteten Kulturtransfer anstreben, der heutzutage bisweilen durch den Begriff der public diplomacy ersetzt wird. Mit Bildungsangeboten, Austausch- und Kulturprogrammen, Studiengängen etc. richten sich diese Organismen an sehr unterschiedliche Zielgruppen und kümmern sich auch um den eigenen Nachwuchs, d.h. die neue Herausbildung von Frankreich- und Deutschlandexperten bzw. Mittlerfiguren. Ungesteuerte Vermittlung betreiben hingegen Künstler oder Wissenschaftler bzw. entsprechende Institutionen, die aus in der Regel zufälligen Gründen Teil des Kulturtransfers geworden sind, sich selber jedoch - das wurde an den Beispielen *Bertolt Brecht und *Gisèle Freund gezeigt - häufig nicht als Mittler begreifen. Individuell zu entscheiden wäre ferner, unter welche Gruppe sich Akteure rechnen lassen, die aus (vornehmlich) ökonomischen Gründen am kulturellen Transfer partizipieren. So kann die Erschließung eines ausländischen Marktes es einerseits notwendig machen, sich diesem auch kulturell zu nähern und anzupassen, andererseits können neue Produkte (wie beispielsweise der Fall *Prisma Presse zeigt) diesen bisweilen durchaus aber nachhaltig beeinflussen. Für den Bereich der Wissenschaft lassen sich die Prinzipien beider Mittlergruppen und -untergruppen gleichermaßen anwenden: Während eine Vielzahl an Philosophen, Soziologen, Mediziner oder Physiker, deren Arbeit im Nachbarland von Bedeutung ist, keinerlei primäres Interesse am Kulturtransfer haben und sich selber auch nicht als Mittler verstehen, sind die Tätigkeiten der französischen Germanisten und deutschen Romanisten, wie beispielsweise *Jean-Marie Valentin oder Jacques Le Rider bzw. *Michael Nerlich oder Dorothee Röseberg, die oft durch ihre Übersetzungen und Herausgebertätigkeit über die Hochschulen hinaus gesellschaftlich wirken, in jedem Fall durch ihr Interesse am Anderen intentional gesteuert und konstitutiver Teil des franco-allemand . Das gilt auch für französische Ideengeschichtler, Linguisten und Historiker, die in der Germanistik tätig sind, sich aber zumeist in erster Linie ihren Fächern wie der Philosophie oder der Geschichte verbunden fühlen. Michael Werner und Michel Espagne, Gérard Raulet, Jérôme Vaillant oder Hélène Miard-Delacroix, René Lasserre oder Henri Ménudier sind aufgrund ihres spezifischen Forschungsinteresses und Wirkens als intentionale Mittler zu bezeichnen, die sich durch Politikberatung und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, nicht zuletzt aber auch durch die von ihnen lancierten Vernetzungen der Wissenschaftsfelder beider Länder ausgezeichnet haben. Zu untersuchen ist allerdings in jedem einzelnen Fall, inwiefern die in der Regel an die Universität als staatliche Institution gebundene Tätigkeit jener intentionalen Mittler auch eine gesteuerte Form der Vermittlung impliziert. Das der Universität Sorbonne Nouvelle zugehörige (2012 nach Paris-Censier umgezogene) *Institut d’Allemand d’Asnières, das hinsichtlich der prozentualen Präsenz seiner Absolventen im franco-allemand eine herausragende Stellung einnimmt, zeigt, wie wichtig die Wechselwirkungen zwischen persönlichem Engagement und gesteuerter Vermittlung mitunter sein können. Maßgeblich für den Erfolg des Instituts verantwortlich waren *Pierre Bertaux und *Hansgerd Schulte, denen es, den Gesetzen der strukturellen Homologie folgend, gelungen ist, ihre eigenen fachlichen Interessen in eine nachhaltige und kulturpolitisch Nicole Colin, Joachim Umlauf 78 bedeutsame Vermittlungsarbeit zu transformieren. Während *Bertaux mit seinem kulturwissenschaftlichen Zugang zur Germanistik (dessen methodische Bedeutung für das Fach bisher noch nicht ausreichend untersucht wurde) sich als französischer Vordenker eines Paradigmenwechsels erwies, den die Mutterdisziplin erst Jahrzehnte später nachvollziehen sollte, hat *Schulte in der Aufbauphase des *DAAD in Frankreich entscheidende Weichen gestellt, deren Folgen auch noch heute deutlich spürbar sind, wenngleich die Frankreichpolitik schon lange nicht mehr zu einer der zentralen Zielvorgaben des *DAAD gehört. Im Gegensatz zu diesem Beispiel, lässt sich die Wirkung des vordringlich institutionell (durch den *DAAD) gesteuerten ENA-Programms für Deutsche sowie die Arbeit von Institutionen wie dem *Deutschen Historischen Institut und dem *Deutschen Kunstforum in Paris, des *Centre Marc Bloch oder des *Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, der *Robert Bosch Stiftung, des *Goethe-Instituts bzw. des *Instituts français’ oder auch der Alexander von Humboldt-Stiftung nicht auf herausragende Mittlergestalten zurückführen - wenngleich es in jeder dieser Institutionen solche gegeben hat, die teils, wie z.B. *Robert Picht, auch in diesem Lexikon Aufnahme gefunden haben. Im Blick auf die strukturellen Homologien des Feldes erscheint eine abgrenzende Analyse der Ziele, Vorstellungen und Aufgaben der verschiedenen Mittlertypen weniger erfolgversprechend als eine Netzwerkanalyse, d.h. die Untersuchung der Beziehungen zwischen dem (recht diffusen) Feld der nichtintentionalen und der (gesteuerten oder nichtgesteuerten) intentionalen Vermittlung: In welchem Verhältnis stehen Regisseure, Maler, Literaten und Wissenschaftler zu den Experten des franco-allemand und seinen Institutionen? Wie werden die Akteure einer intentionalen Vermittlung lebensgeschichtlich durch die Akteure des nicht intentionalen Kulturtransfers beeinflusst - und umgekehrt? Interessant erscheinen dabei vor allem Mittlergestalten, die sich an der Schnittstelle der verschiedenen Felder bewegen. Wie ließe sich beispielsweise das Leben von *Nicole Bary als einer Akteurin der (gesteuerten und nichtgesteuerten) intentionalen sowie nichtintentionalen Vermittlung gleichermaßen beschreiben und analysieren? In welchem Verhältnis stehen eigene lebenspraktische Aspekte (Familien- und Liebesbeziehungen, Freundschaften), Forschungsinteressen und Institutionenziele? Private Kontakte fußen im deutsch-französischen Feld nicht selten auf von staatlichen Institutionen vorgegebenen Programmen - und umgekehrt. Da das bei (jungen) Deutschen nach wie vor sehr rege touristische Interesse an Frankreich - insbesondere an Paris und der Mittelmeerküste - und die entsprechenden Ferienaufenthalte nicht unbedingt nachhaltige Kontakte nach sich ziehen, versuchen beispielsweise Austauschprogramme (wie sie von dem *DFJW oder *BILD angeboten werden) in „gesteuerter“ Form die flüchtige Begegnung auf Dauer zu stellen. Solche Programme können zweifellos einen ersten wichtigen und für die spätere Berufslaufbahn eines zukünftigen Mittlers vielleicht entscheidenden Anstoß geben. Aber sind in der Regel für die Teilnahme an solchen Austauschprojekten besondere Kenntnisse oder zumindest ein Interesse am Partnerland nicht bereits implizite Voraussetzung? Was ist wichtiger für den nachhaltigen Kulturtransfer? Ein genuines Interesse oder die strukturelle Einbindung dieses Interesses? Huhn oder Ei? Das Ziel einer solchen noch zu leistenden qualitativen Netzwerkanalyse wäre in diesem Sinne auch eine über die historische Beschreibung der Mittlerbiographien hinausgehende Bestimmung der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Positionen der deutsch-französischen Kulturbeziehungen - auch im Sinne eines Konkurrenzverhältnisses. Denn während die Akteure und Institutionen des intentionalen Transfers das so genannte franco-allemand bereichern und bestimmen, vollziehen sich die Aktivitäten der zweiten Gruppe in einem diffusen Raum, der sich, mit *Bourdieu gesprochen, als ein deutsch-französisches Kulturfeld bezeichnen ließe, dessen Umfang, Grenzen und Regeln indes nicht mit der Summe der nationalen champs culturels identisch sein kann und insofern noch genauer zu bestimmen wäre: Ist das franco-allemand ein Teil des deutschfranzösischen Kulturfelds oder bildet es mit diesem bloß eine Schnittmenge? Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff 79 Hier zeigt sich indirekt auch die Bedeutung zeitlicher Implikationen für die Klassifikation von Mittlern. Ein interessantes Beispiel gibt in diesem Kontext der französische Ex-Premierminister Jean-Marc Ayrault. Die Frage, ob sich Ayrault aufgrund seiner langjährigen engen Beziehungen zu Deutschland in seiner staatlichen Funktion weiterhin als Mittler verstehen konnte, wäre zu diskutieren. Ebenfalls geändert hatte sich die intentionale Mittlerfunktion seines Beraters Jacques- Pierre Gougeon, der zuvor als *Hochschulgermanist sowie Kulturattaché an der Französischen Botschaft in Berlin und danach als recteur der Académie de Strasbourg mehrfach vom nichtgesteuerten in den gesteuerten Bereich wechselte. Hier zeigt sich, dass Mittlersein kein statischer Zustand ist und neben räumlichen auch zeitlichen Bedingungen unterworfen ist, die genauer zu untersuchen sind - ähnlich wie Werner und Zimmermann dies in ihrer Konzeption der Histoire croisée für die Transfergeschichte allgemein beschreiben. 5. Krisendiskurse: Ein deutsch-französisches Kulturfeld jenseits der Versöhnung? Eine besondere Bedeutung für die zeitlichen Bedingungen des Mittlerdaseins besitzt der im deutsch-französischen Diskurs der letzten Jahre auffallend inflationär benutzte Begriff der „Krise“. Nun rekurrieren die Krisen der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 - trotz konkreter Probleme wie z.B. des Deutschlernerschwunds in Frankreich - weder auf eklatante Spannungen auf politischer Ebene noch dramatische Entwicklungen im Bereich des kulturellen Austauschs und sind in keiner Weise mit den Krisen vor 1945 vergleichbar. Im Blick auf die von Reinhart Koselleck unterschiedenen semantischen Kategorien der Krise - als Prozess (Geschichte als Dauerkrise), iterativer Periodenbegriff (d.h. als ein einmaliger, sich beschleunigender Vorgang) oder als teleologischer Zukunftsbegriff (die schlechthin letzte Krise) - handelt es sich bei der Krise der deutsch-französischen Kulturbeziehungen zweifellos um die zweite Möglichkeit, hinter der, wie beim ökonomischen Krisenbegriff, eine Gleichgewichtsmetaphorik steht: Auf eine solche Krise, die entsteht, „wenn das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Konsumption und Produktion, zwischen Geldumlauf und Warenlauf so gestört wird, dass Rezessionen, Rückschritte allenthalben sichtbar werden“, folgt in der Regel eine gesteigerte Produktivität. 12 Die Krise setzt insofern die deutsch-französischen Beziehungen in ein Wechselverhältnis zum francoallemand , deren Akteure, wie Katja Marmetschke ausführt, „gerade dann ihr kreatives Potenzial entfalteten, wenn sich die offiziellen Kontakte zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Tiefpunkt befanden.“ 13 Aus dieser Perspektive bringt die immer wieder gern beschworene Krise der deutsch-französischen Beziehungen die Angst zum Ausdruck, dass diese ihren Ausnahmestatus und Vorbildcharakter verlieren könnten. In diesem Sinne sind Krisendiskurse konstitutiver Teil einer Besitzstandswahrungsstrategie der in dem Feld tätigen Akteure bzw. ein identitätsbildendes Moment des deutsch-französischen Kulturfeldes. So beziehen die Akteure ihre eigene Bedeutung nicht unwesentlich aus der ständigen Beschwörung eines Mangels an gegenseitigem Interesse und Verständnis, der letztlich den Bedarf an neuem Engagement sicherstellt. Die Krise bildet auf diese Weise die Legitimationsgrundlage gegenüber Politik und Zivilgesellschaft, die das Angebot immer wieder strukturell in den Blick nehmen, um es zu sichern, zu korrigieren, auszubauen bzw. zu begrenzen und auch auf seine langfristige Wirksamkeit hin zu untersuchen. Im Mittelpunkt der Krisendebatten steht die Angst vor einem zunehmenden wechselseitigen Desinteresse an der deutschen bzw. französischen Kultur und insbesondere (seit Mitte der 1990er Jahre) der Sprache des anderen. Die Beurteilung dieser Indifferenz geht mitunter allerdings weit auseinander: Han- 12 Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 204. 13 Marmetschke, Einleitung, S. 12. Nicole Colin, Joachim Umlauf 80 delt es sich um das beunruhigende Symptom eines fatalen Rückfalls in frühere konfliktreiche Zeiten oder einfach nur um eine Folge der Normalisierung? Zwei bekannte Wissenschaftler, Peter Sloterdijk und Pierre Nora, haben in neuerer Zeit auf diese Frage geantwortet und sind dabei zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. So vertritt Sloterdijk 2008 in seiner „Theorie der Nachkriegszeiten” die Meinung, dass freundschaftliche Annäherung notwendigerweise den Verlust eines stimulierenden Interesses nach sich zieht - worin für ihn, insbesondere im Blick auf die politischen Krisenherde in der Welt, aber gerade das Modellhafte der deutsch-französischen Beziehungen liegt: „Macht es wie wir, interessiert euch nicht zu sehr füreinander! “ 14 Auch Pierre Nora ist davon überzeugt, dass sich Deutsche und Franzosen nicht mehr wirklich für einander interessieren: „Man hat sich auseinandergelebt“ - so sein Befund in einem im Februar 2012 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Interview. Im Gegensatz zu Sloterdijks ironischem „Lob der Indifferenz“ empfindet Nora das anwachsende Desinteresse an der Sprache und Kultur des anderen jedoch als „gravierend und besorgniserregend“. 15 Die Urteile der beiden Nicht-Experten erscheinen im hier verhandelten Kontext besonders interessant, weil sie, wenngleich ihre Arbeiten nachhaltige Spuren im Nachbarland hinterlassen haben, als nichtintentionale Mittler nicht im Verdacht stehen, den Besitzstandsdiskurs zu bedienen. So gibt sich Nora selbst als ein Desinteressierter zu erkennen, der mit schlechtem Beispiel vorangeht und kaum persönlichen Beziehung zu Deutschland unterhält: „Was mich betrifft, so habe ich das Gefühl, dass mir die deutsche Kultur relativ fremd ist.“ 16 Umgekehrt sind Sloterdijks sehr guten Kenntnisse der französischen Sprache kein Indiz für profundes Wissen über das deutsch-französische Kulturfeld, geschweige denn das franco-allemand . Beide Wissenschaftler interessieren sich, wenn überhaupt, für die ihre eigenen Forschungsinteressen betreffenden Wissenschaftsfelder (also Philosophie und Geschichte) und deren Akteure im jeweils anderen Land. Trotz aller kritisierbaren und nachweislich an der Realität vorbeizielenden Behauptungen hat ihr kritischer und freier Umgang mit den Heiligtümern des deutsch-französischen *Versöhnungsdiskurses, inklusive ihrer Affirmation der eigenen Indifferenz, durchaus produktive Wirkungen im deutsch-französischen Kulturfeld gezeitigt. So lösten ihre Stellungnahmen in den Expertenkreisen des franco-allemand heftige Diskussionen aus und boten Anlass Grundpositionen neu zu justieren. Auf Pierre Noras Ausführungen reagierte u.a. der Leiter des *Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigburg Frank Baasner sowie der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel mit einer kritischen Stellungnahme in der „FAZ“; eine Gruppe renommierter *Romanisten - darunter *Michael Nerlich, Wolfgang Asholt und Henning Krauß - veröffentlichen in der Internetausgabe von „Le Monde“ einen Beitrag, der Nora eher Recht gab. Vor dem Hintergrund dieser und anderer Reaktionen sollten die Nicht-Experten Sloterdijk und Nora als Mittler und Teil des Feldes ernst genommen und die Auswirkungen ihrer Behauptungen auf die deutsch-französischen Netzwerke untersucht werden. So wie nach Jahrzehnten intentionaler Interkulturalitätsforschung inzwischen endlich gewagt wird, Vorurteile, die es bisher als negativ konnotierte Phänomene im Blick auf ein anzustrebendes gegenseitiges „Verständnis“ allein abzuwehren und abzubauen galt, in ihrer sachlichen oder psychologischen Funktion zu betrachten, muss im Kontext der Mittlerforschung berücksichtigt werden, dass ein lebendiger Kulturaustausch immer auch Friktionen, Konflikte und Reibungen impliziert, die oft genug ebenso produktive Wirkungen zeitigen wie das Streben nach Symbiose und *Versöhnung. In die- 14 Peter Sloterdijk, Theorie der Nachkriegszeiten. Bemerkungen zu den deutsch-französischen Beziehungen nach 1945, Frankfurt/ M. 2008, S. 71f. 15 Pierre Nora, Wir haben uns auseinandergelebt, Ein Gespräch über das deutsch-französische Verhältnis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 41 (17.2.2012). 16 Ebd. Akteure im deutsch-französischen champ culturel . Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff 81 sem Sinne können Akteure wie Nora und Sloderdijk mitunter durchaus von den kulturpolitischen oder zivilgesellschaftlichen Vorgaben des Transfers abweichen oder sogar in deutlichem Widerspruch zu diesen handeln. Gerade in angespannten politischen Situationen (wie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg) haben nichtintentionale Mittler - wie Brecht, Freund und Vilar - nicht zuletzt darum eine produktive und nachhaltige Wirkung entfaltet, weil sie aufgrund ihrer politisch (zumindest in dieser Hinsicht) weitgehend interesselosen Haltung nicht verdächtig werden konnten, Propaganda zu betreiben. Die einzigartige Dynamik und Produktivität der deutschfranzösischen Kulturbeziehungen nach 1945 ergäbe sich in diesem Sinne nicht aus der teleologischen Idee der *Versöhnung, sondern spannungsreichen Wechselbeziehungen unterschiedlichster Impulse. Vor diesem Hintergrund verspricht eine stärkere Berücksichtigung der distanzierten Partizipation nichtintentionaler Akteure der Erforschung der deutsch-französischen Beziehungen neue Perspektiven zu öffnen. Denn eine solche Erweiterung des Mittlerbegriffs impliziert eine Infragestellung seiner einseitig auf Harmonisierung ausgerichtete Konnotation und verlangt notwendigerweise nach einer Ausdifferenzierung seiner Wertigkeit. Dabei gibt es neben dem politisch korrekten „Versöhner“ und dem primär selbstbezogenen Künstler oder Wissenschaftler noch weitere Akteure im Feld der bilateralen Beziehungen, die vermittelnde Funktionen erfüllen. So erforscht gegenwärtig - um einmal das Feld des franco-allemand zu verlassen - der niederländische Historiker Krijn Thijs anhand von Feldpostbriefen die kulturell vermittelnde Funktion von deutschen Wehrmachtssoldaten während der Besatzung in Holland, die auch nach dem Krieg in beiden Ländern gleichermaßen Spuren hinterlassen hat. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Frankreich. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden im zeitlichen Abstand Akteure sichtbar, die sich, nicht zuletzt weil sie mitunter sehr weitab vom Gedanken der „Versöhnung“ standen, im toten Winkel der von diesem Gedanken erfüllten Wissenschaftler und ihrem entsprechend allein positiv konnotierten Mittlerbegriff befanden. Die vorgeschlagene neue Perspektivierung des Mittlers jenseits moralischer Zuschreibungen und Prämissen bietet insofern auch Anschlussmöglichkeiten an die aktuellen Standards der Transferforschung als Histoire croisée im Blick auf die hier geforderte kritische Hinterfragung des eigenen interessegeleiteten Standpunktes. Denn letztlich lässt sich das wissenschaftliche Selbstverständnis der Transferexperten nicht von ihren Vorstell en darüber, was ein Mittler ist, trennen. Anders formuliert: Ist der positive Mittlerbegriff nicht letztlich Teil einer Selbstinszenierungsstrategie der Wissenschaftler im Zeichen der Versöhnung? Bock, Hans Manfred, Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005. Bourdieu, Pierre, Les règles de l’art. Genèse et structure du champ littéraire. Paris 2 1998. Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung, Bd. 1, Frankfurt/ M. 1976. Marmetschke, Katja, Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878- 1964) in den deutsch-französischen Beziehungen, Köln/ Weimar/ Wien 2008. Marmetschke, Katja, Was ist ein Mittler? Überlegungen zu den Konstituierungs- und Wirkungsbedingungen deutsch-französischer Verständigungsakteure, in: Michel Grunewald u.a. (Hg.), France- Allemagne au XX e siècle, La production de savoir sur l’autre, Bd. 1, Questions méthodologiques et épistémologique, Bern 2011, S. 183-199. Nora, Pierre, Wir haben uns auseinandergelebt. Ein Gespräch über das deutsch-französische Verhältnis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 41 (17.2.2012). Seidendorf, Stefan (Hg.), Deutsch-Französische Beziehungen als Modellbaukasten? Zur Übertragbarkeit von Versöhnung und strukturierter Zusammenarbeit, Baden-Baden 2012. ung Nicole Colin, Joachim Umlauf 82 Sloterdijk, Peter, Theorie der Nachkriegszeiten. Bemerkungen zu den deutsch-französischen Beziehungen nach 1945, Frankfurt/ M. 2008, S. 71f. Werner, Michael, Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft, Bd. 28 (2002), S. 607-636. Joachim Schild Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 1. Deutsche Vereinigung als Bewährungsprobe Die Einbettung der (west-)deutsch-französischen Beziehungen in den Kontext der europäischen Integrationsstrukturen war eine unverzichtbare Erfolgsbedingung für das Gelingen der bilateralen Annäherung und Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Umgekehrt ist es „keine Übertreibung zu sagen, dass die deutsch-französischen Beziehungen zentral für die Geschichte Westeuropas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren“, so der amerikanische Beobachter Julius W. Friend 1 . Dies gilt insbesondere für ihren gemeinsamen Beitrag zum europäischen Aufbauwerk seit der Entstehung der Montanunion. 2 Die gemeinsame Rolle Deutschlands und Frankreichs in der und für die Europäische Union 3 wurde vielfach als Maßstab für die Qualität einer privilegierten bilateralen Sonderbeziehung herangezogen. 4 Der Ost-West-Konflikt nach 1948 und die deutsche Teilung haben die Entstehung westeuropäischer Integrationsstrukturen und der deutsch-französischen „Entente élémentaire“ 5 entscheidend begünstigt. So musste das Ende des Ost-West-Konflikts 1989/ 91 und die deutsche Wiedervereinigung unweigerlich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des deutsch-französischen Bilateralismus in der Europäischen Union aufwerfen. Drohten die Antriebskräfte, die die enge bilaterale Kooperation historisch befördert hatten, aufgrund dieses Strukturbruchs in den internationalen Beziehungen zu versiegen? War die innereuropäische und deutsch-französische Machtbalance durch die Wiedervereinigung empfindlich gestört? Würde das Projekt europäischer Integration nach dieser weltpolitischen Zäsur an Bedeutung für die Außenpolitik beider Länder verlieren? Würde Deutschland seine neugewonnenen Machtressourcen in den Dienst nationalegoistischer Ziele stellen? In der Wahrnehmung der stark in machtpolitischen Gleichgewichtskategorien denkenden französischen politischen Klasse konnte das absehbar größere wirtschaftliche Gewicht eines auch außenpolitisch und potentiell militärisch aktiveren, wiedervereinigten Deutschlands nicht mehr in demselben Maße wie in der Vergangenheit mit einem überlegenen außenpolitischen Status und Rang Frankreichs aufgewogen werden. Dabei wurde die Reichweite des vereinigungsbe- 1 Julius W. Friend, Unequal Partners, Franco-German Relations, 1989-2000, Westport, Connecticut und London 2001, S. XIII. Die Übersetzungen dieses und weiterer fremdsprachlicher Zitate stammen vom Autor. 2 Einen Überblick über die Entwicklung deutsch-französischer Beziehungen im europäischen Integrationsrahmen seit dem Élysée-Vertrag von 1963 geben Ulrich Krotz, Joachim Schild, Shaping Europe. France, Germany, and Embedded Bilateralism from the Elysée Treaty to Twenty-First Century Politics, Oxford 2013. Einen Überblick über jüngere Entwicklungen geben Martin Koopmann, Joachim Schild, Hans Stark (Hg.), Neue Wege in ein neues Europa: Die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, Baden- Baden 2013. 3 Im Folgenden ist vereinfachend durchgängig von der Europäischen Union die Rede, auch wenn ihre historischen Vorläufer - Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bzw. Europäische Gemeinschaften - gemeint sind. 4 Dies ist etwa der explizite Bewertungsmaßstab im Standardwerk von Gilbert Ziebura, Die deutschfranzösischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997. 5 Hans-Peter Schwarz, Eine Entente élémentaire. Das deutsch-französische Verhältnis im 25. Jahr des Élysée- Vertrages, Bonn 1990. Joachim Schild 84 dingten relativen Macht- und Einflussgewinns Deutschlands von einer verunsicherten französischen Elite häufig deutlich überschätzt. Nicht nur die langfristigen Auswirkungen der deutschen Einheit, sondern auch der Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten bildeten eine harte Bewährungsprobe für das bilaterale Verhältnis. 6 Es spricht für die Solidität einer über Jahrzehnte gewachsenen bilateralen Sonderbeziehung, dass sie diese Phase des wechselseitigen Misstrauens und der Irritation im Kern unbeschadet überstanden hat. Ja mehr noch: Diese historische Zäsur wurde europapolitisch produktiv verarbeitet. Das Erfolgsrezept der Vergangenheit diente erneut zur gemeinsamen Gestaltung der europäischen Zukunft: dem französischen Motiv der Einbindung und damit Kontrolle des deutschen Machtpotentials im Rahmen zu vertiefender europäischer Integrationsstrukturen entsprach auf deutscher Seite der fortdauernde Wille zur Selbsteinbindung eines „europäischen Deutschlands“ in westliche Integrationsstrukturen, allen voran in die NATO und in die Europäische Union. Die Politik der Selbstbeschränkung Deutschlands fand ihren Ausdruck im Verzicht auf Kernbereiche nationaler Souveränitätsrechte. Nichts unterstreicht dies deutlicher als die Bereitschaft, zugunsten der europäischen Währungsunion die DM aufzugeben, das identitätsstiftende Symbol schlechthin für das Nachkriegs-„Wirtschaftswunder“ und die erfolgreiche ökonomische Entwicklung des westdeutschen Teilstaates. 2. Maastrichter Verträge: Deutsch-französische Führung in Zeiten des Umbruchs Die Maastrichter Verträge, Ende 1991 ausgehandelt und seit November 1993 in Kraft, waren die europäische Antwort auf die neue „deutsche Frage“. Ohne eine energische deutsch-französische Führung im Vertragsreformprozess, tatkräftig unterstützt durch EU-Kommissionspräsident Jacques Delors, wäre dieser Meilenstein der europäischen Integrationsgeschichte kaum möglich gewesen. Frankreich verband mit diesem Vertragswerk das zentrale Interesse an einer europäischen Währungsunion, die der geld- und währungspolitischen Dominanz der Bundesrepublik und der Bundesbank in Europa ein Ende setzen sollte. Bundeskanzler Kohl sah in der Währungsunion seinerseits ein probates Mittel, um der Einbindung Deutschlands in europäische Integrationsstrukturen einen unwiderruflichen Charakter zu verleihen und seine Nachfolger damit auf die Bewahrung und Fortführung des europäischen Einigungswerkes festzulegen. Der Preis, den Frankreich für die deutsche Bereitschaft zur Aufgabe der DM bezahlen musste, bestand darin, den „Export“ des deutschen institutionellen Modells zur Garantie geldpolitischer Stabilität auf die europäische Ebene zu akzeptieren. Ohne die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ohne ihre vorrangige Verpflichtung auf das Ziel der Preisstabilität wäre eine Zustimmung der Bundesrepublik zum Vertrag innenpolitisch nicht durchsetzbar gewesen. Frankreich musste 1996/ 97 widerstrebend sogar die Präzisierung und Verschärfung des fiskalpolitischen Regelwerks der Verträge in Form des Stabilitäts- und Wachstumspakts akzeptieren. Seine eigenen Vorstellungen zur Entwicklung einer europäischen „Wirtschaftsregierung“ in Form einer institutionellen Stärkung der (bisher informellen) Eurogruppe und einer stärkeren Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken konnte Paris aber selbst im Kontext der Eurokrise des Jahres 2010 nur in Ansätzen durchsetzen. Die Bundesregierung versuchte als Flankierung zur Währungsunion auch die Politische Union auf der Maastrichter Agenda zu verankern. Diese stand als Chiffre sowohl für eine Institutionenreform entlang supranational-föderaler Leitbilder, insbesondere eine Aufwertung des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat, als auch für eine Verstärkung oder gar Vergemein- 6 Vgl. den Beitrag von Reiner Marcowitz in diesem Band; vgl. aus französischer Sicht: Frédéric Bozo, Mitterrand, la fin de la guerre froide et l’unification allemande. De Yalta à Maastricht, Paris 2005. Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 85 schaftung der außenpolitischen Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Dieser Teil der Maastrichter Reformagenda wurde von Frankreich nur sehr halbherzig unterstützt, eine supranational angelegte Außenpolitik mit Mehrheitsentscheidungen im Rat sogar rundweg abgelehnt. Der Vertragsteil zur Politischen Union blieb in Maastricht deutlich hinter den deutschen Erwartungen zurück, begrenzte Vertiefungsschritte waren vor allem in puncto Aufwertung des Europäischen Parlaments zu verzeichnen. Dieses erhielt in einigen Bereichen neue Mitentscheidungsrechte, vor allem in der Binnenmarktgesetzgebung. 7 3. Irritationen und Spannungen im Jahrzehnt nach Maastricht Auf die europapolitisch produktive Verarbeitung der welthistorischen Zäsur von 1989/ 91 mit dem Meilenstein des Vertrags von Maastricht folgte eine schwierige Phase der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen. Nach Abschluss der Vertragsreform von Maastricht waren beide Länder bis zum 40. Jahrestag des *Élysée-Vertrags am 22. Januar 2003 seltener als zuvor in der Lage, in Bezug auf zentrale europapolitische Herausforderungen eine gemeinsame Linie zu finden. In der fundamentalen Frage der politischen Neuordnung des europäischen Kontinents nach der Zeitenwende 1989/ 91 lagen die anfänglichen Positionen beider Staaten weit auseinander. Präsident François Mitterrand hatte schon in seiner Neujahrsansprache zum Jahr 1990 die Idee einer europäischen Konföderation zur langsamen Annäherung der postkommunistischen Transformationsstaaten an die Europäische Union ins Spiel gebracht. Die Vertiefung der EU besaß für ihn klare Priorität vor ihrer Erweiterung. Dies gilt für die Kohl-Regierung allenfalls bis zum Abschluss der Maastrichter Verträge. Danach wurde Bonn zunehmend zum Fürsprecher einer raschen Erweiterung der EU, die sie im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft 1994 aktiv vorantrieb. Die zügige EU-Osterweiterung bildete eine strategische Priorität der Außenpolitik der Bundesrepublik. Sie wollte vermeiden, als EU-Randstaat dauerhaft und hautnah mit den sicherheits- und migrationspolitischen Risiken einer potentiell instabilen östlichen Nachbarschaft konfrontiert zu werden. Nach dem endgültigen Scheitern der Konföderationsinitiative 1993 am Desinteresse der mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten sah sich auch Frankreich gezwungen, sich der Perspektive der EU-Erweiterung zu öffnen. Doch blieb es fast durchgängig bis zum Vollzug der Osterweiterung im April 2004 im Lager der Erweiterungsskeptiker und Bedenkenträger. Neben Befürchtungen, dass das vereinigte Deutschland der Hauptgewinner der Osterweiterung sein würde - ökonomisch wie politisch - und eine Art neuer Einflusssphäre in Mitteleuropa etablieren könnte, war dies vor allem der Sorge um die innere Kohäsion einer erweiterten und damit wirtschaftlich, politisch und kulturell heterogeneren Union geschuldet. Auch in der Bundesrepublik wuchsen die Bedenken im Hinblick auf die Kosten der Erweiterung - vor allem im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit -, insbesondere nach dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder 1998. Gleichwohl setzte sich Berlin weiterhin für einen erfolgreichen Abschluss des Erweiterungsprozesses ein und nahm in Kauf, dass die institutionelle Reform der EU zum Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war - eine politische Wette auf die Chance einer „nachholenden Vertiefung“ der EU. Parallel zu den Maastrichter Verhandlungen wurden auch divergierende Sichtweisen zum Jugoslawienkonflikt offenkundig. Während Präsident Mitterrand in dem Konflikt eine guerre de tribus (Stammeskrieg) zu erkennen glaubte, dem die Europäische Union in einer neutralen Mittlerrolle zu begegnen habe, interpretierte die Kohl-Regierung den Konflikt als serbischen Aggressionskrieg gegen die abtrünnigen Teilrepubliken. Sie betrieb gegen den hinhaltenden Widerstand 7 Vgl. Colette Mazzucelli, France and Germany at Maastricht. Politics and negotiations to create the European Union, New York 1997. Joachim Schild 86 Frankreichs (und der Mehrzahl der EU-Partner) eine Internationalisierung des Konflikts durch eine rasche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, um ihm Einhalt zu gebieten - ohne allerdings selbst wirksam militärisch eingreifen zu können oder zu wollen. Im Verlauf des Bosnienkrieges gelang es nur mühsam, etwa mittels gemeinsamer Erklärungen und bilateraler Initiativen der Außenminister Alain Juppé und Klaus Kinkel, die Positionen zwischen Paris und Bonn anzunähern und zu einer gemeinsamen europäischen Haltung beizutragen. Trotz teilweise erheblicher deutsch-französischer Differenzen, die auch im Kosovo-Konflikt erneut sichtbar wurden, war somit doch ein stetes Bemühen zur politischen Bearbeitung der bilateralen Divergenzen und Konflikte erkennbar. Dies unterstreicht die andauernde Privilegierung dieser bilateralen Sonderbeziehung und die Wahrnehmung ihres Eigenwerts auf beiden Seiten. 8 Die politische Agenda der Europäischen Union war seit Maastricht stark von Vertrags- und Institutionenreformen bestimmt. Letztere bildeten schon den Kern der Amsterdamer Regierungskonferenz 1996/ 97 und sollten die EU auf ihre Erweiterung vorbereiten. Hierzu konnten Frankreich und Deutschland zum damaligen Zeitpunkt nur wenige gemeinsame Impulse liefern. Diese blieben auf ihren erfolgreichen Einsatz zugunsten der vertraglichen Eröffnung von Möglichkeiten der EU-internen Teilgruppenbildung mit dem Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit“ begrenzt. Kernpunkte der Institutionenreform wurden, sehr zum Verdruss Frankreichs, auf die nächste Vertragsreformetappe verschoben. Schon in deren Vorfeld kam es zu manifesten bilateralen Spannungen im Kontext der sogenannten Agenda-2000-Verhandlungen im März 1999 in Berlin, die den mittelfristigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2000-2006 und die Reform der ausgabenintensiven Politikfelder zum Gegenstand hatten. Diese war Voraussetzung für die bevorstehende Osterweiterung, sollte deren Finanzierbarkeit gesichert werden. Die vereinigungsbedingt explodierende Staatsverschuldung hatte die Fähigkeit der Bundesrepublik zur großzügigen Finanzierung europäischer Kompromisspakete deutlich eingeschränkt. Kurz nach seinem Amtsantritt 1998 glaubte Bundeskanzler Gerhard Schröder in populistischer Weise vor einem „Verbraten“ deutscher Gelder in Brüssel warnen zu müssen und strebte eine Verringerung der EU-Agrarausgaben an. Der seit 1995 amtierende französische Staatspräsident Jacques Chirac erwies sich jedoch als unnachgiebiger Verteidiger französischer Bauerninteressen und verwässerte die von der Kommission vorgeschlagene Agrarreform. Deutsche Vorstellungen zu deren Kofinanzierung aus nationalen Haushalten lehnte er kategorisch ab. Die von Gerhard Schröder angestrebte Reduzierung des deutschen Nettoanteils an der Finanzierung des EU-Haushalts konnte unter diesen Bedingungen kaum im angestrebten Maße erreicht werden. Zu einer veritablen deutsch-französischen Belastungsprobe wurden daraufhin die Verhandlungen zum Vertrag von Nizza im Jahr 2000. 9 Kern des Problems war die Stimmenneugewichtung im Rat der EU. Gemeinsam war Deutschland und Frankreich das machtpolitische Interesse an einer Aufwertung des Gewichts der großen gegenüber den kleinen Mitgliedsländern, deren Zahl und zusammenaddiertes numerisches Gewicht im Rat durch die Osterweiterung deutlich wachsen sollte. Allerdings warf diese Stimmenneugewichtung im Ratssystem auch notwendigerweise die Frage einer Änderung der Stimmenparität zwischen Deutschland und Frankreich auf. Diese Stimmenparität sei aber, so Staatspräsident Chirac auf Forderungen aus Berlin nach einer höheren Stimmenzahl für Deutschland, die Lehre aus einer blutigen Geschichte und das Fundament des modernen Europas. Das legitime deutsche Anliegen einer Berücksichtigung seiner Be- 8 Vgl. hierzu: Hanns W. Maull, Bernhard Stahl, Krisenmanagement im Jugoslawienkonflikt. Deutschland und Frankreich im Vergleich, in: Michael Meimeth, Joachim Schild (Hg.), Die Zukunft des Nationalstaats in der europäischen Integration. Deutsche und französische Perspektiven, Opladen 2002, S. 249-278. 9 Vgl. Joachim Schild, „Den Rhein vertiefen und erweitern“? Deutsch-französische Beziehungen nach dem Nizza-Gipfel, in: Aktuelle Frankreich-Analysen, hg. vom Deutsch-Französischen Institut, Ludwigsburg, 7 (2001) 17, S. 1-12 (www.dfi.de/ pdf-Dateien/ Veroeffentlichungen/ afa/ afa17.pdf). Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 87 völkerungsstärke im Institutionensystem der EU stieß in Paris auf taube Ohren. Letztendlich konnte Chirac zwar die Stimmenparität verteidigen; diese wurde aber durch eine Bevölkerungskomponente im Abstimmungsverfahren ergänzt, die das erhöhte demographische Gewicht Deutschlands reflektiert. Damit war in Nizza die Tür schon einen Spalt breit geöffnet, so dass im Vertrag von Lissabon eine doppelte Mehrheit (55% der Mitgliedstaaten und 65% der Unionsbevölkerung) als Abstimmungsregel in Fällen qualifizierter Mehrheitsabstimmungen im Rat beschlossen werden konnte. Mit dem Inkraftreten dieser Neuregelung im November 2014 wird die deutschfranzösische Parität im Rat zumindest formal gesehen Geschichte sein - und Deutschland der Hauptgewinner dieser Ratsreform. Im Vorfeld und auf dem Gipfel von Nizza hatte sich erstmals gezeigt, dass die bilateralen deutsch-französischen Beziehungen ein Teil des Problems und nicht ein Teil der Lösung europäischer Probleme bildeten. Sowohl die Agenda-2000-Verhandlungen als auch das bilaterale Zerwürfnis im Kontext der Vertragsreform von Nizza verdeutlichen die nach 1990 auf beiden Seiten des Rheins gewachsene Bereitschaft, Interessendivergenzen in wichtigen Momenten der EU- Entwicklung im Europäischen Rat offen auszutragen, statt dem bilateralen Konfliktpotential durch geduldige bilaterale Suche nach Kompromissen vor europäischen Gipfeln die politische Brisanz zu nehmen. Die Normalisierung und scheinbare „Banalisierung“ deutsch-französischer Beziehungen und die Wahrnehmung einer soliden, strukturellen Verankerung beider Staaten im „Post-Maastricht-Europa“ hat zur Folge, dass das nach dem Kriege sozialisierte politische Führungspersonal die bilateralen Beziehungen als belastbarer ansieht als ihre Vorgängergenerationen und damit auch zu einem offeneren Austragen von Interessenkonflikten neigt. Die Art, wie beide Staaten auf dieses schwere Zerwürfnis in Nizza reagierten, verweist aber wiederum auf das solide normative Unterfutter der deutsch-französischen Beziehungen und die Bedeutung des dichten institutionellen Kooperationsrahmens zwischen beiden Regierungen. 10 Bisher haben temporäre Verstimmungen und Zerwürfnisse zwischen Paris und Berlin noch stets zu einer Art „Flucht nach vorne“ geführt. So auch nach dem Gipfel von Nizza: Umgehend wurde eine Intensivierung der europapolitischen Konsultationen zwischen beiden Ländern auf höchster Ebene durch häufigere informelle Treffen zwischen den Staats- und Regierungschefs und zwischen den Außenministern vereinbart („Blaesheim-Prozess“). Weiter vertieft wurde der institutionelle Rahmen bilateraler Kooperation dann anlässlich des 40. Jahrestages des *Élysée-Vertrages am 22. Januar 2003. 4. Élysée-Vertragsjubiläum, Irak-Krise und europäischer Verfassungsprozess Um eine verbesserte Koordinierung und politische Steuerung der deutsch-französischen Kooperation zu gewährleisten, wurde anlässlich des Élysée-Vertragsjubiläums die Umwandlung der bis dahin halbjährlichen Regierungskonsultationen in einen „Deutsch-Französischen Ministerrat“ beschlossen und das Amt eines „Beauftragten (Generalsekretärs)“ für die deutsch-französische Zusammenarbeit in beiden Regierungen geschaffen. In den zeitlichen Kontext des Jubiläums fiel eine Redynamisierung deutsch-französischer Kooperation. Ihr sichtbarster Ausdruck war die gemeinsame ablehnende Haltung beider Länder zur amerikanischen Irak-Politik 2002/ 2003 und ihr konzertiertes Vorgehen gegen die US-Position im VN-Sicherheitsrat. Die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts deutlich verringerte sicherheitspolitische Abhängigkeit Deutschlands von den USA verlieh der deutschen Außenpolitik neue Freiheitsgrade, die eine enge Kooperation mit Frankreich in der Irakkriegsfrage erst ermöglichten. Umgekehrt hat die stärker proatlantische Politik des Präsidenten Sarkozy seit 2008 und die 10 Vgl. hierzu die grundlegende Analyse von Ulrich Krotz, Regularized Intergovernmentalism: France-Germany and Beyond (1963-2009), in: Foreign Policy Analysis 6 (2010), S. 147-185. Joachim Schild 88 von ihm vollzogene Rückkehr in die integrierten Strukturen der NATO ebenfalls einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Haltung zu den USA und zur NATO nicht mehr das gleiche Störpotential in den deutsch-französischen Beziehungen besitzt wie in der Vergangenheit. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Verhältnis beider Länder zu Russland, in dem Paris wie Berlin einen strategischen Partner, auch für die EU, sehen. Die Irakkriegs-Episode machte allerdings auch klar, dass Deutschland und Frankreich keineswegs beanspruchen können, in wichtigen außenpolitischen Fragen für die Gesamtheit der EU zu sprechen. Ein deutsch-französischer Führungsanspruch kann in der erweiterten EU auf erhebliche Widerstände stoßen, wenn es um die Sicherheitsinteressen der neuen EU-Mitgliedstaaten geht und deren Verhältnis zu den USA auf dem Spiel steht. Aber auch in den Reihen der alten EU-Mitglieder haben sich die Bedenken gegenüber einem „Direktorium“ der Großen und gegen perzipierte deutsch-französische Dominanzbestrebungen in der EU im letzten Jahrzehnt gehäuft, zuletzt im Kontext der Eurokrise, als Deutschland und Frankreich die Partner im Oktober 2010 mit abgestimmten und aus ihrer Sicht kaum verhandelbaren Positionen zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes konfrontierten. 11 Solche Ängste vor einem deutsch-französischen Hegemonieanspruch wurden zuvor aber auch schon im Rahmen der europäischen Verfassungsdiskussion artikuliert. In der Tat haben Deutschland und Frankreich wichtige gemeinsame Beiträge zur Arbeit des EU-Verfassungskonvents geliefert, insbesondere zur institutionellen Architektur der EU, und damit die weiteren Debatten und die nachfolgenden Regierungskonferenzen maßgeblich beeinflusst. Der Verfassungsprozess bot auch eine geeignete Gelegenheit und einen Rahmen für die Redynamisierung deutsch-französischer Beziehungen im Sinne eines erneuerten Bemühens um enge europapolitische Abstimmung auf bilateraler Ebene. Dies wurde auch nach dem Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 sichtbar, als der Reformprozess von Deutschland und Frankreich im Rahmen ihrer jeweiligen Ratspräsidentschaften 2007 und 2008 tatkräftig wiederbelebt und der Weg zum Vertrag von Lissabon gemeinsam geebnet wurde. Gerade das Feld der Institutionenpolitik gehört zu den Feldern, an denen sich der deutsche und französische Einfluss auf die EU-Entwicklung gut ablesen lässt. Dabei waren es nicht selten die sich aus dem spezifischen Verfassungs- und Souveränitätsverständnis beider Länder ergebenden Unterschiede der deutschen und französischen Verfassungsideen für Europa, gepaart mit dem Willen zu Interessenausgleich und Kompromiss, die beiden Ländern eine führende Rolle in diesem Bereich ermöglichten. 12 Der jahrzehntelange Einsatz der Bundesrepublik für ein föderalistisch strukturiertes Gesamtsystem mit stark integrierten, supranationalen europäischen Institutionen und Entscheidungsverfahren und das Setzen der französischen Europapolitik, vor allem, aber nicht nur in ihrer gaullistischen Hochphase, auf Souveränitätswahrung und nationalstaatliche Autonomie trugen wesentlich zum hybriden Charakter der Europäischen Union und ihrer eigentümlichen Mischung aus supranational-gemeinschaftlichen und rein zwischenstaatlichen Institutionen und Entscheidungsverfahren bei. Auch zentrale Ergebnisse eines über rund zwei Jahrzehnte andauernden Vertragsreformprozesses lassen sich als deutsch-französischer „deal“ interpretieren. Die schrittweise Aufwertung des Europäischen Parlaments bei jeder europäischen Vertragsreform und die Ausweitung von Mehrheitsabstimmungen im Rat stärkten den supranationalen Charakter der EU-Entscheidungsprozesse. Parallel dazu - und gewissermaßen als Ausgleich und Gegengewicht zu dieser Supranationalisierung - bauten die Vertragsparteien, nicht zuletzt 11 Vgl. Déficits: les eurodéputés dénoncent un „diktat“ franco-allemand, in: Les Echos, 20.10.2010. 12 Vgl. hierzu grundlegend Markus Jachtenfuchs, Die Konstruktion Europas. Verfassungsideen und institutionelle Entwicklung, Baden-Baden 2002. Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 89 auf französisches Drängen hin, mit Unterstützung unterschiedlicher Bundesregierungen, den Europäischen Rat schrittweise zum politischen Steuerungszentrum der Europäischen Union aus. In den letzten 15 Jahren, seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht 1993, ist auf deutscher wie auf französischer Seite ein wachsender „Pragmatismus“ im Hinblick auf die Fortentwicklung der europäischen Institutionen und Verfahren zu beobachten. So wird erkennbar, dass die deutschen und französischen Präferenzen zur institutionellen Ordnung nicht durchgängig von normativen Verfassungsideen beeinflusst sind, sondern fallweise von ganz handfesten materiellen und innenpolitischen Interessenlagen. Dort, wo politische Mehrheiten im Sinne französischer Präferenzen möglich erscheinen, plädierte Paris seit Mitte der 1990er Jahre regelmäßig für eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im Rat, zum Beispiel auf dem Feld der Binnenmarktgesetzgebung, der europäischen Industriepolitik, der Sozial- oder Steuerpolitik. Auf deutscher Seite ist mittlerweile umgekehrt der intergouvernementale Charakter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit einer geringen Beteiligung der Kommission und des Europäischen Parlaments akzeptiert. Im Bereich der europäischen Asyl- und Zuwanderungspolitik wollen die Bundesregierung und insbesondere die deutschen Länder die innenpolitisch äußerst sensible Einwanderung aus Drittstaaten in den deutschen Arbeitsmarkt weiterhin national steuern können und nicht von europäischen Kompromissen abhängig sein. Beide Staaten haben sich nach dem kräftezehrenden politischen Reformprozess bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zunächst dem Leitbild einer Konsolidierung des Kompetenzbestandes und der Institutionen und Verfahren der Europäischen Union verschrieben. Weder sind gemeinsame Impulse für die integrationspolitischen „Großprojekte“ noch für institutionelle Reformen in näherer Zukunft zu erwarten. Allerdings stehen Fragen einer verstärkten Rolle der EU-Ebene in Fragen der europäischen Koordinierung nationaler Wirtschaftspolitiken zur Sicherung der Funktionsfähigkeit und Stabilität der Eurozone auf der Tagesordnung. 5. Das wachsende Gewicht der Innenpolitik Das Streben nach Konsolidierung des Erreichten im europäischen Aufbauwerk und der damit einhergehende Bedeutungsverlust integrationspolitischer Großprojekte ist auf beiden Seiten nicht zuletzt eine Reaktion auf das gewachsene Gewicht der Innenpolitik für ihre jeweilige Europapolitik. In Frankreich wurde dies im Kontext des gescheiterten Verfassungsreferendums 2005 offenkundig und schlug sich unter anderem in der ablehnenden Haltung von Staatspräsident Sarkozy gegenüber einem EU-Beitritt der Türkei nieder. Eine seit Anfang der 1990er Jahre europaskeptischer gewordene Bevölkerung in beiden Staaten engt die europapolitischen Gestaltungspielräume der Regierenden ein. Die Grenzen exekutiver Handlungsfreiheit wurden in der Bundesrepublik noch enger gezogen, zum einen durch den seit Maastricht deutlich gewachsenen und rechtlich garantierten Einfluss der Bundesländer auf die Europapolitik des Bundes, zum anderen durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu den Verträgen von Maastricht, Lissabon sowie zu Rettungsfonds für die Eurozone. In Frankreich sind zudem die Zweifel in Gesellschaft und politischer Elite gewachsen, ob eine erweiterte und damit tendenziell wirtschaftspolitisch liberalere, außenpolitisch atlantischere und politisch weniger voluntaristische EU noch als eine Art „erweitertes Frankreich“ betrachtet werden kann. Ist die französische politische und wirtschaftliche Identitätskonstruktion noch kompatibel mit den europäischen politischen und wirtschaftlichen Realitäten? Damit steigen die Herausforderungen an die politischen Führungsleistungen der Regierenden auf beiden Seiten des Rheins, denen bei der Vermittlung zwischen innergesellschaftlichen und innenpolitischen Zwängen einerseits und ihrer Europapolitik anderseits ein tendenziell schwieriger werdender Balanceakt abverlangt wird. Joachim Schild 90 6. Unsolidarisches Deutschland? Dies wurde im Kontext der Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise seit 2008 und vor allem in 2010 besonders deutlich. Das Drängen des französischen Staatspräsidenten auf eine rasche europäische Reaktion zur Bankenstabilisierung und zur Konjunkturankurbelung 2008 sowie auf Stützungsmaßnahmen zugunsten der krisengeschüttelten Eurozonenmitglieder Griechenland und Irland im Jahr 2010 stießen in Deutschland zunächst auf innenpolitisch motivierte starke Vorbehalte. 13 Diese zögerliche Reaktion hat Deutschland nicht nur in Frankreich wiederholt den Vorwurf unsolidarischen und an eng national definierten Interessen orientierten Verhaltens zu Lasten seiner europäischen Partner eingebracht. Gleiches gilt für die anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands, die vor allem im Euroraum erwirtschaftet werden. Deutschland steigere mit seinem exportorientierten Wachstumsmodell und seiner unterdurchschnittlichen Lohnstückkostenentwicklung seine Wettbewerbsfähigkeit und Exportkraft auf Kosten der EU-Partner, so die vormalige französische Finanz- und Wirtschaftsministerin Christine Lagarde. 14 Auch die Art und Weise, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen der europäischen Entscheidungsprozesse zum Krisenmanagement der Eurozone und zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes deutsche Kernanliegen (Beteiligung des IWF, Reform der europäischen Verträge, Beteiligung privater Gläubiger, Ablehnung von Eurobonds, strikte Konditionalität von Hilfen) gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt hat, hinterließ einige Spuren in Frankreich (und nicht nur dort). So war bisweilen von einem deutschen „Diktat“ die Rede und es entstand der Eindruck, dass Deutschland weniger Hemmungen als in der Vergangenheit besitze, seine ökonomische Machtstellung in politischen Einfluss in der EU umzumünzen und als „normale Macht“ zu agieren. Auf französischer Seite wurde dabei nicht immer hinreichend berücksichtigt, in welchem Ausmaß die Bewältigung der Eurokrise politische Grundpfeiler der Währungsunion eingerissen hat, die für Deutschland die politische Geschäftsgrundlage seiner Zustimmung zur Europäischen Währungsunion bildeten: insbesondere der Ausschluss einer europäischen Haftungsgemeinschaft zugunsten von Eurozonenstaaten mit unverantwortlicher Schuldenpolitik („no bail out“-Klausel) oder auch der Ausschluss der stabilitätsgefährdenden Praxis des Ankaufens von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Im Kontext des Managements der Eurokrise ist auch eine neuerliche Intensivierung des deutschfranzösischen Bilateralismus erkennbar geworden. Dies gilt für die Amtszeit von Präsident Sarkozy, die durch besonders enge bilaterale Konsultationen und Kompromisssuche im Vorfeld wichtiger Treffen des Europäischen Rates gekennzeichnet war, insbesondere in Situationen einer dramatischen Zuspitzung der Eurozonenkrise wie etwa in der zweiten Jahreshälfte 2011. Der im Mai 2012 gewählte sozialistische Präsident François Hollande hingegen setzte im Kontext der alles beherrschenden Eurozonenkrise auf breitere europäische Abstimmungsprozesse jenseits des deutschfranzösischen Bilateralismus, insbesondere auf bilateraler Ebene mit Italien und Spanien. Fazit Die deutsch-französischen Beziehungen haben in der Nachkriegszeit unterschiedliche Phasen durchlaufen. Bis zum Ende der Amtszeit Charles de Gaulles als Präsident der V. Republik (1958- 1969) war der deutsch-französische Bilateralismus im europäischen Rahmen erkennbar unter französischer Führung. Beginnend mit dem Ende der 1960er Jahre bis zur Wiedervereinigung, begünstigt durch die zunehmende Bedeutung von Wirtschafts- und insbesondere Währungsfragen in der europäischen und internationalen Politik, konnte die Bundesrepublik den Status eines 13 Vgl. Sylvain Schirmann, La gestion de la crise en France et en Allemagne, in: Annuaire français des relations internationales XI (2010), S. 467-479. 14 Vgl. Lagarde criticises Berlin policy, in: Financial Times, 15.3.2010. Die deutsch-französischen Beziehungen und Europa seit 1989/ 1990 91 gleichberechtigten Partners im Rahmen der bilateralen Sonderbeziehung erlangen. Ihre überlegene Wirtschaftskraft und ihr darauf gegründetes zunehmendes außenpolitisches Selbstbewusstsein glichen in einer Art „Gleichgewicht der Ungleichgewichte“ den überlegenen außenpolitischen Status Frankreichs als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs, als Nuklearmacht und Mitglied des UN-Sicherheitsrates mit Vetorechten aus. Die Wiedervereinigung läutete dann eine neue Phase ein, in der tendenziell eine Überlegenheit des machtpolitischen Gewichts Deutschlands zu beobachten ist, zumindest im Rahmen europäischer Politik und vor allem in Phasen, die von wirtschaftlichen und weniger von sicherheitspolitischen Herausforderungen dominiert sind, wie im Kontext der Finanzmarkt- und Eurokrise nach 2008. Die veränderte Stellung Deutschlands in Europa führte seit den 1990er Jahren immer dann zu manifesten deutsch-französischen Spannungen, wenn die Verantwortlichen in Paris den Eindruck gewannen, dass Deutschland seine Interessen „ohne Komplex“ vertritt, etwa beim deutschen Vorpreschen in der Frage der völkerrechtlichen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens (1991), im Falle des deutschen Drängens auf eine rasche EU-Erweiterung nach Norden (EFTA-Staaten) und nach Osten, beim Streit um Stimmrechte im Rat der EU sowie im Falle der harten Vertretung nationaler Interessen im Kontext der Bewältigung der Finanzmarkt- und Eurokrise seit 2008. Nachdem Deutschland seine über Jahre anhaltende Wachstumsschwäche seit Mitte des Jahrzehnts zunehmend überwunden hat, könnte sich die wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands in der EU weiter verstärken. Die dynamische Wachstumsentwicklung, die solidere nationale Haushaltssituation und die wachsende Kluft zwischen der internationalen Wettbewerbsposition Deutschlands und Frankreichs werfen zunehmend Probleme im deutsch-französischen Verhältnis auf. Frankreich sieht sich häufiger als in der Vergangenheit in der Rolle des Juniorpartners, was seinem Selbstbild und außenpolitischen Rollenverständnis auf empfindliche Weise widerspricht. Es bedarf auf deutscher Seite eines sensiblen Umgangs mit der offenkundigen Malaise auf französischer Seite im Hinblick auf das wirtschafts- und europapolitische Gewicht des vereinten Deutschlands, das insbesondere im Kontext der Krisenbewältigung seit 2008 nur zu deutlich geworden ist. Diese Sensibilität lassen Bundeskanzlerin Merkel und die deutsche politische Elite durchaus nicht immer erkennen. Auf französischer Seite ist ein Reformkraftakt vonnöten, um die stark erodierte französische Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen und die wirtschaftliche Asymmetrie im Verhältnis zum deutschen Partner nicht weiter wachsen zu lassen. Beide Partner sind sich jedoch nach wie vor bewusst, dass sie zur Verfolgung ihrer nationalen Kerninteressen in der Außen- und Europapolitik auf eine enge bilaterale Kooperation mit dem Partner angewiesen bleiben. Diese beruhte selten auf der spontanen Übereinstimmung der Interessen und Präferenzen in wichtigen Einzelfragen; es war vielmehr häufig die Gemeinsamkeit zentraler Ziele und die Komplementarität ihrer Interessen, die die Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit bildeten. Phasenweise wurde die intensive Exekutivkooperation durch den „persönlichen Faktor“, ein enges Vertrauensverhältnis und eine ausgeprägte Fähigkeit zur Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzlern und französischen Staatspräsidenten, unterstützt, die auch erkennbar auf niedrigere Hierarchieebenen positiv ausstrahlte. Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt sowie Helmut Kohl und François Mitterrand haben diesbezüglich gewiss Maßstäbe gesetzt, die von ihren Nachfolgern im Amte nicht mehr erreicht wurden. Aber auch Gerhard Schröder und Jacques Chirac sowie Angela Merkel und Nicolas Sarkozy mussten - teilweise schmerzlich - erfahren, dass alternative privilegierte Partner für eine herausgehobene bilaterale Rolle in und für die europäische Politik nicht zur Verfügung stehen. 15 Allenfalls die britisch-fran- 15 Vgl. Adolf Kimmel, Das deutsch-französische Paar in der erweiterten Europäischen Union, in: Lothar Albertin (Hg.), Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union. Partner auf dem Prüfstand, Tübingen 2010, S. 148-166. Joachim Schild 92 zösische Militärkooperation bildet hier eine sektorale Ausnahme. Und vor allem Nicolas Sarkozy musste die Lernerfahrung machen, dass wichtige europäische Initiativen und Projekte Frankreichs, wie etwa seine Pläne zu einer „Mittelmeerunion“, nur dann durchsetzungsfähig sind, wenn sie nicht unilateral verfolgt werden, sondern auch der deutsche Partner dafür gewonnen wird. Deutschland und Frankreich haben seit dem Zweiten Weltkrieg gezeigt, dass sie Lehren aus ihrer blutigen Geschichte ziehen und ihrer europäischen Verantwortung in hochgradig innovativer Weise gerecht werden konnten. Sie haben auch bewiesen, dass sie gemeinsam dazu in der Lage sind, Antworten auf eine Herausforderung in der Größenordnung der deutschen Wiedervereinigung zu finden. Auch wenn die Missverständnisse, Irritationen und Zerwürfnisse seit 1989 häufiger geworden sind, ist beiden Seiten die europapolitische Alternativlosigkeit ihrer privilegierten Sonderbeziehung bewusst. Gleiches gilt für ihre gemeinsame Verantwortung für das europäische Einigungswerk, insbesondere für den Fortbestand der Währungsunion. Hierin liegt die gemeinsame Kernherausforderung für die kommenden Jahre. Eine deutsch-französische Entente und eine konstruktive deutsch-französische Führungsrolle im erweiterten Europa mögen in mancherlei Hinsicht seit 1990 voraussetzungsvoller geworden sein 16 ; eine tragfähige Alternative hierzu ist jedoch weder für die Europäische Union noch für die deutsche und französische Außenpolitik in Sicht. Albertin, Lothar (Hg.), Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union. Partner auf dem Prüfstand, Tübingen 2010. Bitsch, Marie-Thérèse (Hg.), Le couple France-Allemagne et les institutions européennes. Une postérité pour le plan Schuman, Brüssel 2001. Bozo, Frédéric, Mitterrand, la fin de la Guerre froide et l’unification allemande. De Yalta à Maastricht, Paris 2005. Cole, Alistair, Franco-German Relations, Harlow u.a. 2001. Defrance, Corine, Ulrich Pfeil (Hg.), Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945 - 1963 - 2003, München 2005. Koopmann, Martin, Joachim Schild u. Hans Stark (Hg.), Neue Wege in ein neues Europa: Die deutschfranzösischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, Baden-Baden 2013. Krotz, Ulrich, Joachim Schild, Shaping Europe. France, Germany, and Embedded Bilateralism from the Elysée Treaty to Twenty-First Century Politics, Oxford 2013. Martens, Stephan (Hg.), L'Allemagne et la France. Une entente unique pour l'Europe, Paris 2004. Meimeth, Michael, Joachim Schild (Hg.), Die Zukunft des Nationalstaats in der europäischen Integration. Deutsche und französische Perspektiven, Opladen 2002. Pedersen, Thomas, Germany, France and the integration of Europe. A realist interpretation, London 1998. Pfeiffer, Susanne, Die deutsch-französische Partnerschaft: störanfällig, aber strapazierfähig. Eine Analyse im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik (1990-2000), Frankfurt/ M. 2006. Schild, Joachim, „Ganz normale Freunde“. Deutsch-französische Beziehungen nach 40 Jahren Élysée- Vertrag, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 25 S., SWP-Studien, S 1/ 2003. Soutou, Georges-Henri, L’alliance incertaine. Les rapports politico-stratégiques franco-allemands, 1954-1996, Paris 1996. Webber, Douglas (Hg.), The Franco-German relationship in the European Union, London 1999. Ziebura, Gilbert, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997. 16 Vgl. hierzu: Joachim Schild, Mission impossible? The Potential for Franco-German Leadership in the Enlarged EU, in: Journal of Common Market Studies 48 (2010) 5, S. 1367-1390. Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 A AbiBac Kurzbezeichnung für den gleichzeitigen Erwerb des deutschen Abiturs (Abi) und des französischen baccalauréat (Bac). Nachdem die Außenminister beider Staaten schon am 10.2.1972 ein Abkommen über die Errichtung *deutsch-französischer Gymnasien unterzeichnet hatten, an denen ein deutschfranzösisches Abitur erworben werden konnte, forderten der *Kulturbevollmächtigte und der französische Erziehungsminister in einer gemeinsamen Erklärung vom 27.10.1986 ein Verfahren, welches den gleichzeitigen Erwerb der deutschen Hochschulreife und des französischen baccalauréat auch außerhalb der bislang drei *deutsch-französischen Gymnasien ermöglichen sollte. Es dauerte allerdings bis zum 31. Mai 1994, ehe die Außenminister im Rahmen des *deutsch-französischen Gipfeltreffens in Mühlhausen ein Regierungsabkommen unterzeichneten, welches eine solche Möglichkeit in beiden Staaten an Schulen mit einem bilingualen deutsch-französischen Zug vorsah. Seither sind die an dem Programm beteiligten Schulen verpflichtet, eine Partnerschaft mit einer Schule aus dem jeweils anderen Land einzugehen und den Schülern, die das AbiBac anstreben in den letzten drei Schuljahren einen über das übliche Lehrangebot hinausgehenden, speziellen Unterricht in der Partnersprache anzubieten. Der inzwischen an jeweils über 60 Schulen in Frankreich und Deutschland angebotene Abschluss wird in beiden Ländern im Rahmen ihrer *Schulpolitik vollwertig anerkannt, sodass den Absolventen der Zugang zu Ausbildung und Berufstätigkeit auch im jeweiligen Partnerland ohne jegliche Einschränkungen offen steht. Bertrand Girod de l’Ain, Dossier - „AbiBac“, in: Dokumente 54 (1998) 5, S. 399-422; Ursula Lange, Plädoyer für das AbiBac. Eine Bilanz der Jahrestagung in Berlin, in: Dokumente 65 (2009) 1, S. 49-51. Ansbert Baumann Académie de Berlin Auf Anregung des damaligen Französischen Botschafters Claude Martin wurde im Juni 2006 die Académie de Berlin gegründet. Bei der Gründungssitzung wurden die Ziele der Académie klar festlegt: „Ce jour, Jeudi 29 juin 2006, ses membres réunis à l’Ambassade de France ont fondé solennellement l’Académie de Berlin, afin que se perpétue, dans l’esprit de Voltaire, le dialogue des idées entre l’Allemagne et la France, dans le partage de la langue et de la culture françaises.“ Im Sinne dieser Tradition will die Académie den kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich fördern. Schirmherr der Académie ist der jeweilige französische Botschafter, d.h. bis September 2014 Maurice Gourdault-Montagne, dann Philippe Étienne, Ehrenpräsident ist der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, und als s ecrétaire perpétuel fungiert *Ulrich Wickert. Die Académie hat 20 Mitglieder, zur Zeit sind dies Thomas Gaehtgens, Detlev Ganten, *Anselm Kiefer, Karl Kardinal Lehmann, Wolf Lepenies, Lothar Menne, Nils Minkmar, Patricia Oster-Stierle, *Volker Schlöndorff, Gesine Schwan, Stephan Schwarz, Spiros Simitis, *Werner Spies, Erika Tophoven, Nike Wagner, Christina Weiß, Wim Wenders und Hanns Zischler. Im Rahmen der regulären Académie-Arbeit treffen sich die Mitglieder zweimal jährlich, um über die Entwicklung der kulturellen Zusammenarbeit, die Rolle Deutschlands und Frankreich in Europa, aber auch über die Kenntnis und das Verständnis des jeweils anderen, insbesondere seiner Sprache, zu diskutieren. Einmal jährlich findet seit 2011auf Einladung der Académie und mit Unterstützung der ZEIT- Stiftung eine Rede zu diesen Themen statt: 2013 hielt *Daniel Cohn-Bendit den Vortrag, den er anschließend mit Heinrich August Winkler diskutierte. Seit 2007 verleiht die Académie Stipendien an Nachwuchskünstler und -wissenschaftler, die von der Alfred Toepfer Stiftung gefördert werden. Vor allem aber verleiht sie seit 2008 für Verdienste um die Förderung und Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich den Prix de l’Académie de Berlin, den 2008 *Tomi Ungerer, 2009 Johannes Willms, 2010 die Verlage *L’Arche und Matthes & Seitz, 2011 *Stéphane Hessel, 2012 Eva Moldenhauer und Bernard Lortholary und 2013 *Georges-Arthur Goldschmidt erhielten. Von 2008 bis 2013 finanzierte die Robert Bosch s Adam-Mickiewicz-Preis 96 A Stiftung diesen Preis, in den Jahren 2014-2016 übernimmt dies die Würth-Gruppe. Voltaire, der selbst der Berliner Akademie angehörte, hatte bekanntlich zur Preußischen Akademie der Wissenschaften seiner Zeit eine kritische Einstellung. Wenn die Académie de Berlin es tatsächlich ernst meint mit ihrer Berufung auf den Geist Voltaires, verspricht dies sicherlich neue Impulse für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen. Wolfgang Asholt Adam-Mickiewicz-Preis Prix Adam Mickiewicz Der Adam-Mickiewicz-Preis für Verdienste um die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit wurde vom Komitee zur Förderung der Deutsch- Französisch-Polnischen Zusammenarbeit e.V. gestiftet und im Jahre 2006 anlässlich des 15. Jahrestages der Gründung des *Weimarer Dreiecks erstmals verliehen. Die ersten Preisträger waren die Gründungsväter des *Weimarer Dreiecks, die früheren Außenminister Roland Dumas, Hans-Dietrich Genscher und Krzysztof Skubiszewski. Mit der alljährlichen Preisverleihung soll die mediale und politische Aufmerksamkeit auf die völkerverbindende Idee dieser einzigartigen deutsch-französisch-polnischen Zusammenarbeit innerhalb des Europas der 27 gelenkt werden. Es erschien dies umso wichtiger, weil dem *Weimarer Dreieck - anders als dem *Élysée-Vertrag - kein staatsrechtlicher Vertrag zugrunde liegt, der die Modalitäten der Zusammenarbeit regelt, sondern lediglich die völkerrechtlich letztlich unverbindliche „Gemeinsame Erklärung der drei Außenminister zur Zukunft Europas“ vom 29.8.1991. Zum symbolhaften Namensgeber wurde Adam Mickiewicz (1798-1855) auserwählt. Er ist der Nationaldichter Polens, dessen Namen das staatliche Kulturinstitut Polens, das Adam-Mickiewicz- Institut, Warschau, trägt sowie eine der bedeutendsten Universitäten des Landes, die Adam- Mickiewicz-Universität in Posen. Er spielt ebenfalls eine besondere Rolle sowohl in der Literaturgeschichte Deutschlands wie auch Frankreichs. Zum 80. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe am 28.8.1829 war Adam Mickiewicz Teilnehmer der festlichen Geburtstagsrunde auf dem Frauenplan in Weimar. Goethe sah in seinem damals 32-jährigen polnischen Gast „den größten Dichter seiner Generation“. In Frankreich wurde Mickiewicz - als erster Ausländer - 1840 zum Professor für Slawistik an das Collège de France berufen. Für Victor Hugo war Adam Mickiewicz der „Trompeter der Zukunft“, einer „Zukunft, in der sich die Völker die Hände reichen über die Grenzen hinweg, die sie nicht mehr trennen“. Der *Prix Adam Mickiewicz wird wie auch der *Prix de Gaulle-Adenauer an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen, welche sich im Rahmen des *Weimarer Dreiecks besondere Verdienste um die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit erworben haben. Er soll ferner das zivilgesellschaftliche Engagement von Bürgern und Bürgerinnen der drei Länder zu einem gemeinsamen Miteinander ermutigen. In der kurzen Zeit seines Bestehens kann sich der trilaterale Preis einer wachsenden politischen Anerkennung erfreuen: „Le prix Adam Mickiewicz est le point d’orgue de la coopération franco-germano-polonaise initiée dans le cadre du Triangle de Weimar (France- Diplomatie)”. Zur Verleihung des Preises an die drei Laureaten des Jahres 2012 im Präsidentenpalast in Warschau am 7.9.2012 an Michał Kleiber, Präsident der Polnischen Wissenschaftsakademie, Jack Lang, ehem. Kulturminister Frankreichs und Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Bundestages a.D. haben die Staatspräsidenten Frankreichs und Polens sowie die Bundeskanzlerin persönliche Grußbotschaften übermittelt. Wie bereits bei der Auswahl der Preisträger 2011 an die Vertreter der drei großen Einrichtungen der auswärtigen Kulturpolitik, Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des *Goethe-Instituts, Xavier Darcos, Präsident des *Institut français und Paweł Potoroczyn, Direktor des Adam-Mickiewicz-Instituts, wird das Komitee künftig bei der Auswahl der Preisträger des Adam-Mickiewicz-Preises den Akzent auf Personen und Institutionen aus dem Bereich der Kultur setzen. Klaus-Heinrich Standke (Hg.), Das Weimarer Dreieck in Europa. Die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit. Entstehung-Potentiale-Perspektiven/ Le Triangle de Weimar en Europe. La coopération franco-germanopolonaise. Origine-Potentiel-Perspectives, Torun 2009. Klaus-Heinrich Standke Adenauer-de Gaulle-Preis Prix de Gaulle-Adenauer Der Adenauer-de Gaulle-Preis wurde aus Anlass des 25. Jahrestags des deutsch-französischen Freund- Allemagne d’aujourd’hui A 97 schaftsvertrags (*Élysée-Vertrag) durch einen Notenwechsel der bundesdeutschen und französischen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Jean- Bernard Raimond am 27.1.1988 ins Leben gerufen. Dieser Initiative lag die Überzeugung zugrunde, dass lebendige bilaterale Beziehungen einen durch Regierungshandeln gesteckten politischen und rechtlichen Rahmen benötigen, zugleich aber auch von einer breiten Bevölkerung getragen, gepflegt und fortentwickelt werden müssen, um Tiefenwirkung und Dauerhaftigkeit entfalten zu können. In diesem Sinne erinnert der Preis zum einen an den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, die mit ihrem am 22.1.1963 unterzeichneten Vertrag (*Élysée-Vertrag) über die deutschfranzösische Zusammenarbeit auf politischer Ebene die Aussöhnung (*Versöhnung) beider Staaten besiegelt und deren Verhältnis auf eine wegweisende neue Grundlage gestellt haben; zum anderen fördert er den grenzüberschreitenden sozio-kulturellen Dialog und die aktive Mitwirkung der Bürger an der Ausgestaltung der vielfältigen deutschfranzösischen Partnerschaft auf gesellschaftlicher Ebene. Der 1989 erstmals verliehene und mit heute 10 000 Euro dotierte Preis, den sich jeweils zwei Preisträger teilen, zeichnet deutsch-französische Initiativen von Personen, Institutionen oder auch Gebietskörperschaften aus den Bereichen Kunst und Kultur, Politik und Medien, Wirtschaft und Wissenschaft aus, die durch ihr Wirken als Mittler einen herausragenden Beitrag zur Festigung der Verständigung und Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich geleistet haben. Die Bandbreite der Preisträger reicht von *Hanna Schygulla und *Patricia Kaas (1999), *DeutschMobil und *FranceMobil (2003), Audrey Tautou und Daniel Brühl (2004) über Jacques Delors und Helmut Kohl (2007), *Anselm Kiefer und Christian Boltanski bis zu *Pierre Boulez und Kurt Masur (2011) sowie zuletzt dem Deutsch- Französischen Jugendwerk (2014). Ihre Auswahl erfolgt durch eine paritätisch besetzte deutschfranzösische Jury von je fünf angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beider Länder, die vom jeweiligen Außenminister berufen werden. Gemeinsame Vorsitzende dieser Jury sind die beiden Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Der Preis wird abwechselnd in Paris und Berlin verliehen. Corinna Franz Allemagne d’aujourd’hui Die Zeitschrift „Allemagne d’aujourd’hui. Revue d’information et de recherche sur l’Allemagne“ wird seit 1966 quartalsweise im Selbstverlag der Association pour la connaissance de l’Allemagne d’aujourd’hui (ACAA) mit Sitz in Paris herausgegeben und seit 2000 von den Presses universitaires du Septentrion in Villeneuve d’Ascq vertrieben. Sie hatte eine Vorläuferin, die von 1952 bis 1957 erschien und angesichts der voraussehbaren Auflösung der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland auf Betreiben der französischen Regierung mit dem Ziel gegründet wurde, über die Besatzungszeit hinaus kulturpolitisch aktiv zu bleiben. Die Zeitschrift wurde dem Verlagsbüro der französischen Botschaft in Bonn (Bureau de l’édition et des lettres) unterstellt und richtete sich weniger an die Deutschen als vielmehr an die Franzosen. Louis Clappier, ein junger talentierter Schriftsteller, und *Georges Castellan wurden ihre ersten Chefredakteure, *Robert Minder zeichnete für den literarischen Teil. Zum Redaktionskomitee zählten französische *Germanisten und Deutschlandexperten wie Maurice Baumont, Albert Béguin, Jean-Marie Carré, Maurice Colleville, Joseph Dresch, *Jacques Droz, *André François-Poncet, Robert d’Harcourt, Gabriel Marcel, Fernand Mossé, Jean Schlumberger und *Edmond Vermeil. Als die öffentlichen Finanzmittel spärlicher flossen, stellte 1957 der Verlag das Erscheinen der Zeitschrift ein. Erst 1966 wurde eine Neugründung in Paris auf gänzlich anderer Grundlage von *Félix Lusset mit Unterstützung von *Robert Minder in Angriff genommen. Der vorhergehende Anspruch, Deutschland als Ganzes den Franzosen verständlich zu machen und näher zu bringen, blieb erhalten, die finanziellen Mittel sollten aber hauptsächlich durch die Abonnenten gewonnen werden. *Lusset wollte den Franzosen nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch den zweiten deutschen Staat, die DDR, näher bringen. Er lud zu Konferenzen und Debatten im Lycée Condorcet ein, bald entstand eine Groupe Condorcet, die zum Nukleus von „Allemagne d’aujourd’hui“ wurde. Zum Gründerkreis zählten 1965 Jean Fourquet, *René Cheval, Pierre Angel, die Germanisten aus André-Gide-Preis 98 A Nanterre und Claude Pierre (später C. Lusset), die bald das Redaktionssekretariat übernahm. Die Devise von *Félix Lusset war, dass man nicht ein Deutschland gegen das andere ausspielen und über das eine oder das andere zu Gericht sitzen wolle (Nr. 1/ 1966, S. 5). So war es nur folgerichtig, dass sich die Zeitschrift 1973, als die Bundesrepublik und ihre westlichen Partner die DDR offiziell anerkannten, dazu durchrang, diesem Fakt Rechnung zu tragen und „Allemagne“ ein „s“ hinzufügte, um ein „französisches Informations-Periodikum über beide Deutschlands“ zu sein. 1990 wurde noch vor Vollzug der Einheit Deutschlands das „s“ wieder entfernt. Von Anfang an verstand sich die Zeitschrift auch als deutsch-französisches Forum. So analysierte im ersten Heft 1966 Rudolf Augstein „de Gaulles Einschätzung des deutsch-französischen Verhältnisses“. Die Zeitschrift liefert Dossiers und aktuelle Analysen zu Deutschlands Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und fühlt sich ihres interdisziplinären Ansatzes verpflichtet. Sie zählt zu ihren Autoren Vertreter aus den verschiedenen Bereichen der Deutschlandforschung. Dabei wendet sich die Zeitschrift heute nach wie vor nicht nur an Deutschlandspezialisten in Frankreich und der frankophonen Welt, sondern an all jene, die aus persönlichen, beruflichen oder kulturellen Gründen Interesse an Deutschland in seiner ganzen Vielfalt haben. Jérôme Vaillant, Parcours d’une revue: Allemagne d’aujourd’hui, in: Lendemains 100 (2000), S. 57-67. Jérôme Vaillant André-Gide-Preis Prix André Gide Der 1997 von der DVA-Stiftung (*Stiftungen) geschaffene André-Gide-Preis würdigt hervorragende literarische Übersetzungen von Erzählprosa und Lyrik aus dem Deutschen sowie aus dem Französischen. Es werden insbesondere solche Titel ausgezeichnet, die für das literarische Werk des jeweiligen Landes von einschlägiger Bedeutung sind. Wie auch bei der Verleihung des *Raymond- Aron-Preis verfolgt die DVA-Stiftung (*Stiftungen) das Ziel, den interkulturellen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich zu stärken. Dem Programm liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Kenntnis literarischer Schlüsselwerke des anderen Landes die Basis für den intellektuellen Austausch bietet. Mit dem Preis intendiert die DVA-Stiftung Übersetzer in ihrer Rolle als Mittler zwischen den Kulturen zu würdigen und ihren Beitrag zur interkulturellen Verständigung auszeichnen. Der André-Gide-Preis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit jeweils 10 000 Euro für eine Übersetzung aus dem Französischen und eine aus dem Deutschen dotiert. Die Ausschreibung richtet sich an jüngere Übersetzer unter 50 Jahren, die bereits veröffentlich haben. Über die Vergabe des Preises entscheidet die Stiftung auf Vorschlag einer aus deutschen und französischen Experten zusammengesetzten Jury. Stephanie Schwerter Angelloz, Joseph-François Der in Frangy/ Savoyen geborene Joseph-François Angelloz (1893-1978) studierte nach dem Besuch des Lycée Annecy und des Lycée Ampère in Lyon an den Universitäten in Lyon und Leipzig (*Germanistik) und erwarb die licence-ès-lettres (mention allemand sowie histoire et géographie). Seit 1920 agrégé d’allemand , waren Rochefort, das Lycée Français in Düsseldorf, Laon und von 1930 bis 1942 das Lycée Montaigne in Paris weitere Stationen seiner Laufbahn. Seit 1936 mit einer wegweisenden Rilke-Studie promoviert, wirkte er als Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Université de Caen und wurde am 1.10.1950 in der Nachfolge Jean Barriols zum zweiten Rektor der *Universität des Saarlandes ernannt, die er bei seinem Amtsantritt zur „europäischen Universität“ proklamierte und als „pragmatischer Visionär“ bis September 1956 leitete. Als universitäre „Krone und Symbol“ gründete er 1951 das Europa-Institut und entwickelte die Universität zu einem Zentrum des deutsch-französischen Dialogs und der internationalen wissenschaftlichen Kooperation. Infolge der politischen Veränderungen an der Saar wechselte er als recteur d’académie nach Montpellier (1956-1958) und Straßburg (1958-1964) und war zuletzt Bürgermeister seines Wohnorts Thônes. Insbesondere durch seine langjährige facettenreiche Berichterstattung zur deutschen Literatur und Philosophie im „Mercure de France“, seine Aktivitäten als Gründer der „Études germaniques“ und seine wegweisenden Studien, Übersetzungen und Editionen zum Œuvre Goethes und Rilkes engagierte sich Angelloz in Frankreich „für ein gewinnendes Deutschlandbild ... und in Deutschland Apollinaire-Preis A 99 für die europäische Bildung“ (Stahl) und damit - in den Worten der Laudatio zur Saarbrücker Ehrenpromotion 1960 - für „wechselseitiges Verständnis und eine fruchtbare Verbindung zwischen französischem und deutschem Geist“. Außerdem sind mit seinem Namen Gesamtdarstellungen zur deutschen Romantik, der „Guide de l’étudiant germaniste“ oder die ins Italienische und Japanische übersetzte „Littérature allemande“ ebenso verbunden wie Beiträge zu Hans Carossa, Hermann Hesse, Thomas und *Heinrich Mann, Ernst Wiechert oder Stefan Zweig. Angelloz wurde vielfach ausgezeichnet und war Träger diverser Medaillen, darunter die Frankfurter Goethe-Plakette, die Goethe-Medaille, die Medaille Aristide Briand der Europäischen Akademie Otzenhausen sowie Commandeur de l’ordre des palmes académiques, Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät und Ehrensenator der *Universität des Saarlandes. Personaldokumentation im Archiv der Universität des Saarlandes sowie zuletzt August Stahl, Joseph François Angelloz 1893-1978, in: Gerhard Sauder (Hg.), Germanisten im Osten Frankreichs, St. Ingbert 2002, S. 57-81. Wolfgang Müller ANR-DFG-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften Mit dem Ziel, die deutsch-französische Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften weiter auszubauen und zu intensivieren, riefen die Agence nationale de la recherche (ANR) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 2007 ein neues Förderprogramm ins Leben. In dem Programm, das keine thematischen Vorgaben macht, können seither im Rahmen einer jährlichen Ausschreibung Anträge für gemeinsame Forschungsvorhaben eingereicht werden, die in einem binationalen Verfahren begutachtet und ausgewählt werden. Das Förderprogramm zielt dabei nicht nur auf die Schaffung eines wissenschaftlichen Zugewinns in den jeweiligen Forschungsprojekten durch eine theoretisch wie methodisch komplementäre Zusammenarbeit. Es geht darüber hinaus um eine produktive Zusammenführung der beiden unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen und -kulturen. Mit der Forderung, die Anträge i.d.R. in beiden Sprachen abzufassen, und der Vereinbarung, auch die Begutachtung und Auswahl zweisprachig zu organisieren, zielt das Programm zugleich auf eine Stärkung beider Wissenschaftssprachen. Die Vorhaben selbst müssen nicht zwangsläufig eine deutsch-französische Thematik betreffen. Wo dies aber der Fall ist, hat die wissenschaftliche Kooperation - als Teil gesellschaftlichen Handelns - Auswirkungen auch auf die gegenseitige Wahrnehmung und damit auf das deutsch-französische Verhältnis allgemein. Um die Lebendigkeit des Programms und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu erhöhen, haben seit dem Jahr 2010 auch Postdoktoranden/ innen die Möglichkeit, eigene Förderanträge zu stellen für Projekte, die sie im Nachbarland realisieren wollen. Als treibende Kraft der europäischen Entwicklung leistet die deutsch-französische wissenschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften damit einen eigenen substanziellen Beitrag zur Ausgestaltung des Europäischen Forschungsraumes. Achim Haag Apollinaire-Preis Dieser Abiturienten-Preis (nicht zu verwechseln mit dem in Frankreich existierenden Prix Apollinaire für Kunstkritik und Literatur) für besondere schulische Leistungen im Fach Französisch wurde von der Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen) zwischen 2002 und 2008 vergeben. Benannt ist er nach dem französischen Dichter Guillaume Apollinaire (1880-1918), der der künstlerischen Avantgarde vor dem Ersten Weltkrieg angehörte und insbesondere mit seinem lyrischen Schaffen als einer der wichtigsten Vorläufer des Surrealismus gilt. Seine Deutschland-Erfahrung - 1902/ 03 war er als gräflicher Hauslehrer im Rheinland tätig und bereiste im Anschluss das Land - fand einen produktiven Niederschlag in seinem Werk, insbesondere in dem Lyrik-Band „Alcools“ (1916). Mit der Verleihung des Preises wollte die Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen) ab dem Schuljahr 2001/ 2002 besondere Leistungen im Schulfach Französisch der Sekundarstufe II würdigen und so entsprechend sprachbegabte Schüler für das Engagement im Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen auch nach der Absolvierung des Abiturs, für die Pflege der Sprachkompetenz sowie für die Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung des Nachbarlandes und seiner Kultur motivieren. Voraussetzung war die Wahl der Fremdsprache Französisch als Abiturfach sowie mindestens die Note „gut“ als entsprechende Abschlussleistung. Pro Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit 100 A Gymnasium bzw. Gesamtschule konnte ein Abiturient/ eine Abiturientin mit dem Preis ausgezeichnet werden. Die Organisation der Preisvergabe oblag der Literarischen Gesellschaft (Scheffelbund), größter literarischer Verein der Bundesrepublik mit Sitz in Karlsruhe. Nach jährlicher Ausschreibung im Februar/ März konnten die Schulen ihren Kandidaten der Literarischen Gesellschaft melden. War die Preisvergabe zunächst auf Schulen der an Frankreich grenzenden Bundesländer sowie ausgewählte Schulen in Ostdeutschland beschränkt, erfolgte ab 2002 die bundesweite Öffnung für alle Schulen mit Abitur-Abschluss. Insgesamt wurde der Preis an 11 333 Abiturienten aus rund 3000 Schulen verliehen. Die Preisträger erhielten als Anerkennung eine Urkunde sowie eine zweisprachige Anthologie französischer Dichtung. Da die Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen) die von ihr ins Leben gerufenen Preise grundsätzlich als Anschub-Initiativen versteht und die Weiterführung in die Verantwortung der unmittelbar angesprochenen Institutionen (hier: der Schulen) stellt, endete die offizielle Preisvergabe mit dem Schuljahr 2007/ 2008. Klaus-Peter Walter Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit Der Arbeitskreis war eine internationale Kommunikationsstruktur zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, die als Organisation (im Vergleich zum Arbeitskreis Deutsch-Französischer Gesellschaften) eine ephemere Erscheinung blieb. Sie war aber ein wichtiges Bindeglied für den Transfer der Konzeption demokratischen Gruppenaustausches zwischen Nationen, die im Nachkriegsfrankreich formuliert und erprobt worden war einerseits, und der Entwicklung von Programmen der in der jungen Bundesrepublik spontan entstandenen Auslandsorganisationen andererseits. In der Diskussion der 1950er Jahre zwischen dem „Arbeitskreis“ und dem Comité de coordination des associations d’échanges internationaux in Paris wurden die konzeptionellen Fragen vorgeklärt, deren Lösungen später in die Konstruktion des *DFJW eingingen. Die Dachorganisation des Arbeitskreises wurde im März 1954 gegründet und am 2.9.1957 ins Kölner Vereinsregister eingetragen. Ausschlaggebend für ihre Gründung war die Absicht des Gründungsdirektors des *DFI in Ludwigsburg, eine Informations- und Koordinationsstelle für die seit Kriegsende zahlreich entstehenden internationalen Austauschorganisationen in der Bundesrepublik zu schaffen. Unmittelbarer Anlass für die Errichtung eines solchen Dachverbands war die sich abzeichnende Konstituierung eines Ständigen gemischten Ausschusses für Kulturfragen, der dann durch das *Deutsch-Französische Kulturabkommen vom 23.10.1954 zwischen den beiden Regierungen eingesetzt wurde. Das Bewusstsein des Professionalisierungsvorsprungs der privaten Austauschagenturen wurde gestärkt durch zwei große Tagungen des Arbeitskreises mit den korrespondierenden Vereinigungen in Frankreich im Mai 1955 in Marly-le-Roi und im Mai 1957 in Ludwigsburg. Auf diesen beiden Konferenzen wurde die Definition eines neuen Kulturbegriffs als Grundlage für die intellektuelle Arbeit der beiden Dachorganisationen in Deutschland und Frankreich festgeschrieben. Ihr zufolge galt es nicht mehr allein, die Kultur der Eliten auszutauschen, sondern eine breitenwirksame Kontaktaufnahme sozioprofessioneller und generationeller Gruppen zwischen beiden Nationen zu fördern, die eine vorpolitische, vertrauensstiftende Gesellschaftsverflechtung bewirken sollten. Zugleich vertieften diese beiden deutsch-französischen Tagungen die Verbindung und die Zusammenarbeit mit den Vertretern der politischen Administration beider Länder. Diesem Zweck diente auch ein ständiges Büro, das vom Arbeitskreis in Bonn unterhalten wurde. Die Satzung des Arbeitskreises definierte dessen Zielsetzung: „[Er] dient dem Erfahrungsaustausch, der gegenseitigen Information und der Abgrenzung von Arbeitsgebieten. Darüber hinaus vertritt der Verband die gemeinsamen Interessen und die Meinung der Mitglieder in grundsätzlichen Fragen, die für die internationale Kultur- und Bildungsarbeit im weitesten Sinne von Bedeutung sind. Der Arbeitskreis setzt sich insbesondere die Sicherung und ausreichende Förderung der Arbeit seiner Mitglieder unter Wahrung ihrer völligen Freiheit und Eigenverantwortlichkeit zum Ziel“. Der Vereinigung gehörten etwa ein Dutzend Auslandsorganisationen an, von denen einige auf Dauer mit den bilateralen Beziehungen zu Frankreich befasst blieben (*DFI, *GÜZ u.a.), während andere sich zu international Aron, Raymond A 101 tätigen Mittlerorganisationen weiterentwickelten (Carl-Duisberg-Gesellschaft) und einige ihrer Repräsentanten in die Ministerialverwaltung überwechselten. Der Arbeitskreis verlor in den 1970er Jahren seine Antriebskraft und wurde 2002 aus dem Vereinsregister gestrichen. Die Bedeutung der privaten Initiative für die deutschfranzösische Verständigung. Referate und Ergebnisse der Ludwigsburger Tagung 1957, o.O. o.J. (Ludwigsburg 1958); Hans Manfred Bock, Private Verständigungsinitiativen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich 1949 bis 1963, in: Lendemains 27 (2002) 107/ 108, S. 146-176. Hans Manfred Bock Aron, Raymond Es gibt wohl kaum einen französischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts, der mehr für die Vermittlung der deutschen Philosophie und Soziologie in Frankreich getan hat als der in Paris geborene Philosoph, Soziologe und Journalist Raymond Aron (1905-1983). Nach dem Studium der Philosophie an der École normale supérieure, das er 1928 als Jahrgangsbester mit der agrégation abschloss, und dem sich daran anschließenden Militärdienst verbrachte Aron, einer Tradition französischer Philosophen in der Dritten Republik folgend, drei Jahre in Deutschland. Ein junger Philosoph konnte das deutsche Denken ebenso wenig ignorieren wie die Philosophie des klassischen Griechenlands (*Philosophie). Im Curriculum des französischen Philosophiestudiums der 1920er Jahre hatte die deutsche Philosophie nach Kant indes keinen Platz. Was Aron von Januar 1930 bis September 1933 zunächst in Köln, dann in Berlin für sich entdeckte, war daher eine ganz neue Welt für ihn - die Welt der von Wilhelm Dilthey, Heinrich Rickert, Georg Simmel und Max Weber geprägten deutschen Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie des Historismus. Ursprünglich hatte Aron gehofft, im Werk von Karl Marx, das er in Deutschland erstmals las, eine wissenschaftliche Begründung für seine latent sozialistischen Neigungen zu finden. Als das misslang und er angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland zunehmend für den tragischen, an Zufällen reichen Charakter der Geschichte sensibilisiert wurde, fasste er den Entschluss, den Determinismus des Marxismus mit Hilfe der Erkenntnistheorie des deutschen Historismus zu überwinden. Als Ergebnis dieses Unterfangens erschienen im Jahr 1938 zwei Schriften, mit denen Aron im gleichen Jahr den doctorat d’État erworben hatte: der „Essai sur la théorie de l’histoire dans l’Allemagne contemporaine“ und die „Introduction à la philosophie de l’histoire“. Letztgenanntes Buch, Arons thèse principale , war eine am Denken Max Webers ausgerichtete Zurückweisung des historischen Determinismus, die die Grundlage für das gesamte Aron’sche Werk bilden sollte. Bereits zwei Jahre vor der Veröffentlichung seiner beiden Dissertationsschriften hatte Aron die moderne deutsche Soziologie in seinem Buch „La Sociologie allemande contemporaine“ dem gelehrten französischen Publikum vorgestellt. Ohne Aron wäre die deutsche Geschichtsphilosophie, Erkenntnistheorie und Soziologie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Frankreich kaum zur Kenntnis genommen worden. Aron hat seine frühe Beeinflussung durch Deutschland niemals verleugnet; auch dann nicht, als er während des Zweiten Weltkriegs im Londoner Exil zum besseren Verständnis des Nationalsozialismus die dunklen Traditionslinien des deutschen Denkens untersuchte. Gleichwohl interessierte er sich nach dem Krieg nur wenig für das zeitgenössische deutsche Geistesleben. Das hatte zum einen damit zu tun, dass ihm die deutsche Philosophie nach dem Nationalsozialismus erschöpft zu sein schien, zum anderen damit, dass nun der Rationalismus der angelsächsischen Welt den größten Teil seiner Aufmerksamkeit beanspruchte. Wenn Aron dennoch auch nach 1945 Wichtiges für die Vermittlung deutscher Kultur in Frankreich leistete, dann deshalb, weil er sich weiterhin mit den großen Denkern der Vergangenheit auseinandersetzte. Zwar distanzierte er sich in zwei großen Aufsätzen von Max Weber, dem er im Anschluss an Leo Strauss eine Neigung zum erkenntnistheoretischen und moralischen Relativismus, ja zu einem nietzscheanischen Nihilismus vorwarf. Auch Webers Verständnis von Politik, die für den deutschen Soziologen in all ihren Schattierungen immer nur Machtpolitik habe sein können, stellte er nun als unbrauchbar für den liberalen Westen hin. Aber Aron versuchte doch, indem er Weber kritisierte, seine Erkenntnistheorie soweit zu „korrigieren“, dass ihre wertvollen Bestandteile nicht verloren gingen. Er zeigte, dass man einige Aspekte des Weber’schen Werkes in das eigene Denken integrieren konnte, ohne sich von dessen dezisionistischem und nihilistischem Pathos mitreißen zu ARTE 102 A lassen. Ähnliches tat Aron für Marx. Denn anders als die meisten Vertreter der marxistisch oder paramarxistisch geprägten Pariser Intelligenzija hatte Aron sich eine tiefgehende Kenntnis der Marx’schen Schriften angeeignet. In Vorlesungen und Publikationen zeigte er, welchen Nutzen er als liberaler Soziologe bei der Analyse der modernen Industriegesellschaften aus Marxens Werk zog. Im Hinblick auf die Vermittlung deutscher Kultur lag Arons größtes Verdienst jedoch in seiner Beschäftigung mit Carl von Clausewitz, dem er 1976 mit seinem zweibändigen Opus magnum „Penser la guerre, Clausewitz“ ein Denkmal setzte. Für Aron war die Arbeit an diesem Werk die Möglichkeit, sich noch einmal, wie in seiner Jugend, ganz tief in die deutsche Geistesgeschichte zu versenken. Diese intellektuelle Neugier war freilich nicht sein einziges Motiv. Aron, der in der Nachkriegszeit zu einem der führenden Analytiker der internationalen Beziehungen avanciert war, interessierte sich für Clausewitz, weil dieser als Philosoph des Krieges durchdacht hatte, was auch im thermonuklearen Zeitalter noch immer eine Rolle spielte, nämlich die Frage, wie der Krieg in seinem Ausmaß begrenzt werden konnte. Clausewitz’ Lösung war die Unterordnung des kriegerischen Mittels unter den politischen Zweck, und es lag Aron viel daran, diese Lesart des Clausewitz’schen Werkes an die Stelle der im Westen verbreiteten Vorstellung von Clausewitz als dem Vater der Vernichtungsstrategie zu setzen. Neben der Absicht, den strategischen Denker Clausewitz nicht allein der Sowjetunion zu überlassen, sondern sein Werk für die Strategie des liberalen Westens nutzbar zu machen, verfolgte Aron bei seiner Clausewitz-Deutung noch einen anderen, gleichsam geschichtspolitischen Zweck. Indem er Clausewitz nicht nur in militärischer, sondern auch in politischer Hinsicht als einen Vertreter des Mäßigungsgedankens darstellte, wollte er die liberale Seite des preußischen Generals hervorheben, um deutlich zu machen, dass die deutsche Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts unverzichtbarer Bestandteil der intellektuellen Tradition des Westens war. Auch dahinter steckte in den Zeiten des Kalten Krieges eine politische Absicht: Die Bundesrepublik sollte nicht allein durch die Integration in die NATO und in die Strukturen des vereinigten Europa an den Westen gebunden werden, sondern auch in ideengeschichtlicher Hinsicht. Seit 1945 hatte sich Aron als Journalist für die deutsch-französische *Versöhnung eingesetzt. Dieses politische Werben genügte ihm jedoch nicht, er wollte auch in kultureller Hinsicht zeigen, dass Deutschland seinen festen Platz an der Seite Frankreichs und innerhalb der atlantischen Zivilisation hatte. In seinem Clausewitz-Buch verdichtete sich diese Absicht. Es steht exemplarisch für Arons große Bedeutung auf dem Gebiet der deutsch-französischen Kulturbeziehungen. Nicolas Baverez, Raymond Aron. Un moraliste au temps des idéologies, Paris 1993; Daniel J. Mahoney, The Liberal Political Science of Raymond Aron. A Critical Introduction, Lanham 1992; Matthias Oppermann, Raymond Aron und Deutschland. Die Verteidigung der Freiheit und das Problem des Totalitarismus, Ostfildern 2008. Matthias Oppermann ARTE ARTE ist die Abkürzung für Association relative à la télévision européenne (sicherlich intendiert ist auch die Konnotation mit der lateinischen Sprache: arte als ablativus instrumentalis des Substantivs ars - in der Bedeutung „durch die Kunst/ mit Hilfe der Kunst“). Nachdem das Projekt eines deutsch-französischen Fernsehsenders mit europäischer Ausrichtung bereits 1986 beim deutsch-französischen Kulturgipfel in Frankfurt/ M. angekündigt worden war, wurde es als Chefsache der beiden Staatsmänner Helmut Kohl und François Mitterrand 1988 konzipiert. Nach dem Abschluss eines Staatsvertrags zwischen Frankreich und den deutschen Bundesländern am 2.10.1990 (die sechs neuen Bundesländer traten dem Vertrag 1996 bei) und der Ratifizierung des Gründungsvertrags am 30.4.1991 nahm ARTE den Sendebetrieb am 30.5.1992 auf. Die Rechtsform und Organisation des Senders ist so konzipiert, dass eine strikte Parität zwischen französischem und deutschem Partner gewährleistet ist: Als Dachverband fungiert die „europäische Wirtschaftsinteressengemeinschaft“ G.E.I.E. (Groupe européen d’intérêt économique) mit Sitz in Straßburg. Für den deutschen Teil ist ARTE Deutschland TV GmbH (Baden-Baden), für den französischen ARTE France (Issy-les-Moulineaux) zuständig. Am Budget des Senders sind die Partner zu jeweils 50 % beteiligt, wobei von deutscher Seite ARD und ZDF jeweils 25 % einbringen, während die französische Hälfte von mehreren Institutionen ARTE A 103 finanziert wird: France 3: 27,5 %; der französische Staat: 12,5 %; Radio France und INA (Institut national de l’audiovisuel): jeweils 7,5 %. Im Jahr 2009 betrug das Budget des Senders rund 401 Mio. Euro. Je 40 % des Programmangebots werden mit Erzeugnissen der beteiligten Sendeanstalten von beiden Seiten des Rheins bestritten, der Rest resultiert aus der Eigenproduktion der ARTE-Zentrale, für die im Budget ebenfalls Mittel bereitgestellt werden; darüber hinaus hat der Kanal mit einer Reihe von europäischen und außereuropäischen öffentlichen Sendern Assoziierungs- und Kooperationsverträge abgeschlossen. Drei Viertel aller ARTE- Sendungen des Abendprogramms sind Erstausstrahlungen. An der Spitze des Senders stehen der für vier Jahre gewählte Präsident des vierköpfigen Vorstands und sein Stellvertreter (in turnusgemäß abwechselnder binationaler Kombination). ARTE gehört in Deutschland und Frankreich zum unverschlüsselten Programmangebot des mittlerweile flächendeckend eingeführten digitalen terrestrischen Fernsehens und kann in beiden Ländern über die (in Frankreich weniger verbreiteten) Kabel-Netze empfangen werden. Für 2010 betrug der Marktanteil des Senders, bezogen auf die Einschaltquoten, im Jahresdurchschnitt in Frankreich 1,6 %, in der Bundesrepublik 0,8 %, wobei der deutliche Unterschied durch die Tatsache zu erklären ist, dass in Frankreich ARTE schon seit Gründung zum Bestandteil des per terrestrischer Antenne empfangbaren Programmangebots gehörte (vgl. etwa den Marktanteil von 3,4 % für das Jahr 2003), wohingegen in Deutschland die deutlich größere Konkurrenz durch das Angebot frei empfangbarer Fernsehkanäle sowohl öffentlichrechtlicher als auch privater Natur dem Sender zu schaffen macht. Seit 2006 sendet ARTE ganztägig. Bereits im Gründungsvertrag von 1991 wurde die kulturelle Sonderstellung des neuen Kanals hervorgehoben: „Der Europäische Fernsehkulturkanal soll nach dem Willen seiner Gründer ein europäisches Fernsehprogramm mit kultureller Perspektive und alternativen Formen der Programmgestaltung werden“. Tatsächlich erheben die Beiträge der einzelnen Programmsparten den Anspruch, Information und Hintergrundanalysen zu allen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit auf höchstem Qualitätsniveau darzubieten und insbesondere der Kultur in Gestalt von Theater, Musik, Ballett, Literatur und Kino, aber auch in ihren Alltagserscheinungen, einen zentralen Platz im Angebot des Senders einzuräumen. Das Spektrum der Sendungen setzt sich wie folgt zusammen: 43 % Dokumentationen, 18 % Spielfilme, 10 % Fernsehfilme, 17 % Information, 10 % Musik, Theater, Tanz, 2 % Kurzfilme. Es gehört zu einer solchen Profilierung, dass ARTE ausdrücklich auf die Ausstrahlung von Show-Sendungen und Sportübertragungen verzichtet. Über diese allgemeine Kennzeichnung des Angebots hinaus hat ARTE zwei Programminhalte zum besonderen Markenzeichen gemacht: Die Ausstrahlung von Kinofilmen (4-5 Filme pro Woche), die in Gestalt von Einzelwerken, Regisseur- oder Schauspieler-Zyklen, Retrospektiven zu Epochen und ästhetischen Schulen, Stummfilmen den Ansprüchen eines jeden Cinephilen gerecht wird; sowie die Themenabende (2-3 pro Woche), bei denen ein bestimmtes Thema durch mehrere analytische Beiträge (Dokumentation/ Reportage, Gesprächsrunde/ Expertenbefragung) und meistens auch durch eine thematisch passende Spielfilm- Veranschaulichung im Abendprogramm intensiv beleuchtet wird. Die deutsch-französische Grundlegung von ARTE findet ihren Niederschlag in der besonderen binationalen Berücksichtigung der Spiel- und Fernsehfilme, in der Auswahl der Themenabende sowie im Rahmen der täglichen Nachrichtensendung, die von Sprecher-Tandems aus beiden Ländern im Wechsel moderiert wird, wobei die fremdsprachlichen Passagen dann im voiceover - Verfahren übersetzt werden. Die wöchentlich ausgestrahlte Sendung *Karambolage von Claire Doutriaux, die ihr Augenmerk auf deutsch-französische Eigenheiten richtet, wendet sich für die Zwecke des Fremdsprachenerwerbs und der Landeskunde insbesondere an ein schulisches Publikum. Ohne Zweifel ist der deutsch-französische Kulturkanal unverzichtbar für alle Teilnehmer der Fernsehkommunikation, die das umfassende inhaltliche Potenzial dieses Mediums auf hohem Niveau und hinsichtlich der deutsch-französischen Schwerpunktsetzung nutzen wollen. Allerdings bietet ARTE gerade hinsichtlich des so offensiv affichierten Gütesiegels der Kultur in der Ambivalenz ihrer Auslegungsmöglichkeiten immer wieder Anlass zur Kritik: Einerseits läuft der Sender angesichts seines hohen Kultur-Anspruchs Gefahr, als „elitär“ wahrgenommen zu werden und sich so Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES) 104 A einem breiteren Publikumspotenzial zu verschließen; andererseits kann ARTE vorgeworfen werden, durch die Wieder-Ausstrahlung populärer Fernsehserien, die Betonung kulinarischer Reihen sowie die regelmäßige Programmierung von Filmen und Dokumentationen mit prononciert erotischer Thematik Kultur als Vorwand für das Bemühen um konventionelle Publikumswirksamkeit zu instrumentalisieren und damit zu nivellieren. Auf dem Pressemarkt ist ARTE mit der Monats-Programmzeitschrift ARTE-Magazin vertreten, des Weiteren vertreibt der Sender auch Bucheditionen und DVDs aus dem Programmspektrum. Inge Gräßle, Der europäische Fernseh-Kulturkanal ARTE. Deutsch-französische Medienpolitik zwischen europäischem Anspruch und nationaler Wirklichkeit, Frankfurt/ M. 1995; Patrick Démerin, Arte, vache sacrée des Français, vache à lait des Allemands, vache folle européenne? , in: Le Débat 120 (mai-septembre 2002), S. 4-31; Medias audiovisuels et relations franco-allemandes (hg. von Corine Defrance), in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 37 (2005) 1. Klaus-Peter Walter Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES) Die Gründungsversammlung des Verbandes der französischen Hochschulgermanisten fand 1967 in der noch im Aufbau begriffenen neuen Universität Nanterre, bekannt auch als Ausgangspunkt der Studentenrevolte 1968 (*Daniel Cohn-Bendit), statt. Die Initiative ging aus von ihrem damaligen Dekan, dem Germanisten *Pierre Grappin, und war nicht ohne Zusammenhang mit der Entwicklung des französischen Hochschulwesens in den 1960er Jahren. Es waren Jahre eines quasi explosiven Wachstums der Studentenzahlen, das nicht nur immer mehr räumliche Kapazitäten und Lehrpersonal erforderte, sondern auch eine Reformwelle in Gang setzte, die heute noch nicht zu Ende ist. Die sowohl quantitativ als auch qualitativ erheblichen Veränderungen im Lehrbetrieb durch die Einführung neuer Studiengänge und Studieninhalte schlugen sich auch in der Forschung nieder. Wohl oder übel musste sich auch die *Germanistik weiterentwickeln, und so war es dringend nötig, den Fachkollegen eine Gelegenheit zu geben, sich regelmäßig zu treffen, um sich zu informieren, Erfahrungen auszutauschen und gegebenenfalls im Interesse des Faches und der Studierenden Initiativen zu ergreifen. Seit 1968 organisiert jedes Jahr eine andere Universität die mehrtägige Jahresversammlung der AGES, bei der stets ein wissenschaftliches Thema im Mittelpunkt steht. Die Interna des Verbandes, die beruflichen Belange der Germanisten, sowie die inhaltlichen und organisatorischen Probleme des Lehrbetriebs werden auf eintägigen Treffen diskutiert, die zweimal im Jahr in Paris stattfinden. Die Kontinuität der Verbindung zu den Mitgliedern wird auch in der Zwischenzeit der Tagungen gewahrt. In den ersten Jahrzehnten erschienen regelmäßig ein Mitteilungsblatt und ein jährliches bulletin . Neuerdings werden diese traditionellen Medien zunehmend durch Internet-Informationen ersetzt. Durch diese Aktivitäten leistet die AGES einen wertvollen Beitrag zur Verteidigung und Stärkung des Deutschunterrichts in Frankreich. Als Vertreter und Wortführer der Germanisten und der Deutschlehrer haben die jeweiligen Präsidenten des Verbandes immer wieder die Sache des Deutschen im Fremdsprachenunterricht mit Erfolg verteidigen können. Dass die AGES alle französischen Germanisten, ungeachtet ihrer Fachrichtungen und Schwerpunkte sowie politisch-weltanschaulicher Zugehörigkeit, umfasst, gibt ihren Stellungnahmen und Positionen ein besonderes Gewicht. Die Kohärenz des Verbandes ist vor allem dadurch gewährleistet, dass das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen fachlichen Spezialitäten (Linguistik, Literatur und Landeskunde) und zwischen den verschiedenen Universitäten gewahrt wird, sowohl bei der Wahl der Tagungsorte für die jährlichen Kongresse wie für die Wahl der Präsidenten und des Vorstandes. Einem ungeschriebenen Gesetz folgend hat sich seit der Gründung der AGES vor mehr als vierzig Jahren und der Wahl ihres ersten Vorsitzenden, *Robert Minder, keiner der 14 Nachfolger um ein zweites dreijähriges Mandat beworben. Dadurch wird nicht nur ein rapider Wechsel, sondern auch die unabdingbare Verjüngung der Verbandsführung gewährleistet. Der wichtigste Beitrag der AGES zum deutschfranzösischen Kulturaustausch besteht gewiss in ihrem Bemühen, die deutsche Sprache und Kultur in Frankreichs Hochschulen und Schulen (*ADEAF) gegen die Uniformisierung und Verflachung durch eine angebliche Weltsprache und Universalkultur zu verteidigen. Sie tut es in enger Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen. Die Association franco-allemande des assistants parlementaires e.V. (AFAAP) A 105 jährlichen Kongresse des französischen Germanistenverbandes fanden nicht nur an französischen Universitäten statt, sondern oft auch im deutschen Sprachraum, so zum Beispiel in Saarbrücken (1974 und 2003), Innsbruck (1982), Frankfurt/ Oder (1993), Leipzig (1999), Aachen (2005) und Göttingen (2008). Abgesehen von den persönlichen wissenschaftlichen Kontakten und der Zusammenarbeit der französischen Germanisten mit ihren deutschen und österreichischen Kollegen, besteht auch eine enge Zusammenarbeit der AGES mit den jeweiligen Germanistenverbänden. Hinzu kommt, dass deutsche und österreichische Wissenschaftler (nicht nur Germanisten sondern auch Romanisten oder Historiker) zu Gastvorträgen bei allen AGES-Kongressen auftreten und so eine Internationalität und Interdisziplinarität des Faches in Frankreich garantieren. Colette Cortès, Gilbert Krebs (Hg.), Le territoire du germaniste. Situations et explorations, Actes du 30 e Congrès de l’AGES mai 1997, Asnières 1998. Gilbert Krebs Association franco-allemande des assistants parlementaires e.V. (AFAAP) Verein Deutsch-Französischer Parlamentspraktikanten Im Jahre 1993 wurde in Bonn, dem damaligen Sitz des Deutschen Bundestags, die Association francoallemande des assistants parlementaires e.V. (AFAAP) gegründet. Es handelt sich um den Ehemaligenverein eines deutsch-französischen Stipendienprogramms, das vier Jahre zuvor aus der Taufe gehoben wurde. Mit dem Jahresstipendium wird Absolventen aus allen Disziplinen die Möglichkeit gegeben, politische Praxis aus nächster Nähe durch eine Assistententätigkeit für einen Abgeordneten kennenzulernen. Die Praktikanten sollen später als Multiplikatoren mit einem größeren Verständnis für die parlamentarische Arbeit im Nachbarland zu einer Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen beitragen. Der universitäre Bestandteil des Programms legt eine theoretische Basis für die Assistententätigkeit. Das Deutsch-Französische Parlamentspraktikum war nicht von Anfang an bilateral. 1989 gingen die ersten fünf französischen Studenten an den Deutschen Bundestag und an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (heute: an die Humboldt-Universität zu Berlin), erst ein Jahr später zogen die ersten fünf deutschen Stipendiaten nach Paris an die Assemblée nationale und zum Institut d’études politiques (Sciences Po). Durch die strengen Auswahlkriterien des Programms gelten die durchweg zweisprachigen und gut ausgebildeten Teilnehmer als Promotoren der deutsch-französischen Beziehungen. Ziel des Vereins ist es, die neuen Praktikanten bei ihrer Arbeit und bei ihrem Studium in der Gaststadt zu unterstützen, sich für den Erhalt des Programms einzusetzen, für eine Vernetzung der ehemaligen Praktikanten zu sorgen und sich für eine Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen einzusetzen. Der Verein wird für die Dauer von zwei Jahren von zwei Präsidenten geleitet, die sich in der Führung nach einem Jahr abwechseln. Nach Möglichkeit sollen es jeweils ein Deutscher und ein Franzose sein. Die ersten Präsidenten des Vereins gehörten zu den ersten promotions , namentlich Martin Stauch und Armel Le Divellec. Im Jahr 2013 hatten 229 Praktikantinnen und Praktikanten das Programm absolviert. Der Verein ist ein lockerer Zusammenschluss der über ganz Deutschland und Frankreich verteilten Mitglieder, deren Hauptaktivitäten aus den Mitgliederversammlungen mit wissenschaftlichen Vorträgen und kulturellen Veranstaltungen sowie gelegentlichen unterjährigen Zwischentreffen besteht. Neben den Treffen erfolgt die Vernetzung vor allem über Mailinglisten. So werden dort laufend Stellenanzeigen oder Hinweise auf Promotionen oder auf Forschungsvorhaben veröffentlicht. Das unregelmäßig erscheinende „AFAAP-Journal“ und das „Journal interparlementaire“ tragen zu einer Vertiefung deutsch-französischer Themen bei. Die bisher erschienenen „Annuaires“ (1995, 2002, 2007 und 2014) dokumentieren die Lebensläufe der Programmteilnehmer und belegen, dass die Absolventen häufig in verantwortungsvollen Aufgaben in deutsch-französischen und europäischen Bereichen tätig sind. Inzwischen gilt die AFAAP selbst, neben dem Stipendienprogramm, als Institution der deutsch-französischen Beziehungen. Martin Stauch Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) 106 A Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) Der französische Deutschlehrerverband ADEAF sieht es - ähnlich wie die *AGES auf universitärer Ebene - als eine ihrer Hauptaufgaben an, den Platz des Deutschen in den französischen Schulen zu stärken, sodass er den Kontakt zu deutschen Institutionen (z.B. *Goethe-Institut) in Frankreich und zu französischen in Deutschland pflegt. Darüber hinaus beteiligt er sich aber auch an den Aktivitäten zum Ausbau der oft beschworenen „notwendigen Mehrsprachigkeit“, ist Mitglied der Association des professeurs de langues vivantes (APLV) und unterstützt darüber hinaus das Observatoire européen du plurilinguisme (*Sprachenpolitik). Seit 1983 ist die ADEAF Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbands (IDV), wodurch Kontakte zu Deutschlehrerverbänden auf der ganzen Welt hergestellt werden konnten. Kontakte bestehen weiterhin auch zu den Französischlehrerverbänden in den deutschsprachigen Ländern. Die Gründung des Verbandes geht auf die Initiative des damals emeritierten inspecteur général d’allemand Jacques Martin zurück, der Ende 1977 etwas gegen die rückgängigen Deutschlernerzahlen unternehmen wollte. Die Statuten wurden am 10.8.1978 im „Journal officiel“ veröffentlicht. Aufgabe des Verbandes war und bleibt es, zur Entwicklung und Förderung der deutschen Sprache in allen Sparten des französischen Bildungswesens beizutragen. Mit etwa 2 000 Mitgliedern (Stand 2011) umfasst die ADEAF ein Viertel aller französischen Deutschlehrer. Die Organisation des Verbandes richtet sich nach der Verwaltungsstruktur des französischen Bildungswesens. Jeder académie entspricht eine regionale Vereinigung mit einem eigenen Vorstand, der auf académie -Ebene den Kontakt mit dem regionalen und lokalen Verwaltungsapparat pflegt. Auf nationaler Ebene wird der Verband von einem Vorstand ( bureau exécutif ) geleitet, an dessen Spitze der alle drei Jahre von einer Generalversammlung gewählte Vorstandsvorsitzende ( président national ) steht. Dessen Ansprechpartner sind die inspecteurs généraux sowie die Ministerialdirektoren und die engsten Mitarbeiter des Kulturministers. Der erste Vorstand bestand aus Jacques Martin (Vorsitzender), Claude Barrial (Sekretär) und Jean-Pierre Maurer (Schatzmeister). Seit 1979 gibt die ADEAF ein Vierteljahresblatt heraus, das mittlerweile über 100 Seiten umfasst und neben Interna Informationen zur Lage des Deutschunterrichts in den Regionen gibt, über pädagogische Experimente berichtet sowie ein Hauptthema behandelt. Die Webseite wendet sich mit Foren, Links und Dokumenten zum Herunterladen vor allem an Deutschlehrer. 2011 eröffnete die ADEAF ein Facebook-Profil und schloss eine Partnerschaft mit Cyberlangues, um auch die neuen Medien beim Austausch unter Deutschlehrern zu nutzen. Im Jahre 1983 wurde die Schwesterorganisation Association des nouveaux cahiers d’allemand von Jacques Martin und dem Universitätsprofessor Eugène Faucher gegründet, deren Hauptaufgabe darin besteht, eine Zeitschrift für Linguistik und Didaktik herauszugeben, die sich nicht nur an die Fachleute der Universität, sondern auch an die Kollegen der Sekundarstufe wendet. Um eine Auseinanderentwicklung der beiden Organisationen zu vermeiden, ist jede statutarisch im Vorstand der anderen vertreten. Frédéric Auria Asterix Die weltweit derzeit 325 Millionen verkauften Alben machen die Abenteuer um die gallischen Helden Astérix und Obélix zur erfolgreichsten französischen Comic-Serie aller Zeiten. Ab Oktober 1959 erschienen in der neu gegründeten Comic-Zeitschrift „Pilote“ die Episoden in Fortsetzungsform, an die sich der Album-Nachdruck anschloss; ab 1974 erfolgte die Publikation dann direkt in gebundener Form. Bislang sind 34 Alben erschienen, davon 32 als in sich abgeschlossene Abenteuer sowie zwei Kompilationen von Einzelerzählungen. Autoren sind René Goscinny (1926- 1977) als Texter und Albert Uderzo (geb. 1927) als Zeichner; nach Goscinnys Tod übernahm Uderzo ab Folge 25 („Le grand fossé“, 1979) auch den Part des Textschreibers, wobei das Ergebnis vielfach als Qualitätsverlust bewertet worden ist. Das Bild- Text-Dispositiv des Comic hat die populäre Serie auch für das Medium Film prädestiniert: sieben Zeichentrick- und vier besonders publikumswirksame Realfilme sind bisher für die Kinoleinwand produziert worden, zuletzt, 2012, kam „Im Auftrag seiner Majestät“ mit einer ganzen Reihe Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik A 107 berühmter französischer Schauspieler (Gérard Depardieu, der Obélix bereits zum vierten Male verkörpert, Catherine Deneuve, Jean Rochefort, Dany Boon, Gérard Jugnot und Fabrice Lucchini) höchst erfolgreich in die Kinos. Die Abenteuer um den kleinen pfiffigen Krieger Astérix (der Name leitet sich von frz. astérisque für „Sternchen im Sinne von Fußnoten-Verweisung“ als verschmitztes understatement-Signal ab) und seinen korpulent-hyperkräftigen Freund Obélix in einem kleinen bretonischen Dorf, das um 50 v. Chr. den römischen Invasoren nachhaltig widersteht, geben trotz der historischen Verkleidung Anlass zu mannigfaltigen Anspielungen und belustigenden bis satirischen Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen französischen Gesellschaft und ihren Befindlichkeiten. Darüber hinaus widmet sich eine Reihe der Geschichten der Fremdwahrnehmung: Ihr Tatendrang veranlasst Astérix und Obélix immer wieder zu Expeditionen in andere Kulturräume, wo sie auf zumeist humorvolle Weise mit den einschlägigen Nationalstereotypen konfrontiert werden. Bereits der dritte Band erzählte 1963 unter dem Titel „Astérix et les Goths“ eine derartige Begegnung mit Deutschland und den Deutschen (dt. Übersetzung: 1970). Ausgerechnet im Jahr des *Élysée-Vertrags entwarfen Goscinny/ Uderzo hier vom Nachbarn jenseits des Rheins ein wahres Schreckensbild, das die alten Klischees aus der Zeit der *„Erbfeindschaft“ reaktivierte - preußischer Pickelhauben- und Stechschritt-Militarismus, Rohheit und Aggressivität der so bezeichneten „Barbaren“, Invasionsgelüste in Richtung Gallien bis hin zur kaum verfremdeten Visualisierung von NS-Fahnen, Hakenkreuzen und Hitler-ähnlichen Gestalten. Astérix’ erfolgreiche Strategie zum Sieg über die „Gothen“ besteht darin, die in jedem Deutschen, gerade auch in den vermeintlich harmlosen Untertanen, angelegte Machtgier vermittels des unbändige Kräfte verleihenden Zaubertranks freizusetzen und so einen permanenten Bürgerkriegszustand aller gegen alle herbeizuführen, der über Jahrhunderte die genuine Blutrünstigkeit auf die Selbstzerstörung im Landesinneren eindämmt. Mit über 90 Mio. verkauften Alben erfreut sich „Asterix“ gerade in Deutschland einer außerordentlichen Beliebtheit. Dabei verlief der deutsche Start der Serie problematisch: 1965 erwarb Rolf Kauka die Übersetzungs-Lizenz und publizierte in der Zeitschrift „Lupo“ vier Abenteuer, die auf einer gravierenden Bearbeitung beruhen: Die beiden Helden sind nun Germanen, Siggi und Babarras (so auch der Serientitel), Szenerie, Figuren und Handlung verweisen penetrant auf die politische Landschaft der Bundesrepublik, wobei die Anspielungen ein unübersehbar reaktionäres, ja sogar antisemitisches Gedankengut zur Darstellung bringen. Daraufhin entzogen die französischen Autoren Kauka die Lizenz und vergaben sie ab 1967 neu an den ebenfalls auf Comics spezialisierten Ehapa Verlag. Dort erschienen unter konsequenter Wahrung der Originalfiktion und in sehr gelobten Übersetzungen die regulären Abenteuer ab 1968 in Albumform. Die deutsche Popularität von „Asterix“ im Allgemeinen und das immense sprachspielerische Potenzial der Texte im Besonderen hat dazu geführt, dass im deutschen Sprachraum mittlerweile über 70 Dialekt-Versionen einzelner Abenteuer publiziert worden sind; regionalsprachlich spezialisierte Linguisten haben ebenso wie Literaten (F. Mitterer) oder Kabarettisten (D. Hallervorden, U. Priol) eine schöpferische Herausforderung darin gesehen, den Originaltext nicht weniger als 30 Dialekten (u.a. Wienerisch, Alemannisch, Bairisch, Fränkisch, Schwäbisch, Hessisch, Saarländisch, Sächsisch, Berlinerisch, Plattdeutsch) geistreich anzuverwandeln. André Stoll, Asterix, das Trivialepos Frankreichs. Die Bild- und Sprachartistik eines Bestseller-Comics, Köln 1974; Nicolas Rouvière, Astérix ou les lumières de la civilisation, Paris 2006; ders., Astérix ou la parodie des identités, Paris 2008; René van Royen, Asterix - die ganze Wahrheit, München 2 2008; Kai Brodersen (Hg.), Asterix und seine Zeit. Die große Welt des kleinen Galliers, München 3 2008; Christine Gundermann, 50 Jahre Widerstand: Das Phänomen Asterix, in: Zeithistorische Forschungen/ Studies in: Contemporary History 6 (2009), S. 115-128. Klaus-Peter Walter Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik In der Bundesrepublik liegt die auswärtige Kulturpolitik an der Schnittstelle zwischen Außenpolitik und Kulturpolitik. Daher kann man von kultureller Außenpolitik oder auswärtiger Kulturpolitik sprechen. Der letztere Begriff hat sich jedoch durchgesetzt. Ihr Hauptorgan ist die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts. Sie wurde 1952 gegründet, um das neue Deutschland als Kulturstaat nach außen sichtbar werden zu lassen und die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik 108 A Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Ausland zu erleichtern. Der Schutz der freien Ausübung von Kunst und Kultur war nämlich im Grundgesetz festgeschrieben. Obwohl die auswärtige Kulturpolitik in diesem Sinne prinzipiell den Zielen politischer Propaganda fern steht, wurde sie während des Kalten Krieges in den 1950er und 60er Jahren häufig für den Kampf gegen die diplomatische Anerkennung der DDR instrumentalisiert. Die heutigen Strategien der auswärtigen Kulturpolitik haben ihre Wurzeln in der großen Reformbewegung der 1970er Jahre. Das erste Prinzip betraf die Erweiterung des Kulturbegriffs. Dieser sollte nicht nur auf bildende Kunst, Sprache und Hochkultur beschränkt bleiben, sondern alle symbolischen Aktivitäten einer Gesellschaft umfassen. Hierzu zählten bedeutende Schriftsteller, Musiker und Künstler, aber auch philosophische und politische Vordenker, Sportler oder Städteplaner. Das zweite Prinzip betraf die Zielgruppe des Austauschs. Auf der Grundlage des von dem parlamentarischen Staatssekretär Ralf Dahrendorf geprägten Konzeptes der zwischenstaatlichen Gesellschaftspolitik blieb die auswärtige Kulturpolitik im Zuständigkeitsbereich der Diplomatie, hat aber den Dialog zwischen den Gesellschaften zur Aufgabe. Das dritte Prinzip betraf die Gegenseitigkeit des Kulturaustauschs. Es ging nicht um Selbstdarstellung und einen einseitigen Kulturexport, sondern einen wechselseitigen Austausch und Begegnungen zwischen den Kulturakteuren. Ausgehend von diesen Prinzipien setzt sich die auswärtige Kulturpolitik dauerhaft für sehr verschiedene Bereiche ein: die Förderung der deutschen Sprache (*Sprachenpolitik), die Unterhaltung deutscher Schulen im Ausland, wissenschaftliche und akademische Zusammenarbeit (*DAAD), Kunst- und audiovisuelle Medienprojekte, Sport- und Jugendaustausch (*DFJW), gesellschaftspolitische Projekte in Zusammenarbeit mit politischen Stiftungen, Erhalt des Kulturerbes in Schwellen- und Entwicklungsländern. Mehr und mehr werden Entwicklungshilfeprojekte mit kulturellen Projekten im Ausland verbunden. Die diplomatische Funktion der auswärtigen Kulturpolitik hat sich zu Beginn der 1990er Jahre verändert und weiterentwickelt, da die kulturelle Konkurrenz der DDR, die während des Kalten Krieges einen mächtigen Antriebsfaktor darstellte, mit einem Male wegfiel. Die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005) steckte sich im Rahmen ihres programmatischen Textes „Konzeption 2 000“ daher Konfliktprävention und Demokratieförderung als neue Ziele. Die auswärtige Kulturpolitik fällt sowohl in den Kompetenzbereich des Bundes als auch der Länder. Ein Kompromiss wurde 1957 gefunden (Lindauer Absprache): das Betreiben der auswärtigen Kulturpolitik als Aufgabenfeld der Diplomatie gehört zum Kompetenzbereich des Auswärtigen Amts, die Länder müssen jedoch ihre Zustimmung zur Unterzeichnung bilateraler Kulturverträge über die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik, die Kultusministerkonferenz (KMK) geben. Neben den Ländern sind zudem einige halbstaatliche, dekonzentrierte Organisationen, die so genannten Mittlerorganisationen, Hauptakteure der auswärtigen Kulturpolitik. Die meisten dieser Organismen wurden in der Weimarer Republik gegründet und in den 1950er Jahren wieder neu ins Leben gerufen: der *Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA), das *Goethe-Institut und die Humboldt-Stiftung. 1953 kam InterNationes als ein neuer Organismus hinzu, der für den Versand von Informationsbroschüren und Filmen sowie die Organisation von Vortragsreisen zuständig war; 2000 wurden InterNationes und *Goethe-Institut zusammengeschlossen. Bedeutsam in diesem Kontext ist ebenfalls der internationale Radiosender Deutsche Welle, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Deutsche Musikrat und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen. Finanziert werden diese Institutionen größtenteils vom Auswärtigen Amt. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und den verschiedenen Mittlerorganisationen macht die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik zu einem besonderen Modell, das weder der völligen politischen Kontrolle unterworfen ist, wie in Frankreich, Italien oder den Vereinigten Staaten, noch ganz autonom agieren kann wie in Großbritannien. Am Ende der 1950er Jahre wurde zwar über ein „Council für Kultur“ nach dem Vorbild des British Council nachgedacht, die Idee aber wieder fallengelassen. Um die Arbeit der halbstaatlichen Einrichtungen zu koordinieren, gründete man 1961 den Kulturbeirat, ein Gremium mit 20 wichtigen Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich. Die deutsche Vorgehensweise Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik A 109 kann damit als ein „gemischtes Modell“ (Mitchell) bezeichnet werden, die darüber hinaus der multilateralen kulturellen Zusammenarbeit einen großen Platz einräumt. Seit 1950 arbeitet die BRD im Rat für kulturelle Zusammenarbeit des Europarats in Brüssel und ist seit 1951 Mitglied der UNESCO. Die multilaterale und europäische Ausrichtung wurde durch das Programm „Konzeption 2 000“ verstärkt. Seit der Erweiterung der Europäischen Union ist es Ziel der deutschen auswärtigen Kulturpolitik, das Gefühl der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft in den mittel- und osteuropäischen Ländern zu verstärken. Deutschland ist auch im Rahmen des Netzwerkes der Europäischen Vereinigung nationaler Kulturinstitute (EUNIC) aktiv. Darüber hinaus finanziert der Élysée-Fonds, der 2003 anlässlich des 40. Jahrestages des *Élysée-Vertrages ins Leben gerufen wurde, deutsch-französische Kulturprojekte in Drittstaaten. Die Neugründung des Auswärtigen Amts und seiner Kulturabteilung 1951 stand, dem ehemaligen SPD-Abgeordneten Georg Kahn-Ackermann zufolge, unter dem Zeichen der Rehabilitierung. Zwischen 1951 und 1969 machte es sich die auswärtige Kulturpolitik zur Aufgabe, den Bruch mit dem „Dritten Reich“ zu verdeutlichen und an die humanistischen, christlichen und demokratischen Werte Deutschlands als „Land der Dichter und Denker“ zu erinnern. Sie setzte auf Zurückhaltung und überließ den ausländischen Partnern die Initiative zum kulturellen Austausch. Anfang der 1960er Jahre übertrug das Auswärtige Amt dem *Goethe-Institut die Verantwortung für 35 innerdeutsche Institute und 65 binationale Kulturverbände. Darüber hinaus wurde das Budget der Kulturabteilung außergewöhnlich erhöht. 1968 erreichte es 229 Mio. DM gegenüber 2,8 Mio. DM im Jahr 1952. Die Zahl der Auslandsfilialen des *Goethe-Instituts erhöhte sich zwischen 1958 und 1969 von 15 auf 109. Die wichtigsten Adressaten waren die westlichen Alliierten der BRD und Länder mit einem traditionell hohen kulturellen Einfluss wie Italien, Griechenland, Spanien, Südamerika und der Nahe Osten. Im Rahmen der Entkolonialisierung der 1950er und 60er Jahre und im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der DDR wandte sich die auswärtige Kulturpolitik der BRD auch zunehmend den jüngeren unabhängigen Staaten Asiens und Afrikas zu. Die darauffolgende Reformphase erstreckte sich von 1969 bis 1982. 1969 wurde Ralf Dahrendorf unter der neuen sozialliberalen Koalition zum parlamentarischen Staatssekretär für auswärtige Kulturpolitik ernannt; 1970 nahm das Auswärtige Amt „18 Leitsätze für die auswärtige Kulturpolitik“ an; für die Periode 1973-1976 stellte das Gutachten des Soziologen Hansgert Peisert die Grundlage für den Dreijahresplan der Kulturabteilung dar, in dem das Prinzip der Erweiterung des Kulturbegriffs, zwischengesellschaftliche Politik und die Gegenseitigkeit des Austauschs festgeschrieben wurden. Ab 1977 rückten die Öffnung zur kulturellen Vielfalt und die Rolle der Kultur im Rahmen der Entspannungspolitik noch weiter in den Mittelpunkt. Mit dem Antritt der Regierung von Helmut Kohl 1982 und der Kürzung der Mittel für die auswärtige Kulturpolitik endete die Reformbewegung und eine traditionellere Konzeption, in der die Sprachförderung wieder vor der Erweiterung des Kulturbegriffs stand, setzte sich durch. Der Mauerfall 1989 und der Zusammenbruch des Sowjetblocks führten schließlich zu einer Neuorientierung der auswärtigen Kulturpolitik. Neue Kulturabkommen mit den östlichen Ländern wurden unterzeichnet und das *Goethe-Institut eröffnete zwischen 1989 und 2009 19 neue Institute, zehn davon in Mittel- und Osteuropa, acht im Kaukasus und Zentralasien. Nach dem Antritt der rot-grünen Koalition 1998 wurde der Status der auswärtigen Kulturpolitik erneut verändert: Orientierungspunkt bildete dabei Willy Brandts Definition aus den 1960er Jahren, der in ihr die dritte Säule der Außenpolitik sah. Nach den Balkankriegen Ende der 1990er Jahre und den terroristischen Anschlägen des 11.9.2001 wurde das Konzept des Kulturdialogs tonangebend, das auf der Überzeugung beruht, dass kultureller Austausch und Kooperation in der Lage sind, politische Konflikte zu verhindern. Das Programm „Europäisch-Islamischer Kulturdialog“ wurde eingerichtet, um Kontakt mit den fundamentalistischen Bewegungen herzustellen. Darüber hinaus wurden im Zeichen der Globalisierung Partnerschaften mit den neuen Mächten der Asien-Pazifik Region und Lateinamerika verstärkt. Corine Defrance, La politique culturelle extérieure de la RFA au service de la diffusion d’une nouvelle image de soi à l’étranger (1949-1969), in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande, 40 (2008) 3, S. 367-380; Stef- Auswärtige Kulturpolitik der DDR 110 A fen R. Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis. Die Geschichte des GI von 1951 bis 1990, München 2005; John M. Mitchell, International Cultural Relations, London, 1986; Johannes Paulmann, Die Haltung der Zurückhaltung. Auswärtige Selbstdarstellungen nach 1945 und die Suche nach einem erneuerten Selbstverständnis in der Bundesrepublik, Bremen 2006; Albert Salon, La politique culturelle de la République Fédérale d’Allemagne à l’étranger, Paris 1970; Julia Sattler, Nationalkultur oder europäische Werte? Britische, deutsche und französische Auswärtige Kulturpolitik zwischen 1989 und 2003, Frankfurt/ M. 2007; Karl-Sebastian Schulte, Auswärtige Kulturpolitik im politischen System der BRD. Konzeptionsgehalt, Organisationsprinzipien und Strukturneuralgien eines atypischen Politikfeldes am Ende der 13. Legislaturperiode, Berlin 2000. Élise Lanoë Auswärtige Kulturpolitik der DDR Um sich von der auswärtigen Kulturpolitik „imperialistischer“ Staaten abzugrenzen, ersetzte die SED im offiziellen Sprachgebrauch den Terminus „AKP“ durch den Begriff „Kulturaustausch“. Ab den 1970er Jahren sprach man dann von „Kulturellen Auslandsbeziehungen“. Der Kulturaustausch umfasste die staatlichen kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu Drittstaaten in den Bereichen Kunst und Kultur sowie „der Wissenschaft (mit Ausnahme der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit) und des Hochschulwesens, des Volksbildungswesens und der Berufsausbildung, des Gesundheitswesens, der Körperkultur und des Sports“ zum Zwecke gegenseitigen Kennenlernens und der Zusammenarbeit (Kulturpolitisches Wörterbuch 1970). Deutsche Studien zur AKP der DDR legen dagegen häufig die Definition von Peisert/ Kuppe zugrunde, die unter AKP diejenigen Aspekte und Bereiche kultureller Beziehungen subsumieren, die aufgrund staatlicher Förderung als außenpolitische Instrumente eingesetzt werden. Eine solche Förderung beziehe sich i.d.R. auf finanzielle und organisatorische Unterstützung sowie die Herstellung juristischer Rahmenbedingungen. Der Kulturaustausch galt als Mittel zur Durchsetzung diplomatischer Ziele: „Als Teil der Außenpolitik eines Staates unterstützt er dessen Bemühungen, auf die internationale Situation so einzuwirken, daß sie eine möglichst günstige Voraussetzung für die innere Entwicklung darstellen“ (Kulturpolitisches Wörterbuch). Diese Aufgabenstellung entsprach sowjetischen Vorgaben, war aber zugleich im Hinblick auf die ausbleibende internationale Anerkennung der DDR bis 1972/ 73 formuliert. Zwischen Kulturaustausch und Auslandsinformation bestand eine enge Wechselbeziehung. So waren Gastspiele, Schriftsteller-Lesungen, Ausstellungen, Austausch von Studiendelegationen und Verträge als Formen der auslandsinformatorischen Arbeit definiert. Legitimiert wurde der instrumentell-propagandistische Charakter des Kulturaustauschs durch marxistisch-leninistische Prinzipien und „Erfahrungswerte“, die ihrerseits auf Diskussionen russischer Sozialrevolutionäre über den richtigen Einsatz von Propaganda und Agitation in der Gesellschaft basierten. Gegenüber den sozialistischen Verbündeten war das untereinander verpflichtende Prinzip der Völkerfreundschaft die politisch-ideologische Grundlage. Es bildete die Brücke für den Aufbau kultureller Beziehungen der zunächst international isolierten DDR. Der Kulturaustausch galt hierbei als klarster Ausdruck von Völkerfreundschaft. Für Kulturbeziehungen mit kapitalistischen Staaten war das 1958 in das SED-Programm aufgenommene außenpolitische Konzept der friedlichen Koexistenz maßgeblich. Es ging bei gleichzeitiger militärischer Entspannung von einer Verschärfung der ideologischen Auseinandersetzung zwischen den Blöcken aus. Der Kulturaustausch war dabei in den „Kampf“ um ideologische Vorherrschaft eingebunden. Um sich gegenüber der Bundesrepublik weiterhin abzugrenzen, wurde nach der DDR-Anerkennungswelle die Existenz einer sozialistischen deutschen Nationalkultur propagiert. Vor dem Hintergrund der neuen Verfassung von 1974, die die deutsche Zweistaatlichkeit endgültig zementierte, behauptete die SED eine „historisch gewachsene“ Andersartigkeit der DDR-Kultur. Ihrem außenkulturpolitischen Selbstverständnis nach war die DDR das neue, „bessere“ Deutschland: antifaschistisch, friedliebend und weltoffen, ein sozialistischer Kulturstaat und rechtmäßiger Vertreter des kulturellen Erbes. Alle außenkulturpolitischen Grundsatzentscheidungen wurden im SED-Politbüro gefällt. An der Planung und Umsetzung war allerdings eine Vielzahl von parteiinternen, staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, Organisationen, Gremien und Abteilungen beteiligt. Die hierarchische Struktur in der Kompetenzverteilung und Ent- Auswärtige Kulturpolitik der DDR A 111 scheidungsfindung wurde durch personelle Verflechtungen teilweise aufgehoben. Im ZK der SED befassten sich die außenpolitische und ideologische Kommission mit der AKP, weiterhin die Abteilungen Agitation, Auslandsinformation, Forschung und Entwicklung, Gesundheitspolitik, internationale Verbindungen, Kultur, Propaganda, Sport und Wissenschaft. Direkt beteiligt waren außerdem der Ministerrat und die Ministerien für Volksbildung, Gesundheitswesen, Hoch- und Fachschulwesen und Kultur sowie die Volkskammer und Massenorganisationen. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) mit seiner Kulturabteilung bildete neben der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (GkVA) bzw. der Liga für Völkerfreundschaft (LfV) die wichtigste Koordinierungsinstitution der AKP. Es war zuständig für die fachliche Analyse, Anleitung, Verhandlungsführung und Kontrolle der staatlichen Kulturdiplomatie sowie der Auslandsinformation und nahm damit eine Mittlerposition zwischen den Trägerorganisationen ein. Ministerielle Umstrukturierungen erschwerten allerdings mindestens bis Ende der 1950er Jahre eine kontinuierliche Arbeit der Kulturabteilung. Die zentrale gesellschaftliche Organisation für Kulturaustausch war zunächst die 1952 nach sowjetischem Vorbild gegründete GkVA. Bis zur Bildung des DDR-Kulturministeriums 1954 koordinierte sie unter Kontrolle des MfAA die kulturellen Beziehungen zu den so genannten volksdemokratischen Ländern. Danach wurde sie Dachorganisation der Freundschaftsgesellschaften und war zuständig für die Kulturbeziehungen zum nichtsozialistischen Ausland. Das Kulturministerium übernahm den Bereich der sozialistischen Staaten. Ab 1961 übernahm die neu gegründete LfV die Aufgaben der GkVA. Als zentrales Koordinationsorgan und wichtigstes Kommunikationsinstrument der AKP stand sie bis zum Ende der DDR allen Freundschaftsgesellschaften (und damit auch der *Deutsch-Französischen Gesellschaft der DDR (Deufra), Aktionskomitees und auswärtigen Kulturzentren vor. Sie gab mehrere Zeitschriften heraus. Im Ausland präsentierte sie sich aus strategischen Gründen häufig als nichtstaatliche Organisation. Durch den Abschluss von Direktvereinbarungen mit ausländischen Partnerinstitutionen waren neben der Akademie der Wissenschaften auch die künstlerischen Berufsvereinigungen Teil des staatlichen Kulturaustauschs. Die Vermittlung von DDR-Künstlern ins Ausland oblag der 1960 gegründeten Deutschen Künstler-Agentur GmbH Berlin (ab 1968 Künstler-Agentur der DDR). Innerhalb des Bildungsaustauschs nahm das 1956 gegründete Institut für Ausländerstudium an der Universität Leipzig (1961 umbenannt in Herder-Institut) eine institutionelle Sonderstellung ein. Hier wurden Aufbaustudiengänge für Ausländer, Sommerkurse für ausländische Deutschlehrer oder die Ausbildung von Auslandslektoren durchgeführt. Der Kalte Krieg, die enge Bindung an die Sowjetunion und die deutsche Teilung als Folge des Zweiten Weltkriegs bildeten die außenpolitischen Rahmenbedingungen für die AKP der DDR, die bis 1972/ 73 primär im Dienst der staatlichen Anerkennungspolitik stand. Bis dahin erschwerten die 1955 von der Bundesregierung verkündete „Hallstein-Doktrin“ und der umstrittene Berlin- Status den Aufbau regulärer staatlicher Kulturbeziehungen außerhalb des eigenen Bündnisses. Bis 1972 schloss die DDR mit 14 sozialistischen und 13 Entwicklungsländern Kulturabkommen ab (zuerst 1950 mit Polen, der ČSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien, 1951 mit China, 1953 mit Albanien und 1956 mit der UdSSR). Danach vervielfachte sich die Zahl der Vertragsstaaten. Viele prestigeträchtige Kulturabkommen wurden jedoch erst in den 1980er Jahren unterzeichnet (mit Frankreich 1980, Italien 1984, Großbritannien 1985 und der Bundesrepublik 1986). Die umfangreichsten Kulturbeziehungen bestanden zu den sozialistischen Verbündeten. Hier lag die Sowjetunion an der Spitze, gefolgt von der ČSSR und Polen, in deren Hauptstädten 1956 bzw. 1957 die ersten Kultur- und Informationszentren der DDR eröffnet worden waren. Besondere Bedeutung wurde dem Wissenschafts- und Bildungsaustausch beigemessen, der sich positiv auf die ökonomische Modernisierung auswirken sollte. Ab Mitte der 1960er Jahre wurden dafür im RGW verstärkte Vernetzungs- und Kooperationsanstrengungen unternommen (z.B. regelmäßige Hochschulminister- und Rektorenkonferenzen seit 1966 bzw. 1969). Die deutsch-deutsche Doppelrepräsentanz in Drittländern bedeutete für die AKP eine permanente kulturelle Konkurrenzsituation. Mit der Errichtung der bundesdeutschen Handelsmissionen Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs 112 A in Budapest, Warschau, Sofia und Bukarest 1963/ 64 sowie der diplomatischen Vertretung in Rumänien 1967 eröffneten sich auch in Osteuropa Schauplätze der deutsch-deutschen Kulturkonkurrenz. Die SED reagierte darauf mit politischen Disziplinierungsmaßnahmen („Ulbricht-Doktrin“ 1967) und einer verschärften kulturellen Abgrenzungspolitik. Die „Westarbeit“ der AKP stand ganz im Zeichen des außenpolitischen Kampfes zur Durchbrechung der „Hallstein-Doktrin“. Sie war zunächst erfolgreich im neutralen Finnland, wo 1960 das erste Kulturzentrum in einem „kapitalistischen Industriestaat“ eröffnet wurde, sowie in Frankreich und Italien, deren einflussreiche kommunistische Parteien sich für die Anerkennung der DDR einsetzten. Die Aufsehen erregende Eröffnung des Centro Thomas Mann in Rom 1958 wurde von der *auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik als kommunistische Kulturoffensive interpretiert. Zwar gelang es im Verlauf der 1960er Jahre, in Ländern wie Finnland, Schweden, Großbritannien, Frankreich oder Italien mit Hilfe von Freundschaftsgesellschaften (*EFA), Austauschinitiativen und Kulturbüros Teile der Öffentlichkeit für die DDR zu interessieren. Jedoch konnte die gewünschte diplomatische Anerkennung dadurch nicht beschleunigt werden. Dagegen wurden mit einer Reihe von Entwicklungsländern Kulturabkommen noch vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen abgeschlossen (z.B. Algerien, Ägypten, Chile, Indien, Irak). Nach der Zäsur von 1972/ 73 (deutsch-deutscher Grundlagenvertrag, Aufnahme in die UNO) stand die AKP vorrangig im Dienst staatlicher Imagebildung. Spätestens ab den 1980er Jahren rückten Kommerzialisierungsbestrebungen in den Vordergrund. Kulturauftritte im Westen wurden nun als gezielte Devisenbeschaffung kalkuliert. In der Folge wuchs die Zahl der Gastspiele und Ausstellungsprojekte in kapitalistischen Staaten sprunghaft an, darunter auch in Japan oder den USA. Der staatliche Kulturaustausch intensivierte sich ebenfalls: 1984 eröffneten das *DDR-Kulturzentrum in Paris und das *Centre culturel français in Ost- Berlin, 1986 wurden das erste deutsch-deutsche Kulturabkommen sowie die erste innerdeutsche Städtepartnerschaft (Saarlouis-Eisenhüttenstadt) geschlossen. Besonders öffentlichkeitswirksam war die kulturelle Selbstdarstellung der DDR durch Gastspiele von Spitzenorchestern, Ausstellungen der Dresdner Kunstsammlungen und die zahlreichen Erfolge im internationalen Leistungssport. Mauerbau und Biermann-Ausbürgerung 1961 bzw. 1976 beschädigten zwar das internationale Image der DDR. Doch die Außendarstellung als Kulturstaat kaschierte in weiten Teilen des Auslands erfolgreich den repressiven Charakter der SED-Diktatur. Mit dem Ende der DDR 1990 und dem Wegfall staatlicher Förderung lösten sich die außenkulturpolitischen Strukturen auf. Nur wenige Austauschorganisationen überlebten auf Vereinsbasis. Bundesdeutsche Trägerorganisationen übernahmen einen Teil der Lektorenposten im Ausland, beschäftigten aber nur wenige DDR-Fachkräfte weiter. Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin (DDR) 1970; Hansgert Peisert, Johannes Kuppe, Auswärtige Kulturpolitik, in: Wolfgang R. Langenbucher, Ralf Rytlewski, Bernd Weyergraf (Hg.), Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/ DDR im Vergleich, Stuttgart 1983, S. 372-379; Hansgert Peisert, Johannes Kuppe, Auswärtige Kulturpolitik, in: Wolfgang R. Langenbucher, Ralf Rytlewski, Bernd Weyergraf (Hg.); Anita M. Mallinckrodt, Die Selbstdarstellung der beiden deutschen Staaten im Ausland. „Image-Bildung“ als Instrument der Außenpolitik, Köln 1980; Peter Ulrich Weiß, Kulturarbeit als diplomatischer Zankapfel. Die kulturellen Auslandsbeziehungen im Dreiecksverhältnis der beiden deutschen Staaten und Rumäniens 1950-1972, München 2010; Olivia Griese, Auswärtige Kulturpolitik und Kalter Krieg. Die Konkurrenz von Bundesrepublik und DDR in Finnland 1949-1972, Wiesbaden 2006; Hans Georg Golz, Verordnete Völkerfreundschaft. Das Wirken der Freundschaftsgesellschaft DDR-Großbritannien und der Britain-GDR Society - Möglichkeiten und Grenzen, Leipzig 2004; Nils Abraham, Die politische Auslandsarbeit der DDR in Schweden. Zur Public Diplomacy der DDR gegenüber Schweden nach der diplomatischen Anerkennung (1972-1989), Berlin 2007; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln/ Weimar/ Wien 2004. Peter Ulrich Weiß Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs Mit Beginn des neuen Jahrtausends begann die französische Regierung einen tiefgreifenden Reformprozess ihrer auswärtigen Kulturarbeit. Seit dem 1.1.2011 fungiert das *Institut français, das dem Ministère des affaires étrangères et européennes (französisches Außen- und Europaminis- Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs A 113 terium, MAEE) zugeordnet ist, als Organ für die auswärtige Kulturarbeit Frankreichs. Es hat somit das 2006 gegründete CulturesFrance ersetzt. Zweifelsohne sieht sich auch die französische Kulturpolitik gezwungen, sich den weltweiten Herausforderungen anzupassen. Aber unter dem Deckmantel der Modernisierung dieser Politik und ihres institutionellen Netzwerks, in Reaktion auf den Wandel der internationalen Situation, der Kultur und auf die neuen Formen des zeitgenössischen Schaffens wurden Umstrukturierungen vorgenommen, die auf die beträchtlichen Haushaltsbeschränkungen zugeschnitten wurden. Selbstverständlich ist die aktuelle Reform nicht die erste ihrer Art, denn Frankreich ist eines derjenigen europäischen Länder, das schon sehr früh seine auswärtige Kulturarbeit organisierte und institutionalisierte. Wie etwa Diderot oder Voltaire waren Schriftsteller oder Intellektuelle, wie man sie im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet, persönlich oder im Auftrag des Staates Akteure und Mittler des kulturellen Einflusses Frankreichs im Ausland oder gar des Austausches mit dem Ausland. Zur Jahrhundertwende begann der Staat zu ermessen, welche Ressourcen der kulturelle Bereich für die Erhaltung oder Erweiterung von Einflussgebieten birgt. Die Kultur wurde somit allmählich zu einem konstitutiven Bestandteil der Außenpolitik und der Staat zum offiziellen Förderer dieser Kulturpolitik. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wurde innerhalb des französischen Außenministeriums ein Bureau des écoles et des œuvres françaises à l’étranger eingerichtet. Nach dem Krieg - in dem die Relevanz der Propaganda als Instrument der Meinungsbildung und -mobilisierung offengelegt wurde - gestaltete das Ministerium das bescheidene Bureau um und erhob es zum Service des œuvres françaises à l’étranger (SOFE), dessen erster Leiter der Schriftsteller Jean Giraudoux (1921-1924) war. 1922 wurde außerdem ein vom Staat unabhängiger Verband gegründet, der in enger Zusammenarbeit mit dem Außenministerium und dem Ministère de la culture agierte: die Association française d’expansion et d’échanges artistiques, die 1934 in die Association française d’action artistique (AFAA) umgetauft wurde. Während der Zwischenkriegszeit blieb die Kultur eine wirksame Stütze der traditionellen Diplomatie, zumal die Kulturpolitik darauf abzielte, die Bündnisse zu stärken, die Sympathien für Frankreich zu festigen und Deutschland in wirtschaftlicher und intellektueller Hinsicht in Europa und darüber hinaus zu verdrängen. Die Schul- und Hochschulpolitik war vorrangig und ging insbesondere mit der Schaffung von französischen Instituten, Lehrstühlen und Lektoraten (*Lektoren) in den ausländischen Universitäten einher. Außerdem wurden Stipendien an ausländische Studierende vergeben, um künftige Eliten ins französische Einflussgebiet zu locken. Geographisch gesehen richtete sich die auswärtige Kulturarbeit vorrangig an Zentral- und Osteuropa, um die französische Kultur dort zu verbreiten, wo zuvor die deutsche herrschte, sowie an den Mittelmeerraum, um die französische Stellung dort zu verstärken. Bereits mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog man im Umfeld von de Gaulle in Betracht, die Rolle der Kultur innerhalb der französischen Außenpolitik aufzuwerten. 1945 wurde der SOFE im Quai d’Orsay (Außenministerium) durch eine Direction générale des affaires culturelles ersetzt, die im Hinblick auf Frankreichs Machtverlust eine sehr klassische Ansicht der Kultur als Gegenstand von Prestige- und Kompensationspolitik vertrat. Die Leitung fügte sich dem Prinzip „wer französisch spricht, kauft auch französische Produkte“ und widmete sich vor allem dem Französischunterricht. Diese restriktive Auffassung der Kultur enttäuschte viele Intellektuelle und Mittler, die im besetzten Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit eine neue Form der Kulturarbeit erprobt hatten, welche auf Begegnung und Austausch gründete, auf die Jugend ausgerichtet war und die Demokratisierung der Kultur anstrebte. *Alfred Grosser schrieb im Februar 1957 dem Leiter der neuen Direction générale de l’action culturelle et technique Roger Seydoux (der neue Name der kulturellen Leitung entsprach einer Erweiterung ihres Aufgabenbereichs, der erst die Technik, später auch die Wissenschaft mit einbezog): „Die Definition des Worts culture muss [...] beträchtlich erweitert werden. Es handelt sich nicht nur um Literatur und Kunst, sondern auch um Jugendarbeit, Bildungswesen, Filmklubs und Wahlsoziologie [...]. Um das andere Land zu verstehen, reicht es nicht aus, seinen Wein oder gar seine Musik zu schätzen. Es ist unentbehrlich zu wissen, welche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme gelöst werden müssen“. Diese Grundsatzdebatten über die Kulturdefinition, über die Verflechtungen zwischen der geerbten Kultur, den Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs 114 A neuen Formen der erweiterten Kultur und des zeitgenössischen Schaffens, über die Involvierung der Gesellschaften in die kulturellen Beziehungen, über die Suche nach Austausch anstatt nach Politik, Einfluss und Wirkung standen im Zentrum der Überlegungen der 1970er und 1980er Jahre. Jacques Rigaud, eine der Galionsfiguren des Ministère de la culture, analysierte die Situation in seinem Werk „La culture pour vivre“ bereits 1975. Kurze Zeit später reichte er einen bahnbrechenden Bericht über die Lage der Außenkulturpolitik Frankreichs ein. Sein Plädoyer für die Modernisierung der Kulturpolitik basierte auf drei Achsen: die Professionalisierung des auswärtigen Netzwerks, der Austausch und der Dialog zwischen den Kulturen, die Berücksichtigung der Medien (vor allem des Fernsehens), um eine enge Verbindung zur Massenkultur herzustellen. In einer Studie des CNRS von 1979/ 80 über die französischen Kulturzentren im Ausland bestätigten Pierre Grémion und Odile Chenal die Kluft zwischen der exportierten offiziellen Kultur einerseits und dem zeitgenössischen Schaffen andererseits. Obwohl sich die Vorstellungen von der Außenkulturpolitik seit den 1980er Jahren spürbar weiterentwickelt hatten, beschloss die französische Regierung 2001 infolge eines verheerenden Berichts, den der sozialistische Abgeordnete Yves Dauge im Februar vorgestellt hatte, eine profunde Reform seines weltweiten Netzwerkes vorzunehmen. Dieser Bericht prangerte finanzschwache Institutionen an, deren Kulturprogramm altmodisch und deren geographische Verteilung besonders unausgewogen (in Europa stark, auf dem asiatischen und amerikanischen Kontinent schwach ausgeprägt) war. In seiner Schlussfolgerung plädierte der Berichterstatter für eine größere Autonomie der Einrichtungen, die dazu angehalten wurden, nicht nur als kulturelles Schaufenster Frankreichs zu fungieren, sondern sich selbst mehr als Akteure in ihrem lokalen oder regionalen Umfeld einzubringen. Er trat auch für die Professionalisierung ihrer Leiter, für die Einrichtung von Partnerschaften mit den lokalen Kulturen und für eine konsequente Erhöhung der Budgets ein. Der Bericht rief dazu auf, die Kompetenzen zwischen den französischen Außen-, Kultur- und Bildungsministerien besser zu verteilen, aber der Quai d’Orsay zeigte sich wenig geneigt, seine Vorrechte mit anderen zu teilen. Ein neuer Schritt wurde 2006 mit der Gründung von CulturesFrance getan, das aus der Fusion zwischen der AFAA und der Association pour la diffusion de la pensée française entstand - diese Einrichtung des Außenministeriums sollte die Verbreitung von Büchern und Schriften in französischer Sprache fördern. CulturesFrance wurde damit beauftragt, unter der doppelten Obhut des Kultur- und Außenministeriums die französische Kulturarbeit im Ausland zu unterstützen. Im gleichen Jahr wurde außerdem mit „France 24“ ein Fernsehsender gegründet, der international und in drei Sprachen (Französisch, Englisch und Arabisch) ununterbrochen französische Nachrichten ausstrahlt. Im Januar 2011 wurde das *Institut français, das 2014 von dem ehemaligen Minister Xavier Darcos geleitet wird und CulturesFrance beerbte, zu einem alleinigen Organ des Außenministeriums (in diesem untersteht die Außenkulturpolitik der Direction générale de la mondialisation, du développement et des partenariats und ist in drei Abteilungen unterteilt, die dem Kulturerbe, der französischen Sprache sowie den audiovisuellen Medien und den neuen Technologien gewidmet sind). Das *Institut français verfügt offiziell über einen erweiterten Handlungsspielraum und erhöhte finanzielle Mittel (2011 betrug der Etat 350 Mio. Euro). Es arbeitet in enger Kooperation mit dem französischen Netzwerk kultureller Einrichtungen im Ausland, das aus über 150 französischen Instituten und aus etwa 1 000 Alliances françaises besteht. In jedem Land verwaltet ein Zweig des *Institut français das Netzwerk der französischen Institute (in der Anfangsphase, 2012 und 2013 wird eine begrenzte Anzahl von Ländern, ein gutes Dutzend, vom *Institut français gänzlich in eigener personellen und finanziellen Verantwortung betreut). Folglich leitet in der Bundesrepublik Deutschland das *Institut français Deutschland seit Januar 2012 die elf französischen Institute und kooperiert mit den zehn anderen deutsch-französischen Zentren und Instituten. Die Regierung hat somit die Förderung der Außenkulturpolitik, d.h. des künstlerischen Austauschs, der Verbreitung von Literatur, Film, Sprache, Wissen und der wissenschaftlichen Kultur einer einzigen Institution anvertraut. Das *Institut français ist auch mit der Präsentation ausländischer Kulturen in Frankreich durch die Durchführung von Festivals, saisons und diversen Kooperationen betraut. Seine Hauptziele sind unter anderem die Erhöhung des französi- Badia, Gilbert B 115 schen Anteils an Produktionen im Ausland und jene der französischen Präsenz in der weltweiten audiovisuellen Landschaft sowie die Förderung der kulturellen Vielfalt und die Verbreitung der französischen Sprache. Das *Institut français stützt sich nunmehr auf zwei kürzlich gegründete öffentliche Einrichtungen: einerseits auf die France expertise internationale als Institution für die internationale Expertise und Projektplanung (im Wesentlichen Programme zur Entwicklungshilfe) und andererseits auf den Campus France, eine Institution, die für die internationale sowohl universitäre als auch wissenschaftliche Mobilität bestimmt ist, und den Zugang ausländischer Studierender zum Hochschulstudium in Frankreich fördern soll. Die Neuordnung der französischen Außenkulturpolitik und die Schaffung des *Institut français hat 2011 zu einem Abkommen zwischen dem *Institut français und dem *Goethe-Institut zur Vertiefung der Zusammenarbeit (Personalaustausch, Entwicklung gemeinsamer Programme etc.) nicht nur im bilateralen, sondern im globalen Kontext geführt. Darüber hinaus ist das *Institut français - wie auch das *Goethe-Institut - Mitglied von EUNIC (European Union National Instituts for Culture), dem Verband europäischer Kulturinstitute. Louis Dollot, Les relations culturelles internationales, Paris 1964; Jacques Rigaud, La Culture pour vivre, Paris 1975; Jacques Rigaud, Les Relations culturelles extérieures, Paris 1980; Pierre Milza, Culture et relations internationales, in: Relations internationales 24 (1980), S. 361-379; Pierre Grémion, Odile Chenal, Une culture tamisée: les centres et instituts culturels français en Europe, Paris 1980; Albert Salon, L’action culturelle de la France dans le monde, Paris 1983; François Roche, Bernard Piniau, Histoires de diplomatie culturelle des origines à 1995, Paris 1995. Corine Defrance B Badia, Gilbert Als bedeutendster französischer Germanist kommunistischer Provenienz gehörte der aus einer spanischen Emigrantenfamilie stammende Gilbert Badia (1916-2004) durch sein Werk und sein Engagement in und für die Freundschaftsgesellschaft der DDR zu den wichtigsten Mittelsmännern zwischen Frankreich und der DDR. Als Fremdsprachenassistent erlebte er zwischen 1936 und 1938 das nationalsozialistische Deutschland auf Spiekeroog und in Hamburg, bevor er nach Frankreich zurückkehrte, 1939 die agrégation d’allemand bestand und während des Krieges in die Résistance abtauchte. Er wurde 1943 von der Vichy-Polizei festgenommen, konnte aber im Februar 1944 aus der Haft entfliehen. Nach dem Krieg unterrichtete er anfangs am Pariser Lycée Charlemagne, bevor er 1965 seine Universitätskarriere an der Universität von Algier begann, wo er die Deutschabteilung gründete. 1967 wechselte er nach Nanterre und zwei Jahre später an die neu gegründete Universität Vincennes. Insbesondere seine frühen Schriften waren gekennzeichnet von seinen persönlichen Erfahrungen im NS-Deutschland und in Vichy-Frankreich, die neben der aus marxistischer Grundhaltung erwachsenen Geschichtsperspektive seine Forschung über Deutschland bestimmten. In den 1950er Jahren widmete er sich in erster Linie der Übersetzung von Karl Marx sowie der Übersetzung und Adaptation der Theaterstücke von *Bertolt Brecht (u.a. mit dem jungen *Jean Baudrillard), beschäftigte sich in seinen Schriften aber bereits mit der Entwicklung in der DDR. Diese waren nicht alleine als wissenschaftliche Werke konzipiert, sondern verstanden sich auch als Beitrag zur Anerkennung der DDR in Frankreich, sodass die Publikationen von Ost-Berlin finanziell unterstützt wurden, um sie für ihre Imagekampagnen in Frankreich einzusetzen (mit Pierre Lefranc, Un pays méconnu: La République démocratique allemande, Leipzig 1964). In Anlehnung an das von der SED verbreitete propagandistische Bild bezeichnete er die DDR in seinen Studien als antifaschistischer Erbverwalter der demokratischen und humanistischen Traditionen in der deutschen Geschichte. Er verteidigte Mauer und Repressionsapparat als notwendigen Schutz gegen die provokative Politik der Bundesrepublik und überbrückte auf diese Weise den Widerspruch, dass sie in Frankreich für die Durchsetzung von Ideen fochten, die in der DDR nur offiziell, aber nicht tatsächlich die Grundlage der Politik des Staates waren. Dass sich Badias orthodox-marxistische Standpunkte in den 1980er Jahren spürbar abgeschliffen hatten, geht aus dem unter seiner Leitung erschienenen Band („Histoire de l’Allemagne contemporaine, Bd. 2: La République démocratique allemande“) hervor. Zum einen wird die Badia, Gilbert 116 B Hoffnung deutlich, die SED werde ihre Politik wieder mehr auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen ausrichten, zum anderen war seine Sorge unter dem Eindruck der Politik von Gorbatschow und der nicht zu übersehenden Krise im sowjetischen Machtbereich zu spüren, dass sich die politische Situation in Deutschland zuungunsten der DDR entwickeln könne. Nach dem Fall der Mauer relativierte er frühere Aussagen, zog aber bis zu seinem Tode gegen DDR-Forscher ins Feld, die das ostdeutsche Staatswesen als zweite deutsche Diktatur bezeichneten. Mit seinen Schriften prägte er über den Kreis der Germanisten und Deutschlehrer hinaus ein DDR-Bild und den kommunistischen Zweig der französischen DDR-Forschung vor 1990, die Wissenschaftlichkeit in der Regel hinter propagandistische und ideologische Zielsetzungen zurücktreten ließ. Verflochten mit seinen wissenschaftlichen waren seine organisatorischen Aktivitäten, die ihn zu einem wichtigen Ansprechpartner im Rahmen der *auswärtigen Kulturpolitik der DDR machten. Gemeinsam mit dem Germanisten und Kommunisten Émile Bottigelli (1910-1976) gründete er im Jahre 1952 den Cercle Heinrich Heine, der die Wahrnehmung des zweiten deutschen Staates und seiner Kultur fördern wollte und der eigentliche Ausgangspunkt für organisierte kulturelle Kontakte mit der DDR und eine Art Vorgängerorganisation der *EFA war. Das zunehmende Interesse an der DDR nach der Anerkennung durch Frankreich im Jahre 1973 bewog die Gruppe um Badia und Jean Mortier, an der Universität Paris VIII das Laboratoire de recherches Histoire de la RDA zu gründen, das in den folgenden Jahren eine rege Forschungsaktivität entwickelte. Es bildete „eine Art KPFnahe Kontra-Gesellschaft innerhalb der eher konservativ dominierten französischen Germanistik“ (S. Kott), wie auch die ab 1974 von Gilbert Badia publizierte Zeitschrift *„Connaissance de la RDA“ dokumentiert, in der die SED die einzige progressive wissenschaftliche Zeitschrift in Frankreich über die DDR sah. Das Laboratoire stellte jedoch mit der Emeritierung bzw. dem Ableben von Gilbert Badia seine Arbeit praktisch ein, doch ist seine Bibliothek auch heute noch eine wichtige Anlaufstelle für die Erforschung der ostdeutsch-französischen Beziehungen. Die gestiegene Bereitschaft auf französischer Seite zur Rezeption eines deutschen Widerstandes innerhalb der Résistance fand gleichfalls ihren Niederschlag in der von Badia in den 1970er Jahren initiierten Konstitution einer Forschungsgruppe zur deutschen Emigration in Frankreich (Groupe de recherche sur l’émigration), die sich in einer ersten Phase mit der Sammlung von Zeitzeugenberichten und schriftlichen Quellen in Frankreich, der Bundesrepublik und der DDR beschäftigen wollte. Zu ihren Mitgliedern gehörten anfangs in erster Linie der PCF nahestehende Forscher, doch schlossen sich ihr in der Folge auch Vertreter anderer politischer Milieus an. Die Gruppe setzte in der Folge auf die Kooperation mit und die Unterstützung durch das Institut für Marxismus-Leninismus in Ost-Berlin in Form von Hinweisen, Konsultationen und gemeinsamen Publikationen (Dieter Schiller u.a., Exil in Frankreich, Leipzig 1981). Ist bei den Veröffentlichungen der parteiliche Charakter auch nicht zu übersehen, so sind sie doch bis heute einschlägige Werke der Exilforschung. In Verlängerung dieser Forschungen beschäftigte sich Badia in seinen letzten Schaffensjahren mit dem deutschen Widerstand, konnte sich jedoch auch hier nicht mehr gänzlich von kommunistischen Geschichtsmythen frei machen. So ist es nicht abwegig, Badias Wirken mit folgenden Worten zusammenzufassen, welche die DDR bei der Verleihung des Ordens „Stern der Völkerfreundschaft“ im Februar 1976 wählte, den er „in Würdigung des hervorragenden Wirkens des französischen Wissenschaftlers in der Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR (*Échanges franco-allemands) sowie seiner wissenschaftlichen Arbeiten über Rosa Luxemburg und den revolutionären Kampf der deutschen Arbeiterklasse” (ND, 2.2.1976) erhielt. Sonia Combe, Die DDR-Forschung in Frankreich vor der Wende (1979-1989). Ein Zeitzeugenbericht, in: The International Newsletter of Communist Studies Online, XIV (2008) 21, S. 54-57; Sandrine Kott, Die DDR-Forschung in Frankreich, in: Deutschland Archiv 30 (1997) 5, S. 1029-1031; Jérôme Vaillant, Gilbert Badia: entre médiation et ‚agitation’ au service d’une double cause: antifascisme et (re)connaissance de la RDA, in: Michel Grunewald u.a. (Hg.), Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert - Akademische Wissensproduktion über das andere Land, Bd. 2, Bern 2012, S. 261- 270; Gilbert Badia u.a., Les barbelés de l’exil, Grenoble 1979; ders. u.a., Exilés en France. Souvenirs d’antifascistes allemands émigrés, 1933-1945, Paris 1982; ders., Les Bannis de Hitler: accueil et luttes des exilés allemands en Baier, Lothar B 117 France 1933-1939, Paris 1984; ders., Pierre Lefranc, Un pays méconnu: La République démocratique allemande, Leipzig 1964; ders., Histoire de l’Allemagne contemporaine, Bd. II: 1933-1962, Paris 1962; ders., Histoire de l’Allemagne contemporaine, Bd. 2: La République démocratique allemande, Paris 1987; ders., Ces Allemands qui ont affronté Hitler, Paris 2000. Ulrich Pfeil Baier, Lothar Lothar Baier (1942-2004) war nicht nur ein herausragender Essayist und kritischer Beobachter der westdeutschen Gesellschaft, sondern auch ein genauer Kenner Frankreichs und der französischen Sprache, der die Werke von André Breton, Jean-Paul Sartre, Paul Nizan und Georges Simenon übersetzte. „Un allemand né de la dernière guerre“, überschrieb er 1985 einen seiner Essays, den er auf Französisch verfasste. Trotz der allenthalben gefeierten „institutionalisierten Verständigung der beiden Länder auf politischer und wirtschaftlicher Ebene“ stellte er „zunehmende Unstimmigkeiten und gegenseitiges Misstrauen“ fest und versuchte mit den Missverständnissen aufzuräumen, indem er die Einsichten und das Unbehagen seiner Generation analysierte: Männer und Frauen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgewachsen waren, oft ohne Vater, in einem Land, das sich mühsam aus dem politischen und moralischen Zusammenbruch herausarbeitete. Auch fast 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung hat Baiers Analyse nichts von ihrer Überzeugungskraft eingebüßt. Er hatte sich jener Zwiespältigkeit einer Generation genähert, deren „zweite Schuld“ mit Ralph Giordano gesprochen in der Verdrängung der in den Jahren des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen, in der Stille und im Vergessen bestand. Lothar Baier wuchs in einem „‚militant’ unpolitischen Milieu auf, das die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung prägte“. Sein Vater war Veteran des Ersten Weltkrieges und Offizier der Wehrmacht, jedoch nie Mitglied der NSDAP gewesen. Seine Zuflucht fand er in der Lektüre von *Bertolt Brecht und Franz Kafka, aber auch bei *Camus, *Sartre und Paul Nizan, dessen Werk „La conspiration“ für ihn eines der wichtigsten Bücher blieb. Während seines Studiums (der deutschen Literatur, Philosophie und Soziologie in Frankfurt/ M.) reiste er oft nach Frankreich, in die USA, nach England und fand in der Literatur seine Lehrmeister, die ihm halfen, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln: Alfred Andersch, vor allem aber der Maler und Schriftsteller *Peter Weiss. Einer der Gründe seiner Begeisterung für *Weiss war ein Text in der neuen, wegweisenden von Hans Magnus Enzensberger gegründeten und geleiteten Zeitschrift „Kursbuch“, in dem *Weiss das Thema Auschwitz aufgriff. *Weiss‘ dezidiertes Engagement für den Ostblock, das in Westdeutschland auf scharfe Kritik stieß, teilte Baier jedoch nicht. In den 1960er Jahren bot sich für Baier die Gelegenheit, von der Theorie zur Praxis des Widerstands überzugehen. So weigerte er sich während seines Wehrdienstes an einem Einsatz gegen Demonstranten gegen den Vietnamkrieg teilzunehmen. Daraufhin wurde er offiziell als Wehrdienstverweigerer eingestuft. Er schloss sich der Protestbewegung in Frankfurt/ M. an und demonstrierte friedlich an der Seite von antimilitaristischen Gruppen. Terroristische Aktionen lehnte er entschieden ab. Seit Anfang der 1960er Jahre arbeitete Baier als Journalist und Literaturkritiker. Mit Heinz Ludwig Arnold gründete er die Zeitschrift „Text + Kritik“ und schrieb regelmäßig für „DIE ZEIT“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die er 1984 verließ, um zur (nach dem Modell der französischen „Libération“ gestalteten) neu gegründeten „tageszeitung“ zu wechseln. Darüber hinaus arbeitete er für die „Schweizer Wochenzeitung“, den „Merkur“, das „Kursbuch“ und „Transatlantik“. Seine literarischen und politischen Kolumnen bereicherten die intellektuellen Auseinandersetzungen der 1970er Jahre. Mit klarem Blick, Integrität und Aufrichtigkeit beobachtete und kritisierte er die Entwicklung einer „reuigen“ Linken, die sich aus Opportunismus mit großen Schritten dem Establishment annähert, ohne mit der Wimper zu zucken. Nach einer Auszeit in Südfrankreich Anfang der 1980er Jahre - die er in seinem einzigen Roman „Jahresfrist“ (Le délai, 1985) beschrieb - kehrte er nach Frankfurt zurück und widmete sich wieder verstärkt dem Journalismus. Es erschienen mehrere kritisch-engagierte und gut dokumentierte Analysen der französischen - z.B. „Französische Zustände“ (1982), „Firma Frankreich (1988) - wie der deutschen Gesellschaft - u.a. „Volk ohne Zeit“ (1990), „Die verleugnete Utopie“ (1993) - und der literarischen Szene: „Was wird Literatur? “ (2001). Barenboim, Daniel 118 B Enttäuscht von der Wiedervereinigung, die unter der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl im Eiltempo durchgesetzt worden war, zunehmend an den Rand gedrängt mit seiner kompromisslosen Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft und mehr und mehr in radikaler Distanz zur Postmoderne, verließ er Deutschland 2001, um sich in Montreal niederzulassen, wo er bereits einige Jahre zuvor unterrichtet hatte. Der Aufenthalt in dieser Stadt lieferte ihm Material für das Nachdenken über Kultur und Mehrsprachigkeit in seinem Essay „Ostwestpassagen. Vom Neben- und Miteinander der Sprachen und Kulturen“ und für die Warnung vor den Kollateralschäden der Globalisierung: das Verschwinden von Sprachen und Sprechern sowie von „besonderen Lesarten der Welt, die mit ihnen ausgedrückt wurden“. Lothar Baier hat weder die Anerkennung noch die Auszeichnung erfahren, die sein Werk verdient. Immerhin war er der erste, der 1982 den Jean-Améry-Preis erhielt, mit dem „außergewöhnliche Leistung im Bereich des Essays zu zeitgenössischen Themen“ ausgezeichnet werden. Mit Améry verband ihn vieles: der unbestechlich kritische Blick des Intellektuellen, die Rolle des Vermittlers zwischen den deutsch- und französischsprachigen Kulturen und das Engagement für den Austausch zwischen beiden. Wie dieser litt auch er unter dem Schiffbruch, den die Utopien erlitten hatten und unter dem Exil fern der Heimat. Wie Améry nahm sich auch Lothar Baier das Leben. Er starb im Juli 2004 in Montreal. Nicole Bary Barenboim, Daniel Ab 1975 besetzte der 1942 in Buenes Aires geborene Orchesterchef Daniel Barenboim wichtige musikalische Direktorenstellen in Frankreich und Deutschland, zwei Länder, in denen seine musikalischen Fähigkeiten am besten zum Tragen kamen und kommen. Schon früh neigte Barenboim dem Klavier zu, obwohl zu seiner musikalischen Ausbildung auch die Kammermusik gehörte. Nachdem sich seine Familie 1952 in Israel niedergelassen hatte, nahm er die Staatsbürgerschaft seines neuen Heimatlandes an, auch wenn er die argentinische behielt. Zahlreich waren dann die musikalischen Persönlichkeiten, die es ihm erlaubten, seine musikalische Ausbildung zu vervollständigen: der Pianist Edwin Fischer in Salzburg, der Geiger Enrico Mainardi für die Kammermusik, Nadia Boulanger für die Musiktheorie in Paris sowie Igor Markevitch und Carlo Zecchi (Academia Chigiana - Siena) für den Dirigentenstab. Im gleichen Jahr machte er auch seine ersten eigenen Erfahrungen als Orchesterchef in Haifa. Sein Ruf als Instrumentalist begründete sich ab 1960 mit dem Konzertzyklus der 32 Klaviersonaten von Beethoven, den er in den großen Hauptstädten der Welt präsentierte. Seine Neigungen für die romantische Musik zeigten sich bei den abendlichen Kammerkonzerten, die er nach ihrer Hochzeit im Jahre 1967 gemeinsam mit der Cellistin Jacqueline du Pré bestritt. Sie fanden jedoch im Jahre 1972 ein abruptes Ende, als seine Frau an multipler Sklerose erkrankte und ihre Karriere beenden musste. Er widmete sich daraufhin der Liedbegleitung, eine musikalisch sehr anspruchsvolle Aufgabe, und verzeichnete seine ersten Erfolge als Orchesterleiter: das Philharmonieorchester Israels und das Londoner Symphonieorchester engagierten ihn für ihre Aufführungen und Tourneen. Der Wendepunkt in seiner Karriere trat im Jahre 1975 ein, als er Georg Solti an der Spitze des Orchestre de Paris nachfolgte. Das nach der 1967 erfolgten Auflösung des Orchestre de la société des concerts du conservatoire gegründete Orchester hatte vor ihm bereits vier Musikdirektoren gezählt (Charles Münch, Serge Baudo, Herbert von Karajan und Georg Solti); mit der Ära Barenboim begann aber nun eine Phase der Kontinuität (bis 1989), in der das Orchester seinen großen Ruf begründete und Barenboim die Initiative zur Gründung des Orchesterchors ergriff (1976), der sich aus erprobten Amateuren zusammensetzte. Dieses Ensemble trat von nun an gemeinsam mit dem Orchestre de Paris bei der Präsentation großer Chorwerke auf. Wieder einmal fand die romantische Musik in Barenboim ihren Meister, vor allem in den groß angelegten Symphonien von Anton Bruckner, deren geistige Tiefen und „schwebenden Stillen“ er dem französischen Publikum nahe brachte. In all diesen Jahren entwickelte Barenboim eine Sensibilität für den interkulturellen Dialog, die sich im weiteren Verlauf seiner Karriere noch verstärkte: nach einem nur kurzen Aufenthalt an der Bary, Nicole B 119 gerade fertiggestellten Opéra Bastille in Paris übernahm er 1991 die Leitung des Symphonieorchesters von Chicago, wo er - wie schon beim Orchestre de Paris - Georg Solti nachfolgte. Im Jahre 2006 verließ er es, um als musikalischer Leiter an die Berliner Staatsoper Unter den Linden zu gehen. Hier programmierte er die Opern von Richard Wagner, die er ebenfalls im Pariser Théâtre du Châtelet vorstellte. In Deutschland mag diese Auswahl durch einen Israeli überraschen, doch stellte sie in Israel selber eine wahre Herausforderung dar, wo der deutsche Komponist zum damaligen Zeitpunkt noch mit einem Tabu belegt war. Wer dieses durchbricht, kann damit rechnen, auf der ersten Seiten der israelischen Zeitung zu landen, wie Barenboim im Sommer 2000 erfahren musste, als er versuchte, es stillschweigend zu durchbrechen und damit einen öffentlichen Protest auslöste. Indem er diesen Tabubruch beging, brachte er zugleich seine Auffassung zum Ausdruck, dass den Gefühlen der Holocaustüberlebenden zu lange große Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde und dass ein „weiter so“ sowohl einer Beeinträchtigung seiner Karriere als auch einer Beleidigung der Künste gleichkomme. Wagner in Israel zu spielen, war für Barenboim ein notwendiger Schritt, um die Annäherung von Israelis und Palästinensern über die Musik zu befördern. Diesem Zweck diente auch die Gründung des Orchesters des West-östlichen Divans, das sich aus jungen Musikern aus dem Mittleren Osten zusammensetzt. Versöhnung durch Musik kann somit als die eigentliche Vorgehensweise Barenboims bezeichnet werden. Daniel Barenboim, La musique éveille le temps, Paris 2008. Robert Weeda Bary, Nicole Die 1939 geborene Nicole Bary ist eine der wichtigsten französischen Mittler deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Ihr Vater entdeckte Deutschland als französischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg und war nach 1945 immer darauf bedacht, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Deutschen und dem NS-Regime zu machen. Über den Beginn ihres Interesses für Deutschland schrieb Bary einmal: „Mein Vater hatte mich in einer Klasse eingeschrieben, in der man Deutsch als erste Fremdsprache lernte, denn man muß verstehen , sagte er”. Bary studierte Germanistik an der Sorbonne und in München und unterrichtete von 1965 bis 1979 Deutsch in Grenoble. Gelangweilt vom Schulalltag an einem Provinzgymnasium initiierte sie zusammen mit dem Maler Arcabas ein Festival der Malerei und Musik in Chartreuse, das sie vier Jahre lang leitete. 1980 ging sie nach Paris und gründete dort die deutsche Buchhandlung (*Deutsche Buchhandlungen in Paris) Le Roi des Aulnes (Erlkönig) am Boulevard Montparnasse, die ein weites Panorama der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart bot - sowohl in Originalausgaben als auch in französischer Übersetzung. Ein Jahrzehnt lang war diese kleine Buchhandlung Treffpunkt all derer, die sich in Paris für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur interessierten. Dutzende von deutschsprachigen Autoren wurden von Bary eingeladen, um aus ihren Büchern zu lesen, so u.a. Paul Nizon, Urs Widmer, Stephan Hermlin, Joachim Schädlich, Peter Härtling, F.C. Delius, Reinhard Priessnitz, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Herta Müller, Christa Wolf, Stefan Heym, Volker Braun, *Lothar Baier, Christoph Hein. Manchmal waren mehr Menschen auf dem breiten Bürgersteig versammelt als im Laden selbst. Im Jahr 1983 gründete Nicole Bary den „Verein der Freunde des Erlkönigs“, Les Amis du Roi des Aulnes, der den gleichnamigen Buchladen überlebte und auch heute noch existiert. Ziel dieses Vereins ist die Verbreitung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in Frankreich mittels Treffen, Lesungen und Kolloquien. Nach und nach wurde Bary auf diese Weise zu der französischen Ansprechpartnerin für deutschsprachige Gegenwartsliteratur in Frankreich. Wiederholte Male war sie literarische Beraterin des Centre national du livre und des Ministère de la culture et de la communication oder der Frankfurter Buchmesse, um große literarischen Veranstaltungen zu organisieren, die deutschsprachige Autoren in Frankreich ins Zentrum rückten: 1987 die Autoren der DDR, 1989 die der Bundesrepublik, 1991 die österreichischen Autoren. 2001 wandte man sich erneut an sie, als die deutschen Schriftsteller Ehrengäste des Salon du livre in Paris waren. Ihre Laufbahn als Übersetzerin begann Ende der 1980er Jahre als Bary das Werk von Herta Müller entdeckte und für die - deutschstämmige - Verlegerin Maren Sell „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ übersetzte. Regelmäßig moderiert und übersetzt sie Bataillon, Michel 120 B Autorenlesungen im *Goethe-Institut, im Pariser *Heinrich-Heine-Haus, im Haus Rheinland-Pfalz in Dijon, im Centre Georges Pompidou oder in der Maison des écrivains in Paris. Darüber hinaus ist sie auch als Herausgeberin tätig. So editiert Nicole Bary seit Anfang der 1990er Jahre „LITTERall“, eine jährlich erscheinende Anthologie deutscher Literatur in französischer Übersetzung. Außerdem leitete sie beim Straßburger Verlag La Nuée bleue von 1987 bis 1992 die deutsche Reihe und ist seit 1992 beim Verlag Métailié tätig, wo sie bereits mehr als zwanzig deutschsprachige Schriftsteller wie Galsan Tschinag, Angela Krauß, Saïd, Marcel Beyer, Lenka Reinerova und viele andere in „La Bibliothèque allemande” veröffentlicht hat. Sie hat Artikel zur deutschen Literatur in Zeitschriften und Zeitungen wie *„Documents“, „Le Magazine littéraire“, „Le Monde“, „Libération“, „Germanica“, „Art Press“, „Lendemains“, „Europe“ veröffentlicht und in zahlreichen Gremien gewirkt (*DFJW etc.); 2011 hob sie ein neues (jährlich stattfindendes) Literaturfestival in Aix-en-Provence aus der Taufe. Als Mittlerin und Übersetzerin ist sie vielfach mit Preisen und Orden ausgezeichnet worden, darunter 2008 mit dem Eugen-Helmlé-Preis. Die Qualität ihrer Übersetzungen beruht zum einen auf der genauen Kenntnis der komplexen Realität der deutschsprachigen Länder, zum anderen aber auf ihren engen Beziehungen mit zahlreichen Autoren wie Christoph Hein, der verstorbenen Christa Wolf und Herta Müller. Alain Lance Bataillon, Michel Der 1939 in Paris geborene Germanist, Dramaturg und Übersetzer Michel Bataillon gehört seit den 1960er Jahren als einer der wichtigen französischen Spezialisten für deutsche Theaterliteratur und „antenne chercheuse du théâtre“ (*André Gisselbrecht) zu den zentralen Gestalten des deutsch-französischen Theateraustauschs. Bereits auf dem Lycée Louis-le-Grand in Paris lernte Bataillon Jean-Pierre Vincent und *Patrice Chéreau kennen und begann sich für das Theater zu interessieren. Er studierte Germanistik an der Sorbonne und ging wie *Bernard Sobel in die DDR, wo er als französischer Fremdsprachen- Lektor zur Zeit von Hans Mayer an der Karl- Marx-Universität in Leipzig tätig war. 1964 begann er im Pariser Arbeitervorort Aubervilliers als Mitarbeiter von Gabriel Garran zu arbeiten, der dort gerade das Théâtre de la Commune gegründet hatte. Bataillon übersetzte u.a. *Peter Weiss und *Bertolt Brecht, später dann *Heiner Müller sowie Lothar Trolle. Herauszuheben ist Bataillons oft unterschätzte Bedeutung bei der Entdeckung *Peter Weiss‘ in Frankreich in Kooperation mit *André Gisselbrecht, der die ins Französische übertragene Textvorlage für die französische Erstaufführung der „Ermittlung“ lieferte - obwohl die offizielle Übersetzung der Gallimard- Ausgabe des Stückes aus der Feder von *Jean Baudrillard stammte. 1969 übersetzte Bataillon dann *Weiss‘ „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird“, das Garran ebenfalls in Aubervilliers zur Aufführung brachte. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Bataillons Zusammenarbeit mit dem *Berliner Ensemble (BE), aus der sich zahlreiche künstlerische und intellektuelle Kontakte nach Deutschland ergaben. So lud in der Spielzeit 1970/ 71 aufgrund seiner sowie Garrans Initiative der spätere Minister (PCF) und stellvertretende Bürgermeister von Aubervilliers, Jack Ralite, das *BE zum 100. Jahrestag der Pariser Kommune in die Banlieue-Theater in Aubervilliers, Nanterre und Saint-Denis ein. Gezeigt wurden die *Brecht-Stücke „Die Tage der Kommune“, „Die Mutter“ sowie „Der Brotladen“, das letztere unter der Regie des jungen Regie-Duos Manfred Karge und *Matthias Langhoff. Ein Jahr später engagierte Bataillon die beiden deutschen Regisseure, das Stück in Aubervilliers auf Französisch zu inszenieren - wenngleich mit mäßigem Erfolg. Im gleichen Jahr holte Roger Planchon Bataillon als secrétaire général an das Théâtre national populaire in Villeurbanne - ein Posten, den er fast 30 Jahre lang bekleidete und ihn zu einem der wichtigsten Multiplikatoren im deutsch-französischen Theaterfeld werden ließ. Denn obgleich sich Planchon selber als Regisseur seit den 1960er Jahren kaum noch für deutschsprachige Autoren interessierte, blieb sein Spielplan eng mit dem deutschen Theater verbunden. Nicht nur die aufsehenerregende Inszenierung von Karge und *Langhoff des „Prinzen von Homburg“ (1983) ist hier zu nennen, sondern auch die zahlreichen Gastspiele *Pina Bauschs mit ihrem Wuppertaler Tanztheater. Neben *Patrice Chéreau, der in den frühen 1970er Jahren als Hausregisseur und Baudrillard, Jean B 121 stellvertretender künstlerischer Leiter in Villeurbanne tätig war, spielte Bataillon eine zentrale Rolle: So lud er beispielsweise 1976 Karge und *Langhoff, mit denen er seit dem Gastspiel des BE in Paris 1971 in engem Kontakt stand, mit ihrer Inszenierung der „Schlacht“ von *Heiner Müller auf die Fête de l’Humanité ein - woraus sich in den folgenden Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den beiden Regisseuren sowie Heiner Müller in Villeurbanne ergab. Darüber hinaus war Michel Bataillon seit den 1990er Jahren Präsident der *Maison Antoine Vitez, Vorsitzender der für die aide à la création théâtrale zuständigen Kommission im französischen Kulturministerium sowie Mitglied des *Deutsch- Französischen Kulturrates. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Baudrillard, Jean Der in Reims geborene Jean Baudrillard (1929- 2007) ist als Soziologe, Kulturkritiker, Vordenker der Postmoderne und Medientheoretiker international bekannt geworden und hat auch auf die deutsche Medienwissenschaft nachhaltigen Einfluss genommen. Er hat mit seinen Schriften immer wieder zu aktuellen politischen Themen (Golfkrieg, Attentate vom 11. September 2001 usw.) Stellung bezogen und schwankte dabei in seiner Haltung zwischen engagierter intellektueller Kritik und provozierenden Clownesken, wie Jürgen Ritte in seinem Nachruf in der „Neuen Zürcher Zeitung“ schrieb. Er studierte Germanistik (u.a. bei *Gilbert Badia) und begann seine Karriere zunächst als Deutschlehrer und Übersetzer. Er übertrug - unter anderem im Auftrag von Robert Voisin vom Verlag *L’Arche - Werke von Karl Marx und Friedrich Engels, von *Bertolt Brecht und vor allem von *Peter Weiss ins Französische. 1968 promovierte er in Soziologie bei Henri Lefebvre mit der Arbeit „Les choses“ („Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen“). Seither lehrte er an der Universität Nanterre (damals Paris X, heute Université Paris Ouest) *Philosophie und *Soziologie. Er hinterließ ein ebenso vielfältiges, wie schwer zu klassifizierendes Werk, das neben umfangreichen wissenschaftlichen Ausarbeitungen zahlreiche, oft programmatische Essays umfasst, in denen er sich zu einer breiten Palette von Themen äußert, von persönlichen Amerikaeindrücken bis hin zur fortwährenden Auseinandersetzung mit der von technischen Medien geprägten Bildästhetik oder Reflexionen zum politischen Selbstverständnis der Linken. In Deutschland bekannt wurde Baudrillard vor allem durch seine Gesellschafts- und Kulturkritik, seine Medientheorie und seine Arbeiten zum Terrorismus, die seit den 1970er Jahren übersetzt und in hohen Auflagen vor allem über den *Merve Verlag Verbreitung fanden. Für die deutsche Diskussion wurde sein medientheoretischer Ansatz durch Essays wie „Requiem für die Medien“ (1972), „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“ (1978) oder „Agonie des Realen“ (1978) bedeutsam. Darin beschreibt Baudrillard, wie durch die Medien die Realität durch eine „Hyperrealität“ ersetzt wird, d.h. eine „Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen“ stattfindet. Verkürzt gesagt kritisiert Baudrillard, dass Medien sich nur noch auf Medien beziehen, dass Medien kein wirkliches „Ereignis“ mehr bearbeiten, sondern nur noch Medienereignisse (mithin selbst Geschichte nur noch zum medialen Ereignis werde wie z.B. die rumänische Revolution), dass die Medien eine Simulation der Wirklichkeit kreieren, die unser Denken über die Wirklichkeit beherrscht. Inspiriert von Henri Lefebvre entwickelt Baudrillard in seinen frühen Schriften, z.B. in „Der symbolische Tausch und der Tod“ (1976) eine Theorie des symbolischen Austauschs einer konsumorientierten Gesellschaft. Seine Hauptthese ist dabei zugleich Gesellschafts- und Kulturkritik: Die Zeichen verweisen unter den Bedingungen des kapitalistischen Systems nicht mehr auf das Bezeichnete, sondern verselbständigen sich im Zeichengebrauch, d.h. sie verlieren in der alltäglichen Zirkulation ihre Referenz und damit auch einen Bezug zu den wahren Bedürfnissen der Menschen. Mit diesem Ansatz gilt er zugleich auch als Mitgründer eines postmodernen Denkens, das ein Verschwinden des Realen zugunsten von Simulation und Hyperrealität behauptete - und oft Anlass für Missverständnisse seiner Kritiker wurde, die ihm unterstellten, er hätte das Entstehen einer zweiten, von einer wirklichen Wirklichkeit unabhängigen Realität behauptet. Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 befasste sich Jean Baudrillard verstärkt mit dem Phänomen des Terrorismus, den er als Rückstoß- Bausch, Pina 122 B effekt eines nach Perfektion strebenden Systems der Integralen Realität interpretiert. Der Essay „Der Geist des Terrorismus“ (2001) brachte ihm vor allem in den USA viel Kritik ein, traf aber in der europäischen Debatte durchaus einen wunden Punkt, da die Antwort auf den Terrorismus kaum allein nur in der weiteren Aufrüstung, Abschottung und Perfektionierung des Systems gesehen werden kann. Denn, wie er in einem seiner letzten Essay-Bücher vor seinem Tod - „Die Intelligenz des Bösen“ (2006) - zeigte, fordert dies die Gegenkräfte nur um so mehr heraus. Falko Blask, Baudrillard zur Einführung, Hamburg 1995; Ralf Bohn, Dieter Fuder (Hg.), Baudrillard - Simulation und Verführung. München 1994; Jochen Venus, Referenzlose Simulation? Argumentationsstrukturen postmoderner Medientheorie am Beispiel von Jean Baudrillard, Würzburg 1997; Peter Gente, Barbara Könches, Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst - Jean Baudrillard, Berlin 2005. Thomas Weber Bausch, Pina Die in Solingen geborene Pina Bausch (1940- 2009) hat mit dem Wuppertaler Tanztheater in mehr Ländern der Welt gastiert und mehr bilaterale Koproduktionen auf vier Kontinenten kreiert als irgendeine andere deutsche Choreographin. Doch auch wenn sie ihre ersten beruflichen Erfahrungen in New York machte und regelmäßig Italien, die Niederlande, Spanien, Portugal und Südamerika bereiste, hat sie in keiner anderen Stadt eine so lebendige zweite künstlerische Heimat gefunden wie in Paris und dem dortigen Théâtre de la Ville. „Blaubart“ bildete 1979 den Auftakt ihrer regelmäßigen jährlichen Gastspiele, die auch über ihren Tod hinaus von ihrer Compagnie fortgesetzt werden. Von Anfang an hat Pina Bausch engste Freundschaften nach Frankreich gepflegt: Der allererste Gastspielort des Wuppertaler Tanztheaters im Mai 1977 war das Festival de Nancy mit „Die Sieben Todsünden“; der erste Gastgeber war der spätere französische Kulturminister *Jack Lang, der sie 1991 zum Commandeur de l’ordre des arts et des lettres ernannte; Jean Cebron, Malou Airaudo, Gérard Violette und der Pariser Tanzagent Thomas Erdos prägten sie auch künstlerisch; Dominique Mercy wurde nach ihrem Tod der künstlerische Leiter der Tanzcompagnie. Bei den Welttheatertagen in Nancy hatte im Mai 1980 das legendäre Stück „Café Müller“ sein erstes ausländisches Gastspiel und das „deutsche Tanztheater“ als weltweites Markenzeichen des Wuppertaler Ensembles erhielt im Februar 1991 zum ersten Mal Bühnenrecht an der Opéra Garnier, wo Pina Bausch etwas später mit dem Opernensemble als historisch bedeutsame Filmaufzeichnung „Le Sacre du Printemps“ erarbeitete. Nach ihrem Tanzdiplom an der Folkwangschule in Essen begann Pina Bausch eine Ausbildung an der Juillard School of Music in New York und nicht zufällig ist der einzige mit Pina Bausch vergleichbare radikale Bruch mit der Balletttradition mit dem Namen eines amerikanischen Choreographen, Merce Cunningham, verbunden. Wie Pina Bausch hat auch Maurice Béjart sein Ensemble umbenannt, bezeichnenderweise aber nicht in Tanztheater, sondern in das Ballet du XX e siècle. Merce Cunningham und Pina Bausch wagten hingegen einen radikaleren Bruch mit der Tanztradition, beide hatten mit John Cage und Rolf Borzik bzw. Peter Pabst kongeniale Partner, ohne die ihr Schaffen nicht denkbar ist. Bei Pina Bausch ist Tanzen nicht mehr wie im Ballett elegantes Divertissement oder romantisches Schwelgen in einer Märchen- und Feenwelt, sondern das Alltagslied und -leid von Liebe und Hass, Sehnsucht und Trauer, Freude und Schmerz, Angst und Hoffnung, Gewalt und Zärtlichkeit, Ausbeutung und Großzügigkeit, Kindheit und Tod, wobei in vielen Stücken die Geschlechterbeziehung von Mann und Frau zentral ist. Der menschliche Körper bewegt sich nicht in Idealrollen und gemäß einem Regelwerk, sondern je individuell und als spontane Gruppe. Die Tänzer schlüpfen nicht mehr in Rollen oder Hierarchien als petits rats, coryphées, petits sujets, grands sujets, solistes, étoiles wie beim Ballett, sondern treten mit ihrer ganzen individuellen Körpergeographie und -biographie aus ihnen heraus und „zeigen ihre Wunden“ (Joseph Beuys). Gesprochen wird in allen Sprachen der Erde und die Ballettmusik besteht neben klassischen Kompositionen aus Collagen von Schlagern der 1920er Jahre, Volksmusiken, Rock, Jazz und Musik aus der ganzen Welt. Auf die Starsolisten wird weitgehend verzichtet, das Ensemble, das corps de ballet , das Wuppertaler Tanztheater insgesamt und jedes einzelne Mitglied sind der Star. Mit ihnen - den Bühnenbildnern, Musikarrangeuren, Kostümdesignern oder eben Tänze- Beckett, Samuel B 123 rinnen und Tänzern - hat Pina Bausch teilweise über Jahrzehnte zusammengearbeitet. Die Quintessenz ihrer Arbeit lautete: „Was die Menschen bewegt, weniger wie die Menschen sich bewegen, interessiert mich. Die Schritte sind immer anderswo hergekommen, nie aus den Beinen.“ Jochen Schmidt, Tanzen gegen die Angst: Pina Bausch, München 1999; Maarten Vanden Abeele, Pina Bausch: Photographies, Paris 1996; Norbert Servos, Pina Bausch: Das Wuppertaler Tanztheater oder die Kunst, einen Goldfisch zu dressieren, Velber 1996; Guy Delahaye, Pina Bausch: Photographies, Paris 1986. Georg Lechner Bayerisch-Französisches Hochschulzentrum (BFHZ) Centre de coopération universitaire franco-bavarois (CCUFB) Mit der Gründung von bislang sechs Hochschulzentren setzt Bayern im Rahmen der internationalen Hochschul- und Forschungszusammenarbeit auf eine Strategie der regionalen Privilegierung. Als erstes Hochschulzentrum wurde 1998 das BFHZ als gemeinsame Einrichtung der Technischen Universität München und der Ludwig- Maximilians-Universität München gegründet. Das Zentrum dient heute als Internationalisierungsinstrument für alle bayerischen Universitäten und Hochschulen sowie für alle französische Hochschulen und grandes écoles . Seine Tätigkeitsbereiche umfassen u.a. ein weitreichendes Beratungsangebot für Studierende, Wissenschaftler und Hochschulen, die Förderung und Begleitung von Kooperationsprojekten bayerischer und französischer Hochschulen in Lehre und Forschung sowie die Förderung von Auslandsstudien- und Forschungsaufenthalten von Studierenden und schließlich die Durchführung von Veranstaltungen im deutschfranzösischen Kontext. Geleitet wird das Zentrum von einem Vorstand, der aus vier Vertretern der Universitäten Münchens, zwei Vertretern der Konferenzen der französischen Universitäten und grandes écoles und je einem Vertreter des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der französischen Botschaft besteht. Der Vorstand wird in seiner Tätigkeit von einer Geschäftsstelle mit Sitz an der TU München unterstützt, in deren unmittelbarer Nähe sich ein Bureau de coopération universitaire befindet. Finanziell wird das Zentrum durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und durch das französische Außenministerium getragen. Das Förderprogramm konzentriert sich hauptsächlich auf zwei Projekttypen: Zum einen Initialförderungen für Vorhaben, die ein Entwicklungspotential zu umfangreicheren deutschfranzösischen Kooperationsprojekten haben. In der Vergangenheit konnten so zahlreiche Projekte etabliert werden, die im Anschluss an eine Förderung des BFHZ durch die Europäische Union, hochschulinterne Mittel oder durch anderweitige Fördergeber finanziert wurden. Neu hinzugekommen sind insbesondere Vorbereitungsmaßnahmen zur Antragstellung im Rahmen der *ANR-DFG-Ausschreibungen. Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem Programm der Einbeziehung von jungen Forschern und Forscherinnen. Zum anderen unterstützt das Hochschulzentrum den Anschub neuer Kooperationsformen, die der Festigung und engeren Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Forschergruppen dienen. Hervorzuheben sind hier insbesondere Vorhaben in der Lehre, z.B. der Aufbau neuer integrierter Studiengänge. Das BFHZ konnte seit seiner Gründung im Jahr 1998 jährlich ca. 50 Anschubfinanzierungen für bilaterale Kooperationen in Bereich der Lehre und Forschung vergeben. Der Mittelwert der Förderung betrug ca. 3 000 Euro. Die Fördersumme umfasst Mobilitätsbeihilfen für Nachwuchswissenschaftler und Hochschullehrer, jedoch keine Infrastrukturmittel. Zudem unterstützt das Zentrum jährlich ca. 40 Studierende aus Frankreich bzw. Bayern. Axel Honsdorf Beckett, Samuel Kaum jemand vermutet, dass der 1906 in Dublin und 1989 in Paris gestorbene Samuel Beckett, der seine Werke auf Englisch oder Französisch verfasste, als Regisseur seine Werke vor allem in deutscher Sprache in der Bundesrepublik inszenierte: In Berlin brachte er sieben seiner Stücke in der Werkstatt des Schiller-Theaters (1967- 1978) auf die Bühne, und in Stuttgart, in den Aufnahmestudios des Süddeutschen Rundfunks (SDR), führte er bei den Dreharbeiten seiner Beckett, Samuel 124 B sechs für das Fernsehen geschriebenen Stücke selbst Regie (1966-1986). Bezüglich Becketts Verhältnis zu Deutschland erklärte der irische Schauspieler Jack MacGowran: „Germany adores him; Germany pulls out every tragic note“. Das ist auch in umgekehrte Richtung zutreffend, da Beckett großes Interesse für die deutsche Kultur hegte und in ihr so manche Inspirationsquelle für sein dichterisches, stets von Tragik gekennzeichnetes Schaffen entdeckte. Seine Annäherung an Deutschland verdankte er zwei Frauen: seiner Grundschullehrerin, die ihm außer Französisch auch einige Wörter Deutsch beibrachte, und Peggy Sinclair, seine Cousine, in die er sich als 22-Jähriger verliebte und die er zwischen 1928 und 1932 regelmäßig in Kassel besuchte. Von Ende September 1936 bis Anfang April 1937 unternahm der Schriftsteller eine Deutschlandreise und erkundete insbesondere die Museen. In der Dresdner Galerie Neue Meister studierte er eingehend Caspar David Friedrichs Gemälde „Zwei Männer betrachten den Mond“, dessen Gestalten später als Wladimir und Estragon zum bekanntesten Duo des Nachkriegstheaters wurden. In jenen Jahren eignete sich Beckett die deutsche Sprache selbst an und beherrschte sie später fließend. Die Kontaktaufnahme zwischen dem Dramatiker und der Berliner Theaterszene ist auf sein Erfolgsstück „Warten auf Godot“ (1952) zurückzuführen, durch das der zuvor unbeachtet gebliebene Schriftsteller über Nacht bekannt wurde. Nach der Generalprobe des Stücks im Pariser Théâtre de Babylone übertrug es *Elmar Tophoven ins Deutsche, woraufhin Albert Bessler, Chef-Dramaturg der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, es auf den Spielplan der Berliner Festwochen setzte. Boleslaw Barlog, Intendant der Berliner Staatlichen Schauspielbühnen, war bereits nach der deutschen Premiere von „Warten auf Godot“ im Schlosspark-Theater (8.9.1953) von der Beckettschen Ästhetik begeistert und sicherte für das Schiller- Theater die Rechte der deutschen Uraufführungen der Stücke „Das letzte Band“ (28.9.1959) und „Glückliche Tage“ (30.9.1961). Becketts erste direkte Teilnahme erfolgte im Februar 1965, als er dem Probenverlauf der neuen Produktion von „Warten auf Godot“ (Premiere am 25.2.1965) unter der Leitung von Deryk Mendel beiwohnte. Becketts persönliche Mitwirkung veranlasste Barlog, dem Autor selbst die Inszenierung seiner Werke zu überlassen. Zwischen den Jahren 1967 und 1978 inszenierte Beckett in der Werkstatt des Schillertheaters „Endspiel“ (Premiere am 26.9.1967), „Das letzte Band“ (5.10.1969), „Glückliche Tage“ (17.9.1971), „Warten auf Godot“ (8.3.1975), „Damals“ und „Tritte“ (1.10.1976) sowie „Spiel“ (6.10.1978). Gemeinsam mit Rick Clucheys San Quentin Drama Workshop führte er außerdem „Das letzte Band“ (27.9.1977) und „Endspiel“ (16.9.1978) an der Akademie der Künste und in der St. Matthäuskirche im Tiergarten auf. Die deutsche Sprache spielte bei Becketts Regiearbeit eine grundlegende Rolle. Aufgrund seiner Sensibilität für Melodik und seines erstaunlichen Sprachgefühls schien er ein „unbequemer Regisseur“ zu sein - so Michael Haerdter, Becketts Regieassistent bei „Endspiel“: „‚Sie haben ein ‚ja‘ vergessen‘, unterbricht er einmal. Er beherrscht den deutschen Text bis in die Wortstellungen, in Interjunktionen hinein“. Der Autor achtete auch darauf, dass die Übersetzung des englischen Textes dem deutschen Wortklang gerecht wird, wie bei Luckys Monolog in „Warten auf Godot“: „Statt ‚von der anthropopopopometrischen Akakakakakademie’ sollte es ‚von der Akakakakademie der Anthropopopometrie’ heißen. Die Umstellung habe lediglich musikalische Gründe“, lautet der Bericht des Regieassistenten Walter D. Asmus. Auch während der Dreharbeiten im Stuttgarter SDR überprüfte der Schriftsteller systematisch die deutschen Fassungen seiner Fernsehstücke. Noch bevor Beckett „Hausheiliger“ des Schiller- Theaters wurde, wie Barlog ihn zu bezeichnen pflegte, hatte der Direktor des SDR Reinhart Müller-Freienfels dem Autor die Regie seines ersten Fernsehstückes „Hey Joe“ anvertraut (Erstsendung am 13.4.1966). Beckett überarbeitete die deutsche Fassung von Erika und *Elmar Tophoven Wort für Wort, Silbe für Silbe und verweigerte den Darstellern jegliche Textänderung - was zu heftigen Unstimmigkeiten mit dem Schauspieler Deryk Mendel führte. Fünf weitere Dreharbeiten fanden in dem Stuttgarter Aufnahmestudio statt: „Hey Joe“ (2. Fassung, am 13.9.1979 übertragen), „Geistertrio“ und „... nur noch Gewölk ...“ (zusammen mit „Not I“ am 1.11.1977 gesendet), „Quadrat I und II“ (13.4.1981), „Nacht und Träume“ (19.5.1983) sowie die Verfilmung des Theaterstücks „Was wo“ (13.4.1986). Bellmer, Hans B 125 Freundschaftliche Beziehungen zu den Mitarbeiten des Schiller-Theaters und des SDR sowie die künstlerische Freiheit, die man Beckett dort gewährte, trugen dazu bei, dass der Dramatiker den Probenraum in Berlin und das Aufnahmestudio in Stuttgart immer wieder aufsuchte. „I recall with nostalgia those happy and exciting days when I met with such friendship and indulgence and learnt so much about theatre in general and about my own plays“, schrieb der Autor dem Schiller-Theater im Juli 1985 und dem Direktor des SDR soll er mitgeteilt haben: „We do it to have fun together! “ Klaus Völker (Hg.), Beckett in Berlin: zum 80. Geburtstag, Berlin 1986; Mel Gussow, Conversations with and about Beckett, New York 1996; James Knowlson, Damned to Fame. The life of Samuel Beckett, London/ Berlin/ New York 1996; Reinhart Müller-Freienfels, Erinnerung an Samuel Beckett beim SDR, in: Hermann Fünfgeld (Hg.), Von außen besehen. Markenzeichen des Süddeutschen Rundfunks, Stuttgart 1998, S. 403-425; Therese Fischer-Seidel (Hg.), Der unbekannte Beckett: Samuel Beckett und die deutsche Kultur, Frankfurt/ M. 2005; Erika Tophoven, Becketts Berlin, Berlin 2005. Marie-Christine Gay Bellmer, Hans Der 1902 im schlesischen Kattowitz geborene Zeichner und Fotograf Hans Bellmer zählte zu jenen deutschen Emigranten, die während des Zweiten Weltkriegs aufgrund ihrer deutschen Herkunft nicht auf Anhieb eine Wahlheimat in Frankreich fanden. Bellmer wirkte als Heimatloser, der in beiden Staaten wie ein unerwünschter Fremdling angesehen wurde: Als „entarteter Künstler“ in Deutschland stigmatisiert, als „Nazi-Deutscher“ in Frankreich interniert, ließ er sich nach Kriegsende dauerhaft in Frankreich nieder, wo er 1975 starb. Sein künstlerisches Werk, das dem Surrealismus zugeordnet werden kann, fand zuerst in Frankreich Beachtung, bevor es Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts auch von einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland wahrgenommen wurde. Die späte Anerkennung seines Werkes in Deutschland ist zum einen sicherlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass Bellmer zwischen zwei Kulturen lebte und nirgendwo die Anerkennung fand, die sesshaften, akademietreuen Künstlern zuteil wird, zum anderen aber auch darauf, dass sein Werk im Nachkriegsdeutschland anfänglich nur auf die erotischen Phantasien eines Besessenen reduziert wurde. Bellmer durchlebte eine Kindheit, die geprägt war von der Gegensätzlichkeit der Charaktere einer sensiblen Mutter und eines autoritären, bisweilen tyrannischen Vaters. Aus Furcht vor der Strenge seines Vaters folgte er nach bestandenem Abitur dessen Wunsch und arbeitete drei Jahre lang in einem Kohlebergwerk des oberschlesischen Steinkohlebeckens. Sein Vater erhoffte sich von dieser erzieherischen Maßnahme den rebellischen Charakter seines Sohnes zu brechen. Erste künstlerische Arbeiten fielen in diese Periode. 1923 nahm Bellmer, erneut auf Geheiß seines Vaters, an der Technischen Hochschule in Berlin das Ingenieurstudium auf. Dort lernte er George Grosz, Helmut Herzfeld (alias John Heartfield) und Rudolf Schlichter kennen, der Umgang mit ihnen überzeugte ihn, seinem künstlerischen Schaffensdrang zu folgen. Nach nur einem Jahr brach er sein Studium ab. In den folgenden Jahren verdiente er seinen Unterhalt als Buchdrucker und Illustrator für den Berliner Malik-Verlag, der sich auf politische und ästhetische Avantgardekunst sowie kommunistische Literatur spezialisiert hatte. Mitte der 1920er Jahre reiste Bellmer zum ersten Mal nach Paris, arbeitete dort als Grafiker und verkehrte im Umfeld der Surrealisten, ohne jedoch wirklich der Bewegung um André Breton anzugehören. 1928 heiratete er Margarete Schnell und kehrte mit ihr nach Deutschland zurück, wo er bis 1933 in Berlin ein eigenes Atelier als Werbegrafiker unterhielt. Bellmer besuchte in dieser Zeit Lehrveranstaltungen am Bauhaus und unternahm ausgedehnte Reisen nach Italien und Tunesien. Aus Protest gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten beschloss Bellmer 1933 seine Arbeit als Werbegrafiker einzustellen, um jegliche dem NS-Staat nutzbringende Tätigkeit zu verweigern. Sein Berliner Atelier für Werbegrafik gab er auf und vertiefte sich in die Konstruktion artifizieller, mädchenhafter Puppen, deren Körper und Fragmente er aus Schaufensterpuppen, Holz, Kugelgelenken, Metallteilen und Gips anfertigte, bevor er sie in unterschiedlichen, häufig lasziven Posen inszenierte und fotografierte. Mit diesen „skandalösen“ Traumbildern, in denen er libidinöse Phantasien künstlerisch sub- Benoin, Daniel 126 B limierte und ihnen zugleich Gestalt verlieh, protestierte er gegen eine, wie er befand, per se „skandalöse Welt“. Bereits als Zwanzigjähriger war er aufgrund des provozierenden Charakters seiner ersten ausgestellten Zeichnungen vorübergehend festgenommen worden. Neben einem umfangreichen zeichnerischen Werk bildeten diese Puppendarstellungen das Kernstück des Bellmerschen Schaffens, die in unterschiedlichen Zeitabständen immer wiederkehrten. Ihre erste Veröffentlichung erfolgte 1934 im Eigenverlag. Das Buch „Die Puppe“ erschien mit einem selbstverfassten Essay und zehn eingeklebten, nachträglich handkolorierten s/ w-Fotografien. Ein Exemplar schickte Bellmer den Pariser Surrealisten André Breton und Paul Éluard, die er während seines ersten Parisaufenthalts kennengelernt hatte. Beide verhalfen ihm noch im selben Jahr zu einer Veröffentlichung von achtzehn Fotografien in der Zeitschrift „Minotaure“ unter dem Titel „Poupée: variations sur le montage d’une mineure articulée“, die auf reges Interesse bei den Surrealisten stießen. Sie erkannten in der Bellmerschen Puppe die Inkarnation des surrealistischen Objekts, weil sie Begierde und Revolte gleichermaßen zum Ausdruck brachte. Nach dem Tod seiner Frau Margarete emigrierte Hans Bellmer 1938 nach Paris. Er teilte zunächst das Schicksal vieler anderer vor der Nazi-Barbarei Geflohener und wurde u.a. mit *Max Ernst in der stillgelegten Ziegelei Les Milles in der Nähe von Aix-en-Provence von September 1939 bis Januar 1940 interniert. Dort entstand ein Großteil seines zeichnerischen Werkes, u.a. auch das „Porträt des Hauptmanns Gouruchon“. Es folgten weitere Internierungsaufenthalte in Forcalquier, im Département Sarthe und im Internierungslager Meslay-du- Maine. Seinem grafischen Geschick verdankte er seine Tätigkeit als Lieferant gefälschter Ausweisdokumente für die französische Résistance. Bis zur Libération lebte er mit gefälschten Papieren unter dem Namen Jean Bellmer zwischen Revel, Toulouse, und Castres. 1949 veröffentlichte Bellmer bei den Editions Premières weitere 15 Fotografien seiner Puppen unter dem Titel „Les jeux de la poupée“. 14 Gedichte von Paul Eluard illustrierten die handkolorierten s/ w- Fotografien, was eine völlig neue Ordnung in das Verhältnis von Bild und Text brachte. 1953 heiratete Bellmer die 1916 in Berlin geborene Schriftstellerin Unica Zürn. Zürn folgte Bellmer nach Paris und arbeitete dort als Autorin und Grafikerin. Sie verkehrte mit den Pariser Surrealisten Hans Arp, André Breton, Marcel Duchamp, Max Ernst und Henri Michaux und schrieb surrealistische Gedichte sowie Prosastücke. Anfang der 1960er Jahre wurde bei ihr eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Unica Zürn beendete am 19. Oktober 1970 mit einem Sprung aus dem Fenster ihrer gemeinsamen Pariser Wohnung ihr Leben. Schleppend, und vorerst mehr noch in Frankreich als in Deutschland, begann Bellmers Werk wahrgenommen zu werden. Eine erste Einzelausstellung erfolgte in Toulouse, danach wurde er in Paris ausgestellt. Ab den 1960er Jahren wuchs dann auch in Deutschland das Interesse an Bellmers Puppendarstellungen und Zeichnungen, begünstigt durch seine Teilnahmen an den documenta-Ausstellungen II und III. Erste Reaktionen auf Bellmers Werk aus den späten 1950er Jahren greifen nicht oder nur ansatzweise, wenn sie in der „Darstellung des Obszönen lediglich Ausdruck einer Auflehnung gegen Gesellschaft, Rationalität und Zeitmoral“ sehen. Dekomposition und artifizielle Rekonstruktion durch eine mechanische Vervielfältigung einzelner Körperteile der Bellmer’schen Puppen sind auch im Kontext von Walter Benjamins 1935 veröffentlichtem Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ zu lesen. Der Verlust der Aura, eingeleitet durch die Heraufkunft neuer Medien wie Fotografie und Film sind Aspekte, die bei der Rezeption von Bellmers Werk ebenfalls berücksichtigt werden müssen und sich bei genauer Betrachtung seiner (seriellen) Fotografien aufdrängen. Vor diesem Hintergrund verkörpern sie eine Radikalität, die jede rein psychoanalytische Interpretation von Bellmers Werk einseitig erscheinen lässt. Dawn Ades, Rosalind Krauss, Jane Livingston, Explosante-Fixe: Photographie et surréalisme, Paris 1985; Hans Bellmer, Peter Webb, London 1985. Cem Alexander Sünter Benoin, Daniel Der 1947 in Mulhouse geborene Daniel Benoin hat als Regisseur, Theaterdirektor, Übersetzer, Berater B 127 Gründer (1988) und längjähriger Leiter der Europäischen Theaterkonvention (ETK) sowie Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrates seit den 1970er Jahren wichtigen Einfluss auf die Präsenz deutscher Dramatik auf französischen Bühnen genommen. Bereits während seiner Studien an der Elitewirtschaftshochschule Hautes études commerciales (HEC) und seiner Promotion im Fach Wirtschaftswissenschaft war er zwischen 1967 und 1972 Mitglied des Théâtre de la rue d’Ulm an der ENS und spielt dort u.a. in Büchners „Dantons Tod“ - inszeniert von Jacques Nichet. Seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Regisseur zeigte sich Benoin fasziniert von deutschen Autoren wie Georg Kaiser, Georg Büchner oder Franz Kafka sowie typisch „deutschen“ Themen: 1974 inszenierte er „Deutsches Requiem“ von Pierre Bourgead. 1975 wurde Benoin Direktor der Comédie de Saint-Étienne, wo er immer wieder deutsche Klassiker auf die Bühne brachte - so präsentierte er 1982 nicht nur Goethes „Faust I“, sondern auch den in Frankreich unbekannten „Faust II“. Ein besonderes Verdienst kommt ihm im Bereich der deutschen Gegenwartsdramatik und der Entdeckung unbekannter bzw. vergessener deutschsprachiger Autoren zu: In der Spielzeit 1984/ 85 erregte er mit „Der Schein trügt“ des damals noch weitgehend unbekannten Thomas Bernhard nicht nur in Saint-Étienne, sondern auch an Jean-Louis Barraults Théâtre du Rond-Point in Paris Aufmerksamkeit; 1991 inszenierte er „Sieben Türen“ und 1992 „Niemand anderes“ von Botho Strauß; 1993 „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner. Er ist einer der wenigen französischen Regisseure, die sich für George Tabori interessieren - 1997/ 98 präsentierte er „Die Goldbergvariationen“ u.a. am Théâtre national de Chaillot in Paris; 1999 übersetzte er „Top Dogs“. Benoin ist nicht nur mit seinen Inszenierungen häufig nach Deutschland auf Tournee gegangen, sondern hat seit den 1980er Jahren auch immer wieder an deutschen Häusern gearbeitet, so z.B. in Bremen, Bochum und Bonn. Während sich Benoins enge Verbindung zum deutschen Theater in den 1990er Jahren durch sein Engagement für die Europäische Theaterkonvention weiter intensivierte - so verband ihn u.a. eine enge Zusammenarbeit mit Manfred Beilharz, dem damaligen Intendanten des Schauspiels Bonn, mit dem er verschiedene Koproduktionen realisierte -, war nach seiner Übernahme der Leitung des Theaters in Nizza (2002-2013) eine größere Konzentration auf französische Autoren und Themen bemerkbar. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Berater Sobald zwischen Staaten und Gesellschaften so enge Beziehungen bestehen wie zwischen Deutschland und Frankreich, gehört der Umgang mit unterschiedlichen Arbeits- und Funktionsweisen, Sozialverhalten und Kommunikationsformen zum beruflichen Alltag. Die Untersuchungen zum Themenfeld „Interkulturelle Kommunikation“ sind vor allem in den USA entwickelt worden, aber auch in Europa hat sich eine wertvolle Forschungs- und Beratungsszene entwickelt. Seit mehr als 40 Jahren haben zahlreiche Studien gerade die Besonderheiten, die Konfliktzonen und die potentiellen kulturbedingten Missverständnisse in der deutsch-französischen Kooperation untersucht. Es hat sich ein Markt für spezifische Beratung gebildet, die sich sowohl an Unternehmen als auch an Akteure des öffentlichen Sektors wendet. Entscheidend für die Seriosität und den Erfolg der Beratung ist, dass man kulturelle Prägungen nicht eindimensional und deterministisch versteht. Niemand handelt in einer gewissen Weise, nur weil er Deutscher oder Franzose ist. Allerdings spielt neben der Persönlichkeit, der Unternehmenskultur und der punktuellen Intention auch die Sozialisation in einer bestimmten Gesellschaft und vor allem in einem nationalen Bildungssystem eine erhebliche Rolle. Es ist die Aufgabe guter Beratung, die Erkenntnisse des Kulturvergleichs für die jeweiligen spezifischen Formen der Kooperation und die von Fall zu Fall unterschiedlichen Zielgruppen fruchtbar zu machen. Es mag überraschen, dass trotz jahrzehntelanger Kooperation in zahllosen Unternehmen immer wieder die gleichen *Stereotype, Unverständnisse und Konfliktpotenziale zu beobachten sind. Erklären lässt sich dieses Phänomen durch die Reproduktion gewisser Verhaltensweisen und Arbeitstechniken durch die immer noch sehr national geprägten Bildungssysteme, aber auch dadurch, dass die Unternehmen und Organisationen nicht ausreichend „lernend“ sind, d.h. ihre eigenen Erfahrungen nicht systematisch aufberei- Berchem, Theodor 128 B ten und nutzen. Die besten Erfolge erzielt man, wenn es gelingt, den Schritt vom Kulturvergleich hin zur Analyse von Kooperationsmechanismen zu machen, die sich in den meisten Kooperationen wieder finden, und nicht mehr direkt von den Prägungen der Herkunftskulturen abhängen. In der Praxis der deutsch-französischen Kulturbeziehungen spielen die zahlreichen Berater durch ihre Analysen und ihre Tätigkeit in Unternehmen und Institutionen eine wichtige Rolle, die jedoch selten im Licht der Öffentlichkeit stattfindet. Als Vermittler im besten Sinne sind sie ein auch in Zukunft bedeutender Beitrag zu gelungener kultureller Kommunikation. Frank Baasner (Hg.), Gérer la diversité culturelle. Théorie et pratique de la communication interculturelle en contexte franco-allemand, Frankfurt/ M. 2005; Jacques Demorgon, Complexité des cultures et de l’interculturel. Contre les pensées uniques, Paris 4 2010; Hans Merkens, Jacques Demorgon, Gunter Gebauer (Hg.), Kulturelle Barrieren im Kopf. Bilanz und Perspektiven des interkulturellen Managements, Frankfurt/ M. 2004; Jacques Pateau, Die seltsame Alchimie in der Zusammenarbeit von Deutschen und Franzosen. Aus der Praxis des interkulturellen Managements, Frankfurt/ M., New York 1999. Frank Baasner Berchem, Theodor Der 1935 in Bonn geborene Theodor Berchem ist ein deutscher Romanist und Wissenschaftsmanager, der sich um die Intensivierung der deutsch-französischen Hochschul- und Wissenschaftsbeziehungen verdient gemacht hat. Er studierte zunächst Romanistik und Anglistik an den Universitäten Genf und Köln. Ab 1959 setzte er sein Studium der Linguistik in Paris fort, wo er 1963 an der Sorbonne mit einer linguistischen Dissertation zu einem rumänischen Thema promoviert wurde. Ab 1962 Assistent an der Universität Erlangen-Nürnberg, habilitierte er dort 1966 in Romanischer Philologie mit einer Arbeit zum Funktionswandel bei Auxiliarien und Semi-Auxiliarien in den romanischen Sprachen. Im gleichen Jahr folgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Romanische Philologie an der Universität Würzburg, den er bis zu seiner Emeritierung 2003 innehatte. 2003/ 2004 lehrte er auf der chaire européenne am Collège de France. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen Dialektologie, Phonetik, Phonologie, Wortgeschichte sowie Stilistik. Er spricht insgesamt 15 Sprachen. Seit den frühen 1970er Jahren engagiert er sich in der Hochschulpolitik. Von 1975 bis 2003 war er zunächst Rektor, später Präsident der Universität Würzburg. Von 1978 bis 1982 war er Vorsitzender der Bayerischen Rektorenkonferenz. In der Westdeutschen Rektorenkonferenz war er von 1979 bis 1983 Vizepräsident, bevor er sie von 1983 bis 1987 als Präsident leitete. 1988 bis 2007 folgte er *Hansgerd Schulte als Präsident des *DAAD. Von 2005 bis 2007 war er Chairman of the Board of Governors der International University Bremen (IUB) und ist seit 2008 Vorsitzender des Stiftungsrates der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Als ehemaliger Stipendiat des Cusanuswerks und der Görres-Gesellschaft hat er sich später in beiden Einrichtungen ebenso engagiert wie im Katholischen Akademischen Ausländer Dienst (KAAD). Als Präsident des *DAAD hat er sich besonders für die deutsch-französischen Hochschulbeziehungen eingesetzt. Er war Mitglied der deutschfranzösischen Hochschulkommission. Über Jahre stand er der Kommission für die Auswahl der deutschen Studierenden der ENA vor. In seine Amtszeit fällt insbesondere die Gründung des vom *DAAD kofinanzierten *CIERA, in dem führende französische Hochschulen ihre Forschungs- und Lehrangebote koordinieren. Beachtung fand seine Veröffentlichung „Rien n’est jamais acquis ...“ anlässlich des 30. Jahrestags des *Élysée-Vertrags, in welchem er die wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur bilanzierte, sondern sich nachdrücklich dafür einsetzte, diese nicht als gegeben anzusehen, sondern sich auch in Zukunft für ihren Erhalt und ihre Weiterentwicklung einzusetzen. Dieses Engagement kennzeichnet seinen Lebensweg. Dafür wurde er in Frankreich u.a. zum Officier de la légion d’honneur sowie zum Ehrendoktor der Universitäten Caen und Paris-Sorbonne IV ernannt. Das Collège de France hat ihm seine Ehrenmedaille verliehen und die Académie française die Médaille de vermeil du rayonnement de la langue française. 2011 schrieb der *DAAD erstmals den „Theodor-Berchem-Preis“ für herausragende Persönlichkeiten in der internationalen Hochschulzusammenarbeit aus. Theodor Berchem, „Rien n’est jamais acquis ...“. Dreißig Jahre wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit Berliner Ensemble (BE) B 129 zwischen Frankreich und Deutschland, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Bonn 3/ 1993; Romania una et diversa. Philologische Studien für Theodor Berchem zum 65. Geburtstag. Band 1: Sprachwissenschaft. Band 2: Literaturwissenschaft, hg. von Martine Guille, Reinhard Kiesler, Tübingen 2000; 20 Jahre „Wandel durch Austausch“: Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Theodor Berchem, DAAD-Präsident 1988-2007, hg. von DAAD. Stephan Geifes Berliner Ensemble (BE) Das Berliner Ensemble (BE) wurde 1949 von *Bertolt Brecht und Helene Weigel in Ost-Berlin gegründet und gab *Brecht die Möglichkeit, sein Theaterkonzept praktisch umzusetzen. Das erste Gastspiel des BE in Frankreich fand am 29.6.1954 in Paris statt; die Aufführung des Stückes „Mutter Courage und ihre Kinder“ im Rahmen des Festival international d’art dramatique, dem späteren Théâtre des Nations wurde zu einem regelrechten deutsch-französischen Erinnerungsort. Vor dieser Aufführung waren *Brecht und seine Stücke in Frankreich kaum bekannt, nur einige wenige Regisseure wie Gaston Baty, Jean-Marie Serreau und Jean Vilar hatten Inszenierungen seiner Stücke gewagt, folgten in ihren Inszenierungen allerdings nicht Brechts Theorie des epischen Theaters. Das Gastspiel des BE machte *Brecht über Nacht zum Star. Der Stil seines Theaters löste kontroverse Diskussionen in der Fachpresse aus, der Begriff des epischen Theaters wurde in der französischen Kritik heftig debattiert und das BE avancierte zum Inbegriff eines neuen Theatermodells. Dabei wurde die explizit „nicht-kapitalistische“ Arbeitsweise am BE, die sich insbesondere durch extrem lange Probezeiten auszeichnete, zum Maß aller Dinge. Der Erfolg wirkte positiv auf *Brechts Anerkennung in der DDR zurück. Wenngleich seine Arbeit weiterhin argwöhnisch kontrolliert wurde, versuchte das SED-Regime fortan, ihn zumindest im internationalen Kontext als Aushängeschild zu benutzen. Im Juni 1955 präsentierte das BE in Paris ein weiteres Mal „Mutter Courage“ sowie „Der kaukasische Kreidekreis“ (*Deutsches Theater in Frankreich). Nach *Brechts Tod im Jahre 1956 gastierte das BE weiterhin in Paris, beispielsweise 1957 mit einer offiziellen Hommage an *Brecht. Außerdem wurde „Das Leben des Galilei“ gegeben und abermals „Mutter Courage“. In den 1960er Jahren wurde es für DDR- Künstler immer schwieriger nach Frankreich einzureisen - was aber nicht bedeutete, dass das Interesse am BE und *Brecht abriss - nun pilgerten die französischen Theatermacher nach Ost- Berlin. Helene Weigels letzter Auftritt mit dem BE in Frankreich erfolgte 1971 in „Die Mutter“ im Rahmen einer u.a. von *Michel Bataillon, Gabriel Garran und Jack Ralite, dem stellvertretenden Bürgermeister von Aubervilliers, initiierten Großveranstaltung anlässlich des 100. Jahrestags der Pariser Kommune. Inzwischen hatte die Begeisterung für das BE allerdings stark abgenommen, die Inszenierungen wurden als museal und monolithisch empfunden. Allein „Der Brotladen“ des jungen Regie-Duos Manfred Karge und *Matthias Langhoff (die zu dem Zeitpunkt allerdings längst zu *Benno Besson an die Volksbühne gewechselt waren), stieß auf allgemeines Interesse. Trotz dieser Entwicklung blieb die Begeisterung für *Brecht und seine Stücke bestehen. Nach jahrzehntelanger Abwesenheit kehrte das BE erst nach dem Mauerfall in den 1990er Jahren wieder in den Mittelpunkt des französischen Interesses zurück - nicht zuletzt vermittelt über *Heiner Müller und *Matthias Langhoff. So wurden die Querelen um die Leitung des BE zu Beginn der 1990er Jahre von der französischen Tagespresse aufmerksam verfolgt. 1998 schlug dann die große Reputation des BE positiv auf seinen neuen Direktor, Claus Peymann, zurück: So gelang es dem bis dahin in Frankreich kaum bekannten deutschen Theatermacher, von dem allein eine Inszenierung der Kleist‘schen „Hermannsschlacht“ zu Beginn der 1980er Jahre am Odéon zu sehen gewesen war, über das symbolische Kapital des BE endlich Aufmerksamkeit zu erregen. Nach zahlreichen Gastspielen erhielt er im Juni 2010 für seine Inszenierung von Shakespeares „Richard II.“ den Preis des Syndicat professionnel de la critique de théâtre, de musique et de danse für die beste ausländische Theateraufführung. Roland Barthes, Œuvres complètes. Bd. I: Livres, textes, entretiens 1942-1961, hg. von Eric Marty, Paris 2002; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Bielefeld 2011; Karin R.Gürttler, Die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich (1945- 1990). Autoren und Werke im Spiegel der Kritik, Bern u.a. 2001; Agnes Hüfner, Brecht in Frankreich 1930- 1963. Verbreitung, Aufnahme, Wirkung, Stuttgart 1968; Roger Pic, Chantal Meyer-Plantureux, Benno Besson, Bertolt Brecht et le Berliner Ensemble à Paris, Paris 1995. Nicole Colin, Patricia Pasic Berliner Schule - Nouvelle vague allemande 130 B Berliner Schule - Nouvelle vague allemande Zum ersten Mal nach den internationalen Erfolgen der Filmemacher des Autorenfilms der Generation von *Volker Schlöndorff, *Wim Wenders, *Rainer Werner Fassbinder, *Alexander Kluge, Margarethe von Trotta etc. machte Mitte der 1990er Jahre eine Gruppe junger deutscher Filmemacher auf sich aufmerksam, die in der Folge - nicht selten gegen ihren Willen - unter dem Label Berliner Schule eingeordnet wurde. Neben Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Schanelec, die gemeinsam an der Film- und Fernsehakademie Berlin studierten, zählen auch Christoph Hochhäusler, Benjamin Heisenberg und Valeska Grisebach dazu. Einen nicht unerheblichen Einfluss auf den großen Erfolg der Filmemacher nahm die französische Filmkritik, die enthusiastisch auf ihre Filme reagierte und der Gruppe den Namen Nouvelle vague allemande gab. Der Name erscheint insofern zutreffend, als die deutschen Regisseure ähnlich wie die französischen Vertreter der *Nouvelle vague in den 1960er Jahren einen bewusst intellektuellen Zugang zum Bild wählen, d.h. ihre Arbeit stark aus der Rezeption der Kinogeschichte und der Filmkritik entwickeln - insbesondere im Kontext der (u.a. von Hochhäusler und Heisenberg herausgegebenen) Filmzeitschrift „Revolver“. 2003 wurde Hochhäusler in Frankreich mit „Milchwald“ entdeckt, 2004 feierte Schanelec mit „Marseille“ ihren ersten Erfolg auf dem Festival de Cannes. Heute gehören die Filme der Nouvelle vague allemande mit zu den wichtigsten Beiträgen auf internationalen Filmfestspielen: So erhielt Christian Petzold, der im Herbst 2012 im *Goethe-Institut in Paris mit einer großen Retrospektive gewürdigt wurde, für „Barbara“ (2012) u.a. den Silbernen Bären auf der Berlinale. Pierre Gras, Good Bye Fassbinder! Le cinéma allemand depuis la réunification, Paris 2011. Nicole Colin, Gisela Rueb Bertaux, Pierre Der in Lyon geborene Pierre Bertaux (1907- 1986) stammte aus einer lothringischen Familie, die den ungemütlichen Nachbarn in drei Kriegen erleben musste. Für sie war die *Germanistik ein politisch gebotener Forschungsgegenstand („Nous étions des germanistes de père en fils“). Die Öffnung der traditionellen Germanistik als Literaturwissenschaft hin zu den Landesstudien sollte das zentrale Thema seiner akademischen Tätigkeit werden. Der Vater Félix (1881-1948) - nomen est omen - sorgte für eine freundliche und intellektuell anspruchsvolle Jugend, die ihm eine äußerst glückliche Sozialisation erlaubte. Félix Bertaux war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen der wohl kompetenteste und einflussreichste Deutschlandexperte. Er war in der NRF, die maßgebliche Literatur-Zeitschrift bei Gallimard, für Deutschland zuständig und als Übersetzer geschätzt (z.B. von Thomas Manns „Tod in Venedig“). Sein Haus in Sèvres bei Paris wurde zum Treffpunkt der deutschen und französischen Schriftstellerelite. Dort verkehrten Thomas Mann und *Heinrich Mann, Joseph Roth, Ernst Bloch, Jean Schlumberger und André Gide, der dem kleinen Pierre Klavierunterricht gab. Das zweite Bildungserlebnis, das Pierre Bertaux nachhaltig prägen wird, ist die ENS de la rue d’Ulm, in die er 1926 aufgenommen wurde. Seine Mitschüler waren *Raymond Aron, René Maheu, der spätere Generaldirektor der UNESCO, und *Jean-Paul Sartre, „le petit camarade“. Das Prestige dieser Elitehochschule ist bis heute unangefochten und beruht auf dem unerschütterlichen Glauben der französischen Gesellschaft an die Auswahl der Besten sowie an die Notwendigkeit einer elitären Führungsschicht für die Schlüsselpositionen in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens. Ebenso entscheidend wie die ENS wurde für Pierre Bertaux der Aufenthalt in Berlin als Universitätslektor in den Jahren zwischen 1927 und 1929. Tutti Fischer, die Tochter des Verlegers Samuel Fischer, führte den jungen normalien „von oben“ in die Goldenen Zwanziger und in die vornehmlich jüdische Gesellschaft Berlins ein. Er lernte Jakob Wassermann, aber auch Walter Benjamin kennen, verkehrte im Haus des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, aber auch in den literarischen Salons einer Antonina Valentin und schließlich stammte aus dieser Zeit die lebenslange Freundschaft mit Golo Mann und Yehudi Menuhin. Seine wissenschaftlich-literarische Karriere begann 1936 mit einer Habilitationsschrift über Friedrich Hölderlin („Essai de biographie intérieure“), die von Gide angeregt worden war. In der Hölderlin-Forschung vertrat er später die kühne These, Besson, Benno B 131 dass Hölderlin nicht der esoterische Dichter gewesen sei, für den man ihn gemeinhin hielt, sondern ein engagierter Revolutionär, der sich vor seinen politischen Verfolgern in dem Tübinger Turm in Sicherheit gebracht habe. Er sei nicht geisteskrank gewesen, vielmehr hätten ihn die Umstände dazu gemacht. Diese These wurde von der progressiven Hölderlin-Forschung übernommen. Seine Schriften zu Hölderlin, teils prominent auf Deutsch bei Suhrkamp editiert, gehörten bis in die 2000er Jahre hinein zum Rüstzeug des an Hölderlin interessierten deutschen Germanisten. Vor dem Zweiten Weltkrieg wechselte Bertaux in die aktive Politik und bekämpfte den Nationalsozialimus. Zunächst ging er ins Außenministerium zu seinem Freund, dem Schriftsteller und Deutschlandexperten Pierre Viénot („Les incertitudes allemandes“); danach wurde ihm unter der Leitung von Jean Giraudoux im Informationsministerium die Verantwortung für die Rundfunk- Sendungen nach Deutschland übertragen, so etwa für die Texte von Thomas Mann aus der Reihe an „Deutsche Hörer“. Nach der französischen Niederlage 1940 ging er in den Untergrund und baute in Toulouse das südliche Widerstandsnetz auf. Er wurde verraten, von Vichys Schergen festgenommen und im Dezember 1941 ins Gefängnis geworfen. Nach dem Krieg wurde er von de Gaulle zum Commissaire de la République in Toulouse ernannt, 1947 zum Präfekten von Lyon in einer politisch schwierigen Situation. 1949 wurde er dann Chef des Sicherheitsdienstes - „premier flic de France“ (*Carlo Schmid). Weltbekannt wurde Bertaux durch die Juwelen-Diebstahl-Affäre der Begum. In einem Raubüberfall war der Ehefrau von Aga Khan Schmuck in erheblichem Wert abhanden gekommen. Bertaux wurde der Komplizenschaft bezichtigt mit dem mutmaßlichen Täter, einem Korsen, der ihm in der Tat von seiner Gefängniszeit her bekannt war. Die Angelegenheit eskalierte zum Skandal, als Pierre Bertaux in der Gerichtsverhandlung zu Protokoll gab, dass auch Korsen ein Ehrgefühl hätten, das offensichtlich Richtern, die den Eid auf die Vichy-Regierung geleistet hatten, abginge. Eine solche unterschwellige Anschuldigung aus dem Munde eines hohen Staatsbeamten besiegelte das Ende seiner politischen Karriere. Er wurde aller öffentlicher Ämter enthoben und landete (mit einem konfortablen Gehalt) in der freien Wirtschaft (1955-1958). Erst danach erfolgte die Rückkehr des verlorenen Sohnes an die Alma Mater, zunächst nach Lille (1958-1964) und ab 1964 an die Pariser Sorbonne. Neuartige und damals umstrittene Konzeptionen einer landesorientierten *Germanistik verwirklichte er mit der Gründung seines *Institut d’allemand d’Asnières im Jahre 1968. Dort wurden in integrierten Studiengängen mit obligatorischem Deutschlandaufenthalt neben den germanistischen Fächern auch wirtschaftliche, politologische, historische und kulturgeschichtliche Kurse angeboten. Bertaux formulierte provozierend: „Wenn bei uns von Schiller die Rede ist, so meinen wir Karl (den damaligen Wirtschaftsminister) und nicht Friedrich“. Nicht wenige Autoren dieses Lexikons sind durch die Schule von Bertaux gegangen und waren in Asnières lehrend tätig. Pierre Bertaux: eine schillernde, vielseitige Persönlichkeit, eine für einen Germanisten ungewöhnliche Karriere, ein reiches, erfülltes Leben dessen zentrale Energiequelle der Spieltrieb mit dem Ziel der luziden Selbstverwirklichung war: „Il faut se jouer soimême et avec le plus de lucidité possible“. Pierre Bertaux, Hölderlin und die französische Revolution, Frankfurt/ M. 1969; ders., Gar schöne Spiele spiel’ ich mit Dir. Zu Goethes Spieltrieb, Frankfurt/ M. 1987; ders., Mémoires interrompus, Asnières 2000; ders., Un normalien à Berlin: lettres franco-allemandes 1927-1933, Asnières 2001; Jean-Pax Méfret, Le vol des bijoux de la Bégum. Les dessous de l’enquête, Paris 2010. Dirk Petter, Auf dem Weg zur Normalität. Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München 2014, S. 78ff. Hansgerd Schulte Besson, Benno Benno Besson (1922-2006) wurde in Yverdon-les- Bains, im französischsprachigen Teil der Schweiz, geboren und kann als einer der ganz großen deutsch-französischen Vermittler im Bereich der darstellenden Kunst bezeichnet werden. Erste Theatererfahrungen sammelte er bereits während seiner Schulzeit. Sein Studium absolvierte er in Zürich, wo er die Uraufführungen einiger *Brecht- Stücke sah, die ihn stark beeindruckten und zur Übertragung von *Brechts Kinderbuch „Die drei Soldaten“ ins Französische veranlassten. 1946 begann er seine Karriere als Schauspieler in Paris bei Jean-Marie Serreau und übersetzte mit dessen Frau Geneviève verschiedene Stücke von *Brecht. Bondy, François 132 B Serreau war der erste Regisseur, der nach dem Krieg *Brecht in Paris zeigte. 1947 lernte Besson in Zürich dann *Bertolt Brecht und Helene Weigel persönlich kennen und folgte ihnen 1949 an das *Berliner Ensemble (BE) in Ost-Berlin, wo er als Schauspieler, Regieassistent und Regisseur tätig war. Außerdem setzte er sich für die Verbreitung der *Brecht’schen Stücke in Frankreich ein. 1952 inszenierte Besson „Dom Juan“ von Molière in Rostock, mit dem 1954 das *BE nach seinem Umzug an den Schiffbauerdamm eröffnet wurde. Besson fühlte sich nach eigener Aussage nie als *Brecht-Schüler - seine Leidenschaft galt dem Theater im Allgemeinen. Dennoch war seine Person in Frankreich bis zu seinem Tod eng mit *Brecht und dem *BE verknüpft. Ab 1958 arbeitete er als freier Regisseur, bevor er 1962 Chefregisseur am Deutschen Theater wurde. International bekannt wurde er vor allem durch die Inszenierung der Stücke „Der Frieden“ von Aristophanes in Bearbeitung von Peter Hacks, „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz und „Ödipus Tyrann“ von Sophokles in der Bearbeitung *Heiner Müllers. 1969 ging er schließlich an die Volksbühne, die er bis 1977 leitete. Hier half er auch anderen jungen Regisseuren, sich zu etablieren, so Fritz Marquardt, Manfred Karge und *Matthias Langhoff, die er zu Gastinszenierungen einlud. Nach seiner Inszenierung des von *Heiner Müller für ihn übersetzten „Hamlet“ von Shakespeare verließ Besson die DDR. Es zog ihn zurück in den französischen Sprachraum, da er das Französische während seiner Zeit in Deutschland stark vermisst hatte. Er arbeitete vor allem in Paris, aber auch in anderen französischen Städten, der Schweiz und, nach wie vor, in beiden Teilen Deutschlands. Von 1982-1989 war er Direktor der Comédie de Genève. Besson verstand es, die französische Theatertradition in seinen Stil intelligent zu integrieren. Er inszenierte klassische Dramen, aber auch zahlreiche Stücke junger Autoren und nahm - neben anderen Regisseuren - einen starken Einfluss auf die Rezeption des deutschsprachigen Theaters in Frankreich (*Deutsches Theater in Frankreich). Bis zu seinem Tod galt er als ehrgeizig und immer vielbeschäftigt. Sein letztes Projekt, die Inszenierung des „Ödipus“ an der Comédie-Française, musste er aufgrund seiner Krebserkrankung abbrechen. Benno Besson, Avec Brecht et le Berliner Ensemble, in: Roger Pic, Chantal Meyer-Plantureux, Benno Besson, Bertolt Brecht et le Berliner Ensemble à Paris, Paris 1995. S. 25-29; Christoph Hein, Der Weg Benno Besson. Zum Tod des großen Schweizer Regisseurs, in: Theater der Zeit, Heft 4/ 2006, S. 4-7; Henning Rischbieter, Nachruf: Alles Komödie. Zum Tod von Benno Besson, in: Theater heute, Heft 4/ 2006, S. 34-38; Durch den Eisernen Vorhang. Theater im geteilten Deutschland 1945 bis 1990, hg. von Henning Rischbieter, Berlin 1999. Patricia Pasic Bondy, François Geboren wurde François Bondy (1915-2003) in Berlin, wo sein Vater, der Regisseur und Autor Fritz Bondy, damals Assistent von Max Reinhardt am Deutschen Theater war. Der Beruf des Vaters (den sein Sohn *Luc Bondy ebenfalls wählen sollte) führte zu zahlreichen Ortswechseln, die über Lugano und Davos (mit sechzehn Jahren erhielt Bondy die Schweizer Staatsbürgerschaft) nach Frankreich führten. Sein Abitur machte Bondy in Nizza, wo Romain Gary sein Klassenkamerad war; sein Studium absolvierte er hauptsächlich an der Sorbonne. „Ich hatte einen europäischen Horizont“, sagte er über seine Kindheit und Jugend, und gewiss waren diese frühen Erfahrungen und kulturellen Wechselbäder - zu denen vermutlich auch der jüdische Familienhintergrund beitrug - prägend für sein späteres europäisches Engagement. 1936 trat der einundzwanzigjährige Bondy in die Kommunistische Partei Frankreichs (Parti communiste français - PCF) ein, weil sie die einzige politische Alternative zu den aufstrebenden Nationalismen zu sein schien und entschieden Front gegen den Nationalsozialismus machte. In dieser Zeit näherte er sich der Gruppe „Que faire“ und wurde Mitarbeiter der gleichnamigen Zeitschrift (Untertitel „Revue communiste“). Allerdings trat Bondy bereits 1939 aufgrund des Paktes zwischen Hitler und Stalin aus der PCF wieder aus. Ende 1939 wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft im Lager Le Vernet im südwestfranzösischen Département Ariège interniert, von wo er Anfang 1940 aufgrund seines Schweizer Passes in die Schweiz abgeschoben wurde. Dort kam es bald zu entscheidenden Begegnungen, etwa mit den Publizisten Fritz René Allemann (dem Londoner Korrespondenten der Züricher „Tat“) und Herbert Lüthy (Historiker Bondy, François B 133 und Essayist, Redakteur beim „Sankt Galler Tagblatt“), mit Denis de Rougemont und einzelnen Mitgliedern der verschiedenen Widerstandsbewegungen, die in der Schweiz Zuflucht gefunden hatten. Vor dem düsteren Hintergrund der totalitären Nachbarstaaten entstanden erste Pläne für eine europäische Zeitschrift: Sehr früh war in diesem Kreis die Überzeugung gereift, dass sich nur ein vereintes Europa zwischen den Kolossalmächten USA und Sowjetunion behaupten werde. François Bondy gehörte zum Kern dieser kleinen Streitmacht. Der 1948 in Berlin vom amerikanischen Kulturoffizier Melvin Lasky gegründete „Monat“ war die erste Publikation, die den demokratisch-antitotalitären Ideen der jungen Intellektuellen entsprach. Nach dessen Vorbild gründete Bondy 1951 im Auftrag des Kongresses für die Freiheit der Kultur die Zeitschrift „Preuves. Une revue européenne à Paris“. Als eine der wenigen französischen Kulturzeitschriften, die damals nicht von der kommunistischen Ideologie beeinflusst waren, mag die Zeitschrift aus heutiger Sicht konservativ anmuten. Aber der Schein trügt, denn „Preuves“ verteidigte eine linksliberale Linie. Die Liste der Mitarbeiter ist beeindruckend: der Philosoph *Raymond Aron, der Dichter Pierre Emmanuel, der Politiker und Diplomat Henri Froment- Meurice, die Philosophin Jeanne Hersch, der Schriftsteller, Politiker und Kunsthistoriker André Malraux, der Essayist Denis de Rougemont. Auch Hannah Arendt, Karl Jaspers, Manès Sperber, Ignazio Silone, Cheslaw Milosz gehörten zu den Intellektuellen, die regelmäßig Beiträge lieferten. Als die „New York Times“ jedoch im Sommer 1969 öffentlich machte, dass der Träger der Zeitschrift, der antikommunistisch ausgerichtete Kongress für die Freiheit der Kultur, heimlich von der CIA unterstützt wurde, warf Bondy das Handtuch. Bondys Europa-Visionen waren keineswegs akademisch gemeint, sondern als Handlungsanweisungen gedacht. Sein Zukunftsbild Europas war von profunder historischer Kenntnis genährt. Das 1973 erschienene Buch „Deutschland - Frankreich. Geschichte einer wechselvollen Beziehung” mag stellvertretend genannt sein. Sein Schweizer Freund Iso Camartin bescheinigte ihm beneidenswerte Eigenschaften: eine quirlig-effiziente Arbeitsweise, eine nimmermüde Reiselust und damit eine „Ubiquität des beobachtenden und mitredenden” Gastes auf allen publizistischen Podien. Dass Bondy nebenbei auch als Übersetzer tätig war, vor allem aus dem Italienischen (Benedetto Croce, Guglielmo Ferrero), vermag da nicht zu verwundern. 1970 zog Bondy nach Zürich; es folgte die regelmäßige Mitarbeit als Redakteur bei der damals unabhängigen linksliberalen „Weltwoche“ in Zürich, zudem wurde er Mitherausgeber der „Schweizer Monatshefte“. Verstärkt betätigte er sich nun auch als Entdecker von großen Literaten. Bereits zu „Preuves“-Zeiten hatte er Witold Gombrowicz bekannt gemacht, für den er sich nun auch im deutschen Sprachraum stark machte. In Frankreich setzte er sich für Günter Grass und Ingeborg Bachmann ein, in Deutschland für *Eugène Ionesco, Emile Cioran, Nathalie Sarraute - und viele andere. Geradezu symbolisch ist die Tatsache, dass er (gemeinsam mit Irène Kuhn) die erste Gesamtausgabe von Ionesco nicht etwa in Frankreich, sondern für einen deutschen Verlag in München besorgte. Nicht umsonst nannte ihn Zbigniew Herbert einmal einen „unermüdlichen Commis Voyageur der guten Literatur“. Er wies nach, welche italienischen Essayisten in Deutschland gelesen wurden und welche nicht, er skizzierte „Berlins kulturelle Sendung“ (1981) oder zog 1976 eine erste ausführliche Bilanz der „Rezeption der deutschen Literatur seit 1945 in Frankreich“. So wäre es grundfalsch, seine Persönlichkeit und sein Schreiben ganz im Schatten der politischen Geschichte zu sehen. Vor allem in Deutschland hat man ihn eher als Mann des anspruchsvollen Feuilletons in Erinnerung. Der Verfasser unzähliger literarischer Essays, Rezensionen in allen bedeutenden Zeitungen Deutschlands, der Schweiz und Frankreichs, der Herausgeber von Anthologien und Gesprächen mit Autoren ist wohl eher gewesen, was Joachim Kaiser einmal über ihn gesagt hat: „Er ist weder ein Berliner, noch ein Pariser, noch ein Schweizer oder ein Italiener, sondern ein literarischer Weltbürger im umfassenden Sinne des Wortes.“ Der „literarische Gentleman“, so die „Neue Zürcher Zeitung“, starb 2003 in Zürich, und in einem Nachruf der „WELT“ hieß es abschließend: „Europa ist ärmer geworden“. Irène Kuhn, Ralf Stamm Bondy, Luc 134 B Bondy, Luc Der deutschsprachige, schweizerische Regisseur Luc Bondy, Sohn des bekannten Literaturkritikers *François Bondy, wurde 1948 in Zürich geboren. Sein künstlerischer Lebenslauf gibt das herausragende Beispiel einer deutsch-französischen Doppelkarriere, die im Jahr 2012 mit der Ernennung zum Direktor des Odéon - Théâtre de l’Europe seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Nach Ausbildung bei Jacques Lecoq in Paris wurde Bondy Regieassistent am Thalia Theater in Hamburg und arbeitete danach als freier Regisseur. Enger Kontakt ergab sich zu *Peter Stein und der Berliner *Schaubühne, an der Bondy 1977 Alfred de Mussets „Man spielt nicht mit der Liebe“ inszenierte, sowie zu *Patrice Chéreau und dem Théâtre des Amandiers in Nanterre, an dem er seine erste französische Inszenierung realisierte: 1984 „Das weite Land“ des bis dahin in Frankreich kaum gespielten Arthur Schnitzlers, mit der Bondy eine regelrechte Schnitzler-Welle in Frankreich auslöste (*Deutsches Theater in Frankreich). 1989 erhielt er den Prix Dominique de la mise en scène für seine (französische) Inszenierung von Schnitzlers „Der einsame Weg“. Während Bondy sich in Frankreich auf Klassiker mit Starbesetzung konzentrierte - u.a. inszenierte er 1988 „Das Wintermärchen“ von Shakespeare in Nanterre mit Michel Piccoli und Bulle Ogier und 1996 „Mit dem Feuer spielen“ von August Strindberg im Théâtre des Bouffes du Nord mit Emmanuelle Béart - machte er sich in Deutschland in den 1980er und 90er Jahren u.a. als Uraufführungsregisseur von Botho Strauß einen Namen. 2005 präsentierte Bondy mit „Viol“ („Schändung“) seine erste Strauß-Inszenierung in Frankreich - und entfachte einen Skandal. Hämisch meldete der „Spiegel“, dass „im erlesenen Pariser Premierenpublikum“ Zuschauer „angeblich in Ohnmacht“ gefallen seien, „andere sollen sich erbrochen haben“ (Roman Leick). Darüber hinaus interessiert er sich auch für *Peter Handke und feierte mit „Die Stunde, in der wer nichts von einander wussten“ 1994 im Pariser Théâtre du Châtelet im Rahmen des Festival d’Automne einen großen Erfolg. 1985 übernahm Bondy nach dem Rücktritt von *Peter Stein die Leitung der *Schaubühne (bis 1992) sowie die Schauspielleitung der Wiener Festwochen, deren Generalintendanz ihm schließlich 1998 übertragen wurde. Obgleich politische Statements in Bondys Inszenierungen eine untergeordnete Rolle spielen, meldete er sich im Jahr 2000 in Frankreich mehrfach zur politischen Entwicklung in Österreich öffentlich zu Wort: In zwei „Le Monde“-Artikeln erklärte er, warum er trotz des Wahlerfolges von Jörg Haider nicht vorhabe, Österreich zu verlassen und seinen Posten als Direktor der Wiener Festwochen aufzugeben. Neben seiner Tätigkeit im Schauspiel machte Bondy auch als Opernregisseur von sich reden. Eine große Rolle hierbei spielte seine Kooperation mit Stéphane Lissner, der auch mit *Patrice Chéreau zusammenarbeitete und einer der ersten Förderer von *Stéphane Braunschweig war: 2005 ernannte Bondy Lissner zum Musikdirektor der Wiener Festwochen. Für Bondys Theatertätigkeit erwies sich die enge Zusammenarbeit mit Lissner schließlich auch als neues Sprungbrett nach Frankreich: Dass Bondy in Deutschland und Österreich als der erfolgreichste Regisseur der Stücke von Yasmina Reza bezeichnet werden kann, wurde in Frankreich jahrelang nicht zur Kenntnis genommen - was nicht zuletzt an dem tiefen Graben zwischen théâtre public (dem Bondy, trotz bevorzugter Starbesetzung, stets eindeutig zugerechnet wurde) und théâtre privé (dem französischen Terrain Rezas) liegt. 2004 inszeniert Bondy dann an Lissners Théâtre de la Madeleine zum ersten Mal ein Stück von Reza: die Uraufführung von „Une pièce espagnole“. Trotz seiner unzweifelhaft herausragenden Bedeutung für das französische Theater rief die Ernennung des 64 Jahre alten Bondy 2012 zum neuen Direktor des Odéon durch Frédéric Mitterrand Erstaunen in der Theaterszene hervor. Für die deutsch-französischen Theaterbeziehungen dürfte es sich um einen Glücksfall handeln. Luc Bondy, Autriche: mes craintes, in: Le Monde, 5.2.2000; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Colette Godard, Francesca Spinazzi (Hg.), Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland. Berlin 1996; Olivier Ortolani, Theater im Gespräch. Interviews mit: Luc Bondy, Peter Brook, Patrice Chéreau, Dario Fo, Heiner Müller, Peter Stein, George Tabori, Michel Vinaver und Peter Zadek, Echternach 1998; Brigitte Salino, Pour Luc Bondy, „on ne punit pas les xénophobes en les laissant entre eux“ [Interview], in: Le Monde 2.6.2000. Nicole Colin Boulez, Pierre B 135 Bord, André Der in Straßburg geborene André Bord (1922- 2013) gehörte zu den Pionieren der deutschfranzösischen Verständigung nach 1945 und hat sich besondere Verdienste um die Annäherung von Elsässern und Deutschen erworben. Der Sohn einer elsässischen Arbeiterfamilie erkannte nach 1940 schnell, dass der deutschen Besatzung mit Widerstand begegnet werden musste. Seine Eltern versteckten geflüchtete Kriegsgefangene, und er selber schrieb Anti-Hitler-Parolen auf Mauern bzw. zerstörte die Fahnen der deutschen Besatzer. Um der wachsenden Gefahr zu entfliehen, schickten seine Eltern ihn schließlich in das Département Dordogne, wo der sich dem geheimen Widerstand anschloss. Er wurde verhaftet, konnte fliehen und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach der Befreiung des Elsasses, an der er an vorderster Front unter dem Kommando von Oberst André Malraux in der Brigade Alsace- Lorraine teilnahm, schloss er sich dem Gaullismus an. Seine bedeutende politische Karriere führte ihn in als Abgeordneten in die Assemblée nationale (1958-1981) und an die Spitze des Generalrats des Département Bas-Rhin (1967-1979). Er wurde erster Präsident der Région Alsace (1974-1976). 1966 wurde er zum ersten Mal in die französische Regierung berufen, der er bis 1978 in verschiedenen Funktionen unter mehreren Premierministern angehörte. Schon bald nach dem Krieg engagierte sich Bord für eine Verständigung mit dem deutschen Nachbarn. Seit sich Ende der 1950er Jahre mit der persönlichen Annäherung zwischen Adenauer und de Gaulle die Situation erheblich verbesserte, wurde die deutsch-französische Kooperation zum Leitmotiv des Wirkens von André Bord. Für die Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind zwei Ämter von besonderer Bedeutung: 1986 wurde er als Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit in die Regierung berufen. Dieses Amt übte er bis 2003 ohne Unterbrechung aus. In diese Zeit fiel u.a. die Gründung des europäischen Kultursenders *ARTE, an dessen Vorbereitung und Konzeption André Bord maßgeblich beteiligt war. Als Vizepräsident (seit der Gründung 1981) und seit 2002 als Präsident der Fondation entente franco-allemande (*Stiftungen) setzt er sich für deutsch-französische Kulturprojekte entlang der ehemaligen Grenzen ein. Hunderte von Kulturprojekten und Treffen konnten auf die Unterstützung der Stiftung zählen. Im Rahmen der Stiftung engagierte sich Bord gleichfalls für die Entschädigung der ca. 130 000 französischen Staatsbürger der Départements Haut- Rhin, Bas-Rhin und Moselle, die während des Zweiten Weltkrieges in die Wehrmacht zwangseingezogen worden waren („Malgré-nous“). Im Rahmen der *Vergangenheitsaufarbeitung musste ihnen auch auf moralischer Ebene Wiedergutmachung zuteilwerden, wurden sie nach dem Zweiten Weltkrieg doch oftmals zu Unrecht als Kollaborateure bezeichnet. André Bord war Großoffizier der Ehrenlegion und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Frank Baasner Boulez, Pierre Im Jahre 2010 hat sich der 1925 in Montbrison geborene französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez zum Anlass seines 85. Geburtstages zwei Geschenke gemacht. Das erste Geschenk war eine Gemäldeausstellung im Pariser Louvre mit dem Titel „Œuvre: fragment“. Diese gab ihm die Möglichkeit, sich mit den Beziehungen von musikalischer und plastischer Kreation auseinanderzusetzen, indem Zeichnungen und Aquarelle von Ingres und Delacroix bis zu Giacometti und Beuys präsentiert und diese mit Partituren von Wagner bis hin zu seinen eigenen Werken konfrontiert wurden. Im Gegensatz zu den meisten Musikern ist die Welt der Malerei keine, die Pierre Boulez entgleitet. So verhält es sich ebenfalls mit der Welt der Poesie: sein bedeutendstes Werk der 1950er Jahre wurde „Le Marteau sans maître“, eine von René Char‘s Gedichtbänden inspirierte Kantate für Altstimme und sechs Instrumente (Flöte, Bratsche, Gitarre, Vibraphon und Schlaginstrumente). Auch wenn dieses Werk den Prinzipien der seriellen Musik untergeordnet bleibt, findet bei Boulez’ „Pli selon Pli“ (1957-1962) ein Wandel in der Schreibweise statt - ein umfangreicher Stimmenzyklus mit Orchesterbegleitung, welcher beim Festival von Donaueschingen im Jahre 1962 nach Gedichten von Mallarmé entstanden ist. War diese Komposition mit Proportionen, die mit jenen von Mahler verglichen werden könnte, vielleicht eine Prämisse für seine Leidenschaft für eben Gustav Mahlers Symphonien, die er bis heute ständig neuinterpretiert hat? Bourdieu, Pierre 136 B Das zweite Geschenk, das Boulez sich gemacht hat, ist vielleicht noch erstaunlicher: seine neuesten Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern waren eine Gelegenheit, auf seine späte Entdeckung der Musik des polnischen Komponisten Karol Szymanovski aufmerksam zu machen, was eine Entwicklung Boulez’ in der Auswahl seiner bevorzugten Komponisten deutlich macht. Bekannt sind seine Vorliebe für die Musik von Debussy und Ravel, Stravinsky und Bartók wie auch für die Werke der zweiten Wiener Schule (Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern). In Deutschland bleibt in Erinnerung, dass er einer der wenigen Franzosen war, die „Parsifal“ von Wagner dirigieren durften, in Bayreuth 1966. Unvergessen ist auch, dass er Wagners „Der Ring der Nibelungen“ im Rahmen der Bayreuther Festspiele 1976 dirigiert hat! Jeder religiösen Musik gegenüber abgeneigt, hat Boulez beim Brucknerfest in Linz 1996 mit seinem Dirigat der 8. Symphonie von Anton Bruckner überrascht, bei welcher er nicht nur die kompositorische Architektur gesteigert, sondern auch die emotionsgeladenen „spirituellen“ Energien befreit hat. Unermüdlich bei der Unterstützung der zeitgenössischen Musik gründete er 1954 die Konzerte der Domaine Musical in Paris, die er bis 1967 leitete. Seine Karriere als Dirigent fand schließlich ihren Höhepunkt, als er sich 1958 in Deutschland, genauer gesagt in Baden-Baden, niederließ: die Genauigkeit seines Dirigats und seine beeindruckende Kenntnis der Partitionen verhalfen ihm im Laufe der Jahre zu Engagements bei der BBC und den New Yorker Philharmonikern (1971-1978). Zurück in Paris nahm er daraufhin die Stelle als Direktor des IRCAM (Institut de recherche et de coordination acoustique/ musique) an und gründete das Ensemble intercontemporain. Während dieser Jahre schrieb Boulez drei Sonaten für Klavier und komponierte insbesondere „Doubles“ für Orchester (1958), „Domaines“ für Klarinette und 21 Instrumente (1968), „Répons“ für Kammerorchester und sechs Solisteninstrumente mit Computer (1981) ebenso wie „Notations“ für Orchester (1982). An allen nationalen und internationalen Fronten präsent, um die Musik seiner Zeit und die Komponisten der neuen Generation zu unterstützen, kann Boulez ebenfalls als ein Pädagoge ohnegleichen bezeichnet werden, gab er doch zum Beispiel Unterricht beim Internationalen Festival der neuen Musik in Darmstadt (*Stockhausen) (zwischen 1955 und 1967), der Akademie für Musik in Basel (1960-1966), in den USA (1962-1963) ebenso wie am Collège de France (1976). Im Jahre 2011 erhielt er gemeinsam mit Kurt Masur den *Prix de Gaulle-Adenauer. Alex Ross, The Rest is Noise. À l’écoute du XX e siècle - La modernité en musique, Arles 2010. Robert Weeda Bourdieu, Pierre Der in der Region Béarn geborene Pierre Bourdieu (1930-2002) war einer der bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts und hat auch den deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den *Soziologenbeziehungen zwischen beiden Ländern vielfältige Impulse gegeben. Seit 1951 studierte er an der ENS, bestand dort die agrégation und unterrichtete danach als Philosophielehrer, ehe er als Soldat nach Algerien kam. Sich allmählich von der Philosophie entfernend, wandte er sich unter dem Einfluss von Claude Lévi-Strauss der ethnologisch-soziologischen Feldforschung zu und kritisierte in diesem Rahmen ab Ende der 1950er Jahre auch den französischen Kolonialismus. Ab 1962 arbeitete er an dem von *Raymond Aron gegründeten Centre de sociologie européenne (EHESS). Gemeinsam mit Jean-Claude Passeron widmete sich Bourdieu während der 1960er Jahre vor allem der Erforschung von Zusammenhängen zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolgen. Das entscheidende Ergebnis dieser Untersuchungen bestand in der Erkenntnis, dass das französische Bildungssystem trotz seines egalitären Selbstbildes durch verborgene soziale und symbolische Selektionsmechanismen Ungleichheit reproduziert. Daraus entwickelte sich später die Theorie des Habitus, des Lebensstils und der „Kapitalsorten“, die er 1979 - nachdem er bereits 1975 die Zeitschrift „Actes de la recherche en sciences sociales“ gegründet hatte- in „Die feinen Unterschiede“ eindrucksvoll entfaltete. Dort arbeitete er heraus, dass soziale Ungleichheit nicht nur auf unterschiedlichen ökonomischen Reproduktionsbedingungen und ungleicher Verteilung materieller Ressourcen, sondern auch auf klassenabhängigen sozialen Formen des Habitus beruht. In der deutschen Soziologie haben die wegweisenden Forschungen Michael Vesters über „soziale Milieus“ Bourdieus Theorie und Methode konzeptionell viel zu verdanken. Bourel, François B 137 Die Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit stand auch im Mittelpunkt weiterer wichtiger Werke Bourdieus wie „Homo academicus“ (1984), das Universitäten als Arenen symbolischer Kämpfe um Macht, Prestige und Einfluss darstellt, und „Staatsadel“ (1989), wo die Rekrutierung von Eliten durch die grandes écoles untersucht wird. Mit der 1981 erfolgenden Berufung an das Collège de France erreichte Bourdieu den Zenit seiner wissenschaftlichen Karriere. Gleichzeitig rief seine radikale Kritik an gesellschaftlichen Missständen und Defiziten auch Ablehnung und Feindschaft hervor. Das hat ihn aber nicht daran gehindert, sich als Intellektueller politisch zu engagieren. In dem Maße, wie auch in Frankreich die Anfälligkeit für ökonomische Krisen wuchs, die Zahl der Modernisierungsverlierer anstieg und moralische Anomie und soziale Exklusion die gesellschaftliche Integration gefährdeten, mischte sich Bourdieu immer häufiger in die öffentliche Diskussion ein. Mit seiner Konzeption eines „Korporativismus des Universellen“ versuchte er zu begründen, warum Wissenschaftler und Kulturproduzenten legitimiert und verpflichtet sind, in gesellschaftliche Konflikte und Bewegungen einzugreifen. Eine überwältigende Resonanz löste 1993 die unter Bourdieus Leitung durchgeführte Untersuchung „Das Elend der Welt“ aus, welche diejenigen sprechen lässt, die sonst in einer auf Macht, Erfolg, Gewinn und Luxus programmierten Gesellschaft keine Stimme haben. Franz Schultheis, der sich um die Vermittlung des Bourdieuschen Werks verdient gemacht hat, versuchte zusammen mit anderen 2005 den Forschungsansatz Bourdieus in „Das Elend der Welt“ auf eine Untersuchung sozialer Fragmentierung und Marginalisierung in Deutschland zu übertragen. Aber Bourdieu hat auch andere Einzelwissenschaften in Deutschland inspiriert. Schon ziemlich früh hatte Eckart Liebau die erziehungswissenschaftliche Relevanz der Sozialisationstheorie von Bourdieu erkannt. *Joseph Jurt sieht die literatursoziologische Bedeutung Bourdieus in dessen Konzeption literarischer Produktion als agonistischen Prozess der Akteure auf dem literarischen Feld. Ingrid Gilcher-Holtey hebt hervor, dass Bourdieu mit seiner Idee einer „inkorporierten Geschichte“ der Geschichtswissenschaft eine neue Untersuchungsdimension geöffnet habe. Pierre Encrevé, Rosé-Marie Lagrave (Hg.), Travailler avec Bourdieu, Paris 2003; Catherine Colliot-Thélène, Étienne François, Gunter Gebauer (Hg.), Pierre Bourdieu, Deutsch-französische Perspektiven, Frankfurt/ M. 2005; Gerhard Fröhlich, Boike Rehbein (Hg.), Bourdieu-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart, Weimar 2010. Lothar Peter Bourel, François Der in Asnières geborene François Bourel (1924- 2004) war Sohn eines Offiziers und einer Lehrerin und wuchs in Lyon auf, wo er nach bestandenem Abitur sein Studium aufnahm (Jura und Politische Wissenschaften). Er entstammte einer gläubigen katholischen Familie: sein Vater engagierte sich in der linkskatholischen Vereinigung Sillon und im katholischen Jugendverband Jeune République, wurde nach dem Krieg stellvertretender Bürgermeister von Lyon und gehörte der christdemokratischen MRP an. Im Ersten Weltkrieg wurde der Vater in Verdun verwundet, und während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen festgenommen, doch kam er 1942 wieder frei! François Bourel sprach fließend Deutsch und kultivierte bewusst seinen schwäbischen Akzent. Nachdem er während des Krieges in einem Sanatorium eine Rippenfellentzündung auskuriert hatte, wurde in der Nachkriegszeit das von *Jean du Rivau organisierte Zusammentreffen mit jungen Deutschen in Überlingen (1947) für ihn zu einem einschneidenden Ereignis. Er leitete gemeinsam mit Hans Mertens das 1945 gegründete Centre d’action culturelle et pédagogique de Spire und war maßgeblich an der Organisation des internationalen Jugendtreffens auf der Loreley (1951) beteiligt (*Jugendbeziehungen 1945-1963; *Jean-Charles Moreau), bei dem mehr als 35 000 Jugendliche sechs Wochen lang zusammenkamen. Ein Brief von *Jean du Rivau vom 2.9.1951 gab schließlich seinem Leben eine neue Richtung: „Accepteriez-vous de venir vous embarquer dans l’aventure d’Offenburg? “ Der Pater war nach Vannes versetzt worden und suchte nach einem Nachfolger, um die Aktivitäten der Gruppe in Offenburg zu leiten. Neben seiner Arbeit für die deutschen Flüchtlinge (Bourel verbrachte Weihnachten 1951 im Kilsenlager von Flensburg) übernahm er die Verantwortung der beiden Zeitschriften (*Documents/ Dokumente) sowie für die deutsch-französischen Treffen zwischen Ju- Braunschweig, Stéphane 138 B gendlichen, Lehrern, Journalisten und Firmenchefs. Bis 1958 blieb Bourel in Deutschland, bevor er nach Frankreich zurückkehrte und an der Spitze eines Lebensmittelbetriebs arbeitete, um sich im Anschluss aber wieder für die europäische Einigung einzusetzen. Er vertrat den Conseil national du patronat français (CNPF) beim Conseil économique et social des communautés européennes in Brüssel und wurde 1966 Mitglied des Verwaltungsrates des *DFJW sowie Präsident des Comité de coordination des associations d’échanges internationaux. Auch im Bereich der Musik engagierte er sich auf internationaler Ebene. Er wurde Vize-Präsident von À Cœur joie und gründete 1963 die Fédération internationale des jeunes chorales, deren Leitung er übernahm und in dieser Funktion die Treffen Europa Cantat organisierte. Er folgte 1970 *Jean du Rivau an der Spitze von *BILD, ohne seine Aufgaben beim sehr illustren Cercle franco-allemand zu vernachlässigen, deren Generalsekretär er 1969 geworden war. Nach der Gründung des *DFJW und dem Ableben von *Jean du Rivau stellte sich die Frage, ob die Existenz einer Gesellschaft wie *BILD überhaupt noch Sinn mache. Bourel gelang es schließlich, die öffentlichen Träger in der Bundesrepublik und in Frankreich von dem Fortbestand zu überzeugen, nicht zuletzt auch dank des Einsatzes von *Joseph Rovan, der seit 1976 Bourel zur Seite stand und 1984 die Leitung von *BILD übernahm. Bourel unterhielt enge Beziehungen zur Nachkriegsgeneration unter den westdeutschen Politikern, besonders zum Familienminister Bruno Heck (CDU) und war einer der Pioniere der deutsch-französischen Annäherung nach 1945, der - trotz aller Unwägbarkeiten - auch in späteren Jahren diese Angelegenheit noch maßgeblich unterstützte. Neben der Légion d’honneur war er Träger des Bundesverdienstkreuzes, das ihm vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke verliehen wurde. Dominique Bourel Braunschweig, Stéphane Der 1964 in Paris geborene normalien Stéphane Braunschweig ist einer der wichtigsten französischen Theatermacher seiner Generation und zugleich einer der bedeutendsten Mittler im deutsch-französischen Theatertransfer. Bereits das erste Projekt, mit dem Braunschweig - nach einem Studium der Philosophie an der ENS und Schauspielunterricht an der École de Chaillot unter Antoine Vitez (1988-1990) - in Erscheinung trat, zeugte davon: „Homme de neige“, eine Trilogie bestehend aus „Woyzeck“ von Georg Büchner, „Trommeln in der Nacht“ von *Bertolt Brecht und „Don Juan kommt aus dem Krieg“ von Ödön von Horváth, die er 1990 zunächst auf einem Festival in Dijon, dann bei *Bernard Sobel im Centre dramatique national de Gennevilliers präsentierte und für die er den Prix de la révélation théâtrale du syndicat de la critique erhielt. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung besaß die Reflexion über die deutsche Geschichte und ihren Sonderweg einen überzeugenden Aktualitätsbezug und stieß auf entsprechend großes Interesse. Zudem stellte Braunschweig als „Étudiant en philo et en sciences sociales; puis à l’école d’Antoine Vitez à Chaillot“ (Colette Godard) den Idealtypus des intellektuellen französischen Theatermachers dar. Innerhalb weniger Jahre avancierte Braunschweig zu einem bekannten Theatermacher und übernahm bereits 1993 die Leitung des gerade gegründeten Centre dramatique national Orléans . Sein rascher Aufstieg kam auch der deutschsprachigen Dramatik zugute - wenngleich nicht unbedingt der zeitgenössischen, da sich Braunschweigs Interesse, stark beeinflusst von *Bernard Sobel, vor allem auf die Klassiker richtete: Auf dem Festival d’Avignon inszenierte er 1994 „Amphitryon“ von Kleist, mit dem er in der folgenden Spielzeit durch Frankreich tourte, 1995 folgte „Doktor Faustus“ von Thomas Mann sowie im März 1995 das Projekt „Paradis verrouillé“ nach zwei Texten von Kleist („Über das Marionettentheater“ und Fragmenten aus „Penthesilea“). 1995/ 96 brachte er das (auch in Deutschland) selten gespielte Stück „Franziska“ von Frank Wedekind auf die Bühne, im Jahr darauf widmete er sich *Brechts „Im Dickicht der Städte“. Angesichts seiner steilen Karriere verwundert es kaum, dass Braunschweig nicht nur überaus erfolgreich und produktiv am Theater und der Oper inszeniert, sondern auch regelmäßig im Ausland arbeitet: Mit seinem Kleist-Projekt wurde er mehrfach nach Berlin eingeladen und im Dezember 1999 begann mit seiner „Woyzeck“-Inszenierung am Münchner Residenztheater Braunschweigs langjährige Zusammenarbeit mit Elisabeth Schweeger, damals Chefdramaturgin und BRD-Literatur in Frankreich B 139 künstlerische Leiterin des Marstalls, der Experimentalbühne des Münchner Residenztheaters, die auch fortgesetzt wurde, als Schweeger Intendantin am Schauspiel Frankfurt wurde. Nicht zuletzt aufgrund seiner engen Verbindungen mit dem deutschen Theater wurde Braunschweig im Jahr 2000 auf den Posten des Direktors des *Théâtre national de Strasbourg berufen. Während seiner Zeit als Direktor war die Präsenz des deutschen Theaters am *TNS enorm. 2002 inszenierte Braunschweig Kleists bis dahin in Frankreich noch unbekannte „Famille Schroffenstein“, aber auch die Zahl der Inszenierungen von Stücken deutschsprachiger Autoren anderer Regisseure am *TNS war beachtlich: So wurden u.a. Stücke von Franz Xaver Kroetz, Max Frisch, Lukas Bärfuss, Georg Büchner, Thomas Bernhard, *Bertolt Brecht, Dea Loher, Ödön von Horváth, Franz Kafka oder Johann Wolfgang von Goethe aufgeführt. Auch die Häufigkeit der Gastspiele deutscher Inszenierungen erscheint exemplarisch: U.a. lud Braunschweig Christoph Marthaler, Nicolas Stemann, Michael Thalheimer, Frank Castorf ein sowie *Matthias Langhoff mit einer französischen Produktion. 2008 übernahm Braunschweig die Leitung des Théâtre national de la Colline, an dem er seither sein Faible für deutsche Dramatik fortsetzt und sich vor allem durch die Entdeckung von bisher eher unbekannten Autoren einen Namen macht. 2014 gehörte er zu den Favoriten für die Besetzung der Leitung der Comédie-Française. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Colette Godard, Francesca Spinazzi, Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996; Nahaufnahme: Stéphane Braunschweig. Gespräche mit Eberhard Spreng, Berlin 2007. Nicole Colin BRD-Literatur in Frankreich „Von Airbus bis *ARTE gibt es tausend Gründe, sich für Deutschland zu interessieren“, so wirbt eine der großen Pariser Universitäten in ihrem Internetauftritt. Der Schwerpunkt dieses Interesses liegt allerdings mehr auf der Wirtschaft und weniger auf der Literatur. Deutschland gilt zwar als Modell im Bereich des Finanzwesens, die deutsche Literatur spielt jedoch keine bedeutende Rolle. Im französischen Kulturbereich werden deshalb oft wirtschaftliche Argumente herangezogen, um das Interesse an der deutschen Sprache neu zu entfachen. Während sich die Zahl der Deutschlernenden im schulischen Sekundarbereich seit einigen Jahren konstant hält, nimmt die Zahl der Studierenden an den Universitäten rapide ab (*Sprachenpolitik, *Französische Germanistik, *Deutsche Sprache in Frankreich). Auch wenn es nicht zwingend notwendig ist, eine Sprache zu beherrschen, um sich für ihre Literatur zu interessieren, so macht die zurückgehende Präsenz der deutschen Sprache im französischen Bildungsbereich doch deutlich, dass Deutschland im Ausland vor allem aufgrund seiner wirtschaftlichen, industriellen und finanziellen Leistungsfähigkeit wahrgenommen wird. Es ist prestigeträchtiger, einen BMW oder einen Mercedes in der Garage zu haben als die Gesamtausgabe von Hans Henny Jahn oder Klabund im Bücherschrank. Umso erstaunlicher mag es erscheinen, dass überhaupt noch deutsche Bücher in den Auslagen der Buchläden zu finden sind, dass Tagungen zu deutscher Literatur veranstaltet werden und dass es deutsche Schriftsteller gibt, die sich in Frankreich niederlassen. Welche Bücher - abgesehen von Koch- und Gartenbüchern, von Fachliteratur für Maschinenbau und Wirtschaft und anderen Sachbüchern - lassen sich gut nach Frankreich exportieren? Zunächst natürlich Goethe! Er erzielt zwar keine Verkaufszahlen im Spitzenbereich, wird jedoch weiter herausgegeben und immer wieder neu übersetzt. Die hervorragende Übersetzung des „Faust“ von *Bernard Lortholary und Jean Malaplate (Flammarion 1984) wurde durch eine Neuübersetzung von Jean Amsler und Olivier Mannoni (Polio bilingue 2007) und durch eine weitere von Jean Lacoste und Jacques Le Rider (Bartillat 2009) nicht verdrängt sondern abgelöst. Jüngst hat Laurent Cassagnau den „west-östlichen Divan“ vorzüglich neuübersetzt. Heinrich von Kleist gehört zum Programm des Verlags Gallimard, Frank Wedekind ist fester Bestandteil des Theaterverlags Éditions THEA- TRALES, *Bertolt Brecht wird im Verlag *L’Arche herausgegeben und auch Büchner, Lessing und Schiller sind in Frankreich keine Unbekannten (*Deutsches Theater in Frankreich). Wirft man einen Blick auf die Klassiker des Barocks, der Romantik oder des Realismus, BRD-Literatur in Frankreich 140 B so zeigen sich kaum Lücken im deutschen Literaturkanon in Frankreich, da hier traditionell viel übersetzt wird. Der Künstlerroman „Ardinghello“ (1787) von Willhelm Heinse blieb in Frankreich nicht lange unbekannt, genauso wenig wie der Mystiker Quirinus Kuhlmann, der 1689 in Moskau bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Zu den Klassikern zählen auch Autoren des 20. Jahrhunderts wie Wolfgang Borchert, Kurt Tucholsky, Thomas Mann, Hermann Hesse und Siegfried Lenz, deren Werke jedoch Lektüre für Kenner bleiben. Während die Rezeption der Klassiker kaum Überraschungen bietet, ist der Erfolg der Zeitgenossen schwierig vorauszusehen. Die großen Namen finden jedoch auch hier ihren Platz im Feld der übersetzten Literatur. Der erste unter ihnen ist Günter Grass, nicht so sehr wegen seiner Romane „Die Blechtrommel“ und „Ein weites Feld“, sondern wegen seiner meisterhaften Novelle „Katz und Maus“. Es ist immer wieder interessant festzustellen, dass die „großen Schriftsteller“ nur wenig Erfolg bei den Lesern haben: Grass erhielt 1999 den Literaturnobelpreis, Elfriede Jelinek 2004, Herta Müller fünf Jahre später; nicht zu vergessen die Preisträger Nelly Sachs (1966), Heinrich Böll (1972) und Elias Canetti (1981). Sie alle verbindet, dass sich ihre Bücher nicht oder zumindest nicht besonders gut verkaufen. Canetti hat noch den größten Erfolg - gemeinsam mit Hans Magnus Enzensberger, dessen Buch „Hammerstein oder Der Eigensinn“ (in der Übersetzung von *Lortholary) von der Zeitschrift „Lire“ als eines der 20 besten Büchern des Jahres 2010 ausgezeichnet wurde. Für einen Verleger erbringt das Privileg Grass, Jelinek oder Müller herauszugeben sicher symbolisches Kapital. Aber die Verlagslandschaft ist vor allem ein Wirtschaftszweig. Verlage benötigen zum Überleben auch und vor allem Autoren, die sich gut verkaufen, wenngleich diese oft weniger prestigeträchtig sind. Schon seit längerer Zeit gab es keinen Überraschungserfolg mehr wie „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink oder „Das Parfüm“ von Patrick Süskind, dem es meisterhaft gelungen ist, in einer auf eine breite Leserschaft ausgerichtete Erzählprosa gehobene Literatur zu produzieren. Beide Bücher verdanken ihre Entdeckung in Frankreich dem Übersetzer *Bernard Lortholary. Während Süskinds Buch weltweit 15 Millionen Mal verkauft wurde, rechnet man bei Übersetzungen aus dem Deutschen heute nicht mehr in hunderttausenden und noch weniger in Millionen von Exemplaren. Jutta Bechstein vom *Goethe-Institut in Bordeaux, die den Literaturtransfer zwischen beiden Ländern aufmerksam verfolgt, rückt die Erwartungen zurecht: „Wenn ein deutsches Buch die Verkaufszahl von 2 000 Exemplaren erreicht, ist es ein Erfolg.“ Diese etwas ernüchternde Feststellung ist zugleich eine gute Nachricht, denn zahlreiche deutsche Autoren überschreiten diese Marke. Zu den dauerhaftesten Vertretern zählen seit langem Volker Braun, Christoph Hein und Christa Wolf (*DDR-Literatur in Frankreich), deren Erfolg durch die Wiedervereinigung nicht abgeschwächt wurde. Unter den „neueren“ Autoren finden sich in Übersetzung: Jakob Arjouni, Maxim Biller, Julia Franck, Wilhelm Genazino, Katharina Hacker, Judith Hermann, Helmut Krausser, Christof Magnusson, Martin Mosebach, Markus Orths, Ingo Schulze, Alain Claude Sulzer, Feridun Zaimoglu und, ganz unerwartet, Katharina Hagena in einer hervorragenden Übersetzung von Bernard Kreiss. Selbst so schwierige Autoren wie Reinhard Jirgl (Quidam Verlag, übersetzt von Martine Rémon) finden ihr Publikum, so wie früher Arno Schmidt in der Übersetzung von Claude Riehl bzw. Nicole Taubes. Dabei relativiert der Literaturtransfer gelegentlich auch die (übertriebenen) Erfolge eines Autors in seinem Herkunftsland. So hat Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“ in Deutschland leidenschaftliche Diskussionen ausgelöst, während er in Frankreich kaum wahrgenommen wurde; auch Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ war zwar ein sensationeller Erfolg in Deutschland, in Frankreich jedoch ein totaler Flop, was übrigens durch ihr zweites Buch allenthalben bestätigt wurde. Jeder seriöse französische Verlag, ob klein oder groß, hat mindestens einen deutschen oder deutschsprachigen Autor, den er exklusiv oder mit anderen zusammen verlegt. Agone verlegt Karl Kraus und *Alfred Döblin; die Éditions Christian Bourgois haben Martin Suter und Peter Stamm im Programm; Jacqueline Chambon entdeckte einst Elfriede Jelinek für Frankreich; Circé verlegt Adalbert Stifter, Corti die Romantiker und Hans Henny Jahn; Fayard Lion Feuchtwanger und Süskind; Gallimard Robert Musil, Peter Handke und Herta Müller; Grasset gibt Stefan Zweig und Peter Schneider heraus; Le Seuil Gün- Brecht, Bertolt B 141 ter Grass; Les Escales Eugen Ruge, den Preisträger des Deutschen Buchpreises 2011; Métailié Christoph Hein und Volker Braun; Rivages Hofmannsthal und Doderer; Stock Christa Wolf; Tristram Arno Schmidt; Verdier Gert Jonke sowie Josef Winkler und Zoé publiziert Robert Walser und Heinrich Zschokke, denn auch die Schweizer Verleger sind an der Verbreitung deutscher Literatur im französischen Sprachraum beteiligt. Jeder publizierte Titel deutet auf die Verbindung zwischen einem Verlag bzw. einem Autor und seinen Übersetzern (*Übersetzen/ Dolmetschen). Abgesehen von den bekannten Namen *Nicole Bary, Patrick Charbonneau, Pierre Galissaires, *Georges-Arthur Goldschmidt, Marion Graf, Philippe Jaccottet, Isabelle Kalinowski, Bernard Kreiss, Renate und *Alain Lance, *Bernard Lortholary, Olivier Mannoni, Jean-Yves Masson, Huguette und René Radrizzani, *Heinz Schwarzinger und Françoise Wuilmart gibt es eine ganze Reihe von jüngeren Übersetzerinnen und Übersetzern. Manche der Nachwuchsübersetzer haben entweder einen Masterstudiengang für Übersetzung absolviert (Paris, Strasbourg) oder das Goldschmidt-Programm, das jedes Jahr zehn Teilnehmer zusammenbringt, die ihre Literaturerfahrungen austauschen und die Verlagslandschaft des anderen Landes entdecken können. Manche Übersetzer eignen sich ihr Handwerkszeug auch auf eigene Faust an und beweisen dabei Durchhaltevermögen und offenbar Talent, denn insgesamt liest man immer seltener schlechte Übersetzungen. Schaut man allein auf die Übersetzungen, fällt es schwer, zwischen deutscher und deutschsprachiger Literatur zu unterscheiden. Es gibt keinen sprachlichen Grund Heimito von Doderer und *Alfred Döblin zu trennen, oder Robert und Martin Walser, Paul Nizon und Peter Handke, Wilhelm Genazino und Heinrich Zschokke, Urs Widmer und Josef Winkler, oder Thomas Hürlimann und Ulrich Woelk. Deutschland ist nun seit 1990 ein Land mit klar definierten Grenzen, doch die deutsche Sprache setzt sich über diese Grenzen hinweg, wie Herta Müller betont, die 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt und aus dem heutigen Rumänien stammt. Es ist immer wieder eigenartig zu lesen, dass Verleger den Büchern Hinweise wie „Aus dem Deutschen (Österreich) übersetzt“ voranstellen. Im Fall von Yoko Tawada kommt es so zu der kuriosen Formulierung: „Aus dem Deutschen (Japan) übersetzt“! Tatsächlich gibt es ja längst eine deutsche Literatur von Menschen mit einer nicht-deutschen Herkunft: Melinda Nadj Abondji wurde im heutigen Serbien geboren, Sherko Fatah hat einen Vater aus dem irakischen Kurdistan, Zsuzsa Bank ist Tochter ungarischer Eltern, Sasa Stanisic stammt aus Bosnien, Perikles Monioudis hat griechische Eltern. Wer wollte ihnen einreden, sie schrieben ein exotisches Deutsch, wenn doch selbst Heinrich von Kleist sich als Fremder in seiner eigenen Sprache fühlte? Wie kann man die deutschsprachige Literatur in Frankreich fördern? Die Literaturkritik spielt dabei sicherlich eine Rolle, beschränkt sich allerdings meist auf die Information über Neuerscheinungen. Buchmessen wie der Salon du livre, auf dem im Jahr 2001 Deutschland das Gastland war, sind seltene Höhepunkte. Darüber hinaus gibt es besondere Literaturveranstaltungen, wie die der Comédie du Livre in Montpellier im Mai 2011. Dort wurde an drei Tagen in Workshops, Diskussionen und Lesungen die Lebendigkeit der deutschsprachigen Literatur präsentiert, die u.a. durch Marcel Beyer, Sherko Fatah, Katharina Hagena, Christoph Hein, Judith Hermann, Volker Kutscher, Charles Lewinski, Paul Nizon und Ingo Schulze vertreten war. Der beste Weg, Literatur bekannter zu machen, ist immer noch die persönliche Empfehlung: von Buchhändlern an ihre Kunden - die *deutschen Buchhandlungen, die sich vor allem in Paris befinden, spielen dabei eine entscheidende Rolle - oder von einem Leser zum anderen. So ist der Erfolg von Fritz Zorns „Mars“ oder der Bücher von W. G. Sebald zu erklären. Wenngleich Klabund, Brigitte Neumann oder Alexander Kluge in Frankreich noch nicht den Platz gefunden haben, der ihnen gebührt, ist der literarische Rang Deutschlands als Land der Dichter und Denker dennoch unangefochten. Pierre Deshusses Brecht, Bertolt Bertolt Brecht (1898-1956) ist einer der bedeutendsten Autoren und Regisseure des 20. Jahrhunderts, der, obwohl seine Beziehungen zu Frankreich nicht sehr eng waren, entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des französischen Theaterfeldes und das Selbstverständnis der Thea- Brecht, Bertolt 142 B termacher genommen hat. Seine eigentliche Wirkungsgeschichte begann in Frankreich erst zwei Jahre vor seinem Tod. Bis zum ersten Gastspiel des *Berliner Ensembles (BE) auf dem Festival international d’art dramatique (dem späteren Théâtre des Nations) im Jahr 1954 hatte sich kaum ein französischer Theatermacher für die Stücke Brechts interessiert: Gaston Baty erlebte mit der „Dreigroschenoper” zu Beginn der 1930er Jahren den größten Reinfall seiner Karriere und die seltenen Inszenierungen von Brechtstücken bis 1940 blieben ohne nennenswertes Echo. Die erste Inszenierung nach dem Krieg wagte Jean-Marie Serreau, der durch *Benno Besson auf Brecht aufmerksam geworden war, es folgte Jean Vilar 1952 mit „Mutter Courage“ am Théâtre national populaire, der jedoch der Theorie des epischen Theaters ebenso ablehnend gegenüberstand wie die meisten seiner Kollegen. Das Desinteresse an der Brecht’schen Theaterkonzeption sollte nach dem ersten Gastspiel des *Berliner Ensembles (BE) in Paris in das Gegenteil umschlagen. Die Aufführungen der „Mutter Courage“ im Rahmen des Festivals mit Helene Weigel in der Hauptrolle verhalfen Brecht nicht nur zum Durchbruch, sondern führten den französische Theaterwelt für Jahrzehnte in eine regelrechte „Brechtomanie“. Insbesondere Roland Barthes und Bernard Dort schürten als Redakteure der Zeitschrift „Théâtre populaire“ - strategisch unterstützt durch den Brecht-Verleger und Agenten Robert Voisin (*L’Arche Éditeur) - die Begeisterung für *Brecht und seine Arbeit am BE. Hanns Eisler bemerkte am Ende der 1950er Jahre ironisch: „In Paris können Sie ja keinen zweiten Intellektuellen treffen, der nicht sofort sagt: ‚Je suis un Brechtien.’ Und ‚Verfremdung’ wird dann deutsch gesagt.“ Als Regisseur war für die frühe Brechtrezeption der 1950er Jahre vor allem Roger Planchon von entscheidender Bedeutung, der sich als erster französischer Theatermacher auch für Brechts Theaterkonzeption interessierte und diese auf die eigene Arbeit als Regisseur und Autor übertrug. Nach der Entdeckung Brechts erfolgte in den 1960er Jahren seine Etablierung im französischen Theaterfeld durch die Regisseure des théâtre public , in dessen Bühnenstatistik er zwischen 1947 und 1973 den dritten Platz (nach Molière und Shakespeare) der meistgespielten Autoren einnahm. Maßgeblich daran beteiligt war Robert Voisin, der diese durch die Vergabe der Aufführungsrechte lenkte und häufig wegen seiner Rigidität kritisiert wurde. Wenngleich nach dem Brecht-Boom seit Mitte der 1960er Jahre immer wieder einmal von angeblichen „Brechtkrisen“ zu lesen war, nahm die Präsenz Brechts auf französischen Bühnen in den folgenden Jahrzehnten tatsächlich kontinuierlich zu. An die Stelle der Pioniere, die nach und nach das Interesse verloren (André Steiger und Cyril Robichez) oder ihre Regiearbeit insgesamt reduzierten (Jean Vilar und Jean Dasté), traten Regisseure wie der Brecht-Schüler *Bernard Sobel, Jacques Kraemer, Jacques Rosner oder Maurice Sarrazin. Eine große Bedeutung für die Brecht-Rezeption besaß das (bis 1963 von Vilar und danach von Georges Wilson geleitete) Théâtre national populaire (TNP) in Paris. Wilson inszenierte nicht nur selber Brecht-Stücke, sondern lud auch zahlreiche Gastregisseure ein: Jacques Rosner mit „La Mère“, André Steiger mit „La Bonne âme de Se- Tchouan“, Jean-Pierre Vincent und *Jean Jourdheuil mit „Dans la Jungle des villes“ sowie Giorgio Strehler mit „L’Opéra de quat’sous“ als französisch-italienische Koproduktion. Darüber hinaus spielte das 1972 in Théâtre national populaire (TNP) umbenannte Théâtre de la Cité von Planchon in Villeurbanne, *Sobels Ensemble théâtral de Gennevilliers (ETG) sowie das von Gabriel Garran geleitete Théâtre de la Commune in Aubervilliers bei der langfristigen künstlerischen Etablierung Brechts eine wichtige Rolle. Der Einfluss, den Brecht auf das französische théâtre public genommen hat, lässt sich aber keinesfalls allein auf die Aufführungspraxis seiner Stücke begrenzen. So entwickelten die Theatermacher nach einer anfänglichen 1: 1-Übertragung der Lehrmeinungen Brechts auf ihre Inszenierungen eigenständige künstlerische Umsetzungsformen der Theorie des epischen Theaters. Dabei nutzten sie diese für eine moderne, „entstaubte“ Interpretation der Klassiker und entwickelten - ausgehend von Brechts empfohlener Historisierung des Stoffes (anstelle einer Psychologisierung) - ein gesellschaftskritisches Regietheater. Als Umschlagpunkt kann in diesem Kontext die Inszenierung der „Kleinbürgerhochzeit“ der beiden „néo-brechtiens“ (Bernard Dort) Jean-Pierre Vincent und *Jean Jourdheuil gelten, die den „expressionistischen“ Brecht entdeckten. Das Ergebnis war eine Art „zweite Geburt Brechts“ (Colette Godard), an die zahlreiche weitere junge Thea- Breitbach, Joseph B 143 termacher in den 1970er Jahren anknüpften, so u.a. Robert Gironès, André Engel und Georges Lavaudant. Parallel dazu setzten die beiden jungen deutschen Regisseure *Matthias Langhoff und Manfred Karge wichtige Impulse. Die Zeiten des Dogmatismus waren endgültig vorbei und selbst überzeugte Brechtianer imitierten nicht mehr allein das in den Modellinszenierungen Vorgegebene, sondern versuchten mit Brecht über Brecht hinaus zu denken. Als paradigmatisch kann hier *Bernard Sobels viel beachtete „Dom Juan“-Inszenierung gelten. Zudem bot Brecht auch einen Orientierungspunkt für eine neue französische Dramatik, so u.a. für Michel Vinaver und Arthur Adamov. Ein wirklicher Bruch der Brechtrezeption ist erst am Ende der 1970er Jahre auszumachen - eingeleitet von dem Skandal, den Guy Scarpetta mit seiner (im Kontext der Kommunismusbzw. Stalinismuskritik der so genannten nouveaux philosophes zu verortenden) Abrechnung „Brecht ou le soldat mort“ auslöste. Die anti-kommunistischen Strömungen im Intellektuellenmilieu manifestierten sich auch in einem deutlichen Rückgang an Inszenierungen von Brecht-Stücken, der seinen Tiefpunkt 1985 erreichte. Dennoch blieb Brecht mit großem Abstand der meistgespielte deutsche Autor im französischen Theater - auch nach der Wende. So stieg die Zahl der Brecht-Inszenierungen bereits zum Ende der 1980er Jahre wieder deutlich an. Mit Antoine Vitez‘ Inszenierung des „Galilei“ an der Comédie-Française (1990) wurde Brecht zudem endgültig zum „Klassiker“; die Tatsache, dass *Jérôme Savary am Théâtre national de Chaillot in den 1990er Jahren gleich einen ganzen Brechtzyklus präsentierte, deutet zudem auf großes Publikumsinteresse. Ihren Höhepunkt fand der Boom schließlich im Jahr 1998 zum 100. Geburtstag des Dramatikers: 67 Inszenierungen und Wiederaufnahmen fanden zwischen 1997 und 1999 statt. In der Folge verlor die französische Brecht- Rezeption indes an Dynamik. Das Interesse jüngerer Theatermacher an Brecht ist rückläufig, wobei ein relatives Hindernis auch die hohe Anzahl der Rollen in den Stücken darstellt, da die Finanzierung von mehr als drei oder vier Schauspielern für die meisten compagnies fast unmöglich ist. Aus dieser Perspektive betrachtet, stieß die französische Brecht-Rezeption an der Schwelle zum neuen Jahrtausend an ihre strukturellen Grenzen - was ihre Bedeutung für das französische Theaterfeld insgesamt nicht mindert. Wie Jean-Pierre Vincent rückblickend beschrieb, stellte Brecht das klare Gegenprogramm zum klassischen französischen Theatermodell dar, mit dessen Hilfe sich die jungen Theatermacher der 1960er und 70er Jahre erfolgreich ein neues künstlerisches Selbstverständnis erarbeiteten: „Brecht war die Grundlage meiner Ausbildungsjahre. [...] Das war ein Versuch, uns von der französischen Tradition - literarisches Theater um der Literatur willen, idealistisch im elitären Sinne, verstanden als ein Geschenk des Himmels - abzusetzen.“ Roland Barthes, Œuvres complètes. Bd. I: Livres, textes, entretiens 1942-1961, hg. von Eric Marty, Paris 2002; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Bielefeld 2011; Marco Consolini, Théâtre Populaire 1953-1964. Histoire d’une revue engagée, Paris 1998; Karin R.Gürttler, Die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich (1945-1990). Autoren und Werke im Spiegel der Kritik, Bern u.a. 2001; Agnes Hüfner, Brecht in Frankreich 1930-1963. Verbreitung, Aufnahme, Wirkung, Stuttgart 1968. Nicole Colin Breitbach, Joseph Der in Ehrenbreitstein geborene Joseph Breitbach (1903-1980) wurde in den Jahren nach 1945 zu einem der wichtigsten literarischen Kulturmittler zwischen Deutschland und Frankreich - und das auf verschiedenen Ebenen, als Journalist und als Schriftsteller sowie durch seinen zivilgesellschaftlichen Einsatz. Er schrieb in der „Zeit“ wie im „Figaro“, verkehrte in Intellektuellen- und Schriftstellerkreisen beider Länder und betätigte sich als Sponsor und Mäzen. Breitbach lag viel daran, die Details seiner Biographie nicht preis zu geben. Von Hause aus bereits wohlhabend gelang es ihm bereits in den 1930er Jahren (vermutlich durch Börsenspekulation) sein Vermögen erheblich zu vermehren, was ihm 1977 die Möglichkeit gab, den höchst dotieren Preis für deutschsprachige Literatur zu stiften, den Joseph-Breitbach-Preis, der seit 1998 jährlich von der gleichnamigen Stiftung vergeben wird. Preisträger waren u.a. W.G. Sebald, Robert Menasse, Herta Müller, *Georges-Arthur Goldschmidt, Ursula Krechel, Ingo Schulze, Jenny Erpenbeck und Navid Kermani. Ein ausgeprägtes Interesse an Kunst und Literatur, vor allem an der französischen Lyrik, sowie ein starkes Streben nach Unabhängigkeit Brice, Pierre 144 B zeichneten den jungen Breitbach aus. Er verließ die Schule ohne Abitur, wurde aber schon bald als Journalist tätig und schrieb Gedichte. In den 1920er Jahren kam er bereits mit französischen Intellektuellen in Kontakt, so 1926 mit André Gide und später mit Jean Schlumberger, der sein Mentor werden sollte. Bereits zu dieser Zeit sprach er ausgezeichnet Französisch. Er schloss sich eine Weile kommunistischen Kreisen an und machte eine Ausbildung zum Buchhändler. Nach Erscheinen seines kritischen, in der Angestelltenwelt angesiedelten Erzählungsbandes „Rot gegen Rot“ (1928) wurde er entlassen. Sein erster Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“, der auch das Thema Homosexualität in den Fokus nahm, erschien 1932 bei Kiepenheuer. Aufgrund seiner homoerotischen Neigungen und politischen Überzeugungen zum Außenseiter geworden, zog Breitbach früh die Konsequenz angesichts der politischen Veränderungen in Deutschland und ließ sich 1929 in Paris nieder. Er pflegte einen mondänen Lebenswandel, liierte sich mit dem Lyriker Wieto Eichel und lernte vor 1939 und nach 1945 zahlreiche Geistesgrößen wie Ernst Robert Curtius, Julien Green, Léon Blum, Robert Schuman, Karl Jaspers kennen. Seine Bücher gehörten zu denen, die 1933 in Berlin verbrannt wurden. 1934 wurde er in eine Exilantenpolemik verstrickt, weil er sich in einem Artikel - zu dieser Zeit schreibt er auch schon auf Französisch - für die Übersetzung einiger völkischer deutscher Autoren des „Inneren Reiches“ stark gemacht hatte, wofür ihn sein Freund Joseph Roth, Klaus Mann und Félix Bertaux heftig attackierten. Obwohl Breitbach 1937 die deutsche Staatsbürgerschaft niedergelegt und die französische beantragt hatte, wurde er bei Kriegsausbruch interniert. Er betätigte sich für den französischen Geheimdienst und lebte bis Kriegsende in einem Versteck bei französischen Freunden. 1940 durchwühlte die Gestapo seine Wohnung in Paris und raubte wertvolle Buchmanuskripte, darunter der später als Fragment veröffentlichte Roman „Clemens“. Nach 1945 setzte der Rheinländer mit französischem Pass alles daran, deutsche Kriegsgefangene zu befreien und korrespondierte darüber auch mit Konrad Adenauer. 1962 erschien „Bericht über Bruno“ zunächst auf Deutsch, 1964 von ihm selbst verfasst auf Französisch. Der Roman, der letztlich den literarischen Rang Breitbachs begründete, lässt sich als Zeugnis des Kalten Krieges und der Konkurrenz politisch-ideologischer Systeme sowie als Vorbote für die neue Gesellschaft nach 1968 lesen, die sich den autoritär geprägten Geschlechter- und Generationenverhältnissen entziehen will. Der Roman bescherte ihm endlich den literarischen Erfolg, den er zuvor zumeist umsonst gesucht hatte: Noch Anfang der 1960er Jahre war sein Theaterstück „La jubilaire“ vor leeren Rängen im Pariser Théâtre Hébertot gespielt worden - es heißt, Breitbach habe die Aufführung selber finanziert. Albrecht Betz, Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre, München 1986; Alexandra Gräfin Plettenberg, Nachwort, in: Joseph Breitbach: Bericht über Bruno, Frankfurt/ M. 1999. Joachim Umlauf Brice, Pierre Der in Brest geborene Pierre Brice (1929-2015), der mit richtigem Namen Pierre Louis Le Bris heißt, gehört zu den bekanntesten französischen Schauspielern in Deutschland. Doch während seine Kollegen Alain Delon, Jean-Paul Belmondo und Gérard Depardieu in Deutschland stellvertretend für den *französischen Film stehen, wird der Name von Pierre Brice für ewig und immer mit den Kinoverfilmungen des Karl-May-Bestsellers „Winnetou“ verbunden bleiben, die ab den 1960er Jahren über das Massenmedium Fernsehen in die Wohnzimmer kamen und die westdeutsche Fernsehkultur maßgeblich prägten. 56-mal zierte sein Gesicht das Titelbild der Jugendzeitung „Bravo“, hinzu kamen drei Starschnitte, und als der Apachenhäuptling im dritten Teil erschossen wurde, forderte sie: „Winnetou darf nicht sterben“, sodass er wieder von den Toten auferstand und den Wirtschaftswunderdeutschen den Wunsch nach Wiedergeburt erfüllte. Der von ihm 1962 („Schatz im Silbersee“) erstmals gespielte Apachenhäuptling Winnetou wurde zum Inbegriff des edlen und guten Indianers, der gemeinsam mit seinem Blutsbruder Old Shatterhand (Lex Barker) für Frieden und Gerechtigkeit kämpfte und damit ein positives Bild der Indianer insgesamt in den deutschen Haushalten förderte. Auftritte bei den Karl-May-Festspielen in Elspe und Bad Segeberg verfestigten seinen Ruhm nach dem Abebben der Winnetou-Welle im deutschen Fernsehen. Er gab einer der Größen der deutschen Jugendliteratur Bureau du CNRS en Allemagne B 145 ein zeitgemäßes Gesicht, sodass die Deutschen den „beliebtesten Indianer der Bundesrepublik“ heute für sich reklamieren und den mit einer Deutschen verheirateten Schauspieler erst in den letzten Jahren als Franzosen kennenlernten. Während ihn somit 83 % aller Deutschen und Österreicher kennen, blieb er in seinem Heimatland nahezu unbekannt. Zwar spielte er 1960 neben Catherine Deneuve in „L’homme à femmes“, doch Frankreich hatte zur damaligen Zeit keinen Mangel an jungen Kinostars und zudem sah er wohl Alain Delon zu ähnlich, sodass er sein Schauspielerglück außerhalb der französischen Grenzen suchen musste und schließlich Anfang der 1960er Jahre in Deutschland „entdeckt“ wurde. Der deutsche Nachbar hatte den jungen Brice schon früh geprägt, denn er kämpfte als Bote der Résistance im Zweiten Weltkrieg. Hier kam es auch zur direkten Konfrontation mit dem damaligen Gegner. Er arbeitete in der bretonischen Stadt Rennes in einem Räumkommando und traf auf einen deutschen Kindersoldaten, der vor ihm saß und erschrocken die Hände erhob: „Brice riss ihm die Wehrmachtsuniform vom Leib, steckte ihn in ein paar Lumpen, bevor die heranrückenden Amerikaner ihn bemerkten“ (Focus, 26.3.2012). Später kämpfte er im Indochina- und im Algerienkrieg und sah Kameraden neben sich sterben, was ihn nach eigenen Angaben auch dazu bewegte, die Winnetou-Rolle zu übernehmen: „Ich bin immer ein Soldat geblieben. Deswegen habe ich Winnetou auch so gelebt - und geliebt“. Heute engagiert sich Brice als UNICEF-Botschafter in Krisengebieten, so 1995 in Bosnien. Abschließend bleibt zu fragen, ob Pierre Brice viel für das Deutschlandbild der Franzosen bzw. das Frankreichbild der Deutschen und damit für die deutsch-französische Annäherung nach 1945 getan hat. Aber vielleicht ist das die falsche Frage. Nur wenige Schauspieler werden so mit ihrer Rolle identifiziert wie Pierre Brice mit Winnetou, der mit dieser Kultfigur zu einem Held vieler deutscher Kinderzimmer wurde und Werte wie Freundschaft und Brüderlichkeit vermittelte. Und dafür hat er auch das Bundesverdienstkreuz erster Klasse (1992) und die Auszeichnung als Ritter der französischen Ehrenlegion bekommen, die ihm für seine Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft und das europäische Kino in der französischen Botschaft in Berlin im Jahre 2007 verliehen wurde. Pierre Brice, Winnetou und ich. Mein wahres Leben, Bergisch-Gladbach 2004. Ulrich Pfeil Bureau du CNRS en Allemagne Als das CNRS 1979 sein Büro in Bonn einweihte, steckten die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen dieser französischen Institution und seinen deutschen Partnern noch in den Kinderschuhen. Bis zum Abschluss eines Abkommens zwischen dem CNRS und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahre 1971, unter der Ägide von Hubert Curien bzw. Julius Speer, war die Bundesrepublik das einzige Land in Westeuropa, mit dem das CNRS keinen Abschluss über einen wissenschaftlichen Austausch getroffen hatte. Zudem standen die ersten großen Gemeinschaftsprojekte, die aus dem Geist des *Élysée-Vertrags hervorgegangen waren, noch am Anfang: der Reaktor des *Institut Laue-Langevin in Grenoble hatte 1971 mit der Produktion eines Neutronenflusses begonnen; die Verhandlungen um den European Incoherent Scatter Facility, EISCAT, bei denen auch skandinavische Partner am Tisch saßen, mündeten in den Pariser Vertragsabschluss im Jahre 1975, während der gemeinsam mit der Max- Planck-Gesellschaft (MPG) beschlossene Bau des Institut de radioastronomie millimétrique (IRAM) erst 1979 begann. Auffällig war auf dem Felde der deutsch-französischen Beziehungen im Bereich von Wissenschaft und Technologie in den 1970er Jahren das fehlende Wissen über die Entwicklungen auf der anderen Rheinseite. Es muss als Fortschritt bezeichnet werden, dass das CNRS seinen Forschern in dieser Zeit Deutschkurse anbot und Ausarbeitungen über die bundesdeutsche Forschungslandschaft erstellte. Auf Rat von Jean-Pierre Chevillot, Verantwortlicher für die wissenschaftliche Zusammenarbeit der französischen Botschaft in Bonn, verkündete der Generaldirektor des CNRS, Robert Chabbal, die Gründung eines Bureau du CNRS im Herzen des Bonner Wissenschaftszentrums. In einem Schreiben der Botschaft vom 13.12.1977 wurde diese Institution als ein „renommiertes Zentrum“ bezeichnet, „unter dessen Dach eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Organisationen ihren Platz finden, in unmittelbarer Nähe der großen deutschen Wissenschaftsinstitutionen und unweit der französischen Botschaft“. Bureau international de liaison et de documentation (BILD) 146 B Mit Zustimmung des französischen Außenministeriums und Unterstützung durch die DFG öffnete das Büro seine Pforten in der Ahrstraße 45, in dem fortan ein Leiter, der den Titel eines wissenschaftlichen Botschaftsattachés trug, und sein Sekretär arbeiteten. Ab April 1979 konnte es nunmehr seine Arbeit unter der Leitung des aus Nancy stammenden Chemikers René David aufnehmen, der im Januar 1983 von dem Paläontologen Émile Heintz abgelöst wurde. Es übernahm eine Mittlertätigkeit zwischen den beiden Wissenschaftslandschaften, informierte deutsche Forscher über die Aktivitäten des CNRS und instruierte CNRS-Wissenschaftler über Entwicklungen in der deutschen Wissenschaft, insbesondere in Form von regelmäßigen Berichten über Aktualitäten aus der Wissenschaft. Mit diesen Aktivitäten verstärkte das Büro die bilateralen Bindungen. Heute steht Deutschland an der Spitze der Länder, mit denen das CNRS wissenschaftlichen Austausch betreibt. Es ist zudem Frankreichs erster Partner in Europa bei gemeinsamen Veröffentlichungen und die erste Adresse von CNRS-Forschern, die sich zu einem Forschungsaufenthalt ins Ausland begeben. Die Beziehungen entwickelten sich so eng, sowohl zwischen den Laboratorien als auch zwischen den leitenden Mitarbeitern der Wissenschaftsorganisationen, dass sich die Existenz des Büros als überflüssig erwies, war es doch auch nur als vorübergehende Institution gedacht. Entsprechend entschloss sich das CNRS im Jahre 2007 in Übereinstimmung mit seinen deutschen Partnern, vor allem der DFG, sein Büro in Deutschland zu schließen, hatte es doch seine ihm anfangs zugedachte Aufgabe erfüllt. Denis Guthleben, Histoire du CNRS de 1939 à nos jours. Une ambition nationale pour la science, Paris 2009. Denis Guthleben Bureau international de liaison et de documentation (BILD) BILD bzw. sein Vorläufer, das Centre d’études culturelles économiques et sociales, wurde bereits 1945 in Offenburg gegründet und von dem französischen Militärseelsorger *Jean du Rivau geleitet. Gemeinsam mit der Schwesterorganisation GÜZ (*Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit) brachte es die Zeitschriften *Documents und *Dokumente heraus, die von dem im Mai 1945 entstandenen Dokumente-Verlag gedruckt wurden. Erstes Ziel war es, den Informationsgrad über das andere Land und die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern: Wir wollen keine Partei ergreifen, hieß es sinngemäß im Vorwort des ersten Hefts, wir wollen einzig aufklären durch unsere Texte, um eines Tages anzufangen, miteinander zu reden. Die ersten von BILD organisierten Treffen (Überlingen, Lahr, Royaumont) dienten noch dem Kennenlernen und waren von dem Bemühen bestimmt, das gegenseitige Misstrauen abzubauen. Nach Leid und Hass war es für viele überraschend, dass Deutschen und Franzosen wieder von gleich zu gleich miteinander sprachen. Aus den Begegnungen entstanden Freundschaften, und nicht wenige dieser frühen Pioniere fanden sich einige Jahre später an Schlüsselpositionen, die es ihnen ermöglichten, die Annäherung und *Versöhnung zwischen beiden Gesellschaften umso erfolgreicher zu betreiben. In der Anfangszeit war es jedoch ein heikles Geschäft, die beiden *„Erbfeinde“ miteinander auszusöhnen, hatte die französische Besatzungsmacht in Deutschland doch keinen guten Ruf. Zudem gab es unterschiedliche Auffassungen, wie Deutschland „demokratisiert“ werden sollte. Schwer verständlich waren für die Deutschen auch der Behördendschungel innerhalb der Besatzungsverwaltung und die Beziehungen zu den Entscheidungsträgern in Paris, doch im Moment der Gründung der Bundesrepublik waren die ersten Grundlagen für die Annäherung geschaffen. Dank der beiden Schwesterorganisationen wurden die Fundamente für die deutsch-französischen *Jugendbeziehungen nach 1945 gelegt, die bis heute zu den Schwerpunkten der Arbeit von *BILD und *GÜZ gehören. Daneben riefen sie Schriftsteller-, Journalisten- und Lehrertreffen ins Leben, doch von besonderer symbolischer Bedeutung für die *Versöhnung war zwischen 1951 und 1953 die Aufnahme von 2 500 Deutschen, die 1944/ 45 geflohen bzw. vertrieben worden waren, in französischen Familien. Ein Jahr später reisten einige Tausend französische Kinder aus minderbemittelten Familien in die Bundesrepublik, was als vertrauensbildende Maßnahme zwischen zwei Gesellschaften gewertet werden kann, in denen die Vergangenheit noch nicht vergessen war. Zum 10. Geburtstag des seit 1950 in Paris residierenden BILD wurde unter der Schirmherrschaft von Robert Schuman und Theodor Heuss Camus, Albert C 147 eine beeindruckende Feier organisiert, die Ausdruck für den Status war, der BILD und auch *GÜZ in Paris und Bonn beigemessen wurde. Im Gefolge des *Élysée-Vertrages gehörten BILD und *GÜZ zu den Mitinitiatoren bei der Gründung des *DFJW, das in den folgenden Jahren zu seinen privilegierten Partnern gehörte. Über die Aktivitäten des *DFJW wurde nicht selten in *„Documents“ berichtet, das mit Zeitschriften wie *„Revue d’Allemagne“ und *„Allemagne d’aujourd’hui“ Konkurrenten erhielt, die ihr Abonnenten kosteten und sie immer wieder zwangen, das eigene Profil zu schärfen. Dem langjährigen Präsidenten *Joseph Rovan gelang dies immer wieder, nicht zuletzt weil er dabei auch auf einen wichtigen Freund bauen konnte, den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Anders als seine Konkurrenten bewegte sich *„Documents“ außerhalb der Universität, was bis heute seine Besonderheit ausmacht. Der eigentliche Schwerpunkt von BILD blieb jedoch der Jugendaustausch und die Ausbildung von deutsch-französischen Gruppenleitern in Kooperation mit dem *DFJW, die Organisation von Kolloquien und Studienreisen, um das deutsch-französische Netzwerk stetig zu verdichten. Dazu dient auch die Mitgliedschaft im Conseil national de l’éducation populaire et de la jeunesse, im Fonds de coopération de la jeunesse et de l’éducation populaire, im Comité pour les relations nationales et internationales des associations de jeunesse et d’éducation populaire und im Mouvement européen- France. BILD erhielt gemeinsam mit *GÜZ 1956 den Europapreis, 1977 den Deutschland-Frankreich-Preis, 1989 den *Prix de Gaulle-Adenauer und wird heute von dem Journalisten Gérard Foussier geleitet. Franz Knipping, Jacques Le Rider (Hg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland 1945-1950, Tübingen 1986; Raïssa Mézières, Documents, revue des questions allemandes et l’idée européenne, 1945-1949, in: Bulletin de l’Institut Pierre Renouvin (Université Paris 1 - Panthéon-Sorbonne) 5 (1998), S. 33-50. Dirk Petter, Auf dem Weg zur Normalität. Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München 2014, S. 55ff. Dominique Bourel C Camus, Albert Der in Algerien geborene Albert Camus (1913- 1960) wird in Deutschland neben *Jean-Paul Sartre als der zweite große französische Autor des *Existentialismus wahrgenommen - eine Einschätzung, der Camus selbst jedoch widerspricht. Bis auf den heutigen Tag ist er ein in Deutschland überaus bekannter und vielgelesener Autor. Seine literarischen Werke „Der Fremde“ (1942), „Die Pest“ (1947), „Der Fall“ (1956) und der posthum publizierte Roman „Der erste Mensch“ (1994) sichern ihm, ebenso wie die Essays „Der Mythos des Sisyphos“ (1942) und „Der Mensch in der Revolte“ (1951), bleibende und fortwirkende Bedeutung. Auch auf deutschen Bühnen war und ist Camus präsent - mit seinen Stücken „Caligula“, „Die Gerechten“ und „Das Missverständnis“ oder mit Adaptionen seiner literarischen Werke (*Französisches Theater in Deutschland). Neben der literarischen Gestaltungskraft Camus’ werden die Eindeutigkeit und der Wahrheitsanspruch seiner politischen Haltung als résistant und Ankläger totalitärer Regime geschätzt. Bis 1989 war die Aufnahme seiner Werke in den beiden deutschen Staaten so unterschiedlich, dass von zwei deutschen Camus-Rezeptionen gesprochen werden muss: In der Bundesrepublik war Camus schon am Ende der 1940er Jahre bekannt geworden durch Theateraufführungen und vor allem durch die vom Rowohlt-Verlag in hohen Auflagen verlegten deutschen Übersetzungen seiner literarischen und essayistischen Werke; er genoss hohes Ansehen als künstlerische und politische Leitfigur. In der offiziellen Kulturpolitik der DDR galt er hingegen als Antikommunist und war bis zum Ende der 1950er Jahre Persona non grata . Obwohl bis zu diesem Zeitpunkt keines der Werke Camus’ in ostdeutschen Verlagen publiziert wurde, hatte der Autor für die kritische Intelligenz in der DDR ähnliche Bedeutung wie in der Bundesrepublik. Camus’ politischer Streit mit *Sartre im Jahr 1952, die Verleihung des Nobelpreises 1957 und der tragische Unfalltod 1960 ließen die Verkaufsziffern in der Bundesrepublik weiter emporschnellen. Der „politische Camus“ wurde hier vor allem durch zwei Auswahlbände von 1960, „Fra- Candide-Preis 148 C gen der Zeit“ und „Verteidigung der Freiheit“, bekannt. Nach dem Nobelpreis konnten auch die offiziellen Organe in der DDR Camus nicht mehr ignorieren; so erschien nach einigen kritischen Artikeln 1965 der Roman „Die Pest“, der die Publikation der literarischen Schriften des Autors einleitete. Camus’ Essays, zumal der besonders inkriminierte „Mensch in der Revolte“, sowie seine Tagebücher und politischen Schriften blieben den Verlagen in der DDR hingegen untersagt. Damit verstetigte sich in der DDR das Interesse an dem Autor, während die Aufmerksamkeit in der Bundesrepublik zunehmend schwand. Im Moment des Mauerfalls wurde Camus im Rückblick auf seine einstige Kontroverse mit *Sartre als der „historische Sieger“ gefeiert. Nach dieser instrumentalisierenden Interpretation, durch die das Interesse kurzzeitig aufflammte, hält es sich bei einem breiten intellektuell interessierten Publikum auf stabilem Niveau. Von Anhängern postmoderner Paradigmen wird der Autor hingegen ignoriert oder für anachronistisch erklärt. Wenngleich die Aufnahme Camus’ in Deutschland also - obgleich mit Schwankungen - intensiv und bejahend ist, war Camus’ Beziehung zu Deutschland selektiv und distanziert: In seinen „Briefen an einen deutschen Freund“ verurteilt er den Nazismus als mögliche Folge des Nihilismus. Deutsche Philosophen, v.a. Hegel, Marx und Nietzsche, stehen für Camus am Ursprung des maßlosen nordischen Denkens und seiner unheilvollen historischen Folgen; diese geistige Haltung ist für ihn das Gegenstück zum „mediterranen Denken“, das er selbst vertritt. Einigen Großen der deutschen Literatur wie Goethe und besonders Hölderlin sowie der deutschen Musik erweist er jedoch seine Reverenz. Catherine Camus (Hg.), Albert Camus: solitaire et solidaire, Neuilly-sur-Seine 2009; Brigitte Sändig, Albert Camus, Reinbek bei Hamburg 3 2000; Heinz Robert Schlette (Hg.), Wege der deutschen Camus- Rezeption, Darmstadt 1975. Brigitte Sändig Candide-Preis Prix Candide Der deutsch-französische Literaturpreis ist nach der Hauptfigur in Voltaires gleichnamigen Roman „Candide“ benannt worden und als Nachfolger des Mindener Stadtschreiber-Stipendiums entstanden. Der Candide-Preis wurde vom Literarischen Verein e.V. Minden 2004 zunächst als deutscher Preis gegründet. Die Namensanlehnung an Voltaires Romanfigur basiert darauf, dass die Stadt Minden Ort einer historischen Niederlage des französischen Heeres war und Voltaire Minden in seinem Roman erwähnt. Außerdem sollte der Bezug auf „Candide“ die intensiven deutsch-französischen Philosophiebeziehungen verdeutlichen. Zunächst mit 7 500 Euro dotiert und von Mäzenen finanziert, konnte das Preisgeld dank der Kooperation mit der *Stiftung Genshagen ab 2007 mit Bundesmitteln auf 15 000 Euro verdoppelt werden und sich der Candide-Preis zu einem deutsch-französischen Literaturpreis entwickeln. Es entstand ein Preis für Gegenwartsliteratur, der jährlich vergeben werden sollte und in dem Sinne einzigartig war, dass zwei Autoren - einer jedes Landes - geehrt werden sollten. Jeder Autor erhielt die Hälfte der Gesamtdotierung. Als französischer Kooperationspartner konnte 2008 die Kulturinstitution Villa Gillet (Observatoire international des langages contemporains) in Lyon gewonnen werden, 2009 war zusätzlich das französische Kulturministerium an der Finanzierung beteiligt. Dank des Centre national du livre konnte die Übersetzung eines Werkes der geehrten Autoren in die jeweils andere Sprache finanziert werden, soweit nicht bereits eine Übersetzung vorlag. Mit dem Candide- Preis sollte der kulturelle Austausch zwischen Deutschland und Frankreich gefördert sowie die Begegnung zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern beider Länder ermöglicht werden. Auf diese Weise bestand die Möglichkeit, die moderne Literatur dem jeweils anderen Land näherbringen zu können, indem sie übersetzt werden sollte. Als Voraussetzung für die Ehrung durch den Candide-Preis war eine Buchveröffentlichung erforderlich, eine Bewerbung war nicht möglich. Die deutschen und französischen Preisträger wurden von eigenen Jurys gewählt, die aus unabhängigen Fachleuten bestanden. Hierzu zählten Journalisten, Literaturkritiker sowie Mitglieder der fördernden Institutionen. Gewählt wurden 2008 Martin Kluger als deutscher und Mathias Énard als französischer Preisträger, 2009 Volker Braun als deutscher Preisträger und Olivia Rosenthal als französische Preisträgerin. Im Jahr 2010 erhielt lediglich der deutsche Autor Jan Faktor den Preis, der nun wieder vom Literarischen Verein e.V. Minden vergeben wurde. 2011 wurde Peter Hand- Carolus-Magnus-Kreis (CMK) C 149 ke geehrt, allerdings nur ideell und ohne Preisgeld. Da die Finanzierung durch Sponsoren erfolgen sollte und dies sich letztendlich als zu problembehaftet herausstellte, wurde der Candide-Preis noch 2011 eingestellt. Patricia Pasic Carolus-Magnus-Kreis (CMK) Der CMK (seit 1954: Vereinigung für deutschfranzösische pädagogische und kulturelle Zusammenarbeit e.V. - Association pour la coopération franco-allemande culturelle et pédagogique) ist eine Vereinigung von engagierten Lehrern für Französisch aller Schulformen, Universitätsprofessoren und Dozenten der *Romanistik, Studenten, Fremdsprachenassistenten und neuerdings sogar von Schülern von Grund- und Leistungskursen Französisch, die sich durch ihre Teilnahme an DELF- Prüfungen ausgezeichnet haben. Als deutsch-französische Zivilgesellschaft ist der CMK seit 1954 ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der sich von Beginn an fest umrissene Ziele gesteckt hatte, wie u.a. beim Treffen auf dem Sonnenberg/ Harz (1958) deutlich wurde: „Geistige und pädagogische Aufgaben deutschfranzösischer Zusammenarbeit für die Welt von morgen“. Seine Arbeitsbereiche umfassen die Vielfalt der gesellschaftspolitischen Bereiche: von geographischen zu historischen, von politischen zu pädagogischen Themen. *Sprachenpolitik, Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts, Interkulturelle Kommunikation und Gesellschaftspolitik haben sich seit 1954 als Schwerpunkte herauskristallisiert. Die in der Satzung von 1954 formulierten Aufgaben des CMK umfassen die Betreuung deutscher *Lektoren, Lehrer, Fremdsprachenassistenten und Studenten, die in Frankreich unterrichten oder studieren, durch Seminare, Kongresse und Jahrestagungen, die in geeigneter Form publiziert werden. Um die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich weiter zu vertiefen, betreut der CMK heute auch die französischen Fremdsprachenassistenten, *Lektoren, Austauschlehrer und Studenten, die in Deutschland unterrichten oder studieren. Der CMK gibt Impulse für einen modernen Fremdsprachenunterricht, insbesondere durch die Herausgabe einer Broschüre für die französischen Fremdsprachenassistenten an deutschen Schulen, durch die Initiierung des Prix Charlemagne seit 2008 und durch seine Jahrestagungen zu aktuellen Fragen des Französischunterrichts mit herausragenden Referenten. Auf diese Weise will der CMK seine Erfahrung in die universitäre Diskussion über die neuen Herausforderungen des Französischunterrichts einbringen. Für die Arbeit im kulturellen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich, für das Engagement zugunsten des Erlernens der französischen Sprache und für die Erschließung einer neuen Öffentlichkeit erhielt der CMK am 22.1.2007, zusammen mit der Deutsch-Französischen Gesellschaft Bayreuth, den Prix des associations franco-allemandes, verliehen durch den damaligen französischen Botschafter Claude Martin. Der CMK ist Partner sowie Mitglied anderer Institutionen, die im deutsch-französischen Kontext arbeiten, wie z.B. das *DFI in Ludwigsburg, der Pädagogische Austauschdienst in Bonn, die *VDFG-FAFA in Mainz und die *DFH in Saarbrücken. Der CMK steht allen am deutsch-französischen Kontext interessierten Personen offen und stellt eine ideale Bühne dar, auf der die Intellektuellen beider Länder sowohl den nüchternen Blick in die Vergangenheit als auch den mutigen Blick in eine bessere europäische Zukunft wagten. Diese Zukunft hat der CMK mitgestaltet, gemeinsam mit anderen Institutionen der deutsch-französischen Zusammenarbeit, getragen von den Mitgliedern und in den letzten Jahren von zahlreichen Förderern und Firmen, wie z.B. der Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen), dem Ambassadeur de France en Allemagne und der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., Hamburg. Am 13.10.2012 erhielt der CMK den Prix *Joseph Rovan für seine fast 60-jährige Initiative für die Fort- und Weiterbildung von Französischsowie Austauschlehrern und Fremdsprachenassistenten durch Regionalseminare, Jahrestagungen und Kongresse sowie seine Förderung des Austauschs mit der frankophonen Welt. Der CMK feiert seinen 60-jährigen Geburtstag vom 30. Oktober bis 2. November 2014 mit einer Festveranstaltung an seinem Gründungsort Freiburg in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule zu Freiburg. Hans-Günter Egelhoff u.a. (Hg.), Zwei europäische Völker und ihre Identitäten im Wandel. 50 Jahre deutsch-französische Begegnungen im Prisma des Carolus-Magnus-Kreises. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des Carolus-Magnus-Kreises, 2004. Hans-Günter Egelhoff Le Carreau Forbach 150 C Le Carreau Forbach Le Carreau Forbach (L’Association artistique et théâtrale de l’est Mosellan) ist eine grenzüberschreitend arbeitende scène nationale , die ihren Schwerpunkt auf zeitgenössisches Tanztheater setzt. 1996 auf Initiative des Forbacher Bürgermeisters Charles Stirnweiss gegründet, behauptet sich das innovative Theater im deutsch-französischen Grenzgebiet als einzige scène nationale Frankreichs, die mit deutschem Publikum arbeitet. Le Carreau wird vom Staat, der Stadt Forbach, dem Syndicat intercommunal und der Region Lothringen subventioniert. Das Departement Moselle hat seine Zuwendungen für das Theater seit 2009 eingestellt. Von Beginn an bestimmt der grenzüberschreitende Gedanke das Programm von Le Carreau, das mit einer Kapazität von 750 Zuschauerplätzen die größte scène nationale Lothringens ist. Laurent Brunner, der neben seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter im Le Carreau (1996- 2002) auch zwei Jahre lang das Festival Perspectives leitete, kreierte das Festival M@rs attaque mit einem herausragenden internationalen Programm. Er initiierte am Saarlouiser Theater am Ring eine Saison des französischen Theaters, die jedoch von Nachfolger Philippe Chamaux nicht fortgesetzt wurde. Chamaux intensivierte seinerseits das Theaterangebot für junges Publikum. Durch zunehmende Kürzungen der Subventionsgelder geriet Le Carreau im Jahr 2004 in eine finanzielle Krise: Ein Sanierungsplan glich das Haushaltsdefizit erfolgreich aus, indem weniger Programmpunkte angesetzt und weniger Vorstellungen präsentiert werden. Seit 2005 revolutioniert Frédéric Simon das Programm von Le Carreau mit Marionettentheater und Straßenspektakeln, die die Theaterkultur in den alltäglichen Lebensraum der Menschen transportieren. In der Saison 2008/ 09 organisierte Simon erstmals das Straßenkunstfestival Bataille de rue in Forbach. Neben eigenen Produktionen und Co-Produktionen des Theaters gastieren jedes Jahr für ein bis drei Tage hochrangige Artisten, wie die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker oder die Inszenierungen von René Pollesch im Le Carreau. Durch Darbietung und Unterstützung von zeitgenössischem Theater und Tanz ermöglicht Le Carreau auch jungen Künstlern, ihre Werke zu veröffentlichen und auf (inter)nationaler Ebene Anerkennung zu finden. Abgesehen von der Kunstproduktion ist die Kunst- und Kulturerziehung im Hinblick auf die soziale Integration sowie die Sensibilisierung Jugendlicher für Theater eines der Hauptziele des Theaters. Attraktiv für die saarländische Bevölkerung sind die Stücke mit deutscher Übertitelung oder in deutscher Sprache, die Le Carreau zeigt, als auch Tanz-, Zirkus- und Musikdarbietungen, für die keine französischen Sprachkenntnisse erforderlich sind. Da das Programm von Le Carreau komplementär zum traditionell ausgerichteten Saarbrücker Staatstheater aufgezogen ist, beeindrucken die alternativ anmutenden Vorstellungen in Forbach das deutsche Publikum. Seit 1996 nimmt Le Carreau am Festival Perspectives der Stadt Saarbrücken teil, seit 2007 auch am Festival Primeurs, das sich der zeitgenössischen Dramaturgie widmet. Für die Verdienste des Theaters im Namen der Annäherung der deutschen und französischen Kultur wurde im Jahr 2000 an Laurent Brunner und Sylvie Hamard die Canard d’Or verliehen. Chrissie Carpentier, Le Carreau, scène nationale de Forbach et de l’est mosellan et le Grand Théâtre de Luxembourg: deux théâtres de la Grande Région face à leurs publics. Défis et enjeux transfrontaliers (Univ. Masterarbeit, Université de Luxembourg/ Université Paul Verlaine Metz) 2009. Sandra Wagner Carrez, Geneviève Die in Besançon geborene Geneviève Carrez (1909-2014) war in der Nachkriegszeit rund sieben Jahre lang in der von *Raymond Schmittlein geleiteten Kulturverwaltung der französischen Militärregierung und des Hochkommissariats in Deutschland tätig und wurde dann zur Wegbereiterin der französisch-deutschen und der europäischen Gesellschaftsbeziehungen in der Franche-Comté. Sie machte 1928 ihr Abitur und war anschließend bis 1930 in Freiburg und Stuttgart zum Zwecke des Spracherwerbs. Sie legte 1931 ihre licence d’allemand in Besançon ab und bestand 1933 ihre agrégation d’allemand in Paris. Sie promovierte über Arthur Schnitzler (1932) und war 1931/ 32 Assistentin an der Bundeserziehungsanstalt in Wien und 1934/ 35 Stipendiatin der Maison académique in Berlin. In dieser Zeit knüpfte sie Kontakte nach Polen und in die Tschechoslowakei. Von 1935 bis 1945 unterrichtete sie am Lycée Pasteur in Besançon und kehrte 1947 Castellan, Georges C 151 durch Vermittlung ihres Schwagers *Jean-Charles Moreau in das besetzte Deutschland zurück, um im Bureau de la jeunesse et de l’éducation populaire der französischen Militärverwaltung in Baden- Baden mitzuarbeiten, zu dessen Zuständigkeiten auch die affaires féminines gehörten. Nach Ablösung der Militärregierung durch das Hochkommissariat 1949 setzte sie ihre Tätigkeit in Mainz fort als Leiterin des Service des rencontres internationales bis 1954. Sie war in beiden Funktionen maßgeblich beteiligt an der praktischen Umsetzung der Konzeption soziokultureller Aufbau- und Verständigungsarbeit zwischen Franzosen und Deutschen, wie sie in der Kultur- und Jugendabteilung der französischen Besatzungsverwaltung des ersten Nachkriegsjahrzehnts entwickelt wurde. Nach ihrem Zeugnis waren für diese mehr pädagogische als politische Begegnungsarbeit die Überlegungen und Praxisformen bestimmend, die von Peuple et Culture (*Joseph Rovan) und im Umkreis des *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle (*Alfred Grosser) vorgegeben waren. In ihrer kulturpolitischen Arbeit gab es drei Zentren. Die Umerziehungsbemühungen hatten die (vom Nationalsozialismus relativ wenig vorgeformten) Jugendlichen zum Adressaten. Im Rahmen der *Jugendbeziehungen waren die dialogisch ausgerichteten Treffen zwischen jungen Deutschen und Franzosen von richtungsweisender Bedeutung, besonders solange die freie Einreise nach Frankreich (bis 1949) nicht möglich war. Ein zweiter Schwerpunkt war die Erwachsenenbildung, die in den Volkshochschulen Ansprechpartner fand und in die *Rovan die Programmsätze von Peuple et Culture einbrachte. Der dritte Handlungsbereich, dem die Dozentin Carrez mehr Bedeutung zumaß als andere Mitarbeiter der Besatzungsverwaltung war die Reorganisation und internationale Vernetzung der Frauenorganisationen. In diesem Feld war sie eng verbunden mit dem 1949 gegründeten Deutschen Frauenring und der Frauenrechtsadvokatin Theanolte Bähnisch (1899-1973) (*Schwarzer, Alice, *Frauen). Sie war unmittelbar beteiligt am Aufbau organisierter zivilgesellschaftlicher Kommunikationsstrukturen zwischen Frankreich und Deutschland und trat als Referentin der Tagung des *Arbeitskreises der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit im Mai 1957 hervor mit besonders klaren Vorstellungen über die unentbehrliche Rolle der privaten Austauschorganisationen. Die Erfahrungen und Bekanntschaften aus ihrer Tätigkeit in Deutschland wurden für Geneviève Carrez zur Grundlage ihrer vielfältigen öffentlichen Aktivitäten nach ihrer Rückkehr in den Schuldienst in Besançon ab 1954. Sie gründete dort das Comité de jumelage et d’échanges internationaux (*Städtepartnerschaften), war Vorsitzende der Association franc-comtoise de culture, Gründungsmitglied der Association européenne des enseignants und Mitglied des Mouvement européen-Franche-Comté. Joseph Jurt (Hg.), Die Franzosenzeit im Lande Baden von 1945 bis heute. Zeitzeugnisse und Forschungsergebnisse, Freiburg/ Br. 1992, S. 136-139, 154f.; Hans Manfred Bock, Private Verständigungs-Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich 1949 bis 1964 als gesellschaftliche Entstehungsgrundlage des DFJW, in: ders. (Hg.), Deutsch-französische Begegnung und europäischer Bürgersinn, Opladen 2003, S. 14- 37. Hans Manfred Bock Castellan, Georges Der an der Côte d’Azur geborene Georges Castellan (1920-2014) gehörte zu den Mittelsmännern in den Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR, die sowohl durch ihre wissenschaftlichen Arbeiten als auch in ihrem Engagement im Rahmen der Freundschaftsgesellschaft *EFA bzw. France-RDA die Anerkennungspolitik der DDR in Frankreich vor 1973 unterstützten und in dem „anderen Deutschland“ bis 1989 das bessere Deutschland sahen. Die ersten Bilder von Deutschland formten sich im Kopf von Georges Castellan durch die Erzählungen seines Großvaters über den Deutsch- Französischen Krieg von 1870/ 71; den ersten direkten Kontakt mit dem Nachbarland machte er dann im Jahre 1943, als er zur Zwangsarbeit in den ehemaligen Heinkelwerken verurteilt und nach Deutschland deportiert wurde. In Dresden und Rostock erlebte er die letzten Monate des „Dritten Reiches“ und die Befreiung durch die Rote Armee am 1.5.1945 in der Ostseestadt. Als Verfechter einer deutsch-französischen *Versöhnung reiste er in der Nachkriegszeit wiederholt durch Deutschland und verfolgte die Nürnberger Prozesse vor Ort. Nachdem sich sein Interesse an Deutschland anfangs auf die Zeit vor 1945 konzentriert hatte, wie u.a. seine Doktorarbeit „Le réarmement clandestin du Reich“ (Paris 1954) belegt, fand die Ent- Caven, Ingrid 152 C wicklung in der DDR seine besondere Aufmerksamkeit. In dieser Positionierung kam seine Ablehnung der exklusiven westdeutsch-französischen Annäherung zum Ausdruck, der er die von der DDR proklamierte „veritable Aussöhnung“ vorzog, sodass er in der Folge zu den wichtigsten französischen Ansprechpartnern des SED-Regimes wurde. Hatte er in seinem ersten Werk „DDR - Allemagne de l’Est“ (Paris 1955) noch die demokratischen Defizite in der DDR bemängelt und Parallelen zum NS-Herrschaftssystem aufgezeigt, blendete er in der Folge den Zwangscharakter des ostdeutschen Regimes nahezu aus und entwickelte sich in den 1960er Jahren zum Vater der systemimmanenten DDR-Forschung à la française , die den ostdeutschen Staat nur noch an seinen eigenen Maßstäben messen wollte. Die insgesamt positive Wertung der DDR in „La République démocratique allemande“ (Paris 1961) provozierte scharfe Reaktionen von *Alfred Grosser, der dem Autor in ironischem Grundton vorhielt, mit seinem „neutralen” und „kritiklosen” Ansatz den Anti-Antikommunisten das Wort zu reden. Sein wissenschaftliches Engagement für die DDR rief ähnlich wie bei *Gilbert Badia auch Kritik in der bundesdeutschen Botschaft in Paris sowie der westdeutschen Öffentlichkeit (u.a. Der Spiegel 10/ 1965) hervor, die ihm sein apologetisches Bild vom SED-Staat vorwarfen. In den folgenden Jahren gehörte er auf französischer Seite zu den Trägern der ostdeutsch-französischen Historikerkolloquien, die der Anerkennungspolitik dienen sollten und Teil der deutsch-deutschen Konkurrenz auf französischem Boden waren. Propagandistische Zwecke verfolgte die 1978 gemeinsam mit Roland Lenoir veröffentlichte Geschichte der *EFA „France - République Démocratique Allemande. 30 ans de relations“ (Paris 1978), die dank ihrer hagiographischen Züge aber einen wichtigen Ausschnitt eines bestimmten französischen DDR- Bildes bietet. Parallel zu seinen Veröffentlichungen und Lehrtätigkeiten als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Paris 3 sowie am INALCO gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der 1958 ins Leben gerufenen Freundschaftsgesellschaft *EFA, welcher er als Nichtkommunist mit seinem Engagement zu einer pluralistischen Fassade verhalf. Erst als Vizepräsident, dann von 1980 bis 1989 als Präsident beförderte er ein positives Bild der DDR in Frankreich, wofür er anlässlich des 25-jährigen Bestehens von France-RDA im April 1983 den Orden Stern der Völkerfreundschaft verliehen bekam und noch zu DDR-Zeiten die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität zu Berlin erhielt. Nach der Wiedervereinigung zog sich Castellan aus den deutsch-französischen Beziehungen zurück und machte sich in erster Linie einen Namen als intimer Kenner der osteuropäischen Geschichte und hier speziell des Balkans. Georges Castellan, Itinéraires allemands, Paris 1992; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004; ders., Échanges et transfert culturels malgré le rideau de fer? Les relations entre historiens français et est-allemands, in: Pierre Behar, Michel Grunewald (Hg.), Frontières, transferts, échanges transfrontaliers et interculturels, Bern 2005, S. 579-594. Ulrich Pfeil Caven, Ingrid Die 1938 in Saarbrücken geborene Ingrid Caven machte sich in Deutschland einen Namen als Schauspielerin, bevor sie nach Frankreich ging und dort als Sängerin bzw. diseuse Karriere machte. Gemeinsam mit ihrer Schwester Trudeliese Schmidt (1942-2004), der späteren Mezzosopranistin, wuchs sie in einem musikalischen Elternhaus als Kind eines Zigarrenhändlers auf. Sie studierte in München, um Lehrerin zu werden, und obwohl sie nebenbei Schauspielunterricht nahm, entschied sie sich erst nach dem abgeschlossenen Referendariat, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Sie gehörte Ende der 1960er Jahre zum Umkreis des Münchener Action-Theaters und antiteaters. Hier traf sie auf zwei Männer, die ihre künstlerische Laufbahn nachhaltig prägten: den Komponisten und Regisseur, Mitbegründer des Theaters, Peer Raben und *Rainer Werner Fassbinder. Mit ihm war sie von 1970 bis 1972 auch verheiratet. Sie spielte in zahlreichen seiner Filme („Liebe ist kälter als der Tod“, 1969; „Warnung vor einer heiligen Nutte“, 1970; „Faustrecht der Freiheit“, 1974; „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“, 1975; „In einem Jahr mit 13 Monden“, 1978), allerdings meist in Nebenrollen. Sie drehte aber auch mit anderen Regisseuren wie Daniel Schmid („Heute nacht oder nie“, 1972; „Schatten der Engel“, 1975; „Violanta“, 1977) und Werner Schroeter („Tag der Idioten“, 1981). In den 1970er Jahren ging sie, wie zeitweise auch *Fassbinder und andere west- Celan, Paul C 153 deutsche Künstler und Intellektuelle, nach Paris, um der von Terroristenfahndungen geprägten Atmosphäre in der Bundesrepublik zu entfliehen. Sie lebt bis heute in Paris. In Frankreich begann auch ihre zweite Karriere als Sängerin. 1978 trat sie zum ersten Mal in Paris auf und wurde mit ihren musikalischen Interpretationen, Chansons von Edith Piaf und *Marlene Dietrich, schlagartig als diseuse bekannt (LP „Au Pigall’s“, 1978). In der Folge erweiterte sich ihr Repertoire. Hans Magnus Enzensberger schrieb ihr Texte, sie sang aber auch Gedichte von Wolf Wondratschek, Peer Raben komponierte die Melodien. So erschien 1979 in Deutschland die LP „Der Abendstern“. Berühmt wurde außerdem ihre Bühnenrobe, ein ihr von Yves Saint Laurent auf den Leib geschneidertes schwarzes Samtkleid. In Paris lernte „la femme de *Fassbinder“ Mitte der 1970er Jahre den Schriftsteller und späteren Lebensgefährten Jean-Jacques Schuhl kennen. Er schrieb, auf Basis von Notizen *Fassbinders, den biographischen Roman „Ingrid Caven“, der im Jahr 2000 mit dem renommierten „Prix Goncourt“ ausgezeichnet wurde und sowohl den Autor als auch die Hauptfigur seines Romans einem breiteren Publikum wieder in Erinnerung rief. 2001 erschien die deutsche Übersetzung, ebenfalls unter dem Titel „Ingrid Caven“ (Verlag Eichborn). In dem Roman lässt Schuhl die deutsche Geschichte seit den 1940er Jahren anhand der Biographie Cavens in Szenen Revue passieren und kommentierte seine Vorgehensweise selbst mit dem Satz: „Dieses Buch ist eine deutsche Frau.“ Er schildert ihre Kindheit im Nachkriegsdeutschland, ihre Jugend, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, auch im Zuge der 68er Bewegung, schließlich die Begegnung mit *Rainer Werner Fassbinder und ihre spannungsreiche Beziehung, Cavens Anfänge in Paris sowie mit „Charles“, dem literarischen Alter Ego von Schuhl. In Frankreich wurde der Roman, der in einer von Schuhls Freund Philippe Sollers betreuten Reihe im Verlag Gallimard erschien, als literarische Sensation gefeiert, bot er doch einen biographisch-authentischen Blick auf das manchmal rätselhafte Nachbarland. Im selben Jahr, 2000, erschien Ingrid Cavens bisher letzte CD „Chambre 1050“. 2001 wurde sie mit dem Orden Chevalier des arts et des lettres ausgezeichnet. 2011 wurde sie vom damaligen französischen Kulturminister Frédéric Mitterrand zum Commandeur de l’ordre des arts et des lettres ernannt. Jean-Jacques Schuhl, Ingrid Caven, Paris 2000 (dt. Version Frankfurt/ M. 2001); Gabriele Presber, Die Kunst ist weiblich. Gespräche mit Hanna Schygulla, Helma Sanders-Brahms. Barbara Sukowa, Elfriede Jelinek, Karin Brandauer, Ingrid Caven u.a., München 1988, S. 210-228; Camille Nevers, Entretien avec Ingrid Caven, in: Cahiers du cinéma, 469 (1993), S. 59-61. Silja Behre Celan, Paul Der deutschsprachige Lyriker Paul Celan (1920- 1970), international anerkannt als einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts, war von 1956 bis zu seinem Tod in der *französischen Germanistik tätig. Die tragische Geschichte seiner Jugend in Czernowitz, seine Zeit der Zwangsarbeit und die Ermordung seiner Eltern durch die Nationalsozialisten sowie die ersten Nachkriegsjahre in Bukarest, wo 1947 sein berühmtes Gedicht „Todesfuge“ erschien, bilden den Rahmen für das Verständnis seines poetischen Werks, das sich explizit mit dem Erinnern und der Frage der Existenzberechtigung von Dichtung nach Auschwitz beschäftigt. Zehn Jahre nachdem Celan sein Medizinstudium in Tours aufgrund des Kriegsausbruchs im September 1939 hatte abbrechen müssen, kehrte er am 13.7.1948 im Alter von 27 Jahren nach Frankreich zurück (*Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich). Zuvor hatte er einige Monate in Wien verbracht, wo er u.a. Ingeborg Bachmann kennenlernte. In Paris lebte er zunächst von universitären Stipendien, gab Deutschkurse an der Sprachschule Berlitz sowie Privatstunden in deutscher und französischer Sprache. Zudem nahm er zahlreiche Übersetzungsaufträge an, die für ihn nicht nur eine Einnahmequelle darstellten, da das literarische Übersetzen aus unterschiedlichen Sprachen von Anfang an zu seinem Selbstverständnis als Schriftsteller gehörte. Er übersetzte beispielsweise die „Briefe an die Amerikaner“ von Jean Cocteau, sowie im Laufe seiner Jahre in Frankreich Texte von Apollinaire, Cioran, Pablo Picasso, Georges Simenon, René Char und zahlreichen anderen Autoren. An der Sorbonne legte Celan im Mai 1949 ein erstes Examen ab und schloss im Juni 1950 das Studium der Germanistik mit einer licence ab. Im darauf folgenden Jahr begann er eine Magisterarbeit zu Kafka, die er jedoch nicht beendete. Im November 1956 wurde Celan Centre culturel français (Berlin/ DDR) 154 C Lehrbeauftragter für mündliches Übersetzen an der École normale supérieure (ENS) in Saint- Cloud - dank der Vermittlung von Jean Fourquet und der Empfehlung seines Freundes Guido Meister, der dort als *Lektor tätig war. Zur gleichen Zeit übersetzte er auf Wunsch des Dichters Jean Cayrol dessen Originalkommentare des Dokumentarfilms *„Nacht und Nebel“, in dem der französische Regisseur Alain Resnais erstmals den grausamen Alltag der Konzentrationslager auf die Kinoleinwand brachte, kongenial ins Deutsche. Der Film löste 1956 eine heftige Debatte in Westdeutschland aus. Am 1.10.1959 wurde Celan schließlich *Lektor an der ENS in der Rue d’Ulm (Paris) auf Empfehlung seines Vorgängers Beda Allemann, der die Stelle von 1956 bis 1957 innehatte, und seines Kollegen *Claude David. Bis zu seinem Tod arbeitete Celan dort: Er bereitete Germanistikstudierende auf die Übersetzungsprüfung der agrégation vor und gab Sprachkurse. Seine damaligen Studenten heben rückblickend die herausragende Qualität seiner Übersetzungen sowie sein zurückhaltendes und freundliches Wesen hervor. Sie erinnern sich auch an seine profunden Kenntnisse der französischen Literatur. Celan war ein unermüdlicher Leser, der sich für die literarische Entwicklung in Deutschland und Frankreich gleichermaßen interessierte. Da er die einzige Lehrkraft für deutsche Sprache war - bis 1967 *Bernard Lortholary als agrégé-répétiteur seinen Dienst aufnahm - leitete er auch gelegentlich Arbeitsgruppen zu literarischen Texten im Rahmen des Programms der agrégation . Hierbei wählte er jene Autoren des Programms aus, die seiner Erinnerungsarbeit und seinem poetischen Werk nahe standen (wie Georg Büchner, Franz Kafka, Heinrich Heine oder Eduard Mörike). Allerdings betreute Celan insgesamt nur sehr wenige solcher Arbeitsgruppen, deren Zustandekommen von der Nachfrage der Studenten abhing. Seine berufliche Lektüre und die Vorbereitungen auf seine Übersetzungskurse bilden sicherlich einen Teil seines kulturellen und sprachlichen Fundus, aus dem er für seine Dichtung schöpfte. Während der Jahre an der ENS machte Paul Celan Bekanntschaft mit einigen Germanisten. Neben *Claude David, der zur gleichen Zeit an der ENS lehrte, gehörten auch *Pierre Bertaux und *Robert Minder dazu. 1998 wurde von Bertrand Badiou und *Jean-Pierre Lefebvre an der ENS die Forschungsgruppe Paul Celan (Unité de recherche Paul Celan) gegründet, die inzwischen an das Institut des textes et manuscrits modernes (ITEM) des CNRS angeschlossen wurde. Celan wählte 1970 den Freitod - wahrscheinlich sprang er vom Pont Mirabeau in die Seine. Jean Bollack, Paul Celan. Poetik der Fremdheit, Wien 2000; ders., L’écrit. Une poétique dans l’œuvre de Paul Celan, Paris 2003; Paul Celan, La bibliothèque philosophique - Die philosophische Bibliothek, hg. von Alexandra Richter, Patrik Alac und Bertrand Badiou, Paris 2004. Jean-Pierre Lefebvre Centre culturel français (Berlin/ DDR) Am 27.1.1984 eröffnete in der Ost-Berliner Vorzeigeallee Unter den Linden 37 das französische Kulturinstitut seine Türen, das dem französischen Außenministerium und damit direkt der Botschaft in Ost-Berlin unterstand. Das Kulturzentrum war Bestandteil des am 18.6.1980 unterzeichneten Kulturabkommens und eine Forderung Frankreichs gewesen, da sich die DDR-Seite jahrelang dagegen verweigert hatte, weil sie den Einfluss westlichen Gedankengutes auf ihre Bevölkerung fürchtete. Dieses „Schaufenster des Westens“ gehörte zu den wenigen Orten, an denen sich die Ostdeutschen unzensiert über Frankreich informieren und den Westen hautnah erleben konnten. Die Sprachkurse durch Muttersprachler, die Bücher und Tageszeitungen in der Bibliothek sowie die regelmäßigen Veranstaltungen zu politischen und kulturellen Themen sowie die Filmvorführungen fanden nach der Eröffnung schnell ein ständig wachsendes Interesse. Die DDR-Organe hatten dies vorausgeahnt und im Vorfeld aus Sorge um die nur schwer zu kontrollierende Wirkung versucht, den freien Zugang zu den Zeitungen und Zeitschriften der Bibliothek abzuwenden, sahen sie in dem Zentrum doch vor allem eine „legale Basis des Feindes“, der dort seine „Kultur und Ideologie“ verbreiten wollte. Die französische Seite war jedoch hart geblieben und hatte den ungehinderten Zugang zur conditio sine qua non für die Eröffnung gemacht. Um dieser Forderung Druck zu verleihen, hatte Außenminister Claude Cheysson sogar seine Reise nach Ost-Berlin am 1./ 2.12.1983 abgesagt und die Eröffnung des Kulturinstituts hinausgeschoben, bis die DDR schließlich nachgab. Centre d’études germaniques, Strasbourg (CEG) C 155 Trotz dieses Zugeständnisses machte sich vor allem die Stasi daran, seine Pläne, Absichten und Aktivitäten zur „vorbeugenden Verhinderung und zielstrebigen Aufdeckung des subversiven Missbrauchs dieser Einrichtung durch den Feind“ aufzuspüren. Zur besseren Kontrolle musste jeglicher Verkehr des Zentrums mit staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen zentral über das Büro für Kulturzentren (BfK) laufen. Trotz aller Kontrolle und Beschränkung entwickelte sich das Zentrum aber mehr und mehr zu einer Anlaufstelle für die Vertreter der „inneren Opposition“ und verschaffte den Intellektuellen und Künstlern über den Weg einer größeren internationalen Anerkennung mehr Spielraum für ihre Arbeit in der DDR. Weil sie im Rahmen ihrer *auswärtigen Kulturpolitik zum einen den Wunsch nach kulturellen Kontakten mit dem Ausland propagierte, durch ihren Geheimdienst aber zum anderen stets auf Abgrenzung, Einschränkung und Behinderung bedacht war, hatte sie sich in eine zwiespältige Lage gebracht, aus der es ein Entrinnen nur unter schwerem internationalen Prestige- und weiterem Legitimationsverlust bei der eigenen Bevölkerung gegeben hätte. Die SED wollte sich jedoch keinen Skandal leisten, sodass die Handhabe gegen die Besucher des Zentrums eingeschränkt blieb, was ein Zeichen dafür war, dass die Staatsorgane Mitte der 1980er Jahre keine nachhaltende Wirkung mehr erzielen konnten. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 548ff; Marco Hanitzsch, "Einverstanden, E.H.". Das französische Kulturzentrum in Ost-Berlin 1983- 1989, in: Anne Kwaschik, Ulrich Pfeil (Hg.), Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen, Brüssel 2013, S. 363-380. Ulrich Pfeil Centre d’études germaniques, Strasbourg (CEG) Das im Herbst 1921 in Mainz gegründete CEG wurde 1930 mit dem Ende der Besetzung des Rheinlandes nach Straßburg verlegt und verblieb dort bis zu seiner Schließung im Jahre 2001. Für die Dauer von 80 Jahren war es einer der zentralen Orte für die Vermittlung deutscher Geschichte und Kultur in Frankreich: Als Lehreinrichtung und Dokumentationszentrum zugleich, entwickelte es sich zu einem Forschungszentrum, welches von 1968 bis 2001 dem CNRS angehörte. Neben seiner ursprünglichen Funktion als Observationszentrum entfaltete es sich im Entwicklungsprozess der deutsch-französischen Beziehungen langsam zu einer Brücke zwischen beiden Ländern, was ihm während der kurzen Blüte der deutsch-französischen Beziehungen in der Locarno-Ära in den 1920er Jahren nicht gelungen war. Im Prozess der Annäherung beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg war das CEG ein wichtiger Akteur, zunächst vorsichtig unter Leitung des Germanisten Alfred Schlagdenhauffen gegen Ende der 1950er Jahre, entschiedener dann aber unter seinen Nachfolgern ab den 1960er Jahren. Bei seiner Gründung unter der Direktion des Germanisten Jean-Édouard Spenlé (wie die Mehrheit der Lehrenden des Zentrums zugleich Professor der Université de Strasbourg) richtete sich das CEG in erster Linie an französische Germanistikstudenten sowie an Verwaltungsangestellte der Besatzungsgebiete und Offiziere der Rheinarmee. Es wurde interdisziplinäres Wissen vermittelt, welches sich an den zeitgenössischen Gegebenheiten in Deutschland orientierte. So ließ u.a. *Edmond Vermeil seine Studenten bereits ab Ende der 1920er Jahre die Bedingungen für den Aufstieg der NSDAP untersuchen. Seine Nachfolge trat in den 1930er Jahren der Jurist René Capitant an, der sich ebenfalls durch seine Wachsamkeit gegenüber dem NS-Regime auszeichnete und dabei half, einige am CEG diplomierte Offiziere in die Résistance-Bewegung zu schleusen. Während des Krieges zog sich das CEG nach Clermont-Ferrand zurück und beschränkte sich auf seinen bloßen Fortbestand. Doch schon 1946 kehrte es unter der Leitung des Geographen Henri Baulig nach Straßburg zurück, um zwei Jahre später in die Universität eingegliedert zu werden. Sein Offizierspublikum behielt es bis Ende der 1960er Jahre und wandte sich dann verstärkt an Straßburger Studierende unter der Leitung von Jean Murat (1963-1966) und Roger Bauer (1966- 1969). Diese beiden Germanisten gaben der Einrichtung wieder eine neue Dynamik: Lehre in enger Zusammenarbeit mit Sciences Po, dem Institut für Politikwissenschaften in Straßburg (daher auch 1969 die Entscheidung wieder Teil der Université Strasbourg III zu werden), Forschung in Zusammenarbeit mit dem CNRS, Gründung und Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) 156 C Herausgabe der *Revue d’Allemagne ab 1968 und zunehmende Kooperation mit deutschen Forschern und Institutionen. Der Historiker François-Georges Dreyfus übernahm von 1969 bis 1985 die Führung einer stets interdisziplinär ausgerichteten Institution, die ihren Fokus auf die neuere und neueste Geschichte richtete. Sämtliche Nachfolger waren ebenfalls Historiker: Raymond Poidevin (1986-1988), Jean- Paul Bled (1988-1999), Michel Fabréguet (2000- 2001). Dreyfus machte aus dem CEG zudem eine Art Dienstleister für die Vermittlung von Praktika und die Durchführung von Umfragen bzw. Wahlanalysen. Im Bereich der Forschung war das CEG in vier Bereiche unterteilt (Politik, Recht, Wirtschaft, Literatur) und seit den 1950er Jahren eines der angesehensten Zentren für DDR-Studien in Frankreich. Im neuen politischen Kontext nach 1981 (Wahlsieg von Mitterrand) wurde ihm jedoch seine führende Position als Deutschlandzentrum durch das 1980 von den Regierungen in Paris und Bonn beschlossene *CIRAC in Paris streitig gemacht. Das CEG betrachtete die Neugründung weiterer Forschungszentren mit Deutschlandbezug wie das *Centre Marc Bloch und das *CIERA mit Argwohn. Mit seinem erweiterten Lehrangebot und umgestalteten Forschungsschwerpunkten (insbesondere bezüglich der deutschen Wiedervereinigung) wurde das CEG bis 1998 vom CNRS sehr geschätzt. Die weitere Entwicklung wurde jedoch sehr kritisch verfolgt, wollte das CEG doch nur ein „Observatorium“ für Deutschland sein, obwohl die Ära der deutsch-französischen Kooperation auch in der Forschung längst begonnen hatte. Im Jahre 2001 verlängerte das CNRS seinen Vertrag mit dem CEG nicht, sodass es auch als universitäre Einrichtung nicht weiter betrieben werden konnte und seine Türen 2002 endgültig schließen musste. Corine Defrance, avec la collaboration de Christiane Falbisaner-Weeda, Sentinelle ou pont sur le Rhin? Le Centre d’études germaniques et l’apprentissage de l’Allemagne en France (1921-2001), Paris 2008. Corine Defrance, Christiane Falbisaner-Weeda Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) Das Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) ist ein unabhängiges Forschungs-, Fachinformations- und Dokumentationszentrum über das heutige Deutschland. Es wurde 1982 im Anschluss an eine gemeinsame Erklärung des französischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundeskanzlers anlässlich der 37. Deutsch-Französischen Konsultationen (Paris, 5./ 6.2.1981) gegründet. Das CIRAC ist seit 2001 als rechtlich unabhängiges Institut an der Universität Cergy-Pontoise angesiedelt. In diesem Rahmen wurde hier u.a. der Masterstudiengang „Commerce et partenariats franco-allemands“ in Zusammenarbeit des Fachbereichs Moderne Fremdsprachen und des CIRAC als unterstützendem Forschungsinstitut gegründet. Kernauftrag des CIRAC ist, in Frankreich eine umfassende Kenntnis des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehens in Deutschland zu vermitteln - als Baustein für die europäische Integration. Als Kompetenzzentrum für Deutschland und die deutsch-französischen Beziehungen im europäischen Integrationsprozess versteht sich das CIRAC als Plattform für den Dialog und den interkulturellen Wissenstransfer zwischen den politischen und wirtschaftlichen Akteuren beider Länder. Entscheidungsträgern in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft sowie einer an Deutschland interessierten Fachöffentlichkeit bietet das CIRAC praxisnahe und aktualitätsbezogene Forschungsergebnisse und Expertisedienstleistungen. Als unabhängige Forschungseinrichtung betreibt das CIRAC systemvergleichende Analysen und bietet Wissenschaftlern in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern eine Plattform für Austausch, Netzwerkbildung und Nachwuchsförderung. Das Zentrum wird vom französischen Bildungs- und Forschungsministerium finanziell unterstützt und von einem wissenschaftlichen Beirat und einem Verwaltungsrat geführt. Beide Gremien sind mit Hochschullehrern, Fachleuten und Vertretern des französischen Staates besetzt. Der Präsident des Verwaltungsrates des CIRAC ist seit 1986 *Alfred Grosser (zuvor: *Pierre Bertaux). Seit seiner Gründung ist René Lasserre der Direktor des Zentrums. Das CIRAC beschäftigt sechs ständige Mitarbeiter und arbeitet regelmäßig mit externen Fachleuten und Forschern zusammen. Es unterhält ein enges Netzwerk von Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Verbän- Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) C 157 den und anderen Institutionen in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern und ist Gründungsmitglied des *CIERA, das einen Forschungsverbund von französischen Hochschul- und Forschungseinrichtungen bildet, die sich mit zeitgenössischen Deutschlandstudien befassen. Neben der Organisation von wissenschaftlichen Kolloquien und Tagungen ist das CIRAC Herausgeber der Buchreihe „Travaux et Documents du CIRAC“ und zweier regelmäßig erscheinender Zeitschriften: Das heute nur online verfügbare Informationsbulletin *„CIRAC-Forum. Bulletin pour la coopération franco-allemande dans les sciences humaines et sociales“ (seit 1988), das vier Mal im Jahr erscheint, sowie die Wirtschaftsfachzeitschrift *„Regards sur l’économie allemande. Bulletin économique du CIRAC“ (seit 1991). Werner Zettelmeier Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) Das Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) ist ein interdisziplinäres Zentrum für Deutschlandstudien und -forschung mit geistes- und sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt mit dem Ziel, die französische Deutschlandforschung und die universitäre Kooperation besser zu strukturieren. Seine Gründung wurde durch das Weimarer Abkommen von 1997 angeregt und 2001 in Paris vollzogen. Es ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und gehört zum internationalen Netz der Deutschlandstudienzentren des *Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD); vergleichbare Institutionen befinden sich u.a. in den Niederlanden, Polen, China und den USA. Seit seiner Gründung wird es vom Ministère de l’enseignement supérieur et de la recherche, dem *DAAD und den eigenen Mitgliedsinstitutionen gefördert. Die Spezifik des CIERA liegt in der Struktur des Netzwerks, das die Ausbildungs- und Forschungsaktivitäten seiner Mitglieder und weiterer Partner koordiniert, verknüpft und ergänzt. Dem Verbund haben sich elf französische Forschungseinrichtungen und Hochschulen in den Großräumen Paris und Rhône- Alpes angeschlossen, zu denen einige der renommiertesten französischen Wissenschaftsinstitutionen gehören: das *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC), die École des hautes études en sciences sociales (EHESS), die École normale supérieure (ENS), die Fondation Maison des sciences de l’homme (FMSH), die Université de Cergy-Pontoise, die Université Paris-Sorbonne (Paris IV), die Université Paris I-Panthéon-Sorbonne, École normale supérieure de Lyon (ENS de Lyon), die Université Lumière Lyon 2 und das Institut d’études politiques de Grenoble. Darüber hinaus wirken assoziierte Zentren im Netzwerk mit. Dank dieser Struktur ist am CIERA ein außerordentlich breites Spektrum geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer vertreten. Zu den prioritären Aufgaben des CIERA gehört die Heranbildung einer neuen Generation von Deutschlandexperten und -forschern, die interdisziplinär arbeiten und in einem kontinuierlichen und facettenreichen deutschfranzösischen Dialog in der Wissenschaft sowie in der kulturellen und wirtschaftlichen Kooperation wirken. So bietet das CIERA Master- und Doktorandenprogramme an, welche die Integration des Nachwuchses in die interdisziplinäre Deutschlandforschung fördern; es organisiert kooperative Forschungs- und Ausbildungsprogramme mit Seminaren, Workshops und Kolloquien, schreibt Stipendien für Forschungsaufenthalte und Praktika in Deutschland aus und vergibt thematisch gebundene Mittel für deutsch-französische Forschungsprojekte mit sozial- und kulturwissenschaftlicher Fragestellung. Die künftigen Deutschlandspezialisten erhalten bei ihren wissenschaftlichen Vorhaben sowohl fachliche und didaktisch-methodische Unterstützung als auch praktische Hilfestellung (z.B. hinsichtlich der Organisation einer erfolgreichen cotutelle ). Zudem eröffnet das CIERA Räume für einen impulsgebenden Austausch und Wissenstransfer in Form von Juniorkolloquien. Der Zugang zu den sehr nachgefragten Angeboten des CIERA steht Studierenden und Nachwuchsforschern aller europäischen Hochschulen offen. Auch die Nachbetreuung - Aufbau eines Alumni-Netzwerkes - ist Bestandteil der Arbeit des Centre. Einem breiteren Publikum zugänglich sind neben Kolloquien zu aktuellen Themen unter Beteiligung deutscher, französischer und europäischer Experten z.B. Publikationen in der Reihe „Dialogiques“ oder Dokumentationsangebote wie „Germano-Fil“, ein Leitfaden für Internetquellen zu den deutschsprachigen Ländern. Das CIERA strebt an, verstärkt deutsche Kooperationspartner einzubinden sowie seine Unter- Centre Marc Bloch (CMB) 158 C stützung für kooperative fächer- und länderübergreifende Forschung auszubauen. In diesem Sinne trägt das CIERA beispielhaft zum Aufbzw. Ausbau eines europäischen Forschungsraums bei. DAAD-Magazin online 7/ 2011; Klaudia Knabel, Frankreich investiert in seine Zukunft, Bericht der Außenstellen 2010, DAAD Bonn 2011. Stefanie Neubert Centre Marc Bloch (CMB) Die Ursprünge des Centre Marc Bloch (CMB) sind untrennbar mit den Veränderungen in Mittel- und Osteuropa nach 1989 verbunden. Bereits am 22.8.1990, also noch vor der deutschen Vereinigung, schlug die Regierung von Michel Rocard die Gründung eines Instituts für Zeitgeschichte vor, das den Wandel in Osteuropa direkt und vor Ort beobachten sollte. Schließlich gab Präsident François Mitterrand die Gründung einer solchen Institution auf dem Weimarer Gipfeltreffen (20.9.1991) bekannt. Das Projekt war gemeinsam von Mitarbeitern des französischen Außenministeriums, des Forschungs- und des Erziehungsministeriums sowie des CNRS ausgearbeitet worden. Die Vorarbeiten mündeten in die Eröffnung des CEFRES in Prag, des Collegium Budapest und des CMB in Berlin. Verworfen wurde dabei die Idee, eine Institution nach dem Vorbild des *DHI Paris zu gründen. Man entschied sich vielmehr für ein interdisziplinäres deutschfranzösisches Forschungszentrum, das anfangs den Namen Centre franco-allemand de recherches en sciences sociales erhielt und seine Arbeit offiziell am 1.10.1992 aufnahm. Zum ersten Direktor wurde der ehemalige Leiter der Mission historique française in Göttingen (*Institut français d’histoire en Allemagne), *Étienne François, ernannt, dem als Stellvertreter der Anthropologe Emmanuel Terray zur Seite stand. Seine deutsch-französische Komponente erhielt das Centre mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung mit der Max- Planck-Gesellschaft, seiner Integration in ein Graduiertenkolleg, durch die Übernahme von Räumen, die vom Berliner Senat und anschließend von der Humboldt-Universität zur Verfügung gestellt wurden, sowie durch die Unterstützung durch das Berliner Wissenschaftskolleg. Seinen heutigen Namen bekam das Centre anlässlich seiner offiziellen Einweihung am 8.9.1994. Die Person von Marc Bloch, die bereits 1992 ins Spiel gebracht worden war, drängte sich umso eindeutiger auf, da der Verwaltungsrat der Universität Straßburg II es im Mai 1994 abgelehnt hatte, die Universität nach dem Mitbegründer der „Annales“ und ermordeten Widerständler zu benennen. Zu diesem Zeitpunkt waren 18 Forscher dem CMB angeschlossen, 1995 zählte man bereits 27. Zugleich vergibt das CMB Stipendien an Doktoranden und betreut auch solche, die ihre Finanzierung selber eingeworben haben. Die Forscher aus den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften stehen für den interdisziplinären Charakter des CMB, den die Gründungsväter beabsichtigt hatten und der auch bei der Wahl der Direktoren zum Ausdruck kam. Die Philosophin Catherine Colliot-Thélène folgte *Étienne François im Jahre 1999; danach übernahm die Politologin Pascale Laborier die Leitung, bevor der Historiker Patrice Veit 2010 die Direktorenstelle übernahm. Heute ist das CMB dem französischen Außenministerium, dem Forschungs- und Erziehungsministerium, dem CNRS sowie dem bundesdeutschen Forschungsministerium zugeordnet, das drei Forscher und einen stellvertretenden Direktor finanziert. Im wissenschaftlichen Beirat sitzen zu gleichen Teilen französische und deutsche Forscher. Über 70 Forscher und Doktoranden gehören über verschiedene Anbindungsmodalitäten zum CMB; darüber hinaus verfügt es über ein dichtes Netz von Ehemaligen, die mittlerweile in unterschiedlichen europäischen Wissenschaftsinstitutionen tätig sind und neben den zahlreichen internationalen Forschungsprojekten für den Erfolg des Centre sprechen. Nicolas Beaupré, Le Centre Marc Bloch de Berlin. Du projet à la réalisation, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutschfranzösische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 367-380; Christian Connan, Deux ou trois choses que je sais du Centre Marc Bloch, in: Peter Schöttler, Patrice Veit, Michael Werner (Hg.), Plurales Deutschland - Allemagne plurielle, Göttingen 1999, S. 11-17. Nicolas Beaupré Chéreau, Patrice Der in Paris geborene und aufgewachsene Theater-, Opern- und Filmregisseur Patrice Chéreau (1944-2013) zählte nicht allein zu den bedeu- Cheval, René C 159 tendsten Bühnenkünstlern des 20. Jahrhunderts, sondern kann auch als einer der zentralen Akteure des deutsch-französischen Theatertransfers bezeichnet werden. 1993 wurde ihm die Goethe-Medaille sowie der Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland verliehen. Chéreaus Theaterkarriere begann in der Theatergruppe des Lycée Louis-le-Grand, wo er Jean- Pierre Vincent kennenlernte. Rasch gelang es der Compagnie Vincent-Chéreau sich einen Namen zu machen: Sie spielte in den Theaterlaboratorien der Banlieues bei *Bernard Sobel (in Gennevilliers) sowie Gabriel Garran (in Aubervilliers), 1964 lud *Jack Lang sie auf das Festival de Nancy ein. 1966 bot Claude Sévenier, der Leiter des Théâtre municipal de Sartrouville, Chéreau den Posten des Kodirektors an. Nur zwei Jahre später sah sich Chéreau jedoch gezwungen, aufgrund finanzieller Misswirtschaft die Leitung des Theaters wieder aufzugeben. Er ging nach Italien und arbeitete dort vier Jahre mit Giorgio Strehler am Piccolo-Theater. Als studierter Germanist interessierte sich Chéreau bereits früh für die deutsche Dramatik: Für seine Inszenierung der „Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz gewann er 1967 den Concours des jeunes compagnies; 1972 brachte er Alban Bergs Oper „Lulu“ (nach Frank Wedekind) in Mailand auf die Bühne. Tankred Dorst‘ Stück „Toller“ interpretierte er gleich dreimal. 1972 holte ihn Roger Planchon an das Théâtre national populaire in Villeurbanne und machte ihn zu seinem künstlerischen Kodirektor. Trotz zahlreicher Beziehungen zu Theatern in Deutschland, so zur Berliner *Schaubühne, erlebte Chéreau seinen endgültigen Durchbruch in Deutschland als Opernregisseur: mit seinem „Jahrhundertring“ in Bayreuth zum 100-Jahre-Jubiläum der Festspiele, der zwischen 1976 und 1980 unter der musikalischen Leitung von *Pierre Boulez aufgeführt wurde. Die anfängliche Empörung über die ungewöhnlich freie Interpretation wandelte sich mit der Zeit in Begeisterung. 1982 übernahm Chéreau (gemeinsam mit Catherine Tasca) die Leitung des Théâtre des Amandiers in Nanterre, das er bis 1990 leitete. Hier pflegte er weiterhin seine Kontakte zu deutschen Bühnen; u.a. war *Luc Bondy als Regisseur ein gern gesehener Gast. Darüber hinaus kommt Patrice Chéreau mit seiner „Quartett“-Inszenierung aus dem Jahr 1985 aber auch eine wichtige Bedeutung in der französischen Rezeption von *Heiner Müller zu. Ende der 1980er Jahre verkündete Chéreau seinen Abschied vom Theater, um sich fortan ganz der Filmarbeit zu widmen. Wenngleich er dies nicht einhielt - so inszenierte er u.a. die französische Erstaufführung von Botho Strauß‘ „Die Zeit und das Zimmer“ 1991 am Théâtre de l’Odéon in Paris - ging seine Tätigkeit am Schauspiel zwischen 1988 und 2003 merklich zurück, auch zugunsten seiner Operninszenierungen. Nach 2005 widmet er sich verstärkt wieder der Bühnenarbeit, wobei ein besonderes Interesse an deutscher Dramatik jedoch nicht mehr festzustellen war. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Cheval, René Der in Besançon als Sohn eines Grundschullehrerehepaars geborene René Cheval (1918-1986) war ein französischer Germanist, der eine bedeutende Rolle in der deutsch-französischen kulturellen Zusammenarbeit zwischen 1945 und 1973 gespielt hat. Als agrégé d’allemand wurde er im Juli 1945 zum Hochschulkontrolloffizier der damaligen französischen Militärregierung in Würtemberg- Hohenzollern ernannt. Er sollte den Entnazifizierungsprozess in der Universität Tübingen kontrollieren, der auch nach der Wiedereröffnung der Universität im Oktober 1945 fortgesetzt wurde. Dazu unterstützte er insbesondere die von reformistischen Professoren wie dem künftigen SPD- Politiker *Carlo Schmid geforderte Erneuerung und Demokratisierung des Studiums. Zu den von ihm durchgeführten Reformen zählte die Verpflichtung für die neuen Studenten, zunächst ein Jahr im Rahmen von Propädeutikkursen zu studieren, um eine breitere Allgemeinbildung zu erwerben. Was aber René Cheval dauerhaft zu einem Kulturvermittler machte, war die Wiederbelebung des akademischen Austausches in Tübingen. Anfang 1946 wurde ein Auslandsamt in der Universität eröffnet und bereits im Sommer 1946 konnten ca. 300 junge Franzosen und 200 Deutsche sechs Wochen gemeinsam verbringen. Diese Maßnahmen griffen der 1948 beginnenden Nor- Christadler, Marieluise 160 C malisierung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen voraus. Die Neuorganisation der französischen Besatzung bot René Cheval dann die Chance, seine Kontrolltätigkeit gegen eine kulturdiplomatische Mission einzutauschen. So übernahm er im Oktober 1948 die Leitung des Tübinger Centre d’études françaises. Dabei gelang es ihm, ein auf Kooperation und Komplementarität gründendes Verhältnis zum Romanischen Seminar der Universität aufzubauen. Nur zwei Jahre später wurde René Cheval zum Gründungsdirektor des regional bedeutsamen *Institut français in Stuttgart berufen. Dank finanzieller Unterstützung des französischen Hochkommissariats empfing das Institut in kürzester Zeit eine große Zahl von Gästen, die sowohl Sprachkurse und Konferenzen als auch Konzerte, Theateraufführungen, Filmvorführungen sowie Ausstellungen besuchten. Seit 1953 setzte René Cheval seine Karriere als Kulturdiplomat in Drittstaaten fort, zunächst als Kulturattaché in New York (1953-1955), später als Kulturrat der französischen Botschaft in Stockholm (1957-1960) und schließlich als Kulturrat in Warschau (1961-1963). In dieser Zeit verfasste er gleichzeitig seine Habilitationsschrift über „Romain Rolland, Deutschland und den Krieg“, die 1963 veröffentlicht wurde und bis heute als Referenzwerk gelten kann. Aufgrund dieser Arbeit erhielt René Cheval 1963 einen Lehrstuhl als Professor für Germanistik an der Universität Rennes. Auch als Germanist hat er sich für die deutsch-französische Annäherung engagiert, etwa mit Artikeln in Zeitschriften wie *„Allemagne d’aujourd’hui“ und *„Documents“. René Cheval ordnete sich zu dieser Zeit der politischen Linken zu, trotzdem bewunderte er in den 1960er Jahren de Gaulle als Vorreiter der deutschfranzösischen *Versöhnung. Seine Ernennung zum Kulturrat der französischen Botschaft in Bonn 1966 war für ihn der Höhepunkt seiner Karriere. Er begleitete maßgeblich die Entwicklung des 1963 geschaffenen *DFJW und beteiligte sich auch an der bilateralen Kooperation im Bereich von Erziehung und *Jugendbeziehungen. Insbesondere plädierte er für den Ausbau des Unterrichts der Partnersprache in beiden Ländern. Aufgrund der eingeschränkten Kompetenzen der Bundesregierung in schulischen Fragen konnten jedoch keine spektakulären Fortschritte erzielt werden. Dennoch konnte er in dieser Zeit die Einführung von bilingualem Unterricht in einigen Schulen der beiden Länder erwirken, sodass 1972 das deutsch-französische Abitur (*Deutsch-Französische Gymnasien) eingeführt werden konnte. In seiner Funktion als Verantwortlicher für die zahlreichen französischen öffentlichen Kulturinstitutionen in Deutschland war er maßgeblich an der „Restrukturierung der französischen Kulturmission in Deutschland“ beteiligt. Er versuchte diese Aufgabe zu nutzen, um die Effizienz und die Reziprozität im Kulturaustausch zu steigern. Das Hauptziel war eine gleichmäßigere geographische Verteilung der *Instituts français in Deutschland sowie eine verstärkte Kooperation mit deutschen Partnerinstitutionen. Seit Beginn der 1970er Jahre verbargen sich aber hinter der „Restrukturierung“ verstärkt auch Sparmaßnahmen des französischen Außenministeriums, gegen die René Cheval protestierte. Diese Entwicklung trug vermutlich auch dazu bei, dass er seinen Bonner Posten 1973 aufgab und sich an die französische Botschaft in Wien versetzen ließ, wo er seine letzen Dienstjahre (bis 1978) verbrachte. In den 1970er Jahren hat René Cheval zudem mehrere französischsprachige Darstellungen über das Deutschland seiner Zeit geschrieben, in denen er die bundesdeutsche Gesellschaft als eine „im Westen“ verankerte und stabile Gesellschaft darstellte. Schließlich lässt sich die Frage stellen, ob ein Gesandter des französischen Staates in Deutschland als ein deutsch-französischer Vermittler bezeichnet werden kann. Im Sinne der Mittler-Definition von Hans Manfred Bock war René Cheval kein Gründer oder Vordenker, aber zweifellos ein erfolgreicher Organisator und Multiplikator des Kulturaustauschs zwischen beiden Ländern. Hans Manfred Bock, Créateurs, organisateurs et vulgarisateurs. Biographies de médiateurs socio-culturels entre la France et l’Allemagne au XX e siècle, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 33 (2001) 4, S. 453-467; René Cheval, Le Coq et l’Aigle, Bern 1990; Matthieu Osmont, René Cheval (1918-1986), itinéraire d’un médiateur franco-allemand, in: Relations internationales 126 (2006), S. 31-51. Matthieu Osmont Christadler, Marieluise Die in Düsseldorf geborene Marieluise Christadler (1934-2006) gehörte zu den zu ihrer Zeit seltenen Vertretern der Frankreichforschung, die nicht nur interdisziplinär und vergleichend arbeiteten, sondern auch kulturelle bzw. kultur- CIRAC-Forum C 161 wissenschaftliche Themen berücksichtigten. Nach einem Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Romanistik in Tübingen, und einem Studienaufenthalt am Centre d’études européennes in Nancy, legt sie ihr erstes und zweites Staatsexamen ab und arbeitet danach an einem Tübinger Gymnasium. 1970 veröffentlichte sie mit Hans Frevert das von Helmut Gollwitzer eingeleitete Lesebuch „Masken des Krieges“ ; 1977 promovierte sie in Frankfurt mit einer Arbeit zu Kriegserziehung in Deutschland und Frankreich vor 1914, die im Jahr darauf unter dem Titel „Kriegserziehung im Jugendbuch. Literarische Mobilmachung in Deutschland und Frankreich vor 1914“ erschien und schon im Jahr darauf eine zweite Auflage erlebte. Aufgrund ihres damit sichtbar gewordenen kulturwissenschaftlichen (und diskursanalytischen) Profils erfolgte 1979 ihre Berufung auf eine Professur für politikwissenschaftliche Didaktik an der GHS Duisburg, die sie bis zu ihrer Emeritierung innehatte und inhaltlich auf Frankreich ausrichtete. Von 1981 bis 1990 veröffentlichte sie drei Sammelbände, die ihre Forschungsschwerpunkte erkennen lassen: „Deutschland - Frankreich: alte Klischees, neue Bilder“ (1981), „Die geteilte Utopie: Sozialisten in Frankreich und Deutschland“ (mit einem Vorwort von *Alfred Grosser, 1985) und „Freiheit, Gleichheit, Weiblichkeit: Aufklärung, Revolution und die Frauen in Europa“ (1990), d.h. es geht um die Eigen- und Fremdwahrnehmung, aber auch um das Selbstverständnis und die gegenseitige Wahrnehmung der politisch-kulturellen Mittler, um mit Hilfe von Doppelbiographien „geteilte“ Utopien von Sozialdemokraten und Sozialisten im 20. Jhdt. und um die historisch-soziologische und vergleichende Erforschung der *Frauenbewegung, wobei Frauenpolitik und politische Kultur (in Frankreich) aufeinander bezogen werden. Ein weiterer Bereich, in dem Marieluise Christadler eine deutsche Pionierin war, sind ihre Aufsätze zur Nouvelle Droite in Frankreich, insbesondere zu Alain de Benoist. Angefangen mit einem Beitrag zu einem von Iring Fetscher herausgegebenen Sammelband (1983) stellen mehrere dem philosophisch-politischen Diskurs des neuen rechten Denkens gewidmete Studien einen wichtigen Beitrag zur Intellektuellenforschung dar. Wenn es einen Schlüsselbegriff für die Arbeiten von Marieluise Christadler gibt, so ist es jener der „politischen Kultur“, lange bevor dieser Konjunktur hatte. Das Konzept der „politischen Kultur“ liegt auch dem inzwischen dank mehrerer Neuauflagen zum Standardwerk gewordenen, mit Henrik Uterwedde herausgegebenen „Länderbericht Frankreich: Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft“ (1999) zugrunde, zu dem sie bezeichnenderweise ein Beitrag mit dem Titel „Frankreichs politische Kultur auf dem Prüfstand“ beisteuerte. Ein wichtiger Teil der Wirkung und Ausstrahlung Marieluise Christadlers beruhte auf ihrem Engagement in Netzwerken. Dies gilt sowohl für institutionelle Vernetzungen als auch für ihr Engagement für junge Wissenschaftlerinnen. Frauenforschung und ihre Förderung waren für sie nicht nur eine wichtige Thematik, sondern auch ein persönliches Anliegen. Marieluise Christadler zählte 1988 zu den Gründungsmitgliedern des *Deutsch-französischen Historikerkomitees, beteiligte sich von Beginn an aktiv an den seit 1985 vom *Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg organisierten Frankreichforscher-Tagungen und gehörte (bis zu ihrem Tode als einzige Frau) zu den Herausgebern des *„Frankreich Jahrbuchs“. Dabei hat ihr Engagement, in diesem wichtigsten Periodikum der deutschen Frankreich-Forschung auch andere als politik- und sozialwissenschaftliche Themen zu berücksichtigen, maßgeblich dazu beigetragen, dass es seit mehr als 25 Jahren auch eine kulturwissenschaftliche Frankreichforschung gibt. Dietmar Hüser, Henrik Uterwedde, Politische Kulturen im deutsch-französischen Spannungsfeld. Zum wissenschaftlichen Werk Marieluise Christadlers, in: Frankreich Jahrbuch 2006, Wiesbaden 2007, S. 227-255 (mit Bibliographie). Wolfgang Asholt CIRAC-Forum Bulletin d’information pour la coopération franco-allemande dans les sciences humaines et sociales Das seit Ende 1987 vom *CIRAC herausgegebene CIRAC-Forum dient der Zusammenstellung und Verbreitung von aktuellen Informationen über Forschungsarbeiten und -projekte, wissenschaftliche Begegnungen, Fördermöglichkeiten und Veröffentlichungen, die einen Bezug zum Partnerland haben oder in Zusammenarbeit mit Wissenschaft- Cloos, Hans Peter 162 C lern aus dem anderen Land durchgeführt wurden. Das Bulletin hat eine Verbindungs- und Vermittlerfunktion mit dem Ziel, einen regelmäßigen und ständigen Austausch zwischen den an der deutschfranzösischen Kooperation in den Geistes- und Sozialwissenschaften interessierten Experten, Wissenschaftlern und Studierenden beider Länder anzuregen, zu begleiten und zu entwickeln. Das Bulletin erscheint in französischer Sprache und kann seit seiner Umstellung im Jahre 2004 auf ein online verfügbares Dokument im kostenlosen Abonnement bezogen werden. Dirk Petter, Auf dem Weg zur Normalität. Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München 2014, S. 300ff. Werner Zettelmeier Cloos, Hans Peter Der in Stuttgart geborene und in Paris lebende Regisseur Hans Peter Cloos ist seit den 1970er Jahren ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der deutschsprachigen Dramatik und dem französischen Theater. Aufgewachsen in Stuttgart, ging Cloos nach ersten Erfahrungen in New York bei der Theatertruppe La Mama und dem Living Theatre auf die Schauspielschule der Münchner Kammerspiele. Aus Protest gegen die aus seiner Sicht verstaubten Stadttheaterstrukturen in Deutschland gründete er gemeinsam mit einigen anderen Schauspielern zu Beginn der 1970er Jahre das Theaterkollektiv Rote Rübe, das in der Folgezeit zu einer der wichtigsten freien Gruppen in Deutschland avancierte und auf seinen Tourneen auch nach Frankreich kam. Dort war die Truppe u.a. im *Théâtre national de Strasbourg und, eingeladen von *Jack Lang, auf dem Festival de Nancy zu sehen. Nach Auflösung der Gruppe drehte Hans Peter Cloos zunächst - gemeinsam mit u.a. *Rainer Werner Fassbinder, *Volker Schlöndorff und Edgar Reitz - den Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ (1978). 1979 wurde Hans Peter Cloos dann von Peter Brook an das Théâtre des Bouffes du Nord eingeladen, wo er auf Deutsch die „Dreigroschenoper“ inszenierte. Es wurde sowohl ein Publikumsals auch Kritikererfolg und Cloos erhielt für sein Regiedebüt den begehrten Prix de la critique. In den 1980er Jahren folgten eine ganz Reihe von wichtigen Inszenierungen an großen Theatern, mit denen sich Cloos auch als Entdecker neuer Autoren aus dem deutschsprachigen Raum einen Namen machte. So präsentierte er verschiedene Stücke von Herbert Achternbusch: 1981 „Susn“ in Avignon und 1988 „Mon Herbert“ im Odéon. Ein großer Erfolg war auch „Mercedes“ von Thomas Brasch, das er 1985 am TNP in Villeurbanne sowie in Paris am Théâtre de la Ville im Rahmen des Festival d’Automne inszenierte, sowie 1982/ 83 „Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marieluise Fleißer am Théâtre de la Commune in Aubervilliers (*Deutsches Theater in Frankreich). Ein weiterer Autor, der durch Hans Peter Cloos eingeführt wurde, ist Harald Müller, der in den 1970er und 80er Jahren in Deutschland zu den vielgespielten Autoren zählte. Neben diesen Neuentdeckungen brachte Cloos auch Stücke von Ödön von Horváth, Elfriede Jelinek, *Heiner Müller und Max Frisch auf die Bühne. Während Cloos ursprünglich dem französischen théâtre public zugeordnet wurde, hat er sich seit der Jahrtausendwende zunehmend auf Inszenierungen mit Starbesetzung (so beispielsweise mit Charlotte Rampling, Thierry Lhermitte, Sylvie Testud oder Claude Rich) im théâtre privé spezialisiert. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Cohn-Bendit, Daniel „Wir sind alle deutsche Juden“ skandierten am 22.5.1968 französische Studenten im Quartier Latin in Paris, um gegen das Einreiseverbot zu demonstrieren, das der Innenminister gegen Cohn- Bendit verhängt hatte. Solidarität wurde ihm zeitgleich auch in der Bundesrepublik Deutschland zuteil, wo Demonstranten mit einem Sitzstreik vor dem Schlagbaum an der Grenze bei Saarbrücken seine Rückreise nach Frankreich zu erzwingen versuchten. Der 1945 in Montauban geborene Daniel Cohn-Bendit war 23 Jahre alt, als er 1968 zur Symbolfigur der 68er Bewegung in Frankreich und Deutschland wurde. Geboren als zweiter Sohn des aus NS- Deutschland nach Paris geflohenen Rechtsanwalts Erich Cohn-Bendit, der nach der Besetzung Paris’ durch deutsche Truppen mit seiner Frau Herta und seinem ersten Sohn, Gabriel, Zuflucht in Montauban gefunden hatte, ist Daniel Cohn-Bendit in Deutschland zur Schule gegangen, bevor er 1967 in Nanterre mit dem Studium der Soziologie begann. Er hat sein Abitur auf der Odenwald- Cohn-Bendit, Daniel C 163 schule (nahe Heppenheim) absolviert, einem 1910 im Geist der reformpädagogischen Bewegung gegründeten Internat, das antiautoritäre Erziehung propagierte und praktizierte. Seine Chuzpe, gegen Autoritäten und hierarchische Strukturen aufzubegehren, sowie seine Kenntnis linksradikaler Positionen und Taktiken, vermittelt durch seinen Lehrer Ernest Jouhy, einem dissidenten Kommunisten, und seinen Bruder Gabriel, der zum Umkreis der ex-trotzkistischen Gruppe „Socialisme ou barbarie“ gehörte, trugen mit dazu bei, ihn zum Sprecher einer undogmatischen Neuen Linken zu machen, in dem die Medien den Geist von 1968 verkörpert glaubten. Sein unerschrockener Blick in Konfrontation mit einem Repräsentanten des Gewaltmonopols, festgehalten in einer Momentaufnahme im Mai 68, verlieh der antiautoritären Revolte ein Gesicht, rückte als zeittypisches Dokument in die Geschichtsbücher. Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. Hannah Arendt erinnerte Cohn-Bendit im Mai 1968 daran, als sie ihm schrieb, ganz sicher zu sein, „daß Deine Eltern, und vor allem Dein Vater, sehr zufrieden mit Dir sein würde, wenn sie noch lebten“ (Young-Bruehl). Mit Walter Benjamin, Heinrich Blücher und Kurt Blumenfeld gehörte sie zum Pariser Exil-Freundeskreis von Herta und Erich Cohn-Bendit. Gewarnt durch einen hohen Beamten, war es Erich Cohn-Bendit nach dem Reichstagsbrand am 28.2.1933 gelungen, sich durch Flucht nach Frankreich seiner Festnahme zu entziehen. Erst 1952 kehrte er als Anwalt nach Frankfurt/ M. zurück. Die Stadt am Main wurde nach dem Mai 1968 auch zur Wahlheimat Daniel Cohn-Bendits, dem die Einreise nach Frankreich zehn Jahre lang verwehrt blieb. Er setzte sein Soziologiestudium an der Frankfurter Universität fort und engagierte sich in der Kinderladen-Bewegung. Nach dem Zerfall des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der zentralen Trägergruppe der deutschen Studentenbewegung und Außerparlamentarischen Opposition (APO), wurde er zum Mitbegründer der Gruppe Revolutionärer Kampf, der u.a. auch Joschka Fischer angehörte. Die Gruppe war Teil der Frankfurter Sponti-Szene, die mit Hausbesetzungen, Straßenkämpfen und Agitation in den Betrieben (Opel und Höchst) eine Transformation der Gesellschaft herbeizuführen versuchte. Zum zentralen Forum der Szene avancierte das alternative Stadtmagazin „Pflasterstand“, dessen Redakteur und Herausgeber Cohn-Bendit von 1976 bis 1990 war. Seit 1984 Mitglied der Partei Die Grünen, wurde er 1989 unter einem rot-grünen Magistrat ehrenamtlicher Leiter des neu geschaffenen Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/ M. Er setzte sich für die „Anerkennung der Wirklichkeit“ einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft, für die Integration der Migranten sowie für eine offizielle und offensive Einwanderungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ein. 1994 als Abgeordneter der Partei Bündnis 90/ Die Grünen ins Europäische Parlament gewählt, kandidierte er 1999 als Spitzenkandidat der französischen Grünen („Les Verts“) und zog seitdem abwechselnd für die deutsche oder französische Partei ins Europaparlament ein. Er wurde zum entscheidenden Vermittler der von Bernard Kouchner entwickelten Leitideen „droit et devoir d’ingérance“, des Interventionsrechts und der Interventionspflicht in Krisengebieten im Fall der Gefahr eines Völkermordes. Damit provozierte er die Pazifisten innerhalb seiner Partei im Frühjahr 1999 und trug entscheidend zum Kurswechsel ihrer Außenpolitik bei. Erstmals nach ihrer Gründung führte die Bundesrepublik Deutschland 1999 einen Krieg und marschierten unter einer rot-grünen Regierung Soldaten der Bundeswehr in das Kosovo ein. Seit 2002 ist Cohn-Bendit Co-Vorsitzender der Fraktion Die Grünen/ Freie Europäische Allianz im Europäischen Parlament sowie Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, im Ausschuss für konstitutionelle Fragen sowie Stellvertreter im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung. Daniel u. Gabriel Cohn-Bendit, Linksradikalismus. Gewaltkur gegen die Alterskrankheit des Kommunismus, Reinbek bei Hamburg 1968; Daniel Cohn- Bendit, Der große Basar, München 1975; ders., Thomas Schmid, Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie, Hamburg 1992; ders., Bernard Kouchner, Quand tu seras président… Dialogues et propos recueillis par Michel-Antoine Burnier, Paris 2004; Gaby Cohn-Bendit, Nous sommes en marche, Paris 1999; Sabine Stammer, Cohn-Bendit. Die Biographie, Hamburg/ Wien 2001; Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit, Frankfurt/ M. 1986. Ingrid Gilcher-Holtey Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa) 164 C Comité d’études des relations francoallemandes (Cerfa) Das Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen ist eine der ältesten, wenn nicht sogar die älteste Kooperationsstruktur beider Länder im Bereich der Sozial- und vor allem der Politik- und Wirtschaftswissenschaften. Es wurde 1929 von dem Industriellen Émile Mayrisch aus Luxemburg gegründet und spielte zur Zeit von Stresemann und Briand unter deutschem Namen eine beachtliche Rolle im deutsch-französischen Annäherungsprozess. Im Jahr 1938 stellte es seine Aktivitäten zwischenzeitlich ein. 1954, kurz nach der am 19.10. erfolgten Unterzeichnung des Abkommens von La Celle-St. Cloud, dem ersten zwischen Adenauer und Mendès France unmittelbar vor den Pariser Verträgen abgeschlossenen deutsch-französischen Abkommen der Nachkriegszeit, wurde es auf Initiative der deutschen Botschaft in Paris wieder ins Leben gerufen. Mit Sitz in Paris hat das Cerfa das Ziel zur Erweiterung der Kenntnisse über soziopolitische Fragestellungen auf beiden Rheinseiten beizutragen und dies vor allem in Hinsicht auf die internationalen Beziehungen. Als think tank konzipiert, war das Cerfa vorerst im Centre d’études de politique étrangère (Cepe) eingegliedert, bevor es nach der vom damaligen französischen Regierungschef Raymond Barre veranlassten Auflösung des Cepe 1979 in das zu diesem Zeitpunkt von Thierry de Montbrial ins Leben gerufene Institut français des relations internationales (Ifri) transferiert wurde. Das Cerfa macht es sich zur Aufgabe, die Außenpolitik Frankreichs und Deutschlands zu analysieren und Vorschläge zu formulieren, die zur Annäherung der Positionen der beiden Länder im europäischen und transatlantischen Kontext beitragen, will Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen, um einen fortwährenden Dialog über deutsch-französische Beziehungen, europäische Integration und Sicherheitsfragen zu fördern, Kooperationsnetzwerke zwischen dem Ifri und anderen europäischen, insbesondere französischen und deutschen, Forschungsinstituten herstellen und in deutschen und französischen Medien präsent sein, um der Informationsnachfrage in beiden Ländern gerecht zu werden. Um diese Ziele zu erreichen, stützt sich das Cerfa sowohl auf die intellektuelle und materielle Infrastruktur des Ifri als auch auf sein vierköpfiges Team, das aus zwei Forschern, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin und einer Assistentin besteht. Seit 1991 von Hans Stark geleitet, erhält das Cerfa, dem Vertrag von Saint-Cloud von 1954 entsprechend, eine paritätische Finanzierung vom Ministère des affaires étrangères et européennes und dem AA. Ähnlich wie das *Programm Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der DGAP stützen sich die Tätigkeiten des Cerfa hauptsächlich auf zwei Aktivitäten: Die regelmäßige Veröffentlichung von Büchern und Artikeln über politische und wirtschaftliche Themen, die im Mittelpunkt der deutsch-französischen Beziehung stehen (insbesondere die elektronische Publikation „Note du Cerfa“) sowie die Organisation von ca. zehn Veranstaltungen jährlich (öffentliche Kolloquien, Expertenseminare, Konferenzen und Frühstücksdebatten). Die Forschungsprojekte konzentrieren sich auf folgende Themen: Deutsch-französische Beziehungen und europäische Integration: 1. Europäische Politik: politische und rechtliche Entwicklung der EU, vor allem in Hinsicht auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), institutionelle Reformen und Währungsintegration; 2. EU-Erweiterung und Sicherheitsfragen: Überlegungen zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarländern; 3. Beitrag der beiden Länder zum europäischen Aufbau: deutsche und französische Sicht auf die großen europäischen Fragestellungen. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland und Frankreich: 1. Innenpolitik: politische Formierungen und Koalitionen; wirtschaftliche und soziale Reformen; gesellschaftliche Entwicklungen und innenpolitische Kontroversen; Ost-/ Westdynamik; Immigration und Integration; 2. Außenpolitik: Außen- und Sicherheitspolitik; Europapolitik Deutschlands und Frankreichs; Beziehungen der beiden Länder zu den USA und Russland. Hans Stark Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle Das Comité francais d’échanges avec l’Allemagne nouvelle wurde im Mai 1948 als französische Ver- Connaissance de la RDA C 165 ständigungsinitiative von *Emmanuel Mounier (1905-1950) gegründet und fortan von *Alfred Grosser als Generalsekretär bis zu seiner Auflösung im Jahre 1967 geleitet. Das Comité war eines von drei französischen nichtstaatlichen Initiativzentren, die sich unmittelbar nach dem Krieg für die Wiederaufnahme der deutsch-französischen zivilgesellschaftlichen Beziehungen engagierten. Das Comité war mit den anderen Initiativzentren, die sich um *Joseph Rovan einerseits und *Jean du Rivau andererseits gruppierten, sowohl auf einer personellen als auch auf einer programmatischen Ebene verbunden. Es unterschied sich von ihnen durch ihre multiplikatoren- und öffentlichkeitswirksame Verständigungsstrategie. Das Comité war ein locker verbundenes Netzwerk von französischen Intellektuellen (u.a. *Vercors), die sich aktiv oder symbolisch für die deutsch-französische Verständigung engagierten. Ziel war es, einen von Franzosen initiierten, aber gleichberechtigten Austausch mit Deutschen, die sich von der jüngsten Vergangenheit distanzierten, zu fördern. Das Comité war durch seine teils fluktuierenden, insgesamt 37 Direktoriumsmitglieder ein Netzwerkknotenpunkt vielfältigster Intellektuellenzirkel, die sich um universitäre Einrichtungen und um Zeitschriften konstituiert hatten. Es verfügte nur über eine gering ausgeprägte Binnenstruktur. *Alfred Grosser allein stellte Kontinuität und Zusammenhalt der Verständigungsinitiative her. Einerseits wirkte das Comité als intermediäre Organisation und vermittelte Einzelpersonen (z.B. Lehrer, Sprachassistenten, Studenten, Journalisten) und Familien in das jeweilige Nachbarland. Viele dieser Aktivitäten organisierte das Comité zusammen mit anderen um die deutsch-französische Verständigung bemühten privaten oder staatlichen Organisationen. Andererseits warb das Comité Mitglieder und veranstaltete für sie und eine darüber hinausgehende interessierte Öffentlichkeit regelmäßig Veranstaltungen. Kern dieser Veranstaltungen waren in der Sorbonne veranstaltete Begegnungen deutscher und französischer Intellektueller. Seit 1949 lud das Comité deutsche Stichwortgeber ein, um vor französischem Publikum über ein Deutschland betreffendes und ihrer Kompetenz entsprechendes Thema alleine oder in einer Podiumsdiskussion vorzutragen. Die vom Comité initiierten Intellektuellenbegegnungen zeugen von einem im Laufe der Zeit zunehmenden Bekanntheitsgrad der Verständigungsinitiative sowie von einer sich verändernden thematischen Schwerpunktsetzung im Rahmen sich wandelnder deutsch-französischer Beziehungen. In der Anfangsphase standen die Veranstaltungen im Zeichen der Fragen und Probleme des gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbaus in Deutschland. Seit 1952 wurden spezifische Wissensgebiete in ihrem jeweiligen nationalen Kontext erörtert. Die Veranstaltungen nahmen seit Ende der 1950er Jahre ab. Danach informierte das Comité primär über aktuelle deutsche Politik. Die in Paris gehaltenen Vorträge wurden im Publikationsorgan des Comité „Allemagne. Bulletin d’information du comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle“ veröffentlicht. Das Verdienst des Comité war es, neue zivilgesellschaftliche Kontakte in der unmittelbaren Nachkriegszeit etabliert zu haben. Aus einer anfänglich im linkskatholischen Milieu entstandenen Idee der deutsch-französischen Verständigung wurde ein konfessions- und berufsübergreifendes transnationales Kommunikationsnetzwerk. Carla Albrecht, Das Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle als Wegbereiter des Deutsch- Französischen Jugendwerks, in: Lendemains 27 (2002) 107/ 108, S. 177-189. Carla Albrecht-Hengerer Connaissance de la RDA Schon der Titel der 1974 vom Germanisten *Gilbert Badia gegründeten Universitätszeitschrift „Connaissance de la RDA“ ist ein Zeugnis des Interesses der Franzosen an Tatsachen über das „andere“ Deutschland. *Badia gründete die Zeitschrift, „um die DDR besser kennenzulernen und Forschungen über den zweiten deutschen Staat, der in Frankreich oft ignoriert wurde, zu initiieren, da er in ihm ein interessantes historisches Experiment des Sozialismus in Deutschland sah“ (Jérôme Vaillant). Ins Leben gerufen von einem dem philo-kommunistischen Milieu nahestehenden zivilgesellschaftlichen Kreis zielte die Zeitschrift darauf, die - trotz der offiziellen Anerkennung des zweiten deutschen Staates durch die französische Regierung im Jahre 1973 - für unzureichend befundenen Kenntnisse über die DDR in Frankreich zu erweitern. Der „handwerkliche“ Charakter des Magazins drängt sich bereits bei der Lektüre der ersten im A4-Format maschinen- Curtius, Ernst Robert 166 C geschriebenen und zu einem Heft gebundenen Ausgaben auf. Als die Publikation später die Unterstützung durch eine Druckerei der Universität Paris 8 - Saint-Denis erhielt, wurde ein kleineres Format verwendet. Mehr noch als die Verbandszeitschrift *„Rencontres franco-allemandes“ erschien das Magazin „Connaissance de la RDA“ als ein Werk zahlreicher Freiwilliger: Gymnasial- und Hochschullehrer sowie Personen, die sich als Mittler zwischen Frankreich und der DDR verstanden. Der Inhalt der Zeitschrift - deren entschieden dokumentarischer Charakter an die Anfänge der Zeitschriften *„Dokumente/ Documents“ im Jahre 1945 in Bezug auf die BRD erinnert - nahm sogleich eine konkrete Herangehensweise an, die die Entwicklung der DDR dank einer Dokumentation direkt aus ostdeutschen Quellen und Mitarbeitern aufzeigte. Von der Anerkennung der DDR durch die französische Regierung bis zur Wiedervereinigung konzentrierte sich die Zeitschrift „Connaissance de la RDA“ in etwas über 30 Ausgaben gänzlich auf Themen und Fakten, die die DDR betrafen; insbesondere in Bezug auf die Kultur und Literatur, wie man anhand von in der Zeitschrift publizierten, aber bis dahin unveröffentlichten Beiträgen ostdeutscher Autoren wie *Heiner Müller, Christa Wolf, Volker Braun und Christoph Hein (*DDR-Literatur in Frankreich) feststellen kann. Darüber hinaus widmete sich die Zeitschrift gesellschaftlichen und politischen Fragen. Die meisten Artikel und wissenschaftlichen Abhandlungen sind in beiden Sprachen verfasst und machten somit die Zeitschrift zu einem Instrument für Spezialisten. Auch heute bleibt „Connaissance de la RDA“ eine der Hauptquellen zur Analyse der Wahrnehmung der DDR in Frankreich. Hélène Yèche Curtius, Ernst Robert Der 1886 im Elsass geborene und 1956 in Rom gestorbene Romanist, Literaturkritiker und Kulturvermittler Ernst Robert Curtius - Enkel des Archäologen und Olympia-Ausgräbers Ernst Curtius (1814-1896) - erlebte als Sohn eines preußischen Kreisdirektors und Präsidenten der Kirche Augsburgischer Konfession im Reichsland Elsaß-Lothringen sowie einer aus der Schweiz stammenden Mutter englischer Abstammung eine betont kosmopolitische Version des Bildungsbürgertums. Dies erklärt sein lebenslanges Engagement für Europa und seine Traditionen, das ihm Frieden durch Kulturkontinuität bedeutete. „Der Europagedanke mußte geistig unterbaut sein”, schrieb er 1952 rückblickend über sein während des Ersten Weltkriegs geschriebenes Buch „Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich“. Curtius’ ganzes geistiges Schaffen kann man von dieser Gesamtperspektive aus überblicken. Das Skandal erregende Buch, das ihm 1919 den Vorwurf der „Anbiederung an die Negernation” einbrachte, wurde gleich zum Standardwerk und ebnete der deutsch-französischen Versöhnung den Weg. Während des Studiums der Romanistik bei Gustav Gröber in Straßburg lernte er den Kreis der elsässischen Jungschriftsteller - René Schickele u.a. - kennen und gelangte zur Überzeugung, dass die Zukunft Europas von der deutsch-französischen Zusammenarbeit abhänge. So nahm er 1922 als erster Deutscher an den von Paul Desjardins organisierten Décades de Pontigny teil, wo er mit den Schriftstellern der „Nouvelle revue française“, insbesondere mit André Gide, bekannt wurde. Er verkehrte auch im Kreis der Mäzene Émile und Aline Mayrisch im luxemburgischen Colpach und begegnete dort weltoffenen Persönlichkeiten aus Deutschland und Frankreich wie Walther Rathenau, Annette Kolb, Jacques Rivière u.a. Die Jahre der außenpolitischen Entspannung bildeten die Zeit seines aktivsten europäischen Engagements. Gleichzeitig machte er große Entdeckungen auf dem Gebiet der Literatur wie z.B. James Joyce und Marcel Proust, mit dem er Briefe über „La Recherche“ wechselte. Inzwischen hatte er sich als Literaturkritiker und deutsch-französischer Kulturvermittler durch seine publizistische Arbeit auch in der breiten Öffentlichkeit einen Namen gemacht. Er lehrte als Romanist zuerst in Bonn, dann in Marburg und Heidelberg, bis er 1928 in Bonn den Lehrstuhl für Romanistik übernahm und dort das Studium der französischen Kultur zum Pflichtfach machte: Auf diesem Wege sollte über die Philologie hinaus das deutsch-französische Verständnis bei den deutschen Studenten gefördert werden. In den 1930er Jahren vollzog sich eine Wende in Curtius’ Beziehung zu Frankreich: Die Reisen und Kontakte wurden politisch erschwert, und er glaubte, dass die Franzosen die eigene Mitverantwortung für die deutsche Zukunft nicht verstünden. So distanzierte er sich von Frankreich, ohne es je aus dem Blick zu verlieren. Vom Nationalsozialismus fühlte er sich in seiner christlich-evange- Dahlem, Franz D 167 lischen elitären Familientradition grundsätzlich abgestoßen, verließ Deutschland in den Kriegsjahren aber nicht. Er zog sich in die umstrittene innere Emigration zurück und widmete sich der Erforschung der Grundfesten der europäischen Kultur. So begann die Zeit seiner Beschäftigung mit dem antiken und mittelalterlichen Europa, das seiner Auffassung nach in der Modernität weiterlebte. In der Spätrhetorik, in deren Sprachbildern und verschiedenen europäischen Literaturformen fand Curtius selbst während des Zweiten Weltkrieges den Beweis der Kulturkontinuität. Nach dem Zusammenbruch 1945 nahm er im Auftrag der Zeitschrift „Merkur“ als erster den Kontakt zu André Gide und zu Frankreich wieder auf. Im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland wirkte Ernst Robert Curtius als wichtige Figur der Romanistik weiter. Sein hoher Rang im Fach löste in den 1970er Jahren eine Polemik bei einem Teil der jüngeren Romanisten aus, die eine radikale Entlarvung ihrer Zunft anstrebten. Vor allem *Michael Nerlich wurde durch seine vehemente Kritik an Curtius bekannt. Heute sieht man in Curtius einen konservativen, dezidierten Europäer, der über die deutsch-französische Kulturannäherung und die Pflege der Literatur, ein rehabilitiertes Deutschland in einem friedlichenEuropa erstrebte. Darüber hinaus erscheint er auch als wissenschaftlicher Weltbürger, der zugleich eine führende intellektuelle Figur der Bundesrepublik war. Christine Jacquemard-de Gemeaux, Ernst Robert Curtius (1886-1956). Origines et cheminements d’un esprit européen, Bern 1998 (mit Schriftenverzeichnis); Stefanie Müller, Ernst Robert Curtius als journalistischer Autor (1918-1932). Auffassungen über Deutschland und Frankreich im Spiegel seiner publizistischen Tätigkeit, Bern 2008; Jeanne Bem, André Guyaux (Hg.), Ernst Robert Curtius et l’idée d’Europe, Paris 1995; Heinrich Lausberg, Ernst Robert Curtius 1886-1956, Stuttgart 1993; Wolf-Dieter Lange (Hg.), In Ihnen begegnet sich das Abendland, Bonn 1990; Walter Berschin, Arnold Rothe, Ernst Robert Curtius. Werk, Wirkung, Zukunftsperspektiven, Heidelberg 1986. Christine de Gemeaux D Dahlem, Franz Der in Rohrbach/ Lothringen geborene deutsche Kommunist Franz Dahlem (1892-1981) war stets ein Mittelsmann zwischen den deutschen und französischen Kommunisten und ist ein schlagendes Beispiel für den Umgang mit den Frankreichemigranten in der DDR. Nach seinem Eintritt in die KPD (1920) saß Dahlem zwischen 1928-1933 im Reichstag. Im Anschluss an die „Machtergreifung” gehörte er zur Auslandsleitung der Partei in Paris und war zwischen 1937 und 1939 Leiter der Zentralen Politischen Kommission der Internationalen Brigaden in Spanien. In der Nachfolge von Walter Ulbricht bekleidete er 1938/ 39 den Posten des Leiters des Sekretariats des ZK der KPD in Paris und wurde in dieser Funktion nach Kriegsausbruch von den französischen Behörden interniert. Nach seinem Aufenthalt im Lager Le Vernet saß er zwischen September 1939 und August 1942 im Gefängnis in Castres und überlebte schließlich das Kriegsende im KZ Mauthausen. In der SBZ/ DDR stieg er schnell im Parteiapparat der KPD/ SED auf und suchte auch hier den Kontakt nach Frankreich. Anfang der 1950er Jahre erlitt jedoch auch Dahlem das Schicksal anderer Westemigranten, die in das Fadenkreuz der „Moskau-Kader“ um Ulbricht gerieten und aus Funktionen in Staat und Partei entfernt wurden. Trotz seiner Rehabilitierung im Jahre 1956 blieb der Frankreichemigrant Dahlem ein Kommunist „zweiter Klasse“, dem die SED- Führung stets mit Misstrauen begegnete. Mit der gesellschaftlichen Isolierung der Westemigration und der Demütigung ihrer Vertreter hatte sich die SED eines wichtigen Verbindungspotentials beraubt und den östlichen Teil Deutschlands nach der Selbstisolierung während des „Dritten Reiches“ weiter von den westlichen Erfahrungsbeständen abgeschnitten. Mit dem Beginn ihrer Anerkennungspolitik Ende der 1950er Jahre konnten nun aber wieder Frankreichemigranten wie Franz Dahlem reaktiviert werden, die jetzt als moralische Instanz eines „besseren“ Deutschlands und Kenner der französischen Verhältnisse eingesetzt wurden. Als seine Aufgabe verstand er es aber nie, wechselseitiges Verständnis für andere Denkweisen zu wecken und trennende Gegensätze zu überwinden. Die einschüchternden Parteisäuberungen noch im Hinterkopf verwarf er autonome zivilgesellschaftliche Potentiale zugunsten einer politischen Indienstnahme. Das zeigte sich auch, als Dahlem 9.7.1964 die Leitung der *Deufra übernahm. Von dieser Entscheidung versprach sich die Partei eine stärkere Politisierung der Gesellschaft, David, Claude 168 D um der westdeutsch-französischen Annäherung nach Abschluss des *Élysée-Vertrages entgegenzuwirken. Für die Arbeit in der *Deufra war Dahlem jetzt von großer Bedeutung, weil er dank seiner verschiedenen Frankreich-Aufenthalte und seines Kampfes in der Résistance über gute Verbindungen in das Land und besonders zum Kreis der Widerstandskämpfer verfügte. Als Dahlem sich in seinen letzten Lebensjahren an die Abfassung seiner Memoiren machte, musste er jedoch ein weiteres Mal erleben, dass die parteiliche Geschichtsschreibung in der DDR es Frankreichemigranten weiter verweigerte, Geschichte zu schreiben „wie ich sie tatsächlich erlebt habe”. Ulrich Pfeil, Zwischen „Parteilichkeit” und Geschichte „wie ich sie tatsächlich erlebt habe”. Textgenese am Beispiel der Memoiren von Franz Dahlem, in: Deutschland Archiv, 35 (2002) 1, S. 81-89; ders., Konstruktion und Dekonstruktion von Biographien in der DDR- Historiographie, in: Heiner Timmermann (Hg.), Die DDR - zwischen Mauerbau und Mauerfall, Münster 2003, S. 68-95. Ulrich Pfeil David, Claude Der in Reims geborene Claude David (1913-1999) war zweifellos einer der bedeutendsten Vertreter der französischen *Germanistik der Nachkriegszeit und hat durch sein umfassendes wissenschaftliches Œuvre sowie durch seine Tätigkeit als Lehrer und Mittler entscheidende Beiträge zum deutsch-französischen Dialog geliefert. Nach Abschluss seiner Schulzeit am Lycée Henri IV in Paris wurde er an der Elitehochschule ENS aufgenommen und wählte *Germanistik als Hauptfach. Dieser Entschluss war unter den damaligen Umständen nicht ohne Bedeutung, hatte er doch anlässlich zweier Studienaufenthalte in Berlin (1934) und Wien (1935) Gelegenheit gehabt, die fatalen und unheilverkündenden Entwicklungen in Deutschland aus nächster Nähe zu erleben. Nachdem er 1937 das Staatsexamen abgelegt und anschließend seinen Militärdienst absolvierte hatte, geriet er fast übergangslos in die Wirren der Kriegszeit. Von der Vichy-Regierung wurde er als Jude 1940 aus seinem Amt als Gymnasiallehrer fristlos entlassen und musste später, um weiteren Verfolgungen und einer Deportation zu entgehen, in den Untergrund abtauchen. Erst nach der Befreiung 1944 konnte er seine akademische Laufbahn antreten, die ihn nach seiner Habilitation mit einer Arbeit über Stefan George (1951) als Ordinarius an die Universität Lille und dann 1957 an die Sorbonne in Paris führte, wo er bis zu seiner Emeritierung wirkte. Gleichzeitig unterrichtete er auch an der ENS und entfaltete eine rege Tätigkeit als Herausgeber der führenden Zeitschrift für Germanistik *„Études germaniques“ und in verschiedenen Gremien. Die Bedeutung von Claude David für die *französische Germanistik erschöpft sich nicht in seinen Veröffentlichungen: Claude David war ein leidenschaftlicher und mitreißender, aber auch anspruchsvoller Lehrer, dessen undogmatischen und faszinierenden Vorlesungen unzählige Schülern dazu bewogen haben, ihrerseits auch die Germanistik als Lebensaufgabe zu wählen. Claude David hat neue Brücken geschlagen zwischen deutscher und französischer Germanistik, indem er ihre jeweils verschiedenen Traditionen in seinem eigenen methodischen Vorgehen vereinte. Wie für die Mehrzahl der deutschen Germanisten war für ihn als Literaturwissenschaftler die Erforschung des literarischen Kunstwerks das zentrale Anliegen; aber entsprechend der eigenen Tradition der *französischen Germanistik hat er stets die reine Werkimmanenz abgelehnt und Literatur immer im Zusammenhang der historischen Gegebenheiten und der kulturgeschichtlichen Umwelt betrachtet. Dieses Verfahren, das „konkrete Textanalyse mit breiten historischen Bezügen verbindet“ (Theo Buck), hat er in zahlreichen mustergültigen Untersuchungen zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts verwendet, die in der Fachwelt wie auch im breiteren literarisch interessierten Publikum höchste Anerkennung genießen. Zu nennen sind da vor allem die Monographie über Stefan George, sein dichterisches Werk und verschiedene literaturgeschichtliche Synthesen über die deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Hinzu kommen unzählige Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken und Zeitschriften - von Goethe bis *Celan, über Schiller, Kleist, Hölderlin, Büchner, Kraus, Hofmannsthal, Thomas Mann, Hauptmann, Musil und besonders George, Rilke und Kafka, dessen Gesamtwerk er in vier Bänden bei Gallimard (Bibliothèque de la Pléiade) neu veröffentlichte und mit ausführlichen Kommentaren versah. Dieser Kanon der Dichter und Schriftsteller, die ihn zeit seines Lebens beschäftigten, ist bezeichnend für die Persönlichkeit von DDR-Literatur in Frankreich D 169 Claude David. Es waren für ihn Vertreter des deutschen Geistes in seinen wertvollsten Ausprägungen, nicht nur durch den künstlerischen Rang ihres Schaffens, sondern auch durch die ethischen Werte, die sie in ihrem Werk und Leben vertraten: vor allem Toleranz und Humanität. Die internationale Anerkennung und Auszeichnungen blieben ihm nicht versagt: er war Träger der Goethe-Medaille und des Gundolf- Preises, Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und der Akademie der Wissenschaften in Wien. Gilbert Krebs DDR-Kulturzentrum Paris (KUZ) Mit einem gewissen Neid blickten die Diplomaten und Journalisten aus der Bundesrepublik auf die Eröffnung des KUZ in Paris am 12.12.1983 am 117, Boulevard Saint-Germain, mitten im Pariser Studentenviertel Quartier Latin. Das von Charles Garnier, dem Erbauer der Pariser Oper, entworfene prunkvolle Gebäude, in dem zuvor der Cercle de la librairie, der französische Verlegerverband, seinen Sitz hatte, stach architektonisch in der Tat das nüchterne bundesdeutsche *Goethe-Institut in der Avenue d’Iéna aus, das zudem noch in dem verkehrsmäßig sehr viel ungünstigeren 16. Arrondissement liegt. Das KUZ bot seinen Besuchern einen Konzertsaal, einen Filmvorführungssaal sowie weitere Ausstellungsräume, Vitrinen mit ostdeutschen Landschaften und Sehenswürdigkeiten sowie eine Bibliothek, in der dem Interessierten 3 000 Bücher zu Verfügung standen. Während die bisher im Ausland existierenden DDR-Kulturzentren stets unter der Verantwortung der Liga für Völkerfreundschaft gestanden hatten, wurde das KUZ in Paris - gemäß Artikel 2 des Kulturabkommens - auf Beschluss des SED-Politbüros vom 1.3.1983 direkt dem ostdeutschen Außenministerium unterstellt und der DDR-Botschaft in Paris zugeordnet. Den DDR-Kulturpolitikern war von Anfang an bewusst, dass sie dem Pariser Publikum kein grobschlächtiges, ideologisch überformtes Programm bieten konnten, wenn sie Kontakte zu neuen gesellschaftlichen Gruppen finden wollten. Thematisch knüpfte das KUZ an die Traditionen der *DDR-Kulturpolitik in Frankreich an und verschrieb sich wie der *Deufra der Pflege gemeinsamer deutsch-französischer antifaschistischer Kontakte. In der ersten Zeit seines Bestehens richtete das KUZ sein Programm nahezu einseitig DDR-zentristisch aus und konzentrierte sich auf die Präsentation „kultureller, künstlerischer und wissenschaftlicher Höchstleistungen der DDR“. Doch in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre versuchte es neue Zielgruppen wie Studenten, Oberschüler, Lehrlinge sowie junge Arbeiter und Angestellte anzusprechen. Eine Neuorientierung vollzog das KUZ in den Wochen nach dem Mauerfall, der das französische Interesse an der DDR verstärkte und die Verantwortlichen bewog, das Kulturprogramm in Deckung zu den gesellschaftlichen Realitäten in der DDR zu bringen. Eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung war auch im KUZ nicht zu übersehen, das den sozio-politischen Wandel in der DDR mit seinen verschiedenen Facetten vermitteln wollte. Nun wurde es endlich eine „Stätte der Begegnung mit Kunst und Kultur, des politischen Dialogs und des kompetenten wissenschaftlichen Meinungsstreits“. Doch die Hoffnung, auch in Zukunft ein Kooperationspartner und Mittler für französische Persönlichkeiten und Institutionen zu bleiben, wurde von den politischen Ereignissen weggespült. So wie auf staatlicher Ebene das bundesdeutsche System auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde, mussten auch die Angestellten des KUZ ihre eigene Abwicklung und die Schließung ihres Instituts am 3.10.1990 erleben. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 528ff; Matthias Boucebci, Un „soft power“ culturel est-allemand. La programmation du centre culturel de la RDA à Paris (1983-1990), in: Anne Kwaschik, Ulrich Pfeil (Hg.), Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen, Brüssel 2013, S. 347-362. Ulrich Pfeil DDR-Literatur in Frankreich Der besondere Platz, den die DDR-Literatur in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 einnahm, stand in einem nicht unerheblichen Zusammenhang zum politischen Hintergrund in Frankreich: 1946 waren 28,2 % der Abgeordneten Kommunisten, die Satellitenstädte der drei großen Metropolen (Paris, Lyon, Marseille) sowie mittelgroße Hafenstädte (wie Le Havre, Dieppe, Saint-Nazaire) wurden zudem jahrzehntelang vom so genannten Gemeindekommunismus regiert und unterhielten zum Teil rege DDR-Literatur in Frankreich 170 D Beziehungen in die DDR. Diesen kommunistisch regierten Städten wurde in den 1950er und 60er Jahren ein anderes Deutschland dargeboten. Jedes Jahr fuhren Tausende Kinder und Jugendliche aus nichtkommunistischen Familien in Ferienlager der DDR. Vereine wie die 1958 gegründete (und 1973 in Association France-RDA umbenannte) *Échanges franco-allemands schickten allein im Jahr 1972 ca. 4 000 Kinder und Jugendliche sowie 2 500 Mitglieder von Delegationen auf Reisen in die DDR. Auf diese Weise besaß die DDR, lange vor der offiziellen Staatsanerkennung 1973, für viele Franzosen bereits eine gewisse Alltagsnormalität. Hinzu kam der Einfluss der kommunistischen Presse mit ihrer Tageszeitung „L’Humanité“, die 1946 eine Auflage von 400 000 Exemplaren aufwies und zu einem wichtigen Medium für die Verbreitung der Literatur der DDR wurde, aber auch mit Regionaltageszeitungen: An der Côte d’Azur wurde z.B. „Le Patriote“ von Picasso mit Originalzeichnungen unterstützt. Gleiches galt für die Literaturzeitung der PCF „La nouvelle critique“ (1948- 80), insbesondere Jean Tailleur, sowie „Les lettres françaises“ (1942-72 und wieder seit 1990), die von 1953 bis 72 von Louis Aragon geleitet wurde. Die begeisterte Entdeckung des Theaters von *Bertolt Brecht in den 1950er Jahren (*Deutsches Theater in Frankreich) und die Veröffentlichung seiner Stücke auf Französisch durch Robert Voisin (*L’Arche Éditeur) stellten einen Markstein für die Entwicklung eines allgemeinen Interesses an der DDR-Literatur dar. Bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland erschienen auf Französisch so z.B. 1947 „Das siebte Kreuz“ (1946) und „Transit“ (1947) von *Anna Seghers; 1950 „The cruisaders“ (1948) von Stefan Heym (aus dem Amerikanischen), 1961 „Nackt unter Wölfen“ (1958) von Bruno Apitz, 1964 „Der geteilte Himmel“ (1963) von Christa Wolf, 1970 Hermann Kants „Die Aula“ (1965). 1967 wurde „Dix-sept poètes de la RDA“ publiziert, eine zweisprachige Lyriksammlung, die Gedichte von u.a. Johannes Bobrowski, Hanns Cibulka, Paul Wiens, Franz Fühmann, Günter Kunert, Rainer Kunze, Rainer und Sarah Kirsch, Wolf Biermann, Karl Mickel sowie Volker Braun enthielt. Bis 1961 hatten alle großen französischen Verlage „ihren“ DDR-Autor, gaben dies nach dem Mauerbau jedoch auf. Der PCF-Verlag Les éditeurs français réunis (EFR) führte unter der Leitung von Louis Aragon eine aktive Veröffentlichungspolitik, die ab 1968 völlig eingestellt wurde. Wolfs „Nachdenken über Christa T.“ (1968) wurde 1972 bei Le Seuil publiziert, eine Einzelerscheinung. Von diesem Zeitpunkt an spielte der Verlag Alinéa eine große Rolle und veröffentlichte u.a. Christa Wolf, Christoph Hein, Franz Fühmann. Ab den 1970er Jahren weitete sich das Interesse für die DDR-Literatur auch auf größere intellektuelle Kreise aus. Vor allem kritische Autoren (Christa Wolf, Christoph Hein, Volker Braun, Ulrich Plenzdorf, Wolfgang Hilbig, Rainer Kunze, Uwe Johnson, Jurek Becker und Thomas Brasch) stießen nun vermehrt auf Leser. Ihre Werke - sowie die von Angela Krauß - wurden z.T. im Verlag Métailié in der Reihe Deutsche Bibliothek (Leitung: *Nicole Bary) publiziert. *Heiner Müller wurde am Ende der 1970er entdeckt; seine Stücke gehören seither mit denen von *Brecht zum festen Bestandteil des Repertoires in Frankreich (*Deutsches Theater in Frankreich). Einfluss auf die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich nahmen auch Übersetzer (*Übersetzen/ Dolmetschen) wie *Alain Lance, *Gilbert Badia, *Nicole Bary, Jean- Paul Barbe, Lionel Richard, *Jean Jourdheuil und *Michel Bataillon. Im Bereich der Prosa ist die bekannteste DDR- Autorin - neben *Anna Seghers - Christa Wolf, die ihre Beliebtheit auch in der Nachwendezeit nicht eingebüßt hat, wie eine Veranstaltung im Jahre 2000 im vollbesetzten Théâtre national de la Colline in Paris zeigte, bei der Christa Wolf von Musikern und einem Maler begleitet aus „Medea“ las. 2009 bezeichnete „L’Humanité“ Christa Wolf als eine herausragende Kandidatin für den Nobelpreis und „Le Monde“ nannte sie anlässlich ihres Todes 2011 eine Galionsfigur der europäischen Literatur. Aber auch *Anna Seghers Roman „Transit“ wird weiterhin gelesen, die letzte Ausgabe erschien 2004 als Taschenbuch mit einem Vorwort von *Nicole Bary und einem Nachwort von Christa Wolf. Neben persönlichen und politischen Kontakten spielten aber auch die Institutionen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der DDR-Literatur: 1983 eröffnete das *DDR-Kulturzentrum am Boulevard Saint-Germain in Paris, in dem Lesungen von Autoren wie Christa Wolf oder Stephan Hermlin und zahlreiche andere kulturelle Veranstaltungen stattfanden. Auch die *deutschen Buchhandlungen in Paris luden regelmäßig zu Lesungen ein, so Le Roi des Aulnes, wo zwischen De l’Allemagne D 171 1980 und 1990 ca. zwanzig Lesungen von DDR- Autoren stattfanden und das *Heinrich-Heine- Haus in Paris. 1987 wurde die Gründungsveranstaltung von Les Belles Etrangères, eine vom Centre national du livre und dem Ministère de la culture et de la communication organisierte Buchmesse für ausländische Literatur, der DDR gewidmet; anwesend waren Helga Schütz, Helga Schubert, Helga Königsdorf, Uwe Kolbe, Christoph Hein, Fritz-Rudolf Fries, Hermann Kant und Stephan Hermlin. Als 1989 die Pariser Buchmesse unter dem Motto des deutschen Buchs stattfand, waren auch DDR-Autoren wie Stefan Heym, Helga Königsdorf sowie der (1979 in die BRD übergesiedelte) Günter Kunert zugegen. Die französische Presse - „Le Monde“, „Le Figaro“, „Le Magazine littéraire“ - brachte zu diesem Anlass Sondernummern heraus. Gefördert wurde das Interesse an DDR-Literatur ebenfalls durch die französischen Universitäten und Schulen. Schulbücher für den Deutschunterricht in Abiturklassen wie der „Cours d’allemand pour classes terminales“ (Kuhn und Isnard, 1966) nahmen Textauszüge aus Werken von *Bertolt Brecht, Eduard Claudius, *Anna Seghers, Erwin Strittmatter und F. C. Weiskopf auf; in „Deutsche erleben ihre Zeit 1942-1962“ (Roy und Cottet, 1963) wurden Textauszüge von *Anna Seghers, Christa Wolf, Uwe Johnson, Peter Huchel, *Bertolt Brecht, Bruno Apitz, Johannes R. Becher, Willi Bredel aufgenommen. Ab den 1980er Jahren waren die Autoren Christa Wolf, Günter Kunert, Hermann Kant, Volker Braun und ihre Werke dann auch Thema des zentral organisierten Staatsexamens für das Lehramt; 2013 war es Wolfgang Hilbig. Akademische Partnerschaften wie die zwischen den Universitäten in Lille und Halle, Lyon 2 und Leipzig, Besançon und Greifswald sowie zwischen Paris 8 (Vincennes-Saint-Denis) und der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden in den 1980er Jahren und verstärkten ebenfalls die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich. Die von Richard Thieberger gegründete Zeitschrift *Allemagne d’aujourd’hui brachte zahlreiche Artikel über DDR-Autoren und 1970 sogar einen kleinen Reiseführer der DDR-Lyrik. In Folge der offiziellen Anerkennung der DDR durch Frankreich widmete die Zeitschrift 1973 der DDR eine Sondernummer und nahm dies zum Anlass ihren Titel zu ändern: Das Plural-s in *Allemagnes d’aujourd’hui versinnbildlichte von nun an bis zur Wiedervereinigung die beiden deutschen Staaten. Zusätzlich übernahm von 1975 bis 1991 die Zeitschrift *Connaissance de la RDA unter der Leitung von *Gilbert Badia die Aufgabe, die DDR überwiegend unter kulturellen Aspekten zu präsentieren. Literarische Texte wurden teils im Original, teils in Übersetzungen vorgestellt. Über zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR ist das Interesse in Frankreich immer noch rege und Nachwendeautoren wie Ingo Schulze, Uwe Tellkamp, Jakob Hein, Olaf Müller oder Jana Hensel sind durchaus bekannt. Auf akademischer Seite forschen Historiker, Volkswirtschaftler und vor allem Germanisten über die DDR und deren Literatur: Eine beachtliche Anzahl von Promotions- und Habilitationsarbeiten werden an den Universitäten jährlich zur DDR-Literatur verteidigt, die einschlägigen Zeitschriften (*Allemagne d’aujourd’hui, Germanica, Nouvelle Europe, LITTERall etc.) veröffentlichen weiterhin regelmäßig Artikel zu diesem Thema und die Universitäten organisieren Tagungen und Kolloquien. Catherine Fabre-Renault, Die Rezeption der DDR- Literatur in Frankreich, in: Michael Opitz, Michael Hofmann (Hg.), Metzler Lexikon der DDR-Literatur, Stuttgart 2009, S. 279-281. Nicole Bary, Les Traductions des œuvres littéraires de la RDA en France jusqu’en 1989: une image officielle de la RDA? , in: Ulrich Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident 1949-1990, S. 507-514; Karin R. Güttler, Die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich (1945-1990). Autoren und Werke im Spiegel der Kritik, Bern 2001; Wolfgang Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Berlin 2009; Danielle Risterucci-Roudnicky, France-RDA. Anatomie d’un transfert littéraire 1949-1990, Bern 1999. Catherine Fabre-Renault De l’Allemagne Keine französische Kunstausstellung über Deutschland wurde so stark kritisiert wie die Ausstellung „De l’Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann“, die in der Hall Napoléon im Louvre zwischen dem 28.3. und dem 24.6.2013 gezeigt wurde. Dass die Ausstellung eine solche Kontroverse auslösen konnte, erklärt sich vor allem dadurch, dass sie nicht nur in einem kunsthistorischen, sondern auch einem politischen und diplomatischen Kontext rezipiert wurde. Deklariert als bedeutender Teil der Gedenkfeier der 50 Jahre des *Élysée-Vertrages, wenngleich das nicht von Anfang an geplant war, De l’Allemagne 172 D zog sie schnell die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Nicht nur die großen überregionalen Zeitungen veröffentlichten Artikel, um die Ausstellung zu loben oder zu kritisieren, sondern auch in Fernsehsendungen bekam der Zuschauer einen Einblick in eine politisch höchst aufgeladene kunsthistorische Debatte, in der die einen die vermeintlichen Lücken, vor allem im Blick auf die Moderne, kritisierten und die anderen eine Illustration des Deutschen Sonderwegs erkennen wollten. Dabei hatte die Ausstellung erfolgreiche Vorgänger. 1976 brachte „La peinture allemande à l’époque du romantisme“ in der Orangerie in Paris zum ersten Mal eine große Zahl von Caspar David Friedrich-Gemälden nach Paris und zwei Jahre später widmete sich *„Paris-Berlin: 1900- 1933“ im Centre Georges Pompidou der deutschen Moderne und dem deutsch-französischen Kulturtransfer. Diese thematisch breit angelegten Ausstellungen umfassten dennoch eine relativ überschaubare Zeitspanne. Das Neue an der Ausstellung „De l’Allemagne“ war, dass sie weder eine einzelne Kunstbewegung noch eine kohärente Periode zeigte, sondern als eine Art Essay über deutsche Kunst und die kulturelle Bildung der nationalen Einheit von den Napoleonischen Kriegen bis hin zur Moderne konzipiert war. Das war nicht von Anfang an so geplant, sondern ergab sich vielmehr durch sukzessive Verschiebungen und eine gewagte Ausdehnung des Konzepts. Das *Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris hatte ursprünglich dem Louvre eine Ausstellung über die Weimarer Klassik vorgeschlagen, die sich dann allmählich zu einer großen Präsentation deutscher Kunst entwickeln sollte. Der Direktor des Louvres, Henri Loyrette, unterstützte das Projekt und regte die anderen Kuratoren an, die Ausstellung bis zur Moderne hin zu öffnen. Im Zuge dieser Umstrukturierung war auch das stark kritisierte Jahr 1939 als Schlusspunkt ausgewählt worden, womit die Ausstellung de facto das „Dritte Reich“ einschloss. Dass die persönlichen Beziehungen zwischen den Kuratoren Andreas Beyer, Johannes Grave, Henri Loyrette, Sébastien Allard und der Anfang 2012 hinzu gerufenen Philosophin Danièle Cohn immer schwieriger wurden, ist ein Grund dafür, dass trotz dieser Erweiterung das Konzept nie gründlich neu strukturiert wurde. Goethe blieb nach wie vor der Leitfaden durch die deutsche Kunst, und Anfang 2012 wurde ein neuer Teil hinzugefügt, der die Paradoxien der Moderne unter einer „faustischen“ Sicht präsentieren sollte. So bekam der Zuschauer eine dreiteilige Gliederung - eine Art dissertation à la française - zu sehen: 1. Antikensehnsucht: das Apollinische und das Dionysische, 2. Die Hypothese der Natur, 3. Ecce homo. Die ersten Artikel nach Eröffnung der Ausstellung waren zwar kritisch gegenüber der düsteren Darstellung Deutschlands und den Lücken in der Schilderung der Moderne, dennoch sprachen sie noch nicht von einem „kulturpolitischem Skandal“. Joseph Hanimann lobte in der „Süddeutschen Zeitung“ die Ausstellung wegen der gezeigten Werke, kritisierte jedoch den letzten Saal über die Moderne: die großformatigen Holzschnitte von *Anselm Kiefer, die „mit Inschriften wie Heine, Marx, Stefan George, Flosshilde, Wellgunde, Woglinde, Heidegger, Melancolia, der Rhein, Atlantikwall, Maginot in der Eingangsrotunde der Hall Napoléon massive Assoziationspflöcke in den Erwartungshorizont der Besucher [schlugen]“ und den „Thesenstrang vom dionysischen Freudenfest der Spätromantik zur politischen Leidensgeschichte der Zwischenkriegszeit“. Die Ausstellung wurde hier also zunächst weder als national-ideologisch noch als eine Schilderung des deutschen Sonderwegs wahrgenommen. Dieser Vorwurf kam erst eine Woche nach der Eröffnung auf. Am 4.4. verschärfte sich die Kritik in den Medien und mündete in eine polemisch geführte Debatte. Adam Soboczynski veröffentlichte in der „Zeit“ einen schneidenden Artikel, in dem erstmals der angeblich rote Faden der Ausstellung zwischen deutscher Romantik und der nationalsozialistischen Katastrophe angeprangert wurde. Niklas Maak entwickelte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine ähnliche Argumentation gegenüber dem, was er als eine willentliche Illustration der These des deutschen Sonderwegs wahrnahm. Indes: Die dreiteilige Gliederung war nicht chronologisch-linear, und man hatte versucht, diese Interpretation durch verschiedene Mittel zu verhindern. Die drei Teile waren thematisch angelegt und liefen jeweils über eine lange Zeitspanne: Der erste Teil ging etwa von 1800 bis 1900 und behandelte das Thema des Apollinischen und des Dionysischen im Bezug zur Antike, der zweite Derrick D 173 Teil über die Naturvorstellung von etwa 1800 bis 1900 und der dritte Teil schließlich von etwa 1840 bis 1939 und stellte den Menschen und seine Leiden im Krieg zentral. Gegen Ende des zweiten Teils wurde zudem eine Art Goethe- Kabinett in die Ausstellung integriert, das die chronologische Kette völlig sprengte. Nichtsdestotrotz gab es für viele Besucher und Kommentatoren durch die lineare Struktur der Ausstellung, den von *Kiefers Werk gelegten Erwartungshorizont, die Begleittexte und nicht zuletzt auch die Wirrnis des letzten Saales, in dem die Weimarer Republik auf gleicher Ebene wie das „Dritte Reich“ gezeigt wurde, genug Anspielungen auf die These des deutschen Sonderwegs. Seitens der französischen Medien, vor allem in „Le Monde“ und „Le Figaro“, wurde von einem deutsch-französischen Missverständnis im aktuell schwierigen politischen Kontext der europäischen Schuldenkrise gesprochen. Gleichzeitig wurde jedoch auch ein deutschfeindlicher Diskurs in die Öffentlichkeit getragen. Dennoch kann nur schwerlich behauptet werden, dass die französischen Besucher und Kunsthistoriker die Ausstellung einstimmig gelobt hätten. Die Artikel von Denis Thouard in der Zeitschrift „Esprit“, von Patrice Neau in *„Allemagne d’aujourd’hui“ oder Eric Michaud und Maria Stavrinaki in „Artforum“ haben aus unterschiedlichen Perspektiven die Ausstellung kritisiert. Die Bruchlinie schien sich weniger zwischen Deutschen und Franzosen als zwischen den Anhängern einer nationalen Geschichtsschreibung und den Verteidigern einer transkulturellen Historiographie zu ziehen. Die letzteren bedauerten, dass kein Hinweis auf kulturelle Transfers, u.a. den französischen Einfluss auf Liebermann, den Expressionismus oder die international geprägte Moderne des Bauhauses in der Ausstellung zu sehen war. In diesem Zusammenhang erschien die Kontroverse über die Ausstellung „De l’Allemagne“ weniger als ein Spiegel deutschfranzösischer Missverständnisse als vielmehr ein Streitgegenstand in der mit dem Projekt der Maison d’histoire de France (2008-2012) neuentstandenen Debatte über die nationalen Denkmuster der aktuellen Geschichtsschreibung. Joseph Hanimann, Die Kriegernation hat Kultur, in: Süddeutsche Zeitung, 28.3.2013; Adam Soboczynski, Auf dem Sonderweg, in: Die Zeit, 4.4.2013; Niklas Maak, De l’Allemagne im Louvre. Aus dem tiefen Tal direkt zu Riefenstahl, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.4.2013; Christian Joschke, Une exposition douteuse sur l’art allemand, in: Le Monde, 19.4.2013; Denis Thouard, De l’Allemagne au Louvre: pour et contre, in: Esprit, 3.5.2013; Patrice Neau, „De l’„Allemagne“ - mais de quelle Allemagne? , in: Allemagne d’aujourd’hui 204 (April-Juni 2013), S. 7-17; Éric Michaud, Maria Stavrinaki, De l’Allemagne, 1800- 1939, in: Artforum, Oktober 2013, S. 288-289. Christian Joschke Derrick Als der in Wuppertal geborene Schauspieler Horst Tappert (1923-2008) im Alter von 85 Jahren in München verstarb, zierte sein Photo die Titelseiten von „France Soir“, vom „Parisien-Aujourd’hui“ und selbst vom „Figaro“. In 12 Sprachen, 108 Ländern und eben auch in Frankreich wurde der „Inspektor mit Schlips und Anzug“, der anders als seine amerikanischen Kollegen nicht durch einen muskelgestählten Körper und halsbrecherische Actionszenen besticht, sondern durch seine ruhige, gleichmütige und vernunftgesteuerte Art, zu einem gerngesehenen Gast in den französischen Wohnzimmern. Sein Markenzeichen ist die viel zu große Brille im Retrolook und die stets korrekte Frisur, die sich auch bei der Verfolgung von Verbrechern nicht bewegt. Doch sind es weniger die Actionszenen, welche die Serie ausmachen, sondern die psychologisierenden Ansätze, mit denen der Kommissar Licht in das persönliche Umfeld des Opfers zu bringen versuchte. Die von Herbert Reinecker geschriebene Serie lief in Deutschland vom 20.10.1974 bis zum 16.10.1998 und ließ den Inspektor gemeinsam mit seinem Assistenten Harry Klein (Fritz Wepper) 281 Mal immer mit den neuesten BMW-Modellen auf Verbrecherjagd gehen. In Frankreich wurde „Derrick“ zum ersten Mal am 26.2.1986 auf La Cinq ausgestrahlt. Wiederholungen gab es auf France 2 und dann auf France 3, sodass Derrick Unsterblichkeit beschieden schien. Erst als im April 2013 bekannt wurde, dass Tappert während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS war, setzte auch das französische Fernsehen die Serie ab. Seine größte Anhängerschaft besaß er in Frankreich in der Altersgruppe über 60, die täglich nach dem Mittagessen den Nachmittag mit ihrem Lieblingskommissar einläuteten und - Deutsche Buchhandlungen in Paris 174 D wie böse Zungen behaupteten - schnell in den Mittagsschlaf übergingen. Aller Kritik zum Trotz gehörte „Derrick“ wie selbstverständlich zum medialen Establishment in Frankreich und rettete die Programmkanäle, wenn die Zuschauerzahlen ausblieben und Spielshows nicht den erhofften Erfolg erzielten.In Deutschland wie in Frankreich war die Serie zu allen Zeiten Objekt von Kritik: die Mittelmäßigkeit der Schauspieler, die verblichenen Farben, der Paternalismus der Hauptdarsteller, die Konzentration auf die „besseren Viertel“ von München. Doch wie erklärt sich trotz aller Biederkeit der weltweite Erfolg von „Derrick“? Ist es nicht gerade der traditionelle Habitus des inspecteur , der in einer sich immer schneller wandelnden Welt als einer der letzten Pfeiler einer im Niedergang befindlichen Kultur wahrgenommen wird? Sein ruhiges, zurückhaltendes und immer akkurates Auftreten, was seine Kritiker als Ausdruck von Biederkeit auslegen mögen, verstehen seine Anhänger hingegen als eine Form der Redlichkeit und Anständigkeit, die sie in der heutigen Welt vermissen. Daran ändern auch die satirischen Parodien nichts, die ein weiteres Mal unterstreichen, dass „Derrick“ eine Referenz in Frankreichs Wohnzimmern ist. Die „Fatals Picards“ schrieben ein Lied mit dem Titel „À l’enterrement de Derrick“, das sich allgemein über die 1970er Jahre lustig macht. Vorbild für den Sketch „Henri Durieux, police … d’assurance“ der „Robins des Bois“ war ebenfalls der deutsche Fernsehkommissar, der auch in der Serie „Objectif Nul“ der „Nuls“ Pate für den „Inspecteur Merdick“ stand. Abschließend sei erwähnt, dass Max Boublil „Derrick“ bzw. Horst Tappert ein Lied widmete, als dieser am 13.12.2008 verstarb. Umberto Eco, Derrick oder Die Leidenschaft für das Mittelmaß, München 2000; Ulrike Kabyl, Derrick. Eine Erfolgsgeschichte des deutschen Fernsehens, Köln 2001; Thomas Sandoz, Derrick - L’ordre des choses, Charmey 1999; Horst Tappert, Derrick et moi, Paris 1999 [dt. Version: München 1999]. Ulrich Pfeil Deutsche Buchhandlungen in Paris Von den deutschen Buchhandlungen nach 1945 kann man kaum reden, ohne die Vorkriegszeit in den Blick zu nehmen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Nachkriegsbuchhändler standen in einer unbestreitbaren Traditionslinie mit ihren Vorgängern der Zwischenkriegszeit, deren Arbeit durch das Exil und den Kampf gegen den Faschismus geprägt war. Es gibt also eine Brücke zwischen der Zeit der Verfolgung und der Auflehnung gegen die Unterdrückung durch die Nationalsozialisten und der Zeit der sich neu formierenden Demokratie in Frankreich und Deutschland. Die deutschen Buchhandlungen in Paris und der Vertrieb deutscher Druckerzeugnisse waren während der 1930er Jahre mit einer politischen Aufgabe verbunden, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit allerdings keine Rolle mehr spielte. Das „Pariser Tageblatt“ - die Tageszeitung der deutschen antifaschistischen Opposition im Exil - hatte ab Juli 1935 einen eigenen Buchvertrieb organisiert, der sich auf die französische Buchhandelsvereinigung Agence de librairie française et étrangère stützen konnte: „Anfragen und Anregungen, die unsere Leser im In- und Ausland an uns richteten, haben uns veranlasst, einen Buchvertrieb einzurichten, der sich zum Ziel setzt, unseren Lesern die zeitgenössische Literatur zugänglich zu machen, vor allen Dingen die im Dritten Reich verbrannten und verbotenen Bücher“ (PTB, 28.7.1935). Es ging also darum, den Menschen im Exil die Möglichkeit zu geben, deutsche Bücher zu lesen, die man in Deutschland nicht mehr bekommen konnte. Die Exildeutschen der 1930er Jahre interessierten sich weniger für die deutsche Gegenwartsliteratur im Allgemeinen, als für jene andere deutsche Literatur („Widerstandsliteratur“), deren Vertreter sich wie sie im Exil befanden und die in den Niederlanden, in der Schweiz, in Schweden, Frankreich oder in der Tschechoslowakei herausgegeben wurde. Diese Literatur lässt sich insgesamt als Widerstandsliteratur bezeichnen, auch wenn viele Exilpublikationen ihrem Inhalt nach gar nicht in diese Kategorie gehören. Im Exil zu publizieren war per se ein Akt des politischen Widerstands. Die in Deutschland verbrannten Bücher, die von den nach Frankreich geflüchteten Intellektuellen gerettet wurden, erlangten dabei schnell Symbolstatus für die Verteidigung der Kultur gegen die Barbarei der nationalsozialistischen Ideologie. Vom 16. bis 23.11.1936 fand in Paris eine Ausstellung mit dem Titel „Das Freie Deutsche Buch“ statt, die vom Schutzverband Deutscher Schriftsteller und von der Deutschen Freiheits- Deutsche Buchhandlungen in Paris D 175 bibliothek organisiert wurde. Beide Organisationen waren offenkundig dem linken Lager zuzurechnen und standen den Kommunisten nahe. Doch die Auswahl der Bücher beschränkte sich nicht auf die proletarische Literatur. Neben der Exilpresse, die solche Veranstaltungen publik machte, spielten auch die deutschen Buchhandlungen eine Rolle, wenn es darum ging, die Publikationen von Das Freie Deutsche Buch bekannt zu machen. Die deutschen Buchläden waren in der Regel meist von linken Emigranten, oft jüdischer Herkunft, gegründet worden, größtenteils von Sozialdemokraten, Kommunisten oder Trotzkisten. Einige von ihnen hatten bereits in Berlin, Hamburg oder Frankfurt als Buchhändler gearbeitet, andere waren Neulinge in diesem Beruf, der ihnen das Überleben im Exil sicherte. So konnten sie ihr antifaschistisches Engagement fortsetzen, das oft der Grund dafür gewesen war, dass sie Hitlerdeutschland so früh verlassen hatten. Die Konkurrenz der alteingesessenen französischen Buchhandlungen (Gibert Jeune, Messagerie Hachette) war hart, denn diese hatten schon seit längerem ausländische Literatur im Angebot und pflegten Kontakte zu den ausländischen Händlern. Einigen deutschen Buchhandlungen (zuweilen auch Leihbibliotheken, Antiquariate, Lesesalons, Cafés mit Mittagstisch wie das Eda in der Rue Blanche) gelang es, Exklusivverträge mit den deutschsprachigen Verlagen wie z.B. Allert de Lange und Querido (Amsterdam), Oprecht & Heibling (Zürich) oder Bermann-Fischer (Stockholm) zu schließen. Außerdem beschränkten sie sich nicht auf den Buchverkauf, sondern funktionierten zugleich als Leihbibliothek und Antiquariat. Einige stellten ihre Räumlichkeiten für Lesungen und Diskussionsveranstaltungen mit Autoren und Journalisten zur Verfügung. Die 1933 eröffnete Buchhandlung Eda in der Rue Blanche bot ihren Besuchern sogar eine Teestube mit preiswertem Mittagstisch in der ersten Etage. Die Inhaberin Hélène Kra, deren Familie 1884 aus Frankfurt emigriert war, entging 1941 nur knapp der Arisierung ihres Geschäfts, indem sie es einer nichtjüdischen Freundin überschrieb. 1945 konnte sie es wieder selbst übernehmen. Es gab zahlreiche andere Buchhandlungen: Neben der Agence de librairie française et étrangère (seit November 1935 von Ernst Strauss, einem ehemaligen Anwalt geführt), gab es noch die Buchhandlung Au pont de l’Europe (gegründet im März 1933 von Ferdinand Ostertag und Otto Wittenborn zusammen mit französischen Partnern), die Buchhandlung Science et littérature (eröffnet 1937 von Ernst Heidelberger in der Nähe der Sorbonne), die Librairie internationale Biblion (1934 von Paul Günzburg gegenüber dem Café du Dôme eingerichtet) und die Librairie franco-allemande, die der Anwalt Wilhelm Leo, Vater von *Gerhard Leo und ein linker Sozialdemokrat im Februar 1935 im 3. Arrondissement, in der Rue Meslay Nr. 17 eröffnet hatte. Die meisten mussten mit Beginn der deutschen Besatzungszeit schließen. Viele Buchhändler wie Ernst Strauss oder Ferdinand Ostertag überlebten die Barbarei der Nationalsozialisten nicht. Nach dem Verschwinden aller Buchhandlungen der antifaschistischen Exilanten blieb es in Paris nur eine deutsche Buchhandlung übrig, die sich mit Erlaubnis der Besatzungsmacht an einem symbolträchtigen Ort platzieren konnte: Am Place de la Sorbonne, an der Ecke zum Boulevard Saint- Michel. An diesem Ort befand sich einst das berühmte Café d’Harcourt, das Ende des 19. Jahrhunderts von Verlaine und den Studenten des Quartier Latin besucht wurde. Diese unter dem Namen Rive-Gauche firmierende deutsche Buchhandlung wurde im April 1941 eröffnet und blieb bis 1943 Aushängeschild des von Karl Epting geleiteten Deutschen Instituts. Die Rive-Gauche-Gruppe war bereits vor dem Krieg von Annie und Henry Jamet gegründet worden, die ihre eigene Vision des „wirklichen nationalsozialistischen Deutschland“ den antifaschistischen Exildeutschen entgegenstellen wollten. Der Name Rive-Gauche wurde beibehalten, um den Schein der Kontinuität zu wahren. Doch obwohl prominente Figuren der Kollaboration (Henry Jamet, Robert Brasillach, Alphonse de Chateaubriand, Lucien Rebatet und Maurice Bardèche) im Verwaltungsrat saßen und eine französische Kapitalgesellschaft gegründet worden war, blieben die Deutschen doch Mehrheitseigner der Buchhandlung. Die Buchhandlung Rive-Gauche war das Schaufenster NS-Deutschlands. Sie besaß als einzige das Recht, deutsche Bücher in Frankreich und französische Bücher nach Deutschland zu vertreiben. Das große Geschäft mit 61 Angestellten war nicht auf den Verkauf von deutschen Büchern und von Übersetzungen aus dem Deutschen (3/ 5 des Sortiments) beschränkt. Man zeigte zudem eine Ausstellung über Deutsche Buchhandlungen in Paris 176 D deutsche Bücher und den Reichsarbeitsdienst. Außerdem traf sich dort ein Club von deutschen Intellektuellen, die - meist in Wehrmachtsuniform - in Paris lebten, mit französischen Kollaborateuren. Gleichwohl bestand die Klientel der Buchhandlung größtenteils aus Studenten und Lehrkräften der Sorbonne. Auch die Präsenz eines Pariser Lesepublikums wurde nie bestritten. Doch es kam zu Sabotageakten und einem Bombenattentat am 12.11.1941. Nach diesen schwarzen Jahren der Besatzung und der beschämenden Geschichte der Buchhandlung Rive-Gauche ist es verständlich, dass es für neue deutsche Buchhandlungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit schwer war, sich in Paris zu etablieren. Der Erfolg des (1947 gegründeten) Geschäfts von Martin Flinker erklärt sich aus mehreren Gründen: Zunächst, als er sich Anfang 1947 in Paris niederließ, wählte er einen eher zurückgezogenen Ort (Quai des Orfèvres). Nur Eingeweihte wussten, was sie erwartete, wenn sie über die Schwelle des Hauses am Quai des Orfèvres Nr. 68 traten. Flinker entstammte einer jüdischen Familie aus Czernowitz, die das schwere Schicksal des Exils erlebt hatte. Er hatte fast seine gesamte Familie in den Todeslagern von Theresienstadt und Auschwitz verloren. Sein Schicksal machte ihn in den Augen der Franzosen zu einer integren Persönlichkeit. Bis 1938 hatte er im Exil in Wien eine Buchhandlung geführt. Nun setzte er diese Aktivität fort. Seinen Pariser Kunden bot er mit Vorliebe moderne Wiener Autoren an: Joseph Roth, Robert Musil, Hermann Broch, Elias Canetti, Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr. Er hatte sie vor dem Krieg persönlich kennengelernt, als er in seiner Wiener Buchhandlung unweit der Oper literarische Abendveranstaltungen organisierte. Aber auch die von Hitler verbannten Autoren des anderen Deutschland nahm er in sein Sortiment auf: *Heinrich und Thomas Mann und viele andere. Seine Pariser Buchhandlung wurde zu einem Ort des Austausches zwischen französischer und deutschsprachiger Literatur. Zum 80. Geburtstag von Thomas Mann gelang es ihm, zahlreiche französische Schriftsteller zu versammeln, von denen jeder dem großen deutschen Schriftsteller und würdigen Vertreter des oppositionellen Deutschland einen kleinen Text widmete: François Mauriac, Jean Cocteau, André Gide, Francis Carco, Jean Genet, Pierre-Jean Jouve, Valéry Larbaud, Daniel-Henry Kahnweiler, Pablo Picasso, Arthur Honneger, Darius Milhaud, Julien Green, *Michel Tournier zollten dem Literaturnobelpreisträger Thomas Mann ihren Tribut. Wie einige seiner Vorgänger der Vorkriegszeit betätigte sich Flinker auch als Verleger. Die Editions Martin Flinker brachten ein Dutzend französische Werke (Henri Michaux) und Übersetzungen aus dem Deutschen (Thomas Mann) heraus und legte einen berühmten Almanach auf, in dem - wie schon im „Wiener Almanach“ - Schriftsteller ihre noch unveröffentlichten Texte publizierten, beispielsweise *Paul Celan. Flinker selbst schrieb für die Ausgaben des Almanachs zahlreiche Essays über Thomas Mann, Hermann Broch, Robert Musil oder Joseph Roth. Er starb 1986, seine Buchhandlung schloss 1989 endgültig ihre Pforten. Was von diesem außergewöhnlichen Lebensweg des Literaturliebhabers Martin Flinker bleibt, ist vor allem seine Rolle als Vermittler zwischen den Kulturen. Oft war er Vorreiter. Andere folgten ihm oder verfolgten parallel zu seiner Arbeit das gleiche Ziel. Es war ihm eine Herzensangelegenheit, die deutschsprachige Literatur im kulturellen Feld Frankreichs zu verankern. Auch der Berliner Fritz Picard war vor den Nationalsozialisten geflohen. Mit seiner Frau, der Anwältin Ruth Fabian, hatte er seit 1946 in seiner Pariser Wohnung sämtliche Werke der deutschen Literatur gesammelt, die den Verbrennungsaktionen und der Beschlagnahmung durch die Gestapo entgangen waren. Ruth Fabian hatte außerdem mit ihrem ersten Ehemann Walter Fabian der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) angehört, der Partei des jungen Willy Brandt während seiner Widerstandsjahre. Picard und Ruth Fabian gründeten 1951, mit dem Grundstock ihrer eigenen Sammlung, das Antiquariat Calligrammes im 6. Arrondissement, in der Rue du Dragon. Annette Antignac, die Tochter von Walter und Ruth Fabian, war einige Zeit Assistentin ihres Stiefvaters, bevor sie 1965 das Geschäft übernahm. Sie entwickelte das Antiquariat zur Sortimentsbuchhandlung und öffnete die Buchhandlung mit Erfolg einer französischen Kundschaft. Deutschlehrer der Sekundarstufe und Germanisten sowie Schüler und Studenten gehörten künftig zur Kundschaft. Neben moderner Literatur und Klassikern konnte man bei Calligrammes auch Nachschlagewerke und Handbücher zur Methodik des Deutschunterrichts finden. Die Buchhandlung hielt darüber hi- Deutsche Buchhandlungen in Paris D 177 naus die komplette Literatur zur Vorbereitung auf den CAPES und die agrégation bereit. In der Vorkriegstradition deutscher Buchhandlungen organisierte Annette Antignac außerdem Autorenlesungen. Günter Grass las 1980 bei Calligrammes, der Schriftsteller *Georges-Arthur Goldschmidt war 1998 der letzte Gast. Das Geschäft vergrößerte sich und zog in die Rue de Rennes. Der Erfolg währte aber nur einige Jahre, 1985 musste Annette Antignac ins 5. Arrondissement, in die Rue de la Collégiale ziehen. Ab Mitte der 1980er Jahre sanken die Umsatzzahlen kontinuierlich. Das lag zum einen an der neuen Adresse in einem zentrumsferneren Stadtteil, erklärt sich aber auch strukturell aus der Konkurrenz des Versandbuchhandels (des Vorläufers des Verkaufs per Internet), den langen Lieferzeiten sowie dem schwindenden Interesse der Franzosen. 1998 musste Calligrammes schließen. Die französische Germanistin *Nicole Bary hatte ausdrücklich den Wunsch geäußert, in die Fußstapfen von Martin Flinker zu treten, als sie Ende 1979 die Buchhandlung Le Roi des Aulnes am Boulevard du Montparnasse eröffnete. Sie verstand ihr Geschäft als Treffpunkt für französische und deutschsprachige Schriftsteller und Intellektuelle. Sowohl westwie ostdeutsche Autoren, als auch Schriftsteller aus der Schweiz, aus Österreich und aus dem rumänischen Banat (wie Herta Müller) folgten ihrer Einladung. Ihre Tätigkeit als literarische Beraterin für das Centre national du livre bei zahlreichen Kulturveranstaltungen und Buchmessen (Belles Étrangères, Salon du livre) ermöglichte es ihr, auch jene Autoren aus der DDR einzuladen, die von den ostdeutschen Autoritäten und dem Kulturzentrum der DDR in Paris aus ideologischen Gründen nicht gefördert wurden: Christoph Hein, Uwe Kolbe, Irmtraud Morgner, Stefan Heym … Auch wenn sich *Nicole Bary mit ihrer Buchhandlung auf zeitgenössische deutsche Literatur spezialisierte, vernachlässigte sie die universitäre Kundschaft nicht und versorgte diese mit der Literatur für den CAPES und die agrégation . Als Übersetzerin war *Nicole Bary die erste, die Herta Müller ins Französische übertrug. Als Herausgeberin arbeitete sie für den Straßburger Verlag La Nuée Bleue und für die Verlegerin Anne-Marie Métailié. 1991 schloss sie ihre Buchhandlung und wandte sich anderen Aktivitäten zu. Bereits 1983 hatte sie den Verein der Amis du Roi des Aulnes gegründet, um gemeinsam mit dem Ministère de la culture, dem *Heinrich-Heine-Haus, dem *Goethe-Institut Paris, dem Centre culturel suisse und dem Forum culturel autrichien Lesungen von deutschsprachigen Autoren anbieten zu können. *Nicole Bary ist übrigens die einzige Französin, die je eine deutsche Buchhandlung in Paris geführt hat. Andere Buchhandlungen entstanden: Die Hamburgerin Gisela Kaufmann eröffnete 1988 den Buchladen am Fuß des Montmartre, in der Rue Burq. Über die Hälfte ihres Sortiments umfasst zeitgenössische deutschsprachige Literatur, aber der Schwerpunkt liegt auch auf französischen Übersetzungen aus dem Deutschen. Sie hat selbst Übersetzungen angeregt (u.a. „Fuck America“ von Edgar Hilsenrath und Texte von Michael Kleeberg) und für deutschsprachige Autoren Lesungen in einem Café am Montmartre organisiert. Ursula Pusch führte von Mai 1994 bis Oktober 2008 einen kleinen Buchladen, Infobuch, in der Rue des Blancs Manteaux im Marais. Pusch hatte bereits in Deutschland als Buchhändlerin Erfahrungen gesammelt, war dann ab 1991 bei der FNAC in Paris für deutschsprachige Literatur zuständig gewesen, bevor sie sich selbständig machte, um Bücher zu Hause und auf Bestellung per Minitel zu verkaufen. Schließlich eröffnete sie ihre eigene Buchhandlung. Wie ihre Kolleginnen Annette Antignac und *Nicole Bary organisierte sie Autorenlesungen in Zusammenarbeit mit dem *Goethe-Institut und dem *Heinrich-Heine-Haus. Die deutsche Buchhandlung Marissal befindet sich seit 1981 in bester Lage, unweit des Centre Georges Pompidou. Diese Zweigstelle einer Hamburger Buchhandlung wurde zunächst von Jörg Huber geleitet, ab 1986 dann von Petra Kringel übernommen. Neben Klassikern und anspruchsvoller Gegenwartsliteratur bietet Marissa ein breites Spektrum bis hin zu Bestsellern und Krimis. Auch literarische, geschichtliche und geisteswissenschaftliche Übersetzungen aus dem Deutschen findet man dort. Die wichtigste Klientel der Buchhandlung sind Studenten und Lehrende der Germanistik. Petra Kringel hält deshalb auch Lehr- und Lernwerke der deutschen Sprache bereit sowie eine große Auswahl an Klassikern und philosophischen Werken des universitären Programms sowie Geschichts- und geisteswissenschaftliche Werke. Titel von Ger- Deutsche Sprache in Frankreich 178 D manisten in deutscher und französischer Sprache liegen auf den Präsentationstischen. Inzwischen existieren nur noch zwei deutsche Buchhandlungen: Marissal und der Buchladen. Der Umsatz ist mehr oder weniger stabil. Noch gelingt es ihnen, die Funktion, die den deutschen Buchhandlungen nach 1945 als interkulturelle Vermittler zukam, zu erfüllen und fortzuführen. Einer der Gründe, die das tendenzielle Verschwinden der deutschen Buchhandlungen in Paris erklären, ist sicherlich im allgemein abnehmenden Interesse der Franzosen, Deutsch zu lernen, zu suchen. Darüber hinaus sind die Transport- und Bestellkosten für die Buchhändler so hoch, dass sie kaum Gewinne abwerfen können. Deutsche Bücher lassen sich inzwischen leicht und schnell per Internet bestellen. Aber auch die französische Buchbranche ist von strukturellen Veränderungen bedroht: Immer weniger junge Menschen interessieren sich für Literatur. Andere Medien machen dem Buch Konkurrenz. Die deutschen Buchhandlungen in Paris waren traditionell Vermittler zwischen den Kulturen. Die ersten Buchhändler kamen als Flüchtlinge aus NS-Deutschland. Nach dem Krieg lag es den Buchhändlern am Herzen, ihren französischen Kunden das wirkliche Gesicht der deutschsprachigen Literatur zu zeigen. Ihre französischen und westdeutschen Nachfolger haben diese Aufgabe bis heute mit Erfolg weitergeführt. Michaela Enderle-Ristori, Markt und intellektuelles Kräftefeld. Literaturkritik im Feuilleton von „Pariser Tageblatt“ und „Pariser Tageszeitung“ (1933-1940), Tübingen 1997; Eckard Michels, Das Deutsche Institut in Paris 1940-1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1993; Heike Lehnerdt, Le livre allemand dans les librairies en France. Abschlussarbeit im Bereich Editionswissenschaften, Universität Paris 13 (1997); Helga Lux, Les nouvelles inédites de Martin Flicker dans le fonds de l’IMEC. Parcours d’un libraire viennois en exil à Tanger et à Paris. Masterarbeit, Universität Caen (2011). Daniel Azuélos Deutsche Sprache in Frankreich Lange Zeit war Deutsch in Frankreich die (moderne) Fremdsprache der Eliten. Die besseren Schüler konnten sich durch das Erlernen dieser als schwierig geltenden Sprache, die dementsprechend anspruchsvoll („grammatiklastig“) gelehrt wurde, gegenüber der Masse der anderen Schüler absetzen. A priori hatte das Deutschlernen folglich nicht zwangsläufig mit dem Wunsch oder dem positiven Bedürfnis zu tun, die Deutschen und deren Kultur kennen und schätzen zu lernen. In besonders angespannten und krisengeschüttelten Zeiten bot die Kenntnis der deutschen Sprache und Kultur vor allem die Möglichkeit, den Feind besser einzuschätzen zu können. Ein anderes Beispiel für die Auswirkungen der spezifischen Rollen des Deutschen gibt der Theatersektor: Viele Regisseure wie *Patrice Chéreau, *Bernard Sobel oder *Jean Jourdheuil, welche die Entwicklung des französischen Theaters in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten, hatten im lycée oder den classes préparatoires Deutsch gelernt und trugen auf dieser Grundlage wesentlich zu einem lebhaften Kulturaustausch zwischen Frankreich, der BRD und der DDR bei (*Deutsches Theater in Frankreich) bei - für andere kulturelle Bereiche wie die Literatur gilt cum grano salis Ähnliches. Umgekehrt lässt sich schließen, dass die rückläufigen Tendenzen in diesen Bereichen nicht zuletzt auf der Tatsache gründen, dass Deutsch diese Anziehung als Distinktionsmerkmal in großen Teilen verloren hat. Während das Deutsche in Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meistgewählte Fremdsprache war, setzte schon ab den 1930er Jahren ein stetiger Rückgang ein, der aber durch die positiven Impulse des *Elysée-Vertrages und die soziale Verbreiterung, was den Zugang zur höheren Schul- und Universitätsbildung betrifft, zunächst aufgehalten werden konnte. Zu Beginn der 1980er Jahre lernten 1,4 Millionen französische Schüler Deutsch, 14 % davon als erste Fremdsprache (Jean-Michel Hannequart). Von diesem Zeitpunkt bis ins Jahr 2005 ist eine ständige Erosion festzustellen, die nur kurzfristig und sporadisch aufgrund des wieder erwachten Interesses an Deutschland infolge der Wiedervereinigung unterbrochen wurde. Der Hauptgrund für den Niedergang liegt in der immer prominenter werdenden Rolle des Englischen und des Spanischen (als leicht zu erlernende Fremdsprache eines Nachbarlandes mit attraktivem Image). Die Prozentzahlen zeigen dies deutlich: Zwischen 1995 und 2013 sank der Anteil der schulischen Deutschlerner von 22,9 % auf 15,2 % (und dabei überproportional stark im Bereich der Deutsche Sprache in Frankreich D 179 ersten Fremdsprache), während der der Englischlerner von 93 % auf 98,2 % und der Spanischlerner von 28,9 % auf 46,1 % stieg. Es hat lange Zeit gedauert bis sich in Frankreich die Einsicht in die unabdingbare Bedeutung des Englischen, die jeder höher gebildete Franzose sprechen sollte, durchzusetzen begann; nun steht zu befürchten, dass das Deutsche damit in Zukunft weiteren Raum einbüßen wird. Dies lässt sich momentan bereits im Primarbereich beobachten, wo Deutsch mit Ausnahme des Elsasses inzwischen keine Rolle mehr als erste Fremdsprache spielt. Zwar gehört Frankreich neben Polen und einigen anderen mittel- und osteuropäischen Nationen weiterhin zu den Ländern, in denen viel Deutsch gelernt wird, doch bedarf es ständiger großer Bemühungen von staatlicher Seite, von Interessensverbänden und Mittlerinstitutionen (*Goethe-Institut, *DAAD, *ADEAF) um diese Zahlen konstant zu halten. Ab 2005 konnte der Abwärtstrend dank der voluntaristischen sprachpolitischen Maßnahmen, die anlässlich der 40. Jahresfeier des *Elysée-Vertrags 2003 initiiert wurden, gestoppt und die schulischen Deutschlernerzahlen bei knapp einer Million stabilisiert werden. Insbesondere die Möglichkeit des gleichzeitigen Erlernens des Englischen und des Deutschen in den so genannten classes bilangues sowie die Stärkung der classes européennes haben sich positiv ausgewirkt (*Schulpolitik). Insgesamt ist die Attraktivität mehrsprachiger Schulausbildungen (z.B. durch das *AbiBac) in den Augen der Eltern und Schüler stark gestiegen ist (*Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen). Leider ist zu konstatieren, dass sich verschiedene académies in Frankreich anschicken, diese Instrumente aus finanziellen Gründen in Frage zu stellen. Neben den Zahlen und Statistiken sind jedoch für die Frage der Fremdsprachenkenntnisse auch viele andere, kaum quantifizierbare Faktoren bedeutsam: Welche Möglichkeiten bietet die jeweilige Gesellschaft den Schülern und Erwachsenen, die erworbenen Sprachkenntnisse zu erhalten, auszubauen und später einzusetzen und als symbolisches oder berufliches Kapital zu nutzen? Auch wenn Fremdsprachenkenntnisse keine notwendige Voraussetzung des Kulturaustausches sind, wird man ihre Bedeutung hierfür wohl kaum in Zweifel ziehen wollen. Aus dieser Perspektive betrachtet, gibt es wohl keine moderne Fremdsprache, die in Frankreich so zahlreiche Zusatzangebote bereit hält: *DFJW, *BILD und *DFH bieten Deutschlernern eine Vielzahl an Austauschprogrammen sowie nachschulische Programme an; die Sprachförderung im Kontext der *Auswärtigen Kulturpolitik unterstützt die so genannten PASCH-Schulen (Partnerschaftsschulen, an denen besonders intensiv Deutsch gelernt wird); das *Goethe-Institut und seine Partner (wie das *DFJW und der Ministère de l’éducation nationale) organisieren zahlreiche Sonderaktionen wie Wettbewerbe, Theaterfestivals, Filmreihen oder Fortbildungen für Lehrende. Immer wieder werden Werbekampagnen ins Leben gerufen und Broschüren (wie z.B. „L’allemand - passeport pour l’avenir“) in hoher Auflage gedruckt, die sich an Lehrer, Eltern oder Schüler wenden, um mit rationalen und emotionalen Argumenten für Deutsch zu werben. Es fehlt nicht an Hinweisen auf die wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands, die Vielzahl an sozioökonomischen Kontakten zwischen Deutschland und Frankreich, die nicht ausgeschöpften Arbeitsplatzkontingente in Deutschland sowie die Attraktivität des Landes als Arbeitsort, Ferien- und Kulturland, teilweise sogar in Verbindung mit dem Englischen: „Englisch ein Muss, Deutsch ein Plus“ (Jutta Limbach). Ein Deutschlernerboom - wie in Südeuropa infolge der Weltwirtschaftskrise 2008 - lässt sich in Frankreich trotz erheblicher Jugendarbeitslosigkeit jedoch nicht feststellen. Ein weiteres Problem stellt die Krise der Deutschlehrerausbildung und -rekrutierung dar. Zwischen 2006 und 2011 hat sich die Anzahl der Lehramtsstudenten an den Universitäten um 22 % verringert, einige kleinere Deutschabteilungen wurden geschlossen, weitere sind von Schließung bedroht. In derselben Zeit ist die Anzahl der titulaires, der verbeamteten Deutschlehrer von über 10 000 auf etwa 6 700 gesunken. Waren die Staatswettbewerbe CAPES und agrégation früher durch eine harte Konkurrenzsituation gekennzeichnet, erreicht die Anzahl der geeigneten Kandidaten zuweilen nicht mehr die (im Zuge der generationellen Erneuerung erhöhte) Anzahl der ausgeschriebenen Posten. Stattdessen strömen die Studenten in Studiengänge ohne scharf umrissene Berufsbilder wie Theater- und Medienwissenschaften. Auf den ersten Blick ist die- Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) 180 D ser Rückgang angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Land schwierig zu verstehen. Autoritäts- und Sicherheitsprobleme, Unterricht an mehreren, zum Teil weit voneinander liegenden Schulen, schlechte Bezahlung und wenig öffentliche Anerkennung haben zu einem allgemeinen Verfall von Prestige des Lehrerberufs beigetragen, der wohl den hauptsächlichen Grund hierfür darstellt. Inzwischen haben die französischen Universitäten begonnen, attraktivere, mit anderen Fächern kombinierte Studiengänge anzubieten, die nicht unbedingt in den Lehrerberuf führen müssen, aber können. Mit der Werbeaktion ALLES (Allemand dans l’Enseignement Supérieure) versuchen *DAAD, *Goethe-Institut, *OFAJ zudem für das Deutschstudium zu werben, als Hauptfach oder als begleitend gelernte Fremdsprache. Abschließend ist auf die disparate geographische Verteilung des Deutschlernens hinzuweisen, welche die Gesamtzahlen in etwas anderem Licht erscheinen lassen: Lernen in der académie Strasbourg 2013 etwa 67 % der Schüler Deutsch, so sind es in Nizza oder Bordeaux nur 4,5 %. Dass es auch anders geht, hat jüngst die académie Aix-en-Provence/ Marseille bewiesen, wo sich die Deutschlernerzahlen durch kluge Schulpolitik prozentual erheblich erhöht haben. Jean-Michel Hannequart, L’enseignement de l’allemand en France. Bilan et perspectives, in: Documents 4 (2013), S. 25-29. Joachim Umlauf Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) Die Gründung der im Dezember 1963 in der 15, rue de Verneuil eröffneten Pariser Außenstelle des DAAD reiht sich ein in die Institutionalisierung der deutsch-französischen (Kultur-)Beziehungen nach 1945 und kann im Rahmen der *Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik als Beispiel für das Zusammenwirken von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Institutionen, gesellschaftlichen Kleingruppen und individuellen Akteuren herangezogen werden, die sich als Träger bzw. Vermittler von Ideen, Interessen und Werten betätigten. Bereits unter der Leitung ihres ersten Direktors *Hansgerd Schulte fungierte die Außenstelle als eine Schnittstelle zwischen Politik, Kultur und Wissenschaft. Über ihre Beratungs- und Finanzierungsfunktion sollte sie den organisierten Austausch auf dem Feld der bilateralen Wissenschaftsbeziehungen vertiefen und das Netzwerk der gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Austauschorganismen verdichten. Nach Gleichschaltung und ideologischer Vereinnahmung im Nationalsozialismus wollte sich der 1950 neugegründete und in Bonn angesiedelte DAAD auch organisatorisch von seiner Vorgängerorganisation absetzen und gab sich daher die Struktur eines eingetragenen Vereins privaten Rechts, dessen Verhältnis zum Staat von einem dialektischen Zusammenspiel gekennzeichnet ist. Als gemeinsame Einrichtung der bundesdeutschen Hochschulen für die wissenschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland gehört der DAAD bis heute zu den Organen ihrer Selbstorganisation und (neben dem *Goethe-Institut und, im Wissenschaftsbereich, der Alexander von Humboldt-Stiftung) gleichzeitig zu den bedeutendsten deutschen Mittlerorganisationen im Rahmen der *Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik. Diesen kommen Aufgaben zu, die der Staat aus Gründen institutioneller Selbstbeschränkung oder aus innenbzw. außenpolitischen Rücksichten nicht übernehmen kann oder will. Zudem müssen sie gemäß ihren Zielen und ihrem Selbstverständnis in Unabhängigkeit zur staatlichen Außenpolitik Akzente setzen, um - vor dem Hintergrund der politischen und militärischen Missetaten Deutschlands im 20. Jahrhundert - nicht in den Ruf eines ausführenden Organs der Bundesregierung zu kommen. Die neugegründeten DAAD-Außenstellen sollten die Botschaften entlasten und gleichzeitig als Auslandsvertretungen der westdeutschen Hochschulen auf akademischer und wissenschaftlicher Ebene verantwortlich tätig werden, eine Funktion, die auch über den Arbeitsbereich der Zentrale in Bonn hinausgeht. Schnell nach ihrer Gründung avancierte die Außenstelle in Paris zu einer oft frequentierten Kontakt- und Konsultationsstelle, die das fehlende Wissen über das Hochschulwesen und die Forschungslandschaft des Nachbarlandes kompensieren musste. Darüber hinaus profilierte sie sich als Initiator für den studentischen Austausch wie u.a. beim gemeinsam mit dem französischen Germanisten *Pierre Bertaux aufgelegten Sonderprogramm für junge Germanisten (programme Bertaux), das in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe von Deutschlandexperten in Frankreich Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK) D 181 „produzierte“. Insbesondere in den ersten Jahren wurden viele internationale Programme des DAAD, ob sie nun Studierende und Doktoranden, Lehrende oder Hochschulen betrafen, in Frankreich entwickelt bzw. ausprobiert. Das besondere Verhältnis des DAAD zu Frankreich spiegelte sich auch darin wider, dass der erste Außenstellenleiter *Hansgerd Schulte zwischen 1972 und 1987 Präsident der Gesamtinstitution war; auch sein Nachfolger in diesem Amt, *Theodor Berchem, war Romanist und setzte sich stark für die deutschfranzösische Kooperation ein. Die Tatsache, dass die Außenstelle diese herausragende Rolle im Laufe der Zeit ein wenig verlor, hat verschiedene Ursachen: die Gründung von Einrichtungen, die spezifisch für den deutsch-französischen Wissenschaftsaustausch zuständig sind wie das Deutsch- Französische Hochschulkolleg, das später zur *Deutsch-Französischen Hochschule wurde; der Fall der Mauer, der zu einer Neuorientierung Richtung Mittel- und Osteuropa führte, wo man 40 Jahre Teilung des Kontinents aufzuholen hatte; schließlich die Hinwendung zu zukunftsträchtigen „Märkten“ der Wissenschaft wie China und Indien, mit denen die Beziehungen stark intensiviert wurden. Hinzu kommt ferner die Entwicklung der europäischen Mobilitätsprogramme wie Erasmus, die manche Programmlinien überflüssig machten. Lagen die Akzente der Programme anfänglich auf den Geisteswissenschaften (insbesondere der *Germanistik und der *Romanistik), so haben sich diese heute disziplinär verbreitert. Als Informationsstelle über Studienmöglichkeiten in Deutschland kommt der Außenstelle weiterhin zentrale Bedeutung zu. Bei den Bemühungen um einen lebendigen Kontakt zum Nachbarland und die sich daraus ergebende Möglichkeit einer besonders intensiven binationalen Sozialisation spielt bis heute das Programm für *Lektoren an französischen Hochschulen eine wichtige Rolle, denen gerade in den Anfangsjahren die Funktion zukam, Ressentiments abzubauen und *Stereotype im französischen Deutschlandbild aufzubrechen. Reinhart Meyer-Kalkus, Die akademische Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich (1925-1992), Bonn 1994; DAAD (Hg.), Spuren in die Zukunft. Der Deutsche Akademische Austauschdienst 1925-2000, 3 Bde., Bonn 2000; Hans Manfred Bock, Le DAAD dans les relations franco-allemandes 1963-2003, in: Allemagne d’aujourd’hui 168 (2004), S. 116-139; Ulrich Pfeil, Die Pariser DAAD-Außenstelle in der „Ära Schulte“ (1963- 1972). Die Institutionalisierung der transnationalen Wissenschaftskooperation in den westdeutsch-französischen Beziehungen, in: Francia 32/ 3 (2005), S. 51-74; ders., „Dynamische, expansive Austauschpolitik auf allen akademischen Gebieten“. Die DAAD-Außenstelle in Paris, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 197-222; Joachim Umlauf, Das Lektorenprogramm des DAAD, in: Der Intellektuelle und der Mandarin (Für Hans Manfred Bock), hg. von François Beilecke, Katja Marmetschke, Kassel 2005, S. 748-766. Ulrich Pfeil, Joachim Umlauf Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK) Das Deutsche Forum für Kunstgeschichte (DFK) ist ein kunsthistorisches Forschungsinstitut in Paris. Vorrangige Aufgabe des DFK ist es, die deutsche Forschung zur Kunst in Frankreich zu unterstützen und zu konzentrieren, das Interesse der französischen Geisteswissenschaften an deutschsprachiger Kunstgeschichte und an der Kunst in Deutschland zu fördern sowie der internationalen Fachdiskussion ein Forum an zentralem Ort zu öffnen. Das DFK wurde 1997 mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zunächst als Projekt gegründet; infolge einer Empfehlung des Wissenschaftsrates gehört das DFK seit Juli 2006 - wie das *DHI Paris - zur Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), nun Max Weber Stiftung. Die Gründung des DFK geht auf die Initiative von Thomas W. Gaehtgens zurück, der das Institut bis Oktober 2007 leitete. Von November 2007 bis Januar 2009 wurde das Institut von Julia Drost kommissarisch geführt. Von 2009 bis Anfang 2014 war Andreas Beyer Direktor des DFK; sein Nachfolger, Thomas Kirchner, leitet das Institut seit Februar 2014. In allen inhaltlichen Fragen begleitet das DFK ein wissenschaftlicher Beirat, der sich aus Vertretern der universitären Kunstgeschichte und dem Museumsbereich in Deutschland und Frankreich zusammensetzt. Das DFK pflegt einen intensiven wissenschaftlichen Austausch mit kunsthistorischen Instituten weltweit ebenso wie mit Museen und der Denkmalpflege. Wichtige Kooperationspartner sind das Institut national d’histoire de l’art (INHA) in Paris, die Deutschen Historischen Institute (DHI) in Paris, Warschau und Moskau, die Bibliotheca Hertziana in Rom, das Kunsthistorische Institut in Florenz Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) 182 D sowie das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Seit Juni 2003 ist das DFK Mitglied der internationalen Vereinigung der kunsthistorischen Forschungsinstitute (RIHA). Seit seiner Gründung ist das DFK mit einer Reihe langfristiger Forschungsprojekte befasst. In einem umfangreichen Projekt untersuchten von 1999-2009 zwei Forschergruppen die deutschfranzösischen Kunstbeziehungen von 1789 bis 1960, wie sie sich in Ausstellungen, Schriften, aber auch im Kunsthandel und in Künstlerkontakten widerspiegeln. Diese Arbeit mündete in einer frei einsehbaren Datenbank. Außerdem entsteht seit 2002 am DFK eine erstmals vollständig wissenschaftlich edierte und kommentierte Ausgabe der „Conférences de l’académie royale de peinture et sculpture“. Weitere Editionsprojekte betreffen den Briefwechsel zwischen den beiden Malern Henri Fantin-Latour und Otto Scholderer (2011 abgeschlossen) sowie eine kommentierte französische Ausgabe mit Auszügen aus dem Tagebuch von Harry Graf Kessler. Das DFK ist darüber hinaus seit 2002 im Auftrag der deutschen Botschaft mit der Erforschung der Baugeschichte, Innenausstattung und Sammlungsgeschichte des Palais Beauharnais, der Residenz des deutschen Botschafters in Paris, betraut. Neben der kuratorischen Betreuung des Palais werden am DFK detaillierte Restaurierungskampagnen für das Palais entworfen und durchgeführt. Seit 2009 untersucht eine Forschergruppe die ästhetischen Dimensionen kultureller Übersetzungsprozesse in der Weimarer Klassik. Die Forschungsarbeiten zu diesem, „Sinnlichkeit - Materialität - Anschauung“ überschriebenen Projekt mündeten u.a. in der Ausstellung *„De l’Allemagne“, die 2013 im Louvre gezeigt wurde. Der European Research Council hat 2010 zudem ein fünfjähriges Forschungsvorhaben bewilligt, das sich unter dem Titel „A chacun son réel“ dem Umgang mit dem Realen in der bildenden Kunst von den 1960er bis zum Ende der 1980er Jahre in Frankreich, Ost- und Westdeutschland sowie Polen widmet. Am Institut besteht überdies seit 2003 die vom DFK und von *Werner Spies ins Leben gerufene Max Ernst- Forschungsstelle. Zu ihren zentralen Aufgaben gehören die Vollendung des Œuvrekatalogs sowie die Konzeption und Beteiligung an internationalen Ausstellungen zu Max Ernst und von ihm beeinflussten Künstlern. In Kooperation mit deutschen und französischen Institutionen sind am DFK weitere Forschungsprojekte angesiedelt: Aus der Auswertung des im staatlichen russischen Sonderarchiv eingelagerten Teilnachlasses des deutschjüdischen Kunstkritikers Paul Westheim wurde eine kommentierte Quellenedition erstellt; mit einem deutsch-französischen Forschungsteam wird unter dem Titel ArtTransForm die transnationale Künstlerausbildung zwischen Frankreich und Deutschland von 1789-1870 erforscht. Die am DFK erarbeiteten Forschungsergebnisse werden in drei eigenen deutschen bzw. französischen Schriftenreihen (Passagen, Monographie, Passerelles) publiziert. In diesen Reihen erscheinen auch die Forschungsarbeiten eingeladener und assoziierter Wissenschaftler. Kernstück der Nachwuchsförderung des DFK ist die Arbeit an Jahresthemen. Junge Kunstwissenschaftler verschiedener Länder arbeiten hierbei gemeinsam, unter Leitung wissenschaftlicher Experten, an jährlich wechselnden Fragestellungen. Fester Bestandteil der Förderung des deutsch-französischen Austausches sind zudem Exkursionen für französische Studenten nach Deutschland. Das DFK baut seit seiner Gründung seine Bibliothek sukzessive zu einer wissenschaftlichen Spezialbibliothek zur deutschen Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte aus. Die aktuell etwa 80 000 Medieneinheiten umfassende Bibliothek des DFK bietet darüber hinaus einen Überblick über die deutschsprachige kunstwissenschaftliche Forschungsliteratur zu Frankreich und zu Methodenfragen. Seit 1999 konnten die Forschungsbibliotheken des Gründers des Bauhaus-Archivs, Hans Maria Wingler sowie von Hermann Wiesler, Jacques Lugand, Karl und Elfriede Ruhrberg, Christian Beutler sowie Thomas Lersch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Stefanie Rentsch Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) Nach zwei gescheiterten Versuchen zur Gründung eines DHI Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts und während des Zweiten Weltkrieges gelang Mediävisten von der Universität Bonn unter maßgeblicher Initiative von *Eugen Ewig und Hermann Weber im Jahre 1958 die Schaffung einer deutschen historischen Forschungsstelle in der französischen Hauptstadt, deren offizieller Träger die am 2.4.1957 in Mainz gebildete Wis- Deutsches Theater in Frankreich D 183 senschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen war, sodass die deutschen Gründungsväter der französischen Forderung nachkamen, eine Institution sur base universitaire zu gründen. Nachdem die Kommission anfänglich vom Bundesinnenministerium finanziert worden war, wurde die Forschungsstelle 1964 in ein Bundesinstitut umgewandelt und dem Bundesforschungsministerium unterstellt. Die ersten Jahre seiner Existenz waren von dem Bemühen der Mitarbeiter bestimmt, eine vertrauensvolle Arbeitsgrundlage zwischen den Historikern beider Länder herzustellen. Mit der Übernahme der Direktorenstelle durch *Karl Ferdinand Werner im Jahre 1968 ging das Institut in die Phase der Kooperation über und baute seine Aktivitäten kontinuierlich aus. Dazu gehörte die Gründung von eigenen Buchreihen und der hauseigenen Zeitschrift *„Francia“. Die Kooperation zwischen deutschen und französischen Historikern ist seit geraumer Zeit bereits zur Normalität geworden und hat u.a. die Publikation eines *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches ermöglicht. Auch das DHI Paris hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich weiter entwickelt, blieb aber immer eine wissenschaftliche Brücke zwischen den Historiographien beider Länder. Nachdem es über Jahre dem Wissenschaftsministerium unterstand, gehört es wie das *Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris und seine anderen Schwesterinstitute seit 2002 zur Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (nun Max Weber Stiftung), die vom Wissenschaftsministerium in Berlin finanziert wird. Mit seinen wissenschaftlichen Veranstaltungen, den von den Historikern des Hauses betriebenen Forschungen - von der Geschichte des Mittelalters bis zur Zeitgeschichte - und der Mittlertätigkeit gegenüber der französischen *Geschichtswissenschaft trägt es zu einer Internationalisierung der Forschung bei. Darüber hinaus stellt es seine Infrastruktur wie z.B. die Bibliothek und die zunehmende Anzahl an Internetpublikationen ( openaccess-policy ) der interessierten Historikeröffentlichkeit zur Verfügung. Deutschen Historikern wird zudem ein Forschungsaufenthalt in französischen Bibliotheken und Archiven durch das *Karl- Ferdinand-Werner-Fellowship erleichtert. Nachdem das Institut 1958 im Geiste der französischen *Versöhnung und Annäherung gegründet worden war, stellt es heute eine Kommunikationsplattform zwischen den Historikern aus Deutschland und Frankreich sowie verschiedenen Drittländern dar. Ulrich Pfeil, Vorgeschichte und Gründung des Deutschen Historischen Instituts Paris. Darstellung und Dokumentation (Instrumenta, Bd. 17), Ostfildern 2007; ders. (Hg.), Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München 2007; Das Deutsche Historische Institut Paris/ Institut historique allemand 1958-2008, hg. von Rainer Babel und Rolf Grosse, Ostfildern 2008. Ulrich Pfeil Deutsches Theater in Frankreich Während die deutschsprachige Dramatik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - im Gegensatz zu der im deutschsprachigen Raum sehr beliebten französischen Theaterliteratur - weitgehend unbeachtet blieb, hat sie nach 1945 nicht nur das französische Theater, sondern auch das künstlerische Selbstverständnis seiner Protagonisten stark beeinflusst. Eine Erklärung hierfür zu finden ist schwierig: Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Besatzungszeit haben sicherlich nicht dazu beigetragen, das Interesse an deutscher Dramatik zu verstärken und die nach dem Krieg einsetzende Versöhnungspolitik berührte künstlerische Belange bestenfalls am Rande. Von zentraler Bedeutung erscheinen hingegen die Bedingungen der Theaterarbeit und ihre länderspezifischen Eigenheiten: So lässt sich das plötzliche Interesse auf strukturelle Umwälzungen des französischen Theatersystems zurückzuführen, insbesondere auf die mit der décentralisation culturelle verbundene Expansion des französischen Theaterfeldes. Während Theater in Frankreich bis Ende der 1940er Jahre als ein ausschließlich auf Paris und französische Autoren konzentriertes System organisiert war, das vor allem auf die Unterhaltung des bürgerlichen Publikums zielte, änderte sich dies grundlegend mit der Einrichtung eines öffentlichen Sektors, der, ähnlich wie in Deutschland, einen kulturellen Bildungsauftrag verfolgt. Die Institutionalisierung des französischen Theaters begann 1947 mit den ersten Maßnahmen einer kulturellen Dezentralisierung durch die Kulturbeauftragte Jeanne Laurent, wurde 1959 unter Kulturminister André Malraux mit der Einrichtung der ersten maisons de la culture gefestigt, trotz beständiger finanzieller Probleme von seinen Deutsches Theater in Frankreich 184 D Nachfolgern (und hier vor allem von *Jack Lang) bis in die 1990er Jahre fortgesetzt und kann heute als weitgehend abgeschlossen bezeichnet werden. Die Einrichtung eines flächendeckenden théâtre public mündete ab Mitte der 1950er Jahre in eine starke Intellektualisierung des Theaters, die vor allem durch den *Brecht-Verleger Robert Voisin sowie die beiden Redakteure der Theaterzeitschrift „Théâtre populaire“ Roland Barthes und Bernard Dort lanciert wurde. Ihre Kampfansage an das bürgerliche (Privat-)Theater sowie die Comédie- Française führte letztendlich zu einer Politisierung des Theaterfeldes, die wiederum ein steigendes Interesse für deutschsprachige Dramatik auslöste: So benötigten die neuen Theater politische Texte, welche die französische Tradition nicht bereithielt. Aufgrund dieser Mangelsituation avancierte Robert Voisin mit seinem Verlag *L’Arche zum Hauptimporteur deutschsprachiger Dramatik. Verstärkend wirkten dabei zum einen die Spätfolgen der euphorischen, bisweilen auch dogmatischen Interpretation von *Brecht (der im théâtre public zu dem neben Molière und Shakespeare meist gespielten Autor wurde) durch Barthes und Dort, zum anderen aber auch die linke, oft dezidiert kommunistische Überzeugung der jungen Theatermacher, die sich entsprechend stark auch für das „andere“ Deutschland, die DDR, interessierten und häufig sehr gut Deutsch sprachen. Der Anstieg an deutschsprachigen Stücken im théâtre public war seit jeher eng verbunden mit bestimmten Theatern und Regisseuren. Hier kommt dem Théâtre de la Ville in den 1950er Jahren - u.a. als der Hauptspielstätte des Festivals Théâtre des Nations - eine zentrale Bedeutung für die Entdeckung des deutschen Theaters und insbesondere *Brecht zu. Einen ähnlichen Initialcharakter besaß die Arbeit von Jean Vilar, der auf dem von ihm gegründeten Festival d’Avignon ab dem Ende der 1940er Jahre als erster deutsche Stücke von Büchner, Kleist oder *Brecht auf eine französische Bühne brachte und diese dann ins Repertoire des von ihm geleiteten Théâtre national populaire (TNP) in Paris übernahm. Die Tradition wurde in den 1960er Jahren unter der Leitung von Georges Wilson fortgeführt, der u.a. Stücke von Martin Walser mit großem Erfolg inszenierte und das TNP zu einer der wichtigsten Bühnen für deutsche Dramatik machte. Dass dieses Interesse letztlich keine Modeerscheinung blieb, sondern sich sogar von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigerte, ist vor allem den Protagonisten der décentralisation théâtrale der späten 1950er und frühen 60er Jahre (Roger Planchon, *Bernard Sobel, Gabriel Garran etc.) zu verdanken, die das französische Theater künstlerisch wie (kultur-)politisch über 40 Jahre nachhaltig bestimmten und eine starke Multiplikatorenfunktion besaßen. Die meisten Theatermacher der nachwachsenden Generationen (*Patrice Chéreau, Jean- Pierre Vincent, *Jean Jourdheuil, Bruno Bayen, Agathe Alexis, Jacques Lassalle oder *Stéphane Braunschweig) sind Schüler dieser Vorreiter und entsprechend stark geprägt von ihrer Orientierung an *Brecht, der Ablehnung der klassischen französischen Theatertradition und einer Vorliebe für das deutsche Theater. Nach der ersten *Brecht-Euphorie war in den 1960er und 1970er Jahren das Interesse für deutschsprachige Theaterstücke so groß wie nie zuvor. Vor allem Franz Xaver Kroetz, *Peter Handke, Tankred Dorst, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, aber auch kanonisierte Autoren wie Georg Büchner, Frank Wedekind, Carl Sternheim und Ödön von Horváth konnten von den strukturellen Veränderungen im Feld profitieren. Besonders hervorzuheben sind in diesem Kontext das *Théâtre national de Strasbourg (TNS), das Théâtre de l’Est Parisien (TEP) sowie der Centre dramatique de Toulouse. Dabei ist der Anstieg an deutschen Stücken am TEP sowie in Toulouse in den 1970er Jahren u.a. auf das relativ spät einsetzende Interesse von Guy Rétoré bzw. Maurice Sarrazin an *Brecht zurückzuführen; der zu konstatierende Wandel am *TNS war hingegen Jean-Pierre Vincent zu verdanken, der 1975 die Leitung übernahm. Ein Rechtsruck im intellektuellen Feld führte ab Mitte der 1980er Jahre zu einer französischen Brechtkrise, wobei das (zumindest temporär) verminderte Interesse an *Brecht die Rezeption anderer deutschsprachiger Autoren eher stimulierte. So entdeckte die französische Theaterszene, mit einiger Verspätung, nun endlich sowohl Thomas Bernhard als auch einige (nicht systemkonforme) DDR-Autoren, die bis dahin nur selten gespielt wurden: *Heiner Müller, Christoph Hein und Thomas Brasch. In den 1990er Jahren ist zwar ein weiterer Anstieg deutschsprachiger Stücke, gleichzeitig aber, was die Entdeckung neuer Autoren anbelangt, ein deutlicher Rückgang zu konstatieren. Während bekannte und bewährte Autoren - von *Brecht bis zu Arthur Schnitzler - weiterhin viel gespielt wurden, besaßen immer weniger Re- Deutsches Theater in Frankreich D 185 gisseure den Mut, unbekannte Dramatiker auf die Bühne zu bringen. Die abnehmende Präsenz deutschsprachiger Gegenwartsautoren nach 1990 scheint allerdings weniger einem Autorenmangel als vielmehr dem steigenden ökonomischen Druck und der damit verbundenen sinkenden Risikobereitschaft der Theatermacher geschuldet. Eine Ausnahme bildete Werner Schwab; die Stücke von Elfriede Jelinek stießen, von Ausnahmen abgesehen, bei französischen Regisseuren auf kein Interesse - was zum Teil auch daran liegen mag, dass die Akteure des neuen deutschen Regietheaters erst ab der Jahrtausendwende in Frankreich wirklich bekannt wurden. Was die Regisseure anbelangt, so spielte die produktivste Rolle für die Rezeption des deutschen Theaters nachweislich *Bernard Sobel, der neben *Bertolt Brecht oder *Heiner Müller auch eine ganze Reihe klassischer Autoren (Schiller und Lessing, Grabbe und Lenz) erstmalig zur Aufführung brachte. Auch Dramatiker wie *Heiner Müller, Christoph Hein, Volker Braun, Thomas Brasch und sogar Thomas Bernhard wurden in *Sobels Theater in Gennevilliers entdeckt. Neben *Sobel ist vor allem *Michel Bataillon (als Übersetzer, Dramaturg und secrétaire général des TNP in Villeurbanne) hervorzuheben. Er arbeitete zunächst als Dramaturg mit Gabriel Garran (*Peter Weiss), ab den 1970er Jahren dann mit Roger Planchon zusammen, der an seinem Théâtre national populaire in Villeurbanne zahlreiche Inszenierungen deutschsprachiger Dramatiker auf den Spielplan setzte und u.a. ein enges Verhältnis zu Manfred Karge und *Matthias Langhoff unterhielt, die er zeitweilig als Hausregisseure beschäftigte. Zum künstlerischen Umfeld Planchons gehörten im weiteren Sinne auch Jacques Rosner, *Patrice Chéreau und Georges Lavaudant, die ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der deutschen Dramatik einnahmen. Eine weitere zentrale Figur im deutsch-französischen Theaterfeld ist *Jean Jourdheuil, der als Übersetzer, Dramaturg, Regisseur und schließlich Agent nicht allein maßgeblich für die Entdeckung *Heiner Müllers verantwortlich war, sondern auch Autoren wie Karl Valentin dem französischen Publikum näher brachte. Auch Jean-Pierre Vincent ist von Bedeutung, insbesondere als Leiter des *TNS und durch seine Zusammenarbeit mit André Engel (der in Folge zahlreiche Stücke deutscher Autoren mit großem Erfolg inszenierte) sowie dem Dramatiker Michel Deutsch, der auch Texte von *Rainer Werner Fassbinder und Elfriede Jelinek übersetzte. Zudem stand Vincent in engem Kontakt zu *Klaus Michael Grüber und *Peter Stein und versuchte das Mitbestimmungsprinzip der *Schaubühne zu kopieren. Weitere Impulse für die Entdeckung und Etablierung deutscher Autoren gaben *Daniel Benoin, der Mitte der 1970er Jahre die von Jean Dasté gegründete Comédie de Saint- Étienne übernahm (an der Dasté schon in den späten 1950er Jahren *Brecht inszenierte) sowie Michel Dubois, der seit Anfang der 1970er Jahre die Comédie de Caen leitete und dort eng mit Claude Yersin zusammenarbeitete. Dubois und Yersin übersetzten Herbert Achternbusch sowie Martin Sperr und machten diese in Frankreich bekannt. Auch Philippe Adrien und Jean-Claude Fall, Gaston Jung, Jacques Kraemer, Jean-Louis Martinelli, der u.a. für die französische *Fassbinder-Rezeption wichtig war, *Hans Peter Cloos (Thomas Brasch), Claude Régy (*Peter Handke, Botho Strauß) sowie *Stéphane Braunschweig und Stanislas Nordey (Falk Richter) sind hervorzuheben. Neben den beschriebenen ökonomischen Problemen hat die allgemeine Europäisierung der Kulturpolitik und die damit verbundene intensivierte Verbreitung der Dramatik anderer Länder die herausgehobene Position der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik in Frankreich seit den 1990er Jahren relativiert. Daran konnte auch die verstärkte Unterstützung des *Goethe-Instituts Paris von Übersetzungen (*Übersetzung von Theaterstücken) und die Ausrichtung von szenischen Lesungen nur bedingt etwas ändern. Ein positiver Umschlag ist indes seit der Jahrtausendwende zu konstatieren, was vor allem am Hype für das deutsche Regietheater liegen dürfte. Insbesondere *Thomas Ostermeier und die „neue“ *Schaubühne, aber auch Frank Castorf, René Pollesch und neuerdings Nicolas Stemann sind mit Inszenierungen gern gesehene Gäste in Frankreich und beleben langsam auch wieder das Interesse an jungen deutschen Dramatikern. Neben Paris hat sich das Festival d’Avignon als feste Gastspielstätte des deutschen Regietheaters etabliert - nicht zuletzt dank Vincent Baudriller (künstlerischer Leiter bis 2013) und Ostermeier, der 2004 als erster artiste associé des Festivals die Möglichkeit bekam, dessen Programm zu gestalten und zahlreiche deutsche Regisseure einlud. Gleichzeitig ist eine eher konservative Perspektivierung des deutschen Theaters Deutsch-französische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste 186 D festzustellen: So entdeckte man am Ende der 1990er Jahre recht spät Claus Peymann (als Direktor des *Berliner Ensembles), dessen Arbeiten in seinen entscheidenden künstlerischen Perioden so gut wie nie in Frankreich zu sehen waren; *Luc Bondy, der 2012 die Leitung des Odéon übernahm und in seiner ersten Spielzeit u.a.*Peter Stein zu einer Inszenierung einlud, hat diesen Trend noch weiter verschärft. Robert Abirached (Hg.), La décentralisation théâtrale, 4 Bde., Arles 1994; ders., Le théâtre et le Prince 1981- 1991, Paris 1992; ATAC (Hg.), 25 ans de décentralisation. 3 Bde., Paris 1972-73; Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Marco Consolini, Théâtre Populaire 1953-1964. Histoire d’une revue engagée, Paris 1998; Jean-Claude François, Une opération originale du Goethe-Institut: la diffusion du théâtre allemand des années quatre-vingt-dix, in: Allemagne d’aujourd’hui, 149 (1999); ders., La réception du théâtre allemand en France depuis 1980, in: Allemagnes d’aujourd’hui, 104 (1988); Colette Godard, Francesca Spinazzi (Hg.), Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996; Denis Gontard, La décentralisation théâtrale en France 1895-1952, Paris 1973. Nicole Colin Deutsch-französische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste Die deutsch-französischen Beziehungen im Bereich der bildenden Künste waren in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 zunächst grundlegend von Asymmetrie und, wie der gesamte Kulturbereich, von der Politik bestimmt. Französische Kunst war in den westlichen Besatzungszonen und später der BRD in hohem, in der DDR in geringerem Maße in Ausstellungen und Medien präsent und beeinflusste die künstlerischen Entwicklungen ebenso wie die kunstkritischen Debatten. Umgekehrt spielte deutsche Kunst in Frankreich nur eine geringe Rolle. Damit setzte sich das traditionelle Ungleichgewicht fort, das den deutsch-französischen Kunsttransfer vom 19. Jahrhundert bis in die Zwischenkriegszeit beherrscht hatte. Nach 1945 verstärkte das Ausstellungsprogramm der französischen Militärregierung, genauer der Direction de l’éducation publique in Baden-Baden unter Leitung von *Raymond Schmittlein und nach 1949 der Direction générale des affaires culturelles in Mainz die Präsenz französischer Kunst in Deutschland. Anstatt die in deutschen Sammlungen befindlichen Meisterwerke französischer Kunst als Reparationsleistungen nach Frankreich zu bringen, wie dort von manchen Stimmen gefordert worden war, wurden zwischen 1946 und 1949 vielmehr zahlreiche Ausstellungen französischer Werke in den westlichen Besatzungszonen und Berlin gezeigt. Ausgehend von Konstanz reiste ab 1946 „Französische Graphik der Gegenwart“ durch deutsche Städte, gefolgt von Wanderausstellungen mit Werken von Braque, Léger, Picasso und Matisse und der großen, vom Direktor des Pariser Musée national d’art moderne Jean Cassou zusammengestellten Ausstellung „Moderne französische Malerei“. Sie zog 150 000 Besucher an und war unter anderem im Berliner Schloss zu sehen. 1947 zeigte die französische Militärregierung im Berliner Zeughaus „Französische Skulptur von Rodin bis in unsere Tage“. Die 1946 durch die Franzosen lizensierte Zeitschrift „Das Kunstwerk“ informierte regelmäßig über französische Kunst und trug erheblich zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Für Frankreich waren die Ausstellungen Teil der mission civilisatrice im Kontext der rééducation -Politik der Westalliierten. Das französische Kunstvorbild sollte den kulturell entwöhnten Deutschen wieder freiheitliche ästhetische Werte vermitteln. Dieser im französischen Selbstverständnis historisch verwurzelte zivilisatorische Missionsgedanke verband sich mit dem ebenso traditionellen Anspruch, Frankreich als - trotz Krieg und Okkupation - dominierende Kultur- und Kunstnation zu behaupten. Dies geschah nicht nur gegenüber den Deutschen, sondern auch den anderen Alliierten, denen man sich militärisch unterlegen sah, aber im Feld der Kunst überlegen glaubte. Auf deutscher Seite stießen die Ausstellungen auf großes Interesse. Sie boten die lang entbehrte Möglichkeit, Werke der Pariser Vorkriegsavantgarde von Picasso bis Léger zu sehen und jüngere Künstler der École de Paris um Jean Bazaine und Maurice Estève kennenzulernen. Sie regten nicht nur die heimischen Künstler an, sondern zugleich auch den Diskurs über die deutsche, unter den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemte Moderne und trugen zur Findung eigener kultureller Identität bei. Doch es gab auch verstörte Reaktionen auf Werke, die in kubistisch-abstrahierender Formensprache das Menschenbild angeblich zertrümmerten. Aufgrund der Ungeübtheit des deutschen Publikums mit abstrakter Kunst, aber auch der Vor- Deutsch-französische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste D 187 behalte konservativer Pariser Kreise - die Abstraktion galt bis in die 1950er Jahre als unfranzösische, germanisch geprägte Kunstrichtung - legten die französischen Veranstalter zunächst einen Schwerpunkt auf die Klassische Moderne. Eine große Ausstellung deutscher Kunst fand, nach komplizierten kulturpolitischen Verhandlungen, zum ersten Mal 1950 in Paris statt, als in der Orangerie „Des Maîtres de Cologne à Albrecht Dürer. Primitifs de l’École allemande“ gezeigt wurden. Maßgeblichen Anteil daran sowie an der nach 1950 insgesamt stärker bilateralen Ausrichtung des Kulturaustauschs zwischen der BRD und Frankreich hatte der Kunsthistoriker *Wilhelm Hausenstein, seit Juli 1950 deutscher Generalkonsul in Paris. Ausstellungen der deutschen Vorkriegsavantgarde fanden dennoch keinen Weg in die französische Hauptstadt; über sie informierten lediglich Artikel meist deutscher Autoren in französischen Kulturzeitschriften. Wassily Kandinsky und Paul Klee, dem das Musée national d’art moderne 1948 eine Retrospektive widmete, wurden zwar von vielen Pariser Künstlern und Kritikern als Ahnväter der abstrakten Kunst verehrt, sie galten allerdings als russischer bzw. Schweizer Künstler. Deutsche Exilanten wie Max Ernst, Wols und *Hans Hartung zählten zur École de Paris. In den 1950er Jahren verband sich in der Bundesrepublik die Rezeption französischer Kunst mit dem Siegeszug der abstrakten Malerei. Schon 1948 war eine vom Sammler Ottomar Domnick zusammengestellte Wanderausstellung u.a. mit Werken von *Hartung, Pierre Soulages und Auguste Herbin durch Deutschland gereist; ab 1951 förderten auch die französischen Kulturbehörden Präsentationen abstrakter Kunst in deutschen Kunstvereinen und Museen; Sammlungen wurden (wieder- )aufgebaut, etwa im Museum Folkwang in Essen. Deutsche Künstler pilgerten nach Paris, um die neuesten Kunstentwicklungen kennenzulernen. Denn während die deutsche Szene noch über die Frage Figuration oder Abstraktion stritt, diskutierte man in Paris längst die unterschiedlichen Spielarten geometrischer und lyrischer Abstraktion bzw. des Tachismus und der Art brut. In Auseinandersetzung mit den Werken von *Hartung, Wols, Bryen, Riopelle und Soulages entwickelte eine junge Generation deutscher Künstler ihre ungegenständliche Malerei, Mitglieder der Münchner Gruppe ZEN 49 ebenso wie die der Frankfurter Quadriga und der Düsseldorfer Gruppe 53. Private Kontakte zwischen Künstlern, Kritikern und Galeristen ermöglichten auch Ausstellungen deutscher Gegenwartskunst in Paris. Schon 1948 hatten 19 deutsche Maler am Salon des Réalités nouvelles, einem Forum abstrakter Kunst, teilgenommen. Baumeister zeigte 1949 als erster deutscher Künstler nach dem Krieg eine Einzelausstellung in der französischen Hauptstadt. 1955 machten die jungen deutschen Maler des Informel um Bernhard Schultze und Karl Otto Götz auf der Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“, die 98 Werke von 37 deutschen Künstlern im Cercle Volney zeigte, die Pariser auf sich aufmerksam. Wenig später führte die Freundschaft zwischen Yves Klein und den Mitgliedern der Gruppe ZERO dazu, dass diese Künstler schon am Beginn ihrer Karriere in Avantgardegalerien des jeweiligen Nachbarlandes ausstellten. In der BRD definierten einflussreiche Kunsthistoriker wie Will Grohmann und Werner Haftmann die abstrakte Kunst als einzig adäquaten Ausdruck der Epoche und als Sprache der freien Kunst. Die französische und deutsche Kunst galten als Schrittmacher der Avantgarde und ihrer folgerichtigen Entwicklung hin zur Abstraktion. Höhe- und Endpunkt dieser Argumentation waren die ersten documenta-Ausstellungen in Kassel. Die der Kunst bis 1945 gewidmete documenta von 1955 wurde von deutschen und französischen Werken dominiert und integrierte deutsche Kunst wieder ebenbürtig in den Kanon der europäischen Moderne. Die documenta 2 1959 zeigte Kunst nach 1945 und propagierte die „Weltsprache Abstraktion“. Doch die Werke des abstrakten Expressionismus aus den USA verdeutlichten, dass die Metropole aktueller Kunst nicht mehr Paris, sondern New York war. In der Folgezeit ebbte das starke deutsche Interesse für die französische Schule, das lange der Motor für die deutsch-französischen Kunstbeziehungen gewesen war, mehr und mehr ab; in Frankreich blieb deutsche Kunst weiterhin unterrepräsentiert. In der SBZ/ DDR wurde die französische Vorkriegsavantgarde im Zuge der Formalismuskampagnen ab 1948 von offizieller Seite als westlich dekadent und formalistisch abgelehnt, die aktuelle abstrakte Kunst ignoriert. Als warnendes Beispiel galt Picasso, der trotz seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei in seiner Kunst auf formalistische Abwege geraten sei. Dennoch blieb er Deutsch-Französische Filmakademie 188 D für viele Künstler, darunter Willi Sitte, ein wichtiges Vorbild. Die Galerie Eduard Henning in Halle und die graphischen Sammlungen ostdeutscher Museen zeigten in den 1950er Jahren Werke Picassos und seiner französischen Zeitgenossen in Ausstellungen wie „Von Menzel bis Picasso“ (Staatliche Galerie Moritzburg Halle 1957) oder „Pablo Picasso. Das graphische Werk“ (Berlin 1957). Die Zeitschrift „Bildende Kunst“ nutzte die liberalere Periode nach Stalins Tod, um 1955 eine Debatte über Picasso mit Beiträgen aus Ost und West anzustoßen und 1956 der französischen Kunst ein Sonderheft zu widmen. Über Kontakte zwischen Kritikern und Künstlern in Ost-Berlin und Paris ergaben sich Ausstellungsmöglichkeiten, so zeigte etwa Waldemar Grzimek 1956 Werke in der Pariser Maison de la Paix, elf Künstler um Herbert Sandberg und Arno Mohr wurden 1957 in der Galerie Badinier vorgestellt. Nach 1957 jedoch beschloss die Kulturkonferenz der SED die endgültige Umsetzung des sozialistischen Realismus und verurteilte dekadente westliche Einflüsse. Auch dies hielt eine jüngere Generation ostdeutscher Künstler bis in die 1970er Jahre nicht davon ab, Anregungen für ihre Arbeit u.a. in der französischen Moderne zu suchen. Zugleich scheiterten die Bemühungen der DDR-Kulturbehörden, der ostdeutschen Kunst in Paris größere und offizielle Präsenz zu verleihen am Widerstand der französischen Politik. Erst nach Abschluss des Kulturabkommens mit Frankreich konnte 1981 die Ausstellung „Peinture et gravure en République démocratique allemande“ im Musée d’art moderne de la ville de Paris stattfinden. Sie zeigte ein breites Spektrum, das von figurativer Malerei, etwa eines Bernhard Heisig und Werner Tübke, bis zu den abstrakten Werken Hermann Glöckners reichte, und wollte nicht zuletzt eine Replik auf die große Ausstellung „Art Allemagne Aujourd’hui. Différents aspects de l’art actuel en République fédérale d’Allemagne“ sein, mit der kurz zuvor am gleichen Ort die westdeutsche Avantgarde um Joseph Beuys, Palermo und ehemalige ostdeutsche Künstler wie Baselitz, Richter und Penck vorgestellt worden war. Sie zeigte in Paris erstmals, welche Vitalität und Weltgeltung diese Kunstszene - nun oft im Dialog mit der amerikanischen - erlangt hatte. Dennoch waren, überblickt man das gesamte 20. Jahrhundert, die deutsch-französischen Beziehungen ein zentraler Faktor der Entwicklung europäischer Kunst, was auch die Initiatoren des 1997 in Paris gegründeten *Deutschen Forums für Kunstgeschichte bewog, dieses Verhältnis in einer Forschungsstelle intensiv zu untersuchen. Marie-Amélie zu Salm-Salm, Échanges artistiques francoallemands et renaissance de la peinture abstraite dans les pays germaniques après 1945, Paris 2003; Martin Schieder, Im Blick des anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959, Berlin 2005; Martin Schieder, Isabelle Ewig (Hg.), In die Freiheit geworfen. Positionen zur deutsch-französischen Kunstgeschichte nach 1945, Berlin 2006; Mathilde Arnoux, Les musées français et la peinture allemande 1871-1981, Paris 2007; Martin Schieder, Friederike Kitschen (Hg.), Art vivant. Quellen und Kommentare zu den deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1960, Berlin 2011. Friederike Kitschen Deutsch-Französische Filmakademie Académie franco-allemande du Cinéma Der französische Film hat seit Ende des Zweiten Weltkrieges regelmäßig Erfolge in Deutschland gefeiert. Der unaufhaltbare Vormarsch des amerikanischen Films und die Renaissance des deutschen Films ab den siebziger Jahren haben daran wenig geändert. Gründe hierfür waren u.a. auch der Durchbruch der *Nouvelle vague, die Beliebtheit vieler Schauspieler, aber auch die zusätzliche Unterstützungen von Staat und Institutionen. So wurden im Dezember 1974, Februar 1981 und Dezember 1984 Abkommen zwischen der BRD und Frankreich zur Förderung der Koproduktionen und des Absatzes von Filmen aus den gemeinsamen und nationalen Produktionen beider Staaten unterzeichnet. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Gründung der Deutsch-Französischen Filmakademie (Académie franco-allemande du cinéma) im Juni 2000 in Berlin durch Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit deren Hilfe die Zusammenarbeit beider Länder im Bereich Film unterstützt werden sollte. Unter der Aufsicht des Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) und des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sollte auf diese Weise die Abkommen zur Förderung deutschfranzösischer Koproduktionen erweitert werden. Im Mai 2001 wurde in Cannes dann ein sogenannter Mini-Vertrag unterzeichnet, in dem die Gründung eines gemeinsamen Koproduktionsfonds beschlossen wurde, mit dem Ziel die Beziehungen beider Länder im filmischen Bereich weiterzuentwickeln. Jede Seite zahlte 1,5 Millionen Euro in Deutsch-Französische Geschichte D 189 den Fonds ein, die von einer gemeinsamen Kommission, bestehend aus Vertretern des CNC und der Filmförderungsanstalt (FFA), verwaltet werden sollten. Im Rahmen dieses Abkommens entstand auch eine Bildungszusammenarbeit zwischen der französischen Filmhochschule Fémis und der Filmakademie Baden-Württemberg in den Bereichen Produktion und Vertrieb: das Atelier Ludwigsburg- Paris, dem u.a. die Aufgabe zukommt, Kontakte zur deutschen und französischen Filmindustrie herzustellen. Schließlich entstanden 2003 die deutsch-französischen Filmtreffen mit dem Ziel, Koproduktionen zu erleichtern und den Vertrieb von französischen Filmen in Deutschland (und umgekehrt) zu unterstützen. Seit zehn Jahren erhalten im Durchschnitt zehn Koproduktionen pro Jahr eine Unterstützung, von der berühmte Regisseuren wie Claude Chabrol oder *Michael Haneke bereits ebenso profitiert haben wie Erstlingswerke von Newcomern. Wie von offizieller Seite festgestellt wurde, überwiegt bis jetzt der Anteil der französischen Produktionen. Was Koproduktionen mit mehrheitlichem französischem Anteil im Allgemeinen betrifft, so steht Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre an zweiter oder dritter Stelle, hinter Belgien und (manchmal) vor Italien. Gilbert Guillard Deutsch-Französische Geschichte Histoire franco-allemande Genauso wie das *deutsch-französische Schulgeschichtsbuch ist die deutsch-französische Geschichte (DFG) Ausdruck für eine konstruktive Kooperation auf dem Feld der *Historiker/ Geschichtswissenschaft. Sie stellt ein elfbändiges wissenschaftliches Werkzeug dar, um die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart in ihrem europäischen und weltgeschichtlichen Kontext besser zu verstehen. Die einzelnen Bände teilen sich nach Vorbild der Nouvelle Clio (PUF) und dem Grundriss der Geschichte (Oldenbourg) in drei Teile - Überblick, Fragen und Perspektiven, Bibliographie -, um den Leser erstens in die Thematik einzuführen und ihm ein Grundwissen zu vermitteln, zweitens Forschungsfragen zu diskutieren und Desiderata zu identifizieren und drittens über die Bibliographie zum Weiterlesen anzuregen. Damit richtet sich diese Reihe nicht alleine an Historiker, sondern zielt auf ein breiteres Publikum, das sich für die politischen, wirtschaftlichen, militärischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte der deutsch-französischen Beziehungen interessiert. Das Projekt nahm Ende der 1990er Jahre seinen Ursprung und geht auf eine Kooperation zwischen dem *DHI Paris und der EHESS zurück. Unter der Leitung von Werner Paravicini (seit 2007 Gudrun Gersmann) für die deutsche und Michael Werner für die französische Seite erschien der erste Band in deutscher Sprache im Jahre 2005, in französischer im Jahre 2011 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt bzw. den Presses universitaires du Septentrion. Die Autoren sind deutsche und französische Historiker, die entweder alleine oder in binationalen Tandems à quatre mains die Bände verfasst haben und einen Beitrag zu einer transnationalen Geschichtsschreibung leisten wollen. Das Ziel dieses Werkes ist es nicht alleine, die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen zu schreiben. Vielmehr galt es mit einem multiperspektivischen Zugang, die deutsche und französische Geschichte in ihren jeweiligen Verflechtungen und Besonderheiten, ihren Austausch- und Abgrenzungsprozessen, ihren Perzeptionen und Rezeptionen darzustellen. Mag ein solcher Ansatz für die Gegenwart schnell einsichtig erscheinen, so stellt sich diese Frage für das frühe Mittelalter anders, als es Frankreich und Deutschland noch nicht gab. Für das 19. und 20. Jahrhundert ergaben sich andere Probleme, musste u.a. doch geklärt werden, wie sich Verflechtungen und Kulturtransfers in Zeiten des Nationalismus und der wechselseitigen Feindschaft (*Erbfeindschaft) gestalteten. Für die Periode der deutsch-französischen Verständigung nach 1945 war es zudem mit einem vergleichenden Ansatz wichtig zu zeigen, dass die langsame, aber tiefgreifende Annäherung der Gesellschaftsstrukturen und Lebensweisen der beiden Länder wesentlich zur deutsch-französischen Aussöhnung beigetragen haben, nachdem das reziproke Misstrauen in der Vergangenheit u.a. auch auf den fundamentalen Unterschieden der gesellschaftlichen Strukturen beruht hatte. Diese Beispiele geben einen kleinen Einblick in die Problemstellungen, die sich dem Historiker stellen, wenn er eine deutschfranzösische Geschichte von Karl dem Großen bis heute schreiben will. Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Comment écrire une histoire transnationale? , in: Michel Grunewald u.a. (Hg.), France-Allemagne au XX e siècle - la production de Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra) 190 D savoir sur l’Autre = Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert - akademische Wissensproduktion über das andere Land, Bern 2011, S. 117-132; Werner Paravicini, L’Histoire franco-allemande, in: Bulletin des Deutsch-Französischen Komitees für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte, 17 (September 2006), S. 15-17. Corine Defrance, Ulrich Pfeil Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra) Als ostdeutsche Partnerorganisation der *EFA wurde am 17.2.1962 auf Beschluss der SED die Deufra gegründet, die nicht nur eine Koordinierungsstelle für die kulturpolitischen Beziehungen der DDR nach Frankreich war, sondern zugleich ein Kontrollinstrument für die Einbindung von „Vertretern der Intelligenz” wie u.a. *Anna Seghers und Stephan Hermlin in ihr außenpolitisches Gesamtkonzept. Nach der Ablösung des Gründungspräsidenten Georg Mayer übernahm der Frankreichemigrant *Franz Dahlem diese Funktion am 9.7.1964. Als Vizepräsident stand ihm ab 1965 *Gerhard Leo zur Seite. Von diesem Personalwechsel versprach sich die SED eine stärkere Politisierung der Gesellschaft und breitere Kontakte zum Kreis der französischen Widerstandskämpfer, die sie im Zeichen des Antifaschismus zu koordinieren hatte. Sie war Teil der „auslandsinformatorischen Arbeit“ der DDR in Frankreich und sollte ihre „internationale Autorität“ stärken. Über kulturelle, wissenschaftliche, sportliche und handelspolitische Kontakte galt es Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Frankreichs herzustellen und gemeinsam mit der *EFA kulturelle Veranstaltungen über die DDR in Frankreich zu organisieren. Auf unterer Ebene förderte sie die Vermittlung von Delegationen französischer Politiker, Wissenschaftler und Studenten. Ihre Gründung war zugleich eine Reaktion auf den Abschluss des *Élysée-Vertrags und die verstärkte westdeutsch-französische Kooperation. Die Kultur war dabei ein Mittel der *auswärtigen Kulturpolitik der DDR, sich in einer Dreiecksbeziehung als gleichberechtigter Partner zu etablieren. Zu einem wichtigen Charakteristikum dieser Kaderorganisationen wurde ihr Mangel an Öffentlichkeit, bestand die Deufra in der Praxis doch nur aus dem Präsidium, das nach einem vom ZK der SED vorgegebenen Schlüssel von Mitgliedern der SED, der Blockparteien und der Massenverbände besetzt wurde. Instrukteure wachten darüber, dass „die Beschlüsse der Partei auf dem Gebiet der Auslandsinformation konsequent verwirklicht werden“, sodass sie zu keiner Zeit ein Forum von legitimierten Interessenauseinandersetzungen war. Durch inszenierte „unpolitische” Momente mit Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben versuchte die SED nach außen, die Freundschaftsgesellschaften als überparteiliche und intermediäre Organisationen zu präsentieren, doch war dies nur Ausdruck für ihren politischen und ideologischen Allmachtsanspruch. Von ihren Publikationen erhoffte sich die Deufra eine Multiplikatorenwirkung und die Verbreitung ihrer Ideen in weiteren Gruppen der französischen Gesellschaft. Ab Oktober 1955 vertrieb die Deufra die Zeitschrift „Nouvelles d’Allemagne“, die jedoch im April 1957 durch Verordnung des französischen Innenministeriums für ganz Frankreich verboten und durch die „Voix d’Allemagne“ ersetzt wurde. Gleichfalls monatlich erschien die „DDR-Revue“, die für Frankreich und Belgien mit einer Beilage unter dem Titel „Association Allemagne-France en République Démocratique Allemande - Échanges et aperçus“ versehen wurde, die den Leser sowohl über die Ziele und Aktivitäten der Deufra wie der *EFA informierte. Hinzu kam das „Écho d’Allemagne“, das dem französischen Leser auch vor Augen führen sollte, dass eine „echte Aussöhnung” nur unter Einbeziehung der DDR möglich sei. Ihr Mangel an Öffentlichkeit ließ sie jedoch nie zu einer Austauschorganisation wie die *Deutsch-Französischen Gesellschaften in der Bundesrepublik werden, sodass sie gemeinsam mit der DDR von der Bildfläche verschwand. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 300ff. Ulrich Pfeil Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (DFGWT) Die Gründung der DFGWT geht auf die „Erste Gemeinsame Kulturerklärung der Staats- und Regierungschefs vom 6.2.1981 zurück (Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt). Im Abschnitt „Hochschulwesen, Forschung, angewandte Wis- Deutsch-Französische Gesellschaften (DFG) D 191 senschaften, Technologie)“ der Erklärung heißt es hierzu: „Die kürzlich durch eine private Initiative gegründete Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie ist ein wichtiger Beitrag zur Annäherung zwischen Industrie und Wissenschaft.“ Mangels eines europarechtlichen Rechtsinstituts besteht das so entstandene Gebilde aus zwei gemeinnützigen Vereinen jeweils nationalen Rechts, die sich über einen Lenkungsausschuss über gemeinsame Vorhaben verständigen und bei deren Durchführung eng zusammenarbeiten. In Deutschland ist die DFGWT ein eingetragener Verein (e.V.), die AFAST hat in Frankreich die Rechtsform einer association loi 1901. Sie finanzieren ihre Tätigkeit durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, kostendeckende Projekte unterschiedlicher Auftraggeber sowie aus Zuwendungen des deutschen und französischen Forschungsministeriums. Per 31.12.2010 hatte die DFGWT 87 persönliche und 13 korporative Mitglieder. DFGWT und AFAST verfügen über ein Netzwerk von Partnern in Deutschland und Frankreich, die ihre Kenntnisse der wissenschaftlichen und industriellen Landschaft des jeweiligen Partnerlandes einsetzen, um Technologietransfers und Partnerschaften zu erleichtern. Aktionsmittel von DFGWT/ AFAST sind: Durchführung von Kolloquien, Seminaren und Vorträgen, Unterstützung von Netzwerken zur Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, Förderung von Arbeiten an Hochschulen im Bereich von Wissenschaft und Technologie, Analysen, Aufbereitung und Austausch von wissenschaftlichen sowie wissenschaftspolitischen Informationen. Der erste Vorsitzende der DFGWT war seinerzeit Heinz Maier-Leibnitz, u.a. Gründungsrektor des deutsch-französischen *Instituts Laue- Langevin in Grenoble. Derzeitiger DFGWT-Präsident ist seit 2002 der Naturwissenschaftler Adolf Birkhofer (München). Vorsitzender von AFAST ist von deren Gründung an bis 2011 Pierre Laffitte, Senator der Alpes-Maritimes, président-fondateur des Forschungszentrums Sophia Antipolis und président honoraire de la Conférence des grandes écoles. Im Vorbereitungsstadium der Gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 6.2.1981 war er die treibende Kraft zur Gründung von DFGWT/ AFAST. DFGWT/ AFAST haben aus Anlass ihres zwanzigjährigen Bestehens (1981-2001) ihre Arbeit in diesem Zeitraum in einer zweisprachigen Dokumentation im Einzelnen dargestellt. Seit dem Jahre 2002 waren Höhepunkte ihrer Arbeit: die Durchführung zweier deutsch-französischer Kolloquien „Energie in Europa“ (Paris, September 2003 und Oktober 2006), die Begleitung des 1., 2. und 3. Forums zur Deutsch-Französischen Forschungskooperation (Paris 2002, Potsdam 2005 und Paris 2008). Jüngere Projektbeispiele sind u.a. die Konferenz zur Finanzierung innovativer Unternehmen (Paris 2007), die Symposien zur Wechselwirkung zwischen gemeinnützigen Forschungsstätten und der Wirtschaft (München 2008), zur „Innovation in Europa“ (Elsass 2009), zur Versorgung Europas mit nichtenergetischen Rohstoffen (Paris 2010). 40 Jahre Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Forschung und Technologie: Bilanz und Perspektiven, Bonn, Berlin, Paris 2005; 20 Jahre Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (DFGWT), Bonn 2002. Hermann Schmitz-Wenzel † Deutsch-Französische Gesellschaften (DFG) In vielen deutschen Städten existiert eine Deutsch- Französische Gesellschaft oder ein Verein ähnlicher Namensgebung, wie z.B. deutsch-französischer Club, deutsch-französischer Kreis usw. Zu verschiedenen Zeitpunkten und aus diversen Anlässen gegründet, in der Gestaltung von Satzung, Programm und medialem Auftritt frei und unabhängig, verfolgen diese Vereine auf unterschiedliche Weise ein gemeinsames Ziel: in ihrem Wirkungsbereich einen Beitrag zur Annäherung und besseren Verständigung zwischen den beiden Nationen und zur persönlichen Begegnung von Franzosen und Deutschen zu leisten. Viele aber nicht alle DFG gehören der *Vereinigung Deutsch- Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (*VDFG) an, auf deren Webseite Name und Sitz der Mitgliedsgesellschaften verzeichnet ist. Anders als bei der 1928 in Berlin gegründeten, unter dem NS-Regime 1934 wieder aufgelösten Deutsch-Französischen Gesellschaft, die Ortsgruppen in einigen anderen Städten gebildet hatte, sind die nach 1945 gegründeten DFG keine lokale Sektion der *VDFG, sondern selbstständig und können über ihre Zugehörigkeit zur *VDFG frei ent- Deutsch-französische Gipfeltreffen 192 D scheiden. Einige unter ihnen sind älter als die Bundesrepublik Deutschland, eine beträchtliche Anzahl älter als der *Élysée-Vertrag von 1963, der seinerseits den Anstoß zu vielen weiteren Gründungen gab. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Entwicklung verlangsamt, ohne je zum Stillstand gekommen zu sein. Die jüngste bekannt gewordene Neugründung einer DFG erfolgte im Jahr 2013 in Stade. Wie viele DFG insgesamt in Deutschland existieren, lässt sich nicht ermitteln, da nicht alle im Vereinsregister eingetragen und auch nicht alle Mitglieder der *VDFG sind. Während die DFG der Bundesrepublik Deutschland lokale oder regionale, jeweils aus privaten Initiativen entstandene bürgerschaftliche Vereine sind und ihre Ausgaben aus den Beiträgen ihrer Mitglieder und gelegentlichen Spenden finanzieren, gab es in der DDR innerhalb der Liga für Völkerfreundschaft eine *Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra). Sie wurde nach der Wende in eine mehrfach umbenannte und zuletzt als Deutsch-Französische Gesellschaft firmierende Dachgesellschaft mit Lokalkomitees umgewandelt, die sich 1992 aufgelöst hat. Bereits vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik sind dort die ersten selbstständigen lokalen DFG gegründet worden, weitere folgten im Laufe der Jahre, einige davon sind der *VDFG beigetreten, andere nicht. Die DFG sind überparteilich und überkonfessionell, aber nicht apolitisch, insofern sie sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst für die *Versöhnung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk, danach für die weitere Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich und seit dem Beginn der europäischen Integration auch für diese engagiert haben. Sie entfalten ihre Aktivitäten hauptsächlich im kulturellen Bereich und leisten vielfältige Beiträge zur Förderung der Partnersprache. Ihre Beziehungen zu den *Städtepartnerschaften sind in der Regel eng, aber unterschiedlichen Ursprungs. Während einige DFG in ihrer Stadt den Anstoß zur Begründung einer Partnerschaft mit einer französischen Stadt gegeben haben, sind andere DFG gegründet worden, um eine bestehende deutsch-französische *Städtepartnerschaft für die Bevölkerung mit Leben zu erfüllen. Hans Manfred Bock, Deutsch-Französische Gesellschaften der Weimarer Zeit, in: Dokumente 45 (1989), S. 226-231; Beate Gödde-Baumanns, Bürgerschaftliche Basis der Annäherung: Die Deutsch-Französischen Gesellschaften, in: Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945, Tübingen 2010, S. 137-157; Margarete Mehdorn, Deutsch-Französische Gesellschaften in Deutschland, ebd., S. 159-174. Beate Gödde-Baumanns Deutsch-französische Gipfeltreffen Die organisierte und ritualisierte Interaktion der Regierungen Frankreichs und Deutschlands in Form von Gipfeltreffen gehört heute zum Standardprogramm der politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Diese Normalität veranschaulicht die spektakuläre Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses im letzten Jahrhundert. Der politische Graben zwischen den Ländern zeigte sich nämlich lange auch in der Abwesenheit von offiziellen Begegnungen: So kam es zwischen 1871 und 1914 weder auf Staatsoberhauptnoch auf Regierungschef- und Außenministerebene zu einem einzigen offiziellen bilateralen Treffen. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgten dann einzelne Begegnungen, insbesondere zwischen den Außenministern Aristide Briand und Gustav Stresemann, und in den 1950er Jahren absolvierte Bundeskanzler Konrad Adenauer mehrmals kurze Arbeitsbesuche in Paris. Doch auch dann schien das Klima noch nicht reif für einen spektakulären offiziellen Besuch: So wurde 1955 das Vorfühlen von Bundespräsident Theodor Heuss nach einem Staatsbesuch in Paris abschlägig beschieden. Die Situation änderte sich mit dem Amtsantritt von Charles de Gaulle: neben verschiedenen Treffen mit Adenauer wurde mit Bundespräsident Heinrich Lübke 1961 erstmals seit fast hundert Jahren ein deutsches Staatsoberhaupt zu einem feierlichen Besuch in Paris empfangen. Vor allem folgten dann, im Juli und September 1962, die aufwändig inszenierten, spektakulären Staatsbesuche Adenauers in Frankreich und de Gaulles in der Bundesrepublik. Diese Besuche sollten veranschaulichen, dass die Zeit der Feindschaft nun überwunden war, und bildeten eine psychologische Vorbereitung der Gesellschaften und Eliten beider Länder auf eine nähere politische Zusammenarbeit. Diese fand wenig später ihren Ausdruck im *Élysée-Vertrag vom 22.1.1963, und insbesondere im Artikel 1, in dem zur Organisation der konkreten Annäherung regelmäßige Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs beider Deutsch-französische Gipfeltreffen D 193 Länder vereinbart bzw. vorgeschrieben wurden und zwar „mindestens zweimal im Jahr”. Damit war das Fundament für regelmäßige deutsch-französische Regierungskonsultationen bzw. Gipfeltreffen gelegt. In der Folgezeit sind diese Treffen tatsächlich zu einer festen Institution geworden: Allen Fluktuationen des bilateralen Verhältnisses zum Trotz haben sie ihren festen Rhythmus entwickelt, jeweils abwechselnd halbjährlich in Frankreich bzw. in Deutschland. Seit 2003 hat sich ihr Charakter leicht verändert: Anlässlich des 40. Jahrestags des *Élysée-Vertrags wurde beschlossen, die Regierungskonsultationen als deutschfranzösische Ministerräte weiterzuführen, bei denen nunmehr nicht nur Kanzler und Präsident mit einzelnen Ministern, sondern die beiden kompletten Regierungen zweimal im Jahr zusammenkommen. Die Funktionen der Treffen sind dabei über die Jahrzehnte weitgehend dieselben geblieben: feste, institutionalisierte Momente des direkten und persönlichen Zusammentreffens zu schaffen, um zum einen bilateral gemeinsame Themen und Probleme besprechen und zum anderen das enge Verhältnis nach außen demonstrieren zu können. Dabei sind die Gipfeltreffen mit zwei Grundherausforderungen konfrontiert: Die erste stellt die Routinisierung der Treffen dar, aufgrund ihrer ständigen Wiederholung, gerade im Kontext der zunehmenden Normalisierung der Beziehungen. Der damit verbundenen Gefahr wachsender öffentlicher Gleichgültigkeit versuchen die beiden Regierungen, vor allem seit den 1980er Jahren, durch verschiedene Maßnahmen entgegenzutreten: So werden seitdem vermehrt gesellschaftspolitische und kulturelle Themen behandelt und dabei auch Begegnungen mit Akteuren aus diesen Bereichen eingebaut. Auch wurden in den 1990er Jahren die Treffen in die Provinz verlegt, an Orte, die weniger an Gipfelroutine gewöhnt sind. Die Verwandlung in Ministerräte 2003 illustriert den Zwang, sich immer wieder neu zu erfinden, ebenso wie die Durchführung der Blaesheim- Treffen seit 2001: Benannt nach dem Ort im Elsass, wo das erste solche Treffen stattfand, handelt es sich um Gespräche ohne feste Tagesordnung und im kleinen Kreis, zwischen Kanzler und Präsidenten plus Außenminister, die eine engere Abstimmung ermöglichen sollen - eine Art informelle Ergänzung der stärker durchorganisierten und aufwändigeren Gipfeltreffen. Die zweite Herausforderung betrifft die Frage der Diskrepanz zwischen Inszenierung und Realität: In der Tat wird den Gipfeln regelmäßig vorgehalten, sie würden zwar die Freundschaft beider Länder hochhalten, aber eigentlich wenig an existierenden Differenzen und Dissonanzen ändern und sich außerdem meist nur auf Absichtserklärungen beschränken. Unbestreitbar ist, dass die Gipfeltreffen bestehende Probleme nicht immer zu lösen vermögen. Aber die Tatsache, sich gerade auch zu treffen, wenn es um die Beziehung nicht zum Besten steht, stellt bereits einen Wert an sich dar, und ihr alleiniges Stattfinden zwingt zur Auseinandersetzung mit Differenzen und zum Nachdenken über mögliche Kooperationsprojekte. So waren Gipfeltreffen auch immer wieder Anlass, gemeinsame, sehr konkrete Initiativen zu lancieren: z.B. das Eurokorps beim Gipfel in La Rochelle im Mai 1992, oder, im kulturellen Bereich, das *AbiBac-Abkommen im Mai 1994 in Mulhouse und die *DFH im September 1997 in Weimar. Zumindest für aufmerksame Beobachter stellt jedes Gipfeltreffen einen guten Gradmesser dar, bei dem man anhand des Verlaufs, des Gesagten und auch des Nicht-Gesagten den momentanen Stand der Beziehungen ablesen kann. Insgesamt haben sich die Gipfeltreffen in den bald 50 Jahren ihres Bestehens gerade aufgrund ihrer Kontinuität zum deutlichsten Ausdruck einer engen deutschfranzösischen Zusammenarbeit und auch Normalität entwickelt. Schon 1966 bemerkte Außenminister Couve de Murville über den Gipfel von März 1966: „Das Resultat ist paradox: Es hat den Anschein einer deutsch-französischen Realität, auch wenn wir in den wichtigsten Fragen nicht übereinstimmen.“ Die Gipfel sind so sehr Teil und Verkörperung der deutsch-französischen Kooperation geworden, dass jedes Rütteln daran Zweifel am Engagement für die deutsch-französische Freundschaft aufkommen lässt. Als 2008 ein für März vorgesehenes Blaesheim-Treffen zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel um drei Monate verschoben wurde, wurde dieser ungewöhnliche Akt in politischen Kreisen als sehr verstörend empfunden. Abschließend ist zu bemerken, dass die deutsch-französischen Gipfeltreffen, in den 1960 Jahren in dieser Regelmäßigkeit ein neuartiges Experiment staatlicher Interaktion, Vorläufer und Vorbild für die Institutionalisierung von Gipfelkontakten wurden, wie sie heute z.B. auf EU- Ebene gang und gebe sind. Deutsch-Französische Gymnasien 194 D Christoph Lind, Die deutsch-französischen Gipfeltreffen der Ära Kohl - Mitterrand 1982-1994: Medienspektakel oder Führungsinstrument? , Baden-Baden 1998; Nicolas Moll, Une campagne de séduction et de conquête: La visite du général de Gaulle en Allemagne en septembre 1962, in: Allemagne d’aujourd’hui 162 (2002), S. 54-62; Hans-Peter Schwarz, Begegnungen an der Seine. Deutsche Kanzler in Paris, Zürich 1993; Alexandre Wattin, Die deutsch-französischen Gipfeltreffen im Zeitraum 1991-2002, Bonn 2003. Nicolas Moll Deutsch-Französische Gymnasien Die drei deutsch-französischen Gymnasien - Saarbrücken, Freiburg/ Br. und Buc (bei Paris) - sind sowohl ein Erbe der französischen Kulturpolitik in Deutschland nach 1945 als auch ein Symbol für die Intensivierung der Verständigungsarbeit zwischen beiden Ländern nach dem *Élysée-Vertrag. Bereits Anfang Dezember 1945 hatten die Franzosen eine Schule für ihre Kinder im Saarland gegründet (*Schulen). 1947 wurde sie zum Lycée Maréchal Ney ausgebaut - der Name des in Saarlouis geborenen Feldmarschalls der Rhein-Armee und Napoleons sollte wohl die Verflechtung zwischen dem Saarland und Frankreich betonen - und bekam 1949 neue Räumlichkeiten in der Halbergstraße, die von Ministerpräsident Johannes Hoffmann und dem französischen hohen Kommissar Gilbert Grandval eingeweiht wurden. Nachdem 1957 die Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik fast zur Schließung des französischen Gymnasiums, in dem die Hälfte der Schüler Saarländer waren, geführt hatte, wurde es im September 1961, nach drei Jahren Verhandlungen, in ein deutsch-französisches Gymnasium umgewandelt. Somit war im Sinne des 1954 verabschiedeten *Kulturabkommens, aber bereits vor dem *Élysée- Vertrag (1963) und vor dem Abkommen vom 10.2.1972 „über die Errichtung deutsch-französischer Gymnasien und die Schaffung des deutschfranzösischen Abiturs sowie die Bedingungen für die Zuerkennung des Abiturzeugnisses“, das erste deutsch-französische Gymnasium gegründet worden. Das auf dem *Élysée-Vertrag beruhende Abkommen von 1972, das im Juli 2002 durch das Schweriner Abkommen ersetzt wurde, führte dann zur Gründung von zwei weiteren Gymnasien: 1972 in Freiburg/ Br. und 1975 in Buc, bis 1981 als Sektion des Lycée Hoche. Das deutsch-französische Abitur, das „seinen Inhabern alle Berechtigungen, die mit dem Zeugnis des deutschen Abiturs in der Bundesrepublik Deutschland und des französischen baccalauréat in Frankreich verknüpft sind“ gibt, gilt als Vorreiter des *AbiBac und der Anerkennungspolitik der Schul- und Hochschulabschlüsse (*Schulpolitik). Hervorzuheben ist bei diesem Schultyp zudem das bibzw. interkulturelle Experiment. Sowohl deutsche als auch französische Schüler besuchen diese Gymnasien und ordnen sich in die jeweiligen zwei „nationalen“ Abteilungen ein - zumeist je nach kulturellem Hintergrund und Sprachkompetenz. Das gleichwertige Erlernen der Partnersprache sowie der Partnerkultur bleibt das wesentliche Ziel der deutsch-französischen Gymnasien, das sowohl durch einen intensiveren Sprachunterricht als auch durch die progressive Ausweitung derjenigen Fächer, die in der Partnersprache unterrichtet werden, erreicht werden soll. Nach wenigen Jahren, die der Anpassung der nicht zweisprachig aufgewachsenen Schüler dienen, werden der Fremdsprachunterricht und eine Reihe von ausgewählten Fächern (insbesondere Geschichte und Geographie, aber auch naturwissenschaftliche Fächer, Kunst, Sport oder Englisch) nur durch muttersprachliche Lehrkräfte aus dem Partnerland erteilt. Im Unterschied zu den heute weit verbreiteten „bilingualen Zügen“ bzw. sections européennes , wird dieser Unterricht nur in sogenannten „integrierten“ - d.h. aus beiden Abteilungen zusammengesetzten - Klassen abgehalten. So wird der Unterricht, der auf eigenen bzw. auf deutsch- und französischen Richtlinien beruht, nicht nur zum pädagogischen Erfahrungsort, sondern auch zur interkulturellen Begegnungs- und Verständigungsstätte, die allesamt zur angestrebten Verflechtung der jeweils existierenden deutschen und französische Abteilungen führen. Rolf Wittenbrock, Vom Collège Maréchal Ney zum Deutsch-Französischen Gymnasium, in: Deutsch-Französisches Gymnasium (Hg.), Deutsch-Französisches Gymnasium 1961-1986, Saarbrücken 1986, S. 17-29; ders., Deutsch-Französisches Gymnasium Saarbrücken, in: Rainer Hudemann u.a. (Hg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung - Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert/ Lieux de la mémoire transfrontalière - Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19 e et 20 e siècles, Saarbrücken 3 2009. Bernard Ludwig Deutsch-Französische Rektorenkonferenz D 195 Deutsch-Französische Hochschule (DFH) Université franco-allemande (UFA) Die Deutsch-Französische Hochschule (DFH) bzw. Université franco-allemande (UFA) in Saarbrücken ist eine Institution zur Förderung und Intensivierung der bilateralen Hochschulkooperation, hervorgegangen aus dem Deutsch-Französischen Hochschulkolleg (DFHK, 1988 bis 1999), dessen Aufgabe es war, integrierte binationale Studiengänge mit Doppeldiplomen zu initiieren, zu fördern und zu evaluieren. Die DFH, eine völkerrechtliche Einrichtung der beiden Staaten, verdankt ihre Gründung einer deutsch-französischen Vereinbarung, die auf dem Weimarer Gipfel 1997 unterzeichnet wurde. Sie hat Anfang 2000 ihre Arbeit am Sitz ihres Sekretariats in Saarbrücken aufgenommen. Organe der DFH sind der Präsident (mit Vize-Präsidenten), der paritätisch besetzte Hochschulrat, der die Politik der DFH bestimmt, die Vollversammlung der Mitgliedhochschulen (160) und das für die Umsetzung der Ziele zuständige Sekretariat mit etwa 40 Mitarbeitern und einem Jahreshaushalt von 10,5 Millionen Euro (2010). Auf gemeinsamen Antrag können eine deutsche und eine französische Hochschule als Mitglieder aufgenommen werden, wenn sie wenigstens ein integriertes deutsch-französisches Kooperationsprogramm anbieten, das positiv begutachtet wurde. Die DFH ist keine Hochschule im herkömmlichen Sinn, sondern ein Verbund von deutschen und französischen Hochschulen, an denen die geförderten Studierenden jeweils etwa die Hälfte ihres Studiums zu absolvieren haben, vorzugsweise in einer gemeinsamen Jahrgangsgruppe. Neben der übernommenen Aufgabe der Initiierung, Förderung und Evaluierung von integrierten Studiengängen (zur Zeit 130 genehmigte Studiengänge mit mehr als 4 000 Teilnehmern), die zwei Abschlussdiplome erwerben (Bachelor, licence , Master, Staatsexamen oder Diplom einer grande école ) versteht sich die DFH als Werber für ein Studium im jeweiligen Nachbarland, als Förderer einer engeren Zusammenarbeit und Abstimmung deutscher und französischer Hochschulen, als ein deutsch-französisches Hochschullabor zur Entwicklung von neuen Studienmodellen (Bologna-Prozess), als Experten- und Beratungsstelle für Reformen und Innovationen im Hochschulbereich beider Länder und als Einrichtung zur Förderung des akademischen Nachwuchs, von gemeinsamen Promotionsvorhaben und Forschungsprojekten, wofür jeweils spezifische Instrumente entwickelt wurden. Auch hat es sich die DFH zur Aufgabe gemacht, ihre Absolventen bei der beruflichen Eingliederung auf dem transnationalen Arbeitsmarkt zu unterstützen, insbesondere durch eine jährlich in Straßburg stattfindende Messe, das „Deutsch-Französische Forum“, auf dem Unternehmen, Hochschulen und Studierende zusammenkommen. Anlässlich ihres 10-jährigen Bestehens konnte sich die DFH von ihren Geldgebern (Auswärtiges Amt, Bundesländer, Ministère des affaires étrangères, Ministère de l’enseignement supérieur et de la recherche) eine unerwartet erfolgreiche Erfüllung der ihr gestellten Aufgaben bestätigen lassen. Fast 5 000 geförderte Teilnehmer an integrierten deutsch-französischen Studiengängen - vertraut mit zwei Sprachen und zwei Kulturen - sichern den in beiden Ländern benötigten Führungsnachwuchs in fast allen Bereichen von Verwaltung, Wirtschaft und Kultur. In der „Agenda 2020“ der deutsch-französischen Zusammenarbeit stellen die beiden Regierungen eine Verdoppelung der Studierenden der DFH als wünschenswertes Ziel dar. Die DFH übernimmt diesen Auftrag in der Überzeugung, dass sich in Zukunft auch 10 000 besonders begabte und engagierte deutsche und französische Studierende für ein langes Studium im jeweiligen Nachbarland motivieren lassen. Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Das Projekt einer deutschfranzösischen Hochschule seit 1963, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 309-337; dies., L’Université franco-allemande: médiateur académique, in: Allemagne d’aujourd’hui 201 (2012), S. 83-92; Jochen Hellmann, Binationale Integrierte Studiengänge: Akademischer Mehrwert durch Bilingualität und Bikulturalität am Beispiel der Studiengänge der Deutsch-Französischen Hochschule, in: Fremdsprachen Lehren und Lernen 41 (2012) 2, S. 84-96. Hermann Harder Deutsch-Französische Rektorenkonferenz Conférence franco-allemande des recteurs Die Konferenz der deutschen und französischen Hochschulrektoren, deren Vollversammlung zwischen 1958 und 1968 regelmäßig zusammentrat Deutsch-französische Schriftstellertreffen 196 D und wichtige Beschlüsse bezüglich der Hochschulkooperation zwischen beiden Ländern fasste, geht auf eine Initiative des Generalsekretariats der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Direction de l’Office national des universités et écoles françaises zurück. Im Anschluss an die erste Vollversammlung im Februar 1958 in Berlin formierte sich eine Ständige Kommission, welche weitere Treffen organisieren und die Institutionalisierung der Konferenz voranbringen sollte. Tatsächlich fanden in den folgenden Jahren nicht nur regelmäßige Vollversammlungen statt, sondern es wurden auch zahlreiche Ausschüsse und Unterausschüsse gegründet, die sich mit inhaltlichen Fragen der deutsch-französischen Hochschulkooperation beschäftigten. Obwohl die Stellung der Rektoren in beiden Ländern sehr verschieden war, gab die Konferenz diesbezüglich wichtige Impulse; insbesondere verabschiedete sie eine ganze Reihe von Äquivalenzbestimmungen für verschiedene natur- und geisteswissenschaftliche Studiengänge und trug somit entscheidend zur Stimulierung des deutsch-französischen Austauschs im Hochschulbereich bei. Viele der damals bereits angesprochenen Probleme konnten erst Jahre später, u.a. von der *DFH gelöst werden. Nach der französischen Hochschulreform des Jahres 1968, welche unter anderem auch zu einer Entmachtung der Rektoren führte, waren zwar noch einzelne Gremien aktiv; die Vollversammlung trat jedoch nicht mehr zusammen, und es dauerte bis zum Jahr 1975, ehe es wieder zu regelmäßigen Kontakten zwischen der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Conférence des présidents d’universités (CPU) kam. Ansbert Baumann, La conférence franco-allemande des recteurs - moteur de la coopération universitaire en Europe? , in: Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hg.), France et Allemagne: entre compétition et coopération dans le processus de construction d’un espace scientifique européenne, S. 137-154; Corine Defrance, Les relations universitaires franco-allemandes avant 1963. Impulsions et initiatives privées, in: Lendemains 27 (2002) 107/ 108, S. 202-219. Ansbert Baumann Deutsch-französische Schriftstellertreffen 1947 beklagte der Frankreichkenner *Paul Distelbarth in seinem Werk „Franzosen und Deutsche“: „Wir stehen vor einem Trümmerhaufen [...]. Auch in unseren Beziehungen zu Frankreich ist alles zerstört: alle Brücken sind abgebrochen, alle Wege verschüttet, alle Bande zerrissen. Alles Vertrauen ist verwirtschaftet. Und dabei ist Frankreich unser nächster Nachbar! [...] Was können wir tun, um zu Frankreich wieder in ein erträgliches Verhältnis zu kommen? Den Franzosen von Verständigung reden, uns bei ihnen anbiedern, ist ausgeschlossen. Es wäre auch würdelos ...“ Doch schon im August 1947 ergriff der Jesuitenpater *Jean du Rivau die Initiative zur Einladung von Intellektuellen, zur vorsichtigen Wiederaufnahme des Dialogs auf einem ersten deutsch-französischen Schriftstellertreffen in Lahr im Schwarzwald. Unter dem Motto „L’écrivain dans la cité“ begegneten sich auf diesem ersten größeren Treffen seit Kriegsende Schriftsteller, Publizisten, Journalisten, Philosophen und Patres, darunter Intellektuelle wie *Emmanuel Mounier und Jean-Marie Domenach der Zeitschrift „Esprit“, Jean-Pierre Dubois-Dumée der Résistance-Zeitung „Témoignage Chrétien“, Robert Morel, Claude-Edmonde Magny, Eugen Kogon, Autor von „Der SS-Staat“, und Walter Dirks von den „Frankfurter Heften“, Franz Josef Schöningh, Herausgeber von „Hochland“, *„Dokumente“ und der „Süddeutschen Zeitung“, sowie *Joseph Rovan als Dolmetscher. Um nach den jüngst begangenen NS-Verbrechen miteinander in einen Dialog treten zu können, rief *du Rivau in seiner Eröffnungsrede dazu auf, sich gemeinsam konstruktiv der Zukunft zuzuwenden. Eckart Peterich begann seine Rede dagegen mit einem Eingeständnis der „deutschen Schuld” und verband mit dieser „heiligen Stunde“ die „heilige Hoffnung“, sich nach der Zwietracht als gute Nachbarn wiederzufinden. So resümierte Dubois-Dumée den Geist der Tagung mit den Worten: „Ich bin unter Brüdern“. Im August 1948 wurden dann deutsche Intellektuelle zu einem deutsch-französischen Schriftstellertreffen in die Zisterzienser-Abtei Royaumont bei Paris eingeladen. Diese Einladung kam aus deutscher Perspektive durchaus einer Sensation gleich und ist als wichtige frühe symbolische Geste zu werten. Neben den führenden Teilnehmern der Tagung in Lahr kamen dieses Mal ebenso herausragende französische Germanisten wie Robert d’Harcourt, *Edmond Vermeil, *Robert Minder und Albert Béguin, die die Einladung Deutsch-französische Schriftstellertreffen D 197 nach Lahr 1947 noch ausgeschlagen hatten, sowie erstmals der junge *Alfred Grosser als „vermittelnder Teilnehmer und Dolmetscher“. Von deutscher Seite beteiligten sich erstmals u.a. die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, der Theologe Karl Rahner sowie der Baudelaire-Übersetzer und Kunstkritiker der „Frankfurter Zeitung“ *Wilhelm Hausenstein. Die Frage nach dem Umgang mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigte zwangsläufig die Anwesenden. *Du Rivau rief zu Verdrängung und Vergessen in seiner Eröffnungsrede auf, was den heutigen Beobachter überraschen mag: „On dit dans un sens péjoratif que les peuples ont quelquefois la mémoire courte. Aujourd’hui, nous nous en félicitons.“ Daran schloss er sein jedoch zukunftsweisendes Credo einer neuen deutschfranzösischen Zusammenarbeit an: „Vous êtes Allemands, nous sommes Français ... Nous sommes ce que nous sommes les uns et les autres ... Il s’agit seulement de travailler ensemble et de vouloir travailler ensemble au bien commun“. Der Pariser Germanist Albert Béguin legte in seinem Eröffnungsvortrag „Du dialogue francoallemand“ seine pessimistische Vision eines unheilbaren Deutschland dar. Dennoch dürfe der Intellektuelle und die intellektuelle Elite nicht abdanken und sei, auch aus moralischen Gründen, zu einem Dialog ohne Misstrauen verpflichtet. Eugen Kogons Schlussvortrag umfasste eine Szenario-Analyse der internationalen Politik und ein Plädoyer für eine prosperierende europäische Föderation: Die Erneuerung und Einheit Europas müsse besonders von den europäischen Intellektuellen, Humanisten, Sozialisten und Christen vorangetrieben werden. Während auf dem Pioniertreffen in Lahr die persönliche Begegnung zwischen Franzosen und Deutschen im Vordergrund gestanden hatte und ein Neuanfang tatsächlich gelang, standen in Royaumont die gelehrten Vorträge im Vordergrund, war der Dialog der Intellektuellen dieses Milieus doch bereits weitgehend etabliert. 1950 ergriff der spiritus rector der Gruppe 47 Hans Werner Richter die Initiative zu einem deutsch-französischen Schriftstellertreffen mit der Gruppe 47. Dieses war gerichtet auf „konkrete Gespräche, die zu konkreten Handlungen führen können, […] dass deutsche Schriftsteller in Frankreich laufend publizieren können“. Das hieraus resultierende Treffen vom Mai 1950 in Schluchsee im Schwarzwald scheiterte jedoch nicht zuletzt daran, dass fünf Jahre nach Kriegsende kaum ein französischer Schriftsteller und Intellektueller bereit war, an einem Treffen aus deutscher Initiative und mit einer solchen Zielsetzung teilzunehmen. Dass es dabei nicht blieb, lag an *René Wintzen, 1946 bis 1949 in der französischen Besatzungszone für Jeunesse et Sports mitverantwortlich, lecteur d‘éducation populaire an der Volkshochschule Koblenz, Gründer der ephemeren Literaturzeitschrift „Vent debout“, später Chefredakteur von *„Documents“. Er begründete eine neue, Jahrzehnte anhaltende Tradition deutschfranzösischer Schriftstellertreffen, u.a. Schriftsteller der Gruppe 47 und des Nouveau roman begegneten sich dabei auf „unpolitischen“ literarisch-verlegerischen Arbeitstreffen. Die auf Wintzen zurückgehende Initiative zur ersten Parisreise der Gruppe 47 vom Mai 1953, unterstützt durch *BILD und *GÜZ, wurde ein voller Erfolg: Elf deutsche Schriftsteller der Gruppe 47, so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Heinrich Böll, Rudolf Hagelstange, Alfred Andersch, Luise Rinser, Günther Weisenborn, Paul Schallück, Hans Egon Holthusen, Rudolf Krämer-Badoni, Karl Krolow, Hans Bender und Rudolf Bongs trafen in Paris auf mondänen Empfängen, die von den Intellektuellen Jean Schlumberger, Mitbegründer der „Nouvelle revue française“ (NRF), und *Joseph Breitbach, Literat und generöser Literaturmäzen, vom deutschen Botschafter in Paris, von Verlagen und Zeitschriften bereitet wurden, auf ein tout-Paris führender Intellektueller und Persönlichkeiten: darunter auf französische Germanisten wie Robert d’Harcourt, *Edmond Vermeil, *Robert Minder, Albert Béguin und *Alfred Grosser, den Existenzphilosophen Gabriel Marcel, den Hegelianer Jean Wahl, die Exil-Literaten Annette Kolb und *Joseph Breitbach, Paul André Lesort, Maurice Boucher, Maurice Colleville, Manès Sperber, Maurice Nadeau sowie auf die Verleger der Éditions du Seuil, von Gallimard, Plon, Albin Michel und Calmann-Lévy. Nicolaus Sombart zog in seinem autobiographischen Werk „Pariser Lehrjahre“ entsprechend ein positives Gesamtfazit: „Das Treffen war ein voller Erfolg. Die französischen Verleger hatten die neuen deutschen Autoren kennen gelernt, die ihnen von ihren Lektoren so dringend empfohlen wurden. Für die ‚jungen deutschen Schriftsteller war es der erste Schritt ‘ Deutsch-Französischer Journalistenpreis 198 D in die große Welt. Sie wurden mit offenen Armen aufgenommen. Eine neue Etappe in der langen Geschichte der deutsch-französischen Begegnungen, die eine Geschichte der fruchtbaren Missverständnisse ist, hatte damit begonnen.“ Drei Jahre später traf man sich in Vézelay wieder, wo die deutschen Teilnehmer den Nouveau roman als neue literarische Gattung entdeckten. Nach diesen vielversprechenden Anfängen, bei denen die Intellektuellen beider Länder betont hatten, sich in ihrer schriftstellerischen Arbeit gemeinsamen Maßstäben verpflichtet zu fühlen, verkümmerten die Kontakte jedoch schnell. Die Tagung in Hamburg im Jahre 1960 führte die auseinanderdriftenden Interessen gleichsam symbolisch vor Augen. Während das Tagungsthema „Der Schriftsteller und die Möglichkeiten der audio-visuellen Verbreitung“ den Deutschen am Herzen lag, verließen französische Kollegen das Seminar, nicht zuletzt weil sie zum damaligen Zeitpunkt für die zukünftige Bedeutung der audiovisuellen Medien weniger empfänglich waren. Schon vorher hatte es einige Enttäuschungen gegeben, z.B. als Louis Clappier und Antoine Wiss-Verdier vergeblich Anschluss an die Gruppe 47 gesucht hatten, die nicht bereit war, sich für französische Schriftsteller zu öffnen. Martin Strickmann, L’Allemagne nouvelle contre l’Allemagne éternelle: Die französischen Intellektuellen und die deutsch-französische Verständigung 1944-1950. Diskurse, Initiativen, Biografien, Frankfurt/ M. 2004; ders., Französische Intellektuelle als deutsch-französische Mittlerfiguren, 1944-1950, in: Patricia Oster-Stierle, Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.), Am Wendepunkt - Deutschland und Frankreich um 1945. Zur Dynamik eines „transnationalen“ kulturellen Feldes, Bielefeld 2008, S. 17-48; Jérôme Vaillant, Die Gruppe 47 und die französischen Schriftsteller. Hoffnungen und Enttäuschungen in der Frühphase der Gruppe 47, in: Justus Fetscher u.a. (Hg.), Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik, Würzburg 1991, S. 67-84; René Wintzen, Les rencontres franco-allemandes d’écrivains (1945-1984), in: Allemagne d’aujourd’hui, 112 (1990), S. 93-103. Martin Strickmann Deutsch-Französischer Journalistenpreis Prix franco-allemand du journalisme Seit 1983 vergibt der Saarländische Rundfunk (*Hörfunk) in Zusammenarbeit mit *ARTE, dem Departement Moselle, dem *DFJW, Deutschlandradio, France Télévisions, Radio France, Radio France Internationale, der Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen), der Tageszeitung „Le Républicain Lorrain“, der deutschen Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck sowie dem ZDF den Deutsch-Französischen Journalistenpreis. Wenn auch in den vergangenen Jahren immer wieder sogenannte „Ehrenpreise“ oder „Medienpreise“ an besonders prominente und verdiente Medienschaffende, Künstler oder Politiker verliehen worden sind, die in ihren eigenen Domänen zur deutsch-französischen Verständigung beigetragen haben und dem Preis dank ihrer Prominenz zu mehr Sichtbarkeit verhelfen (zuletzt etwa *Daniel Cohn-Bendit, zuvor Persönlichkeiten wie *Volker Schlöndorff, Simone Veil oder *Tomi Ungerer), so ist es doch die wesentliche - und erklärte - Absicht der Preisgeber, alljährlich herausragende journalistische Arbeiten in Frankreich und Deutschland auszuzeichnen, die zu einem besseren Verständnis des jeweiligen Nachbarlandes beitragen. Die Preisträger tragen so bekannte Namen wie *Daniel Vernet, Jean-Paul Picaper, Pascale Hugues, *Ulrich Wickert, *Georg Stefan Troller oder Joseph Hanimann, das Gros der Preise geht jedoch in den Sparten Fernsehen, Hörfunk, Printmedien, Internet und, besonders hervorzuheben, Nachwuchs an Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen in den verschiedenen Medien das journalistische Tagesgeschäft betreiben. Und gerade hier liegt, *ARTE hin, ein halbes Jahrhundert deutsch-französische Freundschaft her, einiges, wie es in der Selbstdarstellung des Journalistenpreises zutreffend heißt, im Argen. Die in den letzten Jahren Besorgnis erregende Abnahme des Interesses an der Sprache des Nachbarn hat zuletzt auch in den Redaktionsstuben beider Länder zu einem Verlust an Interesse und Kompetenz in Fragen, die Deutschland, beziehungsweise Frankreich betreffen, geführt. Beobachter verweisen in diesem Zusammenhang gerne darauf, dass der größte französische Fernsehsender, TF1, über keinen festen Korrespondenten in Berlin verfügt. Und auch sonst ist das französische Korrespondentennetz in Deutschland eher dünn geknüpft. Auf der Gegenseite sieht es zurzeit (wie lange noch? ) besser aus. Den Auswirkungen solcher Entwicklungen mag der Preis entgegenwirken. Flankierend mögen auch Gründungen zur Nachwuchsförderung wie die beiden Masterstudiengänge in deutsch-französischem Journalismus an den Universitäten Paris 3 (Sorbonne Nouvelle) Deutsch-Französischer Kulturrat D 199 und Freiburg/ Strasbourg greifen. Zu den Besonderheiten des Preises gehört es, dass Autoren sich nicht nur selbst bewerben können, sondern dass Leser, Hörer und Zuschauer Beiträge, die ihnen preiswürdig erscheinen, selbst zum Vorschlag bringen können. Jürgen Ritte Deutsch-Französischer Kulturrat Haut conseil culturel franco-allemand Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen haben, nicht erst mit der Gründung des *DFJW (1963), spezifische Einrichtungen und Gremien entstehen lassen, die von einem Willen zur weiteren, ständigen Vertiefung und kultureller Verflechtung zeugen und die Sonderstellung des deutsch-französischen Verhältnisses in Europa maßgeblich ausgestaltet haben, zu der es in anderen zwischenstaatlichen Beziehungen keine Äquivalente gibt. Zu diesen Institutionen zählt neben der *Deutsch-Französischen Hochschule (DFH/ UFA) auch der Deutsch-Französische Kulturrat (DFKR), dessen Wirkungskreis jedoch nicht zuletzt wegen mangelnder Finanzmittel zur Durchführung von Projekten und fehlender politischer Durchschlagskraft beschränkt geblieben ist. Nicht selten werden die Entscheidungen zu neuen Initiativen auf politischen oder kulturellen Gipfeltreffen zwischen Frankreich und Deutschland getroffen; entsprechend erfolgte die Gründung des Deutsch-Französischen Kulturrats 1988 nach dem deutsch-französischen Kulturgipfel in Frankfurt/ M. Als Expertengremium, besetzt mit Künstlern, hochkarätigen Vertretern aus der Kulturszene und einschlägigen Institutionen (Universitäten, Museen, kulturelle Einrichtungen), sollte der DFKR das gesamte Kulturspektrum abdecken (Film, Theater, Musik, Literatur, Bildende Kunst und Medien), die Szene beobachten und den Regierungen Empfehlungen geben. Enge Kooperation mit den beiden Außenministerien (die beobachtend im Gremium vertreten sind), der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für die kulturellen Angelegenheiten im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit (*Kulturbevollmächtigter) sowie dem Ministère de la culture sind gewünscht. Zwei Sekretariate - ein eigenständiges auf deutscher Seite in Saarbrücken sowie ein französisches, das beim Leiter der Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin angesiedelt ist - organisieren den Schrift- und Notenverkehr und richten zwei jährliche Sitzungen aus - je eine in Deutschland und eine in Frankreich. Nach einer Reform im Jahr 2009 wurde die Mitgliederzahl von zehn auf sechs pro Land reduziert (fünf Mitglieder plus je ein Präsident, daneben Ehrenpräsident und Generalsekretär). Die beiden Präsidenten werden für vier Jahre ernannt; 2014 sind dies der bekannte Theaterregisseur und künstlerische Leiter der Berliner *Schaubühne *Thomas Ostermeier für Deutschland sowie der ehemalige Kulturminister und im Juli 2014 von François Hollande zum Défenseur des Droits ernannte Jacques Toubon für Frankreich. Der DFKR hat sich in den letzten Jahren verschiedene Schwerpunktthemen gegeben - Kultur und Markt, exception culturelle versus diversité culturelle , Urheberrecht und kulturelle Vielfalt, *Weimarer Dreieck - und versucht in letzter Zeit von einzelnen Mitgliedern ausgehende Initiativen zu unterstützen, wie beispielsweise trinationale Treffen für Nachwuchsschauspieler. Um sich stärkeres Gehör zu verschaffen, entwickelt der DFKR Grundsatztexte, so auf der 48. Plenarsitzung im Juni 2012. Trotz zum Teil sehr prominenter und kompetenter Mitglieder wie *Patrice Chéreau, *Michel Bataillon, *Werner Spies, *Georges- Arthur Goldschmidt, *Michel Tournier und Jean- Marc Ayrault hat er den Rang eines von den Regierungen konsultierten und ernst genommenen politischen Beratungsgremiums nur sporadisch erfüllen können. Einige Male ist der DFKR mit Kolloquien - „Wege nach Europa. Die Kulturpolitik Deutschlands und Frankreichs - Strategien für eine europäische kulturelle Zusammenarbeit“ im Oktober 2008 im Berliner Rathaus; „Die Zukunft des europäischen Theaters“ 2006 in Amsterdam (initiiert und organisiert von Nicole Colin und der damaligen Präsidentin *Nele Hertling in Zusammenarbeit mit dem *Goethe-Institut) sowie Publikationen - „Künstlerisches Schaffen in der erweiterten EU. Mobilität und Verantwortung“ (2007) sowie „Franzosen und Deutsche. Orte der gemeinsamen Geschichte“ (1996) bzw. „Allemagne-France: lieux et mémoires d’une histoire commune“ (1995) - in Erscheinung getreten. Man mag es bedauern, dass die Aktivitäten nicht fortgesetzt worden sind: Sie hätten dem DFKR unter Umständen mehr öffentliche Aufmerksam- Deutsch-Französischer Parlamentspreis 200 D keit sichern können, als ihm gegenwärtig zukommt. Joachim Umlauf Deutsch-Französischer Parlamentspreis Prix parlementaire franco-allemand Im Jahr 2003 hat der Deutsche Bundestag gemeinsam mit der Assemblée nationale anlässlich des 40. Jahrestages der Unterzeichnung des *Élysée- Vertrages die Auslobung eines deutsch-französischen Parlamentspreises beschlossen. Mit ihm werden deutsche und französische wissenschaftliche Leistungen ausgezeichnet, die zur besseren gegenseitigen Kenntnis beider Länder beitragen. Der Preis, der jeweils an einen deutschen und einen französischem Staatsbürger geht, ist mit je 10 000 Euro dotiert und wurde zunächst jährlich verliehen. Seit 2008 wird er alle zwei Jahre von den Präsidenten der beiden Parlamente vergeben. Um die Auszeichnung können sich deutsche und französische Staatsbürger bewerben, die ein juristisches, wirtschafts-, sozial-, politik- oder anderes geisteswissenschaftliches Werk in deutscher oder französischer Sprache verfasst haben. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury unter Vorsitz der Präsidenten der beiden Parlamente, die sich aus je zwei Abgeordneten und Wissenschaftlern aus Frankreich und Deutschland zusammensetzt. Der deutschen Jury gehörten im Auswahlverfahren 2012 neben dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, Andreas Schockenhoff, Herr Axel Schäfer, Helene Harth und Hartmut Kaelble an. Der französischen Jury gehörten im gleichen Jahr der Präsident der Assemblée nationale, Claude Bartolone, die Abgeordneten Pierre-Yves Le Borgn’ und Bruno Le Maire, Anne-Marie Le Gloannec und René Lasserre an. Nachdem die beiden nationalen Teiljurys in getrennten Sitzungen jeweils französische beziehungsweise deutsche Werke für die engere Wahl ausgewählt haben, ermittelt die gemeinsame deutsch-französische Jury in ihrer Sitzung den deutschen und den französischen Preisträger. Die Preisträger 2004-2012: 2012: Nicole Colin, „Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer“ und Nicolas Beaupré, „Le Traumatisme de la Grande guerre, 1918-1933“. 2010: Anne Kwaschik, „Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder“ und Evelyne und Victor Brandts, „Aujourd‘hui l Allemagne“. 2008: Tim Geiger, „Atlantiker gegen Gaullisten“ und Magali Gravier, „Good Bye Honecker! “. 2006: Matthias Waechter, „Der Mythos des Gaullismus. Heldenkult, Geschichtspolitik und Ideologie 1940- 1958“ und Olivier Bobineau, „Dieu change en paroisse, une comparaison franco-allemande“. 2005: Martin Schieder, „Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959“ und Denis Goeldel, „Le tournant occidental de l’Allemagne après 1945. Contribution à l‘histoire politique et culturelle de la RFA“. 2004: Thilo Schabert, „Wie Weltgeschichte gemacht wird - Frankreich und die deutsche Einheit“ und Dominique Bourel, „Moses Mendelssohn, la naissance du judaïsme moderne“. Deutscher Bundestag Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis Institut franco-allemand de recherches de Saint-Louis Das Deutsch-Französische Forschungsinstitut Saint-Louis (Institut franco-allemand de recherches de Saint-Louis - ISL) ist ein binationales Institut für Grundlagenforschung auf dem Gebiet des Waffenwesens. Ausgangspunkt für die Entstehung des Instituts war die Beschlagnahme des nach Biberach/ Riss ausgelagerten Ballistischen Instituts der Technischen Akademie der Luftwaffe durch französische Truppen im April 1945. Die Forscher um den renommierten Hubert Schardin wurden noch im Sommer 1945 für die französische Armee rekrutiert und ins oberelsässische Saint-Louis gebracht, wo sie ihre Arbeiten in den ehemaligen Fabrikationshallen der Gmöhling- Werke fortsetzten. Wohnen sollten die deutschen Wissenschaftler jedoch nicht auf französischem Hoheitsgebiet, sondern in den badischen Städten Weil und Haltingen, in der französischen Besatzungszone jenseits des Rheins. An ihrem Arbeitsort in Saint-Louis wurde ihnen ein französischer Mitarbeiterstab zur Seite gestellt, der überwiegend aus Militäringenieuren, aber auch aus Sekretärinnen und Handwerkern bestand. Die Leitung des Forschungslabors übernahm General Robert Cas- ’ Deutsch-französisches Historikerkomitee D 201 sagnou, Professor Schardin fungierte als Technischer Direktor. Innerhalb von kurzer Zeit etablierten sich die ursprünglich eher als Übergangslösung eingerichteten Strukturen: Bereits 1946 wurde das „Laboratoire de recherches de Saint- Louis“ (LRSL) ein eigenständiges Institut des französischen Waffenamts (DEFA). Verantwortlich für den raschen Aufbau war wohl eine Symbiose aus privaten und politischen Interessen: Die deutschen Wissenschaftler konnten im besiegten Deutschland keinerlei berufliche Perspektiven erkennen und waren daher gerne bereit, sich in den Dienst der französischen Armee zu stellen, die wiederum großes Interesse am Fachwissen der so rekrutierten Spezialisten hatte. Die Situation änderte sich mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der kurz darauf einsetzenden Debatte um die deutsche Wiederbewaffnung. Kurzzeitig schien im Zusammenhang mit dem Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Möglichkeit gegeben, das Labor in ein Forschungsinstitut der EVG umzuwandeln; nach dem Scheitern der EVG-Pläne und der Unterzeichnung der Pariser Verträge 1954 war jedoch abzusehen, dass die nun entstehende Bundeswehr Interesse am Fachwissen der deutschen Mitarbeiter des Labors haben würde, dessen Fortbestand daher akut gefährdet zu sein schien. Vor diesem Hintergrund schlugen Schardin und Cassagnou vor, das Institut in eine binationale Einrichtung umzuwandeln. Nachdem die Regierungen diese Idee aufgegriffen hatten, konnte am 31.5.1958 das Gründungsabkommen zur Errichtung des deutsch-französischen Forschungsinstituts unterzeichnet werden, welches seine Tätigkeit am 22.6.1959 offiziell aufnahm und seither zu den weltweit führenden Einrichtungen seiner Art zählt. Ansbert Baumann, Die Gründung des Institut Saint-Louis, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Kulturelle und wissenschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert, München 2007, S. 237-256. Ansbert Baumann Deutsch-französisches Historikerkomitee Das Deutsch-Französische Komitee für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts e.V. entstand 1988 (im ehemaligen Kloster Banz) infolge einer Initiative zweier Historiker, Raymond Poidevin (Straßburg) und Josef Becker (Augsburg). Zwei Jahre zuvor hatten die Entscheidungen des *deutsch-französischen Gipfels in Frankfurt abermals gezeigt, wie wenig Aufmerksamkeit die Politik den historischen Tatsachen schenkte und welche bedauerlichen Folgen das haben konnte, während auf dem Versailler Kulturgipfel die geringe Aufmerksamkeit gegenüber der Erforschung internationaler Beziehungen kritisiert wurde. Diesem Missstand galt es abzuhelfen. Außerdem machte die Zuständigkeit der EU bei der Vergabe verschiedener Forschungsförderungsmittel neue Strukturen notwendig. Last but not least wollten Poidevin und Becker eine sowohl inhaltliche wie methodologische Zusammenarbeit der Historiker auf der Basis eines transnationalen und vergleichenden Zugangs zu der Geschichte beider Länder im 19. und 20. Jahrhundert fördern. Es waren Ziele, die damals noch keineswegs selbstverständlich waren. So ging aus dem schwierigen Zustandekommen der Satzung z.B. auch hervor, wie schwierig bilaterale Unternehmungen innerhalb der sich aufbauenden europäischen Strukturen waren. Von den drei ursprünglichen Zielsetzungen erwies sich die dritte wohl als die wichtigste und erfolgreichste. Die im Rahmen der Mitgliederversammlung (im Zweijahresrhythmus) veranstalteten Tagungen trugen wesentlich dazu bei, die Verbindungen zu verdichten. Sie waren jeweils um ein wissenschaftliches Thema organisiert und bezogen sich entweder auf deutschfranzösische Vergleiche („Eliten“, „Nachkriegsgesellschaften“, „Machtstrukturen“ oder „Religion und Laizität“) oder auf Beziehungen nach außen („Deutschland - Frankreich - Nordamerika“, „Koloniale Politik“ usw.). Die methodenübergreifenden Vorträge waren Anlass zu Diskussionen, die für beiderseitige Forscher ebenso von Nutzen waren und noch sind wie die Debatten unter Spezialisten verschiedener interner Fachgebiete (Politik-, Wirschafts-, Kultur-, Gesellschaftsgeschichtler usw.). Auch entstand bei solcher Gelegenheit manche grenzüberschreitende Initiative und Zusammenarbeit. Die in Banz beschlossene Herausgabe eines Bulletins, das u.a. über die laufenden Arbeiten informiert, sowie die Tagungsbände, die alle zwei Jahre mit Beiträgen auf Deutsch und Französisch (in einer besonderen Reihe beim Franz Steiner Verlag) erscheinen, veranschaulichen einige Ergebnisse der Zusam- Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft (DFHI) 202 D menarbeit innerhalb der dank des Komitees entstandenen grenzüberschreitenden Netzwerke. Zum Gründungsvorstand, dessen Sitz sich zunächst im *Centre d’études germaniques in Straßburg befand, gehörten Raymond Poidevin, Josef Becker, *Marieluise Christadler, Jacques Bariéty, Rainer Hudemann, Franz Knipping und der Germanist *Jean-Marie Valentin. Klaus- Jürgen Müller wurde zum ersten ordentlichen Vorsitzenden gewählt. Es folgten (jeweils für zwei Jahre) Georges-Henri Soutou, Rainer Hudemann, Louis Dupeux, Beatrix Bouvier, François Roth, Stefan Fisch, Chantal Metzger, Hartmut Kaelble, Jean-Paul Cahn, Dietmar Hüser, Jean-François Eck. Das Komitee zählt heute über 200 Mitglieder. Jean-Paul Cahn, Dietmar Hüser (Hg.), Préhistoire et naissance du Comité franco-allemand des historiens, in: Bulletin 19 (2010); Corine Defrance (in Zusammenarbeit mit Christiane Falbisaner-Weeda), Sentinelle ou pont sur le Rhin? Le Centre d’études germaniques et l’apprentissage de l’Allemagne en France (1921-2001), Paris 2008, S. 253-256. Jean-Paul Cahn Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft (DFHI) Institut supérieur franco-allemand de techniques, d’économie et de sciences (ISFATES) Das Deutsch-Französische Hochschulinstitut ist ein binationaler Studiengang der Université Paul Verlaine in Metz, - heute Teil der Université de Lorraine - und der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes in Saarbrücken in den Fachrichtungen Betriebswirtschaft, Maschinenbau, Elektrotechnik, Europäisches Baumanagement, Praktische Informatik und Logistik. Er war der erste Studiengang, der ein deutsch-französisches Doppeldiplom anbot: Bereits am 15.9.1978 wurde das Gründungsabkommen von den Außenministern beider Staaten unterzeichnet. Seither studieren die Teilnehmer alternierend an beiden Universitäten und erwerben dabei ein Doppeldiplom: ursprünglich die französische maîtrise und das deutsche Fachhochschul-Diplom. Nachdem das DFHI 1997 in die *Deutsch- Französische Hochschule integriert worden war, erfolgte im Jahr 1999 eine größere Umstellung des Studienplans und schließlich 2005 die Einführung der neuen Bachelor- und Master-Studienabschlüsse. Am Studiengang Bauingenieurswesen ist seit 2009 auch die Universität Luxemburg beteiligt; dieser trägt seither die Bezeichnung Europäisches Baumanagement und bietet die Möglichkeit, ein weiteres Diplom, den luxemburgischen bachelor professionnel en ingénierie , zu erwerben. Unterstützt wird die Arbeit des DFHI in beiden Ländern von einem 1990 gegründeten Förderverein. Rainer Reisel, Das Deutsch-Französische Hochschulinstitut, in: Dokumente 51 (1995) 3, S. 241f. Ansbert Baumann Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (DFI) Das DFI ist das traditionsreichste und größte Zentrum bilateraler Informations- und Kontaktvermittlung, das im Deutschland der Nachkriegszeit gegründet wurde und mit Analysen, Dokumentation und Beratung seit mehr als 60 Jahren in der deutsch-französischen Zusammenarbeit aktiv ist. Es wurde im Juli 1948 als eingetragener Verein ins Leben gerufen und im Februar 1949 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sein Gründer *Fritz Schenk (1906-1985) bezog sich in seiner frühesten Antragsformulierung zustimmend auf eine Bestandsaufnahme der deutsch-französischen Beziehungen aus dem Jahre 1947, die der Leiter der Abteilung Éducation publique *Raymond Schmittlein in der französischen Militärregierung in Baden-Baden veröffentlicht hatte. Obwohl Ludwigsburg in der amerikanischen Besatzungszone lag, legte er demonstrativ Wert auf das Einvernehmen mit dem Machtzentrum der französischen Besatzungszone und dem *Institut français in Tübingen. Von deutscher Seite erhielt er die Unterstützung des Ludwigsburger Oberbürgermeisters sowie des dortigen Kulturamtes und der Industrie- und Handelskammer. Noch wichtiger für die Realisierung des Projektes war die aktive Förderung durch die überregional einflussreichen Politiker *Carlo Schmid (SPD) und Theodor Heuss (FDP). Die Errichtung des DFI wurde von Zeitzeugen der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen in der Tradition der *Deutsch-Französischen Gesellschaft der Weimarer Republik gesehen. Die Zielsetzung der Arbeit der Ludwigsbur- Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (DFI) D 203 ger Neugründung wurde im Antrag *Schenks formuliert: „Vermittlung der französischen Sprache, Literatur und Geisteswelt; Vertiefung und Verbreitung der Kenntnis von Frankreich, Land und Leuten; Förderung des geistig-kulturellen Austauschs zwischen beiden Ländern und damit der europäischen Zusammenarbeit“. In die Instituts-Satzung ging dann die konzisere Zweckbestimmung eines Diplomaten ein: „Förderung der deutsch-französischen Verständigung auf allen Gebieten des geistigen und öffentlichen Lebens.“ Als finanzielle Grundlage standen am Anfang obenan die Beiträge der korporativen und individuellen Mitglieder und der engeren Gebietskörperschaften (Kommune, Kreis und Land). Im Maße der überregionalen Anerkennung und Bekanntheit des DFI verlagerte sich seit den 1970er Jahren der Schwerpunkt seiner Finanzierung auf Bundesmittel (Auswärtiges Amt und *DAAD) und schließlich auch auf Drittmittel, die für laufende Projekte eingeworben werden und für die eine Reihe von Stiftungen großer Industrie-, Banken- und Versicherungsunternehmen die wichtigsten Quellen sind. In den Tätigkeitsbereichen des Instituts ist über die sechs Jahrzehnte seiner Existenz hinweg neben den Kontinuitätslinien ebenfalls eine Schwerpunktverlagerung konstatierbar. Die Kontinuität ist ausgeprägt in der Zusammenarbeit mit der französischen Partnerorganisation *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle. Nach deren Auflösung im Jahre 1967 wurde 1982 auf französischer Seite (und unter dem Einfluss von *Alfred Grosser) eine neue auf Deutschland bezogene Informations- und Forschungsstruktur geschaffen, die als *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) agiert und von einem langjährigen französischen Mitarbeiter des DFI geleitet wird. Seit 2004 unterhält das DFI überdies eine Außenstelle in Paris, die sich seit 2011 im Goethe-Institut befindet. In der Gestaltung der verschiedenen Programme ist am deutlichsten eine Kontinuität zu registrieren in der Komponente der Studenten- und Journalisten- Seminare, die anfänglich im Zusammenhang des sozioprofessionellen Gruppenaustausches (Praktikanten und Werkstudenten) standen. Insgesamt jedoch wurde in den 1970er Jahren im Vergleich mit den Austauschaktivitäten die Veranstaltung von Wissenschafts- und Experten-Konferenzen stärker gewichtet, die auf dem Sockel der Seminare für Studenten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aus beiden Ländern (aus Frankreich überwiegend der grandes écoles ) aufbauten. Thematisch standen in den 1970er Jahren vergleichende Politikfeldanalysen im Vordergrund, ab den 1980er Jahren zunehmend Fragen der europäischen Integration in beiden Ländern. Das DFI profilierte sich insbesondere durch seine seit 1985 jährlich abgehaltenen Frankreichforscher-Konferenzen und die auf ihren Beiträgen basierende Publikation des *„Frankreich Jahrbuchs“ sowie Expertengespräche mit Politikern und Vertretern der politischen Verwaltung. Im Rahmen seiner Beratungs- und Informationstätigkeit für die Wissenschafts- und Medien-Öffentlichkeit, traten in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Probleme der interkulturellen und transnationalen Kommunikation in den Vordergrund. Dokumentiert wird diese Tätigkeit u.a. in dem vierteljährlich erscheinenden „dfi-aktuell“. 1985 konstituierte sich der informelle Kreis Sozialwissenschaftliche Frankreichforschung, der maßgeblich beitrug zur Gestaltung der Frankreichforscher-Konferenzen und des *„Frankreich Jahrbuchs“, der sich jedoch 2002 infolge eines Generationenwechsels und der teilweisen thematischen Neuorientierung des DFI auflöste. Die Informations- und Beratungstätigkeit sowie die wissenschaftliche Nachwuchsförderung des Instituts erhielten eine solide Basis mit der 1990 gegründeten Frankreich-Bibliothek, die mit Stiftungsgeldern als ein gegenwartsbezogenes, sozialwissenschaftliches Dokumentationszentrum eingerichtet wurde. Die schon in der Gründungsphase begonnenen bibliographischen Arbeiten des DFI wurden damit auf eine breitere Grundlage gestellt. Die Frankreich-Bibliothek wurde dem Informationsverbund „Internationale Beziehungen und Länderkunde“ angeschlossen und damit in den Zusammenhang multilateraler und vergleichender Länder- und Beziehungsstudien gestellt. Der von ihr eingerichtete Literaturdienst Frankreich veröffentlicht eine bibliographische Reihe mit Büchern und Zeitschriften zu den französischen Außenbeziehungen sowie den deutschfranzösischen Beziehungen. Die programmatische Schwerpunktgestaltung des DFI wurde von den Zeitumständen und den Wechselfällen der bilateralen sowie der europäischen Beziehungen maßgeblich beeinflusst. Aber auch die wissenschaftlichen Prägungen und politischen Prob- Deutsch-Französisches Internetportal 204 D lemwahrnehmungen seiner Direktoren hinterließen ihre Spuren. So trug der Historiker *Fritz Schenk von 1948 bis 1972 zur zeitgeschichtlichen und geisteswissenschaftlichen Akzentsetzung des Instituts bei. Der Soziologe *Robert Picht profilierte dessen Arbeit in den Jahren 1972 bis 2002 im sozialwissenschaftlichen Sinne. Unter der Leitung des seit 2002 amtierenden Romanisten Frank Baasner wendet sich das DFI zusätzlich den Problemen der interkulturellen Kommunikation und Semantik zu und bleibt Dienstleister für all jene Institutionen und Personen, die im öffentlichen oder privaten Sektor die deutschfranzösische Kooperation gestalten. Hans Manfred Bock (Hg.), Projekt deutsch-französische Verständigung. Die Rolle der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Opladen 1998. Hans Manfred Bock Deutsch-Französisches Internetportal Portail franco-allemand Das Deutsch-Französische Internetportal ist die gemeinsame Internetseite des Ministère des affaires étrangères und des Auswärtigen Amtes und versteht sich als Informationsplattform der deutschfranzösischen Partnerschaft (www.deutschlandfrankreich.diplo.de, www.france-allemagne.fr). Ein Grußwort der beiden Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit führt die Nutzer in diesen binationalen Netzauftritt ein, der sich mit gemeinsamen, zweisprachigen Inhalten an ein breites Publikum auch über die Grenzen von Frankreich und Deutschland hinaus richtet. Ursprünglich im Jahr 1999 auf dem 73. deutschfranzösischen Gipfel in Toulouse als deutschfranzösische Internetlink-Sammlung ins Leben gerufen, ging die deutsch-französische Website nach dem 40. Jahrestag des *Élysée-Vertrags im Jahr 2003 in die redaktionelle Zuständigkeit der Außenministerien Deutschlands und Frankreichs über. Die Seite bietet einen Überblick über die bilaterale Zusammenarbeit auf politischer, kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene sowie über die gesamte Bandbreite der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure des deutsch-französischen Netzwerks. Aktuelle Nachrichten, Grundlagentexte, praktische Hinweise zum Leben, Studieren und Arbeiten im jeweiligen Partnerland sowie Diskussionsforen runden das Angebot der Seite ab. Hilfreich ist überdies die weite Vernetzung mit den Portalen anderer Akteure im deutsch-französischen Umfeld, die es ermöglicht, die wichtigsten Themen schnell auf einschlägigen Websites zu vertiefen. Mit mehr als 30 000 Zugriffen pro Monat und einem sehr guten Ranking bei der Suchmaschine Google hat sich das Deutsch-Französische Internetportal als wichtige Informations- und Diskussionsbasis für die deutsch-französische Freundschaft etabliert. Für das deutsch-französische Jubiläumsjahr „50 Jahre *Élysée-Vertrag“ haben das Ministère des affaires étrangères und das Auswärtige Amt dem deutsch-französischen Internetportal eine Sonderwebsite angegliedert. Hier informiert ein interaktiver Veranstaltungskalender über die vielfältigen Projekte und Akteure in Frankreich und Deutschland im Jubiläumsjahr. Für eigene Veranstaltungen kann über diese Website das offizielle deutsch-französische Jubiläumslogo heruntergeladen werden. Ministère des affaires étrangères, Auswärtiges Amt Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) Office franco-allemand pour la jeunesse (OFAJ) Der *Élysée-Vertrag vom 22.1.1963 sah die Schaffung eines „Austausch- und Förderungswerk[s] der beiden Länder“ vor, „um die Bande, die zwischen der deutschen und französischen Jugend bestehen, enger zu gestalten und ihr Verständnis füreinander zu vertiefen“. Zum Ausbau der deutschfranzösischen *Jugendbeziehungen wurde daher am 5.7.1963 das DFJW gegründet. Im Verlauf seines Bestehens hat sich zwar manches in der Struktur (Sitz, Zusammensetzung des Verwaltungsrats, Amtszeit der Generalsekretäre usw.) und in den Programmen verändert, seine Grundprinzipien von 1963 blieben jedoch unangetastet. Über die Aufgaben des DFJW heißt es in der jüngsten Fassung des Abkommens (2005): „Das Deutsch-Französische Jugendwerk hat die Aufgabe, die Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und für die Jugendarbeit Verantwortlichen in beiden Ländern zu vertiefen. Zu diesem Zweck trägt es zur Vermittlung der Kultur des Partners bei, fördert das interkulturelle Lernen, unterstützt die berufliche Qualifizie- Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) D 205 rung, stärkt gemeinsame Projekte für bürgerschaftliches Engagement, sensibilisiert für die besondere Verantwortung Deutschlands und Frankreichs in Europa und motiviert junge Menschen, die Partnersprache zu erlernen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk ist ein Kompetenzzentrum für die Regierungen beider Länder. Es fungiert als Berater und Mittler zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen sowie den Akteuren der Zivilgesellschaft in Deutschland und Frankreich.“ An der Spitze des Jugendwerks steht ein binationaler Verwaltungsrat. 2005 wurde er auf 14 Mitglieder (jeweils sieben Deutsche und sieben Franzosen) reduziert und besteht nur noch aus den beiden Vorsitzenden (den für Jugendfragen zuständigen Ministern bzw. Ministerinnen) sowie zwölf Mitgliedern, die paritätisch von jeder Regierung ernannt werden; sechs von ihnen vertreten die öffentliche Verwaltung der beiden Länder (Außenministerium, Finanzministerium und Ministerium für Jugendfragen), zwei vertreten die Gebietskörperschaften, zwei die Nationalversammlungen (Bundestag, Assemblée nationale) und zwei die Jugend. Der Verwaltungsrat ist die beschlussfassende Instanz des DFJW, sowohl für die organisatorischen und finanziellen als auch für die inhaltlichen Entscheidungen. Ein aus 24 Mitgliedern zusammengesetzter Beirat unterstützt die Arbeit des Verwaltungsrats. Er erarbeitet, unter maßgeblicher Mitwirkung der Partner und Adressaten des DFJW, Stellungnahmen und Empfehlungen hinsichtlich der Zielsetzungen und der Programme und lässt sie dem Verwaltungsrat zukommen. Neben den beiden Vertretungen der Jugendministerien umfasst der Beirat 22 Mitglieder (darunter vier Jugendliche), die nach Staatsangehörigkeit paritätisch von den beiden Regierungen ernannt werden; sie müssen aus den Bereichen der Zivilgesellschaft, der Bildung, der Universität, der Kultur, der Wirtschaft und der deutsch-französischen Institutionen kommen. Das Generalsekretariat ist das ausführende, mit der Verwaltung des DFJW beauftragte Organ des Verwaltungsrats. An seiner Spitze steht ein deutsch-französisches Tandem: Zwei Generalsekretäre, die Staatsangehörige einer der beiden Staaten und unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sein müssen. Beide werden durch die beiden Regierungen für eine Amtszeit von jeweils sechs Jahren ernannt, die um drei Jahre zeitversetzt beginnt. Die 83 Mitarbeiter des Jugendwerks arbeiten in binational besetzten Referaten an den beiden Standorten Paris (dem Sitz des DFJW) und Berlin. Das DFJW verfügt über einen Haushalt, dessen Grundstock sich aus (gleich hohen) Beiträgen der deutschen und französischen Regierung zusammensetzt. Zusätzlich erhält es Mittel aus Sonderfonds, z.B. für den Austausch mit den mittel- und osteuropäischen Ländern oder für Programme zugunsten junger Arbeitsloser. Im Jahr 2012 betrug der Haushalt 20,8 Millionen Euro. Auf der Ausgabenseite ist zu bemerken, dass laut Tätigkeitsbericht des DFJW 2011 82,57 % der Zweckausgaben in die Gruppenaustauschprogramme geflossen sind (188 269 Teilnehmer) und 17,43 % in den Individualaustausch (5 445 Teilnehmer). Die Mittel verteilen sich auf die Referate: Schulischer und außerschulischer Austausch, Berufsausbildung und Hochschulaustausch, Interkulturelle Aus- und Fortbildung, Zukunftswerkstatt sowie Trinationale Begegnungen und Presse. Zu den Arbeitsbereichen des DFJW in den ersten Jahren (Schüler- und Lehreraustausch, Sportler-Begegnungen, Sprachkurse, Studienaufenthalte usw.) sind nach und nach andere Programme gekommen, die heute ein breit gefächertes Angebot von Möglichkeiten bieten, die Kenntnis des Nachbarlandes zu vertiefen, Kontakte zu pflegen und dabei auch das eigene berufliche Vorankommen zu begünstigen. Um hier nur einige Zahlen (aus dem Jahr 2008) zu nennen: - Schüleraustausch: 3 000 Begegnungen von Schulklassen mit über 67 000 Schülern der Sekundarstufe und 3 100 Schülern der Primarstufe; 3 200 Schüler im individuellen Austausch (Voltaire- und *Sauzay-Programm); Lehrerfortbildung im Bereich der Austauschpädagogik; - Studentenaustausch: 136 Programme mit über 3 500 Studenten; - Auszubildende, junge Arbeitssuchende, junge Berufstätige: mehr als 1 200 Begegnungen und 11 200 Jugendlich pro Jahr; außerschulische Jugendbegegnungen: 1 200 Programme mit über 36 000 Teilnehmern, durchgeführt von Jugendverbänden, Städtepartnerschaftskomitees, Sportvereinen und Vereinen aus dem Kunst- und Kulturbereich, Programme zu wissenschaftlichen und technischen Fragestellungen; - Erlernen der Partnersprache: 355 Programme, außerschulische Sprachkurse und sprachliche Vorbereitung des Austauschs, Ausbildung für Sprachanimateure, Gruppendolmetscher und Lehrer. Deutsch-Französisches Kulturabkommen 206 D - Pädagogik des interkulturellen Lernens: 142 bi- und trinationale Aus- und Weiterbildungsprogramme zu Themen interkultureller Pädagogik mit rund 2 500 Teilnehmern, hinzu kommt auch eine intensive Forschungs- und Publikationsarbeit; - Drittländerprogramme: 226 trinationale Begegnungen mit 6 000 Jugendlichen aus Deutschland, Frankreich und 36 Drittländern; schwerpunktmäßig mit den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas sowie den Ländern des Mittelmeerraums. Das DFJW arbeitet prinzipiell nach dem Subsidiaritätsprinzip und die Mehrzahl der Programme wird von Partnerorganisationen (Jugendverbänden, Verbänden aus den Bereichen Sport, Kultur, Wissenschaft und Technik, Schulen und Universitäten, Ausbildungszentren, Handwerkskammern, Partnerschaftskomitees, Organisationen, Ministerien, Stiftungen, Unternehmen usw.) getragen. Es unterstützt seine Partner bei finanziellen, pädagogischen und sprachlichen Fragen des Austauschs und leistet Hilfe bei der inhaltlichen Vorbereitung bzw. Analyse von Begegnungen, informiert und berät. Dabei greift das DFJW immer wieder aktuelle Themen auf, die die Jugend in beiden Ländern bewegen (Integration, bürgerschaftliches Engagement, Jugendkultur, Zukunft Europas, wissenschaftlich-technische Themen usw.). Die acht Millionen jungen Deutschen und Franzosen, die das DFJW seit 1963 in ca. 300 000 Austauschprogrammen zusammengeführt hat, sind gewiss ein entscheidender Beitrag für die positive Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. Durch eine vertiefte persönliche Kenntnis des Nachbarlandes, durch die vielfältigen dauerhaften Beziehungen zwischen seinen jungen Bürgern entstand ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ein wertvolles Fundament der europäischen Einigung ist. Als Modell eines erfolgreichen Versuchs, tief verwurzelte Vorurteile und Missverständnisse zwischen benachbarten, lange Zeit verfeindeten Völkern durch systematische Pflege der Begegnung und des Austausch zwischen Jugendlichen zu überwinden, hat das DFJW eine exemplarische Bedeutung nicht nur für die beiden Länder, die dieses Experiment gewagt hatten, sondern auch für andere Regionen Europas. Henri Ménudier, L’Office franco-allemand pour la jeunesse, Paris 1981 (deutsch: Bonn 1991); Hans Manfred Bock (Hg.) Deutsch-französische Begegnung und europäischer Bürgersinn. Studien zum Deutsch-Französischen Jugendwerk 1963-2003, Opladen 2003; Hans Manfred Bock, Corine Defrance, Gilbert Krebs, Ulrich Pfeil (Hg.), Les jeunes dans les relations transnationales. L’Office Franco-Allemand pour la Jeunesse 1963-2008, Paris 2008. Gilbert Krebs Deutsch-Französisches Kulturabkommen Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 maßen die Regierungen in Bonn und Paris dem Faktor Kultur für die beiderseitige Verständigung einen hohen Stellenwert zu. Doch zu einem bilateralen Kulturabkommen rangen sie sich erst fünf Jahre später, im Oktober 1954, durch. Dabei hatten erste Sondierungen zwischen dem Leiter des Kulturreferates der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt, Rudolf Salat, und dem Directeur général des affaires culturelles des Haut-Commissariat de la République Française en Allemagne (Bonn), *Raymond Schmittlein, bereits im Juli 1950 stattgefunden. Anfang Februar 1952 legte das Pariser Außenministerium dann einen Vorentwurf zum Kulturabkommen vor, der vom Bonner Auswärtigen Amt indes verworfen wurde, weil er die Einbeziehung der Bundesländer in die Verhandlungen vorsah und deren Vertragsmitzeichnung verlangte. Da die Bundesregierung die Gestaltung der auswärtigen Kulturbeziehungen für sich reklamierte, gestand sie den Ländern lediglich zu, ihre Auffassungen vor dem Abschluss eines Abkommens darzulegen. Nach mehrmonatigen Beratungen verständigten sich das Haut-Commissariat und das Auswärtige Amt im Juli 1953 auf einen neuen Vertragsentwurf. Darin erklärten sie sich bereit, den Austausch von Professoren, *Lektoren, Assistenten und Leitern kultureller Zusammenschlüsse zu organisieren, Ferienkurse für Lehrpersonal, Studenten und Schüler zu unterstützen, die Zusammenarbeit zwischen den Jugendorganisationen zu begünstigen sowie Beihilfen und Stipendien bereitzustellen. Beide Parteien verpflichteten sich außerdem dazu, auf eine Anerkennung von Diplomen und Zeugnissen hinzuarbeiten und kulturelle Veranstaltungen des Nachbarn zu begünstigen. Sie bekräftigten ferner den Wunsch nach freier Einfuhr von Werken und Dokumenten kulturellen Charakters, bestätigten, zur Lösung finanzieller Probleme beizutragen, die sich aus dem kul- Deutsch-französisches Schulgeschichtsbuch D 207 turellen Wirken des Partners auf ihrem Gebiet ergäben, unterstrichen das Objektivitätsgebot in Lehrbüchern und äußerten die Absicht, sich im Hinblick auf die Wahrnehmung der gemeinsamen Kulturinteressen im Ausland gegenseitig zu konsultieren. „Soweit irgend möglich“ gedachten sie schließlich Sorge dafür zu tragen, dass Deutsch bzw. Französisch an den Schulen beider Staaten als erste oder zweite obligatorische moderne Sprache unterrichtet würde (*Sprachenpolitik, *Deutsche Sprache in Frankreich, *Französisch in Deutschland). Die Umsetzung dieser Bestimmung sollte Gegenstand besonderer Verhandlungen zwischen den Bundesländern und Frankreich sein. Zur Regelung aller Fragen, die sich aus der Durchführung des Vertrags ergäben, wurde die Bildung eines ständigen Kulturausschusses in Aussicht genommen. Die nun aufkeimende Hoffnung auf einen baldigen Vertragsabschluss erwies sich als trügerisch. Noch immer war die Bundesregierung nicht bereit, den Bundesländern ein Mitspracherecht einzuräumen. Zu einer Auflösung der Blockade kam es erst, als Adenauer die Angelegenheit im Vorfeld der Pariser Konferenzen vom Herbst 1954 zur Chefsache erklärte. In Übereinstimmung mit dem französischen Vorschlag vom Vorjahr willigte die Bundesregierung nun doch in einen Schriftwechsel zur Frage des Fremdsprachenunterrichts ein. Vier Tage nach diesem Zugeständnis unterzeichnete Adenauer mit Ministerpräsident Pierre Mendès France und Erziehungsminister Jean Berthoin am 23.10.1954 das Kulturabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik, für die Bonner Republik das erste dieser Art. In seiner definitiven Form stimmte es wesentlich mit der Fassung vom Juli 1953 überein. Nur zwei Punkte hatten sich erheblich geändert. Die Vertragsdauer war nun auf „mindestens“ fünf Jahre festgelegt, und statt der Sondervereinbarung mit den Bundesländern richtete Mendès France ein Schreiben an Adenauer, in dem er die Erwartung äußerte, dass die französische Sprache und Literatur an höheren Schulen der Bundesrepublik analog zu den Bedingungen des Deutschunterrichts in Frankreich gelehrt würden. In seiner Antwort teilte Adenauer mit, dass die dargestellte Disposition seine „volle Unterstützung“ fände. Der Kunstgriff des Briefwechsels sollte die Crux des Abkommens, Dinge regeln zu wollen, die laut Grundgesetz zum großen Teil in die Zuständigkeit der Bundesländer fielen, nicht bereinigen. Noch ehe die Ratifikationsurkunden am 28.7.1955 ausgetauscht waren, erklärten die Regierungschefs der Bundesländer Englisch im Düsseldorfer Schulabkommen vom 16. und 17.2.1955 zur ersten Fremdsprache. Auch der mit erheblicher Verspätung 1957 ins Leben gerufene deutsch-französische Kulturausschuss konnte an dieser Prioritätensetzung nichts ändern. Obwohl der *Élysée- Vertrag vom 22.1.1963 die Absicht bekräftigte, die Zahl der Französisch lernenden deutschen Kinder zu erhöhen, schrieben die Bundesländer im Hamburger Schulabkommen vom 28.10.1964 Englisch als erste lebende Fremdsprache fest. Sieben Jahre später erfolgte zwar eine Revision, derzufolge den deutschen Schülern nun auch andere moderne Sprachen sowie Latein als erste Fremdsprache angeboten werden sollten. Da diese Bestimmung jedoch von der Wahrung der Einheitlichkeit des bundesdeutschen Schulwesens abhängig gemacht wurde, blieb der von Rudolf Salat und *Raymond Schmittlein 1950 geäußerte Wunsch nach einer kulturpolitischen „Meistbegünstigung“ zumindest in diesem Punkt unerfüllt. Margarete Sturm, Un texte tombé dans l’oubli: l’accord culturel franco-allemand du 23 octobre 1954, in: Allemagnes d’aujourd’hui 84 (1983), S. 9-22; Ulrich Lappenküper, „Sprachlose Freundschaft“? Zur Genese des deutsch-französischen Kulturabkommens vom 23. Oktober 1954, in: Lendemains 21 (1996) 84, S. 67-82; ders., Das deutsch-französische Kulturabkommen von 1954. Erträge und Defizite kultureller Verständigung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich in den fünfziger Jahren, in: Martin Schieder, Isabelle Ewig (Hg.), In die Freiheit geworfen. Positionen zur deutschfranzösischen Kunstgeschichte nach 1945, Berlin 2006, S. 67-81. Ulrich Lappenküper Deutsch-französisches Schulgeschichtsbuch Im Sommer 2006 erschien in Deutschland und Frankreich bei den Verlagen Klett und Nathan ein gänzlich neues Produkt mit dem Titel „Histoire/ Geschichte. Europa und die Welt seit 1945“ auf dem Schulbuchmarkt. Das deutsch-französische Geschichtsbuch kann sich jedoch auf eine lange Vorgeschichte stützen. So finden sich seine Ursprünge bereits in den 1920er Jahren in den Versuchen von Historikern, Schulgeschichtsbü- DeutschMobil - FranceMobil 208 D cher von nationalistischen Perspektiven zu befreien und damit einen friedensstiftenden Beitrag zu leisten. Im gleichen Geist standen die Anfang der 1950er Jahre begonnenen deutsch-französischen Schulbuchgespräche, die sich unter Beteiligung von Georg Eckert, *Pierre Renouvin, *Jacques Droz u.a. systematisch mit den verschiedenen Epochen der Geschichte beschäftigten. So kam der Vorschlag des vom *DFJW organisierten Deutsch-Französischen Jugendparlaments im Jahre 2003, „ein Geschichtsbuch mit gleichem Inhalt für beide Länder einzuführen, um durch Unwissenheit bedingte Vorurteile abzubauen“, keineswegs aus dem Nichts. Bei dem fertigen Produkt handelt sich um das erste deutsch-französische Lehrwerk für Geschichte und ist nicht alleine für Schüler in Frankreich gedacht, die Deutsch bzw. Schüler in Deutschland, die Französisch lernen, sondern auch für den allgemeinen Geschichtsunterricht an Gymnasien und lycées geeignet. Der erste Band ist dabei für Schüler der 12. bzw. 13. Klasse ( terminale ) bestimmt, die sich auf das Abitur bzw. baccalauréat vorbereiten. Der im April 2008 erschienene zweite Band umfasst den Zeitraum von 1815 bis 1945 und ist für Schüler der 11. bzw. 12. Klassen konzipiert. Der dritte und letzte (im Frühjahr 2011 erschienene) Band des Lehrbuchs ist für 10. bzw. 11. Klassen bestimmt und zieht den Bogen von der Antike bis zur Napoleonischen Ära. Bei der praktischen Umsetzung des Projektes galt es zunächst, die bildungspolitischen Grundlagen zu schaffen und zentralistische mit föderalen Schultraditionen miteinander in Einklang zu bringen. Zudem mussten unterschiedliche pädagogische und didaktische Unterrichtstraditionen zusammengeführt werden, um anschließend einen gemeinsamen Lehrplan zu entwerfen. Unter der Leitung von Historikern und Geschichtslehrern aus beiden Ländern entwarfen dann deutsch-französische Autorentandems die einzelnen Kapitel, die einen Kompromiss der verschiedenen Traditionen darstellen. Das Echo in der deutschen und französischen Öffentlichkeit war von Beginn an sehr groß; darüber hinaus interessierten sich aber auch andere Länder für das binationale Schulbuch, um ihrerseits Anregungen für eigene Projekte zu finden. Mittlerweile gelten derartige Schulbuchprojekte als probates Mittel, um ehemals verfeindete Nachbarn miteinander zu versöhnen, doch gilt es dabei zu bedenken, dass das deutsch-französische Geschichtsbuch eine lange Vorgeschichte hat und auf einer institutionalisierten, aktiven und eingespielten Forschungskooperation aufbauen konnte. So war es nie als Mittel zur *Versöhnung konzipiert, sondern das Produkt politischen Willens und einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen den Historikern beider Länder. Ob es sich tatsächlich neben anderen Schulgeschichtsbüchern auf dem Markt durchsetzen kann, wird erst die Zukunft entscheiden. Rainer Bendick, Irrwege und Wege aus der Feindschaft. Deutsch-französische Schulbuchgespräche im 20. Jahrhundert, in: Kurt Hochstuhl (Hg.), Deutsche und Franzosen im zusammenwachsenden Europa 1945-2000, Stuttgart 2003, S. 73-103; Franziska Flucke, Das deutsch-französische Geschichtsbuch. Transnationale Potentiale und nationale Hindernisse in der pädagogischen Praxis, in: Dorothée Röseberg, Marie- Therese Mäder (Hg.), Le Franco-Allemand. Herausforderungen transnationaler Vernetzung. Enjeux des réseaux transnationaux, Berlin 2014, 163-178; Reiner Marcowitz, Ulrich Pfeil, Das deutsch-französische Schulgeschichtsbuch, in: Dokumente 62 (2006) 5; Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Historischer Perspektivenwechsel. Das deutsch-französische Geschichtsbuch: Vorgeschichte und Realisierung, in: Frankreich Jahrbuch 2009 (2010), S. 95-112. Corine Defrance, Ulrich Pfeil DeutschMobil - FranceMobil DeutschMobil ist eine Aktion zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur an französischen Schulen, die auf Initiative des Gründungspräsidenten der *Föderation deutsch-französischer Häuser, Kurt Brenner, im Jahre 2000 ins Leben gerufen wurde. Es ist ein Gemeinschaftsprogramm der *Föderation deutsch-französischer Häuser und der Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen), mit der Unterstützung von Mercedes-Benz France und des *DAAD. Träger war bis 2014 das deutsche Kulturinstitut Heidelberg-Haus in Montpellier, das auch Sitz der Geschäftsführung ist. Dieses deutsch-französische Kooperationsprojekt steht unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Bevollmächtigten der Bundesrepublik für kulturelle Angelegenheiten mit Frankreich (*Kulturbevollmächtigter) und dem französischen Ministère de l’éducation nationale. Als *Lektoren eingesetzte junge deutsche Hochschulabsolventen besuchen Grundschulen, Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich D 209 collèges sowie lycées , um dort für die Sprachenvielfalt sowie die deutsche Sprache und Kultur zu werben (*Sprachenpolitik). In so genannten Sprachanimationen werden den französischen Schülern erste deutsche Wörter sowie ein aktuelles Deutschlandbild vermittelt. Die Sprachwerbeaktion will sowohl den sinkenden Deutschlernerzahlen an französischen Schulen entgegenwirken, als auch das oft veraltete, einseitige Deutschlandbild der französischen Schüler aktualisieren und differenzieren. Schülergruppen, die bereits Deutsch lernen, werden darüber hinaus über Studien- und Karrieremöglichkeiten im deutsch-französischen Kontext, z.B. im Rahmen der von der *Deutsch-Französischen Hochschule angebotenen Studiengänge, informiert. Bei ihren Sprachanimationen reisen die DeutschMobil-*Lektoren in den von Mercedes-Benz bereitgestellten Vans von Schule zu Schule um Schüler, Eltern, Lehrer und Schulleiter vor Ort zu informieren und in Zusammenarbeit mit Repräsentanten anderer Fremdsprachen eine Orientierungshilfe bei der Fremdsprachenwahl zu geben. Zunächst wurden vier *Lektorate in den Regionen Languedoc-Roussillon, Burgund, Pays de la Loire und Provence-Alpes-Côte d’Azur geschaffen. Aufgrund des immensen Erfolges dieser Sprachwerbeaktion und der damit einhergehenden großen Nachfrage seitens der französischen Schulen, ist die DeutschMobil-Flotte inzwischen in sechs weiteren Regionen (Aquitaine, Ile-de-France, Lorraine, Midi-Pyrénées, Normandie und Rhône-Alpes) vertreten und deckt somit (fast) ganz Frankreich ab. Im Laufe der Jahre konnten weitere Träger für das Programm gewonnen werden: Auch das Auswärtige Amt und französische Gebietskörperschaften (die Regionen Aquitaine, Midi-Pyrénées sowie Rhône-Alpes) unterstützen das Projekt finanziell. In Städten ohne deutsch-französisches Kulturinstitut dienen *Goethe-Institute als logistische Anlaufstellen. Ferner treten das *DFJW, die Verlage Hueber, Klett und Langenscheidt sowie *ARTE als Partner in Erscheinung. Das Programm wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Initiativpreis Deutsche Sprache 2003, der durch den Verein Deutsche Sprache vergeben wird, und dem Europäischen Sprachensiegel 2011 der Agence Europe éducation formation France. Darüber hinaus erhielt das Projekt, gemeinsam mit seiner Schwesteraktion FranceMobil 2003 den *Prix de Gaulle-Adenauer. Als Parallelaktion zum DeutschMobil schuf die Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen) gemeinsam mit der französischen Botschaft in Berlin 2002 das FranceMobil. Ähnlich wie beim Partnerprogramm liegen die pädagogischen Ziele dieses Projekts in der Vermittlung eines aktuellen, dynamischen Frankreichbildes, der Motivation des Fremdsprachenerwerbs und der Information über Studienmöglichkeiten und Karrierevorteile bei Beherrschung der französischen Sprache. Die angesprochene Zielgruppe umfasst sowohl Vorschulkinder und Schüler im Primarbereich als auch die der Sekundarstufe II. Jedes der insgesamt zwölf *Lektorate ist entweder an ein Centre culturel français oder an eines der *Instituts français in Deutschland angegliedert. Koordiniert wird das Programm von der französischen Botschaft in Berlin. Der französische Automobilhersteller Renault stellt zwölf Fahrzeuge zur Verfügung, in denen die FranceMobil-*Lektoren Kindergärten, Grund-, Real- und Berufsschulen sowie Gymnasien in ganz Deutschland besuchen, um Interesse an der Kultur und Sprache Frankreichs zu wecken. Projektpartner sind auch hier einige Schulbuchverlage sowie der deutsch-französische Kultursender *ARTE. 2014-2015 setzen die DeutschMobile ein Jahr aus, bevor sie unter stärkerer Einbindung des *DFJW und des *Goethe-Instituts mit erneuerter Konzeption ab Herbst 2015 wieder zum Einsatz kommen sollen. Cornelia Klingebiel Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich Im weitesten Sinne verstanden umfasst dieses Thema mit vielen Facetten, zumindest für die letzten Jahrzehnte, beinahe alle Autoren, denn sie dürften mit wenigen Ausnahmen zumindest als Besucher dort gewesen sein. Verhältnisse wie im Vormärz, wo Autoren wie Heinrich Heine ganz nach Paris übergesiedelt sind und andere wie Eduard Mörike, nicht einmal den Rhein gesehen haben, gibt es nicht mehr. Es riskiert auch niemand mehr, an der Grenze aus politischen Gründen verhaftet zu werden. So konzentriert sich unser Interesse auf Autoren, die in deutscher Sprache schreiben - prominente Ausnahmen sind sehr selten, im Gegensatz zu zahlreichen Autoren aus Südosteuropa - aber Frankreich für längere Zeit zum Lebensort gewählt haben. Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich 210 D Ein längerer Aufenthalt in Frankreich kann viele Gründe haben, nicht immer sind sie bekannt. Autoren, die sich in Frankreich angesiedelt haben, ohne dass dies thematisch Niedergeschlag gefunden hätte. Die ersten Jahre nach Kriegsende sind noch weitgehend bestimmt von den beiden grundsätzlich differenten Erfahrungsweisen, die die deutschen Autoren vor 1945 in Frankreich machen konnten: als Soldat oder als Exilierter. *Ernst Jünger hat Frankreich als Soldat im Ersten („In Stahlgewittern“) und als hochrangiger Besatzungsoffizier im Zweiten Weltkrieg kennengelernt. Nach 1945 in der Bundesrepublik lebend, kehrte er, vom literarischen Frankreich bis hin zum damaligen Präsidenten François Mitterrand hoch geehrt, mehrere Male in offizieller Mission an symbolische Orte wie Verdun oder zum Jahrestag des *Élysée-Vertrags nach Paris zurück. Auch in seinem Werk spielte Frankreich eine Rolle. Sein kühler Enthusiasmus galt der vorrevolutionären, aristokratischen Vergangenheit Frankreichs, wie die beiden „Pariser Tagebücher“ (1949), sein Text über den Moralisten „Rivarol“ (1956) oder die Erzählung „Eine gefährliche Begegnung“ (1985) belegen. *Jüngers ästhetisiertes aristokratisches Frankreich ist in den folgenden Jahrzehnten weitgehend aus der deutschen Literatur verschwunden, teils, weil es sich aufgelöst hat, teils, weil die deutschen Autoren den Zugang hierzu mehr und mehr verloren haben. Aus dem französischen Exil führte erstaunlicherweise kaum ein direkter biographischer Strang zur deutschen Literatur in Frankreich nach 1945. In diesem Exil war zwischen 1933 und 1939 ein großer Teil der nennenswerten deutschen Literatur entstanden, bevor die deutschen Besatzer die Autoren vertrieben oder umbrachten. Nach 1945 kehrten die meisten von ihnen zurück in den deutschen Sprachraum, viele zunächst in die SBZ/ DDR, andere in die Schweiz, wenige in die Westzonen. Auch *Alfred Döblin kehrte als französischer Besatzungsoffizier nach Deutschland zurück, bevor er, zutiefst enttäuscht von dem, was er dort vorfand, erneut ins französische Exil ging. Sein spätes Tagebuch „Journal 1952/ 53“ zeigte ihn, krank und isoliert in einem Paris, das allen Glanz verloren hatte. Er war nicht der Einzige im „Exil nach dem Exil“, wie Marion Gees am Beispiel der Tagebuchliteratur von Thea Sternheim oder Unica Zürn gezeigt hat, aber er war der prominenteste. Die Grundzüge des Frankreichbilds, das die kritische Intelligenz der Bundesrepublik entwickeln sollte, findet sich paradigmatisch verdichtet in kleinen Texten von Heinrich Böll aus den 1950er Jahren, gewonnen auf Gruppenreisen deutscher Schriftsteller (*Deutsch-französische Schriftstellertreffen). Böll war fasziniert von der Weltstadt, die Deutschland fehlte, von der Traditionssättigung, er plädierte für Versöhnung und schrieb an gegen das überkommene Bild vom „Lusthaus“ Paris. Am auffälligsten ist, dass er das zumeist abwertend gemeinte deutsche Urteil, in Frankreich werde weniger gearbeitet, dahingehend umwertet, dass er dem „deutschen“ Prinzip der Effektivität und der Akkumulation das „natürliche“ der Bedürfnisdeckung gegenüberstellte. Günter Grass hingegen lebte zwischen 1956 und 1960 in Paris, kaum bekannt und kaum integriert. Freilich schrieb er damals nicht über Frankreich, sondern an seiner Danziger Trilogie. Das ist ein fortdauerndes Motiv für die zeitweise Ansiedlung deutscher Autoren in Frankreich: In der Fremde wird die Distanz zu den alltäglichen Verhältnissen gewonnen, die Voraussetzung für das Schreiben überhaupt ist - nicht nur zu den deutschen übrigens. Auch z.B. für den Schweizer Paul Nizon (u.a. „Die Innenseite des Mantels“, 1995) war die Fremdheit in Paris Voraussetzung literarischer Vision. In Grass‘ großem „Wenderoman“ „Ein weites Feld“ (1994) gewinnt dann Frankreich spät doch noch sichtbar Gestalt als Alpha und Omega deutscher Geschichte: So stehen am Anfang Preußens die Hugenotten und am Ende die ländliche, widerständisch protestantische Tradition der Cevennen. Damit wird Frankreich zum dritten Weg zwischen den beiden (falschen) Wegen der beiden deutschen Staaten. Das Werk *Lothar Baiers lebte von dieser Hoffnung und endete mit ihrer Enttäuschung, sowohl der Hoffnung auf die „Cevennen“ („Jahresfrist“, 1985 ) als auch auf die „Firma Frankreich“ (1988). Spuren davon finden sich auch noch im Werk von Birgit Vanderbeeke und Peter Kurzeck, beide zumindest zeitweise am Fuße der Cevennen angesiedelt. Genannt sei in diesem Zusammenhang auch Hubert Fichtes Bericht über seinen Aufenthalt in der Haute Provence „Versuch über die Pubertät“ (1974). Dietrich, Marlene D 211 Die Motive des späten Exils, der Gegnerschaft zur Bundesrepublik, die den Völkermord an den Juden so lange verdrängte und der Suche nach Anerkennung in der Kunsthauptstadt Europas verknüpfen sich am engsten in den Biographien von *Paul Celan und *Peter Weiss, zwei Autoren, die Auschwitz entgangen waren. *Celan, staatenlos, besitzlos, arbeitslos, namenlos als er 1948 in Paris ankam, wurde 1955 eingebürgert, beherrschte die französische Sprache, fand eine französische Frau, prominente französische Freunde und eine angesehene Stellung an der ENS und lebte doch die Exilerfahrung des „gänzlich allein“ bis zu seinem Freitod im Jahre 1970. Was Frankreich für sein Werk bedeutet, harrt noch der Untersuchung, deutet sich aber an in der Schlusszeile des Gedichts „Erinnerung an Frankreich“: „Wir waren tot und konnten atmen“. Die lange Geschichte, die *Peter Weiss mit Paris verbindet, wurde von Günter Schütz gründlich erforscht. Weiss, auch er ein ewiger Exilierter, hat sich nie in Paris angesiedelt, aber die Stadt war der Fluchtpunkt seiner Suche nach künstlerischer Anerkennung und dann, später, seiner politischen Orientierung. Unzählige Briefe, Tagebucheintragungen, aber auch fiktionale Texte, u.a. „Die Ästhetik des Widerstands“ (Bd. 2, 1978) zeugen davon. Die Texte der jüngeren Autoren, (z.B. Jakob Arjouni, Undine Gruenter, Michael Kleeberg) die aufgrund französischer Erfahrungen entstanden und von Frankreich handeln, sind, wie die deutschfranzösischen Verhältnisse überhaupt, von den großen Erwartungen und ideologischen Projekten weitgehend entfrachtet. Die Autoren leben häufig an zwei Orten, ihr inneres Zerwürfnis mit Deutschland ist kaum noch fundamental zu nennen, von Exil kann keine Rede sein. Vielleicht ist trotz seiner Einzigartigkeit Peter Handke, der seit über 20 Jahren in der Nähe von Paris lebt und zahlreiche Tagebücher und Prosatexte („Mein Jahr in der Niemandsbucht“, 1994) in dieser Zeit verfasst hat, hier ein Vorläufer. Sein Schreibtisch bei Paris ist ihm „Bleibe“; er notiert, was er sieht, aber meidet den großen epischen Wurf. Marion Gees, Schreibort Paris. Zur deutschsprachigen Tagebuch- und Journalliteratur 1945 bis 2000, Bielefeld 2006; Karl Heinz Götze, Frankreichfaszination in der deutschen Literatur seit der Weimarer Republik. Fünf Beispiele: Tucholsky, Sieburg, Ernst Jünger, Böll, Grass, in: Dorothee Röseberg, Heinz Thoma (Hg.), Interkulturalität und wissenschaftliche Kanonbildung. Frankreich als Forschungsgegenstand einer interkulturellen Kulturwissenschaft, Berlin 2008; Günter Schütz, Peter Weiss und Paris. Prolegomena zu einer Biographie, 2 Bde., Sankt Ingbert 2004/ 2011. Karl Heinz Götze Dietrich, Marlene Die Liebe zu Jean Gabin und ihr politisches Engagement gegen den Nationalsozialismus brachten Marlene Dietrich (1901-1992) im September 1945 nach Paris. In den letzten beiden Kriegsjahren hatte sie die amerikanischen Truppen in Europa mit Shows moralisch unterstützt; nun sah sie ihre Zukunft mit Gabin in Frankreich. Sie tauchte tief ein in die europäische Kultur, wollte Gérard Philipe und Roberto Rossellini nach Amerika bringen und am liebsten gar nicht mehr filmen. Daraus wurde nichts und auch die Verbindung zu Gabin endete abrupt. Was blieb, war ihre Liebe zu Frankreich, deren Fundament schon im Jahr 1933 gelegt worden war, als Marlene, statt zurück nach Berlin und in die Arme des Dritten Reiches, nach Paris fuhr und vorerst keinen deutschen Boden mehr betrat. 1939 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin, Frankreich jedoch entwickelte sich zu ihrer kulturellen Heimat - zunächst aus Neigung, nach 1945 aber auch als Reaktion auf die Vorwürfe aus der Bundesrepublik, sie habe mit ihrem Engagement im Zweiten Weltkrieg Deutschland verraten. Die Franzosen dagegen waren stolz auf sie - das Lothringer Kreuz sowie die Ernennung zum chevalier , später officier und schließlich sogar zum commandeur der Légion d’honneur verbanden Dietrich eng mit Frankreich. Als sie Anfang der 1950er Jahre eine neue Karriere als Sängerin begann, charakterisierte sie sich selbst zur großen Verwunderung der Amerikaner als diseuse . Sie sah sich in dieser großen, in Frankreich begründeten Tradition des Sprechgesangs, den sie auf der Berliner Bühne gelernt hatte und international bekannt machte. Édith Piaf, Yves Montand und Maurice Chevalier waren ihre französischen Freunde, dazu kam der Kreis um Jean Cocteau und all jene internationalen Künstler, die Paris zu ihrer Wahlheimat gemacht hatten. Natürlich kaufte sie ihre Kleider bei Chanel und Dior (*Mode); ihre große und uneingeschränkte Bewunderung galt dem Modeschöpfer Cristóbal Balenciaga. Distelbarth, Paul H. 212 D Jahre, ja Jahrzehnte tourte Marlene mit ihrer Show aus deutschen, französischen und amerikanischen Songs durch die Städte der Welt. Als sie 1974 von der Bühne stürzte und sich wenig später in ihrer Wohnung in Paris die Hüfte brach, begann der letzte Teil ihrer Karriere, der auf immer mit Paris verbunden bleiben wird. Sie verließ ihre Wohnung nicht mehr, empfing mit Ausnahme ihrer Sekretärin und ihrer Familie niemanden und wurde zu einem noch größeren Mythos als je zuvor. Allein mit ihrer Stimme dokumentierte sie, dass sie nichts an Lebenskraft und Energie eingebüßt hatte; und diese Stimme ohne Gesicht rief jene Bilder hervor, die sie der Welt in den Jahren zuvor im Überfluss gegeben hatte - ungetrübt von Alter, Krankheit oder Gebrechlichkeit. Wahrscheinlich war sie der einzige lebende Mensch, der es geschafft hatte, gleichzeitig sichtbar und unsichtbar, real und imaginär zu sein. Paris war ihre Burg und ihre Festung geworden. In ihrer Autobiographie resümiert sie: „Wie ein Netz, das Schmetterlinge einfängt, wirft Paris das Liebesnetz über uns alle. Die Faszination, die Paris uns schenkt, ist genauso schwer zu erklären wie die Liebe zwischen Mann und Frau. Man kann ruhig leben in diesem Land der Schönheit, bis die Engel uns holen.“ Die Wiedervereinigung brachte sie zurück in ihre Geburtsstadt; mit dieser friedlichen Revolution, mit diesem Drängen nach Demokratie konnte sie wieder stolz sein auf ihr Vaterland. Eine Abschiedsfeier in der Madeleine, ihr Sarg bedeckt mit der Trikolore, und ein Begräbnis in Berlin waren das letzte Geschenk von Frankreich an Marlene und ihr letztes Geschenk an Deutschland. Marlene Dietrich, Nehmt nur mein Leben, Gütersloh 1979; Marlene Dietrich, Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin, Berlin 1998; Marlene Dietrich, Das ABC meines Lebens, München 2012; Maria Riva, Meine Mutter Marlene, München 1992. Werner Sudendorf Distelbarth, Paul H. Der in Böhmen geborene und aufgewachsene Paul H. Distelbarth (1879-1963) war ein Protagonist der deutsch-französischen Verständigung auf gesellschaftlicher Ebene und ein Advokat politischer Friedenssicherung in der späten Weimarer Republik in den 1930er Jahren und in der frühen Bundesrepublik. Nach dem Ersten Weltkrieg gab er seinen florierenden Handel mit Glasschmuckwaren (u.a. mit Paris) auf und baute in der Nähe von Heilbronn ein Obstgut auf. Als Offizier der Grande Guerre war er zum Pazifisten geworden und vertrat seine Botschaft mit Bezug auf die deutsch-französischen Beziehungen im sozialdemokratisch orientierten Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen und unter dem Einfluss des kulturprotestantischen Theologen Martin Rade. In Deutschland unterstützt durch die *Deutsch- Französische Gesellschaft (DFG) und durch den Stuttgarter Elektroindustriellen Robert Bosch, baute er ein enges Verbindungsnetz zur linksorientierten französischen Kriegsveteranen-Vereinigung (Union Fédérale) auf, die hunderttausende von Mitgliedern zählte und ihm eine intime Kenntnis der französischen Gesellschaft ermöglichte. Nach der NS-Machtübernahme 1933 geriet er in den Verdacht des militärischen Geheimnisverrats und beschloss, sein Recht von Frankreich aus zu verteidigen. Er lebte von 1933 bis 1939 in Paris und schrieb dort - in Abstand gleichermaßen zur nationalsozialistischen Repräsentanz und zu den deutschen Exilanten - sein Buch „Lebendiges Frankreich“ (1936). Das von Rowohlt verlegte Buch, eine Essaysammlung von sinnfälliger Darstellungskunst und sympathiestiftender Intensität, wurde zum Publikumserfolg in Deutschland und mit Hilfe seiner Freunde bei den Anciens Combattants ins Französische übersetzt. Es begründete trotz heftiger Kritik der Nationalsozialisten Distelbarths Ruhm als Schriftsteller und machte ihn neben *Friedrich Sieburg zum meistgelesenen Frankreich-Autor der 1930er Jahre. Sein von Klett verlegtes zweites Buch „Neues Werden in Frankreich“ (1938) enthielt ein Panorama der kulturellen Gegenwartskräfte in Frankreich, die ihm als Laboratorien der Zukunft des Landes erschienen. Es kam mit der aktiven Förderung seiner Freunde in der Intellektuellenvereinigung Union pour la Vérité um den Philosophen Paul Desjardins zustande. Distelbarths Bücher wurden zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verboten, obwohl „Lebendiges Frankreich“ noch immer nachgefragt war. Die Kriegsjahre verbrachte er politisch unbehelligt auf seinem württembergischen Besitz. Nach 1945 galt Distelbarth als „Patriarch der deutschfranzösischen Verständigung“ und einer der ganz wenigen Frankreich-Autoren, die nicht durch Döblin, Alfred D 213 den Nationalsozialismus kompromittiert waren. Seine Essaysammlung „Franzosen und Deutsche. Bauern und Krieger“ (1946), eine nationalcharakterologische Deutung der bilateralen Beziehungen und ein Plädoyer für die französischdeutsche Gemeinsamkeit als „Rückgrat“ des neu zu bauenden Europas, wurde das am weitesten verbreitete Frankreich-Buch der ersten Nachkriegsjahre. Zu Beginn des Jahres 1946 erhielt Distelbarth von der amerikanischen Besatzungsmacht die Lizenz für die Herausgabe der Regionalzeitung „Heilbronner Stimme“, die bis Ende 1950 seine Tribüne für einen scharf konturierten Meinungsjournalismus wurde. Der konservativpazifistische Autor begrüßte in der Adenauer- Bundesrepublik die Montan-Union, verurteilte aber aufs Entschiedenste das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der deutschen Wiederbewaffnung. Er verweigerte sich der politischen Logik des Kalten Krieges und unternahm Reisen in die UdSSR und nach China, über die er Bücher veröffentlichte, die nach dem Vorbild von „Lebendiges Frankreich“ Feindbilder und *Stereotype korrigieren sowie mentale Antagonismen abbauen sollten. Die letzte von mehreren Nachkriegsausgaben von „Lebendiges Frankreich“ erschien 1956 in der DDR, wo sie aufgrund des eingeschränkten Gesellschaftsaustauschs im Kalten Krieg nicht unwesentlich zur ostdeutschen Frankreich-Wahrnehmung beitrug. Wolfgang Geiger, L’image de la France dans l’Allemagne nazie 1933-1945, Rennes 1999; Hans Manfred Bock (Hg.), Paul H. Distelbarth: Das andere Frankreich. Aufsätze zur Gesellschaft, Kultur und Politik Frankreichs und zu den deutsch-französischen Beziehungen 1932-1955, Bern, Berlin 1997. Hans Manfred Bock Döblin, Alfred Der Name des Schriftstellers und Arztes Alfred Döblin (1878-1957) wird heute vor allem mit seinem Erfolgsroman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) assoziiert, der zu Recht als das beste Buch des Autors gilt und ihm einen Platz in der Literaturgeschichte sichert. Döblins Bedeutung kann aber nicht nur auf sein literarisches Wirken reduziert werden, denn im Nachkriegsdeutschland wirkte er zugleich auch als kultureller Mittler zwischen Deutschland und Frankreich. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg feststellen musste, dass seine neuen Bemühungen im literarischen Bereich weitgehend auf Unverständnis stießen - sein Roman „Hamlet oder die lange Nacht nimmt kein Ende“ fand keinen Verleger - versuchte er, auf eine andere Weise tätig zu werden. Da er es für seine Pflicht hielt, sich am geistigen Wiederaufbau seines Landes zu beteiligen, war er bereits 1945 nach Deutschland zurückgekehrt. Hier wurde er zunächst als französischer Offizier bei der Kulturbehörde der französischen Militärregierung in Baden-Baden (*Raymond Schmittlein) angestellt. Als chargé des fonctions de chef du bureau des lettres war er damit beauftragt, die eingereichten literarischen Manuskripte durchzulesen und über die Möglichkeit einer Druckgenehmigung zu urteilen. Ein weiterer Aspekt seiner kulturellen Vermittlungstätigkeit bestand dann ab 1946 in der Herausgabe der kritischen Literaturzeitschrift „Das Goldene Tor“, deren Mitbegründer er war. Das Hauptanliegen der Zeitschrift sah er darin, Dichtung, Kunst und die freien Gedanken als Symbol der menschlichen Freiheit und der Solidarität der Völker zu fördern und gleichzeitig den Realitätssinn im Lande zu stärken. Nachdrücklich bezog er sich auf Frankreich als Land des geistigen Widerstands und erklärte damit den Nachbarn zum Modell für das neu entstehende Deutschland. Schon bald sollte Döblin von der Begrenztheit seiner Wirkung im Nachkriegsdeutschland aber bitter enttäuscht werden: Die Zeitschrift musste bereits 1951 ihr Erscheinen einstellen. Ähnliches widerfuhr ihm als Vizepräsident (der Abteilung Literatur) der neu gegründeten Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Hier bemühte er sich, die Intellektuellen einander näher zu bringen, wobei er mehrmals seine Missbilligung der steigenden Spannungen zwischen Ost und West zum Ausdruck brachte. Bald jedoch musste er erkennen, dass sein anfänglicher Glauben an eine geistige Erneuerung Deutschlands allzu optimistisch war. 1953 fasste er - enttäuscht über die mangelnde Anerkennung im eigenen Land - den Entschluss, sich in Paris niederzulassen. Frankreich verkörperte - in Gestalt des Hochkommissars *André François-Poncet und im akademischen Bereich des *Germanisten *Robert Minder - in seinen Augen einen (nicht nur aus finanziellen Gründen) besseren Wohnort. Seine späte Anerkennung in der DDR, wo sein Hamlet-Roman Dokumente 214 D schließlich veröffentlicht wurde, konnte daran nichts mehr ändern. Alfred Döblin, Aufsätze zur Literatur, Olten, Freiburg/ Br. 1963; Matthias Prangel, Alfred Döblin, Stuttgart 1973; Michel Vanoosthuyse, Alfred Döblin, Théorie et pratique de „l’œuvre épique“, Paris 2005; Wilfried F. Schoeller, Döblin. Eine Biografie, München 2011. Frédéric Teinturier Dokumente Documents Die Einrichtung des Centre d’études culturelles, économiques et sociales (CECES), 1948 in *Bureau international de liaison et de documentation (BILD) umbenannt und um die *Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) ergänzt, sowie die damit einhergehende Gründung der französisch-deutschen Schwester-Zeitschriften „Documents“ und „Dokumente“ durch den Militärseelsorger und Jesuitenpater *Jean du Rivau im August 1945, lediglich drei Monate nach Kriegsende, war die wohl wichtigste private Initiative zur deutsch-französischen Verständigung der unmittelbaren Nachkriegszeit in der französischen Besatzungszone. Gründungsvater *Du Rivau war ein bodenständiger Mann der Tat, „pas un intellectuel, mais un intuitif qui sut mettre les intellectuels en contact“. Sein Ziel bestand darin, trotz der jüngsten NS-Verbrechen auf der Basis wechselseitiger Information den Dialog zwischen französischen und deutschen Christen zu ermöglichen sowie eine supranationale Annäherung und Verständigung zwischen Franzosen und Deutschen zu fördern. „On commence par l’information“, lautete seine Losung. Diese spiegelt sich im Leitbild der Publikation wider, das er im Vorwort der ersten Ausgabe formulierte. Die Zeitschrift *„Documents“, die *Du Rivau nach dem Vorbild der „Dossiers de l’action populaire“ der Jesuiten von Vanves gründete, und die von seinem Talent, tragfähige soziale Netzwerke zu errichten, profitierte, informierte als erste französische Zeitschrift seit Kriegsende die Franzosen über Nachkriegsdeutschland und „Dokumente“ die Deutschen über Frankreich. Das Zeitschriftenpaar, welches trotz Phasen der Krise ohne Unterbrechung bis zur Gegenwart fortgeführt werden konnte, nutzte entsprechend anlässlich der jeweiligen Jubiläen stets die Gelegenheit, die Erinnerung an Père *du Rivau als „pionnier de la réconciliation franco-allemande“ wach zu halten und zu pflegen und leistete zugleich einen entscheidenden Beitrag zur Mythen- und Legendenbildung um seinen Gründungsvater und dessen Initiativen. Die ersten Ausgaben dokumentierten noch vornehmlich übersetzte päpstliche Kundgebungen, Hirtenbriefe deutscher katholischer Bischöfe, die etwa die NS-Verbrechen anprangerten, und Ansprachen evangelischer Pastoren. Bereits ab 1946/ 47 entwickelte sich „Documents - Revue des questions allemandes“ jedoch auch zum Sprachrohr deutscher Intellektueller wie Walter Dirks, Eugen Kogon, Karl Jaspers oder *Alfred Döblin und „Dokumente“ umgekehrt zum Forum französischer Intellektueller wie Georges Bernanos, *Emmanuel Mounier, Albert Béguin, Paul Claudel, Edgar Morin, Denis de Rougemont, *Albert Camus, *Raymond Aron oder Robert d’Harcourt, der „Documents “ als die „seriöseste Publikation über Deutschland“ bezeichnete. Den von *Jean du Rivau initiierten ersten *deutsch-französischen Schriftstellertreffen der Nachkriegszeit in Lahr 1947 und Royaumont 1948 wurde ebenfalls breiter Raum gewährt. Ab 1948 wurde die anfängliche Idee, Dokumente zu veröffentlichen, durch eine neues Konzept mit journalistischen Beiträgen und Rubriken zu den Schwerpunktthemen Christentum, Politik und Weltanschauungen, NS-Vergangenheit, Wirtschaft, Literatur sowie Jugend ersetzt und um eine Leserbrief-Sektion ergänzt. Trotz beträchtlicher Vertriebsanstrengungen in Frankreich gelang es nicht, die bei ca. 5 000 Exemplaren stagnierende Auflage von „Documents “ deutlich zu erhöhen. Die Auflage von „Dokumente“ stieg dagegen in den Zeiten der „Zeitschriftenblüte“ in den Besatzungszonen von 30 000 bis 40 000 im Jahre 1946 auf ca. 65 000 in den Jahren 1947 und 1948, bevor sie infolge der westdeutschen Währungsreform vom Juni 1948 wiederum massiv einbrach. Besonders unter der Leitung des bedeutenden deutsch-französischen Intellektuellen und Historikers *Joseph Rovan vertrat „Documents “ seit 1978 mit Nachdruck die Position, die Errichtung und Förderung eines Vereinigten Europas sei die „logische und notwendige Folge“ der deutschfranzösischen Verständigung und Zusammenar- Droz, Jacques D 215 beit. Inzwischen sind die beiden Zeitschriften fusioniert und erscheinen als gemeinsame deutschfranzösische Ausgabe, deren Leitung der Journalist Gérard Foussier übernommen hat. Raïssa Mézières, Documents, une revue pour le dialogue franco-allemand, in: La Revue des revues 26 (1999), S. 65-84; Martin Strickmann, L’Allemagne nouvelle contre l’Allemagne éternelle: Die französischen Intellektuellen und die deutsch-französische Verständigung 1944-1950 - Diskurse, Initiativen, Biografien, Frankfurt/ M. u.a. 2004, S. 126-134, S. 282-285; ders., Französische Intellektuelle als deutsch-französische Mittlerfiguren, 1944-1950, in: Patricia Oster- Stierle, Hans-Jürgen Lüsebrink, (Hg.), Am Wendepunkt - Deutschland und Frankreich um 1945. Zur Dynamik eines „transnationalen“ kulturellen Feldes, Bielefeld 2008, S. 17-48. Martin Strickmann Droz, Jacques Der in Paris geborene französische Historiker Jacques Droz (1909-1998) war nicht nur ein ausgewiesener Experte der neueren und neuesten deutschen Geschichte, sondern bemühte sich nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv um die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen den Historikern beider Länder. Nach dem Abitur am Lycée Louis-le- Grand erwarb er 1932 die agrégation im Fach Geschichte. Im Jahre 1934/ 35 lebte er im Rheinland und machte - wie u.a. auch *Gilbert Badia und *Raymond Aron - seine eigenen Erfahrungen im NS-Deutschland. Nach Frankreich zurückgekehrt, nahm er 1939 seine Arbeit als Gymnasiallehrer in Colmar auf; wechselte aber schon 1940 an das Lycée Pasteur in Neuilly, um seine Lehrerkarriere dann ab 1942 am Lycée Chaptal und schließlich am Lycée Fustel in Paris fortzusetzen. Dieser Berufsweg wurde 1939/ 40 durch den Wehrdienst unterbrochen, der ihn in „direkte Konfrontation mit der nationalsozialistischen Eroberungspolitik gegenüber seinem Vaterland“ (Möller) brachte. 1944 verteidigte er seine thèse de doctorat d’État und wurde zwei Jahre später maître de conférences an der Universität in Dijon. Von 1947 bis 1962 wirkte er als Professor an der Universität von Clermont- Ferrand, bevor er an die Pariser Sorbonne berufen wurde. Sein wissenschaftliches Werk besticht zum einen durch seinen epochenübergreifenden Ansatz, zum anderen seine thematisch-methodische Breite. Neben seinen Arbeiten zur Geschichte der internationalen Beziehungen machte er sich auf dem Feld der politischen Ideengeschichte und der historiographischen Analyse einen Namen. Seine Rezensionen - vor allem in der „Revue historique“ - von Werken deutscher Historiker beförderten zudem maßgeblich den wissenschaftlichen Transfer zwischen den Historiographien beider Länder. Droz gehörte seit der Gründung im Jahre 1950 zu den ständigen Gästen des *Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, wo er auch regelmäßig an den deutsch-französischen Lehrbuchgesprächen teilnahm, was ihn genauso wie *Pierre Renouvin zu einem der Urväter des 2006 herausgegebenen *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches macht. Bei diesen Treffen sollten die Schulbücher von nationalistischen Tendenzen „entgiftet“ werden, um auf diese Weise an der Transnationalisierung von Geschichtsbildern mitzuwirken. Droz’ Bestreben war es auf diesem Feld, „überkommene Perzeptionsmuster auf beiden Seiten einer kritischen Durchsicht zu unterziehen“ (Escherich). Er verwahrte sich gegen völkerpsychologische Deutungsmuster, was ihn u.a. von *Edmond Vermeil und anderen Vertretern der *französischen Germanistik unterschied. Gleichzeitig kritisierte er Ansätze, die eine Traditionslinie von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck zu Hitler zogen. Auf deutscher Seite drängte er zu einer methodischen Öffnung von traditionellen Interpretationen der deutschen Geschichte und beteiligte sich an der Erosion des restaurativen Konsenses, wie sich u.a. an seinen Interventionen während der „Fischer-Kontroverse“ in den 1960er Jahren ablesen lässt. So prägte Droz nicht alleine die französische Deutschlandforschung, sondern entwickelte sich gleichzeitig zu einer wichtigen wissenschaftlichen Mittlerpersönlichkeit. Jacques Bariéty, Nekrolog Jacques Droz 1909-1998, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 827-829; Horst Möller, Jacques Droz (1909-1998), in: Francia 28/ 3 (2001), S. 195-198; Bernhard Escherich, Herausforderung Deutschland. Zum Deutschlandbild französischer Historiker 1945-1989, Hamburg 2003; Ulrich Pfeil, Jacques Droz und die Geschichtsbilder der deutschen Geschichte, in: Michel Grunewald u.a. (Hg.), Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert - Akademische Wissensproduktion über das andere Land, Bd. 2, Bern 2012, S. 231-246. Ulrich Pfeil Échanges franco-allemands (EFA) 216 E E Échanges franco-allemands (EFA) Zum wichtigsten Sprachrohr für die diplomatische Anerkennung der DDR in Frankreich entwickelte sich die am 22.4.1958 gegründete Freundschaftsgesellschaft Échanges franco-allemands, association française pour les échanges culturels avec l’Allemagne d’aujourd’hui (EFA), zu deren Vorläufern der 1952 von *Gilbert Badia und Émile Bottigelli gegründete Cercle Heinrich Heine gehörte. Die EFA gaben sich als überparteiliche und pluralistische Gesellschaft aus, um in der französischen Gesellschaft stärkeres Gehör zu finden, tatsächlich verbarg sich jedoch hinter der zivilgesellschaftlichen Fassade eine kommunistische Vorfeldorganisation, die sich nach ihrer Gründung die diplomatische Anerkennung der DDR durch Frankreich und damit die Durchsetzung der Theorie der zwei deutschen Staaten zum Ziel gemacht hatte. Nach der offiziellen Anerkennung entschied sie sich am 13.5.1973 zu einem Namenswechsel und nannte sich fortan France-RDA, association française pour le développement des échanges et de la coopération entre la France et la RDA, womit versucht wurde, die Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich auf das gleiche Niveau anzuheben wie jene zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Zur Strategie der EFA gehörte es, dass der Präsident stets eine prominente nichtkommunistische Persönlichkeit aus der französischen Zivilgesellschaft war, wie z.B. der Historiker *Georges Castellan. Dafür lag die operative Arbeit in den Händen des Generalsekretärs, der die ideologische Vorherrschaft der Kommunisten absicherte. Zu den Mitgliedern gehörten jedoch auch Sozialisten und (Links-)Gaullisten (z.B. *Raymond Schmittlein), die eine gewisse Sympathie für die Existenz zweier deutscher Staaten zum Ausdruck brachten. Der Großteil der örtlichen „Freundschaftskomitees“ und ihrer Anhängerschaft befand sich in den industriellen Ballungszentren des Nordens und Ostens (Straßburg) sowie im „roten Gürtel” um Paris. Nach bescheidenden Anfängen (1962: 2 000) stieg die Mitgliederzahl in den folgenden Jahren stetig an (1970: 11 000), um kurz vor Ende der DDR ca. 15 000 Mitglieder zu erreichen. Somit konnten sich die EFA zur bedeutendsten nichtstaatlichen Organisation in Westeuropa entwickeln, die sich für die Anerkennung der DDR einsetzte. Ihre Finanzierung erfolgte nur zum Teil aus Mitgliederbeiträgen; ohne die erheblichen indirekten Zuwendungen seitens der DDR hätte die Gesellschaft jedoch nie ihre weitverzweigten Aktivitäten bestreiten können. Neben kulturellen Veranstaltungen organisierten bzw. unterstützten die EFA durch Zuschüsse Reisen französischer Schüler, Studenten, Lehrer, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Sportler und Parlamentarierdelegationen in die DDR. Weiterhin richtete sie DDR-Studientage aus, war am Ausbau von *Städtepartnerschaften beteiligt und besaß mit den *„Rencontres francoallemandes“ auch eine Zeitschrift. Durch die Vielfalt ihrer Aktivitäten trug sie dazu bei, dass der ostdeutsche Staat in der französischen Öffentlichkeit mehr und mehr als staatliche Realität wahrgenommen wurde und sich als zweiter deutscher Staat etablieren konnte. Vor diesem Hintergrund erwies sich die association als Milieuöffner bei den Anstrengungen der DDR um größere Präsenz in der französischen Öffentlichkeit und fungierte hinter der überparteilichen Fassade als Instrument französischer und ostdeutscher Kommunisten bei ihrer ideologischen Auseinandersetzung im Zeichen der so genannten friedlichen Koexistenz. Auch wenn sie sich immer wieder zum Sprecher zivilgesellschaftlicher Interessen machte, benutzte sie die Zivilgesellschaft in Frankreich doch nur zur Durchsetzung ihrer politischen und ideologischen Ziele. Zu einer zivilgesellschaftlichen Masche innerhalb des deutsch-französischen Netzwerkes wurde sie erst nach dem Ende der DDR, als sie sich wieder EFA nannte. Gilbert Badia, L’association France-RDA, in: Ulrich Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident (1949-1990), Asnières 2000, S. 453-464; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutschfranzösischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 269ff. Ulrich Pfeil Eisner, Lotte H. Die deutsche Filmhistorikerin Lotte Henriette Eisner (1896-1983) hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle für die Entdeckung und die Anerkennung der französischen und deutschen Kinoproduktion gespielt - und das in Élysée-Vertrag E 217 beiden Ländern. Sie wurde in Berlin als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren, studierte Archäologie und erlangte ihren Doktortitel 1924 mit einer Arbeit über „Die Entwicklung der Bildkomposition auf griechischen Vasenbildern“. Eisner begeisterte sich für das Theater, verfolgte aufmerksam die Inszenierungen von Max Reinhardt und entdeckte das Theater von Erwin Piscator und *Bertolt Brecht, den sie 1921 kennenlernte. Ihre ersten Artikel schrieb sie für die „Literarische Welt“, später für das „Berliner Tageblatt“. Ab 1927 arbeitete sie für den „Filmkurier“, besuchte regelmäßig Filmstudios und wurde als erste Frau in Deutschland als professionelle Filmkritikerin tätig. Sie setzte diese Arbeit fort, bis sie im März 1933 Deutschland verlassen musste und nach Paris ging. Dort verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Arbeiten und wurde Korrespondentin für die „Internationale Filmschau“ und „Die Kritik“. Da sie sich für das Archivprojekt Cinémathèque française interessierte, das der Filmesammler Henri Langlois und der Regisseur Georges Franju planten, nahm sie Kontakt zu ihnen auf und besuchte die Zusammenkünfte des von ihnen 1935 initiierten Cercle du cinéma. Bereits 1937 schrieb sie ihre ersten Artikel in französischer Sprache. Zur gleichen Zeit begann sie ehrenamtlich für die Cinémathèque zu arbeiten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde sie im Lager von Gurs interniert, bis ihr die Flucht gelang. Dank der Unterstützung durch Langlois konnte sie 1941 in Figeac Zuflucht finden. Langlois hatte zuvor im Schloss von Béduer nahe Figeac Filme versteckt, die der Beschlagnahmung durch die Deutschen entgangen waren. Während der Besatzungszeit kümmerte sich Lotte H. Eisner um die Konservierung der Filme. Ab 1942 konnte sie dann mit einem falschen Personalausweis, ausgestellt auf den Namen Louise Hélène Escoffier, offiziell für die Cinémathèque française arbeiten. Nach Kriegsende war sie bis 1975 leitende Konservatorin der Cinémathèque. Sie war maßgeblich am Erwerb und am Aufbau der Sammlung beteiligt sowie 1972 an der Gründung des Musée du Cinéma. Daneben schrieb sie ihr wichtigstes Werk, „Die dämonische Leinwand“, das nachhaltig die Sicht auf den deutschen Stummfilm, besonders den Expressionismus, beeinflusste. Es folgten zwei Monografien - eine zu F. W. Murnau, die andere zu Fritz Lang. Sowohl ihr Engagement für die Cinémathèque als auch ihre Bücher prägten Generationen von Kinoliebhabern, unter ihnen zukünftige Filmemacher, Filmhistoriker und Filmkritiker. Als leidenschaftliche Zeugin einer wichtigen, aber schon fernen Periode der Entwicklung des deutschen Films trug sie dazu bei, eine lebendige Filmgeschichte zu vermitteln, die nicht zuletzt die jungen deutschen Regisseure stark beeinflusste. Damit schlug sie sowohl eine Brücke zwischen dem französischen und dem deutschen Kino, als auch zwischen dem Kino der Zeit vor 1933 und dem neuen deutschen Film der 1970er Jahre. Lotte H. Eisner, Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Memoiren, geschrieben von Martje Grohmann, Heidelberg 1984/ München 1988; dies., L’écran démoniaque. Les influences de Max Reinhardt et de l’expressionnisme, Paris 1952/ 1965; dies., Murnau, Frankfurt/ M. 1979; dies., Fritz Lang, Paris 1984; Sohab Sadi Saless, Les longues vacances de Lotte Henriette Eisner, Dokumentarfilm, Frankreich 1979. Nia Perivolaropoulou Élysée-Vertrag Der am 22.1.1963 von Adenauer und de Gaulle unterzeichnete Élysée-Vertrag ist heute das Symbol der deutsch-französischen *Versöhnung nach 1945, die jedoch nicht erst mit der Vertragsunterzeichnung begann. Vielmehr war der bilaterale Abschluss möglich, weil in den Jahren zuvor die Grundlagen für die Annäherung gelegt worden waren. Die dem Vertrag vorausgehende deutschfranzösische Erklärung bezeichnet die Aussöhnung zwischen dem deutschen und französischen Volk als ein „historisches Ereignis“, welche „das Verhältnis der beiden Länder zueinander von Grund auf neu gestalte“. Ein besonderer Platz in diesem Annäherungsprozess wird der Jugend beider Länder eingeräumt. Gleichzeitig wird betont, dass die bilaterale Kooperation ein unerlässlicher Schritt zum Vereinigten Europa sei. In dem mit „Organisation“ überschriebenen ersten Teil des Vertrages wird ein Konsultationskalender fixiert, der unabhängig von den politischen Notwendigkeiten regelmäßige Treffen vorsieht: für die Staats- und Regierungschefs mindestens zweimal jährlich, die Außen- und Verteidigungsminister sowie die für Erziehungs- und Kulturfragen zuständigen Minister mindestens alle drei Monate und für den Bundesminister für Familien- und Jugendfragen sowie seinen französischen Kollegen sogar alle zwei Monate. Schließlich Engelmann, Peter 218 E sind interministerielle Kommissionen auf beiden Seiten vorgesehen, die die Aktivitäten zwischen beiden Ländern koordinieren sollen. Dieser organisatorische Rahmen wird im Programmteil des Vertrages (II.) präzisiert. Erstens soll es auf dem Feld der Außenpolitik (II.A.) vor jeder wichtigen Entscheidung, insbesondere bei Fragen gemeinsamen Interesses, zu Konsultationen kommen, die den Zweck verfolgten, „so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten Handlung zu gelangen“. Auch im Bereich der Verteidigung (II.B.) wollen sich beide Länder bemühen, „ihre Auffassungen einander anzunähern, um zu gemeinsamen Konzeptionen zu gelangen“. Im dritten Teil präzisieren beide Seiten ihre Kooperation auf dem Gebiet der „Erziehungs- und Jugendfragen“ (II.C.). Neben der Intensivierung der Vermittlung der Partnersprache sieht der Vertrag eine Regelung in der Frage der Gleichwertigkeit der Diplome sowie einen Ausbau der wissenschaftlichen Beziehungen vor. Wie bereits in der einleitenden deutsch-französischen Erklärung wird dem Jugendaustausch ein besonderer Platz eingeräumt. Zu diesem Zweck wird die Einrichtung des *Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW) beschlossen. Keine Aufnahme in den Vertrag fand die wirtschaftliche Kooperation, doch bestand zu diesem Zeitpunkt bereits ein dichtes Netz institutionalisierter bilateraler und multilateraler Kontakte. Obgleich es üblich ist, in Bezug auf den Abschnitt II.C. von dem kulturellen Teil des Élysée-Vertrages zu sprechen, muss festgehalten werden, dass das Wort „Kultur“ im Vertragstext nicht vorkommt. Dies mag erstaunen, denn zwischen 1945 und 1963 hatten sich die staatlichen Instanzen nie aus den kulturellen Beziehungen herausgehalten, wie u.a. der Abschluss des *Deutsch-Französischen Kulturabkommens vom 23.10.1954 zeigt. Wenngleich das im Élysée-Vertrag formulierte Ziel einer „gleichgerichteten Haltung“ im außenpolitischen Handeln tatsächlich nie erreicht werden sollte, gelang es beiden Ländern doch, einen Schlussstrich unter eine unheilvolle Vergangenheit zu ziehen und die Grundlage für einen in die Zukunft weisenden positiven Neuanfang zu schaffen. Zwar führte er zu keinem Kraftzentrum in der Mitte Europas, doch erwies er sich als lebensfähig und sorgte gerade ab den 1970er Jahren für eine kontinuierliche Arbeit am Projekt der deutsch-französischen Verständigung. Abschließend bleibt die Frage nach der symbolischen Wirkung des Élysée-Vertrages. Nachdem bei seinem runden Geburtstag in den 1970er Jahren Routine dominierte und Enthusiasmus nur schwerlich nachzuweisen ist, stellte die Rede von François Mitterrand vor dem Bundestag im Januar 1983 einen Wendepunkt dar, von dem an der Tag der Vertragsunterzeichnung für die Bestätigung der bilateralen Kooperation, aber auch zur Mystifikation des deutsch-französischen „Paares“ benutzt wurde. Seit 2003 wird der 22. Januar als Deutsch-Französischer Tag begangen, der gerade in den Bildungseinrichtungen beider Länder zum Anlass genommen werden soll, um über die unterschiedlichen Aspekte der deutsch-französischen Freundschaft zu diskutieren. Im gleichen Jahr richteten Frankreich und Deutschland zur weiteren Vertiefung der bilateralen Beziehungen einen gemeinsam finanzierten Fonds zur Förderung von Kulturprojekten in Drittstaaten ein, um die enge deutsch-französische Zusammenarbeit auch im Ausland sichtbar und erfahrbar zu machen. Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hg.), Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945 - 1963 - 2003, München 2005; dies., Deutsch-Französische Geschichte. Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945-1963, Darmstadt 2011; dies. (Hg.), La France, l’Allemagne et le traité de l’Élysée 1963-2013, Paris 2012; Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, München 2001; Horst Möller, Klaus Hildebrand (Hg.), Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Dokumente 1949-1963, 3 Bde., München 1997; Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997. Corine Defrance, Ulrich Pfeil Engelmann, Peter 1947 in Ost-Berlin geboren, begann der deutsche Verleger Peter Engelmann ein Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, geriet jedoch in Konflikt mit der Staatssicherheit und wurde 1972 zu zwei Jahren Haft verurteilt; nach einem Jahr Gefängnis wurde er 1973 von der Bundesrepublik freigekauft. Engelmann setzte sein Studium zunächst an der Universität Bremen fort, promovierte hier mit einer Arbeit über Hegel und ging nach Paris, wo er mit führenden französischen Intellektuellen der Zeit in Kontakt Erbfeindschaft E 219 kam. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland setzte er sich als einer der ersten für einen Transfer des philosophischen Programms der französischen Postmoderne und des Dekonstruktivismus ins Deutsche ein und bemühte sich zunächst vergeblich, deutsche Verlage für Übersetzungen der postmodernen französischen Texte zu interessieren. Anders als die Arbeiten von *Michel Foucault, deren Rezeption schon früh einsetzte, stießen Arbeiten von Jacques Derrida oder Jean- François Lyotard, obwohl in den USA wichtiger Bestandteil des philosophischen Diskurses, in den 1980er Jahren auf den Widerstand der mehrheitlich marxistisch orientierten westdeutschen Intellektuellen (*Merve Verlag). Diese machten auch in Verlagen und Medien ihren Einfluss geltend, um - so ihre Kritik an den französischen Autoren - der Gefahr einer anti-aufklärerischen, neoirrationalen oder auch politisch neokonservativen, reaktionären Haltung zu begegnen. Engelmann wehrte sich gegen diese vorschnelle Kritik, vor allem gegen den „philosophischen Reduktionismus des Marxismus“ - nicht zuletzt motiviert durch seine Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus und dem intellektuellen Klima der DDR. Dabei sah er in den französischen Philosophien der Differenz eine Möglichkeit, die Abstraktionen unserer Kultur durch ein möglichst großes Verständnis von Komplexität zu ergänzen. 1987 gründete er in Wien den *Passagen- Verlag. Daneben trat er selbst immer wieder als Autor und Herausgeber sowie als Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten in Erscheinung. 1994 wurde er zum Chevalier, 1998 zum Officier und 2004 zum Commandeur de l’ordre des arts et des lettres ernannt; zudem erhielt er 2010 im Rahmen des Bruno-Kreisky-Preises für politische Essayistik den Sonderpreis des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Österreich für verlegerische Leistungen. Thomas Weber Erbfeindschaft „Ich hasse alle Franzosen ohne Ausnahme im Namen Gottes und meines Volkes [...]. Ich lehre meinen Sohn diesen Hass“, schrieb der deutsche Dichter Ernst Moritz Arndt 1814 in „Blick aus der Zeit auf die Zeit“. Mit dieser und anderen Schriften erwarb sich Arndt den Ruf eines „Franzosenhassers“ und gilt vielen bis heute als Begründer der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“, die zu jenen Geschichtsbildern und intellektuellen Konstrukten gehört, welche gerade in den deutsch-französischen Beziehungen „ein besonders zerstörerisches Werk der Indoktrinierung vollbracht haben“ (Gilbert Ziebura). Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ließ sie den Antagonismus als Fatalität erscheinen, als etwas von der Natur Gegebenes, als etwas Unausweichliches. Der Höhepunkt wurde während des Nationalsozialismus erreicht, als die damaligen Machthaber eine historische Linie des französischen Aggressionswillens aufzeichneten, um ihre eigenen Expansionsabsichten und Kriegsvorbereitungen zu legitimieren. Dabei erweist sich die These, ethnische Säuberungen hätte es in der deutsch-französischen Grenzregion bereits unter Ludwig XIV. gegeben, die Hitler historisch zu untermauern versuchte, ebenso wie die Unterstellung von einer jahrhundertealten Rivalität als historischer Unfug. Für den Sonnenkönig war „Deutschland“ einzig ein geographischer Begriff, und sein Hauptaugenmerk galt der spanisch-habsburgischen Monarchie, von der er sich eingekreist fühlte. Der während der Französischen Revolution entstehende Nationalismus richtete sich ideologisch nicht gegen Deutschland; vielmehr wurde der Expansionismus mit dem neuen französischen Selbstverständnis vom Land der Menschenrechte begründet. Und auch für Napoleon war Deutschland nur Durchgangsstation, um - neben England - den eigentlichen Hauptwiderpart Russland zu besiegen. Trotz aller zweifellos existierender Klischees und *Stereotype ließ sich zu dieser Zeit keine Germanophobie auf französischer Seite ausmachen. Das 1810 fertiggestellte und 1813 veröffentlichte Deutschlandbuch „De l’Allemagne“ von Madame de Staël deutet eher auf die Faszination, welche damals von der „Kulturnation“ Deutschland in Frankreich ausging. Der aufbrechende deutsche Nationalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts speiste sich hingegen aus antifranzösischen Ressentiments und einer Gallophobie, der eine integrative Kraft nach innen zukommen sollte. Einen ersten Höhepunkt erreichten die nationalistischen Aversionen in Deutschland während der Befreiungskriege gegen Napoleon, als u.a. die „Völkerschlacht“ bei Leipzig (1813) zur nationalen Wiedergeburt stilisiert und in der Folge inszeniert wurde. Während der Restauration nach 1815 Erbfeindschaft 220 E wurde der Gegensatz in den feudalen Staaten des Deutschen Bundes weiter geschürt, um ein Überschwappen von Liberté - Égalité - Fraternité über den Rhein zu verhindern. Vermittelnde Stimmen wie die Heinrich Heines, dessen Schriften zunehmend der Zensur zum Opfer fielen und der daher 1831 nach Paris übersiedelte, wurden in den Hintergrund gedrängt. Während der „letzte Dichter der Romantik“ den Rhein keiner der beiden Nationen zuschlagen wollte, dichteten Nikolaus Becker 1840 „Sie sollen ihn nicht haben den freien deutschen Rhein“ bzw. Max Schneckenburger „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! “ So blieb auch die revolutionäre Solidarität im deutschen und französischen (Klein-)Bürgertum während der Revolution 1848 nur ein Strohfeuer. Dass jedoch bei allem Antagonismus von „Erbfeindschaft“ keine Rede war, lässt sich u.a. daran ablesen, dass die Elsass- Lothringen-Frage 1848 keine Rolle spielte, während der Krieg um Schleswig-Holstein die nationalistischen Gefühle weiter entfachte. Zum einschneidenden Ereignis bei der Herausbildung der „Erbfeind“-These wurde der Deutsch-Französische Krieg von 1870/ 71. Der Gegensatz zu Frankreich entwickelte sich zur Staatsraison des im Spiegelsaal von Versailles am 18.1.1871 gegründeten Deutschen Reiches, das den bezwungenen Kriegsgegner mit der Wahl dieses Ortes für eine solche Zeremonie bewusst demütigen wollte. Während der Kriegsmonate hatte die Presse den nationalen Hass geschürt, sodass auf deutscher Seite die Franzosen die Türken ablösten, die seit der frühen Neuzeit als Bedrohung für das christliche Abendland galten. Die Frankophobie wurde im Reich nun „in den Rang eines nationalen Glaubensbekenntnisses erhoben“ (Ziebura) und bekam durch die Annexion von Elsass-Lothringen (Moselle) eine völkische Komponente. Der Verlust der beiden Provinzen als Folge der Niederlage beflügelte auch in französischen Zeitungen und Schriften eine antideutsche Grundstimmung und war eng verbunden mit revanchistischen Stimmen, die nach Wiedergutmachung für die erlittene Demütigung schrien. Galt seit dem Mittelalter England als französischer „Erbfeind“, so erhielten diesen Titel vor allem in nationalistischen Kreisen (u.a. die Schriftsteller Maurice Barrès und Charles Maurras) westlich des Rheins nun die boches . Verstärkt wurde der Argwohn durch die militärische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und demographische Dynamik des deutschen Nachbarn in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, der die ganze französische Nation vor eine große Herausforderung stellte. Interessant ist in dieser Hinsicht der beachtliche Tourismus in östliche Richtung, denn Franzosen aus allen Sektoren der Gesellschaft wollten die Gründe für die deutsche Überlegenheit vor Ort studieren und ihre in Deutschland gemachten Erfahrungen für die Stärkung der eigenen Nation umsetzen. Dass die hierbei erfolgten Begegnungen nicht alleine konfrontativen Charakter hatten, sondern auch Anlass für kulturelle Transferprozesse war, sollte nicht unter den Tisch gekehrt werden. Eine Mehrheit in Deutschland und Frankreich war jedoch vor 1914 immer stärker davon überzeugt, dass die Prädispositionen für einen militärischen Konflikt gelegt waren, und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschien als eine logische Folge der nach 1871 begonnenen deutsch-französischen „Erbfeindschaft“. Die Schlachten in und um Verdun wurden zum Symbol für die „Nationalisierung der Feindschaft“ (Michael Jeismann), bei denen es nicht alleine um Leben und Tod des einzelnen Soldaten ging; vielmehr sahen sich beide Nationen in einem Kampf um die eigene Existenz. So kann es nicht überraschen, dass es nach Kriegsende zu keiner mentalen Demobilisierung kam. Das Wechselspiel von Sieg und Niederlage, Demütigung und Revanche setzte sich fort und machte sich 1919 an der Wahl des Ortes für die Friedensverhandlungen fest: Versailles. Die Franzosen wollten Vergeltung üben und die Garantie für zukünftige Sicherheit. Die Deutschen sahen sich mit dem Kriegsschuldparagraphen konfrontiert, nachdem sie sich noch nicht einmal die eigene Niederlage eingestanden hatten. Versailles wurde zum Synonym für das „Diktat der Sieger“, dessen Revision nach 1919 parteiübergreifend angestrebt wurde. Hier konnte Hitlers Außenpolitik 1933 anknüpfen, der 1936 die Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren ließ, was die meisten Deutschen als Genugtuung für die Rheinlandbesetzung von 1918-1930 verstanden. Dieses symbolträchtige Ping-Pong-Spiel setzte sich nach dem deutschen Sieg 1940 fort, als Hitler darauf pochte, den Waffenstillstand in Compiègne zu unterzeichnen, in dem Eisenbahn- Erinnerungsorte E 221 wag on, in dem die Deutschen am 11.11.1918 mit ihrer Unterschrift das Ende der Kampfhandlungen besiegelten. Nach der deutschen Besatzung und Massakern wie in Oradour-sur-Glane 1944 war es nicht selbstverständlich, dass Deutsche und Franzosen den Weg aus der Gewaltspirale herausfanden. Doch mit der Wiederanknüpfung der *Historikerbeziehungen, der Säuberung der Schulbücher von überkommenen Nationalismen (*deutschfranzösisches Schulgeschichtsbuch) und dem bewussten Versuch, bisherige als gegeben angesehene Geschichtsbilder zu revidieren (*Vergangenheitsaufarbeitung, *DHI Paris), stellten Deutsche und Franzosen unter Beweis, dass die „Erbfeindschaft“ ein Konstrukt war, das durch politischen Willen und zivilgesellschaftliches Engagement aufgebrochen werden kann. Der Rückblick auf die verschiedenen Initiativen zur deutschfranzösischen *Versöhnung nach 1945 hat heute vielfach das Narrativ einer Erfolgsgeschichte angenommen, die sich in dem geflügelten Satz „Von der ‚Erbfeindschaft’ zur ‚Erbfreundschaft’“ spiegelt. Doch auch hier handelt es sich um ein Geschichtsbild mit teleologischer Ausrichtung, das einen stringenten Annäherungsprozess suggeriert, dabei aber ausblendet, dass sich die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 durch den Willen auszeichneten, Divergenzen zu überwinden und Kompromisse zu finden, um die jeweils eigenen Interessen in Einklang zu bringen. Das ist kein abgeschlossener Prozess, sondern auch in Zukunft eine Herausforderung für beide Länder. Wolfgang Bergsdorf u.a. (Hg.), Erbfreunde: Deutschland und Frankreich im 21. Jahrhundert, Erfurt 2007; Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992; Franz J. Felten (Hg.), Frankreich am Rhein - vom Mittelalter bis heute, Stuttgart 2009; Jacques Morizet, Horst Möller (Hg.), Allemagne-France. Lieux et mémoire d’une histoire commune, Paris 1995; Ulrich Pfeil (Hg.), Mythes et tabous des relations franco-allemandes au XX e siècle. Mythen und Tabus der deutschfranzösischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, Bern 2012; Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997. Ulrich Pfeil Erinnerungsorte Lieux de mémoire Seit über 20 Jahren gibt es in unseren Gesellschaften einen veritablen Erinnerungsboom. Für die *Geschichtswissenschaft stellt diese Entwicklung eine wichtige Herausforderung dar, wird die Erinnerung doch häufig als das Gegenteil von Geschichte definiert. Eine der wichtigsten Antworten auf die Erinnerungsdebatten geben die von Pierre Nora bereits Anfang der 1980er Jahre konzipierten und realisierten „Lieux de mémoire“. Unter Erinnerungsorten versteht Nora „Fixpunkte in der Vergangenheit, die materieller wie ideeller Natur sein können und durch den Willen der Menschen bzw. die Zeit eine symbolische Funktion für die Erinnerungslandschaft einer spezifischen Gemeinschaft erhalten haben“. Der von ihm gewählte Ansatz beruhte in einem doppelten Sinne auf der Historisierung dieser Erinnerungsorte: ihrer Dekonstruktion und Kontextualisierung. Nun stellte sich die Frage, ob dieser sehr französische Ansatz ein charakteristischer Ausdruck für die spezifische Beziehung ist, welche die französische Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit unterhält oder ob er sich auch auf andere Länder übertragen lässt. Die Vielzahl der zwischenzeitlich erschienenen Veröffentlichungen, in denen Erinnerungsorte aufgelistet werden, ist bereits eine Antwort auf diese Herausforderung. Hierzu gehören auch die von *Étienne François und Hagen Schulze editierten und beim Münchener Verlag Beck herausgegebenen „Deutschen Erinnerungsorte“ (2001), die dann in einer Auswahl 2007 unter dem Titel „Mémoires allemandes“ auch bei Gallimard in Frankreich erschienen. Zwei Motive bewegten die Herausgeber als sie 1995 begannen, das Projekt zu konzipieren. Zum einen die Skepsis gegenüber den Reaktionen vieler deutscher Historiker, die bei der Publikation des ersten Bandes von Pierre Noras französischen Erinnerungsorten kategorisch behaupteten, dass eine Übertragung eines solchen Projekts auf Deutschland zum Scheitern verurteilt sei, da das Verhältnis zwischen deutscher Identität und Geschichte gestört bzw. von Brüchen (vor allem dem Zivilisationsbruch zwischen 1933 und 1945) bestimmt sei. Zum anderen der Befund, dass Deutschland wegen seiner „geschichtlichen Last“ vielleicht wie kein anderes Land von der Erinnerung „heimgesucht“ wird, die ähnlich wie in Frankreich permanente g Erinnerungsorte 222 E Kontroversen hevorruft. Diese besitzen eine politische, ethische, emotionale und konfliktgeladene Dimension, derer man sich erst bewusst wird, wenn man tief in die Geschichte des Landes eintaucht. Hinzu kommt, dass die Wiedervereinigung den Debatten zur Gegenwart der Geschichte neue Aktualität verliehen hatte: Deutschland sah sich jetzt mit zwei sehr verschiedenen, bisweilen antagonistischen Erinnerungen konfrontiert und war zudem gehalten, die Erinnerung an den Nationalsozialismus nicht zu relativieren. Wie konnte Deutschland, das - gewissermaßen ohne es zu wollen - wieder ein Nationalstaat geworden war, es schaffen eine kritische Bestandsaufnahme seines historischen Erbes mit seinen nationalen Dimensionen zu unternehmen? In Seminaren an der FU Berlin wurden die Fragen der Machbarkeit anfangs diskutiert, vergleichbare Arbeiten auf internationaler Ebene herangezogen und die neuestes Studien zur kollektiven Erinnerung berücksichtigt (Marie-Claire Lavabre, *Paul Ricœur, Reinhart Koselleck, Jan und Aleida Assmann). Schnell zeigte es sich, dass eine 1: 1-Übertragung des für Frankreich praktizierten Ansatzes auf Deutschland in eine Sackgasse führen würde. Daher erarbeitete man eine Liste möglicher Themen und traf dann eine Auswahl. Die Erinnerung ähnelt jedoch der Büchse der Pandora und schnell stellte sich das Problem, dass die Zahl der möglichen Einträge kontinuierlich anstieg. Schließlich einigten sich die Herausgeber auf 121 Einträge, die von der Antike bis in die heutige Zeit reichen und zum einen allgemeinen Erwartungen entsprechen (Brandenburger Tor), zum anderen aber auch eher unkonventionell sind (Schrebergärten). Bei der Präsentation und der Zusammenstellung der Artikel orientierten sich die Herausgeber an drei Richtlinien: Erstens sollte das Werk einem offenen Labyrinth ähneln, das fünf bis sieben Einträge um einen zentralen und in der Regel unübersetzbaren Begriff - z.B. Bildung, Heimat, Reich, Schuld, Volk - gruppiert, um zu zeigen, dass es nicht nur eine deutsche Erinnerung gibt, sondern vielmehr verschiedene in ständigem Wandel befindliche Erinnerungen; zweitens wurde bei der Auswahl der Autoren - was ihr Alter, aber auch ihre fachliche Herkunft (Historiker, Literaturwissenschaftler, Journalisten usw.) betraf - versucht, ein breites Spektum abzudecken, denn die deutschen Erinnerungen sollten nicht alleine die Sache von Experten sein und sowohl Ausländer wie Deutsche ansprechen; drittens wurde der Entschluss gefasst, auf kurze Artikel zu setzen, die neue Wege aufzeigen, Neugier wecken und den Interessierten zum Weiterlesen und -denken anregen sollen. Die wichtigsten Erträge dieses Projekts, das über 120 Autoren vereint, lassen sich auf vier Aspekte konzentrieren. Der erste ist die zentrale Rolle der Erinnerung an das „Dritte Reich“ in den deutschen Erinnerungen. Vergleichbar ist dies - ex negativo - mit der Stellung der Französischen Revolution in den Erinnerungen westlich des Rheins; in Deutschland ist die Erinnerung an den Nationalsozialismus, genauer an den Holocaust, der erste Bezugspunkt, der die Architektur der deutschen Erinnerungen strukturiert und mit dem sich - explizit oder implizit - alle anderen auseinandersetzen müssen. Im Personenindex der drei Bände kommt Hitler (weit vor Goethe oder Bismarck) am häufigsten vor, weil sein Name in sehr vielen Einträgen auftaucht, sodass bewusst darauf verzichtet wurde, ihm einen eigenen Eintrag zu widmen. Der zweite Ertrag des Unternehmens liegt darin, dem Reichtum eines länger zurückreichenden Erinnerungserbes einen herausragenden Platz einzuräumen. Zu Anfang war geplant, Gedächtniskonstruktionen zu privilegieren, die sich auf die Herausbildung der deutschen Nation im heutigen Verständnis beziehen. Doch je weiter das Projekt voranschritt, umso stärker drängte sich die Notwendigkeit auf, die Perspektive zu erweitern. Außer der Tatsache, dass eine Reihe von Erinnerungskonstruktionen des 19. Jahrhunderts Reinterpretationen des länger zurückliegenden nationalen Erinnerungserbes sind (das Beispiel von Richard Wagner ist hier sinnbildhaft), ist dieses Erbe selbst, ob es nun bis in die Antike reicht (wie die „Germania“ von Tacitus), ins Mittelalter (wie der Begriff des „Reichs“) oder in die frühe Neuzeit (der Dreißigjährige Krieg), sehr viel reicher und komplexer als anfangs angenommen, was wiederum die Existenz einer nationalen deutschen Realität vor der ersten staatlichen Einheit im Jahre 1871 bestätigt. Der dritte Ertrag ist darin zu sehen, dass der eingangs oft formulierte Einwand entkräftet werden konnte, wonach es nicht eine, sondern mehrere deutsche Erinnerungen gebe, die nicht miteinander in Einklang zu bringen seien. Die Vielzahl Études germaniques E 223 der deutschen Erinnerungen, katholische und protestantische Erinnerung, nationale und regionale Erinnerung, westliche und östliche Erinnerung, hat sich zweifellos bestätigt (deswegen auch der Titel „Mémoires allemandes“ für die französische Ausgabe der „Deutschen Erinnerungsorte“). Doch hinter dieser konstitutiven Pluralität (die selber untrennbar vom Föderalismus ist) verbarg sich ein unsichtbares Raster, das sich aus den vielen impliziten Verweisen zwischen den Artikeln ergab, die wiederum die ausgewählten Fragmente der Erinnerung miteinander verbanden. Wenn es schon keine einheitliche deutsche Erinnerung gibt, so gibt es doch eine spezifisch deutsche Herangehensweise an die Vergangenheit, die das gemeinsame Kulturerbe der verschiedenen deutschen Erinnerungen bildet. Die Tatsache, dass Erinnerungskonstruktionen immer geteilt werden, ist der letzte Ertrag unserer Erhebung. Geteilt, denn sie formen erstens ein Kulturerbe, das mehrere Gruppen für sich beanspruchen können, zweitens sind diese Ansprüche aber durchaus unterschiedlich und bisweilen umstritten. Was sich in Frankreich in Bezug auf die Revolution und die Résistance feststellen lässt, findet sich im deutschen Fall bei der Reformation oder der Berliner Mauer. Die kontroversen Aneignungen finden sich auch zwischen verschiedenen Ländern bzw. Erinnerungskulturen. Doch sind diese „geteilten Erinnerungsorte“ besonders häufig im deutschen Fall, weil sich Deutschland in der Mitte Europas befindet, sich seine Grenzen kontinuierlich verändert haben und es zu permanenten Interaktionen mit den Nachbarn in einem Prozess kam, in dem sie sich wechselseitig bedingten. Auschwitz als deutscher Erinnerungsort par excellence ist auch ein jüdischer Erinnerungsort, doch zugleich polnisch, europäisch und weltumspannend; Napoleon gehört zum deutschen Erinnerungsinventar, doch auch zum französischen, englischen, italienischen, spanischen und russischen, was u.a. die große Anzahl von „geteilten Erinnerungsorten“ in den Bänden erklärt. In Deutschland fand das Projekt ein breites Echo, was sich sowohl an den zahlreichen Rezensionen ablesen lässt, als auch an der Auflagenhöhe (über 50 000), dem Einsatz in der Schule und an der Universität sowie an den nachfolgenden Veröffentlichungen, die sich explizit auf die „Deutschen Erinnerungsorte“ bezogen. Auch das Echo in Frankreich war durchaus ermutigend. Der Transfer eines zunächst in Frankreich erprobten Ansatzes nach Deutschland und sodann sein geglückter Reimport von Deutschland nach Frankreich führen zu der Annahme, dass die Ähnlichkeiten der Erinnerungskulturen zwischen den Ländern stärker sind als oftmals angenommen. Die Publikation der „Deutschen Erinnerungsorte“ (2001) und der nur zwei Jahre später erfolgte Beschluss zur Erarbeitung eines *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches sprechen für diese Annahme, nicht zuletzt weil verschiedene Autoren der Erinnerungsorte auch maßgeblich am Schulbuch beteiligt waren. Die Zukunft gehört nun transnationalen und europäischen Projekten. Sie können sowohl auf den „Deutschen Erinnerungsorten“ bzw. den „Mémoires allemandes“ sowie auf dem *deutschfranzösischen Schulgeschichtsbuch aufbauen, deren Rahmen jeweils bereits ein europäischer war und im letzteren Fall den Anspruch vertrat, eine europäische bzw. eine Weltgeschichte zu präsentieren. Vorbereitet wird momentan von deutschen und polnischen Historikern eine vierbändige Ausgabe von 90 deutsch-polnischen Erinnerungsorten, was für die These spricht, dass die Konjunktur der Erinnerung eine transnationale Realität ist und die Antworten, welche eine neue Generation von Historikern beitragen wird, auch nur transnational sein können. Pierre Nora (Hg.), Les Lieux de mémoire, 3 Bde., Paris 1984ff.; Étienne François, Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001ff./ 2009; dies. (Hg.), Mémoires allemandes, Paris 2007; Tilmann Robbe, Historische Forschung und Geschichtsvermittlung, Göttingen 2009; Pim den Boer, Heinz Duchhardt, Georg Kreis, Wolfgang Schmale (Hg.), Europäische Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2012; Étienne François, Thomas Serrier, Lieux de mémoire européens, Paris 2012. Étienne François Études germaniques Am 29.1.1928 beschlossen französische Deutschlandexperten aus unterschliedlichen Fächern und methodisch ursprünglich getrennten Ausrichtungen eine Société des études germaniques (als eingetragenen Verein) ins Leben zu rufen, die es sich, ausgestattet mit der Bibliothèque Maurice Cahen und angelehnt an das Institut germanique der Sorbonne, zum Ziel setzte, die Erforschung von Sprache, Literatur und Kultur des deutschen Sprachraums zu fördern. Bald hinzu kamen die Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) 224 E neu eingeführten Fächer Skandinavistik und Niederlandistik. Ein mit der Zeit immer wichtigeres Anliegen war, die deutsch-französischen Beziehungen auf Grund wissenschaftlicher Ansätze zu analysieren. Damit vollzog sich explizit ein klarer Bruch mit der Praxis des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Journalisten und Schriftsteller das Deutschlandbild prägten. Zu den aktivsten Mitgliedern der société gehörten zwar von nun an Vertreter der germanischen Philologie bzw. Altgermanisten (Fernand Mossé, Antoine Meillet), und der Mediävist Tonnelat, zusammen mit seinem Schüler Jean Fourquet, aber auch der Soziologe Marcel Mauss, der Goethe- und Nietzsche- Spezialist Henri Lichtenberger oder Charles Andler, der insgesamt sechs Bände über Nietzsches Vorläufer verfasste und eine bestens dokumentierte Materialsammlung zum Thema „Pangermanismus” erstellte. Zu nennen wäre ferner die Andler-Schülerin Geneviève Bianquis, die berühmt wurde, weil sie die erste Professorin an einer Philosophischen Fakultät in Frankreich (Dijon) war und sich als Hölderlin-Übersetzerin einen Namen machte. Nachdem die Gesellschaft zwischen 1940 und 1944 ihre Aktivitäten eingestellt hatte, wurde sie 1946 neu gegründet, wobei fortan die Publikation einer Vierteljahresschrift, die „Études germaniques“, zentral stand. Das bald international renommierte Organ ist von Anfang an von allen offiziellen Institutionen unabhängig gewesen, was dem Herausgebergremium die größtmögliche wissenschaftliche Freiheit gewährleistet. Gleichermaßen ist es vertraglich an einen Verlag (zunächst Didier Érudition, dann Klincksieck und jetzt Les Belles Lettres) gebunden, der seine ökonomische Existenz sichert und einen professionellen Vertrieb gewährleistet. Entscheidend war der neue Kurs, der Ende der 1980er Jahre einsetzte. Obwohl Paris nach wie vor als Sitz der société fungiert, stammen die Vize-Präsidenten und die Mitherausgeber seither mehrheitlich aus anderen Universitäten. Ein zweites Merkmal ist der sich gleichzeitig vollziehende Internationalisierungsprozess. Im comité scientifique international sitzen Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz, Italien, Belgien, Ungarn, Rumänien, Polen, Spanien, USA, Norwegen, Japan und China. Derselben Tendenz begegnet man bei der geographischen Verortung der 600 Abonnenten, unter denen Nordamerika, der deutsche Sprachraum und Italien am stärksten vertreten sind. Da viele Autoren außerhalb der frankophonen Länder leben, wird in Hinsicht auf die Sprache der publizierten Aufsätze eine deutsch-französische Parität angestrebt. Damit versuchen die „Études germaniques“ ihrer Mission im Rahmen der nicht-deutschen Germanistiken gerecht zu werden. Dem „Blick von draußen” kommt eine zentrale Bedeutung zu. Germanistik ist hier nicht nur mit „deutscher Sprach- und Literaturwissenschaft” gleichbedeutend. Komparatistik, Ideengeschichte, Kulturtransfer, Literatur und Soziologie, Literatur und Kunst/ Ästhetik stehen ebenfalls im Blickpunkt des Interesses. In diesem Sinne lässt sich unbestreitbar eine Kontinuität seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges feststellen, die, mit Anpassungsfähigkeit, Toleranz und Flexibilität gepaart, einer effektiven, ideologiefreien Zusammenarbeit der französischen, deutschen, europäischen und außereuropäischen Germanisten sehr zugute gekommen ist. Dass die verantwortlichen Herausgeber - in erster Linie Charles Andler, *Robert Minder, *Claude David und *Jean-Marie Valentin - ausnahmslos aus dem Osten bzw. Nordosten Frankreichs stammen, ist so gesehen wohl kein Zufall. Jean-Marie Valentin Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) Eucor, die Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten, umfasst fünf Universitäten der Oberrheinregion: die Universität Basel, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Université de Strasbourg, das Karlsruher Institut für Technologie und die Université de Haute-Alsace Mulhouse-Colmar. Ähnlich wie die *Université de la Grande Région (UGR) hat die Konföderation ihren Ursprung in zahlreichen bilateralen Beziehungen, die schon lange bestanden und im Februar 1984 zur Gründung der Konferenz der Rektoren und Präsidenten der Oberrheinischen Universitäten führten. Im Januar 1987 folgte dann die gemeinsame Erklärung der Präsidenten und Rektoren, die der Gründung von Eucor vorausging. Die Gründungsvereinbarung, die anschließend 1989 in Basel unterzeichnet wurde, führt die grund- Ewig, Eugen E 225 legenden Prinzipien und Ziele dieser grenzüberschreitenden Konföderation auf. Eucor ist ein deutsch-französisch-schweizerisches Metanetzwerk im Grenzgebiet zwischen Vogesen und Schwarzwald. Es erstreckt sich über eine Fläche von 21 518 km² mit fast sechs Millionen Einwohnern; die Eucor-Universitäten mit ihren etwa 190 000 Studierenden und mehr als 11 000 Wissenschaftlern stellen den Hauptteil des Forschungs- und Hochschulpotentials der Region dar. Die Konföderation verfügt über eine gemeinsame Führungsinstanz, die im Turnus von einem der Präsidenten und Rektoren der Eucor-Universitäten geleitet wird. Sie wird von einer Koordinationsstelle, die die Zusammenarbeit unterstützt und fördert zwischen den Akteuren und Abteilungen, die an Kooperationsprojekten beteiligt sind, gewährleistet. Durch den Eucor-Studierendenausweis hat die Gründungsvereinbarung sofort die Idee eines trinationalen Campus ohne Grenzen konkretisiert. Alle Studierende genießen die gleichen Rechte an den Partneruniversitäten, die Möglichkeit zum Besuch von Lehrveranstaltungen, und können Dienstleistungen in Anspruch nehmen (Bibliotheken, Mensen, Online-Dienste). Die Lehrenden können an den Partneruniversitäten unterrichten und forschen. Zahlreiche Netzwerke und bedeutende Projekte sind aus dieser grenzüberschreitenden Initiative hervorgegangen, in den Naturwissenschaften (Netzwerk der Neurowissenschaften, École supérieure de biotechnologie, Sommeruniversität für Umweltwissenschaften, Veröffentlichung eines regionalen Klimaatlasses) wie auch in den Geisteswissenschaften (Netzwerke der Altertumswissenschaften und der Skandinavistik). Studiengänge, wissenschaftliche Kolloquien, Sport- und Kulturveranstaltungen vervollständigen das Angebot der Konföderation. Auf der Verwaltungsebene haben die Eucor-Universitäten ebenfalls das lokale Angebot erweitert. Das Bibliothekennetzwerk ermöglicht den Studierenden und Mitarbeitern beispielsweise den Zugang zu den (virtuellen und physischen) Beständen der Partneruniversitäten und großen Bibliotheken der Region. Mehr als zehn Millionen Bände stehen zur Verfügung. Jacques Sparfel Ewig, Eugen Frühe räumliche und intellektuelle Prägungen im katholisch-abendländischen Milieu des Rheinlandes hatten den Blick des Bonner Mediävisten Eugen Ewig (1913-2006) bereits in frühen Jahren in Richtung Frankreich gerichtet und ihn in den 1950er und 1960er Jahren zu einem Mittler in den *Historikerbeziehungen zwischen beiden Ländern gemacht. Im Gegensatz zu nicht wenigen Vertretern der deutschen Historikerzunft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Frankreich für ihn zu keinem *Erbfeind geworden. Während des „Dritten Reichs“ erlag er nicht dem ideologischen Anpassungsdruck, wurde nicht Mitglied der NSDAP und widersetzte sich der Tendenz, mit Hilfe der historischen Disziplin den Ausdehnungsdrang des Regimes wissenschaftlich zu unterfüttern. Ewig gelang es, die ihm u.a. von seinem Bonner Lehrer Wilhelm Levison vermittelten wissenschaftlichen Standards zu wahren. Er entwickelte bereits in dieser Zeit eine transnationale Sensibilität, auf deren Grundlage er nach 1945 Brücken über den Rhein baute und zum ersten deutschen *Lektor an der Universität in Nancy nach dem Krieg wurde. Als Gründungsdirektor und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des *DHI Paris bewegte er sich bisweilen zwischen Politik und Wissenschaft, aber zumeist in einer Dialektik von wissenschaftlicher Kompetenz und zivilgesellschaftlichem Engagement, mit der er sich in die sich entwickelnden transnationalen Dialogstrukturen zwischen beiden Ländern einbringen konnte. Ewig musste auf den christlich-abendländischen Zug nicht erst aufspringen, zeugten sein bisheriges Lebenswerk und sein Denken doch gerade auf diesem Feld von einer beachtlichen Kontinuität über die politischen Brüche in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts hinweg. Das in Netzwerken und freundschaftlichen Beziehungen erworbene soziale Kapital konnte er in seinen Mittlerfunktionen nun nicht alleine bei der Gründung und Institutionalisierung des *DHI Paris einbringen; auch in anderen Bereichen beteiligte er sich an der Verdichtung der deutsch-französischen *Historikerbeziehungen. Mögen diese Aktivitäten auch auf einen kleinen elitären Kreis beschränkt geblieben sein, so besteht doch kein Zweifel, dass Eugen Ewig zu jener relativ breiten Generation von Mittlern gehörte, die im deutsch-französischen Existentialismus 226 E Kontext ab Ende der 1950er Jahre innerhalb der gesellschaftlichen bzw. wissenschaftlichen Austauschinstitutionen heranwuchsen. Die bislang nur unzureichenden Informationen über ihre Lebenswege und identitätsstiftenden Schlüsselerlebnisse sollten für die Forschung Grund genug sein, sich ihrer in Zukunft verstärkt anzunehmen. Ulrich Pfeil, Eugen Ewig. Ein rheinisch-katholischer Historiker zwischen Deutschland und Frankreich, in: François Beilecke, Katja Marmetschke (Hg.), Der Intellektuelle und der Mandarin. Für Hans Manfred Bock, Kassel 2005, S. 527-552; ders. (Hg.), Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München 2007. Ulrich Pfeil Existentialismus Rein begrifflich verweist die Existentialismus genannte Denkrichtung, die sich in der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts in mehreren Strömungen entwickelte, auf die Existenzphilosophie; gleichzeitig überschreitet bzw. radikalisiert sie jedoch deren Position - einer radikalen Philosophie der Subjektivität (Sören Kierkegaard) - in Richtung einer ontologisch-phänomenologisch fundierten Philosophie des Daseins, für die das „Wesen des Daseins in seiner Existenz“ (*Martin Heidegger) liegt. Ihr philosophisches Fundament ist die Überzeugung, dass die Existenz (existentia) der Essenz (essentia) vorausgeht. War Kierkegaards Existenzphilosophie nichts anderes als der großangelegte Versuch, Hegels universalistischer Geistphilosophie - mit ihrer Aufopferung des Partikularen gegenüber dem objektiven Weltgeist - ein radikales Denken des Subjekts entgegenzusetzen, dessen wesentliches Erkennen die Existenz in der Erfahrung des Religiösen betrifft (für Kierkegaard ist der Glaube ein nichtrationales Verhältnis zum Absoluten), so dominiert im Existentialismus des 20. Jahrhunderts und insbesondere bei *Heidegger das Bestreben, dieses Denken in der Existenz - jenseits aller theologischen Bindungen und aller Transzendenz - in eine „fundamentalontologische existenziale Daseinsanalytik“ umzudeuten, in der die „Seinscharaktere des Daseins“ als „Existenzialen“ gefasst werden. Bei der Einführung von *Heideggers Existenzialontologie in Frankreich spielten Emmanuel Lévinas (De l’existence à l’existant, 1947; En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, 1949), *Jean-Paul Sartre (L’être et le néant, 1943) und Jacques Derrida (Violence et métaphysique, 1967) eine wichtige Vermittlerrolle. Dieser Ideentransfer über den Rhein führte jedoch gleichzeitig auch zu einem Differenzierungsprozess, insofern der Einfluss, den die phänomenologische Ontologie *Heideggers auslöste, keineswegs identisch war mit einer totalen und unkritischen Einverleibung aller Thesen und philosophischen Theoreme des „Hüters des Seins“ aus Todtnauberg, sondern in der Regel beschränkt blieb auf die Übernahme der existential-ontologischen Perspektive Heideggers sowie einzelner wesentlicher Denkmotive von „Sein und Zeit“ bei gleichzeitiger „Korrektur“ bzw. Abwandlung anderer fundamentaler Heideggerscher Begriffsbildungen. So vermeidet z.B. *Jean-Paul Sartre, der während seines Deutschlandaufenthalts im Jahre 1933 vor allem das Werk von *Edmund Husserl studierte und sich erst in den Jahren 1939-1940 (u.a. im Kriegsgefangenenlager bei Trier) intensiv mit der *Heidegger’schen Philosophie beschäftigte, den Terminus „Fundamentalontologie“, dem er den Begriff „phänomenologische Ontologie“ entgegenstellt. In „Das Sein und das Nichts“ übt er zudem ausdrücklich Kritik an *Heideggers Begriff des „Mit-Seins“ sowie dessen Konzeption der „Koexistenz“ der diversen Ausdruckformen des „Bewusstseins“ im „In-der- Welt-sein“ als dem eigentlichen „Seinsgrund“. Er unterstreicht, dass der Begriff des „Mit-Seins“ bei Heidegger nicht die klare Beziehung des Individuums zu einem anderen Individuum beschreibt, sondern eher die „dumpfe gemeinsame Existenz des Kapitäns eines Schiffes zu seiner Mannschaft“ unter Vernachlässigung des „Adversitätskoeffizienten“, der den eigentlichen Gegensatz des Bewusstseins charakterisiert. Wichtig wäre gewesen, so *Sartre, aufzuzeigen, wie sehr das „Sein mit Peter“ bzw. das „Sein mit Annie“ zur konstitutiven Struktur meines eigenen konkreten Seins geworden ist. Die Kritik ist für *Sartre jedoch kein Hinderungsgrund sich „produktiv“ eine ganze Reihe *Heidegger’scher Begriffe positiv anzueignen, wie z.B. den zentralen Begriff des Seins als „Dasein“, den Begriff des „Nichts“ ( néant ) und der „Nichtung“ ( néantisation ), denjenigen des Seins als „In-der-Welt-Sein“ ( être-dans-le-monde ), den der „Verzeitlichung“ (temporalisation) und schließlich auch denjenigen der „Eigentlichkeit“ ( authenticité ). Hier aber besteht *Sartre sofort auf Existentialismus E 227 einer wichtigen Differenzierung, indem er den Begriff der „Eigentlichkeit“ nicht - wie *Heidegger - primär und exklusiv auf das Sein allgemein, sondern konkret auf den „Menschen“ angewendet sehen will. In seiner programmatischen Schrift „L’existentialisme est un humanisme“ vom Oktober 1945, in der sich *Sartre weiter von Heidegger abgrenzt, wird diese Differenz nochmals vertieft durch die explizite Vindizierung des von *Heidegger verworfenen und im Namen des Kampfes gegen die „Seinsvergessenheit“ abgelehnten „Humanismus“. So setzt *Sartre bewusst gegen *Heideggers Auffassung des „Wesens der Wahrheit“ als „Wahrheit des Wesens“ einen vom subjektiven Sein als Bewusstsein bestimmten Wahrheits- und Erkenntnisbegriff, in dem das „cogito“ Descartes‘ immer noch seinen berechtigten Platz hat. Zudem lehnt er auch *Heideggers Schlussfolgerung ab, dass das Dasein als Grundstruktur der „Entbergung des Seins“ ständig zwischen der „Irrung“ (dem Selbstvergessen des Seins) und dem „vergessenen Mysterium“ hin- und her schwanke (*Sartre, Vérité et existence, 1989). Während bei *Heidegger das Wesen der Wahrheit ausschließlich im Wesen des Seinsgrunds veranschlagt wird, behauptet *Sartres Existentialismus eine enge dialektische Verbindung (Verschlingung) des (objektiven) Seins mit der (subjektiven) Freiheit, wobei die Grundlage dieser Freiheit das „Für-sich-sein“ ist, dessen „intentionales Bewusstsein“ (Husserl) stets auf die Verwirklichung eines „Projekts“ in der Welt zielt. Dementsprechend skizziert *Sartre in seiner phänomenologischen „Ontologie der Freiheit“ das Sein als den Prozess eines im „Projekt“ sich ständig entwerfenden Für-sich-Seins, das in seiner Praxis zum verantwortlichen Handeln in der Freiheit verpflichtet ist. In der „Kritik der dialektischen Vernunft“ (1960) entwickelt *Sartre diesen phänomenologischen Praxisbegriff in zugleich existenzialer und materialistischer Perspektive weiter: a) zu einem Begriff der Praxis als organisierendem Projekt der durch die Arbeit verwandelten Materie und b) zum Begriff einer „Praxis als Prozess“ als der wichtigsten Bestimmung der Praxis einer organisierten gesellschaftlichen Einheit (Gruppe oder Klasse) in der Geschichte. Somit spannt er den Bogen von einem Begriff der individuellen Praxis als „Totalisierung“ eines Projekts im Praxisfeld zur Analyse der konkreten Implikation der Praxis von „Fusionsgruppen“, Individuen und sozialen Klassen im Prozess einer Dialektik, bei der „jede geschichtliche Dialektik primär auf der individuellen Praxis als vorweg bereits dialektischer“ beruht. Dabei widmet er auch dem Problem des sozialen Konflikts sowie demjenigen der Dialektik von Gewalt und Gegengewalt im Prozess revolutionärer geschichtlicher Ereignisse (Französische Revolution, Algerienkrieg etc.) große Aufmerksamkeit. Anders als *Sartre bemüht *Albert Camus hingegen den Begriff des „Absurden“ im Rahmen einer Philosophie der Revolte, des individuellen Sich-Auflehnens, des Aufbegehrens gegen das Äußere, die dem Leben an sich jeglichen „Sinn“ abspricht. Für *Camus hat das „Absurde“ seinen Ursprung in der Diskrepanz zwischen „einem Tatbestand und einer bestimmten Realität, zwischen einer Handlung und der Welt, die stärker ist als sie. In „Der Mythos des Sisyphos“ (Le mythe de Sisyphe, 1942) bezeichnet er das Absurde als etwas, „das unsere elementaren Hoffnungen“ zerstört: „Es ist jener Zwiespalt zwischen dem sehnsüchtigen Geist und der enttäuschenden Welt“. Sein typischer Repräsentant ist Sisyphus, der dazu verdammt ist, im Zuge einer ewig sinnlosen Tätigkeit immer wieder einen Felsbrocken auf den Berggipfel zu rollen. In seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“ (L’homme révolté, 1951), dessen Thesen 1952 zum Bruch der langjährigen Freundschaft mit *Sartre führte, rechtfertigt *Camus - in theoretischem Rückgriff auf Stirner („Der Einzige und sein Eigentum“, 1844) und Nietzsche - die Revolte als den einzig angemessenen Seinsmodus der Selbstbehauptung des Ichs gegen das Äußere bei gleichzeitiger Kritik des Stirner’schen „Nihilismus“ und aller - kollektivistischen - revolutionären Gewalt. Dabei setzt sich *Camus auch explizit mit Stirners und Nietzsches radikalem Atheismus auseinander und zentriert diese Analyse von Anfang an stark auf dessen Verhältnis zum Nihilismus. Wie *Camus unterstreicht, richtet sich Stirners „Nihilismus“, d. h. seine „Verneinung“ (die eigentliche Antriebskraft seiner Revolte), unwiderstehlich gegen jegliche Bejahung, aber auch - paradoxerweise - gegen die Revolution, denn „um Revolutionär zu sein“, so Stirner, „muss man ja schon an etwas glauben, da, wo es nichts mehr zu glauben gibt“. Folglich gibt es, so *Camus, für Stirner nur eine einzige Fassbinder, Klara Marie 228 F wirkliche und authentische Form der Freiheit, nämlich die je meinige, d.h. meine Macht, und nur eine Wahrheit: den „strahlenden Egoismus der Sterne“. Victor Farias, Heidegger et le nazisme, Lagrasse 1987; Arno Münster, Sartre et la praxis (Ontologie de la liberté et praxis dans la pensée de Jean-Paul Sartre), Paris 2005; Arno Münster, Pariser Philosophisches Journal (Von Sartre bis Derrida), Frankfurt/ M. 1987; Thomas R. Flynn, Sartre and Marxist Existentialism, Chicago 1984; Ingrid Galster (Hg.), La naissance du phénomène Sartre. Raison d’un succès (1938-1945), Paris 2001; Hans-Heinz Holz, Die abenteuerliche Rebellion. Bürgerliche Protestbewegungen in der Philosophie (Stirner, Nietzsche, Sartre, Marcuse, Neue Linke), Darmstadt-Neuwied 1976; Wolfgang Janke: Existenzphilosophie, Berlin 1982. Arno Münster F Fassbinder, Klara Marie Klara Marie Fassbinder (1890-1974) war eine katholische Vorkämpferin für die Friedenssicherung und die Frauenrechte, die aufgrund ihrer romanistischen Ausbildung vor allem als gesellschaftliche Mittlerin und als Übersetzerin vom Französischen ins Deutsche wirkte. Von einem katholisch-konservativen Elternhaus geprägt, machte sie 1913 in Münster ihr Abitur und studierte in Bonn Geschichte, Französisch, Deutsch und Philosophie. Ihr freiwilliger Hilfsdienst 1918 an der Front in Frankreich bewirkte ihr lebenslanges Engagement für die Friedenssicherung, für das sie das (reform-)katholische Milieu zum Ausgangspunkt nahm. 1920 wurde sie mit einer konventionellen Dissertation über einen französischen Troubadour in Bonn promoviert und vertiefte von Saarbrücken aus ihre Kontakte nach Frankreich, vermittels ihrer Teilnahme an den Veranstaltungen von Marc Sangnier und an den Semaines sociales von 1927 bis 1939. Beeindruckend waren für sie die Décades de Pontigny, zu denen sie zweimal eingeladen wurde. Im Deutschland der 1920er Jahre trat sie in aktive Beziehung zum Friedensbund deutscher Katholiken sowie zur Frauen-Bewegung um Helene Lange. Sie schrieb u.a. für die reformkatholische „Rhein-Mainische-Volkszeitung“ sowie das Publikationsorgan der *Deutsch-Französischen Gesellschaft. Fassbinder vertrat eine Strategie interpersonaler Völkerverständigung, in die nationalcharakterologische Prämissen eingingen, und nicht die antipatriarchalische Frauenemanzipation, die bei den spezifischen Frauen- und Müttereigenschaften als Basis der Friedensarbeit ansetzte. Schon früh von Paul Claudels Dichtungen beeindruckt, begann sie einzelne seiner Werke zu übersetzen und machte 1937 seine Bekanntschaft, aus der eine freundschaftliche Beziehung erwuchs. 1933 erteilte man ihr Berufsverbot als Lehrerin. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erhielt sie eine Professur an der Pädagogischen Hochschule in Bonn und erweiterte ihre Beziehungen zu Frankreich, die unverändert im Mittelpunkt ihres interpersonellen Wirkens standen. In die politische Öffentlichkeit trat sie 1952 mit der Gründung der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung und der von ihr herausgegebenen Monatsschrift „Frau und Frieden“, die gegen die Wiederbewaffnungspolitik Adenauers stritten. Von den pazifistischen Prämissen ihrer Bewegung ausgehend knüpfte sie auch demonstrativ gesellschaftliche Beziehungen nach Polen und Russland. Sie setzte sich damit der politischen Anschuldigung des Kryptokommunismus aus und verlor 1953 ihre Bonner Dozentur. 1960 war sie an der Gründung der Deutschen Friedens- Union beteiligt. In Frankreich wurde sie 1955 als Gast des *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle gewürdigt als „eine der treusten Freunde Frankreichs und der französischen Kultur“. Als sie 1956 für ihre Claudel-Übertragungen mit den Palmes académiques geehrt werden sollte, unterband der amtierende Bundespräsident Heinrich Lübke diese Auszeichnung aufgrund ihrer politischen Missliebigkeit. Ein Unrecht, das 1969 durch Bundespräsident Gustav Heinemann dann rückgängig gemacht wurde. Klara Marie Fassbinder, Der versunkene Garten. Begegnungen mit dem geistigen Frankreich des Entredeux-guerres 1919-1933, Heidelberg 1968; Vera Bücker, Klara Marie Fassbinder (1890-1974). Unermüdliche Kämpferin für den Frieden, in: Alfred Pothmann, Reimund Haas (Hg.), Christen an der Ruhr, Bottrop 2002, S. 92-105; Uta Apel, Klara Marie Fassbinder. Katholische Pazifistin und Mittlerin zwischen Deutschland und Frankreich, in: Lendemains 86/ 87 (1997), S. 76-92; Irene Stoehr, Friedensklärchens Feindinnen. Die Friedensaktivistin Klara-Marie Fassbinder und das antikommunistische Frauennetzwerk in den 1950er Jahren, in: Ariadne 58 (2010), S. 12-21. Hans Manfred Bock Fassbinder, Rainer Werner F 229 Fassbinder, Rainer Werner Die französische Wirkungsgeschichte des deutschen Autors, Regisseurs, Schauspielers und Theatermachers Rainer Werner Fassbinders (1945-1982) begann im Film wie auf dem Theater 1974: Es ist das Jahr, in dem die „Cahiers du cinéma“ Fassbinder zum ersten Mal einen Artikel widmeten (*Neuer Deutscher Film); gleichzeitig präsentierte Michel Dubois mit „Bremer Freiheit“ an der Comédie de Caen die erste französische Inszenierung eines Fassbinder Stückes. Obwohl Fassbinder selber stärker vom amerikanischen als vom französischen Film beeinflusst wurde, er auch selten mit französischen Schauspielern oder ausgehend von französischen Texten arbeitete - eine der Ausnahmen bildet sein letzter Film „Querelle“ (1982) nach dem Roman von *Jean Genet (*Film) - und ihm hohe Auszeichnungen auf dem Festival de Cannes (anders als *Wim Wenders oder *Michael Haneke) verwehrt blieben, ist seine Bekanntheit in Frankreich und sein Einfluss im künstlerischen Feld enorm. Trotz einer beachtlichen Anzahl an Inszenierungen seiner Texte konnte sich Fassbinder dabei als Dramatiker in Frankreich jedoch nicht im gleichen Maße etablieren wie als Filmregisseur. Das zeigt nicht zuletzt das Programm des Festival d’Automne, das Fassbinder 1989 eine Retrospektive widmete - jedoch ausschließlich seine Filme zeigte. Insgesamt erscheint die Rezeption Fassbinders als Theaterautor in Frankreich einigermaßen diffus. Neben Michel Dubois, der ihn auch übersetzte, können für die 1980er Jahre vor allem Dominique Quéhec und Jean-Louis Hourdin hervorgehoben werden. Gérard Gelas inszenierte mit seiner Compagnie Théâtre du Chêne noir „Le Café“; einen wirklichen Erfolg erlebte jedoch erst Jean-Louis Martinelli auf dem Festival d’Avignon mit zwei Fassbinder-Texten (*Deutsches Theater in Frankreich) sowie der Sänger Michel Hermon mit seiner Inszenierung von „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ am Théâtre national de la Colline in Paris. Die Fassbinder-Affäre 1985 in Frankfurt/ M. um die verhinderte Uraufführung des Stückes „Der Müll, die Stadt und der Tod“ scheint keinen negativen Einfluss auf die französische Fassbinder-Rezeption genommen zu haben. So befand sich das französische Interesse an Fassbinder nach seinem unerwarteten Tod 1982 im Gegenteil zwischen 1985 und 1995 auf dem Höhepunkt: 1988 fand eine große Retrospektive seiner Filme in Paris statt (*Neuer Deutscher Film). Mitte der 1990er Jahre machten sich gewisse Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Der in Paris lebende Regisseur *Hans Peter Cloos, der 1977 gemeinsam mit Fassbinder und anderen deutschen Filmemachern (u.a. *Volker Schlöndorff, *Alexander Kluge und Edgar Reitz) den Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ realisierte, will in den 1990er Jahren sogar eine (wenngleich schnell vorüber gehende) Fassbinder-Aversion in Frankreich festgestellt haben. 1995 brachte *ARTE ein großes, viel beachtetes Porträt des Künstlers, das Colette Godard in „Le Monde“ ausführlich kommentierte; 1997 fand zudem eine weitere große Fassbinder-Retrospektive statt, über die mehrfach in großen Zeitschriften berichtet wurde. Im Jahr 2000 machte François Ozon mit seinen Film „Gouttes d’eau sur pierres brûlantes“ nach Fassbinders gleichnamigem Theaterstück Furore. Das (bis dahin in Deutschland immer noch nicht aufgeführte) Skandal- Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ wurde 2003 von Pierre Maillet am Théâtre de la Bastille in Paris inszeniert, wobei der angekündigte Skandal ausblieb; die Kritiken waren gespalten bis negativ. Ein weiterer interessanter Nebenschauplatz der französischen Wirkungsgeschichte Fassbinders stellt der Werdegang der beiden als Fassbinder-Musen bekannt gewordenen Schauspielerinnen *Hanna Schygulla und *Ingrid Caven dar, die sich in den 1990er Jahren in Frankreich als Chanson-Sängerinnen bzw. diseuses profilierten, wobei es ihnen nur bedingt gelang, aus dem Schatten des Meisters herauszutreten - wie indirekt Jean-Jacques Schuhls Roman „Ingrid Caven“ über seine Lebensgefährtin und Fassbinders Ex-Frau zeigt, der 2002 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Die zahlreichen Fassbinder-Festivals und -Retrospektiven sowie Artikel - beispielsweise die Kritiken von Jacques Siclier und Jean-François Rauger in „Le Monde“ - belegen das auch nach der Jahrtausendwende weiterhin ungebrochene Interesse an seinen Filmen. Auch auf jüngere Künstler übt Fassbinder immer noch eine starke Anziehung aus: François Ozon (Jahrgang 1967) bestätigte anlässlich einer Retrospektive 2004 in Paris, den großen Einfluss, den Fassbinder auf Fédération des associations franco-allemandes pour l’Europe (FAFA) 230 F seine eigene Arbeit hatte und der 1975 geborene französische Schriftsteller Alban Lefranc (*Französischsprachige Schriftsteller in Berlin) verfasste gleich mehrere, von Fassbinder inspirierte Werke - unter anderem die beiden fiktiven Biographien „Attaques sur le chemin, le soir, dans la neige“ (2005) und „Fassbinder. La mort en fanfare“ (2012). Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Pierre Gras, Good Bye Fassbinder! Le cinéma allemand depuis la réunification, Paris 2011; Heike Hurst, Heiner Gassen (Hg.), Kameradschaft-Querelle. Kino zwischen Deutschland und Frankreich, München 1991. Nicole Colin Fédération des associations francoallemandes pour l’Europe (FAFA) Die Fédération des associations franco-allemandes pour l’Europe (FAFA), bis 1993 „Fédération des associations franco-allemandes en France et en Allemagne“, ist aus der *Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich (VDFG) hervorgegangen, deren französische Mitgliedsgesellschaften 1984 die juristisch selbständige FAFA gründeten. Trotz der formellen Trennung blieben die Verbundenheit in der gemeinsamen Zielsetzung - Engagement für die deutsch-französische Annäherung und die europäische Integration -, die daraus resultierende enge Zusammenarbeit und die vereinspraktische Verklammerung zwischen FAFA und *VDFG erhalten. Die Mitgliedsgesellschaften der FAFA sind beitragsfrei gestellte Mitglieder der *VDFG mit beratender Stimme, der Präsident der FAFA ist stimmberechtigtes Vorstandsmitglied der *VDFG, und jeweils umgekehrt, der alljährliche Kongress bzw. die conférence der Mitgliedsgesellschaften aus beiden Ländern wird gemeinsam vorbereitet, abwechselnd nach Frankreich und nach Deutschland und jeweils in eine andere Stadt einberufen. Es finden jährlich gemeinsame Vorstandssitzungen und eine gemeinsame Mitgliederversammlung statt, bei denen Resolutionen, z.B. zur Förderung der Partnersprache, zur Forderung nach intensiver Nutzung des *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches etc. verabschiedet werden. Es gibt kein vergleichbar integriertes Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen in zwei Ländern. Alle Vorstandsarbeit wird ehrenamtlich geleistet. Die Unterschiede zwischen FAFA und *VDFG erklären sich aus den unterschiedlichen Gegebenheiten in Frankreich und Deutschland. Der FAFA gehören einige Gemeindeverwaltungen, mehr *Städtepartnerschafts-Comités und weniger Kulturvereine an als der *VDFG. Die Mitgliedsgesellschaften der FAFA bieten häufiger Kurse zum Erwerb der Partnersprache an als die der *VDFG, weil in Deutschland die Volkshochschulen diese Aufgabe erfüllen. Insbesondere unterscheidet sich die Binnenstruktur. Während die *VDFG in direktem Kontakt mit ihren einzelnen Mitgliedsgesellschaften steht, hat die FAFA mit der Union régionale eine Zwischenebene geschaffen, von denen zurzeit fünf existieren: Union francilienne (UFAFA) für die Île de France, UAFARL für die Region Lothringen, UCBRP (Union pour la coopération Bourgogne/ Rhénanie-Palatinat) für das Burgund, URB für die Bretagne und AFAPE- RA (Acteurs franco-allemands pour l’Europe) für Rhône-Alpes. Hinzu kommt die themenbezogene Fédération des chorales franco-allemandes. Die Zahl der Mitgliedsgesellschaften ist abhängig von deren pünktlicher jährlichen Beitragszahlung und schwankt zwischen 100 und 140. Die Gesamtzahl der persönlichen Mitglieder der Einzelgesellschaften liegt über 14 000. Georges Koch, La FAFA, in: Henri Ménudier (Hg.), Le couple franco-allemand en Europe, Asnières 1993, S. 314-319. Beate Gödde-Baumanns Fernsehen Seit dem Frühjahr 1935 gab es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ein regelmäßiges Fernsehprogramm: Am 22.3. begann die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft an drei Abenden pro Woche Sendungen auszustrahlen, und am 26.4. nahm der Fernsehsender des französischen Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen seinen Betrieb auf. Die anfangs mangelhafte Bildqualität sollte rasch verbessert werden. Zu diesem Zweck schloss die deutsche Telefunken Gesellschaft bereits 1936 ein Kooperations- und Patentaustauschabkommen mit der französischen Compagnie des Compteurs. Diese Zusammenarbeit wurde durch den Ausbruch des Krieges nur kurz unterbrochen und bildete während der deutschen Besatzung eine wichtige Basis für die Entstehung des deutsch-französischen Fernsehsenders Paris, Fernsehen F 231 der zwischen August 1942 und August 1944 ein zweisprachiges Programm ausstrahlte. Nach Kriegsende nahm das französische Personal des Senders bereits im Oktober 1945 die modernen technischen Anlagen wieder in Betrieb, sodass Frankreich bei der Entwicklung der Fernsehtechnik zu einem Vorreiter in Europa wurde. Um diese Stellung auszubauen, nahm man schon Ende des Jahres 1946 die Kooperation mit der deutschen Telefunken wieder auf; dementsprechend wurde zunächst auch die deutsche Fernsehtechnologie beibehalten. Allerdings legte die französische Regierung im November 1948 fest, dass künftig ein von dem Fernsehpionier Henri de France entwickeltes hochauflösendes Fernsehsystem die französische Standardnorm darstellen solle. Somit entwickelte sich in den folgenden Jahren eine starke Konkurrenz zwischen der französischen Standardnorm mit 819 Zeilen und der deutschen mit lediglich 625 Zeilen, welche beispielsweise auch von der Firma Philips für die Niederlande übernommen wurde. Dabei ging es letztlich um die Frage, welche Übertragungstechnik sich als standardisierte Norm in Europa durchsetzen werde. Als in der Bundesrepublik Deutschland der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) im Dezember 1952 mit der Ausstrahlung eines regelmäßiges Fernsehprogramms begann, war es auf europäischer Ebene noch immer zu keiner Einigung gekommen, sodass man sich gezwungen sah, die beiden unterschiedlichen Sendenormen nolens volens hinzunehmen - außer in Frankreich wurde auch das Fernsehprogramm im Saarland ab 1953 über den Privatsender Telesaar mit der französischen 819 Zeilen-Norm ausgestrahlt. Ab November 1954 wurde ein bundesweites Gemeinschaftsprogramm der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) unter dem Namen Deutsches Fernsehen mit dem 625-Zeilen-Standard ausgestrahlt. Angesichts der unterschiedlichen Technologien war es somit nicht möglich, mit einem deutschen Fernsehgerät das französische oder saarländische Programm zu empfangen; gleiches galt für die französischen Geräte in Bezug auf das deutsche Programm. Immerhin konnte auf europäischer Ebene eine Kooperation der Fernsehanstalten begonnen werden: 1954 wurde die Eurovision ins Leben gerufen, die den Austausch und die gemeinsame Produktion von Fernsehprogrammen unter den europäischen Sendeanstalten voranbringen sollte. Der „Austausch von Rundfunk- und Fernsehsendungen, die der Verbreitung von Kulturgut gewidmet sind“, sollte auch mit dem *Deutsch- Französischen Kulturabkommen vom 23.10.1954 gefördert werden, und tatsächlich wurde bereits 1955 ein Fernsehvertrag zwischen der Radiodiffusion-télévision française (RTF) und der ARD unterzeichnet, in welchem sich beide Seiten zum gegenseitigen Austausch von Nachrichtenfilmen, zu einer vertieften Berichterstattung über das Partnerland und zur Förderung von Koproduktionen und des Personalaustauschs verpflichteten. Zwar hatte dieser Vertrag aufs Ganze gesehen in den folgenden Jahren keine größeren Auswirkungen; immerhin unterhielten jedoch die Sendeanstalten der ehemaligen französischen Besatzungszone und des Saarlandes, also der Südwestfunk (SWF) und nach dem Beitritt im Jahre 1957 auch der Saarländische Rundfunk (SR) recht gute Austauschbeziehungen mit der RTF - beispielsweise übertrug der Saarländische Rundfunk ab 1960 die Tour de France auch im Fernsehen. Die im Anschluss an den *Élysée-Vertrag von 1963 unternommenen Initiativen brachten im Hinblick auf das Fernsehen kaum substantielle Fortschritte. So wurde zwar innerhalb des neu gebildeten Deutsch-Französischen Rundfunkrats (*Hörfunk) neben der Hörfunkkommission auch eine eigene Fernsehkommission etabliert; die Arbeit dieser Kommission lief jedoch eher schleppend an, und nach der Umstrukturierung des französischen Fernsehens im Jahr 1974 trat sie überhaupt nicht mehr zusammen. Die institutionelle Zusammenarbeit beschränkte sich daher in den folgenden Jahren im Wesentlichen auf Kooperationsvereinbarungen zwischen einzelnen Sendeanstalten. Erschwerend kam hinzu, dass sich der Graben, der im Hinblick auf die unterschiedliche Fernsehtechnologie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich bestand, mit der Einführung des Farbfernsehens in beiden Ländern noch weiter vertiefte: 1956 hatte der Franzose Henri de France das SECAM-System entwickelt, Walter Bruch kurze Zeit später bei der Telefunken das PAL-System. Schon Mitte der 1960er Jahre wurde deutlich, dass es zu keiner Einigung auf einen europaweiten Standard, son- Film 232 F dern zu einem konkurrierenden Wettstreit zwischen dem bundesdeutschen und dem französischen System kommen würde. Hinter der Kontroverse standen letztlich aber weniger technische als vielmehr politische Gründe: Während in der Bundesrepublik mit dem Fernsehurteil die föderale Struktur der Rundfunkanstalten bestätigt und die politischen Einflussmöglichkeiten extrem beschränkt worden waren, war das Fernsehen für die französische Innen- und Außenpolitik jener Jahre von hoher Relevanz - die Tatsache, dass Frankreich sein SECAM-System 1965 an die Sowjetunion und 1969 an die DDR verkaufte, während sich im restlichen Europa die PAL-Norm durchsetzte, verdeutlicht, dass die PAL-SECAM-Kontroverse mehr war als ein technischer Wettstreit. Es sollte noch weitere 40 Jahre dauern, ehe die fernsehtechnologischen Unterschiede mit der Einführung der digitalen DVBT-Norm (ab 2002 in Deutschland und ab 2005 in Frankreich) überwunden werden konnten, was dann endlich einen länderübergreifenden Empfang ermöglichte. Im Hinblick auf das Fernsehprogramm gab es zwar schon früh einzelne Gemeinschaftsprojekte, wie eine 1964 ausgestrahlte, anspruchsvolle Dokumentationssendung über den Ersten Weltkrieg; insgesamt überwog jedoch eine gewisse Diskrepanz, da in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren viele Sendungen zur französischen Geschichte und Kultur ausgestrahlt wurden, in welchen man um ein differenziertes Frankreichbild bemüht war, während die Darstellung des deutschen Nachbarn im französischen Fernsehen häufig von Klischees und Rückgriffen auf die nationalsozialistische Vergangenheit bestimmt wurde. Diese Entwicklung konnte auch der spektakuläre Programmaustausch vom 30.6.1978 nicht korrigieren, als der französische Fernsehsender TF1 ab 20.35 Uhr das Programm der ARD und die ARD das Programm von TF1 übernahm - die Initiative löste in beiden Ländern eher Befremden aus. Erst im Jahr 1988 wurde wieder konkret über ein deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt im Bereich des Fernsehens nachgedacht, was schließlich zur Gründung des Kulturkanals *ARTE führte. Andreas Fickers, „Politique de la grandeur“ versus „Made in Germany“. Politische Kulurgeschichte der Technik am Beispiel der PAL-SECAM-Kontroverse, München 2007; Christina Kanyarukiga, Deutschland im französischen Fernsehen seit 1963, Gerlingen 1986; Henri Ménudier, L’Allemagne à la télévision française depuis 1963, Gerlingen 1986; Michael Rother, Kooperation - Kollaboration - Konkurrenz. Deutsches und französisches Fernsehen bis 1963, Berlin 2008. Ansbert Baumann Film Die Exporteinnahmen französischer Filme in Deutschland betrugen in den letzten zehn Jahren zwischen 13 und 24 Millionen Euro jährlich. Damit nimmt der französische Film den zweiten bzw. dritten Platz unter den ausländischen Filmen ein - wenngleich mit großem Abstand zu den Amerikanern. Für die französische Filmwirtschaft ist Deutschland umgekehrt der erste europäische Markt, noch vor Italien. Vor allem die Kommunalen Kinos zeigen viele französische Filme. Auf der Website der französischen Botschaft in Deutschland (www.deutschland-frankreich.diplo.de) ist entsprechend zu lesen: „In Deutschland erscheint das französische Kino als eine echte Alternative zum Kino aus Hollywood.“ Die Filmfestivals in Frankreich und Deutschland sind seit Jahrzehnten Begegnungsplatz deutscher und französischer Filme, von denen nicht selten neue Impulse ausgegangen sind. Dies war zum Beispiel 1987 der Fall, als anlässlich der 750. Jahrfeier Berlins das internationale Frauenfilmfestival in Créteil, Films de Femmes, in Zusammenarbeit mit dem *Goethe-Institut Paris ein Symposium mit dem Titel „ Pariserinnen-Berlinerinnen“ veranstaltete. Seit 1984 finden jährlich in Tübingen und Stuttgart die Französischen Filmtage (Festival du film francophone) statt, mit einer deutsch-französischen Jury, die Preise an Filme aller Länder der Frankophonie verteilt; Unifrance-Film fördert den französischen Film im Rahmen der Semaine du film français in Berlin und der ehemalige Centre d’information cinématographique des *Institut français in München mit seiner Revue CICIM stimulierte ebenfalls lange Zeit die deutsch-französischen Filmbeziehungen. Was die französischen Schauspieler betrifft, so besitzen viele eine große Popularität in Deutschland, allen voran Jean Gabin, Jean-Paul Belmondo und Alain Delon. Bei den Frauen standen Simone Signoret, Jeanne Moreau, Catherine Deneuve, Brigitte Bardot, Isabelle Adjani und Isabelle Huppert hoch in der Gunst des Publi- Fink, Gonthier-Louis F 233 kums; eine Sonderrolle spielen *Romy Schneider in ihren französischen Filmen sowie *Marlene Dietrich. Umgekehrt erscheinen viele deutsche Schauspieler in berühmten französischen Filmen: So spielte beispielsweise Curd Jürgens an der Seite von Brigitte Bardot die Hauptrolle in „Et Dieu… créa la femme“ (1956) von Roger Vadim oder Oskar Werner in François Truffauts „Jules et Jim“ (1962), der, ausgehend von der Geschichte zweier Männer und einer Frau, eine tiefgehende Reflexion über die deutsch-französischen Beziehungen vor und nach dem ersten Weltkrieg liefert (*Stéphane Hessel). Heinz Rühmann, damals König der deutschen Komiker, stellte Jean-Pierre Mocky in „La bourse et la vie“ (1966) seinem französischen Pendant Fernandel an die Seite. François Truffaut ließ Heinz Bennent den Mann von Catherine Deneuve in „Le dernier Métro“ (1980) spielen und Bulle Ogier spielte in *Fassbinders „Die dritte Generation“ (1979). In neuerer Zeit engagierte Christian Petzold Aurélien Recoing in „Gespenster“ (2005) und Sylvie Testud wurde bekannt durch ihre Rolle der Lara in Caroline Linkes „Jenseits der Stille“ (1995). Es gab zahlreiche Verfilmungen literarischer Werke vom Nachbarn: „Eine Liebe von Swann“ (1984) nach Proust mit Alain Delon sowie *Michel Tourniers „Le Roi des Aulnes“ (1996) - beide von *Volker Schlöndorff; *Fassbinders „Querelle“ nach dem Roman von *Jean Genet mit Jeanne Moreau oder umgekehrt Eric Rohmers „Die Marquise von O…“ (1976) nach der Novelle von Kleist in deutscher Originalfassung mit Bruno Ganz und Edith Clever. Betrachtet man die Liste der Goldenen Bären bei der Berlinale, so erhielten bis 1965 fünf französische Filme diese Auszeichnung, dann jedoch erst wieder 1995 und 2001. Die Silbernen Bären (für die beste Regie) gingen an französische Filmemacher wie Eric Rohmer (zweimal), Alain Resnais (zweimal), Agnès Varda, Yves Boisset, Yves Robert, Philippe de Broca und Eric Heuman, während die ältere Garde durch André Cayatte, Robert Bresson und Christian-Jaque vertreten wurde, wobei Christian-Jaque, ebenso wie Bertrand Tavernier und Patrice Chéreau, jeweils Gold und Silber erhielten. Die ausgezeichneten französischen Schauspieler waren Jean Gabin, Jean-Pierre Léaud, Michel Simon, Jean- Louis Trintignant, Michel Piccoli und Jacques Gamblin; unter den Schauspielerinnen findet man Anna Karina, Simone Signoret, Stéphane Audran, Isabelle Adjani und Anouk Grinberg. Heike Hurst, Heiner Gassen (Hg.), Kameradschaft-Querelle. Kino zwischen Deutschland und Frankreich, München 1991; dies., Tendres Ennemis. Cent ans de cinéma entre la France et l’Allemagne, Paris 1991; Annika Darsdorf (Hg.), Der Französische Film: prägende Regisseure und Schauspieler, Fastbook Publishing 2011. Gilbert Guillard Fink, Gonthier-Louis Der in Karlsruhe im Jahre 1928 geborene Gonthier-Louis Fink ist ein Literaturwissenschaftler von internationalem Ruf, der sich über den deutsch-französischen Grenzraum hinaus dauerhafte Meriten für die Transnationalisierung von Wissenschaft erworben hat. Fink studierte Germanistik und Romanistik in Rennes, Nancy, Mainz und Paris. Er begann als *Lektor in Reims und an der Universität Dijon und arbeitete dann drei Jahre lang (1956-1959) am CNRS. Fink bekam einen Lehrauftrag an der Universität Besançon und Straßburg. Nachdem er sich 1967 an der Sorbonne habilitiert hatte, wurde er auf einen Lehrstuhl für „Littérature et civilisation allemande“ an der Universität Straßburg berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1993 lehrte. Er beteiligte sich aktiv an der akademischen Selbstverwaltung insbesondere als Dekan und Prorektor. Er gründete die Zeitschrift *„Recherches germaniques“ im Jahre 1971, die er bis 1996 leitete und die literarische, kultur- und sozialwissenschaftliche sowie komparatistische Aufsätze in französischer und deutscher Sprache veröffentlicht. Als Mitglied bzw- Vorstandsmitglied verschiedener wissenschaftlicher und kultureller Institutionen (DFG, Goethe-Stiftung Basel, Goethe-Gesellschaft in Weimar) leistete er einen bedeutenden Beitrag zur akademischen Zusammenarbeit in Europa und zum interkulturellen Dialog. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Gründung und der Arbeit der trinationalen germanistischen Regioseminare, an denen Dozenten und Studenten der Universitäten Freiburg, Basel und Straßburg teilnahmen und die bis 1993 einen grenzüberschreitenden Unterricht boten. Fink gründete zudem die Société Goethe de France, deren Vorsitz er bis 2005 führte. Als Schüler *Robert Minders war Fink immer bestrebt, die literarischen Phänomene in ihrem historischen Kontext und vor dem Hinter- Föderation deutsch-französischer Häuser 234 F grund der ideologischen, sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu erfassen. Viele seiner Arbeiten - es sind fast zweihundert - befassen sich mit der Epoche der Aufklärung und dies oft in einer komparatistischen Perspektive, wobei er sich besonders intensiv mit den Wechselbeziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Kulturraum beschäftigt. Auch das Werk Johann Wolfgang von Goethes bildet einen der Schwerpunkte seiner Arbeit. Seine theoretischen Interessen kreisen um die Begriffe „Narratologie“ und „Imagologie“. Mit dem letzten Forschungsfeld beschäftigte er sich in den letzten Jahren besonders intensiv (nationale Vorurteile und *Stereotype, Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdbild). Seine Publikationen basieren stets auf einer genauen und breit angelegten Quellenforschung, sodass sie - wie seine Habilitationsschrift „Naissance et apogée du conte merveilleux en Allemagne“ - zu Standardwerken wurden. Darüber hinaus gehört Fink zu den am häufigsten in der Forschungsliteratur zitierten französischen Germanisten. Die Verdienste Finks als Forscher und Lehrer führten die Universitäten Jena, Freiburg und Saarbrücken dazu, ihm die Ehrendoktorwürde zu verleihen, wozu noch zahlreiche andere offizielle Ehrungen kamen, so der Ordre du mérite, die Palmes académiques, das Bundesverdienstkreuz, die Goldmedaille der Goethe-Gesellschaft in Weimar sowie die Jakob-Burckhardt-Medaille in Gold. Adrien Finck, Gertrud Gréciano (Hg.), Germanistik aus interkultureller Perspektive, en hommage à Gonthier-Louis Fink, Straßburg 1988; Raymond Heitz, Christine Maillard (Hg.), Neue Einblicke in Goethes Erzählwerk/ Nouveaux regards sur l’œuvre narrative de Goethe, Zu Ehren von/ En l’honneur de Gonthier- Louis Fink, Heidelberg 2010. Roland Krebs Föderation deutsch-französischer Häuser Fédération des maisons francoallemandes Als in den 1990er Jahren vor dem Hintergrund der Gründung zahlreicher *Goethe-Institute in Mittel- und Osteuropa Diskussionen um die Notwendigkeit staatlich geförderter Kulturpräsenz in Westeuropa geführt wurden, das *Goethe-Institut 1998 sein Institut in Marseille schloss (um dort übrigens 2013 erneut ein Verbindungsbüro zu eröffnen) und an vielen anderen Instituten in Frankreich erhebliche Einsparungen vornehmen musste, trafen die Leiter einiger voneinander unabhängiger deutscher bzw. deutsch-französischer Kulturhäuser (Kurt Brenner, Heidelberg-Haus in Montpellier, Till Meyer, Haus Rheinland-Pfalz in Dijon, Joachim Rothacker, Deutsch-Französisches Kulturzentrum in Aix-en-Provence und Joachim Umlauf, *Heinrich-Heine-Haus in Paris) die Entscheidung ihren Wirkungskreis zu vergrößern, indem sie sich gemeinsam mit dem Centre franco-allemand Nantes 1997 zu einer Föderation zusammenschlossen. Später kam noch die Maison de l’Allemagne in Brest hinzu. Gemeinsam bilden diese Institutionen ein aktives Netzwerk, das immer wieder landesweite Projekte im Bereich (deutscher und französischer) Kultur, Bildung und Sprache lanciert. Viele dieser Institutionen haben ihren Ursprung in lokalen Initiativen, die stark durch zivilgesellschaftliches Engagement und den Wunsch nach deutsch-französischer Annährung geprägt waren. Sie beruhen auf *Städtepartnerschaften und Universitätsbeziehungen in Montpellier (mit Heidelberg) und Aix-en-Provence (Tübingen), auf einer Regionalpartnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz mit dem Burgund in Dijon, auf Universitätspartnerschaften in Nantes. In Deutschland gibt es in Heidelberg (Montpellier- Haus) und Mainz (Haus Burgund) entsprechende Gegenstücke, die allerdings keinen eigenen Verbund bilden und zudem neben kulturellen, regionale bzw. touristische Programmschwerpunkte setzen. Die intensive lokale Einbettung der Häuser in Frankreich sorgt dafür, dass auf spezifisch örtliche Gegebenheiten angemessen reagiert und langfristig eingegangen werden kann und dass sie als integraler Bestandteil der französischen Kulturszene der jeweiligen Stadt betrachtet werden. Das aktive Centre franco-allemand in Aix-en- Provence hat eine Reihe von Aufgaben des ehemaligen *Goethe-Instituts in Marseille übernommen, so beispielsweise das Sprachkursangebot. Gemeinsam mit Partnern wie dem der Föderation assoziierten Kulturverein Les Amis du Roi des Aulnes von *Nicole Bary und dem *Goethe- Institut Paris engagierte sich das Haus stark im Rahmen der Capitale européenne de la culture Marseille-Provence 2013 und richtet seit 2011 ein Literaturfestival mit deutschsprachigem und eu- Foucault, Michel F 235 ropäischem Fokus in Aix aus. Die Maison de Heidelberg in Montpellier war bis 2014 Trägereinrichtung des *DeutschMobil. Der Sitz der Föderation befand sich im Jahr 2014 an der Maison de Rhénanie-Palatinat in Dijon, Präsident war (der ebenfalls als Honorarkonsul tätige) Till Meyer, der ein aktives Institut leitet und innovative Projekte anstößt. Neben diesen drei großen Kulturzentren, die im weiteren Sinne kleineren *Goethe-Instituten in ihren Aufgaben und Angeboten ähneln (mit Bibliotheken, Sprachkursen, Kulturprogramm und Fortbildungsangeboten für Deutschlehrer), gibt es das Centre franco-allemand Nantes (das enge Verbindungen zur Université Nantes und zum *DAAD unterhält, von einem *DAAD- Lektor geleitet wird und in ein europäisch ausgerichtetes Zentrum eingebettet ist) sowie das Studentenwohnheim und Kulturzentrum *Heinrich-Heine-Haus in der Cité internationale universitaire de Paris. Mit Ausnahme des vom *DAAD finanziell und personell administrierten *Heine-Hauses gehören alle, auch die Maison de l’Allemagne in Brest, zudem zum Kreis der vom Auswärtigen Amt auf Projektbasis finanziell geförderten Kulturgesellschaften, von denen es in Frankreich noch einige weitere in Tours, Caen, Rennes, Avignon sowie Paris (Les Amis du Roi des Aulnes) gibt. Die finanzielle Förderung, inhaltliche Betreuung und Beratung der Kulturgesellschaften ist im Jahre 2008 weltweit dem *Goethe-Institut übertragen worden mit dem Ziel einer inhaltlichen Stärkung und Professionalisierung der Kulturarbeit. Im Sinne eines gemeinsamen Auftritts (auch im Internet) des Gesamtnetzwerkes, d.h. der *Goethe-Institute, der Föderation und weiterer Kulturgesellschaften wie dem 2014 in den Kreis der Geförderten aufgenommenen Institut Heinrich Mann in Pau, sollen mehr gemeinsame Projekte lanciert werden, wozu das 50. Jubiläum des *Élysée-Vertrages bereits Anlass gab. Paradepferd unter den Projekten der Föderation ist sicherlich das vielfach mit Preisen ausgezeichnete *DeutschMobil, das internationale Nachahmung u.a. in Polen, Italien, Belgien und den Niederlanden gefunden hat, als *FranceMobil in Deutschland unterwegs ist und an dem viele weitere Partner wie die *Robert Bosch Stiftung, der *DAAD, das *Goethe-Institut sowie Mercedes-Benz beteiligt sind. Nach bald fünfzehn Jahren erfolgreicher Arbeit legt das *DeutschMobil 2014/ 2015 eine Pause ein um den Partnern eine Neukonzeption zu erlauben. Die Häuser arbeiten nicht nur in diesem Zusammenhang mit Institutionen wie dem *DFI in Ludwigsburg oder dem *Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW), den politischen Stiftungen und vielen lokalen Organisationen zusammen. Sie engagieren sich zudem in erheblichem Maße im Berufs- und Bildungssektor durch ausführliche Informationen, das Vermitteln von Praktikumsplätzen und ähnliches. Dabei werden sie finanziell von französischer Seite direkt (durch Zuschüsse der jeweiligen Stadt oder Region) und indirekt (durch Sachleistungen, Räumlichkeiten etc.) erheblich unterstützt - was ihr Selbstbewusstsein und öffentliches Ansehen stärkt, aber auch Finanzierungsprobleme in Zeiten der Krise oder bei Einsparungen mit sich bringen kann. Vor Ort verstehen sie sich als Informations- und Kompetenzzentren deutsch-französischer Beziehungen und haben je nach Orientierung und Ausrichtung große Flexibilität bei der Ausgestaltung ihrer Aktivitäten. Die Föderation ist ein gutes Beispiel für die dezentrale, lokale und inhaltliche Ausdifferenzierung der deutsch-französischen Kulturszene und das hohe Maß an zivilgesellschaftlichem Engagement, das weiterhin eine bedeutsame Rolle in den deutsch-französischen Beziehungen spielt. Tanja Wielgoß, Die Fédération des maisons francoallemandes: Frischer Wind im deutsch-französischen Kulturgeschäft, in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 55 (1999) 3, S. 239-245. Joachim Umlauf Foucault, Michel Über die eigenen Arbeiten hinaus hat der in Poitiers geborene Michel Foucault (1926-1984) in Deutschland die Aufmerksamkeit in kaum zu unterschätzendem Umfang auf das gelenkt, was seitdem als „französische Theorien“ bezeichnet wird und einen der bedeutsamsten Stränge im Feld der deutsch-französischen Kulturbeziehungen darstellt. Die wichtigsten Linien der Perzeption seines eigenen Werkes bzw. Denkens in Deutschland kartographieren zu wollen, würde zunächst eine Reihe von Spezialuntersuchungen erfordern, da eine auch nur annähernd vollständige Wirkungsgeschichte „viele der innovativsten humanwissenschaftlichen Debatten und Grundlagendiskussionen der letzten 40 Jahre enthalten“ müsste, wie Axel Honneth und Martin Saar im Vorwort ihrer Bestandsaufnahme feststellen. Ansätze dazu sind FplusD 236 F nach ersten, noch vorsichtig als „Anschlüsse“ deklarierten Versuchen unmittelbar nach Foucaults Tod, für den deutschsprachigen Raum erst in jüngster Zeit wieder unternommen worden. Auf ihrer Basis lassen sich einige Strukturelemente der deutschen Rezeption Foucaults festmachen. 1. Verspätete Rezeption: Für viele Wissenschaftsdisziplinen im deutschsprachigen Raum kann man von einer verspäteten Wahrnehmung Foucaults sprechen: Auf eine erste Phase relativ strikter Ablehnung bzw. Marginalisierung folgte seit Ende der 1980er Jahre vielfach zunächst von den Rändern der jeweiligen Disziplinen her (*Peter Engelmann, *Passagen, *Merve Verlag) eine umso produktivere Rezeption, die Foucault inzwischen zum Standardautor vieler Fächer gemacht hat. Als Grund dafür wird neben anderen die späte Veröffentlichung der Vorlesungen genannt, die im deutschsprachigen Raum erst mit einigen Jahren Versatz in Übersetzung erschienen, was zu Verzögerungen in der Wahrnehmung von bis zu 20 Jahren führte, aber auch zu jeweils neuen Foucault-Konjunkturen. 2. Umwege und Re-Import: In zeit-räumlicher Hinsicht kommt hinzu, dass wichtige Perzeptionslinien ihren Ausgang in Frankreich im Schüler- und Mitarbeiterkreis Foucaults hatten, dann nach Großbritannien und in die USA führten und von dort aus wieder zurück in die deutschsprachigen Länder. Dort traf die nach Europa re-importierte Foucault-Forschung auf frühere direkte französisch-deutsche Rezeptionslinien. Symptomatisch dafür ist die Gouvernementalitätsproblematik. Einzelne Publikationen fungierten dabei als diskursive Ereignisse, durch die ein Rezeptionsstrang in neue Räume oder auf weitere wissenschaftliche Disziplinen ausgedehnt wurde. 3. Aneignung über Einführungen: Auffällig ist weiter, dass die Implementierung foucaultschen Denkens im deutschen Wissenschaftsbetrieb nicht über einzelne Fragestellungen oder die Lektüre einzelner seiner Werke erfolgte, sondern über das Genre der „Einführungen“. Ihre spezifische Funktion lag darin, die kaum mögliche Zuordnung des foucaultschen Werks zu einer Einzelwissenschaft für eine erste Kontaktaufnahme zu nutzen, sein Denken aber zugleich noch auf Distanz zur eigenen Disziplin zu halten. 4. Kopplung von Rezeptionssträngen: Dort, wo sich in Deutschland einzelne Rezeptionsstränge zusammenschlossen, verfestigen sich Felder der Foucault-Forschung, was sich in Deutschland u.a. am Dispositiv-Begriff beobachten lässt. 5. Expansion bestehender Rezeptionsstränge: Ist foucaultsches Denken in einer Disziplin erst einmal verankert, dann gibt es die Tendenz, auch die bisher nicht berücksichtigten Theoreme, Schriften und Denkansätze auf ihren Erkenntniswert für die jeweiligen Fächer zu prüfen und selektiv in bereits bestehende Ansätze zu integrieren. Das führte zu einer zwar insgesamt zunehmenden, zugleich aber auch spezialistisch ausdifferenzierten Foucault-Rezeption. 6. Kombination foucaultscher Theoreme mit denen anderer deutscher und französischer Forscher: In jüngster Zeit lässt sich darüber hinaus eine Tendenz zur Kombination bzw. Verdichtung mehrerer Theorieklassiker zu einer stabilen Konstellation beobachten, so in Deutschland zum Theoriendreieck Michel Foucault - *Pierre Bourdieu - Niklas Luhmann. Insgesamt ist Michel Foucault heute in Deutschland als Klassiker anzusehen. Gesa Dane u.a. (Hg.), Anschlüsse. Versuche nach Michel Foucault, Tübingen 1985; Axel Honneth, Martin Sahr (Hg.), Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption, Frankfurt/ M. 2003; Clemens Kammler, Rolf Parr (Hg.), Foucault in den Kulturwissenschaften. Eine Bestandsaufnahme, Heidelberg 2007; Clemens Kammler, Rolf Parr, Ulrich Johannes Schneider (Hg.), Foucault-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar 2008. Rolf Parr FplusD Das deutsch-französische Internetportal FplusD (www.fplusd.org) bietet alle wichtigen Informationen für Französisch- und Deutscheinsteiger. Die bilinguale Internetseite wurde vom Auswärtigen Amt und vom Ministère des affaires étrangères online gestellt. Auf deutscher Seite kümmern sich zudem der Bevollmächtigte für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen (*Kulturbevollmächtigter) sowie das *Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) um das Portal. Es soll grundlegende Informationen über erste Anlaufstellen, Alltagshilfen und Institutionen auf deutscher und französischer Seite geben. Die Redaktion hat jeweils fünf junge französische und deutsche Mitglieder. Die Rubriken „Französisch/ Deutsch lernen“, „Austausch und Begegnung“, „Arbeit und Beruf“ und „Kultur und Alltagsleben“ sollen wichtige Starthilfen für Frankreichbzw. Deutschlandin- Francia F 237 teressierte geben - ebenso für Schüler, Studenten, Arbeitssuchende und für Kulturfreunde. Die Seite bietet auch Tipps für Sprachanfänger, wo und wie sie am besten französisch lernen können und gibt Anreize durch die Veröffentlichungen von Wettbewerben, Links zu Sprachschulen sowie Hinweise zu Sprachtests. FplusD enthält zudem ausführliche Artikel zum deutschen und französischen Schul- und Universitätssystem und gibt Hinweise, wie man das Studium im jeweils anderen Land am besten angeht. Neben wichtigen praktischen Hinweisen enthält diese Rubrik aber auch viele Erfahrungsberichte von deutscher wie französischer Seite - vom Bildungsstreik bis zum WG-Leben. Für Arbeitssuchende hält das Portal zahlreiche Artikel über die Möglichkeit eines Praktikums, einer Stelle, eines Austausches oder temporären Jobs, z.B. als Au Pair bereit. Dabei versteht sich das Portal nicht als Seite für Stellenangebote, von denen es immer nur eine kleine Auswahl gibt, sondern vor allem als Rat- und Ideengeber: Was genau will man im anderen Land machen und auf welche Bedingungen muss man sich einstellen? Wo hat man die besten Chancen und was sind die Probleme und Herausforderungen eines Jobs im Ausland? Vor allem gibt die Rubrik einen Überblick, welche staatlichen Strukturen bereits existieren, die den Austausch zwischen beiden Ländern fördern. Im kulturellen Bereich bietet das Portal FplusD einen Pool aus Artikeln über die deutsch-französischen Gemeinsamkeiten aber auch spezifischen Besonderheiten des anderen Landes, der ständig durch neue Erfahrungsberichte oder Ankündigungen kultureller Ereignisse aktualisiert wird. Das Spektrum reicht von politischen und historischen Themen über Literatur und die Theaterlandschaft bis hin zu kulinarischen Gebräuchen beider Länder. Die Artikel sind in einem lockeren Stil gehalten und zeichnen sich - obwohl für Einsteiger geschrieben - dennoch durch die Vermittlung von profundem Wissen beider Kulturen aus, bei der auch so mancher deutsch-französische Experte noch einiges lernen kann. Susanne Götze Francia In höherem Maße als bei anderen historischen Zeitschriften ist die Entstehung der „Francia“ mit dem historiographischen Konzept und den Visionen einer Person verknüpft: *Karl Ferdinand Werner, von 1968 bis 1989 Direktor des *DHI Paris. Entsprechende, bereits vor 1968 bestehende Planungen wurden von ihm und seinen engeren Mitarbeitern (darunter die späteren Redakteure Jürgen Voß und Martin Heinzelmann) gleich zu Beginn der Pariser Amtszeit aufgenommen, auch wenn ein erster Band der „Francia“ wegen problematischer Verlagsbeziehungen erst 1973 beim Wilhelm Fink Verlag München erschien; ab Band 2 (1974) waren der Artemis Verlag Zürich/ München, ab Band 11 (1983) der Thorbecke Verlag Stuttgart und Ostfildern zuständig. Die Kosten wurden und werden bis heute vollständig vom Etat des Instituts getragen, Herausgeber ist der jeweilige Direktor des *DHI Paris. Die Zeitschrift war zunächst als Jahresband konzipiert, erschien aber seit dem Ende der Amtszeit *Werners (1989) unter der Direktion von Horst Möller in drei Teilbänden: Mittelalter, Frühe Neuzeit, 19. Jahrhundert und Zeitgeschichte. Unter der Direktorin Gudrun Gersmann wurde diese Dreiteilung 2008 aufgehoben, nachdem der Rezensionsteil ausgegliedert worden war und seitdem nur noch viermal pro Jahr online erscheint ( www.perspectivia.net/ content/ publikationen/ francia/ ). Unter der gleichen Adresse sind alle Beiträge früherer Bände, bis auf die jeweils beiden letzten Jahrgänge, zugänglich. Die Wahl des Namens „Francia“ mit dem Untertitel „Forschungen (ursprünglich „Beiträge“) zur westeuropäischen Geschichte“ sollte auf die Zielsetzung verweisen, als bisher einzige deutsche historische Zeitschrift das Hauptinteresse auf den gallisch-fränkisch-französischen Ursprung der europäischen Geschichte zu richten. Gleichzeitig erschien der Terminus „Francia“, der ursprünglich nur Nordgallien, dann das Karolingerreich (oder ein Teil davon), und schließlich das Franken- oder Franzosenreich bezeichnen konnte, konzeptuell dafür geeignet, nicht nur die gallischen Staaten (mit Schweiz und Benelux) einzuschließen, sondern auch Deutschland und die iberische Halbinsel, ja sogar die britischen Inseln. Durch diese franko- oder eher noch gallozentrische Zielsetzung, die einer - entsprechend den wissenschaftlichen Themenbereichen des *DHI Paris selbst - in den Anfangsjahren stärkeren Gewichtung des Mittelalterteils entspricht, wurde eine Alternative zur Ausrichtung der Zeitschrift des traditionsreichen älteren Schwesterinstituts in Rom aufgezeigt, den François, Étienne 238 F „Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken“ (Band 1, Rom 1898), in der die auf Italien ausgerichtete römisch-imperiale Konzeption der älteren deutschen Geschichtsforschung im Vordergrund stand; für beide Zeitschriften gilt freilich als gemeinsame Aufgabenstellung die Erschließung der Originaldokumente aus den reichen Bibliotheken von Rom und Paris. Als Sprachrohr des Instituts, bis auf wenige Ausnahmen mit entsprechenden Tätigkeitsberichten des Direktors und der Mitarbeiter, wandte sich „Francia“ über die im engeren Sinn wissenschaftlichen Adressaten und Bibliotheken hinaus in besonderem Maße an ein gelehrtes französisches Publikum, dem die Benutzung durch einen moderaten Bandpreis sowie französische, deutsche und englische Resümees oder französischsprachige Aufsätze sogar deutscher Autoren erleichtert werden sollte; der Rezensionsteil verstärkte das Bestreben, deutsche Publikationen in französischer Sprache (ebenso wie umgekehrt) oder in Englisch zu rezensieren. Die Akten der vom Institut veranstalteten Kolloquien wurden ursprünglich ebenfalls in den umfangreichen Bänden publiziert, später wegen Platzmangel gesondert herausgegeben. Aktuelle Herausforderungen bestehen vor allem in der Erweiterung der Informationspolitik durch ein erhebliches Anwachsen der online-Rezensionen, die sich aufgrund der Flut an Veröffentlichungen als notwendig erweisen. Rolf Große, Francia. Ein Forum westeuropäischer historischer Forschung, in: Bulletin der Société des amis de l’Institut historique allemand, 15 (2010) S. 95- 103; Martin Heinzelmann, Die Zeitschrift Francia, in: Das Deutsche Historische Institut Paris 1958-2008, hg. von Rainer Babel und Rolf Große, Ostfildern 2008, S. 171-195. Martin Heinzelmann François, Étienne Der 1943 in Bois-Guillaume (Normandie) geborene Étienne François gehört zu den wichtigsten wissenschaftlichen Mittlern zwischen Deutschland und Frankreich und wirkt prägend auf die *Historikerbeziehungen zwischen beiden Ländern ein. Nach dem Abitur in Nancy im Jahre 1960 begann François das Studium der Geschichte und Geographie an der École normale supérieure (ENS) in Paris und machte seinen Abschluss an der Sorbonne. Im Jahre 1968 legte er erfolgreich die agrégation in Geschichte ab und sechs Jahre später wurde er an der Universität Paris X mit einer Studie zu „Population et société à Coblence au XVIII e siècle“ promoviert. Auch für seine Habilitation im Jahre 1986 an der Universität Straßburg 2 (Marc Bloch) hatte er ein deutsches Thema gewählt („La frontière invisible. Protestants et catholiques à Augsburg, 1648-1806). Nach seinen ersten Lehrerfahrungen an der Universität Nancy 2 wurde er 1979 zum Direktor der Mission historique française en Allemagne (*Institut français d’histoire en Allemagne) ernannt, an deren Spitze er bis 1986 blieb. Für drei Jahre kehrte er dann an seine Heimatuniversität nach Nancy zurück, bevor er 1989 an die Universität Paris 1 (Panthéon- Sorbonne) wechselte, die ihn 2003 emeritierte. Zwischen 1999 und 2006 lehrte er parallel als Professor am Frankreich-Zentrum der TU Berlin, das 2007 an die FU Berlin umzog. Sehr symbolträchtig hielt François hier am 14.7.2008 seine letzte Vorlesung. Dieser deutsch-französischer Karriereverlauf prädestinierte ihn 1992, zum Gründungsdirektor des *Centre Marc Bloch zu werden, dessen Leitung er bis 1999 behielt. Er hatte dabei den wissenschaftlichen Zeitgeist erkannt und gab dem Zentrum eine interdisziplinäre Richtung, die es für viele deutsche Partner schnell zu einer wichtigen Adresse machte. Hier entwickelte er in Anlehnung an Pierre Noras französische „Lieux de mémoire“ gemeinsam mit Hagen Schulze das Projekt der deutschen *Erinnerungsorte, das ihn vor die Herausforderung stellte, ein sehr französisches Verständnis von dem Zusammenhang von Geschichte und Erinnerung auf den deutschen Fall zu übertragen. Sowohl an der Spitze der *Mission historique française en Allemagne, des *Centre Marc Bloch wie auch des Berliner Frankreich-Zentrums ging es Étienne François darum, die Kontakte und Kooperationen zwischen den Sozial- und Geisteswissenschaftlern beider Länder auszubauen. Nachdem die Vergangenheit immer wieder Anlass für Antagonismen zwischen beiden Ländern gewesen war, sollte die Beschäftigung mit der Geschichte nun ein Vektor der Annäherung und der Zusammenarbeit werden. Auch wenn seine Forschungsfelder in erster Linie in der frühen Neuzeit liegen, erforderten seine Funktionen eine Ausweitung der wissenschaftlichen Interessen; darüber hinaus sah er es stets als seine Aufgabe an, sich in historische und intellektuelle François-Poncet, André F 239 deutsch-französische Debatten und Fragen zur Aktualität einzumischen. Seine wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeiten wurden dabei - nach *Pierre Bourdieu - zu symbolischem Kapital, das seinem Wort Autorität in beiden Ländern verleiht. Seine Projekte wie auch seine öffentlichen Statements machten ihn zu einem passeur bzw. soziokulturellen Mittler. Er erklärt Deutschen, Franzosen und auch Dritten als transkultureller Übersetzer bzw. supranationaler Schrittmacher, die besonderen Denk- und Sichtweisen des Anderen und wirbt für Verständnis und Annäherung. So gelang es Étienne François in der Vergangenheit immer wieder als Wissenschaftler, zivilgesellschaftlicher Akteur und créateur , das deutsch-französische Netzwerk auf der Ebene der Zivilgesellschaft zu verdichten. Für seine Leistungen und Verdienste erhielt er u.a. den Prix France-Allemagne des Senats (1990), den *Prix Strasbourg (1991) sowie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1996). Ulrich Pfeil François-Poncet, André Der in Provins geborene André François-Poncet (1887-1978) war ein Germanist und Publizist, der von 1931-1938 als Botschafter seines Landes in Berlin und von 1949-1955 als französischer Hochkommissar in Bonn amtierte. Er wurde durch sein bürgerliches Elternhaus dazu bestimmt, sich dem Studium Deutschlands zuzuwenden und erwarb dort als Schüler (1901/ 1902) und Student in Berlin und München (1907/ 1908) erste Eindrücke und Kenntnisse. Als Student der École normale supérieure (ENS) und des Germanisten Henri Lichtenberger (Sorbonne) bestand er 1910 die agrégation als Jahrgangsbester. Er engagierte sich politisch-publizistisch als Vertreter der Génération d’Agathon auf dem rechten Flügel des republikanischen Lagers und veröffentlichte 1913 eine kritische Schrift über die damalige deutsche Jugend. Durch den Ersten Weltkrieg von seiner universitären Karriere abgebracht, spezialisierte er sich in den 1920er Jahren auf die wirtschaftsnahe Informationssammlung und -aufbereitung und ab 1921 auf seine Abgeordneten-Tätigkeit, bevor er ab 1928 die Funktion eines Staatssekretärs in verschiedenen Ministerien übernahm. Als „moderner Republikaner“ vertrat er eine liberal-autoritäre Staats- und Wirtschaftsauffassung und plädierte nachdrücklich für die ökonomische Kooperation mit dem Deutschen Reich, da diese im wohlerwogenen Interesse Frankreichs liege. Er war überzeugt von der wirtschaftlichen Überlegenheit und politischen Gefährlichkeit Deutschlands seit Bismarck ebenso wie vom hohen kulturellen Wert der Tradition der deutschen Klassik. Im „Dritten Reich“ als Diplomat wohl gelitten, wurden seine Berichte aus Berlin an den Quai d’Orsay zunehmend kritisch. In den Anfangsjahren des Vichy- Regimes zogen seine Kommentare im „Figaro“ 1941/ 42 autoritäre Schlüsse aus dem von ihm vertretenen „republikanischen Elitismus“. Ab 1943 fiel der vormalige Botschafter in Ungnade bei der deutschen Besatzungsmacht und wurde bis 1945 in Prominentenhaft genommen. Nach der Befreiung kehrte er Ende 1948 als Deutschland-Berater von Robert Schuman in die Politik zurück und wurde als französischer Hochkommissar im Sommer 1949 der höchste Vertreter seines Landes in der gerade gegründeten Bundesrepublik. Er veränderte seine Vorstellung von Deutschland nicht wesentlich, passte sie aber in der Ausübung seines Amtes der Konstellation des Kalten Kriegs an: Die „deutsche Gefahr“ war zu einem „Reflex der russischen Gefahr“ geworden. Als Hochkommissar plädierte er am nachdrücklichsten für eine längere politische Kontrolle der Bundesrepublik und für deren gleichzeitige westeuropäische Integration. Als Liberaler prinzipiell an die Selbstregulierungsfähigkeit von Wirtschaft und Kultur glaubend, förderte er gleichwohl den Ausbau des kulturpolitischen Netzes der *Instituts français in der Bundesrepublik. Zudem unterstützte er als führendes Mitglied politiknaher Gesellschaftsvereinigungen den Ausbau der deutsch-französischen *Jugendbeziehungen und war als Präsident der Cité universitaire entscheidend beteiligt an der Ermöglichung des Baues eines Deutschen Hauses (*Heinrich-Heine-Haus). Nach Beendigung seiner Mission in der Bundesrepublik blieb er aktiv als Publizist und u.a. als französischer Vorsitzender der im Oktober 1954 gegründeten Deutsch-Französischen Kulturkommission. Hans Manfred Bock (Hg.), Les Rapports mensuels d’André François-Poncet 1949-1955. Les débuts de la République fédérale d’Allemagne, 2 Bde., Paris 1996; Hélène Miard-Delacroix, Question nationale allemande et nationalisme. Perceptions françaises d’une problématique allemande au début des années cinquante, Frankreich Jahrbuch 240 F Villeneuve d’Ascq 2004; Claus W. Schäfer, André François-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938), München 2004. Hans Manfred Bock Frankreich Jahrbuch Das seit 1988 erscheinende „Frankreich Jahrbuch“ realisiert (bis 2002 im Verlag Leske + Budrich, seitdem im VS Verlag) ein schon in der Locarno- Ära geäußertes Desiderat. Es veröffentlicht Beiträge zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur des gegenwärtigen Frankreichs, wobei die historische Dimension einbezogen wird, sofern die Thematik dies erfordert. Ziel des Jahrbuchs ist es, „Zusammenhänge zu erschließen und sie so darzustellen, dass sie für alle diejenigen aufschlussreich sind, die sich in Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung mit französischen Fragen befassen oder sich ganz allgemein für unseren wichtigsten Nachbarn interessieren“, ist im Vorwort der Herausgeber des ersten Bandes zu lesen. Das Jahrbuch wird vom *Deutsch-Französischen Institut (DFI) in Ludwigsburg in Verbindung mit einer Gruppe von Wissenschaftlern herausgegeben, die unterschiedlichen, vor allem sozialwissenschaftlichen Disziplinen angehören. Im Vergleich zu den kürzeren, eher journalistischen Aufsätzen in *„Dokumente“ erheben die längeren Analysen des Jahrbuchs einen wissenschaftlichen Anspruch, sind aber dennoch um Allgemeinverständlichkeit bemüht. Das Jahrbuch ist die Frucht einer Initiative von *Robert Picht, dem damaligen Direktor des *DFI. Gemeinsam mit *Gilbert Ziebura, dem „Altmeister“ der Frankreichforschung, sowie mit Gerhard Kiersch, damals Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, unternahm er den - geglückten - Versuch, die an verschiedenen Universitäten und Instituten verstreut und isoliert arbeitenden Frankreichforscher wenigstens einmal im Jahr zusammenzuführen, um Kontakte zu intensivieren, Zusammenarbeit zu fördern, Kompetenzen zu bündeln und somit das wissenschaftliche Potential stärker zu aktivieren. Die erste dieser seither jährlich in Ludwigsburg beim *DFI stattfindenden Tagungen fand 1985 statt. Dabei wurde der Entschluss gefasst, eine Auswahl der dabei gehaltenen Referate zu publizieren. Das Thema der jeweiligen Jahrestagung bildet den Schwerpunkt des Jahrbuchs. Eingeleitet wurde es (bis 2006) durch einen Essay, i.d.R. von einem der Herausgeber geschrieben, der die politischen Ereignisse und Entwicklungen des zurückliegenden Jahres in Frankreich schwerpunktmäßig analysierte. Das Jahrbuch bot also eine interpretatorische Fortschreibung des politischen Geschehens des „Nachbarn am Rhein“. Neben dem Schwerpunkt finden sich im Jahrbuch weitere Rubriken: Die „Beiträge“ (im Herausgeber-Jargon „Orchideen“) enthalten Aufsätze, die den meist sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt kulturell (im weiten Sinn verstanden) ergänzen. Literatur, Theater und Film, Malerei, Museen und Popmusik finden sich hier ebenso behandelt wie die Medien, die Frauenfrage oder die Fußball-WM. Ein weiterer Teil enthält Rezensionen von Büchern zur französischen Politik, Zeitgeschichte und den deutsch-französischen Beziehungen. Abgeschlossen wird das Jahrbuch durch eine Dokumentation, in der sich neben einer Auswahlbibliographie (deutschsprachige Literatur zu Frankreich) eine Chronik, Wahlergebnisse sowie ökonomische und gesellschaftliche Basisdaten finden. Dieser Serviceteil macht das Jahrbuch zu einem willkommenen Nachschlagewerk und Arbeitsinstrument. Aus dem Bestreben, im Jahrbuch das gegenwärtige Frankreich möglichst umfassend, in seinen verschiedenen Dimensionen, also mit einem weit gefassten Politikbegriff zu berücksichtigen, ergab sich von selbst die Verpflichtung zu einem multidisziplinären Ansatz, der verschiedene Sozial- und *Kulturwissenschaften einschließt. Da zu den Tagungen von Anfang an auch französische Kolleginnen und Kollegen eingeladen wurden, finden sich unter den Autoren des Jahrbuchs häufig französische, selten englische Namen. Ein besonderes Bemühen galt der Einbeziehung des wissenschaftlichen Nachwuchses, sodass auch eine Reihe (inzwischen oft nicht mehr) unbekannter Namen vertreten ist. Ungeachtet mancher Schwächen und Lücken hat das „Frankreich Jahrbuch“ rasch einen festen Platz in jeder Bibliothek gefunden, die sich mit Frankreich beschäftigt. Wer zuverlässige, in die Tiefe gehende Informationen und Interpretationen über Politik, Gesellschaft und Kultur des gegenwärtigen Frankreich sucht, wird über kurz oder lang zum „Frankreich Jahrbuch“ greifen, dem „aktuellsten Handbuch über unser wichtigstes Nachbarland“ (so ein Rezensent). Adolf Kimmel Frankreich-Zentren F 241 Frankreich-Zentren Die Entstehung der mittlerweile insgesamt sechs deutschen Frankreich-Zentren in Freiburg/ Br., Berlin, Saarbrücken, Leipzig, Köln und Münster ist eng mit dem Begriff und der Konzeption der „Area Studies“ (Kulturraumstudien) verknüpft. Im Anschluss an entsprechende Institutionen, die nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in den USA gegründet wurden, entstanden in Westdeutschland u.a. das J.-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien (1963), das Lateinamerika-Institut (1970) der FU Berlin und das Afrikazentrum der Universität Bayreuth (1981). Die Frankreich- Zentren wurden, im Vergleich zu anderen Area- Studies-Zentren, trotz der seit den 1960er Jahren auch im wissenschaftlichen Bereich zunehmend intensiveren deutsch-französischen Kooperation erst relativ spät gegründet: 1989 entstand, mit Unterstützung des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth und des Deutschen *Romanistenverbandes (DRV) und seines Vorsitzenden *Fritz Nies, das Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg/ Br. Es folgten 1993 das Frankreich-Zentrum der Universität Leipzig, 1996 das Frankreich-Zentrum an der *Universität des Saarlandes in Saarbrücken und 1998 an der Technischen Universität Berlin (seit 2006 an der FU Berlin) und schließlich 2010 das Centrum für Interdisziplinäre Frankreich- und Frankophoniestudien (CIFRA) in Köln, eine gemeinsame Gründung des *Institut français Köln und der Universität zu Köln, sowie das im November 2011 gegründete Interdisziplinäre Frankreich-Forum (iff) an der Universität Münster. Die Aktivitäten des Leipziger Frankreich-Zentrums wurden 2008 in das Global and European Studies Institute (GESI) der Universität Leipzig integriert. Befördert wurden die Gründungen der Frankreich-Zentren von der Intensivierung der deutsch-französischen Wissenschaftskooperation seit Ende der 1980er Jahre u.a. durch die Entstehung des *Procope-Programms (Projektbezogener Personenaustausch Deutschland-Frankreich) des *DAAD im Jahr 1986, die Gründung des Deutsch-Französischen Hochschulkollegs (DFHK) 1988 und die hiermit verbundene Schaffung integrierter deutsch-französischer Doppeldiplomstudiengänge, sowie die Gründung der *DFH (1999), der Nachfolgeorganisation des DFHK. Trotz sehr unterschiedlicher rechtlicher und administrativer Strukturen weisen die seit 1997 in der Arbeitsgemeinschaft der Frankreich-Zentren (AGFZ) zusammengeschlossenen Institutionen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Ihr gemeinsames Ziel liegt in der interdisziplinären Förderung und Koordination frankreichbezogener Lehre und Forschung, der Veranstaltung interdisziplinär ausgerichteter Sommeruniversitäten, Vortragsreihen und Kolloquien und der Herausgabe von Publikationsreihen wie der „Deutsch-Französischen Kulturbibliothek“ in Leipzig, der Reihe „Vice- Versa. Deutsch-französische Kulturstudien“ und des „Jahrbuch des Frankreich-Zentrums der *Universität des Saarlandes“ in Saarbrücken sowie der „Studien des Frankreich-Zentrums“ in Freiburg. An mehreren Frankreich-Zentren, vor allem in Freiburg und Berlin, lehren regelmäßig französische Gastdozenten. Obwohl die Romanistik an allen Frankreich-Zentren beteiligt ist und vor allem in Freiburg, Berlin, Leipzig und seit Kurzem auch in Saarbrücken eine führende Rolle in der Leitung eingenommen hat, zeichnen sich alle Frankreich- Zentren durch eine breite interdisziplinäre Grundlegung der beteiligten Fächer und der Leitungsgremien aus, die von den Geisteswissenschaften über die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften bis zur Medizin und den Naturwissenschaften (u.a. Chemie, Physik) reicht. Letztere stellten in Saarbrücken über Jahre hinweg auch den Direktor und sind im dortigen Vorstand gleichberechtigt vertreten. Zugleich lassen die einzelnen Frankreich-Zentren unterschiedliche Schwerpunkte erkennen. Die Frankreich-Zentren in Freiburg, Berlin und (bis 2008) Leipzig sind unmittelbar in die Organisation interdisziplinärer Studiengänge eingebunden. Das Frankreich-Zentrum in Saarbrücken, rechtlich eine zentrale Einrichtung der Universität, koordiniert lediglich frankreichbezogene Studien- und Forschungsaktivitäten, informiert hierüber und weist einen Schwerpunkt in der grenzüberschreitenden Praktikantenvermittlung sowie in frankreichbezogenen Bewerberseminaren auf, die gezielt auf den französischen Arbeitsmarkt vorbereiten. Die Frankreich-Zentren in Freiburg und Saarbrücken sind aufgrund ihrer Traditionen und ihrer geographischen Lage eng in grenzüberschreitende Kooperationsnetzwerke eingebunden: die *Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) und die *Université de la Grande Région (UGR), die Universitäten im Saar- Franz-Hessel-Preis 242 F Lor-Lux-Raum, Rheinland-Pfalz und Wallonien umfasst und auf der 1984 unterzeichneten Charte de coopération universitaire Saar-Lor-Lux mit dem Ziel einer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Hochschulen in Lehre und Forschung aufbaut. Das Frankreich- und Frankophoniezentrum in Köln (CIFRA) wiederum bietet in erster Linie gemeinsame Veranstaltungen der Fächer Politikwissenschaft, *Geschichtswissenschaft, Linguistik und Literaturwissenschaft an, auch im Bereich der Lehrerausbildung. Ebenso wie in Saarbrücken und Leipzig zielt das Kölner Zentrum ausdrücklich und mit einem deutlichen Schwerpunkt auch auf die frankophonen Literaturen, Kulturen und Gesellschaften außerhalb Frankreichs, vor allem des subsaharischen Afrika und erweitert hiermit seine kulturraumbezogene Ausrichtung auf den frankophonen Sprach- und Kulturraum in seiner Gesamtheit. Rolf G. Renner, Fernand Hörner (Hg.), Deutsch-französische Berührungs- und Wendepunkte. Zwanzig Jahre Forschung, Lehre und öffentlicher Dialog am Frankreich-Zentrum, Freiburg/ Br. 2009; Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes. Deutsch-französische Schwerpunkte in Forschung und Lehre. Entwicklungen, Vernetzungen, Perspektiven, Redaktion: Manfred Schmeling u.a. Saarbrücken 1996; Katrin Foldenauer, Matthias Middell, Antje Zettler (Hg.), Repertorium der deutschen Frankreich- und Frankophonieforschung 2003, Leipzig 2003; Hans-Jürgen Lüsebrink, Kulturraumstudien und Interkulturelle Kommunikation, in: Ansgar Nünning, Vera Nünning (Hg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart 2003, S. 307-328. Hans-Jürgen Lüsebrink Franz-Hessel-Preis Prix Franz Hessel Mit dem Franz-Hessel-Preis für zeitgenössische Literatur, der am 10.12.2010 in Freiburg zum ersten Mal verliehen wurde, ehrt eine elfköpfige deutsch-französische Jury jeweils einen deutschen und einen französischen Autor. Voraussetzung für eine Nominierung sind eine Veröffentlichung im Jahr der Preisvergabe und eine beabsichtigte Übersetzung des Werkes in die jeweils andere Sprache. Mit Blick auf Franz Hessels Biografie sollen dabei besonders „Publikationen berücksichtigt [werden], die vorrangig die Gegenwart reflektieren und die [...] zu einem Brückenschlag ins jeweils andere Land einladen“. Die Preisverleihung findet jährlich, abwechselnd in Deutschland oder Frankreich statt. Ins Leben gerufen wurde der Preis von der Villa Gillet in Lyon und der *Stiftung Genshagen, die damit einen Beitrag zur „Vertiefung des literarischen Dialogs zwischen Deutschland und Frankreich“ leisten und im Nachbarland noch unbekannte Autoren fördern wollen. Der mit 10 000 Euro dotierte Prix Franz Hessel steht unter der Schirmherrschaft des *Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des französischen Kulturministers und wird von den Ministerien beider Länder gefördert. Er ist Teil der deutsch-französischen Agenda 2020, die von den Regierungen beider Länder im Frühjahr 2010 zur Gestaltung ihrer Zusammenarbeit im nächsten Jahrzehnt beschlossen wurde. Namensgeber des neuen Literaturpreises ist der deutsche Schriftsteller, Übersetzer und Lektor Franz Hessel (1880-1941). Der in Stettin geborene Hessel verbrachte seine Jugend und Studienzeit in Berlin und München, wo er erste literarische Arbeiten veröffentlichte . Von 1906 bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebte Hessel in Paris, wo er neben vielen anderen Künstlern auch die Malerin Helen Grund kennenlernte, die er 1913 heiratete. Dieser Ehe entstammt der französische Diplomat und Widerstandskämpfer *Stéphane Hessel. In den 1920er Jahren arbeitete Hessel als Lektor im Berliner Rowohlt Verlag. In diese Zeit fallen auch seine Übersetzungen von Werken von Stendhal, Balzac und Proust (gemeinsam mit Walter Benjamin). Trotz Berufsverbots blieb Franz Hessel bis 1938 im NS-Deutschland als Lektor im Rowohlt Verlag tätig. Erst kurz vor dem Novemberpogrom 1938 emigrierte er widerstrebend nach Paris und später ins südfranzösische Sanary-sur-Mer. Gemeinsam mit seinem Sohn Ulrich wurde er 1940 im Gefangenenlager Les Milles bei Aix-en- Provence interniert. Er starb 1941 kurz nach seiner Entlassung in Sanary-sur-Mer an den Folgen der zweimonatigen Lagerhaft. Christin Niemeyer Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde eine Reihe von Filmen über die Résistance gedreht, unter denen „La bataille du rail“ (1946) von René Clément bis heute der Film par exellence der französischen Bahnarbeiter geblieben ist. Clément drehte weitere mit dem Krieg verbundene Werke, Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg F 243 wie „Jeux interdits“ (1952) über die tragischen Folgen der Flucht vor dem Anrücken der Wehrmacht im Mai und Juni 1940 oder „Les Maudits“ (1946), die Geschichte von der Flucht von Nazis und Kollaborateuren an Bord eines U-Bootes, sowie vor allem „Paris brûle-t-il? “ (1965) mit Gerd Fröbe in einer Hauptrolle, eine große historische Freske über die Befreiung von Paris im August 1944. Viele namhafte Regisseure haben sich bis Ende der 1980er Jahre des Themas der deutschfranzösischen Beziehungen durch das Prisma des Krieges angenommen, angefangen mit Jean-Pierre Melville in „Le silence de la mer“ (1947), einem beinahe intimistischen Nachdenken über die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen und die eventuelle Möglichkeit trotz Besatzung einen Dialog herzustellen. 20 Jahre später schuf Melville mit „L’Armée des ombres“ (1969) eine bittere, eiskalte und unheroische Chronik über die Widerstandsbewegung, ein Thema, das Robert Guédiguian in „L’armée du crime“ (2009) wieder aufnahm. Robert Bresson begriff in „Un condamné à mort s’est échappé“ (1956) das Individuum als Zentrum seines Nachdenkens über Unterdrückung, Einsperrung und Tod; es kam die Zeit, in der das Image eines im Widerstand vereinigten und heroischen Frankreich zu bröckeln begann. In „La traversée de Paris“ (1955) zeigte Claude Autant-Lara ein Paris, in dem man ebenso viele Schwarzhändler wie Widerstandskämpfer findet, und einen deutschen Offizier, der sowohl menschlich als auch gebildet erscheint. In „Le Franciscain de Bourges“ (1967) stellt Autant-Lara eine Maximilian Kolbe ähnliche Figur dar (gespielt von Hardy Krüger), ein Deutscher, der bis zur Selbstaufgabe geht, um verfolgten Franzosen zu helfen. Dies reihte sich in einen allmählichen Wandel des Deutschenbildes im Kriege ein, parallel zum politischen Prozess der Versöhnung. 1955, dem Jahr, in dem Alain Resnais seinen Dokumentarfilm *„Nacht und Nebel“ (Nuit et Brouillard) über die Konzentrationslager drehte, war man davon aber noch weit entfernt. Dem Druck der deutschen Botschaft in Paris nachgebend, gelang es dem französischen Außenministerium, den Film aus dem Wettbewerb für das Festival de Cannes zu nehmen. Er wurde jedoch außerhalb des Festivals gezeigt, machte unerhörten Eindruck auf das Publikum und bekam den Preis Jean Vigo. Als er schließlich in West-Berlin präsentiert wurde, bemerkte der Senatspräsident: „Wir dürfen nie vergessen.” Heutzutage wird er regelmäßig in Deutschland vorgeführt, auch an Schulen. Es entstanden ebenfalls Spielfilme über die Konzentrationslager. So „L’enclos“ (1960) von Armand Gatti, der die von SS-Wächtern organisierte dramatische Konfrontation zweier Häftlinge darstellt, von denen der eine den anderen töten soll, um zu überleben. Einen ganz anderen Aspekt der deutsch-französischen Beziehungen evozierte Resnais in „Hiroshima mon amour“ (1959) nach einem Drehbuch von Marguerite Duras: Eine junge Französin verliebt sich in einen deutschen Soldaten, er stirbt und sie wird wegen ihrer Kollaboration (aus Liebe) geschoren. Auch diesmal gelangte der Film in Cannes aus diplomatischen Gründen - diesmal wirkten allerdings die Amerikaner darauf ein - nicht in den Wettbewerb. Die ganze Härte der Besatzung durch eine feindliche Macht und das Aufteilen eines Landes in zwei getrennte Zonen wurde in Claude Chabrols „La ligne de démarcation“ (1966) sowie in „Les patates“ (1969) von Autant-Lara dargestellt. In „Partir, revenir“ (1985) erzählte Claude Lelouch die Geschichte einer jüdischen Frau, deren Familie deportiert wurde, wobei wiederum der Antisemitismus und die Denunziationswut der Franzosen angeprangert wurden. Robert Enrico stellte noch einmal die Brutalität mancher Besatzer in „Le vieux fusil“ (1975) dar, wobei die Tatsache, dass die von randalierenden SS-Soldaten ermordete Frau von *Romy Schneider gespielt wurde, dem Film eine besondere Dimension gab. Louis Malle erinnerte in „Au revoir les enfants“ (1987) an das Schicksal derjenigen, die Juden zu schützen versuchten. Dafür, dass der Pfarrer von der Gestapo verhaftet wird, ist aber ein junger Denunziant verantwortlich. Die berühmt berüchtigte Rafle du Vel d’Hiv (1942), die große Razzia mit Hilfe der französischen Polizei, bei welcher auch an die tausend jüdische Kinder verhaftet und in Konzentrationslager deportiert wurden, stand im Zentrum der Filme von Michel Mitrani „Les Guichets du Louvre“ (1973) und Roselyne Bosch „La Rafle“ (2010). Mehr und mehr gerieten im französischen Film die Kollaborateure ins Visier - angefangen mit Marcel Carnés im pessimistischen Ton seiner früheren Filme gedrehte „Les portes de la nuit“ (1946), in dem ein Verräter seine mit einem Kollaborateur verheiratete und in einen Wider- Französische Germanistik 244 F standskämpfer verliebte Schwester denunziert. In „Lacombe Lucien“ (1974) entwirft Louis Malle die Figur eines unentschlossenen Jungen, der schließlich der milice beitritt, weil er von der Résistance abgewiesen wurde; damals erregte diese scheinbare Austauschbarkeit der Rollen heftige Kritik. In François Truffauts „Le dernier métro“ (1980), der im Theatermilieu des besetzten Paris spielt, ist der eigentliche Bösewicht der als Theaterkritiker arbeitende Kollaborateur. Die sympathische Figur des jüdischen Theaterdirektors wurde von Heinz Bennent gespielt. Der Film war der größte kommerzielle Erfolg Truffauts, heimste zehn Césars ein und wurde auch in Deutschland sowohl von der Kritik wie vom Publikum sehr positiv aufgenommen. Im Kriegsfilm selber wird der Deutsche nicht mehr als eingefleischter Nazi, sondern als kämpfender Soldat dargestellt, so in „Un taxi pour Tobrouk“ (1961) von Denys de la Patellière, wo Lino Ventura und Hardy Krüger allmählich zur beinahe freundschaftlichen gegenseitigen Wertschätzung gelangen. Die Darstellung des deutschen Offiziers als komische Figur ist eine Variante, die eine Abmilderung der feindseligen Haltung bewirkte. Zur Zeit der politischen Versöhnung entsprachen Komödien wie „Babette s’en va t’en guerre“ (1959) von Christian-Jaque insofern dem Zeitgeist, als die Résistance-Heldin Brigitte Bardot eher durch ihren Charme als durch ihr politisches Engagement die Zuschauer einnahm, während Francis Blanche als Offizier „Papa Schulz“ eine groteske, lachhafte Figur abgab. Durchaus bissiger war „La grande vadrouille“ (1968), bis heute der drittgrößte Erfolg der französischen Kinogeschichte. Indem er den französischen Zuschauer über die Besatzungszeit zum Lachen brachte, gelang es Gérard Oury, nachhaltig ein Tabu zu brechen. Eine weitere Komödie von Oury ist „L’As des As“ (1982), dessen Handlung in Deutschland während der Olympischen Spiele 1936 spielt. Zum Teil in München gedreht - mit Xaver Schwartzenberger, dem Kameramann von *Rainer Werner Fassbinder, und Rolf Zehetbauer als Szenograph, während Jean-Paul Belmondo, der damals in Deutschland eine große Beliebtheit genoss, die Hauptrolle spielt, war dieser Film auch an das deutsche Publikum gerichtet. Zudem gibt es einen bemerkenswerten Dokumentarfilm, in dem authentische Bilder mit historischen Kommentaren versehen sind, nämlich die Chronik einer Kleinstadt während der Besatzungszeit: „Le Chagrin et la Pitié“ (1971) von Marcel Ophüls, dem Sohn Max Ophüls’. Dieser Film brach endgültig mit dem Mythos von der Résistance als Mehrheitsphänomen; er zeigt, dass es eigentlich nur eine Minderheit Widerstandskämpfer und viel mehr Kollaborateure gab, als anfänglich gedacht. Gilbert Guillard Französische Germanistik In den Nachkriegsjahren markierte das nachlassende Interesse der französischen Germanistik an deutscher Landeskunde eine Zäsur in der Geschichte des Faches. Michel Espagne und Michael Werner machen darauf aufmerksam, dass die Deutschlandstudien seit ihren Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts „den Anspruch hatten, das Land nicht als reines Studienobjekt, sondern in seiner kulturellen Komplexität zu erfassen“. An der Sorbonne bzw. an der Universität Straßburg - seit 1918 in herausgehobener Position - ging es Charles Andler, Henri Lichtenberger und *Edmond Vermeil darum, die deutsche Kultur der Vergangenheit und der Gegenwart bis hin zu wirtschaftlichen und sozialen Aspekten im Hinblick darauf zu erforschen, in welcher Weise die Entwicklung Deutschlands für Frankreich bedrohlich oder beispielhaft sein könnte. Bereits nach dem verlorenen Krieg von 1870/ 71 hatten sich die französischen Eliten intensiv mit den Gründen für die deutsche Überlegenheit beschäftigt. Dies führte u.a. zu einer am deutschen Modell orientierten Universitätsreform. Mit dieser Ausrichtung hatte die französische Germanistik den Vorteil, Deutschland umfassend zu erforschen; allerdings war damit der Nachteil verbunden, es allzu sehr durch die politische Brille zu sehen und darüber hinaus die Existenz einer einheitlichen Nationalkultur - wenn nicht gar einer zeitlosen deutschen „Seele“ - zu postulieren. Nach 1945 wurde die Ideengeschichte von der - meist werkimmanent angelegten - Interpretation großer literarischer Werke in den Hintergrund gedrängt. Die Dominanz der Literaturwissenschaft ist bis in die 1960er Jahre hinein bemerkbar. Dieser Befund bestätigt sich auch mit Blick auf die Themen der Doktorarbeiten, die von einem kleinen Kreis namhafter Germanisten betreut wurden. Auch die vom Germanistischen Institut der Sorbonne herausgegebene, älteste Germanistik- Zeitschrift *„Études germaniques“ spiegelte die Französische Germanistik F 245 Vorliebe für mittelalterliche und moderne Literatur wider. Kultur- und ideengeschichtliche Forschungen konzentrierten sich auf einzelne historische Figuren (besonders Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg) und beschäftigten sich seltener mit kulturellen Strömungen oder Institutionen. Zudem gab es in dieser Zeit eine verschwindend geringe Zahl an sprachwissenschaftlichen Forschungen. Diese Ausgangslage erklärt das Engagement von *Pierre Bertaux, der sich gemeinsam mit *Pierre-Paul Sagave, *Gilbert Badia, *Alfred Grosser und *Joseph Rovan in den 1960er und 1970er Jahren dafür einsetzte, die Position der Landeskunde an den damals existierenden ca. 20 Germanistik-Instituten zu stärken. Einige der genannten Professoren hatten ihre Forschungen im Bereich der Literaturwissenschaft begonnen (vgl. auch *DDR-Literatur in Frankreich) und dabei die Grenzen einer zu wenig kontextorientierten Herangehensweise erkannt. Die Universitätsreform nach 1968 ermöglichte es *Bertaux an der Sorbonne Nouvelle das *Institut d’allemand d’Asnières zu gründen. Die Erweiterung des Arbeitsfeldes der französischen Germanistik in Lehre und Forschung fiel in eine Phase des Ausbaus der Universitäten. Das nach dem damaligen Bildungsminister Edgar Faure benannte Gesetz von 1968 ermöglichte die Gründung neuer Universitäten. Die Zahl der germanistischen Fakultäten stieg innerhalb weniger Jahre von etwa 20 auf über 40. Zahlreiche Nachwuchskräfte wurden dort als Assistenten eingestellt. Diese neuen Institute in der Provinz setzten auf Selbstverwaltung, ohne die starre Hierarchie des etablierten Wissenschaftsbetriebs. Auch die in den 1970er und 1980er Jahren gegründeten allgemeinen oder auf Teilgebiete der Germanistik fokussierten Zeitschriften, wie beispielsweise die *„Recherches germaniques“ in Straßburg, waren Ausdruck dieser neuen Blüte des Faches. Der Prestigegewinn der deutschen „Landeskunde“ wurde ab 1966 von einer neuen Serie in der Zeitschrift *„Allemagnes d’aujourd’hui“ und 1969 von der *„Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande“ (Straßburg) begleitet. Letztere wurde ein Treffpunkt für Germanisten und Historiker, die der weit gefasste Begriff civilisation zusammenbrachte. Die Beschäftigung mit den „deutschen Realitäten“ - so lässt sich der Begriff civilisation umschreiben - gab Anlass zu heftigen Debatten, besonders innerhalb der Germanistenvereinigung *Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES), sodass Anfang der 1980er Jahre eine Sezession der Landeskundler zu befürchten war. Historiker wie Jean-Paul Cahn fanden schließlich ebenso ihren Platz in der französischen Germanistik, wie auch die von Michel Grunewald in Metz aufgebaute Forschungsgruppe CEGIL. Der lange als Zugangsvoraussetzung zur Universitätskarriere geltende Abschluss der agrégation hatte nicht nur positive Seiten: Er setzt ein präzises Textstudium voraus, das sich auf formale und rhetorische Aspekte konzentriert, bereitet jedoch nicht auf die Ausbildung einer Forschungsperspektive vor. Als 1979 an den Universitäten die Studienrichtung der angewandten Fremdsprachen (Langues étrangères appliquées, LEA) eingeführt wurde, hatte sich die französische Germanistik endgültig von ihrer alten Form verabschiedet. Es handelt sich dabei um eine Ausbildung in zwei Fremdsprachen mit Bezug zu unterschiedlichen Anwendungsbereichen (vor allem Wirtschaft, Rechtswissenschaft). Diese Studienrichtung bereitet auf verschiedene Berufe im Dienstleistungsbereich vor. Sie zog zahlreiche Studierende an und erfreute sich bald größerer Beliebtheit als der klassische Studiengang Langues, littératures, civilisations étrangères (LLCE). Durch die neue Ausrichtung des Studienangebots konnte sich die Germanistik über 20 Jahre die Illusion bewahren, konstante Studierendenzahlen und die Auslastung der Lehrkräfte erhalten zu können. Die Bilanz ist zwiespältig. Das Ergebnis hängt vom jeweiligen Profil des Studiengangs und vom Engagement der Lehrkräfte ab. Zu den Universitäten, die verstärkt auf den Bereich LEA gesetzt haben, gehören Cergy-Pontoise, die Sorbonne Nouvelle und Straßburg. Andere berufsbezogene und spezialisierte Studienrichtungen jüngerer Zeit behaupten sich ebenfalls erfolgreich, besonders der deutsch-französische Jurastudiengang an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense. Auch die Literaturwissenschaft entwickelte sich weiter, maß dem kulturellen, politischen und/ oder philosophischen Kontext (so bei Jean- Marie Paul) in der Textanalyse immer größere Bedeutung bei und bediente sich dazu erkenntnistheoretischer Errungenschaften des Strukturalismus, der Textgenese, der Erzähltheorie Französische Germanistik 246 F (Michel Vanoosthuyse), der Komparatistik, der Rezeptions- und Lesetheorie, sowie der Erforschung von Zeitschriften. Poesie und Poetologie sind innerhalb der Literaturwissenschaft sehr gut repräsentiert (Rémy Colombat). Inzwischen werden auch nicht-textuelle bzw. nicht rein textuelle Dimensionen - wie beispielsweise die bildenden Künste, Theater (Ingrid Haag) und Tanz (Marie-Thérèse Mourey) - in die Forschung einbezogen. Wenn ihre Ansätze auch unterschiedlich sind, erforschen Kulturwissenschaftler, Historiker und Literaturwissenschaftler doch dieselben Forschungsgegenstände. Dies betrifft besonders die Erforschung des Mittelalters (René Pérennec, Daniel Rocher) und der Aufklärung (Roland Krebs, Jean Mondot), aber betrifft auch das 20. Jahrhundert, auf das sich die Literaturwissenschaft inzwischen konzentriert. Die Geistesgeschichte - beliebte Forschungsrichtung zwischen den beiden Weltkriegen, die verschiedene Ansätze des Faches vereinte - musste ihre Legitimität zurückgewinnen und mit neuen Methoden ihren Platz zwischen der traditionellen, ihrem Anspruch nach unpolitischen Philologie und der auf aktuelle Realitäten gerichteten Landeskunde behaupten. Die 1982 gegründete und von Gérard Raulet geleitete „Forschungsgruppe zur Kultur von Weimar“ ist besonders erwähnenswert. Sie stellte die bis dahin geltenden, allzu einfachen politischen Einordnungen und die teleologischen Annahmen der geisteswissenschaftlichen Geschichtsschreibung in Frage, mit denen die Diskurse der Intellektuellen der Weimarer Republik erforscht wurden. Es ging der Gruppe darum, dem gängigen Kausalismus auszuweichen, aber auch der Interpretation des Nationalsozialismus als „Unfall der Geschichte“, indem sie auf der synchronen Ebene die diskursiven „Formationen“ der Weimarer Republik und ihre Strategien erforschte. Während die Geistesgeschichte unter den Literatur- und Geisteswissenschaften bisher am Rande lag, wurde sie mittlerweile ein Sammelbecken für verschiedene Disziplinen und Methoden. Im Bereich der Kulturgeschichte entwickelten die germanistischen Historiker ebenfalls in den 1980er Jahren den Begriff des „Kulturtransfers“, dessen Relevanz seitdem in zahlreichen Studien belegt wurde, vor allem durch die von Michel Espagne geleitete Forschungsgruppe „Deutsch-französischer Kulturtransfer 1789-1914“. Diese Art der Geschichtsanalyse stellt Phänomene der Aneignung und der Neubenennung eines importierten kulturellen Gutes in den Mittelpunkt und untersucht, welchen Aufschluss dieser Prozess über den Aufnahmekontext gibt. Eine der zentralen Fragen ist die nach den Rahmenbedingungen des Kulturtransfers. Der Nachweis des Phänomens einer grundsätzlichen Hybridität setzt eine Strukturähnlichkeit der miteinander im Austausch stehenden kulturellen Systeme voraus (vgl. auch den einleitenden Beitrag von Michael Werner). Der Kulturtransfer beschränkt sich nicht auf bilaterale, beispielsweise deutsch-französische Austauschbeziehungen. Deshalb wurden von Beginn an auch Dreiecksbeziehungen zwischen Frankreich, Deutschland und Russland erforscht. Solche vergleichenden Studien haben jedoch ihre Grenzen. Je komplexer die Beziehungsgeflechte werden, desto schwieriger wird es, mit ihnen umzugehen, gerade im Hinblick auf die verschiedenen Sprachen. Dagegen hat die Erforschung des Kulturtransfers zwischen kleineren Regionen - wie zwischen Sachsen und Bordeaux im 18. und 19. Jahrhundert - Vermischungen sichtbar gemacht, die lange Zeit nicht wahrgenommen wurden. Eine so verstandene, grundsätzlich interdisziplinär angelegte Kulturgeschichte bezieht sowohl soziale wie sprachliche, künstlerische, ethnologischanthropologische und andere Gegebenheiten mit ein. Die von Christine Maillard geleitete Straßburger Forschungsgruppe zum „Bild des Fremden“ gehört ebenso zum Kulturtransfer wie zur Imagologie. 2001 wurde das *Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) gegründet, das aus der Transferforschung hervorging, diesen Ansatz jedoch als Histoire croisée (Michael Werner und Bénédicte Zimmermann) weiterzuentwickeln versucht. Die germanistische Mediävistik konnte ihre Bedeutung so lange behaupten, wie die licence einen philologischen Prüfungsbereich beinhaltete. Dessen Abschaffung 1967 hatte zur Folge, dass sie heute nur noch in einigen Nischen aktiv ist. Allerdings konnte der Umstand, dass weiterhin ein mittelalterlicher Text zum Programm der agrégation gehört, das restlose Verschwinden der diachronen Ebene innerhalb des Germanistikstudiums verhindern. Der Aufstieg der Sprachwissenschaft zog ein Nachlassen des Austauschs zwischen Forschungsrichtungen, die sich mit der gegenwärtigen und jenen, die sich mit vergangenen Entwicklungsstufen beschäftigen, nach sich. Andere Gelegenheiten wurden nicht genutzt. So hätte Französische Germanistik F 247 die geschichtsbezogene Semantik durchaus Raum für eine Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftlern, Landeskundlern und Historikern bieten können, blieb aber das Feld der *Geschichtswissenschaft. Dafür erlebte die germanistische Sprachwissenschaft seit den 1950er Jahren einen beispiellosen Aufstieg, vor allem dank Jean Fourquet. Seine Grammatik (1952) und seine „Prolegomena“ (1970) gingen aus einem kritischen Hinterfragen der lateinischen Tradition hervor. Seine Arbeiten waren Vorläufer der Dependenz- und Zeichengrammatiken. Sie öffneten den Weg zu einer begründeten Neuinterpretation der morphologischen und syntaktischen Gegebenheiten. Er war Vorreiter bei der Kooperation mit dem Mannheimer Institut für deutsche Sprache seit dessen Gründung 1964. Seine Schüler - Paul Valentin, sein Nachfolger an der Sorbonne, und *Jean-Marie Zemb, später Inhaber eines renommierten Lehrstuhls am Collège de France - haben dazu beigetragen, seine Ideen zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Sie bildeten seit den 1970er Jahren eine steigende Anzahl junger Linguisten aus. Von der Philosophie her kommend, veröffentlichte *Zemb eine umfangreiche und wegweisende „Vergleichende Grammatik Deutsch-Französisch“ (1978), die eine Fortsetzung hätte finden können und sollen. Dass dieser Weg nicht beschritten wurde, lag daran, dass in den 1970er Jahren verstärkt im Bereich Syntax geforscht wurde und vor allem Arbeiten entstanden, die sich der „pragmatischen Wende“ verschrieben, in der die Erforschung von mündlichen Äußerungen früh einen wichtigen Platz einnahm. Diese Hinwendung zur gesprochenen Sprache brachte in den 1980er und 90er Jahren Forschungsarbeiten zur Diskursanalyse, zur Polyphonie und zu nonverbalen Äußerungen hervor, in denen die Mündlichkeit breiten Raum einnahm. Ebenfalls erwähnenswert sind die wichtigen Arbeiten im Bereich Dialektologie, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an der Universität Straßburg um Ernest Beyer, später um Marthe Philipp, beide Schüler von Jean Fourquet, geführt wurden. Ein anderer Bereich, der ab den 1980er Jahren an Bedeutung gewann, ist die Phraseologie. Die Einbindung der germanistischen Linguistik in europäische Forschungsprojekte gelang insbesondere durch die Zusammenarbeit der Sorbonne mit dem Institut für deutsche Sprache im Rahmen des Projekts EuroGr@mm. Dieses Projekt zur kontrastiven Grammatik wird von der Bundesregierung gefördert. Es verbindet sechs Länder und Sprachen. Eine ansehnliche Zahl von deutsch-französischen und europäischen Projekten oder auch die gegenwärtig betriebene Forschung im Bereich der Korpuslinguistik oder der Konstruktionsgrammatik sind eindrucksvolle Zeichen für die Weiterentwicklung des Faches. Auch die Entstehung einer angewandten Übersetzungswissenschaft im Bereich Literatur ist zu verzeichnen. Obgleich Österreich gerade durch seine Literatur schon immer zum Gegenstandsbereich der französischen Germanistik gehörte, kann man erst ab den 1970er Jahren eine tatsächliche Herausbildung von eigenständigen Österreichstudien beobachten, die sich auf die aktive Kulturpolitik der Regierung von Bruno Kreisky stützen konnten. Diese Entwicklung zeigt sich besonders in der Gründung der Zeitschrift „Austriaca. Cahiers universitaires d’informations sur l’Autriche“ durch Felix Kreissler, einen Verfechter der österreichischen Identität. Diese Zeitschrift wurde vom Centre d’études et de recherches autrichiennes (CERA) herausgegeben, das an den Universitäten von Rouen und Le Havre von Felix Kreissler und Gilbert Ravy gegründet wurde. Das Unternehmen profitierte von einem steigenden Interesse des Publikums und der Medien in Frankreich an der Kultur Wiens um 1900. Die Redaktionsmitglieder der Zeitschrift lieferten wichtige Beiträge zum Katalog der Ausstellung „Wien, Geburt eines Jahrhunderts“, die 1986 im Centre Georges Pompidou gezeigt wurde. Bis zum Jahr 2000 wurden die Zeitschrift und das Forschungszentrum von Österreich finanziell unterstützt. „Austriaca“ war interdisziplinär angelegt. Da es in der Germanistik nur wenige Spezialisten für österreichische Geschichte gab, fand die Zeitschrift für Ausgaben, die einzelnen Aspekten der österreichischen Landeskunde gewidmet waren, Unterstützung bei französischen Historikern und Soziologen. Bei großen Tagungen zu Themen der österreichischen Kultur kam ein Großteil der Beitragenden selbst aus Österreich. Tatsächlich blieben die Österreichstudien in Frankreich auf die Literatur, besonders des 20. Jahrhunderts, gerichtet. Diese Neigung bestätigt sich auch mit Blick auf die Programme des CAPES und der agrégation , in denen oft österreichische Literatur Französische Literatur in der Bundesrepublik 248 F zu finden ist, während die Landeskunde fast völlig außen vor bleibt. Parallel zum steigenden Interesse an der Gegenwart und Vergangenheit Österreichs brachte die Forschung mit Schwerpunkt auf Zentraleuropa zahlreiche neue Zeitschriften, darunter z.B. die 1985 in Straßburg gegründeten „Études danubiennes“, sowie anregende Forschungsimpulse beispielsweise von Jacques Le Rider, Gerald Stieg und Helga Meise, hervor. Die französische Germanistik hat sicherlich zu keinem anderen Zeitpunkt ein solches Potential in der Lehre und in der Forschung vereint. Zahlreiche Lehrkräfte und Forscher aus Deutschland und Österreich trugen mit dazu bei. Die gestiegene Zahl der gut ausgebildeten und promovierten Nachwuchskräfte führt zu einer harten Konkurrenz um Dozentenstellen ( maîtres de conférences ). Da nicht genügend Promovierte auch eine Habilitation anstreben, gibt es hingegen für Professorenstellen weniger Bewerber als ausgeschriebene Stellen. Die geisteswissenschaftlichen Fakultäten befinden sich allgemein mittlerweile in einer schwierigen Situation, doch um die Germanistik ist es besonders kritisch bestellt. Die Zahl der Schüler, die Deutsch lernen, ist auf ca. 15 % eines Jahrgangs gesunken. Dieser Abwärtstrend spiegelt sich auch in sinkenden Studierendenzahlen wider. Im Vergleich zu anderen Disziplinen ist die Germanistik deshalb besonders bedroht und sieht sich in Forschung und Lehre oftmals gezwungen, sich größeren Gruppierungen anzuschließen. Nachdem die französische Germanistik über Jahrzehnte ihre eigene Identität besaß und diese auch nach außen vertrat, droht ihr heute ein Diasporastatus mit geringer Perzeption. Nicole Colin, Alain Lattard, Joachim Umlauf (Hg.), Germanistik - eine europäische Wissenschaft. Der Bologna-Prozess als Herausforderung, München 2006; Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, Paris 1999; Michel Espagne, Michael Werner (Hg.), Les études germaniques en France (1900-1970), Paris 1994; Maurice Godé, Développement et rôle des revues et collections publiées par les germanistes français, in: Colette Cortès, Gilbert Krebs (Hg.), Le territoire du germaniste. Situations et explorations, Paris 1998, S. 297- 316; ders., La situation de l’allemand dans les universités françaises, in: DeutschMobil. Zehn Jahre für die deutsche Sprache und Kultur durch Frankreich, Paris, Berlin 2010, S. 100-106; Gérard Raulet, „Histoire des idées“. Überlegungen zu einem Nebenfach mit Schlüsselfunktion, in: Deutsch als Fremdsprache 32 (2006), S. 52-76; Jérôme Vaillant, La germanistique: une exception française? , in: Michel Grunewald u.a. (Hg.), France-Allemagne au XX e siècle/ La constitution académique d’un couple, Bern 2011, S. 85-96. Maurice Godé Französische Literatur in der Bundesrepublik Die Frage nach der Präsenz der französischen Literatur in Deutschland wirkt so einfach wie die Antworten komplex sind. Denn diese fallen, je nach Blickwinkel - mal gilt das Augenmerk den Übersetzungen, mal der Rezeption beim Publikum und der Literaturkritik, mal, allgemeiner, der Wahrnehmung und dem Bild von französischer Literatur in Deutschland überhaupt - sehr unterschiedlich aus. Aber die Antwort hängt nicht nur vom Blickwinkel des Betrachters auf sein Objekt ab, sie variiert auch je nach Untersuchungsmethode (oder besser: Untersuchungsmethoden), die in Anschlag gebracht werden: Begnügt man sich mit rein quantitativ empirischen Erhebungen, hält man es eher mit rezeptionsästhetischen Fragestellungen (die auch die „produktive“ Verarbeitung/ Aneignung französischer Literatur in der deutschen Literatur umfassen) oder schreitet man mit *Pierre Bourdieu zur soziologischen Vermessung des literarischen Feldes und den besonderen Bedingungen von „Kulturtransfer“, die dort herrschen? Für alle diese Aspekte mangelt es nicht an exemplarischen Einzeluntersuchungen, so beispielsweise von Christian van Treeck (2010) oder in rein quantitativer Perspektive von George Pistorius (2002). Allein, es fehlt der Blick „aufs Ganze“, sieht man einmal ab von den pluridisziplinär angelegten, von Bernd Kortländer und *Fritz Nies orchestrierten Querschnittsuntersuchungen aus den Jahren 1986 und 1996. Eine - bei der Masse an Objekten - notwendig kollektive Großunternehmung wie die von Peter France und Stuart Gillespie herausgegebene „Oxford History of Literary Translation in English“ bleibt, nicht nur für die französische Literatur in Deutschland, ein Desiderat. So lassen sich, zu Anfang des 21. Jahrhunderts und nach gut 800 Jahren deutschen Literaturimports aus Frankreich (von den „Romanen“ der matière de Bretagne des Chrétien de Troyes bis Michel Houellebecq) zwei hypothetische, empirisch ungesicherte Aussagen machen, die sich zudem widersprechen. Zum einen: Die französische Französische Literatur in der Bundesrepublik F 249 Literatur, sei es die zeitgenössische, sei es das patrimoine littéraire , ist in Deutschland durchaus repräsentativ vertreten. Es wird nicht nur fleißigst, sondern auch immer wieder neu übersetzt (und dies in zum Teil äußerst sorgfältigen Editionen: so die „Essais“ des Michel de Montaigne in der Übertragung von Hans Stilett bei Eichborn (1999), Célines „Reise ans Ende der Nacht“ in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel bei Rowohlt (2003), Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ in der kompletten Revision der Erstübersetzung von *Eva Rechel-Mertens durch Luzius Keller bei Suhrkamp (1994ff.) oder, zuletzt, Elisabeth Edls Übersetzungen der Stendhal‘schen Romane „Die Kartause von Parma“ (2007), sowie „Rot und Schwarz“ bei Hanser (2004). Zum anderen: Die Bedeutung der französischen Literatur, ihre Rezeption durch Kritik und Publikum, nimmt permanent ab. An Zahlen lässt sich das nur bedingt festmachen. In den 1950er Jahren, da deutsche Verlage mit einem gewaltigen Nachholbedarf an ausländischer Literatur ihre Programme ausstatteten (erstmals erschien Proust in den 1950er Jahren in vollständiger Übersetzung, daneben wurde alles an *existentialistischer Literatur übersetzt: *Sartre, *Camus, Beauvoir sowie der Nouveau roman), lag der prozentuale Anteil an Übersetzungen aus dem Französischen (d.h. der Anteil an Übersetzungen aus allen Sprachen) allein im Bereich Belletristik bei etwa 20 %. Anfang der 1990er Jahre sank er auf rund 11 % (1990: 12,3 %; 1991: 10,9 %; 1992: 12,1 %; 1993: 8,9 %), im Jahre 2007 auf 4,2 %. In absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet dies von 1990 bis 2010 einen Rückgang von 400 bis 500 übersetzten französischen Titeln auf rund 250 Titel pro Jahr - was immer noch nicht wenig ist. Diese vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels jährlich veröffentlichten Zahlen sind interessant, drücken vielleicht eine allgemeine Tendenz aus, aber sie bleiben die wesentliche Information schuldig: Über Auflage und Erfolg der übersetzten Titel sagen sie nichts aus. Übersetzungen französischer Erfolgsautoren wie Anna Gavalda, Yasmina Reza, Éric-Emmanuel Schmitt, Marc Lévy, François Lelord oder Michel Houellebecq erobern zwar regelmäßig die deutschen Bestseller- Listen - dazu gesellen sich immer wieder Einzelfälle wie das 400 000 mal verkaufte Buch „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ von Catherine Millet (2001) oder Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ (2008) -, aber das verstellt den Blick darauf, dass literarisch sehr viel anspruchsvollere, originellere Autoren wie beispielsweise Jean Echenoz, Jean-Philippe Toussaint, Jean-Luc Bénoziglio, Patrick Deville, Olivier Rolin, Christian Gailly, Patrick Modiano, Christian Oster, François Weyergans oder, etwas weiter zurückliegend, Georges Perec, die ebenfalls übersetzt sind und teilweise in großen deutschen Publikumsverlagen erscheinen (wobei manche von ihnen in die österreichische und Schweizer „Peripherie“ oder Kleinverlage abwandern) von der Kritik nur beiläufig wahrgenommen und von den Verlegern gleichsam als hobby-horse geritten werden. Das heißt: Die Verkaufszahlen liegen oftmals im kaufmännisch kaum mehr vertretbaren Minimalbereich von weit unter 2 000 Stück. Symptomatisch für dieses Missverhältnis von editorischer Präsenz und öffentlicher Wahrnehmung ist der Fall von J.M.G. Le Clézio. Als dieser, damals immerhin mit gut 15 übersetzten Titeln in Deutschland vertreten, im Jahre 2008 den Nobelpreis für Literatur erhielt, zeichnete sich die spontane Reaktion der angeblich führenden deutschen Literaturkritiker durch eine bestürzende Ahnungslosigkeit aus. Es handele sich bei ihm um einen „unbedeutenden Autor“, irgendwie „grün“ oder gar „naturmystisch“ angehaucht, eine „Verlegenheitslösung“ des Preiskomitees. Nichts davon stimmt. Forscht man nach den Ursachen für das zuweilen penetrante Desinteresse an der französischen Gegenwartsliteratur, ihren von vielen Kritikern (und in der Folge: manchen entmutigten Verlegern) behaupteten „Bedeutungsverlust“, so kann man abermals nur hypothetisch spekulative Antworten wagen, da quantitative Erhebungen wie in den zitierten Bänden von Kortländer und Nies zur Präsenz französischer Literatur in den Rezensionsteilen der deutschen Presse und der Rundfunkprogramme weitestgehend fehlen. Ein Erklärungsmodell hat notwendig multikausalen Charakter. An einem aber liegt der Rückgang des öffentlichen Interesses gewiss nicht: an der Qualität der Übersetzungen und der oftmals beispielhaften Sorgfalt der Verleger. Mit dem „Literaturimport“ aus Frankreich sind vielfach die Namen bedeutender Übersetzer- und Mittlerpersönlichkeiten (*Übersetzen/ Dolmetschen) verbunden: Friedhelm Kemp für die moderne französische Lyrik, *Eugen Helmlé für Georges Perec und die Autoren des Oulipo, *Elmar Tophoven, Helmut Scheffel und später Eva Moldenhauer oder An- Französische Literatur in der Bundesrepublik 250 F drea Spingler für den Nouveau roman (Sarraute, Butor, Claude Simon, Robbe-Grillet), Traugott König für *Sartre (in Editionen, die die Qualität der Originalausgaben in den Schatten stellen), Guido Meister für *Camus, Rolf und Hedda Soellner für Marguerite Yourcenar, sowie, als Beispiele für die jüngere Generation, Holger Fock, Elisabeth Edl, Hinrich Schmidt-Henkel, Claudia Kalscheuer und viele andere mehr. Die Gründe für den angeblichen „Bedeutungsverlust“ sind möglicherweise mehr bei den Betrachtern als beim Objekt selbst zu suchen: Für eine Generation von Kritikern, die mit dem französischen *Existentialismus einerseits, dem Nouveau roman andererseits literarisch groß geworden und alphabetisiert wurde und sich in den 1950er, 1960er und auch noch den 1970er Jahren, verantwortlich fühlte für den Wiederanschluss Deutschlands an die „klassische“ und zeitgenössische Moderne, stellt sich in der Tat der Verlust der kulturellen Hegemonialstellung Frankreichs (oder besser: von Saint-Germain-des-Prés) seit den 1970er Jahren wie ein Bedeutungsverlust der französischen Literatur an sich dar, der mit dem synthetischen, von Hans T. Siepe vorgeschlagenen Satz: „Die französische Literatur ist nicht mehr das, was sie einmal war“ auf eine griffige Formel gebracht worden ist. Es gibt keinen *Sartre mehr, dem in Deutschland nach 1960 mehr Respekt entgegengebracht wurde als in Frankreich, es gibt auch keinen Robbe-Grillet mehr, der als Theoretiker und Handlungsreisender in eigener Sache dem Nouveau roman erst über die USA zu der literarischen Macht verhalf, die ihn bald schon in die deutschen Universitätsseminare katapultierte. Allein, in einer auch literarisch globalisierten Welt verschieben sich die Einflusssphären - und damit auch die Machtzentren: Die historische und heute fast schon erdrückende Prädominanz der angelsächsischen, insbesondere der US-amerikanischen Literatur, hat ihren Grund nicht unbedingt darin, dass letztere „besser“ und „interessanter“ wäre - nichts belegt, dass der Lieblingskandidat der deutschen Literaturkritik für den Literaturnobelpreis, Philip Roth, ästhetisch wie thematisch einem großen Erneuerer und Stilisten wie Jean Echenoz überlegen wäre -, sondern eher darin, dass sich der Markt und seine Akteure internationalisieren. Diese (wie etwa Bloomsbury oder Random House) setzen auch im Buchgeschäft auf zweistellige Renditen und platzieren, im Verein mit einem zunehmend konzentrierten Buchhandel, ihre meist angelsächsischen „Produkte“. Gerade der deutsche Buchmarkt, wo die Bestsellerlisten regelmäßig von anglophonen Titeln dominiert werden (im Gegensatz zu Frankreich! ), zeigt sich hier besonders durchlässig. Dem arbeitet zu, dass sich in den Verlagen (bis auf Ausnahmen) und in den Redaktionen die fremdsprachliche Kompetenz zunehmend auf das Englische konzentriert. Das Französische bleibt, trotz gut gemeinter Hilfsprogramme (wie etwa durch die Bosch Stiftung), auf der Strecke. Nur so ist (oder, vorsichtiger, scheint) erklärlich, dass ein Autor wie Georges Perec, der weltweit (und gerade im angelsächsischen Sprachraum) als der große Erneuerer und „Klassiker“ der französischen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt (ein „Klassiker“, dem sich auch amerikanische Autoren wie Paul Auster oder Nicolson Baker verpflichtet fühlen), in Deutschland nach wie vor so gut wie unbekannt ist. Oder liegt es, noch spekulativer formuliert, daran, dass bei Perec (und Autoren in seiner Nachfolge wie eben Echenoz) eine vielleicht spezifisch französische Literaturtradition zu Gehör kommt, eine „rhetorische“ Tradition, für die es in Deutschland kein Interesse gibt? Ein Handbucheintrag wie dieser ist notwendig ein Etappenbericht. Er fällt skeptisch aus, was die Bedeutung der französischen Literatur in Deutschland angeht. Aber vielleicht sollte man es eher mit dem großen französischen Übersetzer und Schriftsteller Valéry Larbaud halten, der vor siebzig Jahren forderte, Literaturgeschichte als Übersetzungsgeschichte zu schreiben. Ein solches Projekt erfordert Langzeituntersuchungen, stellt die Frage nach dem Kulturtransfer aber auf festere Sockel. Immerhin: In drei bedeutenderen Werken der deutschen Gegenwartsliteratur, in Marcel Beyers Romanen „Flughunde“ (1995) und „Kaltenburg“ (2008) sowie in W.G. Sebalds „Austerlitz“ (2001) sind Simon, Perec und Proust nicht nur als Zitat, sondern auch konstitutiv präsent. Ähnlich wie es *Camus für Günter Grass oder Dieter Forte war. Französische Literatur in Deutschland, das ist die permanent anwesend Abwesende, die abwesend Anwesende. Bernd Kortländer, Fritz Nies, Französische Literatur in deutscher Sprache. Eine kritische Bilanz, Düsseldorf 1986; dies., Literaturimport und Literaturkritik. Das Beispiel Frankreich, Tübingen 1996; George Pistorius, Marcel Proust und Deutschland, Heidelberg 2002; Französische Literatur in der DDR F 251 Christian van Treeck, La réception de Michel Houellebecq dans les pays germanophones, Aix-en-Provence (Dissertation) 2010; Mirjam Tautz, Transferts du roman français contemporain. Jean Echenoz, Philippe Djian et Sylvie Germain en Allemagne (1986-2004), Paris (Sorbonne, Dissertation) 2006. Jürgen Ritte Französische Literatur in der DDR Bei einer Darstellung der Rezeption von Literatur in der DDR muss zuerst auf die damalige Grundbedingung kulturellen Lebens verwiesen werden, insbesondere auf die Tatsache, dass der Staat, gelenkt von der SED, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche, also auch die Kultur, in ihrer gesamten Entwicklung und in allen Einzelaspekten zu planen und zu steuern beanspruchte. Also unterstanden auch die Verlage einem dirigistischen Planungszentrum, der Hauptverwaltung Verlage, das in allen Publikationsfragen das entscheidende Wort hatte. Auch die verlegerischen Aufgaben wurden von oben verteilt: Die Übersetzung und Herausgabe zeitgenössischer fremdsprachiger Literatur, mithin auch der französischen, oblag in erster Linie dem Verlag Volk und Welt Berlin; des weiteren nahmen sich vor allem der Aufbau-Verlag Berlin und Weimar und der Reclam Verlag Leipzig der französischen Literatur, auch der des 18. und 19. Jahrhunderts, sowie der frankophonen Literatur an. Dabei galten in der Verlagspraxis der DDR generell andere Regeln als die der weltliterarischen Kanonbildung. Die Entscheidung, welche Literatur als bedeutend angesehen, übersetzt und also zugänglich gemacht wurde, war weitgehend von politischen Kriterien bestimmt; damit fielen - und dies gilt besonders für das 20. Jahrhundert - viele wichtige, ja unverzichtbare Autoren wie etwa *Albert Camus, Louis-Ferdinand Céline oder Georges Bernanos aus den Verlagsprogrammen heraus, während kleinere, politisch konforme Begabungen (Vladimir Pozner, André Stil, André Wurmser) überrepräsentiert waren. Bei dieser dirigistischen Auswahl nahm Frankreich jedoch unter den so genannten „kapitalistischen Ländern“ eine etwas begünstigte Stellung ein - vor allem, weil sich die offizielle DDR als Nachfolgerin der Französischen Revolution von 1789 und des antifaschistischen Widerstands im 20. Jahrhundert gerierte. Unter Berufung auf dieses emanzipatorische Potential konnten engagierte Literaturvermittler mitunter auch französische Autoren, die nicht in den zugelassenen Denkrahmen passten, zum Druck empfehlen. In Hinblick auf die französische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts ist die verlegerische Leistung der DDR-Verlage zu würdigen: Mit Berufung auf aufklärerisches Denken, in dessen Traditionslinie die DDR sich sah, und in massiver Hinwendung zum „bürgerlichen kritischen Realismus“ wurden die Großen dieser Jahrhunderte, also vor allem Voltaire, Diderot und Rousseau sowie Stendhal, Balzac, Flaubert und Zola, ausgiebig und in unterschiedlichster Form - von der kritischen Gesamtausgabe bis zur populären „Roman-Zeitung“ - zugänglich gemacht. Auch bei der Übersetzung und Herausgabe einiger französischer Autoren des 20. Jahrhunderts wie *Vercors und *Robert Merle nahmen die DDR-Verleger eine Vorreiterrolle gegenüber ihren westdeutschen Kollegen ein, während andere Autoren wie *Michel Tournier erst nach längeren internen Diskussionen auch in der DDR erscheinen konnten. Auf der einen Seite war die Publikationspolitik der DDR von Verzerrungen und Behinderungen geprägt, auf der anderen Seite gab es jedoch große gesellschaftliche Wirkungsmöglichkeiten für die Literatur. Letzteres zeigt sich bereits an einem eigentlich negativen Fakt: Die interessanten Publikationen waren bei ihrem Erscheinen sofort ausverkauft und fanden vermutlich, auf Grund der Weitergabe lesenswerter Bücher, einen weit über die Anzahl der Exemplare hinausgehenden Leserkreis. Auch sind hier die Sonderbedingungen eines geteilten Landes mit gleicher Sprache zu berücksichtigen: Die Rezeption französischer Literatur in der DDR beschränkte sich nicht auf die in der DDR übersetzten und verlegten Bücher, sondern wurde - für unterschiedliche soziale Schichten in unterschiedlich starken Maße - durch illegal importierte Bücher aus der Bundesrepublik Deutschland sowie durch die in Bibliotheken mehr oder weniger zugänglichen Exemplare ergänzt. Von beiden Möglichkeiten wurde in intellektuell interessierten Kreisen reger Gebrauch gemacht. Dies galt natürlich nicht nur für die französische, sondern für Literatur aus nicht zugänglichen Ländern generell. Denkanregungen aus Frankreich wie etwa die zentrale Frage des *Existentialismus nach der Gestaltbarkeit des eigenen Lebens erschienen besonders Französische Literatur in der DDR 252 F brisant und wurden dankbar aufgenommen; so erklärt der oppositionelle Schriftsteller Lutz Rathenow, dass die französische Literatur und Philosophie „das subkulturelle Intellektuellenmilieu der DDR überzeugt“ habe und *Jean-Paul Sartre und *Albert Camus „die oppositionellen Zirkel“ stärkten. Unter dem Stichwort „Literaturrezeption in der DDR“ ist die Rolle der verdienstvollen Vermittler, der Verlagslektoren der unteren und mittleren Ebene, hervorzuheben; sie haben, in Kooperation mit Gutachtern und Übersetzern (*Übersetzen/ Dolmetschen), entschieden und klug auf eine Öffnung und Erweiterung des Literatur-Horizonts der geschlossenen Gesellschaft DDR hingewirkt und damit einem stark motivierten Leserkreis bleibende Erlebnisse ermöglicht. Die personelle Besetzung der Verlage war erfreulich hoch; die Arbeit der Lektoren bestand, neben den organisatorischen Notwendigkeiten, in Recherche, gründlicher Lektüre und Beurteilung von Texten. Im Willen zur Horizonterweiterung wurden von ihnen, zumal was das heikle 20. Jahrhundert betraf, einige geeignete Strategien ins Werk gesetzt; so die sehr arbeitsintensive Erstellung von Anthologien, die erlaubten, durch Nennung der Namen mehr oder weniger suspekter Autoren und deren Vorstellung durch kürzere Texte den generellen Bannstrahl zu durchbrechen und womöglich ein separates Werk des gleichen Autors „nachzuschieben“. Als Beispiele seien eine zweibändige „Anthologie Französischer Erzähler aus sieben Jahrzehnten“ von 1983 angeführt, in der bisher gemiedene Autoren wie Jean Paulhan, Céline, Bernanos erstmals vertreten waren oder erst kürzlich und mühsam eingeführte Autoren wie *Sartre, *Camus, *Simone de Beauvoir und André Gide mit weiteren Texten vorgestellt wurden; des weiteren der Band „Französische Essays der Gegenwart“ von 1985, in dem umkämpfte, ja verleugnete Namen wie Roland Barthes, Jacques Lacan, *Michel Foucault, Jacques Derrida auftauchten. Da die Auflagenhöhe bei „problematischen“ Publikationen wie diesen stets gedrosselt wurde, kann die Rezeption nicht mit Verkaufsziffern belegt werden; Tatsache ist, dass hier wie in vielen anderen Fällen die Nachfrage das Angebot weit überstieg. Die Veröffentlichung von Autoren, denen ausdrückliche „sozialismus-feindliche“ Äußerungen und Handlungen zur Last gelegt wurden - Gide etwa für sein Sowjetunion-Buch oder *Camus für seine Unterstützung der ostdeutschen Revolte von 1953 - war vorerst ausgeschlossen und in späteren Jahren sehr erschwert. Neben solchen politischen Verhinderungsgründen gab es auch kulturelle; sie galten ganzen Strömungen, die unter dem Stigma des „Modernismus“ dem Verdikt verfielen: Surrealismus, absurdes Theater, Nouveau roman oder Strukturalismus. Zu nennen sind im Rahmen des Literaturimports zudem die schwierigen materiellen Rahmenbedingungen (Devisenprobleme, Schwierigkeiten bei der Bezahlung ausländischer Schriftsteller bzw. Verlage, Papierknappheit etc.). Politisches, auch kulturpolitisches Geschehen in der DDR war in den 40 Jahren ihres Bestehens jedoch weder unwandelbar noch monolithisch. Gerade in der Verlags-Aktivität traten im Laufe der Jahre erhebliche Veränderungen ein: Die Zunahme von Kontakten, die Aufweichung von Verboten, die auch von oben gewünschte Suche nach Bundesgenossen brachten ein Interessengemisch hervor, das nach und nach ein freieres Klima und damit die Veröffentlichung bisher von der Publikation ausgeschlossener Autoren und Werke ermöglichte. Bis zum Fall der Mauer wurde diese Entwicklung vom Lesepublikum interessiert verfolgt und dankbar honoriert. In grober Unterteilung lassen sich für die Rezeption französischer Literatur in der DDR - wie natürlich für die der Literatur aus „westlichen“ Ländern schlechthin - drei Perioden ausmachen: Als erstes die Jahre von der Gründung der DDR bis Mitte der 1960er Jahre, die von rigiden Verboten gekennzeichnet sind; in dieser Periode wich das Bild von französischer Literatur, das in der DDR bestand, am stärksten vom weltliterarischen Kanon ab. Die Jahre 1965 bis 1979 sind von beständigem und zuweilen erfolgreichem Kleinkampf um Horizonterweiterung, d.h. Aufnahme bisher indizierter Autoren in die Verlagsprogramme, gekennzeichnet. In den 1980er Jahren dann trat eine von oben widerwillig gewährte Öffnung ein; immerhin erklärte der Leiter der Hauptverwaltung Verlage damals: „Im Interesse des Verständnisses der Völker füreinander praktiziert die Deutsche Demokratische Republik Weltoffenheit nicht zuletzt als Aufgeschlossenheit für kulturelle Werte sowohl der eigenen als auch der anderen Welt. [...] Die Formen des geistigen Verkehrs werden von uns gepflegt [...] mit Österreich und der Schweiz, im weiteren mit Frankreich, Belgien usw.“ Französisches Theater in Deutschland F 253 Immer aber erforderte der Umgang mit Literatur aus dem westlichen Ausland ein strategisch kluges Vorgehen. Hier ist die nicht zu überschätzende Bedeutung von Nachworten hervorzuheben: Ein Nachwort war in allen drei Vermittlungsperioden französischer Literatur in der DDR beinahe conditio sine qua non für das Erscheinen eines Buches. Gleichzeitig mit hilfreichen Informationen über die Lebensumstände des Autors sollte es - zumal im Falle „problematischer“ Autoren - eine Leseanleitung in konformistischem Sinne liefern. Solch autoritäre Vorgaben unterliefen die Nachwortautoren im Zuge zunehmender Öffnung - immer auf einem schmalen Grat, um das Erscheinen des Buches nicht zu gefährden. Der Bestand an Nachschlagewerken zur französischen Literatur war begrenzt: Es gab das von dem tschechischen Romanisten Jan O. Fischer erarbeitete Werk „Französische Literatur im Überblick“, in deutscher Bearbeitung von *Rita Schober (Leipzig 1970 und 1977), das literarhistorische Grundtatbestände vermittelt und dabei der ideologischen Betrachtungsweise stark verhaftet ist; sodann das von *Manfred Naumann herausgegebene und von einem Forscherkollektiv erarbeitete „Lexikon der französischen Literatur“ (Leipzig 1987), das in Stichwortauswahl, Darstellung und Urteil einen erheblichen Fortschritt in Richtung einer differenzierten Vorgehensweise darstellt. Auch die beiden wichtigen Literaturzeitschriften der DDR, „Sinn und Form“ und „Weimarer Beiträge“, trugen zur Information des Lesepublikums der DDR über Entwicklungen in der französischen und frankophonen Literatur bei. Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis, Jedes Buch ein Abenteuer. Zensursystem und literarische Öffentlichkeiten in der DDR bis Ende der sechziger Jahre, Berlin 1998; Klaus Höpcke, Chancen der Literatur, Halle 1986; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949- 1990, Köln 2004; Danielle Risterucci-Roudnicky, France - R.D.A. Anatomie d’un transfert littéraire, Bern 1999; dies., Nausikaa. La réception de la littérature française en RDA (1945-1990). Une bibliographie de transfert, Paris 2010; Brigitte Sändig, Französische Kultur in der DDR - ein Widerstandspotential? , in: Véronique Liard, Marion George (Hg.), Spiegelungen - Brechungen. Frankreichbilder in deutschsprachigen Kulturkontexten, Berlin 2011, S. 367-383; Heinz-Dieter Tschörtner, 40 Jahre internationale Literatur. Bibliographie 1947-1986, Berlin 1987. Brigitte Sändig Französisches Theater in Deutschland Während die deutsche Theaterliteratur in Frankreich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum wahrgenommen wurde, hatten es französische Dramatiker im deutschsprachigen Raum traditionell leicht, Interesse bei Theatermachern und Publikum zu finden. Verschiedene Studien zum 19. sowie zu den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts belegen dies in anschaulicher Weise. Dabei wird in den Spielplananalysen häufig von einer Mangelthese ausgegangen, da viele der auf deutschen Bühnen erfolgreichen französischen Autoren aus dem Unterhaltungssektor stammen, d.h. einem Bereich, in dem das deutsche Theater nur wenig bekannte Autoren hervorgebracht hat. Diese Rezeptionshaltung änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht grundlegend, einige neue Strömungen kamen jedoch hinzu, die auf Interesse stießen. Die wichtigste aus Frankreich kommende Bewegung nach dem Krieg war zweifellos der *Existentialismus, der in der Bundesrepublik schnell zum Schlagwort avancierte und mehr als Mode denn philosophische Strömung verstanden wurde. So galten im deutschen Theater nicht nur *Jean-Paul Sartre und *Albert Camus als Existentialisten, sondern erstaunlicherweise auch Jean Anouilh und Jean Giraudoux. Das Interesse an *Jean-Paul Sartre war in den Nachkriegsjahren außerordentlich groß, ebbte zwischen 1950 und 1960 ab und erlebte schließlich in den 1960er Jahren eine Renaissance, die bis zum Beginn der 1970er Jahre anhielt. In der Gesamtstatistik der Jahre 1947 bis 1975 schaffte es Sartre hinter Molière (5. Platz) und Anouilh (8. Platz) immerhin auf den 13. Platz der meistgespielten Autoren. Die beliebtesten Stücke waren „Die ehrbare Dirne“, „Die schmutzigen Hände“ und „Hinter geschlossenen Türen“, die wenig später, im so genannten „Deutschen Herbst“ 1977, wie auch einige Stücke *Camus’, teilweise der politischen (Selbst-)Zensur der Theater zum Opfer fielen. Insgesamt erscheint die Präsenz *Sartres in den 1970er, 80er und 90er Jahren relativ konstant - mit leicht abnehmender Tendenz. In der Spielzeit 2001/ 2002 war er allerdings von der Liste der meistgespielten Autoren verschwunden. Im Vergleich zu *Sartre deutlich marginalisiert ist *Albert Camus, der zwischen 1947 und 1975 jedoch immerhin Platz 61 erreichte. Nach Französisches Theater in Deutschland 254 F den Skandalen von 1977 um Zensur und Selbstzensur der Stücke *Camus‘ - vor allem „Die Gerechten“ waren hiervon betroffen - ebbte das Interesse zunächst deutlich ab, bis Mitte der 1990er Jahre blieben die Aufführungszahlen indes relativ konstant. Auf den „falschen Existenzialisten“ Jean Giraudoux richtete sich das deutsche Interesse vor allem in der Nachkriegszeit - wenngleich im Vergleich zu Sartre und Camus deutlich weniger Inszenierungen verzeichnet wurden. Insgesamt kamen 17 Stücke von ihm auf deutschsprachigen Bühnen zur Aufführung; die bekanntesten sind „Amphitryon 38“ und „Die Irre von Chaillot“. In den 1960er Jahren sanken die Aufführungszahlen stark, in den 1980er und 90er Jahren fanden sich in der Regel lediglich ein bis zwei Giraudoux-Inszenierungen in einer Spielzeit. Ausgehend von der bereits erwähnten Mangelthese überrascht es nicht, dass ausgerechnet Jean Anouilh, laut Bernard Dort der bedeutendste Pariser Boulevardautor, bis in die 1970er Jahre der meistgespielte französische Autor der Nachkriegszeit in Deutschland war. In 18 Jahren wurden 13 131 Aufführungen von seinen Stücken verzeichnet. Ab 1968 ließ das Interesse jedoch deutlich nach. Wie Dieter Hadamczik vermutet, erzeugte die Euphorie offenbar eine übersteigerte Erwartungshaltung, der die Texte in der Realität nur selten standhielten; viele der neueren Stücke wurden enttäuscht vom Publikum abgelehnt und kaum noch nachinszeniert. An der Spitze stand im Zeitraum von 1947 bis 1972 „Antigone“ und „Einladung ins Schloss“, gefolgt von „Colombe“ und „Becket oder Die Ehre Gottes“. Während sich Anouilh 1981/ 82 hinter *Sartre immerhin noch auf Platz 26 der meistgespielten Autoren befand, hat er zu Beginn des 21. Jahrhunderts, anders als *Sartre und *Camus, seine Bedeutung indes völlig verloren. Neben den echten und den falschen Existentialisten entstammt die zweite große Gruppe der nach 1945 auf deutschen Bühnen häufig inszenierten französischen Dramatiker der Avantgardebewegung des Nouveau théâtre. Das größte Interesse wurde dabei *Eugène Ionesco entgegengebracht, der lange Zeit einer der wichtigsten Gegenwartsautoren des deutschen Theaters war. Die Statistik zeigt bis Mitte der 1970er Jahre ein relativ konstantes Interesse, das danach allerdings langsam abnimmt. In der Spielzeit 2001/ 2002 fiel Ionesco bundesweit zwar nicht mehr in die Kategorie eines viel gespielten Autors, blieb aber durchaus wahrnehmbar. Gegenläufig zum abflauenden Interesse am *Existentialismus nahm die Präsenz *Samuel Becketts auf deutschen Bühnen Anfang der 1970er Jahre hingegen deutlich zu: „Warten auf Godot“, „Das letzte Band“, „Endspiel“ und „Glückliche Tage“ wurden häufig gespielt. Während er 1981/ 82 nicht mehr unter den 50 meistgespielten Autoren zu finden war, stand er 1989/ 90 erneut auf Platz 27 und 2001/ 2002 auf Platz 43. Die höchsten Aufführungszahlen erreichte er 1990/ 91 und 1991/ 92 - ein Phänomen, das im Kontext von Mauerfall und Wiedervereinigung zu beurteilen ist, da auf ostdeutschen Bühnen von einigem Nachholbedarf in Sachen *Beckett ausgegangen werden kann. Zum eigentlichen Klassiker avancierte „Warten auf Godot“, ein Stück, das mehr noch als irgendein Text *Ionescos, Teil des deutschen Bildungskanons geworden ist. *Beckett nimmt innerhalb des deutschen Theaters aber auch insofern eine besondere Rolle ein, als er, unter anderem im Schiller- Theater in Berlin, seine Stücke z.T. selbst inszenierte. Allerdings fällt bei den Inszenierungen von *Beckett-Stücken die extrem große Differenz zwischen der Menge der Aufführungen und der geringen Anzahl an Besuchern auf. Solche Missverhältnisse deuten darauf, dass die Theater das eingeschränkte Interesse des Publikums bereits antizipieren und die Stücke entsprechend zumeist auf kleinen Studiobühnen zeigen. Andere französische Autoren aus dem Umkreis des Nouveau théâtre zeigten keine große Wirkung auf deutschen Bühnen. Von den Stücken Arthur Adamovs, der in Frankreich in den 1950er Jahren mit *Ionesco zu den Hauptvertretern des absurden Theaters gehörte, wurden bis 1975 nur zehn Inszenierungen verzeichnet, danach fand sich allein in der Spielzeit 1981/ 82 noch eine Inszenierung eines seiner Stücke. Ein vorübergehendes Modephänomen blieb auch der Spätsurrealist René de Obaldia, obwohl zwischen 1947 und 1975 immerhin 13 seiner Stücke aufgeführt wurden. Jacques Audibertis Rezeptionshöhepunkt ist Anfang der 1960er Jahre zu verorten; bis 1975 wurden Aufführungen von den Stücken „Der Lauf des Bösen“, „Quoat-Quoat“, „Die Zimmerwirtin“ und „Der Glapion-Effekt“ gemeldet. Mit 63-jähriger Verspätung entdeckte man 1959 „König Ubu“ von Alfred Jarry, ein Stück, das je- Französisches Theater in Deutschland F 255 doch zunächst auf kein nachhaltiges Interesse stieß und erst ab 1970 häufiger inszeniert wurde. Ähnliches gilt für Roger Vitrac (1899-1952), ein Freund Anouilhs, dessen bekanntestes Stück „Victor oder Die Kinder an der Macht“ in Deutschland auch noch heute in den Theaterstatistiken auftaucht. Bemerkenswert erscheint überdies, dass sich ein Autor wie *Jean Genet im bildungsbürgerlichen und angeblich schwerfälligen deutschen Stadttheatersystem so gut zu etablieren vermochte: Die Uraufführung von „Die Wände“ fand, lange vor der skandalträchtigen Inszenierung Roger Blins an dem damals von Jean-Louis Barrault geleiteten Odéon - Théâtre de France, 1961 in Deutschland in Berlin am Schlosspark-Theater statt. Das bei weitem populärste Stück Genets in den 1970er Jahren waren „Die Zofen“, eher selten gespielt wurden „Unter Aufsicht“, „Der Balkon“ und „Die Neger“. Auch nach 1980 war *Genet auf deutschen Bühnen präsent, wenngleich deutlich seltener; ein Anstieg ist indes (ähnlich wie bei *Beckett) am Anfang der 1990er Jahre festzustellen. Ob die Tatsache, dass es in Deutschland keinen mit der französischen Erstaufführung von den „Wänden“ vergleichbaren Skandal gab, tatsächlich, wie Arno Paul meint, als Gleichgültigkeit ausgelegt werden kann, mag dahin gestellt bleiben - zumal es wenig überraschend ist, dass das Thema des Algerienkriegs in Frankreich andere Reaktionen provozierte als in Deutschland. Insgesamt erscheint, trotz gewisser Reibungsverluste, die selbstverständliche Einverleibung *Genets in den deutschen Theaterapparat ebenso bemerkenswert wie die schnelle Aufnahme *Sartres, *Camus’, *Ionescos und *Becketts, ein Phänomen, das in dieser Form in Frankreich umgekehrt für *Bertolt Brecht, Thomas Bernhard und *Heiner Müller festzustellen ist. Anders als *Genet ist Jean Cocteau (1889- 1963), der zwischen 1945 und 1975 mit immerhin 18 Stücken in der deutschen Werkstatistik vertreten war, seit den 1990er Jahren von den deutschen Spielplänen fast gänzlich verschwunden. Ihren Höhepunkt erlebten die Aufführungen seiner Stücke 1952/ 53 und 1959/ 60 sowie nach seinem Tod 1963 bis 1965. In den 1980er Jahren verlor sich das Interesse dann so gut wie ganz; hin und wieder findet man vereinzelt eine Inszenierung. Von Paul Claudel, der in Frankreich 1941 durch Jean-Louis Barraults Inszenierung von „Le soulier de satin“ bekannt wurde, führte man in Deutschland zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 60er Jahre 13 Stücke auf, wobei „Der seidene Schuh“ das beliebteste Stück war. Ab 1969 geriet Claudel dann weitgehend ins Abseits, heute wird er kaum noch gespielt. Der 1924 geborene Armand Gatti wurde in Deutschland als Autor weniger rezipiert, als man angesichts seiner Präsenz in den Ausgaben von „Theater heute“ in den 1960er Jahren vermuten könnte. Wie Arno Paul meinte, wurde er, ähnlich wie Fernando Arrabal (geb. 1932) eine Zeitlang „ohne genaue Kenntnis idolisiert“. Aufmerksamkeit erregte u.a. Jacques Rosner 1963 mit seiner Inszenierung von „Das imaginäre Leben des Straßenkehrers Auguste G.“ an der Berliner *Schaubühne. Nach den deutschen Erstaufführungen stießen die Stücke auf kein großes Interesse mehr und wurden kaum nachinszeniert. Marcel Pagnol ist nach 1970 von den Spielplänen fast verschwunden. Jean Tardieu erlebte eine kurze Erfolgswelle zwischen 1958 und 1960; heute gilt er als vergessen. Während sich in Frankreich nach 1945 das erwachende Interesse für das deutschsprachige Theater nicht allein auf die zeitgenössische Dramatik beschränkte, sondern auch eine Entdeckung der deutschen Klassik sowie der so genannten klassischen Moderne nach sich zog, ließ das im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert starke Interesse an den klassischen französischen Autoren in Deutschland deutlich nach und transformierte sich mit der Zeit in eine regelrechte Ablehnung. Abgesehen von Molière, der nach wie vor eine herausragende Stellung auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum einnimmt, werden die beiden großen klassischen Autoren Pierre Corneille und Jean Baptiste Racine in Deutschland kaum gespielt. Begründet wird diese Ablehnung zuweilen mit Schillers Abneigung gegenüber Racine - eine Erklärung, die indes als äußerst zweifelhaft bezeichnet werden muss. Die Kritiker Georges Schlocker und C. Bernd Sucher sowie der Germanist Jean-Claude François wollen einen positiven Einfluss der „Bérénice“-Inszenierung *Klaus Michael Grübers 1986 an der Comédie- Française auf die Rezeption der französischen Klassiker in Deutschland feststellen, der sich langfristig betrachtet allerdings nicht nachweisen lässt. Deutlich beliebter in Deutschland ist Pierre Marivaux, insbesondere sein Stück „Das Französisches Theater in Deutschland 256 F Spiel von Liebe und Zufall“. Die große Ausnahme innerhalb der deutschen Rezeption französischer Dramatik stellt Molière dar. Seine Stücke kamen zwischen 1947 und 1975 immerhin (hinter *Brecht) auf den fünften Platz der meistgespielten Autoren. In den 1980er Jahren waren die Aufführungszahlen weiter steigend; am Ende der 1980er Jahre beginnt sich das Interesse stärker zu streuen: So verteilten sich insgesamt die Aufführungen in der Spielzeit 1989/ 90 auf 18 Stücke und 35 Inszenierungen; 2001/ 2002 befand sich Molière dann weit abgeschlagen auf Platz 10. Die zunehmende Diversität der Molière-Inszenierungen hinsichtlich der Stückwahl spiegelt einen allgemeinen Trend. Betrachtet man die aktuellen Theaterstatistiken, so fällt auf, dass die Zahl der Inszenierungen und Werke beständig steigt. Dies deutet einerseits auf ein allgemein abnehmendes Zuschauerinteresse, d.h. Inszenierungen werden weniger häufig gespielt, andererseits aber auch eine stärkere Hinwendung des Regisseurs zum Besonderen, beispielsweise zur Entdeckung eines unbekannten oder vergessenen Textes. Hinzu kommt aber sicherlich auch eine stärkere Notwendigkeit der Bühnen sich untereinander abzugrenzen. In Zeiten der Krise muss ein Theater auch über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dies zeigt sich vor allem im Hinblick auf die Uraufführungspolitik deutscher Theater nach der Jahrtausendwende, von der französische Autoren bisher allerdings kaum profitieren konnten. Das gilt auch für die neueren Autoren des sich nach 1945 im Kontext der décentralisation neu konstituierenden öffentlichen Theatersektors (*Deutsches Theater in Frankreich). Abgesehen von der bereits erwähnten kurzen Modewelle um Armand Gatti in den 1960er Jahren blieben Dramatiker wie Michel Vinaver, Jean-Claude Grumberg, Michel Deutsch, Jean-Pierre Wenzel, Jean-Christophe Bailly, Philippe Minyana, Enzo Cormann, Didier- Georges Gabily oder Valère Novarina ebenso unbekannt wie Nathalie Sarraute, Robert Pinget oder Marguerite Duras. Eine einsame Ausnahme stellt Bernard-Marie Koltès dar, der von *Patrice Chéreau entdeckt wurde. Seine Inszenierung „Dans la solitude des champs de coton“, die er 1987 auf den Berliner Festwochen präsentierte, bedeutete sowohl in Frankreich als auch in Deutschland den Durchbruch für Koltès. In neuerer Zeit kann die inzwischen in Berlin ansässige Marie N’Diaye hinzugefügt werden (*Französische Schriftsteller in Berlin), für deren Stücke sich seit einiger Zeit in Deutschland leises Interesse regt. Zum Teil mag sich das Desinteresse auch darin gründen, dass sich, abgesehen von *Patrice Chéreau, *Ariane Mnouchkine und, am Rande, *Jérôme Savary, französische Regisseure kaum in Deutschland behauptet haben. Die seltenen Gastinszenierungen der „typischen“ Vertreter des théâtre public , wie *Bernard Sobel, Jean-Pierre Vincent und *Jean Jourdheuil, *Daniel Benoin oder Bruno Bayen sind trotz ihres großen Interesses für deutsche Dramatik weitgehend unbeachtet geblieben. Umgekehrt der französische Regisseur Laurent Chetouane, der seit der Jahrtausendwende in Deutschland mit seinen Inszenierungen von sich reden macht, in Frankreich lange Zeit völlig unbekannt und ist erst seit wenigen Jahren mit seinen Choreographien gelegentlich auf Festivals zu Gast, so beispielsweise 2012 in Avignon.Im Gegensatz zu den anspruchsvollen Autoren war und ist das Interesse an französischen Unterhaltungsautoren nach wie vor groß - eine Tatsache, die in gewisser Weise die im Kontext der Rezeptionsgeschichte der französischen Dramatik häufig vertretene Mangelthese in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinüberrettet. Ein anschauliches Beispiel hierfür gibt Georges Feydeau, der zwischen 1947 und 1975 immerhin den 4. Platz bei den Unterhaltungsautoren einnahm. Ihren Höhepunkt erreicht die Feydeau-Rezeption in Deutschland 1971/ 72, danach ebbte das Interesse ab. Die große Beliebtheit des modernen französischen Boulevardtheaters in Deutschland spiegelt sich auch in der Rezeptionsgeschichte von „Die Kaktusblüte“ von Pierre Barillet und J. P. Grédy, die vor allem zwischen 1966 und 1970 zu sehen war. Ein interessantes Beispiel einer „deutschen“ Transformation eines französischen Boulevardautors gibt darüber hinaus das von Jean-Pierre Vincent und *Jean Jourdheuil am Ende der 1960er Jahre erst in Frankreich, dann am Schauspielhaus Bochum (unter der Intendanz von Peter Zadek) inszenierte Labiche-Stück „Das Sparschwein“, von dem *Peter Stein dann 1972 in einer Übersetzung von Botho Strauß unter Mitwirkung von *Jean Jourdheuil als Dramaturg eine neue Version an der Berliner *Schaubühne erstellte. Noch ein zweites Mal, wenngleich deutlich weniger elaboriert, Französischsprachige Schriftsteller in Berlin F 257 konnte die *Schaubühne als „Veredelungsinstanz“ für französische Unterhaltungsdramatiker fungieren: im Fall von Yasmina Reza, die seit der deutschen Erstaufführung von „Kunst“ 1995 unter der Regie von Felix Prader an der *Schaubühne zur eigentlichen französischen Starautorin auf deutschen Bühnen avanciert ist. In der Spielzeit 2001/ 2002 erreichte ihr Stück „Drei Mal Leben“ mit 26 Inszenierungen den ersten Platz der deutschen Theater-Hitliste: 668 Aufführungen und 115 657 Zuschauer wurden gemeldet. Ein weiterer Dramaturg, der die deutschen Bühnen mit eher unterhaltsamen, populären Stücken versorgt ist Éric-Emmanuel Schmitt (geb. 1960) - beispielsweise mit seinem Erfolgstück „Enigma“ aus dem Jahr 1996. Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Dieter Hadamczik, Dramatiker nach Epochen, in: ders., Jochen Schmidt, Werner Schulze-Reimpell, Was spielten die Theater, Köln 1978; Arno Paul, Momente des deutsch-französischen Theaterdialogs seit den siebziger Jahren, in: Willfried Floeck (Hg.), Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich. Tübingen 1989, S. 45-60; C. Bernd Sucher, „Macht kein politisches Theater, sondern macht es politisch“. Zur Rezeption französischer Dramatiker auf deutschen Bühnen, in: Wilfried Floeck (Hg.), Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich, Tübingen 1989, S. 73-79. Nicole Colin Französischsprachige Schriftsteller in Berlin Berlin zieht von den späteren 1920er Jahren bis 1933 als Ort, an dem neue Lebens- und Kunstformen erprobt werden, zahlreiche französische Intellektuelle und Schriftsteller an wie den Germanisten *Pierre Bertaux oder die Schriftsteller André Gide, René Crevel, Jean-Richard Bloch und René Trintzius. Aber erst nach 1989 wird Berlin zu einem wirklichen „Sehnsuchtsort“ und als dynamische Metropole mit bewegter Geschichte zu einem wichtigen Thema der frankophonen Gegenwartsliteratur. Schriftsteller und Intellektuelle kommen mit den unterschiedlichsten Erwartungen, Vorlieben, Sprachkenntnissen, Beziehungen und Zeitfenstern in diese Stadt. Einige von ihnen - Wilfried N’Sondé, Philippe Braz, Jean-Yves Cendrey, Marie N’Diaye, Hélène Bezençon, Oliver Rohe oder Alban Lefranc - leben in Berlin, andere wie etwa François Bon, Éric Faye, Michèle Métail, Christian Prigent, Julien Santoni, Jean-Philippe Toussaint oder Cécile Wajsbrot hielten sich dort für begrenzte Zeit auf, oft gefördert durch ein Stipendium des Künstlerprogramms des *DAAD. Wieder andere (so Cécile Wajsbrot) pendeln mittlerweile zwischen Berlin und Paris und betrachten Berlin als unverzichtbaren Fixpunkt ihres Lebens. Die ersten Reaktionen fallen unterschiedlich aus: „Berlin ist ein Nest toter Seelen“, befindet Christian Prigent 1999 bei seiner Rückkehr nach Berlin, einer Stadt, deren Ausmaße andere erschrecken: „Riesig, leer, mit Alleen so breit wie gestrandete Wale“ (Julien Santoni). Berlin kann Kulisse, aber auch Protagonistin, kann gegenwärtiger oder erinnerter Ort sein, kann als fiktionaler Raum vom Rand ins Zentrum rücken - und umgekehrt. Die Schriftsteller, deren Interesse dem zeitgenössischen Berlin gilt, nehmen die moderne Architektur, die Allgegenwart der Geschichte, die Gewalt - jene der Straßen, der sozialen Spannungen, der Sprache oder des Schweigens -, und zugleich die dieser Stadt eigene douceur wahr, d.h. die Lebensqualität und die zahlreichen Freiräume, die Berlin bietet. Paris ist ebenfalls präsent: als impliziter oder expliziter Gegenentwurf, aber nicht länger als das absolute Maß, an dem Berlin gemessen und als unterlegen eingestuft wird, wie dies in der älteren Berlinliteratur oft der Fall war. Insgesamt gehört diese neue Berlinliteratur zu den „Literaturen ohne festen Wohnsitz“ (Ottmar Ette) und trägt sprachlich-stilistisch wie inhaltlich Spuren dieses entre-deux . Eine formale Typologie könnte folgendermaßen aussehen: 1. Romane, Erzählungen: François Bons „Calvaire des chiens“ (1990); Kits Hilaires „Berlin dernière“ (1990) bzw. „Berlin, letzte Vorstellung. Abschied von Kreuzberg“ (1991); Jean-Philippe Toussaints „La télévision“ (1997) bzw. „Fernsehen“ (2001); Louis-Bernard Robitailles „Le Zoo de Berlin“ (1999); Régine Robins „La chiffonnière de la rue Rosa-Luxemburg“ (2000) bzw. „Berlin. Gedächtnis einer Stadt“ (2002); Arnaud Cathrines „Exercices de deuil“ (2004); Noémi Lefebvres „L’autoportrait bleu“ (2009); Cécile Wajsbrots „Caspar Friedrich Strasse“ (2002) bzw. „Mann und Frau den Mond betrachtend“ (2003), „Fugue“ (2004) und „L’Ile aux musées“ (2008); Julien Santonis „Berlin trafic“ (2007); Anne Wiazemskis „Mon enfant de Berlin“ (2009) bzw. „Mein Berliner Kind“ (2010); Jean- Französischsprachige Schriftsteller in Berlin 258 F Yves Cendreys „Honecker 21“ (2009) und „Mélancolie vandale. Roman rose“ (2011); Matthieu Trautmanns „Six mois, dix ans et un jour (2012)“. 2. Essais, Reiseberichte, Reportagen: „Ombres berlinoises. Voyage dans une autre Allemagne“ (1996) von Emmanuel Terray, „Berlin carnets d’amour et de haine“ (2002) von Serge Mouraret, „Berlin deux temps trois mouvements“ (1999) von Christian Prigent, „Berliner Ensemble“ (2007/ 08) von Cécile Wajsbrot und „Mémoire pendant les travaux“ (2008) von Hélène Bezençon. 3. Hybride Formen: François Bons „Berlin, l’île sans mur“ (1991); Sophie Calles „Souvenirs de Berlin Est“ (1999); Michèle Métails „Toponyme: berlin. Dédale - Cadastre - Jumelage - Panorama“ (2002); Philippe Braz‘ „Berlin-loin-de-la-mer“ (2007) oder Marie N’Diayes „Y penser sans cesse - Unablässig daran denken“ (2011). 4. Pamphlete oder Romane mit Pamphlet-Charakter: Jean-Yves Cendreys „Oublier Berlin“ (1994) und Julien Santonis „Berlin trafic“ (2007). Diese oft fragmentarischen, zuweilen experimentellen Texte, bei denen kurze, offene Formen dominieren, gehen auf unterschiedliche Wahrnehmungen der Stadt zurück, innerhalb derer kritische Stimmen nicht fehlen, wie z.B. in Jean-Yves Cendreys „Oublier Berlin“. Die neuere Literatur reflektiert vor allem die zunehmende Gentrifizierung und ihre Folgen, aber auch die Brüche und Verluste beim Übergang von der Vorzur Nachwendezeit. *Wim Wenders‘ „Der Himmel über Berlin“ (1987) hat die literarischen Berlinbilder stark beeinflusst, aber der Mehrzahl der Texte liegt ein dichtes kulturelles und historisches Substrat zugrunde, das auf das zum Mythos geronnene Berlin der Weimarer Republik, auf *Brecht und *Döblin, Walter Benjamin und Franz Hessel, Marlene Dietrich und „Der blaue Engel“ oder auf Walter Ruttmanns „Berlin - Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) verweist. In Noémi Lefebvres „Autoportrait bleu“ geraten mit Schönberg die Musik und Kunsttheorie der Moderne ins Blickfeld. Eine solche Gegenwart des Berlins der 20er und 30er ist nicht zuletzt kulturellen Mittlern wie Jean-Michel Palmier und Lionel Richard zu verdanken. In den Handlungs- und Personenkonstellationen wird die Geschichte, zumal die neuere deutsche Geschichte, eher selten zu einem zentralen Element, wie z.B. zuerst in Cécile Wajsbrots „Caspar Friedrich Straße“ und bei Christian Prigent, später in Jean-Yves Cendreys „Mélancolie vandale“. Schattenhaft, als moderne Gespenster und Wiedergänger, überleben Symbolfiguren und Embleme der DDR, so bei Emmanuel Terray und Sophie Calle. Einige Werke imaginieren von einem Gegenwartsstandpunkt aus ein historisches Berlin, wie z.B. in Anne Wiazemskis Roman „Mon enfant de Berlin“, der auf die Jahre unmittelbar nach 1945 zurückblendet. Dagegen fällt in Kits Hilaires „Berlin dernière“ die historische Zäsur des Mauerfalls mit einem tiefen Einschnitt im Leben der jugendlichen Protagonistin und Wahl-Kreuzbergerin aus der France profonde zusammen. Es gibt einige immer wiederkehrende thematische Konstanten. So ist in Erzähltexten wie „Exercices de deuil“ von Arnaud Cathrine, „Fugue“ und „L’Île aux Musées“ von Cécile Wajsbrot oder in „Berlin trafic“ von Julien Santoni der Aufbruch nach Berlin die Antwort auf eine Lebens- und Identitätskrise, oft verursacht durch den Verlust, das Verschwinden eines geliebten Menschen. Die Thematik von Verlust und Verschwinden verbindet sich häufig mit der allgegenwärtigen Geschichte dieser Stadt, eine Geschichte, die physisch über Orte und Objekte erfahrbar wird. Im Hinblick auf die Topographien lässt sich eine Vorliebe für den Osten der Stadt, vor allem für Prenzlauer Berg feststellen. Bei einigen Autoren allerdings (so bei Serge Mouraret, Régine Robin, Hélène Bezençon, Julien Santoni) hat sich bereits eine gewisse Ernüchterung und zunehmende kritische Haltung angesichts der Gentrifizierung und Entpolitisierung großer Teile Berlins eingestellt. Andere, so Marie N’Diaye, Jean-Yves Cendrey in „Honecker 21“ sowie weitgehend Jean- Philippe Toussaint in „La Télévision“, beschränken sich dagegen bewusst auf das alte Westberlin. Ein Beispiel dafür, wie die Stadt in Text verwandelt wird, gibt François Bon, der sich in „Berlin, l’île sans mur“ auf die Suche nach den „images qui signent une ville“ macht und eine Stadt ohne Hierarchien darstellt, eine Metropole in Form einer Insel, über der die Geister von Kleist und Kafka zu schweben scheinen. In Christian Prigents „Berlin deux temps trois mouvements“, einem poetischen, „einer Berliner Radfahrerin“ gewidmeten Prosatext, der von einer Berlinreise 10 Jahre nach dem Mauerfall erzählt, verbinden sich Stimmen der Gegenwart mit denen der Ver- Französischunterricht in Deutschland F 259 gangenheit. Eine extrem schnelle Prosa übersetzt die Bewegungen des Beobachters durch die Stadt, im Auto oder auf dem Fahrrad, von West nach Ost, wobei immer wieder Bilder des heutigen Berlin von historischen und kulturellen Reminiszenzen überlagert werden. Die neunzehn Skizzen des „Berliner Ensemble“, die Cécile Wajsbrot von 2007 bis 2008 während ihres Berlinaufenthalts auf „remue.net“ veröffentlichte, knüpfen an die Tradition der urbanen flânerie an. Die Spiele des Zufalls spiegeln sich in der Vielfalt oft flüchtiger Impressionen: ein Café an der Kantstraße und seine enigmatischen Gäste, vergessene Statuen in Kreuzberg, die Eröffnung eines Einkaufszentrums am Alexanderplatz, eine Gedenktafel für Mascha Kaléko in der Bleibtreustraße. Julien Santonis Roman „Berlin trafic“ (wie auch Arnaud Cathrines „Exercices de deuil“ und Noémi Lefebvres „L’autoportrait bleu“) zeigt die Präsenz einer neuen Generation und ihrer Themen in den Diskursen über Berlin. Jérôme Salviati, Santonis bisexueller Protagonist und postmoderner Dandy, verlässt Paris, um als Schauspieler an der Volksbühne mit Franck Biberpelz (alias Frank Castorf) zu arbeiten und führt das Leben eines melancholischen jungen Bohemiens zwischen Ost- und Westberlin, zwischen Drogen, Kunst und Homosexualität. Marie N’Diayes zweisprachig veröffentlichtes schmales Buch „Y penser sans cesse - Unablässig daran denken“ mit acht Photographien von Denis Cointe, die Stadtlandschaften und gespensterähnliche Menschen in der S-Bahn zeigen, ist ein Prosapoem in der Tradition Marina Zwetajewas. Die Dialoge evozieren sowohl „Berlin la rude“ als auch „Berlin, l’aimable“, kreisen um die Stolpersteine vor einem Haus in Charlottenburg und konfrontieren die Gegenwart des Monats August 2008 mit der Vergangenheit der Deportation im August 1943. Die gegenwärtige frankophone Literatur über Berlin entwirft vielfältige, in ständigem Wandel begriffene Bilder - Momentaufnahmen - einer Stadt, die in sich viele Städte vereinigt und in der Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander bestehen, eine Stadt, deren Gegenwart eine Zukunft mit noch unscharfen Konturen in sich trägt. Berlin mémoires. Les Temps modernes 625 (août-novembre 2003); Roswitha Böhm, Margarete Zimmermann (Hg.), Du silence à la voix. Studien zum Werk von Cécile Wajsbrot, Göttingen 2010; Katja Erler, Deutschlandbilder in der französischen Literatur nach dem Fall der Berliner Mauer, Berlin 2004; Ottmar Ette, ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz, Berlin 2005; Boris Grésillon, Berlin, métropole culturelle, Paris 2002 (Kulturmetropole Berlin, Berlin 2004); Susanne Ledanff, Hauptstadtphantasien. Berliner Stadtlektüren in der Gegenwartsliteratur 1989-2008, Bielefeld 2009; Jean-Michel Palmier, Retour à Berlin, Paris 1989; Régine Robin, Berlin chantiers. Essais sur les passés fragiles, Paris 2001; Margarete Zimmermann (Hg.), „Ach, wie gût schmeckt mir Berlin“. Französische Passanten im Berlin der zwanziger und der frühen dreißiger Jahre, Berlin 2010. Margarete Zimmermann Französischunterricht in Deutschland An den allgemeinbildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland nimmt der Französischunterricht eine besondere Stellung unter den Fremdsprachen ein, weil sich Deutschland und Frankreich im Rahmen zahlreicher Abkommen gegenseitig verpflichtet haben, den Unterricht in der Partnersprache im besonderem Maße zu fördern und somit auch die Zahl der deutschen Schülerinnen und Schüler, die Französisch lernen, zu erhöhen. Grundlegend ist das *Deutsch- Französische Kulturabkommen vom 23.10.1954 sowie der *Élysée-Vertrag vom 22.1.1963. Beide wurden im Laufe der Zeit durch eine Reihe wieterer gemeinsamer Vereinbarungen und Abkommen konkretisiert und präzisiert. Für die französische Politik ist die Sprache das entscheidende Medium zum Transport der französischen Kultur. Auf internationaler Ebene war Frankreich immer um die Stellung der französischen Sprache bemüht, so auch um die Wiedereinrichtung des Französischunterrichts in Deutschland nach 1945. Nachdem im Nationalsozialismus die Sprachenfolge vereinheitlicht und Französisch als Sprache des „Erbfeindes“ (*Erbfeindschaft) zunehmend marginalisiert wurde bzw. aus dem Fächerkanon verschwand, sollte im Nachkriegsdeutschland die Vielfalt der Fremdsprachen an die Sekundarschulen zurückkehren. Zunächst förderte jede Besatzungsmacht aus politischen und wirtschaftlichen Gründen die eigene Sprache. Französisch wurde nur in der französischen Besatzungszone sowie im Saarland als erste Fremdsprache etabliert, was aber bereits ab 1947 in Folge der Etablierung der Kulturhoheit der Länder in Frage gestellt wurde. Ab 1955, auf Grundlage des Düsseldorfer Abkommens, verstärkten die Ministerpräsidenten der Bundesländer die Position des Englischen als Französischunterricht in Deutschland 260 F erste lebende Fremdsprache zunehmend mit dem Ziel der Harmonisierung des deutschen Bildungswesens. Damit agierten sie im Widerspruch zum *Deutsch-Französischen Kulturabkommen, welches zu diesem Zeitpunkt noch nicht ratifiziert worden war. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder sahen die Kultusminister die transnationalen Abkommen zwischen den beiden Nachbarländern als nicht bindend an. Die französische Regierung versuchte dagegen anzusteuern, besonders weil es 1955 in Folge des Düsseldorfer Abkommens zu einem großen Aufschrei in der französischen Öffentlichkeit kam. Deshalb wurde der Französischunterricht im *Élysée- Vertrag erneut aufgenommen und von französischer Seite insistiert, dass jeder deutsche Schüler die Möglichkeit haben müsse, Französisch als erste Fremdsprache zu lernen. In der Endversion des Vertrages fand diese Bemühung allerdings keinen Eingang und wurde durch eine sehr neutrale Formulierung ersetzt. Im Hamburger Abkommen vom 28.10.1964 wurde dann Englisch als erste Fremdsprache bundesweit festgeschrieben. Im konkreten Schulalltag ging die Zahl der Französischlerner bis in die 1970er Jahre zugunsten der englischen Sprache zurück, welche sich zunehmend als lingua franca etablierte. In der weiteren Folge entfaltete sich zunehmend auch der Spanischunterricht an deutschen Schulen. Ferner zählt Latein als „lebende“ Fremdsprache und steht so ebenfalls in Konkurrenz zum Französischunterricht. In der DDR nahm die Fremdsprache Französisch in der Schulausbildung eine äußert marginale Rolle ein. Dort war ab 1948/ 50 Russisch als erste Fremdsprache ab Klasse 5 verpflichtend. Etwa zehn Jahre später gab es ab Klasse 7 die Möglichkeit, Englisch oder Französisch als fakultative zweite Fremdsprache zu wählen. Während die Nachfrage nach Englisch stets stieg, blieb sie für Französisch gleichbleibend gering und erreichte nie mehr als 5 % der gesamten Schülerschaft der DDR. Auch hier versuchten die französischen Behörden zu intervenieren, besaßen aber noch weniger Einflussmöglichkeiten als in der BRD. Nach der Wiedervereinigung erlebte der Fremdsprachenunterricht in den ostdeutschen Bundesländern einen großen Wandel. Englisch etablierte sich flächendeckend als erste Fremdsprache, und Französisch wurde überwiegend als zweite Fremdsprache (neben Latein oder Russisch) unterrichtet. Gegenwärtig kann Französisch in allen Bundesländern als reguläre Fremdsprache sowie in Form des bilingualen Sachfachunterrichts erworben werden. Neben Regelangeboten kann die Sprache auch als fakultatives Fach gewählt werden. Die französische Sprache wird sowohl im Primarwie im Sekundarbereich unterrichtet. Im Primarbereich wird sie in Klasse 3 und 4 entweder als Pflichtfach (Saarland und in der sogenannten Rheinschiene in Baden-Württemberg), als Alternative zu Englisch (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen) oder ergänzend zur Pflichtfremdsprache Französisch angeboten. Im Sekundarbereich kann Französisch als erste, zweite oder dritte Fremdsprache gewählt werden und ist nach Englisch, in manchen Ländern neben Englisch, das wichtigste Fremdsprachenangebot. In den meisten Fällen wird die Sprache ab der Klassenstufe 6 oder 7 als zweite Fremdsprache gelehrt und gelernt. In regionaler Nähe zu Frankreich wird Französisch auch verstärkt als erste oder zweite Fremdsprache ab Klasse 5 unterrichtet. Im Sekundarbereich II findet der Französischunterricht in Form von Grund- oder Leistungskursen bzw. in Kursen auf grundlegenden oder erhöhten Anforderungsniveau statt. Ferner wird die Sprache teilweise auch als neu einsetzende Fremdsprache angeboten. Im Schuljahr 2011/ 12 lernten 18,82 % aller Schüler Französisch an allgemein bildenden Schulen. An den Gymnasien lernten 41 % der Schülerinnen und Schüler Französisch, mehr als 21 % von ihnen bis zum Abitur. Im Rahmen der bilingualen deutsch-französischen Unterrichtsangebote wird der Sachfachunterricht auf Französisch in einzelnen Grundschulen (in Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- Pfalz und im Saarland) durchgeführt. Eine besondere Rolle spielt der Französischunterricht an den deutsch-französischen Grundschulen, die den *Deutsch-Französischen Gymnasien in Saarbrücken und Freiburg vorgeschaltet sind. In den verschiedenen Modellen in der Sekundarstufe I und II findet ebenfalls bilingualer Sachfachunterricht statt und kann an ausgewählten Gymnasien bis zum gleichzeitigen Erwerb der allgemeinen Hochschulreife und des baccalauréat , dem *AbiBac, Frauenbewegung F 261 führen. Aber auch das europäische Exzellenzlabel CertiLingua für mehrsprachige, europäische und internationale Kompetenzen erfreut sich zunehmender Beliebtheit (u.a. durch den Einzug bilingualer Angebot mit Französisch als Arbeitssprache) und führt zu steigenden Lernerzahlen für Französisch in der Sekundarstufe II. Eine neue Initiative ging im Januar 2014 vom Saarland aus, das Französisch bis 2043 neben der deutschen Sprache zur Verkehrs- und Umgangssprache machen will. Als eine Art „Alleinstellungsmerkmal“ will das Saarland damit zu einer besonderen Brücke zwischen den beiden Ländern werden. Zu diesem Zweck soll das Französische verstärkt bereits in Kitas und Grundschulen vermittelt und unterrichtet werden, sodass es auch für die zukünftigen Lehrkräfte gilt, besondere Kenntnisse der französischen Kultur und Sprache zu erwerben. Gleichzeitig wird das bilinguale Lernen an den Grundschulen ausgebaut, um schließlich flächendeckend eine in Deutschland einzigartige „Frankreich-Kompetenz“ zu erreichen. Im gesamten Bundesgebiet gibt es zahlreiche Initiativen und Projekte mit Bezug auf den *Élysée-Vertrag, die die Förderung des Erlernens von Französisch zum Ziel haben. Dazu gehören Französischzertifikate wie das DELF-/ DALF- Diplom, der Bundeswettbewerb Fremdsprachen, der Prix des lycéens allemands oder das Musikprojekt Francomusique . Ebenfalls zu nennen sind der Internetteamwettbewerb zum Deutsch-Französischen Tag am 22. Januar, der Comicwettbewerb Francomics oder das fächerübergreifende Projekt MIX’ART Deutschland-Frankreich. Auch das Wanderfilmfestival Cinéfête sowie das Projekt *FranceMobil wollen zur Attraktivität des Fachs Französisch in der Schule beitragen. Verschiedene Vereine und Arbeitsgemeinschaften setzen sich ebenfalls für die Förderung der französischen Sprache im Schulkontext ein: die *Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer, die Bundesarbeitsgemeinschaft Französisch e.V., die AG Franz-Biling (=Arbeitsgemeinschaft für Gymnasien mit bilingual deutsch-französischem Zug in Deutschland) sowie der VFbil (=Verein zur Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Rahmen des Französischunterrichts und der bilingualen deutschfranzösischen Bildungsgänge an weiterführenden Schulen des allgemein bildenden Schulwesens in der Bundesrepublik Deutschland). Im Rahmen des Französischunterrichts wird gegenwertig dem lernerorientierten, kommunikativen Ansatz eine große Bedeutung beigemessen. Aber auch die Interkulturalität nimmt einen wichtigen Platz ein, besonders im Rahmen von Schüleraustauschen. Dazu zählen Begegnungen am Ort des Partners, Drittortbegegnungen, Motivationsprogramme, Individualschüleraustausche sowie „klassische“ Schulpartnerschaften. Für all diese Projekte und Programme erfahren die Französischlehrer umfangreiche Unterstützung vom *DFJW sowie anderen Partnerinstitutionen wie dem Pädagogischen Austauschdienst (PAD) oder dem EU- Programm Comenius. In der Großraumregion SaarLorLux existiert zudem die Möglichkeit des Einzelschüleraustauschs im Rahmen des Schuman-Programms. Auch auf Ebene des Lehreraustausches gibt es zahlreiche Programme für die Französischlehrer, die u.a. vom PAD gefördert werden. Ansbert Baumann, Ein kritischer Zwischenruf zur deutsch-französischen Kulturpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1-3 (2013), S. 48-54; Ulrike C. Lange, Le français est fort! - Vorwort der Bundesvorsitzenden der VdF, in: Festschrift der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer e.V. zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages Französisch heute in Deutschland: zu den Früchten des Elysée-Vertrages für den Französischunterricht, hg. von der Vereinigung der Französischlehrerinnen und lehrer e.V., Stuttgart 2013, S. 12f.; Ulrich Pfeil, Französischunterricht in der DDR, in: Stefan Fisch u.a. (Hg.), Lernen und Lehren in Frankreich und Deutschland. Apprendre et enseigner en Allemagne et en France, Stuttgart 2007, S. 119-141; Zur Situation des Französischunterrichts an den allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland i.d.F. vom 5.6.2013, Berlin 2013, hg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Franziska Flucke Frauenbewegung Die Geschichte der Frauen in Frankreich und in Deutschland besitzt jeweils spezifische Eigenheiten. Auf der deutschen Seite handelt es sich um eine äußerst problematische, durch eine vier Jahrzehnte dauernde Teilung charakterisierte Entwicklung, die auf der französischen Seite ver- Frauenbewegung 262 F spätet einsetzt und fest im politischen Klima der Nachkriegszeit verankert ist. Im Jahre 1945 hatten die deutschen Frauen, denen 1918 das allgemeine Wahlrecht zuerkannt worden war, zwölf Jahre NS-Herrschaft hinter sich. Sie fanden sich in einem in vier Besatzungszonen geteilten, international geächteten Land wieder, waren von unterschiedlichsten Lebenserfahrungen geprägt und mussten die ganze Last des alltäglichen Überlebenskampfes tragen. Nachdem in Frankreich das Vichy-Regime zwischen 1940 und 1944 travail - famille - patrie proklamiert hatte, wurde den französischen Frauen das Wahlrecht am 21.4.1944 vom Comité français de la Libération nationale zugestanden, sodass sie es erstmals bei den Kommunalwahlen am 29.4.1945 in Anspruch nehmen konnten; in der Präambel der neuen Verfassung (1946) wurde zudem die Anerkennung gleicher Rechte von Männern und Frauen festgeschrieben. Die DDR machte sich ihrerseits die Gleichstellung der Frau in Arbeit, Familie und bei der Entlohnung zur Aufgabe. In den folgenden zwei Jahrzehnten (1945- 1965) stand die Sache der Frauen nicht auf der Tagesordnung. In der DDR galt das Problem als offiziell gelöst und die Frauen waren gehalten, am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. In Westdeutschland zeugten die Adenauer-Jahre, sieht man vom Gleichstellungsgesetz aus dem Jahre 1954 einmal ab, von einer Männer-Politik, die im öffentlichen wie privaten Leben gleichermaßen konservativ blieb. Immerhin hatte sich 1949 der Deutsche Frauenrat etabliert, der 47 Organisationen bündelte und an die frühen Frauenbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts anzuknüpfen versuchte. In Frankreich bewegte sich, sieht man von den frauenfeindlichen Kommentaren zu Simone de Beauvoirs „Deuxième Sexe“ (1949) einmal ab, so gut wie nichts - bis 1965 die Gleichberechtigung von Mann und Frau durch eine Änderung des code civil anerkannt wurde, die verheiratete Frauen dazu berechtigt, ohne Erlaubnis ihres Ehemannes einen Beruf auszuüben, ihr persönliches Vermögen selbstständig zu verwalten und ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Erst 1967 manifestierte sich ein neuer Aufbruch aus einer Randgruppe der Berliner Studentenbewegung, des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), deren weibliche Mitstreiterinnen sich darüber empörten, dass ihre männlichen Kameraden sich bei aller öffentlicher Bekundung der Gleichheitsprinzipien privat weiterhin machohaft verhielten. Von der nordamerikanischen Frauenbewegung inspiriert, machten diese wenigen, aber umso aktiveren Frauen durch zahlreiche, originelle Aktionen auf sich aufmerksam. Sie gründeten 1968 den Aktionsrat für die Befreiung der Frau und forderten 1969 auf dem Kongress des SDS in Hannover das Ende der patriarchalischen Gesellschaft. Die Bewegung gewann sehr schnell an Umfang und konzentrierte sich zunehmend auf die Frage der Abtreibung. Es folgte eine breite Kampagne gegen den Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches, der die Schwangerschaftsunterbrechung unter drakonische Strafen stellte, in der sich 374 Frauen öffentlich im Magazin „Stern“ dazu bekannten, abgetrieben zu haben (*Alice Schwarzer). Im Jahre 1974 verabschiedete der Bundestag eine Liberalisierung der Abtreibungsparagraphen, die kurz darauf im Jahre 1975 durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rückgängig gemacht wurde. Ab Mitte der 1970er Jahre zog sich die Frauenbewegung in Westdeutschland zunehmend auf sich selbst zurück, bildete geschlossene Gruppen, die zugleich mit der Praxis des self-consciousness-raising den Feminismus als eine neue Lebensform jenseits aller politischer Aktion zu bestimmen suchte. Bis in die 1980er Jahre hinein bildeten Gruppenanalyse, feministische Therapie und die Schaffung von Aufnahmezentren den zentralen Aufgabenbereich der Frauenbewegung in der BRD. Zahlreiche Projekte entstanden zudem im verlegerischen und kulturellen Bereich wie die 1977 von *Alice Schwarzer gegründete Zeitschrift „EMMA“. An einigen Universitäten (vornehmlich in West-Berlin und Bielefeld) und in großen Forschungseinrichtungen (wie der DFG) fand die „Frauenforschung“ als eigene, neue Disziplin Eingang. Aber die Vielzahl dieser Vorhaben und ihr bewusst unpolitischer Charakter führten zu einer Zersplitterung der Frauenbewegung in zahlreiche kleine Strömungen. Die einen propagierten die Überlegenheit der Frau in Form eines „Weiblichkeitsmythos“ und fielen dabei bisweilen einem regelrechten Spiritismus anheim, die anderen wandten sich unter dem Vorzeichen einer „Neuen Mütterlichkeit“ mit dem Schlagwort „die Kinderfrage wird zur Frauenfrage“ der Mutterschaft als einziger Quelle fraulicher Selbstwerdung zu . Mit der zunehmenden Institutiona- Frauenbewegung F 263 lisierung (Gründung des Instituts Frau und Gesellschaft (IFG) 1981 und des Feministischen Interdisziplinären Forschungsinstituts (FIF) 1983 entfernte sich die westdeutsche Frauenbewegung immer mehr von der politischen Aktion. Sie beteiligte sich jetzt intensiv an internationalen Manifestationen wie dem Jahr der Frau oder dem Weltkongress der Frauen in Mexiko (1975), Nairobi (1985) und Peking (1995). In der alten Bundesrepublik gab es keine Ministerialstelle, die sich der Rechte der Frauen annahm; erst nach der Wiedervereinigung wurde ein Ministerium für Frauen und Jugend (BM-FJ) eingerichtet. In Frankreich trat die Frauenbewegung in einen deutlich direkteren Kontakt zu ihrer politischen Umwelt und stellte diese recht brutal in Frage. Einige Frauen, die Anfang der 1960er Jahre ihre ersten Erfahrungen im planning familial im Kampf für das Recht auf Empfängnisverhütung und Abtreibung gesammelt hatten, setzten das Frauenthema 1968 auf die Tagesordnung der Debatten in der besetzten Sorbonne oder in der neuen Université de Vincennes. 1970 erschien die Zeitschrift „Partisans“ mit dem Titel „Libération des femmes année zéro“. Die Kampagne für das Recht auf Abtreibung führte zum „Manifest der 343“, das im „Nouvel Observateur“ veröffentlicht wurde und die deutschen Frauen zu ihrer Aktion inspirierte (*Alice Schwarzer). Zudem legten die Aktivistinnen einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe zu Ehren „des Unbekanntesten unter allen unbekannten Soldaten, seiner Frau“ nieder. Trotzdem weigerte sich das Mouvement de libération des femmes (MLF), sich als Organisation zu formieren. Einige Gruppierungen identifizierten den Kampf der Frauen als Klassenkampf und fordern die Kooperation mit den linken Parteien und Gewerkschaften um einen féminisme autogestionnaire durchzusetzen. Die Strömungen bekämpfen sich z.T. heftig untereinander: radikale Feministinnen (um Monique Wittig), die sich besonders für Lesben- und Queer-Fragen einsetzten, gegen reformistische Frauenrechtlerinnen (unterstützt von Simone de Beauvoir) in der Ligue du droit international des femmes und anderen Vereinigungen wie SOS femmes violées . Um Antoinette Fouque, der Begründerin der Éditions des femmes (1973), entstand die Gruppe Psychanalyse et Politique (PsyetPo), die 1979 zum Nachteil der ganzen Bewegung versuchte, sich das Zeichen des MLF anzueignen. Wenn man einmal von einigen Zentren feministischer Studien wie in den Universitäten Paris 7, Paris 8 oder Toulouse-le-Mirail absieht (in Toulouse wurde 1982 ein Kolloquium zur Frage „Femmes, féminisme et recherche“ veranstaltet und zwischen 1984 und 1989 mit Unterstützung des CNRS das Forschungsprogramm Recherches sur les femmes et recherches féministes durchgeführt), so wird in Frankreich der Kampf der Frauen eher auf der politischen als auf der institutionellen Ebene geführt. Er hat konkrete Erfolge erreicht: das Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung vom Januar 1975 (Loi Veil) das 1979 definitiv in Kraft trat, das Gesetz über die Verfolgung der Vergewaltigung oder die Schaffung eines Secrétariat d’État à la condition féminine unter der Leitung von Françoise Giroud 1974 und eines Ministère des droits de la femme 1981 unter Yvette Roudy. Bei näherer Betrachtung bildeten die 1970er Jahre mit ihren zentralen Fragen - weibliche Sexualität, Geschlechterbeziehungen, Unterdrückung und Gewalt gegenüber Frauen - und Forderungen - Recht auf Empfängnisverhütung und Abtreibung („Mein Bauch gehört mir“) - den eigentlichen Berührungspunkt zwischen der Frauenbewegung in Frankreich und in Deutschland. In Frankreich, das - infolge seiner positiven Demographie - über seit langem gut funktionierende Strukturen für die Aufnahme von Kleinkindern sowie ein fortschrittliches Abtreibungsgesetz verfügte, hatten die Frauen ab 1981 dank einer linken Regierungsmehrheit, die der Frauenfrage größere Aufmerksamkeit schenkte, nunmehr eine direkte Vertretung in der Regierung. In der Bundesrepublik dagegen ging die Entwicklung in die Richtung einer sozialen Integration der Frau in die Arbeitswelt und, damit verbunden, in die höheren Positionen der Gesellschaft. *Alice Schwarzer, die in den 1960er Jahren in Paris die Entwicklung des MLF aufmerksam verfolgt hatte, notierte diesen Trend in ihrer Autobiographie „Lebenslauf“ ( 2010): „Seit dem Ende der siebziger Jahre wurden die Frauen Journalistinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, aber es gab keine politische Frauenbewegung mehr.“ Nach der Wiedervereinigung stand die Frauenfrage in Deutschland erneut im Vordergrund. Dabei zeugt die Art und Weise, in der sie diskutiert wurde, von einer gewissen Ambivalenz, die von der ganz unterschiedlichen Lage der Frauen in den beiden Teilen Deutschlands herrührte. Die Frauenbewegung 264 F DDR, die das Problem dadurch gelöst hatte, dass sie es beiseiteschob und die Frauen in einer einzigen Organisation, dem Demokratischen Frauenbund (DFD), zusammenschloss, hatte gewiss auch einige missmutige Reaktionen auf ihre „Muttipolitik“ provoziert, die mit dem Babyjahr und den Krippen am Arbeitsplatz die komplizierte Beziehung zwischen Familie und Beruf zu lösen suchte. Die Annäherung an den Kirchen nahestehende Dissidenten und Pazifisten hatte zu Beginn des Jahres 1989 die Gründung der Lila- Offensive (Lilo) ermöglicht - mit dem Ziel „den Sozialismus lesbarer zu machen“, aber auch der Verweigerung gegenüber einer maskulinen politischen Macht Gehör zu verschaffen, wie es Ina Merkel in ihrem Manifest für eine autonome Frauenbewegung und die Modernisierung eines archaischen Sozialismus mit dem bezeichnenden Titel „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ tat. Die aktive Rolle der Frauen im Osten im Prozess der Wiedervereinigung (Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Ina Merkel) war bedeutend, blieb jedoch infolge der schnellen Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik wirkungslos. Eine der delikatesten Episoden der Wiedervereinigung war die Regelung des Abtreibungsrechts, die zuerst aufgeschoben wurde, bevor sie im Sinne der westdeutschen Gesetzgebung entschieden wurde. Im Westen blieb der Paragraph 218 des Strafgesetzbuches bis 1992 noch in Kraft. Mit der DDR verschwand auch deren Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Jahre 1972, die im Wesentlichen der Loi Veil in Frankreich entsprach. Schließlich kam es trotz des zähen Widerstands der CDU zu einer Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bis zum dritten Monat unter der Voraussetzung ärztlicher Beratung (Fristenlösung mit Pflichtberatung). Im Verlauf des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts trafen sich die Interessen und die Forderungen der Frauen in Frankreich und Deutschland auf dem Terrain des paritätischen Zugangs zu den politischen Institutionen und Mandaten und zu den Führungspositionen im wirtschaftlichen Leben. Der Gedanke der Parität, der von den supranationalen Einrichtungen wie dem Europarat, der Europäischen Kommission und den internationalen Konferenzen über die Rechte der Frauen (Peking 1995) ausging, löste unter den Feministinnen heftige Debatten aus. Von einigen als „Sackgasse“, von anderen gar als diskriminierend betrachtet, fand jedoch die Parität, die in Deutschland schon von der SPD und den Grünen praktiziert wurde, zahlreiche Verteidiger beiderlei Geschlechts. In Frankreich verabschiedete man im Jahr 2000 ein Gesetz, das den gleichen Zugang zu allen Wahlmandaten und legislativen Funktionen gewährleistet; in Deutschland wurde die Parität zwar 1994 per Gesetz eingeführt, das allerdings nur die Betriebsräte im Rahmen der paritätischen Mitbestimmung und die universitären Einrichtungen betrifft, an denen eine Frauenbeauftragte über die Einhaltung der Gleichstellung wacht, die letztendlich der Entscheidung aller Beteiligten überlassen bleibt. Der andere Bereich, in dem sich die Geschichte der Frauen in Frankreich und Deutschland - wenngleich zeitverschoben - überschneiden, ist der der feministischen Studien, die sich unter dem Einfluss der amerikanischen gender studies mit Forschungen zu den Geschlechterbeziehungen decken. In Deutschland setzte sich das Konzept des gender sehr schnell vor allem dank der Arbeiten von Ute Frevert und Karin Hausen durch, die auf eine geschlechtsbezogene Analyse gesellschaftlicher Praxis und eine Kulturgeschichte der Geschlechtlichkeit abheben. In Frankreich wird der Begriff der gender studies nunmehr mit „études de genre“ übersetzt, doch der analytische Bezugsrahmen - aufgrund ihrer Nähe zur Sozialgeschichte - fügt sich nur mühsam in eine Frauengeschichte ein, die ursprünglich an eine Geschichte der Repräsentationen mit starkem politischen Bezug gebunden war. Die in vielen Punkten kritische Auseinandersetzung mit der von Georges Duby und Michelle Perrot edierten „Histoire des femmes en Occident“ (1991-1992), die 1993 in den „Annales“ unter dem Titel „Histoire des femmes, histoire sociale“ erschien, ist dafür ein sprechendes Beispiel. Da die Frauenbewegung inzwischen ihren festen Platz in der Gesellschaft besitzt, lassen sich immer weniger landespezifische Eigenheiten ausmachen. Sie hat sich zu einer Bewegung erweitert, welche die Rechte und Forderungen der Frauen auf europäischer, wenn nicht globaler Ebene debattiert und verteidigt. Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe, Paris 1949; Michelle Perrot, Une histoire des femmes est-elle possible? , Paris 1984; Perrot, Michelle, An 2000: quel bilan pour les femmes? , La documentation française, 835 (März 2000); Françoise Picq, Libération des femmes. Les Freund, Gisèle F 265 années-mouvement, Paris 1993; Françoise Thébaud, Ecrire l’histoire des femmes. Fontenay-aux-Roses 1998; Ute Frevert, Frauengeschichte zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit, Frankfurt/ M. 1986; Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus, eine Geschichte seit 1789, München 2009; Karin Hausen, Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung, Göttingen 1993; Rosemarie Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, Hannover 1997; Herrad Schenk, Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1990; Alice Schwarzer, Der kleine Unterschied und die großen Folgen, Frankfurt/ M. 1975; dies., Lebenslauf, Köln 2011. Marie-Claire Hoock-Demarle Freund, Gisèle Die Berliner Fotografin Gisèle Freund (1908- 2000) fand ihre letzte Ruhe auf dem Pariser Friedhof Montparnasse. Paradoxerweise ist sie in Deutschland weniger bekannt als in ihrer französischen Wahlheimat. Die Erklärung ist gewiss darin zu suchen, dass mit ihrem Namen bis heute vor allem ihre Fotografien der Zwischenkriegszeit verbunden sind, mit denen sie den berühmten Namen der französischen Literatur ein Gesicht gab. Bis auf wenige Ausnahmen, darunter der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig, hat die Fotografin kaum einen deutschsprachigen Literaten portraitiert. Die Anerkennung ihres Werks in Frankreich und ihre ungleich geringere Bekanntheit in Deutschland verweisen aber auch auf das Schicksal einer Intellektuellen im 20. Jahrhundert, die als deutsche Jüdin mehrfach Flucht und Exil erlebte und danach in ihrem Herkunftsland lange Zeit eine Unbekannte blieb, während sie in Frankreich künstlerisch Fuß fasste, ohne sich jedoch wirklich als Französin akzeptiert zu fühlen. Gisela Freund stammte aus einer wohlhabenden Berliner Industriellenfamilie. Der Vater führte seine Tochter in Museen und weckte ihr Interesse an Kunst und Fotografie. Ihre erste Fotoreportage machte sie anlässlich einer Demonstration antifaschistischer Studenten am 1.5.1932 in Frankfurt/ M., bei der die Nationalsozialisten besonders die Studenten des Instituts für Sozialforschung angriffen. Dort hatte Freund 1931 ein Soziologiestudium u.a. bei Karl Mannheim, Theodor W. Adorno und Norbert Elias begonnen. Bereits Anfang der 1930er Jahre engagierte sie sich in der sozialistischen Jugendbewegung gegen den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten. 1933 gelang es ihr, der bevorstehenden Verhaftung zu entgehen und nach Frankreich zu fliehen. Die ersten Jahre in Paris (1933-40) stellten die Weichen für ihr weiteres Leben und für ihre Karriere als Fotografin. 1936 bekam sie durch die Heirat mit Pierre Blum die französische Staatsangehörigkeit. Sie änderte ihre Vornamen von Gisela in Gisèle. In der Bibliothèque nationale traf sie ihren Freund und Schachpartner Walter Benjamin; regelmäßig besuchte sie die Buchhandlung La maison des amis des livres in der Rue de l’Odéon. Mit der Inhaberin Adrienne Monnier, einer überzeugten Feministin (*Frauen) und einflussreichen Frau in literarischen Kreisen, verband sie eine innige Freundschaft. Ihr verdankte Freund u.a. die Begegnung mit André Malraux: Auf dem Balkon ihrer Wohnung in der Rue Lalande entstand das legendäre schwarz-weiß Foto des Schriftstellers, die Haare im Wind und eine Zigarette zwischen den Lippen. Freunds Praxis des Fotografierens war untrennbar verbunden mit den Überlegungen in ihrer Doktorarbeit über „Fotografie und Gesellschaft im Frankreich des 19. Jahrhunderts“, die sie bei Karl Mannheim in Frankfurt begann und 1936 an der Sorbonne unter der Leitung des Durkheim- Schülers Charles Lalo verteidigte. In dieser Arbeit, die zu einem der Standardwerke zur Geschichte der Fotografie geworden ist, verfolgt sie einen für ihre Zeit ungewöhnlich modernen Forschungsansatz und analysiert die Rolle des technischen Fortschritts im Lichte der sozio-ökonomischen Entwicklungen im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Innovativ war Gisèle Freund ab 1938 auch im Hinblick auf die Farben ihres Werkes, einer der größten Kollektionen von Schriftstellerportraits des 20. Jahrhunderts: Virginia Woolf, Henri Michaux, André Gide, Jean Paulhan, André Malraux, Boris Pasternak, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, *Samuel Beckett, Michel Leiris, Marguerite Yourcenar und sogar James Joyce. Diese erste Pariser Periode endete 1940, als Freund nach Kriegsausbruch erneut flüchten musste. Sie fand in Saint-Sozy in der Freien Zone Unterschlupf und hielt sich dort zwei Jahre versteckt, bevor sie nach Argentinien emigrieren konnte. 1946 kehrte sie nach Paris zurück; 1947 lud sie Robert Capa ein, für die Fotoagentur Magnum zu arbeiten. Sie reiste in die USA, nach Kanada, ging zurück nach Lateinamerika, blieb zwei Jahre in Mexiko, wo sie Frida Kahlo und andere mexikanische Künstler und Literaten traf. Friedrich, Hugo 266 F Aus Argentinien wurde sie ausgewiesen, als sie 1950 in „Life“ eine Reportage über das ausschweifende Leben von Evita Perón publizierte. In den USA der McCarthy-Ära verweigerte man ihr das Visum, da man sie des Kommunismus verdächtigte. Robert Capa fürchtete um die Zukunft von Magnum und entließ sie 1954. Nun begann die zweite Pariser Periode. Nach ihrer Rückkehr arbeitete Gisèle Freund für „Paris Match“, „Vu“ und „Images du Monde“ und fotografierte weiterhin Schriftsteller, Künstler und berühmte Architekten wie Henri Matisse, Le Corbusier, Henry Miller, Marguerite Duras. 1965 erschien ihr erstes Buch „James Joyce à Paris. Ses dernières années“ und 1968 begann endlich die Zeit der Anerkennung, als sie als erste Fotografin ihre Farbfotografien im Musée d’art moderne der Stadt Paris ausstellen durfte. Jenseits des Rheins fand sie jedoch erst ab 1977 künstlerisch Beachtung, als ihrem Werk eine Retrospektive im Rheinischen Landesmuseum Bonn gewidmet wurde. Im selben Jahr nahm sie an der 6. documenta in Kassel teil. 1978 wurde ihr der renommierte Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie e.V. verliehen und 1980 in Frankreich der Grand prix national des arts pour la photographie durch das Ministère de la culture. Als man ihr 1991 im Centre Georges Pompidou eine große Retrospektive widmete, schenkte sie dem französischen Staat 200 Fotonegative. Trotz ihres Erfolgs wurde ihr die französische Staatsbürgerschaft erst spät zuerkannt: Obwohl sie seit ihrer Heirat einen französischen Pass hatte, bekam sie ihren französischen Personalausweis erst 1983 auf Initiative von François Mitterrand. Von ihm fertigte sie 1981 das berühmte Portrait an. Die Frage der Zugehörigkeit verfolgte sie ihr Leben lang. Ihr innigster Wunsch, als Französin anerkannt zu werden, stellte für sie ein tragisches Problem dar, unter dem sie stark litt. Was umgekehrt Deutschland betrifft, so hatte sie sich eigentlich geschworen, nie wieder in ihr Heimatland zurückzukehren. Schließlich fuhr sie 1957 doch nach Berlin, nicht ohne deutlich zu sagen: „Wie *Marlene Dietrich werde auch ich keine Träne für mein Herkunftsland vergießen.“ 2012 wurde ihr von der Fondation Pierre Bergé-Yves Saint Laurent eine Retrospektive gewidmet: „Gisèle Freund, l’œil frontière“. Die Ausstellung legte den Schwerpunkt auf die Lebensgeschichte einer Deutschen, die ihr Herz für Frankreich und seine Künstler öffnete und zeigte, dass Gisèle Freund endgültig zum integralen Bestandteil der Geschichte der französischen Fotografie geworden ist. In diesem Sinne hat sich damit ihr Wunsch nach Anerkennung in dem von ihr so geliebten Land erfüllt. Gisèle Freund, l’œil frontière, Catalogue de l’exposition organisée par la Fondation Pierre Bergé-Yves Saint Laurent, Paris 2011; Gisèle Freund, La Photographie en France au XIX e siècle, Paris 1936 (2011); Gisèle Freund, Trois jours avec Joyce, Paris 2006; Catalogue de l’œuvre photographique Gisèle Freund, Paris 1991; Gisèle Freund, Portrait, Entretiens avec Rauda Jamis, Paris 1991; Gisèle Freund, Le monde et ma caméra, Paris 1970; Gisèle Freund, Photographie et société, Paris 1974; Gisèle Freund, Mémoires de l’œil, Paris 1977. Guillaume Robin Friedrich, Hugo Der in Karlsruhe geborene Hugo Friedrich (1904- 1978) war einer der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen *Romanistik des 20. Jahrhunderts, der an den Universitäten Heidelberg und München Germanistik, Philosophie, *Romanistik und Kunstgeschichte studierte. Er habilitierte sich mit einer Arbeit zum antiromantischen Denken in Frankreich und wurde 1937 nach Freiburg/ Br. berufen, wo er bis 1970 als Ordinarius für Romanische Philologie (*Romanistik) lehrte. Friedrichs Forschungsarbeiten umfassen einerseits Beiträge zur klassischen französischen Literatur, andererseits die Strukturanalyse der modernen Lyrik. Zu Friedrichs wichtigsten Publikationen gehört „Die Klassiker des französischen Romans“ (1939), später umbenannt in „Drei Meister des französischen Romans: Stendhal - Balzac - Flaubert“ (1950), ein Buch, das nicht weniger als acht Auflagen bis zum Jahre 1980 erlebte und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Darauf folgte seine Monographie „Montaigne“ (1949). Den anderen Teil von Friedrichs Forschungsschwerpunkten bildet seine Analyse der modernen Lyrik, die in das Standardwerk „Die Struktur der modernen Lyrik“ (1956/ 1970) mündete. In diesem brillant und elegant verfassten Buch verlagerte Friedrich das Augenmerk vom Inhalt auf Form und Struktur, insbesondere aber auf Rhythmus, Klang und Akustik der Dichtung, die sich eben deshalb jeglicher eindeutig bestimmbaren Interpretation entziehe. Die Grundlagen für die Verselbständigung der poetischen Sprache bzw. für ihre Emanzipation von jeder empirischen, Fußball F 267 diskursiven oder kommunikativen Funktion erkannte Friedrich in der romantischen Poesie und konstatierte deren Vollendung in Mallarmés Werk. Mit anderen Worten: Das poetische Schaffen geht aus der Sprache selbst hervor, statt sich ihrer zu bedienen, um irgendeinen Inhalt zu vermitteln; sie gehorcht dem „Impuls“ der Wörter, statt sie zu einem bestimmten Zweck zu benutzen. Gerade darin äußern sich die sinnlichen Eigenschaften der poetischen Sprache, aber auch die konnotativen Funktionen und Bild- oder Klangassoziationen, die Friedrich als entscheidende Merkmale der modernen Lyrik hervorhebt. Obwohl Friedrich es immer wieder strikt ablehnte, eine eigene Schule zu gründen, wirkten seine Lehre und sein Werk auf die Arbeiten von Habilitanden und Kollegen ein und beeinflussen die *Romanistik bis heute. Rémy Colombat, Hugo Friedrich ou les incertitudes de la modernité, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 16 (1984) 4, S. 591-615; ders., Nachwirkungen des französischen Symbolismus in der Poetik der fünfziger Jahre, in: DAAD. Dokumentationen und Materialien. Deutsch-Französisches Germanistentreffen, Berlin, 30.9.-4.10.1987, Dokumentation der Tagungsbeiträge, Bonn 1988, S. 127-140; Erich Köhler (Hg.), Sprachen der Lyrik: Festschrift für Hugo Friedrich zum 70. Geburtstag, Frankfurt/ M. 1975. Marc Lacheny Fußball Das erste Aufeinandertreffen einer französischen und deutschen Fußballnationalmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg fand erst am 5.10.1952 im Pariser Stadion von Colombes statt. Bei dieser vorsichtigen Wiederaufnahme offizieller sportlicher Beziehungen unter Anwesenheit von *Carlo Schmid stand das sportliche Ergebnis - 3: 1 für die Gastgeber - verständlicherweise im Hintergrund. Der französische Fußballverband zog es vor, das Abspielen der Hymnen vor dem Spiel zu unterlassen - ein wohl einmaliger Vorgang in der französischen Länderspielgeschichte - während die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die deutschen Besucher ausdrücklich darum bat, „sich nicht, wie es bei früheren Anlässen beobachtet worden ist, im Absingen von Massenchören hervortun“ (FAZ, 4.10.1952). In der Folge des Schlusspfiffs dieses Länderspiels, der laut „Le Monde“ in „fröhlichen Applaus“ für die unterlegene deutsche Mannschaft und „eine herzliche Atmosphäre“ mündete (Le Monde, 7.10.1952), normalisierten sich die fußballerischen Beziehungen zwischen beiden Ländern rasch, nicht zuletzt aufgrund der Einbindung beider Verbände in die europäischen und globalen Rahmeninstanzen. Diese Normalisierung wurde erst 30 Jahre später von einem intensiven Aufflackern nationaler Leidenschaften unterbrochen, das damals von deutscher Seite als bedenklich empfunden wurde und bis heute auf französischer Seite als exemplarische Tragödie erinnert wird. So ging das Weltmeisterschafts-Halbfinale vom 8.7.1982 in Sevilla in die Fußballgeschichte ein als eine der seltenen Sternstunden, die eine Kondensation dessen bieten, was den Fußball weltweit so populär macht. Entschieden wurde es durch das erste Elfmeterschießen der WM-Geschichte zugunsten der Deutschen, aber sein trauriger Höhepunkt war das brutale, ungeahndete Foul des deutschen Torhüters Harald „Toni“ Schumacher am heranstürmenden Patrick Battiston, welches auf französischer Seite längst verschüttet geglaubte Emotionen und *Stereotype hervorrief. Die landesweite Entrüstung, die sich massiv in zahllosen Medienkommentaren und Leserbriefen entlud, ging so weit, dass sich Bundeskanzler Helmut Schmidt und Präsident François Mitterrand genötigt sahen, eine gemeinsame Presseerklärung zu veröffentlichen, um den Vorfall einzudämmen. Der damalige französische Nationaltrainer Michel Hidalgo vermerkte in seinen 1986 erschienenen Erinnerungen: „Ich bin nicht so naiv, über die enorme affektive Wirkungskraft einer Begegnung Frankreich-Deutschland im WM-Halbfinale erstaunt zu sein. Aber ich musste feststellen, dass viele unserer Landsleute die Vorfälle dieses Spiels als einen echten Epilog zum letzten Weltkrieg erlebt haben. Und dabei übertreibe ich kaum! “ Heute wären germanophobe Wutausbrüche dieser Intensität kaum mehr denkbar. Das liegt zum einen daran, dass der internationale Fußballkalender durch das regelmäßige Wiederholen der ewig gleichen Paarungen den Impakt solcher Duelle auf höchstem Niveau relativiert hat: Seit der WM 1982 haben bereits vierzehn weitere Welt- oder Europameisterschaften stattgefunden; und während die französische Mannschaft vor Sevilla titellos geblieben war, hat sie mittlerweile drei solcher Trophäen gewonnen. Zum anderen kann das Drama von Sevilla nicht verbergen, dass die deutsch-französischen Fußballbeziehungen seit Gay-Lussac-Humboldt-Preis 268 G jeher von einer wechselseitigen Gleichgültigkeit gekennzeichnet werden. Dies mag verwunderlich erscheinen angesichts dessen, dass der Fußball in beiden Ländern nach wie vor unangefochten die wichtigste Sportart ist, dass beide Länder zu dem exklusiven Klub der Nationen gehören, die sowohl Weltals auch Europameisterschaftstitel errungen haben, und dass beide Profiligen sowohl wirtschaftlich als auch leistungsbezogen zu den „fünf Großen“ in Europa gehören. Dennoch geht selbst bei den fußballinteressierten Deutschen und Franzosen der Blick nur selten über den Rhein. Beiden erscheint reizvoller, was sich in England, Spanien oder Italien abspielt; beide wissen wenig über die Fußballgeschichte des Nachbarlands. Ihre sportlichen Kollektivgedächtnisse, jeweils mit unzähligen Daten und Fakten angefüllt, besitzen fast keine Überschneidungen. Selbst Meilensteine wie das Drama von Sevilla wurden in der Regel sehr unterschiedlich wahrgenommen und eingeordnet. Eine gemeinsame Erinnerung an außergewöhnliche Fußball-Momente, wie sie zwischen Deutschen und Engländern, Holländern und Italienern trotz aller Konkurrenz sehr wohl existiert, gibt es kaum. Diese gegenseitige Indifferenz liegt offensichtlich außerhalb des Fußballs begründet. Dies wird besonders deutlich sowohl in den fürs breite Publikum geschriebenen Büchern über die internationale Fußballgeschichte, in denen die Wahrnehmung des Nachbarn von außersportlichen *Stereotypen bestimmt bleibt, als auch in der aktuellen Fußball-Berichterstattung in Printmedien und Fernsehen, die nach wie vor von einer Art „volkspsychologischen“ Semantik geprägt werden, welche in anderen Kulturbereichen kaum mehr geduldet würde. So gesehen erweisen sich die deutschfranzösischen Fußballbeziehungen als geeignete Fallstudie für den Nachweis, dass der internationale Fußball trotz aller Vermischungen ein Tummelplatz national gefärbter, von *Stereotypen bestimmter Diskurse geblieben ist, die nur vereinzelt und mit wenig nachhaltiger Wirkung aufgebrochen werden. Dies lässt sich belegen an dem kurzen Verfallsdatum der überraschend positiven Rezeption verschiedener Ereignisse der vergangenen Jahre. Das Bild der auch in Deutschland sehr wohlwollend kommentierten französischen Nationalmannschaft von 1998, deren offensichtlich harmonischen multi-ethnischen Zusammenleben eine Symbolfunktion für die französische Gesellschaft zugesprochen wurde, löste sich rasch in gegenteiligen Nachrichten über Rechtsextremismus bei den Präsidentschaftswahlen 2002 und Vorstadt-Unruhen 2005 auf, ganz zu schweigen von der desaströsen Vorstellung bei der WM 2010 und der Debatte um angebliche ethnische Quoten in den Ausbildungszentren im Frühjahr 2011. Auch die Begeisterung der französischen Sportmedien über die Atmosphäre bei der WM 2006 in Deutschland - „L’Équipe“ verstieg sich gar zu einem emphatischen „Allemagne, on t’aime! “ - oder die Freude an der nun ihrerseits multikulturell angehauchten und attraktiv spielenden deutschen Mannschaft von 2010 haben in keiner Weise zu einem dauerhaften Interesse am deutschen Fußball geführt, das über die punktuell geäußerte Überraschung hinausgehen würde. Ulrich Pfeil (Hg.), Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq 2010; Albrecht Sonntag, Les identités du football européen, Grenoble 2008; Laurent Lasne, Football über alles, Saint-Cloud 2006; Jochen Müller, Von Kampfmaschinen und Ballkünstlern, Saarbrücken 2004. Albrecht Sonntag G Gay-Lussac-Humboldt-Preis Prix Gay-Lussac Humboldt Der seit dem Jahre 1997 den Doppelnamen des französischen Physikers und Chemikers Louis Joseph Gay-Lussac (1778-1850) und des deutschen Naturforschers und Entdeckungsreisenden Alexander von Humboldt (1769-1859) tragende deutsch-französische Wissenschaftspreis geht auf die „Erste Gemeinsame Kulturerklärung der Staats- und Regierungschefs vom 6.2.1981“ (Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt) zurück. Sie deckte alle seinerzeit in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen im Vordergrund stehenden Bereiche ab und setzte zudem einige neue Akzente. In dieser Kulturerklärung heißt es u.a.: „Qualifizierte Forscher sollen durch die Verleihung jährlicher Wissenschaftsstipendien und -preise die Möglichkeit erhalten, ihre Forschungsarbeiten im Partnerland fortzusetzen“. Die französische Regierung rief, was ihren Beitrag zu diesem Mandat betraf, im Jahre 1982 den La Gazette de Berlin G 269 Gay-Lussac-Forschungspreis ins Leben. Er wurde im Jahre 1983 erstmals an fünf deutsche Wissenschaftler vergeben, die von französischen Universitäten und Forschungseinrichtungen vorgeschlagen worden waren. Er ist mit je 25 000 Euro ausgestattet und soll den Preisträgern einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in Frankreich ermöglichen. Die Bundesregierung wirkte ihrerseits im Jahre 1982 darauf hin, dass künftig auch französische Spitzenwissenschaftler für den von der Alexander von Humboldt-Stiftung verliehenen Humboldt-Forschungspreis nominiert werden konnten; dieser war im Jahre 1971 auf Wunsch der Bundesregierung geschaffen worden. Der Humboldt-Forschungspreis war im Verlauf der 1970er Jahre über sein ursprüngliches Konzept (Geste der Dankbarkeit Deutschlands gegenüber den USA) auch auf Geisteswissenschaftler ausgedehnt und über das bilaterale Verhältnis zu den USA hinaus zu einem weltweiten Instrument der *Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik fortentwickelt worden. Hierbei war man bestrebt, gegenüber neuen Partnerländern nach Möglichkeit dem Gedanken der Gegenseitigkeit Geltung zu verschaffen. Die Preisträger sind eingeladen, selbst gewählte Forschungsvorhaben in Deutschland in Kooperation mit Fachkollegen für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr durchzuführen. Der Preis ist heute mit 60 000 Euro dotiert. Aus dem Kreis der mit dem Humboldt-Forschungspreis ausgezeichneten Wissenschaftler gingen bisher 44 Nobelpreisträger hervor. Auf dieser historischen Grundlage lag es für die Bundesregierung und die Alexander von Humboldt-Stiftung in den Jahren 1981/ 1982 nahe, den Humboldt-Forschungspreis und den Gay-Lussac- Preis miteinander zu verknüpfen. Frankreich war das erste Land, mit dem eine solche Gegenseitigkeitsvereinbarung geschlossen wurde. Als Folge der Ausdehnung des Humboldt-Forschungspreises auf Frankreich stieg die Zahl der Bewerber im Stipendienprogramm merklich an. Die Vergabe des Prix Gay-Lussac Humboldt hatte im Verlaufe von bald 30 Jahren äußerst positive Auswirkungen auf die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen. Seit dem Jahre 1983 wurden jeweils 123 deutsche und französische Wissenschaftler mit dem Preis ausgezeichnet. Aus ihrer Mitte sind mehrere Nobelpreisträger, Träger des Leibniz-Preises und der CNRS-Goldbzw. Silbermedaille hervorgegangen. Die Zusammenarbeit von Louis Joseph Gay-Lussac und Alexander von Humboldt gilt als beispielhaftes Vorbild einer durch lebenslange Freundschaft verbundenen deutsch-französischen Forschungskooperation (*DFGWT), die mit dem gleichnamigen Wissenschaftspreis fortgeführt wird. Christian Jansen, Exzellenz weltweit. Die Alexander von Humboldt-Stiftung: zwischen Wissenschaftsförderung und auswärtiger Kulturpolitik. Köln 2004; Dokumentation „25 Jahre Gay-Lussac Humboldt-Preis/ 25 ans Prix Gay-Lussac Humboldt“, gemeinsam herausgegeben von der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem Ministère de l’Enseignement Supérieur et de la Recherche 2008. Hermann Schmitz-Wenzel † La Gazette de Berlin „La Gazette de Berlin“ ist eine französischsprachige Zeitschrift, die seit Juni 2006 in Berlin erscheint und als „unique bimensuel francophone des Alpes à la Baltique“ über das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Geschehen in Deutschland informiert. Sie richtet sich mit ihren Hinweisen zum deutschen Alltag und praktischen Informationen vor allem an die wachsende Anzahl französischsprachiger Berliner sowie an alle Frankophonen und Frankophilen, die in Deutschland leben. Jede Ausgabe gliedert sich neben einem thematischem Schwerpunkt („Dossier“) in die Rubriken „Politique“, „Économie“, „Culture“, „Sport“ und „Divers“ und wird zudem von einem mehrseitigen Programmteil ergänzt, der über deutsch-französische Veranstaltungen informiert, sowie einer deutschsprachigen Seite, die unter dem Titel „Die Gazette“ über das aktuelle Geschehen in Frankreich und in französischsprachigen Ländern informiert. Ihr Redaktionssitz ist Berlin, doch stützt sich die Zeitschrift auf ein Netzwerk von Korrespondenten, die aus München, Hamburg und anderen deutschen Großstädten berichten. Zudem arbeitet sie eng mit den Radiosendern „Radio France Internationale“ (RFI) und „France Inter“ zusammen. Zu Beginn war die „Gazette“ in französischen Institutionen, Restaurants und Buchläden in Deutschland erhältlich und im Abonnement zu beziehen. Seit 2009 erscheinen die Ausgaben ausschließlich im Internet (www.lagazettedeberlin.de), seit April 2014 auch in neuem Gewand. Außerdem haben sich die Social-Media-Dienste Facebook und Genet, Jean 270 G Twitter zu wichtigen Diffusionskanälen der Zeitschrift entwickelt (www.facebook.com/ gazette deberlin; www.twitter.com/ GazettedeBerlin). Bei ausreichender Liquidität ist geplant, die Zeitschrift wieder als Printausgabe zu vertreiben. Mit der Zeitschriftengründung knüpfte der Initiator und Chefredakteur, Régis Présent-Griot, zum einen an eine lange deutsch-französische Tradition in Berlin an: Die erste „Gazette de Berlin“ erschien bereits im Jahre 1743 auf Anregung des Preußenkönigs Friedrichs II., dessen Frankophilie sich nicht zuletzt in seiner Freundschaft zu Voltaire zeigte. Von ihrem Vorläufer hat die neue „Gazette“ das Emblem des Adlers übernommen. Zum anderen reagiert die Gründung der „Gazette“ auf die wachsende französischsprachige Gemeinschaft in Berlin. Studenten, Berufsanfänger, Künstler aus Frankreich und dem französischsprachigen Ausland zieht es bereits seit einigen Jahren nach Berlin, dessen Weite und Vitalität sie schätzen. Angesichts der viel beschworenen deutsch-französischen Freundschaft, die zuweilen im Cliché erstarre, so Présent-Griot, sehe er die Aufgabe der „Gazette“ im Aufbrechen dieser Strukturen, im Aufzeigen des lebhaften deutsch-französischen Austauschs jenseits der offiziellen Politik. So möchte er die Zeitschrift auch als „Querdenker“ verstanden wissen. Im Dezember 2007 erhielt die Zeitung den von der „Association des journalistes européens“ vergebenen „Prix d’honneur Louise Weiss“ für ihr deutsch-französisches Engagement. In ihrer Begründung lobte die Jury die Arbeit der „Gazette de Berlin“, die sich trotz klammer Finanzsituation und begrenztem Publikum um seriöse Berichterstattung über kulturelles politisches und gesellschaftliches Leben in Deutschland bemühe und sich gleichzeitig mit den alltäglichen Problemen der dort lebenden französischsprachigen Mitbürger auseinandersetze. Silja Behre Genet, Jean Das Verhältnis zwischen dem in Paris geborenen Jean Genet (1910-1986) und Deutschland war stets gleichermaßen geprägt von einer wechselseitigen Anziehung und Abstoßung. Das Deutsche, d.h. das „Dritte Reich“ und die BRD (die DDR war für Genet nie von Interesse), diente ihm als zentrale Projektionsfläche. Zugleich avancierte Genets Werk selbst zu einer Projektionsfläche in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die vor allem für einige homosexuelle Autoren wie Hubert Fichte, *Rainer Werner Fassbinder und Josef Winkler ein hohes Identifikationspotential besaß. Im Gespräch mit Hubert Fichte hat Genet 1975 seine Faszination für Adolf Hitler und NS- Deutschland enthüllt, die vor allem im Roman „Das Totenfest“ zum Ausdruck kommt und ihm Susan Sontags Vorwurf eingetragen hat, wenn auch selbst kein Faschist, so doch der Vorreiter einer homosexuellen Faszination für den Faschismus gewesen zu sein: Die französische Nation, so Genet, die ihn als Kind der öffentlichen Fürsorge so sehr gedemütigt habe, sei durch den Einmarsch der Deutschen 1940 schlagartig selbst zutiefst erniedrigt worden „und ich konnte denjenigen, der die Erniedrigung Frankreichs in Werk gesetzt hatte, nur anbeten“. Genets literarisches Deutschlandbild ist jedoch komplexer: Einerseits nehmen die kalte Schönheit ( beauté froide ) von SS-Männern oder Szenen wie die Vergewaltigung eines jungen Franzosen durch Hitler einen Platz im Skandalrepertoire von „Das Totenfest“ ein, andererseits mündet die Reise nach NS- Deutschland im „Tagebuch des Diebes“ in Enttäuschung und überstürzte Flucht. Der Protagonist „Genet“ erkennt: „Das ist ein Volk von Dieben […]. Wenn ich hier stehle, tue ich nichts Einzigartiges, wodurch ich mich verwirklichen würde. Ich gehorche nur der allgemeinen Ordnung. Ich zerstöre sie nicht. Ich stehle ins Leere“. Hier werden „die Deutschen“, die im Frühwerk Genets ausschließlich als attraktiv-gefährliche Herrenmenschen auftreten, erkennbar als eine Projektion des Autors, die er bei Bedarf einsetzt und besingt, um dissident zu erscheinen. Diese Funktion konnte die Bundesrepublik nicht mehr einnehmen, entsprechend verstummte nach dem Krieg Genets Rekurs auf die - faszinierend unmoralischen - Deutschen. Erst als in den 1970er Jahren mit den Linksterroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) erneut eine politisch extrem radikale Gruppe in Deutschland in Erscheinung trat, fand Genet eine Projektionsfläche, diesmal für seine Argumentation gegen die implizite Gewalt westlicher Demokratien. In seinem Leitartikel „Gewalt und Brutalität“ für „Le Monde“ verteidigte er die RAF gegen die „Brutalität“ des kapitalistischen und amerikahörigen westdeutschen Staates. Der Artikel - mitten im so genannten „Deutschen Herbst“ am 2.9.1977 erschienen - lös- Gerz, Jochen G 271 te eine Welle der Empörung und diplomatische Verwerfungen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich aus. Genets Rezeption in Deutschland hatte unter anderen Vorzeichen in den späten 1950er Jahren begonnen, in einer restaurativen, moralisch eng formierten und geschichtsvergessenen Gesellschaft. Seine Romane lösten gleich zweimal Gerichtsverfahren wegen der „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ (§184 StGB) aus, die Dramen wurden jedoch rasch nach Erscheinen der Übersetzung inszeniert, zum Teil sogar in der Bundesrepublik uraufgeführt (*Französisches Theater in Deutschland). Im Frühjahr 1955 erschien erstmals ein Werk Genets in deutscher Übersetzung: „Querelle de Brest“ im Rowohlt-Verlag als nummerierte Subskriptionsausgabe in 1 500 Exemplaren, die ein Jahr später jedoch verboten und eingestampft wurde. Seit 1957 verlegt der Theaterverlag Merlin Genet in Deutschland. Nach vier Theaterstücken erschien dort 1960 „Notre-Dame-des-Fleurs“ und löste einen der wichtigsten Prozesse zur Kunstfreiheit in der Bundesrepublik aus. Das Werk wurde schließlich dank eines denkwürdigen Auftritts des Hamburger Generalstaatsanwaltes Ernst Buchholz, der gegen den Antrag seiner eigenen Behörde plädierte, am 31.7.1962 freigesprochen von dem Vorwurf, „unzüchtig“ zu sein. Seither müssen literarische Werke vor Gericht individuell und kunstspezifisch gewürdigt werden, es genügt zum Verbot nicht mehr das Empfinden des so genannten „Normalmenschen“. Danach avancierte Genet zu einem wichtigen Referenzpunkt ästhetisch avancierter Leser und der (vor allem bis 1973) kriminalisierten Homosexuellen. Die politische Schwulenbewegung seit den achtziger Jahren konnte dagegen wenig mit Genet anfangen: Er taugte nicht als Galionsfigur für eine Normalisierung der Homosexualität. Deutschland war jedoch nicht nur ein Ort, wo Genets Werk von Verboten bedroht war, sondern zeitgleich auch einer, wo sie präsentiert werden konnten, während sie woanders als unspielbar galten, etwa die in Frankreich tabuisierten „Wände“, die 1961 in der Inszenierung Hans Lietzaus im Schlosspark-Theater in West-Berlin uraufgeführt wurden. Nicht zuletzt strahlt Genets Werk in Werke deutschsprachiger Autoren aus. So suchte der begeisterte Genet-Leser Hubert Fichte die direkte Konfrontation, als er den widerspenstigen Genet über mehrere Tage im Dezember 1975 interviewte. Seine Enttäuschung verarbeitete er später durch die unautorisierte und von ihm zum Teil bewusst verfälschte Herausgabe seiner Transkription. Der letzte Film *Rainer Werner Fassbinders war eine hoch artifizielle Verfilmung von „Querelle de Brest“ mit Brad Davis, Franco Nero und Jeanne Moreau, über deren Fertigstellung er 1982 verstarb. Der österreichische Underground-Schriftsteller Belmen O hat 2003 mit „Finis Brest“ einen „Gegenroman“ verfasst, der direkt Motive Genets - das besetzte Frankreich, Kollaboration, Männerfreundschaften, Verrat und Mord - aufnimmt, diese aber entmythisieren will. Prominent widmet sich das Werk Josef Winklers dem Idol Jean Genet. Sein „Zöglingsheft des Jean Genet“ (1992) ist eine Reise auf der Suche nach Spuren des jungen Genet, eine Hommage und zugleich eine Reflexion über das Schreiben. Vielerorts hat Winkler zu Protokoll gegeben, dass erst die Lektüre Genets ihm ermöglicht habe, selbst Worte für die Bewältigung der Ausgrenzungserfahrungen vor allem in seiner Kindheit im bäuerlich-katholischen Österreich zu finden. Matthias N. Lorenz, Oliver Lubrich (Hg.), Jean Genet und Deutschland, Gifkendorf 2013; Susan Sontag, Fascinating Fascism [1974], in: dies., Under the Sign of Saturn, New York 1980, S. 73-105; Hubert Fichte, Jean Genet, Frankfurt/ M. 1981. Matthias N. Lorenz Gerz, Jochen Der 1940 in Berlin geborene Jochen Gerz ist ein deutscher Performance-, Konzept- und Medienkünstler. Seinem Interesse für Literatur folgend begann er 1958 ein Studium der Germanistik, Sinologie und Anglistik in Köln; später der Urgeschichte in Basel. 1966 entschloss er sich, nach Paris zu gehen. Nach eigener Aussage empfand Gerz Frankreich zugleich als gegensätzlich und komplementär zur deutschen Nachkriegsgesellschaft; Frankreich galt ihm „als das beste Fenster ins Land, aus dem ich kam“ und seine Zeit dort als „verlängerte Schulzeit“. Ab 1967 arbeitete er im Bereich der Visuellen Poesie mit Texten und Fotografien, aus denen er in den 1980er Jahren „Mixed Media Fotografien“ entwickelte. 1972 verließ Gerz zusammen mit seiner Frau Veronika von Büren und seinem Sohn für einige Jahre die französische Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) 272 G Hauptstadt und ließ sich bis 1974 am Rande der Champagne nieder, wo die Text-Bild-Arbeit „The French Wall“ (1968-1975) als visuelles Tagebuch entstand. Zur gleichen Zeit intensivierte Gerz seine kritische Auseinandersetzung mit dem Kunst- und Museumsbetrieb und widmete sich der Frage nach Orten, Formen und Sprachen des Gedenkens und der Erinnerung. In seinen Installationen, die häufig in situ entstehen, wird die Wirklichkeit des jeweiligen Ortes reflektiert. Zur gleichen Zeit entwickelte sich mit der Installation „EXIT - Materialien zum Dachau-Projekt“ (1972-1974) als weiterer Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Seit den 1980er Jahren kamen partizipatorische Installationen im öffentlichen Raum hinzu, bei denen die Öffentlichkeit und die Medien aktiv in den Entstehungsprozess der Arbeiten eingebunden wurden. Gerz’ Arbeiten stehen dabei als „Gegendenkmäler“ für eine neue Denkmalkultur, die Gedenken dynamisch als Kommunikations- und ständigen Auslegungsprozess von Geschichte begreift. Die meisten seiner Arbeiten wurden in Deutschland realisiert (bislang über 30 gegenüber acht in Frankreich). So konzipierte Gerz 1986 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Esther Shalev das Harburger Mahnmal gegen Faschismus und das Mahnmal gegen Rassismus in Saarbrücken (1990-1993). Sein Entwurf „Warum ist es geschehen? “ kam 1997 unter die letzten vier Beiträge des Wettbewerbs um das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas. In Frankreich verwandelte Gerz 1995/ 1996 in einem Dorf in der Dordogne das dortige Kriegsgefallenendenkmal in „Le Monument vivant de Biron“. Daneben initiierte er eine Reihe von einflussreichen „Autoren-Projekten“, bei denen in Frage-Antwort-Prozessen der direkte Kontakt mit Bewohnern, Passanten oder Lesern gesucht wurde. Zu ihnen zählen etwa „Die Bremer Befragung“ (1995), „Die Zeitungsleser und der Philosoph“ (Passau 2004) sowie „2-3 Straßen. Eine Ausstellung in Städten des Ruhrgebiets“ (Dortmund, Duisburg, Mülheim/ Ruhr 2010). Zeitgleich führte er an verschiedenen Orten Kunstaktionen durch wie das Projekt „Le Cadeau/ Das Geschenk/ The Gift“ (2000), das zunächst in Le Fresnoy entstand und von dort nach Dortmund sowie nach San Fransisco wanderte. In Frankreich realisierte Gerz zudem das Autoren-Projekt „Les Témoins de Cahors“ mit Bewohnerinnen der französischen Stadt Cahors und 1999/ 2000 vor Notre- Dame de Paris mit Obdachlosen das Autoren-Projekt „Les mots de Paris“. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wurde das Schaffen von Gerz in wichtigen Einzelausstellungen präsentiert, u.a. im Musée d’art moderne de la ville de Paris (1974), in der Hamburger Kunsthalle (1988), im Centre Georges Pompidou Paris (2002) sowie in der Bundeskunsthalle Bonn (2006). Im Jahr 1976 nahm er an der Biennale in Venedig teil und war im darauffolgenden Jahr auf der documenta 6 in Kassel vertreten. Zu den Ehrungen, die er in Deutschland erhielt, zählen der Roland-Preis der Stadt Bremen (1990), der Kritiker Preis für Bildende Kunst in Berlin (1995) sowie der *Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum (1996). 2001 verließ Gerz Paris, um sich bis 2007 in Ivry-sur-Seine niederzulassen. Seit 2008 lebt und arbeitet er im County Kerry in Irland. Jochen Gerz, Werkverzeichnis/ Catalogue raisonné, hg. von Volker Rattemeyer und Renate Petzinger, 4 Bde., Wiesbaden 1999-2011. Stefanie Rentsch Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs machte sich die GÜZ gemeinsam mit ihrer Schwesterorganisation in Frankreich, dem *Bureau international de liaison et de documentation (BILD), bereits im Jahre 1945 an die Aufgabe, Deutsche und Franzosen miteinander zu versöhnen. Zu den ersten Präsidenten der in Offenburg gegründeten Gesellschaft (seit 1955 in Köln) gehörten die Historiker Georg Smolka, der erste Bonner Botschafter in Paris, *Wilhelm Hausenstein, und der Ministerialbeamte Joseph Paul Franken; heute steht ihr Franz Schloser vor, Hauptgeschäftsführer a.D. des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte damals wie heute die Information über das Nachbarland, die Durchführung von Jugendbegegnungen, Kolloquien, Studienreisen und die Ausbildung von deutsch-französischen Gruppenleitern. Gerade letzterer Aktivität kommt gegenwärtig eine besondere Bedeutung zu, ging doch in jüngster Vergangenheit die Anzahl der Jugendlichen, welche die Partnersprache in der Schule lernen, rapide zurück (*Sprachenpolitik, *Deutsche Sprache in Frankreich). Mit den praxisnahen Fortbildungen, in denen die zukünftigen Leiter vor allem GIRAF-IFFD G 273 lernen, die Sprache des Anderen zu vermitteln und mit einer deutsch-französischen Jugendgruppe umzugehen, werden Grundlagen geschaffen, um den Fremdsprachenunterricht auch außerhalb der Schule zu stärken und interkulturelle Kompetenz zu fördern. Mit dieser Arbeit wollen GÜZ und *BILD gemeinsam dazu beitragen, dass Frankreich und Deutschland ihre Zukunft in der erweiterten Europäischen Union gemeinsam gestalten. Seit der Gründung bemühen sich beide Organisationen um den Ausbau der Begegnungen zwischen Deutschen und Franzosen, um ihnen die Gelegenheit zum Meinungsaustausch und zu einem besserem gegenseitigen Verständnis zu geben. Die eigentliche Zielgruppe bleibt dabei bis heute die Jugendlichen (*Jugendbeziehungen). Als Organ diente BILD die Zeitschrift *Dokumente, deren Alleinstellungsmerkmal über Jahre die Frankreichberichterstattung in Deutschland war. Sie erscheint bis heute unter dem Namen *Documents/ Dokumente und informiert über die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und Entwicklungen des Nachbarlandes. Genauso wie *BILD wird GÜZ vom *DFJW anerkannt, das beide Gesellschaften nach dem Prinzip der Subsidiarität unterstützt, um auf diese Weise die *Jugendbeziehungen zu fördern. GÜZ ist Mitglied der *Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften e.V. (VDFG), des Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und der Europäischen Bewegung Deutschland und bildet, gemeinsam mit *BILD eine tragende Säule des deutsch-französischen Netzwerkes. Franz Knipping, Jacques Le Rider (Hg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland 1945-1950, Tübingen 1986; Raïssa Mézières, Documents, revue des questions allemandes et l’idée européenne, 1945-1949, in: Bulletin de l’Institut Pierre Renouvin (Université de Paris I- Panthéon-Sorbonne) 5 (1998), S. 33-50. Dominique Bourel GIRAF-IFFD Der Verein GIRAF-IFFD (Groupe interdisciplinaire de recherche entre l’Allemagne et la France - Interdisziplinäre Forschungsgruppe Frankreich Deutschland) wurde anlässlich der ersten deutschfranzösischen Sommeruniversität 2002 in Berlin gegründet, nachdem deutsch- und französischsprachige Nachwuchswissenschaftler der Sozial-, Geistes- und Literaturwissenschaften sich bewusst wurden, dass die praktischen Herausforderungen ihrer wissenschaftlichen Arbeit sich sehr ähnelten und sie zudem merkten, wie beschränkt ihre Kenntnisse der anderen Forschungslandschaft „jenseits des Rheins“ waren. Daher setzte es sich der Verein zum Ziel, die Möglichkeiten zur gegenseitigen Bereicherung der Forschungskulturen (auch interdisziplinär) zu nutzen. GIRAF-IFFD fördert dabei in erster Linie den Austausch zwischen deutsch- und französischsprachigen Nachwuchsforschern im Rahmen anspruchsvoller wissenschaftlicher Projekte. Gleichzeitig bietet das Netzwerk einen Kommunikationsraum zur Beantwortung wissenschaftlicher sowie praktischer Fragen. Außerdem pflegt GIRAF-IFFD den Dialog mit zahlreichen Institutionen, die in beiden Ländern im Bereich Forschung und Lehre tätig sind, z.B. dem *CIERA oder dem *DAAD. Auf der wissenschaftlichen Ebene veranstaltet GIRAF-IFFD alle zwei Jahre ein zweitägiges interdisziplinäres Forschungsatelier mit rund zwanzig deutsch- und französischsprachigen Nachwuchswissenschaftlern und veröffentlicht die Ergebnisse in einem Sammelband. Die Forschungsateliers bieten den Mitgliedern von GIRAF-IFFD die Gelegenheit, eine internationale Tagung zu organisieren, vom wissenschaftlichen Konzept bis hin zur Publikation, über das Fundraising und die logistische Durchführung. Es ist das Markenzeichen aller interdisziplinären GIRAF-Ateliers, den Akzent auf einen Begriff bzw. ein Begriffspaar zu setzen, das die verschiedenen im Verein vertretenen Disziplinen verbindet. Eine große Rolle im Ausbau des Netzwerks spielen darüber hinaus die Internet- und Facebookseiten des Vereins. Dort sind nicht nur Berichte aller GIRAF-Aktivitäten (Treffen, Ateliers, Umfragen) zu finden, sie bietet den Mitgliedern von GIRAF-IFFD außerdem eine persönliche Internetpräsenz und ermöglicht es, Informationen rund um die Organisation und Aktualität der Forschung in beiden Ländern auszutauschen. Es werden auch Rezensionen der neueren Forschungsliteratur in Geistes-, Sozial- und Literaturwissenschaften publiziert, und zwar jeweils in der anderen Sprache. Seit September 2010 besteht auch die Möglichkeit, den vierteljährlichen GIRAF-Newsletter über die Webseite zu abonnieren. Gisselbrecht, André 274 G Die vom Verein GIRAF-IFFD durchgeführten Umfragen ermöglichen es, Thematiken zu erkunden, welche die Nachwuchswissenschaftler in besonderer Weise berühren. Es werden die Situationen in beiden Ländern verglichen und auf Grundlage dieses Vergleichs Vorschläge für die Zukunft formuliert. 2007 wurde in diesem Sinne eine Umfrage zum binationalen Promotionsverfahren ( cotutelle ) durchgeführt. Sowohl zum rechtlichen Rahmen als auch zu persönlichen Erfahrungen in Bezug auf die cotutelle besitzt die IFFD nun eine einzigartige Expertise, zu der sie regelmäßig befragt wird. 2009 setzte sich GIRAF-IFFD dann mit dem Thema des schwierigen Berufseinstiegs von Nachwuchswissenschaftlern der Geistes-, Sozial- und Literaturwissenschaften auseinander. Die Umfrage förderte einen in beiden Ländern empfundenen Pessimismus zutage, der auf realen Schwierigkeiten beruht. Die Situation in Deutschland wurde aber, sowohl was die Karriere in der Wissenschaft als auch eine mögliche berufliche Neuorientierung nach der Doktorarbeit betraf, insgesamt doch positiver als in Frankreich eingeschätzt. Auf Grund dieses Vergleichs konnten konkrete Verbesserungsvorschläge formuliert werden. Die nächste Umfrage (2014) widmet sich den veränderten Rahmenbedingungen der Promotion im Bologna-Prozess und deren Auswirkungen auf die wissenschaftliche Praxis der DoktorandInnen. Heute befindet sich GIRAF-IFFD in einer Phase der Konsolidierung ihrer Ausrichtung und ihrer Aktivitäten: der Verein, seine Forschungsateliers und Umfragen, erfreuen sich zunehmender Bekanntheit. GIRAF-IFFD entwickelt weitere Partnerschaften und festigt die Verankerung in der deutsch-französischen Forschung in Geistes-, Sozial- und Literaturwissenschaften. Dabei hat sich GIRAF-IFFD zwei Aufgaben zu stellen, denen jeder Verein begegnet, dessen Mitgliederschaft naturgemäß veränderlich ist: So ist die Notwendigkeit einer Kontinuität, die es erfordert, GIRAF- IFFD bei immer neuen Nachwuchswissenschaftlern bekannt zu machen, mit der Herausforderung verknüpft, den Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern zu wahren. Aus diesem Grund ist ein Alumni-Projekt für ehemalige Mitglieder, die inzwischen keine Nachwuchswissenschaftler mehr sind, als potentiell wichtige Ansprechpartner und Multiplikatoren für GIRAF-IFFD in Vorbereitung. Darüber hinaus arbeitet GIRAF-IFFD daran, sich stärker an der Verbreitung von Forschungsergebnissen im Netz zu beteiligen - aus Überzeugung, dass das Internet heute eine wichtige Rolle für die internationale Forschung spielt und sich dies in Zukunft noch verstärken wird. Alice Volkwein Gisselbrecht, André Der französische Germanist André Gisselbrecht (1927-2006) war Thomas Mann- und *Bertolt Brecht-Spezialist. Er edierte 1966 zusammen mit Denise Daun bislang unveröffentlichte Essays von Thomas Mann zum Verhältnis von Geist und Macht und trug zusammen mit *Gilbert Badia sowie Philippe Ivernel wesentlich dazu bei, *Brechts Theater in Frankreich bekannt zu machen (*Deutsches Theater in Frankreich). Als Hochschullehrer wirkte er zunächst an den Universitäten Nancy und Nantes, bis er nach 1968 an die Reformuniversität Paris 8-Vincennes wechselte. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) gehörte er zu den Reformdenkern der Partei. Er wurde durch zahlreiche Beiträge zur Ideendebatte in „Nouvelle-France“ und „Recherches internationales“, einem Periodikum, das sich einem offenen, unorthodoxen Marxismus verpflichtet fühlte und Debatten kontrovers führte, vor allem aber in der Zeitschrift der PCF, „La nouvelle critique“, die er als stellvertretender Chefredakteur eine Zeit lang mitleitete. Die Zeitschrift wurde 1980 eingestellt. Er sprach sich für einen von stalinistischen Irrungen befreiten humanistischen Kommunismus aus und berief sich dabei sowohl auf Georg Lukács als auch auf Antonio Gramsci. 1990 gehörte er zu den 250 engagierten Linksintellektuellen, die in dem Aufruf „Ras l’front” (wir haben den „Front national“ satt! ) gegen das Aufkommen des Rechtsextremismus in Frankreich mobil machen wollten. Thomas Mann. Etre écrivain allemand à notre époque, hg. von A. Gisselbrecht und übersetzt von D. Daun, Paris 1996. Jérôme Vaillant Goethe-Institute in Frankreich Die Goethe-Institute eröffneten in Frankreich, verglichen mit einigen anderen Ländern in Europa oder Übersee, erst relativ spät nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie waren insofern ein No- Goethe-Institute in Frankreich G 275 vum, als es bis dahin, abgesehen von den vier dunklen Jahren der Besatzungszeit, keine deutschen Kulturinstitute in Frankreich gegeben hatte. Das erste Kulturinstitut entstand 1956 auf lokale Initiative in Lille, das zweite, ebenfalls durch eine Initiative vor Ort, 1960 in Marseille. In Paris begannen erst 1960 die Sprachkurse, 1962 folgte die Programmarbeit in einem eilig angekauften, provisorischen Gebäude in der Rue Condé. Der Neubau in der Avenue d’Iéna, in dem das Goethe-Institut noch heute residiert, konnte erst 1965 bezogen werden. Hingegen hatte das 1951 aus den Trümmern der 1945 von den Alliierten aufgelösten Deutschen Akademie entstandene Münchener Goethe-Institut schon 1953 mit einer Zweigstelle in Athen, 1954 in Turin und Izmir sowie 1955 in Bangkok, Beirut, Damaskus, Sevilla und Thessaloniki die Auslandstätigkeit aufgenommen. Die Goethe-Institute waren in den 1950er Jahren in der Tradition der Deutschen Akademie nur mit der reinen Spracharbeit betraut. Die Eröffnung von Standorten im Ausland erfolgte anfangs basierend auf lokalen Initiativen und entsprechend der Nachfrage nach Deutschunterricht in den einzelnen Ländern, weil sie kostendeckend, d.h. ohne öffentliche Zuschüsse arbeiten mussten. Dies machte Frankreich im Vergleich zu anderen Ländern relativ unattraktiv, da es anfänglich entweder nicht genügend Bedarf nach Deutschunterricht gab oder dieser durch andere Stellen befriedigt werden konnte. Das frühe Goethe-Institut verfuhr bei der Eröffnung von Auslandsdependancen also eher gemäß dem „Gießkannenprinzip” (Bernhard Witteck), als dass es einem mit dem Auswärtigen Amt (AA) abgestimmten kulturpolitischen Programm folgte, das die reale Bedeutung der bilateraler Beziehungen der Bundesrepublik zu einem anderen Land widergespiegelt hätte. Repräsentative Kulturinstitute mit Bibliothek und Programmarbeit wurden seit Mitte der 1950er und bis in die 1960er Jahre hinein in den wichtigen Metropolen wie London, Rom, Stockholm, Madrid und New York direkt vom AA betrieben. An anderen Orten traten als Träger deutschausländische Kulturgesellschaften auf, so etwa in Lille und Marseille. Die beiden frühen Institute in Frankreich waren also streng genommen in ihren ersten Jahren keine Goethe-Institute, denn ihre Gründung und Arbeitsaufnahme wurde nicht von München aus betreut. Erst ein Schriftwechsel zwischen AA und Goethe-Institut im Jahre 1960 vereinbarte die sukzessive Vereinigung aller deutschen Auslandskulturinstitute unter dem Dach des Münchener Vereins. Damit wurden auch die Standorte Lille und Marseille 1962 förmlich zu Goethe-Instituten, die der Münchener Zentrale unterstanden. Mit der Weichenstellung von 1960 setzte sich auch für die Auslandskulturinstitute das für die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik maßgebliche Prinzip der Mittlerorganisationen durch, die vom Bund finanziell unterstützt, aber inhaltlich weitgehend selbständig die Auslandsarbeit verrichten. Diese Reorganisation, durch die erst der Name Goethe-Institut zum Synonym für ein deutsches Kulturinstitut im Ausland wurde, das Programm mit Spracharbeit kombiniert, zog sich bis zum Ende der Dekade hin. Der Aufbau des Institutsnetzes in Frankreich fiel also wesentlich in diese Phase der Verlagerung von Verantwortlichkeiten von Bonn nach München, was unter anderem den schwierigen Start in Paris erklärt. Die Eröffnung eines repräsentativen, direkt vom Bund betriebenen Instituts in Paris verzögerte sich jedoch vor allem wegen Problemen mit der vom Reich geerbten Immobilie in der Avenue d’Iéna. Sie hatte schon in der zweiten Hälfte der 1930er Jahren unter dem Namen Goethe-Haus kurzzeitig als kulturelles Begegnungszentrum für Künstler gedient. Das Haus wurde erst 1958 vom französischen Staat an die Bundesrepublik zurückgegeben. Es sollte zunächst umgebaut werden. Als sich dies als technisch undurchführbar erwies, entschied das AA sich für einen Neubau. Die Folge war, dass sich in den deutsch-französischen Beziehungen hinsichtlich der Anzahl der Kulturinstitute bis Ende der 1950er Jahre ein erhebliches Ungleichgewicht einstellte, das dem Geist des 1954 abgeschlossenen Kulturabkommens zwischen den beiden Staaten widersprach: 17 *Instituts français und Centres culturels in der Bundesrepublik, größtenteils schon in der Besatzungszeit gegründet, stand zum Ende der Dekade nur ein deutsches Pendant in Lille gegenüber. Folglich drängte die französische Regierung seit Ende der 1950er Jahre Bonn, endlich in Frankreich, insbesondere natürlich in Paris, diesbezüglich aktiv zu werden. Vom Pariser Goethe-Institut gingen dafür zusammen mit dem in Rom seit 1964 wichtige Impulse für eine moderne Kulturarbeit aus, die von der Zentrale in München Goldschmidt, Georges-Arthur 276 G aufgegriffen wurden. Dieser neue Ansatz richtete sich nicht mehr nur auf die Hochkultur, sondern gab sich thematisch vielfältig. Nicht ein glanzvolles Bild der Bundesrepublik und ihrer Kultur, sondern die gesellschaftliche „Normalität” sollte vermittelt werden. Dies schloss die kritische Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und problematischen Gegenwartstendenzen in der Bundesrepublik ein. Der Ansatz war dialogisch angelegt statt einseitigen Kulturexport zu betreiben und berücksichtigte zudem die Kultur dritter Länder. Nur so war laut Auffassung des ersten Pariser Institutsleiters, Christian Schmitt, wie auch seines Kollegen in Rom, die sich zudem einer stark links geprägten französischen wie italienischen Intelligenz gegenübersahen, das aus der Vergangenheit resultierende Misstrauen zu überwinden. Damit konnte nicht nur für die Bundesrepublik Boden gewonnen, sondern auch der durchaus starke kulturelle Einfluss der DDR auf die geistigen Eliten Italiens und Frankreichs eingedämmt werden. Die Institute in Paris und Rom erwiesen sich als Schrittmacher für eine Auslandsarbeit, die den „erweiterten Kulturbegriff” bereits seit einigen Jahren praktizierten, bevor das AA diesen offiziell im Jahre 1970 zu Leitlinie der bundesrepublikanischen auswärtigen Kulturpolitik erhob. Zugleich wurde es zum Grundsatz der Institute in Frankreich wie anderswo, die Kulturwerbung eher nach den lokalen Bedürfnissen der Standorte auszurichten anstatt allen Instituten im Rahmen von Tourneen ein relativ einheitliches Programm zu verleihen. Die 1960er Jahre und frühen 1970er Jahre sind in Frankreich wie anderswo die Dekade der Expansion der Goethe-Institute im Zeichen gefüllter öffentlicher Kassen. Es entstanden weitere Gründungen in Toulouse 1962, Nancy 1963, Lyon 1965 und Bordeaux 1971. 1983 bzw. 1986 kamen noch die Institute in Colmar bzw. Straßburg als Außenstelle von Nancy hinzu, die im Wesentlichen Sprachunterricht abhielten. Aufgrund vom AA verfügter Einsparungen schrumpfte das Netz der Goethe-Institute in den 1990er Jahren weltweit, nachdem es zu Beginn der Dekade noch eine stürmische Expansion in Osteuropa gegeben hatte. Dem Rotstift fielen u.a. die Institute in Marseille und Colmar zum Opfer. Gleichwohl ist auch heute noch Frankreich, zusammen mit Italien, das ebenfalls sieben Standorte aufweist, das Land auf der Welt, welches die bei weitem größte Zahl von Goethe-Instituten beherbergt. Victoria Znined-Brandt, Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik. Eine vergleichende Analyse. Das Beispiel der Goethe-Institute in Frankreich sowie der Instituts und Centre Culturels Français in Deutschland seit 1945, Frankfurt/ M. 1999; Eckard Michels, Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut. Sprach- und auswärtige Kulturpolitik 1923-1960, München 2005; ders., Vom Deutschen Institut zum Goethe-Institut, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionsgeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 181-195; Jérôme Vaillant, Le Goethe-Institut de Lille. 50 ans de coopération culturelle franco-allemande, in: Allemagne d’aujourd’hui, 183 (2008), S. 104-112; Bernhard Witteck, Und das in Goethes Namen. Das Goethe- Institut von 1951 bis 1976, Berlin 2006. Eckard Michels Goldschmidt, Georges-Arthur Als Jürgen-Arthur wurde Georges-Arthur Goldschmidt 1928 in Reinbek bei Hamburg geboren. Nachdem sein Vater wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 als Oberlandesgerichtsrat entlassen wurde, schickten die Eltern ihn und seinen älteren Bruder 1938 zunächst nach Italien und dann nach Frankreich, wo beide in einem Internat in Savoyen, teilweise extrem gefährdet, der Deportation entkamen. Die Mutter starb 1942 noch in Reinbek, der Vater überlebte die Deportation nach Theresienstadt um wenige Jahre. Georges-Arthur kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück, studierte in Frankreich *Germanistik bei *Robert Minder, *Edmond Vermeil und Maurice Boucher und wurde nach dem CAPES Lehrer an verschiedenen Gymnasien in Paris und der Banlieue. Seit den 1960er Jahren schreibt Goldschmidt für französische und deutsche Zeitschriften und Zeitungen wie „NRF“, „Nouvelle revue de psychanalyse“, „Allemagne(s) d’aujourd’hui“, „Le Monde“, „Frankfurter Rundschau“ und vor allem die „Quinzaine littéraire“. Nach zwei Romanen bei Juillard - „Un Corps dérisoire“ (1972) und „Le Fidibus“ (1973) - wurde Goldschmidt in den 1970er Jahren zu einem der wichtigen Übersetzer aus dem Deutschen und in der Folge einer der großen literarisch-kulturellen Mittler zwischen Frankreich und Deutschland. Er übersetzte Goethe, Stifter, Büchner, Kafka, Benjamin, vor allem aber wurde er für mehr als ein Vierteljahrhundert zum quasi exklusiven Über- Goldschmidt, Georges-Arthur G 277 setzer *Peter Handkes. Während dieser Zeit veröffentlicht er auch größere Essays zu Molière und Rousseau. Zwischen 1981 und 1991 publizierte Goldschmidt eine „deutsche“ Trilogie, die sich in ungewöhnlich offener Weise mit seiner Kindheit in Deutschland und Situationen, „für die es bisher noch keine Sprache gab“ (*Handke), auseinandersetzte: „Le Miroir quotidien“ (1981), „Un Jardin en Allemagne“ (1986) und „La Forêt interrompue“ (1991). Dank der Übersetzungen und Vorworte von *Peter Handke - „Ein Garten in Deutschland“ wurde von *Eugen Helmlé übersetzt - wurden Goldschmidts Romane in Deutschland noch stärker rezipiert als in Frankreich: Sie wirkten insbesondere deshalb so intensiv, weil die Erinnerungen an die 10 Kindheitsjahre in Deutschland vom drohenden Zivilisationsbruch der Shoah überschattet wurden, und Goldschmidt den Verlust von Heimat und Sprache aus einem fünfzigjährigen Abstand in einem träumerischen und zugleich ebenso präzisen wie klaren Stil schildert. Goldschmidts 1988 publizierter Essay zu *Handke bezeugt indirekt dessen enge literarische Beziehung mit seinem „Übersetzer“ und seine Auseinandersetzung mit Freud - „Quand Freud voit la mer. Freud et la langue allemande“ (1988), „Quand Freud attend le verbe. Freud et la langue allemande II“ (1996) - belegt sein spezifisches Bewusstsein der deutschen Sprache ebenso wie zehn Jahre später eine Serie von Essais zu *„Heidegger et la langue allemande“ (2005-2006). 1991 schrieb er mit der „Absonderung“ seinen ersten deutschsprachigen Roman, mit „Die Aussetzung“ (1996) und „Die Befreiung“ (2007) entstand eine „französische“ Trilogie der Zeit, in der er die deutsche Besatzung und Verfolgung dank des Engagements der Internatsleiterin überlebte. Das Ineinanderverwoben- und Aufeinanderbezogensein der beiden Sprachen und Kulturen und ihrer Geschichte zeigt sich auch daran, dass Goldschmidt erklärte, über seine „deutsche“ Kindheit nur in der „zweiten“ Muttersprache des Französischen, über seine Jugend in Frankreich hingegen besser in der in dieser Zeit (unter Zwang) aufgegebenen Sprache der Kindheit schreiben zu können. 1999 erschien dann unter dem Titel „La traversée des fleuves“ seine große Autobiographie bei Seuil, die zwei Jahre später als „Über die Flüsse“ bei Ammann in Zürich als „Selbst-Übersetzung“ herauskam: Der Sprachwechsel hat eine neue Form angenommen. Mit diesem Sich-selbst-Übersetzen versucht Goldschmidt den Originaltext in seiner Einmaligkeit auch in der anderen Sprache sprechen zu lassen. Gerechtfertigt ist dies auch dadurch, dass hier die von den Nazis geraubte (deutsche) Sprache im eigenen Übersetzen zurückgegeben wird: Es kommt zu einer „Wiedergutmachung“. Im Unterschied zu den Autofiktionen widmet sich „Über die Flüsse“ auch der longue durée der Familienbiographie im 19. und 20. Jahrhundert und angesichts des Schicksals des Autors ist dies zu Teilen eine deutsch-französische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Damit ergänzt und systematisiert die Autobiographie die autofiktionalen Kindheits- und Jugendtrilogien in französischer und deutscher Sprache. Die Besuche im Nachkriegsdeutschland, etwa jener mit seinem Schwager, dem Philosophen Ludwig Landgrebe bei *Heidegger, verdeutlichten die Unmöglichkeit der Rückkehr in ein prosperierendes (West-) Deutschland, das seine unmittelbare Vergangenheit und Verantwortung verdrängte. Erst später entwickelte sich die Bundesrepublik für Goldschmidt zu einer überzeugenden Demokratie; der DDR wie den französischen Kommunisten stand er immer skeptisch gegenüber. Nach dieser vorläufigen Lebensbilanz kam Goldschmidt immer wieder auf seine Erfahrung des Jahrhunderts der Extreme zurück - etwa in „Le Poing dans la bouche“ (2004); „Le Recours“ (2005) oder „L’Esprit de retour“ (2011) - doch er setzte sich auch weiter mit seinen privilegierten literarischen - „Celui qu’on cherche habite juste à côté. Lecture de Kafka“ (2007) - sprachphilosophischen - „À l’insu de Babel“ (2009) - oder philosophischen Themen - „En présence du Dieu absent“ (2001) - auseinander. Auf sein Leben und Wirken kommt Goldschmidt in den Aufsätzen zurück, die er 2013 unter dem Titel „La joie du passeur. Une expérience d’identité transitoire“ (Paris) veröffentlicht, im gleichen Jahr erscheinen seine „Hamburger Poetikvorlesungen 1995“ unter dem Titel „Die Schreibspanne“ (Marbach) und die mit Hans- Jürgen Heinrichs geführten Gespräche, die den für Goldschmidt typischen Titel „Schwarzfahrer des Lebens“ (Frankfurt) tragen. Seit den 1980er Jahren ist Goldschmidt immer häufiger nach Deutschland eingeladen, von deutschen Zeitungen und Zeitschriften interviewt oder geehrt worden. Seine Biographie und sein so viel- Göttingen (Barbara) 278 G fältiges Werk machten ihn zu einem Zeugen des Jahrhunderts und zu einem einzigartigen Mittler zwischen Deutschland und Frankreich. Als jemand, der in beiden Sprachen schreibt und in beide übersetzt, über die Bedingungen dieses in zwei Sprachen Schreiben reflektiert und über die philosophisch-literarischen Grundlagen der beiden Kulturen nachdenkt, nimmt er einen privilegierten und zugleich heute (leider) so kaum noch möglichen Platz in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen ein. Dem ist vielfach Rechnung getragen worden: Von 1988 bis 2000 war er Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrats, seit 1995 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und 1997 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Osnabrück. Goldschmidt ist mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet worden, dem „Geschwister-Scholl- Preis“ (1991), dem „Bremer Literaturpreis“ (1993), dem „Ludwig-Börne-Preis“ (1999), dem „Nelly- Sachs-Preis“ (2001), der „Goethe-Medaille“ der Stadt Frankfurt (2002), dem „Prix France Culture“ (2004), dem *„Joseph-Breitbach-Preis" (2005) oder dem „Prix de l'*Académie de Paris" (2013), seit 2006 gibt es ein vom *DFJW finanziertes *Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm für junge Übersetzer (*Übersetzen/ Dolmetschen). Wolfgang Asholt (Hg.), Grenzgänge der Erinnerung. Studien zum Werk Georges-Arthur Goldschmidts, Osnabrück 1999; Klaus Bonn, Zur Topik von Haus, Garten und Wald, Meer - Georges-Arthur Goldschmidt, Bielefeld 2005; Detlev Landgrebe, Kückstr. 37. Eine Kindheit am Rande des Holocaust (Rheinbach 2009); Birgit Lonnemann, Übersetzungstheorien aus linguistischer Sicht am Beispiel von Georges-Arthur Goldschmidt, München 2008; Tim Trzaskalik, Gegensprachen. Das Gedächtnis der Texte. Georges-Arthur Goldschmidt, Frankfurt/ M. 2007; Simone Hein-Khatib, Mehrsprachigkeit und Biographie. Zum Sprach-Erleben der Schriftsteller Peter Weiss und Georges-Arthur Goldschmidt, Tübingen 2007; Tim Trzaskalik (Hg.), Georges- Arthur Goldschmidt, München 2009 (Text+Kritik Nr. 181). Wolfgang Asholt Göttingen (Barbara) Im Juli 1964 begab sich die französische Sängerin Barbara, die mit Geburtsnamen Monique Serf (1930-1997) hieß, in einem Gefühl der inneren Abneigung zu einem Konzert nach Göttingen. Hier schrieb sie, wie auf einer Tafel am ehemaligen Gebäude des Jungen Theaters zu lesen ist, die erste Version des Lieds „Göttingen“ und sang es auch zum ersten Mal. Wie konnte dieser individuelle Ausdruck der Vergebung zu einem Symbol der deutsch-französischen *Versöhnung werden? In ihren Memoiren schrieb Barbara: „Ich fuhr also nach Göttingen […]. Allein und wütend darüber, dass ich es akzeptiert hatte, in Deutschland zu singen“. Deutschland ließ bei ihr die Erinnerungen an den Krieg wieder hochkommen, in dem das kleine jüdische Mädchen sich verstecken musste. Trotzdem hatte Barbara dem Drängen einer Studentengruppe aus Göttingen nachgegeben, die sie in dem Pariser Cabaret L’Écluse bei einem Auftritt getroffen hatte. Der Aufenthalt in der niedersächsischen Stadt wäre fast abgebrochen worden, weil die Sängerin es ablehnte, auf einem Klavier zu spielen. Die Studenten liehen sich also einen Flügel, Barbara sang und die Reaktionen waren überwältigend. So blieb sie einige Tage länger als geplant und schlug am letzten Abend dem Publikum ein Lied vor, das sie während ihres Aufenthalts geschrieben hatte. Sie präsentierte den jungen Leuten „ein kleines Liebeslied“ der *Versöhnung. Sie machte Anspielungen an eine gemeinsame Kultur (die Märchen der Gebrüder Grimm) und wechselseitiges Verstehen. Sie sprach sich für Frieden und Vergebung aus, trotz der immer noch spürbaren Widerstände in einigen gesellschaftlichen Milieus und Gruppen. Obwohl sie nicht zu den frühen Verfechtern der deutsch-französischen Annäherung gehört hatte, stellte sie sich nun ganz in den Geist des *Élysée- Vertrags. Dass dieses Lied zu einem Symbol werden konnte, lag nicht unwesentlich an dem Engagement von Barbara und der Rezeption durch das Publikum. 1967 kam die Sängerin nach Göttingen zurück und sang das Lied bei dieser Gelegenheit auf Deutsch. Bei all ihren großen Konzerten, bis zum letzten im Châtelet im Jahre 1994, war „Göttingen“ Bestandteil des Programms. Wenige Monate vor ihrem Tod im Jahre 1997, nahm sie eine Auswahl ihrer größten Erfolge auf und sang zum ersten Mal auf der gleichen Platte die deutsche und französische Version von „Göttingen“. Schnell bemächtigten sich offizielle Vertreter des Symbols, das Barbara und „Göttingen“ repräsentierten: Im Jahre 1988 erhielt die Sängerin das Bundesverdienstkreuz für die Dienste, die sie mit ihrem Lied der deutsch-französischen Freund- Grappin, Pierre G 279 schaft erwiesen hatte. Zum 40. Geburtstag des *Élysée-Vertrags im Jahre 2003 beschwor Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer gefühlsbetonten Rede die Erinnerung an Barbara und zitierte die bekanntesten Verse des Liedes: Was ich nun sage, das klingt freilich für manche Leute unverzeihlich Die Kinder sind genau die gleichen in Paris, wie in Göttingen. Lasst diese Zeit nie wiederkehren und nie mehr Hass die Welt zerstören Es wohnen Menschen, die ich liebe, in Göttingen, in Göttingen. Für Schröder war Barbara mit ihrem Lied der Inbegriff des zivilgesellschaftlichen Engagements, das für die deutsch-französischen Beziehungen so wichtig sei, denn „der politische Wille bewegt noch keine Herzen“. Barbara, Il était un piano noir… Mémoires interrompus, Paris 1998; Marie Chaix, Barbara, Paris 2007; Valérie Lehoux, Barbara. Portrait en clair-obscur, Paris 2007. Corine Defrance Grappin, Pierre Lebenslauf und Wirken Pierre Grappins (1915- 1997) sind eng mit der bewegten Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert verbunden. Grappin wurde im lothringischen Dorf Coussey geboren, studierte ab 1936 Germanistik an der École normale supérieure (ENS) und an der Sorbonne, insbesondere bei *Edmond Vermeil. Zwischen 1936 und 1938 war er in München und Berlin immatrikuliert, 1939 legte er die agrégation d’allemand ab und wurde im Herbst bei Kriegsausbruch als Offizier eingezogen. Nach dem Waffenstillstand wirkte Grappin eine kurze Zeit als Dolmetscher bei der deutsch-französischen militärischen Kommission in Wiesbaden. Die Kriegsjahre standen unter dem Zeichen der aktiven Résistance in Paris und Lyon. Am 6.6.1944 wurde er von der Gestapo festgenommen, rettete sich aber vor der Deportation ins KZ Buchenwald, indem er aus dem rollenden Zug sprang. Grappin arbeitete in den ersten vier Nachkriegsjahren in der französischen Militärverwaltung in Baden-Baden. Gleichzeitig leitete er mit seiner Frau Jacqueline Prévost die Kulturzeitschrift *„Lancelot, der Bote aus Frankreich“ und einen gleichnamigen Verlag, dessen Ziel die Verbreitung der zeitgenössischen französischen Literatur war. 1951 habilitierte sich Grappin und lehrte zunächst an der Universität Nancy. 1959 trat er die Nachfolge *Robert Minders an der Sorbonne an. Er verließ die Sorbonne im Herbst 1964, um sich dem Aufbau einer neuen Philologischen Fakultät im Pariser Vorort Nanterre zu widmen, aus der später die Universität Paris X hervorging. Die Fakultät wurde bald zu einem Unruheherd und spielte 1968 eine wesentliche Rolle bei der studentischen „Mairevolution“ (*Daniel Cohn-Bendit). Nachdem er 1967 noch an der Gründung der *AGES beteiligt war, trat im Herbst 1968 als Dekan zurück. Nach einigen Jahren am CNRS nahm er den Ruf an die neu gegründete Universität Metz an, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte. Grappin hat ein beachtliches wissenschaftliches Œuvre hinterlassen, dessen Schwerpunkt auf der Periode zwischen Lessing und Heine liegt. Seine Habilitationsschrift „La Théorie du génie dans le préclassicisme allemand“ trug zur Aufwertung der Aufklärungszeit bei, indem sie die damals noch ungewöhnliche These der geistigen Einheit des deutschen 18. Jahrhunderts vertrat. Für die beiden großen Heine-Editionen der 1970er Jahre, der westdeutschen (Düsseldorf) wie der ostdeutschen (Weimar), gab er jeweils einen Textband und einen Kommentar-Band heraus. Er veröffentlichte zudem ein viel benutztes zweisprachiges deutsch-französisches Wörterbuch mit dem Ziel der Erschließung und Untersuchung der deutschen literarischen Zeitschriften. Grappins Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung wurde 1992 durch die Verleihung des *Prix de Gaulle-Adenauer gewürdigt, den er gemeinsam mit Alfred Toepfer erhielt. Der seit 1999 verliehene *Prix Pierre Grappin bewahrt sein Andenken. Pierre Grappin, L’Ile aux peupliers. De la Résistance à Mai 1968. Souvenirs du Doyen de Nanterre. Propos recueillis par Pierre Danchin, Nancy 1993; Roland Krebs, Pierre Grappin (1915-1997), in: Gerhard Sauder (Hg.), Germanisten im Osten Frankreichs, St. Ingbert 2002, S. 155-176 (mit einem Gesamtverzeichnis der Publikationen von Pierre Grappin). Roland Krebs Grosser, Alfred 280 G Grosser, Alfred Auch in Deutschland wird der Name Alfred Grosser mit französischem Akzent ausgesprochen und wie in Frankreich mit dem kritischen Nachdenken über das Nachbarland und über sich selbst verbunden. Am 1.2.1925 in Frankfurt/ M. geboren, Ende 1933 nach Frankreich emigriert, wurde Grosser in der Schule der Republik zum Franzosen, schon bevor er 1937 die französische Staatsbürgerschaft erhielt. Für den Politologen, Historiker, Publizisten, unermüdlichen Erklärer und Mittler bleibt die Frage der Identität(en) ein Zentralthema seines Lebens: Mit der ihm eigenen Freude an Wort- und Gedankenspielen hat er sein Verhältnis zur neuen Heimat Frankreich als „teilhabende Zugehörigkeit“ ( appartenance participante ) bezeichnet, während seine Verbindung mit Deutschland lediglich eine „sich einmischende Teilnahme“ ( participation d’ingérence ) sei. Als er in den 1990er Jahren erstmals seinen Lebensweg auf Deutsch und Französisch beschrieb, erschienen die zwei Bücher (und nicht die Übersetzung des einen Buchs) mit unterschiedlichen, vielsagenden Titeln: „Mein Deutschland“ (Hamburg 1993) und „Une vie de Français“ (Das Leben eines Franzosen, Paris 1997). Sein Vater Paul Grosser war Kinderarzt und leitete ein Kinderkrankenhaus in Frankfurt, bis es 1933 „arisiert“ wurde. Zum Entschluss, mit seiner Frau Lily und den zwei Kindern Margarete und Alfred nach Frankreich auszuwandern, kam der Vater, im April schon seiner Lehraufträge an der Medizinischen Fakultät enthoben, dann erst, als er aus dem Verband der Träger des Eisernen Kreuzes ausgeschlossen wurde. Ihm war klar, dass er in Deutschland nicht mehr als Deutscher betrachtet wurde. Die Familie hatte wenig Verbindung mit dem Judentum als Religion; als unerträglich empfand es Grosser später, dass ihm Hitler und die Nationalsozialisten die einengende Identität eines Juden aufzwangen. Anfang Februar 1934 besuchte der damals neunjährige Alfred seit kaum einem Monat das collège in Saint-Germain-en-Laye bei Paris, als sein Vater an Herzversagen starb. Im Juni 1940 mussten Alfred und die drei Jahre ältere Schwester auf dem Fahrrad vor der Wehrmacht fliehen; die Odyssee führte sie nach Saint-Raphaël am Mittelmeer, wohin die Mutter nachkommen konnte. Aber die Schwester starb im April 1941 mit 19 Jahren an einer sich auf dem Fahrrad zugezogenen Blutvergiftung. Alfred Grosser machte Abitur in Südfrankreich und begann das Studium der *Germanistik an der Universität Aix-Marseille, musste aber 1943 wieder fliehen. In einem Kloster bei Valence bekam er Hilfe, aber nur unter der Bedingung, sich taufen zu lassen. Trotz seines Atheismus erschütterte dies seine sich später bestätigende Sympathie für die katholische Kirche nicht. Mit falschen Papieren unterrichtete er dann bei Maristen-Brüdern in Marseille, wo er im August 1944 einen Bericht der BBC hörte, dass die Häftlinge von Theresienstadt, darunter die eigenen Onkel und Tante, nach Auschwitz überführt worden seien: „Geschlafen habe ich in dieser Nacht wenig, aber am nächsten Morgen war ich sicher, endgültig sicher, dass es keine Kollektivschuld gebe, so grauenhaft die Verbrechen, so zahlreich auch die Verbrecher. Dann kam bald die Überzeugung, dass ich, gerade im Gedanken an die Verstorbenen, eine Mitverantwortung trug für die Zukunft einer freiheitlichen Demokratie in Deutschland“ (Rede in der Frankfurter Paulskirche zum 9.11.1938 am 9.11.2010). Dieses Bewusstsein einer Mitverantwortung mündete in sein Engagement der Nachkriegsjahre, ganz im Sinne der Ermahnung und Ermunterung seines Freundes *Joseph Rovan, der gleich nach seiner Befreiung aus Dachau die deutsch-französische Schicksalsgemeinschaft in der Zeitschrift „Esprit“ als „L’Allemagne de nos mérites“ bezeichnete. Parallel zum Studium - 1947 belegte Grosser den ersten Platz bei der agrégation d’allemand - veröffentlichte er in der Résistance-Zeitschrift „Combat“ eine Artikelreihe über die deutsche Jugend; er wurde zum Geschäftsführer des von *Emmanuel Mounier gegründeten *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle und blieb bis zur Auflösung des Comité 1967 Herausgeber der Zeitschrift „Allemagne“. Seine Mutter Lily unterstützte ihn bis zu ihrem Tod 1968 als Sekretärin. Auf seiner ersten Deutschland-Reise im Sommer 1947 verfestigte sich seine lebenslang fortdauernde Überzeugung von der deutsch-französischen Zusammenarbeit. In seiner Geburtsstadt Frankfurt wurde er von Oberbürgermeister Walter Kolb empfangen, der selber im KZ eingesessen hatte: „Wir hatten uns nicht zu ‚versöhnen’, sondern uns der gemeinsamen Aufgabe bewusst zu werden“ (Rede in der Frankfurter Paulskirche am 9.11.2010). Immer wieder kritisierte er später das Wort *Versöhnung Grüber, Klaus Michael G 281 und zog Verständigung bzw. Zusammenarbeit vor. Denn was könne denn eine *Versöhnung zwischen zwei Volksgemeinschaften anderes bedeuten als die Illusion, dass ihre Identität fest in Raum und Zeit verankert und nicht wandelbar wäre? „Und dass es eine Art Gegenseitigkeit in der Schuld, eine Art Gleichheit im Verzeihen gäbe […]. Mit den unter Hitler inhaftierten Deutschen hatten wir uns nicht zu versöhnen; es ging vielmehr darum, nach dem Sieg über den Nationalsozialismus mit ihnen gemeinsam dafür zu arbeiten, dass das Deutschland der Nachkriegszeit ihrem Vorbild ähnelte“. In den 1950er Jahren war er Assistent für *Germanistik an der Sorbonne und wurde mit einer Arbeit über die politische und gesellschaftliche Situation in der jungen Bundesrepublik promoviert, ein Thema, das in der französischen *Germanistik damals nur wenig Gegenliebe fand. Er publizierte diese Arbeit als sein erstes Buch, „L’Allemagne de l’Occident“ (Paris 1953), das ihm den Weg zum Pariser Institut d’études politiques (Sciences Po) ebnete, das seine universitäre Heimat wurde (1956-1992). Dass Grosser nicht in die Politik ging, sondern in der Lehre blieb - neben der Pariser Rue Saint Guillaume zeitweise am Bologna Center, an der Johns Hopkins University und in Stanford - kam unzähligen Studenten zugute, die dann in Verwaltung, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien eine Tätigkeit fanden. Mit seinem moralischen Unterton kitzelte er nicht selten ihre Nerven, doch waren die Hörsäle immer voll. Aus seinem wöchentlichen informellen Kommentar der aktuellen Ereignisse am Donnerstag wurde eine Institution. Er verkörperte selber diese Kühnheit im Denken und setzte seine Maxime auch um: „Vergleichen ist nicht gleichsetzen […]. Von einem Gegenstand oder einem Ereignis zu behaupten, er/ es sei nicht vergleichbar, heißt ja, dass man bereits verglichen hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass er/ es in seiner Vortrefflichkeit oder in seinem Grauen radikal anders ist.“ Sein Beitrag zur Forschung und zum besseren Verständnis des deutschen Nachbarn durch seine Bücher - fast 50 an der Zahl - und publizistische Tätigkeit (in „La Croix“, „Le Monde“, „Ouest- France“ und vielen deutschen Zeitungen) wurde schon 1972 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt. Seine Themen sind nicht nur Deutschland und die Schuldfrage, sondern auch Erinnerung, politische Moral, Identität, der Dialog zwischen Konfessionen, Religionen und Andersdenkenden sowie das schwierige Verhältnis zwischen Deutschland und Israel. Der ständige kritische Dialog mit seiner Frau Annie und mit seinen vier Söhnen begleitet sein Denken in all diesen Themen. Nicht selten wurde er zur Zielscheibe von scharfer Kritik, so 2010 anlässlich seiner Rede in der Paulskirche zum Gedenken an die Reichspogromnacht. Das Schweigen ist ihm aber unerträglich, das Mahnen eine Pflicht und der intellektuelle Streit stets ein Lebensprinzip geblieben. Alfred Grosser, Politik erklären, München 1973; ders., Geschichte Deutschlands seit 1945, München 1974; ders., Ermordung der Menschheit, München 1991; ders., Von Auschwitz nach Jerusalem. Über Deutschland und Israel, Reinbek bei Hamburg 2009; ders., Die Freude und der Tod. Eine Lebensbilanz, Reinbek bei Hamburg 2011. Hélène Miard-Delacroix Grüber, Klaus Michael Der 1941 im deutschen Neckarelz geborene und 2008 auf der französischen Belle-Ile-en Mer gestorbene Klaus Michael Grüber ist einer der bedeutendsten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts und gleichermaßen in Deutschland und Frankreich bekannt - wenngleich er dem großen Publikum zeitlebens fremd blieb. Sein künstlerischer Werdegang oszillierte, was das Sprechtheater anbelangt, vordringlich zwischen zwei Polen: der Berliner *Schaubühne, an der *Peter Stein ihm in den 1970er Jahren die Kodirektion anbot, und Paris: Nach seinem „Faust-Salpêtrière“ 1975 in Paris, wurde er zum ständigen Gast des Festival d’Automne, unterstützt u.a. von Marie Collin, der Verantwortlichen für das Theaterprogramm des Festivals; darüber hinaus inszenierte er aber auch in den großen Opernhäusern von Aix-en-Provence, Amsterdam, Brüssel, Neapel, Salzburg, Wien oder Zürich. Nach einer Ausbildung an der Stuttgarter Schauspielschule verließ Klaus Michael Grüber Deutschland in Richtung Süden. In Mailand begann er am Piccolo Teatro als Regieassistent von Giorgio Strehler zu arbeiten. 1968 inszenierte Grüber hier sein erstes Stück; er verließ das Piccolo Teatro jedoch nur ein Jahr später, infolge der heftigen Reaktionen, die seine Inszenierung „Off Limits“ von Arthur Adamov provozierte. Seine Reise von Bühne zu Bühne führte ihn nach Handke, Peter 282 H Frankreich, das er zu seiner Wahlheimat machte. Hier pendelte er fortan zwischen der berühmten Künstlerresidenz La Ruche und seinen Freunden in Paris und der bretonischen Einsamkeit auf der Belle-Île-en-Mer. Schnell gelang es Grüber Mitstreiter zu finden, die zu seinen engsten Mitarbeitern wurden. Hierzu zählten insbesondere drei Maler - der Franzose Gilles Aillaud, der Spanier Eduardo Arroyo und der Italiener Antonio Recalcati - sowie seine Dramaturgin, Ellen Hammer, die ihn seit 1972 als künstlerische Mitarbeiterin begleitete. Gemeinsam mit ihnen begann er in den 1970er Jahren das Theater neu zu erfinden, indem er beispielsweise den konventionellen Bühnenraum verließ, um seine Inszenierungen mit anderen Architekturen zu konfrontieren und einem Wandlungsprozess zu unterziehen - sowohl im Spiel und in der Sprache der Schauspieler als auch mit vieldeutigen, kunstvollen Bühnenbildern. Durch Grübers Verbindung literarischer Texte und historisch aufgeladener Orte entstanden gewagte und nachhaltig eindrückliche Inszenierungen wie 1975 „Faust-Salpêtrière“ nach Goethes „Faust“ in der Kapelle des Hôpital de la Salpêtrière in Paris, die einst zu den berühmtesten psychiatrischen Kliniken Europas zählte. Im Dezember 1977 inszenierte er dann die „Winterreise“ nach Hölderlins „Hypérion“ im Berliner Olympiastadion sowie 1995 „Bleiche Mutter, zarte Schwester“ von Jorge Semprún auf dem russischen Soldatenfriedhof in Weimar (*Deutsches Theater in Frankreich). Wie es *Peter Stein formulierte, öffnete Grüber aber nicht nur „alternative Räume“, sondern entwickelte auch „alternative Arbeitsmethoden“ und fand „alternative Texte“. In seinen mehr als 70 Theater- und Operninszenierungen entdeckte bzw. wiederentdeckte Grüber zahlreiche Autoren wie Clemens Brentano, Hermann Broch, Friederich Hölderlin, Eugène Labiche, Vladimir Nabokov, *Anna Seghers oder Marina Zwetajewa. Gleichzeitig maß Grüber der Arbeit mit den Schauspielern, gleich ob er auf Deutsch, Französisch oder Italienisch arbeitete, eine zentrale Bedeutung zu und widmete Stars wie Bruno Ganz, Jutta Lampe, Bernhard Minetti, Ludmila Mikaël, Jeanne Moreau, Michel Piccoli oder Angela Winkler genauso viel Aufmerksamkeit, wie den Schauspielschülern oder Statisten. Georges Banu, Mark Blezinger, Klaus Michael Grüber… Il faut que le théâtre passe à travers les larmes…, Paris 1993; Uwe B. Carstensen, Klaus Michael Grüber, Berlin 1988; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Klaus Dermutz, Klaus Michael Grüber, Passagen und Transformationen, Berlin 2008; Bruno Ganz, Ruth Walz, Karl-Ernst Hermann, Der Verwandler Klaus Michael Grüber, Berlin 2009; Friedemann Kreuder, Formen des Erinnerns im Theater Klaus Michael Grübers, Berlin 2002; Gaëlle Maidon, Le dépassement de la mise en scène et la question de la théâtralité dans l’itinéraire de Klaus Michael Grüber, Paris (Dissertation) 2009; Klaus Michael Grüber - Théâtre national de Strasbourg 2012. Mark Blezinger, Gaëlle Maidon H Handke, Peter Selten erreichte in Frankreich ein deutschsprachiger Schriftsteller einen derartigen Bekanntheitsgrad wie der 1942 in Österreich geborene Peter Handke. Mit Ausnahme einiger weniger Texte ist sein Gesamtwerk ins Französische übersetzt. Ein wichtiger Aspekt der französischen Handke-Rezeption ist die Kontinuität: So waren es über weite Strecken stets dieselben Übersetzer, Verleger, Theaterregisseure und Kritiker, die sich mit dem Werk Handkes in Frankreich auseinandergesetzt haben. Eine herausgehobene Bedeutung kommt dabei *Georges-Arthur Goldschmidt zu: Dieser ist nicht nur für die meisten Handke-Übersetzungen verantwortlich, sondern war aufgrund seiner persönlichen und literarischen Verbundenheit mit Handke auch aktiv als Kulturmittler tätig. Regelmäßig schrieb er Kommentare, Essays, Vor- und Nachworte, er trat im Radio und Fernsehen auf, gab Interviews und verfasste die erste Monographie zu Handke in Frankreich. Die meisten Werke Handkes erschienen bei Gallimard, einem der renommiertesten und traditionsreichsten Verlagshäuser Frankreichs, was Handke von Anfang an mediale Beachtung sowie ein Netz an bedeutenden Verbindungen zu Vertretern des französischen Literaturbetriebs garantierte. Der erste Kontakt Handkes mit Frankreich 1967 erregte bereits große Aufmerksamkeit: „Der Hausierer“ sowie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ wurden in Frankreich mit dem Nouveau roman verglichen, was von Gallimard lanciert und durch Handke selbst durch den Hinweis auf seine frühe Beschäftigung mit Robbe-Grillet verstärkt wurde. Auch andere literarische Bewegungen, wie Haneke, Michael H 283 z.B. OuLiPo oder die Zeitschrift „Tel Quel“, begünstigten das Interesse an Handkes „Sprechstücken“ und „Kaspar“, den Peter Brook 1970 in Paris inszenierte. 1973 ließ sich Handke in Paris nieder. Er blieb zunächst bis 1978. Die physische Präsenz des Autors begünstigte sicherlich dessen starke Rezeption. Schlagartig berühmt wurde Handke 1974 durch das von Claude Régy inszenierte Stück „Der Ritt über den Bodensee“ - nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von fünf Star- Schauspielern, darunter Jeanne Moreau, Gérard Depardieu und Michael Lonsdale; 1978 folgte dann ebenfalls unter der Regie von Régy „Die Unvernünftigen sterben aus“ (*Deutsches Theater in Frankreich). Das durch die Theaterarbeiten erweckte Medieninteresse begleitete auch Handkes Prosaarbeiten jener Zeit: „Wunschloses Unglück“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Die Stunde der wahren Empfindung“ waren allesamt große Erfolge; „Die linkshändige Frau“ wurde mit 120 000 verkauften Exemplaren das bis heute meistverkaufte Buch Handkes in Frankreich. War Handke in der französischen Filmszene bis dato nur durch seine Nähe zu *Wim Wenders bekannt, eroberte er sich nun mit der von ihm selbst gedrehten Verfilmung der Erzählung, die sogar auf dem Festival de Cannes gezeigt wurde, einen eigenen Platz im Feld. Dennoch blieb die Nähe zu *Wenders auch in den kommenden Jahren wesentlicher Bestandteil der französischen Handke- Rezeption. Höhepunkte dieser Verschränkung waren einerseits der 1987 in Cannes ausgezeichnete Film „Der Himmel über Berlin“, andererseits 1989 die Berufung Handkes als Mitglied der Jury des Festivals unter dem Vorsitz von *Wenders. Als er 1979 nach Salzburg zog, ließ das Interesse nach: „Langsame Heimkehr“ (1979) stieß auf Unverständnis, wie auch die späte Übersetzung seines ersten Romans „Die Hornissen“ (1966) im Jahre 1983 und die französische Uraufführung von „Über die Dörfer“ (1983), abermals unter der Regie von Claude Régy, war kein Erfolg. Erst der Roman „Der Chinese des Schmerzes“ brachte 1986 die Wende: Handke wurde nun als politisch engagierter Autor wahrgenommen und zugleich erstmals eindeutig Österreich zugeordnet (*Österreichische Literatur in Frankreich). Die negativen Beschreibungen im Roman entsprachen dem damaligen durch die Waldheim-Affäre belasteten französischen Bild von Österreich als einem Land, das seine Nazi-Vergangenheit ignoriert. 1990 kehrte Handke nach Frankreich zurück und ließ sich im Pariser Vorort Chaville nieder, wo er seither lebt. Die Rezeption seines Werkes wurde in den 1990er Jahren durch seine Auseinandersetzung mit (Ex-) Jugoslawien bestimmt. 1996 verfolgte man kritisch die Diskussion über seine „Winterliche Reise“ in den deutschsprachigen Ländern, die in Frankreich weniger polemisch verlief, was sich auch durch das historische Verhältnis zu Serbien erklärt. Der Roman „In der Niemandsbucht“ wurde 1997 ein großer Erfolg. Nach dem Besuch Handkes beim Begräbnis von Slobodan Milošević wurde sein Stück „Das Spiel vom Fragen“ allerdings vom Spielplan der Comédie-Française genommen; die daraufhin einsetzende Diskussion in Frankreich mündete schließlich in die deutsche Debatte um die Vergabe bzw. Aberkennung des Heinrich-Heine-Preises (*Lefebvre, Jean-Pierre). Bemerkenswert sind auch Handkes Übersetzungen aus dem Französischen von Autoren wie Emmanuel Bove, René Char, Patrick Modiano, Marguerite Duras, *Georges-Arthur Goldschmidt oder Bruno Bayen, deren Einfluss auf sein eigenes Schreiben nicht unterschätzt werden darf. Dabei handelt es sich auch um eine individuelle Form der Kulturvermittlung, mit der er versucht, unbekannten Autoren zu Anerkennung zu verhelfen. Vor allem am Beispiel Emmanuel Boves zeigt sich die Bedeutung von Handkes Übersetzertätigkeit, insofern der Autor durch Handke zunächst in Deutschland entdeckt und dann in Frankreich wiederentdeckt wurde. Laurent Cassagnau, Jacques Le Rider, Erika Tunner (Hg.), Partir - revenir ... En route avec Peter Handke, Paris 1992; Arlette Camion, Image et écriture dans l’œuvre de Peter Handke, 1964-1983, Bern, New York 1992; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Silke Dürnberger, Entwicklung und Status quo französisch-österreichischer Kulturtransfers im literarhistorischen Kontext. Eine europäische Zweierbeziehung, Frankfurt/ M. u.a. 2002; Georges-Arthur Goldschmid, Peter Handke, Paris 1988; Elisabeth Schwagerle, Peter Handke en France. Réception et traduction, Paris (Sorbonne Nouvelle, Dissertation) 2006. Elisabeth Schwagerle Haneke, Michael Der 1942 in München geborene Filmregisseur Michael Haneke gehört zu den wenigen profilierten Filmemachern des deutschsprachigen Raums, Haneke, Michael 284 H die zugleich auch in Frankreich erfolgreich sind; in den letzen Jahren hat er zudem mit großem Erfolg viele seine Filme in Frankreich mit französischen Schauspielern gedreht. Seine Werke wurden vielfach preisgekrönt; auf dem Festival de Cannes wurde er bereits zweimal mit der Goldenen Palme ausgezeichnet: für „Amour“ (2012) sowie „Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte“ (2009), der zudem den Deutschen Filmpreis (in 10 Kategorien), den Europäischen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung für den besten ausländischen Film erhielt; 2010 wurde Michael Haneke auch zum Commandeur de l’ordre des arts et des lettres ernannt. 2013 wurde ihm der Auslands-Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film für sein Werk „Liebe“ verliehen. Michael Haneke wuchs in Wien auf, wo er aktuell auch lebt. Beide Eltern sind Schauspieler - ein Beruf, den Michael Haneke ergreifen wollte; er scheiterte aber an der Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar. Er begann Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaft zu studieren, brach dies aber nach einigen Semestern ab und entschied sich für eine Laufbahn als Dramaturg, als ihm der Südwestfunk in Stuttgart eine Stelle in der Fernsehspielabteilung anbot. Dort realisierte er zunächst verschiedene Fernsehfilme und inszenierte parallel immer wieder Theaterstücke (wie z.B. „Ganze Tage in den Bäumen“ von Marguerite Duras oder „Das Abendmahl“ von Peter Sichrovsky). Zum Kino kam er erst 1989 mit dem Spielfilm „Der siebte Kontinent“, der auf dem Festival de Cannes uraufgeführt wurde und ihm die Anerkennung der Kritik einbrachte. Schon hier zeigt sich die charakteristische Handschrift des Regisseurs Haneke: Seine Filme zeichnen sich durch eine intensive Beobachtung der Figuren aus, auf denen die Kamera in durchkomponierten Einstellungen ungewöhnlich lange verharrt und von den Schauspielern eine genaue Spielweise abverlangt. Dabei konzentriert sich Haneke immer wieder auf die psychischen Deformationen von Individuen, die durch gesellschaftliche Verhältnisse und kulturelle Bedingungen verursacht oder verstärkt werden und schließlich in Gewalthandlungen münden, deren Motive Haneke (bisweilen quälend) präzise erkundet. In seinen ersten drei Spielfilmen - neben „Der siebte Kontinent“, „Benny’s Video“ (1992) und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ (1994) -, die Haneke eine Trilogie der „Vergletscherung der Gefühle“ nennt, zeigt er den Zerfall von bürgerlichen Verhältnissen, die in der Selbsttötung einer Familie, in der Tötung eines Kindes durch ein Kind und in einem Amoklauf enden. Gewalt wird nicht als unterhaltsame, leicht rezipierbare Action inszeniert, sondern Haneke zeigt - durchaus im Sinne des von ihm geschätzten Theodor W. Adorno - die Psychopathologie der von gesellschaftlichen Verhältnissen geprägten Menschen. Haneke versteht das auch als Protest gegen eine Medienwelt, gegen eine „Zerstreuungsmaschine“, die die Menschen nicht mehr zum Nachdenken kommen lässt. Es geht ihm darum, den Zuschauer mit seinen nicht einfach konsumierbaren Filmen „zur Selbständigkeit zu manipulieren“. Das wurde besonders drastisch im Film „Funny Games“ (1997) umgesetzt, in dem Haneke zeigt, wie eine ganze Familie von zwei sadistischen Killern zum Spaß brutal ermordet wird. „Funny Games“ ist bewusst auf die Provokation des Publikums angelegt und bei der Premiere auf dem Festival de Cannes verließ ein erheblicher Teil selbst der professionellen Zuschauer den Saal. Verstörend wirkt in diesem Film nicht nur die Darstellung der Gewalthandlung selbst, sondern die Infragestellung der Position des Zuschauers, von dem Haneke eine moralische Entscheidung verlangt, die auch im Abbruch der Rezeption bestehen kann. Der Film entzweite die Kritik und wurde beim Publikum kein Erfolg. Auch das US- Remake, „Funny Games U.S.“ (2007), das Haneke mit amerikanischen Schauspielern realisierte, fand kaum Zuschauer. Um so mehr wurden die nachfolgenden Filme vom Publikum begrüßt, die Haneke als internationale Koproduktionen in Frankreich drehte: In „Code inconnu: Récit incomplet de divers voyages“ (2000), „La Pianiste“ (2001), „Le Temps du loup“ (2003), „Caché“ (2005) und „Amour“ (2012) hatte er Gelegenheit, mit etablierten Produzenten wie Marin Karmitz und bekannten französischen Schauspieler wie Béatrice Dalle, Daniel Auteuil, Annie Girardot, Maurice Bénichou, Emmanuelle Riva sowie Jean-Louis Trintignant zu arbeiten; mit Juliette Binoche und Isabelle Huppert drehte er sogar mehrere Filme. Auch in diesen Filmen beobachtet Haneke die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft, das Bröckeln der Fassade, den Ausbruch psychosozial motivierter Gewalt. Harig, Ludwig H 285 In „Caché“ kommt zu der kritischen Beobachtung der gesellschaftlichen Deformationen und der Medienwelt noch eine konkrete historische Dimension hinzu, die sich dem Zuschauer erst langsam erschließt: Die Ereignisse verweisen in ihrem Ursprung auf ein unaufgearbeitetes Tabuthema in Frankeich: das Massaker vom 17. auf den 18.10.1961 in Paris, wo bei einer friedlichen Demonstration auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs rund 200 Algerier von der französischen Polizei erschossen, erschlagen oder in der Seine ertränkt wurden. Der Film spielt in der Gegenwart. Durch geheimnisvolle Videobotschaften aufgeschreckt, fühlt sich ein bekannter Fernsehmoderator (Daniel Auteuil) einer Literatursendung bedroht und zugleich an eine lange verdrängte Episode aus einer Kindheit erinnert. Er verhinderte damals durch eine Intrige, dass seine Eltern einen etwa gleichaltrigen algerischen Jungen adoptierten. Als Erwachsene begegnen sie sich nun wieder, wobei sich sein Fast-Bruder von früher (Maurice Bénichou) während eines Gesprächs selbst die Kehle aufschlitzt. Die Spur von kindlicher Gewalt wird von Haneke auch in „Das weiße Band“ (2009) verfolgt und gleichfalls mit zeithistorischen Ereignissen verwoben. Ausgehend von mysteriösen Angriffen gegen die Bewohner eines kleinen ostdeutschen Dorfes beschreibt der Film die erstickend autoritäre gesellschaftliche Atmosphäre am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die verdeckten Gewaltverhältnisse schlagen in der Generation der Kinder (die zwei Jahrzehnte später die Nationalsozialisten an die Macht wählen sollten) in Heimtücke und offene Gewalt gegen Schwache um. Hanekes Filme lösen ihre Geheimnisse nicht auf, drängen dem Zuschauer keine Interpretation des Gesehenen auf. Das unterscheidet sie von kommerziellen Genreproduktionen und macht sie immer auch zu einer besonderen Herausforderung gerade für ein filmästhetisch vorgebildetes, auf neue Seherfahrungen neugieriges und kritisches Publikum, dem der Filmemacher seinen internationalen Erfolg verdankt. Thomas Weber Harig, Ludwig Man kann dem 1927 im saarländischen Sulzbach geborenen (und dort heute noch lebenden) Romancier, Hörspielautor und Essayisten Ludwig Harig wohl kaum das Etikett eines professionellen Kulturvermittlers zwischen Frankreich und Deutschland anheften. Er ist, in erster Linie, ein deutscher Schriftsteller, dem insbesondere mit einer erfolgreichen autobiographischen Romantrilogie - „Ordnung ist das ganze Leben“ (1986); „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ (1990); „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996) - ein gewichtiger erzählerischer Beitrag zur deutschen Mentalitätsgeschichte im 20. Jahrhundert gelungen ist, den man in einer Reihe mit den Romanen von Walter Kempowskis „Deutscher Chronik“ sehen darf. Und doch haben die Geburt im grenznahen und zeitweise französischen Saarland, die lebenslange Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Nachbarn *Eugen Helmlé und biographische Zufälle für eine Affinität zu Frankreich gesorgt, die sich auch literarisch im Werk von Ludwig Harig niederschlägt. Nach dem Volksschullehrerexamen (Harig war schon als 14-jähriger in die NS-Lehrerbildungsanstalt Idstein aufgenommen worden) ging er im Jahre 1949/ 50 als einer der ersten jungen, nicht aus der Emigration stammenden Deutschen für ein Jahr als Assistenzlehrer nach Lyon. Aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft mit dem ebenfalls 1927 geborenen, so schillernden und abenteuerlustigen Roland Cazet, der Harig im Jahre 2007 seinen „wahren Roman“ „Kalahari“ gewidmet hat. Man kann diesen Roman als die sehr persönlich gehaltene histoire parallèle einer Generation lesen, die, von Krieg und Jahrzehnte langer Feindschaft geprägt, auf dieselben Fragen nach Freiheit und selbstbestimmtem Leben, zwei verschiedene Antworten findet und sich dennoch eng verbunden fühlt. Harigs früher Frankreichaufenthalt (dem andere folgten) schlug sich auch in den 1950er und frühen 1960er Jahren in seiner Tätigkeit als Übersetzer nieder. Schon in Lyon übersetzte er Verlaines „Freundinnen. Szenen sapphischer Liebe“, eine Übersetzung, die allerdings - dafür ist der bundesdeutsche Klerikalismus des „Restauratoriums“ (Rühmkorff) verantwortlich - erst ein Vierteljahrhundert später publiziert wurde. Mit *Eugen Helmlé machte sich Harig dann Mitte der 1950er Jahre an die Übersetzung und Nachdichtung von Raymond Queneaus als unübersetzbar geltenden „Exercices de style“. Später folgte noch die in Alexandrinern gereimte und vielfach in Umgangssprache gehaltene Übersetzung der „Taschenkosmogonie“ Queneaus sowie der „Pastiches“ von Marcel Proust). Es sind Texte einer sprachspielerischen, experimentellen Literatur - wie des Harpprecht, Klaus 286 H von Queneau gegründeten „Ouvroir de littérature potentielle“ (Oulipo) -, der Harig sich in seinen Anfängen (und darüber hinaus) verpflichtet fühlte, als er den Stuttgarter Kreis um Max Bense frequentierte. Neben zahlreichen Hörspielen und anderen Texten entstanden in diesem Zusammenhang auch Harigs inzwischen legendäre „Sprechstunden für die deutsch-französische Verständigung und die Mitglieder des Gemeinsamen Marktes, ein Familienroman“ (1971). Dieser „Roman“ folgt im Aufbau den Vorgaben eines französischen Sprachlehrwerks, in dem sich die Geschichte der Familie „Dupont“ Satz für Satz um jeweils ein neues Wort bereichert. Harig hat daraus ein Spiel gemacht, in dem man wenig über Frankreich oder Deutschland erfährt, sehr viel aber über Sprache, wie wir Sprachen lernen und zur Sprache kommen. Insofern hat man es hier in der Tat mit einem deutsch-französischen Verständigungstext zu tun. Benno Rech (Hg.), Sprache fürs Leben, Wörter gegen den Tod. Ein Buch über Ludwig Harig, Blieskastel 1997. Jürgen Ritte Harpprecht, Klaus Der 1927 in Stuttgart als Sohn eines Pfarrers geborene Klaus Harpprecht lebt nicht nur seit vielen Jahren mit seiner Frau Renate Lasker-Harpprecht, einer Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, im südfranzösischen La Croix-Valmer/ Provence, sondern wirkt darüber hinaus als *Journalist, Rezensent und Buchautor als Mittler zwischen beiden Kulturen. Als Achtzehnjähriger wurde er - wie seine Jahrgangsgenossen Martin Walser, Günter Grass und Joseph Ratzinger - für die letzten Kriegsmonate Soldat. Nach dem Krieg wandte sich Harpprecht dem Journalismus zu, denn man habe dort, wie er einmal vor Studenten formulierte, „die Chance, viele Leben zu leben“. 1948 führte ihn sein Weg zunächst zur wöchentlich erscheinenden Zeitung „Christ und Welt“, sechs Jahre später dann, 1954, zum RIAS in die geteilte Stadt Berlin. 1956 wechselte Harpprecht zum WDR, 1962 dann zum ZDF als Auslandskorrespondent nach Washington, wo er sich zu einem Verfechter der deutsch-amerikanischen Beziehungen entwickelte. Für den jungen *Journalisten, Vertreter einer Generation, deren Leitsatz nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ein „Nie wieder“ war, ist die Westbindung der Bundesrepublik ein historischer Imperativ und die Grundlage für die „Lust an der Freiheit“. Die Devise dieses von ihm auch gewählten Buchtitels - „Die Lust der Freiheit. Deutsche Revolutionäre in Paris“ (1989) - ist es immer wieder, die ihn anregte, Berufe und Orte zu wechseln. Von 1966- 1969 war Harpprecht Leiter des S. Fischer Verlages in Frankfurt/ M., bevor er 1972 als Mitarbeiter des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt in die Politik ging: Harpprecht beriet Brandt in internationalen Fragen und leitete das Schreibbüro des Bundeskanzleramtes. Im Jahre 2000 brachte er die Erfahrungen dieser Zeit unter dem Titel „Im Kanzleramt“ heraus. Ende der 1970er Jahre kehrte Harpprecht dann in den Journalismus zurück, 1978 zunächst als Chefredakteur der Zeitschrift „GEO“, ab 1982 dann als Paris-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Harpprecht weiß Politik und Literatur auf eine ganz undramatische Art und Weise zu verbinden, wie er u.a. in ironisch-gebrochenem Stil in „Die Leute von Port Madeleine. Dorfgeschichten aus der Provence“ (2000) und 1995 in seiner monumentalen Biographie über Thomas Mann dokumentiert, der für Harpprecht das Geheimnisvolle des deutschen Bürgertums repräsentiert. Er gab bis zum Jahre 2010 „Die Andere Bibliothek“ heraus - gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Michael Naumann, der Harpprecht einmal als „den ersten globalisierten Geist der Republik“ bezeichnete. Bis heute ist Harpprecht ein Reisender geblieben, der sich einmischt - ganz besonders, wenn es um Frankreich geht, ein Land, zu dem er eine „schwierige Liebe“ unterhält („Mein Frankreich. Eine schwierige Liebe“, 1999). Seine kritische Analyse voller geistreicher und hintersinniger Beobachtungen begnügt sich jedoch nicht mit einfachen *Stereotypen, sondern weist Harpprecht als einen profunden Kenner des französischen Nachbarn aus. Dieses Einfühlungsvermögen kennzeichnet auch sein neues Buch „Arletty und ihr deutscher Offizier: Eine Liebe in Zeiten des Krieges“ (2011), in dem er auf subtile Weise die menschlichen Seiten der so genannten collaboration horizontale nachzeichnet, die Arletty in dem Prozess gegen sie mit Worten rechtfertigte, die Jean Cocteau als „Unverschämtheit von mythologischer Größe“ bezeichnete: „Mein Herz gehört Paris, mein Hintern aber der ganzen Welt“. Moritz Barske Hartung, Hans H 287 Hartung, Hans Der französische Maler deutscher Herkunft Hans Heinrich Ernst Hartung (1904-1989) gilt als einer der wegweisenden Künstler der gegenstandslosen Malerei und Grafik der westeuropäischen Nachkriegszeit. Seine ersten Studienjahre führten ihn an die Staatliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig sowie an die Akademie der Bildenden Künste in Dresden. Angeregt durch den Besuch der „Internationalen Kunstausstellung“ in Dresden (1926), wo ihn die französische Malerei des Kubismus und Fauvismus stark beeindruckte, setzte Hartung 1926/ 28 sein Studium in Paris im Atelier von Fernand Léger und André Lhote fort. Er heiratete 1929 die norwegische Künstlerin Anna-Eva Bergman. Nach einem Gestapo-Verhör in Berlin emigrierte Hartung nach Paris und bezog in der Rue Daguerre ein kleines Atelier. Er stellte nun regelmäßig zusammen mit Hans Arp und Wassily Kandinsky aus und nahm 1937 an der Ausstellung „De Cézanne à l’art non-figuratif“ im Jeu de Paume teil. Obwohl sein Pass von der deutschen Botschaft konfisziert wurde, blieb Hartung in Paris und arbeitete 1938/ 39 im Atelier des Bildhauers Julio González in Arcueil bei Paris. Nach der Scheidung von Anna-Eva Bergman heiratete er 1939 dessen Tochter Roberta González. Im gleichen Jahr meldete er sich bei der Fremdenlegion zum Kampf gegen den Nationalsozialismus. 1942 floh er vor den deutschen Besatzern von Südfrankreich nach Spanien, kämpfte dort gegen Franco und wurde interniert. Er kam nach Nordafrika und kehrte 1943 wieder als Fremdenlegionär nach Frankreich zurück. 1944 wurde sein rechtes Bein als Folge einer Verletzung, die er sich bei Kämpfen bei Belfort zugezogen hatte, amputiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann er wieder zu malen, wurde Mitglied der französischen Ehrenlegion und 1946 französischer Staatsbürger. Es begann nun eine rasante deutsch-französische Karriere als einer der Protagonisten der gegenstandslosen Malerei und Wegbereiter des Informel. Seine Arbeiten wurden regelmäßig ab 1946 im Salon des Réalités nouvelles sowie ab 1947 in der Galerie Lydia Conti in Paris ausgestellt. 1952 heiratete er Anna-Eva Bergman ein zweites Mal und mietete sich in der Rue Cels in Paris ein Atelier, das zu einem wichtigen Anlaufpunkt für Künstler aus aller Welt wurde. Große Aufmerksamkeit erfuhr er durch seine Teilnahme bei der Kasseler documenta 1955, 1959 und 1964. Zu seinem Erfolg in den Nachkriegsjahren trugen entscheidend Förderer und Kunstkritiker aus Deutschland bei, wo Hartung häufig als ein Vertreter der École de Paris geführt wurde. Insbesondere der Sammler gegenstandsloser Malerei Ottomar Domnick trat entschieden für Hartung ein, unterstützte ihn finanziell, nahm ihn in herausgehobener Position in der Wanderausstellung „Französische abstrakte Malerei“ von 1948 auf und widmete ihm bereits 1949 eine aufwendig gestaltete dreisprachige Monographie. Außerdem förderten ihn der Kunstkritiker Will Grohmann sowie der Galerist Otto Stangl. Ab Mitte der 1950er Jahre stellte sich auch größerer finanzieller Erfolg ein - private Sammler und Museen erwarben seine Gemälde, zunächst in Deutschland, ab den 1960er Jahren auch in Frankreich. Dieser Durchbruch wurzelte auch in Hartungs erster Einzelausstellung von 1957, die durch mehrere deutsche Städte reiste. Er erhielt im Anschluss eine Reihe von Preisen, u.a. 1958 als erster Preisträger den Rubens-Preis der Stadt Siegen sowie 1984 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. 1960 wurde ihm der Große Preis für Malerei auf der Biennale in Venedig zugesprochen und 1977 wurde er Mitglied des Institut de France. Mit wachsendem Erfolg kam es, dass sowohl die beiden deutschen Staaten als auch Frankreich Hartung als einen der ihren betrachteten, und er zu einer Projektionsfigur der deutschfranzösischen Annäherung während der Nachkriegsjahre wurde. Seit den 1980er Jahren trat Hartung zudem mit wichtigen Schenkungen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit: 1982 gingen einige seiner Werke an die Staatsgalerie moderner Kunst in München, 1983 Grafiken ans Dresdner Kupferstichkabinett und 2009 wiederum Grafiken an das Kupferstichkabinett Berlin, die Bibliothèque nationale in Paris und das Graphische Kabinett in Genf. Hartung und Bergman ließen sich 1973 im südfranzösischen Antibes nieder, wo sich heute die von ihm gegründete Fondation Hartung-Bergman der Aufarbeitung seines umfangreichen Œuvres widmet. Chantal Eschenfelder, Hans Hartung in Deutschland, in: Hans Hartung. So beschwor ich den Blitz, Köln 2004, S. 125-143; Hans Hartung, Autoportrait. Récit recueilli par Monique Lefèbvre, Paris 1976; Martin Schieder, Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959, Berlin 2005. Stefanie Rentsch Hausenstein, Wilhelm 288 H Hausenstein, Wilhelm Der in Hornberg (Schwarzwald) geborene Kunstschriftsteller Wilhelm Hausenstein (1882-1957) war als Generalkonsul (1950-1953) und Botschafter in Paris (1953-1955) ein bedeutender Schrittmacher der deutsch-französischen *Versöhnung nach 1945. Er studierte Klassische Philologie, Philosophie, Geschichte und Nationalökonomie an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und München und wurde 1905 mit einer Arbeit über „Die Wiedervereinigung Regensburgs mit Bayern im Jahre 1810“ promoviert, doch versperrte ihm sein Bekenntnis zum Sozialismus und der Eintritt in die SPD 1906 den Weg zur Habilitation. Er verdingte sich als freier Schriftsteller und nahm 1907 das Studium der Kunstgeschichte auf. 1916 arbeitete er kurzzeitig in der Pressesektion der Politischen Abteilung beim deutschen Generalgouverneur in Brüssel, ab 1917 als Freier Mitarbeiter der „Münchner Neuesten Nachrichten“. „Auf dem Sprung, Kommunist zu werden“, verließ Hausenstein 1919 die SPD, weil sie ihm zu kompromissbereit gegenüber der politischen Rechten zu agieren schien. Im April 1933 wurde er fristlos bei den „Münchner Neuesten Nachrichten“ entlassen und übernahm am 1.5.1934 die Schriftleitung des „Literaturblattes“ und der Frauenbeilage der „Frankfurter Zeitung“. Zwei Jahre später wurde er wegen seiner „nichtarischen“ Ehe aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, sodass er fortan keine Bücher mehr veröffentlichen durfte. 1943 ordnete das Reichspropagandaministerium seine Kündigung bei der „Frankfurter Zeitung“ und den Ausschluss aus der Reichspressekammer an. An seinem Wohnort Tutzing übersetzte er dann französische Lyrik und begann mit dem autobiographischen Roman „Lux Perpetua“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm er seine publizistische Tätigkeit wieder auf. 1948 schlug sich sein Renommee als unbelasteter Kunstschriftsteller in der Präsidentschaft der deutsch-französischen Schickele-Gesellschaft und der Mitgliedschaft in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste nieder, die er von 1950 bis 1953 als Präsident leitete. Kurz nach der Gründung der Bundesrepublik eröffnete sich für Hausenstein ein völlig neuer Lebensabschnitt. Am 4.7.1950 übertrug ihm Konrad Adenauer die Leitung des neu eröffneten deutschen Generalkonsulats in Paris. Bei dieser Wahl hatte sich der Bundeskanzler von drei Überlegungen leiten lassen: Zum einen wollte er keinen Berufsdiplomaten der alten Garde nach Paris entsenden; zum anderen hatte sich Hausenstein politisch mehr und mehr der CDU angenähert, und schließlich schien er als Vertrauter der französischen Kultur und Sprache für das schwierige Amt besonders geeignet. Hausenstein nahm die Herausforderung in der Überzeugung an, als Mittler zwischen den beiden Kulturen einen Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung leisten zu können. Das Tätigkeitsfeld als Generalkonsul war nicht unmittelbar politischer, sondern konsularischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur. Hausenstein maßte sich nicht an, mit Kunst „ein unmittelbares Politicum“ bilden zu können, war aber davon überzeugt, dass Kunstausstellungen, Theateraufführungen oder Operninszenierungen das politische Klima zwischen Deutschland und Frankreich günstig beeinflussen könnten. Im März 1951 wurde der Generalkonsul zum Geschäftsträger befördert. Mit der Ernennung zum Botschafter „ad personam“ durch Bundespräsident Theodor Heuss und der Umwandlung des Generalkonsulats in eine „Diplomatische Vertretung“ am 4.7.1953 begann dann der letzte Abschnitt seiner „Pariser Mission“. Wenngleich seine Aufgabenbereiche sich nun auch in die diplomatisch-politische Sphäre erstreckten, blieben der Kulturaustausch und die Verbesserung der atmosphärischen Beziehungen sein zentrales Metier. Großes Engagement entwickelte er bei der Förderung der „Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit“ (*GÜZ) und der Errichtung eines Deutschen Hauses (*Heinrich-Heine-Haus) in der Cité universitaire de Paris. Hausenstein regte die Neubesetzung des Lehrstuhls für Geschichte der deutsch-französischen Kulturbeziehungen an der Universität Mainz an und unterstützte den Bau einer deutsch-französischen Gemeinschaftskirche in Le Mans (*Konfessionelle Beziehungen). Eine der wichtigsten Aufgaben bestand für ihn in der Einbindung der kulturellen Tätigkeitsfelder in ein *Deutsch-Französisches Kulturabkommen. Nachdem die Bundesrepublik mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5.5.1955 ihre Souveränität erhalten hatte, leitete Adenauer die Umwandlung der Diplomatischen Vertretung in eine Botschaft ein. Hausensteins Wunsch, noch das Beglaubigungsschreiben eines Vollbotschafters zu Heidegger, Martin H 289 erhalten und dann aus dem Dienst ausscheiden zu dürfen, stieß beim Kanzler auf wenig Verständnis. Zwei Tage bevor der neue Botschafter Vollrath von Maltzan die Dienstgeschäfte aufnahm, hatte Hausenstein die französische Hauptstadt am 16.5.1955 zu verlassen. Nicht nur die Art seiner Demission, auch der anschließende Umgang des Auswärtigen Amts mit dem Botschafter im Ruhestand erfüllte ihn mit großem Verdruss. Während Frankreich ihm als Anerkennung für seine Arbeit im September 1955 zum Grand officier de la légion d’honneur ernannte, wurde in Bonn die Ansicht kolportiert, Hausenstein sei doch stets Kunstschriftsteller geblieben und habe sich allzu sehr auf die kulturelle, „menschliche“ Ebene der deutsch-französischen Verständigung konzentriert. Damit nicht genug verwehrten die deutschen Behörden dem mittlerweile 73-Jährigen aus formaljuristischen Gründen eine reguläre Pension. Hartnäckige Widerstände gegen den Seiteneinsteiger und Mann des Geistes in Bonn und die am Dienstort in Paris noch wache Erinnerung an die soeben erst überwundene Katastrophe hatten Hausensteins Mission von Anfang an schwer belastet. Gleichwohl verstand er es mit seinem glaubwürdigen, nie erlahmenden Einsatz für die *Versöhnung der beiden Nationen Ressentiments zu beschwichtigen und eine auf die Zukunft gerichtete günstige Atmosphäre zu schaffen. Laurence Blanc, Wilhelm Hausenstein. Un médiateur culturel et politique entre l’Allemagne et la France, Paris 1997; Ulrich Lappenküper, Wilhelm Hausenstein, Adenauers erster Missionschef in Paris, in: VfZ 43 (1995), S. 635-678; Peter Matthias Reuss, Die Mission Hausenstein (1950-1955). Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Sinzheim 1995; Johannes Werner, Wilhelm Hausenstein. Ein Lebenslauf, München 2005. Ulrich Lappenküper Heidegger, Martin Seit inzwischen über 60 Jahren nimmt Martin Heidegger (1889-1976) in Frankreich nicht allein in philosophischen Fachdiskursen einen herausragenden Platz ein, sondern ist auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Tageszeitung „Le Monde“ bezeichnete ihn in ihrem Nachruf anlässlich seines Todes als „den größten Philosophen unserer Zeit“. Die enorme Wirkung des deutschen Philosophen auf die französische Denkwelt mag in Deutschland überraschen. Dabei gewinnt man den paradoxen Eindruck, dass sein Denken einerseits immer wieder als Anstoß für die Entwicklung eher oberflächlicher Philosophiemoden diente, diesen andererseits jedoch auch Tiefe verliehen hat. Heidegger war bereits vor dem Krieg in Frankreich bekannt, vor allem dank Henry Corbin, der mehrere Vorlesungen und einige Kapitel aus „Sein und Zeit“ (1927) übersetzte, die 1938 in dem Band „Qu’est-ce que la métaphysique? “ erschienen. Das lebhafte Interesse an seinem Denken und seiner Person setzte ab 1945 ein und durchlief bis heute verschiedene Phasen - teilweise parallel zu den prägendsten Etappen der französischen Philosophie. Nach Kriegsende erteilte die französische Besatzungsmacht Heidegger, der seit 1928 als Nachfolger Edmund Husserls den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Freiburg innehatte, aufgrund seiner Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus ein Lehrverbot: So war Heidegger nicht nur von 1933 bis zum Kriegsende Mitglied der NSDAP gewesen, sondern hatte sich als Rektor der Universität Freiburg u.a. auch an der Gleichschaltungspolitik der Nazis beteiligt. Das Verbot, das ihn im eigenen Land isolierte, wurde 1951 mit seiner Emeritierung aufgehoben, seine Äußerungen, vor allem jedoch seine Nicht-Äußerungen, d.h. sein Schweigen zu seiner Rolle im NS-Regime, wurden in der Nachkriegszeit in der Presse weiterhin kritisch kommentiert. Während dieser Zeit begann seine persönliche Beziehung zu Frankreich, die bis heute nachwirkt. Beschäftigt man sich mit dieser ungewöhnlichen Geschichte, stößt man zunächst auf den Namen Jean Beaufret. Er unterhielt, so der Philosophiehistoriker Dominique Janicaud, als einziger französischer Philosoph einen freundschaftlichen Dialog mit Heidegger bis zu dessen Tod 1976. Heidegger hatte 1946 auf Beaufrets Frage, wie man angesichts der Schrecken der Naziherrschaft dem Wort „Humanismus“ wieder Sinn geben könne, eine als „Brief über den Humanismus“ bekannt gewordene Antwort verfasst, die sich indirekt auf *Jean-Paul Sartres Schrift „L’existentialisme est un humanisme“ (1946) bezog. Auf *Sartre, der sich 1933/ 34 als Stipendiat des *Institut français in Berlin intensiv mit Husserl beschäftigt hatte und auf diesem Weg auf Heidegger gestoßen war, übte der schwäbische Philosoph ebenfalls großen Einfluss aus. Heinrich-Heine-Haus Paris 290 H Dass die Schriften Heideggers in Frankreich sowohl den *Existentialismus der unmittelbaren Nachkriegszeit, als auch später den Strukturalismus stark beeinflussten und Heidegger durchaus mit *Foucault und selbst Lacan in Verbindung gebracht werden kann, gehört zu den Besonderheiten der französischen Heidegger-Rezeption. Paradox erscheint dabei, dass Heideggers Nachkriegsschriften in Frankreich eher übersetzt und zur Kenntnis genommen wurden als etwa sein bahnbrechendes erstes Hauptwerk „Sein und Zeit“. Seit Kriegsende wurden Heideggers Werke im Licht seiner Haltung während des Nationalsozialismus kontrovers und mit breitem öffentlichem Interesse diskutiert. Die bis heute geführte Debatte, die einen ihrer Höhepunkte 1987 anlässlich der Veröffentlichung einer Studie des chilenischen, in Berlin lehrenden Philosophen Victor Farias zu „Heidegger et le nazisme“ fand, beschränkt sich in Frankreich nicht auf das philosophische Fachpublikum. Dabei ging es häufig jedoch nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk des Philosophen, sondern die erhitzten Diskussionen beschränken sich vielmehr auf eine unfruchtbare Konfrontation von Verehrung und Verachtung. Heideggers neue Herangehensweise an die Metaphysik beschäftigte verschiedene französische Philosophen der Gegenwart, deren jeweiliges Verhältnis zu ihm durch ein wechselvolles Spiel von Nähe und Distanz, Anziehung und Feindseligkeit geprägt ist. Zu nennen sind hier u.a. Emmanuel Lévinas, der 1927/ 28 bei Husserl und Heidegger in Freiburg studiert hatte, Paul Ricœur oder Jacques Derrida, aber auch der 2010 verstorbene Kostas Axelos, der Heidegger 1955 in Cérisy-la-Salle auf einem Kolloquium zur Frage „Was ist Philosophie? “ kennenlernte und der in seiner Dissertation „Einführung in ein künftiges Denken“ (1961) Heidegger mit Marx zusammenbrachte. Es zeichnet sich ab, dass sich die zukünftige Auseinandersetzung mit Heideggers Denken in Frankreich mit einer Verknüpfung von Sprachbetrachtungen - insbesondere zum Problem der Übersetzung sowie zum Dialog zwischen Denken und Poesie - und der Frage nach einer planetarischen Technik beschäftigen werden. Tom Rockmore, Heidegger und die französische Philosophie, Lüneburg 2000; Dominique Janicaud, Heidegger en France, Paris 2001; Florian Grosser, Revolution denken. Heidegger und das Politische 1919 bis 1969, München 2011. Claude Roëls Heinrich-Heine-Haus Paris Maison Heinrich Heine Die Maison Heinrich Heine, Fondation de l’Allemagne ist (als Teil der Cité internationale universitaire de Paris) ein Wohnheim und eine Begegnungsstätte für Studierende und Wissenschaftler aus Deutschland. Aufgrund seiner umfangreichen Bibliothek und zahlreichen Kulturveranstaltungen zählt es (neben dem *Goethe-Institut, dem *Deutschen Historischen Institut sowie dem *Deutschen Kunstforum) zu den bedeutenden deutschen Kulturzentren in Paris. Das Haus, eine Schenkung an die Université de Paris, genießt Selbstverwaltungsrecht in der Rechtsform einer gemeinnützigen Stiftung französischen Rechts (Fondation reconnue d’utilité publique) seit 2011. Im Stiftungsrat, unter Vorsitz des Deutschen Botschafters in Paris, sitzen einerseits die Repräsentanten des französischen Eigners (Rectorat de l’Académie de Paris, Cité internationale) und Vertreter der deutschen Stifter und Geldgeber (Auswärtiges Amt, Bundesländer), andererseits ernannte deutsche und französische Experten sowie zwei gewählte Residentenvertreter. Der Leiter wird auf Vorschlag des Stiftungsrats von französischer Seite für ein jeweils dreijähriges Mandat ernannt und ist beim *DAAD in Bonn angestellt, bei dem auch die Bundesmittel zur Finanzierung des Hauses verwaltet werden. Der Bau eines Deutschen Hauses in der Pariser Cité universitaire - im Jahre 1925 als ein Werk der Völkerverständigung für französische Studierende und Jungakademiker aller Länder gegründet - hat eine lange Vorgeschichte. Der Plan konnte jedoch erst nach der Gründung der Bundesrepublik Anfang der 1950er Jahre erfolgreich umgesetzt werden. Die Initiative ging im Wesentlichen von Vertretern deutscher Hochschulen aus und fand die starke politische Unterstützung, nicht zuletzt bei Bundeskanzler Konrad Adenauer sowie André François-Poncet, dem französischer Hochkommissar in Bonn, der 1950 gleichzeitig Präsident der Fondation Cité universitaire geworden war. 1953 konnte die Schenkungsurkunde unterzeichnet und 1956 schließlich die Maison de l’Allemagne eröffnet werden. Sie bietet seither gut 100 Studierenden höherer Se- Heller, Clemens H 291 mester einen Wohnplatz und günstige Arbeitsbedingungen. Da auf einen Wohnplatz mehr als drei Bewerber kommen, findet ein Auswahlverfahren statt; im Austauschverfahren werden etwa ein Drittel nicht-deutsche Studierende aufgenommen. Auftrag und Aufgabe der Maison de l’Allemagne als erster deutscher kultureller Institution in Paris nach Ende des Zweiten Weltkriegs gingen von Anfang an weit über die einer Begegnungsstätte von deutschen und ausländischen Studenten hinaus, da man deutsche Kultur in Paris auch außerhalb der Cité universitaire repräsentieren wollte. Das Haus verfügte über die nötigen Finanzmittel für die Gestaltung eines ansprechenden, zunächst eher traditionellen und wenig politisch ausgerichteten Kulturprogramms mit Musik und Vorträgen zu kulturellen und literarischen Themen von namhaften deutschen, aber auch französischen Wissenschaftlern. Die Eröffnung des *Goethe-Instituts, des *DHI Paris sowie weiterer kultureller deutsch-französischer Einrichtungen bis Mitte der 1960er Jahre beendete schließlich die Monopolstellung, welche die Maison de l’Allemagne auf diesem Gebiet bis dahin gewissermaßen besessen hatte. Trotz starker Einbrüche in den Unruhejahren nach 1968, als die offizielle deutsche Seite eine Rückgabe der Selbstverwaltung (und Finanzierung) erwog, konnte sich die traditionelle kulturelle Rolle des Hauses in den 1970er und 1980er Jahren wieder beleben und bis heute verstetigen lassen. Unterstützt wurde diese Renaissance durch den neuen Verwaltungsträger in Deutschland, den *DAAD, der 1967 den „Verein der Freunde des Deutschen Hauses“ abgelöst hatte und sich als professionell geführte und von der Politik weithin unabhängige Institution mit Erfolg für die Weiterentwicklung des Hauses einsetzte. Die Umbenennung auf den heutigen Namen Heinrich-Heine-Haus war 1973 das Signal für einen Neuanfang im Geiste des berühmten Namenspatrons: So sollte es nun weniger um deutsche Selbstdarstellung gehen, sondern um Integration in das französische Umfeld, d.h. Dialog und Austausch mit Frankreich und anderen in der Cité vertretenen Ländern. Dabei hat das Heine-Haus den Vorteil, nicht die offizielle kulturelle deutsche Vertretung zu sein, sondern eine französische Institution mit deutscher Finanzierung und weitgehend inhaltlicher Unabhängigkeit, die von allen Direktoren - sieben seit 1956: Hans Steffen, Theo Buck, Hermann Harder, Roland Kaehlbrandt, Martin Raether, Joachim Umlauf und Christiane Deussen, unter denen sich auch einige ehemalige *Lektoren finden - mit Verve verteidigt worden ist: Auf dieser Grundlage könnte das Heine-Haus mit seinem (inzwischen deutlich stärker politisch und gesellschaftlich ausgerichteten) Kulturprogramm in den vergangenen fünf Jahrzehnten bedeutende Persönlichkeiten, Funktionsträger und Intellektuelle aus beiden Ländern anziehen und sich einen hervorragenden Platz nicht nur innerhalb der Cité universitaire, sondern in der Pariser Kulturszene sichern. Dass dies im Namen eines einst aus Deutschland emigrierten und deshalb dort lange Zeit angefeindeten jüdischen Dichters passierte und passiert, hat sicherlich zusätzlich positive Auswirkungen gehabt. Martin Raether (Hg.), Maison Heinrich Heine Paris. Quarante ans de présence culturelle, Bonn u.a. 1998; Ulrich Lappenküper, Ein „Mittelpunkt deutscher Kulturarbeit“. Das Deutsche Haus in der Cité universitaire de Paris (1950-1956), in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutschfranzösische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 257-279; Joachim Umlauf, Düsseldorf-Paris ... wie Heinrich-Heine-Universität und Heinrich-Heine-Haus zu ihrem Namen kamen, in: Passerelles et passeurs. Hommages à Gilbert Krebs et Hansgerd Schulte, Asnières 2002, S. 375-400; Hans Manfred Bock, Versöhnung und Verständigung. Die Maison de l’Allemagne in der Cité Universitaire de Paris 1956-1972, in: ders., Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2010, S. 295-338. Hermann Harder Heller, Clemens Der in Wien geborene Wissenschaftsorganisator Clemens Heller (1917-2002), der von Paris aus die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend beeinflusste, war in drei Kulturen zu Hause: Geboren als Sohn des Freud-Verlegers Hugo Heller emigrierte der Österreicher im Jahr 1938 in die USA und lebte seit 1949 in Paris, um an seiner Doktorarbeit über Rechnungsbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts zu arbeiten. Im Umkreis der VI. Sektion der École pratique des hautes études war er zunächst als Lehrbeauftragter, dann in verschiedenen Vertretungsfunktionen tätig, bis er im Jahr 1971 zum Directeur d’études ernannt wurde. Vor allem aber wirkte Heller als herausragender, weil visionärkongenialer Wissenschaftsmanager. An der Seite Helmlé, Eugen 292 H Fernand Braudels prägte er als „unvergleichlicher wissenschaftlicher Stimmungsmacher“ (*Pierre Bourdieu) die europäische Wissenschaftslandschaft und ihre Neuorganisation nach 1945 unter den Paradigmen von Interdisziplinarität und Internationalität. In diesem Rahmen hat Heller auch die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen auf vielfältige Art und Weise gesteuert und bestärkt. Sei es mit der Einladung des ersten deutschen Gastprofessors an die École des hautes études en sciences sociales (1983, *Rudolf von Thadden), der Anschubfinanzierung für die Zeitschrift „Comparativ“ (1990/ 91), der Einrichtung von Volkswagenstipendien an der Maison des sciences de l’homme oder den engen Kontakten zu einzelnen Einrichtungen, wie dem Wissenschaftskolleg zu Berlin oder dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Bilaterale Kooperationsprojekte hielt Heller grundsätzlich für zu eng angelegt und wenig produktiv. Sein Beitrag zu den deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen liegt vor allem in deren Einbindung in größere internationale Zusammenhänge. Zentral hierfür ist Hellers Einladungspolitik, zu der seit Beginn der 1950er Jahre auch osteuropäische Forscher gehörten und die in den 1980er Jahren in der Einrichtung der Maison Suger kulminierte, einem Appartementhaus für Gastforscher der Maison des sciences de l’homme im Zentrum von Paris, mit Mitteln insbesondere der Volkswagenstiftung (1985-90). Hellers Bedeutung für den Aufstieg der Sozialwissenschaften ist nicht zu überschätzen (*Programme franco-allemand du CNRS). Seine multilateralen Netzwerke zwischen Politik und Wissenschaft führten vom Salzburg-Seminar im Nachkriegsösterreich (1947ff.) über das Programme d’aires culturelles der VI. Sektion der École pratique des hautes études (1955ff.) bis zur Planung und Gründung der Maison des sciences de l’homme in den frühen 1960er Jahren. Darüber hinaus hat Heller wichtige Institutionalisierungsprozesse der Sozialwissenschaften initiiert und begleitet: 1959/ 60 als Experte der UNESCO für das Social Sciences Centre in Athen; 1961-1969 als Stellvertretender Generalsekretär des International Social Science Council, 1966-1985 als Stellvertretender Geschäftsführer der Maison des sciences de l’homme, 1985- 1992 als Geschäftsführer der Maison des sciences de l’homme. Die Wissenschaftspolitik Hellers zeichnet sich durch bedingungslose Internationalität, disziplinensprengenden Forschungsenthusiasmus und die hohe Kunst der Drittmitteleinwerbung aus. Vor allem aber ist sie geprägt von der lebenslangen Leistung Hellers, Forscher zusammenzubringen, „die gar nicht wissen, dass sie zusammengehören“. (Helga Nowotny) Maurice Aymard, In memoriam Clemens Heller (1917- 2002), in: Social Science Information (2003) 42/ 3, S. 289-292; Hartmut Kaelble, Maison Suger in Paris, 16-18 rue Suger, 75006 Paris, in: Armin Heinen, Dietmar Hüser (Hg.), Tour de France. Eine historische Rundreise. Festschrift für Rainer Hudemann, Stuttgart 2008, S. 515-518. Anne Kwaschik Helmlé, Eugen Der in Ensdorf/ Saar geborene studierte Romanist (und gelernte Konditor! ) Eugen Helmlé (1927-2000) nimmt in der Reihe der großen Übersetzerpersönlichkeiten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der französischen Gegenwartsliteratur einen Weg nach Deutschland bahnten, eine Sonderstellung ein. Weniger aufgrund der beeindruckenden Menge an Titeln, die seine immer noch nicht zuverlässig erstellte Bibliographie umfasst (man kann von gut 100 Büchern ausgehen, darunter einige Übersetzungen aus dem Spanischen: u.a. von Max Aub, Pere Gimferrer, Juan Goytisolo), sondern eher aufgrund der besonderen sprachlichen Qualität der Texte, die den wesentlichen Teil seines übersetzerischen Œuvres ausmachen (die Palette reicht von Albert Cohen bis Yasmina Reza, von Alfred Jarry über Boris Vian bis René de Obaldia). Ausgehend von Raymond Queneau (dessen bis dahin als „unübersetzbar“ geltende „Exercices de style“ (1947) er 1960 mit seinem Freund *Ludwig Harig erstmals auf Deutsch vorlegte), galt Helmlés Interesse vor allem den sogenannten experimentellen und sprachspielerischen Autoren, wie sie sich ab 1960 etwa in der von Raymond Queneau und François Le Lionnais gegründeten, auf das legendäre Collège de ‘Pataphysique zurückgehenden Autorengruppe des Ouvroir de littérature potentielle (Oulipo), jener „Werkstatt für potentielle Literatur“, versammelten. Neben Raymond Queneau oder Jacques Roubaud galt Helmlés besonderes Interesse hier dem so monumentalen wie singulären Hertling, Nele H 293 Werk Georges Perecs (1936-1982), das er ab 1966 nicht nur annähernd vollständig übersetzte, sondern, unter schwierigsten verlegerischen Bedingungen, auch in Deutschland durchsetzte. Hier gilt, was Helmlé noch 1997 rückblickend auf die „Stilübungen“ in einer Festschrift für den Freund *Ludwig Harig festhielt: „Die Übersetzung [war] fast ein Kinderspiel, verglichen mit den Mühen, einen Verleger für diese Texte zu finde.“ Eugen Helmé verstand sich, bei allen materiellen Zwängen, denen dieser Beruf unterliegt und für dessen Anerkennung und Aufwertung als genuiner „Autorentätigkeit“ er sich zeitlebens engagierte, nicht als Auftragsübersetzer, sondern als Entdecker und Vermittler. Das Werk der von ihm übersetzten Autoren begleitete er in Aufsätzen, Essays, Vorworten auf dem Weg zum deutschen Leser, so etwa, als er im Jahre 1986 beim Verlag Zweitausendeins Perecs lipogrammatischen Roman „La disparition“ unter dem Titel „Anton Voyls Fortgang“ auf Deutsch vorlegte: Ein, im Original, über 300 Seiten langer Roman, der, wie die Übersetzung, vollständig auf den Buchstaben „e“ verzichtet. Dass es dabei nicht nur um den besonderen exploit, die akrobatische Performanz von Autor und Übersetzer ging und geht, sondern um ein spezifisches Verständnis von Literatur, das die Dichtung zunächst von der Sprache aus denkt, suchte Helmlé den deutschen Verlegern und Lesern stets deutlich zu machen. Unter anderem damit leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung einer literarischen Praxis (begleitet von einer ästhetischen Theorie, wie sich in den 1960er Jahren im Umfeld etwa der Zeitschrift „Tel Quel“ entwickelte), von der der deutsche Sprachraum (mit Ausnahme vielleicht der Wiener Gruppe) nach 1945 weitgehend abgeschnitten blieb. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass Eugen Helmlé für die Hörspielredaktionen des Saarländischen Rundfunks und des damaligen Süddeutschen Rundfunks (Redaktion Helmut Heißenbüttel) zahlreiche französische Autoren wie Obaldia oder Perec rekrutierte, die mit ihren Produktionen (oftmals in Zusammenarbeit mit Helmlé direkt auf Deutsch geschrieben) einen bislang noch nicht wirklich erschlossenen Beitrag zum Neuen Hörspiel (*Hörfunk) leisteten. Das 1968 erstmals ausgestrahlte Hörspiel „Die Maschine“ (Variationen auf „Wanderers Nachtlied“ von Goethe), das Helmlé in Gemeinschaftsarbeit mit Georges Perec schrieb, gehört heute zu den meistgespielten Stücken des Repertoires. Seit 2005 verleihen der Saarländische Rundfunk, die Stadt Sulzbach und der Verband der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes jährlich den mit 10 000 Euro dotierten Eugen-Helmlé-Preis abwechselnd an deutsche und französische Übersetzer - Tobias Scheffel (heute selbst Jurymitglied, neben *Jean-Pierre Lefebvre), *Nicole Bary und Claude Riehl seien als Preisträger genannt; 2012 erhielten Renate Lance-Otterbein und *Alain Lance den Preis für ihre Übersetzungen von Autoren wie Christa Wolf, Ingo Schulze und Volker Braun. Benno Rech (Hg.), Sprache fürs Leben, Wörter gegen den Tod. Ein Buch über Ludwig Harig, Blieskastel 1997. Jürgen Ritte Hertling, Nele Die 1934 in Berlin geborene Nele Hertling ist eine der wichtigsten Theaterfrauen in Deutschland und gleichzeitig eine zentrale Mittlerfigur im deutsch-französischen Kulturfeld. Nach einem Studium der Philosophie, Germanistik, Theater- und Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin arbeitete sie zunächst freischaffend für Rundfunk und Theater. 1960 heiratete sie den Architekten Cornelius Hertling, mit dem sie nach West-Berlin übersiedelte, wo sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Künste in den Abteilungen Musik und Darstellende Kunst wurde. In den 1970er Jahren organisierte sie die parallel zum Berliner Theatertreffen stattfindende Reihe Pantomime-Musik- Tanz-Theater. 1988 übertrug man ihr die Leitung der Werkstatt Berlin, die Teil des Programms der Kulturhauptstadt Europa war. 1989 übernahm sie das unbedeutend gewordene Hebbel-Theater in Berlin, das sie zu einer international bekannten Gastspiel- und Produktionsstätte machte und bis 2003 leitete. Hier avancierte sie u.a. zu einer der zentralen Entdeckerinnen von neuen Talenten im Bereich des europäischen Tanzes. Sie war in zahlreichen Gremien und Netzwerken vertreten und ab 1993 Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrats, dem sie als Präsidentin zwischen 2001 und 2009 vorstand. Eine weitere Rolle im internationalen Kunsttransfer kam ihr als Direktorin des Berliner Hessel, Stéphane 294 H Künstlerprogramms des DAAD zu, das sie 2003 bis 2006 leitete. 2006 wurde sie zur Vizepräsidentin der Akademie der Künste gewählt. Die Bedeutung Hertlings, die neben zahlreichen Auszeichnungen 2013 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhielt, für den deutsch-französischen Austausch zeigt sich u.a. auch darin, dass sie 1993 zum Chevalier de l’ordre des arts et des lettres und 2001 zum Chevalier de la légion d’honneur ernannt wurde. Nicole Colin Hessel, Stéphane Stéphane Hessel (1917-2013) wurde in Berlin als Sohn des Schriftstellers Franz Hessel (*Prix Franz Hessel), der einer wohlhabenden, zum Protestantismus konvertierten jüdischen Familie entstammte, und Helen Grund geboren. Hessels Mutter war eine schöne und verführerische Frau, die gleichzeitig zwei Männer liebte, den Vater und dessen besten Freund, den Romancier Henri-Pierre Roché. Das erotische Dreiecksverhältnis hat François Truffaut in seinem weltberühmten Film „Jules et Jim“ verewigt. Im Alter von sieben Jahren siedelte Stéphane Hessel mit seiner Mutter 1924 von Berlin nach Paris um, wo Helen sehr schnell einen Salon ins Leben rief, in dem die geistige und künstlerische Elite verkehrt, darunter Marcel Duchamp, Man Ray, Picasso, Le Corbusier, Calder und Max Ernst. Dieses Milieu sowie die anspruchsvolle École alsacienne sollten Stéphane Hessel nachhaltig prägen. Er war ein hochbegabter Schüler, bestand das baccalauréat mit 15 Jahren, studierte an der London School of Economics und am Institut d’études politiques de Paris (Sciences Po). Die äußerst schwierige Aufnahmeprüfung der École normale supérieure (ENS) bestand er 1939 gleich zweimal, einmal als Ausländer und dann nochmal als Franzose, um in den Genuss der Privilegien eines normalien zu kommen. Er verliebte sich in eine junge, schöne und intelligente Russin, Vitia Mirkine Guetzévitch, die seine Frau und die Mutter seiner drei Kinder werden sollte und mit der er fast ein halbes Jahrhundert lang in unverbrüchlicher Liebe zusammenlebte. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er Soldat, ging zu de Gaulle nach London, von dort zurück nach Frankreich als Geheimdienstler in die Widerstandsbewegung (Mission Gréco), wurde von der Gestapo festgenommen, gefoltert und nach Buchenwald deportiert. Eugen Kogon (Der SS-Staat, 1947), damals Lagerarzt, rettete ihm das Leben, indem er ihm durch einen Identitätswechsel mit einem an Typhus verstorbenen Lagerinsassen zur Flucht verhalf. In dieser furchtbaren Zeit waren Gedichte, die er bis heute in großer Zahl auswendig kann, eine existentielle Lebenshilfe. Nach dem Krieg bestand er die Aufnahmeprüfung in den diplomatischen Dienst und wurde in das Sekretariat der Menschenrechtskommission entsandt (1946). Sein Engagement für die Vereinten Nationen und für die Werte, die sie vertreten, ist bis heute bestimmend für seinen Lebensinhalt. Er will an der Gestaltung einer Welt mitwirken ohne Krieg und Konzentrationslager, ohne koloniale Unterdrückung und ohne Verletzung der Menschenrechte. In diesem Sinne hat er an der Redaktion der Menschenrechtskonvention (1948) mitgewirkt und in den unterschiedlichsten Kommissionen die Arbeit der UNO unterstützt. Ebenso in seinen verschiedenen Funktionen im Außenministerium (1969-71) bis er schließlich Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf wurde (1977- 81) und somit ein größeres Wirkungsfeld bekam. Er vertrat Frankreich zudem auf der Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien (1993). Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklungspolitik in Asien und Afrika und dort insbesondere in Algerien und in den Konfliktländern Burundi und Rwanda. Er kämpft gegen Ausbeutung und Korruption und für die Emanzipation dieser Länder nach der Kolonialherrschaft. Seine Zielvorstellung ist die Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere durch die Ausbildung einheimischer Führungskräfte. In Frankreich geht es ihm vor allem um eine gerechte und menschliche Behandlung der Immigranten, auch der illegalen Einwanderer. Er versteht sich als Mittler zwischen den staatlichen Behörden und den Ärmsten der Armen, die bisweilen aus den Kirchen, ihren Zufluchtsorten (Saint Ambroise, Saint Bernard), vertrieben werden. Diese Aktion hat Stéphane Hessel zu einer großen Popularität verholfen. Auf dem politischen Spektrum ist er der nichtkommunistischen Linken zuzuordnen. Er gehört einer politischen und intellektuellen Elite an, die in Frankreich das allerhöchste Ansehen genießt: Mendès France, Premierminister (1954-55), in dessen Kabinett er als Berater tätig war; Jacques Delors, Präsident der Europäischen Kommission (1985-95), dessen Europa-Politik er aktiv unter- Historikerbeziehungen H 295 stützte, und Michel Rocard, für den er sich 1988 in der Wahlkampagne für das Präsidentenamt einsetzte. Es ist eine französische Besonderheit, dass diese Intellektuellen über Clubs, die als think-tanks fungieren, auf die Politik Einfluss zu nehmen versuchen. Im Fall von Stéphane Hessel war es der Club Jean Moulin sowie die Clubs Convaincre. Sein Lebenswerk als Mittler im Dienste der Menschlichkeit fand trotz seiner kritischen und kämpferischen Grundhaltung offizielle Anerkennung: Er wurde mit dem Grand croix de l’ordre national du mérite ausgezeichnet und zum Grand officier der légion d’honneur ernannt. Die höchste Ehrung jedoch, die dem Deutschen, der mit 20 Jahren Franzose wurde, zuteil wurde, war die Ernennung zum Ambassadeur de France. „La lutte elle-même vers les sommets suffit à remplir un cœur d’homme. Il faut imaginer Sisyphe heureux“. Dieser Schlusssatz des Sisyphus- Essais von *Albert Camus bezeichnet auf vortreffliche Weise den Lebensentwurf von Stéphane Hessel. Wie Sisyphus wurde er von den Göttern - in seinem Falle von den Allmächtigen der Politik und des kriminellen Finanzgeschäftes - bestraft, weil er sich gegen Ungerechtigkeit und Armut auflehnte, indem er den Menschen Wasser, d.h. Überlebensmöglichkeit brachte und auch vorübergehend den Tod abgeschafft hat. Seine Strafe bestand bekanntlich darin, in aller Ewigkeit einen Fels auf einen Berg zu hieven, von dem er immer wieder ins Tal herunterrollte. Stéphane Hessel ist der moderne Sisyphus: Trotz zahlreicher Rückschläge hat er den Kampf für mehr Menschlichkeit, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu seinem Lebensinhalt gemacht. Dies war für ihn eine beglückende Aufgabe. Stéphane Hessel, Danse avec le siècle, Paris 1997; ders., Ô ma mémoire: la poésie, ma nécessité, Paris 2006; ders., Citoyen sans frontières, Paris 2008; ders., Indignez-vous! Paris 2010; Anne Kwaschik, Stéphane Hessels Streitschrift „Empört Euch! “ und die französische Geschichtspolitik, in: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011) 1; Manfred Flügge, Stéphane Hessel. Ein glücklicher Rebell, Berlin 2012. Hansgerd Schulte Historikerbeziehungen Die Entwicklung der Beziehungen deutscher und französischer Historiker nach 1945 sind ein „Vektor“ der deutsch-französischen Annäherung in beiden deutschen Staaten und erfolgten innerhalb der klassischen Paradigmata der deutschen Nachkriegsgeschichte. Gleichzeitig stellen sie nur ein Beziehungsgeflecht unter anderen im Kontext der grundlegenden Internationalisierungsprozesse im Bereich der Wissenschaft dar. Dieses Beziehungsgeflecht hat 1945 bereits eine lange Geschichte, die an die Anfänge der Disziplin in der Aufklärung und die Erprobung ihrer Kategorien im Historismus zurückführt und in deren Verlauf ein Koordinatensystem entsteht, das die Weichen für die Entwicklungen der Nachkriegszeit stellt. Seit der Herausbildung des modernen historischen Denkens in der Spätaufklärung ist die Entwicklung der *Geschichtswissenschaft in Deutschland und Frankreich von einer wechselseitigen Bezogenheit und gemeinsamen Entwicklungen geprägt. Während für die deutschen Aufklärungshistoriker Montesquieu, Voltaire und Rousseau die konstitutiven Modelle waren, hat sich im 19. Jahrhundert im Zeichen der „crise allemande de la pensée française“ (Claude Digeon) die Rezeptionsrichtung verschoben und das deutsche Modell war für die école méthodique in den Kontexten der Verwissenschaftlichung der französischen *Geschichtswissenschaft mit der nach 1850 einsetzenden Ranke-Rezeption entscheidend geworden. Aber mit der Etablierung der nationalen Identität als „einer kognitiven Strategie der Produktion von historischem Wissen“ (Jörn Rüsen) wurden die gegenseitigen Lektüren grundsätzlich diffiziler. Die „geistige Mobilisierung“ der Wissenschaftler führte nach dem Ersten Weltkrieg zum Abbruch der wenigen inzwischen auch institutionalisierten Kontakte - man denke zum Beispiel an die Rolle Henri Pirennes als Mitherausgeber der „Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“. Die Verformung von Geschichte zu einer „Legitimationswissenschaft“ (Peter Schöttler) verhinderte nicht nur internationale Impulse, sondern auch persönliche Begegnungen. In der deutschen „Westforschung“, die seit den 1920er Jahren dezidiert die westlichen Grenzräume erforschen sollte, gingen Frankreichfeindschaft, Theoriebildung und wissenschaftliche Netzwerkpolitik eine enge und bis in die 1960er Jahre weiter wirkende Verbindung ein. Die Vorbehalte vorwiegend nationalkonservativer deutscher Historiker gegen westliche und insbesondere französische Geschichtsschreibung speisten sich neben der eigenen politikgeschichtlichen Ausrichtung, einem selbstbewussten Anti- Historikerbeziehungen 296 H demokratismus vor allem aus dem Abwehrreflex gegen soziologisierende Betrachtungsweisen, der sich bis in die Nachkriegsjahre fortschrieb und eine frühe historiographische Reaktion auf die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse verhinderte, wie sie in Frankreich in den 1920er Jahren im Umkreis der „Annales“ zu verzeichnen war. „Mit der soziologischen Idee im Gepäck“ (Johan Heilbron) wurden hier sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen experimentiert, die - von punktuellen Rezeptionen abgesehen - erst in den 1960er Jahren von deutschen Historikern umfassender rezipiert wurden. Innerhalb dieser Prozesse sind Differenzierungen nötig, dennoch prägten diese Rezeptionsrichtungen und -frontstellungen auch die Nachkriegszeit, die in Deutschland von Positionen eines „politisch-moralisch gezähmten Historismus“ gekennzeichnet war und sich im Zeichen einer allgemeinen Restauration nur langsam nach außen öffnete (Ernst Schulin). Grundsätzlich gilt auch für die gegenseitigen Lektüren der deutschen und französischen Historiker, Rezeptionsverweigerungen und intellektuelle Frontstellungen ebenso wie für die Bildung von Netzwerken, dass es eine „Stunde Null“ nicht gegeben hat. Gleichwohl erfolgten sowohl Lektüren als auch Kontaktaufnahmen aufgrund der Kriegserfahrungen auf einem „verminten“ Terrain, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Auseinandersetzung um die Symbolfigur des von den Deutschen erschossenen Historikers und Widerstandskämpfers Marc Bloch neu vermessen werden musste. In der internationalen scientific community wurden die deutschen Historiker nach 1945 so zwar zunächst nur unter erhöhten vergangenheitspolitischen Absicherungen zugelassen, aber ihre zunehmende Integration stand außer Frage: Auf dem ersten Weltkongress der Historiker nach dem Krieg, der 1950 in Paris stattfand, verursachte die Einladungspolitik zwischen dem einladenden französischen Historikerverband und der französischen Kulturverwaltung in Person *Raymond Schmittleins noch Meinungsverschiedenheiten. Aber die Weichen waren bereits gestellt: Schon 1949 war mit dem Sozialgeographen Wolfgang Hartke ein deutscher Autor in den „Annales“ erschienen und mit Jean Sigmann und Henri Brunschwig waren Spezialisten für die beiden von Lucien Febvre Anfang 1950 eingerichteten Deutschland-Rubriken der Zeitschrift rekrutiert worden. Fünfzig Jahre später gehört der gemeinsame Gremienalltag deutscher und französischer Historiker - und inzwischen auch Historikerinnen - zu den prägenden Grunderfahrungen. An der Seite von Kollegen aus Großbritannien und den USA gehören sie international besetzten wissenschaftlichen Beiräten von Museen an, wie dem Historial de la Grande Guerre in Péronne, dem Musée de la guerre de 1870 et de l’annexion à Gravelotte in Metz oder der gescheiterten Initiative der Maison de l’Histoire de France in Paris. Spezifische binationale Gremien und Initiativen wie das auf Initiative von Raymond Poidevin (Straßburg) und Josef Becker (Augsburg) Ende der 1980er Jahre gegründete *Deutsch-Französische Komitee für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts e.V. werden zunehmend seltener. Betrachtet man die Entwicklungen und insbesondere die Institutionalisierungsdynamik der deutsch-französischen Historikerbeziehungen, entsteht das gern und viel zitierte Bild einer deutschfranzösischen success story : Im Ergebnis der Internationalen Historikertreffen 1948 wurde im Jahr 1950 unter Mitwirkung der französischen Militärregierung das *Institut für Europäische Geschichte als selbständiges und außeruniversitäres Forschungsinstitut in Mainz gegründet. „Europa“ war hier zwar noch ganz im Sinne der „föderalistisch, katholischen“ Konzeption des Instituts ein „abendländisches Europa“, deutlich ist jedoch der Impetus der Abgrenzung gegen die preußischprotestantische Gruppierung deutscher Historiker um Gerhard Ritter. Ende der 1950er Jahre folgte, ebenfalls aufgrund entscheidender Mitwirkung der rheinischen Historiker unter Federführung *Eugen Ewigs die Initiative zur Gründung des *DHI Paris, das 1964 als eines der fünf Deutschen Historischen Auslandsinstitute aus dem 1958 gegründeten Centre allemand de recherches historiques hervorging und unter *Karl Ferdinand Werner seinen Aktionsradius weiter ausbaute. Seit Ende der 1950er Jahre waren auch in der DDR verstärkt Formen der offiziellen Kooperation ostdeutscher und französischer Historikerkontakte zu verzeichnen. Der ostdeutsche Nestor der Revolutionsforschung, Walter Markov, lud - neben anderen Kollegen aus dem westlichen Ausland - Auguste Cornu als Gastprofessor ein; 1954 kam Albert Soboul und im Jahr 1957 gelang es Markov im Umkreis seiner Jacques-Roux-Recher- Historikerbeziehungen H 297 chen in den Archives nationales zu arbeiten, unterstützt von Georges Lefebvre und Albert Soboul. Ein erstes Kolloquium von französischen Historikern und DDR-Historikern fand auf Einladung Markovs im Juni 1959 in Leipzig statt, in Kooperation mit der Société d’histoire moderne et contemporaine unter Leitung von *Jacques Droz und *Georges Castellan. Auf ein Kolloquium im Jahr 1969 folgte dann 1971 ein Kolloquium in Paris zur gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands und Frankreichs zwischen den beiden Weltkriegen, in dessen Kontext die DDR-Historiker auch an verschiedenen französischen Universitäten vortrugen. Auch Forschungs- und Kongressaufenthalte von DDR-Historikern werden häufiger: Für das Jahr 1972 zählt Ulrich Pfeil 35 Reisen zu Studienzwecken und 26 Reisen zur Teilnahme an Kongressen (Pfeil 2004). Seit den 1970er Jahren reagierte die französische Regierung auf die deutschen Initiativen mit eigenen Institutsgründungen. Mit der Gründung der Mission historique française en Allemagne (MHFA) (*Institut français d’histoire en Allemagne) entstand von 1977 bis 2009 ein französisches Forschungsinstitut mit einem dezidiert eigenen wissenschaftlichen Profil in den epochalen Schwerpunkten der Frühen Neuzeit und dem Mittelalter am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, das nach dessen Schließung 2009 mit neuem Namen und neuem Profil (*Institut français d’histoire en Allemagne) in Frankfurt/ M. seine Türen öffnete. Die Nachwendegründung des *Centre Marc Bloch als einem deutsch-französischen Zentrum für Sozialwissenschaft im Jahr 1994 in Berlin zeugt bereits von der Stabilität der existierenden Netzwerke und der gewonnenen Effizienz der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft, vor allem des CNRS, dem französischen Außenministerium, Erziehungs- und Forschungsministerium. Interdisziplinär arbeitend und personell besetzt hat das CMB von Anfang an eine stark historische Orientierung in den Personen ihrer Direktoren. Eine wichtige Rolle spielte für diese Wahrnehmung der Historiker und Gründungsdirektor *Étienne François (1992-1999) mit seinem Projekt der „Deutschen *Erinnerungsorte“ (mit Hagen Schulze). Im Ergebnis dieser vielfältigen Gründungen, mit denen Stipendienprogramme und wissenschaftliche Zeitschriften (vgl. u.a. *Francia) verbunden sind, die die gegenseitige Wahrnehmung und Kontaktaufnahme fördern, ist eine deutschfranzösische Forschungslandschaft entstanden, deren Konturen sich bereits in den 1980er Jahren deutlich abzeichnen. Von den ersten Gründungen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum *Centre Marc Bloch sind die Institute das Ergebnis politischer Willensbildungen und Förderstrategien. In der Geschichte der Historikerbeziehungen kommt ihnen eine dreifache Rolle zu: Sie sind ein wichtiger Indikator für die Existenz von Historikerbeziehungen und ihrer politik- und wissenschaftsadministrativen Vernetzungen. Gleichzeitig aber fördern sie die Beziehungen, tragen diese und schließlich prägen sie das Profil der Historikerbeziehungen und bilden durch Akzentsetzungen und Selektionsmechanismen neue Generationen aus. Im Zuge der zahlreichen Institutionalisierungen und des Internationalisierungsschubs, der die europäische Wissenschaftslandschaft ergriffen hat, sind die Kontakte zwischen deutsch-französischen Historikern inzwischen zum internationalen Vorbild geworden. Leuchtturmprojekte wie das *deutsch-französische Schulgeschichtsbuch, dessen dritter und letzter Band im Sommer 2011 erschien, sind inzwischen zum Modell für polnische, japanische und koreanische Initiativen avanciert. Genauso wie die elfbändige *Deutsch- Französische Geschichte belegen sie die Normalität deutsch-französischer Perspektiven und deuten zugleich den Beitrag an, den diese deutschfranzösischen Erfahrungen zu einer internationalen *Geschichtswissenschaft leisten könnten. Denn mit dem Anspruch des *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuchs, kein Buch zur deutsch-französischen Geschichte, sondern ein transnationales gemeinsames Projekt zu sein, ist auch ein Paradigmenwechsel in den Beziehungen der Historiker verbunden. Vor erkenntnistheoretischem Fortschrittsoptimismus im Zeichen der Internationalisierung sei jedoch gewarnt. Nicht nur sind Import und Export geistiger Produkte generell konjunktur- und strategieabhängig, produktive Verformungen und signifikante Rezeptionsbarrieren begleiten auch die deutsch-französische success story . Dass die Texte der „Annales“ erst in den 1960er und 1970er Jahren in der Bundesrepublik „entdeckt“ wurden und erst in den 1980er und 1990er Jahren eine neue Generation von Historikern ihre gegen die Sozialgeschichte gerichteten Positionen nicht zuletzt in der Lektüre dieser Texte Historikerkontroverse (Briefwechsel zwischen François Furet und Ernst Nolte) 298 H ausbuchstabierte, ist dafür ein aussagekräftiger Beleg. Die historische Anthropologie, Alltags- und Geschlechtergeschichte haben französische Impulse aufgenommen und auch entscheidend den Theorieimport sozialwissenschaftlicher Klassiker wie *Pierre Bourdieu und *Michel Foucault gefördert. An dieser Rezeptionsrichtung hat sich bis heute nichts geändert: Während die deutsche Sozial- und Globalgeschichte vorwiegend „atlantisch“ und angelsächsisch orientiert bleibt, auch in ihren theoretischen Referenzen, ist in den anderen Bereichen der deutschen *Geschichtswissenschaft das Interesse an französischen Traditionen und Epistemologien größer. Burkhard Dietz (Hg.), Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960), 2 Bde., Münster 2003; Étienne François, Le manuel franco-allemand d’histoire. Une entreprise inédite, in: Vingtième siècle 94 (2007), S. 73-86; Peter Schöttler, Zur Geschichte der „Annales“-Rezeption in Deutschland (West), in: Matthias Middell, Steffen Sammler (Hg.), „Alles Gewordene hat Geschichte“. Die Annales-Schule in ihren Texten 1929-1992, Leipzig 1994, S. 40-60; Peter Schöttler, Die deutsche Geschichtswissenschaft und Marc Bloch, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Die Rückkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die „Ökumene der Historiker“. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz, München 2008, S. 155-185; Walter Markov, Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Dokumentiert von Thomas Grimm, Köln 1990; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutschfranzösischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004. Anne Kwaschik Historikerkontroverse (Briefwechsel zwischen François Furet und Ernst Nolte) In seinem letzten großen Werk „Das Ende der Illusion“, das 1995 im französischen Original und ein Jahr später in deutscher Übersetzung erschien, untersuchte der bedeutende französische Historiker François Furet (1927-1997) die magische Anziehungskraft und zerstörerische Wirkung des Kommunismus im 20. Jahrhundert. Das Buch wurde binnen weniger Wochen in Frankreich ein Bestseller und eröffnete aufs Neue die Debatte über die Vergleichbarkeit von Faschismus resp. Nationalsozialismus und Kommunismus, über die Wechselwirkungen, Voraussetzungen und Bedingungen totalitärer Herrschaftssysteme und ihrer politischen Folgen. In Deutschland entzündete sich die Debatte hauptsächlich an einer langen Fußnote in diesem Buch, die Furet dem deutschen Historiker Ernst Nolte (geb. 1923) widmete. Darin schrieb er Nolte das Verdienst zu, als einer der ersten Historiker das antifaschistische Tabu der Linken, den Vergleich beider Ideologien, durchbrochen zu haben, wohingegen er die Schlussfolgerungen Noltes, die in eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen münden, als „zugleich schockierend und falsch“ bezeichnete. Diese persönliche Reverenz im Anmerkungsteil wurde in Deutschland als Form der Rehabilitierung für einen Historiker gewertet, der seit dem von ihm ausgelösten Historikerstreit der Jahre 1986/ 87 in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit quasi exkommuniziert worden war. War Noltes Erstlingswerk „Der Faschismus in seiner Epoche. Action française - Italienischer Faschismus - Nationalsozialismus“ von 1963 innerhalb der Fachwelt noch relativ unbeachtet geblieben, so brachten ihm die stets wiederholten, provozierenden Thesen zum Ideologievergleich im Laufe der Jahre den Status einer Persona non grata innerhalb der deutschen *Geschichtswissenschaft ein. Im Kern kulminiert seine These in der Behauptung, dass die braune Revolution von 1933 auf die ältere und authentischere bolschewistische Revolution von 1917 reagiert habe. Sein Verweis auf den Vorbildcharakter des Klassenmordes der Bolschewiki für den Massenmord der Nationalsozialisten eröffnete 1986 den deutschen Historikerstreit. Nolte reagierte unmittelbar auf die Anmerkung seines französischen Kollegen mit einem Beitrag in der renommierten Pariser Zeitschrift „Le Débat“ (März/ April 1996). Den deutsch-französischen Dialog initiierte wiederum die italienische Zeitschrift „Liberal“, die den Briefwechsel der beiden Historiker publizierte, bevor er auszugsweise in der französischen Zeitschrift „Commentaire“ und anschließend in Übersetzung in Italien und Deutschland erschien. Der inzwischen berühmte Briefwechsel umfasst insgesamt acht Briefe (einschließlich der Gegenbriefe) aus der Zeit zwischen Februar 1996 und Januar 1997. Obwohl die beiden Historiker unterschiedliche politisch-intellektuelle Biografien aufweisen, legten sie in ihrem Briefwechsel die ideologischen Scheuklappen ab, die das vorherrschende Lagerdenken, insbesondere in Deutschland, vorgeformt hatten. François Furet, bis zum Ungarnaufstand Historikerkontroverse (Briefwechsel zwischen François Furet und Ernst Nolte) H 299 1956 noch bekennender Marxist, hatte als Revisionist durch eine Neuinterpretation der Französischen Revolution international Prestige erlangt. Mit seiner doppelten Zurückweisung, der Klassenkampfthese und der Rechtfertigungsthese der jakobinischen Schreckensherrschaft als Reaktion auf die Bedrohung der Revolution von innen und außen, legte er dem Monopol der marxistisch-leninistischen Geschichtsinterpretation den Fehdehandschuh zu Füßen und kündigte zugleich den marxistischen Katechismus, der einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Pariser Revolution von 1789 und der St. Petersburger Revolution von 1917 postulierte, als historiografisch nicht länger tragbar auf (François Furet, 1789 - Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Frankfurt/ M.-Berlin-Wien 1980). In dem Briefwechsel zwischen Furet und Nolte, dem man statt „Feindliche[r] Nähe“ eher eine „Freundliche Distanz“ attestieren kann, begegnen sich die beiden Autoren mit Respekt und Offenheit, die Übereinstimmungen und der Dissens in der Deutung des totalitären Zeitalters liegen dicht beieinander. Während Nolte in seinen Briefen in erster Linie darum bemüht ist, Anerkennung und Zustimmung seines französischen Kollegen zu seinen Thesen zu erlangen, legt Furet im Verlauf des Austausches den Akzent auf die Betonung der fundamentalen Unterschiede. Einig sind sich beide Historiker im Vergleich und in der chronologischen Beziehung beider Herrschaftssysteme. Zwar stehen Kommunismus und Nationalsozialismus für Furet in einer engen konfliktuellen Komplizenschaft zueinander, einer gegenseitigen Abhängigkeit, ihr Verhältnis sei aber komplementär und von Rivalität gezeichnet. In ihrem Kern allerdings trugen beide Ideologien eine mörderische Verachtung für die Demokratie und das Bürgertum in sich. Die Unterschiede treten deutlich hervor, weil Nolte auf seine zentralen Thesen aus dem deutschen Historikerstreit beharrt. Unverändert spricht er vom „kausale[n] Nexus“ (FN, S. 44) beider Menschheitsverbrechen und von einer ursächlichen Verknüpfung von Gulag und Auschwitz, die Furet mit Entschiedenheit zurückweist. Ein weiterer, gravierender Unterschied entzündet sich an der Frage nach dem „rationalen Kern“ des NS-Judenhasses, den Nolte durch den hohen Anteil von Persönlichkeiten jüdischer Herkunft in den sozialistischen und kommunistischen Weltbewegungen begründet sieht. Auch dies weist Furet entschieden zurück, indem er Nolte unterstellt, er folge in seinen Thesen einem irrationalen Glauben. Nolte zeigt sich im weiteren Verlauf des Briefwechsels immer uneinsichtiger. Obwohl Furet im Briefwechsel stets vor Determinierungen warnt, beispielsweise indem er eingangs erklärt, die Rolle der Juden numerisch nicht überzuwerten, sondern sie als wichtigen Teil des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Werdens europäischer Gesellschaften zu begreifen, beharrt Nolte darauf, dass die Juden durch ihre Vielzahl und ihre Beteiligung an den ideologischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts die Vernichtung durch die Nationalsozialisten provoziert hätten. Spätestens an diesem Punkt wird ein methodologisches Problem im Austausch der beiden Autoren deutlich. Beide versuchen in unterschiedlichen Denktraditionen eine Antwort auf die Geschichte und Brüche der politischen Moderne zu geben, wobei Furet der Vorgeschichte der europäischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts in historiografischer Absicht mehr Gewicht verleiht, während Nolte zwar die NS-Verbrechen nicht entschuldigen will, sie aber letztendlich geschichtsphilosophisch für „notwendig“ hält. Gegen Ende des Briefwechsels hat Furet fast Mitleid mit seinem deutschen Kollegen, dem er unterstellt, an einem verletzten deutschen Patriotismus zu leiden, der zwar die deutsche Schuld nicht leugne, aber um eine „Ehrenrettung Deutschlands“ bemüht sei. Bei der Frage, warum Deutschland diese Schuld auf sich geladen habe, verweist Furet auf die latent gewalttätige deutsche Kulturgeschichte im Vorfeld des Holocaust und begibt sich damit ebenfalls unbeabsichtigt in die Falle des Determinismus, denn die völkische Tradition war eine von vielen und führte keineswegs einen Hegemonialdiskurs. Im vierten und letzten Briefwechsel wird der inspirierende Gedankenaustausch zwischen den beiden prominenten Historikern nicht nur zum Musterbeispiel für elementare Kommunikationsschwierigkeiten zwischen deutschen und französischen Historikern (*Historiker/ Geschichtswissenschaft), sondern er verknüpft auch den alten deutschen mit dem neuen französischen Historikerstreit. François Furet, Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München, Zürich 1996; François Furet, Ernst Nolte, Feindliche Nähe. Kom- Hörfunk 300 H munismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. Briefwechsel, München 1998; Volker Kronenberg, Rückblick auf das tragische Jahrhundert. Furet, Nolte und die Deutung des totalitären Zeitalters, in: Uwe Backes, Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie 10 (1998), S. 49-80; Ulrike Ackermann, Feindliche Nähe. Deutscher und französischer Historikerstreit, in: Merkur 52 (1998), S. 639-644; Ulrike Ackermann, Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute, Stuttgart 2000; Daniel Schönpflug, Histoires croisées: François Furet, Ernst Nolte and a Comparative History of Totalitarism Movements, in: European History Quarterly 37 (2007), S. 265- 290. Erich Pelzer Hörfunk Bereits an der Entwicklung der technischen Voraussetzungen für den Hörfunk hatten mit dem grundlegenden Beitrag des Deutschen Heinrich Hertz und des Franzosen Edouard Branly beide Länder entscheidenden Anteil. Nach den Pionierjahren des Mediums ab Anfang der 1920er Jahre spielte das Radio als Propagandamedium im Kontext des Zweiten Weltkriegs eine entscheidende, wenn auch nicht sehr positive Rolle im deutschfranzösischen Kulturaustausch. Insbesondere das von den deutschen Besatzern kontrollierte Programm von Radio Paris prägte in dem häufig als guerre des ondes bezeichneten Propaganda-Krieg mit Radio Londres und den staatlichen Sendern der Vichy-Regierung die Radiolandschaft der Okkupationszeit. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs stand der Aufbau der Rundfunklandschaft in der französischen Besatzungszone im Südwesten Deutschlands im Zentrum der Kooperation. Technisch wurden die ersten Sendestationen, wie z.B. im Saarland, erst mit Hilfe von französischer Militärausrüstung ermöglicht; die Gründung der Stationen und deren Aufsicht oblag den Besatzungsbehörden. Als Sender für die französisch besetzten Gebiete (mit Ausnahme des späteren Saarlandes) wurde im Winter 1945/ 1946 zunächst Radio Koblenz gegründet, das aber bereits am 1.3.1946 vom Südwestfunk in Baden-Baden als einheitlicher Zonensender abgelöst wurde. Der Aufbau der westdeutschen Rundfunklandschaft erfolgte allerdings nicht nach dem französischen Modell mit einer starken staatlichen und zentralistischen Kontrolle, sondern nach dem eines von politischer Einflussnahme unabhängigen, im Dienste der Gesellschaft stehenden Rundfunks nach Vorbild der BBC. Die zweite Sendergründung unter französischer Führung erfolgte im Saarland: Kurz vor dem Südwestfunk (SWF) nahm am 17.3.1946 Radio Saarbrücken den Sendebetrieb auf, das sein Programm ganz im Zeichen der politischen Zielsetzungen mit der französischen Nationalhymne begann und - im Gegensatz zum SWF - streng unter französischer Kontrolle stand. Durch das in den Anfangsjahren von der engen Anbindung an Frankreich gekennzeichnete Programm, das allerdings auch von Zensur sowie (bis 1948) der Beschränkung auf die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) geprägt war, und die trotz hierarchischer Unterschiede enge Zusammenarbeit französischer und deutscher Mitarbeiter legte der spätere Saarländische Rundfunk (SR) den Grundstein für seine Rolle als Mittlerinstitution zwischen Deutschland und Frankreich im Bereich der audiovisuellen Medien. So wurden bereits in den Anfangsjahren zahlreiche SR-Sendungen, wie die seit 1950 erfolgte Berichterstattung von der Tour de France, von anderen bundesdeutschen Sendern übernommen. Die beiden Radiosender gehörten auch in der weiteren Entwicklung gemeinsam mit dem Westdeutschen Rundfunk Köln (WDR) und dem Bayerischen Rundfunk (BR) zu den zentralen Säulen der deutsch-französischen Rundfunkkooperation. Diese wurde durch die 1963 im Kontext des *Élysée-Vertrags gegründete Deutsch-Französische Hörfunkkommission entscheidend befördert. In zunächst zweimal, dann einmal jährlich stattfindenden Sitzungen tauschen sich Vertreter der staatlichen französischen und der öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunkanstalten aus und entwickeln gemeinsame Projekte. Neben einem 1970 von ARD (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland) und ORTF (Office de radiodiffusion télévision française) herausgegebenen Fachlexikon zu Hörfunk und Fernsehen sollten Partnerschaften zwischen den einzelnen ARD-Anstalten und französischen Regionalsendern Austausch und Zusammenarbeit fördern. Ab den späten 1960ern bis in die 1980er Jahre zeugten zahlreiche Projekte für einen regen Programmaustausch, bei dem auf französischer Seite aufgrund der zentralisierten Struktur neben den regionalen Partnern meist auch die Pariser Zentrale von Radio France beteiligt war. Da sich im Medium Radio die Übernahme von Sendungen aus sprachlichen Hörfunk H 301 Gründen schwieriger erweist als im Fernsehen (mit den Möglichkeiten der Synchronisation und Untertitelung), schlug sich die Arbeit der deutschfranzösischen Kommission besonders im Bereich der Musik, z.B. in gemeinsamen Konzertreihen und Übertragungen von Live-Konzerten oder auch Tourneen der Radioorchester, nieder. Sie führte aber auch zur Produktion gemeinsamer Programme unter dem Vorzeichen von Versöhnung und Völkerverständigung wie die vom ORTF und dem Bayerischen Rundfunk 1969 entwickelte Reihe „Zur Korrektur des Geschichtsbildes“, in der Features zur gemeinsamen Geschichte entwickelt, in beiden Ländern ausgestrahlt und durch eine interkulturelle Live-Diskussion ergänzt wurden. Bis heute dient die Commission francoallemande als zentraler Impulsgeber für gemeinsame Projekte und Senderpartnerschaften des deutsch-französischen Kulturaustauschs im Hörfunk, auch über die Grenzen des Mediums hinaus, in den letzten Jahren z.B. für Projekte mit gleichzeitiger Web- und Fernsehberichterstattung. Die gemeinsame Kommissionsarbeit mag auch dazu beigetragen haben, dass bei den Dezentralisierungsbzw. Regionalisierungsbestrebungen des Rundfunks unter François Mitterrand und seinem Kulturminister *Jack Lang 1981/ 1982 ausdrücklich auf das bundesdeutsche Modell Bezug genommen wurde, auch wenn die Reformen letztendlich die dominierende Stellung der nationalen Sender nicht wesentlich eingeschränkt haben. Als erfolgreicher Transferversuch in umgekehrter Richtung ist das fünfte Programm des Bayerischen Rundfunks, B5, zu nennen, für welches das Konzept des 1987 gegründeten Nachrichtenkanals France Info übernommen wurde. Bis zur Wiedervereinigung Deutschlands war die Vermittlung von Wissen über das jeweils andere Land von einem Missverhältnis geprägt, das sich symptomatisch auch in der ungleich höheren Anzahl deutscher Korrespondenten in Paris - darunter auch zentrale deutsch-französische Mittlerpersönlichkeiten wie *Georg Stefan Troller, der zunächst für das Radio arbeitete, und *Joseph Rovan - als französischer Berichterstatter diesseits des Rheins ausdrückte. Auch *Werner Spies war für das Radio tätig. Maßgeblich gefördert wurde die deutsch-französische Qualifikation junger Hörfunkjournalisten durch die in Kooperation mit dem *Deutsch-Französischen Jugendwerk durchgeführten Radioseminare sowie Sprachkurse im Partnerland. Als motivierender Faktor ist hier auch der seit 1983 verliehene *Deutsch-Französische Journalistenpreis - Prix franco-allemand du journalisme zu nennen, mit dem als erster Preisträger in der Kategorie Hörfunk der langjährige Auslandskorrespondent des Figaro und später auch von Radio France, Jean-Paul Picaper, ausgezeichnet wurde. Stellvertretend für zahlreiche Kooperationen und Sendungen sollen die seit Oktober 1971 ausgestrahlte monatliche Live-Sendung „Drei Länder - ein Thema“ von France Bleu Alsace, SWR (Südwestrundfunk) sowie des Schweizer Radio DRS in Basel, in der wechselnde Themen aus Sicht der beteiligten Länder diskutiert werden, sowie drei Beispiele des SR genannt werden: die wöchentliche Chanson-Sendung „RendezVous Chanson“, die sehr interessanten deutsch-französischen Hörspielproduktionen, die gleichzeitig für einals auch zweisprachige Hörer konzipiert sind, sowie das seit 2005 zusammen mit Radio France Internationale (RFI) angebotene deutsch-französische Informationsprogramm AntenneSaar, das leider nur sehr begrenzt empfangen werden kann. Ein intensiver Austausch ist zwischen den beiden Auslandssendern RFI und Deutsche Welle zu verzeichnen. Zwar wurde die deutsche Redaktion von RFI nach 65-jährigem Bestehen im Dezember 2009 geschlossen - in Berlin ist nun das französischsprachige Programm empfangbar -, die Deutsche Welle sendet dagegen seit 1954 auf Französisch. Beide Sender sind um eine enge Zusammenarbeit in Drittländern bemüht, z.B bei der gemeinsamen Nutzung von Frequenzen und Kooperationsprojekten in afrikanischen Ländern sowie in Osteuropa, und werden so zu Vorreitern einer gemeinsamen *auswärtigen Kulturpolitik. Neue Perspektiven für den radiobasierten Kulturaustausch eröffnen sich seit einigen Jahren außerdem durch den vereinfachten Zugriff auf Radiosendungen des Nachbarlandes im Internet sowie die Gründung von deutsch-französischen Webradios, wie das *Radioeurodistrict RED im Grenzgebiet bei Strasbourg oder das deutsch-französische Web-Kulturradio GIF, das als Gemeinschaftsprojekt des *Goethe-Instituts und des *Institut français seit 2011 aus Madrid sendet. ARD/ ORTF (Hg.), Dictionnaire professionnel de la radiodiffusion et de la télévision: français-allemand/ allemand-français, Mainz 1970; Jean-Paul Cahn, An der Grenze, über Grenzen: Der Saarländische Rundfunk als Institut d’allemand d’Asnières 302 I Mittler zwischen Deutschland und Frankreich, in: Hans Bünte u.a. (Hg.), Geschichte und Geschichten des Senders an der Saar. 50 Jahre Saarländischer Rundfunk, Freiburg 2007, S. 443-449; Ursula E. Koch, Detlef Schröter u.a. (Hg.), Hörfunk in Deutschland und Frankreich. La Radio en France et en Allemagne, München 1996; Ursula E. Koch, Die ARD im Dienst der Völkerverständigung. Ein Fallbeispiel: Der Bayerische Rundfunk und Frankreich nach Abschluss des Élysée-Vertrags, in: Markus Behmer, Bettina Hasselbrink (Hg.), Radiotage, Fernsehjahre. Interdisziplinäre Studien zur Rundfunkgeschichte nach 1945, Münster 2006, S. 267- 288; Henri Ménudier, Unterschiedliche Wellenlängen. Hörfunk in Frankreich und Deutschland, in: Dokumente, 63 (2007) 5, S. 33-40. Christoph Vatter I Institut d’allemand d’Asnières Viele französische Universitäten haben ein Deutsch-Département, doch nur wenige haben die *französische Germanistik so geprägt wie das Institut d’allemand d’Asnières der Université Paris 3-Sorbonne Nouvelle, das offiziell am 5.1.1969 in einem Pariser Industrievorort gegründet wurde und in einer gewissen Abgeschiedenheit ein besonderes intellektuelles Mikroklima ausbilden konnte, in dem das franco-allemand eingeübt wurde. Seither hat es eine beachtliche Anzahl an Lehrenden und Akteuren der deutsch-französischen Kooperation hervorgebracht, zu denen neben *Joseph Rovan, *Hansgerd Schulte, Gilbert Krebs, Michel Hubert, *Jean-Marie Zemb, Henri Ménudier auch deutsche Frankreichexperten wie Hans Manfred Bock, Bernd Witte, Albrecht Betz gehören, die ihre universitäre Karriere als *Lektoren des *DAAD in Asnières begannen. Zudem befinden sich unter den Autoren dieses Lexikons beachtliche viele ehemalige und aktuelle Studenten und Lehrende aus Asnières. Die Gründung wurde seit Mitte der 1960er Jahre vorbereitet und durch den Mai 1968 nochmals beschleunigt, sodass sie sich in die allgemeinen Reformbestrebungen der französischen Universität nach der Studentenrevolte einreiht. Untrennbar verbunden mit dieser Initiative ist der französische Germanist *Pierre Bertaux, der vom damaligen Erziehungsminister Edgar Faure während eines gemeinsamen Fluges zu einer deutsch-französischen Konferenz in München die Genehmigung für das Projekt erhielt. Er überzeugte ihn von der Notwendigkeit einer Neuausrichtung der *französischen Germanistik in Richtung einer „civilisation allemande actuelle“, die den Studenten die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Realität mit ihren historischen Bezügen vermitteln sollte. Seinen Ausdruck fand diese „Philosophie“ in dem von *Bertaux und seinen Mitstreitern stets wiederholten Satz, dass ein zeitgemäßer französischer Germanist bei dem Namen Schiller zuerst an den (damaligen) Wirtschaftsminister Karl und erst an zweiter Stelle an Friedrich zu denken habe. Damit hatte die Literatur den Platz der „Königsdisziplin“ verloren und sollte zudem vorwiegend in ihren gesellschaftlichen und politischen Entstehungszusammenhängen unterrichtet werden. Wichtig war *Bertaux zugleich der frühe direkte Kontakt der Studenten mit Deutschland, sodass er schon vor der Institutsgründung gemeinsam mit dem *DFJW und dem *DAAD ein Studienaustauschprogramm auf die Beine gestellt hatte, das französischen Germanistikstudenten den Aufenthalt in der Bundesrepublik und einige Jahre später deutschen Romanistikstudenten das Studium in Asnières ermöglichte. Dieses „Programme Bertaux“ war für zahlreiche Studierende die erste interkulturelle deutsch-französische Hochschulerfahrung und sollte für viele prägende Rückwirkungen auf ihren Berufsweg haben. Manche Zuspitzungen der Gründungszeit lassen sich nur mit der Konkurrenz zum Germanistikinstitut der altehrwürdigen Sorbonne am Grand Palais erklären und verloren über die Jahre ihre Virulenz. Geblieben ist jedoch bis heute die praxis- und berufsorientierte Ausbildung der Studenten, so u.a. im Bereich der Langues étrangères appliquées (LEA) und in den Masterstudiengängen „Langues et affaires économiques internationales“ (LAEI) und „Formation à la pratique du journalisme européen“. Wie auch der Blick auf die über Jahre von Gilbert Krebs geleitete Publikationsreihe unterstreicht, blieb die Perspektive in Forschung und Lehre nie auf Deutschland beschränkt, sondern richtete sich auf die gesamte germanophone Welt, insbesondere auch auf Österreich, deren Literatur und Kultur Gerald Stieg über Jahre vertrat. In den Zeiten der deutschen Teilung gehörte Asnières zu den wenigen Instituten, an denen neben *DAAD-Lektoren ab Ende der 1970er Jahre auch *Lektoren aus der DDR lehrten. Über 40 Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) I 303 Jahre konnte Asnières seine Spezifika bewahren und sich den Entwicklungen des Faches anpassen bzw. auf sie einwirken, um ein wichtiges Glied im deutsch-französischen Hochschulnetzwerk zu bleiben. Wie sich das Institut nach seinem Umzug nach Paris (Censier) im Jahre 2012 entfalten wird, muss die Zukunft zeigen. Institut d’allemand d’Asnières. Université de la Sorbonne Nouvelle, Asnières 1990; Hans Manfred Bock, Universitätsrevolte und Reform des französischen Germanistikstudiums. Erinnerung und Dokumentation zur Gründung des Institut d’allemand d’Asnières 1968-1972, in: ders. (Hg.), Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2010, S. 339-364; Dirk Petter, Auf dem Weg zur Normalität. Konflikt und Verständigung in den deutsch-französischen Beziehungen der 1970er Jahre, München 2014, S. 80ff. Ulrich Pfeil Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) Mission historique française en Allemagne (MHFA) Die 1977 gegründete MFHA war lange das einzige französische Forschungszentrum für die Geschichts- und Sozialwissenschaften in Deutschland. Ihre Gründungsväter hatten ursprünglich die Idee, ein Pendant für das 1958 in Paris eingeweihte *DHI Paris zu schaffen, doch schoben der Wechsel von der IV. zur V. Republik, Finanzprobleme, die Priorität für den 1963 im *Élysée-Vertrag vereinbarten Ausbau des Schulaustausches und eine Kulturpolitik, die sich auf die *Institut français stützen wollte, die Realisierung des Projekts immer wieder hinaus. Es bedurfte erst der Initiative des Gründers und ersten Direktors, Robert Mandrou, um ein Institut im Jahre 1977 eröffnen zu können. Es hatte eine kleine Struktur, unterstand dem französischen Außenministerium und war angelehnt an das Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, das 1956 gegründet worden war. Daneben boten die Bibliothek und die Göttinger Universität ideale Arbeitsbedingungen und wertvolle Kontakte. Nach bescheidenen Anfängen erreichte die MHFA Mitte der 1980er Jahre eine Größe, die ihr die Entwicklung eines deutsch-französischen wissenschaftlichen Austauschprogramms erlaubte. An ihrer Spitze befanden sich fortan ausgewiesene Experten der deutschen Geschichte wie u.a. *Étienne François oder Michel Parisse, die eine Generation von Hochschullehrern und Forschern formten, die heute zu den Trägern des deutsch-französischen wissenschaftlichen Dialogs im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften gehören. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts arbeiteten in der MHFA ein Direktor, ein hauptamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter, die vom Quai d’Orsay auf Vorschlag einer wissenschaftlichen Kommission ernannt werden, ein CNRS- Forscher, eine Sekretärin, Forscher mit Zeitverträgen und Stipendiaten. Während der Göttingen-Jahre profitierte die MHFA von den Infrastrukturen und den Räumen des MPI für Geschichte und erhielt die Privatbibliothek ihres Gründers Robert Mandrou vermacht. Die Schließung des MPI für Geschichte im Jahre 2008, die zunehmenden Aktivitäten des 1992 gegründeten *Centre Marc Bloch und die schnellen Veränderungen der Forschungs- und Hochschullandschaft dieswie jenseits des Rheins führten zu Überlegungen über neue Konturen und prioritäre Aktionsfelder. So wurde die MHFA am 1.9.2009 zum Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) und zog in die internationale Metropole Frankfurt/ M., die aufgrund ihrer vielfältigen Museen, der Buchmesse, einer großen Universität sowie eines MPI für europäische Rechtsgeschichte gute Möglichkeiten boten und das IFHA auch finanziell unterstützen. Die Aktivitäten der zurückliegenden 35 Jahre versprechen auch für die Zukunft aussichtsreiche wissenschaftliche Arbeit: nahezu 200 wissenschaftliche Veranstaltungen, mehr als 150 Einladungen an Vortragsredner, 65 veröffentlichte bzw. koeditierte Bände, ca. 40 unterstützte Publikationen, die gleiche Anzahl an Gastwissenschaftlern jedes Jahr, ca. 450 Stipendiaten zwischen 1984 und 2002 und etwa 350 in der weiteren Folge, ein Bulletin, das bis 2008 44 Mal erschien und 2009 zu einer Zeitschrift wurde, die in einer Auflage von 850 Exemplaren und ab 2013 online erscheint. Das IFHA gehört heute zu den 27 Instituts français de recherche à l’étranger (IFRE), die vom französischen Außenministerium unterstützt werden. Nachdem seine geographische, institutionelle und deutsch-französische Wandlung abgeschlossen ist, kann sich das Zentrum neuen Herausforderungen stellen: die Erweiterung einer ursprünglich bilateralen Aktion und Kultur in Richtung europäischer und globaler Horizonte Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) 304 I im Bereich der Qualifikation und Forschung, die Suche nach neuen wissenschaftlichen und finanziellen Partnern sowie die Integration in die strukturierte Doktoranden- und Postdoktorandenausbildung. Pierre Monnet, La mission historique française en Allemagne de Göttingen, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Deutschfranzösische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 339-365 Pierre Monnet Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) Das Institut für Europäische Geschichte in Mainz (IEG), eines der großen außeruniversitären Forschungsinstitute in Deutschland, verdankt seine Gründung im Jahre 1950 den französischen Besatzern. Seine über ein halbes Jahrhundert andauernde Entwicklung spiegelt sowohl die Entwicklung der europäischen Geschichte als auch ihre Historiographie wieder. Die Gründung des IEG kann als Reaktion auf die „deutsche Katastrophe“ (Friedrich Meinecke) verstanden werden, die für die französische Kulturpolitik während der Besatzungszeit nach 1945 eine große Herausforderung darstellte, wie Corine Defrance zeigen konnte. *Raymond Schmittlein, Direktor der Abteilung für kulturelle Angelegenheiten der französischen Militärregierung, unterstützte in der Anfangszeit im Rahmen der „rééducation des deutschen Volkes“ die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und Lehrbüchern, die von jeglichem nationalistischen und insbesondere NS-Gedankengut „entgiftet“ werden sollten. In Ablehnung einer historiographischen Tradition, die für den Ursprung des deutschen „ Irrweges “ verantwortlich gemacht wurde, wollte der Mediävist Fritz Kern und in seiner Nachfolge Martin Göhring der Geschichte als Disziplin eine neue Identität auf der Basis des Konzepts der christlichabendländischen Traditionen verschaffen. Die europäische Geschichte bildet seitdem einen Ort fruchtbaren Einvernehmens, der das Überschreiten eines Rahmens nationaler Geschichte ermöglicht. Diese Orientierung rechtfertigt die doppelte Struktur des Instituts, die seit 1951 vorherrscht: eine Abteilung des IEG Mainz setzt sich mit der Abendländischen Religionsgeschichte auseinander, die andere mit Universalgeschichte. Der Kalte Krieg erleichterte die Integration der noch jungen Bundesrepublik in das westliche Gesellschaftssystem und auch der westdeutschen *Geschichtswissenschaft in die „Ökumene der Historiker“. Dies wird durch den Einzug des IEG Mainz in das Domus Universitatis bezeugt, das aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende Universitätsgebäude, das 1942 bei einem britischen Bombenangriff zerstört und mit Hilfe französischer und amerikanischer Fonds wiederaufgebaut wurde. Das 1953 vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss eingeweihte Institut wird von Rheinland- Pfalz finanziert. Seit 1957 erhält das IEG staatliche Unterstützung, später kam auch private hinzu. Dank seiner räumlichen Nähe zum Bundesarchiv in Koblenz und seiner umfassenden Bibliothek, seiner kulturellen Veranstaltungen und Langzeitstipendien setzte sich das IEG schnell als herausragende Institution in der deutschen und europäischen Wissenschaftslandschaft durch. Die definierten Forschungsachsen des Instituts spiegeln die vergangenen Auseinandersetzungen und das Unglück der europäischen Geschichte: in den 1950er Jahren die Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges; ab den 1960er Jahren die Forschungen über die Zwischenkriegszeit und den Ersten Weltkrieg; in den 1970er Jahren erste Arbeiten über die zweite deutsche Nachkriegszeit, eine Orientierung, die durch den Zugriff auf die Archive der DDR und UdSSR verstärkt wurde. Die Herkunft der Stipendiaten spiegelt die Bemühungen des Instituts wieder, insbesondere seit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre, die Verbindung mit Osteuropa nicht abreißen zu lassen. Das Institut hegt ebenso enge wissenschaftliche Verbindungen mit den Vereinigten Staaten, andere außereuropäischen Gebiete sind jedoch weniger stark vertreten. Das fünfzigjährige Jubiläum des IEG im Jahr 2000 wurde zum Anlass genommen, drei Forschungsrichtungen festzulegen: das Institut soll zu einem Ort für die Erforschung der europäischen Grundlagen gemacht werden und die Spezifika Europas im Vergleich zu den anderen Kontinenten herausgearbeitet werden, die Geschichte von Europa-Vorstellungen beleuchten und Ansätze für eine europäische Geschichtschreibung entwerfen. Das Institut orientierte zugleich seine interne Struktur und Aufgabenverteilung auf die neuen Forschungsachsen und verstärkte die Instituts français in Deutschland I 305 Synergie zwischen den beiden Abteilungen, wie z.B. für das Projekt Europäische Geschichte online , eine interaktive Enzyklopädie transkultureller Geschichte Europas von 1450 bis 1950. Das IEG institutionalisierte außerdem seine Kooperation mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und publiziert seit 2000 das „Jahrbuch für Europäische Geschichte“ sowie den Literaturbericht (jährlich erscheinendes Beiheft des Archivs für Reformationsgeschichte). Um ein breiteres Publikum mit seinen Veröffentlichungen zu erreichen, forcierte das IEG auch seine openaccess -Politik im Bereich der Internetveröffentlichungen und präsentiert einen Digitalen Atlas zur Geschichte Europas seit 1500. Das IEG hat somit die Absicht, sich den wissenschaftlichen Herausforderungen zu stellen, die sich in den Bereichen der Geschichtsschreibung und der Europa- Forschung aufgrund der Globalisierung ergeben. Institut für Europäische Geschichte Mainz 1950-2000. Eine Dokumentation, Mainz 2000; Joachim Berger, Das Institut für Europäische Geschichte in Mainz: Ein Laboratorium der historischen Europaforschung, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte, 7 (2006), S. 203-211; Winfried Schulze, Corine Defrance, Die Gründung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Mainz 1992; Matthias Schnettger, L’Institut d’Histoire Européenne (Institut für Europäische Geschichte) de Mayence, in: Bulletin de la Mission historique française en Allemagne, 39 (2003), S. 141-147. Fabien Théofilakis Institut Laue-Langevin (ILL) Das ILL, internationales Institut für Neutronenforschung in Grenoble, welches einen Hochflussreaktor mit einer der weltweit stärksten Neutronenquellen betreibt, geht auf die Initiative des deutschen Physikers Heinz Maier-Leibnitz für die Entwicklung eines Reaktors zu ausschließlich wissenschaftlichen Forschungszwecken zurück, der dafür schon frühzeitig Unterstützung bei seinem französischen Kollegen Louis Néel fand. Im Zuge der Unterzeichnung des *Élysée-Vertrags, der u.a. eine Vertiefung der wissenschaftlichen Kooperation zwischen der Bundesrepublik und Frankreich anvisierte, gelangte die Idee auf die politische Agenda, sodass sich die Wissenschaftsminister beider Staaten während der dritten Genfer Atomkonferenz im September 1964 erstmals eingehend mit dem Projekt beschäftigen. Die Verhandlungen zogen sich dann aber noch mehr als zwei Jahre lang hin, ehe am 19.1.1967 ein Regierungsabkommen zur Gründung des Forschungsinstituts unterzeichnet wurde, dessen Namensgebung eine Reminiszenz an die Physiker Max von Laue (1879-1960) und Paul Langevin (1872-1946) bedeutete. Am 31.8.1971 ging der Reaktor in Betrieb. Schon sehr bald übte das Institut als transnationale Forschungseinrichtung mit einzigartigen Arbeitsmöglichkeiten eine enorme Anziehungskraft aus. Daher erklärte 1973 auch die britische Regierung, sich künftig an dem Institut beteiligen zu wollen, was mit der Unterzeichnung einer entsprechenden Vereinbarung im Juli 1974 ermöglicht wurde. Seit 1987 gehört auch Spanien zu den Partnern des ILL, 1988 trat die Schweiz und 1990 Österreich bei. Es folgten Russland (1996), Italien (1997), Tschechien (1999), Schweden (2005), Ungarn (2005), Belgien (2006) und Polen (2006). Obwohl die wissenschaftliche Zusammenarbeit auf völkerrechtlichen Verträgen beruht, stellt das Institut juristisch keine internationale Organisation dar, sondern ein gesellschaftliches Unternehmen nach französischem Recht. Im Jahr 2000 wurde ein umfangreiches Modernisierungsprogramm für die Jahre 2001 bis 2014 beschlossen. Damit soll gewährleistet werden, dass das ILL im Bereich der Neutronenphysik auch weiterhin ein weltweit führendes Forschungszentrum bleibt. Bernard Jacrot, Des neutrons pour la science. Histoire de l’Institut Laue-Langevin - une coopération internationale particulièrement réussie, Paris 2006. Ansbert Baumann Instituts français in Deutschland Der Überbegriff Institut français ist eine durchaus praktische, wenn auch nicht unbedingt dem eigentlichen Sachverhalt entsprechende Bezeichnung. Zumindest erlaubt er, die verschiedenen Institutionen zu identifizieren, deren Aufgabe es ist, im Ausland und in unserem Fall in Deutschland (vor der Wende sowohl in der BRD als auch in der DDR) unter welchem Namen auch immer die französische langue et culture zu verbreiten und zu fördern. Nach wie vor bleibt das kulturelle Netzwerk Frankreichs in Deutschland das weltweit größte und vielfältigste, auch wenn seit geraumer Zeit erbittert darum gekämpft wird, dass Institute nicht dem Rotstift eifriger Pariser Technokraten zum Opfer fallen. Mit dem Gesetz vom Instituts français in Deutschland 306 I 27.7.2010 (Loi du 27 juillet 2010 relative à l’action extérieure de l’état) ist der Begriff Institut français zu neuem offiziellem Leben erwacht und bezeichnet fortan ein dem Außenministerium unterstelltes établissement public à caractère industriel et commercial , dem wiederum alle weltweit existierenden Institute unterstehen (*Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs). Allein dies zeigt, wie stark das Schicksal der Instituts français mit politischen (und finanzpolitischen) Aspekten zusammenhängt, was folglich nicht immer unabhängige Arbeit gewährleistet. Zuständig für die Gestaltung der Kulturpolitik Frankreichs in Deutschland und Leiter des Institut français d’Allemagne ist der conseiller culturel bei der Botschaft, dessen Rolle auch darin besteht, die ministeriellen Vorschriften in die Praxis umzusetzen. Ein vorrangiges Ziel der französischen Besatzungskräfte im Nachkriegsdeutschland war bekanntlich die Einrichtung kultureller Institutionen, die dazu beitragen sollten, das Land zu demokratisieren. Dazu gehörten neben einzelnen Hochschulen, die binnen kurzer Zeit neu eröffnet (Mainz) oder geschaffen wurden (die *Universität des Saarlandes als Dependance der Université de Nancy), die Instituts français, die in kurzem Abstand nicht nur in der französischen Besatzungszone (Freiburg/ Br., Tübingen, Mainz), sondern auch außerhalb (im britischen Sektor von West-Berlin, Stuttgart, München, Hamburg, Bonn, Köln) eröffnet wurden. Dieses neue Interesse Frankreichs, eine starke auswärtige Kulturpolitik zu betreiben, kann in gewisser Weise als „Machtersatzpolitik“ gegenüber den anderen Alliierten verstanden werden. Nachdem Frankreich im Krieg seinen Status als Weltmacht verloren hatte, wollte man zeigen, dass das Land immer noch eine große Kulturnation ist. Darüber hinaus sollten die Deutschen im Rahmen der Entnazifizierung und Demokratisierung mit den kulturellen Ausdrucksformen und den internationalen Entwicklungen der westlichen Moderne in Kontakt gebracht werden, von denen Deutschland während der NS-Diktatur abgeschnitten gewesen war. So standen Ende der 1950er Jahre dem einzigen Deutschen Kulturinstitut in Frankreich (Lille) bereits 17 Instituts français, einschließlich der so genannten centres culturels , in der Bundesrepublik sowie ein Institut in West-Berlin gegenüber - und dies ungeachtet des 1954 von beiden Ländern unterzeichneten *Deutsch-Französischen Kulturabkommens, das ein gewisses Gleichgewicht in den kulturellen Austausch bringen sollte. Bis zur deutschen Vereinigung 1990 wurde das Netzwerk der Institute weiterhin ausgedehnt bei gleichzeitiger verstärkter Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen. Darüber hinaus wurden in manchen Institut français bureaux spécialisés und attachés de coopération linguistique bzw. universitaire mit regionalem Einzugsbereich integriert, mit dem Ziel, flächendeckend die breitmöglichste Palette an im weitesten Sinne des Wortes kulturellen Dienstleistungen anzubieten. Die Wiedervereinigung hatte zwei Konsequenzen: einerseits die Einrichtung mehrerer Instituts français in den neuen Bundesländern (Leipzig, Dresden, Rostock), andererseits vermehrte Versuche, bestehende Institute (notfalls in geänderter juristischer Form) von deutschen Partnern teil- oder ganz finanzieren zu lassen. Dieser Entwicklung gingen kompetente (vor Ort) oder weniger kompetente (von der Zentrale aus) Überlegungen über die Zukunft des réseau culturel in Frankreichs wichtigstem Partnerland voraus, das durch die plötzlichen Veränderungen seiner Gesamtstruktur und die geopolitischen Verschiebungen sich auch im kulturellen Bereich mit neuen Herausforderungen konfrontiert sah. Dabei stellte sich für die Verantwortlichen vor allem die Frage, ob die Neueröffnung von Instituts français im Osten gleichbedeutend mit der Schließung von Instituten in der alten BRD sein würde. In den Fokus geriet insbesondere die große Dichte von Instituts français in Nordrhein-Westfalen (Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen). Darüber hinaus galt es eine Lösung in Berlin zu finden, wo nach der Schließung des *Centre culturel français aus DDR-Zeiten die Frage zu klären war, auf welcher Seite des ehemaligen Eisernen Vorhangs das „vereinigte“ französische Kulturinstitut seinen Sitz haben sollte. Im Zuge dieser Entwicklung wurden Schließungspläne einzelner Institute, vor allem im Westen, gleichsam zum Hauptargument in den Verhandlungen mit deutschen Trägerinstitutionen, die sich teilweise bereit erklärten, einige Instituts français ganz zu übernehmen, wobei Frankreich lediglich einen jährlichen Zuschuss zu überweisen hatte. So entstand im Laufe der Jahre ein einzigartiges Mosaik an scheinbar einheitlichen „französischen“ Kulturinstituten mit aber recht unterschiedlichen Statuten, auch wenn sie im Interesse einer kohärenten Kulturpolitik als Teil eines Ganzen verstanden werden sollen. Interferenzen. Interférences. Architektur Deutschland-Frankreich 1800-2000 I 307 Ein Blick auf die Homepage des Institut français lässt den Eindruck entstehen, Frankreich betreibe in Deutschland von Aachen bis Tübingen 25 Instituts français. Wenngleich in allen verzeichneten Städten - mit mindestens einer Vertretung in allen 16 Bundesländern -, sich eine Institution oder eine Person befindet, deren Aufgabe es ist, die Verbreitung der französischen Sprache und Kultur zu fördern, so ergibt sich bei näherem Hinsehen ein differenziertes Bild, in dem sich die oben erwähnten Entwicklungen widerspiegeln. Instituts français im ursprünglichen Sinne, das heißt Institute, deren Personal- und Betriebskosten hauptsächlich oder mehrheitlich von Frankreich getragen werden, gibt es in Berlin (Maison de France), Bremen, Dresden (dessen Leiter auch für Leipzig zuständig ist), Düsseldorf, Hamburg (Leiter ist der Hamburger Generalkonsul), Köln (gemeinsam mit der Universität zu Köln), Leipzig), Mainz (Maison de France), München und Stuttgart (Leiter ist der Generalkonsul in Stuttgart). Die übrigen Instituts français tragen, auch wenn sie der ministeriellen Institution Institut français unterstehen und auf der bereits genannten Homepage als gleichwertig auftreten, tragen recht unterschiedliche Namen und weisen recht unterschiedliche juristische Strukturen auf: das Deutschfranzösische Kulturinstitut in Aachen und Tübingen, das Institut Robert Schuman als Aninstitut der Universität Bonn, das Französische Büro in Erfurt, die Deutsch-französischen Kulturzentren in Essen und Karlsruhe, das *Institut français d’histoire en Allemagne in Frankfurt/ M., das Bureau de coopération universitaire in Heidelberg, der Centre culturel français in Kiel und Freiburg/ Br. (Conrad Schroeder Institut, dessen Leiterin auch Honorarkonsulin ist), die Antenne culturelle in Magdeburg und Hannover, das Institut d’études françaises in Saarbrücken. Trotz der wahlweise unübersichtlich anmutenden Auflistung kann man den zuständigen französischen Behörden durchaus eine gelungene Diversifizierung attestieren, ohne die manches Kulturinstitut zweifelsohne hätte schließen müssen. Die erfreuliche Entwicklung ist allerdings nicht zuletzt dem Engagement und der Zahlungsfreudigkeit der deutschen lokalen und regionalen Partner zuzuschreiben, die in Zeiten knapper Ressourcen politischen Willen in die Praxis umzusetzen wussten, der wiederum in ähnlicher Konstellation seitens der französischen Entscheidungsträger nicht immer vorhanden war: Man denke an die Schließung des *Goethe-Instituts Marseille im Jahre 1997, das nun wiederum im Zeichen der Kulturhauptstadt 2013 eine Antenne dort eröffnet hat. Zwischen Sparzwängen und dem Willen, die deutsch-französische Kooperation gegenüber Drittländern zu visualisieren, bewegt sich auch die Zusammenarbeit zwischen *Goethe- Institut und Institut français, wie sie in Form gemeinsamer Kulturinstitute in Drittländern mittlerweile üblich geworden ist. So werden auch in Zukunft die Instituts français Gradmesser für den französischen Willen sein, im (kulturellen) Dialog mit dem Ausland und hier insbesondere mit der deutschen Gesellschaft zu bleiben. Victoria Znined-Brand, Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik. Eine vergleichende Analyse. Das Beispiel der Goethe-Institute in Frankreich sowie der Instituts und Centres Culturels Français in Deutschland seit 1945, Frankfurt/ M. 1999; Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Die Entwicklung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, in: Martin Koopmann u.a. (Hg.), Neue Wege in ein neues Europa. Die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges, Baden-Baden 2013, S. 179-198. Jean-Marc Bobillon Interferenzen. Interférences. Architektur Deutschland-Frankreich 1800-2000 Im Unterschied zu Büchern, Bildern, oder musikalischen Kompositionen sind die Werke der Architektur nur in den seltensten Fällen über die Grenzen mobil: Sie sind zwar als Bild oder Entwurfszeichnung aus der Distanz verfügbar, aber in ihrer räumlichen Präsenz nur vor Ort und Stelle zu erfassen. Dazu kommt, dass Architekten lange die Stellung von vollgültigen Künstlern verwehrt wurde - zogen Paläste, Kirchen oder öffentliche Denkmäler die Aufmerksamkeit auf sich, so lagen Industriebauten, Wohnanlagen oder die Innendekoration lange außerhalb des Blickes der Kunstgeschichte. Hinzu kommt, dass Architektur im Zeitalter der Nationenbildung gerne als singulärer Ausdruck eines spezifisch nationalen, ja zu Zeiten sogar rassisch begründeten Kunstempfindens dargestellt wurde. Diese Besonderheiten mögen dazu beigetragen habe, dass sich bislang die deutsch-französische Kulturgeschichte nur sporadisch mit Ionesco, Eugène 308 I dem Thema der Architekturbeziehungen auseinandergesetzt hat, in Form von Monographien zu berühmten Architekten deren Bildungsweg oder Karriere eine deutsch-französische Dimension aufweist (Karl Friedrich Schinkel, Jakob Ignaz Hittorff, Friedrich Weinbrenner, Le Corbusier…) oder zu bedeutenden Mittlerfiguren (Julius Posener, Pierre Vago…). Die Ausstellung „Interferenzen/ Interférences. Architektur, Deutschland-Frankreich 1800-2000“ die vom 30.3. bis zum 21.7.2013 im Musée d’art moderne et contemporain de Strasbourg und anschließend vom 3.10.2013 bis zum 12.1.2014 im Deutschen Architekturmuseum (DAM) Frankfurt gezeigt wurde, stellte somit den ersten Versuch dar, die deutsch-französische Dynamik der Architekturbeziehungen in ihrer gesamten Bandbreite auf einen Zeitraum von über 200 Jahren darzustellen. Dabei wurde der aus der Physik übernommene Begriff der „Interferenz“ von den Kuratoren Jean-Louis Cohen (New York, Paris) und Hartmut Frank (Hamburg) bewusst gewählt, um der Besonderheit eines besonderen Spannungsfeldes gerecht zu werden, als „Störung“ der „jeweilige(n) Nationalkultur [...] über Grenzen, die sich ihrerseits immer wieder verschoben haben, wodurch in den umstrittenen Gebieten eine gemeinsame Geschichte konkrete Spuren im Gebauten, aber auch in der Kunst und im Geistesleben hinterlassen konnten“ (Ausstellungskatalog, S. 15). Der zickzackförmige Aufbau der Ausstellung in Straßburg, an welcher auch Volker Ziegler, Dozent an der École nationale d’architecture de Strasbourg, als Ko-Kurator mitwirkte, versuchte, diesen pulsierenden und in den seltensten Fällen ebenmäßigen Rhythmus für den Besucher auch räumlich erlebbar zu machen. Die Frankfurter Ausstellungskonzeption, an welcher der zweite Direktor des DAM, Wolfgang Voigt, entscheidenden Anteil nahm, setzte auf farblich klar gegliederte Sektionen. In neun thematisch umrissenen „Chronotopen“, die von der kontrastiven „Interpretation der Gotik“ bis zum „gemeinsamen Bauen in Europa“ reichten, wurde unterstrichen, dass die Architekturbeziehungen nur in Netzstrukturen betrachtet werden können, welche die Zirkulation von Theorien, Ideologien und Formvorstellungen einbeziehen. Über 400 Exponate, von denen viele zum ersten Mal öffentlich ausgestellt wurden, zeigten die Vitalität der Beziehungen in unterschiedlichsten Medien, von der Planzeichnung bis zum Werbefilm. Besondere Beachtung galt den oft spiegelbildlichen Dialogen der großen Metropolen, Paris und Berlin, vor allem im Bereich der Stadtplanung, sowie jenen Grenzregionen, die mehrmals die Nationalität wechselten: Elsass, Lothringen und das Saarland. Dass auch in diesen Territorien die politischen Zäsuren selten mit den kreativen Entwicklungslinien parallel liefen, zeigt am anschaulichsten das Beispiel der Straßburger Stadterweiterung, der „Neustadt“, welche nach einem 1878 entstandenen deutschen Masterplan, der wesentlich von dem Beispiel des Haussmann’schen Paris beeinflusst worden war, bis in die 1950er Jahre unter wechselnden politischen Konstellationen weiter gebaut wurde. Interferenzen/ Interférences. Architektur, Deutschland- Frankreich 1800-2000, hg. von Jean-Louis Cohen und Hartmut Frank, Tübingen, Frankfurt/ M. 2013. Alexandre Kostka Ionesco, Eugène Der 1909 in Rumänien geborene und 1994 in Paris gestorbene Eugène (eigentlich: Eugen) Ionesco ist der wichtigste Vertreter des absurden Theaters in Frankreich und gilt seit den 1950er Jahren als einer der meistgespielten französischen Autoren auf deutschen Bühnen (*Französisches Theater in Deutschland). Einige seiner Stücke wurden in Deutschland sogar uraufgeführt. Trotz seines Erfolgs ist Ionesco als Autor sein Leben lang und eigentlich bis heute umstritten geblieben: Genie oder Hochstapler, lautete die Frage, an der sich die Geister schieden, in Deutschland ebenso wie in Frankreich. Ionesco lebte von Anfang an zwischen zwei Kulturen. Der Sohn eines rumänischen Vaters und einer französischen Mutter besuchte zuerst Schulen in Frankreich, machte sein Abitur aber dann im heimischen Bukarest und studierte dort auch Französisch für das Lehramt. Nebenbei schrieb er erste Texte auf Rumänisch, bezeichnenderweise über französische Themen, so z.B. „Das groteske und tragische Leben des Victor Hugo“ (1935). 1938 ging er mit einem Stipendien für eine (nie vollendete) Doktorarbeit über „Sünde und Tod in der französischen Dichtung seit Baudelaire“ nach Paris; seine endgültige Niederlassung in Frankreich er- Ionesco, Eugène I 309 folgte dann 1942. Auf diese Weise wurde aus dem perfekt zweisprachigen Schüler und Studenten zuerst ein der französischen Kultur verpflichteter rumänischer Akademiker, dann ein rumänisch-französischer Exilant und später ein französischer Schriftsteller mit rumänischen Wurzeln. Sein Bekenntnis zu Frankreich aus dem Jahr 1978 lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: „Ich bin sehr froh, dass ich mich für Frankreich entschieden und hier niedergelassen habe. Ab und zu denke ich bei mir, dass es unmöglich ist, anderswo zu leben. Ich wünschte mir, dass Französisch auf der ganzen Welt gesprochen wird. Es gibt keine schönere Sprache. Ich bin glücklich darüber, dass ich auf Französisch schreibe.“ In den späten 1940er Jahren entstand sein erstes „Antistück“ „Die kahle Sängerin“, das im Mai 1950 in einem kleinen Pariser Theater uraufgeführt wurde; 1951 folgten „Die Unterrichtsstunde“, 1952 „Die Stühle“. Die 1950er Jahre waren Ionescos schöpferischste Zeit mit „Opfer der Pflicht“, „Das heiratsfähige Mädchen“, „Szene zu viert“, „Der Herrscher“, „Der Automobilsalon“, „Die Begrüßungen“, „Amédée oder wie wird man ihn los? “, „Das Gemälde“, „Jakob oder der Gehorsam“, „Der neue Mieter“, „Impromptu oder der Hirt und sein Chamäleon“, „Mörder ohne Bezahlung“, „Die Nashörner“. Die Stücke waren enorm erfolgreich, provozierten jedoch auch unzählige Verrisse und Skandale. Ionescos Gegner warfen ihm vor, dass er es nicht nur auf das Boulevardtheater und sein Publikum abgesehen habe, sondern auf die Zerstörung des etablierten, also bürgerlichen Theaters überhaupt: Als destruktiv wurde die Sprache mit ihren abstrusen Wortspielen und Nonsense-Sätzen empfunden, die Figuren seien nur groteske Karikaturen, die Handlung inkohärent, unlogisch, mit einem Wort: absurd. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit bekannten Publizisten, etwa mit Roland Barthes und Bernard Dort, die sich lautstark zu *Brecht und gegen Ionesco bekannten. Andererseits unterstützten ihn Kollegen wie Jean Anouilh und der frühere „Surrealistenpapst“ André Breton - was nicht überrascht, denn tatsächlich weist Ionescos „Antitheater“ durchaus Spuren der surrealistischen Weltsicht und der Theorien eines Antonin Artaud auf. Ionescos Erfolg beschränkte sich jedoch nicht allein auf Frankreich: Mit „Mörder ohne Bezahlung“ (Darmstadt 1958, Regie Rudolf Sellner) begann, was man den unaufhaltsamen Aufstieg des Anti-Brechtianers Eugène Ionesco nennen könnte. Im Oktober 1958 folgte die Uraufführung der „Nashörner“ im Schauspielhaus Düsseldorf unter Karl-Heinz Stroux. Die bildhafte dramatische Groteske über Mitläufertum und Massenwahn wurde vom deutschen Publikum auch auf die eigene Geschichte, sprich den Totalitarismus der NS-Zeit, bezogen und entsprechend diskutiert. Erst mit diesem Erfolg eroberte Ionesco nun auch die großen Häuser Frankreichs: So erfolgte die französische Erstaufführung im Januar 1960 unter der Regie von Jean-Louis Barrault im Odéon - Théâtre de France. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Zeit der théâtres de Poche zu Ende ist: Im Théâtre de la Huchette werden seit dem 16.02.1957 ohne Unterbrechung jeden Abend um 19 Uhr die „Kahle Sängerin“ und um 20 Uhr die „Unterrichtsstunde“ aufgeführt. Im Juni 2011 zählte man bereits über 17 000 Vorstellungen! Schon Mitte der 1960er Jahre war Ionesco allgegenwärtig in Deutschland, und das auf großen wie kleinen Bühnen; die „Nashörner“ wurden zur Schullektüre. Mit Anouilh und Sartre bildete er ein Dreigestirn französischer Dramatiker, das wohl auch als wohltuendes Gegengewicht gegen den damals übermächtigen *Brecht und sein lehrhaftes Theater empfunden wurde. Wieder in Düsseldorf und wieder unter Stroux wurden im Dezember 1962 „Fußgänger der Luft“, im Dezember 1964 „Hunger und Durst“ und im Januar 1970 „Das große Massakerspiel“ uraufgeführt. Im Januar 1971 wurde im WDR „Der Schlamm“ mit Ionesco in der Hauptrolle ausgestrahlt. Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich und der Schweiz kam es zu zahlreichen Ehrungen. Wenngleich bei Ionescos triumphalen Aufführungsbesuchen im deutschsprachigen Raum stets Dolmetscher dabei sein mussten, war er hier inzwischen ein Star des Literaturbetriebs. 1970 wurde Ionesco in die Académie française aufgenommen und 1974 zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste gewählt. In den 1970er Jahren war er in Frankreichs offiziellem Kulturmilieu keine Persona non grata mehr und durfte sich überall in der Presse zu Wort melden. Das tat er auch, wobei seine Aussagen immer pessimistischer wurden. Gleichzeitig kam es zum allmählichen Verstummen des Dramatikers. Züge einer Altersdepression des gerade mal 65-Jährigen wurden deutlich. Ist es ein Jauß, Hans Robert 310 J Zufall, dass sein letztes, im September 1980 in New York uraufgeführtes Stück den Titel „Reise zu den Toten“ trägt? Ionesco flüchtete in die Malerei und das Zeichnen. Bei einem Galeristen und Verleger in der Schweiz fand er ein Refugium und ein Atelier; seine Werke präsentierte er auf Ausstellungen. Zu erwähnen ist noch der weiter andauernde Streit darüber, ob Ionesco letztlich nicht doch mit dem Begriff der Anfangsjahre, „Antitheater“, besser erfasst werde als mit dem Begriff „Absurdes Theater“. Letzterer scheint indes zumindest in Deutschland in den Köpfen derart fest verankert, dass eine Umetikettierung ein aussichtsloses Unterfangen sein dürfte. Joachim Kaiser, Ein Kampf um Ionesco, in: ders., Kleines Theatertagebuch, Reinbek bei Hamburg 1965; Claude Bonnefoy, Entretien avec Eugène Ionesco, Paris 1966; Claude Abastado, Ionesco, Paris, Montréal 1971; Paul Vernois, La dynamique théâtrale d’Eugène Ionesco, Paris 1972; François Bondy, Alle Katzen sind sterblich. Ein Rundgang durch das Ionesco-Universum, Sankt Gallen 1975; André Le Gall, Ionesco, Paris 2008. Irène Kuhn, Ralf Stamm J Jauß, Hans Robert Der in Göppingen geborene Hans Robert Jauß (1921-1997) war ein bedeutender Literaturwissenschaftler, der die deutschsprachige *Romanistik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zutiefst prägte und grundsätzlich erneuerte. Ab 1948 studierte er Romanische Philologie, Philosophie, Geschichte und Germanistik an der Universität Heidelberg - ein vielfältiges Studium, das dauerhafte Spuren in seinem späteren Werk hinterlassen sollte. 1959 erhielt er seinen ersten Ruf an die Universität Münster und wechselte zwei Jahre später nach Gießen, bevor er 1966 Professor für Romanische Philologie und Literaturtheorie an der Universität Konstanz wurde, wo er bis zu seiner Emeritierung 1987 lehrte. Jauß’ Kenntnis der französischen Literatur und Sprache umfasste ein besonders breites Spektrum, das vom Mittelalter bis zur Postmoderne reichte. Den Ausgangspunkt von Jauß’ akademischer Laufbahn bildete seine anspruchsvolle Promotionsarbeit zu Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu“ („Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts “À la recherche du temps perdu”. Ein Beitrag zur Theorie des Romans“, 1955), die heute noch zu den wichtigsten Beiträgen der romanistischen Literaturwissenschaft gehört. Kurz danach habilitierte er sich mit „Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung“ (1959), in der er erstmals den Begriff des „Erwartungshorizonts“ einführte, der ihm in seinen späteren Werken einen großen Erfolg sichern sollte. Einige Jahre später publizierte er eine grundsätzliche Studie zur „Genèse de la poésie allégorique française au Moyen-Age de 1180 à 1240“ (1962), in der sein Interesse an mittelalterlicher Literatur und sein Geschmack an der französischen Literatur miteinander verschmolzen. Seine tiefe und persönliche Kenntnis der (insbesondere französischen) Literatur und der Probleme der Literaturgeschichte nährte Jauß’ prinzipielle Reflexion über Literatur, sodass bei ihm theoretische Überlegung und literarische Praxis untrennbar miteinander verbunden waren. Schon seine Konstanzer Antrittsvorlesung unter dem polemischen Titel „Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft“ markierte einen radikalen Paradigmenwechsel in der literaturwissenschaftlichen Forschung, der sich heute als „Rezeptionsästhetik“ (oder „Konstanzer Schule“) eingebürgert hat. Der traditionellen Theorie der literarischen Produktion und Mimesis entgegengesetzt, bot Jauß ein Modell der Rezeptionstheorie, das zum ersten Mal aus dem Leser einen Hauptprotagonisten des literarischen Werkes machte. Er sprach sich für eine Abkehr von einer rein werkimmanenten Interpretation des literarischen Textes aus, die bisher dazu beigetragen hatte, das einzelne Werk zu verabsolutieren und es vom (historischen, literarischen, philosophischen, soziokulturellen…) Zusammenhang seiner Produktion zu lösen. Indem er die entscheidende Rolle des Lesers hervorhob, d.h. die Auseinandersetzung des historischen Lesers mit dem Text, ließ er die Vorstellung eines im Text eindeutig bestimmbaren Sinns in den Hintergrund treten zu Gunsten der sukzessiven ästhetischen Erfahrungen von Lesern, die das gleiche Werk im Laufe des geschichtlichen Wandels immer wieder anders lesen und neu verstehen (Wandel des „Erwartungshorizonts“). Dabei entfernte sich Jauß vom Primat des Werkes, um die Aufmerksamkeit auf das „Dreieck von Autor, Jourdheuil, Jean J 311 Werk und Publikum“ („Literaturgeschichte als Provokation“, 1970, S. 169) zu lenken. Insofern zeigt Jauß’ dynamische Auffassung der Literaturgeschichte den Übergang von der Werkgeschichte (Autor/ Werk) zur Rezeptionsgeschichte (Leser). Luca Farulli, Georg Maag, Hans Robert Jauß: Im Labyrinth der Hermeneutik. Ein Gespräch vor achtzehn Jahren, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 4 (2010), S. 97-114; Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis, München 1975. Marc Lacheny Joly, Jean-Baptiste Im Verlauf der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 hat es durchschnittlich stets mehr Deutsche in den Westen, zu ihren französischen Nachbarn, als umgekehrt Franzosen in den Osten, nach Deutschland, gezogen - mit der großen Ausnahme des Berlin-Hypes, in dessen Folge sich seit der Jahrtausendwende immer mehr französische Kulturschaffende und Kreative in der deutschen Hauptstadt ansiedeln. Der 1951 in Paris geborene Jean-Baptiste Joly gehört zu den wenigen Franzosen seiner Generation, dem es gelungen ist eine dauerhafte Rolle in der deutschen Kulturlandschaft zu spielen und als Gründungsdirektor der Stiftung Akademie Schloss Solitude beträchtliche internationale, über das bilateral deutsch-französische Verhältnis hinausgehende Wirkung zu erzielen. Er begann kurz nach der Gründung des *Institut d’allemand d’Asnières durch *Pierre Bertaux sein Germanistikstudium an der Sorbonne Nouvelle und erhielt 1970 ein Semester-Stipendium des *DAAD an der FU Berlin. Zur Fertigstellung seiner maîtrise am besagten Institut in Asnières hielt er sich erneut in Berlin auf, wo er u.a. bei Peter Szondi studierte. Nach dem CAPES arbeitete er einige Jahre als Lehrer an einem collège, ehe er (von 1983-1988) Direktor des Stuttgarter *Institut français wurde. Während sich die Leiter und andere entsandte Mitarbeiter der *Goethe-Institute aus den eigenen Reihen rekrutieren, berufen die *Instituts français gerne im öffentlichen Dienst stehende Lehrer oder Hochschullehrer (die also vor allem über die inhaltliche Expertise verfügen) in zeitlich befristete Leitungspositionen ins Ausland. In Stuttgart machte Joly durch seine Dynamik und seinen Erfindungsreichtum auf sich aufmerksam. Unter seiner Leitung wurden im *Institut français zwei Künstlerateliers gegründet, ein Übungsraum für das Melos Quartett beschafft sowie eine neue Ausstellungsreihe gestartet, die unter dem Titel „Retour de Paris“ den Stipendiaten des Landes Baden Württemberg nach ihrer Rückkehr aus der Pariser Cité internationale des arts gewidmet wurde. In dieser Reihe, die heute noch besteht, wurden mehr als 80 Künstlerinnen und Künstler vorgestellt. Kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich - wo er wieder als Deutschlehrer tätig wurde - ernannte man ihm am 1.1.1989 zum Gründungsdirektor von Schloss Solitude. Dort entwickelte er ein Residenzprogramm für jüngere Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten (Literatur, Film, Musik, *Bildende Künste etc.) aus aller Welt, das hohes internationales Ansehen genießt und eine sinnfällige Komplementarität mit dem zweiten sehr bedeutenden internationalen Residenzprogramm in Deutschland, dem *Berliner Künstlerprogramm des DAAD, eingeht. Beide Strukturen haben, ohne einen spezifischen Frankreich-Schwerpunkt zu besitzen, zahlreiche inzwischen bedeutende französische Künstlerinnen und Künstler gefördert und für manch eine über das Stipendium hinaus andauernde Kulturverbindung zwischen Frankreich und Deutschland gesorgt. Joly, der auch als Professor an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin arbeitet, ist darüber hinaus in zahlreichen Vorständen von Stiftungen tätig. Seit 2010 ist er Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrates und bringt hier seinen Ideenreichtum in Hinsicht auf die Verstärkung institutioneller deutsch-französischer Kulturaktivitäten ein. Joachim Umlauf Jourdheuil, Jean Der 1944 geborene und im Burgund aufgewachsene Regisseur, Dramaturg, Übersetzer und Theaterwissenschaftler Jean Jourdheuil ist neben *Bernard Sobel als der wichtigste französische Mittler des deutschen Theaters in Frankreich zu bezeichnen. Wie bei vielen anderen französischen Theatermachern seiner Generation entwickelte sich sein künstlerisches Interesse parallel zu seinem politischen Engagement: Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang sein Aufenthalt in der DDR nach seinem Abitur im Sommer 1961 mit der Reisegruppe Loisir et vacances de la jeunesse, wo er in einer Fabrik in Leuna sowie Journalisten 312 J einem landwirtschaftlichen Betrieb in Merseburg arbeitete und schließlich einige Tage in Ost- und West-Berlin verbrachte. Zurückgekehrt nach Frankreich begann Jourdheuil zunächst ein Studium der Mathematik in Nancy, wechselte dann aber zur Germanistik, wo er Kurse bei *André Gisselbrecht belegte - fasziniert von der Tatsache, dass dieser Texte von *Bertolt Brecht übersetzte. Inzwischen hatte er angefangen in einer Amateurgruppe Theater zu spielen und war politisch aktiv geworden: zunächst in der Union des étudiants communistes, dann bei den Maoisten. Auf dem 1963 von *Jack Lang gegründeten Studententheaterfestival in Nancy machte er Bekanntschaft mit *Patrice Chéreau und begann als Regieassistent für André Steiger, einem der wichtigsten französischen *Brecht-Regisseure der 1960er Jahre, am Théâtre populaire de Lorraine in Metz zu arbeiten. Über den von Jean-Marie Villégier geleiteten Centre universitaire international de formation et de recherche dramatiques (CUIFER) in Nancy lernte er nicht nur die Pariser Intellektuellenszene kennen, sondern auch *Chéreaus früheren Mitstreiter Jean-Pierre Vincent, der 1970 zu den „begabtesten französischen Brechtianern“ (Bernard Dort) zählte. Gemeinsam mit Vincent gründete er 1968 die Compagnie Théâtre de l’Espérance und inszenierte im gleichen Jahr eine viel beachtete Inszenierung von *Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, die mit ihrem Akzent auf den komischen Elementen einen Wendepunkt in der französischen Brecht-Rezeption markiert. Trotz Jourdheuils starker Affinität zu Brecht stellte in den 1970er Jahren nicht mehr das *Berliner Ensemble (BE), sondern die Berliner *Schaubühne unter der Leitung von *Peter Stein seinen künstlerischen Orientierungspunkt dar. Dort arbeitete er zu Beginn der 1970er Jahre als Dramaturg und Übersetzer mit *Peter Stein, Botho Strauß und *Luc Bondy zusammen. Zurück in Frankreich versuchte Jourdheuil dann gemeinsam mit Vincent die Prinzipien des *Schaubühnen- Teams auf die eigene Arbeit zu übertragen. Als Vincent 1975 nach Straßburg ging, um dort die Leitung des *Théâtre national de Strasbourg zu übernehmen, beendete Jourdheuil die Zusammenarbeit. Immer schon war Jourdheuils praktische Theaterarbeit eng mit seiner Tätigkeit als Übersetzer verbunden. Gemeinsam mit Béatrice Perregaux übertrug er in den 1960er Jahren den „Messingkauf“ von *Brecht ins Französische, es folgten Übersetzungen von Stücken Peter Hacks’, Lothar Trolles, Karl Valentins, Heinrich von Kleists. Mitte der 1970er Jahre lernte er schließlich *Heiner Müller kennen, dessen französische Rezeptionsgeschichte er als Übersetzer, Herausgeber, Agent und Regisseur seither maßgeblich beeinflusst. Anders als viele andere französische Regisseure interessieren ihn an Müller nicht so sehr die deutsch-deutschen, sondern die deutschfranzösischen Wechselwirkungen. So nannte er seine legendären Müller-Abende 1981 am Théâtre de l’Odéon in Paris - in deutlicher Anlehnung an Heinrich Heine und Madame de Staël: „De l’Allemagne“. Neben Inszenierungen von *Müller-Texten - so u.a. 1978/ 79 „Mauser“ sowie 1990/ 91 „Die Korrektur/ Hamlet-Maschine“, „Verkommenes Ufer/ Medea-Material/ Landschaft mit Argonauten“ sowie „Quartett“ (in Koregie mit Jean-François Peyret) auf dem Festival d’Avignon - hat Jourdheuil in den 1980er und 1990er Jahren aber auch Texte von Franz Kafka und Karl Valentin zur Aufführung gebracht. 1994/ 95 erregte er zudem Aufsehen mit der französischen Erstaufführung der „Hermannsschlacht“ von Kleist. Darüber hinaus hat sich Jourdheuil aber immer auch als Theoretiker betätigt und seine nachhaltige Wirkung als deutsch-französischer Kulturmittler gründet sich nicht zuletzt auch auf seiner Tätigkeit als maître de conférences an der theaterwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Nanterre (Paris X). Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Colette Godard, Francesca Spinazzi, Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996. Nicole Colin Journalisten Unter den professionellen Mittlern zwischen zwei Ländern fällt traditionell den Pressekorrespondenten, und hier in besonderem Maße der - im weitesten Sinne verstandenen - Kulturberichterstattung, eine herausragende Rolle zu. Anders als der politische Korrespondent, dessen Tätigkeit vornehmlich im sachbezogenen Referat der Tagesaktualität, in der Produktion von Nachrichten und - eventuell - Kommentaren besteht, Journalisten J 313 liefert der Kulturkorrespondent über sein spezifisches Programm hinaus (also etwa Theaterpremieren, Opernaufführungen, Ausstellungsberichte sowie ganz allgemein der Kulturbetrieb ...) Informationen über intellektuelle Debatten und Strömungen im Gastland. Er leuchtet historische Hintergründe zu aktuellen Themen aus und gibt somit, im Idealfalle, seinem Publikum einen Schlüssel zum besseren Verständnis interkultureller Differenzen an die Hand. Er formatiert in gewisser Weise, ganz gleich, ob freundlich oder skeptisch gesonnen, die Wahrnehmung und das Bild des Landes (*Stereotype), in dem er tätig ist. Und die Nachhaltigkeit seiner Berichterstattung ist abhängig von der Bedeutung des Mediums, des Presse-Organs, für das er arbeitet. *Friedrich Sieburg für die Zwischenkriegszeit (und weit darüber hinaus) oder *Ulrich Wickert für die Gegenwart sind, um sich auf den deutschen Sprachraum zu beschränken, besonders auffällige Beispiele für Frankreich-Korrespondenten, die sich, kraft der Dominanz und Sichtbarkeit der sie beschäftigenden Medien (die „Frankfurter Zeitung“ im Falle *Sieburgs, das Fernsehen, die ARD, im Falle *Wickerts), in ihrer Zeit eine Art „Diskurshoheit“ in der Frankreichdarstellung und -interpretation gesichert haben. Allerdings verdanken sie diese mehr den äußerst erfolgreichen Buchpublikationen, in die sie ihre Frankreicherfahrung haben einfließen lassen. Der Nachhall von *Sieburgs „Gott in Frankreich“ (1929) ist bis heute vernehmbar, und *Wickerts Frankreichbücher haben, zusammen genommen, eine Millionenauflage erreicht. Doch dürfen solche Ausnahmeerscheinungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Korrespondent, egal ob er im politischen oder kulturellen Segment arbeitet, ob er fest angestellt ist oder freier Mitarbeiter, in keinem Falle autonom über Platzierung und Publikation seiner Beiträge entscheiden kann. In den klassischen schriftlichen und audiovisuellen Medien entscheidet in letzter Instanz die „Heimatredaktion“ über das, was ihr am Ausland berichtenswert und von Interesse scheint. Mit anderen Worten: Der Korrespondent hat es stets mit einer bestimmten Erwartungshaltung zu tun, mit einem bereits vorgefassten Bild. Oder, wie Joseph Hanimann, langjähriger Kulturkorrespondent der FAZ und jetzt der „Süddeutschen Zeitung“ in Paris sowie Träger des *Deutsch-Französischen Journalistenpreises, es einmal formulierte: „Korrespondenten locken Leser und Redaktion vielfach mit einem Vorurteil, das sie dann im Idealfall in ihren Artikeln unterlaufen“. Die Perzeption des Auslands, die Wahrnehmung von Alterität unterliegt in Korrespondentenberichten einem durchaus komplexen Kommunikationsschema, in dem der jeweilige Adressat nicht nur als passiver Rezipient zugegen ist. Der Begriff des Korrespondenten ist in Frankreich wie in Deutschland seit dem späten 17. Jahrhundert nachweisbar. Das französische Substantiv „correspondant“ meint zunächst (1695) denjenigen, der „brieflich über das Land berichtet, in dem er sich aufhält“ (Alain Rey, Dictionnaire historique de la langue française, 1992). Mit Entwicklung und Verbreitung der frühen „Journale“, den Vorläufern der heutigen Zeitungen, gewinnt der Begriff im Laufe des 18. Jahrhunderts auch eine spezifisch journalistische Bedeutung. Mit anderen Worten: Der Beruf des Korrespondenten ist so alt wie das moderne Zeitungswesen. Die kulturelle und politische Hegemonialstellung Frankreichs auf dem europäischen Kontinent, das intensive intellektuelle Leben in Paris bewirkten dabei, dass in deutschen Zeitungen und Zeitschriften schon sehr früh, d.h. ab Mitte des Jahrhunderts, eine regelmäßige Berichterstattung aus Frankreich nachweisbar ist, die mit der Französischen Revolution noch an Umfang und Bedeutung gewann. Berühmt ist die „Correspondance littéraire“ des Barons Melchior Grimm, die ab den 1750er Jahren (und bis zu Friedrich Melchior Grimms Flucht aus Paris im Jahre 1792) in handschriftlichen Kopien (und auf Französisch! ) an deutschen Fürstenhöfen zirkulierte. Korrespondentenberichte in einem moderneren Sinne (d.h. Berichte für gedruckte Periodika) liegen für den gleichen Zeitraum aber auch in Presseorganen wie etwa der „Privilegierten Berlinischen Zeitung“ vor, der Vorläuferin der langlebigen „Vossischen Zeitung“. Interessant ist dabei ein Sachverhalt, auf den Susanna Böhme- Kuby aufmerksam macht und der, freilich unter stets sich verändernden Vorzeichen, bis weit ins 20. Jahrhundert konstitutiv blieb für ein Großteil der deutschen Berichterstattung aus Frankreich und das deutsche Frankreichbild: Das Auge der im Jahre 1749 von Friedrich II. wieder eingeführten Zensur richtete sich vor allem auf die Inlandsberichterstattung. Raum für Kritik an bestehenden Verhältnissen boten indes der Kulturteil und der Umweg über die Auslandskorrespondenz. Wohl- Journalisten 314 J wollende oder gar bewundernde Darstellungen von französischen Zuständen waren somit implizit auch immer als kritische Auseinandersetzungen mit den eigenen Verhältnissen zu verstehen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt sich somit, von Ludwig Börne und vor allem Heinrich Heine (ab 1832 als Paris-Korrespondent für die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ tätig) bis hin zu Kurt Tucholsky (der ab 1924 für die „Weltbühne“ und die „Vossische Zeitung“ aus Paris berichtet), die Frankreichberichterstattung zum Vehikel für oftmals vehemente Kritik an den - schlechten - deutschen Verhältnissen. Es gilt dies zum Teil auch noch für die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. So verdankt sich beispielsweise der Erfolg eines *Georg Stefan Troller, der in den 1950er Jahren als Radiokorrespondent aus Paris berichtete, bevor er mit den Fernsehfilmen des „Pariser Journals“ zu Ruhm kam, der für damalige deutsche Hörer und Zuschauer besonderen Attraktivität französischer Zustände im Vergleich zu den eigenen. Und selbst Frankreichkritik, wie sie bei *Friedrich Sieburg in der Zwischenkriegszeit laut wird (er war von 1926 bis 1930 und dann wieder ab 1932 für die „Frankfurter Zeitung“ als Paris- Korrespondent tätig) kommt selten ohne die freundliche Zeichnung allgemeiner französischer Lebensverhältnisse aus (welch Letztere mit seinem folgenreichen Buchtitel „Gott in Frankreich? “ angesprochen sind). Es ist auffällig, wie stark das Feld der deutschen Frankreichberichterstattung mit prominenten Namen besetzt ist. Neben Heine, Börne und Tucholsky ließe sich hier etwa noch der Mitbegründer der modernen zionistischen Bewegung Max Nordau nennen, dessen umfangreiches Werk als Korrespondent (ab 1880) der „Neuen Freien Presse“ (Wien) und der „Vossischen Zeitung“ noch nicht restlos identifiziert ist. Oder auch, ebenfalls für die Zeit des Kaiserreichs, der Berliner Schriftsteller und Publizist Victor Auburtin, der von 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs für das „Berliner Tageblatt“ aus Paris berichtete. Andere, wie *Friedrich Sieburg, gelangten erst durch ihre Tätigkeit als Frankreichkorrespondenten zu Prominenz. Bis in die jüngste Vergangenheit positioniert und exponiert die Entsendung nach Paris auf dem Feld der medialen Öffentlichkeit in Deutschland. Journalisten wie *Peter Scholl-Latour, Heiko Engelkes, Klaus-Peter Schmidt, *Ulrich Wickert, Johannes Willms (Letzterer als Kulturkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“) oder etwa *Lothar Baier (als freier Publizist) und der Schweizer Jürg Altwegg haben, um nur diese Beispiele zu nennen, ihre Frankreicherfahrung früher oder später in Büchern zusammengefasst und damit zu dem in Deutschland seit Heine beliebten Genre der „Frankreichliteratur“ beigetragen, das auch von anderen Journalisten oder journalistisch tätigen Autoren bedient wird, die im engeren Sinne nicht als Frankreichkorrespondenten zu bezeichnen wären wie zum Beispiel *Klaus Harpprecht oder Karl Heinz Götze. Es fällt schwer, diesem Befund auf französischer Seite ein äquivalentes Tableau zur Seite zu stellen. Gewiss erwacht zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit Madame de Staël in Frankreich ein dezidiertes Interesse an Deutschland und deutschen Zuständen. Und es mangelt in der Folge nicht an Zeugnissen prominenter französischer Intellektueller und Schriftsteller, die sich in offizieller Mission (wie Chateaubriand ab 1820 als - kurzzeitiger - französischer Botschafter in Berlin) oder als aus privatem Interesse Reisende (Balzac, Hugo, Saint-Marc Girardin, Renan…) nach Deutschland aufmachen. Aber man wird dies nur schwerlich als Korrespondententätigkeit bezeichnen können. Und als in den 1920er und frühen 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts Berlin eine zeitweilig Paris überstrahlende Anziehungskraft ausübt, berichten französische Autoren wie Pierre MacOrlan, Philippe Soupault oder der längst vergessene Louis- Charles Royer nur als kurzfristige, aber hellsichtige envoyés spéciaux von Berliner Ereignissen für französische Zeitungen. Die „regulären“ französischen Presse-Korrespondenten bleiben im Hintergrund und es gelingt ihnen, von Ausnahmen abgesehen (wie dem deutsch-französischen Journalisten Gérard Sandoz, der von 1963 bis 1985 für den „Nouvel Observateur“ und intermittierend für den „Spiegel“ tätig war, sowie in jüngerer Zeit *Daniel Vernet, „Le Monde“, oder Jean-Paul Picaper, „Le Figaro“), nicht, wie ihre deutschen Kollegen, von einem größeren Publikum als Autoren eines repräsentativen Deutschlandbildes wahrgenommen zu werden und daraus ein entsprechendes publizistisches Kapital zu schlagen. Das mag, im Vergleich zum deutschen Frankreichinteresse, an der geringeren Attraktivität Deutschlands für französische Leser liegen. Es liegt aber gewiss auch daran, dass in Frankreich von Anfang an die Germanisten und Politikwissenschaftler (hier, für die ers- Jugendbeziehungen 1945-1963 J 315 te Hälfte des 20. Jahrhunderts, Charles Andler, Henri Lichtenberger oder etwa *Edmond Vermeil, nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem *Alfred Grosser oder *Joseph Rovan) in der Öffentlichkeit den Rang von Spezialisten behaupten und verteidigen konnten, den in Deutschland oftmals die Journalisten einnahmen und einnehmen. Erst mit Pascale Hugues (von 1989 bis 1995 für „Libération“ als Berlin-Korrespondentin tätig, seither für das Wochenmagazin „Le Point“) tritt eine französische Journalistin auf den Plan, die ihre Deutschlanderfahrung in eine viel beachtete Buchpublikation einfließen lassen konnte, „Le bonheur allemand“ (1998), die, jenseits der nur politischen und ökonomischen Analyse, ein essayistisches Gesamtbild von deutschem Alltag und deutschen Befindlichkeiten bot, wie man es in umgekehrter Richtung von den oben genannten Beispielen deutscher Frankreichliteratur kennt. In die Fußstapfen von Pascale Hugues stieg zehn Jahre später Cécile Calla, von 2006 bis 2010 für „Le Monde“ in Berlin tätig, mit ihrem Buch „Tour de Franz“ (Berlin 2009), das bezeichnenderweise bislang nur auf Deutsch vorliegt. Möglicherweise stehen diese beiden Publikationen, neben denen sich inzwischen andere, ähnlich ausgerichtete Bücher französischer Autoren nennen ließen (z.B. Durand 2002) für ein neues und anderes Deutschlandinteresse. Dem entspricht allerdings nicht die immer weiter reduzierte Zahl fest bestallter Deutschlandkorrespondenten für französische Medien. Unterhalten deutschsprachige Presse-Organe und die diversen Rundfunk- und Fernsehanstalten des Landes noch ein vergleichsweise dichtes Netz von Korrespondenten, Büros und Aufnahmestudios in Paris (denen sich ein kleines Heer freier Autoren hinzugesellt), so verzichten französische Medien zunehmend auf die Entsendung von Korrespondenten und arbeiten mit „Ortskräften“ (*Tagespresse). Der größte französische Fernsehsender, TF1, unterhält keinen festen Korrespondenten in Berlin. Susanna Böhme-Kuby, Das Neueste aus Paris. Deutsche Presseberichte 1789-1795, München 1989; Béatrice Durand, Cousins par alliance. Les Allemands en notre miroir, Paris 2002. Jürgen Ritte Jugendbeziehungen 1945-1963 Das *DFJW ist seit 1963 das augenfälligste Beispiel für den Stellenwert, der den Auslandsreisen von Jugendlichen und ihren Begegnungen mit Angehörigen anderer Kulturen heute zugemessen wird - nicht nur für ihre persönliche Bildung, sondern auch für die übernationale Zusammenarbeit und das friedliche Zusammenleben der Völker. Über Jahrhunderte wurden diese Austauschbeziehungen nur auf Grund persönlicher Initiativen gepflegt, die auch heute noch einen beträchtlichen - wenn auch statistisch nicht erfassbaren - Anteil am Gesamtvolumen ausmachen. Die rege und stetige Austausch- und Begegnungstätigkeit zwischen deutschen und französischen Jugendlichen, die durch das *DFJW initiiert und gefördert wurde, bedeutete zwar eine völlig neue Dimension in den deutsch-französischen (Jugend-)beziehungen, vor allem durch ihren Umfang und vielfältige Gestaltung, aber ihr Zustandekommen war das Ergebnis eines langen Reifungsprozesses in der Zivilgesellschaft. Schon nach dem Ersten Weltkrieg unternahmen in den 1920er und 1930er Jahren beiderseits des Rheins verschiedene weltanschaulich, politisch oder religiös sich nahe stehende Gruppen der Zivilgesellschaft vielversprechende Versuche, die Kontakte zwischen der deutschen und französischen Jugend wieder herzustellen, um durch eine bessere gegenseitige Kenntnis die Verständigung und die Aussöhnung zu fördern, während auf politisch-diplomatischer Ebene eine Entspannung der deutsch-französischen Beziehungen sich praktisch erst gegen Ende der 1920er Jahre anbahnte und dann sehr schnell zerschlagen oder pervertiert und instrumentalisiert wurde. Die Erinnerung an die versäumten Gelegenheiten der Zwischenkriegszeit erklärt zum Teil, dass 1945 gleich nach der Kapitulation zahlreiche Initiativen entstanden, um den Kontakt zwischen der deutschen und französischen Jugend wieder herzustellen. Sie waren zunächst Teil der französischen Besatzungspolitik in Südwestdeutschland und gehörten in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung für Erziehung (Direction de l’éducation publique: *Raymond Schmittlein) der Militärregierung unter General P.M. Koenig. Die vom verantwortlichen Leiter der Sous-direction Jeunesse et culture populaire , *Jean-Charles Moreau, Jugendbeziehungen 1945-1963 316 J vertretene Jugend- und Kulturpolitik war prinzipiell vorgegeben durch die Leitgedanken der Besatzungspolitik, die bis etwa 1947/ 48 geprägt war durch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der deutschen Bevölkerung und besonders der Jugend, von der man annahm, dass gerade sie nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Indoktrinierung eine wichtige Zielgruppe für die als nötig erachtete Umerziehung ( re-education ) war. Die zum Teil improvisierte Besatzungspolitik ließ jedoch den individuellen Initiativen der verantwortlichen Stellen einen ziemlich großen Spielraum. Sie nutzten ihn aus, um auf lokaler und regionaler Ebene zahlreiche geistige (durch Information, kulturelle Veranstaltungen usw.) und zwischenmenschliche Kontakte (deutschfranzösische Begegnungen von Jugendlichen und Vertretern der Jugendorganisationen und der Volkshochschulen) zu initiieren. Nachdem ab Dezember 1945 die Neugründung von Jugendorganisationen in der französischen Besatzungszone wieder zugelassen wurde (vorbehaltlich einer Genehmigung durch die zuständige Besatzungsbehörde) entstanden in den folgenden Monaten zahlreiche Jugendverbände, deren Mitgliederzahlen rasch stiegen. In der französischen Zone zählten 1949 die katholischen Jugendorganisationen 130 000 Mitglieder, die evangelischen 30 000, die nicht-konfessionellen oder politischen Jugendbünde (z.B. Naturfreundejugend, Gewerkschaftsjugend, „Falken“) ca. 25 000, und die Pfadfinder hatten 1 700 Ortsgruppen. Mit Unterstützung der Besatzungsbehörden nahmen diese Jugendverbände nach und nach den Kontakt mit verwandten französischen Verbänden auf. In verschiedenen Treffen von Vertretern deutscher und französischer Jugendorganisationen wurden Erfahrungen und Erkenntnisse ausgetauscht und die Grundlagen gelegt für die spätere Zusammenarbeit und Begegnungstätigkeit (z.B. 1947 die Treffen am Titisee und im „Jugendhof Vlotho“ und vor allem - als Höhepunkt der Jugendtreffen im Rahmen der Besatzungspolitik - vom 22.7. bis zum 6.9.1951, das „Europäische Jugendtreffen“ am Loreleyfelsen mit insgesamt 35 000 Teilnehmern aus 14 Nationen, darunter 60 % Deutsche und 20 % Franzosen). Neben diesen „offiziellen“ Bemühungen, den Kontakt mit der deutschen Jugend wiederherzustellen, gab es schon in den ersten Nachkriegsjahren eine Reihe von privaten Initiativen mit demselben Ziel. Wie die Besatzungsbehörden, aber mit einer größeren Bewegungsfreiheit versuchten sie durch Informationen und Begegnungen die Rückkehr der deutschen Bevölkerung in die Gemeinschaft der demokratischen Gesellschaften und Nationen zu fördern, vor allem durch Umerziehung der jungen Generation. Die Bedeutung ihres Beitrags zur Versöhnungsarbeit kann nicht hoch genug geschätzt werden: nicht nur weil sie vielfach eine Vorreiterrolle spielten, sondern auch weil sie ihre unter schwierigen Umständen begonnene Arbeit ungeachtet der politischen Wechselfälle zielstrebig weitergeführt haben. Hier soll vor allem die Persönlichkeit von *Jean du Rivau erwähnt werden. Als Feldgeistlicher bei der französischen Besatzungsarmee entdeckte er, dass die deutsche Bevölkerung neben der materiellen Not auch unter ihrer geistigen und moralischen Isoliertheit litt. Deshalb gründete er 1945 in Offenburg ein Centre d’études culturelles, économiques et sociales, (später umbenannt in *BILD), und ein deutsches Pendant, die *GÜZ. Sie veranstalteten deutsch-französische Treffen und gaben zwei Zeitschriften heraus: *Documents und *Dokumente. Dieses Beispiel wurde Vorbild für die Gründung ähnlicher Initiativen: z.B. entstand 1948 das *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle (*Emmanuel Mounier, *Alfred Grosser) und auf deutscher Seite das *DFI in Ludwigsburg (*Fritz Schenk). In Ermangelung von Statistiken über den Gesamtumfang der Begegnungstätigkeit dieser Austausch- und Informationsinstitutionen der ersten Stunde, vor allem was die Jugendlichen betrifft, kann man festhalten, dass *BILD seit seinem ersten Studententreffen (1947 in Überlingen) bis 1964 über 170 Jugendtreffen veranstaltet hat. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde die Verantwortlichkeit für die deutschfranzösischen Begegnungen schrittweise zurückgeführt in die zuständigen Dienststellen der Ministerien, zum Teil mit demselben Personal wie zur Zeit des Besatzungsstatuts, sodass die Austauschpolitik mit anderen Mitteln aber in demselben Geist weitergeführt werden konnte. Kontrahenten waren vor allem auf deutscher Seite das Auswärtige Amt, die Kultusministerien und der Bundesjugendring, in Frankreich das Jugendkultur J 317 Außen- und das Erziehungsministerium mit einer Relaisstation im französischen Hochkommissariat in der Person von *Geneviève Carrez, langjährige Mitarbeiterin von *Jean-Charles Moreau, die in Mainz die Abteilung für internationale Begegnungen in der Direction générale des affaires culturelles (DGAC) leitete und, bei stetig sinkenden Mitteln, die Förderungspolitik der deutsch-französischen Jugendbegegnungen erfolgreich weiterführte: die Teilnehmerzahlen an deutsch-französischen Treffen stiegen zwischen 1952 und 1955 von 9 000 auf 13 600 (darunter im Durchschnitt ca. 50 % Jugendliche). Das *Deutsch-Französische Kulturabkommen von 1954 sollte die juristische Grundlage für die deutsch-französischen Kultur- und Jugendbeziehungen nach der Wiederherstellung der Souveränität für die Bundesrepublik bilden. Obwohl es sich im wesentlichen auf den traditionellen Kulturaustausch und vor allem auf das Bildungswesen (Sprachunterricht, Lehrer- und Schüleraustausch, Äquivalenzen, Forschung) und das Kunstleben (Buch, Theater, Musik) bezog, hat es auch in seinem Art. 5 die Intensivierung der Zusammenarbeit und Austauschtätigkeit zwischen deutschen und französischen Jugendorganisationen vorgesehen. Es war somit ein Meilenstein auf dem Weg zum *Élysée-Vertrag und zur Gründung des *DFJW im Jahr 1963. Die Gründe, warum das Abkommen nicht seine volle Wirkung entfalten konnte sind verschiedener Art: bürokratische Schwerfälligkeit, mangelnde Mittel und vor allem andere politischen Prioritäten. Dass trotzdem die deutsch-französischen Jugendtreffen weiter zügig anstiegen, war eher der Zivilgesellschaft zu verdanken. Seit Anfang der 1950er Jahre waren in Frankreich wie in Deutschland auf lokaler und regionaler Ebene zahlreiche Vereinigungen - zum Teil auch in Anknüpfung an ähnliche Erscheinungen der Vorkriegszeit - entstanden. Es handelte sich unter anderem um Städte- und Regionalpartnerschaften und um die *Deutsch-Französischen Gesellschaften (DFG), die sich 1957 in der Bundesrepublik zu einem Arbeitskreis Deutsch-Französischer Gesellschaften zusammenschlossen und in der Folgezeit eng mit der französischen *Fédération des associations francoallemandes zusammenarbeiteten. Die ersten *Städtepartnerschaften entstanden nach 1950: 1957 waren es schon 23, im Jahr 1962 gab es deren schon 120, und zehn Jahre nach dem *Élysée-Vertrag von 1963 600 (bis heute hat sich die Zahl mehr als verdoppelt). Obwohl die DFG und die *Städtepartnerschaften nicht speziell für die Jugend geschaffen waren, schloss dieser reguläre und zum Teil intensive übernationale Austauschverkehr natürlich viele Jugendliche und Jugendgruppen mit ein. Die Idee einer deutsch-französischen, von beiden Regierungen getragenen aber unabhängigen, nach dem Subsidiaritätsprinzip handelnden Institution wurde anfangs der 1960er Jahre bei der Vorbereitung des *Élysée-Vertrags wieder akut. Das im Sommer desselben Jahres gegründete *DFJW konnte sich auf ein ausgedehntes Netz von privaten Austauschorganisationen stützen (siehe Bock 2003) und seine Arbeit sehr schnell aufnehmen. Die anfänglichen Befürchtungen und Missverständnisse wurden spätestens im Januar 1964 anlässlich des Treffens bei Bergisch Gladbach (Haus Lerbach) ausgeräumt, in dem die Leitung des *DFJW sich mit 65 Vertretern privater Austauschvereinigungen traf, um sich über die Formen und Inhalte des Jugendaustauschs zu verständigen. Die Ergebnisse dieses Treffens wurden dann auch größtenteils in die Richtlinien des Jugendwerks übernommen und regelten fortan die fruchtbare Zusammenarbeit des *DFJW mit seinen Partnerorganisationen. Hans Manfred Bock, Private Verständigungs-Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich 1949 bis 1964 als gesellschaftliche Entstehungsgrundlage des DFJW, in: ders. (Hg.) Deutsch-französische Begegnung und europäischer Bürgersinn, Opladen 2003, S. 13- 37; Jacqueline Plum, Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1955, Wiesbaden 2007; Dieter Tiemann, Deutsch-französische Jugendbeziehungen der Zwischenkriegszeit, Bonn 1989; Jérôme Vaillant (Hg.), Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1949, Konstanz 1984. Gilbert Krebs Jugendkultur Im 20. Jahrhundert formierte sich Jugend noch stärker zu einer eigenständigen Lebensphase als zuvor. Mit dem „Babyboom“ zur demographisch relevanten Größe aufgestiegen, entwickelten sich zumeist in urbanen Räumen generationell geprägte Jugendkulturen, die diesen Prozess vorantrieben. Junge Menschen traten zunehmend als selbstbewusst agierende Gruppe auf, formulierten eigene kulturelle Bedürfnisse und fungierten als Jugendkultur 318 J Agenten gesellschaftlicher Transformationsprozesse mit intergenerationeller Prägekraft. Dennoch steht die Jugendkultur noch immer im Schatten der stark auf Institutionen fixierten Geschichte internationaler Kulturbeziehungen, auch wenn jüngere Ansätze wie die deutsche Popgeschichte oder die französische histoire sociale du rock die internationalisierende Rolle von Jugend- und Popkultur zunehmend erforschen und Festivals, Tourneen und generationsspezifische Massenmedien in den Blick nehmen. Für das deutschfranzösische Verhältnis, das im Folgenden skizzenhaft umrissen wird, lassen sich bereits erste Ergebnisse formulieren. Nach dem Krieg orientierten sich Jugendliche in Frankreich wie in Deutschland zunächst mit Blue Jeans, Pettycoats und Elvis-Tollen an US- Vorbildern. In den 1950er Jahren vollzog sich diese Kulturaneignung noch weitgehend getrennt nach Bildungsschichten und sozialer Herkunft: Studenten hörten vorwiegend Klassik und BeBop, Arbeiterjugendliche tanzten zu Bigband-Jazz und ab 1955 vermehrt zu Rock’n’Roll. Während in Deutschland zunächst keine international beachtete Rock’n’Roll-Musikszene entstand und stattdessen deutschsprachige Schlager und Coverbands die Amateurszene dominierten, entstand in Frankreich früh eine frankophone Rockszene, die in Deutschland aber kaum rezipiert wurde. Die gemeinsame Begeisterung für amerikanische Musiker führte dennoch zu Kontakten: Fan-Clubs dienten dem Austausch über Landesgrenzen hinweg. So entstanden deutsch-französische Briefkontakte, die in der DDR unterdrückt wurden (*Jugendbeziehungen). Doch auch in den liberalen Demokratien kam es zu Stereotypenbildungen, die das Zerrbild einer durch Popkultur zur Devianz verführten Jugend zeichneten: Deutsche „Halbstarke“ und französische blousons noirs wurden zu medialen Projektionsflächen nationalkonservativer und teils rassistischer Affekte gegen afroamerikanisierte Musik. Neue Impulse zu einer Europäisierung brachten die 1960er Jahre, die auch in der Jugendkultur zu ersten Verschiebungen von der Amerikanisierung zur Westernisierung führten. In Frankreich schwang sich das aus einer Radiosendung hervorgegangene Magazin „Salut les copains“ (SLC) zum Sprachrohr der frankophonen Yé-yé-Szene auf, die sich zeitgleich zur britischen Beat- und Mod- Bewegung formierte. In Deutschland entwickelte sich die als Programmzeitschrift für Erwachsene gestartete „Bravo“ in den 1960ern zum Leitmedium für die Jugend. Beide Magazine berichteten auch über die Popkultur des Nachbarlandes. Zwar erreichten Filme wie Michel Carnets „Les Tricheurs“ oder die *Nouvelle vague in Deutschland kein Massenpublikum und auch deutsche Produktionen wie „Die Halbstarken“ blieben in Frankreich weit hinter dem Erfolg des populären amerikanischen Jugendfilms zurück. Doch wurde in der „Bravo“ zunehmend über französische Idole berichtet und SLC stellte seinen Leserinnen deutsche Stars wie Peter Kraus vor. Der Erfolg kommerziell orientierter Jugendmedien gründete auf der wachsenden ökonomischen Bedeutung Jugendlicher, die in beiden Ländern über immer größere Budgets an Geld und Freizeit verfügten. Seit den 50er Jahren orientierten sich Teile der urbanen akademischen Jugend in Deutschland zunehmend am Lebensstil der Pariser Studenten. Die intellektuelle Subkultur der deutschen „Exis“ suchte ihre Vorbilder in der Pariser Bohème und deren textilen, musikalischen und literarischen *Moden. Französische Philosophen wurden auch in Deutschland in privaten Zirkeln diskutiert und die Chansons der „années Boris Vian“ erschienen auch auf bundesdeutschen Plattenlabeln. Selbst in der DDR klagten die Jugendbehörden über die „falsch verstandene französische Philosophie“ Sartres, mit der Studenten in Diskussionen orthodoxe Marxisten provozierten. Ostdeutsche Jugendliche suchten auf der Leipziger Messe Kontakt zu Pariser Studenten und kleideten sich nach deren Vorbild - was zu Konflikten mit den Organen der Staatssicherheit führte. Ende der 1960er Jahre entstand mit dem Folklore Chanson International- Festival auf der Jugendburg Waldeck im westdeutschen Hunsrück eine am französischen erzählenden Lied orientierte Singbewegung. Enge Kontakte knüpfte die Studentenbewegung um 1968, die aber bald eine radikale Wende weg von ästhetischen und hin zu ideologischen Paradigmen vollzog und in verschiedenen Polit-Gruppen zersplitterte. In den 1970er Jahren etablierten sich Rock- und Pop-Festivals nach dem Vorbild der Jazz- Treffen zunehmend als Sozialisationsinstanzen einer grenzüberschreitenden Musikszene. Eigenständige deutsche Beiträge zur internationalisierten Popkultur entstanden vor allem im experimentellen Genre des Krautrock und der prä-elek- Jünger, Ernst J 319 tronischen Musik von Bands wie „Kraftwerk“, die aber erst in der Retrospektive eine breite französische Rezeption erfuhren. Die dystopische Punkbewegung brachte ab 1977 mit Slogans wie „no future“ und einer normverletzenden Körperinszenierung Ende der 1970er Jahre in Deutschland wie in Frankreich die Krisenstimmung „nach dem Boom“ zum Ausdruck, blieb aber zunächst ein Avantgarde-Phänomen, das seine Bezugsorte eher in England und den USA hatte. Der international erfolgreiche Teenager-Film „La Boum“ mit Sophie Marceau, der 1980 auch an deutschen Kinokassen zum Kassenschlager wurde, lenkte den Blick wieder auf Frankreich. Die darin präsentierte Pariser Jugendmode wurde für die deutsche Popper-Szene stilprägend und der (auf Englisch) eingespielte Titelsong des Halbfranzosen Richard Sanderson zog in die deutschen Hitparaden ein. Während in den 1980er Jahren vergleichsweise wenige jugendkulturelle Impulse von Deutschland ausgingen, fand die gegen Ende des Jahrzehnts maßgeblich in Deutschland entwickelte Techno-Musik auch in Frankreich Anhänger. Die „Love-Paraden“ der 1990er Jahre zogen Millionen Jugendliche nach Berlin, darunter Hunderttausende Franzosen. Die deutsche Teenager-Band Tokio Hotel firmierte als eine der international populärsten Musikgruppen und motivierte französische Fans zum Erlernen der deutschen Sprache (*Musik, populäre). Im frühen 21. Jahrhundert übt die zur Club- und Kunstmetropole gemauserte Stadt Berlin eine ähnliche Attraktivität auf junge urbane Avantgarden in Frankreich aus, wie Paris in den 1960ern auf deutsche Studenten. Betrachtet man den Prozess der Etablierung von Jugend- und Popkultur seit 1945, so fällt auf, dass es zwischen Frankreich und Deutschland nur punktuell zu Verflechtungen kam: Während der „trente glorieuses“ dominierten anglo-amerikanische Einflüsse beide Länder, doch gingen auch einige Impulse von Frankreich aus. Sie lassen sich jedoch mehr als Transfer, denn als Verflechtung beschreiben, da die deutsche Jugendkultur - auch bedingt durch die Vorgeschichte des Nationalsozialismus - erst seit den 1970er Jahren mit eigenständigen Beiträgen verspätet Anschluss an die internationalisierte Popkultur fand. Im Prozess des „rapprochement“ zwischen Deutschland und Frankreich spielten Jugendkulturen die Rolle von Avantgarden und spätestens mit der Globalisierung prägt die auch aus ihnen entstandene Popkultur die Kontakte zwischen beiden Ländern entscheidend mit: als semiotische Lingua franca einer generationellen Verständigung über die Landesgrenze hinweg. Dietmar Hüser, „Rock around the Clock“. Überlegungen zu amerikanischer Populärkultur in der französischen und westdeutschen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre, in: Chantal Metzger, Hartmut Kaelble (Hg.), Deutschland-Frankreich-Nordamerika: Transfers, Imaginationen, Beziehungen, Berlin 2006, S. 189-208; Jean- François Sirinelli, La jeunesse, du milieu des années cinquante aux années soixante. Entre subculture et groupe social en France et en Allemagne, in: Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann (Hg.), Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre/ Mutations et intégration. Les rapprochements franco-allemands dans les années cinquante, München 2005, S. 339-344; Anne-Marie Sohn, Âge tendre et tête de bois. Histoire des jeunes des années 1960, Paris 2001; Detlef Siegfried, Time is on my Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006; Bodo Mrozek, Popgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.5.2010, http: / / docupedia.de/ docupedia/ index.php? title =Popgeschichte&oldid=72357 Bodo Mrozek Jünger, Ernst Ernst Jünger (1895-1998) ein französischer Schriftsteller deutscher Sprache? Sein schriftstellerischer Ruhm scheint in Frankreich jedenfalls größer zu sein als in Deutschland. So wurden seine Kriegstagebücher 1914-1918 und 1939-1943 im Jahre 2008 in der berühmten Klassikerausgabe „Bibliothèque de la Pléiade“ publiziert, in die Autoren wie Thomas Mann oder *Alfred Döblin noch nicht aufgenommen worden sind. Zwar hat der in Heidelberg geborene Jünger auch in Frankreich seine resoluten Gegner, die seine Ästhetisierung des Krieges, seine faschistische Vergangenheit - für die er sich nie öffentlich „schuldig“ bekannt hat -, seinen politischen Opportunismus nach dem Zweiten Weltkrieg und last but not least den konventionellen Charakter seiner belletristischen Produktion beklagen. Aber Jünger selbst fühlte sich in Frankreich wohler als in der Bundesrepublik, wo er als „Schrittmacher des NS“ trotz wachsender offizieller Anerkennung immer wieder ins Kreuzfeuer der linksintellektuellen Kritik geriet. In Frankreich wurde der Diarist, anregende Essayist und hervorragende Stilist vornehmlich als ein Jurt, Joseph 320 J homme de lettres rezipiert, von dem man nicht unbedingt political correctness erwartet. Seine „Kriegsbücher“ stießen zunächst wegen ihres Rittergeistes auf die Sympathie der anciens combattants , bevor er ab 1933 als ein gefährlicher Nationalsozialist dargestellt wurde. Der „französische“ Jünger konstruierte sich während der Besatzungszeit 1940-1945, die er fast gänzlich im deutschen Generalstab in Paris verbrachte. Dort entwickelte sich der mit dem Orden pour le mérite dekorierte Krieger des Schützengrabens zu einem Flaneur, der das Pariser Kulturleben einschließlich der Salons, der Restaurants, der guten Weine und der hübschen Frauen zu genießen wusste. Er verkehrte mit eher konservativen französischen Schriftstellern (Paul Léautaud, Marcel Jouhandeau, Pierre Drieu la Rochelle usw.) und mit Verlegern wie Gaston Gallimard, die die Werke seines „neuen Testaments“, allen voran „Die Marmorklippen“ (1940), umgehend ins Französische übersetzten. Diese mythologisierende Erzählung schildert den Kampf der alten Kultur gegen die moderne - auch nationalsozialistische - Barbarei. Jünger stand damals Hitler-Oppositionellen in der Wehrmacht nah, las die Bibel und redigierte insgeheim das christlich-demokratische Traktat „Der Friede“. Von nun an hatte Frankreich seinen „guten Deutschen“ gefunden, wie ihn *Vercors in der Gestalt von Werner von Ebrennac beschrieb. Nach einem Publikationsverbot im besetzten Deutschland begann der Aufstieg zum anerkannten und preisgekrönten Autor und „guten Europäer“. Dabei waren die geknüpften Kontakte mit dem französischen literarischen Milieu der Verbreitung seines Werkes in Frankreich förderlich. Er verfügte über exzellente Übersetzer (Henri Thomas, Maurice Betz, Henri Plard, Julien Hervier), die die Präzision und Eleganz seines Stils noch „französisch“ überhöhten. Jünger war als ancien combattant zugegen, als sich Helmut Kohl und François Mitterrand 1984 in Verdun die Hand reichten. Der Kanzler und der Staatspräsident - dessen Geschmack für konservative Autoren bekannt ist - besuchten ihn per Hubschrauber 1985 in Wilflingen anlässlich seines 90. Geburtstages. Gleich und gleich gesellt sich gerne? Oder fasziniert Jünger die Franzosen nicht eher durch die Fremdheit deutscher Eigenschaften (aristokratisches Preußentum, Romantik, Wissensdurst und Sammlerfreude), die ein gewisser literarischer Dandyismus für Franzosen akzeptabel macht? Thomas Amos, Ernst Jünger, Reinbek bei Hamburg 2011; Philippe Barthelet (Hg.), Ernst Jünger, Lausanne 2000; Julien Hervier, Entretiens avec Ernst Jünger, Paris 1986; Ernst Jünger, Journaux de guerre, Paris 2008; Julien Hervier, Alexander Paschera: Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung? Ein Pariser Gespräch. Mit 60 Briefen von Ernst Jünger an Julien Hervier, Berlin 2012; Julien Hervier, Ernst Jünger. Dans les tempêtes du siècle, Paris 2013; Michel Vanoosthuyse, Fascisme et littérature pure: la fabrique d’Ernst Jünger, Marseille 2005; Gilbert Merlio, Ernst Jünger, in: Études germaniques 51 (1996) 4, S. 596-891; Julien Hervier, Deux individus contre l’histoire, Pierre Drieu La Rochelle. Ernst Jünger, Paris 2010; Helmuth Kiesel, Ernst Jünger. Die Biographie, München 2007; Heimo Schwilk, Ernst Jünger, Ein Jahrhundertleben, München 2007. Gilbert Merlio Jurt, Joseph Einen etwas anderen Blick auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen als „Außenstehender“ oder „Unparteiischer“ eröffnete der Schweizer Romanist Joseph Jurt, der sich Zeit seines Lebens der Erforschung der Wechselwirkungen von Literatur, Gesellschaft und Politik in Frankreich und Deutschland verschrieb. 1940 (in Willisau-Land) in der deutschsprachigen Schweiz geboren, entdeckte Jurt bereits als Gymnasiast einer katholischen Internatsschule sein Interesse an französischer Kultur, Georges Bernanos, dem französischen *Existentialismus sowie Frankreichs Algerienkrieg. Nach einer ersten Paris-Reise im September 1960 studierte er von 1962 bis 1966 Romanistik und Geschichte im französischsprachigen Fribourg u.a. bei dem linkskatholischen Intellektuellen und Literaturwissenschaftler Pierre-Henri Simon und seinem Nachfolger René-Marill Albérès, sowie an der Pariser Sorbonne. Seine eigentlich für das Lizenziat angefertigte Arbeit zur Genese des politischen Denkens von Bernanos, „Les attitudes politiques de Georges Bernanos jusqu’en 1931“, wurde von Albérès bereits als Dissertation angenommen. Im Anschluss an eine Lehrtätigkeit am Lehrerseminar des Kantons Luzern von 1966 bis 1970 ging Jurt erneut nach Paris: Ausgestattet mit einem Stipendium des Schweizer Fonds national de la recherche scientifique (FNRS), widmete Jurt sich 1970 bis 1973 einem Projekt der Rezeptionsforschung, welches nach seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Regens- Kaas, Patricia K 321 burg in seine 1980 veröffentlichte Habilitationsschrift „La réception de la littérature par la critique journalistique. Lectures de Bernanos 1926-1936“ mündete. Parallel besuchte er in Paris Seminare von Jacques Leenhardt und Roland Barthes. Jurt entdeckte die Theorie des literarischen Feldes und dessen Autonomie des Soziologen *Pierre Bourdieu (1930-2002) und machte 1980 persönliche Bekanntschaft mit *Bourdieu. Es war, wie er selber meinte, die „zentrale intellektuelle Begegnung“ seines Lebens, die ihn zu dem zentralen Vermittler von *Bourdieu und seiner Literatursoziologie des champ littéraire in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft machte. Seit 1987 wurde Jurt im Gegenzug wiederholt von *Bourdieu als directeur de recherches associé an die École des hautes études en sciences sociales (EHESS) eingeladen. Als Professor für französische Literaturwissenschaft an der Universität Freiburg im Breisgau (von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2005) wurde Jurt auch die Bedeutung der deutsch-französischen Verständigung für die Konstruktion der Geschichte Europas zunehmend bewusst - u.a. durch das lebendige Vorbild des Regierungspräsidenten Conrad Schroeder und des Freiburger Oberbürgermeisters Rolf Böhme. Sein Beitrag zu dieser Verständigung ist das von ihm 1987 mitbegründete und 1989 eröffnete Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg (*Frankreich-Zentren), ein interdisziplinäres Zentrum für Frankreich-Forschung, dessen Vorstandsvorsitz er von 1993 bis 2000 inne hatte; von 1997 bis 2000 war er zudem Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrates. Neben der Rezeptionsforschung und Literatursoziologie, der Erforschung der Werke von Georges Bernanos und Gustave Flaubert widmete sich Jurt seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt der Frage der nationalen Symbolik und der Konstruktion nationaler Identitäten in Frankreich und Deutschland, der Geschichte der Intellektuellen in Frankreich im 20. Jahrhundert sowie der deutschfranzösischen Kulturbeziehungen. Joseph Jurt, Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis, Darmstadt 1995; ders. (Hg.), Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation. Freiburg 1993; ders., Der deutsch-französische Dialog der Intellektuellen, in: Thomas Kühn, Ursula Schaefer (Hg.), Dialogische Strukturen - Dialogic Structures, Tübingen 1996, S. 232-259. Martin Strickmann K Kaas, Patricia „Patricia Kaas, l’une des chanteuses les plus populaires et une ambassadrice de la culture française“ (Figaro, 30.1.2009). Aus ärmlichen Verhältnissen stammend und bis zum Alter von sechs Jahren ausschließlich saarländische Mundart sprechend, wurde Patricia Kaas zu einer der international erfolgreichsten französischen Sängerinnen mit über 15 Millionen verkauften Tonträgern und zahlreichen Auszeichnungen. Die deutsch-französische Sängerin Patricia Kaas wurde 1966 als jüngstes von sieben Kindern eines französischen Bergarbeiters und seiner deutschen Ehefrau in Forbach (Lothringen) geboren. Von ihrer Mutter ermutigt, hatte sie bereits im Alter von acht Jahren bei kleineren Veranstaltungen Auftritte, von denen sie später sagen wird, dass „das Bierzelt keine schlechte Schule“ gewesen sei. Ein erster Schritt ins professionelle Musikgeschäft gelang ihr im Alter von 13 Jahren, als sie einen Vertrag mit dem Saarbrücker Club „Rumpelkammer“ erhielt, in dem sie unter dem Pseudonym „Pady Pax“ die folgenden sieben Jahre auftrat. Ihre erste Single „Jalouse“ wurde von dem Schauspieler Gérard Depardieu finanziert, der durch eine ihrer Bandaufnahmen auf sie aufmerksam wurde. Die CD wurde 1985 veröffentlicht, blieb jedoch ohne Erfolg. Der Durchbruch gelang Patricia Kaas 1988 mit dem Titel des gleichnamigen Albums „Mademoiselle chante le Blues“, das sich bis heute weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkaufte. Ebenfalls auf diesem Album befindet sich ihre zweite Single „D’Allemagne“, die ein wehmütig-positives Deutschlandbild zeichnet. Als endgültiger Durchbruch im internationalen Musikgeschäft und größter Erfolg gilt das 1993 erschienene Album „Je te dis vous“, für das sie unter anderem mit Chris Rea, Jean-Jacques Goldman sowie Marius Müller-Westernhagen zusammenarbeitete und das in 47 Ländern reüssierte. Während der folgenden Welttournee trat sie unter anderem als erste westliche Sängerin nach dem Krieg in Hanoi (Vietnam) auf. Es folgten mehrere Studio- und Live-Alben, die nicht nur in französischer, sondern z.T. auch in englischer Sprache erschienen. 2012 erschien das Album „Kaas chante Piaf“ als Hommage an die Chanson-Größe Édith Piaf. Karambolage 322 K Obwohl sie als „Botschafterin des französischen Chanson“ (NDR, 19.2.2009) gilt, zeichnet sie neben ihrer markanten rauchigen Stimme ein eigener Stil aus, der neben dem Genre Chanson auch Elemente des angloamerikanischen Pop und Rock sowie deren Vorläufer Jazz und Blues in sich vereinigt. Sie erhielt zahlreiche Musikpreise wie die „Victoire de la musique“ („Künstlerin mit den meisten Plattenverkäufen im Ausland“ 1988, 1989, 1992, 1995, 2000) und den World Music Award („Bester französischer Künstler des Jahres“ 1991, 1995). In Cannes debütierte sie 2002 als Schauspielerin in dem Film „And Now… Ladies & Gentlemen“ an der Seite von Jeremy Irons. Die Rolle blieb bislang ihr einziger Ausflug ins Schauspielfach. Bekannter wurde sie als (schönes) Vorbild: 1999 belegte sie bei der Wahl des Models für die neue Büste des französischen Nationalsymbols „Marianne“ den dritten Rang. Für ihre Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft im Bereich der *Populärmusik wurde sie 2000 mit dem *Prix de-Gaulle-Adenauer und 2003 - genauso so wie bereits 1984 *Mireille Mathieu - mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. François Bruneau, Patricia Kaas. La fille de l’est, Lyon 2000; Patrica Kaas, Sophie Blandinières, L’Ombre de ma voix. Autobiographie, Paris 2011. Julia Müller Karambolage Wohl keine einer deutsch-französischen Thematik gewidmete Fernsehsendung zeichnet sich durch eine ähnliche Langlebigkeit (und gleichzeitige Kurzweiligkeit) aus wie das von der französischen Filmemacherin Claire Doutriaux für *ARTE geschaffene und am 4.1.2004 erstmals ausgestrahlte Magazin „Karambolage“. Vierzig Mal im Jahr ist die knapp 12 Minuten lange Sendung am frühen Sonntagabend zu sehen, im Jahr 2012 zum 300. Mal. Der Erfolg von „Karambolage“, der sich u.a. in hochkarätigen Auszeichnungen (etwa dem Grimme-Preis im Jahre 2006, dem Deutschen Kurzfilmpreis im Jahre 2007), wissenschaftlichen Publikationen über die Sendung und einem für *ARTE ansehnlichen Publikumsinteresse niederschlägt (durchschnittlich eine halbe Millionen Zuschauer in Frankreich, in Deutschland, wo *ARTE von den einschlägigen Programmzeitschriften recht stiefmütterlich behandelt wird, sind es 80 000), dürfte mehreren Ursachen zuzuschreiben sein. Da ist zum einen die rasche Aufeinanderfolge von verschiedenen, meist mit einigem Witz (oder eben esprit) präsentierten Beiträgen aus stets rekurrenten Themenbereichen wie etwa „nationale Symbole“, „Redensarten“, „Wortgeschichten“, „Bräuche“, „Gegenstände des alltäglichen Lebens“ ... Da ist auch das originelle graphische Design für die Beiträge und die an avancierter Trickfilmtechnik geschulte visuelle Umsetzung von zuweilen abstrakten Sachverhalten. Aber da ist auch und nicht zuletzt die von Claire Doutriaux gleichsam zur Direktive erhobene Aufmerksamkeit und neugierige Unvoreingenommenheit, mit der sich deutsche und französische Autoren immer wieder über das vermeintlich Selbstverständliche im jeweils anderen Land beugen. Dabei wird nicht deduktiv vorgegangen, indem das noch so kuriose Einzelobjekt, zum Beispiel der deutsche „Eierpicker“, als Beleg für das „typisch“ Deutsche (*Stereotype) herangezogen würde, sondern kulturelle Besonderheiten und Differenzen werden geradezu spielerisch ins Feld geführt - und ausgehalten. „Karambolage“ ist ein Stück fröhlicher Wissenschaft, ein Beispiel für aufklärerische, aber auch unterhaltsame Ethnologie des Alltagslebens in Frankreich und Deutschland. Dafür steht, ganz konsequent, auch das traditionelle „Rätsel“ am Ende der Sendung, eine jeweils 30 Sekunden lange Filmsequenz, deren Drehort - Frankreich oder Deutschland - der Zuschauer anhand eines Indizes ermitteln soll. „Karambolage“, das Wort entstammt der Sprache der Billardspieler, meint den Zusammenprall der roten mit den beiden weißen Kugeln und ist aus dem Französischen ins Deutsche gewandert, wo es nicht nur seine anlautende Majuskel „K“ angenommen hat, sondern auch eher bei Verkehrsunfällen Verwendung findet. Der französische Linguist Alain Rey vermutet gar, dass die Ursprünge des Worts in der portugiesischen „carambola“ liegen, einer orangefarbenen, runden Frucht, und womöglich noch weiter, bis aufs Indische der Maratha, zurückverweisen. Damit wären mehr als nur eine deutsche und eine französische Kugel im Spiel. Es wäre schön, wenn eine Sendung wie „Karambolage“ dereinst mit mehreren Kugeln, mehreren Kulturen spielen könnte… Jürgen Ritte Karikatur K 323 Karikatur Karikatur wird hier als Oberbegriff für komische Kunst satirischer wie humoristischer Art verstanden. Dabei ist Satire auf das Verlachen bzw. Verhöhnen des Gegners oder der inkriminierten Erscheinung aus, während der Humor seine Gegenstände eher belächelt oder sie resignativ hinnimmt. Doch bleibt jede Definition notgedrungen insofern problematisch, als unser Verständnis des Komischen stark kulturell geprägt ist. So ist etwa der Humorist Loriot den Franzosen stets fremd geblieben. Den Nonsens-Humoristen der Neuen Frankfurter Schule (Gernhardt, Bernstein, Waechter, Traxler, Poth) gelang es ebenso selten, den Rhein zu überschreiten wie beispielsweise einem Wilhelm Busch. Umgekehrt sind viele Formen von Satire und Humor französischer Provenienz den Deutschen fremd. Was eine Zeitung wie „Charlie Hebdo“ (1970- 1981/ 82 und seit 1992) allwöchentlich ihren Lesern an politischer Schärfe, Fäkalsprache und Sex bietet, würde in Deutschland mit Sicherheit regelmäßig Rügen des Bundespresserats nach sich ziehen, und einen so virulenten Satiriker wie Willem („Libération“) würde keine deutsche Tageszeitung beschäftigen. Die innergesellschaftlichen Tabu-Grenzen sind in Frankreich und Deutschland bei weitem nicht deckungsgleich, was oft mit der unterschiedlichen konfessionellen Prägung begründet wird. Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich in Deutschland ein Satire- Blatt wie der „Canard enchaîné“ (gegr. 1915) ein Jahrhundert lang ohne Werbung am Leben halten könnte. Die größere Rolle von Humor und Satire in Frankreich zeigt sich auch in ihrer höheren Präsenz außerhalb der Printmedien. So werden selbst im Rundfunk häufig Pressezeichnungen kommentiert und Karikaturisten eingeladen. Erst recht gilt das für das Fernsehen, sei es im Fall live gezeichneter Karikaturen (legendär: „Droit de réponse“, 1981-87), sei es bei den äußerst erfolgreichen „Guignols de l’info“, einer seit 1988 mit karikaturistischen Marionetten arbeitenden Canal+- Sendung. Frankreich ist zudem ein Land zahlloser Karikaturenfestivals. Die auf Politik und Gesellschaft abzielende satirische Karikatur unterliegt im Ausland noch schwierigeren Rezeptionsbedingungen als die humoristische, da ihre aktuellen Anlässe und kulturellen Hintergründe nicht als bekannt vorausgesetzt werden können. Sie arbeitet häufig mit Wortspielen und ist damit auf sprachkundige Rezipienten angewiesen. Als Beispiel für die unterschiedlichen Transfer-Bedingungen kann Jean Effel dienen, der ein satirischer und humoristischer Zeichner war. Während seine „Erschaffung der Welt“ (ab 1945) in beiden Teilen Deutschlands großen Erfolg hatte, wurde er als politischer Karikaturist, der sich intensiv mit Deutschland auseinandersetzte, in der Bundesrepublik kaum wahrgenommen. Auch ein kompromissloser Satiriker wie Siné wurde in Deutschland fast nur als Katzenzeichner rezipiert. Meister des milderen Humors wie Peynet, z.B. „Verliebte Welt“ (1961) und Sempé fanden bereits früh Beifall in Deutschland. Versehen mit dem Label Made in France konnten sich jedoch einzelne Vertreter einer schwärzeren und schärferen Humor-Variante durchsetzen. Dies gilt für Künstler wie Bosc, etwa mit „Frivolitäten“(mit A. François und Mose, 1954) und „Kleine Nachtmusik“ (mit Chaval, 1954), für Chaval u.a. mit „Zum Heulen“ (1954), sowie für Mose, Reiser, Topor und für Teile der Arbeiten von *Tomi Ungerer, z.B. „Fornikon“ (1970) und „Sexmaniak“ (1971). Insbesondere der Schweizer Diogenes Verlag sowie Bärmeier & Nikel machten solche Zeichner im deutschsprachigen Raum bekannt. Deutsche Zeichner sind in französischen Medien nur vereinzelt präsent, am stärksten noch Rainer Hachfeld, dessen Zeichnungen in den 1990er Jahren häufig in „Le Monde“ zu finden waren und der seit 1996 für die Zeitschrift „Courrier international“ arbeitet. Der für den „Stern“ zeichnende Österreicher Gerhard Haderer sowie Gerhard Glück gehören mit je einer Publikation in Frankreich bereits zu den Ausnahmen. Zu den wichtigen Vermittlungsinstitutionen für den Karikaturen-Transfer gehören Museen. In Deutschland zählen hierzu große Einrichtungen, die auch umfassende Sammlungen beherbergen, wie das Hannoveraner Wilhelm- Busch-Museum, die Caricatura in Kassel (seit 1987) und in Frankfurt/ M. (seit 2008), die Karikaturengalerie des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und das Satiricum im thüringischen Greiz. Das Wilhelm-Busch- Museum hat große Werkschauen von Daumier, Grandville, *Ungerer, Topor und zuletzt Bosc Karikatur 324 K (2011) präsentiert sowie zwei Ausstellungen, die Napoleon gewidmet waren: „So zerstieben geträumte Weltreiche“ (1994) und „Napoleon: Genie und Despot“ (2006). Die Frankfurter Caricatura hat in ihrer noch jungen Geschichte bereits zweimal mit französischen Zeichnern große Erfolge feiern können: 2011 mit Reiser und Anfang 2012 mit *Tomi Ungerer. Auffällig ist, dass Deutschland bei der musealen Pflege der Karikatur deutlich besser abschneidet als Frankreich, das über kein umfassendes Spezialmuseum für Karikatur verfügt. Eine ähnliche Funktionen erfüllen nur die Cité internationale de la bande dessinée et de l’image in Angoulême, die sich wiederholt der Karikatur öffnete, sowie das 2007 gegründete Musée Tomi Ungerer in Straßburg, das mit internationalen Ausstellungen, z.B. zu Saul Steinberg (2010/ 11) aufwartet. Eine grundlegende Ausstellung war der von Alain Deligne und Peter Ronge mit dem Westfälischen Landesmuseum Münster zusammengestellte Überblick „Von de Gaulle bis Mitterrand. Politische Karikatur in Frankreich 1958-87“ (1988). Die - im Katalog textlich angereicherten - monografischen Darstellungen von 18 der wichtigsten Zeichner wurden im Folgejahr in Verbindung mit Laurent Gervereau unter Aufnahme weiterer Karikaturisten auch in Paris gezeigt. Daneben steht eine Reihe von Wanderausstellungen (jeweils mit Katalog), die sich speziell mit der wechselseitigen deutsch-französischen Wahrnehmungsproblematik befassen und oft in enger Verbindung mit dem *Goethe-Institut bzw. dem *Institut français entstanden. Dies gilt für mehrere von Ursula E. Koch zusammengestellte Ausstellungen - u.a. „Voisins et ennemis. La guerre des caricatures entre Paris et Berlin (1848-1890)“ (1990) und „Marianne und Germania in der Karikatur (1550-1999)“, die in beiden Sprachen veröffentlicht wurden - mit zahlreichen Stationen, auch in Drittländern. Koch war auch maßgeblich beteiligt an der Wanderausstellung und CD-Rom des *Goethe-Instituts Lyon und der Deutschen Botschaft (CIDAL) zum 40jährigen Jubiläum des deutsch-französischen Vertrags (*Élysée-Vertrag): „Fortsetzung folgt ... Das deutsch-französische Paar und Europa in der Karikatur“. Ebenfalls auf langjährige Wanderschaft gegangen waren die anlässlich des 25. Jahrestags des *Élysée-Vertrags entstandene Ausstellung „Drôles de voisins/ Komische Nachbarn“ (1988) von Reinhard Dietrich und Walther Fekl für die Jahre 1945-87 und ihre Ergänzung „Der 9. November 1989 und seine Folgen“ (1990) sowie die Wanderausstellung „Drôle de peuple! / Komisches Volk! “ (2011; hg. von W. Fekl), die Jean Plantus Zeichnungen zu Deutschland aus vier Jahrzehnten versammelt. Zur „Goldenen Hochzeit“ beider Länder wurde im Januar 2013 in Paris (und dann an weiteren Orten) „Paarlauf/ Pas-de-deux“ gezeigt. Der Elsässer *Ungerer präsentierte im Jahr 2000 eine Werkschau seiner Arbeiten zu Deutschland und Frankreich: „Zwischen Marianne und Germania“. Nicht zu vergessen sind mehrere Karikaturen-Ausstellungen des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen (IFA), die auch in Frankreich gezeigt wurden, so etwa 1981/ 82 „Karikaturen aus der Bundesrepublik Deutschland“. Die frankreichbezogene Karikaturenforschung ist nach dem Zweiten Weltkrieg erst langsam in Gang gekommen. Einen frühen Höhepunkt bildeten die Arbeiten des Kunsthistorikers Werner Hofmann, der sich vorwiegend für die Karikatur als Gattung der Hochkunst oder in Verbindung mit ihr interessierte, etwa im Fall von Courbet. Ihm zur Seite steht sein Zunftkollege Klaus Herding. Auf dem Gebiet der Karikatur arbeiten auch Angehörige anderer Disziplinen, insbesondere Historiker, landeskundlich orientierte Philologen und Kommunikationswissenschaftler. Grundlegend für das Verständnis der Herausbildung und Verfestigung der nationalen Heterostereotypie (*Stereotype) ist die Dissertation von Michaela Siebe „Von der Revolution 1848 zum nationalen Feindbild: Frankreich und Deutschland in der politischen Karikatur des 19. Jahrhunderts“ (1995) sowie Karl-Heinz Dammers „Pressezeichnung und Öffentlichkeit im Frankreich der Fünften Republik (1958-1990)“ (1994). In die umgekehrte Richtung blickt Jean-Claude Gardes mit seiner umfassenden Habilitationsschrift „ L’image de la France dans la presse satirique allemande 1870-1970“, in der auch die DDR gebührend berücksichtigt wird (1991). Gardes gründete 1992 in Verbindung mit Alain Deligne, Christian Delporte, Ursula E. Koch und Peter Ronge die ursprünglich deutsch-französische, inzwischen internationale Forschungsgruppe EIRIS (Équipe interdisciplinaire de recherches sur l’image satirique). Die Website www.eiris.eu dokumentiert regelmäßig Neuerscheinungen, Ausstellungen und Projekte. Ein weiteres Beispiel für eine binationale Forschungskooperation ist die Gruppe um Raimund Rütten und Philippe Ré- Kiefer, Anselm K 325 gnier. Sie legte insbesondere den Band „Die Karikatur zwischen Republik und Zensur“ (1991, bzw. franz.1996) über die Zeit zwischen 1830 und 1880 vor. Die verschiedenen Forschungsgruppen um Rolf Reichardt setzten sich schwerpunktmäßig mit der Französischen Revolution und ihrem Nachwirken in Europa auseinander. Niederschlag fand ihre Arbeit u.a. in Ausstellungen und Veröffentlichungen wie „Die Bildpublizistik der Französischen Revolution“ (1989) und „Napoleons neue Kleider. Pariser und Londoner Karikaturen im klassischen Weimar“ (2006) sowie „Revolution und Gegenrevolution in der europäischen Bildpublizistik“ (2010). Die DDR hatte in der Nachkriegszeit besonders intensive Karikatur-Beziehungen zu Frankreich. Im Kampf gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik befanden sich die DDR-Bildsatiriker auf einer Wellenlänge mit französischen Kollegen aus der Kommunistischen Partei und ihrem Umfeld. So wurde Jean Effel den Lesern des DDR-Satire-Blatts „Frischer Wind“ (ab 1954: „Eulenspiegel“) auch als scharfer Satiriker vorgestellt. Louis (bzw. zuerst „Lolek“) Mitelberg - traumatisierter Nachkomme von polnisch-jüdischen Opfern der NS-Zeit und in den 1950er Jahren einer der virulentesten Gegner der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der später unter dem Pseudonym TIM beim „Express“ eine herausragende Rolle spielen sollte - publizierte ebenfalls im „Eulenspiegel“, war Gast in der Redaktion und beim gleichnamigen Verlag, in dem 1955 seine gezeichnete Kampfschrift „Das Vierte Reich“ erschien. Mit dem Rückgang der auslandsbezogenen Karikatur seit den 1960er Jahren verlor auch Frankreich an Bedeutung. Die Präsenz aktueller französischer Karikaturisten beschränkte sich auf Beispiele aus der Parteizeitung „L’Humanité“. Allerdings wurden mehrere französisch(sprachig)e Zeichner in die weitverbreitete Reihe „Klassiker der Karikatur“ aufgenommen: Doré, Gavarni, Pascin, Rops, Vallotton und natürlich Daumier, dem Wolfgang Balzer bereits 1965 eine große Veröffentlichung widmete („Der junge Daumier und seine Kampfgefährten“) und dessen Antiken- Satiren der „Eulenspiegel“-Porträtist Harald Kretzschmar 1986 mit Werner Becker unter dem Titel „Das Lächeln der Auguren“ herausgab und kommentierte. Daumier könnte ein eigenes Kapitel gewidmet werden. Wir begnügen uns hier mit Hinweisen auf „Honoré Daumier und die ungelösten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft“ (1974), „Honoré Daumier: Bildwitz und Zeitkritik“ (1978), die Arbeit der Gruppe um André Stoll zur Fremdwahrnehmung bei Daumier - „Die Rückkehr der Barbaren (1985) mit einem Kapitel zu Preußen und Deutschland“ - sowie die deutschen Ausstellungen zum 200. Geburtstag von Daumier (2008), die an Quantität und Qualität das französische Angebot übertroffen haben dürften. Frankreich kann insgesamt zu Recht als das Land mit der lebendigeren Karikaturenszene gelten, Deutschland eher als Importweltmeister. Berechtigt ist aber auch der Eindruck, dass man in Frankreich dazu neigt, die deutsche „Produktion“ an Humor und vor allem an politischer Satire zu unterschätzen. Die von den Kulturinstituten betriebene Intensivierung des Austauschs auf diesem Gebiet besteht also als Aufgabe fort - in beide Richtungen. Reinhard Dietrich, Walther Fekl (Hg.), Komische Nachbarn/ Drôles de voisins, Paris 1988; Jean-Claude Gardes, L’image de la France dans la presse satirique allemande (1870-1970), Habilitationsschrift, Université Paris XIII 1991 (unveröffentlicht); Walther Fekl (Hg.), Paarlauf/ Pas de deux. Die deutsch-französischen Beziehungen in der Karikatur, Paris 2013; Michaela Siebe, Von der Revolution 1848 zum nationalen Feindbild: Frankreich und Deutschland in der politischen Karikatur des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1995; Ursula E. Koch (Hg.), Marianne und Germania in der Karikatur (1550-1999), Leipzig 1999/ 2011. Walther Fekl Kiefer, Anselm Der in Frankreich lebende deutsche Künstler Anselm Kiefer wurde im Mai 1945 in Donaueschingen geboren - auf dem Höhepunkt der europäischen Verwüstung. Diese Konstellation wird sein gesamtes Werk und auch seine besonderen Beziehungen zu Frankreich prägen. Mit der Fotoserie „Besetzungen“ von 1969 geriet er früh in Verruf: Der zerzauste Student „besetzte“ öffentliche Plätze in der Schweiz, in Italien und Frankreich und stellte den Hitlergruß nach, um die psychotische Begeisterung der vorherigen Generationen am eigenen Leibe nachzuvollziehen und somit die von den Mitscherlichs geforderte Trauerarbeit zu leisten. Schon bei dieser ersten „konzeptuellen Identifi- Kiefer, Anselm 326 K kation“ bezog er sich ironisch auf einige Klassiker der Kunstgeschichte, darunter auf Caspar David Friedrichs bekannten „Wanderer über dem Nebelmeer“. Kiefer betont gerne, dass er in Bildern denkt und sich dabei von der Dichtung leiten lässt. *Paul Celan wurde so über Jahre hinweg gezielt als Mentor eingesetzt. Seit den 1980er Jahren projiziert er das Gedächtnis des Dichters fragmentarisch auf verkohlte Landschaftsbilder. Anfänglich deutete er die Polaritäten „Margarete“ und „Sulamith“ aus der berühmten „Todesfuge“ und erinnerte an die zerstörte deutsch-jüdische Symbiose. Später interessierte er sich für das Wortpaar „Mohn und Gedächtnis“ (nach dem Titel von *Celans erstem Gedichtband von 1952), das vieldeutig auf dreidimensionale Bleibücher, Bleiflugzeuge und trockene Mohnblumen angewandt wurde, ehe es in eine allgemeinere Auseinandersetzung mit den verdrängten Bildern der *Shoah mündete. Langfristig hat die Beschäftigung Kiefers mit *Celan zu einer tiefgreifenderen Diskussion mit dem Judentum - als verdrängte oder vergessene Wurzel aufgefasst - geführt, die bis zu hochtrabenden kabbalistischen Spekulationen reicht. Erwähnt sei hier nur die Pariser Ausstellung in der Chapelle de la Salpêtrière im Jahr 2000, als Kiefer Thorarollen und geheimnisvolle Bleibücher in den christlichen Innenraum einschleuste. Sein wahres dichterisches alter ego erkannte Kiefer jedoch in Ingeborg Bachmann. Deren Verse tauchen erstmals in den Wüsten- und Pyramidenbildern von 1997 auf, in denen geschichtliches Leben in kosmischen Zeiten aufgeht. Fortan wird Kiefer durch Bachmann und ihr aporetisches Verhältnis zu *Celans Judentum am spezifisch deutschen Strang seiner Vergangenheitsbewältigung weiterarbeiten. Bereits 1993 hatte sich Kiefer auf Anregung des damaligen Kulturministers *Jack Lang in La Ribaute, einer verlassenen Seidenspinnerei in Barjac (Gard), niedergelassen. Auf 35 Hektaren legte er hier mithilfe einer Schar von Assistenten, Kränen und Baggern einen gigantischen Kunstpark mit Türmen und unterirdischen Gängen an. Obschon seine autokrate Herangehensweise so manch einen Kritiker verdrießlich stimmte, brachten Kiefers unerschöpfliche Bemühungen, die deutsche Vergangenheit kontrovers zu beleuchten, ihm beim französischen Publikum allmählich einen Sympathiebonus ein. Den entscheidenden Beitrag aber zur positiven Rezeption in Frankreich hat die Monografie des Renaissance-Spezialisten Daniel Arasse (2001) geleistet, die den Ruf Kiefers festigte. 2007 durfte der deutsche Künstler im neu restaurierten Grand Palais als erster die gerade vom Kulturministerium einberufene jährliche Monumenta mit der spektakulären Ausstellung „Sternenfall“ einweihen. Indem er ein Teil seines privaten Gesamtkunstwerks von Barjac nach Paris verpflanzte, verhalf Kiefer der Monumentalkunst zu neuem Ansehen. Zwischen ruinösen Anhäufungen und riskanten Betontürmen stellte er kubusförmige „Häuser“, in denen seine großformatigen Leinwand-Zyklen und Skulpturen optimal zur Geltung kamen. Im selben Jahr noch kaufte der Louvre ein Gemälde und zwei Skulpturen an - eine Ehre, die einem lebenden Künstler höchst selten zuteil wird. Gefällig kann man Kiefers Kunst schwerlich nennen, denn seine Themen und Thesen sind anspruchsvoll bis unbequem und die Dimensionen seiner Werke, sowie deren raue, materialüberfrachtete Oberfläche überreizen die Sinne. Und doch wird der heute weltweit anerkannte Künstler - einer der teuersten auf dem Kunstmarkt - nicht von ungefähr beidseitig des Rheins als unglaubwürdiger Staatskünstler geschimpft. 2008 wurde ihm als erster Maler der (vom deutschen Börsenverein gestiftete) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen; Kiefer hätte aus dem Betrachter auch einen Leser und das Buch selbst zu einem entscheidenden Ausdrucksträger gemacht, begründete die Jury die in Fachkreisen heftig kritisierte Wahl. Wenig später erhielt er in Paris den Ruf ans renommierte Collège de France und übernahm (wiederum als erster bildender Künst ler) den Lehrstuhl für künstlerische Kreation. Als Motto der Seminarreihe verwendete er einen Spruch aus einem Aquarell von 1974: „Die Kunst geht knapp nicht unter“. 2008 brach Kiefer seine Zelte in Barjac ab und verlegte sein Atelier nach Croissy Beaubourg (Seine et Marne). Im Herbst 2012 eröffneten gleich zwei Giganten des Kunstmarkts, Thaddeus Ropac und Gagosion, ihre Pariser Satelliten mit einer Kiefer-Ausstellung. Zurück im Louvre, in der umstrittenen Ausstellung *„De l’Allemagne 1800-1939“ von 2013, schmückte Kiefer die Eingangs-Rotunde mit einer schwarz-weißen Freske, die im Stil des expressionistischen Holzschnitts deutsche Kultursymbole kontrastreich aufleuchten ließ. Kino-Koproduktionen, DDR-Frankreich K 327 Daniel Arasse, Anselm Kiefer, Paris 1996; Danièle Cohn, Les Ateliers, Paris, 2012; Christina Fenne, Anselm Kiefer. Historienmalerei nach Auschwitz, Witten/ Herdecke 1999; Andrea Lauterwein, Anselm Kiefer et la poésie de Paul Celan, Paris 2005; Sabine Schütz, Anselm Kiefer: Geschichte als Material, Köln 1999. Andrea Lauterwein Kinder des Olymp (Marcel Carné) Ironie der Geschichte: Der Film „Die Kinder des Olymp“ von Marcel Carné, der unter den denkbar schlechtesten Bedingungen entstand, nämlich während der deutschen Besatzungszeit, errang gerade in Deutschland dann einen ungeheuren Erfolg. Begonnen 1943 und beendet 1945 (also im besetzten und dann befreiten Frankreich) musste sich der Regisseur zunächst den Vorgaben der Besatzungsmacht beugen: Filme sollten sich auf rein private Beziehungen und Ereignisse beschränken, auf keinen Fall, auch nur im Entferntesten, auf die damalige politische und wirtschaftliche Lage hinweisen, und deswegen auch am besten in einer entlegenen Zeit (hier 1828) spielen. Die Entstehung des Films war in mehrfacher Hinsicht abenteuerlich: Während Arletty (Garance) ihre Liebesaffäre mit einem deutschen Offizier unterhielt, musste der Jude Joseph Kosma unter falschem Namen die Musik komponieren, der Schauspieler Robert Le Vigan wurde 1944 während der Dreharbeiten, weil er als Kollaborateur galt, durch Pierre Renoir ersetzt. Die unverhältnismäßige Größe des Filmteams hing auch mit der dadurch ermöglichten Befreiung vom Service du travail obligatoire (S.T.O.) zusammen, der hunderttausende Franzosen als Arbeiter nach Deutschland schickte. Als der Film im März 1945 in die Kinosäle kam, erschien er als der Beweis, dass man auch unter fremdem Joch Meisterwerke hatte schaffen können, und er gewann, zusätzlich zu seiner künstlerischen Qualität, das Prestige der Unbeugsamkeit und der Durchhaltekraft. Bemerkenswert erscheint zudem, dass dieses unter so kuriosen Umständen entstandene Werk auf beiden Seiten des Rheins zum Kultfilm avancierte: Mehrere deutsche Bücher, so von Manfred Schneider (1985) und Almut Oltjen (1995), wurden über den Film veröffentlicht und als Brigitta Ashoff 1987 einen Dokumentarfilm über die beiden Hauptdarsteller drehte, betitelte sie ihn „Kinder des Olymp“: Madeleine Renaud und Jean-Louis Barrault. Buchers „Enzyklopädie des Films“ stellt fest, dass „die Kombination von Schauspiel und romantischer Liebe immer wieder das Publikum zu faszinieren” vermag und „Reclams Filmführer“ bezeichnet den Film als „eines der schönsten Werke der französischen Filmkunst”. Manfred Schneider, Die Kinder des Olymp - Der Triumph der Schaulust, Frankfurt/ M. 1985; Almut Oetjen, Kinder des Olymp. Der Filmklassiker von Marcel Carne und Jacques Prevert, Stuttgart 1998. Gilbert Guillard Kino-Koproduktionen, DDR- Frankreich Im Kontext einer kurzen Phase der Entstalinisierung ab 1956 beteiligten sich die ostdeutschen Filmstudios der Deutschen Film AG (DEFA) an einer Reihe von europäischen Koproduktionen mit westlichen Partnern wie Schweden, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und Italien. In diesem Rahmen drehten in den Jahren 1956 bis 1960 vier französische Regisseure Spielfilme in Zusammenarbeit mit der DEFA: Gérard Philipe, Raymond Rouleau, Jean-Paul Chanois und Louis Daquin. Bei allen vier Koproduktionen handelt es sich um Literaturadaptionen - ein Genre, in dem die DEFA auf langjährige Erfahrungen und hohe Qualitätskriterien zurückgreifen konnte. Für die DDR-Filmpolitik waren diese Koproduktionen besonders interessant, um sich im Rahmen ihrer *auswärtigen Kulturpolitik Zugang zum westlichen Filmmarkt zu verschaffen und ihre eigenen Qualitätskriterien international bekannt zu machen. Darin trafen sich die Interessen des DDR-Kinos mit denen der französischen Filmschaffenden, denn auch die französische Kulturpolitik dieser Zeit hatte das Ziel, dem Hollywood-Kino qualitative und kommerziell erfolgreiche Filme eigener Produktion entgegenzusetzen. Die Konkurrenz des amerikanischen Kinos hatte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bereits zur Einrichtung einer staatlich finanzierten und korporatistisch organisierten Behörde zur Förderung und Lenkung der Filmindustrie, dem Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) in Paris geführt. Beiden Partnern ging es also vor allem darum, neue Vermarktungsmöglichkeiten zu erschließen und nationalpolitisch erfolgreiches Kino als Konkurrenz zum westlichen, amerikanisch dominierten Filmmarkt zu schaffen. Kino-Koproduktionen, DDR-Frankreich 328 K Ein erstes Projekt war die Verfilmung des Eulenspiegel-Stoffes von und mit Gérard Philipe („Die Abenteuer des Till Ulenspiegel“, 1956, nach dem Roman von Charles de Coster), der damals als Weltstar des französischen Kinos gehandelt wurde. Der Koproduktionsvertrag wurde von der DEFA und der französischen Produktionsfirma Ariane unterzeichnet. Nach zahlreichen Verhandlungen wurde der Drehbuch-Fassung des DEFA- Szenaristen René Wheeler schließlich auch vonseiten der DEFA ein politisches Interesse im Sinne einer progressiven Interpretation bescheinigt. Der Film kam 1956 ins Kino, konnte aber kommerziell keinen Erfolg verzeichnen. Dies änderte sich mit der zweiten ostdeutschfranzösischen Koproduktion. Mit einem Drehbuch von *Jean-Paul Sartre nach Arthur Millers Drama „The Crucible“ wurde 1957 der Spielfilm „Die Hexen von Salem“ (1957) mit Simone Signoret und Yves Montand in den Hauptrollen produziert. „Anders als bei ‚Till Ulenspiegel‘ ging das Kalkül, einen ‚progressiven‘, auch vom westlichen Publikum akzeptierten Stoff mit hochkarätigen Stars zu besetzen, bei der Kritik voll auf“ (Lindenberger). Im Mai 1956 waren die DEFA-Studios mit dem französischen Filmproduzenten Charles Borderie über das Drehbuch und die Drehbedingungen übereingekommen, sodass die Dreharbeiten unter Regie von Raymond Rouleau begonnen werden konnten. Der erste Teil des Drehs fand in Paris, der zweite Teil im Spätsommer 1956 in der DDR statt. Eine weitere Großproduktion der DEFA mit französischen Weltstars ist die Verfilmung des Romans von Victor Hugo „Die Elenden“ (1959) mit Jean Gabin und Bernard Blier in den Hauptrollen. Als dritter Partner beteiligte sich auch Italien an dieser Produktion. Die DEFA hatte einen großen Teil der Kulissen geschaffen und sich, wie schon in der Koproduktion zu „Die Hexen von Salem“, mit hohem Finanzaufwand (mehr als 2 Millionen DM) an den Kosten des Films beteiligt. Als dieser Historienmonumentalfilm 1959 in die Kinos kam, konnte er große Erfolge beim Publikum in beiden Ländern verbuchen. Allerdings weiteten sich nun die Schwierigkeiten in den ostdeutsch-französischen Koproduktionsverträgen, die sich bereits bei Vertrieb und Auswertung von „Till Ulenspiegel“ abgezeichnet hatten, zu einem Interessenkonflikt aus. Tatsächlich sahen diese Verträge eine gleichberechtigte Koproduktion beider Länder gar nicht vor. Die DEFA wurde zunehmend nur als an den Kosten beteiligte Institution erwähnt, ihr tatsächlicher künstlerischer und technischer Anteil an der Arbeit wurde von den Franzosen totgeschwiegen. Im Fall der „Elenden“ wurde gegenüber westlichen Partnern sogar oft nur von einer „französisch-italienischen Koproduktion“ gesprochen. Dementsprechend heftig drängten die Gegner der Koproduktionen auf DDR-Seite auf eine Beendigung der Koproduktionspolitik. Ihre Argumente waren umso schlagkräftiger, als die Filme und die in sie investierten Millionen nicht die erhofften Ergebnisse zeitigten. Weder die DEFA noch die DDR konnten ihre Position im westlichen Ausland tatsächlich festigen. Das Ansehen der DEFA riskierte, im Gegensatz zu den hohen Erwartungen, sogar nachhaltige Schädigung. In einem Bericht des Länderreferates Frankreich heißt es dazu deutlich, „dass die bisherige Koproduktion der DEFA mit der französischen Ariane- Filmgesellschaft uns keinen politischen Nutzen gebracht hat“ (Epperlein, S. 24). Immer deutlicher kündigte sich also ein Perspektivwechsel an, der sich in den Worten des Leiters der Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur, Anton Ackermann, künftig darin äußern sollte, dass die Filmschaffenden darauf achten sollen, dass „Filme der Co-Produktion [...] keine Konzessionen an reaktionäre Ideologien enthalten [dürfen] und [...] die eigenen künstlerischen Kräfte der Deutschen Demokratischen Republik repräsentativ vertreten zeigen“ (A. Ackermann, 22.6.1957). Dennoch akzeptierte die DEFA eine vierte Zusammenarbeit mit Frankreich, diesmal für ein Projekt mit Louis Daquin, „ein[em] kommunistisch[en] Genossen, der aktiv an den Kämpfen der französischen Arbeiterklasse teilnimmt“ (Epperlein) und im eigenen Land nicht oder kaum drehen konnte. Diese Zusammenarbeit an der Literaturverfilmung des Balzac-Romans „La Rabouilleuse“ („Die Krebsfischerin“) gestaltete sich, auch dank der konkreten Vermittlung Daquins, deutlich harmonischer und brachte den künstlerischen Anteil der DEFA mehr zur Geltung. So übernahmen mehrere DEFA-Schauspieler Hauptrollen. Unter dem Titel „Trübe Wasser“ kam der Film 1959 in die deutschen Kinos und stieß auf wohlwollende aber wenig enthusiastische Kritik. Einzig Hanns Eislers Filmmusik erntete allgemeines Lob. Klemperer, Victor K 329 Dennoch markiert „Trübe Wasser“ das Ende der ostdeutsch-französischen Zusammenarbeit, die in den Augen der DDR-Kulturpolitiker nicht die erwünschten Resultate lieferte, da die Kino-Erfolge „Die Hexen von Salem“ und „Die Elenden“ vor allem dem französischen Image zugute kamen. Werbeeffekte hatte dieses Kino allenfalls im Inneren, beim DDR-Publikum - was den DDR-Kulturpolitikern nicht ausreichend erscheinen konnte. Von französischer Seite aus wurde der Anspruch der Koproduktionen, „Qualitätskino“ („cinéma de qualité“) zu produzieren mit dem Aufkommen der Nouvelle vague als „furchtbar altmodisch“ („terriblement démodé“, zitiert nach Lindenberger) empfunden und stieß nur mehr auf sehr geringes Interesse beim Publikum. Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 318ff.; Thomas Lindenberger, Terriblement démodé: zum Scheitern blockübergreifender Filmproduktionen im kalten Krieg (DDR-Frankreich, 1956-60), in: Antoine Fleury, Lubor Jilek (Hg.), Une Europe malgré tout, 1945-1990. Kulturelle, intellektuelle und wissenschaftliche Kontakte und Netze unter Europäern im Kalten Krieg, Brüssel 2009, S. 283-296; Renate Epperlein, Zusammenarbeit mit Esprit. Partnerschaften zwischen den DEFA-Studio für Spielfilme und französischen Produzenten in den 1950er Jahren, in: Deutsch- Französische Filmbegegnungen. 1929 bis in die Gegenwart, hg. von Filmmuseum Potsdam 2009, S. 17-34. Christin Niemeyer Klemperer, Victor Der in Landsberg/ Warthe geborene Romanist Victor Klemperer (1881-1960) war einer der bedeutendsten Literaturwissenschaftler, der nach 1945 bemüht war, der französischen Sprache und Literatur in der DDR einen angemessenen Platz zu geben. Seine Werdegang zum romanistischen Fachgelehrten vollzog sich auf Umwegen: Aus der Familie eines Rabbiners der Berliner jüdischen Reformgemeinde stammend, nahm er nach Kaufmannslehre, nachgeholtem Abitur, abgebrochenem Studium der Germanistik und Romanistik, Broterwerb als freier Journalist und Schriftsteller 1912 sein Studium in München erneut auf, absolvierte dort 1913 eine germanistische Promotion und habilitierte sich 1914 bei Karl Vossler mit einer Monographie über Montesquieu. Ab 1915 war er Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. 1920 erfolgte die Berufung zum ordentlichen Professor für romanische Philologie an der Technischen Hochschule Dresden. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde Klemperer menschlich und beruflich in immer krasserer Weise entrechtet und verfolgt. Am 14.2.1945 konnte er zusammen mit seiner Frau Eva das Inferno der Bombardierung Dresdens ausnutzen, um nach Bayern zu fliehen und so der bereits angeordneten Deportation im letzten Augenblick zu entgehen. Im Herbst 1945 erhielt Klemperer seinen Lehrstuhl zurück. Er entschied sich, am geistigkulturellen Wiederaufbau Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone aktiv mitzuarbeiten und trat in die SED ein. Neben *Werner Krauss bedeutendster Romanist in den Anfangsjahren der DDR, hat Klemperer als Universitätslehrer und Publizist maßgeblich zur Förderung der französischen Kultur im kommunistischen Teil Deutschlands beigetragen. 1947 Berufung an die Universität Greifswald, 1948 Lehrstuhl in Halle, wo Klemperer bis zu seinem Tod tätig war; von 1951 bis 1955 hat er gleichzeitig einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität in Berlin inne. Ab 1950 war Klemperer Mitglied der DDR-Volkskammer, ab 1953 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Nach Eva Klemperers Tod 1951 heiratete er 1952 seine Schülerin Hadwig Kirchner, die sich nach Klemperers Ableben 1960 besondere Verdienste um die Pflege des Nachlasses, insbesondere die Herausgabe der Tagebücher, erworben hat. In den 1920er Jahren gehörte Klemperer im Rahmen der z.T. heftig geführten Grundsatzdiskussion um Inhalt und Funktion der auf Frankreich bezogenen „Wesens“-‚ oder „Kulturkunde“ zu den (spärlichen) Vertretern einer exponiert „humanistischen“ Position. In Rezensionen, Aufsätzen und Vorträgen ging er zwar vom grundsätzlichen Vorhandensein nationalkultureller Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich aus, wandte sich jedoch im Namen der unvoreingenommenen kulturwissenschaftlichen Fremdwahrnehmung scharf gegen alle ideologisierenden Versuche (v.a. von Eduard Wechssler), mithilfe der „Wesenskunde“ den Nachweis der kulturellen Unterlegenheit Frankreichs und seiner Dekadenz zu erbringen. In literaturwissenschaftlicher Hinsicht verdienen die beiden groß angelegten literaturgeschichtlichen Publikationen Klemperers Beachtung: „Die Kluge, Alexander 330 K französische Literatur von Napoleon bis zur Gegenwart“, 1925-1931 in drei Bänden erschienen, 1956 unter dem Titel „Geschichte der französischen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert“ zweibändig aktualisiert, überzeugt nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Klemperer wider den deutschen Zeitgeist die Leistungen der damals führenden französischen Gegenwartsliteraten (Marcel Proust, Paul Valéry, Jules Romains, André Gide) in ihrer Vorbildlichkeit als Manifestationen des französischen Geistes herausarbeitet. Darüber hinaus gehört Klemperer zu den bis in die 1950er Jahre seltenen Romanisten, die bestrebt waren, die in Deutschland immer wieder marginalisierte Epoche der französische Aufklärung in ihrer überzeitlichhumanistischen Bedeutung zu würdigen („Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert“, 2 Bde., 1954 u. posthum 1966). Einer breiteren Öffentlichkeit ist Klemperer durch seine Tagebuchaufzeichnungen bekannt geworden, die er zwischen 1933 und 1945 unter Lebensgefahr heimlich anfertigte; die detaillierten Eintragungen dokumentieren in erschütternder Weise das alltägliche Grauen der rassistischen Verfolgung unter der NS-Diktatur (posthum publiziert in umfangreichen Auszügen 1995 unter dem Titel „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ und als kommentierte Gesamtausgabe auf CD-ROM 2007). Seit 2000 gibt es den „Viktor Klemperer-Wettbewerb“ zur Prämierung des Engagements von Schülern und Erwachsenen für Demokratie und Toleranz. W. Theodor Elwert, Klemperer, Viktor, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 12, Berlin 1980, S. 35; Walter Nowojski, Victor Klemperer (1881-1960). Romanist - Chronist der Vorhölle, Berlin 2004. Klaus-Peter Walter Kluge, Alexander Der 1932 in Halberstadt geborene Alexander Kluge gehört zu den wichtigsten Filmemachern Deutschlands, den - wenngleich mit Unterbrechungen - intensive Wechselbeziehungen mit Frankreich verbinden. Er wuchs zu einer Zeit auf, in der eine freundschaftliche Einstellung zur Französischen Republik eher ungewöhnlich war und die althergebrachten Feindbilder verschärft aufflammten. Die wenigen frühen, allerdings positiven Eindrücke, die er vom fernen Nachbarn gewinnen konnte, waren dem kulturellen Glanz seiner Hauptstadt geschuldet. Genau in diesen Jahren wurde Paris von Walter Benjamin, den Kluge mit Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Karl Marx bis heute zu seinen „vier Oberrabbis” zählt, in seinem „Passagen-Werk“ als „Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts” beschrieben. Es lässt sich vermuten, dass die sich zwischenzeitlich recht schwierig gestaltende Kluge- Rezeption in Frankreich u.a. auf sein eindeutiges Bekenntnis zur so genannten „Frankfurter Schule” und der seit den 1930er Jahren entwickelten Kritischen Theorie zurückzuführen ist. Allerdings geht aus einem (im *Merve Verlag veröffentlichten) Gespräch von Kluges langjährigem Mitstreiter Oskar Negt mit Rainer Stollmann und Christian Schulte hervor, dass sie in ihrer „gemeinsamen Philosophie” neben Derrida tatsächlich auch „einige der postmodernen Denker wahrgenommen“ und im Sinne ihrer „Kritik eines verengten Modernitätsbegriffs” verwertet haben. Wenngleich meist nur punktuell erwähnt, werden einschlägige Begriffe wie „Dekonstruktion” (Derrida), „Rhizom” oder „Differenz” (Deleuze) in Kluges Werk- und Ideenkonstruktionen in gleichem Maße berücksichtigt wie auch strukturalistische oder poststrukturalistische Konzepte, z.B. Lévi-Strauss’ Konzeption der „Bastelei” oder Foucaults Darstellung der „Heterotopie”. Hinzu kommen vereinzelte Verweise auf die französische Aufklärung, die Enzyklopädisten, auf Diderot, Voltaire oder Condorcet. Als vom Autor selbst benannte Vorbilder für seine Erzählprosa spielen Rabelais, Montaigne, Madame de La Fayette, Honoré de Balzac, Michelet, Flaubert, Proust und Valéry eine zunehmend wichtige Rolle. Besonders beeinflusst hat ihn nach eigenen Angaben jedoch die frühe Lektüre von André Gides „Pastoralsymphonie“ und die lakonische sprachliche Präzision jenes „Schriftstellers ohne Stil” (Roland Barthes). Entscheidend für den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn war schließlich ein Aufenthalt in Paris in den späten 1950er Jahren nach dem Abschluss seines juristischen Studiums. Seither gilt ihm der französisch-lateinische Sprachduktus als ein Mittel der Verfremdung und distanzierten Reflektion. Nicht zuletzt stammt aus dieser Zeit auch seine Faszination für den französischen Dokumentarfilm (Chris Marker) und die Autorenfilmer der *Nouvelle Vague (vornehmlich Jean- Luc Godard), aus deren Ästhetik sich - dem Motto der Oberhausener Festspiele „Weg zum Konfessionelle Beziehungen K 331 Nachbarn” folgend - dann maßgeblich der Impetus des *Neuen Deutschen Films herleitete, zu dessen Hauptvertretern Kluge zählt. Die internationale Anerkennung die seinen ersten Kinofilmen „Abschied von gestern“ (1966) und „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ (1968) zuteil wurde, begründete auch seine Reputation in Frankreich. Alsbald erschienen zudem unabhängig hiervon seine ersten beiden Erzählbände in französischer Übersetzung bei Gallimard. Eine unerwartete Huldigung erfuhr zudem die Heldin seiner Erzählung „Anita G.“, in Alain Guérins „Compléments au portrait d’Anita G.“ (1970). In den folgenden Jahrzehnten ließ die französische Aufmerksamkeit indes nach, was zum einen an Kluges zunehmender Fokussierung auf spezifisch „deutsche” Themen gelegen haben mag, zum anderen aber auch der Tatsache geschuldet war, dass sich Kluge in den 1980er und 1990er Jahren weitgehend aus dem literarischen Betrieb und der Spielfilmproduktion zurückzog und sich im Kontext der gerade entstehenden deutschen Privatsender dem Fernsehen zuwandte. Von wenigen Bemühungen einzelner Forscher wie Herbert Holl, Jean-Pierre Morel, Pierre Deshusses, Tobias Powald oder Alexander Neumann abgesehen, hielt sich auch die Neugier der französischen Germanistik in Grenzen. Eine Rückkehr in die französische Öffentlichkeit wurde erst 2010 versucht, als Kluge an einem Wochenende im Centre Georges Pompidou einen Teil seiner jüngsten Filme und Erzähltexte vorstellte. Zuvor war der durch den Philosophen Bernard Stiegler mitgegründete Denkzirkel Ars Industrialis auf Kluges „gärtnerische” Tätigkeit im Internet aufmerksam geworden. Beachtung fand im Zuge der Finanzkrise ebenfalls der Film „Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx - Eisenstein - Das Kapital“ (2008). Für die weitere Rezeption ausschlaggebend erwies sich die 2012 in Clermont-Ferrand abgehaltene Konferenz „Alexander Kluge et la France - Pour une levée en masse de la narration”, deren Veranstalter sich dafür einsetzten, dass Kluge zeitgleich bei dem alljährlich dort stattfindenden internationalen Kurzfilmfestival gastieren konnte. Noch im selben Jahr erschienen im Verlag Diaphanes neue Übersetzungen kurzer Erzählungen wie beispielsweise „Dezember“. Bald darauf begann beim Verlag P.O.L die Planung einer völlig neugestalteten Gesamtausgabe seines Erzählwerks unter dem Titel „Chronique des sentiments“. Einen vorläufigen Höhepunkt stellte die mit Unterstützung des Goethe-Instituts realisierte Werkrückschau „Rétrospective - prospective: Odyssée cinéma“ in der Cinémathèque française im Frühjahr 2013 dar. Im Jahr darauf folgten weitere Veranstaltungen, wie die Erstaufführung eines aus Anlass der hundertjährigen Gedenkfeier zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstandenen Films am Pariser Goethe-Institut, sowie eine Kurztagung an der École normale supérieure über „Marianne & Germania“ (2009). Dieser Film ist insofern bezeichnend für Kluges Haltung zur deutschfranzösischen Problematik, als er jenseits aller herkömmlichen Erklärungsmodelle im Dialog mit den Lebenden und den Toten der gemeinsamen Geschichte versucht, aus den Trümmern des sich über Jahrhunderte abspielenden mörderischen Nachbarschaftsdramas die vertanen Chancen und erhofften Möglichkeiten eines dauerhaft friedlichen Nebeneinanders und einer kreativen Überwindung der wechselseitigen Ignoranz beider Nationen herauszukristallisieren. In diesem Sinne ist ab Herbst 2014 ein Blog Alexander Kluges auf den Internet-Seiten des *Goethe- Instituts Paris geplant, wo er sich besonders mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg beschäftigen wird. Vincent T. Pauval Alexander Kluge: Les yeux des autres/ Die Augen der anderen. Ein Gespräch mit Vincent Pauval, in: Germanica 53/ 2013, S. 227-274; ders., L’Utopie des sentiments. Essais et histoires de cinéma, Lyon 2014; ders., Verdeckte Ermittlung. Ein Gespräch mit Christian Schulte und Rainer Stollmann, Berlin 2001; Hilda Inderwildi, Les mots du temps habillés d’une image. Dezember d’Alexander Kluge et Gerhard Richter, in: Yves Iehl, Jean Nimis (Hg.), Texte et image: cadre et représentation dans la nouvelle européenne, Toulouse 2013, S. 71-83; Wolfgang Reichmann: Der Chronist Alexander Kluge. Poetik und Erzählstrategien, Bielefeld 2009. Konfessionelle Beziehungen Die konfessionellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich fanden in der Forschung lange Zeit wenig Beachtung. Auch im allgemeinen Bewusstsein ist nicht verankert, dass kirchliche, kirchennahe oder christlich orientierte Kreise bereits bei den Anfängen der deutsch-französischen Annäherung nach 1945 wichtige Impulsgeber waren. Der Nachkriegszeit bis in die Konfessionelle Beziehungen 332 K 1950er Jahre und dem deutsch-französischen Grenzgebiet kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Kontakte setzten unmittelbar nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges - bestimmt durch die christliche Versöhnungsidee - ein. Begegnungen zwischen Menschen auf der Grundlage des christlichen Glaubens - einem universellen Glauben, der verbindend und versöhnend wirkte, - standen im Mittelpunkt. Das Engagement von Katholiken und Protestanten verlief relativ parallel und blieb lange in konfessionellen Grenzen verhaftet. Die Ansätze, in Form von Begegnungen, Austauschen, Hilfeleistungen oder symbolhaften Handlungen, oft transnational ausgerichtet, sind vielfältig und meist voneinander unabhängig. An ihnen sind sowohl kirchliche Eliten als auch die Bevölkerung beteiligt. So wurde deutsch-französische Annäherung und *Versöhnung von unten betrieben, als die offizielle Politik noch nach einem neuen Verhältnis ihrer Länder suchte. Auch heute haben die deutsch-französischen Beziehungen in konfessionellen Verbindungen einen wichtigen zivilgesellschaftlichen Pfeiler. Schon in der Zwischenkriegszeit gab es innerhalb der Konfessionen deutsch-französische Kontakte, an die man nach 1945 anknüpfte. Auf katholischer Seite unterbrach der Krieg die Verhältnisse innerhalb der Weltkirche - zumindest theoretisch - nicht. Auf der anderen Seite sorgten protestantische Zeitschriften und der Einsatz des Schweizer reformierten Theologen Karl Barths (1886-1968) für eine sensibilisierte Haltung gegenüber den Deutschen. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945, in dem der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Mitverantwortung evangelischer Christen an den NS-Verbrechen formulierte, war für die französischen Protestanten ein bedeutender Markstein für den Beginn der Kontakte nach 1945. Aber auch schon während des Krieges spannten sich z.B. im Bereich der Kriegsgefangenenversorgung zarte Fäden. Die französische Seite war von Anfang an um die seelsorgerische Betreuung der Gefangenen bemüht und ermöglichte Theologiestudenten in speziellen Seminaren die Fortführung ihres Studiums. Franz Stock (1904- 1948), der französische Gefangene in den deutschen Wehrmachtsgefängnissen in Paris betreut hatte, wurde in Anerkennung seines Engagements Regens im katholischen Kriegsgefangenenseminar Chartres. Dort entsteht heute eine europäische Begegnungsstätte der Erinnerung und *Versöhnung. Für das Knüpfen erster Kontakte zwischen den *„Erbfeinden“ spielte daneben die französische Militärgeistlichkeit in den besetzten Gebieten in Deutschland eine große Rolle. Sie wurde durch den Protestanten Marcel Sturm (1905-1950) und den Katholiken Robert Picard de la Vacquerie (1893-1969) geleitet. Diese standen in enger Verbindung zu deutschen Kirchenführern und bemühten sich um eine Annäherung der Völker. Am eindrucksvollsten wirkten hier Begegnungen. 1950 trafen sich deutsche und französische Protestanten in Speyer zu Diskussionen über die Handlungsmöglichkeiten der Kirchen. In der gemeinsamen Erklärung wurde die auf Basis des Glaubens erfolgte *Versöhnung betont und die Verantwortung der Kirche für die europäische Völkerverständigung und die Probleme der Welt festgehalten. Der deutsch-französische Bruderrat entstand, der bis in die 1960er Jahre als transnationales Diskussionsforum der Protestanten diente. Daneben wurden wechselseitige Vertretungen auf Kirchensynoden sowie Austauschprogramme zwischen Studenten und Pfarrern etabliert. Nachdem auf katholischer Seite die deutsch-französischen Priesterseminare von Maria-Rosenberg erfolgreich verlaufen waren, trafen sich 1949 deutsche und französische Bischöfe in Bühl zu einem Gedankenaustausch über praktisch-kirchliche Fragen. Auch ihre Begegnung stand unter dem versöhnenden Zeichen des Glaubens. Hier nahm ein Austausch zwischen Seminaristen aus Besançon und Trier seinen Anfang. Nach 1945 traten auch die Kirchen auf institutioneller Ebene direkt in Kontakt. So vertrat man sich wechselseitig auf nationalen Synoden bzw. Bischofskonferenzen. Gemeinde- und Diözesanpartnerschaften entstanden, die auf *Städtepartnerschaften gründeten oder ihren Ursprung im kirchlichen Bereich hatten. Unter kirchennahen Verbänden kam ebenfalls früh eine Zusammenarbeit zustande. So konnten bereits 1946/ 47 erste deutsch-französische *Jugendbeziehungen in konfessionellen Milieus etabliert werden. Heute blicken die katholischen und protestantischen Jugendverbände in Deutschland und Frankreich auf lange Partnerschaften zurück. Im Jahr 2000 veröffentlichten der deutsche und französische Laienverband ein Programm zur Krauss, Werner K 333 Förderung eines europäischen Bewusstseins. Auch auf den ersten Katholiken- und evangelischen Kirchentagen in Deutschland nach dem Krieg waren französische Gäste zugegen. Einen Schritt weiter gehen die seit 2000 stattfindenden ökumenischen grenzüberschreitenden Kirchentage. Direkt nach dem Krieg entstanden auch in christlich orientierten Kreisen Institutionen und Bewegungen, die der Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen dienten. *Jean du Rivau gründete *BILD um die Zeitschriften *„Documents“ und *„Dokumente“. Dazu stand in enger Verbindung das *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle. Aus Erfahrungsaustauschen zwischen pfälzischen und elsässischen Priestern und Laien entwickelte sich Mitte der 1960er Jahre die Solidaritätsaktion Contact Abbé zur Unterstützung von Landpriestern in Frankreich. Durch das Engagement von Lothar Kreyssig (1898-1986) entstand 1958 Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste e.V. Aus einer bußfertigen Haltung heraus sollte ein Beitrag zur *Versöhnung in Europa geleistet werden. Die Arbeit basiert großteils auf Freiwilligendiensten wie z.B. der Mithilfe 1961/ 62 beim Bau der Versöhnungskirche in Taizé. Die heutige internationale Friedensbewegung Pax Christi geht auf einen Aufruf von Bischof Pierre-Marie Théas (1894-1977) von 1946 zur deutsch-französischen *Versöhnung zurück. Auf deutscher Seite war v.a. Joseph Kardinal Schröffer (1903-1983) aktiv. Als Zeichen deutsch-französischer Verständigung und christlicher Verbundenheit wurde 1951 die Übertragung der Reliquien des Heiligen Quintin von Soissons nach Mainz gefeiert. Bereits sehr früh waren zu Wallfahrten in Frankreich auch Deutsche geladen. „Zu Unserer lieben Frau“ nach Rémelfang pilgern von 1952 bis heute Deutsche und Franzosen gemeinsam. 1953/ 54 wurde in Speyer eine Friedenskirche als mahnendes Zeichen für die europäische und deutsch-französische Versöhnung erbaut. Die Grundsteinlegung war ein Großereignis, an dem viele Franzosen teilnahmen. Die Kirche bot einen Rahmen für Wallfahrten, Jugendbegegnungen und Priesterseminare, bis sie in den 1960ern in Vergessenheit geriet. Das 1952 errichtete Friedenskreuz in Bühl war bis in die 1980er Jahre Sammelpunkt für Priester und Pilger aus Deutschland und Frankreich. 1995 entstand an der Rheinstraße im Saarland ein neues Kreuz als Zeichen für 50 Jahre Frieden in Deutschland. Die hier aufgeführten binational angelegten Kontakte fanden oft - verbunden mit dem europäischen Gedanken - eine Ausweitung. Deutsche und Franzosen treffen auch auf europäischer und internationaler Ebene zusammen. Die Konferenz Europäischer Kirchen und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen oder im weltweiten Kontext der Ökumenische Rat der Kirchen sowie die Bischofssynoden im Vatikan sind nur einige Beispiele. Martin Greschat, Widerstand und Versöhnung. Der Beitrag des europäischen Protestantismus zur Annäherung der Völker, in: Anselm Doering-Manteuffel, Joachim Mehlhausen (Hg.), Christliches Ethos und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa, Stuttgart 1995, S. 139-154; Michael Kißener, Der Katholizismus und die deutsch-französische Annäherung in den 1950er Jahren, in: Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Tübingen 2010, S. 89-98; Joseph Zouame Bizeme, Aspects des relations religieuses franco-allemandes de 1945 à 1955, Strasbourg 1990; Kirchliche Zeitgeschichte 14 (2001) 2 (Themenschwerpunkt: Kirchen und Religionen. Frankreich - Deutschland. Antagonismen und Annäherung im 19. und 20. Jahrhundert); Ulrike Schröber, Der Einfluss kirchlicher Kreise und christlicher Ideen auf die deutschfranzösische Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Deutsch-Französisches Institut (Hg.), Frankreich Jahrbuch 2012, Wiesbaden 2013, S. 89-100. Ulrike Schröber Krauss, Werner Der in Stuttgart geborene und in Berlin (DDR) verstorbene Werner Krauss (1900-1976) - einer der bedeutendsten Romanisten seines Jahrhunderts - war außerordentlich durch sein Leben wie durch sein Werk. Im Erforschen der Aufklärungsepoche in Frankreich und Deutschland suchte er nach 1945 „die Widersprüche der modernen Menschheit ins allgemeine Bewußtsein“ zu heben: „zwischen Wissen und Glauben“, „des Naturrechts zu allen geschichtlich geheiligten Einrichtungen“, „zwischen dem Egoismus der individuellen Interessen und dem Interesse der Gemeinschaft an einer gerechten Gesellschaftsordnung“ (so 1952). Die Neuheit der gestellten Fragen war gestützt auf das Erschließen neuer und neu bedachter Quellen sowie auf einen von Karl Marx geprägten Ge- Kühn-Leitz, Elsie 334 K schichtsbegriff. Die Kraft ihrer bis in den Aphorismus konzentrierten sprachlichen Darstellung gründete in Denken, Wissen und Erfahrung von ungewöhnlicher Intensität und faszinierender, auch sonderlicher Ausstrahlung. Nach dem Abitur in Stuttgart studierte Krauss in München und Berlin. Von Ende 1922 bis 1926 lebte er in Spanien und lernte dort sowohl Größen des dortigen Geisteslebens als auch anarchistische Studenten und ein Gefängnis der Diktatur kennen. 1929 promovierte er in München bei Karl Vossler („Das tätige Leben und die Literatur im mittelalterlichen Spanien“). 1931 habilitierte er sich bei Erich Auerbach in Marburg („Über die ästhetischen Grundlagen des spanischen Schäferromans“) und wurde dort 1935 - nachdem Auerbach in die Türkei hatte gehen müssen - mit der geschäftsführenden Leitung des Romanischen Seminars beauftragt, bevor er 1940 Dozent und 1942 außerplanmäßiger Professor wurde. Im August 1940 zu einer Dolmetscher-Lehrabteilung nach Berlin einberufen, wurde Krauss im November 1942 wegen seines tätigen Widerstands verhaftet und im Januar 1943 zum Tode verurteilt; das Urteil wurde im September 1944 nach psychiatrischen Gutachten in eine fünfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt. In der Todeszelle schrieb er „Graciáns Lebenslehre“ und den Roman „P.LN. Die Passionen der halykonischen Seele“. Nach der Befreiung trat Krauss im Juli 1945 der KPD bei und wurde im August wieder in seine Marburger Professur eingesetzt (seit Mai 1946 als Ordinarius). Zum Oktober 1947 ging er als Direktor des Romanischen Instituts der Universität Leipzig in die SBZ (*Romanistik in der DDR). 1950/ 52 war er - in einem spannungsreichen Verhältnis zu *Victor Klemperer - auch an der Berliner Humboldt-Universität tätig und bemühte sich gleichzeitig, an der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der er seit 1949 angehörte, eine romanistische Forschungsstelle zu schaffen. Die 1955 gegründete Arbeitsgruppe zur Geschichte der deutschen und französischen Aufklärung leitete er hauptamtlich seit 1958, das daraus entstehende Institut für romanische Sprachen und Kultur von 1962 bis zu seiner Emeritierung 1965. Aus der Leipziger Universität hatte er sich gegen Ende der 1950er Jahre zurückgezogen, als Kollegen und Schüler von politischer Verfolgung betroffen waren. Bereits vor 1945 hatte Krauss nach den gesellschaftlichen Strukturen gefragt, mit denen Literatur zusammenhing („Corneille als politischer Dichter“, 1936). 1950 kritisierte er in dem Aufsatz „Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag“ die geistesgeschichtliche Methode als wissenschaftlichen Irrweg und als politisch-moralisches Versagen. Sein nationalerzieherischer Anspruch zeigte sich in der ersten Veröffentlichung zu seinem neuen Forschungsgebiet, einem „Lesebuch der französischen Literatur, Teil 1: Aufklärung und Revolution“ für den Schulunterricht der Oberstufe, an dem sein Schüler *Manfred Naumann mitarbeitete (1952). Die Diskreditierung des grundsätzlich weiter bejahten Sozialismus „durch eine Praxis, die manche Ansprüche erfüllt, aber den Anspruch, der der Mensch ist, geflissentlich überhört und verleugnet“ (1966), führte jedoch zur Konzentration auf die fachwissenschaftliche Arbeit. Nicht nur für die *Romanistik in der DDR wirkte er schulbildend, mit Kollegen in der Bundesrepublik (Fritz Schalk, Hans Rheinfelder, Erich Köhler) und Frankreich blieb er verbunden (Ehrendoktor in Aix-en-Provence 1971 sowie in Leipzig 1976). „Das wissenschaftliche Werk“ liegt in einer umfangreich kommentierten kritischen Edition vor (8 Bände, 1984-1997). Michael Nerlich (Hg.), Dossier. Zum deutsch-französischen Verhältnis: Werner Krauss, in: Lendemains 69/ 70 (1993); Ottmar Ette, Martin Fontius, Gerda Haßler, Peter Jehle (Hg.), Werner Krauss. Wege - Werke - Wirkungen, Berlin 1999; Hermann Hofer (Hg.), Werner Krauss. Literatur, Geschichte, Schreiben, Tübingen 2003. Wolfgang Klein Kühn-Leitz, Elsie Elsie Kühn-Leitz (1903-1985) war Juristin und Tochter des Leiters der optischen Leica-Werke in Wetzlar, die 1957 die Initiative ergriff zur Gründung des Arbeitskreises Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich (*Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V.), dessen Vorsitz sie bis 1969 innehatte. Sie kam aus einer erfolgreichen und weltweit agierenden Unternehmerfamilie, die politisch in den 1920er Jahren linksliberal tätig war, und besuchte 1917 bis 1920 die reformpädagogische „Freie Schulgemeinde Wickersdorf“, mit deren Gründer Gustav Wyneken sie befreundet war. Der Grundsatz aktiver Kulturpflege und gesellschaftspolitischen Handels blieb ein Merkmal Kulturbevollmächtigter K 335 ihrer weiteren Lebensgestaltung. Nach Abschluss ihrer kaufmännischen und juristischen Ausbildung (Promotion 1936 über Fragen des Eherechts in Frankfurt/ M.), arbeitete sie in einer Anwaltspraxis und gründete 1935 eine Familie. Nach Kriegsbeginn arbeitete sie im väterlichen Werk in Wetzlar, das einer größeren Zahl von jüdischen Mitarbeitern die Ausreise in die USA ermöglichte. Mit den Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiterinnen im Leica-Werk befasst, wurde sie von Anfang September bis Ende November 1943 von der Gestapo in Frankfurt/ M. in Haft genommen. Nach 1945 war sie eine treibende Kraft im Wiederaufbau des Kulturlebens in Wetzlar, gehörte zu den Mitbegründerinnen der lokalen CDU und trat 1952 in persönlichen Kontakt mit *Albert Schweitzer sowie ab 1954 mit Konrad Adenauer. Aufgrund der Ermutigung durch den Bundeskanzler nahm sie sich der Aufgabe soziokultureller Kontaktpflege mit Frankreich an, die fortan im Mittelpunkt ihres gesellschaftlichen Handelns stand gemäß dem Motto: „Die deutsch-französische Verständigung mit Partnerschaftsbegründung ist die Grundlage des werdenden Europas. Von Mensch zu Mensch, von Bürger zu Bürger, von Jugend zu Jugend, von Chor zu Chor und von Arbeiter zu Arbeiter muss die Verständigungsarbeit geleistet werden“ (Elsie Kühn Leitz, 1958). Sie gründete gemäß ihrer Zielprojektion der „Vereinigten Staaten von Europa“, für die sie auch Anregungen von Richard Coudenhove-Kalergi aufnahm, eine *Deutsch-Französische Gesellschaft in Wetzlar (1954), den Arbeitskreis Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich (1957) und die *Städtepartnerschaft zwischen Wetzlar und Avignon (1960). Obwohl die Schaffung einer Dachorganisation für die *Deutsch-Französischen Gesellschaften nicht unumstritten war, stabilisierte sich diese Repräsentationsstruktur der privaten Gesellschaftsverflechtung (im Gegensatz zum Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit). Sie nahm 1964 die Rechtsform eines eingetragenen Vereins an, zählte ab Beginn der 1960er Jahre auch französische Verständigungsorganisationen zu ihren Mitgliedern und nahm 1981 den Namen *Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich e.V. (VDFG) an. Prinzipiell ehrenamtlich, überparteilich und institutionell unabhängig arbeitend steht sie in Verbindung mit den Agenturen der Öffentlichkeit sowie den Amts- und Mandatsträgern der offiziellen Politik. Die vielfältigen deutschfranzösischen Aktivitäten von Elsie Kühn-Leitz wurden mit zahlreichen Ehrungen bedacht: U.a. Palmes académiques (1965), Ehrenbürgerschaft der Städte Wetzlar (1974) und Avignon (1965), großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Tode der Förderin der deutsch-französischen Gesellschaftsbeziehungen wird seit 1986 von der *VDFG ein „Elsie-Kühn- Leitz-Preis“ verliehen, den bisher überwiegend französische und deutsche Politiker erhielten: Pierre Pflimlin, Jacques Delors, Valéry Giscard d’Estaing u.a., Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl u.a., als Publizisten waren *Peter Scholl-Latour und *Joseph Rovan Laureaten des Preises. Katharine Florin, Brücken schlagen. Das zivilgesellschaftliche Engagement für die deutsch-französische Annäherung, Kassel 2010, S. 53-70; Beate Gödde-Baumanns, Bürgerschaftliche Basis der Annäherung. Die deutschfranzösischen Gesellschaften, in: Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945, Tübingen 2010, S. 137-157; Klaus Otto Nass (Hg.), Elsie Kühn-Leitz. Mut zur Menschlichkeit, Bonn 1994. Hans Manfred Bock Kulturbevollmächtigter Der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit (*Élysée-Vertrag), kurz Kulturbevollmächtigter (Plénipotentiaire de la République fédérale d’Allemagne chargé des affaires culturelles dans le cadre du Traité sur la coopération francoallemande) wird für vier Jahre aus dem Kreis der bundesdeutschen Ministerpräsidenten bestellt und vertritt bei den halbjährlich stattfindenden deutsch-französischen Ministerratssitzungen die deutsche Seite für die innenpolitisch unter die Zuständigkeiten der Länder fallenden Bereiche der Kultur- und Bildungspolitik. Dabei nimmt er formal den Rang eines Bundesministers ein. Geschaffen wurde das Amt im Anschluss an den *Élysée-Vertrag, der für die anvisierten regelmäßigen Konsultationsgespräche als Gesprächspartner des französischen Erziehungsministers eine „Persönlichkeit“ vorsah, „die auf deutscher Seite benannt wird, um die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit auf kulturellem Ge- Kulturwissenschaft 336 K biet zu verfolgen.“ Nach langwierigen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern konnte am 6.2.1969 eine Bund-Länder-Vereinbarung unterzeichnet werden, in welcher der Zuständigkeitsbereich und die Arbeitsweise des Bevollmächtigten festgelegt wurde. Um das Einvernehmen zwischen Bund und Ländern zu gewährleisten, unterhält jener nicht nur ein Büro zur Koordinierung der Länderinteressen, sondern verfügt auch über eine Arbeitseinheit im Auswärtigen Amt, über welche er unter anderem mit dem Leiter der dortigen Kulturabteilung kommuniziert. Auf diese Weise können die verschiedenen Positionen der einzelnen Länder gebündelt und mit den außenpolitischen Interessen der Bundesregierung in Einklang gebracht werden. Somit sind die wichtigen Erfolge der deutsch-französischen Zusammenarbeit im kultur- und bildungspolitischen Bereich auch auf die Arbeit des Kulturbevollmächtigten zurückzuführen. Ansbert Baumann, Begegnung der Völker? Der Élysée- Vertrag und die Bundesrepublik Deutschland. Deutschfranzösische Kulturpolitik von 1963 bis 1969, Frankfurt/ M. 2003; Christoph Merkel, Der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutschfranzösische Zusammenarbeit, in: Die öffentliche Verwaltung 52 (1999) 7, S. 292-296. Ansbert Baumann Kulturwissenschaft Kulturwissenschaft ist zum einen ein Modebegriff, der ohne genaue Konturierung in den letzten Jahrzehnten in Deutschland tendenziell an die Stelle des älteren Begriffs „Geisteswissenschaften“ getreten ist, und eine (inter)disziplinäre Neuorientierung vor allem im Bereich der Philologien unter dem Vorzeichen neuer theoretischer und methodischer Grundlagen bezeichnet. Während die Diskussion um Kulturwissenschaft in Feuilletons wie etwa dem der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Teil sehr polemische Formen angenommen hat, schlagen sich in seiner Verwendung im deutschen Wissenschaftsbetrieb, u.a. zur Bezeichnung von Fächern, Forschungsprojekten und Lehrstühlen, Bestrebungen der Reform und der Neustrukturierung der geisteswissenschaftlichen Lehre und Forschung nieder, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, im Vergleich etwa zu Frankreich, eine spezifische Dynamik entwickelt haben. Der Begriff „Kulturwissenschaft“ und die hiermit verbundenen Gegenstandsbereiche, Theorien und Methoden wurden vor allem in vierfacher Perspektive definiert bzw. umrissen: Kulturwissenschaft steht erstens für eine Disziplin, die sich sprachen- und kulturraumübergreifend mit kollektiven Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen sowie kulturellen Praktiken und Phänomenen verschiedenster Art beschäftigt, von den Massenmedien bis hin zu Alltagsritualen und kollektiven Denkmustern. Diese Ausrichtung einer allgemeinen Kulturwissenschaft findet sich beispielsweise institutionell verankert in dem Fach Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin sowie an den Universitäten Leipzig, Frankfurt/ Oder, Hildesheim und Lüneburg. Den unterschiedlichen Ausprägungen der allgemeinen Kulturwissenschaft liegen in erster Linie zwei sehr verschieden gelagerte Kulturbegriffe zugrunde, denen in den Studiengängen ein unterschiedlicher Stellenwert zukommt: zum einen der anthropologische Kulturbegriff, der auf kollektive Denk- und Handlungsweisen zielt; und zum anderen der ästhetisch-intellektuelle und medienbezogene Kulturbegriff. Letzterer baut auf dem sogenannten „erweiterten Kulturbegriff’ auf, der auch in der kulturpolitischen Debatte seit den 1960er Jahren eine Rolle spielt, über das traditionelle, bildungsbürgerliche Kulturverständnis gezielt hinausgeht und insbesondere auch nicht-kanonisierte, populäre ästhetische Medien und kulturelle Ausdrucksformen einbezieht. Kulturwissenschaft bezeichnet zweitens einen Teilbereich der Fremdsprachenphilologien sowie des Fachs Germanistik, der neben die traditionellen Säulen der Fächer - Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Sprachvermittlung - getreten ist und häufig mit dem notwendigerweise interdisziplinär verankerten Bereich der „Landeskunde“ verknüpft wird. Kulturwissenschaft in diesem Sinn als Teildisziplin der Fremdsprachenphilologien verfolgt die Zielsetzung, die kulturellen Praktiken eines spezifischen Kulturraums (wie des frankophonen oder anglophonen Kulturraums) in ihrer ganzen Breite zu erforschen und zu vermitteln und in den Kontext politischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen zu stellen. Kulturwissenschaft in diesem Sinn als eine dritte, neue Säule der Fremdsprachenphilologien hat sich an einer ganzen Reihe, vor allem jüngerer, deutscher Universitäten etabliert, zum Teil auch in Form ei- Kulturwissenschaft K 337 gener Studiengänge, Lehrstühle/ Professuren, Stellenprofile und Publikationsorgane, wie zum Beispiel in Hamburg (Germanistik), Passau (Romanistik/ Anglistik, „British Cultural Studies“), Saarbrücken, Mannheim, Siegen, Potsdam, Halle-Wittenberg und Osnabrück. Drittens lassen sich in mehreren geisteswissenschaftlichen Disziplinen außerhalb der Fremdsprachenphilologien Teilbereiche mit kulturwissenschaftlicher Ausrichtung und kulturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichen unterscheiden, die zum Teil lange historische Traditionen aufweisen, aber durch die kulturwissenschaftliche Wende („cultural turn“) der letzten 15 bis 20 Jahre eine methodische und theoretische Neuorientierung erfahren haben: dies gilt insbesondere für die Kultursoziologie, die Kulturgeschichte - die an manchen Universitäten, wie in Saarbrücken, mit der Mediengeschichte verknüpft wird - sowie den Bereich der politischen Kultur als Teilbereich der Politikwissenschaft. Viertens schließlich wird, auf einer sehr allgemeinen Ebene, Kulturwissenschaft sowohl im universitären wie im außeruniversitären Bereich gelegentlich gleichgesetzt mit dem Begriff Geisteswissenschaften, der älter ist, gelegentlich als antiquiert empfunden wird und sich zugegebenermaßen in geringerem Maße als der Begriff Kulturwissenschaft als Gegenbegriff zu Naturwissenschaften eignet. Hartmut Böhme und Klaus Scherpe schreiben hierzu: „[...] für die Moderation des abgerissenen, unterdessen aber immer dringlicheren Dialogs zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften wird Kulturwissenschaft als Forum von Diskursen empfohlen, welche die übersehenen Problemgemeinsamkeiten zu entdecken und die Kommunikationsbrüche zu heilen aufgerufen sind“ (Böhme/ Scherpe 1996, S. 11f.). Während die wissenschaftsgeschichtlich älteren cultural studies im anglo-amerikanischen Universitätsbetrieb (die in erster Linie die Bereiche popular culture , gender studies und postcolonial studies betreffen) und in noch stärkerem Maße die études culturelles an französischen und frankophonen Universitäten eine eher marginale Rolle spielen, ist Kulturwissenschaft vor allem in der zweiten Bedeutungsdimension in Deutschland zu einer zentralen Reformorientierung in den Philologien, vor allem den Fremdsprachenphilologien, avanciert. Seit den 1980er Jahren ist eine sprunghafte Zunahme an Lehrstühlen, Professuren und Studiengängen, die die Bezeichnungen Kulturwissenschaft bzw. cultural studies verwenden, zu beobachten, zum Teil in Verbindung mit der Literaturwissenschaft bzw. - seltener - mit der Sprachwissenschaft. Dies hat zum einen dazu geführt, den Gegenstandsbereich der Philologien zu erweitern und insbesondere Medien und andere kulturelle Ausdrucksformen verschiedenster Art, von den Printmedien bis zu den audiovisuellen Medien und von Musikformen wie Rap und Reggae bis zu den sozialen Netzwerken des Internet, in Lehre und Forschung systematisch zu berücksichtigen. Zum anderen erlaubte die „kulturwissenschaftliche Wende“ (Bachmann-Medick 2006) in den Philologien, aber auch in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie der *Geschichtswissenschaft, der Soziologie und der Politikwissenschaft, die Übertragung und Integration interdisziplinär ausgerichteter Konzepte und hiermit verbundener methodischer und theoretischer Ausrichtungen, wie Kultursemiotik, Kulturanthropologie, Kollektives Gedächtnis/ Erinnerungskulturen, „Kulturmuster“ (Fulda 2010) und Kulturtransfer auf neue fachspezifische Kontexte, wie etwa die *Romanistik oder die Geschichtswissenschaft. Auch wenn die Kulturwissenschaft in den Fremdsprachenphilologien gelegentlich sehr eng mit der Literaturwissenschaft verknüpft bleibt und gelegentlich der Eindruck einer modischen Projektion neuer Etiketten auf tradierte Fragestellungen entsteht, sind hierdurch in den Philologien insgesamt durchaus neue, zum Teil stärker aktualitätsbezogene und praxisorientierte Gegenstandsbereiche erschlossen worden, die auch neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit ermöglicht haben. Zugleich haben die Konjunktur des Begriffs Kulturwissenschaft und die hiermit verbundenen Fragestellungen und Ansätze dazu beigetragen, sozialwissenschaftliche und sozialhistorische Orientierungen tendenziell zurückzudrängen, sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch, in noch deutlicherem Maße, in den Fremdsprachenphilologien. Dort sind die in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen, vielversprechenden Ansätze einer interdisziplinär ausgerichteten Landeskunde oder Landeswissenschaft, in deren Zentrum die Erforschung und Vermittlung sozialer, ökonomischer und politischer Strukturen steht, weitgehend zurückgedrängt worden, obwohl sie zur gleichen Zeit in die schulischen Curricula Eingang gefunden haben und in der Lance, Alain 338 L Berufspraxis in wachsendem Maße nachgefragt bzw. vorausgesetzt werden. Hieraus ergibt sich eine frappierende Asymmetrie in der reformorientierten Neuausrichtung der Fremdsprachenphilologien in Deutschland auf der einen und in Frankreich auf der anderen Seite: während in Frankreich die civilisation - neben der Literatur- und Sprachwissenschaft und der Sprachvermittlung - sich mittlerweile fest als vierte Säule der Fremdsprachenphilologien etabliert hat und deutliche Schwerpunkte im Bereich der Erforschung sozialer und politischer Strukturen aufweist (*Germanistik in Frankreich), hat der cultural turn in Deutschland in Fächern wie der *Romanistik und der Anglistik zu einer Marginalisierung der Landeskunde (die sich auch nicht mehr in der Bezeichnung von Professuren findet) und einer Fokussierung auf medienwissenschaftliche sowie medien- und kulturtheoretische Fragestellungen geführt. Diese weisen, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben (Lüsebrink 2011), eine häufig noch immer sehr enge bzw. allzu enge Anlehnung an die Literaturwissenschaft auf und haben insofern nur teilweise jenen Reformimpetus umzusetzen vermocht, aus dem die Konjunktur des Begriffs Kulturwissenschaft heraus erwachsen ist. Hartmut Böhme, Klaus R. Scherpe, Zur Einführung, in: dies. (Hg.), Literatur und Kulturwissenschaften: Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 7-24, hier S. 11-12; Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 3 2009 [EA 2006]; Ansgar Nünning, Vera Nünning (Hg.), Einführung in die Kulturwissenschaften, Stuttgart, Weimar 2008; Hans-Jürgen Lüsebrink, Frankreichforschung und deutsch-französischen Beziehungen in der (Franko-) Romanistik, in: Michel Grunewald, Hans-Jürgen Lüsebrink, Reiner Marcowitz, Uwe Puschner (Hg.), France-Allemagne au XX e siècle - la production du savoir sur l’Autre, Bd. I: Questions méthodologiques et épistémologiques, Bern u.a. 2011, S. 69-84; Daniel Fulda (Hg.), Kulturmuster der Aufklärung, Halle (Saale) 2010; Hans-Jürgen Lüsebrink u.a., Französische Kultur- und Medienwissenschaft. Eine Einführung, Tübingen 2004. Hans-Jürgen Lüsebrink L Lance, Alain „Deutschland, ein Leben lang“ ist jenes schmale Buch betitelt, das 2012 im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschien. Frauke Rother hat die Erinnerungen des Dichters und Übersetzers Alain Lance ins Deutsche übertragen, der sein lebenslanges Schreibabenteuer 2007 unter dem Titel „Longtemps l’Allemagne“ seinem Enkel Milan widmete. Darin nehmen die deutsche Sprache, Literatur und Kultur einen breiten Raum ein. Der 1939 in Rouen geborene Alain Lance muss mit den Wörtern „Deutschland“ und „deutsch“ schon früh in Berührung gekommen sein. Wie bei vielen seiner Generation war die Kindheit geprägt von der Abwesenheit des Vaters, der zunächst Soldat, dann Kriegsgefangener in Deutschland war. Als Jugendlicher lernte er das Nachkriegsdeutschland in Tübingen kennen. Der Geist des Dichters Hölderlin war sicher nicht ganz unschuldig daran, dass sich ihm zwei Wege eröffneten: die Leidenschaft für Poesie und die Neugier auf Deutschland. Sein erstes Sonett schrieb er Ende der 1950er Jahre in Tübingen. Als Gymnasiast hatte er einige Jahre zuvor den elsässischen Schriftsteller Alfred Kern (Der Clown, 1958) kennengelernt, der das leidenschaftliche Interesse des Schülers für Literatur und für Deutschland anzuregen wusste. Dem ersten Deutschlandbesuch 1956 folgten viele weitere, die den Studenten der *Germanistik an der Sorbonne auch in das „andere Deutschland“, die DDR, nach Leipzig führten. Enttäuscht von der lähmenden Atmosphäre der Adenauer-Jahre in Westdeutschland, glaubte er dort „sein“ Deutschland gefunden zu haben. Die kritischen Stimmen unter den westdeutschen Schriftstellern - Heinrich Böll, Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger und andere - hatte der junge Mann noch nicht gehört. So waren es erst seine ostdeutschen Freunde - besonders Volker Braun -, die ihn dazu anregten, sein Urteil über die beiden Seiten des Nachkriegsdeutschlands zu relativieren. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, die Proteste von Künstlerkollegen und die Ausreise zahlreicher Schriftsteller verstärkten seine zunehmend kritische Haltung zur DDR. Nach dem Studium arbeitete Alain Lance zwischen 1966 und 1968 als Dozent für französische Lancelot, der Bote aus Frankreich L 339 Sprache im Iran. Nach einer Zwischenstation als Journalist in Ost-Berlin kehrte er nach Frankreich zurück und übte bis 1985 eine Tätigkeit als Lehrkraft aus. Als Direktor des *Institut français in Frankfurt/ M. und später in Saarbrücken wurde er dann ein gefragter Mittler zwischen den Literaturen und Sprachen in Frankreich und Deutschland. Er lud zahlreiche Schriftsteller wie Jacques Roubaud, Jacques Jouet, Annie Ernaux ein, um ihre Werke dem deutschen Publikum vorzustellen. Er organisierte Veranstaltungen wie „Poesie, eine Fremdsprache? “ (1986) mit deutschen und französischen Lyrikern und Übersetzern , aus der sich die Veröffentlichung einer Anthologie für zeitgenössische französische Dichtung ergab (die 1989 von *Eugen Helmlé im Verlag Peter Kirchheim herausgegeben wurde). Nach seiner Rückkehr nach Frankreich 1995 leitete er die Maison des écrivains in Paris und profitierte bei dieser Arbeit von seiner großen Kennerschaft des deutschen und französischen Literaturbetriebs. Seine Kompetenz machte ihn auch zu einem gefragten Ratgeber für den Verlag Alinéa bei der Herausgabe zeitgenössischer deutscher Literatur. Seit dem Erscheinen eines ersten Gedichtbandes „Les gens perdus deviennent fragiles“ (1970) ist ein umfangreiches Werk entstanden. Ein Dutzend Bücher sind inzwischen von ihm erschienen, darunter „Distrait du désastre“ (1995), für das er 1996 den Prix Tristan-Tzara erhielt. „Temps criblé“ (2000) ist eine Auswahl von Gedichten aus den letzten dreißig Jahren, für die ihm 2001 der Prix Guillaume Apollinaire verliehen wurde. Bei Tarabuste erschienen „Brefs du vingtième“ (2004), „Quatrains pour Esteban“ (2007), „Longtemps l’Allemagne“ (2007) und die Gedichte „Divers avant l’hiver“ (2011). Wie wurde Alain Lance zum Übersetzer? In der Zeitschrift „Sinn und Form“ entdeckte er Anfang der 1960er Jahre einige Gedichte eines jungen Vertreters der „Lyrikwelle“: des Dichters Volker Braun, der zuvor von Stephan Hermlin gefördert worden war. Die ersten Übersetzungen folgten wenige Monate später in der Zeitschrift „Action poétique“ sowie in der Sammlung „Poesie aus sozialistischen Ländern“, die von Henri Deluy herausgegeben wurde. Seither hat Alain Lance nicht mehr aufgehört zu übersetzen. Oft arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau Renate Lance-Otterbein oder - wie im Fall der Gedichtsammlung „Le massacre des illusions“ (2011) von Volker Braun - mit Jean-Paul Barbe. Er übersetzte die Werke von Volker Braun und Christa Wolf (*DDR-Literatur in Frankreich) sowie die Romane von Ingo Schulze. Das Übersetzen lässt sich für Alain Lance nicht von seinem eigenen Schreiben trennen: „Bei dem fremdsprachigen Dichter, den man übersetzt, erfährt man selbst eine Bereicherung, sowohl durch die Ähnlichkeiten als auch durch die Unterschiede. Man sucht den Fremden, aber auch den Bruder in ihm.“ Alain Lance ist Ko-Autor mehrerer Anthologien für französische, iranische und ungarische Poesie. Seit 1970 ist er Mitglied des Redaktionskomitees der Zeitschrift „Action poétique“, seit 2005 auch bei der Zeitschrift „Europe“, darüber hinaus korrespondierendes Mitglied der sächsischen Akademie der Künste. Preisträger des Deka-Bank-Preises des Literaturhauses Frankfurt/ M., wurde Alain Lance 2012 gemeinsam mit seiner Frau Renate Lance-Otterbein, mit dem Eugen- Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnet. Wolfgang Asholt, Longtemps l’Allemagne oder Und wünschte kein Ende dem Umweg - Wege zu Alain Lance, in: Roswitha Böhm u.a. (Hg.), Observatoire de l’extrême contemporain. Studien zur französischen Gegenwartsliteratur, Tübingen 2009, S. 213-226. Nicole Bary Lancelot, der Bote aus Frankreich Die Zeitschrift „Lancelot, der Bote aus Frankreich“, ist ein zentrales Organ französischer Kulturpolitik in der Zeit von 1946 bis 1951. Es handelte sich jedoch nicht um eine offizielle, von der französischen Besatzungsmacht angeregte oder gegründete Publikation, sondern sie verdankte sich der Initiative einer Privatperson, Jacqueline Prévost, die erste Frau von *Pierre Grappin, welche die Zeitschrift nach ihren eigenen Vorstellungen und Zielen redigierte und im Selbstverlag zuerst in Baden-Baden, dann in Koblenz und Neuwied herausgab. Die erste Nummer hatte eine Auflage von 95 000 Exemplaren und erschien in allen vier Zonen. Unterstützt wurde sie von General Pierre Koenig, dem Chef der französischen Militärregierung. Auch Louis Aragon engagierte sich für die Zeitschrift: „J’aime que ce message de la France porte le nom de Lancelot. Parce que Lancelot-du-lac est l’image la plus pure de la chevalerie de France, de cet esprit de générosité qui s’oppose à la morale des maîtres“ („L’Ordre“, 22.5.1946, S. 407). Der Kommentar Aragons kontextualisiert die Zeitschrift im Umfeld der Resistence, die in den Augen des Dichters die Lang, Jack 340 L Traditionslinie der mittelalterlichen Mythologie fortschreibt. Gegen die Drachen der Gegenwart zieht der französische Ritter - in Zeiten der Besatzung wie Lancelot erniedrigt - für seine Dame „La France“ in den Kampf. Doch es geht um einen subtilen Kampf mit subtilen Waffen. Weder dem Zwang, noch den Gesetzen oder einer Armee wird es gelingen, das être humain im Deutschen wiedererstehen zu lassen, sondern einzig der Kultur. Der Paratext von Lancelot vermittelt wie ein Code den Zugang zur Archäologie des deutsch-französischen Feldes. Das Titelblatt zeigt die Vignette eines Ritters, der im Begriff ist, über einen Abgrund zu springen. Sein Schwert steckt in der Scheide, in der Hand hält er einen Schlüssel. Die Evokation eines gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses erfolgt im Kontext mittelalterlicher höfischer Ideale. Das Schwert ist präsent, wird jedoch in der Hand des französischen Boten durch einen Schlüssel ersetzt, der zum Emblem eines ethischen Auftrags wird. Er öffnet einen verschlossenen, von der Welt der Kultur und Humanität abgetrennten Raum. In einem ritterlichen „pacte de générosité“ sollen den Deutschen in einer Zeit der Orientierungslosigkeit neue Sinnbezüge vermittelt werden. Die Artikel waren keine Originalbeiträge, sondern Übersetzungen von Texten zu Literatur, Dichtung, Politik und Geschichte, Kunst, Religion, Philosophie, Film und Musik aus insgesamt dreißig, in den Jahren 1946-1951 in Frankreich erschienenen Kulturzeitschriften. Unter ihnen besonders „Les Cahiers du Sud“, „Europe“, „La Gazette des lettres“, „Les lettres françaises“, „Nouvelles littéraires“, „Poésie 46“ und „Poésie 47“. Das eigene literarische Bewusstsein und die eigene literarische Tradition dienten als Ausgangspunkt für einen Kulturtransfer immaterieller und ethischer Natur. Rudolf Steinbeck, Lancelot - Der Bote aus Frankreich. Analyse eines publizistischen Beitrags zur deutsch-französischen Verständigung nach 1945, Berlin 1967; Vincent Wackenheim, Création de la revue Lancelot - Der Bote aus Frankreich. Dialog ou monologue? , in: Franz Knippling, Jacques Le Rider (Hg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland, 1945-1950, Tübingen 1987, S. 389-402; Patricia Oster, Die Zeitschrift als Ort der Konstitution eines „transnationalen“ kulturellen Feldes: Lancelot, der Bote aus Frankreich und Die Wandlung , in: Am Wendepunkt. Deutschland und Frankreich um 1945. Zur Dynamik eines „transnationalen“ kulturellen Feldes, hg. von Patricia Oster und Hans-Jürgen Lüsebrink, Bielefeld 2008, S. 231-248. Patricia Oster-Stierle Lang, Jack Der 1939 in den Vogesen geborene französische Jurist, Theatermacher und Politiker Jack Lang wurde vor allem durch sein Amt als Ministre de la culture unter François Mitterrand bekannt; er hatte jedoch, als er 1981 zum Minister berufen wurde, bereits eine erste Karriere als Leiter des Festivals de Nancy (1963-1977) sowie des Théâtre national de Chaillot (1972-1974) hinter sich, die ihn auf besondere Weise mit Deutschland verband. Bereits früh interessierte sich der Jura-Student für das Theater und gründete 1963 das Festival de Nancy, zunächst als Studenten- und Amateurtheater, das er zu einem heimlichen Zentrum der deutsch-französischen Theaterbeziehungen machte: Unter anderem präsentierte hier bereits 1963 zum ersten (und für lange Zeit letztem) Mal der junge Claus Peymann, damals noch Student in Hamburg, eine Inszenierung in Frankreich. Lang reiste regelmäßig nach Berlin zu den neuesten Inszenierungen am *Berliner Ensemble (BE) und später an der Berliner *Schaubühne (*Deutsches Theater in Frankreich). Seine wichtigste Entdeckung war neben Bob Wilson zweifellos *Pina Bausch, die er 1977 zu ihrem ersten Gastspiel nach Nancy einlud und damit nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland bekannt macht: Sogar *Wim Wenders sah die Wuppertaler Tanzcompagnie hier zum ersten Mal. Es blieben keine flüchtige Begegnungen: So unterhielt Lang langjährige freundschaftliche Beziehungen zu deutschen Theatermachern wie *Hans Peter Cloos, *Klaus Michael Grüber, den er als erster nach Paris einlud, oder *Heiner Müller. Kein Wunder, dass die von Lang als Kulturminister (1981-86; 1988-92) durchgesetzte Verdoppelung des Kulturetats umgekehrt auch in der deutschen Kunst- und Theaterszene große Aufmerksamkeit erregte und öffentliche Diskussionen über den Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft auslöste. Dabei übersahen die deutschen Akteure dieser Diskussion - unter anderem Claus Peymann, der sich als Direktor des Bochumer Schauspielhauses gerade im Streit mit der SPD über die Finanzierung seines Hauses befand - freilich gerne, dass der symbolische Wert dieser politischen Geste ihre faktische Bedeutung deutlich überstieg: So reichten die Mittel nur knapp dazu, die Defizite des in den 1970er Jahren finanziell völlig unterversorgten französischen Kultursektors auszugleichen. Mit Langhoff, Matthias L 341 dem sicherem Gespür des Theatermachers gelang es Lang in den 1980er Jahren dann, die Macht der Kultur politisch wirkungsvoll zu inszenieren. Er vertrat als einer der ersten in Frankreich einen affirmativ erweiterten Kulturbegriff und schuf weltweit imitierte „Events“ wie z.B. die Fête de la musique. Mit Deutschland verbindet ihn aber nicht nur seine Begeisterung für das Theater, sondern auch sein Interesse für die Bildenden Künste: So ist er beispielsweise seit Jahrzehnten mit *Werner Spies befreundet und half 1993 *Anselm Kiefer sich in einer verlassenen Seidenspinnerei in Barjac (Gard) niederzulassen. Anders als Claus Peymann dachte, der 1982 „französische Verhältnisse“ nach dem „Modell Lang“ forderte, empfand Lang nach eigenen Angaben die deutsche Kulturförderung immer schon als vorbildhaft und orientierte sich später in vielen Entscheidungen als Minister auch explizit am „deutschen Modell“, so beispielsweise bei der Einführung des Gesetzes zur Buchpreisbindung (Loi Lang) oder auch bei den Dezentralisierungsbzw. Regionalisierungsbestrebungen des Rundfunks (*Hörfunk). 1998 gründete Lang in Blois das jährlich stattfindende Rendez-vous de l’Histoire, eine Art französischer Historikertag, der sich aber, anders als sein deutsches Pendant, nicht nur an Wissenschaftler richtet, und initiierte 2009 - im Rahmen der *Städtepartnerschaft zwischen Blois und Weimar - das „Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte“. Wenngleich er selber kaum Deutsch spricht, war er immer der Meinung dass dem deutsch-französischen Paar im kulturellen Bereich eine zentrale Bedeutung zukommt. Daher überrascht es nicht, dass er auch zu den Mitinitiatoren von *ARTE zählte. Bereits Anfang der 1980er Jahre lancierte er die Idee eines europäischen Fernsehsenders, die nach langjährigen Auseinandersetzungen 1990 schließlich mit dem Vertrag über den deutsch-französischen Kulturkanal verwirklicht wurde. Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Langhoff, Matthias Die Einflüsse, die der 1941 in Zürich geborene und in Berlin aufgewachsene Matthias Langhoff (Sohn von Wolfgang Langhoff, Bruder von Thomas Langhoff und Vater von Anna Langhoff) auf das französische Theater und die deutsch-französischen Kulturbeziehungen genommen hat, sind nicht von seiner Zusammenarbeit mit dem Schauspieler und Regisseur Manfred Karge (Jahrgang 1938) zu trennen. Langhoff arbeitete zunächst als Regieassistent am *Berliner Ensemble, wo er 1967 gemeinsam mit Karge den „Brotladen“ von *Brecht inszenierte, mit dem sie 1971 auf Einladung von Jack Ralite, Gabriel Garran und *Michel Bataillon zum ersten Mal nach Frankreich kamen und dort als neue Generation des BE gefeiert wurden - obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits zu *Benno Besson an die Volksbühne gewechselt waren. 1972 präsentierten sie auf Initiative von *Bataillon eine französische Version des „Brotladens“ mit den Schauspielern des Theaters in Aubervilliers, die allerdings kein Erfolg wurde und in den Augen vieler Kritiker die Grenzen der Übertragbarkeit deutscher Theatertraditionen auf die französische Bühne zeigte. Infolge der engen Kontakte des Regieduos zu *Bataillon wurden Karge und Langhoff 1976 ein weiteres Mal eingeladen - diesmal nach Villeurbanne mit ihrer viel beachteten Volksbühnen- Inszenierung „Die Schlacht“ von *Heiner Müller, mit der dieser 1975 (nach langen Jahren des Berufsverbots) seinen verspäteten Durchbruch in der DDR erlebt hatte. Einige Jahre arbeitete Langhoff mit Karge in Villeurbanne als Hausregisseur. Nach ihrem großen Erfolg 1981 mit „Marie, Woyzeck“ auf dem Festival d’Avignon sowie dem Festival d’Automne gelang den beiden Regisseuren 1984 (ebenfalls in Avignon) mit ihrem „Frédéric, Prince de Homburg“ eine wirkliche Provokation. Anders als *Peter Steins „zart-schwebende[r] Kleist- Traum", der 1972 in Paris als Gastspiel zu sehen gewesen war, setzte ihr „grausiges, zur Wirklichkeit verzerrtes Kleistsches Preußenbild“ (Colette Godard) ganz bewusst einen Kontrapunkt zur legendären Aufführung mit Gérard Philipe. Ihr Versuch einer „Regermanisierung“ des Stückes wurde von Publikum und Kritik als regelrechtes Sakrileg empfunden. Hier bestätigte sich in den Augen vieler Kritiker - wie schon bei der französischen „Brotladen“-Inszenierung -, dass sich die Begeisterung für das Team Karge/ Langhoff in Frankreich weniger in ihrer Nähe zur französischen Kultur gründete als vielmehr ihrer Fremdheit. 1986 trennten sich die Wege der beiden Regisseure. Karge ging ans Wiener Burgtheater und L’Arche Éditeur 342 L geriet damit weitgehend aus dem Sichtfeld der französischen Theatermacher sowie der Kritik. Im Gegensatz dazu blieb Langhoff - wie auch *Benno Besson (bis zu seinem Tod 2006) - eine zentrale Figur des französischen Theaterfeldes und - sogar trotz Übersiedlung in den Westen - Symbolfigur eines typisch ostdeutschen Theaters. Seine Inszenierung „La Mission/ Au Perroquet vert“ (*Heiner Müller/ Arthur Schnitzler) 1989 auf dem Festival d’Avignon wurde begeistert aufgenommen. Vorgesehen, jedoch schlussendlich als Nachfolger für *Besson als Direktor der Comédie de Genève abgelehnt, übernahm Langhoff 1989 die Leitung des Théâtre Vidy-Lausanne, die er jedoch nach nur zwei Jahren wieder aufgab. Nach einem Intermezzo in Berlin, wo er kurze Zeit gemeinsam mit *Heiner Müller das *Berliner Ensemble leitete, entschloss er sich zu einer Fortführung seiner internationalen Karriere als freier Regisseur - mit Wohnsitz in Paris. Nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Théâtre national de Bretagne in Rennes sorgte noch 2002 seine Collage nach Büchners „Lenz, Leonce und Lena“ an der Comédie-Française erneut für Furore. Insgesamt ist er inzwischen jedoch bereits lange von einem fremd anmutenden Außenseiter zu einem anerkannten Teil des französischen Theaterfeldes geworden. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Colette Godard, Francesca Spinazzi, Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996; Jean-Yves Pidoux, Langhoff à Lausanne. L’ouragan lent, Lausanne 1994. Nicole Colin L’Arche Éditeur L’Arche Éditeur ist einer der profiliertesten Akteure des deutsch-französischen Literaturbzw. Theatertransfers. Der Verlag wurde 1949 von Robert Voisin gegründet und positionierte sich zunächst im Bereich der Psycholanalyse, Philosophie und Ästhetik. Als Voisin in Kontakt mit Jean Vilar und dem Théâtre national populaire (TNP) kam, begann er sich für das Theater zu interessieren, gründete 1953 die legendäre Zeitschrift „Théâtre populaire“ und überzeugte *Bertolt Brecht ihm die Herausgabe seiner Theaterstücke auf Französisch anzuvertrauen. Die Tatsache, dass es dem 30-jährigen Jungverleger gelang, sich gegen den deutlich größeren und mächtigeren Konkurrenten Gallimard durchzusetzen, ist wohl nicht zuletzt dem Idealismus des überzeugten Kommunisten zu verdanken: Während Gallimard zunächst nur eine Auswahl von Texten veröffentlichen wollte, erklärte sich Voisin bereit, alle Stücke des zu Beginn der 1950er Jahre in Frankreich noch nahezu unbekannten Brechts auf Französisch herauszugeben. Über *Bertolt Brecht lernte Voisin nicht nur Peter Suhrkamp und später Siegfried Unseld kennen, sondern auch das spezifisch deutsche Theaterverlagswesen, das er begann zu imitieren. Als einziger Theaterverlag in Frankreich besitzt L’Arche auch die Funktion eines Agenten. Dank seines engen Kontaktes zu Helene Weigel erarbeitete sich Voisin eine erstaunliche Monopolstellung in der französischen *Brecht-Rezeption: So entschied er darüber, welches Stück in welchem französischen Theater gespielt werden durfte und kontrollierte gleichzeitig als Herausgeber von „Théâtre populaire“ (bis zum Einstellen der Zeitschrift 1964) die intellektuelle Diskussion um Brecht, euphorisch lanciert von den beiden Redakteuren Roland Barthes und Bernard Dort. Darüber hinaus avancierte Voisin, der kaum ein Wort Deutsch sprach, durch seine Kontakte nach Frankfurt zudem zu einer wichtigen deutsch-französischen Mittlerfigur: Als Vertreter von Autoren wie Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, *Peter Weiss später dann Martin Sperr, Franz Xaver Kroetz, *Rainer Werner Fassbinder und *Peter Handke entwickelte sich der Verlag L’Arche zum beispiellosen Kommunikationsforum zwischen den französischen Bühnen und der deutschsprachigen Dramatik. Wie zentral diese Funktion für den Verlag war, spiegelt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass Robert Voisin 1986 L’Arche an den damaligen Leiter des Suhrkamp-Theaterverlags, Rudolf Rach, verkaufte, der die einzigartige Stellung des Verlags im französischen Theaterfeld - gemeinsam mit Katharina von Bismarck (die den Bühnenverlag leitet) - in den letzten 25 Jahren sichern und weiter ausbauen konnte. Bis auf wenige Autoren vertritt L’Arche Éditeur alle wichtigen deutschsprachigen Theaterautoren (von *Bertolt Brecht und *Peter Weiss über Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und *Peter Handke bis hin zu Botho Strauß, Dea Loher und Roland Schimmelpfennig). Neben dem eigentlichen Verlagsprogramm existiert ein ebenso umfangreicher Katalog mit unveröffentlichten (oder vergriffenen) Thea- Lefebvre, Jean-Pierre L 343 terstücken. In Frankreich werden die Bühnenstücke von den Verlagen in der Regel nur gedruckt; hinsichtlich der Vermittlung der Texte erfahren die Dramatiker hingegen keinerlei Unterstützung - vor allem darum, weil der Bereich der Autoren- und Verwertungsrechte von der SACD, der Société des auteurs et compositeurs dramatiques, verwaltet und kontrolliert wird und die Verlage finanziell nicht an den Aufführungsrechten beteiligt sind. Aufgrund der Agententätigkeit des Verlags und seiner daraus resultierenden Beteiligung an den Aufführungsrechten kommt er weitgehend ohne staatliche Unterstützung aus - anders als seine Konkurrenten, denn ohne eine Partizipation an den Tantiemen kann ein Verlag, der sich mit der Publikation von Theatertexten beschäftigt, nicht rentabel arbeiten. Seit mehr als einem halben Jahrhundert verteidigt der Verlag L’Arche diese Außenseiterposition im französischen Theaterfeld. Für seine herausragende Bedeutung im deutsch-französischen Kulturtransfer wurde dem Verlag unlängst der Prix de l’*Académie de Berlin verliehen. Dennoch will Rudolf Rach seinen Verlag nicht auf seine Funktion als französischer Hauptumschlagsplatz deutschsprachiger Theaterliteratur reduziert wissen. Seit langem schon befinden sich im Programm, das über 700 Buchtitel enthält, zahlreiche nicht-deutsche Autoren. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Nicole Colin, Blick in die Welt: Der französische Verlag L’Arche Éditeur und seine deutschen Dramatiker, in: Die deutsche Bühne, 4 (2011), S. 40f.; Marco Consolini, Théâtre Populaire 1953-1964. Histoire d’une revue engagée, Paris 1998. Nicole Colin Lefebvre, Jean-Pierre Der 1943 in Boulogne-sur-Mer geborene Jean- Pierre Lefebvre ist (so wie *Jean-Marie Valentin) einer der Literaturwissenschaftler und Germanisten seiner Generation, der die verschiedenen Wirkungsfelder und -aspekte der études germaniques auf erfolgreiche und ausgeglichene Art miteinander verwoben hat. Als im Jahre 2011 emeritierter Professor der École normale supérieure (ENS) in der rue d’Ulm in Paris verkörpert er zum einen die Germanistik jenseits der traditionellen Universitätsgermanistik, nämlich in den grandes écoles und Forschungseinrichtungen; zum anderen ist die ENS einer der Königswege zur universitären Germanistenkarriere: Mit ihren überaus harten Aufnahmebedingungen (mittels concours ) gilt sie bei den Geisteswissenschaften als eine der ersten französischen Adressen und ist in weltweiten Uni- Rankings hoch platziert vertreten. Dort studiert zu haben, also normalien zu sein, bedeutet hohes symbolisches Kapital in allen anschließenden beruflichen Verwendungen. Interessant ist jedoch, dass Lefebvre niemals angepasst war oder nach öffentlichen Ehren gestrebt hat, sondern sich mit einer gewissen wissenschaftlichen wie wissenschaftspolitischen Widerständigkeit seinen eigenen Weg gebahnt hat. Vor seiner späten Habilitation war er Jahrzehnte an der ENS als maître de conférences beschäftigt. Trotz im Wesentlichen unveränderter wissenschaftlicher Tätigkeit, darf man sich allerdings sicher sein, dass der Professoren-Titel für seine Wahrnehmung im deutschen Wissenschaftsbetrieb entscheidend war: Der renommierte Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des *DAAD, den er 2008 erhielt, wird in der Regel nur an Professoren verliehen. Die Tatsache, Schüler von *Paul Celan an der ENS gewesen zu sein, prägte ihn nicht nur nachhaltig - er leitet seit langer Zeit die Editions- und Forschungsgruppe über *Paul Celan an der ENS -, sondern bedeutete für ihn eine wirkliche Mission, die er auch deshalb erfolgreich verfolgen konnte, weil es ihm immer wieder gelang, zwischen den teils rivalisierenden *Celan-Forscher- und Übersetzergruppen Brücken zu schlagen. Er war von 1965-1967 *Lektor für Französisch an der Universität Heidelberg, legte 1968 die agrégation ab und wurde anschließend Assistent an der Sorbonne. Nach seiner Promotion über die Verbindungen zwischen Hegel und Heine (die auch auf Deutsch erschien), kam er 1971 als Lehrender an die ENS zurück. Seine Doktorarbeit beschrieb bereits die - neben der Beschäftigung mit *Paul Celan - zwei großen Interessensschwerpunkte Lefebvres: deutsche Dichtung (vor allem des 19. Jahrhunderts) und (deren Verbindung zur) *Philosophie. Er publizierte nicht nur regelmäßig eigene wissenschaftliche Texte bzw. Textkommentare, sondern übersetzte auch (Gedichte u.a. von Hölderlin, *Bertolt Brecht, Goethe und Rainer Maria Rilke), Theaterstücke (Gerhart Hauptmann), und philosophische Texte (Freud, Marx). Er betreute herausgeberisch zudem jüngst die Herausgabe des Gesamtwerkes von Stefan Zweig - in Neuübersetzungen - in der Lektoren 344 L Pléiade. Seit Jahrzehnten ist er Mitherausgeber der Reihe „Philosophies“ bei den Presses universitaires de France (PUF), die jährlich zwei bis fünf Bücher zu philosophischen Strömungen und Philosophen aus aller Welt publizieren. Seine „Anthologie bilingue de la poésie allemande“ (1993), erschienen im Parnass der französischen Verlage, der Pléiade von Gallimard, war äußerst wichtig für die Wahrnehmung deutscher Dichtung über den begrenzten Kreis der Hochschulen hinaus und er erhielt dafür 1993 den *Prix Gérard de Nerval - in dessen Jury Lefebvre nun selbst sitzt. Überhaupt weist ihn die Mitgliedschaft in vielen Gremien und Jurys als einflussreichen Mittler zwischen Deutschland und Frankreich aus. Er ist im Vorstand der deutschen Hölderlin-Gesellschaft. 2008 wurde er in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung berufen, die seinem Weggenossen, dem Übersetzer *Bernard Lortholary, 2012 den Friedrich- Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland verlieh. Lefebvre hielt die Laudatio. Auch in der Jury des Eugen-Helmlé-Preises 2012, der an Renate Lance-Otterbein und *Alain Lance ging (Laudator Wolfgang Asholt), saß er. 2006 war Jean-Pierre Lefebvre in den Skandal um die zurückgezogene Verleihung des Heinrich-Heine- Preises in Düsseldorf involviert: Nachdem das Votum, *Peter Handke den Preis zu verleihen, am Widerstand der Düsseldorfer Ratsfraktionen zu scheitern drohte, trat Lefebvre gemeinsam mit Sigrid Löffler aus der Jury aus. Schließlich gestaltet er auch *Celan-Jazzabende, bei denen er den Lesepart übernimmt, und ist Romanautor: „La nuit du passeur“ wurde unter dem Titel „Die Nacht des Fährmanns“ ins Deutsche übertragen und erschien 1989 im S. Fischer Verlag. Joachim Umlauf Lektoren Sucht man im kulturellen Sektor des franco-allemand eine Programmlinie, die in besonderem Maße zur Durchdringung der deutschen und französischen Sphäre beigetragen und Deutschen und Franzosen berufliche Karrieren im jeweils anderen Land erlaubt hat, so ist sicherlich das Lektorenprogramm bzw. die Lektorenvermittlung zu nennen. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis sich das heutige Berufsbild des Hochschullektors inhaltlich und begrifflich klar herausgebildet hat. Bis nach dem Ersten Weltkrieg wurden Lektoren - das heißt im Prinzip jüngere Wissenschaftler und Muttersprachler, die im anderen Land für einige Jahre ihre eigene Sprache und zuweilen auch Landeskunde, Literatur oder Sprachwissenschaft unterrichten - auf persönliche Initiativen von Hochschulprofessoren rekrutiert. Es gab auch Lektoren an Gymnasien, wobei es sich dabei zum Teil um fortgeschrittene Studierende handelte. Erst nach 1950 erfolgte die klare Unterscheidung in „Fremdsprachenassistenten“ - in der Regel angehende Französischbzw. Deutschlehrer, nach Frankreich vermittelt durch den Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz (PAD) und das Centre international d’études pédagogiques (CIEP) einerseits - und „Lektoren“ an Hochschulen. Die strukturierte Vermittlung von Lektoren ins Ausland betreibt in Deutschland der *DAAD. Im Rahmen der „Förderung der Germanistik und der deutschen Sprache im Ausland“, für die der *DAAD jährlich weltweit an die 40 Millionen Euro aufwendet, besitzt das Lektorenprogramm einen besonders wichtigen Stellenwert und beansprucht fast die Hälfte dieser Mittel. Über 400 deutschsprachige Nachwuchswissenschaftler werden in diesem Programm für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren an ausländische Hochschulen vermittelt. Der *DAAD betreut die Lektoren fachlich und stockt niedrige lokale Gehälter pauschal zu vergleichbaren Positionen in Deutschland auf. Kehrt man nun zu den Anfängen bundesrepublikanischer Kulturpolitik zurück, stellt man fest, dass dieses Erfolgsprogramm im Wesentlichen gemeinsam mit Frankreich entwickelt und dann ausgeweitet wurde: 1956 waren die Hälfte der zwölf weltweit eingesetzten Lektoren in Frankreich tätig. Dort (und anderswo) entwickelte sich das Lektorenprogramm in der Folge beträchtlich. 1963, nach Gründung der *DAAD- Außenstelle in Paris waren es 32, 1969 dann schon 78 besetzte Stellen, deren Anzahl allerdings mit der kulturpolitischen Neuorientierung in Folge des Mauerfalls in den späten 1990ern abfiel um sich heute bei circa 50 geförderten Lektoraten an Universitäten, grandes écoles und anderen Hochschuleinrichtungen einzupendeln. Darüber hinaus betreut der *DAAD die so genannten „freien Lektoren“, die individuell von den Hochschulen rekrutiert werden, in fachlicher Hinsicht. Der starke Rückgang der Studierenden-Zahlen seit den 1990er Jahren bei den traditionell (und meistens zum Lehrerberuf führenden) philologischen Studi- Lektoren L 345 engängen hat manchen germanistischen Fachbereich Lektorenstellen verlieren lassen (einige der Fachbereiche wurden geschlossen bzw. sind von Schließung bedroht), was teils zu einer Neuorientierung (in Form von Fachlektoraten und Einsatz der Lektoren in anderen als germanistischen Abteilungen) geführt hat. Der rasche Erfolg des Programms nach dem Zweiten Weltkrieg ist erstaunlich, wenngleich er an eine Vereinbarung zum Lektorenaustausch anknüpft, die in der Zwischenkriegszeit (1929) zwischen dem *DAAD und der Office national des universités et écoles françaises (ONUEF) geschlossen wurde: 1931 gingen 33 französische Lektoren nach Deutschland und 17 deutsche nach Frankreich. Trotz der zahlreichen deutschen Lektoren im besetzten Frankreich ab 1940, die zum integralen Bestandteil der nationalsozialistischen Kulturpropaganda gemacht wurden, wurden nach 1945 bald wieder deutsche muttersprachliche Lehrende eingesetzt. Bei der ersten Generation deutscher Lektoren in Frankreich nach dem Krieg, zu der in gewisser Weise auch noch *Paul Celan gezählt werden kann, handelte es sich vor allem um Emigranten. Einer der ersten Lektoren, die extra aus Deutschland anreisten, war 1949 *Elmar Tophoven als Lektor an der Sorbonne. Umgekehrt schickten die Franzosen nach 1945 über 100 Lektoren zur rééducation der Deutschen nach Deutschland, einer von ihnen war Claude Lanzmann (*Shoah), der 1948/ 49 an der FU Berlin lehrte. Anstrengungen, zwischen ONUEF und *DAAD wieder einen strukturierten Austausch zu organisieren, scheiterten nach diversen Versuchen u.a. an arbeitsrechtlichen Bedingungen. So klagten sich in Deutschland viele französische Lektoren auf unbefristete Stellen ein, während die Befristung in Frankreich durch ein spezielles Lektorendekret geregelt ist. Aus diesem Grund gibt es bis heute keine dem *DAAD vergleichbare strukturierte Vermittlung französischer Lektoren nach Deutschland. Auch der Österreichische Austauschdienst (ÖAD) vermittelt Lektoren nach Frankreich und bis 1990 waren regelmäßig einige DDR-Lektoren an französischen Universitäten angestellt, was auf das große Interesse der (teils kommunistisch geprägten) französischen Germanistik am „anderen Deutschland“ zurückging. Die besondere Bedeutung der Lektorenvermittlung liegt in zwei Aspekten: Zum einen ist die hohe Anzahl von ehemaligen *DAAD-Lektoren, die nach Beendigung ihres Lektorats in Frankreich die Staatswettbewerbe CAPES und agrégation erfolgreich abgelegt haben und/ oder Professorenbzw. Mittelbauposten an Hochschulen bekleiden, bemerkenswert. So gibt es kaum einen größeren germanistischen Fachbereich in Frankreich, an dem nicht ein oder zwei ehemalige Lektoren tätig sind, die zuweilen auch die Direktion des Fachbereichs übernehmen oder in andere französische Universitätsämter aufsteigen. Dies ist nicht allein mit der höheren akademischen Mobilität der Deutschen oder der starken kulturellen Anziehungskraft Frankreichs zu erklären, sondern ist vor allem der größeren Planbarkeit von Universitätskarrieren in Frankreich geschuldet sowie der besseren Möglichkeiten Beruf und Familie zu vereinen - die Lektorenposten in Frankreich sind heute mehrheitlich mit Frauen besetzt. Umgekehrt treten im Vergleich die Schwächen des deutschen Hochschulsystems in Hinsicht auf seine internationale Öffnung zutage, dessen Unsicherheiten (bis zur Berufung auf eine hochqualifizierte Stelle) es (nicht nur für Franzosen) unattraktiv machen. Bekannte französische Germanisten, die als Lektoren begannen - wie *Jean-Pierre Lefebvre, Marie-Claire Hoock-Demarle und Jean-Paul Confais -, kehrten nach Frankreich zurück, um hier Karriere zu machen. Ein zweiter Aspekt ist die ungewöhnlich hohe Präsenz von ehemaligen *DAAD-Frankreichlektoren in führenden Positionen in deutschen und deutsch-französischen Institutionen: So werden momentan die Leitung des *Goethe- Instituts Paris und Toulouse, des *Heinrich-Heine- Hauses, des Generalsekretariats der *Deutsch- Französischen Hochschule sowie von *BILD von ehemaligen Lektoren versehen, andere befinden sich in verantwortungsvollen Posten im *CIERA, im *CIRAC, im *DFJW, leiteten die *DAAD-Außenstelle oder arbeiten in großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland wie der DFG. Dies hat Tradition: So seien nur Hermann Harder, Roland Kaehlbrandt, Joachim Umlauf und Christiane Deussen für das *Heinrich-Heine-Haus genannt, *Hansgerd Schulte, Rüdiger Stephan, Anne Neuschäfer, Jürgen Ritte und Stefanie Neubert für den *DAAD, *Robert Picht für das *Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg, Achim Haag für die *Deutsch-Französische Hochschule. Insofern ist das Lektorenprogramm ein deutsch-französisches Rekrutierungsbiotop, das es zu hegen und zu pflegen gilt. Lemper, Ute 346 L Reinhard Meyer-Kalkus, Die akademische Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich (1925-1992), Bonn 1994; Joachim Umlauf, Das Lektorenprogramm des DAAD, in: Francois Beilecke, Katja Marmetschke (Hg.), Der Intellektuelle und der Mandarin, Kassel 2005, S. 754-767. Joachim Umlauf Lemper, Ute Die 1963 in Münster geborene Ute Lemper steht in der Tradition der deutschen bzw. deutschsprachigen diseuses, Chansonsängerinnen und Schauspielerinnen - Marlene Dietrich, Ingrid Caven, Angela Winkler und Hanna Schygulla wären hier zu nennen -, die es in Frankreich zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Das französische Interesse an den 1920er Jahren, Aufstieg und Fall der Weimarer Republik, den Berliner Kabaretts, einer bestimmten Form weiblicher Verruchtheit, der Musik Kurt Weills sowie den sozialkritischen Texten und Dramen *Bertolt Brechts - und deren herausragende Bedeutung für das französische Theater im Kontext der Entwicklung des öffentlich subventionierten Theatersektors nach 1945 (*Deutsches Theater in Frankreich) - dürften hierbei eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Ute Lemper war gerade 23, als ihr der international tätige und auch in Deutschland überaus bekannte *Jérôme Savary 1986 die Rolle der Sally Bowles im Musical „Cabaret“ anvertraute. Aufführungen in Lyon, Düsseldorf, Rom und Paris führten zu großen Erfolgen und sie erhielt den Molière, den öffentlichkeitswirksamen und mit Pomp jährlich vergebenen französischen Theaterpreis, in der Kategorie „Beste Nachwuchsdarstellerin“. Mit einem anspruchsvollen Kurt-Weill-Programm tourte Lemper 1987 um die halbe Welt: Mailand, Berlin, Tokyo, Hongkong, Jerusalem, Barcelona, London und natürlich Paris waren die Stationen. 1992/ 93 gab Ute Lemper die „Lola“ in der Musikkomödie „Der Blaue Engel“ in der Regie von Peter Zadek und *Jérôme Savary (in Berlin und Hamburg). Daneben wirkte sie in einigen französischen Filmen (z.B. von Jean Galmot) mit und war in internationalen Produktionen („Prosperos Bücher“ von Peter Greenaway und „Prêt-à-porter“ von Robert Altman) zu sehen, wenngleich zumeist in Nebenrollen - so auch 2010, in „Deauville“ an der Seite von Isabella Rossellini und Claudia Cardinale. Zunehmend integrierte sie in ihr deutschsprachiges Repertoire auch französische Texte (Jacques Prévert) und Chansons (Édith Piaf, Jacques Brel, Serge Gainsbourg), singt zudem viel auf Englisch (so u.a. Lieder von Tom Waits) und gilt daher inzwischen in mehrfacher Hinsicht als „Crossover“- Artistin. Trotz einiger Ausflüge in die leichte Muse (Hauptrollen in Musicals wie „Peter Pan“) hat sich Ute Lemper stets als sozial und politisch engagierte Künstlerin verstanden, die sich auch mit der problematischen Geschichte ihres Heimatlandes auseinandersetzt: 1992 erschien die Einspielung „Songbook“, für die der englische Komponist Michael Nyman Texte von *Paul Celan vertonte. Ihre umfangreiche Diskographie, die weit über 20 Titel verzeichnet, spiegelt heute eher eine internationale als eine deutsch-französische Karriere. Doch gelingt es ihr als eine der ganz wenigen deutschen Gesangskünstler, ein großes französisches Publikum zu erreichen - so 2008, als sie mehrere Tage im Théâtre national de Chaillot in Paris auftrat. Ute Lemper, Unzensiert, Berlin 1995. Joachim Umlauf Lendemains Die Gründung der vierteljährlich in deutscher und französischer Sprache erscheinenden Zeitschrift „Lendemains“, die 1975 in Berlin von *Michael Nerlich und einer Gruppe jüngerer Hochschullehrer ins Leben gerufen wurde, war getragen von einem starken politisch-intellektuellen Gestaltungswillen, der sich programmatisch in der Namensgebung der Zeitschrift widerspiegelt (*Romanistische Zeitschriften). Der Titel „Lendemains“ ist einerseits eine Hommage an die verfolgten französischen Widerstandskämpfer, andererseits enthält er den in die Zukunft gerichteten Aufruf, republikanische Traditionsbestände in Frankreich und Deutschland zu aktualisieren und zur Festigung der deutsch-französischen Beziehungen zu nutzen. Ihren wichtigsten politisch-gesellschaftlichen Resonanzboden fand die Zeitschrift Mitte der 1970er Jahre in der sich aufspaltenden Studentenbewegung, deren publizistische Akteure die Lancierung der Zeitschrift technisch unterstützten. Die unvoreingenommene Zusammenarbeit der Zeitschrift mit verschiedenen Organen und Verlagen der Linken brachte sie bei ihren Gegnern in den Ruf mangelnder politischer Korrektheit, bewirkte aber hohe Abonnentenzahlen im akademischen Milieu. Als in den 1980er Jahren der Resonanzboden der Leo, Gerhard L 347 Anfangsjahre wegbrach, trat die Funktion der Zeitschrift als Plattform des intellektuellen und akademischen Austausches zwischen Frankreich und Deutschland sowie - ähnlich wie das *„Frankreich Jahrbuch“ - als Förderin der deutschen Frankreichforschung stärker in den Vordergrund. Der politisch begründete Innovationsanspruch des Herausgeberteams richtete sich auf zwei bis heute in der Zeitschrift präsente Themengebiete. Er zielte erstens auf die kritische Aufarbeitung der romanistischen Fachgeschichte (und insbesondere der ihr zugrundegelegten politischen Prämissen) ab, für welche die in der Zeitschrift geführten Diskussionen nachhaltige Impulse lieferten. Zweitens wandte sich „Lendemains“ gegen das Konzept einer ausschließlich philologisch arbeitenden *Romanistik und sprach sich für die Einbeziehung politisch-gesellschaftlicher Fragestellungen in den romanistischen Fächerkanon aus. Die Möglichkeit der Integration sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze in die *Romanistik und die Chancen transdisziplinärer Öffnung, die in den 1970er Jahren unter dem Stichwort der Landeswissenschaften geführt wurden, prägen bis heute die wissenschaftlichen Debatten in der Zeitschrift. Über die kritische Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte und die Diskussion über die zeitgemäßen Erneuerungs- und Legitimierungsmöglichkeiten der *Romanistik hinaus findet seit Mitte der 1980er Jahre der linksrepublikanische Impetus der Zeitschrift seinen Niederschlag verstärkt in der praxisbezogenen Erschließung sowie konzeptuellen Klärung neuer Forschungsfelder. Dies ist erstens die Intellektuellenforschung, die statt polemisierender Beurteilungen den Intellektuellen als historische Sozialfigur auffaßt und ein Instrumentarium zur Untersuchung seiner Entstehung und Wirkungsweise entwickelt, das auch ein tragfähiges Gerüst zur Analyse von Mittlerpersönlichkeiten im deutsch-französischen Verhältnis bereitstellt. Zweitens richtet sich das Interesse der Zeitschrift auf die methodisch fundierte Erforschung der deutsch-französischen Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, und zwar insbesondere auf die lange vernachlässigte Rolle privater Akteure und Organisationen, deren Bedeutung und Wirken in zahlreichen Artikeln belegt wurde. Der innovative Anspruch der Zeitschrift kennzeichnet auch die literaturwissenschaftliche Sektion, in welcher das hauptsächliche Augenmerk auf den literarischen Bewegungen der Avantgarde und Moderne, neueren populärkulturellen Ausdrucksformen sowie der frankophonen Literatur liegt. Ihrem Anspruch als Forum wissenschaftlicher und kultureller Kontroversen wird die Zeitschrift dadurch gerecht, dass neben fachlichen und gegenwartsbezogenen Abhandlungen auch Essays, Gedichte, Interviews und kürzere literarische Texte einen Platz in ihr finden. Nach dem Ausscheiden von *Michael Nerlich aus dem Herausgeberteam (1999) fungieren Hans Manfred Bock (1990-2012) und Wolfgang Asholt (2000- 2012) als Herausgeber. Seit 2013 haben Andreas Gelz und Christian Papilloud diese Aufgabe übernommen. Hans Manfred Bock, Zur Hybridität der Zeitschrift Lendemains. Innovation, Integration, Praxisverpflichtung, in: Lendemains 34 (2009) 133, S. 23-36; Michael Nerlich, Lendemains, ou un mot d’adieu, in: Lendemains 25 (2000) 100, S. 26-42; Evelyne Sinnassamy, Lendemains, d’hier à aujourd’hui, de la machine à boule à internet, in: Lendemains 25 (2000) 100, S. 43-50. Katja Marmetschke Leo, Gerhard Der in Berlin geborene Gerhard Leo (1923-2009) stammte aus einer Familie jüdischer Herkunft und floh mit seinen Eltern nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nach Paris, wo der Vater Wilhelm eine deutsch-französische Buchhandlung eröffnete, die schon bald zu einem Treffpunkt der deutschen Emigration wurde. Nach dem Abitur (1940) und dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris im Juni 1940 floh Gerhard nach Cannes und wurde 1943 unter falschem Namen Dolmetscher in einer Transportkommandantur in Toulouse, wo er seine Widerstandsarbeit begann und eine französische Identität annahm. Nach seiner Festnahme in Castres im Februar 1944 wurde er gefoltert, doch überlebte wie durch ein Wunder und wurde schließlich von kommunistischen Résistancekämpfern befreit, was für ihn Anlass war, sich der Kommunistischen Partei anzuschließen. Als Anerkennung für sein Engagement im französischen Widerstand wurde Leo zum Leutnant der französischen Armee ernannt, entschied sich jedoch nach Kriegsende zur Rückkehr nach Deutschland. In Düsseldorf arbeitete er zunächst für die kommunistische Zeitschrift „Freiheit“, doch wurde die journalistische Tätigkeit schnell zur Fassade, als er Anfang der 1950er Jahre Mitarbeiter des Haid-Apparates Liebermann, Rolf 348 L wurde, der mit geheimdienstlichen Methoden Material über oppositionelle Gruppen in der SED bzw. KPD sammelte und zugleich den Aufbau des westdeutschen Geheimdienstes beobachtete. Als seine Sicherheit nicht mehr garantiert war, setzte er sich mit seiner Familie nach Ost-Berlin ab, geriet aber zur gleichen Zeit wie u.a. auch *Franz Dahlem als ehemaliger Frankreichemigrant in das Visier der „Moskau-Kader“ innerhalb der SED, die in der ersten Hälfte der 1950er Jahre auf Druck von Walter Ulbricht den Kreis der Westemigranten säuberte. Er blieb schließlich unbehelligt und war zwischen 1954 und 1963 als Hauptabteilungsleiter bei ADN, zwischen 1959 und 1962 in Genf als Auslandskorrespondent beim Europabüro der Vereinten Nationen und ab September 1969 als außenpolitischer Kommentator für das „Neue Deutschland“ tätig. Bereits 1965 war er Vizepräsident der *Deufra geworden und arbeitete parallel zwischen 1963 und 1967 als politischer Instrukteur im Apparat des ZK, bevor er im Oktober 1967 die Leitung der Abt. Außenpolitik im ND übernahm. Im Mittelpunkt seiner journalistischen Tätigkeit gegenüber Frankreich stand in den 1960er Jahren die Weiterentwicklung der Anerkennungsbewegung und die „positive Beeinflussung” des DDR-Bildes in der französischen Presse; gleichzeitig berichtete er aber 1968 auch über die Streiks der Arbeiter und Studenten, was ihm ein einjähriges Einreiseverbot einbrachte. So stellte sich auch in der DDR die Frage, ob Leo der richtige sei, als das ND einen neuen Korrespondenten nach Paris schicken wollte. Schließlich fiel die Wahl jedoch auf ihn, sodass er zwischen 1973 und 1985 in der französischen Hauptstadt weilte. Wie andere aus dem Kreis der ehemaligen Frankreichemigranten gehörte Leo zu den Mittelsmännern zwischen der DDR und Frankreich, das emotional immer seine Heimat blieb und ihm in Anerkennung seiner Verdienste am 17.2.2004 in Person von Jacques Chirac zum Ritter der Ehrenlegion ernannte. Dem wiedervereinigten Deutschland misstraute er und blieb bis zu seinem Tode der DDR in kritischer Verbundenheit treu. Gerhard Leo, Frühzug nach Toulouse. Ein Deutscher in der französischen Résistance 1942-1944, Berlin 1988; Maxime Leo, Haltet euer Herz bereit. Eine ostdeutsche Familiengeschichte, München 2009 (frz.: Histoire d’un Allemand de l’Est, Arles 2010); Stefanie Neubert, Gerhard Leo, Frankreichberichterstatter für Neues Deutschland , in: Dorothee Röseberg (Hg.), Frankreich und „Das andere Deutschland“. Analysen und Zeitzeugnisse, Tübingen 1999, S. 43-70; Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln 2004, S. 332f. Ulrich Pfeil Liebermann, Rolf Am 24.2.1979 führte die Pariser Oper die vollständige Version der Oper „Lulu“ von Alban Berg auf - ein wichtiges Datum der Ära Rolf Liebermann, seit 1973 Generalintendant des Nationaltheaters der Pariser Oper. Alban Berg hinterließ nach seinem Tod im Jahre 1935 die Orchestration des dritten Aktes unvollendet, doch dank seines starken Willens konnte der Komponist Friedrich Cerha sie wiederherstellen. Diese Aufführung wurde vom Orchesterchef *Pierre Boulez und dem Regisseur *Patrice Chéreau übernommen. Liebermanns Pariser Amtszeit dauerte bis 1985, dem Jahr, in dem er nach Hamburg zurückkehrte, um dort seinen Posten als Intendant an der Staatsoper wieder aufzunehmen, den er bereits 1959 bis 1973 innehatte. Der Schweizer und gebürtige Züricher Rolf Liebermann (1910-1999) machte sich zunächst als Komponist einen Namen. Mit seinem „Concerto für Jazz-Band und Orchester“, welches er für die Donaueschinger Musiktage im Oktober 1954 schrieb, bestätigte er sein eklektisches Temperament und seine Leidenschaft für das Zusammentreffen der Kulturen. Das brillante und pädagogische Werk ist der authentische Ausdruck des großen Tonmeisters, dessen Karriere 1945 bei Radio Zürich begann, zuerst als Produzent, dann auf dem Posten des Orchesterdirektors bis 1957. Von dort aus machte er sich auf nach Hamburg, um dort Direktor der Hauptabteilung Musik beim NDR zu werden. Doch letztendlich wurde die Oper zu seiner Leidenschaft. Als Intendant der Hamburger Staatsoper förderte er ab 1959 die Aufführung mehrerer Opern des 20. Jahrhunderts, die er initiierte; zugleich entwickelte er eine originelle Politik für die Inszenierung der Werke aus dem Repertoire. Am Ende seiner Amtszeit im Jahre 1973 engagierte der französische Minister für Kultur Jacques Duhamel Liebermann als Direktor der Pariser Oper. Auch weil er nicht in Besitz der französischen Staatsbürgerschaft war, wehte ihm zunächst starker Gegenwind aus politischen und künstlerischen Kreisen entgegen. Dies hinderte Lusset, Félix L 349 ihn jedoch nicht daran, eine lyrisch ambitionierte Politik für eine „königliche“ Oper zu führen, welche die französische Hauptstadt dringend brauchte, im Palais Garnier genauso wie im Salle Favart. Mit einer klugen Auswahl der Regisseure huldigte er den von ihm verehrten Komponisten Mozart, während das traditionelle Repertoire von seinem fortschrittlichen Sinn für Organisation und der Anziehung, die er auf junge Mitarbeiter ausübte, um seine Leidenschaft für die „totale“ Kreation zu teilen, profitierte. Rings um diese hedonistische Persönlichkeit konnte sich so eine neue Generation von Intendanten formieren, unter anderem der Franzose Hugues Gall, der die Genfer Oper führte (1980-1995), um schließlich seine Karriere an der Spitze der Opéra Bastille zu beenden (1995-2004), aber auch der Belgier *Gérard Mortier, der die La Monnaie/ De Munt in Brüssel und die Salzburger Musikfestspiele dirigierte, bevor er bis 2009 die Nachfolge von Hugues Gall in Paris antrat. Eine großzügige und großformatige Persönlichkeit war Liebermann auch bei seiner Suche nach Komponisten, mit denen er eine neue Kreation zu schaffen wagte. Das schönste Beispiel ist wohl die Oper „Saint François d’Assise“, die er bei dem Franzosen Olivier Messiaen in Auftrag gab und deren Uraufführung am 5.1.1975 geplant war… eine Premiere, die letztendlich erst im November 1983 aufgeführt wurde. Auch damit erwies er sich als Mittler im Bereich der *ernsthaften Musik. Matthias Auclair, Aurélien Poidevin, L’ère Liebermann, Paris 2010. Robert Weeda Lortholary, Bernard Der Übersetzer Bernard Lortholary wurde 1936 in Talence bei Bordeaux geboren. Als Student an der Pariser École normale supérieure (ENS) in der Rue d’Ulm besuchte er u.a. Kurse des damaligen *Lektors *Paul Celan und des Germanistikprofessors *Claude David. 1957 schloss er die ENS ab und ging als *Lektor an das Dolmetscherinstitut Germersheim. Nach bestandener agrégation (1961) arbeitete er bis 1963 als Deutschlehrer in Rouen und in der internationalen Abteilung des Lycée in Sèvres. Danach war er von 1965 bis 1967 Assistent an der Sorbonne und von 1967 bis 1971 agrégérépétiteur im Fach Deutsch an der ENS. Dort bereitete er Studierende auf die agrégation vor. Bis 1996 lehrte er als maître de conférences an der Sorbonne und unterrichtete zehn Jahre lang Übersetzung an der École supérieure d’interprètes et de traducteurs (ESIT). Lortholary hat die Arbeit als Übersetzer immer mit seinen Lehrtätigkeiten in der Germanistik zu verbinden gewusst. Einige seiner ehemaligen Studierenden sind ebenfalls Germanisten geworden oder, wie er selber, Übersetzer für deutsche Literatur. Nachdem Lortholary einige Zeit an einer Doktorarbeit zu Goethes „Wilhelm Meister“ gearbeitet hatte, beschloss er, sich hauptsächlich der Übersetzung zeitgenössischer deutschsprachiger Autoren zu widmen. Als *Lektor und Herausgeber arbeitete er für die Verlage Flammarion und Gallimard (1988-2003). Bei Gallimard gehört er zu den Mitgliedern des renommierten Lektürekomitees. Regelmäßig besuchte er die Frankfurter Buchmesse und betreute die Herausgabe von Übersetzungen bekannter Autoren wie Thomas Bernhard, Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke, Botho Strauß und Bernhard Schlink. Es gelang ihm, schwierige und zugleich wichtige Gegenwartsautoren in Frankreich bekannt zu machen, beispielsweise Hans Joachim Schädlich oder Werke, die bisher von den französischen Lesern kaum wahrgenommen worden waren wie „Infanta“ von Bodo Kirchhoff. Die Liste seiner Übersetzungen aus dem Deutschen umfasst mehr als 100 Titel. Er übersetzt hauptsächlich erzählende Prosa (von Neuübersetzungen der Romane und Erzählungen Franz Kafkas bis hin zu dem zeitgenössischen Bestseller „Das Parfum“ von Patrick Süskind, mit dem er auch befreundet war, aber auch geisteswissenschaftliche Werke und Essays sowie Theaterstücke (u.a. von *Bertolt Brecht) und zahlreiche Dokumentationen für den deutschfranzösischen Sender *ARTE. 1992 wurde sein Gesamtwerk als Übersetzer mit dem Grand prix national de la traduction geehrt; 2006 wurde er vom französischen Schriftstellerverband (Société des gens de lettres) mit dem Übersetzungspreis *Prix Gérard de Nerval ausgezeichnet. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verlieh ihm 2012 für seine Vermittlung deutscher Kultur in Frankreich den Friedrich-Gundolf-Preis. Jean-Pierre Lefebvre Lusset, Félix Der französische Germanist Félix Lusset (1903- 1985) wurde in Rennes geboren, wo er das Collège Mann, Heinrich 350 M und das Lycée besuchte. Nach seiner Ausbildung zum Grundschullehrer gelang ihm 1923 die Aufnahmeprüfung für die ENS von Saint-Cloud. Ein Stipendium erlaubte es ihm dann, sich 1925/ 26 in Deutschland (München und Leipzig) aufzuhalten. Auf eigenen Antrag leistete er 1926/ 28 seinen Militärdienst in Mainz und belegte gleichzeitig Kurse im Straßburger *Centre d’études germaniques, wo er von Jean-Édouard Spenlé unterrichtet wurde. Nach einer Lehrtätigkeit als Deutsch- und Französischlehrer in Rodez und Commercy übernahm er von 1930 bis 1937 im Rahmen der Mission laïque française Lehrtätigkeiten an den französischen Gymnasien von Alep und Damas in Syrien, schließlich in Alexandrien (Ägypten). 1937 kehrte er nach Frankreich zurück, wo er 1938 in Straßburg die agrégation d’allemand bestand. 1939 wurde er als Reserve-Unteroffizier eingezogen und nahm als Dolmetscher bei dem militärischen Nachrichtendienst am drôle de guerre teil. Während seiner Zeit als Deutschlehrer in Le Mans (1940-1942) schloss er sich der Widerstandsbewegung armée secrète an und gründete mit Schülern eine Widerstandsgruppe; unter dem Titel „Voix de France” edierte er wohl eine der ersten Untergrundzeitungen in Frankreich. 1942 wurde er Lehrer im Lycée Voltaire in Paris, wo er der Front national universitaire sowie den FFI universitaires angehörte. 1946 wurde Félix Lusset vom Pariser Außenministerium nach Berlin als Chef der französischen Kulturmission geschickt, die Botschafter Tarbé de Saint Hardouin unmittelbar unterstand. Dies gewährte ihm zwar eine gewisse Autonomie gegenüber den Verwaltungsorganen der französischen Besatzungszone, aber nur wenige Ressourcen, was seine Arbeit in den drei übrigen Besatzungszonen erschwerte. 1948 musste er im Zuge des sich verschärfenden Kalten Krieges nach Mainz umziehen, wo sich seine Beziehungen zur französischen Militärregierung jedoch schwierig gestalteten, sodass er schon bald nach Paris zurückbeordert wurde. Als professeur agrégé d’allemand am Lycée Condorcet war er zugleich Lehrbeauftragter an der neu gegründeten Universität Nanterre, wo er mit Germanisten wie *Pierre Grappin, *Pierre-Paul Sagave, Jean-Pierre Hammer u.v.a. zusammentraf. Auf Anregung von *Robert Minder entwickelte er 1965 den Plan, die Zeitschrift *Allemagne d’aujourd’hui neu zu gründen, was schließlich 1966 erfolgte. Die Initialzündung war ein Aufenthalt von Lusset 1965 in Erfurt im Rahmen eines Internationalen Sommerkurses auf Einladung des dortigen Pädagogischen Instituts. Fortan machte er es sich zur Aufgabe, den Franzosen die Entwicklung in beiden deutschen Staaten zu erklären. Bis zu seinem Tode 1985 war er Herausgeber und Leiter von *Allemagne d’aujourd’hui. Félix Lusset, 1939-1944. De la guerre à la résistance. Témoignages d’une autre époque, Bd. I: La guerre (1939- 1940). Carnet de route d’un sous-officier de réserve, Bd. II: Un journal clandestin dans la Résistance. Voix de France (1940-1944), Paris 1985/ 1987. Jérôme Vaillant M Mann, Heinrich Die Wirkung des in Lübeck geborenen Schriftstellers Heinrich Mann (1871-1950) in den deutschfranzösischen Kulturbeziehungen nach 1945 war selbstverständlich sehr gering, und das nicht nur, weil er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Santa Monica/ Kalifornien starb: er kehrte nicht nach Europa zurück und erst 1949, als die DDR ihn zum Ehrenvorsitzenden der neuen Akademie der Künste zu Berlin ernannte, entschloss er sich nach langem Zögern dazu, den Weg zurück nach Deutschland zu beschreiten, doch verstarb er noch vor seiner Abreise. Manns Bedeutung für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen lässt sich an diesen trockenen Daten nicht ermessen. Er bemühte sich zeitlebens, Deutschland und Frankreich kulturell einander näher zu bringen und war in dieser Hinsicht auch nach 1945 ein Vorbild. Zudem üben seine 20 Romane, zahlreichen Novellen und Essays zur „geistigen Lage“ Deutschlands und Europas bis heute eine dauernde Wirkung aus. Der Schriftsteller hat diese deutsch-französische Annäherung sowohl ästhetisch-literarisch wie auch kulturell verstanden. Beide Bereiche bedingen sich wechselseitig, denn Manns Auffassung der europäischen Geistesgeschichte war besonders komplex; sie bildete den Rahmen für sein Verständnis der Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, das er im Rahmen eines „Bekenntnisses zum Übernationalen“ (Essay 1932) entwickelte. Auf ästhetisch-literarischer Ebene war Frankreich für den deutschen Schriftsteller ein Vorbild, Mathieu, Mireille M 351 denn die französischen Autoren - vor allem Gustave Flaubert, George Sand, Émile Zola, Victor Hugo und Anatole France - hätten es im Unterschied zu ihren deutschen Kollegen verstanden, das Volk sittlich zur Demokratie zu erziehen, - in dieser Hinsicht sind die Essays „Frankreich. Aus einem Essai“ (1910; später u.d.T. „Voltaire - Goethe“), „Geist und Tat“ (1911) und „Zola“ (1915) von zentraler Bedeutung. Diese Auffassung eines geistig und politisch rückständigen Deutschlands hat im Ersten Weltkrieg zur bekannten Auseinandersetzung mit seinem jüngeren Bruder Thomas geführt. Ab 1923 wurde Heinrich zum Befürworter einer deutsch-französischen Verständigung, wozu er mit Essays, Reisen und Vorlesungen beizutragen gedachte. Die Freundschaft mit dem französischen Germanisten Félix Bertaux ist hier als wesentlicher Faktor zu nennen. Zwischen 1933 und 1940 wählte Mann Sanary-sur-Mer bzw. Nizza als Exilort. In dieser Zeit kämpfte er sowohl gegen den Nationalsozialismus wie auch für eine kämpferische Politik Frankreichs gegen NS- Deutschland: seine Essays, zum Teil auf Französisch verfasst - man denke an den Band „La Haine“ (1933) sowie monatliche Kommentare in der Toulouser Zeitung „La Dépêche“ - waren ein bedeutender Beitrag zum kulturellen Dialog zwischen beiden Nationen. Der historische Roman „Die Jugend und die Vollendung des Königs Henri Quatre“ (1935/ 38) lieferte das Pendant im ästhetischen Bereich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Heinrich Manns Werk in Westeuropa zunächst kaum bzw. mit Zurückhaltung rezipiert: er wurde von der DDR anfangs als literarischer und politischer Bündnisgenosse beansprucht; diese zum großen Teil ungerechtfertigte Aneignung hatte zur Konsequenz, dass sein Werk im Westen oft vorschnell abgeurteilt wurde. Erst ab den 1970er Jahren hat sein kulturelles Denken auch im westlichen Teil Europas neues Interesse erregt. André Banuls, Heinrich Mann. Le poète et la politique, Paris 1966; Heinrich Mann, Félix Bertaux, Briefwechsel 1922-1948, hg. von Wolfgang Klein, Frankfurt/ M. 2002; Peter Stein, Heinrich Mann, Stuttgart 2002; Willi Jasper, Der Bruder Heinrich Mann. Eine Biographie, München, Wien 1992; Manfred Flügge, Heinrich Mann. Eine Biographie, Hamburg 2006. Frédéric Teinturier Mathieu, Mireille Die 1946 in Avignon als Älteste von 14 Geschwistern geborene Sängerin Mireille Mathieu wurde in Deutschland ab Ende der 1960er als „Spatz von Avignon“ bekannt und prägt bis heute über ihre Lieder und ihr Auftreten die deutschen Frankreichbilder und *Stereotypen. Ihren Durchbruch erlebte sie in Frankreich im Jahre 1965, als sie mit Liedern von Édith Piaf auftrat, sich aber schnell ein eigenes Repertoire anlegte und heute als Teil des nationalen französischen Kulturerbes bezeichnet werden kann. Nachdem sie bereits 1966 in die USA gereist war, kam sie im folgenden Jahr in die Bundesrepublik und entwickelte sich zu einem Stammgast in den deutschen Wohnzimmern. Aus der 1969 beginnenden Zusammenarbeit mit Christian Bruhn entstanden ihre ersten deutschen Liedtexte „Hinter den Kulissen von Paris“ und „Martin“ (1969). Im gleichen Jahr bekam sie ihre erste eigene Fernsehsendung mit dem Titel „Rendezvous mit Mireille“ im ZDF. Weitere ZDF-Shows folgten: 1977 „Es ist Zeit für Musik“, 1982 „Bonsoir Mireille“ und 1998 in der ARD „Meine Welt ist die Musik“. Schon 1972 trat sie auch in der DDR auf, weitere Auftritte folgten im „anderen“ Deutschland, sodass sie sogar am offiziellen Empfang teilnahm, als Erich Honecker 1988 nach Paris kam. Wie bekannt sie in der DDR war, geht u.a. aus der Tatsache hervor, dass sie es in die DDR-Lieblingswitze schaffte: Margot Honecker zu ihrem Mann Erich: Erich, komm schnell! Die Mireille Mathieu singt! Erich: Ach, solange es kein DDR-Schiff ist! Mit ihren Liedern von Liebe und Leid wie z.B. „An einem Sonntag in Avignon“, „Es geht mir gut, chéri“, „Pariser Tango“ und „Akropolis Adieu“ gewann sie schnell die Herzen der Deutschen. Hinter der kanadischen Sängerin Céline Dion ist sie bis heute die kommerziell erfolgreichste französischsprachige Sängerin der Welt. Von den 120 Millionen weltweit verkauften Alben setzte sie dabei ein Drittel in Deutschland ab, wo ihr schwarzer Pagenkopf schnell zu einem Markenzeichen wurde. Dass sie auch heute in Deutschland noch ihre Fans hat, bezeugt nicht nur ihr 2007 erschienenes Comeback-Album „In meinem Herzen“ mit 14 Titeln in deutscher Sprache, sondern auch - nach 20 Jahren Pause - ihre Deutschlandtournee im Frühjahr 2008. Im folgenden Jahr produzierte sie die CD „Nah bei Dir“ mit neuen deutschen Titeln, La mer gelée 352 M die sie 2010 bei über 20 Konzerten in Deutschland und Österreich präsentierte. Auf dem Feld der Populärmusik (*Musik, populäre) werden die Lieder von Mireille Mathieu in Deutschland eher dem Schlagergenre zugeordnet. Texte und Arrangements zielen anders als die Chansons auf ein Massenpublikum. Sie schreiben gängige Klischees und *Stereotype von Frankreich und Paris als Stadt der Liebe fort; gleichzeitig machte „la demoiselle d’Avignon“ jedoch mit ihrem bis heute gleichbleibenden Aussehen und ihrem konservativ-katholischen Habitus Schluss mit dem hartnäckigen Klischee der französischen Frau als „femme fatale“, während u.a. Édith Piaf stets das Image einer verruchten Sängerin anhing. Ihr für deutsche Ohren liebenswerter französische Akzent - der auch den Erfolg von Nathalie Licard in der Harald-Schmidt-Show erklärt - hat in Deutschland nicht nur das positive Bild der französischen Sprache verstärkt, sondern in den 1960er und 1970er Jahren - gemeinsam mit ihrem einnehmenden Wesen - Frankreich Deutschland näher gebracht, sodass sie bereits 1984 für ihre Verdienste um die deutsch-französische Annäherung genauso wie *Patricia Kaas das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam. Ulrich Pfeil La mer gelée Die „deutsch-französische Zeitschrift für Kunst und Kritik“ „La mer gelée“ wurde im Jahr 2000 gegründet und wird von dem französischen Schriftsteller und Übersetzer Alban Lefranc und der Schriftstellerin Daniela Dröscher herausgegeben. Sie erscheint mindestens einmal im Jahr unter einem bestimmten Oberthema, das im Heft sowohl mit Texten als auch mit Zeichnungen und Fotos bearbeitet wird. Zuerst nur als Online-Zeitschrift konzipiert, gibt es seit 2004 auch eine Printausgabe mit einem Umfang von bis zu 100 Seiten. Die Redaktion sitzt in Berlin und Paris. Das Magazin ist zweisprachig und vereint Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Interviews, Rezensionen mit zeitgenössischer Fotographie und bildender Kunst. Inspiriert ist das Konzept des Magazins von avantgardistischen Zeitschriftenprojekten der 1920er und 1930er Jahre in Frankreich und Deutschland sowie von den Schriften Georges Batailles und dessen Zeitschrift „Critique“ sowie dem Philosoph Gilles Deleuze und der Künstlergruppe der Situationisten. Im Vordergrund steht dabei das Motiv des détournement , dem Herausreißen von Worten und Zitaten aus dem jeweiligen Kontext, dem ein „assoziatives Denken und Schreiben“ zu Grunde liegt. Das gilt auch für die graphische Gestaltung des Heftes, die mit jedem Themenheft wechselt - bei gleichbleibendem Format. Das Ineinandergreifen von Bild und Schrift entspricht dem surrealistischen Ansatz der Montage, der die Graphik der Zeitschrift nachhaltig prägt. Jeder Text ist in eine eigenständige künstlerische Gestaltung eingebettet, die wiederum mit dem Gesamtkontext des Heftes korrespondiert bzw. ihr zuwiderläuft. Besonders auffällig sind auch die umfangreichen Bildergalerien von deutschen und französischen Zeichnern, Fotographen und anderen bildenden Künstlern. Die Auswahl der Themen der jeweiligen Ausgaben wird von der Redaktion unter einen bestimmten Titel des Heftes gestellt, der nach keinen feststehenden Kriterien ausgewählt wird. Die Überschrift einer Ausgabe ist meist ein Begriff bzw. ein schlichtes Wort oder ein literarischer Titel („Le réel“, „Berlin Alexanderplatz“). Neben der Herausgabe des Magazins organisiert die Redaktion zweisprachige Lesungen und Veranstaltungen zu literarischen, philosophischen und soziologischen Themen in Deutschland und Frankreich. In der Zeitschrift publizieren junge Autoren wie renommierte Schriftsteller unter anderem Elfriede Jelinek, Jean-Pierre Faye, Elke Erb, Ann Cotten, Monika Rinck, Ron Winkler, Serge Pey, Christian Prigent, Andres Veiel, Yoko Tawada, Patrick Quillier, Johannes Jansen, Odile Kennel, Daniela Dröscher, Gilles Amalvi, Antoine Brea, Nina Bussmann und Arno Calleja. Die Ausgaben enthalten oftmals auch unveröffentlichte Texte der Autoren sowie eigenständige und erstmalige Übersetzungen von literarischen Texten. Susanne Götze Merle, Robert Der in Tebessa/ Algerien geborene Robert Merle (1908-2004), Sohn eines französischen Offiziers und Dolmetschers, der während des Ersten Weltkriegs starb, war Romancier, Dramatiker und Übersetzer. Als einer der ersten französischen Nachkriegsschriftsteller wählte Merle die Biographie eines Täters im NS-Deutschland als literarisches Thema. Merle absolvierte die Schullaufbahn und das Studium der Anglistik und Philosophie in Frank- Merve Verlag M 353 reich. Während eines Schulpraktikums in den USA begann er Deutsch zu lernen. Die Arbeit an der Dissertation zu Oscar Wilde wurde durch die Einberufung 1939 unterbrochen. In der Schlacht von Dünkirchen geriet er 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft, kam zunächst in ein Stalag bei Dortmund, später nach Stablack bei Königsberg. Im Lager nutzten ihm seine Deutschkenntnisse. 1943 kehrte er nach Frankreich zurück, arbeitete als Dozent an der Universität Rennes und beendete 1948 die Doktorarbeit. Als Professor erlebte er den Mai 1968 an der Pariser Universität Nanterre, schrieb darüber den Roman „Derrière la vitre“ (1970). Für seinen ersten Roman „Weekend à Zuidcoote“ erhielt er 1949 den Prix Goncourt . Darin verarbeitete er seine Kriegserlebnisse. Sein zweiter Roman „La mort est mon métier“ (1952) changiert noch deutlicher zwischen Authentizitätsanspruch und literarischer Fiktion. Darin enthüllt er gestützt auf historische Dokumente die Lebensgeschichte des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. In Frankreich wurde der Roman zunächst aufgrund des Tabubruchs, den Täter aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen, kaum beachtet und erst die Neuauflage von 1972 erfuhr deutliche Anerkennung. Rückblickend bezeichnete Merle seine Haltung in der Zwischenkriegszeit als die eines „analphabète politique“. In der Nachkriegszeit engagierte er sich u.a. als Präsident des Comité pour la solution pacifique du problème allemand in Rennes gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und für die Abrüstung Europas zur Verhinderung eines dritten Weltkrieges. Er war in den 1950er Jahren Anhänger der nouvelle gauche , wurde 1974 Mitglied der PCF, verließ die Partei aber wieder, als 1979 sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschierten. In seinen utopischen, bisweilen in Science Fiction übergehenden Romanen wird exemplarisch menschliches Verhalten in Krisensituationen geschildert: Das Überleben Schiffbrüchiger in „L’Île“ (1962, Prix de la Fraternité), der Missbrauch von Tieren in „L’animal doué de raison“ (1967), das Leben nach einem Atomschlag in „Malevil“ (1972), der Tausch der Geschlechterrollen in „Les hommes protégés“ (1976). Daneben ist Merle für die 13-teilige Reihe des Historienromans „Fortune de France“ (1977-2004) bekannt. Die Rezeption seiner Werke war im geteilten Deutschland sehr unterschiedlich. Sein erster Roman erschien 1949 bei Biederstein in München. „La mort est mon métier“ wurde im Westdeutschland der Adenauerzeit stark kritisiert; es gab keine Übersetzung. 1977 wurde der Roman unter dem Titel „Aus einem deutschen Leben“ mit Götz George in der Hauptrolle verfilmt. Im Osten Deutschlands erschien 1957 bei Aufbau „Der Tod ist mein Beruf“, die bis heute gültige Übersetzung von Curt Noch, allerdings ohne das Vorwort, in dem sich der Autor gegen die Angriffe in der westdeutschen Presse verteidigte. Nach dem erfolgreichen Debut fiel das Buch 1958 einer Phase ideologischer Verhärtung der DDR-Kulturpolitik zum Opfer (*Rezeption französischer Literatur in der DDR), wurde aber nach 1963 kontinuierlich neu aufgelegt. Mit seinen weiteren Werken erlangte Merle den Status eines ostdeutschen Bestseller-Autors. Im Westen Deutschlands wurden die Aufbau-Übersetzungen von verschiedenen Verlagen in Lizenz genommen. Bis heute findet er sich im Programm des Aufbau-Verlags. 2008 erschien zeitgleich zur deutschen Ausgabe von Jonathan Littells „Les Bienveillantes“ die 11. Auflage von „Der Tod ist mein Beruf“, mit dem er immer wieder verglichen wurde. Brigitte Heymann, Robert Merle. Vom Erfolg eines französischen Autors in der DDR. Eine rezeptionsgeschichtliche Studie, in: Dorothee Röseberg (Hg.), Frankreich und „Das andere Deutschland“. Analysen und Zeitzeugnisse , Tübingen 1999, S. 245-268; Pierre Merle, Robert Merle. Une vie de passions, Paris 2008. Sandra Schmidt Merve Verlag Der Merve Verlag (Berlin), der vor allem in den Bereichen *Philosophie, Medientheorie, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft arbeitet, hat eine herausragende Rolle bei der Entdeckung unbekannter französischer Philosophen und Medientheoretiker in Deutschland gespielt. Er wurde 1970 von Peter Gente, Merve Lowien, Rüdiger Möllering und Michael Kwiatkowski als sozialistisches Kollektiv gegründet, in das später Hanns Zischler eintrat. Der Schwerpunkt lag zunächst auf marxistischen Schriften: Das erste Buch des Merve Verlags war bezeichnenderweise Louis Althussers „Wie sollen wir ‚das Kapital’ lesen“; es folgten Schriften von Charles Bettelheim, Lucio Colletti Mey, Reinhard 354 M oder Toni Negri, die durch Merve in der Bundesrepublik bekannt wurden. Als Heidi Paris zu Merve stieß, löste sich das Kollektiv auf und es erfolgte eine Hinwendung zu den damals in Deutschland noch völlig unbekannten „neuen französischen Philosophen“, zu den Autoren der französischen Postmoderne und des Poststrukturalismus, die Merve berühmt machen sollten. 1977 wurden nach einem Besuch von Gente und Paris bei *Michel Foucault dessen Werke ins Verlagsprogramm aufgenommen. Weitere Entdeckungen waren Jean-François Lyotard, *Jean Baudrillard, Paul Virilio, Hélène Cixous (*Ariane Mnouchkine), Pierre Klossowski und Michel Serres; der meistverkaufte Merve-Titel wurde das berühmtberüchtigte „Rhizom“ von Gilles Deleuze und Félix Guattari. In jüngerer Zeit hat der Verlag mit den Werken von Alain Badiou, Jacques Rancière oder Nicolas Bourriaud seine Bedeutung im deutschfranzösischen Austausch auf den Bereich der Kunstwissenschaft ausgeweitet. Im Jahr 2001 erhielt der Verlag den Kurt-Wolff-Preis für sein verlegerisches Gesamtwerk, das Verlagsarchiv wurde 2006 vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe erworben. Heidi Paris starb 2002; Peter Gente verließ den Merve Verlag 2007. Sein Nachfolger wurde Tom Lamberty. Nicole Colin Mey, Reinhard Der in Berlin 1942 geborene Reinhard Mey ist ein deutscher Liedermacher, der in Frankreich unter dem Namen Frédérik Mey bekannt geworden ist (*Musik, populär). Seine enge Beziehung zu Frankreich ging seiner musikalischen Karriere im Nachbarland voraus. Früh hatten ihn die Eltern zu einer befreundeten französischen Familie in die Ferien geschickt. Es folgten ein Schüleraustausch und die Schulzeit am Lycée français in Berlin sowie die erste Ehe mit einer Französin, Christine. Ihr war auch das gleichnamige Lied auf seinem ersten französischsprachigen Album gewidmet. Die familiären Beziehungen zu Frankreich seit seiner Kindheit brachten ihm, der Klavierunterricht bekam und mit Jugendfreunden eine Band gegründet hatte, auch die Tradition des Chanson nahe. Georges Brassens ist eines seiner Vorbilder. Auf dem Chansonfestival im belgischen Knokke, auf dem er auch ein paar französische Stücke im Gepäck hatte, lernte Mey 1967 den französischen Musikproduzenten Nicolas Péridès kennen, mit dem er bis 1982 die sechs in französischer Sprache erschienenen Alben (Frédérik Mey Vol. 1-6) produzierte. Es war die Académie de la chanson française, die das erste französischsprachige Album prämierte, sodass Mey seinen ersten Musikpreis in Frankreich bekam und als erster ausländischer Sänger den Prix international de la chanson française gewann. In den 1970er Jahren füllte Frédérik Mey die Pariser Konzerthallen Bobino und Olympia mit den französischen Versionen seiner deutschen Erfolgsstücke „Bonsoir mes amis“, „Je suis fait de ce bois“ oder dem Lied vom mordenden Gärtner, auf Französisch: „L’assassin est toujours le jardinier“. 2005 erschien unter dem Titel „Douce France“ das siebte und bisher letzte Studioalbum mit seinen bekanntesten, in die französische Sprache übertragenen Liedern. Die lange Pause seit dem letzten französischen Album 1982 erklärte Mey, dreifacher Vater und in zweiter Ehe mit Hella Mey verheiratet, in einem Interview mit seinem Familienleben in Deutschland. Dennoch blieb er Frankreich verbunden. Das letzte Lied des Albums „Douce France“ erzählt in deutscher Sprache die Anfänge der deutsch-französischen Biographie des Sängers und ist zugleich eine Hommage an das Nachbarland: „Soviel hat der Junge, der da spielt, bei dir gelernt. Hat dich 100 mal verlassen, hat sich nie von dir entfernt. […] Manchmal, wenn ich an mir leide, dann machst du mich wieder heil. Von meiner schweren, dunklen Seele bist du der helle, der federleichte Teil. Douce France! “ Reinhard Mey (gemeinsam mit Bernd Schroeder), Was ich noch zu sagen hätte, Köln 2005. Silja Behre Minder, Robert Der in Wasselnheim/ Elsass geborene französische Germanist und Kulturhistoriker Robert Minder (1902-1980) gehört zu den wichtigsten Kulturvermittlern zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Sein Werdegang führt den Elsässer, der 1919 den deutschen gegen den französischen Pass eingetauscht hatte und bereits in den 1920er Jahren mit der Gründung einer Verständigungsgruppe an der École normale supérieure und anderen Aktionen zur deutsch-französischen Annäherung beigetragen hatte, über die Beschäftigung mit dem Minder, Robert M 355 romantischen Deutschland Ludwig Tiecks und Karl Philipp Moritz im Rahmen seiner Qualifikationsarbeiten (1936) und den Kriegseinsatz in der section allemande des französischen Informationsministeriums unter Leitung Jean Giraudoux (1939/ 40) zu einer interessanten Doppelkarriere nach 1945. In Frankreich war Minder mit dem Erscheinen des ersten Teils seines auf mehrere Bände angelegten kulturhistorischen Großprojekts „Allemagnes et Allemands“ (1948) schlagartig einer breiten französischen Öffentlichkeit als Deutschlandexperte bekannt geworden. Das Projekt war unvollendet geblieben und wurde später aufgrund seiner Anleihen bei der Stammesgeschichte stark kritisiert. Aber die Zeitgenossen hatten die kulturanthropologische Basis der Arbeit an nationalen Geschichtsbildern, die rückblickend den Status von Erinnerungsorten avant la lettre annehmen, enthusiastisch wahrgenommen. Seit 1951 war Minder als Professor an der Sorbonne, ab 1957 dann am Collège de France, zudem als Herausgeber der Zeitschrift *Allemagne d’aujourd’hui (1956/ 57) ein einflussreicher und maßgebender Protagonist einer soziohistorisch ausgerichteten Germanistik mit komparatistischer Perspektive. Im Jahr 1967 wurde er zum ersten Vorsitzenden der *AGES gewählt. Während Minder in Frankreich als Deutschlandexperte und Wissenschaftler galt, wurde er in Deutschland seit den 1960er Jahren zunehmend als Ideologiekritiker und Essayist gefeiert. Die deutsche Karriere des französischen Germanisten begann mit seinen Reden in der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur, in die er im März 1951 gewählt wurde, und in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt, deren korrespondierendes Mitglied Minder seit Frühjahr 1957 war. Seine Essays, die in den beiden Bänden „Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich“ (1962) und „Dichter in der Gesellschaft“ (1966) erschienen, wurden begeistert aufgenommen und gleichermaßen als kritische Beiträge zur Zeit und als Kabinettstücke deutscher Prosa gelesen. Bekannt geworden und viel diskutiert waren Minders ideologiekritische Positionen im Streit um das deutsche Lesebuch, seine Mentalitätskritik im Essay über das deutsche Pfarrhaus und die Sadomasochismus-Analyse im Essay zur Kadettenhausliteratur, vor allen Dingen aber seine soziolinguistische *Heidegger- Kritik, die ihn seit 1957 an die Seite Theodor W. Adornos brachte. Mit seinen Essays und Reden hatte sich Minder den Rang eines „Klassikers der deutsch-französischen Koexistenz“ erschrieben. Als er im Oktober 1969 die Frankfurter Buchmesse eröffnete, stellte die Fischer-Bücherei eine Auswahl von „Acht Essays zur Literatur“ zusammen. Programmatisch zugespitzt war 1968 unter dem Titel „Hölderlin unter den Deutschen“ eine Essayauswahl in der Edition „Suhrkamp“ erschienen. Bis zu seinem Tod war Minder in allen bekannten Reihen des Suhrkamp Verlags vertreten. Die neue Essaysammlung mit dem trotzigen Hölderlin-Titel „Wozu Literatur“ erschien 1971 an der Seite der bedeutendsten Autoren der Moderne in der Bibliothek Suhrkamp. Zu Minders 70. Geburtstag im Jahr 1972 sorgte Siegfried Unseld persönlich für eine Festschrift, die unter der Fragestellung „Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker“ zu einer Ortsbestimmung der Germanistik auf dem Höhepunkt ihrer Krise werden sollte. Minders Karriere als deutscher Essayist und Kritiker deutscher Befindlichkeiten war ebenso erstaunlich wie seine Bedeutung für die deutsche Germanistik. Es scheint, als wäre, wer in den 1970er Jahren an deutschen Universitäten germanistisch oder romanistisch ausgebildet wurde, an den Minderschen Essays nicht vorbeigekommen, deren unorthodoxe Methodik zu eigenen Versuchen anspornte und zwischen den verhärteten Fronten der Zeit dankbar als „dritter Weg“ akzeptiert wurde. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen ehren Minder: 1963 der Hebel-Preis des Landes Baden- Württemberg, 1964 der Preis für Germanistik des Auslands der Darmstädter Akademie, 1965 die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen, 1969 der Hansische Goethe-Preis der Alfred Toepfer Stiftung. Albrecht Betz, Richard Faber (Hg.), Kultur, Literatur und Wissenschaft in Frankreich und Deutschland. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder, Würzburg 2004; Anne Kwaschik, Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder, Göttingen 2008; Robert Minder, Überlegungen zu einer Methode, in: ders., Die Entdeckung deutscher Mentalität, hg. von Manfred Beyer, Leipzig 1992, S. 241-266. Anne Kwaschik ’ ’ Mnouchkine, Ariane 356 M Mnouchkine, Ariane Die 1939 in Boulogne-Billancourt geborene Ariane Mnouchkine ist die im deutschsprachigen Raum sicherlich bekannteste französische Theatermacherin, obwohl ihre Inszenierungen (bis auf eine Ausnahme) keinen direkten Bezug zu Deutschland aufweisen. Schon früh setzte Mnouchkine, die ihre erste Studententheatergruppe 1959 an der Sorbonne gründete, auf die kreative Arbeit im Kollektiv - womit sich ihre Theaterarbeit mit dem Théâtre du Soleil denkbar weit entfernt vom deutschen Stadttheatersystem, aber auch dem typisch deutschen Regietheater platziert. Orientierungspunkt für die créations ihrer internationalen Truppe bildete vor allem die Theatertraditionen des asiatischen Raums, die sie mit Elementen des Volkstheaters wie der Commedia dell’arte zu einer Art multikulturellem Spektakel zusammenfügt. Die Texte liefert ihr (neben Shakespeare und anderen Klassikern, deren Stücke sie mit ihrer Truppe kongenial bearbeitet und umsetzt) häufig die bekannte Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Hélène Cixous (*Merve Verlag). Die Einzigartigkeit des Théâtre du Soleil zog seit den späten 1960er Jahren das Interesse zahlloser deutscher Theaterkritiker und auch -wissenschaftler auf sich: Die Menge an Kritiken und wissenschaftlichen Publikationen zu Mnouchkine ist unübersehbar. Nachdem die deutschen Theaterbegeisterten bereits jahrelang in die Cartoucherie von Vincennes, wo sich Ariane Mnouchkine mit ihrem Théâtre du Soleil angesiedelt hatte, pilgerten, wählte sie 1979 ein einziges Mal einen typisch „deutschen Stoff“ aus: Klaus Manns Roman „Mephisto“, der zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland noch aufgrund einer einstweiligen Verfügung der Erben Gustaf Gründgens‘ verboten war. Der Schlüsselroman, der anhand des Karrierewegs des Schauspielers Hendrik Höfgen im Nationalsozialismus den Aufstieg Gründgens zu einem der wichtigsten NS-Vorzeige-Schauspieler problematisiert, diente Mnouchkine indes nur als modellhafte Vorlage. Wie die Regisseurin selber bemerkte, kannte sie Gründgens nicht einmal dem Namen nach und besaß auch ansonsten keine Kenntnis über die Instrumentalisierung bekannter deutscher Künstler durch die Nationalsozialisten. Sie versuchte daher auch nicht, sich in die deutsche Diskussion um das Verbot des „Mephisto“-Romans und die Rolle Gustaf Gründgens im Nationalsozialismus einzumischen, sondern weitete das Thema des Romans stattdessen auf die Frage des politisch verführten Künstlers an sich aus. Da auf Hinweise darauf, dass es solche „Typen“ auch im französischen Theater zur Zeit der NS- Besatzung gegeben hat, verzichtet wurde, grenzte sich Mnouchkines „Méphisto“ von der Auseinandersetzung französischer Theatermacher (wie z.B. Jean-Pierre Vincent) mit der Vergangenheit ihres Landes ab. Wenngleich die Bedeutung des Erfolgs der szenischen Bearbeitung Mnouchkines für die deutsche Rezeption des Romans nicht zu unterschätzen ist - so wurde „Mephisto“ in Folge der Inszenierung und der Publikation des Bühnentextes in Frankreich auch in Deutschland kurze Zeit später wieder freigegeben -, ist die vereinfachende, typisierende Auseinandersetzung des Théâtre du Soleil mit der Thematik des Romans durchaus als problematisch zu bezeichnen. Die komplexen Hintergründe des Romans blieben weitgehend unbeleuchtet. Das Stück endet, anders als seine Romanvorlage, im Jahr 1933 und lässt damit die Rolle der Hauptfigur im weiteren Verlauf offen - oder eben gerade nicht: Am Schluss der Inszenierung wurden Bilder aus Konzentrationslagern auf die Bühnenrückwand projiziert und damit die Schuldfrage eindeutig beantwortet. Der Skandal, den das Stück in Frankreich vor allem in der linken Szene auslöste, fußte freilich auf einem anderen Grund als in Deutschland. So wurde Mnouchkines kritische Fokussierung des Stückes auf die Frage, welche Rolle die Kommunisten bei der NS-Machtergreifung gespielt haben, als Frontalangriff gegen den PCF verstanden und löste auf dem Festival d’Avignon eine entsprechend heftig geführte öffentliche Debatte aus. Die in Deutschland durch die Inszenierung entfachten Diskussionen haben den Ruhm Mnouchkines weder befördert noch beeinträchtigt. Die *Vergangenheitsaufarbeitung ist nicht das Thema, mit dem sich die französische Theatermacherin in Deutschland einen Namen gemacht hat. Eher wäre hier der Film „Molière“ (1978) zu nennen, der nachhaltige Wirkung entfaltete. Die Internationalität ihrer Truppe, die in Deutschland unübliche Kollektivarbeit sowie ihre Inszenierung des Festes als Mittelpunkt des Theatralischen waren und sind Gründe, warum Mnouchkine weiterhin als unverwechselbare Ikone und Pionierin des europäischen Theaters gilt. Mode M 357 2011 zeichnete das *Goethe-Institut Ariane Mnouchkine mit der Goethe-Medaille aus. Josette Féral (Hg.), Ariane Mnouchkine & Das Théâtre du Soleil, Berlin 2003; Renate Klett, Das Theater du Soleil in Deutschland, in: Colette Godard, Francesca Spinazzi (Hg.), Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996, S. 63- 68; Ariane Mnouchkine, Méphisto. Le roman d’une carrière d’après Klaus Mann, Paris 1979; Ariane Mnouchkine, Mephisto [nach Klaus Mann „Mephisto - Roman einer Karriere“], München 1979; Anne Neuschäfer, De l’improvisation au rite: l’épopée de notre temps. Le Théâtre du Soleil au carrefour des genres, Frankfurt/ M. 2002; Eberhard Spangenberg, Karriere eines Romans. Mephisto, Klaus Mann und Gustav Gründgens, Reinbek bei Hamburg 1986. Nicole Colin Mode Nach 1944 änderte sich die Mode in Frankreich zunächst nicht tiefgreifend, doch sollte sie schon bald Gegenstand einer französischen Prestigepolitik werden. Vorerst blieb es jedoch vor allem wegen der Materialknappheit bei den schmalen, strengen, schulterbetonten, ein wenig kantig wirkenden kurzen Kleidern und Kostümen. Aber während der Krieg im übrigen Europa noch bis Mai 1945 tobte, war in Frankreich nach der Befreiung von der deutschen Besatzung im Sommer/ Herbst 1944 die Tendenz zu beobachten, sowohl den Franzosen als auch der übrigen Welt zu zeigen, dass die französische Hauptstadt immer noch kreativ, einfallsreich und damit Modehauptstadt sein kann. Die von führenden französischen Modedesignern organisierte richtungsweisende Ausstellung „Théâtre de la Mode“ wurde 1945/ 46 genau zu diesem Zweck ausgerichtet und reiste sowohl durch Europa als auch durch die USA. Sie war eine Modenschau im Miniformat und präsentierte Puppen aus Draht, dem einzigen verfügbaren Material damals, Gipsköpfe mit schön frisierten Haaren, bekleidet von führenden Modehäusern. Während Lebensmittel, Kohle, Kleider usw. zu den Mangelgütern gehörten und ihre Beschaffung den Alltag der Menschen bestimmte, gab diese Ausstellung Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Im Jahre 1947 begann nicht nur der Kalte Krieg, sondern auch die Ära des bis dahin noch unbekannten Christian Dior, der fortan die Mode Europas revolutionierte. Er zeigte seine erste Haute Couture-Kollektion, die von der amerikanischen Presse als „New Look“ bezeichnet wurde. Eine durch und durch feminine, üppige und kurvenbetonte Mode, die sofort ein Riesenerfolg war und fast überall nachgeahmt wurde. Die Linie unterschied sich deutlich von der Strenge der Vorkriegs- und Kriegsmode. Diors modischer Luxus stand für das Neue, für ein anderes Leben, das die Menschen nicht nur in Frankreich erhofften. Viel Kritik gab es, vor allem in Deutschland, wo man Diors Kreationen als Pariser Modediktat sah, auch weil sie sehr viel Material benötigten und sich diesen Luxus kurz nach dem Krieg keiner leisten konnte. Doch diese Kritik blieb fast ohne Wirkung, vielmehr ließen sich auch deutsche Modedesigner von der Entwicklung in Paris inspirieren. Der aus Berlin stammende Heinz Oestergaard, einer der bedeutendsten deutschen Modedesigner der Nachkriegszeit, wollte für die Trümmerfrauen eine eigene Mode herstellen und ahmte den „New Look“ nach, bis er seine eigene Richtung fand: Luftig elegante Kleider! Die Devise lautete „aus alt mach neu“. Dafür benutzte er Fahnenstoffe, Fallschirmseide und Decken aus Lagerbeständen der Wehrmacht, genauso wie Flickenstoffe, Bettzeug und alte Kleider. Doch langsam kamen auch neue Stoffe auf den Markt: Synthetik, die den Glanz und die Beschaffenheit von Seide und Taft besaß. In den 1950er Jahren setzten sich in Frankreich die Männer in der Modebranche durch, was repräsentativ für das herrschende gesellschaftliche Klima war. Doch schon bald sahen sie sich einer weiblichen Konkurrenz ausgesetzt: Coco Chanel, die nach der libération als Kollaborateurin verhaftet worden war - sie hatte ein Verhältnis zu einem deutschen Besatzungsoffizier -, kehrte in den 1950er Jahren aus ihrem Schweizer Exil nach Frankreich zurück und arbeitete hart an ihrem Comeback. Sie kritisierte heftig die Kreationen ihrer männlichen Kollegen und vor allem jene von Dior. Er kleide Frauen wie Transvestiten und mache aus ihnen Phantasiegeschöpfe, die nicht die wahren Frauen repräsentieren würden, meinte Chanel. Wenn auch ihre Geschäfte anfänglich nicht wie vor dem Krieg blühten, erreichte sie doch Ende der 1950er Jahre neuen Ruhm in Amerika, als das Chanel-Kostüm seinen Siegeszug antrat. In Deutschland gab es seit Ende der 1950er Jahre zwei Hauptakteure des Fashion Design . Uli Richter eröffnete 1959 auf dem Berliner Kurfürs- Moreau, Jean-Charles 358 M tendamm sein eigenes Modehaus; die Sportlichkeit seiner Mode wurde geschätzt, was ihn als erster deutscher Modeschöpfer in die französische „Vogue“ führte. Avantgardistisch für Deutschland war auch seine prêt-à-porter-Kollektion, die ihn in der ganzen Welt bekannt machte. Internationales Echo erfuhr auch die aus Hamburg stammende Jil Sander, die sich den Ruf einer „Queen of less“ erwarb. 1974 stellte sie ihre erste Kollektion vor, die minimalistisch, aber von hochwertiger Qualität und in Deutschland ein Riesenerfolg war. In Paris stieß sie bei der Präsentation ihrer puristischen Mode 1975 auf wenig Gegenliebe, doch bescherte der 1976 vorgestellte Zwiebel-Look ihr den internationalen Durchbruch. In Paris übernahm nach Diors Tod 1957 der 21-jährige Yves Saint Laurent die Leitung des Hauses. Er brachte im Jahre 1958 die Trapezlinie auf den Markt, die zum krassen Gegenteil der Mode von damals und zum Synonym der 1960er Jahre werden sollte. 1962 eröffnete YSL jedoch sein eigenes Modehaus und blieb bis zu seinem Tod eine Inspiration für die Modedesigner der ganzen Welt. Bereits im Jahre 1953 verließ ein junger Deutscher gemeinsam mit seiner Mutter seine Heimatstadt Hamburg und kam nach Paris, wo er anfangs noch zur Schule ging, doch schon bald als Illustrator in der Modebranche zu arbeiten begann. Im Jahre 1955 gewann Karl Lagerfeld mit einem Wollmantel einen Preis in einem Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats IWS, der ihm eine erste Stelle bei Pierre Balmain einbrachte. YSL gewann im selben Wettbewerb den Preis in der Kategorie „Abendkleid“, doch aus der anfänglichen Freundschaft zwischen beiden wurde schnell Rivalität. Lagerfeld wechselte 1958 zu dem französischen Modeschöpfer Jean Patou und fing 1963 bei Chloé als Chefdesigner an, wo er 20 Jahre arbeitete. 1965 wurde er von den Fendi-Schwestern als Designer engagiert, wo er heute immer noch tätig ist. 1985 ließ die ruhmreiche Firma Chanel Lagerfeld freie Hand, und er stürzte sich hemmungslos auf den berühmten Namen, um ihn vom Staub zu befreien, den er seit dem Tod von Mademoiselle Coco angesetzt hatte. Durch diese Mode-Ehe erwarb sich Karl Lagerfeld großen Ruhm. Ende der 1980er Jahre entdeckte er Claudia Schiffer, die 1988 das erste Mal für Chanel den Laufsteg betrat und von Lagerfeld zu einer „neuen Bardot“ gemacht wurde. Durch ihr Auftreten und ihre unbestrittene Schönheit („la beauté allemande“) korrigierte sie in gewisser Weise ein antiquiertes Bild der deutschen Frau in Frankreich. Paris bleibt bis heute die globale Modehauptstadt, doch nimmt Berlin seit einigen Jahren einen neuen Anlauf, sich als Modestadt einen Namen zu machen. Der Mauerbau 1961 hatte Westberlin von der internationalen Modeentwicklung abgeschnitten: die „Berlin Durchreise“, eine der ältesten Modemessen der Welt, konnte wegen der Mauerbau nicht mehr stattfinden, und viele Berliner Modedesigner verließen die Stadt, um sich in München, Stuttgart oder Düsseldorf niederzulassen. Nach dem Mauerfall etablierten sich wieder kleine Labels in Berlin, die jedoch an der Grenze der Profitabilität arbeiteten. Eine neue Dynamik brachten 2003 die „Bread and Butter Messe“ und 2007 die „Fashion Week Berlin“, die jedoch die Führungsposition von Paris im Bereich der Haute Couture noch nicht ankratzen. Nadine Barth, German Fashion Design (1946-2012), Berlin 2011; Gertrud Lehnert, Peter Delius, Geschichte der Mode im Zwanzigsten (20.) Jahrhundert, Köln 2000; Hal Vaughan, Coco Chanel - der schwarze Engel: ein Leben als Nazi Agentin, Hamburg 2011; Brigitte R. Winkler, Weltmeister der Mode. Von Armani bis Yamamoto, Wien 1995. Sabrina Minier, Belgi Tarakcioglu Moreau, Jean-Charles Der aus Dôle/ Jura stammende Jean-Charles Moreau (1915-2002) war eine wichtige Persönlichkeit im Auf- und Ausbau der deutsch-französischen Kultur- und *Jugendbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Leiter der Abteilung Jugend und Volkshochschulen der von *Raymond Schmittlein geleiteten Direction de l’éducation publique (DEP) war er innerhalb der französischen Besatzungsregierung in Deutschland für die außerschulische Erziehung der deutschen Jugend zuständig. Nach seinem rechtswissenschaftlichen Studium in den 1930er Jahren in Paris hatte Moreau als Panzeroffizier im Krieg gegen die Deutschen gekämpft und wurde verletzt. Nach dem Waffenstillstand im Juni 1940 gehörte er zum „Staatssekretariat für Jugendfragen“. 1942 avancierte er zum Leiter des „Büros für Jugendbewegungen“. Bei Kriegsende wurde Moreau ins Erziehungsministerium in Paris übernommen und erhielt im Som- Mortier, Gérard M 359 mer 1945 das Angebot, innerhalb der französischen Besatzungsregierung die Umerziehung der deutschen Jugend mitzugestalten. Seine Begegnungserfahrungen mit deutschen Studenten in Paris in den 1930er Jahren sowie die Lektüre von *Joseph Rovans Aufsatz „L’Allemagne de nos mérites“ bewogen ihn, diese Aufgabe mitzugestalten. Vorrangige Aufgabe der DEP war es auf diesem Feld, eine Pluralisierung der Jugendverbände nach der „Gleichschaltung“ der deutschen Jugend während des „Dritten Reiches“ zu erreichen und die deutschen Jugendlichen für die Demokratie zu gewinnen. Eine Neuerung im Rahmen der französischen Kulturpolitik stellte dabei die Initiierung internationaler Begegnungen dar, um die Demokratisierung und die deutsch-französische *Versöhnung zu fördern. Die Austauschtreffen begannen im Jahr 1946 in der französischen Zone. Ferner kamen internationale Studententreffen und seit 1947 Treffen von Spezialisten hinzu. Ihren Höhepunkt erreichten die Austauschbegegnungen im Sommer 1951 mit dem Europäischen Jugendtreffen auf der Loreley, bei dem 35 000 Jugendliche zusammentrafen. Diese Veranstaltung war zugleich Höhepunkt und Ende einer Ära der von den Franzosen initiierten Jugendtreffen, deren Frequenz infolge von finanziellen Kürzungen drastisch heruntergefahren wurde. Als bekennender Europäer engagierte sich Moreau für die Ende 1951 mit großem Schwung gestartete „Campagne européenne de la jeunesse“ (CEJ). Sie war eine private Initiative des Mouvement européen und auch als Reaktion auf die kommunistischen Weltfestspiele 1951 gegründet worden. Von 1951 bis 1953 leitete Moreau das Generalsekretariat, trat aber dann resigniert zurück. Die Europäische Jugendkampagne scheiterte, und die westeuropäischen Jugendverbände setzten sich erfolglos für die Bildung eines europäischen Jugendrings ein. Ab 1953 wirkte er von Paris aus als Leiter der Abteilung Internationale Begegnungen in der Kulturabteilung des Quai d’Orsay in diese Richtung. Ferner unterstützte er die Austauscharbeit privater Organisationen in Deutschland und Frankreich, die wiederum zur Realisierung des internationalen Austausches beitragen wollten und sollten. Die Abteilung Internationale Begegnungen entwickelte sich in den 1950er Jahren vor allem zum Koordinierungsbüro für internationale Begegnungen und leistete damit eine Arbeit, die ab 1963 das *DFJW übernahm, zu dessen Gründungsvätern Moreau folglich gerechnet werden muss. Ab den 1960er Jahren verfolgte er die Arbeit aus Algerien, wo er für den Quai d’Orsay tätig war. Jacqueline Plum, Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1955. Jugendpolitik und internationale Begegnungen als Impulse für Demokratisierung und Verständigung, Wiesbaden 2007. Jacqueline Plum Mortier, Gérard Der große Opern-, Festspielintendant und Kulturmanager Gérard Mortier ist ein überzeugter Europäer und setzte sich im Laufe seiner Karriere unermüdlich dafür ein, bedeutende Werke der europäischen Kultur über ihre nationalen Grenzen hinweg bekannt zu machen. Dabei glaubt der in Gent geborene Mortier (1943-2014) an eine europäische Identität, die nicht erst geschaffen werden muss, da sie bereits existiert. Allerdings ist sich der europäische Bürger dessen nicht unbedingt bewusst, kann diese europäische Identität jedoch gerade über die Kunst und im Besonderen durch die Oper entdecken. Trotz oder vielleicht gerade aufgrund dieser Auffassung steht Mortier der europäischen Politik äußerst kritisch gegenüber: „Beim Aufbau Europas wurde die Kunst immer links liegen gelassen. Man organisiert große Kolloquien über die Bedeutung der Kultur, doch bleibt es bei schönen Worten. In der Realität müsste *ARTE weiterentwickelt werden, um die europäische Dimension der Kunst in den Vordergrund zu rücken […]. Die Politiker glauben immer, dass die Kultur nur ein Anhängsel sei, dabei ist sie das Wesen selbst unserer Zivilisation“. Nachdem er ursprünglich Jura und Kommunikationswissenschaften studiert hatte, wurde er 1968 Direktionsassistent beim Flandern Festival. Danach verlief seine Karriere in erster Linie in deutsch- und französischsprachigen Ländern: Zwischen 1973 bis 1980 leitete er die Betriebsbüros von Christoph von Dohnányi und *Rolf Liebermann in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Paris. Im Jahre 1981 übernahm er die Leitung der Brüsseler Oper, bevor er zehn Jahre später Intendant und künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele wurde. Zwischen 2002 und 2004 stand er an der Spitze der ersten Ruhrtriennale und leitete zwischen 2004 und 2009 die Pariser Oper. Mounier, Emmanuel 360 M Zwischen 2010 und 2013 war Mortier Intendant des Teatro Real, der Oper von Madrid. An all diesen Orten lag es Mortier ganz besonders am Herzen, ein breiteres und vor allem auch jüngeres Publikum anzusprechen, das zeitgenössische europäische Musikrepertoire zu fördern sowie die von ihm geleiteten Opernhäuser bzw. Festspiele dem modernen Regietheater gegenüber zu öffnen. So trug er als wahrer Mittler zwischen den Kulturen wesentlich dazu bei, bedeutende Werke des französischen Repertoires im deutschen Sprachraum bekannt zu machen, (und zwar sowohl Barockopern wie etwa „Les Boréades“ von Jean-Philippe Rameau als auch Kompositionen des 20. Jahrhunderts wie z.B. „Saint François d’Assise“ von Olivier Messiaen) und umgekehrt (z.B. „Cardillac“ von Paul Hindemith oder „L’Espace dernier“ von Matthias Pintscher). Außerdem lud Mortier viele französische Interpreten zu den Salzburger Festspielen oder zur Ruhrtriennale ein und engagierte umgekehrt deutsche Musiker und Regisseure an die Brüsseler sowie die Pariser Oper. Alain Dauchot, Gérard Mortier L’opéra, miroir de nos âmes européennes, in: Esprit Libre, 40 (Mai 2006). Silvia Berutti-Ronelt Mounier, Emmanuel Der in Grenoble geborene Emmanuel Mounier (1905-1950) wurde 1932 als Gründer der Zeitschrift „Esprit“ bekannt. Zugleich gehörte er zu den Initiatoren des französischen Personalismus, der sich als kritische Alternative zu individualistischen, kommunistischen und faschistischen Denkrichtungen verstand. Nach 1945 engagierte er sich umgehend für die deutsch-französische Annäherung. Er war agrégé de philosophie und nährte sein philosophisches Denken durch die Lektüre des Heiligen Thomas, Blaise Pascal, Charles Péguy, Jacques Maritain und Henri Bergson. Er teilte mit anderen Philosophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Nicolas Berdiaeff, Martin Buber, Max Scheler u.a. die Idee, dass die Freiheit der Entscheidung das Grundprinzip menschlichen Lebens darstellt. Der Personalismus bei Mounier zeichnete sich durch seinen mitreißenden und engagierten Charakter aus. Er selber pflegte ein einfaches Leben und war nicht nur ein Christ, der den Dialog suchte und seine Kraft aus Evangelium und Gebot zog, sondern auch ein handelnder, kämpferischer, aber auch unbequemer Denker, der sich zum Nachdenken zurückzog. Im Kontakt mit Péguy lernte er, bestehende Werte in Frage zu stellen und lehnte es daher auch ab, sich in die „universitäre Röhre“ zu begeben. Er kritisierte nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 die verheerenden Folgen des Kapitalismus und die Deformation der westlichen Zivilisation, deren Ursprünge in einer geistigen Krise zu suchen seien. Aus diesem Grund propagierte er die personalistische Revolution: den Menschen befreien, um einen neuen Menschen zu schaffen. Diese Bewegung entstand im Kontext der Zeitschrift „Esprit“ und stellte eine Art Experimentierort für eine neue Zivilisation, einen Ort der Begegnung und Konfrontation zwischen Gläubigen und Ungläubigen dar. Der Einfluss von Paul-Louis Landsberg (1901-1944), deutscher Philosoph jüdischer Konfession, der zum Katholizismus konvertiert war und im Konzentrationslager Sachsenhausen ums Leben kam, bewog „Esprit“ zum Handeln: Als der Front populaire 1936 in Frankreich an die Macht kam, wurde „Esprit“ eine politische Zeitschrift. Gleichwohl lehnte es Mounier ab, politisch festgelegt zu werden: Er war weder rechts noch links, weder Faschist noch Stalinist, trotz seines politischen Engagements, das zu polemischen Reaktionen herausforderte. Während des Zweiten Weltkriegs, nachdem er anfänglich Sympathien für die Jugendpolitik des Vichy-Regimes gezeigt hatte, wandte er sich jedoch schnell von Pétain ab. Er nahm Kontakt zur Résistancegruppe Combat auf, und im August 1941 wurde „Esprit“ verboten. Zugleich wurde er selber inhaftiert, nach einem Hungerstreik jedoch wieder freigelassen. Ende 1942 ließ er sich im Département Drôme nieder. Zu Kriegsende war Mounier von der Schlüsselrolle Deutschlands in einem zukünftigen Europa überzeugt und gehörte zu den ersten, die den Deutschen die Hand zur Versöhnung reichten. Er publizierte in der wiedergegründeten Zeitschrift „Esprit“ grundlegende Beiträge über Deutschland, so die Artikelserie „L’Allemagne de nos mérites“ von *Joseph Rovan, der während des Krieges nach Dachau deportiert worden war. Er war in der Tat der Meinung, dass Frankreich eine moralische und geistige Führerrolle bei dem Versuch zukomme, ein neues Deutschland aufzubauen, das die Wurzeln der NS-Ideologie und eines großdeutschen Nationalismus ausgerissen Müller, Heiner M 361 habe, um auf diese Weise der jungen Generation neue Werte zu vermitteln und eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Die Extraausgabe „Les Allemands parlent de l’Allemagne“, die Zeitzeugenaussagen veröffentlichte, welche Mounier auf Grundlage eines Fragebogens während seiner Deutschlandreise im Winter 1946/ 47 gesammelt hatte, richtete sich an die Franzosen und sollte ihnen einen Eindruck von der Realität im Nachkriegsdeutschland geben. Mounier kehrte mehrmals nach Deutschland zurück und beteiligte sich aktiv an verschiedenen Veranstaltungen, so beispielsweise am *Deutsch-Französischen Schriftstellertreffen in Lahr im Jahre 1947 oder am internationalen Jugendkongress im Juni 1948 in München. Freundschaftliche Beziehungen nahm er mit Eugen Kogon und Walter Dirks auf, den beiden Herausgebern der „Frankfurter Hefte“, die ähnliche Ziele wie „Esprit“ verfolgten. Um der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen zu dienen, ergriff er 1948 die Initiative zur Gründung des *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle, das den Austausch und die Begegnung zwischen den beiden Nachbarn verstärken sollte und *Alfred Grosser zu seinem Generalsekretär machte. Diese Austauscharbeit - bis zu seiner Auflösung im Jahre 1967 - schuf den geistigen Nährboden für die sich im Aufbau befindlichen deutsch-französischen Beziehungen. 1949 erschien erstmals das Bulletin „Allemagne“, das sich zur Aufgabe machte, über die Aktivitäten des Comités zu informieren. Als der Vielschreiber Mounier 1950 an seinem Schreibtisch tot zusammenbrach, berichteten alle westdeutschen Zeitungen über sein Ableben. Dabei wurde weniger an den personalistischen Philosophen erinnert und seine Ideen von einem dritten Weg in Deutschland fanden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur wenig Echo. Stattdessen würdigte man ihn als den christlichen Denker einer geistigen Revolution und den Europäer, der sich für die Aussöhnung und den Frieden eingesetzt hatte. Œuvres de Mounier I-IV, Paris 1961/ 62; Pierre de Senarclens, Le Mouvement „Esprit“ 1932-1941. Essai critique, Lausanne 1974; Alfred Grosser, Emmanuel Mounier und das Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle, in: Deutsch-Französisches Institut (Hg.), Über die Freundschaft hinaus ... Deutsch-französische Beziehungen ohne Illusionen, Stuttgart 1988, S. 21-30; Christiane Falbisaner, Emmanuel Mounier et l’Allemagne, in: Revue d’Allemagne 21 (1989) 2, S. 257-279. Christiane Falbisaner-Weeda Müller, Heiner Der in Eppendorf (Sachsen) geborene Heiner Müller (1929-1995) nimmt im französischen Theaterfeld eine besondere Position ein: Nach *Bertolt Brecht und Thomas Bernhard steht der (Ost-) Deutsche hier an dritter Stelle der am häufigsten gespielten deutschsprachigen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Die erste Inszenierung eines Müller-Stückes auf einer französischen Bühne fand 1970 am Ensemble théâtral de Gennevilliers (ETG) statt: *Bernard Sobel zeigte Müllers „Philoktet“, die Aufführung erregte allerdings kein besonders großes Aufsehen in der französischen Presse. Als eigentlicher Beginn der Müller-Rezeption in Frankreich ist daher das Volksbühnen- Gastspiel der „Schlacht“ des Regie-Duos Manfred Karge und *Matthias Langhoff 1976 am Théâtre national populaire (TNP) in Villerbanne zu werten. Das in deutscher Sprache präsentierte Stück wurde parallel von vier Schauspielern in französischer Übersetzung vorgetragen. Der Zeitpunkt der „Entdeckung“ Müllers in Frankreich fällt insofern fast mit dem seiner Anerkennung in Deutschland zusammen, wo Müller 1961 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen worden war und sich erst Anfang der 1970er Jahre langsam retablieren konnte. Während *Sobel sowohl Müller selbst als auch dessen Stück „Philoktet“ aus seiner DDR- Zeit als *Brecht-Schüler kannte, war das Gastspiel von Karge/ *Langhoff durch *Michel Bataillon initiiert worden, der engen Kontakt zu den beiden ostdeutschen Regisseuren pflegte. Ebenfalls 1976 lernte *Jean Jourdheuil Heiner Müller in Berlin kennen, den er um die Erlaubnis zur Übersetzung seiner Stücke bat. Was als zufällige Begegnung begann, sollte sich zu einem fruchtbaren Arbeitsverhältnis entwickeln und dafür sorgen, dass Heiner Müller in ganz Frankreich - nicht nur in Paris - bekannt wurde: *Jourdheuil fungiert seitdem als Übersetzer und zuweilen Regisseur der Texte Müllers ins Französische; darüber hinaus arbeitet er aber auch als Agent für ihn. Aufgrund seiner Schwierigkeiten mit Robert Voisin, dem Leiter des auf deutschsprachige Dramatik spezialisierten Verlags *L’Arche, vermittelte *Jourdheuil Müller zu den Éditions de Minuit, die seit 1979 dessen Texte in französischer Übersetzung herausgeben. Außer- Musik, ernste 362 M dem verwaltet *Jourdheuil die Vergabe von Aufführungsrechten an französischsprachige Bühnen (auch in Belgien und der Schweiz). Seine Inszenierungen von „Mauser“ und „Hamlet-Machine“als französische Erstaufführungen 1979 in Saint-Denis bedeuteten für Heiner Müller den endgültigen Durchbruch im französischen Theater. Einen weiteren Höhepunkt bildete das Montage-Projekt „De l’Allemagne“ 1983 im Petit Odéon unter Leitung von *Jourdheuil und Jean-François Peyret: vier Abende mit jeweils einstündigen szenischen Lesungen von Texten Heiner Müllers, bei denen der Autor zudem selber mitwirkte. Weitere wichtige Inszenierungen in Frankreich waren *Patrice Chéreaus „Quartett“ von 1985 und die 1987 auf dem Festival d’Automne - wohlgemerkt in englischer Sprache - präsentierte „Hamletmachine“ von Bob Wilson. 1989 zeigte *Matthias Langhoff auf dem Festival d’Avignon eine Inszenierung von Müllers „La Mission“ zusammen mit Arthur Schnitzlers „Le Perroquet vert“, die in der französischen Presse begeistert besprochen wurde. Ohnehin galt *Langhoff vielen Franzosen aufgrund seiner Herkunft gewissermaßen als genuiner „Müller-Experte“. Zu Beginn der 1990er Jahre hatte Müller eine Avantgarde-Position im théâtre public inne; insbesondere jungen Regisseuren dienten seine Theatertexte als Karrieresprungbrett. Diese Position basierte - in Deutschland wie in Frankreich - nicht zuletzt auf seinem Status einer Symbolgestalt linken Denkens; sie war nicht nur seinen Stücken, sondern auch seinem Auftreten als Intellektuellem geschuldet. Nach der Wiedervereinigung galt Müller in Frankreich - anders als *Brecht - nicht als deutscher Autor per se, sondern wurde weiterhin im deutsch-deutschen Kontext verortet. 1991 erreichte die französische Müller-Rezeption auf dem Festival d’Avignon einen neuen Höhepunkt, als Müller regelrecht zur Hauptfigur des gesamten Festivals avancierte: *Jean Jourdheuil und Jean- François Peyret präsentierten unter dem Titel „Le Cas Müller“ ein Triptychon aus „Hamlet-Machine“, „Rivage à l’abandon/ Matériau Médée/ Paysage avec Argonautes“ und „Quartett“ in multimedialer Umsetzung. Den inzwischen hauptsächlich als Regisseur arbeitenden Müller sahen die Franzosen als Theatermann par excellence an. So verwundert es kaum, dass er 1994, nach *Ariane Mnouchkine und Peter Brook sowie Giorgio Strehler, den Prix Europe pour le théâtre erhielt. Anlässlich Müllers Tod Ende 1995 fanden sich auch in der französischen Presse seitenlange Nachrufe, die seine grundlegende Bedeutung für das französische Theater unterstreichen und zeigen, wie fest Müller in den 1990er Jahren im französischen Feld verankert war. 1996 fand in Kooperation des *Goethe-Instituts und der Vidéothèque de Paris eine Hommage an Müller statt, an deren Planung und Ausführung *Jean Jourdheuil und *Alexander Kluge beteiligt waren. Auf dem Festival d’Avignon wurde Müller 1996 posthum mit der Präsentation seiner letzten Inszenierung am *Berliner Ensemble (BE) geehrt: *Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ mit Martin Wuttke in der Hauptrolle; im Oktober des gleichen Jahres zeigte der deutsch-französische Sender *ARTE eine Aufzeichnung der Inszenierung. 1996 erschien die Müller-Autobiografie „Krieg ohne Schlacht“ in französischer Übersetzung („Guerre sans bataille“); außerdem wurden in den Jahren nach seinem Tod einige seiner frühen Stücke in französischer Sprache herausgegeben, zu denen es bisher noch keine Übersetzung gegeben hatte. Wenngleich die Bedeutung des Autors in Frankreich nach seinem Tod insgesamt abgenommen hat, sind seine Stücke hier noch immer präsenter als die der meisten anderen nicht-frankophonen Dramatiker. Académie Expérimentale des Théâtres (Hg.), Heiner Müller. Généalogie d’une oeuvre à venir, in: Théâtre/ Public 160/ 161 (Juli-Oktober 2001) [Sondernummer]; Florence Baillet, Heiner Müller, Paris 2003; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Karin R. Gürttler, Die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich (1945-1990). Autoren und Werke im Spiegel der Kritik, Bern u.a. 2001; Jean Jourdheuil, Traduire - mettre en scène, Allemagne - Müller, in: Documents 1 (1992), S. 112ff. [deutsche Version in: Colette Godard, Francesca Spinazzi (Hg.), Theaterwege, Berlin 1996]; Nikolaus Müller-Schöll, Factory Lyonnaise. In Frankreich ist Heiner Müller zu einer Leitfigur für junge Regisseure geworden, in: Theater der Zeit, Heft 1/ 2003, S. 34-35. Patricia Pasic Musik, ernste Der Bereich der ernsten Musik - verstanden in Abgrenzung zur *Populärmusik als institutionell vielfach verankerte Pflege eines sich vor allem aus einem historisch weit gespannten Fundus speisenden Repertoires von Kunstmusik - stand in den deutsch-französischen Kulturbeziehun- Musik, ernste M 363 gen nach 1945 unter einer mehrfachen Hypothek. Zum einen war die von Anziehungs- und Aneignungsphänomenen geprägte wechselseitige Rezeption der jeweils als mehr oder weniger „national“ wahrgenommenen Musiktraditionen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer wieder durch politische Rahmenfaktoren negativ aufgeladen worden - am stärksten bei der aus ästhetischen Gründen ohnehin polarisierten Rezeption Richard Wagners in Frankreich, dessen die französische Musik zeitweise beinahe überstrahlenden, ungemein populären Werke nach der Niederlage von 1871 sowie noch strikter während des Ersten Weltkrieges in Frankreich einem Bann unterlagen. Zum andern hatte das NS-Regime - nachdem etwa der Locarno-Vertrag von 1925 auch musikalische Annäherungen ermöglicht hatte - während der Okkupation Frankreichs französische Musik in Deutschland zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt und zugleich versucht, die deutsch-österreichische Musiktradition im besetzten Frankreich für kulturelle Vereinnahmungsversuche zu instrumentalisieren. Ausgehend von diesen komplexen historischen Codierungen versuchte die französische Besatzungsmacht in Deutschland 1945 mit einer breit angelegten Musikpolitik den deutschen Musikenthusiasmus zu nutzen, um einen chauvinistischen Kulturdünkel auszuhebeln, den man als Vorbedingung der Rassenideologie und gerade in der Musik als immanent erachtete. Um die Deutschen zu Toleranz und Weltbürgertum umzuerziehen, praktizierte man in der französischen Besatzungszone eine Zensur des Musiklebens und organisierte in allen drei westlichen Besatzungszonen bis zu 2 500 Konzerte, in denen durch die Einbindung sowohl eines bis zur zeitgenössischen Musik reichenden französischen als auch des deutsch-österreichischen Repertoires nationale Zuschreibungsmuster aufgebrochen werden sollten. Verflochten war diese Umerziehungspolitik bis 1949 auch mit dem als Einrichtung der französischen Besatzungsmacht installierten Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden. Dieser Sender nahm und nimmt in der Pflege französischer Musik seither eine bedeutende Rolle ein. Grundlegend wirkte hierbei der erste Leiter der Musikredaktion, Heinrich Strobel, der als Mittlerfigur die Rezeption französischer Musik im Westdeutschland der Nachkriegsjahrzehnte nachhaltig vorantrieb. U.a. förderte er *Pierre Boulez und gewann mit Ernest Bour einen Franzosen für die Leitung des SWF- Sinfonieorchesters, dessen Nachfolgeorchester seither immer wieder von französischen Dirigenten geführt werden (1999-2011 Sylvain Cambreling, seit 2011 François-Xavier Roth). Umgekehrt leiteten und leiten immer wieder Deutsche französische Orchester, so etwa Christoph Eschenbach das Orchestre de Paris und Kurt Masur das Orchestre national de France, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch in den Biografien weiterer bedeutender Dirigenten des 20. Jahrhunderts verbanden sich die deutsche und französische kulturelle Sphäre. So etwa bei dem 1891 in Straßburg geborenen Charles Münch, der nach Kriegsteilnahme im deutschen Heer französischer Staatsbürger wurde und in beiden Ländern in renommierten Positionen wirkte, u.a. ab 1938 als Leiter der Société des concerts du conservatoire de Paris, wobei er sich der Kollaboration mit den Nationalsozialisten verweigerte. Oder bei dem belgischfranzösischen Orchesterleiter André Cluytens, der 1955 als erster französischer Dirigent bei den Bayreuther Festspielen debütierte und mit den Berliner Philharmonikern eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Sinfonien einspielte. Unmittelbar nach Kriegsende ist eine anfängliche Reserviertheit des französischen Konzertpublikums gegenüber deutschen Interpreten und deutsch-österreichischer Musik festzustellen, die offenbar relativ rasch wieder abklang. So wurden Gastspiele Walter Giesekings und Wilhelm Furtwänglers in Paris bereits im Frühjahr 1948 enthusiastisch aufgenommen. Zusammenfassend ließe sich die wechselseitige Wahrnehmung in den ersten Nachkriegsjahrzehnten thesenhaft dahingehend zuspitzen, dass in der Rezeption deutschösterreichischer Musik in Frankreich das tradierte Repertoire bis zur Romantik im Vordergrund blieb, während auf deutscher Seite das zuvor verengt rezipierte Spektrum deutlich geweitet wurde. Insbesondere im Feld der Neuen Musik sind Transfers aus Frankreich festzustellen. So waren *Karlheinz Stockhausen, Schüler Olivier Messiaens, und *Pierre Boulez auf den exponierten Foren des Austausches, den Donaueschinger Musiktagen sowie den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt regelmäßige Impulsgeber. Der politisch-gesellschaftliche Aussöhnungsimperativ ab den 1960er Jahren gab auch im Be- Musik, populäre 364 M reich der ernsten Musik neue Anstöße und verbesserte die Rahmenbedingungen. Wirksam blieben nach wie vor primär Logiken des Repertoires, etwa das Gewicht des deutsch-österreichischen Fundus in der Streichquartett-Literatur, sowie des teils stark traditionsorientierten Interesses bestimmter Rezipientengruppen. So nehmen Opern des französischen Repertoires an Bühnen im deutschsprachigen Raum nach wie vor eher geringen Raum ein und die Rezeption als charakteristisch französisch wahrgenommener Musikästhetik bleibt - trotz Propagierung etwa durch Anne-Sophie Mutter oder ausgeprägte Präsenz auf prominenten Plattformen wie etwa dem Rheingau Musik-Festival - in Deutschland tendenziell limitiert. Eine merkliche Veränderung des Repertoirespektrums bewirkte indes die Originalklangbewegung, die in beiden Ländern zu einer Erweiterung des Repertoire-Fundus und zu einer Renaissance „Alter“ Musik führte. Dabei sind zwar deutsch-französische Rezeptionsprozesse festzustellen, Kategorisierungen des Nationalen greifen bei diesen Musiken jedoch noch weniger als beim tradierten Kanon. Werke werden hier primär als einem europäischen kulturellen Geflecht zugehörig wahrgenommen, zumal gerade Alte Musik- Ensembles oft international besetzt sind. Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Musikmarkt zunehmend Globalisierungstendenzen unterliegt und Fragen des Repertoires sowie der Interpreten in hohem Maße an kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichtet werden. Das schließt deutsch-französische Kooperationen wie beispielsweise die Zusammenarbeit von Diana Damrau und Xavier de Maistre, die deutsches und französisches Liedrepertoire interpretieren, nicht aus. Aber aus Kostengründen beschränken sich etwa Auftritte französischer Orchester in Deutschland und deutscher Orchester in Frankreich in der Regel auf wenige Einzelgastspiele. Eine gewisse Besonderheit stellt die so genannte Großregion dar, in der es regelmäßige multinationale Kooperationen von Musikhochschulen und Konservatorien im Chor- (*Robert Schuman Chor) und Orchesterbereich (*SaarLorLux Orchester/ Junges Orchester der Großregion) sowie immer wieder Projekte der örtlichen Orchester gibt - z.B. zwischen Trier und Metz. Vor diesem Hintergrund werden deutschfranzösische Austauschprozesse im Bereich der ernsten Musik punktuell wieder stärker gefördert, wobei einmal mehr die französische Seite kulturpolitisch ambitionierter zu sein scheint. So initiierte die französische Botschaft in Deutschland 2009 einen mit jährlich rund 100 000 Euro ausgestatteten deutsch-französischen Fonds für zeitgenössische Musik (Impuls neue Musik). Zudem ist Frankreich bemüht, durch das seit 2001 in Berlin angesiedeltes Bureau export de la musique française (BEMF) auch die Verbreitung der ernsten französischen Musik in Deutschland - und darüber hinaus - zu fördern. Andreas Linsenmann, Musik als politischer Faktor. Konzepte, Intentionen und Praxis französischer Umerziehungs- und Kulturpolitik in Deutschland 1945-1949/ 50, Tübingen 2010; Gisela Nauck, Risiko des kühnen Experiments. Der Rundfunk als Impulsgeber und Mäzen, Saarbrücken 2004; Giselher Schubert (Hg.), Französische und deutsche Musik im 20. Jahrhundert, Mainz 2001. Andreas Linsenmann Musik, populäre Macht Musik Politik? Haben Barbaras musikalische Hommage an *Göttingen und *Patricia Kaas’ Lied „D’Allemagne“ für die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 eine ähnliche Rolle gespielt wie die kulturelle Vermittlungsarbeit von Intellektuellen, *Städtepartnerschaften oder der *Élysée-Vertrag? Neuere Forschungen haben auf die Beziehung zwischen populärer Musik und politischen Entwicklungen, auch oder gerade jenseits einer eng gefassten, sich auf diplomatischer und staatlicher Ebene vollziehenden Politik, aufmerksam gemacht und schließlich auch die Frage nach der Rolle der Musik als einer grenzenlosen Kunst in transnationalen Beziehungen aufgeworfen. Musikalischen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich hat es nicht erst seit dem Aufkommen einer populären, im Sinne einer massenhaft produzierten und verbreiteten Musik gegeben, doch fehlen bisher Studien zu diesem nicht selten als Erfolgsstory beschriebenen Kapitel der deutsch-französischen Transfergeschichte. Im Folgenden soll nach Konjunkturen, Akteuren, Institutionen, Produktion und Rezeption von populärer Musik in den deutsch-französischen Beziehungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gefragt werden. Populäre Musik wird hier, orientiert an theoretischen Angeboten der soziologischen Populärmusikforschung, verstanden als Musik, populäre M 365 kommunikatives Moment und Ensemble sehr unterschiedlicher musikalischer Genres und Gattungen. Ihre Produktion und Verbreitung auf Massenbasis ist in die Dynamiken und Prozesse der Musikindustrie eingebunden und ihre Definition unterliegt einem ständigen Aushandlungsprozess der an ihr beteiligten Akteure (Musiker, Publikum, Industrie). Dabei versteht sich dieser Beitrag als Skizze einer musikalischen Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Frankreich, die noch zu schreiben bleibt. Der Frage nach populärmusikalischen Transferprozessen im Rahmen einer zunehmend globalisierten Musikindustrie soll anhand von drei Konstellationen nachgegangen werden: deutschsprachige Musik in Frankreich, französischsprachige Musik in Deutschland und Künstler, die in der Sprache des jeweils Anderen gesungen haben. Was die Rezeption deutschsprachiger Musik in Frankreich angeht, so hat Dietmar Hüser für die 1950er und 60er Jahre von einer „tendenziell einseitigen Transfergeschichte“ gesprochen. Diese Tendenz lässt sich bis heute bestätigen. Allein die Bands Kraftwerk und Rammstein sind auch in Frankreich bekannt, allerdings nicht in dem Maße wie die Teenager der Magdeburger Band Tokio Hotel. Deren Musik war nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Schrei“ in Frankreich im Herbst 2006 so erfolgreich, dass Bildungsinstitutionen einen Anstieg der Schülerzahl, meist weibliche Teenager, verzeichneten, die Deutsch lernen wollten. Ihre Liedtexte werden mittlerweile als Lehrmaterial im Fremdsprachenunterricht eingesetzt und die Band spielte sogar auf dem anlässlich des französischen Nationalfeiertages organisierten Konzert auf dem Pariser Champ de Mars am 14. Juli 2007. Dem zeitweiligen Erfolg deutschsprachiger Elektro- oder Rockformationen in Frankreich stehen eine vergleichsweise große Popularität französischsprachiger Musik in Deutschland sowie der prägende Einfluss der französischen Chansontradition auf deutsche Liedermacher wie Hannes Wader, Franz-Josef Degenhardt und *Reinhard Mey gegenüber. Diese Dichotomie erklärt sich zum Teil aus der in beiden Ländern sehr unterschiedlichen Rolle von Musik in der eigenen Sprache. Sie spiegelt sich nicht zuletzt in der sogenannten Radioquote, d.h. einem gesetzlichen festgelegten prozentualen Anteil französischsprachiger Musik im Radioprogramm, deren Einführung auch für Deutschland diskutiert wird. Der Begriff Chanson fungiert innerhalb des Felds der kulturellen Produktion Frankreichs als Distinktionskategorie und im Ausland als Label französischer Kultur. Ohne näher auf die Tradition, Entwicklung und Rezeption des französischen Chansons eingehen zu können, sei festgehalten, dass in Deutschland vor allem jene Künstler bekannt wurden, die sich der Tradition des französischen Chansons verpflichtet fühlten und mit ihm assoziiert wurden. Zu nennen seien hier exemplarisch die französischen Sängerinnen Barbara und Patricia Kaas, aber auch der Chansonnier Georges Moustaki. Wie eng die französischsprachige Musik in Deutschland mit dem Begriff Chanson verbunden ist, zeigen folgende Akteure, die als Multiplikatoren französischsprachiger Musik in Deutschland gelten können. In der Nachfolge von Pierre Séguy sendet der Saarländische Rundfunk (*Hörfunk) seit 2003 wöchentlich „Rendez- Vous Chanson“, eine Radiosendung, in welcher der mit dem französischen Orden Chevalier des arts et des lettres ausgezeichnete Moderator Gerd Heger alte und neue Chansons präsentiert und über die französische Musikszene und Konzerte informiert. Dem Nouvelle Chanson française, manchmal auch Nouvelle Scène française, haben zwei Kölner Musikliebhaber, Rolf Witteler und Oliver Fröschke, zu großer Aufmerksamkeit in Deutschland verholfen, indem sie Songs junger Sänger wie Dominique A, Vincent Delerm, Keren Ann oder Benjamin Biolay in ihren seit 2002 erscheinenden Kompilationen „Le Pop“ zusammenstellten. Trotz aller stilistischen Unterschiede war den auf „Le Pop“ versammelten Musikern gemeinsam, dass sie sich affirmativ bis distanziert auf die Chansontradition bezogen und das Genre weiterentwickelten. Trotz aller stilistischen Unterschiede etablierte sich für diese Strömung, vor allem als Fremdzuschreibung, der Begriff Nouvelle Chanson française. Einem ähnlichen Konzept wie der Kompilation „Le Pop“ folgt die von dem DJ Thomas Bohnet seit 2003 erscheinende Reihe „Le Tour“. Thomas Bohnet, der in München und Berlin regelmäßig Partys mit ausschließlich französischer Musik organisiert, legte den Schwerpunkt allerdings auf Rock- und Weltmusik. Musik, populäre 366 M Die Tendenz eines einseitigen Transfers setzt sich auch bei jenen Musikern fort, die mit der Sprache des anderen Landes gearbeitet haben. Auf deutscher Seite sei hier auf *Reinhard Mey verwiesen. Der 1942 geborene, ehemalige Schüler des Lycée français in Berlin, ist Frankreich seit einem Schüleraustausch verbunden. So wie *Reinhard „Frédérik“ Mey seine Biographie in dem Lied „Douce France“ im Spiegel der deutschfranzösischen Aussöhnung nach 1945 besungen hat, so haben auch zwei französische Sängerinnen ihre Beziehung zu Deutschland musikalisch umgesetzt. Die Sängerin Barbara beschwor nach ihrer Arbeit am Jungen Theater in Göttingen in den 1960er Jahren mit ihrem in deutscher und französischer Sprache gesungenen Lied *„Göttingen“ ein besseres Verständnis gegenüber dem Nachbarn. Vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Beziehungen zu Göttinger Bürgern und ihrer Erfahrungen in Deutschland betonte sie die Gemeinsamkeiten der in Paris und Göttingen lebenden Menschen, trotz aller kulturellen Unterschiede. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach anlässlich des 40. Jubiläums des *Élysée-Vertrages 2003 von Barbaras *„Göttingen“ als Beispiel für die deutsch-französische Verständigung jenseits der offiziellen Politik. Ebenso bekannt wie *„Göttingen“ wurde das Lied „D‘Allemagne“, das die aus dem lothringischen Forbach stammende *Patricia Kaas auf ihrem ersten, 1987 erschienenen Album „Mademoiselle chante“ in französischer Sprache, aber mit deutschen Textelementen interpretiert hat. Wie *Reinhard Mey in „Douce France“ besang sie die deutsch-französischen Beziehungen vor ihrem eigenen biographischen Hintergrund als Tochter einer Deutschen, die in der Grenzregion bei Saarbrücken aufwuchs. 1999 wurde ihr der *„Adenauer-de Gaulle-Preis“ verliehen. Doch trotz ihres zweisprachigen Liedes, in dem auch auf Barbaras *„Göttingen“ verwiesen wird, erstarrten die evozierten Deutschlandbilder (Lili Marleen, Romantik) im Klischee. Dennoch: *Reinhard Mey, Barbara und *Patricia Kaas übernehmen durch ihre musikalischen Interpretationen die Rolle des kulturellen Mittlers zwischen beiden Ländern, indem sie die deutschfranzösischen Beziehungen zum Thema ihrer Lieder machen und teilweise in der Sprache des anderen interpretierten. Nicht bei allen französischen Interpreten, die in deutscher Sprache sangen, stand das Moment der kulturellen Vermittlung im Vordergrund. In den 1960er und 70er Jahren gehörten Françoise Hardy und France Gall zu den erfolgreichen französischen Sängerinnen, deren Karriere in Deutschland in erster Linie aus Gründen des Marketings lanciert wurde. France Gall, die mit Liedern wie „Der Computer Nr. 3“ oder „Ein bißchen Goethe, ein bißchen Bonaparte“ Ende der 1960er Jahre große Erfolge feierte, war nach dem Skandal um das von ihr und Serge Gainsbourg interpretierte Lied „Les Sucettes“ nach Deutschland gegangen, da sie ihre französische Karriere beendet glaubte. Françoise Hardy bezeichnete ihre in deutscher, aber auch englischer und italienischer Sprache interpretierten Lieder später als „Pflichtarbeiten für die Plattenfirma“. Die beiden Beispiele zeigen, dass die Geschichte des populärmusikalischen Transfers zwischen Deutschland und Frankreich über textimmanente Selbst- und Fremdbildanalysen hinausgeht und daher die spezifischen sozio-ökonomischen Konstellationen der Musikindustrie einbezogen werden müssen. Daran schließt sich auch die Frage nach der Rolle von Komponisten wie Christian Bruhn an, der nicht nur France Galls „Der Computer Nr. 3“, sondern auch zahlreiche deutschsprachige Hits von Mireille Mathieu produziert hat. Eine Studie zum Erfolg französischer Interpreten in den 1960er- und 70er Jahren in Deutschland, für den France Gall, Françoise Hardy und Mireille Mathieu ein Beispiele geben, steht noch aus. Es bleibt zu klären, inwieweit dieser Erfolg im Zusammenhang mit der deutsch-französischen Annäherung seit 1945, popkulturellen Europäisierungsprozessen und einer über die Musik konstruierte deterritorialisierten Identität steht. Zuletzt sei noch auf ein eine veritable deutsch-französische Kooperation verwiesen, das Berliner Duo Stereo Total. Die Französin Françoise Cactus und der Deutsche Brezel Göring machen seit 1993 Elektropop oder, wie auf ihrer Homepage zu lesen ist, Musik aus „40 % Chanson, 20 % R’n’R, 10 % Punkrock, 3 % DAF-Sequencer, 4 % Jacques Dutronc-Rhythmique, 7 % Brigitte Bardot and Serge Gainsbourg […]“ mit französischen und deutschen Texten. Der von Françoise Cactus kultivierte französische Akzent wurde ihr Markenzeichen. Nacht und Nebel (Alain Resnais) N 367 Ein ganz anderes Spiel mit dem Akzent irritierte im Frühjahr 2009 die französische Öffentlichkeit. Helmut Fritz, eine von dem Musikproduzenten Laurent Konrad erdachte Kunstfigur, echauffierte sich in „Ça m’énerve“ über die Pariser Schickeria und artikulierte seinen Unmut dabei in einem Sprechgesang mit starkem deutschem Akzent. Zu Helmut Fritz gehörte die fiktive deutsche Biographie eines Sohnes norddeutscher Landwirte, der einst mit dem Motorroller nach Paris gekommen war, dort das Leben eines Dandys geführt und seine Erbschaft verprasst hatte und nun dem Luxusleben überdrüssig geworden war. Helmut Fritz war keine deutsch-französische Kooperation, aber die Reaktionen spiegelten deutsch-französische (Miss-)Stimmungen wider, denn nicht immer wurde die musikalische Satire als solche verstanden. Die eingangs gestellte Frage nach dem Zusammenhang zwischen populärer Musik und gesellschaftlichen Prozessen kann für die deutschfranzösischen Beziehungen nach 1945 noch nicht beantwortet werden. Dennoch erlauben Theorien und Methoden der soziologischen Populärmusikforschung einen Zugriff auf ein zeitgeschichtliches Forschungsfeld, das es zu bearbeiten gilt. Hugh Dauncey, Steve Cannon (Hg.), Popular Music in France from Chanson to Techno. Culture, Identity and Society, Aldershot 2003; Dietmar Hüser, RAPublikanische Synthese. Eine französische Zeitgeschichte populärer Musik und politischer Kultur, Köln 2004; ders., Amerikanisches in Deutschland und Frankreich. Vergleich, Transfer und Verflechtung populärer Musik in den 1950er und 1960er Jahren, in: Patricia Oster, Hans- Jürgen Lüsebrink (Hg.), Am Wendepunkt. Deutschland und Frankreich um 1945 - Zur Dynamik eines „transnationalen“ kulturellen Feldes, Bielefeld 2008, S. 283-305; Anna Langenbruch, Musik - eine internationale Kunst? Deutschsprachige Musiker im französischen musikjournalistischen Diskurs der Locarno-Ära, in: Trajectoires, 2 (2008), http: / / trajectoires.revues.org/ index199.html; Wolfgang Meid (Hg.), La chanson française contemporaine. Politique, société, médias, Innsbruck 2 1996; Andrea Oberhuber, Chanson(s) de femme(s). Entwicklung und Typologie des weiblichen Chansons in Frankreich 1968- 1993, Berlin 1995; Heidemarie Sarter (Hg.), Chanson und Zeitgeschichte, Frankfurt/ M. 1988; Peter Wicke, „Populäre Musik“ als theoretisches Konzept, in: Pop- Scriptum, 1 (1992), S. 6-42; ders., Popmusik in der Theorie. Aspekte einer problematischen Beziehung, in: Helmut Rösing, Albrecht Schneider, Martin Pfleiderer (Hg.), Musikwissenschaft und populäre Musik. Versuch einer Bestandsaufnahme, Frankfurt/ M. 2002, S. 61-74. Silja Behre N Nacht und Nebel (Alain Resnais) Durch seine ungewöhnliche Langlebigkeit und seine Ausstrahlung in vielen Ländern der Welt wurde der Dokumentarfilm über das NS-Lagersystem „Nacht und Nebel“ (1959) von Alain Resnais (1922-2014) zu einem „tragenden Erinnerungsort“ (Pierre Nora). Seine Wirkungsgeschichte gehört außerdem zum komplexen Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit und zur deutsch-deutschen Systemkonkurrenz auf französischem Boden. So bat Resnais den Ost- Berliner Komponisten Hanns Eisler, der die DDR- Nationalhymne vertont hatte, um die musikalische Untermalung. Dass sich die deutsch-französischen Beziehungen noch in einer sensiblen Phase der Aussöhnung und Annäherung befanden, zeigte sich im April 1956 beim Festival de Cannes. „Nacht und Nebel“ sollte Frankreich in der Kategorie Kurzfilme vertreten. Aber am 7.4. verschwand er aus der offiziellen Auswahl nach einer Intervention der bundesdeutschen Botschaft in Paris. Diese Entscheidung provozierte einen politischen und öffentlichen Skandal, bei dem der Bundesrepublik vorgeworfen wurde, das Vergessen der NS-Vergangenheit zu befördern. Erst nachdem ein Kompromiss gefunden worden war, beruhigten sich die Gemüter: „Nacht und Nebel“ wurde in Cannes gezeigt, doch außerhalb des Wettbewerbs und aus Anlass des nationalen Gedenktages der Deportation. Der Vorfall hatte auch einen großen Widerhall in der westdeutschen Presse und wurde am 18.4.1956 von einem SPD-Abgeordneten vor den Bundestag gebracht. Die Vorkommnisse in Cannes beschleunigten die Präsentation des Films in der Bundesrepublik. Die Übersetzung des Kommentars von Jean Cayrol übernahm *Paul Celan, der sich zu diesem Zweck mehrfach in die Bundesrepublik begab, um der westdeutschen Gesellschaft den unvollendeten Charakter der Entnazifizierung vorzuhalten. Celan lehnte es ab, Ausdrücke der Sprache des „Drittens Reichs“ zu verwenden und fügte unbemerkt einen Hinweis auf den Völkermord an den Juden in den Kommentar ein, der von Cayrol nicht erwähnt wurde, indem er unter anderem „le vieux monstre Naumann, Manfred 368 N concentrationnaire“ mit „Rassenwahn“ („délire racial“) übersetzte. Im Jahre 1958 entschied die DDR, „Nacht und Nebel“ in ihren Kinos zu zeigen, doch behielt sich vor, eine eigene Übersetzung des Kommentars anzufertigen, die sie dem Dramaturgen Henryk Keich übertrug. Dieser neue Kommentar enthielt einige Übersetzungsfehler, insbesonders im Epilog. Die letzten Sätze, in denen Cayrol seine Zeitgenossen vor dem Aufkommen neuer Henker warnte und von dem „nicht enden wollenden Schrei“ der Opfer sprach, wurden die Bemerkung ersetzt: „In einem Teil der Welt [gemeint war der Ostblock] haben die Toten zu schreien aufgehört, weil das Unkraut bis zur Wurzel ausgerissen worden ist.“ Diese Textveränderung lenkt den Blick von den sowjetischen Lagern ab und folgt insofern der Logik des Kalten Krieges zwischen den beiden deutschen Staaten, in welchem die DDR sich zum Erbverwalter des antifaschistischen Kampfes stilisierte. Doch musste die Veb-DEFA schließlich auf Druck der Produktionsfirma Argos-Film klein beigeben. Im Jahre 1974 revanchierte sie sich dafür, indem sie in einem nicht-lizensierten Remake für das DDR-Fernsehen von „Nacht und Nebel“ den Epilog mit folgenden Worten übersetzte: „Eine stille Landschaft ... Neun Millionen Tote gehen in ihr um. Ihre Schreie bleiben unvergessen“. Zu gleicher Zeit spielte der Film eine wichtige Rolle in der Kritik an dem Beschweigen der NS- Massenmorde während der Ära Adenauer (*Vergangenheitsaufarbeitung). Viele junge Lehrer benutzten den Film nach 1968 als Unterrichtsmaterial, um mit ihren Schülern die NS-Vergangenheit zu diskutieren, über die sich ihre eigenen Lehrer zumeist ausgeschwiegen hatten. Es ist somit kein Zufall, dass Margarethe von Trotta in ihrem Film „Die bleierne Zeit“ (1981), der den Lebensweg von Gudrun und Christiane Ensslin nachzeichnet, „Nacht und Nebel“ zitiert. Die Regisseurin wählt eine Szene, in der die beiden Schwestern gemeinsam mit ihren Mitschülern den Film in der Schule anschauen. Sylvie Lindeperg, Nuit et Brouillard. Un film dans l’histoire, Paris 2007 (dt. Version: Nacht und Nebel. Ein Film in der Geschichte, Berlin 2010); Ewout van der Knaap (Hg.), Uncovering the Holocaust. The international reception of „Night and Fog”, London 2006; Jörg Frieß, Das Blut ist geronnen. Die Münder sind verstummt? Die zwei deutschen Synchronfassungen von „Nuit et Brouillard“, in: Filmblatt 28 (Herbst 2005), S. 40- 57. Sylvie Lindeperg Naumann, Manfred Der in Chemnitz in einfachen Verhältnissen geborene Manfred Naumann (1925-2014), wichtigster Schüler von *Werner Krauss, hat als Herausgeber und Kommentator die Kenntnis der französischen Literatur in der DDR wesentlich erweitert, sich durch seine Veröffentlichungen einen geachteten Platz in der internationalen Forschung erworben und die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Kollegen in Frankreich und in der DDR gefördert - dies alles mit Wirkungen auch in die ehemalige und in die heutige Bundesrepublik. Seit den 1960er Jahren war er neben *Rita Schober einer der wichtigsten Vertreter der *Romanistik in der DDR. Nach einem Notabitur in Mittweida leistete Naumann vom Herbst 1943 bis zum Kriegsende Militärdienst. 1945/ 46 arbeitete er als Neulehrer; im Januar 1946 trat er der SPD bei, im April 1946 wurde er SED-Mitglied. Im Herbst 1946 begann er in Leipzig zu studieren. Neben *Werner Krauss gehörten Walter Markov, Hans Mayer und Ernst Bloch zu seinen akademischen Lehrern. Seine Graduierungsarbeiten entstanden im Kontext der von *Krauss neu begründeten Aufklärungsforschung und behandelten „Die Idee der Nationalerziehung in der französischen Aufklärung“ (1952) bzw. „Holbach und das Materialismusproblem in der französischen Aufklärung“ (1955). 1957 zum Professor für Romanische Philologie in Jena ernannt, wurde er im März 1959 wegen reformkommunistischer Auffassungen und Verbindungen entlassen und aus der SED ausgeschlossen. Nach zwei Bewährungsjahren am Pädagogischen Bezirkskabinett Leipzig wurde Naumann 1961 Professor für Romanische Philologie in Rostock und wechselte von dort 1966 als Professor für Literaturtheorie und Literatursoziologie an die Berliner Humboldt- Universität; im selben Jahr nahm ihn die SED wieder auf. Naumann gehörte 1969 zu den Gründern des Zentralinstituts für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) in Berlin. Er leitete dort zunächst den Theorie- Bereich, dann die Forschungsgruppe „Französische Literatur seit 1789“. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung 1990 war er Direktor des Instituts und wurde im Frühjahr 1990 von den Mitarbeitern in Nerlich, Michael N 369 geheimer Wahl bestätigt. Er war Außerordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Ehrendoktor der Universität Osnabrück. Naumanns wissenschaftliche Arbeit zielte durchgehend auch auf eine breitere Öffentlichkeit und inhaltlich auf ein genaueres Verständnis der Widerspruchsbeziehungen relativ autonomer Schriftsteller zu gesellschaftlichen Wirklichkeiten. Sie galt - im Geiste eines als Konsequenz und Fortsetzung der Aufklärung verstandenen Marxismus - zunächst literaturhistorisch der Aufklärungsepoche, dann der Prosa im nachrevolutionären Frankreich, im Anschluss auch der Literaturrezeption in theoretischer Sicht. Große Verbreitung fanden die „Artikel aus der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Enzyklopädie“ (1972) und Stendhals „Gesammelte Werke in Einzelbänden“ (1959-1983), die bis heute fundierteste deutsche Ausgabe; diesem Lieblingsautor galt 2001 auch das quellen- und gedankengesättigte Buch „Stendhals Deutschland“. Mit Studien über Proust und über den Nouveau roman und seine Vertreter (mit anderen gesammelt in „Prosa in Frankreich“, 1978) trug Naumann wesentlich zu deren Verständnis und zur Veröffentlichung ihrer Bücher in der DDR bei. „Gesellschaft - Literatur - Lesen“ (1973) förderte in der DDR und darüber hinaus das Begreifen von Literatur als sozialem Kommunikationszusammenhang. Das von ihm herausgegebene „Lexikon der französischen Literatur“ (1987) sollte auf wissenschaftlichem Niveau „die Lust zum Lesen“ entwickeln. Von 1984 bis 1997 gab Naumann mit Kollegen in acht umfangreich kommentierten Bänden „Das wissenschaftliche Werk“ seines Lehrers *Krauss heraus. Seine eigenen „Erinnerungen eines Romanisten“ hat er 2012 unter dem Titel „Zwischenräume“ vorgelegt. Wolfgang Klein, Ernst Müller (Hg.), Genuß und Egoismus. Zur Kritik ihrer geschichtlichen Verknüpfung (Festschrift), Berlin 2002; Wolfgang Klein, Wissen und leben. Laudatio auf Manfred Naumann, in: Lendemains 140 (2010), S. 123-134. Wolfgang Klein Nerlich, Michael 1939 in Brandenburg geboren und in Lübeck aufgewachsen, studierte Michael Nerlich Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Hamburg, Köln, Bonn und Paris, um 1964 an der Universität zu Köln (bei Fritz Schalk) mit einer Arbeit zur Theorie des klassischen Epos in Spanien (1700-1850) zu promovieren und sich zwei Jahre später mit „El Hombre justo y bueno. Inocencia bei Fray Luis de León“ zu habilitieren. Trotz der 1969 veröffentlichten Studie „Kunst, Politik und Schelmerei“ war es also vor allem der Hispanist, der 1969, noch ungewöhnlich jung, einen Ruf auf den Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft an die TU Berlin erhielt, an der er bis zum Jahre 2000 tätig war. Mit dem Wechsel nach Berlin war eine Hinwendung zur französischen Literatur und insbesondere zur Frankreichforschung verbunden. In dem 1972 in der Zeitschrift „Das Argument“ publizierten Artikel „Romanistik und Anti-Kommunismus“ unternahm es Nerlich als erster Romanist, die Geschichte und Vorgeschichte der disziplinären Kompromittierung seines Faches zwischen 1933 und 1945 zu thematisieren, das sich bis dahin aufgrund seiner europäischen Dimension als vor nationalistischen Versuchungen geschützt präsentierte und seine eigene Geschichte inklusive der Kontinuität des Anti-Kommunismus verdrängt hatte. Dieser Aufsatz wurde von großen Teilen der Fachvertreter als Provokation empfunden. Als Nerlich 1975 „Lendemains“ als Zeitschrift für Vergleichende Frankreichforschung gründete und zwei Jahre später, gemeinsam mit *Gilbert Badia, im Argument-Verlag einen Sammelband „Kritik der Frankreichforschung: 1871-1975“ veröffentlichte, wurde er zum einflussreichen Kritiker der Disziplin. Ziel Nerlichs war eine Ausrichtung des Faches auf die republikanisch-demokratischen Traditionen Frankreichs, zu der die sprach- und literaturwissenschaftliche wie geschichts- und sozialwissenschaftliche Vergleichende Frankreichforschung der Zeitschrift ebenso beitragen sollte wie eine Verankerung der landeskundlichen Frankreichforschung in Forschung und Lehre. Angestrebt wurde nicht zuletzt auch eine Kooperation mit der *Romanistik in der DDR u.a. durch die Mitarbeit von Wissenschaftlern aus dem Osten Deutschlands. Zudem vertraten Nerlich und „Lendemains“, für die er Mitherausgeber wie Danielle Sallenave, Albert Soboul oder Jacques Leenhardt gewann, deutlich profilierte und offen von der Mehrheit des Faches bekämpfte Positionen in der Landeskunde-Debatte der 1970er und 1980er Jahre. „Lendemains“ gelang es in den 25 Jahren der Herausgeberschaft von Michael Nerlich zwischen 1975 und 1999 zwar zu einer anerkannten Zeit- Neuer Deutscher Film 370 N schrift zu werden, der Versuch, die Landeskunde als dritte Säule der Romanistik zu etablieren, scheiterte letztlich jedoch am Beharrungsvermögen des Fachs. Nerlich veröffentlichte auch gewichtige komparatistische - „Kritik der Abenteuerideologie. Beitrag zur Erforschung der bürgerlichen Bewusstseinsbildung 1100-1750“ (1977) - und französistische Studien - „Apollon et Dionysos ou la science incertaine des signes. Montaigne, Stendhal, Robbe-Grillet“ (1989), „Stendhal“ (1993). Darüber hinaus entwickelte er die Zeitschrift nach 1989 dank ihrer Dossiers zu einem Diskussionsforum der deutsch-französischen Beziehungen und zu einem Ort der breit wahrgenommenen Debatten um die Romanistik und „große Romanisten“ (etwa *Ernst Robert Curtius, *Victor Klemperer, *Werner Krauss und *Hans Robert Jauß). Zugleich versuchte er in der Nachwende-Zeit nicht ohne erste Erfolge, an der TU Berlin ein Frankreich- Zentrum zu gründen. Da die von ihm vorangetriebene, ihrer historischen Verantwortung bewusste und kritische Frankreichforschung in Berlin institutionell jedoch unmöglich gemacht wurde, nahm Nerlich 2000 eine Hispanistik-Professur an der Université Clermont-Ferrand an, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2008 lehrte und Arbeiten zu Cervantes und Eco - „Umberto Eco. Die Biographie“ (2010) - publizierte. Mit seiner Zeitschrift und seinen Arbeiten zur Frankreichforschung und zur französischen Literatur hat Nerlich die Frankreichorientierte *Romanistik über drei Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst. Seine von der Verantwortung der deutsch-französischen Geschichte gegenüber geprägten Forderungen haben zwar nicht die wünschenswerte institutionelle Verankerung gefunden, aber zahlreiche Diskussionen angestoßen und manches verändert. Hommages à Michael Nerlich, Lendemains 34 (2009) 133, S. 207. Wolfgang Asholt Neuer Deutscher Film Die große Bedeutung, welche die Filmemacher des Neuen Deutschen Films oder auch Autorenfilms in Frankreich besitzen, spiegelt sich in der konstanten Präsenz ihrer Arbeiten in den Pariser Programmkinos, den cinémas d’art et d’essai , aber auch in den großen Retrospektiven, die, häufig in Kooperation mit dem *Goethe-Institut, immer wieder ausgerichtet werden: So organisierten beispielsweise die Cinémathèque française, die Zeitschrift „Cahiers du cinéma“, die Produktionsfirma und Kinokette MK2 und das *Goethe-Institut 1988 eine Retrospektive der Filme von *Rainer Werner Fassbinder, 1992 widmete sich das Festival d’Automne, das schon 1983 die Originalversion von „Berlin Alexanderplatz“ gezeigt hatte, *Fassbinder. Eine weitere, vollständige Werkschau fand 2005 im Centre Georges Pompidou statt, gleichzeitig brachte der große Filmverleih Carlotta Films eine beträchtliche Anzahl von Fassbinder-Filmen und DVDs heraus. Auf dem Cinéma du Réel, einem der wichtigsten Dokumentarfilmfestivals Frankreichs, wurde 2007 im Rahmen der Reihe „Deutsche Geschichten“ mit über 120 Filmen eine Hommage an *Alexander Kluge präsentiert; 2010 zeigte das Centre Georges Pompidou die neueren Arbeiten von *Kluge, eine umfassende Retrospektive von *Werner Schroeter (2010/ 2011) sowie Filme von Ulrike Ottinger (2010), deren „Exil Shanghai“ zudem als Dauerbrenner im Musée d’art et d’histoire du Judaïsme lief; Werner Herzog hatte man hier bereits 2008/ 2009 eine umfangreiche Werkschau gewidmet. Zwar erschien anlässlich der Herzog-Retrospektive im Pariser Verlag Capricci auch sein Buch „Eroberung des Nutzlosen“ auf Französisch, im Gegensatz zu seinen Kollegen *Volker Schlöndorff und *Wim Wenders unterhält Herzog ansonsten jedoch kaum Verbindungen nach Frankreich. *Volker Schlöndorffs Arbeit ist hingegen vom Anfang seiner Karriere an eng mit Frankreich verbunden, was nicht nur seine 2011/ 2012 entstandene (*ARTE-) Fernsehproduktion „La mer à l’aube/ Das Meer am Morgen“ über den 17-jährigen Widerstandskämpfer Guy Môquet, der 1941 in einer Vergeltungsaktion als Geisel von den deutschen Besatzern erschossen wurde, reflektiert. Auch sein letzter Film, „Diplomatie“ (2014), hat ein dezidiert deutschfranzösisches Thema: die Befreuung von Paris 1944 und die vereitelte Zerstörung der Stadt. Das gleiche gilt für *Werner Schroeter, der mehrere Filme mit französischen Schauspielern und in Frankreich gedreht hat. Auch *Alexander Kluge unterhält enge Beziehungen zu Frankreich und mehrere seiner Bücher wurden ins Französische übersetzt. Begonnen hatte der Umbruch der neuen Filmbewegung mit dem Kurzdokumentarfilm „Brutalität in Stein“ (1961) von *Alexander Kluge und Nies, Fritz N 371 Peter Schamoni und dem „Oberhausener Manifest“, das 1962 auf den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen auf einer Pressekonferenz verlesen wurde. In expliziter Anlehnung an die französische *Nouvelle vague, deren Vertreter gegen das Cinéma de papa kämpften, erklärten die jungen deutschen Filmemacher „Papas Kino“ - die seichten Unterhaltungsfilme der 1950er Jahre - für „tot“. Wichtige Filme der 1960er Jahre waren u.a. „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt wo Gewalt herrscht“ (1965, nach Heinrich Böll) von *Jean- Marie Straub, „Der junge Törless“ (1966) von *Volker Schlöndorff, „Es“ (1966) von Ulrich Schamoni, „Abschied von gestern“ (1966) von *Alexander Kluge, „Mahlzeiten“ (1967) von Edgar Reitz, „Lebenszeichen“ (1968) von Werner Herzog und „Katzelmacher“ (1969) von *Rainer Werner Fassbinder sowie „Summer in the City“ (1970) von *Wim Wenders. In Berlin entwickelte sich mit „Liebe Mutter, es geht mir gut“ (1971) von Christian Ziewer oder „Das Brot des Bäckers“ (1976) von Erwin Keusch ein anspruchsvoller Arbeiterfilm, „Berliner Schule“ genannt - nicht zu verwechseln mit der neuen *Berliner Schule, *La nouvelle vague allemande, die in den 1990er Jahren aufkam, in Frankreich jedoch kaum zur Kenntnis genommen wurde. Überhaupt verging eine geraume Zeit, ehe der Neue Deutsche Film in Frankreich bemerkt wurde. Die „Cahiers du cinéma“ entdeckten *Rainer Werner Fassbinder beispielsweise erst 1974 mit „Faustrecht der Freiheit“. Dabei beschränkte sich das französische Interesse an Fassbinder nicht nur auf seine Filme, auch die Theaterstücke Fassbinders wurden in Frankreich viel gespielt (*Deutsches Theater in Frankreich). Umgekehrt wurden Hans Jürgen Syberberg - „Hitler, ein Film aus Deutschland“ (1977) -, Herbert Achternbusch (*Deutsches Theater in Frankreich, und *Hans Peter Cloos) hingegen eher über ihre Theaterarbeit in Frankreich bekannt: So präsentierte in den 1980er Jahren das Théâtre des Amandiers in Nanterre unter der Leitung von *Patrice Chéreau mehrere von Syberbergs Arbeiten mit Edith Clever; 2003 wurde ihm, wiederum im Centre Georges Pompidou, eine Installation und Retrospektive gewidmet. Heike Hurst, Heiner Gassen (Hg.), Kameradschaft- Querelle. Kino zwischen Deutschland und Frankreich, München 1991 (französische Version: Tendres Ennemis. Cent ans de cinéma entre la France et l’Allemagne, Paris 1991); Bernard Eisenschitz, Le cinéma allemand, Paris 2005. Heike Hurst †, Gisela Rueb, Joachim Umlauf Nies, Fritz Drei Jahrzehnte (1970-1999) vertrat Fritz Nies die Romanistische Literaturwissenschaft an der Universität Düsseldorf und war während dieser Zeit nicht nur einer der wichtigen Vertreter der *Romanistik, sondern auch ein institutionell und insbesondere für die deutsch-französischen Beziehungen außergewöhnlich engagierter wissenschaftlicher Akteur. 1934 in Ludwigshafen geboren, studierte er in Heidelberg, Dijon und Paris Romanistik und Germanistik und promovierte 1961 mit einer gattungspoetischen Arbeit zum Prosagedicht bei Aloysius Bertrand und Baudelaire, um sich 1969 in Heidelberg mit einer beispielhaft gewordenen Studie zu „Gattungspoetik und Publikumsstruktur. Zur Geschichte der Sévignébriefe“ (München 1972) zu habilitieren. Fritz Nies hat Gastprofessuren und Einladungen an verschiedenen französischen Universitäten (Aix-en-Provence, Nanterre, Nantes), an der University of California, an der ENS und am Collège de France wahrgenommen. Als Vorsitzender des DRV 1983-1987 (*Romanistenverbände) hat er die *Romanistik zu einem nicht nur innerhalb der Geisteswissenschaften beachteten Fach gemacht. Von 1980 bis 1984 leitete er den Fachausschuss „Sprach- und Literaturwissenschaften“ der DFG. Vor allem aber wurde er während der 1980er einer der wichtigsten Akteure des deutsch-französischen Literatur- und Kulturaustauschs sowie des Wissenstransfers und der Wissenschaftskooperation zwischen beiden Ländern. In Düsseldorf verwirklichte er sein Modell von Transferbeziehungen mit dem Diplom-Studiengang „Literaturübersetzen“ (seit 1988), bundesweit gab er den Anstoß für die Einrichtung von *Frankreich-Zentren mit seinem Engagement für das erste dieser Zentren in Freiburg, dessen Kuratorium er bis 2013 als Vorsitzender angehörte. Noch wichtiger sind vielleicht seine Initiativen zur kulturellen und wissenschaftlichen deutsch-französischen Zusammenarbeit. Als langjähriges Kuratoriumsmitglied der DVA- Stiftung hat er nicht nur deutsch-französische Nouvelle vague 372 N Preise wie den *Raymond-Aron-, den *André- Gide-Preis oder den *Georges-Arthur-Goldschmidt-Preis des DFJW initiiert, sondern auch zahlreiche deutsch-französische Tagungen konzipiert, darunter solche zwischen französischen Germanisten und deutschen *Romanisten (etwa 1989 in Versailles). Dieses institutionelle Engagement wurde stets von einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet. Begonnen mit dem 1983 (mit-)herausgegebenen Band „Interferenzen: Deutschland und Frankreich, Literatur - Wissenschaft - Sprache“ (Düsseldorf 1983) über „Französische Literatur in deutscher Sprache“ (Düsseldorf 1986), „Literaturimport und Literaturkritik: das Beispiel Frankreich“ (Tübingen 1996), „Spiel ohne Grenzen? Zum deutschfranzösischen Transfer in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ (Tübingen 2002) bis zu „Europa denkt mehrsprachig. L’Europe pense en plusieurs langues“ (Tübingen 2005) stellen schon die Titel unter Beweis, dass Nies über Jahrzehnte hinweg ein wichtiger und in vieler Hinsicht entscheidender Mittler zwischen beiden Kulturen war, und, wie der jüngst (mit Hinnerk Bruhns) koordinierte *Trivium-Schwerpunkt, „La science pense en plusieurs langues/ Wissenschaft denkt in mehreren Sprachen“ (2014), zeigt, bis heute ist. Das Zentrum der literaturwissenschaftlichen Arbeiten Fritz Nies’ liegt im Bereich von Lesen- Lektüre und genres mineurs . Seine Monographie „Genres mineurs. Texte zur Theorie und Geschichte nichtkanonischer Literatur“ (München 1978) führte in der *Romanistik zu einer größeren Beachtung der Populärliteratur; seine mit „Bahn und Bett und Blütenduft. Eine Reise durch die Welt der Leserbilder (Darmstadt 1991) begonnenen Untersuchungen zu Lese- und Lesergeschichte fanden ihren Höhepunkt im voluminösen „Ikonographischen Repertorium zur Europäischen Lesegeschichte“ (München 2000). Jüngst hat Fritz Nies eine „Kurze Geschichte(n) der französischen Literatur - für Deutsche“ (Münster 2013) veröffentlicht, die sich auch an Leser jenseits der engeren Fachinteressen richtet. Henning Krauß (Hg.), Offene Gefüge. Literatursystem und Lebenswirklichkeit. Festschrift für Fritz Nies zum 60. Geburtstag, Tübingen 1994. Wolfgang Asholt Nouvelle vague Am 23.8.1957 erschien in der Wochenzeitschrift „L’Express“ ein Artikel von Françoise Giroud über junge französische Filmemacher, die gerade dabei waren, ihre Erstlingswerke zu drehen und damit die Ästhetik und die Themen des französischen Films zu erneuern; die Autorin nannte diese Generation: Nouvelle vague. Der Erfolg der Regisseure war so immens, dass die Nouvelle vague schnell zu einer Art Mythos avancierte, auf den sich später Filmemacher überall auf der Welt und insbesondere in Deutschland berufen haben. Den Kern dieser neuen Welle bildete hauptsächlich eine Gruppe um die Zeitschrift „Les Cahiers du cinéma“, die zuerst Filmkritiken schrieben, ehe sie selber Ende der 1950er Jahre zum Filmen übergingen. Sie verfochten ihre Auffassung des Filmemachens gegen den, ihrer Meinung nach, „verkalkten” französischen Film und kritisierten dessen bestehenden Konventionen und Formen: die berühmte französische Qualität mit sorgfältig eingerichteter Beleuchtung und raffinierten Tonaufnahmen, mit bis ins kleinste Detail geplanten Kameraeinstellungen, einstudiertem Text von literarischem Niveau, Studioaufnahmen usw. Sie liefen Sturm gegen den „psychologischen Realismus”, gegen die „Akademiker der Filmkunst” sowie das Cinéma de papa. Die Newcomer unterzogen den Film einer radikalen Verjüngungskur und schufen noch nie gesehene Filmfiguren in völlig neuen Situationen mit moderner Sprache. Eine regelrechte neue Theorie des Films wurde entwickelt mit neuen Richtlinien: So erfand François Truffaut die politique des auteurs , eine Theorie, welche den Regisseur als den zentralen Gestalter eines Films als eines Gesamtkunstwerks begreift und über den Autor (bei literarischen Vorlagen) bzw. Drehbuchautor stellt. Jean-Luc Godard führte Grundelemente des Strukturalismus in seine Filme ein - in „La Chinoise“ (1967) bemerkt jemand „Film ist nicht die Widerspiegelung der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit der Widerspiegelung” - und entschied sich nach einigen Jahren für ein politisch engagiertes Kino. „Le beau Serge“ (1959), von Claude Chabrol, „Les 400 coups“ (1959) von Truffaut und „A bout de souffle“ (1960), von Godard waren, obwohl es Vorläufer gab, die eigentlichen ersten drei großen Spielfilme der Nouvelle vague, die sofort auf allgemeines Interesse stießen. Alle drei bekamen Prestigepreise für die beste Regie: Godard auf der Ophüls, Max O 373 Berlinale, Truffaut auf dem Festival de Cannes und Chabrol in Locarno. Die Regisseure hatten herausgefunden, wie man preiswert Filme drehen konnte, was dann in vielen Ländern Schule machte. Sie richteten sich ihre eigenen Produktionshäuser ein, wie zum Beispiel Les Films du carrosse von Truffaut, und dieses Vorgehen wurde später von den jungen deutschen Filmern nachgeahmt: So gründete Werner Herzog 1963 die Werner Herzog Filmproduktion, Peter Fleischmann und *Volker Schlöndorff 1969 die Hallelujah Film GmbH sowie Werner Hauff und *Schlöndorff die Bioskop Film GmbH 1974. Neben der finanziellen Befreiung nahmen auch der filmisch-technische Fortschritt und die ästhetische Erneuerung der Nouvelle vague direkten Einfluss auf den *Neuen Deutschen Film als „Autorenfilm“. Zudem begannen einige deutsche Regisseure als Assistenten in Frankreich: *Schlöndorff war Assistent von Louis Malle, Melville und Resnais, ehe er „Der junge Törless“ drehte - den ersten internationalen Erfolg des jungen deutschen Films. Das Oberhausener Manifest von 1962 als Revolte gegen Papas Kino entsprach der Auflehnung der französischen Filmemacher in den 1950er Jahre. Zu den Söhnen der Nouvelle vague gehörten auch *Wim Wenders, Ulrich Schamoni, *Alexander Kluge sowie *Rainer Werner Fassbinder; *Kluge nannte Godard als Vorbild als er „Abschied von Gestern“ drehte. Umgekehrt zollte Godard dem großen deutschen Filmemacher Fritz Lang seinen Respekt, als er ihm in „Le Mépris“ (1966) die Rolle des Regisseurs gab und selber dessen Assistent spielte. Auch die Entstehung des Kuratoriums junger deutscher Filme (1965), einer Filmförderinstitution für junge Talente, die infolge des Oberhausener Manifests entstand, kann als indirekte Auswirkung der Nouvelle vague angesehen werden. Nicht zuletzt greift eine Gruppe deutscher Regisseure, die ab Mitte der 1990er Jahre als *Berliner Schule von sich Reden macht, die theoretischen Konzepte der französischen Filmemacher der 1950er und 60er Jahre auf und wird entsprechend in Frankreich als Nouvelle vague allemande bezeichnet. François Truffaut, Une certaine tendance du cinéma français, in: Cahiers du cinema 31 (1954), S. 15-28; Norbert Grob, Bernd Kiefer, Thomas Klein, Markus Stiglegger (Hg.), Nouvelle vague, Mainz 2006; Simon Frisch, Mythos Nouvelle vague: Wie das Kino in Frankreich neu erfunden wurde, Marburg 2007. Gilbert Guillard O Ophüls, Max Wohl kein anderer Regisseur symbolisiert den Übergang zwischen Vorkriegs- und Nachkriegsperiode in den deutsch-französischen Filmbeziehungen so gut wie Max Ophüls (1902-1957). Im Saarland geboren (sein bürgerlicher Name war Oppenheimer), drehte er hier mehrere Filme bevor er 1933 nach Frankreich emigrierte. Sein letzter Film in Deutschland, „Liebelei“, mit Magda Schneider in der Hauptrolle, nach einem Theaterstück Arthur Schnitzlers, war der wohl gelungenste und bekannteste dieser Periode. 1938 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an und drehte „Werther“ , eine Adaptation des Briefromans von Goethe, mit dem damaligen jeune premier des französischen Films, Pierre Richard- Willm. Als Folge des Einmarsches der deutschen Wehrmacht 1940 wurde er erneut ins Exil gezwungen, in die USA, wo er mehrere Filme drehte, darunter „The exile“ (1947) und „Letter from an unknown woman“ (1947/ 48). Seine besten Werke schuf er jedoch nach seiner Rückkehr nach Frankreich ab 1950 mit „La Ronde“ (nach Schnitzler), „Le Plaisir“ (nach Maupassant) und seinem wohl bekanntesten Film: „Lola Montes“, der das Leben der berühmten Kurtisane erzählt, die zu ihren Geliebten nicht nur Liszt, Chopin und den Zaren, sondern auch den König von Bayern zählte. Einige Dialoge in deutscher Sprache missfielen dem französischen Publikum sehr und der Film wurde erst nach Ophüls Tod als Meisterstück gefeiert. Sein Gesamtwerk wurde durch die Vergabe seines Namens an ein Filmfestival (Max-Ophüls-Preis) gewürdigt, das seit 1979 jährlich in seiner Geburtsstadt Saarbrücken stattfindet. Das Festival ist zum einen Forum für Filmschaffende am Beginn ihrer Karriere und dient zum anderen der Entdeckung junger Talente. Gilbert Guillard Ostermeier, Thomas 374 O Ostermeier, Thomas Der 1968 in Soltau geborene Thomas Ostermeier ist nicht nur einer der künstlerisch bedeutendsten Theaterregisseure seiner Generation, sondern auch eine wichtige Figur des deutsch-französischen Kulturaustausches. Ostermeier begann seine Karriere als Schauspieler und war u.a. in Inszenierungen von Manfred Karge in Weimar und auch am *Berliner Ensemble zu sehen. Außerdem absolvierte er ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. 1996 übernahm er die künstlerische Leitung der Baracke des Deutschen Theaters in Berlin und konnte 1998 mit seiner Inszenierung von *Bertolt Brechts „Mann ist Mann“ einen großen Erfolg feiern, der auch in Frankreich wahrgenommen wurde: So präsentierte er seine Inszenierung - vom *Goethe- Institut gefördert - am Théâtre de la Cité internationale in Paris, auf dem Festival d’Avignon und in Bordeaux. 1999 ernannte man ihn gemeinsam mit der deutschen Choreografin Sasha Waltz sowie Jochen Sandig und Jens Hillje zum künstlerischen Leiter der Berliner *Schaubühne. Das Leitungsteam versuchte an die Tradition von *Peter Steins Kollektivtheateridee aus den 1970er Jahren anzuknüpfen, was jedoch nicht funktionierte: Als erste stieg Waltz aus dem Team aus, seit 2009 ist Ostermeier alleiniger künstlerischer Leiter. Ostermeier besitzt sehr gute Französischkenntnisse und pflegt seit den Anfängen seiner Karriere als Regisseur einen engen Kontakt zum französischen Theater. Nach seinem Erfolg mit „Mann ist Mann“, präsentierte er 2001 u.a. „Dantons Tod“ von Georg Büchner auf dem Festival d’Avignon und begann eine Kooperation mit Alain Françon, der damals das Théâtre national de la Colline leitete: So gastierte Ostermeier mit „Der Name“ des norwegischen Gegenwartsdramatikers Jon Fosse in deutscher Sprache in Paris und Françon inszenierte die französische Erstaufführung von „Feuergesicht“ („Visage de Feu“) des Dramaturgen und Hausautors der *Schaubühne, Marius von Mayenburg. 2004 wurde Ostermeier dann erster artiste associé des Festival d’Avignon. Er war nicht nur an der Programmgestaltung des Festivals beteiligt, sondern präsentierte gleich vier Produktionen: Georg Büchners „Woyzeck“, Henrik Ibsens „Nora“, „Disco Pigs“ von Enda Walsh und „Wunschkonzert“ von Franz Xaver Kroetz. Es folgten 2005 Sarah Kanes „Zerbombt“ und 2008 Shakespeares „Hamlet“. Im gleichen Jahr eröffnete seine Inszenierung von Ibsens „John Gabriel Borkmann“ in Rennes dann die Zusammenarbeit des europäischen Theaterverbundes Prospero, zu deren Gründungsmitgliedern die *Schaubühne zählt. Ostermeier erhielt den französischen Grand prix de la critique für die beste ausländische Inszenierung der Saison 2008/ 2009. 2010 wurde er vom französischen Kulturministerium zum Officier des arts et des lettres ernannt; zudem ist Ostermeier seit 2010 der Präsident des *Deutsch-Französischen Kulturrats. Nicole Colin, Deutsche Dramatik in Frankreich. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Patricia Pasic Österreichische Literatur in Frankreich Nach einer Phase historisch verständlicher Zurückhaltung öffnete sich der französische Kulturbetrieb in den 1950er Jahren gegenüber der deutschsprachigen Literatur mit einer intensiven Rezeption der Werke Franz Kafkas, der engagierten Literatur der BRD sowie des Theaters von *Bertolt Brecht. Dabei wurde dem Entstehungskontext bzw. den Besonderheiten der künstlerischen Ausdrucksformen in den verschiedenen deutschsprachigen Ländern und hiermit der Literatur aus Österreich zunächst keine Beachtung geschenkt. Als explizit „österreichisch“ bezeichnete man nur die der Wiener Literatur zugeordneten Dichter, wie Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, während Franz Kafka, Rainer Maria Rilke und Robert Musil als universelle Dichter galten; die wenigen Übersetzungen zeitgenössischer Werke, z.B. von Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, *Peter Handke oder Thomas Bernhard, wurden in das bundesdeutsche Literaturfeld eingegliedert. Die Eigenständigkeit der österreichischen Literatur, wie man diese seit 1945 in Österreich und etwas später in der BRD diskutierte, wurde in Frankreich bis in die 1970er Jahre nicht wahrgenommen. Als Hindernis für die Rezeption der modernen und avantgardistischen Literatur aus Österreich in Frankreich wurden einerseits die sprachliche Komplexität und Dichte der Texte, die besonders schwer zu übertragen seien, genannt; andererseits förderte die konservative österreichische Kulturpolitik bis Ende der 1970er Jahre kaum den Export zeitgenössischer Literatur. Auch die karge Verlagslandschaft in Österreich, welche die Autoren häufig zu bundesdeutschen Verlegern Österreichische Literatur in Frankreich O 375 abwandern ließ (und lässt), trug dazu bei, dass Autoren wie Aichinger, Bachmann und Handke über die BRD und die Gruppe 47 international bekannt und nicht als österreichische Autoren angesehen wurden. In den 1970er Jahren begann ein kleiner Kreis von französischen Spezialisten, sich mit der Besonderheit und dem Reichtum der österreichischen Gegenwartsliteratur auseinander zu setzen, der die österreichische Avantgarde (Wiener Gruppe, Bachmann, Handke und Bernhard) in ihrer Suche nach neuen Ausdrucksformen dem literarischen „Establishment“ in der BRD (Martin Walser, Heinrich Böll etc.) gegenüberstellte. Erst in den 1980er Jahren macht die Entdeckung des Wiener Fin de siècle als Wiege der Moderne und Ausgangspunkt für bedeutende philosophische bzw. wissenschaftliche Errungenschaften sowie künstlerische Ausdrucksformen des 20. Jahrhunderts eine breitere französische Leserschaft für die Spezifizität der österreichischen Literatur empfänglich, die nun - dem Wien-Mythos entsprechend - mit Begriffen wie morbide Melancholie, Endzeitstimmung, fröhliche Apokalypse, Ende einer Kultur oder Diagnose einer sterbenden Welt in Verbindung gebracht wurde. Symptomatisch für den Wien-Kult in Frankreich erscheint die Umtitelung von Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“ (1908), der erst 1984 in der französischen Übersetzung als „Vienne au crépuscule“, also „Wien in der Dämmerung“, erschien. Ihren eigentlichen Durchbruch erlebte die österreichische Literatur indes dank des außergewöhnlichen Erfolgs der Ausstellung „Vienne - naissance d’un siècle“ im Centre Georges Pompidou im Frühjahr 1986. Ab diesem Moment wurden österreichische Autoren intensiv wie niemals zuvor in Frankreich übersetzt, veröffentlicht und auch gelesen. Werke von Joseph Roth, Robert Musil, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Stefan Zweig, die schon seit den 1930er Jahren auf Französisch vorlagen, wurden neu übersetzt, wieder aufgelegt oder in Taschenbuchausgaben veröffentlicht, andere bis dahin weniger bekannte Autoren wie Peter Altenberg oder Karl Kraus teilweise neu oder erstmals auf Französisch publiziert. Man entdeckte nun auch die Prager Autoren Leo Perutz, Hermann Ungar, Ernst Weiss, Franz Urzidil sowie Schriftsteller der Zwischenkriegszeit wie Ödön von Horváth und Jura Soyfer. Diese massive Rezeption des Phänomens „Wien um 1900“ basierte unter anderem auf einem veränderten politischen und intellektuellen Klima, das sich mit Begriffen wie „Niedergang der Dieologien“ und „Wiederaufwertung des Subjekts“ verbindet. In der Figur des Ulrich aus Musils „Mann ohne Eigenschaften“ ließ sich nun der Prototyp des modernen Menschen erkennen. Die französische Wienbegeisterung ebnete auch den Weg für eine ganz bestimmte Rezeption der österreichischen Gegenwartsliteratur: Während einige wenige Germanisten und Literaturkritiker in den 1970er Jahren vor allem Sprachexperimente, Sprachskepsis und Sprachdichte bei österreichischen Autoren als charakteristisch festhielten, wurden deren Texte in den 1980er Jahren zwar häufiger gelesen, aber meist ausschließlich durch die Fin de siècle-Brille betrachtet; jene, die nicht in diese Lesart passen, blieben unbeachtet oder wurden dem Mythos entsprechend wahrgenommen: So gilt beispielsweise Thomas Bernhard, der zunächst als „geistiger Sohn Wittgensteins“ bezeichnet wurde, einige Jahre später als „Erbe des Goldenen Zeitalters“ oder *„Samuel Beckett aus Mitteleuropa“. Kurz nach der Ausstellung im Centre Georges Pompidou im Frühling 1986 schlug das wohlwollend intensive Interesse für österreichische Kunst und Literatur angesichts der politischen Entwicklungen in Österreich und der Haltung der Österreicher zu ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit („Waldheim-Affäre“) allerdings in kritische Ablehnung um. Das neue Negativimage Österreichs lenkte die Aufmerksamkeit auf die „Störenfriede“ unter den österreichischen Autoren, die vorher kaum rezipiert worden waren, wie Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Franz Innerhofer, Gernot Wolfgruber, Josef Winkler, Norbert Gstrein, Werner Schwab und andere. Als Beispiel sei die intensive Rezeption von Thomas Bernhard am Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre angeführt, die häufig politisch-ideologische und literarische Aspekte vermischte, wobei sich die französische Berichterstattung zur Veranschaulichung von politischer Wirklichkeit in Österreich Bernhard‘scher (literarischer) Textstellen bediente. Bernhards erste Romane wurden zunächst ausschließlich auf ästhetisch-literarischer Ebene gelesen, zu der dann im Kontext der Wienmode - vor allem bei der Lektüre der autobiographischen Texte - die psychologische Ebene hinzukam. Im Zuge der allmählichen Verfinsterung des Österreichbildes interessierte jedoch vor allem das kritische Potenzial in den Texten und Theaterstücken Bernhards. Für die französischen Rezipienten ver- ParisBerlin (Magazin) 376 P körperte er das schlechte Gewissen seines Landes und avancierte in den 1990er Jahren neben *Bertolt Brecht zum meistinszenierten deutschsprachigen Dramatiker in Frankreich (*Deutsches Theater in Frankreich). Aus heutiger französischer Perspektive besitzen österreichische Autoren ein besonderes Sprachbewusstsein und sprachliche Musikalität, eine negative Weltanschauung und eine spezielle österreichische Morbidität, sie lehnen die traditionellen Erzählformen ab und stehen in einem konfliktgeladenen und kritischen Verhältnis zu Österreich. Die Stücke Bernhards gehören im gegenwärtigen französischen Theater, neben jenen von Schnitzler und Horváth, zum „klassischen“ modernen Repertoire (und werden sogar in der Comédie-Française gespielt); Peter Handke und Elfriede Jelinek (Nobelpreis für Literatur 2004) sind die bekanntesten zeitgenössischen österreichischen Autoren. Beim breiten Leserpublikum erfreuen sich nach wie vor Stefan Zweig, Arthur Schnitzler und Joseph Roth größter Beliebtheit. Literatur aus Österreich wird von französischen Verlagshäusern allgemein mit Interesse verfolgt und veröffentlicht, gleich ob es sich um Neu- oder Wiederentdeckungen von älteren Autoren handelt (Jean Améry, Ingeborg Bachmann, Veza Canetti, Hans Lebert, Marlen Haushofer, Gert Jonke, Soma Morgenstern, Gregor von Rezzori) oder um aktuelle Literatur (Josef Winkler, Robert Menasse, Robert Schindel, Friederike Mayröcker, Erich Hackl, Christoph Ransmayr, Michael Köhlmeier, Kathrin Röggla, Daniel Kehlmann, Thomas Glavinic, Arno Geiger, Maja Haderlap) - und dies nicht zuletzt dank der Österreich-Spezialisten innerhalb der *französischen Germanistik, Übersetzern wie *Heinz Schwarzinger und Fachpublikationen wie *Austriaca. Abschließend sei anzumerken, dass es seit dem Ende der 1980er Jahre im französischen Feuilleton üblich geworden ist, bei Übersetzungen aus dem Deutschen zu vermerken, ob es sich um Autoren aus Deutschland, der Schweiz oder Österreich handelt. Friedrich Koya, Otto Pfersmann (Hg.), Frankreich- Österreich. Wechselseitige Wahrnehmungen und wechselseitige Einflüsse seit 1918, Wien 1994; Ute Weinmann, Thomas Bernhard, l’Autriche et la France: histoire d’une réception littéraire, Paris 2000; Revue Europe: Littérature d’Autriche (juin-juillet 2001); Franz Haas, Klaus Zeyringer, Blicke von außen. Österreichische Literatur im internationalen Kontext, Innsbruck 2003; Wendelin Schmidt-Dengler, Bruchlinien: Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1994, Salzburg, Wien 3 2010; Éric Chevrel (Hg.), La littérature autrichienne et l’Etat. Hommage à W. Schmidt-Dengler (1942-2008), Paris 2010. Ute Weinmann P ParisBerlin (Magazin) Die Gründung des deutsch-französischen Nachrichtenmagazins „ParisBerlin“ geht auf die Initiative des früheren Journalisten und PR-Beraters Pierre Janin zurück, der zum Ende seiner beruflichen Laufbahn ein unabhängiges Medium schaffen wollte, das zum tieferen gegenseitigen Verständnis zwischen Deutschen und Franzosen beitragen und von keiner öffentlichen Institution abhängig sein sollte. Die erste Ausgabe von „Paris- Berlin“, damals noch mit Bindestrich, erschien im Oktober 2004 und wurde in der Französischen Botschaft am Pariser Platz in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert. Ein halbes Jahr zuvor, im Februar 2004, war mit einer Nullnummer das Konzept getestet worden. Ein Nachrichtenmagazin mit Artikeln in den Rubriken Aktualität, Wirtschaft, Lebensarten, Kultur und Ausbildung, die von professionellen deutschen und französischen Journalisten in ihrer jeweiligen Muttersprache geschrieben wurden und sich auf deutsche und französische Themen im weitesten Sinne bezogen. Von vornherein wurde darauf verzichtet, die Artikel zweisprachig zu veröffentlichen. Für Leser, die eine der beiden Sprachen kaum oder gar nicht beherrschen, wurden die wichtigsten Artikel in der anderen Sprache kurz zusammengefasst. Das Magazin erntete viel Beifall und Anerkennung. Die Zahl der Abonnenten stieg innerhalb von einem Jahr auf über 3 000 Personen und Institutionen, die Zahl der Anzeigenkunden blieb jedoch überschaubar und der finanzielle Spielraum begrenzt, sodass nur wenige feste Mitarbeiter eingestellt werden konnten. Die Redaktion bestand meist nur aus einer Person, die von Praktikanten und von einigen älteren Journalisten ehrenamtlich unterstützt wurde, und einem mehr oder weniger festen Stamm jüngerer Journalisten, die regelmäßig als freie Mitarbeiter zur Gestaltung der Zeitschrift beitrugen. Paris-Berlin (Ausstellung) P 377 Im Sommer 2008 verkaufte Pierre Janin die Zeitschrift, die sich seit der Nummer 24 vom September 2007 „ParisBerlin“ nennt, an Olivier Breton, den Direktor der Werbeagentur All contents. Der neue Eigentümer bemühte sich einerseits um Kontinuität, andererseits versuchte er die Zeitschrift weiterzuentwickeln. Nach und nach änderte sich die Aufmachung, der Seitenumfang nahm zu, die Rubriken wurden erweitert und stärker differenziert, auf Zusammenfassungen in der anderen Sprache wurde verzichtet. Neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kamen hinzu, ein Berliner Büro wurde eröffnet, der Internet-Auftritt verbessert und der europäische Akzent stärker betont. Seit Anfang 2010 bezeichnet sich das Journal als deutsch-französisches Nachrichtenmagazin für Europa. Zu Beginn desselben Jahres veröffentlichte Olivier Breton „99 Ideen für die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen“, die in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Zeitschrift, dem Club ParisBerlin und Persönlichkeiten wie Pierre Janin und Henri de Bresson entwickelt worden waren. De Bresson, langjähriger Deutschlandkorrespondent von „Le Monde“, übernahm im Herbst 2012 auch die Chefredaktion des Magazins, unterstützt von Nina Drewes in Paris und den Mitarbeiter des Berliner Büros. Ulrich Schönleber † Paris-Berlin (Ausstellung) Die Ausstellung „Paris-Berlin, rapports et contrastes France-Allemagne 1900-1933“ wurde schon während ihrer Präsentation im Pariser Centre Georges Pompidou 1978 als Meilenstein in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert bezeichnet. Sie gilt als epochemachendes kulturpolitisches Ereignis in der Vermittlung deutscher Kunst in Frankreich, als Deutschstunde auch für die Deutschen. Der französische Staat hatte ursprünglich geplant, im Rahmen einer Bestandsaufnahme und Neupositionierung des internationalen Kunstbetriebs zur Zeit des Kalten Krieges mit zwei großen Ausstellungen - „Paris und der Westen“ und „Paris und der Osten“ - die Rolle der französischen Metropole in der Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts zu untersuchen. Den Auftakt zu diesem kunstpolitischen Programm bildete 1977 die Ausstellung „Paris-New York“, die Ost-Ausstellung sollte die Achse „Paris-Berlin-Moskau“ in den Blick nehmen und sich auf die Jahre „um die Revolution“ konzentrieren. Acht Monate vor ihrer geplanten Eröffnung im Juli 1978 scheiterte dieses Konzept jedoch am Widerstand Moskaus, da man für die Sowjetunion eine der West-Ausstellung ebenbürtige Achse „Paris-Moskau“ forderte. Statt einer Ausstellung sollte es nun zwei geben. „Paris-Berlin. Rapports et contrastes France-Allemagne, 1900- 1933“ machte 1978 den Anfang. Für ihre Konzeption, die in Rekordzeit erfolgte, waren auf französischer Seite Jean-Hubert Martin, auf deutscher *Werner Spies verantwortlich. Der Zyklus wurde schließlich 1979 mit „Paris-Moskau. 1900-1930“ abgeschlossen. Die Ausstellung „Paris-Berlin“ bot dem französischen Publikum zum ersten Mal in der deutsch-französische Nachkriegsgeschichte einen umfassenden Einblick in die deutsche Kunst der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, dessen Akteure, Vektoren und Bewegungen jenseits des Rheins so gut wie unbekannt geblieben waren. Zwar waren der Ausstellung vereinzelt thematisch bzw. monographisch ausgerichtete Schauen vorangegangen - „Bauhaus“ vom Musée national d’art moderne und Musée d’art moderne de la ville de Paris (1969); „L’Expressionisme européen“ im Haus der Kunst, München und Musée national d’art moderne, Paris (1970); „Le Fauvisme français et les débuts de l’expressionisme allemand. Der französische Fauvismus und der deutsche Frühexpressionismus“ im Musée national d’art moderne, Paris und im Haus der Kunst, München (1966) - hier nun legte man den Akzent auf die Zusammenschau. Programmatisch bezog sie verschiedenste künstlerische Ausdrucksmittel ein und behandelte neben den bildenden Künsten auch die Grafik, die Fotografie, Film, Theater, Architektur, Industriedesign, Literatur und Musik. Wies der Untertitel der Ausstellung „Übereinstimmungen und Gegensätze“ darauf hin, dass es um die Sichtbarmachung verwandter und unterschiedlicher Entwicklungen in beiden Ländern ging, wurde die Ausstellung von *Werner Spies, der auf umfassende Unterstützung seitens der deutschen Museen zählen konnte, zu einer Präsentation der Kunst in Deutschland zwischen 1900 und 1933. Weniger von internationalen künstlerischen Einflüssen als von der politisch-wirtschaftlichen Entwicklung im eigenen Land geprägt, sollte die Ausstellung die Autonomie der deutschen Kunst, aber auch die Impulse vorführen, die von ihr ausgingen Passagen-Verlag 378 P und international, auch nach Frankreich, wirkten. Die Absicht, historische Zusammenhänge und Entwicklungslinien aufzuzeigen, verfolgte der Berlin-Raum innerhalb der Ausstellung, in dem die Entwicklung vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus dokumentiert wurde. Ein umfangreicher Katalog sowie dreisprachige multimediale Vermittlungsarbeit machten die Ausstellung auch in museologisch-technischer Hinsicht zu einem innovativen Ereignis. Im Unterschied zu „Paris-New York“ beschränkte sich „Paris-Berlin“ auf die Jahre bis zur „Machtergreifung“, womit der deutschen Kunst der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine größere Bedeutung zuerkannt wurde. Das Ausklammern des Nationalsozialismus sowie der Nachkriegszeit mit ihren lebhaften Debatten um Figuration und Abstraktion verrät darüber hinaus die zeitgenössische Unsicherheit im Umgang mit der Aufbereitung der NS-Zeit und den anschließenden kulturpolitischen Auseinandersetzungen. Für die deutsch-französische Vergangenheitsbewältigung auf dem Gebiet der Kunst- und Kulturpolitik wird mit „Paris-Berlin“ ein Anfang gemacht. Robert Bordaz, Une idée neuve: le Centre national d’art et culture Georges Pompidou, Conférences des ambassadeurs, nouvelle série n°74 (1977), S. 1-9; Bernadette Dufrêne, Art et médiatisation: le cas des grandes expositions inaugurales du Centre Georges Pompidou (Paris- New York, Paris-Berlin, Paris-Moscou), Grenoble 1998; Bernadette Dufrêne (Hg.), Centre Pompidou, trente ans d’histoire, Paris 2007. Julia Drost Passagen-Verlag Der Passagen-Verlag wurde 1987 von *Peter Engelmann in Wien als Reaktion auf die abwehrende Haltung wichtiger deutscher Verlage gegenüber verschiedenen Vertretern der französischen Gegenwartsphilosophie gegründet. *Engelmann begann mit den Übersetzungen der Werke von Jacques Derrida, Jean-François Lyotard, *Jean Baudrillard, Sarah Kofman und Jean-Luc Nancy. Damit wurde im deutschsprachigen Raum die Grundlage für eine systematische und umfassende Übersetzung der Schlüsseltexte von Postmoderne und Dekonstruktivismus gelegt, die zu einer langsamen Versachlichung der Auseinandersetzungen um die zeitgenössische französische Philosophie beitrug. Aus dieser Idee leitete sich auch die Programmatik des Passagen-Verlags ab, der seine kulturell-politische Funktion darin sieht, für die Vielfalt des Denkens und für Toleranz einzutreten: Neben philosophischen Texten öffnete sich der Verlag einem weit verzweigten Spektrum von Themen und Kulturformen, von Denk- und Schreibweisen. Der Passagen-Verlag hat sich in den 1990er Jahren durch sein Profil einen viel beachteten Platz unter den deutschsprachigen Wissenschaftsverlagen erobert und sein Angebot, das 2008 bereits mehr als 800 Titel umfasste, diversifiziert. Mit seiner unabhängigen, genreübergreifenden Ausrichtung vereint der Verlag aktuelle Positionen aus den Gesellschafts-, Literatur- und Kunstwissenschaften sowie der Philosophie und ist immer wieder für Entdeckungen oder auch Wiederentdeckungen gut. Thomas Weber Paul-Celan-Preis Der vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt gestiftete Paul-Celan-Preis zeichnet alljährlich literarische Übersetzer für ihr Gesamtwerk oder ein größeres Werkensemble aus. Der Preis gilt ausschließlich Übersetzungsleistungen ins Deutsche. Er wurde erstmals im Jahre 1988 vergeben (damals an Simon Werle, der u.a. als Übersetzer französischer Theaterliteratur von Jean Racine bis Bernard-Marie Koltès hervorgetreten ist) und ist derzeit mit 15 000 Euro dotiert. Der Preis versteht sich als Hommage an den deutschsprachigen, aus der Bukowina (Cernowitz) stammenden Lyriker *Paul Celan, der seit 1948 in Paris lebte und dort, mit Unterbrechungen, von 1959 bis zu seinem Freitod im Jahre 1970 als *Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der ENS wirkte. Hier lehrte er u.a. literarisches Übersetzen, eine Tätigkeit, die einen guten Teil seines Œuvres ausmacht. Neben den Klassikern der französischen Moderne (Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, aber auch Artaud, Breton, Éluard, Desnos, Michaux…) und Georges Simenon (! ) widmete *Celan sich als Übersetzer auch der russischen, rumänischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Literatur, hier insbesondere der Lyrik. Der *Paul-Celan-Preis, der zunächst nur Übersetzern aus dem Französischen zugedacht war, wird, nach einer Unterbrechung in den Jahren 1993 und 1994, seit 1995 Überset- Philosophie P 379 zern aus allen Sprachen verliehen. Unter den herausragenden zeitgenössischen Übersetzern aus dem Französischen konnten sich bislang Uli Aumüller (1989), Eva Moldenhauer (1991), Hinrich Schmidt-Henkel (2004) und das Übersetzerteam der „Cahiers“ von Paul Valéry (1990) in die Liste der Preisträger eintragen. Jürgen Ritte Philosophie Für die philosophischen Wechselwirkungen zwischen Frankreich und Deutschland nach 1945 stellt die Phänomenologie Husserls den zentralen Referenzpunkt dar. Bereits 1929 hielt Edmund Husserl zwei Vorträge im Amphitéâtre René Descartes der Sorbonne. Dass Husserl ausgerechnet unter dem Vorzeichen einer Anknüpfung an Descartes in Paris sprach, ist insofern bedeutsam, als *Martin Heidegger in seinem 1927 veröffentlichten Hauptwerk „Sein und Zeit“ den Cartesianismus scharf angegriffen hatte. Descartes fungierte als Diealtypus einer Philosophie, die fälschlicherweise das Subjekt als ein den Objekten der Welt gegenüberstehendes Etwas, als eine res cogitans, zu denken vorschlug. *Heideggers berühmte Formel, das „Dasein“ sei als ein „In-der-Welt-sein“ zu bezeichnen, ist zugleich als Entgegnung auf seinen Lehrer Husserl zu verstehen. Die Formel drückt aus, dass der Mensch immer schon in praktische Bezügen mit der Welt verbunden ist, ihr zunächst nicht als Beobachter gegenübersteht, sondern als Handelnder in sie verstrickt ist. Wenn Husserl also in seinen „Cartesianischen Meditationen“ den „Meditationes de prima philosophia“ Descartes’ eine „Ewigkeitsbedeutung“ zuschreibt, so ist damit nicht nur der Höflichkeit gegenüber den Gastgebern genüge getan, sondern zugleich die Bruchlinie zu seinem Schüler *Heidegger markiert. Husserl beruft sich emphatisch auf die Tradition Descartes’ und stellt die Phänomenologie als eine organische Fortentwicklung des cartesianischen Projekts vor. In der V. Meditation entfaltet er das Problem der Fremderfahrung. Dabei geht es um das prinzipielle Problem, wie ein sich auf die Sphäre der Phänomene zurückziehendes Bewusstsein dem Problem des Solipsismus begegnen kann. Wie entkommt das Ego dem Gefängnis der eigenen Erfahrungen und gelangt zur Erkenntnis, dass der als Fremde erscheinende Andere tatsächlich ein Anderer ist? Husserl stellt fest, dass es sich beim Phänomen des Fremden um ein prinzipielles Problem handelt, weil hier die Evidenz nicht nur von Erscheinungen, sondern eines gerade nicht empirisch erfahrbaren Alter Ego plausibel gemacht werden muss. Er bietet eine ebenso elaborierte wie umstrittene Lösung an: In der Fremderfahrung schließt das transzendentale Ego von der Erfahrung des Eigenleibes auf den Fremdleib: In einem Art impliziten Schlussverfahren wird das Alter Ego „appräsentiert“: Der andere Leib muss der Leib eines Anderen sein. Zu den begeisterten und zugleich äußerst kreativen Lesern von Husserl und *Heidegger gehörte Maurice Merleau-Ponty, dessen 1945 erschienene Dissertation „Phénoménologie de la Perception“ zentrale Gedanken Husserls bis zu jenem Punkt weiterführt, an dem sie das Projekt der Phänomenologie, nämlich die Fundierung der modernen Wissenschaft, in Frage stellen. Für Merleau-Ponty steht das Thema, das bei Husserl nur Durchgangsstadium zur Grundlegung der Wissenschaft sein sollte - nämlich die Frage nach einem angemessenen Verständnis des Subjekts - unangefochten im Zentrum. Indem er jedoch Bewusstsein über den Begriff der Wahrnehmung zu verstehen sucht, geschieht etwas Entscheidendes: Die Wahrnehmung bleibt immer unvollkommen; sie hat stets den Charakter einer Bewegung, ist offen für eine Fortsetzung. Dies hatte Husserl bereits gesehen und beschrieben. Indem aber Merleau-Ponty die Wahrnehmung zum Modus des Bewusstseins insgesamt erklärt, gibt er die Hoffnung auf vollkommene Evidenz auf: Was wir wahrnehmen, kann uns nie abschließend evident gegeben sein. Wenn dies nach Merleau- Ponty selbst für das Cogito gilt, also die Eigenwahrnehmung des Subjekts immer unabgeschlossen und offen bleibt, dann ist das Projekt einer Phänomenologie als reiner Wissenschaft nicht zu halten. Philosophisch zentral ist an Merleau-Pontys Husserl-Lektüre zudem ein Punkt, der für die jüngere Generation seiner Zuhörer wie z.B. *Michel Foucault von Bedeutung werden sollte: Wenn wir das Bewusstsein als Wahrnehmung verstehen können, so rückt damit ein „Gegenstand“ ins Zentrum, der zur Wahrnehmung notwendig ist, der Leib. Wir bewohnen den Leib zwar, aber wir können ihn nie einfach haben. Merleau-Ponty öffnete damit jene Reflexionsräume, die Jacques Derrida oder *Foucault ausgefüllt haben, indem sie Husserls Pro- Philosophie 380 P jekt einer Fundierung der Wissenschaft endgültig ad acta legten. Bernhard Waldenfels hat Merleau-Pontys Leibbegriff nach Deutschland rückimportiert und zu einer echten „Philosophie des Leibes“ fortentwickelt. Der philosophische Austausch zwischen Deutschland und Frankreich war nie eine Einbahnstraße, auch wenn es zunächst so scheinen mag, als seien vor allem Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Edmund Husserl nach Frankreich geholt worden. Spätestens nach 1945 drehte sich der Hauptstrom um. Nun war es *Jean-Paul Sartre, der in Deutschland die Jugend begeisterte und dessen *Existentialismus den Weg über die Literatur bis in deutsche Nachkriegsfilme und das Theater fand (*Französisches Theater in Deutschland). Nicht selten zwang die gegenseitige Rezeption die Autoren philosophischer Thesen zur Präzisierung, weil es auf der anderen Seite des Rheins nach eigener Wahrnehmung zu Fehlinterpretationen gekommen war. Dies ist paradigmatisch an *Heideggers „Brief über den Humanismus“ zu beobachten. *Heideggers Antwort auf Jean Beaufret ist im Ton konziliant und bewusst tastend gehalten, in der Sache jedoch kompromisslos. Sartres Formel, die Existenz gehe der Essenz voraus - der Schlüsselsatz des *Existentialismus *Sartres - wird einer scharfen Kritik unterzogen. *Sartre hatte sich in seiner Formel gegen die Dominanz der Essenz, des überzeitlichen Wesens, über die Existenz, die kontingente, zeitlich gebundene Erscheinungsform, gewandt. In *Sartres Gegen-Formel sieht Heidegger nach 1945 nun die Fehler der eigenen Anfänge: „Die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibt ein metaphysischer Satz“. Dies aber bedeutet für *Heidegger, dass auch der Humanismus Ausdruck eines Substanzdenkens ist, das ein Wesen des Menschen voraussetzen muss und die Welt stets in Entitäten kategorisiert, nie das Sein in den Blick nimmt, sondern sich stets an das Seiende hält. Wenn damit der Humanismus verabschiedet wird, so soll doch nicht der Inhumanität das Wort geredet werden: „Gegen den Humanismus wird gedacht, weil er die Humanitas des Menschen nicht hoch genug ansetzt.“ Nicht allen in Frankreich lebenden Philosophen war die Begeisterung für *Heidegger geheuer. Zu den vehementesten Kritikern zählten jene, die *Heidegger aus der Nähe kannten. Zu ihnen gehört Emmanuel Lévinas. Sein entscheidender Einwand wendet sich gleichermaßen gegen Husserl und *Heidegger. Beide, so Lévinas in den Schriften der späten 1940er und 1950er Jahre, scheitern aus systematischen Gründen am Problem der Fremderfahrung. Husserls Dreischritt aus Leiberfahrung, Analogieschluss und Appräsentation des Anderen erweist sich aus der Perspektive Lévinas‘ als verquere Logik. Sowohl Husserl als auch *Heidegger versuchen nämlich die Welt, das Sein und den Anderen zunächst vom Subjekt her zu denken. Dieses Verständnis ist nun nach Lévinas nicht nur ethisch zweifelhaft; es ist vor allem auch philosophisch falsch, weil es der tatsächlichen Genese des menschlichen Bewusstseins widerspricht. Die Genese des menschlichen Bewusstseins ist gar nicht anders möglich und denkbar, denn als Antwort auf den „Anspruch“ des Anderen. In seinem ersten Hauptwerk „Totalité et infini: Essai sur l’extériorité“ (1961) wird diese These systematisch gegen Husserl und *Heidegger gleichermaßen entfaltet. Nur indem der Mensch dem ethischen Anspruch, d.h. dem Imperativ, ethisch zu handeln, folgt, kann er sich als Bewusstsein konstituieren. Indem wir ins Antlitz des Anderen blicken, bedürfen wir keiner langwierigen Analogiebildungen, um zu verstehen, dass wir gegenüber dem Anderen zur Fürsorge verpflichtet sind und in einem starken Sinne „angesprochen“ sind. Die Ethik wird so zur ersten Disziplin der Philosophie. Nun kann es nicht mehr darum gehen, den Weg aus dem Gefängnis des transzendentalen Bewusstseins zu suchen, sondern umgekehrt nach den philosophiehistorischen Entwicklungen zu fragen, die in dieses Gefängnis hineingeführt haben. Wie war es möglich, dass das abendländische Denken den Anderen so sehr vergessen konnte, den Anspruch auf Fürsorge für den Anderen so nachhaltig verdrängen konnte, dass Kriege, Völkermord, ja die Vernichtung der europäischen Juden möglich wurden? Bei Lévinas wird der philosophische Austausch zwischen Deutschland und Frankreich zu einem Transfer, der das Transferierte radikal in Frage stellt. Jacques Derrida gehört ebenfalls zu jener Generation, die durch die Abgrenzung zu Husserl das eigene philosophische Profil gewann. In seiner phénomène“ (1967) versucht er zu zeigen, warum Husserls Versuch einer Beschreibung von Evidenz aus strukturellen Gründen scheitern muss. Zeichengebrauch, selbst der Sprachgebrauch der inneren Stimme, kann nie selbst-transparent über die Picht, Robert P 381 eigenen Mittel verfügen: Die Stimme kann das Phänomen nie abschließend und eindeutig benennen, sondern bleibt in einem unabschließbaren Beschreibungsprozess verfangen. Husserls Fixierung auf Präsenz, Evidenz, Abschluss etc. werden aus dieser Perspektive zum Symptom einer Präsenzmetaphysik, die rhetorisch herbeizureden versucht, was strukturell unmöglich ist. Von diesem vouloir-s’entendre-parler absolu sollten wir uns, so Derrida, verabschieden. Es ist im Rückblick kein Zufall, dass in diesem Schlüsselzitat der Begriff entendre (verstehen) vorkommt. Hans-Georg Gadamer hat in seiner philosophischen Hermeneutik - das Hauptwerk „Wahrheit und Methode“ erschien 1960 - den Begriff des Verstehens als Schlüsselbegriff des menschlichen Daseins überhaupt benannt. In Gadamers Hermeneutik bildet die „Horizontverschmelzung“ im Gespräch einen Zielpunkt des Verstehensprozesses. Derrida stieß 1981 zielsicher auf den heikelsten Punkt in Gadamers Hermeneutik, nämlich die Voraussetzungen des gelingenden Dialogs und damit des Verstehens überhaupt. Wo Gadamer vom „Lebenszusammenhang“, vom „lebendigen Dialog“ spricht, muss Derrida Fragezeichen setzen: Können wir wirklich davon ausgehen, dass in einem „lebendigem Gespräch“ spontanes Verstehen möglich ist? Oder wäre nicht auch hier damit zu rechnen, dass die Voraussetzungen unseres Verstehens sich unserer Verfügung so entziehen, dass jedes Verstehen, prekär, unabgeschlossen, ja womöglich erzwungen bleibt? Die philosophische Hermeneutik erweist sich so als Präsenzmetaphysik, als Ausdruck eines geradezu gewaltförmigen Willlens zur Transparenz. Gadamers Reaktion von 1985 läuft darauf hinaus, Derrida in seiner Skepsis gegenüber einem Verstehen Recht zu geben, in den Hemmnissen des Verstehens jedoch nicht eine Aporie, einen Abbruch oder Grund für strukturelles Missverstehen zu sehen, sondern im Gegenteil gerade den Motor der Verstehensbemühungen: „Wer mir Dekonstruktion ans Herz legt und auf Differenz besteht, steht am Anfang eines Gesprächs, nicht an seinem Ziel.“ Das Scheitern der ersten Begegnung 1981 schien Derridas These selbst zu bestätigen: Auch zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen der Hermeneutik und der Philosophie der Dekonstruktion sind die Voraussetzungen womöglich so verschieden, dass ein Verstehen nahezu unmöglich bleibt. Als Derrida 2003 in Heidelberg seine Rede zur Erinnerung an den ein Jahr zuvor verstorbenen deutschen Kollegen vortrug, war erkennbar, dass beide Positionen sich angenähert hatten, allerdings ohne deckungsgleich zu werden. Beide, Derrida wie Gadamer, interessierten sich für die philosophische Bedeutung der Übersetzung, für die Erfahrung einer Unmöglichkeit der Übersetzung - bei gleichzeitiger Notwendigkeit und daher „Möglichkeit“. Der Austausch zwischen Deutschland und Frankreich bleibt für die continental philosophy zentral und lässt sich in der Gegenwart bei Philosophen wie Jean-Luc Marion oder Bernhard Waldenfels weiterverfolgen. Doch auch eine Gegenrechnung ist möglich: Es gibt zahllose Beispiele für verpasste Gelegenheiten. Hans Blumenberg und Paul Ricœur verfassten umfassende Studien zur philosophischen Bedeutung der Metapher - und scheinen sich noch nicht einmal gegenseitig zur Kenntnis genommen zu haben. Hans-Dieter Gondek, László Tengelyi, Neue Phänomenologie in Frankreich, Berlin 2011; Bernhard Waldenfels, Phänomenologie in Frankreich, Frankfurt/ M. 1986; ders., Deutsch-französische Gedankengänge, Frankfurt/ M. 1995; ders., Idiome des Denkens: Deutsch-Französische Gedankengänge II, Frankfurt/ M. 2005. Felix Heidenreich Picht, Robert Der in Berlin geborene Robert Picht (1937-2008) war als langjähriger Direktor des *DFI in Ludwigsburg nicht nur einer der Pioniere der deutschfranzösischen Wissenschaftskooperation, sondern darüber hinaus ein überzeugter Europäer. Geprägt wurde er durch das elitäre Bildungsmilieu seiner Familie: Der Großvater, Werner Picht, war im Preußischen Kultusministerium unter dem „heimlichen Reichskultusminister“ Carl Heinrich Becker für die Volksbildung zuständig. Der Minister beauftragte ihn 1925 mit der Gründung des *DAAD und delegierte ihn von 1927 bis 1933 in das Völkerbundinstitut für geistige Zusammenarbeit, die Vorläufer-Organisation der UNESCO, nach Paris. Er heiratete die Schwester des berühmten Romanisten und deutsch-französischen Mittlers Ernst Robert Curtius. Der Vater Georg Picht, von Haus aus Altphilologe und Philosoph, war ein engagierter Bildungspolitiker, der nach dem Krieg mit einer Streitschrift über „Die deutsche Bildungskatastrophe“ berühmt wurde. Sie brachte ihm den Politikwissenschaft 382 P Titel „Katastrophen-Picht“ ein. Sein pädagogisches Experimentierfeld war der Birklehof, ein Landschulheim in Hinterzarten im Schwarzwald. Den Musikunterricht gab dort die Mutter, die berühmte Cembalistin und Pianistin, Edith Picht- Axenfeld. In diesem privilegierten Milieu wuchs Picht auf, im Birklehof hat er Abitur gemacht. Die Werte, die ihm dort vermittelt wurden, sollten sein Denken und Wirken nachhaltig prägen. Im Mittelpunkt stand sein europäisches und internationales Engagement. Diese Haltung beruhte auf der nüchternen und luziden Einsicht, dass die anstehenden Probleme unserer Zeit nicht mehr im nationalen Rahmen, sondern allein durch ein gemeinsames Handeln im europäischen Zusammenschluss zu lösen waren. Robert Pichts erstes Tätigkeitsfeld war die Pariser Außenstelle des *DAAD (1965-1972) unter der Leitung von *Hansgerd Schulte, die sich zur Aufgabe gestellt hatte, die deutsch-französische Hochschulkooperation als Modell für Europa zu erproben: so die Erarbeitung von Diplomäquivalenzen als Vorbild für das europäische Anerkennungssystem (ECTS); die Entwicklung gemeinsamer Forschungsprogramme (*Procope) und integrierter Studiengänge zwischen deutschen und französischen Universitäten sowie die gezielte Förderung deutsch-französischer Führungseliten (ENA, Romanisten- und Germanistenprogramm u.a.). Parallel zu dieser hochschulpolitischen Tätigkeit widmete sich Robert Picht der Forschung mit einer Promotion bei *Pierre Bourdieu über ein bildungspolitisches Thema: „Les étudiants germanistes et l’Allemagne“. Parallel zur Forschung kam die Lehre: Er war *Lektor an der ENA und am Institut d’études politiques (IEP/ Sciences Po), später als Professor hatte er Lehraufträge am *Institut d’allemand d’Asnières (Sorbonne Nouvelle), an der Universität Bologna und an der Fernuniversität Hagen. Seit 1988 lehrte er am Europakolleg in Brügge, zunächst als Professor für Europäische Soziologie und als Direktor für interdisziplinäre Studien, um 2001 Inhaber des Hendrik Brugmans- Lehrstuhls für interdisziplinäre Studien zu werden. Daneben war er ab 2002 zunächst als interimistischer und von 2004 bis 2007 als stellvertretender Rektor an der Dependance des Kollegs in Natolin bei Warschau tätig. Sein Hauptanliegen war die Einrichtung interdisziplinärer Studiengänge zur Ausbildung europäischer Führungseliten. Er pflegte zu sagen, dass das Europakolleg in Brügge eine europäische ENA sei. In Natolin vollzog sich für ihn die europäische Osterweiterung. Die bei weitem längste Zeit seiner beruflichen Tätigkeit und seines kulturpolitischen Engagements widmete er dem *DFI in Ludwigsburg (1972-2002). Er machte aus einer Austausch- und Begegnungsstätte ein Institut interdisziplinärer Frankreichforschung mit den Schwerpunkten: Forschung, Dokumentation und Information. Inhaltlich bedeutete das die Organisation jährlicher Frankreichforschertagungen, die Herausgabe des *„Frankreich Jahrbuches“, die Einrichtung einer umfassenden Frankreich-Bibliothek und einer bibliographischen Datenbank. Hauptziel dieser theoretischen und angewandten Frankreichforschung war es wiederum, am deutsch-französischen Modell die Möglichkeit einer europäischen Kooperation zu demonstrieren und einzuleiten. Robert Picht (Hg.), Perspektiven der Frankreichkunde. Ansätze zu einer interdisziplinär orientierten Romanistik, Tübingen 1974; ders. (Hg.), Deutschland, Frankreich, Europa. Bilanz einer schwierigen Partnerschaft, München 1978; ders., Jacques Leenhardt (Hg.), Esprit/ Geist. 100 Schlüsselbegriffe für Deutsche und Franzosen mit, München 1989; ders., Wolfgang Wessels (Hg.), Motor für Europa? Deutsch-französischer Bilateralismus und europäische Integration, Bonn 1990. Hansgerd Schulte Politikwissenschaft Kontakte und Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Politikwissenschaftlern konnten nach 1945 zunächst nur allmählich in Gang kommen, da die Politikwissenschaft als eine eigene Wissenschaftsdisziplin erst (neu) begründet werden musste. In den 1950er und frühen 60er Jahren war das Fach vor allem am 1959 eröffneten Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin (vorher Deutsche Hochschule für Politik) sowie am Institut d’études politiques (IEP/ Sciences Po) in Paris konzentriert. Da an diesen beiden Instituten mit *Gilbert Ziebura und *Alfred Grosser die bald führenden und miteinander befreundeten Frankreichbzw. Deutschlandforscher lehrten, kam es dank ihrer Initiativen seit den 1960er Jahren zu Kontakten, Begegnungen und verschiedenen Formen der Kooperation. Durch Exkursionen und später Austausch wurden auch die Studenten einbezogen. Die ersten Doktoranden *Zieburas arbei- Politikwissenschaft P 383 teten vorwiegend über französische bzw. deutschfranzösische Themen, forschten in Pariser Archiven und Bibliotheken und studierten am IEP, wo sie *Alfred Grosser unter seine Fittiche nahm. Sofern es bis Mitte der 1960er Jahre politikwissenschaftliche Publikationen über das jeweils andere Land gab, stammten sie von den beiden genannten Gründervätern. Übersetzungen politikwissenschaftlicher Bücher, zur Überwindung der Sprachhürde unerlässlich, gab es kaum. Ende der 1960er und vor allem seit den 1970er Jahren nahmen die französische Deutschlandund, deutlich stärker, die deutsche Frankreichforschung einen sichtbaren Aufschwung. Inwiefern der Abschluss des *Élysée-Vertrages am 22.1.1963 dabei eine Rolle gespielt hat, ist schwer einzuschätzen. Schüler der beiden „Altmeister“ legten ihre Dissertationen vor und begannen an verschiedenen Universitäten zu lehren, wobei sie, im Rahmen der Möglichkeiten, auch Frankreichbzw. Deutschlandthemen behandelten. Parallel dazu verstärkte das *Deutsch-Französische Institut in Ludwigsburg seine Forschungsaktivitäten. Indiz für das vor allem in der Bundesrepublik fühlbar gestiegene Interesse an der politikwissenschaftlichen Frankreichforschung ist zwischen 1975 und 1980 das Erscheinen der ersten Gesamtdarstellungen zum politischen System der V. Republik, dem von Bernhard Schmidt u.a. herausgegebenen Frankreich-Lexikon (Berlin 1981/ 83), sowie der ersten Auflage des Frankreich-Heftes der weit verbreiteten „Informationen zur politischen Bildung“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Bemerkenswert ist auch, weil immer noch eine Rarität, der zweibändige Systemvergleich „Deutschland - Frankreich: Bausteine zum Systemvergleich“ (1980/ 81), der aus einem Projekt des *DFI in Ludwigsburg hervorging, woran deutsche und französische Wissenschaftler beteiligt waren. Die französische Deutschlandforschung entwickelte sich nicht in gleicher Weise. Am IEP in Paris stand die Ausbildung von Führungskräften im Mittelpunkt und die Forschung zu Westdeutschland blieb weitgehend die Domäne *Alfred Grossers. Es gelang ihm, eine kleine Zahl von Deutschlandforschern heranzubilden, die dann aber oft ihre Karriere in der *französischen Germanistik fortsetzten wie u.a. Henri Ménudier. An den französischen Universitäten tat sich die Politikwissenschaft zudem weiterhin schwer, sich aus der Vorherrschaft und Vormundschaft der Rechtswissenschaft zu befreien. Die wenigen Politikprofessoren beschäftigten sich vor allem mit Frankreich. Das Sprachproblem als Hindernis für eine wünschenswerte Intensivierung dieser Beziehungen war noch schwerer zu überwinden als in Deutschland. Lehrveranstaltungen über das politische System des zeitgenössischen Deutschland lagen daher meist in den Händen der *französischen Germanistik, zu der in der Regel keine politikwissenschaftliche Ausbildung gehörte. Es war vor allem der Belebung der deutschen politikwissenschaftlichen Frankreichforschung zu verdanken, dass nun auch Begegnungen, Austausch und Gastprofessuren zunahmen. Freilich blieben im Vergleich zu amerikanischen Politikwissenschaftlern die Kontakte innerhalb der „Zunft“ weiterhin schwach. Ein Indiz dafür kann man darin sehen, dass die maßgebliche „Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland“ (Wilhelm Bleek) im Register zwar eine Anzahl amerikanischer Wissenschaftler zitiert, aus Frankreich aber nur *Alfred Grosser. Auch Aufsätze in den jeweiligen Fachzeitschriften sind immer noch mit der Lupe zu suchen. Begegnungen und Vorträge werden oft von den *Frankreich-Zentren angeboten, die sich an verschiedenen deutschen Universitäten gegründet haben, oder im *DFI in Ludwigsburg. An der dort seit 1985 jährlich stattfindenden Frankreichforschertagung nehmen zwar auch Politikwissenschaftler teil, aber sie ist keine rein politikwissenschaftliche Veranstaltung und wird auch nicht von einem politikwissenschaftlichen Fachverband mitorganisiert. In Frankreich nahm sich das 1982 gegründete, nicht in eine Universität integrierte *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) der sozialwissenschaftlichen Deutschlandforschung an, wobei es Wirtschaft und Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die vom Ludwigsburger *DFI und dem *CIRAC herausgegebenen Fachzeitschriften, das *„Frankreich Jahrbuch“ und das *„CIRAC-Forum“, haben sich zu wichtigen einschlägigen Periodika entwickelt. Die Einrichtung mehrerer, von der *Deutsch-Französischen Hochschule in Saarbrücken geförderter politikwissenschaftlicher Doppelstudiengänge und Doktorandenkollegien an deutschen und französischen Universitäten sowie die Cotutelle-Promotionen haben die Beziehungen zwischen den Fachvertretern weiter verstärkt und vor allem den Austausch von Gastpro- Prisma Presse 384 P fessoren vermehrt. Gleichwohl bleibt das inzwischen Erreichte noch unbefriedigend. Während es im Rahmen der deutsch-französischen *Historikerbeziehungen regelmäßige, institutionalisierte Kooperationen seit vielen Jahren gibt, lässt sich ein ähnliches transnationales wissenschaftliches Netzwerk für die Politikwissenschaften nicht konstatieren. Ihre Fachverbände begegnen sich allenfalls im europäischen und internationalen Rahmen. Auf ihren Fachtagungen treten Kolleginnen und Kollegen aus dem Nachbarland wenn überhaupt, dann nur ausnahmsweise auf. Angesichts der engen politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist das ein erstaunlicher Befund und lässt sich nicht nur durch die späte Gründung des Faches erklären. Während sich die französische Politikwissenschaft nur zögerlich und bis heute nicht völlig von der Rechtswissenschaft (Öffentliches Recht) emanzipieren konnte, orientiert sich die deutsche Politikwissenschaft, aufgebaut unter entscheidender Mitwirkung von aus den USA zurückgekehrten Emigranten, vor allem im Teilgebiet Internationale Beziehungen an der amerikanischen Politikwissenschaft, die für die theoretischen und methodischen Diskussionen richtungweisend ist und deren Forschungen quantitativ wie qualitativ dominieren. Frankreich und Deutschland, die in der europäischen Geschichte immer eine herausragende Rolle spielten, haben heute sichtbar an Bedeutung verloren, sodass ihre Politik und ihre politischen Systeme das Interesse nur noch weniger Politikwissenschaftler wecken. So bleibt festzuhalten, dass es schon in der Sache nicht einfach ist, einen gemeinsamen Nenner für Austausch und Kooperation zu finden und die bestehenden Kontakte in der Regel auf die persönlichen Initiativen Einzelner zurückgehen, deren Dauerhaftigkeit aufgrund fehlender institutionalisierter Vertiefung jedoch nur selten gegeben war. Zwar wäre die Klage über eine „souveräne (gegenseitige) Ignorierung“ (Hans Manfred Bock) heute allzu pessimistisch, aber die Zusammenarbeit lässt weiterhin viele Wünsche offen und sie muss angesichts der engen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den beiden Ländern verwundern. Vor allem ist sie zu bedauern. Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, S. 265ff.; Hans Manfred Bock, Sciences-Po zwischen Tradition und Innovation. Zur neueren Entwicklung der Politikwissenschaften in Frankreich, in: Lendemains 75/ 76 (1994), S. 212-226; Henry Ehrmann, Das politische System Frankreichs, München 1976; Pierre Favre, La science politique en France depuis 1945, in: International Political Science Review 2 (1981) 1, S. 95-120; Klaus Hänsch, Frankreich. Eine politische Landeskunde, Berlin 1976; Udo Kempf, Das politische System Frankreichs, Opladen 1975; Werner Zettelmeier, Entstehung und Entwicklung der politikwissenschaftlichen Lehre an den französischen Universitäten. Zwischen Marginalität und Autonomie, in: Hans J. Lietzmann, Wilhelm Bleek (Hg.), Politikwissenschaft. Geschichte und Entwicklung in Deutschland und Europa, München, Wien 1996, S. 171-190. Adolf Kimmel Prisma Presse Prisma Presse (2012 in Prisma Média umbenannt), ist die französische Tochtergesellschaft des Konzerns Gruner + Jahr und mit 12 % der Gesamtauflage (2010) der drittgrößte Publikumszeitschriftenverlag in Frankreich. Er wurde 1978 von Axel Ganz gegründet, den man zu diesem Zweck nach Paris entsandte. Ganz importierte zunächst deutsche Titel in einer französischen Fassung, brachte dann aber eigens für den französischen Markt konzipierte Magazine heraus. Alle diese Zeitschriften haben die französische Presselandschaft grundlegend und dauerhaft verändert. Durch das Aufeinandertreffen von deutscher und französischer Pressekultur ist ein spezifischer Zeitschriftentyp entstanden, der, wie immer man auch seine Qualität beurteilen mag, nicht mehr aus der französischen Presselandschaft wegzudenken ist. Es handelt sich dabei weder um eine einfache Konvergenz, noch um einen bloßen Import deutscher Zeitschriftentypen nach Frankreich, da immer auch eine Adaption und Assimilation stattfand, bewusst und unterstützt durch Marktanalysen und mit kommerzieller Absicht. Nach einer ersten Phase der Einführung deutscher adaptierter Titel wie „Geo“ (1979) oder „Ça m’intéresse“ (1981) hat Ganz unbesetzte Marktsegmente ausgemacht und neue, spezifisch für den französischen Markt entwickelte Titel herausgebracht - „Prima“ (1982), „Femme actuelle“ (1984), „Télé Loisirs“ (1986), „Voici“ (1987), „Gala“ (1993) -, die sich alle nicht nur an eine Pariser Elite, sondern an die Durchschnittsbürgerinnen und (manchmal auch) -bürger wenden. Charakteristisch ist dabei die Organisation der Textbeiträge, die ein „Zapping“ erlauben soll, das Gewicht der praktischen Informationen sowie die aggressive Prominenten-Berichter- Prisma Presse P 385 stattung, mit der sich der Verlag sehr viele Prozesse eingehandelt hat. Verglichen mit den deutschen Zeitschriften des Verlags Gruner + Jahr bieten die Prisma-Titel „kürzere Texte, mehr Fotos, mehr Schlagzeilen, mehr Boulevard“ (G. Schulte- Hillen, 1999, damals Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr). Beim Vergleich der verschiedenen Fassungen von „Capital“ fällt auf, dass der Schwerpunkt in Frankreich eher in einem „BILD“-affinen Anprangern aller vermeintlicher „profiteurs“ liegt, wohingegen die deutsche Fassung - auch vom Layout her - viel seriöser wirkt. Ganz hat also weniger deutsche Zeitschriften nach Frankreich importiert, als vielmehr das bewährte Rezept der deutschen Boulevardtagespresse (*Tagespresse) zur Anwendung gebracht. Eines fehlt dabei freilich, nämlich die politische Kampagne: Eine Einmischung auf diesem Gebiet hat sich Ganz als deutscher Verleger in Frankreich immer verboten. Die Strategie, zahlreiche billige, populäre Titel, wie es sie bis zu diesem Zeitpunkt in Frankreich nicht gab, in einer hohen Auflage herauszubringen, bescherte dem Verlag ein sehr schnelles Wachstum. Dies hat bei den heimischen Konkurrenten zu einer von Protektionismus und Germanophobie geprägten Gegenoffensive geführt, bei welcher gängige *Stereotype mobilisiert wurden: So sprach man in der französischen Presse von „Panzer division“, „Grosse Bertha“ oder vom „Kaiser Ganz“. Im Kontrast zu den deutschen lessiviers - Waschmittelfabrikanten, wie sich Ganz selber provokant bezeichnete -, die „Wochenzeitschriften wie eine Packung Ariel“ herausbringen würden (Le Nouvel Observateur, 1988), definierten sich die französischen Verleger als eher dem Inhalt verbunden. Als dann auch noch Bauer und schließlich Springer in Frankreich Fuß fassten, wurde von einem „schönen deutschen Angriff auf die französische Frau“ gesprochen (Le Nouvel Observateur, 1988). Mehrheitlich wurde die Ankunft der deutschen Verlage als Angriff und Invasion gedeutet. 1984 wurde Ganz von französischen Verlegern vorgeworfen, er würde einige seiner Titel in Deutschland drucken lassen und gefährde damit Arbeitsstellen in Frankreich. Dies führte zu einem heftigen Konflikt mit den in Frankreich allmächtigen Druckergewerkschaften. Allmählich aber verlegte sich der Streit auf das Gebiet der Publikationen, und die Prisma-Titel fanden zahlreiche Nachahmer. Inspiriert vom Riesenerfolg von Zeitschriften wie „Femme actuelle“ (die größte Auflage unter den Frauenzeitschriften, abgesehen von den mit der Tagespresse verbreiteten Supplements) oder „Voici“ brachten die französischen Verleger selber ähnliche billige Titel heraus, die wie die Prisma-Titel mehr in Richtung von „Zapping“ und Häppchenlesen gehen. Auch im Bereich des Marketings hat Ganz die Arbeitsweise in Frankreich stark beeinflusst: Marktforschung oder das Besetzen von Marktnischen durch „Abwehrtitel“ sind inzwischen gang und gäbe. Der Einfluss von Prisma ist besonders bei den Frauenzeitschriften und bei der Klatschpresse zu spüren; Ganz gilt als „celui par qui le people est arrivé en France“ (Libération, 2006). Das allerdings ist eine Übertreibung, denn sowohl „Paris Match“ als auch Titel wie „Ici Paris“ und „France Dimanche“ waren schon längst auf dem französischen Markt etabliert. Mit „Voici“ hat Prisma Presse jedoch eine neue Art von Klatschpresse eingeführt, mit einem aggressiveren Umgang mit den Prominenten und der Veröffentlichung zahlreicher unerlaubter Fotos. Die gerichtlichen Kosten, die durch den in Frankreich herrschenden stärkeren Persönlichkeitsschutz verursacht wurden, ließen sich problemlos durch die hohen Verkaufszahlen kompensieren. Auch hierin sahen die französischen Verleger zunächst einen Bruch mit der vermeintlich höflicheren und respektvolleren französischen Kultur sowie eine „deutsche“ Verrohung der Sitten. Dieser Sichtweise widersprach aber sehr bald der Erfolg von „Voici“ bei den Lesern, die den respektloseren bzw. ironischeren Ton des neuen Titels anscheinend doch attraktiv fanden, sodass die französischen Verleger sich bald anpassten und neue, ähnliche Titel herausbrachten. Auch der Inhalt der Zeitschriften blieb von der Konkurrenzlage nicht unberührt: So ist zum Beispiel das Privatleben von Politikern zu einem wichtigen Gegenstand der Berichterstattung in solchen Klatschtiteln geworden. Bezeichnenderweise hat nicht „Voici“, sondern „Paris Match“ als erste Zeitschrift die Existenz von François Mitterrands unehelicher Tochter öffentlich gemacht und unerlaubt das Foto von ihm auf seinem Totenbett veröffentlicht. Ernst Ulrich Grosse, Die internationale Ausbreitung deutscher und französischer Presseverlage, in: Cornelia Frenkel, Heinz-Helmut Lüger, Stefan Woltersdorff (Hg.), Deutsche und französische Medien im Wandel, Landau 2004, S. 73-103; Valérie Robert, La presse en France et en Allemagne, Paris 2011. Valérie Robert Prix Gérard de Nerval 386 P Prix Gérard de Nerval Der Preis (zuweilen auch Prix Nerval genannt) wurde Anfang 1989 ins Leben gerufen. Er zeichnet jährlich den Übersetzer einer aktuellen Übersetzung (oder Neu-Übersetzung) eines deutschsprachigen Textes ins Französische aus (*Übersetzen/ Dolmetschen). Der Prix Nerval bildete die Entsprechung für den vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt 1987 begründeten und 1988 zum ersten Mal vergebenen Paul-Celan-Preis (*Paul Celan), in deren Jury damals der Sartre- Übersetzer Traugott König und *Fritz Nies saßen. Ursprünglich wurde mit dem Celan-Preis alle zwei Jahre eine Übersetzung aus dem Französischen ausgezeichnet, seit 1995 steht er jedoch allen Sprachen und Kulturräumen offen und prämiert nur noch sporadisch Übersetzungen aus dem Französischen. Die Initiative für den Prix Nerval ging von der Société des gens de lettres (SGDL) aus. Die 1838 (unter anderem auf Anregung von Balzac) gegründete Interessensvertretung für Schriftsteller ist die älteste Einrichtung ihrer Art und residiert heute noch im ehrwürdigen Hôtel Massa im 14. Arrondissement von Paris. Sie steht den Schriftstellern sozial, juristisch, steuerlich und bei allgemeinen Fragen der geistigen Urheberschaft zur Seite, ist allerdings nicht mit den Rechteverwertungsgesellschaften (wie SACEM und SACD) zu verwechseln. Die SGDL vergibt Literatur- und Übersetzungspreise der verschiedensten Art. Der Prix Baudelaire (der eine Übersetzung aus dem Englischen auszeichnet und ebenfalls eine Entsprechung in England besitzt) bildete das Vorbild für den Prix Nerval. In der ersten Jury saßen unter anderem *Nicole Bary und die beiden späteren Preisträger *Bernard Lortholary und Claude Porcell. Anfänglich wurde der Preis oftmals feierlich in der Residenz des deutschen Botschafters in Paris, dem Palais Beauharnais verliehen. Seit 2012 wird der Preis gemeinsam von der SGDL und dem *Goethe-Institut vergeben, das durch seinen Leiter (und Übersetzer) Joachim Umlauf in der Jury vertreten ist, neben ehemaligen Preisträgern wie Claire de Oliveira (2004 für „Avidité“ von Elfriede Jelinek), *Jean-Pierre Lefebvre (1994 für „Anthologie bilingue de la poésie allemande“) oder Isabelle Kalinowski (2010 für „Le judaïsme antique“ von Max Weber). An den Namen der Preisträger - zu nennen wären noch Jean-Paul Barbe, Bernard Kreiss, Nicole Taubes, Nicole Casanova sowie Bernard Banoun - lässt sich ablesen, dass neben der Auszeichnung für die Übersetzung eines Werkes auch die Gesamtleistung der Übersetzer gewürdigt wird. Neulinge bzw. nicht arrivierte Übersetzer sind nur äußerst selten dabei. Zu konstatieren ist überdies, dass sich ein ansehnlicher Teil der renommierten Übersetzer weiterhin aus dem Universitätsmilieu der Germanisten rekrutiert. Bei Durchsicht der ausgezeichneten literarischen Werke ist keine durchgängige Linie zu erkennen, es handelt sich in der Regel aber um hochstehende, zum guten Teil bereits kanonisierte Texte: Das Spektrum reicht vom „Narrenschiff“ von Sebastian Brant über Autoren wie Adalbert Stifter, Max Weber, Lion Feuchtwanger, Hans Jonas sowie W.G. Sebald bis zu Edgar Hilsenrath und Monika Libuše. Preise wie der Prix Nerval werten die Arbeit der Übersetzer, die ihr Handwerk in den letzten 40 Jahren stark professionalisiert haben, in erheblichem Maße auf. Die Weiterführung dieser Professionalisierung sowie die hohe Qualität literarischer Übersetzungen ist jedoch von zwei Faktoren bedroht: die (in der Regel) relativ schlechte Bezahlung sowie die Tatsache, dass viele Verlage inzwischen auf ein genaues Lektorieren der Übersetzungen (aus Kostengründen) verzichten. Hinzu kommt, dass immer weniger Verlagslektoren des Deutschen mächtig sind - eine vermittelte Konsequenz des allgemein abnehmenden Interesses an der Sprache des Nachbarn. Joachim Umlauf Prix Pierre Grappin Die Gründung des Preises geht auf eine Initiative von *Pierre Grappins Gattin, Nicole Grappin, zurück, die das Andenken ihres Mannes nach dessen Tod 1997 zu ehren wünschte. Ein kleiner Kreis von Angehörigen, Freunden und Schülern *Pierre Grappins verlieh den Preis zum ersten Mal im Jahr 2000. Im Jahr darauf entstand der eingeschriebene Verein L’Association pour le développement des études germaniques en France - Prix Pierre Grappin mit Sitz in Nanterre und unter dem Vorsitz des Sorbonne-Professors Roland Krebs, der von nun an die Preisverleihung organisierte. Der Verein wird finanziell unterstützt durch das Ministère de l’éducation nationale beziehungsweise das Ministère de l’enseignement supérieur et de la recherche und auch den Conseil général des Hauts-de-Seine. Für die jährliche Preisverleihung im November ist eine Jury von an verschiedenen französischen Uni- PROCOPE P 387 versitäten tätigen Hochschullehrern verantwortlich. Um den Preis können sich alle bewerben, die im laufenden Jahr eine auf Französisch verfasste und der deutschsprachigen Welt gewidmete Dissertation vorgelegt haben. Das Themenspektrum umfasst literaturwissenschaftliche, historische, philosophische und landeskundliche Arbeiten. Der Preis in Höhe von 3 500 Euro ist in erster Linie dazu bestimmt, eine rasche Publikation der prämierten Dissertation zu ermöglichen. Die Jury kann eventuell noch einer anderen Arbeit einen Druckkostenzuschuss von 1 500 Euro zubilligen. Der Vorstand der association gewährte zusätzlich bis 2013 einer kleinen Zahl von Doktoranden Stipendien für einen Forschungsaufenthalt im Ausland. Konkrete Auskünfte über eine Bewerbung für den Preis oder ein Stipendium sind auf der Homepage der *Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES) zu finden. Der Prix Pierre Grappin sollte den zuvor existierenden *Prix Strasbourg ersetzen und originelle sowie innovative Arbeiten von jungen Forschern der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Effizienz dieser Förderung des akademischen Nachwuchses zeigt sich unter anderem daran, dass die meisten Preisträger auch tatsächlich inzwischen an einer Universität angestellt sind. Die Themen der prämierten Dissertationen reichen von den naturwissenschaftlichen Schriften Goethes (Jean-Michel Pouget, 2000) über die Russland-Politik Bismarcks (Stéphanie Burgaud, 2008) und die frühe Geschichte der Indologie in Deutschland (Pascale Rabault-Feuerhahn, 2006) bis zu dem in der napoleonischen Zeit verübten Kunstraub (Bénédicte Savoy, 2001). Allgemein soll die wissenschaftlich fundierte Kenntnis der Vergangenheit und der Gegenwart des Nachbarlandes zur deutsch-französischen Verständigung beitragen. Dies hat die Botschaft der Bundesrepublik Deutschlands 2009, anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Preises, durch einen offiziellen Empfang gewürdigt. Prix Pierre Grappin, hg. von der Association pour le développement des études germaniques en France, Paris 2009. Roland Krebs PROCOPE Als Abkürzung von PROjets de COOPération et d’Echanges, aber auch in Erinnerung an das berühmte Pariser Café Procope, wo sich im 18. Jahrhundert Intellektuelle, Philosophen und Schriftsteller trafen, wurde im Jahre 1986 nach einer Übereinkunft zwischen dem französischen Außenministerium und dem *DAAD das Programm PROCOPE gestartet. Wie das *Programme franco-allemand des CNRS, das ein Jahr zuvor geboren wurde, reiht es sich in die verschiedenen Initiativen ein, um die bilaterale wissenschaftliche Kooperation im Rahmen eines Europas der Wissenschaften mit einer neuen Dynamik auszustatten. Während das *Programme franco-allemand der Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften gewidmet war, richtet sich PRO- COPE an alle Disziplinen an den Hochschulen in Deutschland und Frankreich. Adressaten sind dabei junge Forscher und ihre Betreuer. Dabei handelt es sich weniger um eine direkte Unterstützung der Forschung, wie es das *ANR- DFG-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften tut, sondern um eine Förderung der Mobilität für Hochschullehrer, Forscher und junge Wissenschaftler, die sich in gemeinsamen deutsch-französischen Forschungsprojekten engagieren (Kostenübernahme der Reise- und Aufenthaltskosten). So fördert PROCOPE die Kooperation von gemischten deutsch-französischen Forschergruppen, die an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Die von den Partnern eingereichten Forschungsprojekte werden nach Exzellenzkriterien von binationalen Kommissionen begutachtet und können für zwei, bisweilen für drei Jahre vergeben werden. Der Erfolg des Programms war durchschlagend: 42 Projekte wurden 1986 genehmigt, 220 im Jahre 1991, doch waren die Fächer ungleichmäßig vertreten, da die Natur- und Ingenieurwissenschaften mit der Projektfinanzierung schon stärker vertraut waren als die Geistes- und Sozialwissenschaften (weniger als 10 % der bewilligten Projekte), deren Untersuchungen bis dahin häufig individueller Natur waren und nur selten wissenschaftliche Kooperationen eingingen. Heute werden jährlich ca. 45 Projekte im Rahmen von PROCOPE bewilligt, was einem jährlichen Etat von 640 000 Euro entspricht. Das Programm wird von den beiden Außenministerien finanziert und auf deutscher Seite vom *DAAD, auf französischer vom Quai d’Orsay und dem Erziehungsbzw. Forschungsministerium verwaltet. Dabei reiht es sich in Frankreich in das Partenariat Hubert Curien (PHC) ein, für die Egide (wichtigste Programme franco-allemand du CNRS 388 P französische Institution für die internationale Mobilität) zuständig ist, und auf deutscher Seite in die Programme des projektbezogenen Personenaustauschs, die der *DAAD mit 29 Ländern entwickelt hat. Reinhart Meyer-Kalkus, Die akademische Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich (1925-1992), Bonn 1994. Corine Defrance Programme franco-allemand du CNRS Das im Jahre 1985 von der Abteilung Sciences de l’homme et de la société (SHS) des CNRS begründete bilaterale Programme franco-allemand reiht sich in die europäische Ausrichtung der Institution ein. Ende der 1970er Jahre steckte die Internationalisierung der französischen Forschung, insbesondere im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, noch in den Kinderschuhen. Nachdem die Unzulänglichkeit der bilateralen wissenschaftlichen Kooperation konstatiert worden war (gemeinsame Regierungserklärung vom 6.2.1981), wurden folgende Maßnahmen getroffen: Gründung des *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) 1981 in Paris, Abschluss eines Rahmenvertrags zwischen dem CNRS und der Max-Planck-Gesellschaft und Gründung der *DFGWT/ AFAST. Anfang der 1980er Jahre gab es dann eine Phase, in der diese Projekte in die Tat umgesetzt wurden. Doch schon zuvor gab es im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften bescheidene Kooperationsinitiativen, die ihren Ausgang in den deutsch-französischen Kontaktseminaren im Jahre 1978 in Mannheim und Sèvres hatten, die Forscher dieser Fächer aus beiden Ländern vereinte. Diese Zusammentreffen mündeten in ein großes Kolloquium, das 1983 in Bad Homburg stattfand und von *Clemens Heller, damals stellvertretender Geschäftsführer der Maison des sciences de l’homme (MSH) in Paris, organisiert wurde. Diese Kolloquienreihe bildete den Anfang des Programme franco-allemand, das auf französischer Seite vom CNRS in Verbindung mit dem Forschungs- und Außenministerium, der MSH, der Mission historique française in Göttingen (*Institut français d’histoire en Allemagne) u.a. organisiert wurde, auf deutscher Seite von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Verbindung mit *Stiftungen, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), dem Wissenschaftskolleg und verschiedenen Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Diesem Programm stand z.T. das Programme franco-britannique Pate, das 1982 gestartet worden war. Das Programme franco-allemand wurde von Hinnerk Bruhns geleitet. Zu seinen Aufgaben gehörte, Anstöße für eine vergleichende deutschfranzösische Forschung zu geben, die Entwicklung von Projekten über das aktuelle Deutschland, die Publikation der Forschungsergebnisse und die Übersetzung von grundlegenden deutschen Büchern für die definierten Forschungsachsen, sodass eine Verbindung zum deutsch-französischen *Übersetzungsprogramm der Fondation Maison des sciences de l’homme (FMSH) entstand. Ab 1986 wurde das Programm auf Österreich ausgedehnt, 1989 auf die DDR und wenig später wurde es in ein breiteres Programme Europe integriert, dem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine wichtige Rolle zukam. Dieses Programm wurde zwar 1997 eingestellt, doch entwickelte die FMSH ihr eigenes Programme Europe, in welches das Programme franco-allemand integriert wurde: zwei Stipendienprogramme für Postdoc erleichtern dabei die internationale Mobilität (Stipendium *Clemens Heller seit 2003 in Zusammenarbeit mit der Thyssen-Stiftung; Stipendien der FMSH und des *DAAD seit 1990), trilaterale Kolloquien in der Villa Vigoni (Frankreich-Deutschland-Italien), Übersetzungprogramme (*Trivium) und die Unterstützung von gemeinsamen Forschungsprojekten. Denis Guthleben, Histoire du CNRS de 1939 à nos jours. Une ambition nationale pour la science, Paris 2009. Corine Defrance Programm Frankreich/ deutschfranzösische Beziehungen der DGAP Mit dem Programm Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die seit ihrer Gründung im Jahre 1955 Verständnis für Fragen der internationalen und europäischen Politik fördert und wissenschaftlich vertieft, steht Entscheidungsträgern und Öffentlichkeit eine beratende Einrichtung zur Verfügung, die sich als Mittlerorganisation zwischen deutschen und französischen Positionen versteht. Vorrangiges Ziel der Programmarbeit ist es, sowohl in Frankreich als Radioeurodistrict (RED) R 389 auch in Deutschland die bilateralen und europapolitischen Interessen des Partnerlandes zu erklären und das Verständnis für die jeweiligen außenpolitischen Traditionen und Leitmotive zu vertiefen. Darüber hinaus geht es darum, die deutschfranzösischen Beziehungen im europäischen Kontext zu untersuchen und Optionen der bilateralen Kooperation in der Europäischen Union zu identifizieren. Das Programm ist aus einem von der Robert Bosch Stiftung (*Stiftungen) geförderten Forschungsprojekt hervorgegangen, das im Oktober 1983 unter Leitung von Karl Kaiser, damals Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, und wissenschaftlicher Betreuung von Ingo Kolboom begonnen wurde. Mitten im Kalten Krieg sollte es dazu dienen, die „Voraussetzungen, veränderten Rahmenbedingungen und Entwicklungsperspektiven der deutsch-französischen Zusammenarbeit“ zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde eine Projektgruppe von etwa 50 Persönlichkeiten aus Parlament, Behörden, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Publizistik gegründet, die eine langfristige Diskussion über zentrale Themen der deutsch-französischen Beziehungen ermöglichte. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wie im Anschlussprojekt, das die Robert Bosch Stiftung zwischen Oktober 1985 und September 1987 förderte, arbeitete das Programm eng mit dem Institut français des relations internationales (Ifri) bzw. dem *Cerfa zusammen. Anknüpfend an diese Aktivitäten wurde 1989 eine im Forschungsinstitut der DGAP eingerichtete „Arbeitsstelle Frankreich und deutsch-französische Beziehungen“ gegründet, die seither aus Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert wird und als Koordinierungsstelle aller Aktivitäten des Instituts im Bereich Frankreich und deutschfranzösische Beziehungen gilt. Von Anfang an ist der Arbeitsstelle bzw. des - 2003 umbenannten - Programms ein „Ständiger Gesprächskreis“ angeschlossen, der mehrmals im Jahr zu vertraulichen Sitzungen zusammentritt. Ihm gehören ca. 180 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien an. Der Vorsitz, den ursprünglich Karl Kaiser führte, wurde im Januar 2003 von Andreas Schockenhoff (MdB) übernommen. Außer diesen regelmäßigen Expertentreffen werden im Rahmen des Programms Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der DGAP Tagungen und informelle Diskussionsrunden organisiert. Durch Publikationen in Fachzeitschriften und Tagespresse sowie Hintergrundgespräche und Interviews mit Medienvertretern werden die Arbeitsergebnisse auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Um den Austausch zwischen den jungen Generationen beider Länder zu fördern, haben im Jahr 2007 das Programm Frankreich der DGAP und das *Cerfa in Zusammenarbeit und mit Förderung der Robert Bosch Stiftung den „Deutsch-französischen Zukunftsdialog“ ins Leben gerufen: Im Mittelpunkt dieses Programms steht der Aufbau eines aktiven, interdisziplinär angelegten deutsch-französischen Netzwerks junger Nachwuchsführungskräfte, das den Entscheidern von morgen dauerhaft zur Verfügung steht. Claire Demesmay R Radioeurodistrict (RED) Der Radiosender Radioeurodistrict ist das erste deutsch-französische Webradio. Gegründet wurde es 2004 von Radiomachern und Journalisten, die sich im Verein zur Förderung des europäischen Austauschs (APEE - Association pour la promotion des échanges européens) zusammengeschlossen haben. Der Radiosender bezieht sich speziell auf den Eurodistrikt Straßburg - Ortenau und verfolgt, ganz seinem Slogan gemäß, das Ziel, „eine Medienbrücke über den Rhein“ zu schlagen. Die Idee des Eurodistrikts basiert auf der 1989 gegründeten „Initiative Eurodistrict e.V.“ und dem Karlsruher Übereinkommen aus dem Jahre 1996. In diesem kam es zur Unterzeichnung eines Vertrags zwischen Deutschland und Frankreich, der die Förderung der Nachbarschaftsbeziehung und die Schaffung einer Grundlage zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beinhaltet. Ein Eurodistrikt ist somit als ein grenzüberschreitender Kooperationsraum zu verstehen, der gewöhnlich eine Metropolregion umfasst, deren Städte und Gemeinden sich in zwei oder mehr Staaten befinden. Ein gezielter Aufruf zur Gründung von Eurodistrikten erfolgte 2003 durch Gerhard Schröder und Jacques Chirac, welche anlässlich des 40. Jahrestages des *Élysée-Vertrags über die Raymond-Aron-Preis 390 R Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft tagten. Durch die Gründung von Eurodistrikten soll die europäische Integration gefördert werden. Der Radiosender informiert die Bewohner dieses Distrikts bilingual und hat es sich zum Ziel gesetzt den Eurodistrikt erlebbarer zu machen. Das Programm beinhaltet Reportagen zu Themen aus Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Zudem sind Features und Reflexionen zu hören und es besteht die Möglichkeit als Zuhörer aktiv an Debatten und Diskussionen teilzunehmen. Des Weiteren kann man nachträglich in Podcasts aufgezeichnete Sendungen hören und sich allgemein über Veranstaltungen und Events mit deutsch-französischem Kontext informieren. Die vielfältige und innovative Programmgestaltung des RED zeichnet sich durch eine bewusst wählerische und originale Musikauswahl aus. Darüber hinaus sind grenzüberschreitende Kultursendungen und die aktuelle Berichterstattung aus dem Eurodistrikt Teil des Programms. Partner von Radioeurodistrict ist u.a. die bilinguale Zeitung *„La Gazette de Berlin“, die ebenfalls als binationaler Kulturmittler zwischen Deutschland und Frankreich fungiert. Hinzukommend bietet die Internetseite von RED einige Links zu kulturellen Einrichtungen rund um das Grenzgebiet des Rheins. Beispiele hierfür sind die Opéra national du Rhin, sowie das TJP - théâtre jeune public in Straßburg. Anne Gottwald Raymond-Aron-Preis Prix Raymond Aron Der 1986 eingerichtete Preis würdigt deutsche und französische Übersetzungsprojekte aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Essayistik. Seit 2005 trägt er den Namen *Raymond-Aron-Preis. Die Auszeichnung ist pro Preisträger mit 10 000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre in Form eines Stipendiums verliehen. Darüber hinaus kann dem Verlag, der die Übersetzung veröffentlicht, ein Druckkostenzuschuss von 3 000 Euro gewährt werden. Die Ausschreibung richtet sich ohne Altersgrenze an alle Bewerber, die bereits gelungene Übersetzungen veröffentlicht haben. Es werden insbesondere solche Projekte unterstützt, bei denen überzeugend begründet werden kann, dass das übersetzte Werk eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung signifikanter Bewegungen und Entwicklungen in beiden Kulturen spielt. Über die Vergabe des Preises entscheidet die Stiftung auf Vorschlag einer aus deutschen und französischen Experten zusammengesetzten Jury. Wie auch bei der Verleihung des *André-Gide-Preises soll durch die Auszeichnung mit dem *Raymond-Aron-Preis das Übersetzen als Instrument interkultureller Verständigung gefördert werden. Stephanie Schwerter Recherches germaniques Die Zeitschrift „Recherches germaniques“ wurde 1971 auf Anregung einer Gruppe von Germanisten des Institut d’études germaniques der Université des sciences humaines in Straßburg gegründet (ab 1998 Université Marc Bloch, 2009 in die neue Université de Strasbourg integriert). Die Zeitschrift gehört zu den wissenschaftlichen Publikationen der Universität (Revue scientifique de l’Université de Strasbourg). Der erste Herausgeber war (bis 1997) *Gonthier-Louis Fink, ein Spezialist für Literatur und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Zwei Jahre nach der Gründung der ebenfalls in Straßburg ansässigen *„Revue d’Allemagne“, die sich vorzugsweise der Kultur, Geschichte und Politik in den deutschsprachigen Ländern widmete, hat sich „Recherches germaniques“ damals zum Hauptziel gesetzt, der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine jährlich erscheinende Publikation zur Verfügung zu stellen, die umfangreiche Beiträge auf den Gebieten der Literatur-, Ideen- und Kulturgeschichte im deutschsprachigen Raum von der Reformationszeit bis zur Gegenwart aufnimmt, ohne Beiträge aus dem Bereich der Mediävistik auszuschließen. Gleichzeitig verfolgt die Zeitschrift das Ziel, als Austauschforum für die *Germanistik in Frankreich und im Ausland zu fungieren. In der Tat hat sie sich, der natürlichen Bestimmung einer solchen grenzüberschreitenden Publikation gemäß, zu einem intensiven deutsch-französischen Austauschorgan entwickelt. Der wissenschaftliche Beirat der ersten Jahrzehnte bestand aus Experten der angrenzenden Universitäten Freiburg/ Br., Basel und Karlsruhe. Nach vierjähriger Übergangszeit und kollektiver Leitung durch Arlette Bothorel, Hildegard Châtellier und Christine Maillard hat Letztere ab rencontres.de R 391 2001 die Herausgeberschaft übernommen. Nachdem die Zeitschrift bereits in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz vom CNRS unterstützt worden war, genießt sie seit 2007 wieder dessen wissenschaftliche Anerkennung; der wissenschaftliche Beirat ist nunmehr noch weiter internationalisiert worden. Neben der jährlich erscheinenden Ausgabe publiziert die Zeitschrift ergänzend seit 2003 auch thematische Sonderhefte, etwa auf der Grundlage von in Straßburg oder an anderen Universitäten veranstalteten Tagungen. Bisher sind acht solcher Sonderhefte erschienen, über Themen wie „W.G. Sebald. Mémoire. Transferts. Images“ (2005), „Hermann Broch. Religion, Mythos, Utopie“ (2008) oder auch „Mouvements de jeunesse, jeunes en mouvement“ (2009). Solche Bände, die immer auch internationale Beiträge beinhalten, spiegeln zudem gewisse richtungsweisende Tendenzen der Straßburger Forschung wider. Eine Online-Publikation der „Recherches germaniques“ ist zurzeit in Vorbereitung. Christine Maillard Regards sur l’économie allemande. Bulletin économique du CIRAC Herausgeber der 1991 gegründeten Zeitschrift ist das *CIRAC an der Universität Cergy-Pontoise, das 1982 gegründet wurde und neben Forschung und Lehre ebenfalls eine Transfer-Funktion für die Wirtschaft und eine breitere Öffentlichkeit besitzt. Die Zeitschrift erscheint seit März 1991 in Druckform und wird im Abonnement sowie im Einzelverkauf vertrieben. Bis zur Jubiläumsausgabe (Nr. 100, März 2011) erschienen fünf Ausgaben pro Jahr; seit Sommer 2011 (Nr. 101) vier. Seit 2007 ist die Zeitschrift ebenfalls online zugänglich, und zwar über die wissenschaftlichen Zeitschriftenportale www.cairn.info und www.revues.org. Getreu dem Auftrag des *CIRAC erfüllt die Zeitschrift eine zweifache Funktion: sie ist wissenschaftlich (interdisziplinär) orientiert und erfüllt gleichzeitig als Fachzeitschrift eine Informations- und Transferfunktion - von der Wissenschaft in die Praxis und breitere Öffentlichkeit, von Deutschland nach Frankreich bzw. den französischsprachigen Raum in Europa. Zur Zielgruppe gehören vor allem Verantwortliche in Wirtschaft und Verwaltung, Fachjournalisten und Wissenschaft. „Regards sur l’économie allemande“ ist in Frankreich die einzige Zeitschrift, die eine Langzeitbeobachtung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland liefert - und dies seit der deutschen Einheit. Berücksichtigt werden dabei die innerdeutsche (Aufbau Ost, Arbeits- und Sozialpolitik, Reformpolitik …) sowie die europäische Dimension (Währungsunion, Binnenmarkt, Wettbewerbspolitik, Deregulierung…) und die Auswirkungen der Globalisierung (Welthandel, Standortpolitik, Wettbewerbsfähigkeit…). Die von einschlägig ausgewiesenen Experten verfassten Beiträge tragen dazu bei, den interkulturellen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Debatten zwischen beiden Ländern zu fördern. Isabelle Bourgeois rencontres.de Das deutsch-französische Magazin „rencontres.de“ wurde 2003 von Studenten der FU Berlin gegründet. Sieben Jahre lang gestalteten angehende Romanisten, Politikwissenschaftler und Erasmusstudenten in Berlin das bilinguale Internetportal, 2010 wurde das Projekt zwar eingestellt, es bereitete jedoch in gewisser Weise den Weg für die dann folgenden deutsch-französischen Internetzeitschriften. Als Begleitmagazin zum FU-Studiengang „Interdisziplinäre Frankreichstudien“ wuchs das Magazin aber schon nach einigen Jahren über sich hinaus. „rencontres.de“ kümmerte sich um alle relevanten Themen im deutsch-französischen Kontext: Von Politik, Wirtschaft, Kultur bis hin zu „Lebensart“. In den sieben Jahren arbeiteten bis zu 300 meist studentische Autoren und zahlreiche Übersetzer (*Übersetzen/ Dolmetschen) in der Redaktion mit. Neben aktuellen Beiträgen und ausführlichen Hintergrundartikeln, bemühte sich das Portal vor allem eine Plattform für alle jungen „Francophilen und Germanophilen“ zu sein. Wie der Name „rencontres.de“ nahe legt, ging es den Herausgebern darum, beiden Seiten eine Plattform für Austausch und Information zu bieten, welche die Möglichkeit bot, sich zu vernetzen aber auch grundlegende wie weiterführende Informationen über das andere Land zu sammeln. Ab 2005 wurde das Portal einem breiteren Publikum bekannt - nicht zuletzt aufgrund seiner verstärkten Zusammenarbeit mit deutsch-französischen Einrichtungen sowie Medien wie u.a. dem Rencontres franco-allemandes 392 R Fernsehsender *ARTE, dem Saarländischen Rundfunk, der *DFH, dem *DFJW, den *Goethe-Instituten, dem *Institut français, den *Deutsch-Französischen Häusern und den France- und *DeutschMobilen. 2006 wurde „rencontres.de“ mit dem *Prix franco-allemand du journalisme sowie dem Europäischen Sprachensiegel ausgezeichnet und kreierte mit Unterstützung des *DFJW eine zweite Webseite für Kinder und Jugendliche. Ziel der Redaktion war es, schon Schüler für das andere Land zu begeistern: So bot es u.a. interaktive Spiele zu Sprache und Kultur an und half Brieffreundschaften zu finden. Die Kinder- und Jugendarbeit setzte die Redaktion auch außerhalb des Magazins mit Veranstaltungen, beispielsweise einem deutsch-französischen Puppentheater, fort. Ab 2006 wurde der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Schirmherr von „rencontres.de“. Die Redaktion war, nach Angaben ihrer langjährigen Chefredakteurin, Johanna Heinen, sehr offen für Neuzugänge, sodass Leser und Interessierte stetig gefordert wurden, sich selbst einzubringen. Zudem hatte eine ganze Generation von Studenten aus dem franco-allemand hier ihre ersten beruflichen Erfahrungen gemacht. Die Zeitschrift trug sich über ehrenamtliche Arbeit und Mitgliederbeiträge. Da es nicht gelang, bezahlte Stellen zu schaffen und sich laut Redaktion immer weniger Studenten fanden, die bereit waren, das Magazin ehrenamtlich zu leiten, wurde das Projekt Mitte 2010 beendet. Susanne Götze Rencontres franco-allemandes Als Publikationsorgan der *Échanges franco-allemands (EFA) erblickte die Zeitschrift „Rencontres franco-allemandes“ im November 1959 das Licht der Welt. Kurz zuvor war in Paris die *EFA gegründet worden, deren Ziel es war, Kenntnisse über die DDR in Frankreich zu fördern und sich für die diplomatische Anerkennung der DDR durch die französische Regierung einzusetzen. Roland Lenoir, einer der Gründer und späterer Generalsekretär der *EFA war Mitglied der PCF und hatte bereits 1952 die Idee, inspiriert von einem durch die französische Kommunistische Partei organisierten Aufenthalt in der DDR, wie er Maurice Thorez berichtete, einen solchen Verein zu gründen. Als Nachrichtenanzeiger zwischen den verschiedenen regionalen Komitees der *EFA und des nationalen Generalkomitees in Paris hatte die Zeitschrift die Hauptfunktion, über das Vereinsleben zu informieren. Darüber hinaus ist sie aber für den Kulturhistoriker ein wertvolles Zeugnis der Entstehung, Ausbildung und Entwicklung der Perzeption der DDR in Frankreich. Beginnend mit einer Auflage von zunächst 300 Exemplaren entwickelten sich sowohl das Layout der Zeitschrift als auch ihre inhaltlichen Schwerpunkte und Rubriken weiter, sodass zu Beginn der 1970er Jahre eine Auflage von mehr als 6 000 Exemplaren erreicht wurde. Und auch wenn man in den Ausgaben regelmäßig Werbebeilagen für die offizielle Stimme der DDR - die „DDR-Revue“, ein luxuriös gestaltetes sozialistisches Propagandamagazin - fand, erschien „Rencontres“ dennoch autonom in Hinsicht auf die Auswahl ihrer Leitartikel. 1970 nahm die Zeitschrift jedoch aktivistische Züge an, als sie in ihrer 62. Ausgabe die Mitglieder dazu aufforderte, eine Petition zur offiziellen Anerkennung der DDR durch die französische Regierung zu unterzeichnen und 175 000 Unterschriften sammelte. Darüber hinaus beschäftigte sie sich besonders in der Zeit der „Neuen Ostpolitik“ mit der „Deutschen Frage“ und prägenden Ereignissen der deutschen Geschichte. Insofern spiegelt „Rencontres“ sowohl die Mobilisierung einiger französischer Gesellschaftsschichten für die Völkerverständigung als auch die lebendigen Vereinsaktivitäten der *EFA. Indem ein pluralistisches Bild des Sozialismus auf deutschem Boden vermittelt wurde, hat „Rencontres“ erheblich dazu beigetragen, Kenntnisse über die DDR in Frankreich zu verbreiten. Erreicht wurde dies durch eine Mischung aus historischen Fragestellungen und individuellen alltäglichen Erfahrungsberichten aus Bereichen wie Gesundheitssystem, Förderschulwesen oder christliches Leben in der DDR - ohne jedoch jemals direkt Fragen nach der persönlichen Freiheit oder der diktatorischen Aspekte des Regimes aufzuwerfen. Obwohl sich der politische Einfluss der *EFA als gering und die Forderung nach Anerkennung der DDR auf politischer Ebene als unrealistisch herausstellten, bleibt festzuhalten, dass keine andere französische Verbandsstruktur so viele verschiedene Persönlichkeiten mobilisieren konnte, um die Interessen der DDR in Frankreich zu vertreten so- Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande R 393 wie Kenntnisse über das „andere Deutschland“ zu verbreiten: „Sich besser kennenzulernen um sich besser zu verstehen. Sich besser zu verstehen um besser zusammenzuarbeiten“ (Nr. 152, Dezember 1989) lautete die Devise. Die Zeitschrift erscheint noch heute unter dem gleichen Namen, hat aber nach der Wiedervereinigung eine andere Ausrichtung eingenommen. Hélène Yèche, La revue Rencontres franco-allemandes de 1959 à 1989: images de la RDA en France, in: Lendemains 132 (2008), S. 120-131. Hélène Yèche Renouvin, Pierre Der in Paris geborene französische Historiker Pierre Renouvin (1893-1974) war einer der bedeutendsten Zeithistoriker Frankreichs und - in Abgrenzung zur Diplomatiegeschichte - Mitbegründer der französischen Schule der Geschichte der internationalen Beziehungen, was ihn thematisch immer wieder in die Nähe Deutschlands brachte. Obwohl er als Soldat während des Ersten Weltkriegs einen Arm bei den Kämpfen am Chemin des Dames verloren hatte, war der östliche Nachbar für ihn kein *„Erbfeind“. Im Gegenteil gehörte er in den 1950er und 60er Jahren zu den wichtigsten wissenschaftlichen Mittlern zwischen beiden Ländern und spielte u.a. im Vorfelde der Gründung des *DHI Paris eine wichtige Rolle. Er besuchte das Pariser Lycée Louis-le-Grand und bestand nach einem Studium der Rechts- und *Geschichtswissenschaften die agrégation d’histoire et géographie im Jahre 1912. Nach einem kurzen Intermezzo im Lycée von Orléans wurde er 1920 zum Konservator der neugegründeten Bibliothèque de documentation internationale contemporaine ernannt, um sich dort den Studien zur Geschichte des Ersten Weltkriegs zu widmen. Die französische Regierung versprach sich davon, den Beweis für die Kriegsschuld Deutschlands zu erbringen, doch erwies sich Renouvin als unabhängiger Kopf und ging von einem Ursachengeflecht beim Ausbruch der Grande Guerre aus. Zudem hielt er die diplomatischen Archive für unzureichend und plädierte für einen strukturgeschichtlichen Ansatz unter Einbeziehung ökonomischer, geographischer, demographischer und mentaler Kräfte. Renouvin hatte sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg einen internationalen Ruf als profunder Kenner des Ersten Weltkriegs und seiner Vorgeschichte erworben; nach 1945 gehörte er neben Maurice Baumont, Henri Michel und Jean-Baptiste Duroselle zu den bedeutendsten Historikern der histoire contemporaine und war wie diese Mitglied des Comité d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale (CHDGM), aus dem Ende der 1970er Jahre das Institut d’histoire du temps présent (IHTP) hervorging. Bei einem der ersten Treffen deutscher und französischer Historiker im Jahre 1951 in Paris, bei dem neben Renouvin, *Jacques Droz, Édouard Bruley von französischer und Georg Eckert, Karl Dietrich Erdmann und Gerhard Ritter von deutscher Seite teilnahmen, ging es in erster Linie, neben dem historischen Konsens, auch um eine menschliche Annäherung zwischen den Historikern beider Länder, nachdem die Beziehungen seit dem Ersten Weltkrieg quasi abgebrochen waren. Unter maßgeblichem Einfluss von Renouvin und dem Freiburger Historiker Gerhard Ritter wurde dann im Oktober im Mainzer *Institut für Europäische Geschichte die „Deutsch- Französische Vereinbarung über strittige Fragen der europäischen Geschichte“ zum Abschluss gebracht, die 40 Thesen über neuralgische Themen der Vergangenheit abhandeln und somit einen Brückenschlag zwischen bis dahin sehr national ausgerichteten *Geschichtswissenschaften herstellten. Sie gehören zur Vorgeschichte des *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches. Horst Möller, Jacques Droz (1909-1998), in: Francia 28/ 3 (2001), S. 195-198; Jean-Claude Allain, Pierre Renouvin und der Versailler Vertrag, in: Gerd Krumeich (Hg.), Versailles 1919. Ziele-Wirkung-Wahrnehmung, Essen 2001, S. 259-268. Ulrich Pfeil Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande Die zunächst vierteljährlich, seit 2013 halbjährlich erscheinende „Revue d’Allemagne“ wurde 1969 vom *Centre d’études germaniques (CEG) der Universität Straßburg gegründet und wird seither von der Société d’études allemandes herausgegeben, die sich hauptsächlich aus Straßburger Hochschullehrern zusammensetzt. Ob Juristen, Politikwissenschaftler, Ökonomen, Soziologen, Historiker oder Germanisten - die Zeitschrift versteht sich als Publikationsorgan all derer, die in Frank- Ricœur, Paul 394 R reich über das zeitgenössische Deutschland forschen. Als Aushängeschild des *CEG, dessen Forschungsergebnisse sie veröffentlichte, ist die Zeitschrift an der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen maßgeblich beteiligt, indem sie Kenntnisse über das andere Land verbreitet. Ihr erster Direktor war der Germanist Roger Bauer, Leiter des CEG von 1966 bis 1969, der mit Hilfe des Historikers François-Georges Dreyfus (seines späteren Nachfolgers), des Ökonomen François Bilger und des Pariser Politikwissenschaftlers *Alfred Grosser die Zeitschrift ins Leben rief. Ebenso wie das seit 1968 in ein assoziiertes Forschungslabor umgewandelte *CEG profitiert die Zeitschrift von der Unterstützung des CNRS in Form von Subventionen und Bereitstellung von Personal (Sekretariat der Redaktion). Nach 1974 war nicht mehr der Verlag Armand Colin für ihre Redaktion, die Verwaltung der Abonnements und den Vertrieb verantwortlich, sondern das *CEG selbst. Im selben Jahr wurde der Name der Zeitschrift in „Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande“ geändert, um der Erweiterung der Forschungsgegenstands zunächst auf die DDR, die bald zu einem Schwerpunkt wurde (schon 1970 ist eine Sonderausgabe „Studien über Ostdeutschland“ gewidmet), und schließlich auf Österreich und die deutschsprachige Schweiz Rechnung zu tragen. Der Inhalt der Zeitschrift wie die Wahl der angesprochenen Themen variierte je nach den Forschungsschwerpunkten des *CEG und den von den Herausgebern verfolgten speziellen wissenschaftlichen Fragestellungen. Die grundlegende Struktur hat sich jedoch im Laufe der Jahre und unter verschiedenen Herausgebern nicht verändert. Die Artikel werden auf Französisch oder Deutsch veröffentlicht, beziehen sich häufig auf ein gemeinsames Hauptthema und ermöglichen so thematische Sonderausgaben. In jeder Ausgabe wird zusätzlich Rezensionen zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein besonderer Platz eingeräumt, wobei diese in Form von bibliographischen Rubriken erscheinen können. Als wissenschaftliche Zeitschrift veröffentlicht die Revue mindestens einmal im Jahr die Dokumente verschiedener Kolloquien - bis 2002 der Kolloquien des *CEG und später der Kolloquien anderer Forschungseinrichtungen, deren Schwerpunkte und wissenschaftlicher Gehalt mit der Ausrichtung der Zeitschrift übereinstimmen. Stets um Multidisziplinarität bemüht, analysiert die Zeitschrift die verschiedenen Facetten der gesellschaftlichen Realität in Deutschland unter historischen, politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die deutsch-französischen Beziehungen nehmen hierbei einen besonderen Platz ein, ganz im Sinne der der Zeitschrift übertragenen Rolle zur deutsch-französischen *Versöhnung und Kooperation beizutragen. Das *DFJW hatte dies erkannt und unterstützte die Zeitschrift lange Jahre (bis 1990) in Form von abgenommenen Abonnementen. Christiane Falbisaner-Weeda Ricœur, Paul Der in Deutschland stark rezipierte französische Philosoph Paul Ricœur (1913-2005) wurde in einer reformierten Familie in Valence geboren. Früh verwaist wuchs er bei seinen Großeltern in Rennes auf. Nach dem Studium der Philosophie an der Sorbonne und seiner agrégation (1935) unterrichtete er an verschiedenen Lycées. In diese Zeit fiel auch die für seinen weiteren Weg bedeutsame Begegnung mit dem Philosophen Gabriel Marcel, über dessen Vermittlung er die Werke von Edmund Husserl zu lesen begann. Sein Interesse für die deutsche Philosophie konnte Ricœur dank eines Stipendiums 1939 in München dann vertiefen. Im Mai 1940 kam er in Gefangenschaft und verbrachte die übrigen Kriegsjahre in einem Offizierslager in der Nähe von Greifswald. Die Lagerjahre waren für Ricœur Jahre des Studiums. Intensiv las er Goethe und Schiller, aber auch Husserl und Jaspers, arbeitete an seiner thèse d’État über die „Philosophie des Willens“ und begann mit der Übersetzung von Husserls „Ideen zu einer reinen Phänomenologie“, die 1950 bei Gallimard erschien. 1945-1948 unterrichtete er am Lycée Cevenol in Chambon-sur-Lignon, einer protestantischen Schule, die während der deutschen Besatzung vielen jüdischen Kindern eine Zuflucht geboten hatte. 1948 wurde er als Professor an die Universität Straßburg berufen, noch bevor er seine thèse verteidigt hatte. Dort suchte er den Kontakt zu deutschen Philosophen jenseits der Grenze, vor allem zu Karl Jaspers in Heidelberg, später auch zu Hans-Georg Gadamer sowie zu Ludwig Landgrebe und Eugen Fink in Freiburg. 1956 wechselte er an die Sorbonne und beteiligte sich 1965 an der Gründung der Universität in Nanterre, die ihm die Möglichkeit zu bieten Ricœur, Paul R 395 schien, dem starren Rahmen der Sorbonne zu entkommen und sich seinem Ideal einer Universität als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden anzunähern. Die 1960er Jahre waren eine Schlüsselperiode in der philosophischen Entwicklung von Ricœur. Mit den Problemen der Schuld und des Bösen einerseits - „Finitude et culpabilité“ (1960), deutsch: Phänomenologie der Schuld (1971) - und des Unbewussten andererseits - „De l’interprétation“ (1965), deutsch: „Die Interpretation“ (2004) - geriet er an die Grenzen der Phänomenologie, da beide Phänomenbereiche auf Sachverhalte hinweisen, die sich mit den Mitteln einer reflexiven Analyse der Intentionalität nicht erschließen lassen. Gleichzeitig begann er eine lebhafte Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus (de Saussure, Jakobson, Lévi-Strauss), deren wichtigste Zeugnisse in „Le conflit des interprétations“ (1969), deutsch: „Der Konflikt der Interpretationen“ (2009), versammelt sind. Gegen eine Sprachtheorie, die sich ausschließlich für die Binnenstruktur von Zeichensystemen interessiert, beharrt Ricœur auf der semantischen Dimension der Sprache, deren Verweis auf eine Welt auf das Subjekt zurückweist, das in und mit der Sprache spricht. Damit ist genau die Fragestellung gekennzeichnet, in der Ricœurs frühes Interesse für die sprachanalytische Philosophie Freges, Wittgensteins und Austins gründet, über die er seit den frühen 1960er Jahren Vorlesungen und Seminare hielt. Sie ermöglichte ihm, die semantische Dimension der Sprache in einer für den Strukturalismus anschlussfähigen Weise zu behandeln. Damit wurde Ricœur zu einem der frühesten Vermittler der sprachanalytischen Philosophie in Frankreich. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wandte er sich der Handlungstheorie zu und versuchte, begriffliche Mittel für eine neue Form von praktischer Philosophie zu gewinnen, um das abgebrochene Projekt seiner „Philosophie des Willens“ auf einer neuen Basis wieder aufnehmen zu können. Nach einem turbulenten Jahr als Dekan in Nanterre 1969 und seinem Scheitern (gegen *Michel Foucault) beim Versuch, in das Collège de France gewählt zu werden, nahm Ricœur den Ruf auf den Lehrstuhl von Paul Tillich an der Universität von Chicago an, den er von 1970 bis 1985 inne hatte. In diesen amerikanischen Jahren entstanden die drei wichtigsten Bücher von Ricœur: „La métaphore vive“ (1975), deutsch: „Die lebendige Metapher“ (1986), die drei Bände „Temps et récit“ (1985), deutsch: „Zeit und Erzählung“ (1988), sowie der krönende Abschluss dieser Trilogie: „Soi-même comme un autre“ (1990), in dem Ricœur die Ergebnisse seiner Forschungen seit den frühen 1960er Jahren bündelte und das auf Deutsch unter dem missverständlichen Titel „Das Selbst als ein Anderer“ (2005) veröffentlicht wurde. Das Werk präsentiert unter anderen Vorzeichen die „Poetik des Willens“, mit der er ursprünglich seine „Philosophie des Willens“ abschließen wollte. Der Umweg über eine sprachwissenschaftlich und -philosophisch begründete Hermeneutik erwies sich als der geeignete Weg, die von Ricœur ins Auge gefasste Anthropologie des handelnden und leidenden Menschen zu entwerfen, welche die Grundimpulse und Fragestellungen der Phänomenologie Husserls und *Heideggers mit der sprachanalytischen Philosophie konstruktiv vermittelt. Diesem Höhepunkt der philosophischen Arbeit von Ricœur folgten eine Reihe von Aufsatzbänden sowie zwei weitere Monographien: „La mémoire, l’histoire, l’oubli (2000), deutsch: „Gedächtnis, Geschichte, Vergessen“ (2004), sowie „Parcours de la reconnaissance“ (2004), deutsch: „Wege der Anerkennung“ (2006). Ricœurs philosophischer Stil ist durch die Intention gekennzeichnet, zur Klärung philosophischer Fragen auch weit auseinander liegende Werke und Denktraditionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Dadurch ist er zu einer zentralen Vermittlungsfigur zwischen der deutschen, der französischen und der angelsächsischen Philosophie geworden, aber auch zwischen der Philosophie, den Sozial- und *Geschichtswissenschaften und sogar der Theologie. Dank zahlreicher Übersetzungen haben Ricœurs Werke auch den Weg zu den deutschen Lesern gefunden. Auf diese Weise ist seine hermeneutisch-sprachphilosophische Umformung der Phänomenologie in die deutsche philosophische Diskussion zurückvermittelt worden. Frans Vansina, Paul Ricœur - Bibliographie primaire et secondaire/ Paul Ricœur - Primary and secondary Bibliography 1935-2008, Leuven/ Peeters 2008; François Dosse, Paul Ricœur (1913-2005). Les sens d’une vie, Paris 2008; Paul Ricœur, Kritik und Glaube. Ein Gespräch mit François Azouvi und Marc de Launay, Freiburg/ Br. 2009; Jens Mattern, Paul Ricœur zur Einführung, Hamburg 1996. Jean-Marc Tétaz Riesz, János 396 R Riesz, János Eigentlich war der 1941 in Budakeszi (Ungarn) geborene János Riesz auf dem besten Wege gewesen, ein Romanist traditionellen Zuschnitts zu werden. Er studierte in Heidelberg und Bonn Germanistik, *Romanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft und promovierte 1968 im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bonn. Dann wandte sich Riesz jedoch der französischsprachigen Literatur Afrikas zu und wurde zum Begründer der sogenannten „Afroromanistik“. Nach einer ersten Professur in Mainz erhielt er 1979 den Ruf auf einen Lehrstuhl für Romanische und Vergleichende Literaturwissenschaft in Bayreuth mit einem vorgegebenen Schwerpunkt „Afrikanologie“. Dort war Riesz maßgeblich für die Ausgestaltung eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereiches (SFB) mit dem Titel „Identität in Afrika“ verantwortlich, für den seine Antrittsvorlesung im Januar 1980 über „Literatur und nationale Identität in Afrika − Das Beispiel Senegal“ konzeptuelle Vorarbeit leistete. Der SFB (1984-1997) erlaubte nicht nur einen regen wissenschaftlichen, sondern auch einen kulturellen Austausch mit afrikanischen Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern. Von 2001-2004 knüpfte er mit einem Forschungsprojekt „Afrikanische Schriftsteller in Deutschland seit 1960“ daran an. Riesz erschloss der deutschsprachigen Wissenschaft die afrikanische Literatur in französischer Sprache sowohl in ihrer Breite (vor allem Autoren aus Senegal, Togo, Benin, Kongo und Kamerun) als auch in ihrer kaum bekannten historischen Tiefe bis hin zu frühen Afrika-Erzählungen französischer Reisender. Seine Lehre wirkte zudem bis in den schulischen Unterricht hinein. Neben seinen Büchern zu den Europäisch-Afrikanischen Literaturbeziehungen („Koloniale Mythen - afrikanische Antworten“, 1993; „Französisch in Afrika - Herrschaft durch Sprache“, 1998) und einer Monographie zu frankophonen Lebenserzählungen („Astres et Désastres - Histoire et récits de vie africains de la Colonie à la Postcolonie“, 2009) ragt vor allem die biographische Studie „Léopold Sédar Senghor und „der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert“ (2006) aus den zahlreichen Veröffentlichungen hervor. Schon in der ihm gewidmeten Festschrift („Littératures et Sociétés Africaines“, 2004), herausgegeben von seinen Schülern Papa Samba Diop (Paris) und Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken), verzeichnete die Bibliographie seiner Schriften mehr als 350 Titel. 2004 hat der oft geehrte Literaturwissenschaftler offiziell seine aktive Universitätslaufbahn beendet. Heute ist Bayreuth in Deutschland mit ca. 40 Hochschullehrern, die auf Afrika spezialisiert sind (quer durch alle Fakultäten), die Universität mit den fachlich am breitesten angelegten Afrika-Studien. Das personelle Netzwerk, das der Hochschullehrer János Riesz über die Jahrzehnte gespannt hat, erstreckt sich über die Kontinente Europa, Afrika und Amerika: Wenigstens zwanzig seiner ehemaligen Mitarbeiter, Doktoranden und Habilitanden haben Professuren in Deutschland, Frankreich, Westafrika, USA und Kanada erhalten. János Riesz, „Afroromanistik“ an der Universität Bayreuth, in: Flora Veit-Wild (Hg.), Nicht nur Mythen und Märchen: Afrika-Literaturwissenschaft als Herausforderung, Trier 2003, S. 146-159. Dirk Naguschewski Rivau, Jean du Den in Le Mans geborenen Jean du Rivau (1903- 1970) bestimmte nichts dazu, ein prägender Akteur der deutsch-französischen Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg zu werden. Er trat 1921 dem Jesuitenorden bei, wurde 1936 Priester, Vertreter von *Père Riquet bei der Conférence Laennec, Geistlicher der Medizinstudenten und 1938 préfet des études an der École Sainte-Geneviève („Ginette“) in Versailles. Im Zweiten Weltkrieg diente er als Leutnant bei der Artellerie, wurde dann jedoch festgenommen. Er konnte flüchten und übernahm zwischen 1940 und 1944 die Stelle eines Geistlichen bei den Chantiers de jeunesse. Schon bald stieß er jedoch zur 1. Armee von General Jean de Lattre de Tassigny und gründete nach dem Krieg, in der in Offenburg/ Baden beheimateten Base 901, mit seinem Hauptmannsgehalt die Zeitschriften *„Documents“ und *„Dokumente“. Diese publizierten anfänglich (nach dem Vorbild der Dossiers de l’action populaire de Vanves) wichtige Texte, entwickelten sich dann aber ab 1947 weiter zu zwei Zeitschriften, die ihre Leser über die Entwicklungen auf der jeweils anderen Rheinseite informieren sollten. Die erste Ausgabe erschien bereits im August 1945. Am Ende des gleichen Jahres wurde in den Räumen des Feldgeistlichen das Centre d’études culturelles, Robert Schuman Chor R 397 économiques et sociales gegründet, das wenige Zeit später den Namen *BILD annahm. Du Rivau, der selber kein Deutsch sprach, war eine charismatische Persönlichkeit, konnte Menschen führen und besaß eine große Originalität. Er war der beste Tänzer seiner Kompagnie, nahm an Flugwettkämpfen teil und konnte sich aufgrund seines großen Bekanntenkreises Eingang bei der Generalität und den Direktoren der einzelnen Abteilungen innerhalb der französischen Militärregierung verschaffen, um seine Vorhaben zu präsentieren und (finanzielle) Unterstützung zu finden. Darüber hinaus wusste er sich mit jungen Leuten zu umgeben, die ihm treu ergeben und im besten Sinne polyglott waren. Die Jesuiten - so Luc Antoine Boumard und Michel Guervel - traten für ihn ebenso ein wie Maurice Rieutord (Institut Robert Schuman). Du Rivau war weder ein Verfechter eines klerikal-vatikanischen Europas noch eines Europas der Technokraten, seine dringlichste Absicht war es vielmehr, Menschen zusammenzuführen. Mit diesem Ziel gehörte er 1947, als er Treffen zwischen Studenten, Schriftstellern, Historikern (*Historiker/ Geschichtswissenschaft, *Deutschfranzösisches Schulgeschichtsbuch) und Soziologen organisierte, noch zu den Visionären. Die Zusammenkünfte in Lahr und 1949 in Royaumont waren auch in dieser Hinsicht wichtige Ereignisse (*Deutsch-französische Schriftstellertreffen). Im Jahre 1949 wurde er zum Direktor des Collège Saint-François-Xavier in Vannes ernannt und in Deutschland durch *François Bourel ersetzt. Zwischen 1953 und 1957 leitete er die École Sainte- Geneviève de Versailles, blieb jedoch bis zu seinem Ableben Präsident von *BILD. Für seine Verdienste erhielt er nicht nur die Croix de Guerre, sondern er war auch der erste Franzose, dem 1954 das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde und der erste Preisträger des Europarates im Jahre 1956. 1967 hielt du Rivau die Messe in der Kathedrale Notre Dame zu Ehren des verstorbenen Kanzlers Konrad Adenauer. In memoriam Jean du Rivau, in: Documents 1 (1970) S. 1-3; Michel Guervel, Le fondateur: Jean du Rivau, in: Documents 1 (1990), S. 125-131. Dominique Bourel Robert Schuman Chor Der Robert Schuman Chor ist ein interregionaler europäischer Jugendchor, dessen Gründung auf das Jahr 1997 zurückgeht. Er wird, seit 2010 basierend auf einem Verein, getragen vom Institut européen de chant choral (INECC) in Luxembourg, dessen Metzer Pendant INECC Lorraine (Centre de ressources pour les pratiques vocales en Lorraine/ Mission de voix lorraine), dem Centre de chant choral de la communauté française de Belgique sowie dem Landesmusikrat Saar e.V. Die Ausgangsintention bestand darin, Jugendlichen aus der Großregion, dem Kooperationsraum der deutschen Bundesländer Saarland und Rheinland- Pfalz, der französischen Region Lorraine, der belgischen Region Wallonie (*Université de la Grande Région) mit ihren deutschen und französischen Sprachgemeinschaften sowie dem Großherzogtum Luxemburg, die Möglichkeit zu bieten, durch gemeinsame Chorarbeit ihr musikalisches, stimmliches sowie stilistisches Wissen und Können zu verfeinern (*SaarLorLux Orchester). Der Chor besteht aus bis zu 40 jungen Sängerinnen und Sängern mit teils sehr guter musikalischer Vorbildung, die von den Trägerinstituten ausgewählt werden und sich für zwei bis drei Projekte jährlich mit jeweils bis zu drei Probenwochenenden und anschließenden Konzerten in der Großregion, aber auch anderen Ländern wie Spanien, Estland oder Kanada zusammenfinden. Gepflegt wird ein breites Repertoire von der Polyphonie der Renaissance bis zu Jazz- und Pop- Arrangements, wobei ein Schwerpunkt der ambitionierten Chorarbeit insbesondere anspruchsvollen Werken zeitgenössischer Komponisten gilt (*Musik, ernste). Zudem ist der künstlerisch von Séverine Delforge (Belgien), Florent Stroesser (Frankreich), Camille Kerger (Luxembourg) und Martin Folz (Deutschland) geleitete Chor offen für Impulse durch Gastdirigenten wie etwa Hans- Michael Beuerle, Timo Nuoranne, Aarne Saluveer, Pierre Cao, Grete Pettersen oder Stephen Zegree. Bewusst benannt nach Robert Schuman, einem der Väter des Europagedankens, der mit seiner luxemburgisch-deutsch-französischen Biografie eine interregionale Identifikationsfigur darstellt, fungiert der Chor vielfach als Kulturbotschafter der transregionalen Zusammenarbeit und als Aushängeschild eines gelebten Europa. So traten und treten die Choristen oft bei offiziellen Anlässen der Großregion auf, etwa der Ein- Romanistenverbände in der Bundesrepublik Deutschland 398 R weihung des interregionalen Instituts Pierre Werner Luxembourg im Oktober 2003, dem Staatsakt zur Feier „50 Jahre Saarstatut“ im Oktober 2005, der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres Luxembourg 2007 im Dezember 2006 oder dem Saarlandkonzert im Rahmen des Bundeswettbewerbes Jugend musiziert im Mai 2008 in Saarbrücken. Besonderes symbolisches Gewicht kam der Einladung an den Chor zu, am 16.11.2008 die zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag musikalisch zu gestalten. Andreas Linsenmann Romanistenverbände in der Bundesrepublik Deutschland Neben dem Deutschen Romanistenverband (DRV), der sich als Fachverband der deutschsprachigen Romanistik versteht, existieren zahlreiche romanistische Fachverbände, die sich jeweils nur mit einer romanischen Sprache und ihren Literaturen beschäftigen. Diese duale Organisationsstruktur hat sich erst seit den 1970er Jahren entwickelt, war jedoch im Selbstverständnis der Romanistik angelegt. Im Gegensatz zu den Nationalphilologien der romanischen Länder versteht sie sich als Romanische Philologie, d.h. als die Wissenschaft der vom Latein abstammenden Sprachen und der in ihnen verfassten Literaturen. Ihre Vertretung durch nur einen Fachverband war solange kein Problem, wie das Französische die Romanistik dominierte und die übrigen romanischen Sprachen nur als Nebenfächer betrachtet wurden. In dem Maße aber, in dem sich diese von der Dominanz des Französischen emanzipierten und als eigenständige Einzelphilologien etablierten, geriet die Existenz des DRV in Gefahr. Dieser versuchte diese zu wahren, indem er die Romanistentage ab 1975 unter ein gemeinsames Thema stellte und den „kleineren Fächern“ mehr Platz auf diesen einräumte. Dadurch ließ sich der Ausdifferenzierungsprozess jedoch nicht aufhalten. Verstärkt wurde dieser durch die Konstituierung der „Neuen Romania“ als wissenschaftliches Objekt sowie die Integration von sozialwissenschaftlichen Fragestellungen, Denkansätzen und Methoden in das wissenschaftliche Instrumentarium der Romanistik. Der Überblick über das gesamte Fachgebiet ging dadurch verloren. Außerdem verstärkten sich die Interessengegensätze zwischen den sprachlichen Einzelfächern. Neben dem DRV gibt es somit heute den Deutschen Hispanistenverband (DHV), den Franko-Romanistenverband (FRV), den Deutschen Lusitanistenverband (DLV), den Deutschen Italianistenverband (DIV), den Deutschen Katalanistenverband (DKV) und den Deutschen Balkanromanistenverband (BRV). Außerdem bildeten sich noch zahlreiche wissenschaftliche Vereinigungen wie z.B. die Association internationale d’études occitanes (AIEO) oder die Deutsche Dante-Gesellschaft. Der älteste der romanistischen Fachverbände ist der DRV. Er wurde 1953 von Hans Rheinfelder gegründet, um der deutschen Romanistik nach dem II. Weltkrieg wieder ein Forum zu geben. Er veranstaltet seit 1955 alle zwei Jahre einen fachwissenschaftlichen Kongress, den Deutschen Romanistentag. Dieser wird jeweils an einem anderen romanischen Seminar des deutschsprachigen Raumes ausgerichtet. Ursprünglich ein elitäres Treffen von Professoren und Privatdozenten, wurde er infolge der Entwicklung der Romanistik zum Massenfach zu einer Großveranstaltung. Etwa 500 Teilnehmer mit eigenen Beiträgen tagen in etwa 30 Sektionen aus den Bereichen Sprach-, Literatur-, Medien- und *Kulturwissenschaft sowie Sprachpraxis und Fachdidaktik. Besonders Nachwuchswissenschaftler nutzen die Gelegenheit, um ihre Forschungsergebnisse vorzustellen und sich einem größeren Publikum bekannt zu machen. Damit der diskursive Zusammenhalt nicht verlorengeht, werden außerdem fachübergreifende Themen auf Plenarveranstaltungen diskutiert. So sprach z.B. Alfred Grosser 1977 auf dem Romanistentag von Gießen über das Thema „Was sollen Romanisten lehren“. Außerdem werden auf der Mitgliederversammlung die Regularien des Verbandes (Wahl des Vorstandes etc.) erledigt. Der DRV durchlebte mehrere schwere Krisen. Die erste ereignete sich unmittelbar nach seiner Gründung, als es zur Trennung von der DDR-Romanistik kam. Diese Trennung konnte erst nach der Wiedervereinigung 1990 überwunden werden. Die zweite schwere Krise resultierte aus der Politisierung des Verbandes Anfang der 1970er Jahre. Sie führte zu heftigen internen Debatten und zur Gründung der Konferenz der Romanischen Seminare. Deren Teilnehmer, überwiegend Angehörige des akademischen Mittelbaus, bemühten sich u.a. um die Integration einer historisch-sozialwissenschaftlichen Komponente Romanistik (Franko-Romanistik) R 399 in die *Romanistik. (*Romanistische Zeitschriften, *Michael Nerlich). Ein Ergebnis dieser Bemühungen war die Entwicklung von Konzepten historisch-sozialwissenschaftlich orientierter Landeswissenschaften nach dem Vorbild der „civilisation allemande“ der französischen Germanistik. Trotz einiger Anfangserfolge gelang es jedoch nicht, diese in der Hochschulromanistik zu institutionalisieren. Stattdessen konnten sich die *Kulturwissenschaften und die Fachdidaktik als Teildisziplinen des Faches etablieren. Die dritte große Krise ergab sich aus den Selbständigkeitsbestrebungen der sprachlichen Fächer, die zur Pluralisierung des Verbandes und zur Gründung zahlreicher Fachverbände führte (s.o). Trotz dieser Ausgliederungen konnte sich der DRV als Gesamtverband behaupten. Er hat heute etwa 1 000 Mitglieder. Sein zentrales Problem ist weiterhin die Wahrung der organisatorischen Einheit in der Vielfalt der romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen. Die einzelnen Fachverbände vertreten im Gegensatz zum DRV jeweils die spezifischen Interessen ihres jeweiligen sprachlichen Faches. Sie veranstalten ebenfalls alle zwei Jahre wissenschaftliche Fachkongresse und pflegen Außenkontakte zu Politik, Wissenschaftsverwaltung und Öffentlichkeit. Eine besondere Aufgabe sehen sie in der Zusammenarbeit mit den Botschaften, Kulturinstituten, philologischen Fachverbänden und Universitäten ihrer Zielsprachenländer. Um die Arbeit der verschiedenen Fachverbände zu koordinieren und eine gemeinsame Interessenvertretung zu ermöglichen, wurde 2005 die Arbeitsgemeinschaft romanistischer Fachverbände (AG Rom) gegründet. Laut Satzung vom 8.7.2005 dient sie „der Formulierung und Wahrung gemeinsamer Interessen sowie dem Interessenausgleich unter den Mitgliederverbänden, fördert deren Zusammenarbeit und unterstützt die Mitgliedsverbände bei ihrer Arbeit. Sie bildet den institutionellen Rahmen für eine gemeinsame Außenvertretung der romanistischen Einzelverbände“ (Bulletin des FRV 2/ 2005). Mitglied der AG Rom können Vereine werden, die sich zu diesen Zielsetzungen bekennen und in Forschung, Lehre und Unterricht auf dem Gebiet der romanischen Sprach-, Literatur- und *Kulturwissenschaften tätig sind. Die AG Rom hat damit viele Aufgaben übernommen, die vorher der DRV wahrnahm. Allerdings kennt sie keine individuelle Mitgliedschaft und veranstaltet keine eigenen wissenschaftlichen Tagungen. Ihre Effizienz hängt im hohen Maße vom Engagement ihres Leitungsgremiums ab. Da dieses nachgelassen hat, verringerte sich ihre Bedeutung erheblich. Stattdessen erfolgt heute die Koordination zwischen den Verbänden vor allem durch informelle Absprachen. Erleichtert werden diese durch die generelle Doppelmitgliedschaft ihres Führungspersonals im DRV und in den Einzelverbänden. Eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Verbände spielt die IT-Plattform romanistik.de. Damit haben sich auch die romanistischen Fachverbände dem digitalen Zeitalter angepasst. Die duale Organisationsstruktur der deutschsprachigen Romanistik wurde dadurch jedoch nicht überwunden. Aufgrund der Gemeinsamkeiten, aber auch der Besonderheiten der einzelnen romanischen Sprachen bleibt sie weiterhin eine strukturelle Notwendigkeit. Alexander M. Kalkhoff, Romanische Philologie im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Institutionengeschichtliche Perspektiven, Tübingen 2010; DRV u.a. (Hg.), Romanistik: Geschichte und Auftrag. Reader zum 26. Romanistentag (Universität Osnabrück, 26.-29. September 1999), 1999. Roland Höhne Romanistik (Franko-Romanistik) Als beim Romanistentag in Münster 1995 ein Verband für die Französisch-Komponente der Disziplin gegründet werden sollte, war die vielleicht wichtigste Frage jene des Namens: Französistik, Gallo-Romanistik, Gallizistik, Franko-Romanistik usw. Die im Vergleich zur Italianistik oder Hispanistik festzustellende begriffliche Unsicherheit hatte vor allem historische Ursachen. Seit der Gründung der Romanistik war es nicht notwendig gewesen, den Frankreichteil von Lehre und Forschung besonders zu betonen, da er bereits aufgrund der geographischen Nähe stets im Zentrum des Faches gestanden hatte: Romanistik und Franko-Romanistik waren zu großen Teilen identisch. Dies galt für die großen Leistungen bei Editionen altfranzösischer Texte ebenso wie für die zentrale Stellung des Französischen in der Sprachwissenschaft, und mit der Professionalisierung von Sprach- und Literaturwissenschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts behielt die französische Literatur Romanistik (Franko-Romanistik) 400 R eine Schlüsselstellung. Institutionell war die Romanistik in der Neuphilologenvereinigung und bei den seit 1886 in Hannover stattfindenden Neuphilologentagen vertreten, die vor allem für die auf Frankreich zentrierte Debatte um die Kultur- und Wesenskunde der Weimarer Republik eine wichtige Rolle spielen. In dieser Zeit gab es erstmals, und zwar von einem so einflussreichen und besonnenen Romanisten wie Karl Vossler, den Vorschlag, das Französische durch das Spanische zu ersetzen. In der NS-Zeit wurde das Französische dann als erste moderne Fremdsprache an den Schulen durch das Englische abgelöst und ab 1938 mit dem Italienischen und Spanischen gleichgestellt. Diese Abwertung ist mit dem Kriegsende ausgestanden, auch wenn das Englische seinen Platz als erste Fremdsprache behauptet und ausgebaut hat. In der universitären Romanistik dominierte weiter der französische Einfluss, was sich auch aus dem Gewicht der französischen Nachkriegsliteratur (*Existentialismus, absurdes Theater, Nouveau roman, Lyrik) erklärt. Die Dominanz des Französischen prägte den 1953 von Hans Rheinfelder gegründeten Deutschen Romanistenverband (DRV), der seit 1955 zweijährlich Romanistentage organisiert. Im Zuge einer zunehmenden Europäisierung und einer sich abzeichnenden Globalisierung im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts verlor diese Frankreich-Orientierung ihre Selbstverständlichkeit bzw. wurde aus institutionellen wie ideologischen Gründen infrage gestellt. Bezeichnenderweise waren es einige Hispanisten, die, von der Spanischen Botschaft unterstützt, 1977 den ersten Hispanistentag in Augsburg veranstalteten und den Deutschen Hispanistenverband (DHV) gründeten; ihm folgte 1991 ein Deutscher Italianistenverband (DIV). 1995 kam es dann, von der Französischen Botschaft gefördert, zur Einrichtung eines Franko-Romanistenverbandes (FRV): Damit war die Teilung der Romanistik vollzogen, die die öffentliche Wahrnehmung des Faches erheblich beeinträchtigt, trotz eines weiter existierenden DRV. Lusitanisten, Katalanisten und Balkanromanisten zogen nach. Wie die anderen Verbände veranstaltet der FRV im Zwei-Jahres- Rhythmus Franko-Romanistentage. Seit Mitte der 1980er Jahre, initiiert durch den damaligen DRV-Vorsitzenden *Fritz Nies beim Romanistentag in Freiburg, kam es an mehreren Universitäten zur Gründung von *Frankreich- Zentren. Das erste war 1989 das inzwischen fest etablierte interdisziplinäre Frankreich-Zentrum mit eigenen Aufbau- und Masterstudiengängen an der Universität Freiburg. Das nächste entstand 1996 mit einem Zentrum für die frankreich- und frankophoniebezogenen Aktivitäten an der *Universität des Saarlandes. Ab Beginn der 1990er Jahre versuchte *Michael Nerlich an der TU Berlin, ein mit vier Professuren ausgestattetes Frankreich- Zentrum zu errichten. Dazu kam es 1998 bei reduzierter Ausstattung, 2006 wurde das Zentrum jedoch mit historischen und literaturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten an die FU Berlin verlagert. Symptomatisch ist die Geschichte des Frankreich-Zentrums der Universität Leipzig. Es existierte nur von 1995 bis 2005 und ist inzwischen in einem Global and European Studies Institute (GESI) aufgegangen. Seit den 1990er Jahren zeichnen sich in den Romanischen Seminaren Veränderungen ab. Zum einen werden Romanische Seminare und Institute geschlossen (Braunschweig, Chemnitz, Greifswald, Hannover), wobei Hannover jüngst mit einem hispanistischen Schwerpunkt wiedereröffnet worden ist, zum anderen drückt sich die veränderte Bedeutung des Französischen und des Spanischen in Stellendenominationen aus: Während es immer mehr Stellen gibt, die vor allem oder ausschließlich die Hispanistik und/ oder Lateinamerikanistik vertreten, ist das Französische dabei, solche Alleinstellungsmerkmale zu verlieren und zu einem Kombinationsfach (mit dem Italienischen oder Spanischen) zu werden: Dies liegt sowohl an der Nachfrage (die im Französischen auf recht hohem Niveau stagniert, im Spanischen jedoch weiter steigt), als auch an der größeren kultur- und sozialwissenschaftlichen Ausrichtung vor allem der Lateinamerikanistik und der politischen Bedeutung des amerikanischen Subkontinents. Veränderungen in der französischen Kulturpolitik, die rigiden Sparmaßnahmen unterworfen wird und ihre Auslandsaktivitäten reduziert, schlagen ebenfalls zu Buche. Die Relativierung des Französischen innerhalb der Romanistik hat vor allem strukturelle Gründe: Im Zuge der Globalisierung hat sich für die öffentliche Wahrnehmung die Rolle des Französischen vermindert, die durch die immer wichtiger werdende Rolle der „Frankophonie“ Romanistik in der DDR R 401 (noch) nicht kompensiert werden kann. Die historische Bedeutung der französischen Sprache, Literatur und Kultur und ihre Konsequenzen für die deutsch-französischen Beziehungen der Gegenwart werden nicht nur von großen Teilen der Öffentlichkeit, insbesondere der Politik, unterschätzt, auch in der Romanistik selbst ist es zu einer Schwächung der historischen Dimension der französischen Literatur zugunsten der „Neuen Romania“, vor allem hispanistischer und teilweise lusitanistischer Provenienz gekommen. Das gegenwärtige Profil der Franko-Romanistik wird von der neueren französischen Literatur geprägt, mit Schwerpunkten im 19. Jahrhundert (FU Berlin, Gießen, München, Tübingen oder früher HU Berlin), in der Moderne und den Avantgarden (Bonn, Düsseldorf, München oder Osnabrück), in der Gegenwartsliteratur (Berliner Frankreich-Zentrum, HU Berlin, Freiburg, Osnabrück, Regensburg) oder Saarbrücken sowie in der Frankophonie (Bremen, Leipzig, Mannheim, Potsdam, Saarbrücken oder früher Heidelberg und Würzburg), historische Schwerpunkte gibt es etwa in der Renaissance an der FU und HU Berlin sowie in Bonn und mit der Aufklärungsforschung in Halle. Da die meisten Veröffentlichungen (im Unterschied zur Hispanistik) das Deutsche als Wissenschaftssprache benutzen, ist ihre internationale Wahrnehmung, nicht zuletzt in Frankreich, begrenzt. Die Franko-Romanistik hat mehrere große Projekte verwirklicht, die Schule gemacht haben oder so für die anderen romanischen Literaturen nicht existieren. Dies ist vor allem die von Jürgen Grimm 1989 herausgegebene „Französische Literaturgeschichte“ (Metzler), die mit mehr als 40 000 Exemplaren zu einem Standardwerk geworden ist. Zum anderen sind dies die ebenfalls bei Metzler erschienenen, dem Mittelalter und jeweils einem Jahrhundert gewidmeten „Lehrbücher Französische Literatur“ sowie die von Henning Krauß bei Stauffenburg herausgegebenen zwölf Interpretationsbände „Französische Literatur“ (vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert). Der Verzicht der Franko-Romanistik auf eine landeswissenschaftliche Säule, der immer mehr der in diesem Sinne ausgerichteten Professuren zum Opfer fallen (etwa in Dresden), hat gerade im Bereich des Französischen, in dem die Debatte um die Landeskunde/ Landeswissenschaft am heftigsten war, zu einer sprach- und literaturwissenschaftlichen „Re-Philologisierung“ geführt. Ob es einer solchen Franko-Romanistik, auch angesichts der gegenwärtigen Wahrnehmung von französischer Kultur und Literatur, gelingen wird, ihre ehemalige Bedeutung innerhalb der Romanistik wiederzuerlangen, wird in naher Zukunft an einer Reihe von Universitäten entschieden werden. Wolfgang Asholt Romanistik in der DDR Zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen hat die Franko-Romanistik (nur von dieser ist im Folgenden die Rede) der DDR vor allem durch die Vermittlung von Sprache, Literatur und Geschichte Frankreichs in ihrem Land beigetragen. Austauschprozesse hat sie kaum beeinflussen können - höchstens als fachwissenschaftliche Kontakte einzelner ihrer Vertreter, aber unter politischer Aufsicht, weder institutionalisiert noch zivilgesellschaftlich untermauert. Ihr Gegenstand war ständig und intensiv präsent in der alltäglichen Imagination vieler - von Cancan über Käse und Commune bis *Camus. Real erreichbar war er, nicht erst seit 1961, nur für sehr wenige. Politisch war Frankreich einerseits eine der Führungsmächte der imperialistischen Gegenseite im Kalten Krieg - aber mit einer denkerischen Tradition, von der Teile zu den Quellen des Marxismus zu zählen waren, mit einer Literatur, deren Wert in der Darstellung sozialer Konflikte gesehen wurde, mit einer revolutionären Geschichte, die im Befreiungsanspruch wie im Terror der sowjetischen vorauszugehen schien, mit vielen Kommunisten, die ihre Kinder in Ferienlager der DDR schickten und ab und an sogar mit einem Präsidenten, der anders war als die üblichen. Die DDR-Romanistik kann, wie ihre Nachbardisziplinen (von denen Geschichte und Philosophiegeschichte für sie wichtig waren), als Gesellschaftswissenschaft beschrieben werden. Die Differenziertheit der französischen Gesellschaft und Geschichte eröffnete ihren Vertretern vielschichtige Argumentations- und Handlungsräume. Zugleich waren diese Räume dadurch begrenzt, dass Wesentliches in ihnen den für Nützlichkeit und für Konformität gesetzten Normen widerstritt. Die Romanistik in der DDR war kein Luxus-, aber ein marginales Fach und existierte damit zwischen Existenzbe- Romanistik in der DDR 402 R schränkung und einer Selbstbestimmung, die in Nischen denkbar ist. Normabweichung und Normerweiterung waren aus den Nischen heraus möglich, Normenkontrolle nicht. Aber der Funktionsanspruch griff über die Wissenschaft hinaus. Die institutionelle Entwicklung erfolgte zwischen Mangelverwaltung und Reformversuchen. 1945/ 46 unternahmen die sieben Universitäten in der SBZ den Wiederbeginn der Romanistik zunächst weitgehend mit alten Kräften; die Wiedereinsetzung von *Victor Klemperer in Dresden (der bald über Greifswald nach Halle und Berlin wechselte) und die Berufung von *Werner Krauss nach Leipzig waren die einzigen Versuche eines personellen Bruchs. Emeritierungen, Übersiedlungen in den Westen sowie das Fehlen qualifizierter Nachwuchskräfte führten bis in die 1960er Jahre häufig zu provisorischen und im Allgemeinen nicht ausreichenden Besetzungen der Romanischen Institute; wissenschaftspolitische Steuerungen kamen nach und nach hinzu. In Dresden stellte man den romanistischen Lehrbetrieb Anfang der 1950er Jahre, in Jena zehn Jahre darauf ein. In Rostock wurde er zu dieser Zeit auf Lateinamerika konzentriert, Greifswald und Halle auf die Französischlehrer-Ausbildung begrenzt. Mit der 3. Hochschulreform 1968/ 69 wurde das Romanische Institut in Berlin in eine Sektion Philologien/ Germanistik integriert, das in Leipzig geteilt und in Sektionen für Literaturwissenschaft bzw. für Sprachwissenschaft eingegliedert. Die Leipziger Romanistik blieb so bis zum Ende der DDR organisiert. An der Humboldt-Universität erfolgte 1980/ 84 die Wiederherstellung einer Sektion Romanistik, an der auch die einzige romanistische Fachzeitschrift der DDR, die „Beiträge zur romanischen Philologie“ (1962-1991) angesiedelt war, was den besonderen Platz dieses Instituts verdeutlicht. An der Deutschen Akademie der Wissenschaften (seit 1972 AdW der DDR) wurden 1969 außeruniversitäre Zentralinstitute für Literaturgeschichte und Sprachwissenschaft gegründet, die auch über Promotions- und Habilitationsrecht verfügten. In ihnen ging u.a. das Institut für romanische Sprachen und Kultur auf, das seinerseits 1962 aus dem Institut für romanische Sprachwissenschaft (gegründet 1947 von Walther von Wartburg) und der Arbeitsstelle zur Geschichte der deutschen und französischen Aufklärung (gegründet 1955 von *Werner Krauss) hervorgegangen war. Zu den Rahmenbedingungen der Romanistik in der DDR gehörten neben einer zentralistisch organisierten, aber individuell beeinflussbaren Struktur-, Berufungs- und Forschungsplanung rigide Reiseregelungen, die vielen Romanisten, besonders an den Universitäten, Tagungs- und Forschungsreisen nach Frankreich unmöglich machten, sowie eine Devisenknappheit, die nochmals die Reisen und zusätzlich die Bibliotheksausstattungen empfindlich traf. Die Reproduktion des Faches erfolgte auf der Basis einer stark eingeschränkten Ausbildung von Diplomanden, z.T. über ein Forschungsstudium, das zur Promotion führte; die Planung bedeutete Arbeitsplatzsicherheit. Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen in Frankreich waren (auch durch Zurückhaltung dort) lange nicht in Verträgen zu regeln; ein Studentenaustausch kam erst in den letzten Jahren der DDR in äußerst geringem Umfang zustande. Ein eigenständiger Romanistenverband konnte erst im Mai 1990 gebildet werden; er löste sich nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zum Ende desselben Jahres auf. Wesentliche Handlungsfelder waren die Veröffentlichung französischer Literatur und die Lehrerausbildung (auch Dolmetscherstudiengänge existierten). Für die drittwichtigste Fremdsprache an den Schulen der DDR (von der 7. Klasse an nach Russisch als zweite Fremdsprache neben Englisch wählbar, faktisch jedoch deutlich weniger angenommen) bestand kontinuierlich ein Bedarf an Lehrkräften; seit Ende der 1970er Jahre war das Fach allerdings nur in der Kombination mit Russisch studierbar. Die Ausbildung suchte durch große sprachpraktische Anteile die Unmöglichkeit eines Aufenthalts in Frankreich zu kompensieren. Neben Literatur- und Sprachwissenschaft bildete seit 1969 Landeswissenschaft ein gleichgewichtiges obligatorisches Lehrgebiet. Wichtig für die *Rezeption französischer Literatur in der DDR war die Arbeit von Romanisten als Herausgeber, Gutachter und Nachwortautoren für die Verlage. Fiktionale Literatur aus Frankreich gehörte zu den meistgefragten; sie erschien vor allem bei Rütten & Loening sowie Volk und Welt in Berlin, Reclam und Insel/ Dieterich in Leipzig. Etliche umfangreiche Auswahl-Ausgaben setzten Maßstäbe: Voltaire, Rousseau und Diderot von Martin Fontius; Stendhal von *Manfred Naumann; Balzac von Fritz-Georg Voigt; Zola von *Rita Schober; Ro- Romanistische Zeitschriften R 403 main Rolland von Hans Balzer; „Surrealismus in Paris“ von Karlheinz Barck. Literarische und politische Dogmen, die von Gutachtern verinnerlicht waren oder erst nach und nach außer Kraft gesetzt werden konnten, verhinderten oder verzögerten allerdings die Veröffentlichung von Texten „problematischer“ Autoren wie Marcel Proust, *Albert Camus, André Gide, *Samuel Beckett oder André Malraux. Durch die Nachworte, die eine Veröffentlichung gewöhnlich begleiteten, war Wissensvermittlung für nicht spezialisierte Leser jenseits fachwissenschaftlicher Diskurse möglich. In der Forschung leisteten DDR-Romanisten auch in Frankreich beachtete Beiträge insbesondere dort, wo marxismusspezifische Fragestellungen nach der Präsenz von Gesellschaft in kulturellen Formen in historisch und systematisch fruchtbare Untersuchungskonstellationen übersetzt werden konnten (Geschichte der Sprachtheorien, Roman des Realismus, Rezeptionstheorie, Wort- und Begriffsgeschichte). In der - besonders einflußreichen - Aufklärungsforschung wurden auch französisch-deutsche Beziehungen und Vergleiche bearbeitet. Aus Frankreich brachten Romanisten in der DDR das weite Realismusverständnis des alten Aragon, die Literaturauffassungen des Nouveau roman, die Ideologiekritik im Umkreis von Althusser und den Sprach- und Literaturbegriff des Strukturalismus zur Kenntnis und in Teilen auch zur Geltung. Das postmoderne Denken erreichte die späte DDR hingegen über die Amerikanistik. Klaus Bochmann, Jürgen Erfurt (Hg.), Romanistik zwischen Engagement und Verweigerung, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 45, September 1991; Gerdi Seidel, Vom Leben und Überleben eines „Luxusfachs“. Die Anfangsjahre der Romanistik in der DDR, Heidelberg 2005. Wolfgang Klein Romanistische Zeitschriften Schon der Titel deutet an, dass es nicht (nur) um ausschließlich der französischen Sprache, Literatur und Kultur gewidmete Zeitschriften geht. Im Gegensatz zur (später gegründeten) französischen *Germanistik entwickelte sich die *Romanistik seit Beginn des 19. Jahrhunderts als eine die romanischen Sprachen und Literaturen vergleichende Disziplin, in mancher Hinsicht auch als ein gegen das revolutionäre Frankreich und den Einfluss der französischen Kultur der Moderne gerichtetes Unternehmen. Hinzu kommt, dass die heutigen Fremdsprachenphilologien erst Ende des 19. Jahrhunderts ihre Selbständigkeit etablieren konnten, sodass viele, zum Teil noch heute existierende Zeitschriften (begonnen mit dem 1846 gegründeten „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen“, dem „Jahrbuch für romanische und englische Literatur“, der „Germanisch-romanischen Monatsschrift“ u.a.) ein philologieübergreifendes Profil haben. Dementsprechend waren die ersten romanistischen Zeitschriften, etwa die von Gustav Gröber begründete „Zeitschrift für romanische Philologie“ (ab 1877), Publikationsorgane, in denen Frankreich und die französische Literatur und Kultur eine untergeordnete Rolle spielten. Eine erste Zeitschrift, die dies schon mit ihrem Titel programmatisch veränderte, war die 1879 gegründete „Zeitschrift für französische Sprache und Literatur“ von Gustav Körting und Eduard Koschwitz, die ab 1881 auch die „Französischen Studien“ und ab 1902 die „Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht“ herausgaben. 1893 gründete Karl Viëtor zudem „Die Neueren Sprachen“, 1883 Karl Vollmöller die „Romanischen Forschungen“. Damit stand der *Romanistik Ende des 19. Jahrhunderts ein breites Spektrum von sprach- und literaturwissenschaftlichen und sogar fremdsprachendidaktischen Zeitschriften zur Verfügung, die größtenteils noch heute existieren - eine schöne Illustration romanistischer Kontinuität. Wie schwierig es war, das disziplinäre Spektrum um kulturelle, soziale und politische Perspektiven zu erweitern, zeigt das Schicksal der „Revue franco-allemande/ Deutsch- Französische Rundschau“ (1899-1901). Im Prinzip änderte sich an dieser Situation auch in der Zwischenkriegszeit wenig; zwar versuchten die Vossler-Schüler Victor Klemperer und Eugen Lerch 1925 mit dem „Jahrbuch für (idealistische) Philologie“ ein für die Gegenwart offeneres Publikationsorgan zu schaffen, das jedoch bereits nach drei Jahrgängen eingestellt werden musste. Die 1928 in Hamburg gegründete Zeitschrift „Volkstum und Kultur der Romanen“ existierte zwar länger, aber nur, weil sie sich ab 1933 „gleichschalten“ ließ. Wirkliche Innovationen, wie die sich auf den Geist von Locarno berufende, 1927/ 28 gegründete „Deutsch-Französische Rundschau“ von Otto Grautoff, erfreuten sich zwar der Mitarbeit einiger Romanisten, Romanistische Zeitschriften 404 R wurden jedoch von der *Romanistik nicht wirklich anerkannt. Dies gilt in anderer Weise auch für die „Deutsch-Französischen Monatshefte“ (1931-1944), die nach 1933 zu einem Instrument der nationalsozialistischen Frankreich-Politik wurden. Die ganz den deutsch-französischen Beziehungen gewidmete Zeitschrift des Deutschen Instituts während der Okkupation, „Deutschland - Frankreich“, wurde zwar von Romanisten wie Karl Epting und Karl Heinz Bremer herausgegeben, kann jedoch kaum als romanistische Zeitschrift gelten. In der *Romanistik der Nachkriegszeit änderte sich weder am Zeitschriftenspektrum noch am Zeitschriftenprofil viel. Insofern dominierte in den 25 Jahren nach 1945 eine Konzeption, in der die französische Sprache und Literatur zwar breit vertreten waren, die französische Kultur oder Gesellschaft jedoch praktisch kaum eine Rolle spielten. Dies ist in der einzigen romanistischen, von 1962 bis 1989 erscheinenden Zeitschrift der DDR, den auf Betreiben von *Rita Schober gegründeten „Beiträgen zur romanischen Philologie“ zwar anders, wirkliche Konsequenzen für die westdeutsche Romanistik sollte diese Konkurrenz jedoch nicht haben. Die Situation änderte sich erst in den 1970er Jahren. Mit der nahezu gleichzeitigen Gründung der „Romanistischen Zeitschrift für Literaturgeschichte“ (1977) durch Erich Köhler und Henning Krauß und von *„lendemains“ (1975) durch *Michael Nerlich und seine Frau Evelyne Sinassamy sollte sich das romanistische Zeitschriftenspektrum und die Wahrnehmung Frankreichs verändern. Vor allem „lendemains“ als ein der „Vergleichenden Frankreichforschung“ gewidmetes Organ erweiterte das disziplinäre Spektrum von der Sprach- und Literaturwissenschaft zu Medien, Kultur, Geschichte, Politik und Ökonomie im Sinne der von seinem Gründer propagierten Frankreichforschung. *Nerlichs Gründung versuchte bewusst, in die *Romanistik hineinzuwirken, ein Ziel, das das seit 1988 vom *Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg und seinem Direktor *Robert Picht (mit)herausgegebene „Frankreich Jahrbuch“, das mit Ausnahme der Sprach- und Literaturwissenschaft ein ähnliches Spektrum wie „lendemains“ abdeckt, nach eher enttäuschenden Erfahrungen nicht mehr verfolgt. Zwischen 1994 und 2011 versuchten dies die vor allem von Romanisten und Historikern in den „neuen“ Ländern herausgegebenen „Grenzgänge“, die sich im Untertitel als „Beiträge zu einer modernen Romanistik“ bezeichnen und damit (auch) an die Tradition der ehemaligen DDR-Zeitschrift anknüpften. Zwar gesamtromanistisch konzipiert, jedoch mit einem deutlichen Frankreich- Schwerpunkt, zeigt das Schicksal dieser Zeitschrift, wie schwer es in der Romanistik noch immer ist, die von der Sprach- und Literaturwissenschaft etablierten Grenzen infrage zu stellen. Dies gilt sowohl für Vergleichende Frankreichstudien wie die damit verbundene sozialwissenschaftliche Erweiterung des Spektrums. Die Gegenwart ist durch eine Situation gekennzeichnet, in der der Anteil der französischen Sprache und Literatur in den klassisch-romanistisch-vergleichenden Zeitschriften zwar immer noch bedeutend ist, jedoch durch die Expansion der Hispanistik und Lateinamerikanistik relativiert wurde. Dies gilt nicht für die „Zeitschrift für französische Sprache und Literatur“, doch dem Titel und der Tradition der Zeitschrift gemäß werden ausschließlich sprach- und literaturwissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, auch wenn eine gewisse Öffnung zu kulturwissenschaftlichen Themen sichtbar wird. Wenn man das „Frankreich Jahrbuch“ ausnimmt, das weder institutionell noch konzeptionell mit der *Romanistik verbunden ist, existiert also gegenwärtig mit „lendemains“ nur eine Zeitschrift, die sich der Vergleichenden Frankreichforschung widmet. Komplizierter und problematischer ist die Situation der didaktischen Zeitschriften. „Die Neueren Sprachen“ wurden 1995 mit den „Neusprachlichen Mitteilungen“ vereint, um 2006 eingestellt zu werden; 2010 wurde ein bisher einmaliger Neubeginn als Jahrbuch versucht. Die seit 1954 erscheinende „Praxis des Neusprachlichen Unterrichts“ wurde 2003 mit dem seit 1948 publizierten „Fremdsprachenunterricht“ vereint und erscheint als „Praxis FSU“ weiter. „Zielsprache Französisch“ (seit 1973) hat im Jahre 2000 das Erscheinen eingestellt, und „Französisch Heute“ ist die einzige Zeitschrift, die seit ihrer Gründung (1970) kontinuierlich weiter erscheint. Die Zeitschriftensituation ist auch Ausdruck der Entwicklung der *Romanistik in den letzten 50 Jahren, in der eine konzeptionelle Erweiterung und Erneuerung eher in der Lateinamerikanistik als in der Französistik stattgefunden hat. Der Versuch, mit der Landeswissenschaft einen Rovan, Joseph R 405 eigenständigen Bereich neben Sprach- und Literaturwissenschaft zu etablieren, ist weitgehend gescheitert. Die elektronische, 2008 gegründete Zeitschrift „Trivium“ (herausgegeben von der Maison des sciences de l’homme), die im Untertitel als „Deutsch-französische Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften“ firmiert, illustriert, dass diese Bereiche inzwischen von anderen Disziplinen und Institutionen vertreten werden. Wolfgang Asholt Rovan, Joseph „Erinnerungen eines Franzosen, der einmal Deutscher war“, so lautet der Titel, den Joseph Rovan (1918-2004) seiner Autobiographie gab, die seinen Weg zu einem Wanderer zwischen zwei Welten, zu einem deutsch-französischen Mittler nachzeichnet, eine Tätigkeit, die ihm zur Lebensaufgabe werden sollte. Wenn man 1918 in München geboren wurde, der Vater Rosenthal und die Mutter Loewi hießen, dann drängte sich nach 1933 der Abschied aus Deutschland auf, auch wenn die Eltern zum protestantischen Glauben konvertiert waren. Joseph folgte 1934 seiner Familie ins Exil nach Paris. Er war ein hochbegabter Schüler und Student: baccalauréat bereits nach zwei Jahren, Studium der *Germanistik (*Edmond Vermeil war sein Lehrer), der Politik- und Rechtswissenschaften. In diese Zeit fiel die Aneignung der französischen Kultur und Sprache, ohne dass er jedoch das Deutsche je aufgab. Bei Kriegsbeginn kämpfte er gegen das „Dritte Reich“, nach der französischen Niederlage 1940 ging er unverzüglich in die Widerstandsbewegung nach Lyon, wo er im Rahmen der katholischen Organisation „Les Amitiés chrétiennes“ gefälschte Papiere für Angehörige des Widerstands herstellte. Im Februar 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert und gefoltert. Er wurde dort als politischer Gefangener geführt und nicht als Jude, was ihm das Leben rettete. Sein Verhältnis zum Judentum war zwiespältig: obwohl „Volljude“ nach den NS-Rassengesetzen, wurde er als Protestant erzogen und ist später zum Katholizismus übergetreten. Er pflegte zu sagen: Hitler hat mich zum Juden gemacht. Seine Erlebnisse im Konzentrationslager hat er in einem Erinnerungsbuch festgehalten - „Geschichten aus Dachau“ (München 1984) -, das gerade wegen seiner unpathetischen und nüchternen Darstellungsweise zutiefst bewegend ist. Er hat es seinen beiden Söhnen gewidmet: damit sie es wissen. Mit nahezu prophetischer Weitsicht hat Rovan seine politische Vision in dem berühmten, viel zitierten Artikel vom 1.10.1945, veröffentlicht in der linkskatholischen Zeitschrift „Esprit“, niedergelegt, in dem er eine deutsch-französische Schicksalsgemeinschaft verkündet. Er beschreibt den Zweiten Weltkrieg als einen europäischen Bürgerkrieg und überträgt Frankreich die Mitverantwortung für das zukünftige Deutschland, daher das Titel-Thema: „L’Allemagne de demain sera la mesure de nos mérites“. Aus dieser Analyse ergab sich für Rovan seine Lebensmaxime, die deutsch-französische Kooperation in den Dienst der europäischen Einigung zu stellen. Er sollte diese Forderung im Wesentlichen in drei Bereichen verwirklichen: im politischen und organisatorischen Handeln, in seiner journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit und als Hochschulprofessor in Lehre und Forschung. Zum ersten Aktionsbereich gehörte die Volks- und Erwachsenenbildung als Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie und als europäische Bewusstseinsbildung. Kurz nach dem Krieg vertraute ihm Verteidigungsminister Edmond Michelet, den er im KZ Dachau kennengelernt hatte, die Betreuung von rund einer Million deutscher Kriegsgefangenen an, damit die französischen Gefangenenlager nicht zu „kleinen Dachaus“ würden. So entstanden in den Lagern kleine Universitäten für Erwachsene als pädagogische Maßnahme der Umerziehung. Etwas später übernahm Rovan in der Kulturverwaltung der französischen Besatzungszone die Abteilung für Volksbildung und wirkte bei der Wiedereröffnung der deutschen Volkshochschulen wesentlich mit. Er war Mitbegründer und Generalsekretär der französischen Organisation für Erwachsenenbildung Peuple et Culture mit der Zielvorstellung: „Rendre la culture au peuple et le peuple à la culture“. Im Auftrag der UNESCO entwickelte er in Italien Fernsehprogramme als pädagogisches Instrument der Erwachsenenbildung, vor allem im Kampf gegen den Analphabetismus. Er begann seine Hochschulkarriere 1968 am Centre universitaire de Vincennes (heute: Université Paris 8) mit einem Studienmodell für Erwachsene und Arbeiter ohne Abitur. SaarLorLux Orchester 406 S Im politisch-organisatorischen Bereich wirkte Rovan an der Einrichtung des *DFJW mit, dessen Mitglied er im ersten Verwaltungsrat wurde. Er schrieb dieser Institution mit einem Austauschvolumen in Millionenhöhe die Aufgabe zu, die größte Völkerwanderung zu Friedenszeiten eingeleitet zu haben. Dabei legte er besonderen Wert auf die Sprachenförderung, die nach wie vor das deutsch-französische Sorgenkind bleibt. 1978 übernahm Rovan die Präsidentschaft von *BILD und bestimmte über Jahre die inhaltliche Ausrichtung seiner Zeitschrift *„Documents“. Bis zu seinem Tode schrieb er regelmäßig in „Le Monde“, „La Croix“, im „Mannheimer Morgen“ und war im Bayerischen Rundfunk zu hören, wo er, genauso wie in seinen Vorlesungen und Seminaren (ENA, Sorbonne Nouvelle-Paris 3, Paris 8), Europa zu seinem zentralen Thema machte. Für ihn war das Deutsch-Französische als solches überholt, aber umso bedeutender als Mittel zur Förderung des europäischen Einigungsprozesses, der nach seiner tiefsten Überzeugung unsere einzige Überlebenschance sei. So war denn auch eine seiner letzten Initiativen die Gründung von Cassiodor, einer lockeren Vereinigung bedeutender Persönlichkeiten mit dem Ziel, Einfluss zu nehmen auf die politischen Entscheidungsprozesse für Europa. Zu dem Kreis gehörten Jacques Delors, Helmut Kohl und *Alfred Grosser. Alle drei würdigten den Freund und Europäer, als es galt von Joseph Rovan im September 2004 in der Kirche St. François- Xavier zu Paris Abschied zu nehmen. Joseph Rovan, Zwei Völker, eine Zukunft. Deutsche und Franzosen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts, München 1986; ders., Erinnerungen eines Franzosen, der einmal Deutscher war, München 2003; Claudia Moisel, Joseph Rovan. Ein bürgerliches Leben im Zeitalter der Extreme, in: Theresia Bauer (Hg.), Gesichter der Zeitgeschichte. Deutsche Lebensläufe im 20. Jahrhundert, München 2009, S. 115-132. Hansgerd Schulte S SaarLorLux Orchester 1993 ins Leben gerufen, markiert das so genannte SaarLorLux Orchester, benannt nach der Kurzbezeichnung der 1980 als Plattform trinationaler interregionaler Zusammenarbeit begründeten Regionalkommission Saar-Lothringen-Luxemburg- Trier/ Westpfalz, den Beginn institutionalisierter grenzüberschreitender musikalischer Kooperationen in der deutsch-französisch-luxemburgischbelgischen Grenzregion (*Robert Schuman Chor). Als gemeinsames Projekt der Hochschule für Musik und Theater des Saarlandes, der Conservatoire national de Région, Metz und Nancy sowie der Conservatoire de musique der Städte Luxemburg und Esch-sur-Alzette, sollte das Orchester die besten Studierenden der beteiligten Institutionen zusammenführen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Orchester-Erfahrungen zu vertiefen. Dazu wurde jährlich aus Studierenden der Institute ein Orchester gebildet, ein Programm vereinbart und in einer gemeinsamen Arbeitsphase eine Tournee vorbereitet, welche die Musiker zu Konzerten in den beteiligten Regionen und darüber hinaus führte. Dieses selbst hinsichtlich der Organisation paritätisch angelegte Modell war eingespielt, es führte sogar zu Projektgruppen, die sich vertiefend Alter Musik und dem Big Band-Repertoire widmeten (*Musik, ernste). Ausgehend vom SaarLorLux Orchester entstand 1993 zudem die Kooperation für Musik in der Großregion (CMGR). Diese bettet sich ein in das Spektrum vielfältiger Zusammenarbeit in dem als Großregion bezeichneten Kooperationsraum der deutschen Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz, der französischen Region Lorraine, der belgischen Region Wallonie mit ihren deutschen und französischen Sprachgemeinschaften sowie dem Großherzogtum Luxemburg (*Université de la Grande Région). Die CGMR stellt über die Projektphasen des Orchesters hinaus eine Plattform der Partnerinstitutionen dar, zu denen mittlerweile auch das Conservatoire du Nord Diekirch/ Ettelbruck, das Conservatoire royal Liège und die Hochschule für Musik Mainz zählen. Im Kontext dieses Wachstumsprozesses wurde das SaarLorLux Orchester weiterentwickelt und firmiert nunmehr als das Junge Orchester der Großregion. Dabei blieb das Modell unverändert: Jährliche Koproduktion mit gemeinsamer Probenphase und anschließenden Konzerten in- und außerhalb der Großregion. Für die Leitung und für solistische Aufgaben ist man bemüht, Künstlerpersönlichkeiten von internationalem Format zu verpflichten, behält dabei jedoch die Großregion im Blick. So fungierte 2009 der in Metz geborene Jacques Mercier als Dirigent. Andreas Linsenmann Sartre, Jean-Paul S 407 Sagave, Pierre-Paul Der in Berlin geborene französische Germanist Pierre-Paul Sagave (1913-2006) war Nachkomme einer Hugenotten-Familie und schätzte an Preußen die aufklärerische Tradition. Er machte 1931 Abitur am humanistischen Theodor-Mommsen- Gymnasium und studierte im gleichen Jahr ein Semester lang Jura an der Universität Dijon. 1932 wurde er als deutscher Schulassistent in Bordeaux eingestellt, wo er ein Jahr später das französische Staatsexamen bestand. Am *DAAD vorbei wurde er 1933 *Lektor an der Universität Aix-en-Provence. 1935 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an; ihm kam dabei das französische „Remigrationsgesetz“ aus dem Revolutionsjahr 1790 zu Gute. 1938 wurde er zum Militärdienst eingezogen und 1940 entlassen. An die Universität in Aix-en-Provence zurückgekehrt musste er nach ihrer Schließung 1942 eine Stelle als Gymnasiallehrer annehmen. 1943 bestand er die agrégation d’allemand und schloss sich 1943/ 44 in Marseille der Widerstandsgruppe Marcel an. 1944 kehrte er an die Universität zurück, 1945 wurde er als Assistent an der Faculté des Lettres der Universität Straßburg eingestellt. 1950 verteidigte er an der Pariser Sorbonne seine Habilitationsschrift ( doctorat d’État ) über „die Darstellung des Niedergangs des Bürgertums in der deutschen Literatur“, in der er Fontanes Roman „Schach von Wuthenow“ untersuchte. Seine Analysen machten aus ihm einen weltweit anerkannten Fontane-Spezialisten. Sein Interesse galt aber auch Thomas Mann, mit dem er 1934 in Sanary-sur-Mer verkehrte, eine Bekanntschaft, die zu einem intensiven Briefwechsel mit dem berühmten deutschen Emigranten führte. 1955 nahm er den Ruf auf einen Lehrstuhl für Germanistik an der Universität in Aixen-Provence an; 1964 wurde er an die neugegründete Universität Paris X-Nanterre berufen, wo *Pierre Grappin als Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät fungierte und wo er 1981 emeritiert wurde. Dort gehörte er 1965/ 66 zu den Gründern der neuen Ausgabe der Zeitschrift *„Allemagne d’aujourd’hui“; als Redaktionsmitglied übernahm er die wirtschaftliche Sparte, da er dem germanistischen Studium in Frankreich, ähnlich wie *Pierre Bertaux am *Institut d’allemand d’Asnières der Sorbonne Nouvelle eine neue Orientierung geben wollte. Zu seinen großen Forschungsfeldern gehörte Berlin als Stadt und Hort von wissenschaftlicher und geistiger Auseinandersetzung. Er leitete 1969-1981 in Nanterre das „Forschungszentrum über Berlin und Nord- Deutschland“, das eng mit der „Historischen Kommission zu Berlin” zusammenarbeitete, der er bis zu seinem Lebensende angehörte. Aus dem Germanisten, der sich zunächst an Literatur und Ideengeschichte wissenschaftlich orientierte, wurde zunehmend ein Verteidiger der civilisation allemande , die er als gleichwertigen Grundpfeiler der französischen *Germanistik verstand. Theodor Fontane: Schach von Wuthenow - Text und Dokumentation, Berlin 1966; 1871 Berlin-Paris, Reichshauptstadt und Hauptstadt der Welt, Berlin 1971; Pierre-Paul Sagave. L’homme et l’enseignant-chercheur, in: Allemagne d’aujourd’hui 183 (2008), S. 3-83. Jérôme Vaillant Sartre, Jean-Paul Der in Paris geborene Jean-Paul Sartre (1905- 1980) hat ein außerordentlich umfangreiches Werk hinterlassen, sowohl als Philosoph wie als Romancier, als Biograph wie als Dramatiker, als Essayist wie als Publizist. Mit Deutschland unterhielt er eine in mehrfacher Hinsicht sehr fruchtbare Beziehung, die allerdings in einem unglücklichen historischen Moment, im Herbst 1933 einsetzte, als Sartre für ein Jahr als Stipendiat des *Institut français nach Berlin ging. Dort las er *Martin Heidegger und Edmund Husserl und begann seinen Roman „Der Ekel“. 1940 wurde die „Beziehung“ dann als Soldat und schließlich Kriegsgefangener in Trier fortgeführt, in dem er jedoch eine Vorzugsbehandlung erhielt und das er 1941 frühzeitig verlassen durfte. Der *Existentialismus Sartres kann als Teil einer deutsch-französischen Philosophiegeschichte bezeichnet werden: So ist in seinen Schriften der Einfluss vieler deutscher Philosophen wie Hegel, Husserl, *Heidegger, Marx, Freud, Nietzsche deutlich zu spüren, wobei seine intensive Auseinandersetzung mit *Heideggers Existenzialphilosophie zu stark abweichenden Ergebnissen führte. Auf Sartres berühmtes Essay „Der Existenzialismus ist ein Humanismus“ (1946) reagierte *Heidegger entsprechend deutlich ablehnend in seinem „Brief über den Humanismus“ (an Jean Beaufret). Das Werk Sartres wurde in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sehr stark rezipiert. Das gilt nicht nur für seine Schriften zum *Existentialismus, der in den 1950er Jahren zur regelrechten Mode mit entsprechendem Look (schwar- Sauzay, Brigitte 408 S zer Rollkragenpullover) avancierte, sondern auch und vor allem für seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke (*Französisches Theater in Deutschland). In der DDR waren seine Schriften hingegen quasi verboten, was hinsichtlich seines existenzialistischen Freiheitsbegriffs verständlich erscheint. Zum Kommunismus unterhielt Sartre in den Nachkriegsjahren ein zwiespältiges Verhältnis, das ihn im Dezember 1956 anlässlich des Einmarsches sowjetischer Truppen in Ungarn sogar auf das Titelbild des „Spiegels" brachte. Unter der Überschrift „Die schmutzigen Hände Moskaus. Von den Barrikaden gefallen: Jean-Paul Sartre“ wurde die Haltung der französischen Intellektuellen gegenüber der UDSSR im Allgemeinen sowie der „rote“ Sartre im Besonderen kritisiert, der (angeblich) „zwölf Jahre lang mit den Kommunisten im Kokubinat gelebt hatte“. Die meisten Übersetzungen seiner Werke wurden im Rowohlt-Verlag publiziert, wobei ihre Qualität zunächst zu wünschen übrig ließ. Im Blick auf Sartres philosophische Aufsätze ist eine Art „Re-Heideggerianisierung“ der von ihm verwendeten Begriffe zu konstatieren, die zudem von den verschiedenen Übersetzern uneinheitlich verwendet wurden. Erst die Übersetzungen von Traugott König brachten hier ab 1960 eine Wende; nach der Veröffentlichung etlicher Werke stimmte König als Herausgeber der Gesamtausgabe die Übersetzungen dann terminologisch aufeinander ab. Nach seiner Ablehnung des Nobelpreises im Jahr 1963 wurde es zunehmend still um Sartre - bis er 1968 begann, sich politisch für die Sache der Studenten zu engagieren. Seine Stellungnahmen brachten ihm viel Aufmerksamkeit von Seiten der Medien und zahlreiche Beziehungen zu jungen Intellektuellen, die auch auf der anderen Seite des Rheins ihre Aus- und Nachwirkungen haben sollten. So gewährte er 1970 einer jungen deutschen Journalistin ein Interview, bei dem diese seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennenlernte: *Alice Schwarzer, die in der Folge über Jahre eng verbunden mit Beauvoir blieb und zahlreiche Interviews sowie Artikel über sie veröffentlichte. Eine weitere Beziehung ergab sich auch zu einem der Anführer der Studentenunruhen: *Daniel Cohn-Bendit, der Sartre 1974 (gemeinsam mit dem berüchtigten Terroristenanwalt Klaus Croissant) bei seinem Besuch des RAF-Mitglieds Andreas Baader in der JVA Stuttgart begleitete - was einen regelrechten Skandal verursachte. Dass dieses Ereignis inzwischen zum Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden ist, belegt ein „Spiegel“-Artikel aus dem Jahr 2013, in dem das auf Antrag freigegebene Protokoll des Gesprächs zwischen dem Philosophen und dem Terroristen analysiert wird und die Autoren zum Schluss kommen, dass Sartre nach Stammheim mit dem (aus heutiger Perspektive sicherlich als naiv zu bezeichnenden) Ziel fuhr, weiteres Blutvergießen zu verhindern. Angesichts der großen Beliebtheit, der sich Sartres Werk in Deutschland erfreut, erstaunt es, dass erst 1993 die erste Deutsche Sartre- Gesellschaft gegründet wurde. Annie Cohen-Solal, Sartre 1905-1980, Reinbek bei Hamburg 1988; Christa Hackenesch, Jean-Paul Sartre, Reinbek bei Hamburg 2001; Bernard-Henry Lévy, Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts, München 2002; Martin Suhr, Sartre zur Einführung, Hamburg 2004. Nicole Colin Sauzay, Brigitte In ihrer Funktion als Grenzgängerin und Mittlerin zwischen Deutschland und Frankreich kann die in Toulon geborene Brigitte Sauzay (1947-2003) mit gutem Recht als außergewöhnliche Frau bezeichnet werden. Ihre Biografie kann als Sinnbild für die Brücken gelesen werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Frankreich und Deutschland geschlagen wurden. Die studierte Germanistin arbeitete fast 20 Jahre als Dolmetscherin bzw. Chefdolmetscherin für die französischen Präsidenten Georges Pompidou, Valéry Giscard d’Estaing und François Mitterrand und war langjährige Leiterin des Sprachendienstes der französischen Regierung. Doch ihre Mittlerarbeit blieb nicht bei der sprachlichen Vermittlung zwischen den beiden Ländern und Regierungen stehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder berief sie 1998 als Beraterin für deutsch-französische Beziehungen an seine Seite. Manch erfreuliche Überraschung in den in jener Zeit eher angespannten deutsch-französischen Regierungsbeziehungen ist auf Sauzays sensible Beratungstätigkeit zurückzuführen. So konnte der Kanzler seine Zuhörer verblüffen, als er bei seiner Antrittsrede in Paris im Oktober 1998 u.a. aus Rainer Maria Rilkes Gedicht „Herbsttag“ zitierte, das dieser während seines Paris-Aufenthaltes im September 1902 verfasst Savary, Jérôme S 409 hatte. Dank seiner weisen Beraterin präsentierte sich der im Nachbarland vielfach als zu anglophil, proletarisch und sperrig wahrgenommene deutsche Politiker vor seinen französischen Zuhörern plötzlich als homme de lettres , als Schöngeist und Literat - ganz in der Tradition französischer hommes politiques . Bereits fünf Jahre zuvor hatte Sauzay gemeinsam mit dem Historiker *Rudolf von Thadden 1993 das *Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa e.V., die heutige *Stiftung Genshagen begründet, das ihr eine Plattform für ihr zivilgesellschaftliches Handeln gab. Dort organisierte sie Diskussionsrunden mit Politikern und Bürgern von beiden Seiten des Rheins und insbesondere auch aus Polen, baute gemeinsam mit dem *DFJW ein Austauschprogramm für Schüler auf (Brigitte - Sauzay - Programm) und war maßgeblich an der Gründung der *Deutsch-Französischen Filmakademie beteiligt. Als Brigitte Sauzay 2003 überraschend ihrer Krankheit erlag, wurde sie als eine der größten Persönlichkeiten der deutsch-französischen Beziehungen gewürdigt. Als Werk hinterließ sie neben den bis heute existierenden Brücken und Initiativen auch zwei Bücher: „Die rätselhaften Deutschen“ aus dem Jahre 1986 sowie das 1998 erschienene Buch „Retour à Berlin. Journal d’Allemagne 1997“, mit dem sie ihre Tagebucheinträge aus dem Jahre 1997 veröffentlichte. Es enthält eine vielschichtige und umfassende Ansammlung kleiner Anmerkungen und Feststellungen über Deutschland, die Deutschen, ihre Eigenheiten bzw. Besonderheiten sowie die Unterschiede zu Frankreich, ebenso wie tiefsinnige Reflexionen etwa über den Begriff der Nation, über deutsche Politik und Geschichte. Dominierende Themen des Buches sind Europa, das deutschamerikanische Verhältnis, die deutschen Frauen, Ostdeutschland und die Vertriebenenproblematik. Auch wenn das Buch nicht ohne strittige Generalisierungen auskommt und dem deutschen Leser das Lächeln angesichts des bisweilen zu etwas spitzer Ironie neigenden Humors der Autorin vorübergehend vergehen mag, eröffnete Sauzay in diesem Buch wertvolle Einblicke in persönliche Erlebnisse und Deutungen Deutschlands aus französischer Perspektive. Damit gelang es ihr zweifellos, ihrem in der Einleitung des Buches formuliertem Ziel, mehr Vertrauen zwischen den benachbarten Völkern zu schaffen, näher zu kommen. Hanna Milling, Das Fremde im Spiegel des Selbst. Deutschland seit dem Mauerfall aus Sicht französischer, italienischer und spanischer Deutschlandexperten, Berlin 2010; Brigitte Sauzay, Die rätselhaften Deutschen. Die Bundesrepublik von außen gesehen (Vorwort und Interview von Robert Picht), Stuttgart 1986; dies., Retour à Berlin. Ein deutsches Tagebuch (Einleitung von Richard von Weizsäcker), Berlin 1999 (frz. Ausgabe Paris 1998). Hanna Milling Savary, Jérôme Der in Argentinien geborene, aus einer französischen Familie stammende Jérôme Savary (1942- 2013) war - was das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts anbelangt - neben *Ariane Mnouchkine und *Patrice Chéreau der bekannteste französische Theaterregisseur in Deutschland. Gemeinsam mit Jorge Lavelli und Victor Garcia besuchte er die von Peter Brook ins Leben gerufene und von Jean- Louis Barrault unterstützte, dem Théâtre des Nations angeschlossene Université du Théâtre in Paris. 1965 gründete er eine eigene Theatercompagnie, aus der 1968 dann der legendäre Grand Magic Circus (GMC) hervorging, eine Art modernes théâtre populaire (Bernard Dort). Ihren ersten großen Erfolg erlebte die Truppe, die größtenteils aus Amateuren bestand, mit „Zartan“ (Tarzans Bruder), einer Revue gegen den Neokolonialismus. Die Produktionen entstanden als improvisierte Gemeinschaftsinszenierungen, auf einen festgelegten Text wurde weitgehend verzichtet. Savary verstand in seinen Anfangsjahren seine künstlerische Tätigkeit auch und vor allem als politische Arbeit. Daher wählte das Kollektiv möglichst populäre ästhetische Formen und suchte den Dialog mit dem Publikum, das in das Bühnengeschehen eingreifen konnte und sollte. Man verließ das konventionelle Theater und spielte in Messe- und Fabrikhallen oder Parks. 1974 wurde Savary mit seiner Compagnie eingeladen, als besondere Attraktion während der Olympischen Spiele in München seine Aufführungen täglich auf der Straße zu präsentieren. Dies war der Beginn seiner Karriere in Deutschland, wo er in den folgenden Jahren regelmäßig mit seinen Revues zu Gast war. 1975 ging Savary zurück in den konventionellen Theaterraum, um neue Impulse für seine Arbeit zu erhalten, wobei seine Inszenierungen ihren avantgardistischen Charakter zunehmend verlo- Schaubühne 410 S ren. Die deutsche Rezeption von Savary setzte somit in einem Moment ein, in dem sich seine Arbeit bereits im Zwischenbereich von Musical und Lustspiel verorten ließ. Nach einem Gastspiel von „Périchole“ 1977 in Hamburg erlebte der GMC mit der „Tour du monde en quatrevingts jours“ einen weiteren großen Erfolg in Deutschland, 1990 inszenierte er in München sogar die große Revue „Holiday on Ice“. Als Savary 1982 Leiter des Theaters in Montpellier wurde, begann sich seine Arbeit zunehmend zu institutionalisieren und seine Bedeutung im deutsch-französischen Kulturaustausch nahm ab. Von 1986-1988 leitete er das Théâtre de la Huitième in Lyon (an das er unter anderem *Ute Lemper einlud); 1988 wurde er schließlich Nachfolger von Antoine Vitez am Théâtre national de Chaillot, das er 13 Jahre leitete und an dem er u.a. einige viel beachtete Inszenierungen von *Brecht- Stücken präsentierte. Von 2001 bis 2007 war er Direktor der Opéra comique in Paris; danach lebte er als freier Regisseur in Béziers und inszenierte u.a. in den Jahren 2010-2012 drei Stücke von Ferdinand Raimund in der niederösterreichischen Stadt Baden. Jérôme Savary, Ein ganz gewöhnlicher Magier, München/ Berlin 1986; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011. Nicole Colin Schaubühne Die 1962 u.a. von Jürgen Schitthelm gegründete Schaubühne war in den 1970er und 80er Jahren das in Frankreich am meisten beachtete deutsche Theater und galt als westdeutsches Gegenstück zum ostdeutschen *Berliner Ensemble. Ursprünglich hervorgegangen aus einer Studentengruppe wurde die Schaubühne 1970 von *Peter Stein und seiner Truppe übernommen, wobei man ein Kollektivtheatersystem etablierte, in dem jeder Mitarbeiter bei allen wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht besaß. Zur Truppe gehörten u.a. Edith Clever, Jutta Lampe, Otto Sander und Bruno Ganz. Bereits in der ersten Spielzeit weckte die Schaubühne mit *Steins Inszenierung des „Peer Gynt“ von Ibsen internationales Interesse. Neben *Peter Stein, der einige wenige seiner Inszenierungen in Paris präsentierte, stellten vor allem *Klaus Michael Grüber und *Luc Bondy die Beziehungen zwischen der Schaubühne und Frankreich her. Als ein Ergebnis dieser deutsch-französischen Wechselbeziehungen kann der 1976 als deutschfranzösische Produktion entstandene Film Eric Rohmers „Die Marquise von O...“ nach der Novelle von Heinrich von Kleist mit Edith Clever, Otto Sander und Bruno Ganz (*Film) angesehen werden. 1981 zog die Schaubühne vom Halleschen Ufer an den Kurfürstendamm und wurde zur Schaubühne am Lehniner Platz; 1985 übergab *Peter Stein dann *Luc Bondy die Leitung (bis 1992). In den 1990er Jahren geriet die Schaubühne in eine längere Krise, die erst 1999 gelöst wurde, als *Thomas Ostermeier gemeinsam mit der Choreografin Sasha Waltz, Jochen Sandig und Jens Hillje die Leitung des Hauses übernahmen. Das Team der „neuen“ Schaubühne orientierte sich zunächst an *Steins Idee der Mitbestimmung, die jedoch nach und nach fallen gelassen wurde. Mit *Ostermeier avancierte die Schaubühne nicht nur zu einer der wichtigsten Bühnen Europas, sondern stellte auch ihr besonders reges künstlerisches Verhältnis zur französischen Theaterszene wieder her: So sind die Schaubühnen-Inszenierungen regelmäßig in Frankreich - in Paris, aber auch auf dem Festival d’Avignon oder amThéâtre national de Bretagne in Rennes - zu sehen. Zudem gehört die Schaubühne seit 2008 als Gründungsmitglied zum europäischen Theaterverbund Prospero. Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Peter Iden, Die Schaubühne am Halleschen Ufer 1970-1979, München, Wien 1979; Sylvie Chalaye (Hg.), Thomas Ostermeier, Arles 2006. Nicole Colin, Patricia Pasic Schaul, Dora Die in Berlin geborene und in Essen aufgewachsene Dora Schaul (1913-1999) wurde im Laufe der 1980er und 1990er Jahre zu einer Art Symbolfigur der Erinnerung an den deutschen Widerstand in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Nach schulischer und beruflicher Ausbildung sah sich Schaul 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft gezwungen, in die Emigration zu gehen. Über Amsterdam, wo sie ihren zukünftigen Mann, den deutschen Kommunisten Alfred Benjamin, kennenlernte, gelangte sie 1934 nach Paris und wurde dort in die politische Arbeit der KPD eingebunden. Wie andere in Frankreich weilende Deutsche musste auch Schaul 1939 den Weg in die Internie- Schenk, Fritz S 411 rung antreten. Bis 1942 folgten Aufenthalte im Frauengefängnis „La Petite Roquette“ sowie in den Lagern Rieucros und Brens, von wo aus ihr schließlich im Sommer 1942 die Flucht gelang. In Lyon fand sie Anschluss an polnische und österreichische Emigranten. Nach der Besetzung Südfrankreichs im November 1942 wurde sie in Lyon unter Decknamen wie Renée Gilbert oder Renée Fabre im Widerstand aktiv. Im Rahmen des Travail Allemand (TA) versuchte sie deutsche Wehrmachtsangehörige anzusprechen und sie von der Nutzlosigkeit des Krieges zu überzeugen bzw. für den Widerstand zu gewinnen. Von großer Bedeutung war vor allem ihre Tätigkeit in deutschen Dienststellen in Lyon. So gelang es Schaul, wichtige Informationen für die Résistance auszuspionieren. 1946 kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie der SED beitrat. Nachdem ihr erster Mann noch während des Krieges bei einem Fluchtversuch in die Schweiz ums Leben gekommen war, heiratete sie 1951 Hans Schaul, der selbst in Frankreich und Nordafrika interniert gewesen war. Nach diversen Tätigkeiten arbeitete sie seit Ende der 1960er Jahre für das Institut für Marxismus-Leninismus (IML). Dort führte sie gemeinsam mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern wie Karlheinz Pech das von *Edith Zorn begonnene Forschungsprojekt über die Tätigkeit deutscher Kommunisten in der französischen Résistance fort. Ihre wichtigste Veröffentlichung war der 1973 publizierte Sammelband mit Erinnerungen deutscher Kommunisten, der 1986 in leicht veränderter Form unter der Federführung von Gilles Perrault in französischer Sprache erschien. Dank ihrer persönlichen Erlebnisse, ihrer profunden Kenntnis der Thematik und der zahlreichen Kontakte nach Frankreich wurde sie dort im Laufe der 1970er und 1980er Jahre zu einer wichtigen Ansprechpartnerin, um die Geschichte der deutschen und kommunistischen Widerstandskämpfer in Frankreich besser zu verstehen. Dabei wurde es ihr von offizieller Seite gestattet, die französische Bruderpartei mit Materialen für Ausstellungen und Veröffentlichungen zu unterstützen. Darüber hinaus stand sie in den 1980er Jahren auch lokalgeschichtlichen Publikations- und Erinnerungsprojekten in Frankreich mit Rat und Tat zur Seite. Zudem trat sie 1987 als Zeugin im Prozess gegen Klaus Barbie auf. Es ist daher nicht verwunderlich, dass heute eine Straße im französischen Brens (Tarn) ihren Namen trägt. Nach 1989/ 90 wandten sich vermehrt auch westdeutsche Forscher und Institutionen an Schaul, als es darum ging, dieses Kapitel der deutsch-französischer Vergangenheit mit seinen zahlreichen Facetten genauer zu dokumentieren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Heute ist der Name Dora Schaul im Kontext der Erinnerung an den deutschen Widerstand in Frankreich unumgänglich. Ihre mündlichen und schriftlichen Zeitzeugenberichte bzw. ihre Lebensgeschichte sind in mehreren Museen und Dokumentationszentren dies- und jenseits des Rheins zu besichtigen. Über Dora Schaul erhielten die Geschichten der deutschen Antifaschisten in der französischen Résistance schließlich einen Platz in der deutsch-französischen Erinnerungslandschaft. Dora Schaul (Hg.), Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten, Berlin (Ost) 3 1985; Karlheinz Pech, An der Seite der Résistance, Berlin (Ost) 1974; Gilles Perrault, Taupes rouges contre S.S., Paris 1986; SAPMO-BArch, Nachlass Hans und Dora Schaul, NY 4576. Franz Kuhn Schenk, Fritz Fritz Schenk (1906-1985) war ein Experte für internationale Gesellschafts- und Kulturbeziehungen und der Gründungsdirektor des *DFI in Ludwigsburg. Als Sohn deutscher Eltern war er im lothringischen Grenzort Nouvel-Avricourt mit französischen Gleichaltrigen eingeschult worden. Er studierte *Geschichtswissenschaften und promovierte 1932 in Tübingen bei dem konservativen Historiker der Französischen Revolution Adalbert Wahl mit einer Arbeit über den reformsozialistischen Politiker und Publizisten Wilhelm Blos, der nach 1918 zum ersten Ministerpräsidenten des Volksstaates Württemberg gewählt worden war. Auf der Grundlage seiner binationalen Sozialisation wurde er tätig für den Verein für das Deutschtum im Ausland, Schulverein e.V., der sich in der Weimarer Republik zur Massenorganisation entwickelte und die Kontaktwahrung zu den außerhalb der Reichsgrenzen lebenden Deutschen zum Ziel hatte. Er leitete eine der zu diesem Zweck in Universitätsstädten eingerichteten Begegnungsstätten, die Deutsche Burse in Tübingen. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs Soldat (zuletzt im Range eines Oberstleutnants d.R.) geriet er in amerikanische Gefangenschaft und versuchte, sich Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs 412 S im Württembergischen eine neue Existenz aufzubauen. In Ludwigsburg begann er mit privaten Französisch-Kursen und arbeitete seit Februar 1948 an dem Plan einer deutsch-französischen Institutsgründung. Unterstützt vom damaligen Oberbürgermeister, namenhaften Industriellen und Parteivertretern wurde das *DFI im Juli 1948 als eingetragener Verein gegründet und im Februar 1949 feierlich eröffnet. Schenk war Direktor des Instituts von 1948 bis 1972 und gab dieser bilateralen Begegnungsstätte dauerhafte Züge ihrer Struktur und Funktion. Er wurde von der Argumentation beeinflusst, die im Umfeld der französischen Besatzungsverwaltung vertreten wurde und auf eine breitenwirksame gesellschaftliche Fundamentierung der deutsch-französischen Nachkriegsbeziehungen gerichtet war: „Diesmal aber darf [das Zwiegespräch] nicht einer begrenzten Elite vorbehalten bleiben, sondern nach den schrecklichen Lehren von 1918 und 1945 müssen endlich beide Völker begreifen lernen, dass ihre Verschiedenheiten sich nur ergänzen“, äußerte er 1948. Der Institutsleiter stand seit Ende 1948 im Kontakt zum Generalsekretär des Pariser *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle, *Alfred Grosser, und gestaltete seine Institution nach dem Pariser Vorbild gleichermaßen zum Organisator deutsch-französischen Gruppenaustauschs und Initiator beiderseitiger intellektueller Aussprachen. Seine Stärke lag in den Jahrzehnten seiner Institutsleitung mehr in der Anbahnung gesellschaftlicher Organisationsverflechtung und administrativer Ressourcengewährung als in der theoretischprogrammatischen Ausformulierung der Begegnungsaktivitäten. Der deutlichste Beleg für diese besondere Befähigung ist seine dauerhafte Arbeit für die Gründung einer Dachorganisation der Auslandsorganisationen der Bundesrepublik, die 1954 mit dem *Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit zustande kam und seine Handschrift trug. Schenks Wirken ist durch die enge Zusammenarbeit mit dem *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle und durch die Vertretung einer demokratischen Verständigungskonzeption der deutsch-französischen Beziehungen charakterisiert, die maßgeblich zur Übernahme eines „erweiterten Kulturbegriffs“ in den westdeutschen Auslandsorganisationen und in der politischen Administration beitrug. Fritz Schenk, Über Ziele und Arbeit des Deutsch-Französischen Instituts, in: Deutschland - Frankreich, hg. vom DFI, Stuttgart 1954, S. 281-289; Emmanuelle Picard, Des usages de l’Allemagne. Politique culturelle française en Allemagne et rapprochement francoallemand, 1945-1963, Villeneuve d’Ascq 2001; Hans Manfred Bock, Das DFI in der Geschichte des zivilgesellschaftlichen Austauschs zwischen Deutschland und Frankreich, in: ders. (Hg.), Projekt deutschfranzösische Verständigung, Opladen 1998, S. 11-120. Hans Manfred Bock Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs Seit Mitte der 1980er Jahre wurden die einstigen Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, die den Höhepunkt der konfliktgeladenen Vergangenheit von Deutschland und Frankreich darstellen, zu Gedenkstätten der gemeinsamen Geschichte und *Vergangenheitsaufarbeitung. Verdun und das Departement der Somme nahmen dabei einen besonderen Platz ein. Die Schlachtfelder von Verdun und Douaumont, einst symbolische Orte der nationalen Erinnerungskultur, wurden später dann zu Symbolen der deutsch-französischen *Versöhnung. Bereits am 12.7.1936 fand in Verdun ein Treffen zwischen ehemaligen deutschen und französischen Soldaten im Zeichen des Friedens statt. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die Verbände der deutschen Veteranen in dieser Zeit unter dem Einfluss der Nationalsozialisten standen. Kurz nach der Remilitarisierung des Rheinlandes bot diese Zusammenkunft dem „Dritten Reich“ die Möglichkeit, den französischen Veteranen ein friedliches Miteinander zu suggerieren. Nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges dauerte es, bis 1956 erstmals eine offizielle deutsche Delegation nach Verdun kam. Zehn Jahre später gab sich die Stadt Verdun den Beinamen „Hauptstadt des Friedens“. Die Einweihung des Mémorial de Verdun in Fleury bei Douaumont 1967 ordnet sich ebenfalls in den Kontext der deutsch-französischen *Versöhnung und Annäherung ein. Das Museum stand unter der Schirmherrschaft des Veteranen und ehemaligen Mitglieds der Académie française Maurice Genevoix, der sich seit 1959 für dessen Errichtung einsetzte. Als im Jahre 1984 Helmut Kohl und François Mitterrand Hand in Hand gemeinsam den gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges beider Länder gedachten, wurde das Schlöndorff, Volker S 413 Schlachtfeld von Verdun endgültig zu einem Symbol der deutsch-französischen *Versöhnung. Die Gründung des Centre mondial de la paix im Jahre 1990, welches seit 1994 seinen Sitz im ehemaligen Bischofspalast von Verdun hat, führt diese Entwicklung fort. Es zeigt ein anderes Bild von Verdun als jenes der Zwietracht und der Konflikte. Bereits einige Jahre zuvor hatte auch das Departement der Somme mit der Konzeption eines Museums zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg begonnen. Die Schlacht an der Somme war zwar noch verlustreicher als die Schlacht um Verdun, hatte jedoch nicht den Symbolcharakter der Letzteren. Sie war eine Großoffensive der Franzosen und Briten gegen Deutschland und deshalb nicht nur ein deutsch-französisches Duell. Da es sich um eine französisch-britische Offensive handelte, hatte die Schlacht für die Franzosen nicht den defensiven Charakter der Schlacht um Verdun. Obwohl sich die Schlachtfelder der Somme in die britische Erinnerungskultur eingebrannt haben, gab es keine einzige kulturelle Stätte, die an diesen Teil der Geschichte erinnerte. 1987 wurde ein Architekturwettbewerb für den Bau eines großen Museums ausgeschrieben. Der Gewinner des Wettbewerbes war der Architekt Henri Ciriani, der das Museum in das Château von Péronne integrierte. Im Jahre 1992 wurde das Museum eingeweiht und erhielt den Namen Historial de la Grande Guerre. Durch den Impuls eines internationalen wissenschaftlichen Komitees dokumentiert das Museum nicht nur die Schlacht an der Somme, sondern die gesamte Geschichte des Ersten Weltkrieges von 1914 bis 1918. Das Ziel der Ausstellung besteht darin, die Geschichte des Ersten Weltkrieges von ihrer politischen und militärischen Dimension zu trennen und sie aus der nationalen Erinnerungskultur zu lösen. Die Ereignisse sollen in all ihren Facetten und insbesondere in ihrer kulturellen Dimension dargestellt werden. Die Museographie ist darauf ausgerichtet, die französischen, deutschen und britischen Ausstellungsstücke gemeinsam zu präsentieren, um damit auf ähnliche Schicksale hinzuweisen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Historial de la Grande Guerre der erste und vielleicht einzige Versuch einer museographischen Ausstellung mit vergleichendem Ansatz. Auch wenn es sich bei dem Museum um keine deutsch-französische Einrichtung handelt, werden die einstigen Feinde in gleichwertiger Weise präsentiert. Entsprechend haben auch die Historiker des angegliederten Forschungszentrums die Geschichtsschreibung des Ersten Weltkrieges gründlich erneuert und damit zu einer echten transnationalen und historiografischen Denkweise beigetragen (*Historiker/ Geschichtswissenschaft). Eines der daraus resultierenden Ergebnisse stellt die erste deutsch-französische Geschichte des Ersten Weltkrieges dar, die von zwei Gründungsmitgliedern des Forschungszentrums in Péronne, Jean-Jacques Becker und Gerd Krumeich, gemeinsam verfasst und im Jahre 2008 publiziert wurde. Hundert Jahre nach dem Kriegsausbruch 1914 besetzen die Schlachtfelder einen zentralen Platz im europäischen Gedächtnis des Ersten Weltkrieges, wie nicht zuletzt auch die Eröffnung des neuen Musée de la Grande Guerre du pays de Meaux im November 2011 dokumentiert, das sich in unmittelbarer Nähe zu den Schlachtfeldern an der Marne (1914 und 1918) befindet. Zugleich wurde bei der UNESCO der Antrag gestellt, die Schlachtfelder an der Westfront zum Weltkulturerbe zu erklären. Am 3. August 2014, genau hundert Jahre nach der Kriegserklärung von 1914 zwischen Deutschland und Frankreich, fand außerdem eine gemeinsame Gedenkzeremonie mit beiden Präsidenten am ehemaligen Schlachtfeld des Hartmannswillerkopf in den Vogesen statt. Hier zeigte sich noch einmal, wie wichtig deutschfranzösische Versöhnung geworden sind. Gerd Krumeich, Verdun. Ein Ort gemeinsamer Erinnerung? , in: Horst Möller, Jacques Morizet (Hg.), Franzosen und Deutsche. Orte der gemeinsamen Geschichte, München 1996, S. 162-184; Matti Münch, Verdun. Mythos und Alltag einer Schlacht, München 2006; Sandra Petermann, Rituale machen Räume. Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie, Bielefeld 2007; Ulrich Pfeil, Der Händedruck von Verdun. Pathosformel der deutsch-französischen Versöhnung, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 498-505; Jean-Jacques Becker, Gerd Krumeich, Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich, 1914-1918, Essen 2010 [frz. Version: Paris 2008]. Nicolas Beaupré Schlöndorff, Volker Das Verhältnis des deutschen Filmregisseurs Volker Schlöndorff zu Frankreich war bereits seit seiner Jugend besonders eng. 1939 in Wiesbaden geboren, verbrachte er einige Jahre seiner Schulzeit Schmid, Carlo 414 S in Frankreich: zunächst im Rahmen eines Schüleraustausches in einem jesuitischen Gymnasium in der Bretagne, wo der spätere Filmregisseur Bertrand Tavernier sein Schulkamerad war, dann im Lycée Henri IV in Paris, einem der renommiertesten französischen Gymnasien, an dem er 1959 das Abitur ablegte. Einige Jahre später studierte er am Institut des hautes études cinématographiques in Paris. Dort wurde er nachhaltig von der *Nouvelle vague geprägt und lernte Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais kennen, für die er bei verschiedenen Produktionen als Regieassistent arbeitete. 1960 drehte er den Kurzfilm „Wen kümmert’s“ über das Leben von Algeriern in Frankfurt, der von der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) wegen seiner „Parteinahme gegen eine befreundete Nation“ nicht freigegeben wurde. Im selben Jahr arbeitete er für das französische Fernsehen (ORTF) und für den Sender Freies Berlin (SFB). Sein erster Spielfilm „Der junge Törless“ (1965) nach dem gleichnamigen Roman von Musil, wurde zum Kritikererfolg, erhielt mehrere Filmpreise und fand auch internationale Anerkennung. 1967 und 1969 folgten „Mord und Totschlag“ und „Michael Kohlhaas - der Rebell“. Der große Durchbruch bei Kritik und Publikum gelang Schlöndorff dann 1975 mit „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ nach dem Werk von Heinrich Böll. Er inszenierte den Film gemeinsam mit seiner damaligen Frau, der Schauspielerin und Regisseurin Margarethe von Trotta, die ebenfalls enge Verbindungen mit Frankreich unterhielt und sich inzwischen in Paris niedergelassen hat. Danach drehte er u.a. „Der Fangschuss“ (1976) und lieferte einen Beitrag zum gemeinsam mit *Rainer Werner Fassbinder, *Hans Peter Cloos, Edgar Reitz, *Alexander Kluge und sechs weiteren Regisseuren realisierten Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ (1978), bevor „Die Blechtrommel“ (1979) als weitere Adaptation eines großen literarischen Werkes, diesmal von Günter Grass, zum Welterfolg wurde und mit zahlreichen Preisen, darunter der Goldenen Palme des Festival de Cannes und dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet wurde, wobei diese Ehrungen auch den internationalen Erfolg des deutschen Autorenfilms bestätigten. Ab 1980 erweiterte Schlöndorff sein Spektrum um internationale Koproduktionen und häufige Dreharbeiten im Ausland. Mit „Un amour de Swann“ nach Marcel Proust wagte er sich 1984 an die Verfilmung eines Schlüsselwerks der französischen Literatur in Starbesetzung mit Alain Delon, Jeremy Irons, Ornella Muti, Fanny Ardant. 1985 folgte sein amerikanisches Debüt mit einer Filmversion von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Nach weiteren Filmen kehrte er nach Europa zurück, wo er 1991 „Homo Faber“ nach dem Roman von Max Frisch sowie 1996 „Der Unhold“ nach *Michel Tourniers „Le Roi des Aulnes“ mit John Malkovich drehte. In „Die Stille nach dem Schuss“ (2000) über das Leben einer in der DDR untergetauchten ehemaligen RAF-Terroristin und „Der neunte Tag“ (2004) über die Gewissenskonflikte eines luxemburgischen, im KZ Dachau inhaftierten Priesters, beschäftigte er sich mit den dunklen Kapiteln deutschen Geschichte - was er mit dem auf *ARTE gesendeten Fernsehfilm „La Mer à l’aube/ Das Meer am Morgen“ (2011), einer Reflexion über das Drama der deutschen Besetzung in Frankreich und die Résistance, fortführte und explizit in den deutschfranzösischen Kontext stellte. Der Film schildert die Hintergründe der Erschießung des 17-jährigen Guy Môquet auf der Grundlage eines wiedergefundenen Berichtes von *Ernst Jünger. 2014 folgte mit dem Film „Diplomatie“ über die nicht erfolgte Zerstörung von Paris im Jahr 1944 ein weiterer Betrag zur Aufarbeitung der deutschfranzösischen Geschichte, für den Schlöndorff (mit Cyril Gely) 2015 den französischen Filmpreis César für das beste adaptiere Drehbuch erhielt. Schlöndorff engagierte sich früh politisch für die SPD und unterstützte später den Wahlkampf von Angela Merkel. Er ist Mitglied der *Académie de Berlin und engagierte sich im *Deutsch- Französischen Kulturrat. Seine Autobiographie „Licht, Schatten und Bewegung. Mein Leben und meine Filme“ (München 2008) gibt einen tiefen Einblick in eine stark von französischen Bildungs- und Lebenserfahrungen geprägte deutsche Identität. Thilo Wydra, Volker Schlöndorff und seine Filme, München 1998. Pierre Eisenreich Schmid, Carlo Der in Perpignan geborene Carlo Schmid (1896- 1979) war Sohn einer Französin und eines schwäbischen Realschullehrers und zählte nach 1945 zu den wichtigsten intellektuellen Brücken- Schmid, Carlo S 415 bauern zwischen Deutschland und Frankreich. Er versuchte sein persönliches deutsch-französisches kulturelles Erbe für die Aussöhnung und Verständigung mit Frankreich produktiv zu machen, die für ihn eine konfliktbeladene, mit vielen Rückschlägen verbundene Herausforderung darstellte. In die französische Kultur und Literatur führte ihn seine Mutter ein, die auch nach der Übersiedlung der Familie nach Deutschland im Jahre 1897 mit ihrem Sohn nur Französisch sprach. Dass sie ihn auch wie einen französischen Schuljungen kleidete, brachte ihm in einer Zeit, in der Frankreich noch als Deutschlands *„Erbfeind“ galt, den Spott seiner Klassenkameraden ein. In der Zwischenkriegszeit war Schmids Verhältnis zu seinem Mutterland gespannt. Er machte Frankreich für das „Diktat“ des Versailler Vertrags verantwortlich. Erst die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs, deren Zeuge er zwischen 1940 und 1944 als Kriegsverwaltungsrat in Lille wurde, ließen in ihm die Einsicht wachsen, dass durch die Suche nach gemeinsamen kulturellen Wurzeln und ökonomischen Fundamenten eine Kultur des wechselseitigen Verstehens und der Kooperation anstelle des stark erschütterten Verhältnisses zwischen beiden Ländern treten müsse. Wie viele nach 1945 glaubte auch Schmid, dass die in der Zwischenkriegszeit praktizierte Machtpolitik der Nationalstaaten durch die Herstellung eines europäischen Bundesstaates, dessen Kern nur Deutschland und Frankreich bilden konnten, überwunden werden müsse. Seinem Engagement in der europäischen Bewegung und seinem Bemühen, mit französischen Sozialisten wie Léon Blum und Salomon Grumbach die Grundlagen für eine europäische Montanunion zu schaffen, wurden jedoch durch die Ablehnung des von Adenauer eingeschlagenen Westintegrationskurses durch die Führungsspitze der SPD, der er seit 1946 angehörte, enge Grenzen gesetzt. Als einer, wenn nicht der beste Frankreichkenner unter den führenden Sozialdemokraten, wäre er dazu berufen gewesen, den Dialog mit der classe politique in Frankreich im Allgemeinen und mit den französischen sozialistischen Gesinnungsgenossen im Besonderen zu pflegen. Seine guten Beziehungen zu französischen Politikern gingen jedoch zu Beginn der 1950er Jahre in die Brüche, weil diese wenig Verständnis dafür zeigten, dass er sich dem wenig frankreichfreundlichen Kurs seiner Partei anschloss. Konnte er auch als politischer Kooperationspartner nur noch im bescheidenen Rahmen in der Beratenden Versammlung des Europarates, der er 19 Jahre lang angehörte, und als Präsident der WEU von 1963-1966 fungieren, so blieb er als „Mann der zwei Kulturen“ doch ein wichtiger geistiger Mittler zwischen beiden Nachbarländern, der den Deutschen Frankreich und den Franzosen Deutschland erklärte und Einrichtungen mit ins Leben rief, die das wechselseitige Verständnis der Menschen in beiden Ländern fördern sollten. 1948 gehörte er zusammen mit Theodor Heuss und *Fritz Schenk zu den Begründern des *DFI in Ludwigsburg, dem er die Aufgabe zudachte, „durch langsames Herausschälen des Gemeinsamen“ die Gegensätze zu überwinden, die zur Zerstörung Europas beigetragen hatten. Von 1948 bis zu seinem Tod war er Präsident des Instituts und arbeitete dort eng mit *Joseph Rovan und *Alfred Grosser zusammen. In Essays, Zeitungsbeiträgen und Reden, vor allem aber im mündlichen Zwiegespräch gab er seine Kenntnisse über die französische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart und über die unterschiedliche Parlamentskultur in beiden Ländern weiter, erläuterte, warum es in Frankreich keine Vorurteile gegen Intellektuelle gebe und ein Mann wie Charles de Gaulle nicht als „Reaktionär“ gesehen werden dürfe. Er belehrte über die philosophischen und die literarischen Traditionen in seinem Mutterland, erinnerte an die gemeinsamen abendländischen und humanistischen Wurzeln und pries nicht zuletzt die in der Frühzeit der Bundesrepublik noch vielen Menschen unbekannte haute cuisine des linksrheinischen Nachbarn. Als Übersetzer brachte er dem deutschen Bildungsbürgertum die französische Literatur nahe. 1947 erschien seine Übertragung des Gedichtbandes „Les Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire, der den Weltschmerz, die Melancholie und den ennui des Großstadtmenschen zum Gegenstand seiner Dichtung wählte. Die Resonanz war groß. Der Band erlebte drei Auflagen. 1958 folgte die Übersetzung von Julien Greens Roman „Der andere Schlaf“, ein Jahr später legte er Paul Valérys kunstphilosophische Essays in deutscher Sprache vor. Auf Bitten des französischen Staatsministers für kulturelle Angelegenheiten, André Malraux, übersetzte er Ende der 1960er Jahre dessen Memoiren, die den Titel „Anti-Memoiren“ trugen, Schmittlein, Raymond 416 S weil der einstige Revolutionär und damalige Parteigänger de Gaulles das Enigmatische der menschlichen Existenz zum Thema seiner Memoiren gemacht hatte. Für die Übertragung von Malraux‘ Fragment „Eichen, die man fällt…“, in dem der Autor stark stilisierte Gespräche mit de Gaulle nach dessen Rücktritt wiedergibt, erhielt Schmid 1976 den deutsch-französischen Übersetzerpreis der Stadt Baden-Baden. Außer mit Malraux pflegte Schmid auch freundschaftliche Kontakte zu französischen Intellektuellen wie *Raymond Aron und dem in den 1930er Jahren nach Paris emigrierten Schriftsteller Manès Sperber. Gemeinsame, die beiden Länder verbindende kulturelle Projekte erwuchsen aus der Freundschaft dieser ungleichen Männer jedoch nicht. Als ihm Willy Brandt 1969 das Amt des Koordinators für deutsch-französische Zusammenarbeit übertrug, das er bis zu seinem Tod bekleidete, waren zunächst seine Fähigkeiten als politischer Mediator gefordert, der gegenseitiges Misstrauen abbauen und den schwierigen deutsch-französischen politischen Dialog in Gang bringen musste. Bald schon konnte er sich damit begnügen, auftretende Missverständnisse durch Hinweise über die unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen und Mentalitäten in beiden Ländern aufzuklären. So fand er Zeit, um Initiativen zum Ausbau der *Städtepartnerschaften zu starten, Beamtenaustauschprogramme zu entwickeln und die wechselseitigen Kontakte autonomer Verbände, Vereine und Gruppen wie Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern sowie wissenschaftlicher und kultureller Vereinigungen zu fördern. Nicht nur Deutsche, auch Franzosen setzten auf Schmids Persönlichkeit, wenn sie die Bundesregierung für deutsch-französische Projekte gewinnen wollten. Wenngleich Schmids Versuche, den Franzosen Deutschland und die Deutschen zu erklären, nicht so erfolgreich wie sein Bemühen um die Aufklärung über und die Verständigung mit Frankreich in der Bundesrepublik waren und links des Rheins sein Bekanntheitsgrad begrenzt blieb, so wurde seine Arbeit von der politischen Führung Frankreichs doch geschätzt. 1971 bekam er als erster Deutscher nach dem Krieg das Großoffizierskreuz des Ordens der Ehrenlegion der Französischen Republik verliehen. Den „Mann der zwei Kulturen“, der Franzosen und Deutsche einander näher bringen wollte, beschlich allerdings immer wieder die Furcht, dass sein Mutterland ein Hindernis auf dem Weg zur deutschen Einheit sein könne. Die seit 1987 existierende Carlo-Schmid-Stiftung ehrt das Werk des deutsch-französischen Mittlers und vergibt seit 1989 den Carlo-Schmid-Preis, der u.a. an *ARTE, das *DFJW und *Werner Spies verliehen wurde. Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern, München, Wien 1979; Petra Weber, Carlo Schmid 1896-1979. Eine Biographie, München 1996. Petra Weber Schmittlein, Raymond Der in Roubaix als Kind einer elsässischen Familie geborene Raymond Schmittlein (1904-1974) ist heute noch bekannt für seine Tätigkeit als Generaldirektor für kulturelle Angelegenheiten in der französischen Besatzungszone in Deutschland (1945-1951), wo er mit seinen Mitarbeitern (*Jean-Charles Moreau, *Joseph Rovan, *Geneviève Carrez, *François Bourel, *René Cheval und *Alfred Döblin) ein Programm zur rééducation des deutschen Volkes initiierte. Dieses Programm wird inzwischen von Historikern als gelungenstes Kapitel der französischen Besatzungspolitik angesehen. Sein Ansatz, der sich vornehmlich auf die Bildung und gesellschaftliche Erziehung konzentrierte, richtete sich zunächst an die Jugend. Denazifizierung und vor allem gleichzeitige Demokratisierung wurden in einer doppelten Bildungsaktion angestrebt: Die deutsche Mentalität sollte transformiert und die Legende vom *„Erbfeind“ dekonstruiert werden, um auf eine Annäherung der beiden Länder hinzuarbeiten. Dank der Projekte, die Schmittlein unterstützte und initiierte - Gründung der Johannes-Gutenberg-Universität und des *Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, sowie Jugendbegegnungen (*Jugendbeziehungen) - konnte in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein erster Dialog zwischen Franzosen und Deutschen aufgenommen werden. Schmittlein wurde 1945 zum Generaldirektor ernannt, weil sein fachlicher Werdegang einerseits sowie seine Vergangenheit als Widerstandskämpfer andererseits ihn für diese Aufgaben als besonders geeignet erscheinen ließen. Nachdem er zunächst von der Aussicht auf eine Militärkarriere (als Infanterist in der Rheinarmee kämpfte er 1923 im Rif-Krieg) angetrieben worden war, widmete er sich schließlich dem Studium der Germanistik. Zu Beginn der 1930er Jahre weilte er in Berlin, wo Schneider, Romy S 417 er eine Deutsche heiratete, und bestand 1932 die agrégation . Danach begann er seine Promotion in Linguistik, forschte über das Litauische und bewarb sich 1934 als Lektor an der Universität Kaunas. Während seiner vier Jahre dauernden Lehrtätigkeit in Litauen avancierte er zum Kulturmittler zwischen seiner Heimat und dem Gastland. Außerdem war er Korrespondent der Havas Agentur, der er von der Annexion von Memel (Klaipeda) durch NS-Deutschland berichtete. Im Sommer 1938 wurde er zum Direktor des *Institut français in Riga und im Moment des Kriegsausbruchs (1.9.1939) zum Chef des französischen Geheimdienstes im Baltikum ernannt. Diese nachrichtendienstliche Tätigkeit setzte er auch nach 1945 fort. Im Juli 1940 schloss er sich der France libre an. De Gaulle entsandte ihn in den Nahen Osten und in die UdSSR. Dort setzte er sich unter anderem für die malgré-nous ein, die aus dem Elsass und Lothringen stammenden Zwangsrekrutierten, die in sowjetische Gefangenschaft geraten waren. Ab November 1943 arbeitete Schmittlein in Algier im Kommissariat für Bildung und nahm 1944 am Italienfeldzug, der Landung der Franzosen in St. Tropez sowie der Befreiung Belforts teil. Er marschierte mit der 1. Armee in Deutschland ein und wurde dort zum directeur de l’éducation publique in der französischen Besatzungszone. 1951 legte er diese Funktion nieder und widmete sich fortan der Politik: er wurde mehrmals Abgeordneter der gaullistischen Partei im Wahlbezirk Belfort, kurzzeitig Minister in den Jahren 1954/ 55 und von 1962-1965 Vizepräsident der Nationalversammlung. Er lehnte die bundesdeutsche Wiederbewaffnung ab, verhielt sich misstrauisch gegenüber Bonn und setzte sich aktiv für die Anerkennung der DDR durch die französische Regierung ein. Gegen Ende der 1950er Jahre engagierte er sich vorrangig für die politische und gesellschaftliche Annäherung zwischen Frankreich, der UdSSR und Israel und weniger für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Raymond Schmittlein, La rééducation du peuple allemand, abgedruckt in Jérôme Vaillant (Hg.), La dénazification par les vainqueurs. La politique culturelle des occupants en Allemagne, 1945-1949, Lille 1981, S. 139- 155; Corine Defrance, La politique culturelle de la France sur la rive gauche du Rhin (1945-1955), Strasbourg 1994; dies., Raymond Schmittlein (1904-1974): Leben und Werk eines französischen Gründungsvaters der Universität Mainz, in: Michael Kissener, Helmut Mathy (Hg.), Ut omnes unum sint (Teil 1) Die Gründungspersönlichkeiten der Johannes Gutenberg-Universität, Stuttgart 2005, S. 11-30. Corine Defrance Schneider, Romy „Sie war Deutschlands größter Star - in Frankreich“, so „Die Welt“ 2008. Vom „süßen Mädel“ Sissi wurde sie zu einer der beliebtesten Schauspielerinnen Frankreichs, von der ihr Kollege und Freund Jean-Claude Brialy rückblickend im „Spiegel“ behauptete: „Die Franzosen haben nie wieder eine Schauspielerin gefunden, die so schön, so sinnlich, so sensibel ist […]. Sie war die Konzentration all dessen, was die Franzosen lieben: Emotion.“ Die deutsch-französische Filmschauspielerin Romy Schneider (geborene Rosemarie Magdalena Albach) wurde 1938 als Tochter des österreichisch-deutschen Schauspielerehepaares Wolf Albach-Retty und Magda Schneider in Wien geboren. Schon mit 14 Jahren debütierte sie an der Seite ihrer Mutter in der Kinoromanze „Wenn der weiße Flieder blüht“ (1953). Nur wenig später, zwischen 1954 und 1957, spielte sie in drei Filmen jene Rolle, die, wie sie später sagen sollte, „wie Grießbrei an ihr pappen“ und sie ihr ganzes Leben lang verfolgen sollte - die Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt „Sissi“: „Sissi“ (1955); „Sissi - die junge Kaiserin“ (1956); Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin“ (1957). Bei den Dreharbeiten zur deutsch-französischen Koproduktion „Christine“ (1958) lernte Romy den jungen französischen Schauspieler Alain Delon kennen und lieben. Mit ihrer deutschen Karriere, die vom Sissy-Mythos eher behindert als gefördert wurde, immer unzufriedener, befreite sie sich in der Folge dieser Erfahrung von den familiären Zwängen und zog zu Delon nach Paris: „Ich will ganz französisch sein in der Art wie ich lebe, liebe, schlafe und mich anziehe“, schrieb sie 1959 über ihr Leben in Paris. Hier bekam sie erstmals ernsthafte Charakterrollen und drehte in den folgenden Jahren mit Regiegrößen wie Lucchino Visconti („Boccaccio 70“, 1961), Orson Welles („Der Prozess“, 1962) und Otto Preminger („Der Kardinal“, 1963). Für ihre Rolle in „Der Prozess“ von Orson Welles erfuhr sie auch in Deutschland endlich Anerkennung als Cha- Schober, Rita 418 S rakterschauspielerin. In Frankreich erhielt sie für ihre Rolle in diesem Kinoerfolg den Étoile de cristal de l’Académie als „beste ausländische Darstellerin“ und feierte ihren künstlerischen Durchbruch. Diese Erfolge öffneten ihr die Tore Hollywoods, wo sie in den 1960er Jahren drei Filme drehte. Ohne jegliche Schauspielausbildung spielte sie bis zum Ende ihres Lebens in über sechzig Filmen mit und erhielt zweimal, 1976 und 1979, den „César“, die wichtigste französische Filmauszeichnung: 1976 für „L’important c’est d’aimer“ und 1979 für „Une histoire simple“. Weniger glücklich verlief ihr Privatleben. Sowohl die Beziehung zu Alain Delon als auch ihre Ehen mit dem Berliner Theaterregisseur Harry Meyen, dem Vater ihres 1966 geborenen Sohnes David-Christopher, und ihrem Privatsekretär Daniel Biasini, dem Vater ihrer 1977 geborenen Tochter Sarah Magdalena, scheiterten. Seit dem Ende der 1970er Jahre häuften sich die Schicksalsschläge in Romy Schneiders Leben. Nachdem sich 1979 ihr erster Ehemann Harry Meyen das Leben genommen hatte, starb der gemeinsame Sohn David 1981 bei einem tragischen Unfall. Der Tod ihres Sohnes stürzte sie in eine tiefe Krise, gesundheitliche Probleme schwächten sie zudem körperlich. Trotzdem drehte sie an der Seite von Michel Piccoli 1982 ihren letzten Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ („La Passante du Sans-Souci“). Am 29.5.1982 wurde sie in ihrer Wohnung in Paris tot aufgefunden und wenig später in Boissy-sans-Avoir, 50 km von ihrer Wahlheimat Paris entfernt, beigesetzt. 1999 kürte die französische Tageszeitung „Le Parisien“ Romy Schneider in einer Umfrage zur größten Schauspielerin des 20. Jahrhunderts. Günter Krenn, Romy Schneider. Die Biographie, Berlin 2008; Thilo Wydra, Romy Schneider. Leben, Werk, Wirkung, Frankfurt/ M. 2008. Christin Niemeyer Schober, Rita Die in Rumburg/ Rumburk (heutige Tschechische Republik) geborene und bis zu ihrem Tod in Berlin lebende Rita Schober (1918-2012) war eine marxistische Romanistin in der DDR und die prominenteste Schülerin von *Victor Klemperer. Sie bereicherte die Literaturwissenschaft durch eine außergewöhnliche wissenschaftliche Produktivität und wirkte wie vielleicht keine andere prägend auf die *Romanistik in der DDR. Literatur interessierte sie vor allem als Spiegel der Gesellschaft. Spezialisiert auf den Roman des 19. und 20. Jahrhunderts wurde sie zur bekanntesten Zola-Expertin im deutschsprachigen Raum mit großem Ansehen im Ausland. Die Sudetendeutsche Rita Schober studierte ab 1936 Italienisch und Französisch an der Prager Universität und promovierte im März 1945 in Sprachwissenschaften über die Bedeutungsentwicklung des Suffix -age , bevor sie am Ende des Krieges vertrieben wurde und in die Sowjetische Besatzungszone ging. Nachdem sie zwischen 1940 und 1945 Mitglied der NSDAP gewesen war, entschied sie sich 1946 zum Eintritt in die SED und wirkte später in verschiedenen wissenschafts- und kulturpolitischen Funktionen der DDR (z.B. 1974/ 76 als Mitglied des Exekutivkomitees der UNESCO). Eine erste, wissenschaftlich fruchtbare Phase begann 1946 mit einer Assistenz an der Martin- Luther-Universität Halle, wo sie mit *Victor Klemperer bekannt wurde, der sie protegierte und unterstützte, sodass sie mit ihm 1951 an die Humboldt-Universität zu Berlin wechselte. 1954 wurde sie seine Nachfolgerin als Direktorin des Romanischen Instituts, 1957 Lehrstuhlinhaberin. In den ersten Berliner Jahren wandte sich Rita Schober dem Naturalismus und Realismus zu und habilitierte 1954 über „Zolas naturalistische Theorie und das Problem des Realismus“. Neben Forschung und Lehre edierte sie von 1952 bis 1976 die einzige deutsche Gesamtausgabe des Hauptwerks Émile Zolas, den Romanzyklus „Les Rougon-Macquart“. Eine zweite Phase ihrer Universitätslaufbahn setzte 1969 ein, als sie Dekanin der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität und im gleichen Jahr Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften der DDR wurde. Sie focht für eine unabhängige Sektion Romanistik, die schließlich 1980/ 84 wieder eingerichtet wurde. Für die internationalen Beziehungen der DDR-Literaturwissenschaft, insbesondere im Rahmen der „Association internationale de littérature comparée“, wirkte sie als Leiterin des 1976 gegründeten Nationalkomitees für Literaturwissenschaften. Konferenzen, Gastvorlesungen und -semester in Graz und Moskau prägten ihre Universitätskarriere und dienten der Pflege wissenschaftlicher Beziehungen sowohl mit dem sozialistischen als auch mit dem westli- Schroeter, Werner S 419 chen Ausland, hier besonders mit dem französischen Zola-Experten Henri Mitterrand. An der Humboldt-Universität lehrte sie bis 1978 und blieb ihr weitere elf Jahre als Emerita verbunden. 1988 verlieh ihr ihre Universität die Ehrendoktorwürde. Bis ins hohe Alter publizierte Rita Schober über literaturwissenschaftliche Themen und verband, ihrer marxistischen Prägung getreu, akademisches Wirken stets mit einem politischen Anspruch. Sie behielt ihre marxistische Grundorientierung in der Forschung auch nach 1990 bei. Hans-Otto Dill (Hg.), Geschichte und Text in der Literatur Frankreichs, der Romania und der Literaturwissenschaft. Rita Schober zum 80. Geburtstag, Abhandlungen der Leibniz-Sozietät, Bd. 4, Berlin 2000; Wolfgang Klein, Rita Schober 90. Laudatio. Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät (101) 2009, S. 45-54. Marie Lehmann-Brauns Scholl-Latour, Peter Der in Bochum geborene Peter Scholl-Latour (1924-2014) war als kritischer Chronist und Kommentator des Zeitgeschehens sowie als Sachbuchautor einer der profiliertesten *Journalisten im deutschen Fernsehen mit einer, durch seine familiäre Herkunft bedingten, besonderen Affinität zu Frankreich. Scholl-Latours Vater, ein Arzt, wurde im Saarland geboren und wuchs in Lothringen auf; die Mutter war Elsässerin. Im Alter von zwölf Jahren wurde Scholl-Latour von seinen Eltern auf ein schweizerisches Jesuitenkolleg in Fribourg geschickt, um ihn vor dem Einfluss der Nationalsozialisten zu schützen. Nachdem die Geldzahlungen der Eltern durch die Nationalsozialisten blockiert worden und die Weiterführung der Schulausbildung in der Schweiz unmöglich geworden waren, kehrte Scholl-Latour nach Deutschland zurück und legte im Jahre 1943 in Kassel die Reifeprüfung ab. Nach einem gescheiterten Versuch, Mitglied der französischen Armee zu werden, wurde er Kämpfer in General Titos Partisanenarmee. Im Jahre 1945 meldete er sich dann zur französischen Armee und nahm als Fallschirmjäger am Indochina-Krieg teil. Nach seiner Rückkehr 1948 ließ er sich im damals von Frankreich verwalteten Saarland nieder und unternahm, parallel zu seinem Studium, erste journalistische Gehversuche. Sein Volontariat absolvierte Scholl-Latour bei der „Saarbrücker Zeitung“. In Mainz und Beirut studierte er Politikwissenschaft, Arabistik und Philologie. 1951 machte er sein Diplom am IEP Paris (Sciences Po), 1954 folgte die Promotion an der Sorbonne. In jenen Jahren (1954/ 55) war Scholl-Latour unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann Sprecher der Regierung des Saarlandes und hatte später noch weitere politische Ämter im Saarland inne. Erst 1956 kehrte er der aktiven Politik den Rücken und war fortan nur als Journalist tätig. Er schrieb Berichte und Reportagen für internationale Radiostationen, bevor er 1960 Auslandskorrespondent der ARD wurde: zunächst in Afrika, dann, von 1963 bis 1969, in Paris. Ab 1971 war er Leiter des Pariser ZDF-Studios (*Hörfunk, *Fernsehen). Zu Beginn der 1970er Jahre verfolgte er durch regelmäßige Reisen den Vietnamkrieg aus nächster Nähe, sodass es 1973 sogar dazu kam, dass Scholl-Latour und seine Mitarbeiter bei einem Vietnamaufenthalt vom Vietkong gefangengenommen wurden. 1978 begleitete er Ayatollah Chomeini im Flugzeug bei dessen Rückkehr in den Iran. Ab 1983 wandte sich Scholl-Latour als Chefredakteur des Wochenmagazins „Stern“ wieder vermehrt dem Printjournalismus zu. Parallel drehte er für das deutsche Fernsehen Dokumentationen, so über den Kongo, China, den Islam und vor allem über Frankreich. Seine Reportagen wurden preisgekrönt. Unter anderem erhielt er die „Goldene Kamera“ (1969), den Prix Aristide Briand (1971), den *Prix Strasbourg und den *Prix franco-allemand du journalisme (1992). Von 2007 bis zu seinem Tod war er Präsident der Deutscharabischen Gesellschaft. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen gehören u.a. „Der Tod im Reisfeld - Dreißig Jahre Krieg in Indochina“ (1980), „Leben mit Frankreich - Stationen eines halben Jahrhunderts“ (1988) und „Zwischen den Fronten. Erlebte Weltgeschichte“ (2007). Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 24, Leipzig/ Mannheim 2006, S. 413-414; Engels-Perrein, Hélène, Lexique du couple franco-allemand. Le moteur de la construction européenne, Paris 2007, S. 40. Moritz Barske Schroeter, Werner Im thüringischen Georgenthal geboren galt Werner Schroeter (1945-2010) als der große Außenseiter des deutschen Autorenfilms, ein eigenwilliger Künstler von ausschweifender Radikalität, der zeit seines Lebens intensive Verbindungen nach Schulen 420 S Frankreich unterhielt. Schroeter wuchs auf in Bielefeld und Heidelberg, wo er auch seine spätere Muse und Gefährtin, Magdalena Montezuma, seine „mexikanische Göttin und Herrscherin“, wie er sie nannte, kennenlernte. „Sein Leben selbst war ein Kunstwerk", sagte die französische Schauspielerin Isabelle Huppert, die in seinen Filmen „Malina“ und „Deux“ mitspielte. Innerhalb von 40 Jahren entstanden über 80 Produktionen. Für *Rainer Werner Fassbinder stellte Schroeter den „wichtigsten, spannendsten, entscheidendsten sowie entschiedensten Regisseur“ dar, den er irgendwo zwischen Novalis, Louis-Ferdinand Céline und Lautréamont verortete. Letztgenannter stellte auch Schroeters Inspirationsquelle für die Filme „Argila“ und „Neurasia“ (1968/ 69) dar. Werner Schroeter besaß das Talent, Kunst, Kitsch und Triviales miteinander zu verbinden. Wichtig war die Intensität der Gefühle, die sich für ihn ebenso in den Schlagern Caterina Valentes ausdrücken konnte wie im Gesang der von ihm zeitlebens verehrten Maria Callas. Im Umgang mit Bild und Ton nahm er sich alle Freiheiten, mit einer erklärten Abneigung gegen stringente Handlungen. Von Anfang an mochte er sich nicht in eine bürgerliche Existenz einsperren lassen; er pendelte zwischen Düsseldorf, Berlin und Paris, lebte bei Freunden oder in Hotels. In seinen Filmen zeigte er sich gleichermaßen vom Theater, von der Oper und der Literatur im Allgemeinen sowie der Poesie im Besonderen beeinflusst. Von Beginn an umgab sich Werner Schroeter mit einem festen Stamm von Schauspielern, dem außer Magdalena Montezuma auch Carla Aulaula, Ila von Hasperg, *Ingrid Caven und Christine Kaufmann angehörten. Elfi Mikesch führte in mehreren seiner Filme die Kamera. Ab Anfang der 1970er Jahre inszenierte er an großen Bühnen, wo er eng mit der französischen Bühnen- und Kostümbildnerin Alberte Barsacq zusammenarbeitete, die sowohl seine Filme als auch die Theaterstücke und Opernaufführungen ausstattete. In Frankreich nannte man ihn „magic Werner“ und *Michel Foucault rief angesichts einer seiner überbordenden Inszenierungen aus: „Wie arm ist doch unser Bildervorrat! “ Er trug die Oper auf die Leinwand und setzte extreme Gefühle - verzehrende Liebe, wilde Verzweiflung oder Todesangst - in opulente Szenen von großer Bildgewalt um. „Es geschieht manchmal, nicht oft, dass jemand nach dem äußersten Rand seiner Möglichkeiten greift und ihn dann umklammert hält, weil er mit etwas anderem als dem Äußersten nicht zufrieden ist“, bemerkte Elfriede Jelinek über ihn. Die künstlerische Revolte Schroeters mündete dabei aber auch direkt in den Bereich des Sozialen. So vertritt der französische Filmkritiker Jean Douchet die Meinung, Schroeters Werk sei von Anfang an politisch zu verstehen. 1990 feierte „Malina“, nach dem Roman von Ingeborg Bachmann, einem Drehbuch von Elfriede Jelinek und mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle auf dem Festival de Cannes Premiere. In den 1990er Jahren entstanden nur wenige Filme, wie 1996 die poetische Dokumentation „Poussières d’amour“, eine Nahaufnahme großer Operndiven und faszinierende Huldigung des Operngesangs. 2002 gelang Schroeter dann erneut auf dem Festival de Cannes mit „Deux“ ein fulminantes Spielfilm-Comeback mit Isabelle Huppert in einer Doppelbesetzung. 2008 wurde er mit „Nuit de chien“ in den Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Venedig eingeladen und erhielt den Sonderpreis der von *Wim Wenders geleiteten Jury für sein „innovatives, kompromissloses und oft provokantes“ Lebenswerk. Kurz vor seinem Tod wurde er anlässlich der Berlinale 2010 mit dem schwul-lesbischen Teddy Award geehrt. Ebenfalls 2010 kam es zu einer großen, noch zu Lebzeiten mit ihm selbst geplanten Retrospektive im Centre Georges Pompidou (in Zusammenarbeit mit dem *Goethe-Institut), die französische Wertschätzung für Schroeter brachte der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand in seiner Eröffnungsansprache zum Ausdruck. Gérard Courant, Jean-Claude Moireau, Werner Schroeter. Interview publié dans Les Soleils d’Infernalia 16 (August 1978); Les Cahiers du cinéma 307 (1980); Philippe Azoury, À Werner Schroeter, qui n’avait pas peur de la mort, Nantes 2010; Werner Schroeter, Tage im Dämmer, Nächte im Rausch. Autobiographie, Berlin 2011. Gisela Rueb Schulen Bereits im Jahre 1689 wurde in Berlin ein französisches Gymnasium für die hugenottischen Einwanderer gegründet, an welchem seither ununterbrochen auf französisch unterrichtet wurde, sogar während der Jahre 1871 bis 1918 und 1933 bis Schulpolitik S 421 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Unterricht mit Unterstützung der französischen Militärregierung unverzüglich wieder aufgenommen. Parallel dazu entstand für die Kinder der französischen Besatzungssoldaten ein collège français , welches aber schon im Jahr 1952, auch als ein politisches Zeichen der deutsch-französischen Aussöhnung, mit dem Gymnasium zusammengelegt wurde. Im Kontext der zunehmenden politischen Verständigung entstanden in der Bundesrepublik ab den frühen 1950er Jahren weitere französische Schulen: 1953 wurde in München das Lycée Jean Renoir gegründet, welches auch eine Grundschule und einen Kindergarten unterhält. 1960 etablierte sich in Frankfurt/ M. eine französische Schule, welche zunächst nur über Grundschul- und Collègeklassen verfügte, jedoch seit 1984 als Lycée Victor Hugo auch einen Oberstufenzug besitzt. Das Lycée français in Düsseldorf wurde 1962 gegründet, 1976 nahm das Lycée de Gaulle-Adenauer in Bonn seine ersten Schüler auf und 1987 öffnete in Hamburg das Lycée Antoine de Saint- Exupéry seine Pforten. Alle französischen Schulen in Deutschland nehmen inzwischen am *AbiBac- Programm teil. Die Deutsche Schule Paris wurde 1958 eröffnet und verfügte schon ein Jahr später über drei Gymnasialklassen: 1960 wurde ihr eine Grundschule und 1962 ein Kindergarten angeschlossen. Als größte deutsche Auslandsschule erfreut sie sich nach wie vor breiter Beliebtheit und ist seit 1994 am *AbiBac-Programm beteiligt. 1987 wurde in Toulouse eine zweite selbständige deutsche Schule eröffnet, an die ebenfalls ein Kindergarten angeschlossen ist. Hinzu kommen die *deutsch-französischen Gymnasien in Saarbrücken (seit 1961), in Freiburg (seit 1972) und in Buc bei Versailles (seit 1982), sowie die deutschsprachigen Abteilungen an den internationalen Schulen in St. Germain-en-Laye, Lyon und Straßburg sowie die section française an der Europäischen Schule in Frankfurt/ M., Karlsruhe und München (*Schulpolitik). Neben den an die Auslandsschulen angeschlossenen Kindergärten entstanden ab den 1970er Jahren weitere deutsch-französische Kindergärten, die häufig auf privaten Initiativen fußten; so formierte sich beispielsweise 1974 in Frankreich ein Elternverband (Association des parents d’élèves des jardins d’enfants franco-allemands - AJEFA), der den Ausbau von mehreren Kindergärten unterstützte. Christian Alix, Christoph Kodron, Zusammenarbeiten - gemeinsam lernen. Themenzentrierte Zusammenarbeit zwischen Schulen verschiedener Länder am Beispiel Deutschland - Frankreich, Frankfurt/ M. 1988; Bertrand Girod de l’Ain, Deutsch-französische Gymnasien. Qualität stützt Quantität, in: Dokumente 54 (1998) 5, S. 399- 402; Sofia Stratilaki, Representations of plurilingual competence and language use in dynamic trilingual education. The case of French-German schools in Buc and Saarbrücken, in: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 11 (2006), S. 1-19; Christian Velder, 300 Jahre Französisches Gymnasium Berlin - 300 ans au Collège français, Berlin 1989. Ansbert Baumann Schulpolitik Der europäische und internationale Kontext verlangt von allen Staaten eine Schul- und *Sprachenpolitik, die den nachwachsenden Generationen erlaubt, im Laufe ihrer Ausbildung und ihres Berufslebens das Land zu wechseln. Eine größtmögliche Öffnung, ein interkultureller Austausch und eine intensive Sprachenpolitik sind daher auch unabdingbar für die langfristige Konkurrenzfähigkeit der französischen Schulabsolventen. Frankreich ist als Einwanderungsland hier besonders gefordert. Dieser Entwicklung trägt der französische Staat durch die Schaffung von immer mehr sections européennes und sections internationales sowie mit bilateral entwickelten Konzepten der Zusammenarbeit Rechnung. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich hat hierbei in vieler Hinsicht modellbildend gewirkt. Die (rein französischen) europäischen Abteilungen heißen eigentlich sections européennes ou de langues orientales sind grundsätzlich für alle Schülerprofile gedacht, auch für Berufsschüler. Das Konzept dieses verstärkten Sprachunterrichts existiert seit 1992. Ziel ist, durch mehr Fremdsprachenunterricht, auch in nichtsprachlichen Fächern, das Niveau zu steigern. Die Lerngruppen und das sprachliche Niveau sind daher je nach Standort sehr verschieden. Die Schaffung einer section européenne ist vor allem Teil des pädagogischen Projektes der jeweiligen Schule in Frankreich. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist im schulischen Bereich besonders intensiv und hat eine weiter zurückreichende Geschichte, die auf dem *Élysée-Vertrag, also der politisch gewollten, und bewusst auf der bei den *Jugendbeziehungen Schulte, Hansgerd 422 S ansetzenden, deutsch-französischen *Versöhnung fußt. Alle deutsch-französischen Abschlüsse tragen inzwischen auch der Tatsache Rechnung, dass Deutschland und Frankreich für einander der wichtigste Handelspartner sind, dass der Arbeitsmarkt zwischen beiden Ländern nicht nur stark vernetzt ist, sondern auch eine aussichtsreiche Karriere für die aktuellen und zukünftigen Generationen darstellt. Drei * lycées franco-allemands gehen auf den *Élysée-Vertrag zurück. Sie bilden ein Netzwerk mit eigenem Programm und eigenem Abschluss, stellen allerdings eine Ausnahme in der Schullandschaft der beiden Länder dar (*Schulen) (Buc, Freiburg, Saarbrücken). Das jüngste Projekt, *AbiBac, (die gleichzeitige Erlangung von Abitur und baccalauréat ), wird von der Politik bewusst gefördert und richtet sich mit großer Breitenwirksamkeit an alle Schüler, die vor dem Eintritt in die Oberstufe bereits besonders gute Kenntnisse in der Partnersprache erworben haben. Die Lehrkräfte sind meist Einheimische mit guten Kenntnissen in der Partnersprache. Ein ähnliches Modell wurde auch mit Italien und Spanien eingerichtet. Eine Besonderheit stellen die sections internationales dar. Dieses Konzept ist in gewisser Hinsicht die „Mutter“ aller oben beschriebenen Konzepte und verdient daher eine genauere Betrachtung. Etwa 1 500 Schüler pro Jahr legen die option internationale du baccalauréat (OIB) ab. Die Zahl dieser Schulabgänger und der internationalen Abteilungen überhaupt wächst ständig, auch die deutschen Abteilungen erfreuen sich dieses Zulaufs. Zwei Zielsetzungen kennzeichnen diese sections internationales : Ausländischen Schülern soll der Zugang zum französischen Bildungssystem erleichtert werden und französische Schüler sollen eine ideale Umgebung für das Erlernen einer Fremdsprache auf sehr hohem Niveau vorfinden. Der Bedarf und die Struktur der ersten internationalen Abteilungen gehen auf die Standorte verschiedener internationaler Organisationen zurück, z.B. der EU, der UNESCO oder Forschungszentren, z.B. CERN oder Sophia Antipolis. Andere sind durch den wachsenden Zuzug von bikulturellen Familien notwendig oder gefördert worden. Allen ist gemein, dass die Kinder ins französische Schulsystem voll integriert werden, ihnen dabei aber auch jederzeit ein Wechsel ins System des Heimatlandes ermöglicht ist. Viele französische Familien nehmen das Angebot an, um für ihre Kinder von klein an ein bilinguales Umfeld zu schaffen, das sie von Hause aus nicht bieten können. Diese hochwertige Ausbildung in der Partnersprache wird stets von muttersprachlichen Lehrkräften geleistet, die im Heimatland ausgebildet sind. Der Eintritt in die sections internationales ist, je nach Standort, ab dem Kindergarten, der Grundschule oder der Mittel- und Oberstufe (Collège-Lycée) möglich. Schulträger ist immer der französische Staat, einige Abteilungen arbeiten finanziell aber auch zusätzlich mit privaten Elternvereinen und nehmen Schulgeld. Einige deutsche Abteilungen werden mit deutschen Mitteln gefördert. Das anspruchsvolle Unterrichtsprogramm wird nach bilateraler Absprache zwischen den entsprechenden Funktionsträgern der beiden Länder erstellt. Der Abschluss wird daher auch beiderseitig anerkannt, in Deutschland ist die OIB völlig gleichwertig mit dem Abitur. Zurzeit existieren diese Abteilungen in 13 Sprachen. Ein enges Netzwerk von inzwischen acht Abteilungen bereitet auf die OIB in deutscher Sprache vor. Dieses Ausbildungsangebot hat sich sehr positiv auf das Selbstbewusstsein gerade auch der deutschen Familien ausgewirkt: Die zweite Muttersprache wird nicht mehr auf das Niveau einer „Fremdsprache“ reduziert, sondern dient als Voraussetzung für eine „bikulturelle“ Erziehung. Dasselbe gilt auch für die offizielle französische Bildungspolitik. Die sections internationales werden nicht mehr als Sonderweg für einige wenige ausländische Schüler angesehen, sondern neben den binationalen Abschlüssen zum aussichtsreichen Zukunftsmodell einer gelungenen Integration (zum Beispiel bei den arabischen Abteilungen) und Ausweis schulischer Exzellenz auch für hochbegabte französische Muttersprachler. Romy Schlömer-Ritte Schulte, Hansgerd Der 1932 in Simmern (Hunsrück) geborene Hansgerd Schulte gehört zur zweiten Generation der deutsch-französischen Nachkriegsmittler und hat sich auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und universitären Kooperation bleibende Verdienste erworben. Nach dem Abitur am französischen Gymnasium von Koblenz und dem deutschen Abitur ein Jahr später in Mainz ging er nach Grenoble, wo Schwarzer, Alice S 423 er am Lycée Champollion gleichzeitig die classes préparatoires et propédeutique absolvierte. In den 1950er Jahren schloss Schulte dann seine Studien ab, erst am Pariser Lycée Henri IV und im Anschluss als „Ausländer“ an der ENS, wobei er gleichzeitig bereits an der Universität Freiburg eingeschrieben war, wo er u.a. bei dem Romanisten *Hugo Friedrich studierte und dort auch das Staatsexamen ablegte. Er promovierte in Freiburg in der Romanistik mit einer Studie zu „El Desengano. Wort und Thema in der spanischen Literatur des Goldenen Zeitalters“. Von Februar bis Juni 1961 war er Lektor für deutsche Sprache (*Lektoren) an der École d’agriculture de Grignon, im Anschluss übernahm er ein Lektorat für deutsche Sprache am Institut catholique de Paris. Schultes Weg spiegelt die zunehmenden Verflechtungen zwischen den Gesellschaften beider Länder, die in neuen Formen von Interaktion und Integration zum Ausdruck kamen. Der Romanist schärfte nicht mehr - wie noch in der Zwischenkriegszeit üblich - sein nationales Selbstbewusstsein durch das Studium des Fremden, sondern befand sich als transnationaler Akteur an der Schnittstelle interkultureller Transfers über Ländergrenzen hinweg. So gelang es Schulte während seines Doppelstudiums in Deutschland und Frankreich und seiner Lektorentätigkeit, sich auf deutsch-französischer Ebene in interpersonelle und informelle Netzwerke einzuflechten, um auf diese Weise ein soziales Kapital zu erwerben, das ihm einen bestimmten Vertrauensvorschuss im Gastland einräumte und damit zur Grundlage für seine transnationale Arbeit werden konnte. Sein bikulturelle Kapital prädestinierte ihn zur Übernahme der Direktorenstelle der im Dezember 1963 eröffneten Pariser Außenstelle des *DAAD in der Rue de Verneuil, die er nicht nur zu einem Treffpunkt deutscher und französischer Hochschullehrer bzw. Intellektueller machte, sondern ihn zugleich zu einem Hauptakteur bei der Verdichtung der deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen werden ließ. Konzeptuell hatte er bereits in den 1970er Jahren eine *Deutsch- Französische Hochschule angedacht; gemeinsam mit *Pierre Bertaux und *Robert Picht war er zudem maßgeblich an der Reform der Deutschlandstudien in Frankreich beteiligt. Anwendung fand diese insbesondere am 1968/ 69 von *Bertaux gegründeten *Institut d’allemand d’Asnières (Sorbonne Nouvelle), an das er nach seiner Habilitation im Jahre 1969 zum Professor berufen wurde. Seine erfolgreiche Arbeit als Außenstellenleiter bewog den *DAAD schließlich im Jahre 1972, ihn zu seinem Präsidenten zu wählen. Viele zunächst in Frankreich eingeführte und erfolgreich ausprobierte Projekte fanden während seiner Präsidentschaft (bis 1987) Eingang in die allgemeine Arbeit des *DAAD. Mittlerpersönlichkeiten wie Hansgerd Schulte, die nach dem Krieg die Entwicklung von deutschfranzösischen Dialog- und Austauschstrukturen selbst erfahren bzw. ansatzweise bereits selbst gestalten konnten und ab Ende der 1950er Jahre innerhalb der gesellschaftlichen bzw. wissenschaftlichen Austauschinstitutionen heranwuchsen, haben ein transnationales Selbstverständnis ausgebildet, in dem der Bezug zum Ausland zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Ulrich Pfeil, Die Pariser DAAD-Außenstelle in der „Ära Schulte“ (1963-1972). Die Institutionalisierung der transnationalen Wissenschaftskooperation in den westdeutsch-französischen Beziehungen, in: Francia 32/ 3 (2005), S. 51-74; ders., „Dynamische, expansive Austauschpolitik auf allen akademischen Gebieten“. Die DAAD-Außenstelle in Paris, in: ders. (Hg.), Deutschfranzösische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 197-222. Ulrich Pfeil Schwarzer, Alice Die 1942 in Wuppertal geborene Frauenrechtlerin, Journalistin und Schriftstellerin Alice Schwarzer kann als das wohl wichtigste Verbindungsglied zwischen der deutschen und der französischen Frauenbewegung (*Frauenbewegung) bezeichnet werden. Zu Frankreich verbindet Schwarzer seit ihrer Jugend ein enges Verhältnis: Nach einer kaufmännischen Lehre ging sie von 1963-66 nach Paris, um Französisch zu lernen. Zurück in Deutschland absolvierte sie ein Volontariat und arbeitete als Reporterin bei „Pardon“; 1969 kehrte sie nach Paris zurück, um als freie Korrespondentin tätig zu werden - eine Entscheidung, die sie entscheidend prägen und ihre Karriere nachhaltig beeinflussen sollte: Hier lernte sie bei einem Interview mit *Jean-Paul Sartre Simone de Beauvoir kennen; 1972 erschien das erste von insgesamt zehn Interviews, welche sie mit Beauvoir führte. Darüber hinaus knüpfte Schwarzer enge Beziehungen zur französischen Frauenbewegung und Schwarzinger, Heinz 424 S wurde eine Mitbegründerin des Mouvement de libération des femmes (MLF). Aus Frankreich lancierte Schwarzer im Juni 1971 die „Stern“- Aktion „Wir haben abgetrieben! “, in der sich 374 Frauen, u.a. *Romy Schneider, Senta Berger und Carola Stern, selbst der Abtreibung bezichtigten. Die Kampagne imitierte das zwei Monate zuvor in Frankreich im „Nouvel Observateur“ veröffentlichte „Manifeste des 343“, das u.a. von Simone de Beauvoir, Catherine Deneuve, Jeanne Moreau, Marguerite Duras, Françoise Sagan, *Ariane Mnouchkine und Agnès Varda unterzeichnet worden war. „Wir haben abgetrieben! “ führte zu einer öffentlichen Diskussion über den Paragraphen 218 und wird als Anfangspunkt der Neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik angesehen (*Frauen). 1975 ging Schwarzer zurück nach Deutschland und wurde nach und nach - insbesondere infolge der Publikation „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ (1975) sowie der Gründung der Frauenzeitschrift „EMMA“ (1977) - zu der bekanntesten deutschen Frauenrechtlerin. Wenngleich Sie inzwischen fest in Deutschland beheimatet ist, zeugen Veröffentlichungen wie *„Romy Schneider. Mythos und Leben“ (1998), „Simone de Beauvoir. Rebellin und Wegbereiterin“ (1999) sowie ihre Autobiographie „Lebenslauf“ (2011) von weiterhin äußerst intensiven Beziehungen zu Frankreich. Anna Dünnebier, Gert von Paczensky: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer, Köln 1998; Ilse Lenz, Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied, Wiesbaden 2008; Bascha Mika, Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie, Reinbek bei Hamburg 1998. Nicole Colin Schwarzinger, Heinz Heinz Schwarzinger (Pseudonym: Henri Christophe) wurde 1945 in Klagenfurt (Kärnten, Österreich) geboren und lebt seit 1969 in Paris, wo er als Übersetzer und Vermittler von Theatertexten (*Deutsches Theater in Frankreich) zwischen Frankreich und den deutschsprachigen Ländern, vorwiegend aus Österreich, arbeitet. Er studierte Theaterwissenschaften in Wien und Paris. Nach seiner Promotion unterrichtete er 20 Jahre lang Deutsch und war währenddessen auch als Theater- und Filmschauspieler tätig. Schwarzinger ist ein sehr produktiver Übersetzer. Er übertrug an die 200 Theaterstücke, davon jeweils die Hälfte vom Französischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Französische. Seit 1972 arbeitet er als Übersetzer ins Französische, zuerst in Zusammenarbeit mit französischen Kollegen wie *Jean Jourdheuil (für die Texte von *Heiner Müller) oder Jean-Louis Besson (für „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus), dann überwiegend allein unter dem Pseudonym Henri Christophe. 1998 wurde er für seine Arbeit mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet und 1991 mit dem Österreichischen Staatspreis für literarisches Übersetzen. 2005 ernannte man ihn zum Officier de l’ordre des arts et des lettres. Schwarzinger befasst sich im Wesentlichen mit Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts, vorrangig österreichischen Schriftstellern wie Peter Turrini, Elfriede Jelinek, Félix Mitterer oder Klaus Händl. Er ist Herausgeber der gesammelten Werke von Ödon von Horváth - die Prosa erschien im Verlag Christian Bourgois, die Theaterstücke bei *L’Arche Éditeur - sowie des dramatischen Werkes von Arthur Schnitzler bei Actes Sud-Papiers. Darüber hinaus wirkte er an der Gesamtausgabe des Theaters von Frank Wedekind im Verlag THEATRALES mit. Unter den französischsprachigen Autoren, die von ihm ins Deutsche übersetzt wurden, findet man Namen wie Philippe Adrien, Enzo Cormann, Carole Fréchette, Joël Jouanneau oder Larry Tremblay. Außerdem hat er die Schriften „Arthur Schnitzler, auteur dramatique“ (1989) und „Ödon von Horvath, repères“ (1992) bei Actes Sud-Papiers veröffentlicht sowie „Théâtre de résistance - douze semaines du théâtre autrichien, Paris 1988-94“ (1998) bei Interscènes. Seine Arbeit als Übersetzer ist von Recherche und Reflexion geprägt. Seit seiner Gründung ist er Mitglied des deutschen Komitees der Maison Antoine Vitez, nimmt regelmäßig an Übersetzerseminaren und Symposien über zeitgenössisches literarisches Schreiben teil und ist Gastdozent an der Universität Wien. Häufig wird er eingeladen Übersetzerateliers zu leiten. Seit 1989 organisiert er jedes Jahr in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen, darunter dem Forum culturel autrichien in Paris, die Österreichischen Theatertage in Paris mit szenischen Lesungen von oft unveröffentlichten Texten in französischer Sprache. Gleichzeitig leitet er seit 1991 die Französi- Schweitzer, Albert S 425 schen Theatertage in Wien mit Lesungen von zeitgenössischen französischsprachigen Autoren, die zunächst im Institut français, dann im Volkstheater stattfanden und derzeit im Theater Drachengasse veranstaltet werden. In seinen Übersetzungen (*Übersetzen/ Dolmetschen, *Übersetzung von Theaterstücken) legt Heinz Schwarzinger besonders Wert auf die dramatische Beschaffenheit eines Textes, Rhythmus, Phrasierung, Assonanzen. Für ihn muss ein für die Bühne bestimmter Text, und sei er noch so schwierig, seine eigene Dynamik besitzen und auch Interpretationsvorschläge für die Schauspieler implizieren. Die Arbeit von Heinz Schwarzinger hat aber auch eine politische Komponente. So wählt er die Texte, die er von einer Sprache in die andere überträgt, nicht nur aufgrund ihres poetischen und dramatischen Gehalts aus, sondern auch nach ihrer kritischen Aufrichtigkeit, ihrem politischen Engagement und ihrer Wirkung auf die heutige Gesellschaft. Jean-Louis Besson Schweitzer, Albert Der in Kaysersberg (Elsass) geborene und in einer protestantischen Familie aufgewachsene Albert Schweitzer (1875-1965) ist nicht nur als „bedeutender Arzt von Lambaréné“ bekannt, sondern spielte auch im deutsch-französischen Kulturaustausch eine wesentliche Rolle. Zwischen 1893 und 1902 studierte er Philosophie (Dissertation über Kant) und Theologie (Dissertation und Habilitation über Jesus Christus) an der Kaiser- Wilhelms-Universität in Straßburg sowie in Paris und Berlin, wo er Adolf Harnack kennenlernte; dank Charles-Marie Widor perfektionierte er sein Orgelspiel und übersetzte für ihn die Libretti zu Bachs Werken ins Französische. Als Privatdozent an der Evangelisch-theologischen Fakultät von Straßburg (1902-1913) veröffentlichte er vielbeachtete Schriften zum primitiven Christentum (u.a. die „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“, 1913); gleichzeitig brachte er seinen französischen Freunden Bach durch ein Buch (1905) nahe, das er später in einer stark erweiterten deutschen Fassung herausgab (1908). In einem Brief vom April 1906 erklärte er dem Musikkritiker Gustav von Lüpke: „Es ist die Pflicht der wenigen Elsässer, die es noch vermögen, in beiden Culturen und Sprachen drin zu stehen, Gedankenschmuggel in Grossem zu treiben“. 1905 beschloss er, Missionarsarzt für die Société des missions (Paris) zu werden und widmete sich bis 1912 dem Studium der Medizin. Im gleichen Jahr heiratete er Helene Bresslau, die Tochter eines altdeutschen Historikers aus Straßburg. Im März 1913 reiste er mit seiner Frau nach Lambaréné (Französisch-Kongo), wo er als deutscher Staatsbürger unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Gefangenschaft geriet. 1917 wurde er mit Helene nach Frankreich zurückgeführt und in mehreren Lagern interniert. Im Herbst 1918 hielt Schweitzer, der inzwischen wieder in Straßburg beheimatet war, mehrere Predigten, in denen er zur Völkerversöhnung aufrief, anstatt den französischen Sieg zu preisen. Die Polizei ließ ihn daraufhin überwachen; die Predigten waren auch der Grund dafür, dass die Straßburger Universität ihn 1919, im Geburtsjahr seiner Tochter Rhena, nicht wieder einstellte. In seiner „Kulturphilosophie“ (Bd. 1, 1923) verurteilte er nachdrücklich den Nationalismus als „unreinen ad absurdum geführten Patriotismus“. 1920 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft. Als er 1924 nach Lambaréné zurückkehrte, beschäftigte er sich mit der Niederschrift eines theologischen und philosophischen Werks in deutscher Sprache, für das man ihm den Goethe- Preis der Stadt Frankfurt verlieh (1929). Seine „Mystik des Apostels Paul“ wurde sowohl von deutschen als auch von französischen Exegeten (Rudolf Bultmann, Maurice Goguel) sehr positiv bewertet. Zur gleichen Zeit schlug er die Angebote der Theologischen Fakultäten in Leipzig und Marburg aus, um in Gabun bleiben zu können. Während des Zweiten Weltkriegs pflegte sein Krankenhaus Verletzte beider Lager. 1951 verlieh ihm Bundespräsident Theodor Heuss persönlich den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels; außerdem erhielt er den Johann-Peter-Hebel-Preis. 1952 wurde er als Nachfolger von Philippe Pétain in die Académie des sciences morales et politiques gewählt. Rückwirkend für das Jahr 1952 erhielt er 1953 den Friedensnobelpreis. Später zeichnete er sich durch seinen Kampf gegen Atomversuche aus. Obwohl Schweitzer in Deutschland als eine der wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gilt, ist er in Frankreich, abgesehen vom Elsass, weit weniger bekannt; trotz der Bemühungen *Robert Minders und seiner Nachfolger an der Spitze der Association française des amis Schygulla, Hanna 426 S d’Albert Schweitzer sind in Frankreich viele seiner Werke noch nicht veröffentlicht. Matthieu Arnold, Entre la France et l’Allemagne: la Faculté de Théologie protestante de Strasbourg de 1919 à 1945. Aperçus complémentaires, in: Revue d’Histoire et de Philosophie religieuses 72 (1992/ 4), S. 391-411; Matthieu Arnold, Albert Schweitzer: les années alsaciennes 1875-1913, Strasbourg 2013; Jean-Paul Sorg (Hg.), Albert Schweitzer, Humanisme et mystique, Paris 1995; Niels Ole Oermann, Albert Schweitzer 1875-1965. Eine Biographie, München 2010. Matthieu Arnold Schygulla, Hanna Die 1943 in Königshütte bei Kattowitz (heute Chorzów) geborene Hanna Schygulla ist eine deutsche Schauspielerin, die einem internationalen Publikum zuerst durch ihre Rollen in Filmen von *Rainer Werner Fassbinder bekannt wurde, bevor sie in Frankreich Erfolge als Schauspielerin und Sängerin feierte. Als zu ihrem 60. Geburtstag eine Festschrift geplant wurde, setzte sich Hanna Schygulla in einen Zug, um über ihr Leben nachzudenken. Aus Deutschland kommend, fuhr sie nach Paris. Diese Reise war ein Symbol für ihr, auch deutsch-französisches Hin- und Herleben, wie sie ihre Biographie selbst beschrieben hat. Sie wuchs in der Nachkriegszeit als Flüchtlingskind in München auf. Nach dem Abitur ging sie 1963/ 64, von einem klischeebehafteten Frankreichbild angezogen, als Au- Pair-Mädchen zum ersten Mal nach Paris. 1981 zog sie ein zweites Mal in die französische Hauptstadt, wo sie bis heute lebt. Innerhalb ihres „zweifachen Lebens“ in Deutschland und Frankreich bilden die Arbeit mit *Rainer Werner Fassbinder, mit internationalen Regisseuren sowie ihre späte Karriere als Sängerin drei biographische Schwerpunkte. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden und studierte zunächst Germanistik sowie Romanistik. Allein aus Neugier besuchte Hanna Schygulla eine private Münchener Schauspielschule, wo sie 1966 auf *Fassbinder traf. Als eine Schauspielerin für die „Antigone“ im Action-Theater ausfiel, bat *Fassbinder Schygulla die Rolle zu übernehmen. Vom Action-Theater und antiteater war es nur ein kleiner Schritt zum Film. Beide spielten 1968 gemeinsam unter der Regie von *Jean-Marie Straub in „Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter“. Der 1969 gedrehte Film „Liebe ist kälter als der Tod“ wurde schließlich zum Ausgangspunkt für die prägende Konstellation mit *Fassbinder als Regisseur und Schygulla als Schauspielerin. Zwischen 1969 und 1981 spielte sie als seine „Muse“ in insgesamt 20 Filmen mit und gab seinen gerade auch in Frankreich sehr geschätzten filmischen Arbeiten ein Gesicht, das der femme allemande . Nach einer vierjährigen künstlerischen Trennung kam *Fassbinder für eine Hauptrolle in dem Film „Die Ehe der Maria Braun“ (1978) wieder auf sie zu. Der Film wurde für beide ein großer nationaler und internationaler Erfolg. Es folgten die Filme „Die dritte Generation“ (1979), „Berlin Alexanderplatz“ (1980) und schließlich ihr letztes gemeinsames Projekt „Lili Marleen“ (1981), dem nach einer Auseinandersetzung eine erneute Trennung folgte. Zu Beginn der 1980er Jahre vollzogen sich zwei Wendepunkte in Hanna Schygullas Karriere. Zuvor vor allem als Protagonistin des *Neuen Deutschen Films wahrgenommen, löste sich Schygulla nach *Fassbinders Tod 1982 nun in doppelter Hinsicht von Deutschland, indem sie verstärkt mit internationalen Regisseuren arbeitete und ihren Lebensmittelpunkt 1981 „der Liebe wegen“ nach Paris verlegte. 13 Jahre lang war Hanna Schygulla die Lebensgefährtin des Autors Jean- Claude Carrière. Nach den Filmen „Die Fälschung“ (1981) von *Volker Schlöndorff, „Die Flucht nach Varennes“ (1982) von Ettore Scola, „Passion“ (1982) von Jean-Luc Godard, „Antonieta“ (1982) von Carlos Saura, „Eine Liebe in Deutschland“ (1983) von Andrzej Wajda und „Heller Wahn“ (1983) von Margarethe von Trotta erhielt sie für ihre Rolle in „Storia di Piera“ von Marco Ferreri auf dem Festival de Cannes 1983 die Palme d’Or in der Kategorie beste Schauspielerin. Nachdem sie in den 1990er Jahren zunehmend weniger auf der Leinwand zu sehen gewesen war, bekam sie durch ihre Rolle in Fatih Akins „Auf der anderen Seite“ (2007) wieder eine größere Aufmerksamkeit als Schauspielerin. Auf der Berlinale 2010 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet. Seit den 1990er Jahren trat Hanna Schygulla auch als chansonnière in Erscheinung und gastierte auf deutschen und französischen Bühnen. Gemeinsam mit dem Film- und Theaterkomponisten Jean-Marie Sénia erarbeitete sie 1997 das musikalische Bühnenprogramm „Quel que soit le songe“, in dem sie Texte von *Fassbinder, Jean-Claude Seghers, Anna S 427 Carrière und später auch von Rimbaud, Baudelaire, *Heiner Müller, *Peter Handke und Thomas Bernhard als „Geflecht zweier Kulturen“ vortrug. Es folgten die Bühnenprogramme *„Brecht… hier und jetzt“ (2000/ 2001), „Elle! Louise Brooks“ (2000), „Par cœur“ (2008) und ihre musikalische Biographie „Aus meinem Leben“ (2009), die ihr vielfache Anerkennung einbrachten. 1999 wurde ihr gemeinsam mit der französischen Sängerin *Patricia Kaas, der *Prix de Gaulle-Adenauer für ihre Verdienste um den deutsch-französischen Kulturaustausch verliehen. Unter dem Titel „Wach auf und träume“ veröffentlichte Hanna Schygulla 1913 ihre Autobiografie. Wenige Monate später stellte sie in der Berliner Akademie der Künste zum ersten Mal ihre Kurzfilme - „Traumprotokolle“ - vor, die sie am Ende der Siebzigerjahre selbst produziert hatte, und zeigte sich damit als Künstlerin jenseits der bekannten Schauspielerin Hanna Schygulla. Lothar Schirmer (Hg.), „Du… Augen wie Sterne“ - Das Hanna Schygulla Album, München 2004; Thomas Elsaesser, Rainer Werner Fassbinder, Berlin 2001; Gabriele Presber, Die Kunst ist weiblich. Gespräche mit Hanna Schygulla, Helma Sanders-Brahms, Barbara Sukowa, Elfriede Jelinek, Karin Brandauer, Ingrid Caven u.a., München 1988, S. 10-35; Hanna Schygulla, Wach auf und träume. Die Autobiographie, München 2013. Silja Behre, Klaus-Peter Walter Seghers, Anna Netty Reiling (1900-1983), die unter dem Namen Anna Seghers als Schriftstellerin weltbekannt wurde, stammte aus einer bürgerlich-jüdischen Mainzer Familie. Die Tochter eines frankophilen Kunsthändlers unternahm bereits vor 1914 ihre erste Paris-Reise und lernte früh Französisch. Als Jugendliche erlebte sie die Besetzung ihrer Heimatstadt durch französische Truppen nach dem Waffenstillstand 1918. Zur prägenden Lektüre wurden ihr neben den französischen Klassikern besonders „Le Feu“ (1916) von Henri Barbusse. Während des Studiums in Heidelberg und Köln beschäftigte sie sich mit Kunstgeschichte und Sinologie, belegte aber auch Lehrveranstaltungen zur französischen Literatur und Sprache. Mit ihrem Ehemann Laszlo Radvanyi, einem ungarischen Emigranten und überzeugten Kommunisten, ging sie 1925 nach Berlin. 1928 wurde sie Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Für ihre Erzählung „Aufstand der Fischer von St. Barbara“ (1928) erhielt sie den Kleist-Preis. Erste Reisen führten die Schriftstellerin u.a. in die UdSSR. Nach der „Machtergreifung“ 1933 war Frankreich das rettende Exil über das sie 1947 rückblickend schrieb: „Ich habe gelernt dieses Land zu lieben und seine Menschen“. Bis 1940 lebte die Familie im Pariser Vorort Bellevue-Meudon. Ihre beiden Kinder absolvierten eine weitgehend französische Schullaufbahn und studierten nach Kriegsende in Paris. Ihre Erfahrungen mit dem französischen Alltag sowie interkulturelle Schwierigkeiten beschrieb sie 1938 für die Zeitschrift „Europe“ im Stil eines öffentlichen Tagebuchs: „Six jours, six années“. Im französischen Exil ging Anna Seghers wie ihre nur wenig jüngere Kollegin Simone de Beauvoir zum Schreiben gern in Cafés oder Hotelzimmer. Hier entstand u.a. das Hörspiel „Der Prozess der Jeanne d’Arc zu Rouen“ (1937). Darüber hinaus engagierte sie sich für die Neugründung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (1933) und beteiligte sich am Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur (1935) in Paris. Diese kulturpolitische Arbeit brachte die „Allemande de Bellevue“, wie Jean-Richard Bloch sie nannte, mit französischen Schriftstellern, darunter Aragon und Malraux, in Kontakt. Kollegiale Freundschaften verband sie später mit *Vercors, André Wurmser, Vladimir Pozner u.a. 1940 wurde ihr Mann im südfranzösischen Lager Le Vernet interniert. Ihr selber gelang mit ihren Kindern dank der Hilfe von Jeanne Stern, der späteren Übersetzerin einiger ihrer Werke, die Flucht in den unbesetzten Teil Frankreichs. Bevor die Familie 1941 mit einem Frachtschiff ins mexikanische Exil aufbrach, lebte sie mehrere Monate in Pamiers (Ariège), dann in Marseille. Ihr in Frankreich geschriebener, aber in Deutschland spielender antifaschistischer KZ-Roman „Das siebte Kreuz“, der sie zu einer Schriftstellerin von Weltrang machen sollte, erschien 1942 zuerst in englischer Übersetzung in den USA. Ihre Erfahrungen von Flucht und Exil verarbeitete sie in dem Roman „Transit“, dessen Handlungsort Marseille ist. Sie setzte darin die kafkaeske Situation der Emigranten bei ihrer verzweifelten Suche nach einem Zufluchtsort in Szene. Das Buch erschien 1944 zunächst in Spanisch, Englisch und Französisch. Shoah (Claude Lanzmann) 428 S Anna Seghers kehrte erst 1947 aus Mexiko nach Europa zurück. Während ihr Sohn Pierre Radvanyi in Frankreich eine dauerhafte Heimat fand, versuchte Anna Seghers anfangs ein Leben zwischen den Welten zu führen. Sie ließ sich in Ost-Berlin nieder, verbrachte jedoch mehrmals im Jahr einige Wochen in Paris und unternahm zahlreiche Reisen zu Kongressen der Friedensbewegung. Der Kalte Krieg und ihr Engagement für den Aufbau der DDR, wo sie von 1952 bis 1978 als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes amtierte, schränkten zunehmend ihre Bewegungsfreiheit ein, auch wenn sie bis zuletzt zu den privilegierten, weil international bekannten Persönlichkeiten gehörte. Ihren mexikanischen Pass musste sie abgeben; als Mitglied des Weltfriedensrates konnte sie einige Jahre nicht nach Frankreich einreisen. Anna Seghers, mehrfache Nationalpreisträgerin der DDR, ließ sich vereinnahmen als Aushängeschild einer Kulturpolitik, zu der sie sich oft kritisch aber immer loyal verhielt. Die französische Sprache war für sie in Briefen an Freunde gelegentlich ein Schutzraum um gefährliche oder besonders persönliche Überlegungen zu äußern. In einigen ihrer Erzählungen, die in der Nachkriegszeit entstanden, war Frankreich in vielschichtiger Form präsent als Exilstation, Sehnsuchtsort und Land der französischen Revolution. Ausdrücklich betraute sie den französischen Regisseur René Allio mit der Verfilmung von „Transit“ (1991). Ihre wichtigsten Werke wurden ins Französische übertragen, angefangen mit „La septième croix“ (Gallimard, 1947), „Transit“ (EFR, 1947) und „Les morts restent jeunes“ (Albin Michel, 1949). Zu ihrem Tod 1983 schrieb der Kritiker und Übersetzer Claude Prévost: „Fern von uns ist jemand von uns gegangen, der uns sehr nahe war“ (L’Humanité). Marie-Laure Canteloube, Anna Seghers et la France, Paris 2012; Pierre Radvanyi, Jenseits des Stroms. Erinnerungen an meine Mutter Anna Seghers, Berlin 2006; Christiane Zehl Romero, Anna Seghers. Eine Biographie (2 Bd.), Berlin 2000, 2003; Ines Trenkel, Erlebnis Frankreich. Direkterfahrung und künstlerische Darstellung Frankreichs im Schaffen der Autorin Anna Seghers, Zwickau 1991. Sandra Schmidt Shoah (Claude Lanzmann) Claude Lanzmann wurde 1925 als Enkel osteuropäischer jüdischer Emigranten in Paris geboren. Als junger Mann engagierte er sich in der Résistance; Ende der 1940er Jahre studierte er dann in Tübingen Philosophie. 1948-49 arbeitete er als Französisch-*Lektor an der frisch gegründeten FU Berlin. Als Journalist nahm er in den 1950er und 60er Jahren an der Seite von *Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir politisch Stellung zum Algerien- und Vietnamkrieg; er begann für „Les Temps modernes“ zu schreiben, deren Herausgeber er seit Beauvoirs Tod 1986 ist. Seit Anfang der 1970er Jahre arbeitete er als Regisseur. Seine bekannteste Arbeit ist der Film „Shoah“ (1985). Der Film wurde 1974 als Auftragsarbeit für den israelischen Staat begonnen und 1985, nach 11-jähriger Arbeit, fertiggestellt. Als Antipode zur amerikanischen Fernsehproduktion „Holocaust“ (1978) von Marvin J. Chomsky zeichnet sich „Shoah“ wesentlich durch Unterlassung aus: Im Bildmedium par excellence verzichtete Lanzmann explizit auf fiktive und dokumentarische Bilder des Vernichtungsgeschehens. Er problematisiert das Verstehen, indem er sich die knappe Bemerkung „Hier ist kein Warum“, die Primo Levi bei seiner Ankunft in Auschwitz entgegen geschleudert wurde, zur Vorschrift machte. Der Film zeigt die Orte der Vernichtung in der Abwesenheit sichtbarer Spuren sowie dem Schweigen abgerungene Worte und den Vergangenes ausagierenden Gesten der Zeugen (Opfer, Täter, bystanders ), die Lanzmann 30 Jahre nach der Befreiung der Lager interviewt hat. Die Schauplätze des Films, der zunächst „Le lieu et la parole“ heißen sollte, sind über den halben Erdball verstreut; sie reichen von den polnischen Vernichtungsstätten Chelmno, Treblinka, Sobibor, Auschwitz, Birkenau bis in die USA, die Schweiz, nach Israel, Griechenland, Österreich und Deutschland. Lanzmanns Reisen zu den Zeugen und Schauplätzen erscheinen im Kontext der vielen Einstellungen auf fahrende Züge wie eine Fortschreibung der Wege der Deportation. Der räumlichen Ausdehnung der Vernichtung entspricht dabei die als ständige Übersetzungsarbeit filmisch präsente Sprachvielfalt. Erst die scheinbar nebensächliche Details fokussierende und zugleich insistierende Fragestrategie Lanzmanns, die auf Einfühlung und Ankla- Sieburg, Friedrich S 429 ge gleichermaßen verzichtet, treibt die Zeugenaussagen hervor. Die Sprache der Opfer und die Sprache der Täter - das melodisch gebrochene Deutsch von Simon Srebnik, das Deutsche als Sprache der technischen Todesverwaltung eines Franz Suchomel - prallen dabei im Film unvermittelbar aufeinander. Im Frühjahr 1986 wurde „Shoah“ erstmals von den deutschen dritten Fernsehsendern ausgestrahlt: verteilt auf vier Abende - entgegen Lanzmanns ausdrücklichen Hinweis, dass dieser Film am Stück gesehen werden muss. Denn erst im Zuschauen als zeitlicher Erfahrung überträgt sich etwas von der Maßlosigkeit der Vernichtung, die in Worten nicht ausgedrückt werden kann. Angesichts von Steven Spielbergs Publikumserfolg „Schindlers Liste“ (1993) und im Zuge der Erinnerungsdebatten der 1990er Jahre in Deutschland wurde „Shoah“ als radikale Problematisierung von Fiktionalisierung, Repräsentation und Hermeneutik der Vernichtung rezipiert. Allerdings hat sich Lanzmanns Ansatz in der weitgreifenden Um- und Neugestaltung der Gedenkstätten an Krieg, Deportation und Vernichtung, die mit der Wiedervereinigung in Deutschland einsetzte, nur begrenzt durchgesetzt. Zuletzt ist sein apodiktisches, gleichsam religiöses Bilderverbot von namhaften Philosophen wie Jean-Luc Nancy, Jacques Rancière und Georges Didi-Huberman einer grundsätzlichen Kritik unterzogen worden. Die selbstgerechte Art Lanzmanns, die in seiner 2009 erschienenen, in Frankreich mehrfach ausgezeichneten Autobiographie „Le lièvre de Patagonie“ („Der patagonische Hase“, 2010) zum durchgängigen Stilprinzip wird, ist nicht nur auf Gegenliebe gestoßen. Sein Anspruch, den ultimativen Film über die Shoah gemacht zu haben, muss sich der Kritik stellen, entscheidende Aspekte der Vernichtung ausgeblendet zu haben, so z.B. die Invasion in die Sowjetunion, welche die Vernichtung wesentlich beschleunigt hat, sowie die Existenz anderer Opfergruppen. Nichtsdestoweniger sind die Kapitel, in denen Lanzmann seine Arbeit an „Shoah“ schildert - wie er die Opfer überzeugte, am Film mitzuwirken, wie er die Täter zur Kollaboration am Film überlistete - spannend zu lesen und zugleich eine wichtige Ergänzung zum Film. Dabei gilt bis heute: Wer „Shoah“ und nicht „Holocaust“ sagt, der bezieht sich, gewollt oder ungewollt, auf Lanzmanns Film, der maßgeblich zur Prägung dieses Namens im europäischen Kulturraum beigetragen hat. Stuart Liebman (Hg.), Claude Lanzmann’s Shoah. Key Essays, New York 2007; Shoshana Felman, Im Zeitalter der Zeugenschaft. Claude Lanzmanns Shoah, in: Ulrich Baer (Hg.), „Niemand zeugt für den Zeugen”, Frankfurt/ M. 2000. Judith Kasper Sieburg, Friedrich Der in Altena geborene Friedrich Sieburg (1893- 1964) war ein Frankreich-Autor, Publizist und Literaturkritiker, dessen Erfolg ebenso unbestreitbar ist wie sein politischer Opportunismus umstritten bleibt. Er trug wie kein anderer zur Formung der deutschen Frankreichsicht bei mit seinem Buch „Gott in Frankreich? “, das von 1929 bis in die Gegenwart immer wieder neu aufgelegt wurde (*Stereotype). Er entstammte einer westfälischen Kaufmannsfamilie und begann 1912 umfassende Studien der Geschichte, Nationalökonomie, Literatur und Philosophie in Münster, Paris, Rom und Heidelberg. Während des Ersten Weltkriegs als Offizier mehrfach verwundet, schloss er seine Studien 1920 mit einer literaturwissenschaftlichen Dissertation ab und veröffentlichte 1920 eine Sammlung expressionistischer Gedichte. Ab 1923 schrieb er in der linksrepublikanischen „Weltbühne“ und trat im selben Jahr seine Tätigkeit als Auslandskorrespondent an, die ihn ab 1926 im Auftrag der „Frankfurter Zeitung“ nach Paris führte. Er fasste seine Frankreich-Wahrnehmung in dem Essay-Band „Gott in Frankreich? “ zusammen, in dem er mit stilistischer Eleganz die Nachbarnation darstellte als rührend selbstverliebte Zivilisation, die sich vor der Modernität drückte und im Doppelsinne des Wortes „fertig“ war. Mit der Gegenüberstellung eines „statischen“ Frankreich und eines „dynamischen“ Deutschland gab er der antithetischen Wahrnehmungsweise, die in den deutschen Hochschulen der Weimarer Republik im Rahmen der Kulturkunde vertreten wurde, zusätzliches Beleg- und Anschauungsmaterial. Er kreierte damit ein Deutungsmuster, das im deutschen Bürgertum prägend wurde. Gegen Ende der 1920er Jahre Mitarbeiter an der neonationalistischen Kulturzeitschrift „Die Tat“, bekannte er, er sei „durch die unermüdliche Art, in der [er] sich an Frankreich maß , gleichsam immer deutscher geworden“. Das Resultat dieser Wandlung legte er vor in dem Band „Es Sobel, Bernard 430 S werde Deutschland“ (1933). In den 1930er Jahren die meiste Zeit als Publizist und privilegierter Vorsitzender der deutschen Gruppe der akkreditierten Journalisten des NS-Regimes tätig, wurde er von den deutschen Exilanten als ihr politischer Antipode angesehen. Er veröffentlichte weitere Ländermonographien (über Polen, Portugal und Japan) und trat 1940 in den Dienst des Auswärtigen Amtes ein. Von 1945 bis 1948 erhielt er von den alliierten Besatzungsmächten Publikationsverbot und veröffentlichte 1950 einen verklärenden Rückblick auf die Pariser Periode der 1930er Jahre („Unsere schönsten Jahre. Ein Leben in Paris“). 1954 erschien die erste Nachkriegsausgabe von „Gott in Frankreich? “ mit einer ausführlichen Rechtfertigung des Autors. Nachdem er seit 1949 Mitherausgeber der Wochenschrift „Die Gegenwart“ gewesen war, wurde er ab 1954 der Literaturkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er vertrat in der frühen Bundesrepublik als politischer Anhänger Adenauers eine konservative Grundposition, wurde zum Dauerkritiker der Gruppe 47 und beurteilte nach dem Urteil seiner Apologeten die französische Gegenwartsliteratur überwiegend positiv. Die These seiner Fürsprecher, er habe sich zuletzt gegen die „Literatur der Innerlichkeit“ und den politischen „Sonderweg“ Deutschlands entschieden und sich mit dem Habitus des „Zivilisationsliteraten“ identifiziert, wird von seinen Kritikern bis heute in Frage gestellt. Cecilia von Buddenbrock, Friedrich Sieburg (1893- 1964). Ein deutscher Journalist vor der Herausforderung eines Jahrhunderts, Frankfurt/ M. 2007; Tilman Krause, Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert, Berlin 1993; Margot Taureck, Friedrich Sieburg in Frankreich. Seine literarisch-publizistischen Stellungnahmen zwischen den Weltkriegen, Heidelberg 1987; Hans Manfred Bock, Tradition und Topik des populären Frankreich-Klischees in Deutschland von 1925 bis 1955, in: Francia 14 (1987), S. 475-508. Hans Manfred Bock Sobel, Bernard Der 1936 in Paris als Bernard Rothstein geborene Sobel ist nicht nur als einer der wichtigsten Theatermacher des französischen théâtre public , sondern auch als der „entscheidende Brückenkopf des deutschen Theaters in Frankreich“ (Georges Schlocker) zu bezeichnen. Der aus einer jüdischen Familie stammende Sobel entkam 1942 in Paris der Deportation und konnte von Freunden seiner verschleppten Eltern versteckt werden. In den 1950er Jahren begann er ein Germanistikstudium an der Sorbonne und kam mit dem Stipendium der kommunistischen Studentenvereinigung Union des étudiants communistes nach Ost-Berlin, wo er zufällig das *Berliner Ensemble (BE) entdeckte, das lange Zeit das für ihn maßgebliche künstlerische Vorbild darstellte. Die DDR wurde für den überzeugten Kommunisten gewissermaßen zur zweiten Heimat. Von 1957 bis 1960 arbeitete er am *BE und debütierte dort schließlich als Regisseur auf der Studiobühne mit *Bertolt Brechts „Die Ausnahme und die Regel“ - ein Stück, das er in den 1960er Jahren in Frankreich dann ein zweites Mal inszenierte. 1961 wurde Sobel nach eigenen Angaben von Helene Weigel nach Paris zurückgeschickt, um Jean Vilar bei der französischen Erstaufführung des „Unaufhaltbaren Aufstiegs des Arturo Ui“ von *Brecht am Théâtre national populaire (TNP) zu assistieren. Vilar, der bereits 1951 „Mutter Courage“ inszeniert hatte, interessierte sich lebhaft für *Brechts dramatisches Werk, stand seiner Theorie des Epischen Theaters jedoch äußerst kritisch gegenüber. Sobel, der, ebenso wie *Benno Besson, aufgrund seiner Mitarbeit am BE als „Eingeweihter“ galt, sollte für eine formgerechte Inszenierung sorgen. 1962 übernahm Sobel die Kodirektion des Théâtre Gérard Philipe in Saint-Denis und gründete ein Jahr später in Gennevilliers, einer im Nordwesten von Paris gelegenen Arbeitervorstadt, (zunächst mit Laienschauspielern) seine eigene Compagnie das Ensemble théâtral de Gennevilliers (ETG), das er bis Januar 2007 leitete. Sobels fast gegenüber dem *Institut d’allemand d’Asnières der Sorbonne Nouvelle gelegene Theater zeichnete sich durch einen ausgesprochen „deutschen“ Spielplan aus und leistete echte Pionierarbeit. Zahlreiche Stücke (zeitgenössischer und klassischer) deutschsprachiger Autoren wurden hier zum ersten Mal aufgeführt: So inszenierte Sobel u.a. als erster französischer Regisseur in der Spielzeit 1969/ 70 mit „Philoktet“ ein Stück *Heiner Müllers sowie in den 1980er und 90er Jahren verschiedene Stücke von Christian Dietrich Grabbe. Das ETG war eines der ersten Theater, das in den 1970er Jahren ein Stück von Ödön von Horváth auf den Spielplan setzte: „Glaube, Liebe, Hoffnung“ unter der Regie von Yvon Davis, der 1981/ 82 hier Soziologie S 431 ebenfalls die erste französische Inszenierung eines Stückes von Thomas Bernhard zeichnete. Auch wenn Sobel das Bild des *Brecht-Jüngers, das ihn seit seiner Zeit am *Berliner Ensemble verfolgte, scharf zurückweist, ist dessen Einfluss auf Sobels künstlerische Arbeit und seine Meinung über die politische Funktion des Theaters deutlich spürbar. Unter seinen zahlreichen *Brecht-Inszenierungen ist unter anderem die französische Erstaufführung der „Rundköpfe und Spitzköpfe“ (1972/ 73) und das „Fatzer“-Fragment (1981/ 82) hervorzuheben. Auch DDR-Autoren wie Volker Braun und Christoph Hein, die trotz des großen Einflusses der Kommunistischen Partei (PCF) auf das kulturelle Feld in Frankreich eher selten gespielt wurden, waren in Gennevilliers zu sehen. Während Bernard Sobel abgesehen von einigen vielbeachteten Gastspielen in Deutschland - so beispielsweise Euripides „Hekuba“ in Berlin mit Maria Casarès in der Hauptrolle - eher unbekannt geblieben ist, nahm er über seine Schüler nachhaltigen Einfluss auf das französische Theaterfeld. Neben *Patrice Chéreau sind hier vor allem Bruno Bayen und *Stéphane Braunschweig zu nennen, die sein Interesse für das deutsche Theater weitgehend teilen und fortgeführt haben. Gleichermaßen trug zu seiner Bedeutung auch die 1974 von ihm mitbegründete und bis 2007 am Theater in Gennevilliers ansässige Theaterzeitschrift „théâtre/ public“ bei, die sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur zu einem wahren Archiv des öffentlichen Theatersektors, sondern auch der deutschen Dramatik in Frankreich entwickelt hat. 2008 wurde Bernard Sobel die Goethe-Medaille für seine herausragenden Vermittlungsleistungen verliehen. Manfred Brauneck, Gérard Schneilin (Hg.), Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek bei Hamburg 1986; Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Colette Godard, Francesca Spinazzi, Theaterwege. De l’Allemagne à la France. Von Frankreich nach Deutschland, Berlin 1996. Nicole Colin Soziologie Rezeption, Aneignung und Austausch zwischen der deutschen und französischen Soziologie stellen sich als heterogener, einerseits von intensiver Diskussion, andererseits aber auch von Desinteresse, Kontingenz und Asymmetrie geprägter Prozess dar. Die Heterogenität dieses Prozesses hat mehrere Ursachen, die sich teilweise überschneiden und in ihren Wirkungen wechselseitig verstärken. Unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen, politische Zyklen, Transformationen des wissenschaftlichen Feldes, aber auch die Leistungen einzelner soziologischer Akteure haben in der einen oder anderen Weise beeinflusst, in welche Richtung sich die transnationalen Beziehungen des Faches bewegten und welche Formen sie annahmen. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich die Soziologie als Einzelwissenschaft aus Philosophie, *Geschichtswissenschaft, Nationalökonomie und Völkerkunde auszudifferenzieren begann, lässt sich eine bemerkenswerte Offenheit in beide Richtungen, insbesondere aber von französischer Seite her, beobachten. Mehrere Vertreter der Gründergeneration wie Émile Durkheim, Célestin Bouglé und Maurice Halbwachs reisten nach Deutschland, um sich dort mit dem sozialwissenschaftlichen Forschungsstand vertraut zu machen, der im Vergleich zum Heimatland als weiter fortgeschritten galt. Allerdings ist es bis heute ein Rätsel geblieben, warum Max Weber und Émile Durkheim, die ja nicht nur der nationalen Wissenschaftslandschaft nachhaltig Konturen verliehen, sondern auch international eine überragende Rolle für die Konstituierung der Soziologie als eigenständiger Disziplin spielten, sich wechselseitig demonstrativ nicht zur Kenntnis nahmen. Nach 1918 entwickelte sich die Soziologie beider Länder weitgehend separat. Während in Frankreich die Durkheim-Schule unter Führung von Marcel Mauss ihre hegemoniale Stellung auf dem Feld der Sozialwissenschaften ausbaute und erfolgreich eine empirische Ausrichtung vertrat, dominierte in Deutschland eine von geisteswissenschaftlichen, sozialphilosophischen und formalwissenschaftlichen Subtexten unterfütterte Soziologie (Ferdinand Tönnies, Franz Oppenheimer, Leopold von Wiese, Hans Freyer), innerhalb derer die Frankfurter Schule mit ihrer Verknüpfung von Sozialphilosophie und empirischer Forschung eine Sonderstellung einnahm. Die offensichtliche Indifferenz, mit der die soziologischen Akteure in der Zwischenkriegszeit der Entwicklung des Faches im jeweiligen Nachbarland begegneten, und die ohnehin schon vorhandene geistige Distanz, die sich durch den Versailler Soziologie 432 S Vertrag und seine Folgen zusätzlich verfestigt hatte, wurden jedoch in einem Fall eindrucksvoll durchbrochen. Mit „La sociologie allemande contemporaine“ (1935, 1938) setzte sich *Raymond Aron über die trennenden Mauern der Entfremdung hinweg und vermittelte einem aufgeschlossenen Fachpublikum ein kompetentes und wissenschaftlich empathisches Bild der deutschen Soziologie. Deren wesentliche Differenzen zur französischen sah er sowohl in der Polarität von „Kultur“ und „Zivilisation“ bzw. Gesellschaft, von Fortschrittsskepsis und Modernisierungsbejahung als auch methodologisch in einer ideographisch-„verstehenden“ Orientierung der deutschen und einer dem Paradigma der Naturwissenschaften folgenden „positivistischen“ Orientierung der französischen Soziologie. Neben *Aron engagierten sich vor allem Gottfried Salomon-Delatour auf deutscher und Maurice Halbwachs auf französischer Seite dafür, die Verbindung zwischen den Sozialwissenschaften beider Länder nicht abreißen zu lassen. Die NS-Diktatur, der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besetzung Frankreichs eliminierten die ohnehin schwachen soziologischen Bindungen zwischen beiden Ländern nahezu vollständig, ehe sich dann nach 1945 die Möglichkeiten des transnationalen Austausches in der Soziologie grundlegend veränderten. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich übte die am amerikanischen Vorbild geschulte empirische Sozialforschung einen erheblichen Einfluss aus, was dazu beitrug, dass sich die Entwicklung des Faches in beiden Ländern objektiv in einigen Punkten annäherte. Probleme der „Massengesellschaft“ und industriellen Modernisierung, der Rationalisierung der Arbeit und der Bürokratisierung traten hier wie dort stärker in den Vordergrund des soziologischen Blickfeldes. Der nun verstärkt einsetzende Transfer wies jedoch ein eindeutiges Gefälle von der französischen zur deutschen Soziologie auf, die sich, nicht zuletzt bedingt durch die vom Nationalsozialismus betriebene Abkoppelung vom internationalen Soziologiediskurs, vor allem in einer Situation des Nehmens und Rezipierens befand. Das lässt sich am Beispiel der Arbeits- und Industriesoziologie zeigen, von der zwischen den 1950er und 1970er Jahren wichtige Impulse für die deutsche Forschung ausgingen und die darüber hinaus in zivilgesellschaftlichen Organisationen wie den westdeutschen Gewerkschaften auf Resonanz stieß. Namentlich die Untersuchungen von Alain Touraine, Michel Crozier, Pierre Naville und Serge Mallet fanden Eingang in den industrie- und organisationssoziologischen deutschen Diskurs, was sich in zahlreichen, teilweise marxistisch beeinflussten Publikationen über „Arbeiterbewusstsein“, eine „neue Arbeiterklasse“ und die technische Intelligenz niederschlug. Besaß die französische Arbeits- und Industriesoziologie von 1950 bis Ende der 1970er Jahre ein hohes Prestige, so blieb die klassische Theorietradition der französischen Soziologie in der Bundesrepublik auffällig unterbelichtet. Eine produktive Auseinandersetzung mit Durkheims Werk und dessen epistemologischen Prämissen wurde sowohl durch das wirkmächtige Pauschalverdikt gegen alles, was seinerzeit als positivistisch galt, im Allgemeinen und ein gegen Durkheim gerichtetes Pamphlet von Theodor W. Adorno im Besonderen erheblich blockiert. Es war in der Fachprominenz nur René König, der den Vorurteilen gegen Durkheim Widerstand entgegensetzte und dessen epochalen Leistungen unbeirrt, sachkundig und differenziert den ihnen gebührenden Stellenwert einräumte. Fanden Durkheim und die Durkheim-Schule in der westdeutschen Soziologie, von der Marginalisierung durch die „marxistisch-leninistische Soziologie“ in der DDR ganz zu schweigen, nach 1945 lange Zeit kaum Anklang, so wurde in Frankreich die Beschäftigung mit den theoretischen Paradigmen der deutschen soziologischen Theorie, insbesondere mit Max Weber nie ganz unterbrochen. Während der letzten beiden Dekaden stoßen Klassiker wie Max Weber, Georg Simmel, Alfred Schütz, Theodor W. Adorno und Norbert Elias sogar deutlich spürbar auf ein neues Aneignungsbedürfnis. Nachdem *Raymond Aron schon vor dem Zweiten Weltkrieg das Werk von Max Weber in Frankreich bekannt gemacht hatte, setzte seit den 1960er Jahren - also seit der Periode, in der sich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die Soziologie als universitäre Disziplin breit ausdifferenzierte, institutionalisierte und professionalisierte - in der französischen Fachöffentlichkeit eine ebenso lebhafte wie kontroverse Auseinandersetzung mit dem Werk Webers ein. Während Michel Crozier den Bürokratisierungsaspekt in den Mittelpunkt stellte und Spies, Werner S 433 Raymond Boudon als führender Vertreter des modernen methodologischen Individualismus den Gedanken der Rationalität sozialen Handelns fokussierte, richtete Alain Touraine seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das Problem einer die Identität des Subjekts bedrohenden gesellschaftlichen Rationalisierung. *Pierre Bourdieu ließ sich insbesondere durch die von Weber analysierten Zusammenhänge zwischen ökonomischer und sozial-symbolischer Logik anregen; so etwa in seinen Studien über die Soziologie der symbolischen Formen, die Grundlagen einer Theorie des sozialen Sinns oder über das religiöse Feld. Bei allem aktuellen Interesse in der französischen Soziologie für Jürgen Habermas und Niklas Luhmann, besteht ein gewisses Gefälle im transnationalen Austausch fort. Die Präsenz der französischen Soziologie im deutschen Fachdiskurs ist noch immer ungleich größer als umgekehrt, obwohl die Differenz während der letzten zwei Jahrzehnte vielleicht weniger schroff erscheint. Neben den sprachlichen Barrieren, einer relativ geschlossenen französischen Wissenschaftskultur sowie einer offensichtlich größeren gesellschaftlichen Problemnähe und Aktualität der französischen Soziologie sind es auch kontextunabhängige Faktoren, welche die nach wie vor existierenden Ungleichgewichte in den Beziehungen zwischen den Soziologien beider Länder miterklären können. Große Wirkung innerhalb der deutschen Soziologie entwickelte die Person und das Werk von *Pierre Bourdieu, dessen Einflüsse komplex sind und von persönlichen Kooperationen über theoretisch vergleichende Studien zu *Bourdieu und Luhmann bis zu empirischen Untersuchungen beispielsweise über soziale Prekarität, soziale Milieus und Elitenbildung reichen. Dabei fällt auf, dass in dem Maße wie reale gesellschaftliche Ungleichheiten und soziale Exklusion in beiden Ländern zunehmen, die sozialkritische Dimension offenkundig an Bedeutung gewinnt. Das gilt ähnlich für die beachtliche Resonanz, welche die Untersuchungen von Robert Castel über Prekarität und Exklusion, namentlich der „Metamorphosen der sozialen Frage“, die Armutsforschung von Serge Paugam und neuerdings die ebenfalls breit angelegte Studie von Luc Boltanski und Ève Chiapello über den nouvel esprit des Kapitalismus in Deutschland hervorgerufen haben. In umgekehrter Richtung lässt sich eine vergleichbare Komplexität, Verarbeitung und Würdigung aktueller deutscher Soziologieproduktionen nicht ausmachen, obwohl es auf der institutionellen Mikroebene, bei einzelnen Projekten, Workshops usw. zahlreiche Kontakte, Kooperationen und Interaktionen gibt. So fehlen nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich noch immer Gesamtdarstellungen zur deutschen Soziologie, wohingegen in Deutschland nach 1945 immerhin mehrere, teilweise umfassende Einführungen, Überblickstexte und Sammelbände über Geschichte, Strömungen, institutionelle Struktur und inhaltliche Schwerpunkte der französischen Soziologie veröffentlicht wurden. Aber selbst da, wo die deutsche Soziologie auf bestimmten Gebieten - wie dem der Umweltsoziologie - einen Vorsprung aufweist, wurden entsprechende Defizite in Frankreich nur zögernd zur Kenntnis genommen, wobei die Gründe dafür nicht nur in innerwissenschaftlichen Hindernissen, sondern auch in einem lange Zeit geringeren öffentlichen Problembewusstsein hinsichtlich ökologischer Bedrohungen und Umweltschäden liegen dürften. Das lässt sich an der erst sehr spät einsetzenden Wahrnehmung des ein internationales Echo auslösenden Buches „Die Risikogesellschaft“ von Ulrich Beck (dt. 1986, frz. 2001) verdeutlichen. Angesichts des weiterhin bescheidenen Ausmaßes der Beziehungen wäre es wünschenswert, den transnationalen Austausch wie z.B. zwischen den *Historikern dauerhaft zu institutionalisieren. Raymond Aron, Die deutsche Soziologie der Gegenwart. Systematische Einführung in das soziologische Denken, Stuttgart 1969; Stephan Moebius, Lothar Peter (Hg.), Französische Soziologie der Gegenwart, Konstanz 2004; Laurent Mucchielli, La découverte du social. Naissance de la sociologie en France (1970-1914), Paris 1998; Michael Pollak, Gesellschaft und Soziologie in Frankreich. Tradition und Wandel in der neueren französischen Soziologie, Königstein/ Taunus 1978; Frédéric Vandenberghe, Une histoire critique de la sociologie allemande, Bd. 1 und 2, Paris 1997/ 98. Lothar Peter Spies, Werner Der 1937 in Tübingen geborene Kunsthistoriker, Ausstellungskurator, Journalist und Museumsdirektor Werner Spies kann als der bedeutendste deutsch-französische Mittler im Bereich der Spies, Werner 434 S bildenden Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet werden. Aufgewachsen in Süddeutschland hatte Spies bereits früh durch die französischen Besatzer Bekanntschaft mit Frankreich gemacht und Französisch war seine erste moderne Fremdsprache in der Schule. Seine frühen Karierreschritte wurden von seiner Liebe zur Literatur und zum Schreiben bestimmt. Nach dem Abitur arbeitete Spies zunächst für den „Schwarzwälder Volksfreund“ sowie die „Stuttgarter Zeitung“ und absolvierte ein Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und *Romanistik in Tübingen und Wien. Nach einem Volontariat in der Hörspielabteilung des Süddeutschen Rundfunks (SDR) begann er französische Avantgardeschriftsteller - insbesondere aus dem Umfeld des Nouveau roman - als Autoren an den SDR zu vermitteln, darunter Alain Robbe-Grillet, *Samuel Beckett, Nathalie Sarraute, Claude Simon, Michel Butor, Claude Ollier, Robert Pinget, Marguerite Duras, Francis Ponge und Jean Tardieu. Für diese Schriftsteller, von denen viele nicht vom Verkauf ihrer Werke allein leben konnten, stellte die Arbeit für den deutschen Rundfunk ein willkommenes Zubrot dar. *Samuel Beckett und Nathalie Sarraute verfassten für Spies ihr erstes pièce radiophonique , ein in Frankreich (anders als in Deutschland) recht unbekanntes Genre (*Hörfunk). Renommierte Übersetzer wie Helmut und Gerda Scheffel und Spies übertrugen die Texte. Darüber hinaus vermittelte Spies *Beckett und Duras auch an das deutsche Fernsehen: Als legendär gilt die Fernsehaufzeichnung von *Becketts „Hey Joe“ auf Deutsch, an der Spies selber mitwirkte. 1960 ließ sich Spies in Paris nieder und arbeitete hier ab 1964 als Korrespondent für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Dort veröffentlichte er im Laufe der Jahrzehnte unzählige Artikel, Kritiken und Essays, die gemeinsam mit anderen Schriften die Grundlage seines rund 200 Titel umfassenden Werkes bilden: Als einer der ganz wenigen lebenden Autoren kann Werner Spies sowohl auf eine französische Gesamtausgabe bei Gallimard als auch die 10-bändige Ausgabe seiner Publikationen auf Deutsch „Auge und Wort“ im Verlag University Press Berlin blicken. Die Begegnungen mit Pablo Picasso und Max Ernst Mitte der 1960er Jahre stellten dann die Weichen seiner weiteren Karriere in Richtung bildende Kunst: Unter anderem war er Mitglied in der Jury der documenta 4 (1968); er war Kommissar der großen Max Ernst- Ausstellung im Grand Palais in Paris 1975 und kuratierte 1978 die epochale Ausstellung *Paris- Berlin 1900-1933 - die, wie der Ministre de la culture Renaud Donnedieu de Vabres es 2005 formulierte, als er Spies 2005 zum Commandeur de l’ordre national du mérite ernannte, einen „impact considérable“ für die Wahrnehmung der deutschen Kunst in Frankreich besaß. Spies promovierte über die Collagen von Max Ernst an der Universität Bonn und wurde 1975 als Professor für die Kunst des 20. Jahrhunderts an die Kunstakademie in Düsseldorf berufen. Den Höhepunkt seiner Karriere stellte zweifellos seine Ernennung zum Direktor des Musée national d’art moderne im Centre Georges Pompidou in Paris dar, das er von 1997-2000 leitete. Hier erregte er unter anderem durch die konzeptuelle Neuordnung der Dauerausstellung Aufmerksamkeit. Spies ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, des Pen-Clubs sowie der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Unter den zahlreichen Auszeichnungen, die er erhielt, seien das Große Bundesverdienstkreuz (1999), die Goethe- Medaille (2001), die Ehrendoktorwürde der FU Berlin (2003) sowie der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen (2005), der Elsie-Kühn- Leitz-Preis der *Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften (2003), das Große Verdienstkreuz mit Stern (2009) sowie der Carlo-Schmid- Preis (2010) erwähnt. Im Blick auf seine deutschfranzösische Biographie erscheint erstaunlich, dass Spies nie den Wunsch verspürt hat, die französische Staatbürgerschaft anzunehmen. Obwohl sich sein Lebensmittelpunkt seit den frühen 1960er Jahren in Paris befindet, wäre es ihm jedoch, wie er einmal in einem Interview bemerkte, merkwürdig vorgekommen, seine deutsche und schwäbische Identität aufzugeben. Diese gründe sich nicht zuletzt auf dem Bewusstsein über die Schrecken, welche die Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitet haben, ein Bewusstsein, das sich in den letzten Jahrzehnten noch verstärkt habe: So erscheint ihm sein deutsches Erbe heute sogar schwerer zu ertragen und belastender als in seiner Jugend. Ohne sich dies explizit zur Aufgabe gemacht zu haben, hat Spies mit seiner Arbeit wesentlich zum Annäherungs- und Versöhnungsprozess der Deutschen und Franzosen beigetragen, insbesondere indem er gegen die wechselseitige Nicht-Wahrnehmung gearbeitet sowie enge Netzwerke zwischen der Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen S 435 deutschen und der französischen Kunst- und Literaturszene geknüpft hat. 2012 erschien seine Autobiographie „Mein Glück“, in der er sich auch kurz zu dem Skandal äußert, die ihn wissenschaftlich in Verrufgebracht hatte. So war Spies zur Rückzahlung der erhaltenen Provisionen in sechsstelliger Höhe verurteilt worden, weil er 2008 die Echtheit mehrere Max-Ernst-Fälschungen bestätigt hatte. Langfristig betrachtet hat die Affäre seinem Renommee aber nur bedingt Abbruch getan. Immerhin erhielt er den Auftrag für das Musée d’Orsay 2014 die Ausstellung „Les Archives du rêve“ zu kuratieren, in deren Katalog viele bekannte deutsche und französische Intellektuelle und Künstler Begleittexte verfasst haben. Werner Spies, Zwischen Oberammergau und Guillotine, Berlin 2011. Nicole Colin, Joachim Umlauf Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen Wenn wir die deutsche und die französische Politik der Sprachenverbreitung vergleichen, können wir feststellen: Es gibt eine französische Sprachenpolitik und eine Sprachenpolitik für die französische Sprache, aber kaum eine deutsche Sprachenpolitik und nur vereinzelt eine dezente Sprachenpolitik für das Deutsche. Die politischen und gesellschaftlichen Felder, auf die sich die französische Sprachenpolitik erstreckt, sind von spezifischer Art; sie befasst sich mit der Wahrung der französischen Sprache als kulturelles und politisches patrimoine , mit dem Status des Französischen innerhalb der Frankophonie, mit der Verteidigung des Französischen gegen die wachsende Bedeutung des Englischen, mit der Bewahrung des Französischen im internationalen Diskurs. Wissenschaft und Politik thematisieren diese Diskussionsfelder permanent und öffentlich. Laut einer Umfrage des ISAMA- Instituts (2010) ist die französische Sprache ein Instrument, das Frankreich (91 %), den französischen Hochschulen (83 %) und den französischen Unternehmen (66 %) Ausstrahlung verleiht, eine Formulierung, die man von deutschen Sprachenpolitikern kaum hören würde. In Frankreich lässt sich von „Sprachpolitik“ sprechen, in dem Sinne, dass das Französische im Zentrum des Interesses steht, für Deutschland ansatzweise eher von „Sprachenpolitik“, in dem Sinne, dass eine gesellschaftliche Mehr- oder Vielsprachigkeit ( plurilinguisme ) durch Förderung individueller Mehrsprachigkeit ( plurilingualité ) im Vordergrund der wissenschaftlich-bildungspolitischen Bemühungen steht. Im Unterschied zu dem in Frankreich weit verbreiteten öffentlichen Interesse an der Rolle des Französischen in der Welt findet man in Deutschland eher nach innen gerichtete Initiativen, die sich z.B. auf die Integration nicht-deutscher Muttersprachler beziehen. Initiativen zur Förderung des Deutschen „draußen“ bleiben eher auf die einschlägigen Einrichtungen oder Experten beschränkt, wie z.B. die Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache oder die Erstellung von Argumentarien für das Erlernen des Deutschen. Bemühungen, die große Öffentlichkeit anzusprechen, bleiben eher vereinzelt, wie z.B. die Förderung der Motivation für das Erlernen des Deutschen durch Verknüpfung mit „Events“ wie der Fußballweltmeisterschaft 2010 oder dem „Wort des Jahres“. Sprachenpolitisches Eintreten für das Deutsche ist in Deutschland durchweg im Zusammenhang mit den furchtbaren Ereignissen des 20. Jahrhunderts zu sehen, während die Initiativen für das Französische in Frankreich eng mit der Tatsache verknüpft sind, dass die einst große internationale Bedeutung des Französischen seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer weiter geschrumpft ist und die Diskussion um den zukünftigen Status des Französischen auf die Auseinandersetzung mit der Rolle des Englischen in der globalen Gesellschaft konzentriert ist, wie der bekannte Linguist und Sprachenpolitiker Claude Hagège es in seinen zahlreichen Veröffentlichungen belegt. Dieser Unterschied ist so markant, dass eine gemeinsame deutsch-französische Sprachenpolitik kaum erkennbar ist, obwohl es eine sprachenpolitische Kooperation in vielen Bereichen, gibt. Unterstützung hat die Förderung der Partnersprache durch das im November 2004 verabschiedete „Strategiepapier“ erfahren, den „Plan de relance de l’allemand en France et du français en Allemagne“. Die anfängliche (und inzwischen wegen des Englischen zurückgehende) Bedeutung des Französischen in der Europäischen Gemeinschaft lässt sich u.a. an der Lokalisierung der wichtigsten zentralen europäischen Institutionen in frankophonen oder partiell-frankophonen Städten (Brüssel, Straßburg, Luxemburg) ablesen und teilweise darauf zurückführen, dass drei von den sechs Mitgliedsländern Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen 436 S der Gemeinschaften (teilweise) französischsprachig waren (Frankreich, Belgien, Luxemburg). Neben der teilweise vehementen Abwehr des Englischen richtet sich die französische Sprachenpolitik in Europa auch auf eine Solidarisierung mit den Vertretern anderer Länder und Sprachen im Sinne der Mehrsprachigkeit. Angesichts des weltweiten Zulaufs zum Englischen scheint deren Förderung als sprachenpolitisches Ziel dem Französischen wie dem Deutschen eine Überlebenschance zu sichern. Dabei steht von deutschsprachiger Seite das eher didaktisch-methodisch begründete Bemühen um „Deutsch mit Englisch“ oder „Deutsch nach Englisch“ (statt „Deutsch gegen Englisch“) im Vordergrund, während in Frankreich die konzeptionelle Entwicklung von der (monolingual orientierten) Förderung des Französischen zur Förderung des Französischen als Teil einer Mehrsprachigkeit diskutiert wird und z.B. an den Veröffentlichungen der Délégation générale à la langue française et aux langues de France verfolgt werden kann. Versuche aus Deutschland, der deutschen Sprache einen angemessenen Platz zu verschaffen, finden in der Öffentlichkeit wenig Gehör, weil letztlich - trotz der Regelung der EU, drei Arbeitssprachen vorzusehen - das Englische die Kommunikation dominiert. Außerdem stehen dem Prinzip, dass alle offiziellen Sprachen in der EU gleiches Recht auf angemessene Berücksichtigung haben sollen, Probleme der notwendigen Ressourcen entgegen. Hervorzuheben sind die Bemühungen des *Goethe-Instituts, des *Deutschen Akademischen Austauschdienstes, des Pädagogischen Austauschdienstes, der *Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen sowie ihrer französischen Partnereinrichtungen, sich für sprachenpolitische Initiativen einzusetzen. Wie folgenreich für die Bundesrepublik der defizitäre Auf- und Ausbau einer Sprachenpolitik und einer sprachenpolitischen Öffentlichkeitsarbeit sein können, zeigte sich an der kaum verständlichen, zögerlichen Unterstützung für die Gründung und anfängliche Förderung des European Center for Modern Languages (ECML)/ Centre européen pour les langues vivantes (CELV) des Europarats. Sprachenpolitik „nach innen“ hat zwei Schwerpunkte: In beiden Ländern befassen sich ausgedehnte sozio- und bildungspolitische Diskussionen mit dem Verhältnis der „Standardsprachen“ Deutsch bzw. Französisch zu den Herkunftssprachen der Asylanten, Migranten und deren Nachkommen. Ob die französische Sprachenpolitik für diesen Bereich sich wirklich einer multilingualen und multikulturellen Vielfalt öffnet, bleibt abzuwarten. Dass die Vermittlung von Sprache stets auch eine Vermittlung kultureller und interkultureller Inhalte bedeutet, ist allseitig Konsens, was aber, abgesehen vom Sprachunterricht für Mitbürger mit Migrationshintergrund, noch nichts über die Realität des Unterrichts aussagen muss. Sprachenpolitik „nach innen“, die sich auf die institutionelle Vermittlung der Sprachen (Schulsprachen) bezieht, steht in Frankreich und in Deutschland vor vergleichbaren Problemen. Für beide Sprachen muss nachhaltig geworben werden; *Goethe-Institut und *DAAD haben Argumente für das Erlernen des Deutschen zusammengestellt, für Französisch gibt es entsprechende Veröffentlichungen insbesondere der *Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer. Die Sprachen gelten als schwer, sie müssen ihren Wert für die berufliche Karriere nachweisen; Veränderungen der bildungspolitischen Werteskalen sind unverkennbar. Verlagerungen der Lernkapazitäten und Motivationsschwerpunkte auf andere Lebensbereiche tragen zu den Aufgaben bei, denen sich die Sprachenpolitik und deren Verwirklichung gegenüber sehen. Wenn also auch deutliche Unterschiede zwischen französischer und deutscher Sprachenpolitik bestehen, so gibt es angesichts vergleichbarer Problemstellungen in der Praxis doch eine fruchtbare Zusammenarbeit. So arbeiten Experten aus beiden Ländern in den entsprechenden Gremien des Europarats (z.B. in der Division des politiques linguistiques in Straßburg) zusammen, bei der Entwicklung eines Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und des Europäischen Sprachenportfolio oder bei der Erarbeitung des Handbuchs für die Mehrsprachigkeit „De la diversité linguistique à l’éducation plurilingue. Guide pour l’élaboration des politiques linguistiques éducatives en Europe“ (2007). Es gibt binationale Vereinbarungen zur Förderung der Nachbarsprachen, binationale integrierte Studiengänge, binationale Institutionen wie das *Deutsch-Französische Jugendwerk oder die *Deutsch-Französische Hochschule. Bedeutung kommt auch den *deutsch-französischen Gymnasien in Buc, Freiburg i.B. und Saarbrücken zu, ebenso den Assistenten-Austauschprogrammen Städtepartnerschaften S 437 und den deutsch-französischen Stipendienprogrammen für Schüler. Die zahlreichen und vielfältigen deutsch-französischen Austausch- und Begegnungsprogramme gehören zu der Erfolgsgeschichte des *DFJW und der (multinationalen) EU-Programme wie Erasmus, Comenius, Socrates, Lingua usw. Ein herausragendes Beispiel ist - praktisch wie symbolisch - die Schaffung des *AbiBac, das sehr erfolgreich für das Erlernen der Nachbarsprache motiviert. Man darf gespannt sein auf den Erfolg der classes bilangues in Frankreich (nicht zu verwechseln mit den classes bilingues ) und auf die Ergebnisse der Intercomprehensions-Projekts EuroComRom zur Optimierung der Lernmotivation und Lernergebnisse. Eine wichtige Funktion für die Förderung der Partnersprachen kommt ferner den Verbänden zu; zu nennen sind vor allem die *ADEAF (Association de développement de l’enseignement de l’allemand en France), die Association LEHRER, in Deutschland die *Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF)) mit ihren jeweiligen Veröffentlichungen. Im Rahmen des lebenslangen Lernens gibt es ein umfangreiches Fremdsprachenangebot in den Einrichtungen der öffentlich geförderten und der privaten Erwachsenenbildung sowie in den Kulturinstituten. Die Konkurrenz durch das Spanische, besonders in Deutschland, ist ein Problem, das sich dem Erwerb der Partnersprachen entgegenstellt. Ausbaufähig ist die Vermittlung der Partnersprachen im beruflichen Schulwesen. Es ist nur natürlich, dass die deutsche und die französische Sprachenpolitik voneinander lernen können. Von besonderem Interesse wäre es, die unterschiedlichen Lern- und Lehrkulturen daraufhin zu analysieren, was man jeweils von der Partnerkultur übernehmen könnte. Die jeweils aktuelle Situation des Erwerbs der Partnersprache kann man u.a. unter folgenden Adressen abrufen: www. france-allemagne.fr (Forderung-der-Partnersprache); Netzwerk Deutsch: Statistische Erhebungen, S. 6; (www.goethe.de); Eurostat: ec.europa.eu/ index_en.htm; Bildungsserver: (www.bildungs server.de); Europäische Kommission (eacea.ec. europa.eu); der Frankreich-Blog (www.franceblog.info); INSEE - Institut national de la statistique (www. insee.fr/ ); Eurobarometer: (c.europa.eu/ public_opinion/ ). Albert Raasch, Gérald Schlemminger (Hg.), Régions transfrontalières. Langues des voisins et l’Europe. Berlin 2014. Albert Raasch Städtepartnerschaften Die Städtepartnerschaften sind eine Erfindung der Nachkriegszeit und ein Symbol der Demokratisierung der transnationalen Beziehungen. An ihnen lässt sich die Rolle der Zivilgesellschaften bei der mentalen Demobilisierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgen. Während die Städtepartnerschaften bis in die 1970er Jahre hinein hauptsächlich ein deutsch-französisches Phänomen waren, sind sie seitdem zu einem allgemeinen Symbol der transnationalen Versöhnung und der lokalen Kooperation bzw. Begegnung geworden. In den 1950er Jahren sprach man in Frankreich zunächst von appariements , bevor sich der Begriff jumelages (ein Wort, das ursprünglich aus dem militärischem Vokabular stammt: es bezeichnet die Verkoppelung von Feuerwaffen) durchsetzte. Die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft wurde im Jahr 1950 zwischen Montbéliard und Ludwigsburg geschlossen. Sie stand für die erfolgreichen Bestrebungen von Bürgermeistern beider Länder, zu gegenseitiger Verständigung zu gelangen und markierte einen ersten Schritt der Annäherung. Diese frühen Städtepartnerschaften waren u.a. das Resultat von Bürgermeistertreffen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die im Jahre 1948 auf Initiative von eidgenössischen Intellektuellen (Association des écrivains bernois) in der Schweiz stattgefunden hatten. Die deutschen Teilnehmer an diesen Begegnungen gehörten zu den neubzw. wiedergegründeten demokratischen Parteien und waren oftmals Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Auf französischer Seite ebneten Widerstandskämpfer wie Lucien Tharradin, Bürgermeister von Montbéliard und Überlebender von Buchenwald, den Weg für die Annäherung, da nur sie hierfür über die notwendige Legitimität verfügten. Auf beiden Seiten des Rheins engagierten sich zudem ehemalige Kriegsteilnehmer für die bilaterale Annäherung und die Gründung von Städtepartnerschaften. Dass die Zahl der Städtepartnerschaften nur allmählich anstieg (25 von 1950 bis 1958), zeugt von den Anfangsschwierigkeiten im Annäherungsprozess, die auf das Fortbestehen von Ressentiments und politische Spannungen zurückzuführen waren und eng mit dem Konflikt um den Status des Saarlandes, der Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands und dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im Jahr Städtepartnerschaften 438 S 1954 zusammenhingen. So bedurfte es schließlich der Wiederbelebung der europäischen Integration ab 1957, um auch der Städtepartnerschaftsbewegung einen neuen Elan einzuhauchen. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des *Élysée-Vertrags zählte man mehr als 100 Städtepartnerschaften und im Jahre 1969 mehr als 400. Sie spiegeln den Willen zur Versöhnung mit dem einstigen *„Erbfeind“ und die wachsende Bereitschaft, direkte Kontakte mit dem Nachbarn anzuknüpfen. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und den Spannungen zwischen den Blöcken bzw. den Ideologien bildeten sich in der Nachkriegszeit drei große Vereinigungen heraus, die sich für das Zustandekommen von Städtepartnerschaften einsetzten. Die internationale Bürgermeisterunion wurde 1950 gegründet und förderte insbesondere die deutsch-französische Annäherung. Eine maßgebliche Rolle für die Städtepartnerschaften spielte auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas, welcher aus der Europäischen Föderalistischen Bewegung hervorgegangen war und sich nicht auf den deutsch-französischen Raum beschränkte. Des Weiteren ist die 1951 entstandene internationale Vereinigung Le monde bilingue zu nennen (ab 1957 Fédération mondiale des villes jumelées/ FMVJ), die sich eine blockübergreifende Verständigung zum Ziel machte. Von linksorientierten Kreisen unterstützt wollte dieser Verband die Ost-West-Beziehungen fördern, was einen „Krieg der Städtepartnerschaften“ mit antikommunistischen Vereinen zur Folge hatte. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der DDR im Jahr 1959 begann die FMVJ, sich für die Gründung von Partnerschaften zwischen ostdeutschen und französischen Städten bzw. Gemeinden einzusetzen, wobei letztere in der Regel von Kommunisten regiert wurden. Angesichts der Tatsache, dass die diplomatische Anerkennung der DDR durch Frankreich erst im Februar 1973 erfolgte, weigerte sich Paris, die meisten dieser Städtepartnerschaften anzuerkennen, waren sie doch Teil der ostdeutschen Anerkennungspolitik. In anderen Fällen war die Freundschaftsgesellschaft *Échanges franco-allemands (später Association France-RDA) Träger auf französischer Seite, wenn sich die betroffenen französischen Stadtverwaltungen einer offiziellen Städtepartnerschaft mit einer ostdeutschen Gemeinde verweigerten. So erklären sich die erheblichen Unterschiede bei der Zählung. Ostdeutschen Quellen zufolge gab es 1963 etwa 100 ostdeutsch-französische Städtepartnerschaften, während Paris 23 im Jahr 1969 zählte und Bonn 39 im Jahr 1965! Die Bundesregierung versuchte in den 1960er Jahren im Rahmen des Alleinvertretungsanspruchs auf Paris einzuwirken, um ostdeutsch-französische Städtepartnerschaften zu verhindern, was ihr auch bedingt gelang. Trotzdem gab es französische Städte, die sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR eine Partnerschaft besaßen. Bis in die Mitte der 1970er Jahre nahm die Zahl der westdeutsch-französischen Städtepartnerschaft kontinuierlich zu und stabilisierte sich bis zum Ende des Jahrzehnts auf hohem Niveau. 1981 wurde die tausendste Städtepartnerschaft gefeiert, und zwischen 1986 und 1996 stiegen die Zahlen weiter an. Nach der deutschen Vereinigung war vielfach die These zu hören, dass die Steigerung vor allem eine Folge des Nachholeffekts in den Neuen Bundesländern gewesen sei, doch zeigen neuere Studien, dass nur 10 % der neu eingegangenen Städtepartnerschaften auf das Konto von Gemeinden aus der ehemaligen DDR gingen. Ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre flaute das Wachstum zudem langsam ab. Allgemein muss gesagt werden, dass der Anteil der deutsch-französischen Städtepartnerschaften - trotz des weiterhin hohen Niveaus - im europäischen Maßstab abnimmt (69 % im Jahre 1970, 37 % 2007). Dies ist mit der Zunahme von Partnerschaften im Zuge der Globalisierung sowie mit einer gewissen Sättigung zu erklären, insofern als bereits drei Viertel der französischen und der deutschen Bevölkerung durch Partnerschaften auf der Ebene von Kommunen, Kantonen, Departements und Regionen miteinander verbunden sind. Wenn wir alle Kategorien von Partnerschaften zusammenzählen, so kommen wir heute fast auf 2 500. Die Städtepartnerschaften weisen dabei einige allgemeine Merkmale auf. Partnerschaften gehen in der Regel Städte ähnlicher Größe und ähnlicher Wirtschaftsstruktur ein. Anfangs waren auf französischer Seite Städte der Region Paris, im Rhônetal, im Burgund sowie im Norden und Osten überdurchschnittlich vertreten. Förderlich war dabei in der Regel die Grenznähe (obwohl die Städtepartnerschaften mit Städten aus dem Elsass und dem Saarland später anfin- Stein, Peter S 439 gen), doch spielten gleichermaßen die urbanen, politischen und religiösen Gegebenheiten eine wichtige Rolle. Inzwischen haben die deutschfranzösischen Städtepartnerschaften insbesondere in den Tourismusgebieten zugenommen (Bretagne, Loiretal, Côte d’Azur), mit Ausnahme des Südwestens, der weiter entfernt gelegen und größtenteils gering besiedelt ist. Zu den Städtepartnerschaften kamen sehr schnell Partnerschaften zwischen den französischen Regionen und westdeutschen Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Burgund 1953 abgeschlossen und 1962 offiziell anerkannt) bzw. Departements und Kreisen. Seit den 1980er Jahren hat die Dezentralisierung in Frankreich dazu geführt, dass das Gewicht der regionalen Partnerschaften zugenommen hat (z.B. Rhône-Alpes und Baden-Württemberg 1986). Allgemein ist festzustellen, dass die Gebietskörperschaften die Partnerschaften nutzen, um sich auf internationaler Bühne stärker zu positionieren, wie die Maison de Heidelberg in Montpellier (1966), ihr Partnerhaus in Heidelberg (1986), die Maison de Rhénanie-Palatinat in Dijon (1991) und das Haus Burgund in Mainz (1994) zeigen (*Föderation deutsch-französischer Häuser). Heute stehen die Städtepartnerschaften vor einer ganzen Reihe von Problemen: die Überalterung der aktiven Teilnehmer, Schwierigkeiten, neue junge Anhänger zu gewinnen und die Frage nach alternativen Formen der Kooperation und Begegnung. Diese hängen mit der neuen Ausrichtung der Partnerschaften zusammen, deren Ziel nicht mehr die deutsch-französische Annäherung sein kann, sondern die projektorientierte Kooperation. So lässt sich sagen, dass die Zahl der deutsch-französischen Städtepartnerschaften weiterhin ein ermutigender Aspekt der deutsch-französischen Beziehungen ist. Auch wenn die Aktivitäten rückläufig sind, werden sie nicht aufgelöst, weil die jumelages heute fast zur kommunalen Norm gehören. In qualitativer Hinsicht ist jedoch eine neue Aufbruchsstimmung gefragt, um die Städtepartnerschaften wieder zu einem lebendigen Element des bilateralen Verhältnisses zu machen. Angemerkt sei aber auch, dass das 1976 vom *DFJW aufgelegte Programm „Job in der Partnerstadt“ weiterhin zu den dynamischsten Aktivitäten gehört, das viele Jugendliche in die Städtepartnerschaften einbindet. Hans Manfred Bock, Europa von unten. Zu den Ursprüngen und Anfängen der deutsch-französischen Gemeindepartnerschaften, in: Annette Jünemann u.a. (Hg.), Gemeindepartnerschaften im Umbruch Europa, Frankfurt/ M. 1994, S. 13-36; Corine Defrance, Les jumelages franco-allemands: aspect d’une coopération transnationale, in: Vingtième Siècle 99 (2008), S. 189- 201; Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Tübingen 2010; Thomas Grunert, Langzeitwirkungen von Städtepartnerschaften, Kehl, Straßburg 1981; Tanja Herrmann, Ein Baustein der deutsch-französischen Versöhnungsgeschichte? Die Städtepartnerschaft Wolfsburg-Marignane, Wolfsburg 2011. Corine Defrance Stein, Peter Der 1937 in Berlin geborene Peter Stein gehört zu den bedeutendsten deutschen Theatermachern nach 1945. Obwohl seine Inszenierungen an der Berliner *Schaubühne entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Regietheater genommen und auch in Frankreich viele Theatermacher nachhaltig geprägt haben (*Deutsches Theater in Frankreich), sind die Verbindungen zwischen seiner Arbeit und dem französischen Theater eher als dürftig zu bezeichnen. Zwar ging die Unkenntnis nicht so weit wie bei seinem großen Konkurrenten und Widersacher Claus Peymann, der bis zur Jahrtausendwende so gut wie nie nach Frankreich eingeladen wurde, dennoch waren seine Inszenierungen relativ selten auf der anderen Seite des Rheins zu sehen. Stein beschwerte sich mehrfach darüber, dass er nicht häufiger mit seinen Inszenierungen nach Frankreich eingeladen wurde und man ihm auch nur selten anbot, in Frankreich selbst zu inszenieren. „Die Franzosen sind kühl zu mir oder ich bin kalt zu ihnen, ich weiß es nicht. Ich habe immer das Gefühl, Paris zu sehr zu lieben. Und Paris, diese alte Hure, weist mich stets ab“, bemerkte er 2005 in einem Gespräch mit Brigitte Salino in „Le Monde“. Tatsächlich erscheint die Beziehung von Peter Stein zu Frankreich als eine Art verpasste Begegnung. Das überrascht insofern, als Stein fließend Französisch spricht und das Land sehr gut kennt. So lebte er u.a. 1985, nachdem der die künstlerische Leitung der *Schaubühne aufgegeben hatte, immerhin gut eineinhalb Jahre in Paris. Sein „Torquato Stereotype 440 S Tasso“ kam 1971 auf Einladung des *Goethe- Instituts nach Paris, das die Inszenierung in seinem Haus präsentierte und auch die beiden Gastvorstellungen des „Prinzen von Homburg“ im Théâtre de l’Odéon initiierte. 1976 lud das Festival d’Automne die Berliner *Schaubühne mit „Sommergäste“ von Maxime Gorki unter Regie von Stein und „Empedokles Hölderlin lesen“ in einer Inszenierung von *Klaus Michael Grüber ein. Im gleichen Jahr erhielten die beiden Regisseure, dank des Einsatzes von *Rolf Liebermann, anlässlich der 100-Jahr-Feiern des „Rings“ die Gelegenheit „Rheingold“ bzw. „Die Walküre“ in der Opéra Garnier zu inszenieren; das Projekt, die ganze Tetralogie auf die Bühne zu bringen, scheiterte jedoch. Steins „Orestie“ wurde 1980 an der MC93 in Bobigny (auf Deutsch) gegeben und 1994 in Créteil (auf Russisch); 1984 wurde seine Inszenierung der „Neger“ von *Jean Genet am Théâtre de la Ville gezeigt; schließlich lud *Patrice Chéreau 1988 Peter Stein mit seinen „Drei Schwestern“ im Rahmen des Festival d’Automne ans Théâtre des Amandiers in Nanterre ein. Es scheint, als wäre Steins Beziehung zu Frankreich gerade durch die beiden Regisseure nachhaltig gestört worden, die über Jahre eng mit ihm an der *Schaubühne zusammenarbeiteten: *Luc Bondy und *Klaus Michael Grüber, die im gleichen Zeitraum viel häufiger zu Gast in Frankreich waren. Stein schenkte der französischen Dramatik mehr Aufmerksamkeit als die meisten anderen Regisseure seiner Generation. „Das Sparschwein“ von Eugène Labiche wurde 1973 in einer Bearbeitung von Botho Strauß ins Repertoire der *Schaubühne aufgenommen. Für diese Inszenierung holte sich Stein *Jean Jourdheuil als dramaturgischen Berater ins Team, der das Stück kurz zuvor mit Jean-Pierre Vincent am *TNS inszeniert hatte. Die 1972 von Vincent und *Jourdheuil gegründete Theatercompagnie Théâtre de l’Espérance räumte der dramaturgischen Reflexion großen Raum ein und stand in enger Beziehung zur *Schaubühne. Besonders begeistert war man von deren Organisationsstrukturen und den dort üblichen Arbeitsmethoden. So präsentierten die beiden Theatermacher 1974 nicht nur „La Tragédie optimiste“, die Peter Stein zwei Jahre zuvor inszeniert hatte, sondern übernahmen auch das Mitbestimmungsmodell der *Schaubühne, das allen Künstlern und Mitarbeitern erlaubte, am Spielplan und der Organisation des Hauses aktiv zu partizipieren. Als Vincent 1975 die Leitung des *TNS übernahm, orientierte er sich ebenfalls stark am Modell der *Schaubühne. 1981 wandte sich Peter Stein erneut der französischen Dramatik zu: Die Inszenierung von Marivaux‘ „Der Streit“ eröffnete die erste Spielzeit der *Schaubühne in ihrer neuen Spielstätte am Lehniner Platz; es folgten „Die Neger“ von *Jean Genet (1983), „Phädra“ von Racine (1987) und „Roberto Zucco“ von Bernard-Marie Koltès (1990) - seine letzte Inszenierung, bevor er sich aus Deutschland zurückzog. Die Tatsache, dass „La Dispute“ und „Roberto Zucco“ zuvor durch *Patrice Chéreau große Erfolge in Frankreich gefeiert hatten, mag hier durchaus die Bedeutung einer Wechselgeschichte besitzen: So ist nicht auszuschließen, dass Peter Stein auf diese Weise versuchte, mit Chéreau als einer gleichermaßen bedeutenden Figur des europäischen Theaters in Konkurrenz zu treten. 1991-1997 war Peter Stein künstlerischer Schauspielleiter der Salzburger Festspiele und siedelte nach Italien über, wo er seitdem regelmäßig inszeniert. Das Pariser Publikum bekam fortan nur wenige seiner Arbeiten zu Gesicht - so seine Bearbeitung von Dostojewskis „Dämonen“ („I demoni“) mit italienischen Schauspielern, die zwölf Stunden dauerte. Seine große „Faust“-Inszenierung wurde in Frankreich jedoch nicht aufgeführt, stattdessen las Stein selber im *Goethe-Institut Paris an mehreren Abenden im März und April 1999 aus dem „Faust“ vor. 2013 lud ihn sein alter Mitstreiter *Luc Bondy als neuer Direktor des Odéon - Théâtre de l’Europe ein „Le Prix Martin“ von Labiche zu inszenieren. Es war das erste Mal, dass Stein mit französischen Schauspielern arbeitete. In gewisser Weise schloss die Inszenierung den Kreis seiner Beziehung zu Frankreich: Als Dramaturgen hatte Stein nämlich - wie bei seiner Labiche-Inszenierung 1973 in Berlin - *Jean Jourdheuil engagiert. Jean-Louis Besson Stereotype Bis 1945 standen sich Frankreich und Deutschland in einem starren These-Antithese-Modell gegenüber. Basierend auf dem sich aus nationalen Stereotypen nährenden Mythos der deutschfranzösischen *„Erbfeindschaft“ war die Gegnerschaft zum integralen Bestandteil der eigenen Stereotype S 441 Identitätskonstruktion geworden. Mit dem *Élysée-Vertrag wurde die Annäherung zum politisch forcierten Programm. Langsam entstand dabei der Diskurs der deutsch-französischen Freundschaft. Hat dieser neue Bilder hervorgebracht oder stehen weiterhin alte Stereotype über den Nachbarn im Vordergrund der gegenseitigen Perzeptionen? Stereotypen sind in sozialer, kognitions- und kommunikationspsychologischer Hinsicht wichtige Funktionen inhärent. Sie sind unvermeidliche Bestandteile des menschlichen Denk- und Wahrnehmungssystems. Durch die Reduktion von Komplexität und das Verknüpfen von neu Beobachtetem mit bereits Bekanntem, helfen Stereotype, sich in der Wirklichkeit zu orientieren, ihr einen Sinn zu verleihen und zu kommunizieren. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Konstitution und Aufrechterhaltung von Kollektiven, deren Identität durch eine selektierende Homogenisierung ihrer Mitglieder immer aufs Neue diskursiv konstruiert werden muss. Nationale Stereotype haben zudem ein weiteres Charakteristikum: Sie verweisen auf das Wesen eines ganzen Volkes und suggerieren dessen unwandelbare Natur. Dadurch sind sie in Anlehnung an Roland Barthes‘ Konzept der mythologies als sekundäres semiologisches System zu verstehen, das neben der vordergründigen eine zweite Bedeutungsebene aufweist: die essentialistische Zuschreibung eines unveränderlichen Wesens des Beobachteten, das damit seines individuellen und historischen Kontextes beraubt wird und eine scheinbar dauernde Gültigkeit erhält. Nationalstereotype sind in einem bestimmten historischen Kontext entstanden, bestehen jedoch losgelöst von diesem fort. Dadurch kombinieren sie eine große Anpassungsfähigkeit an der Oberfläche mit einer erheblichen Wandlungsresistenz im Kern. In den französischen Nachkriegspublikationen über Deutschland wird deutlich, dass bis in die Gegenwart zahlreiche aus vergangenen Zeiten überlieferte Deutschlandstereotype den Diskurs prägen. Die den Deutschen verliehenen Attribute können dabei in drei größere Schemata eingeordnet werden: in jenes eines „barbarischen Wesens“, das bereits 98 v. Chr. durch den römischen Chronisten Tacitus schriftlich festgehalten wurde, jenes eines „romantischen Wesens“ des Volkes der Dichter und Denker, das spätestens mit Madame de Staëls „De l’Allemagne“ festgeschrieben wurde, und jenes eines „spießbürgerlich-tugendhaften deutschen Wesens“, dessen Quellen insbesondere auf den preußischen Ordnungsstaat und das fleißig-triste Nachkriegsdeutschland zurückgehen. Unter das Bild des „geborenen Barbaren“ lassen sich Vorstellungen von einem grobschlächtigen, ungehobelten, plumpen, rohen und - was Nahrungs- und Alkoholkonsum betrifft - maßlosen Wesen subsumieren, ebenso wie jenes eines starken, kriegerischen, aggressiven, grausamen Charakters mit ausgesprochenem Herdentrieb, was den Deutschen einen gefährlichen Anstrich verleiht. Die Tatsache, dass diese Eigenschaften im Wesen der Deutschen angesiedelt werden, führt zur Furcht davor, dass sie erneut hervorbrechen könnten, und so zum Bild der so genannten incertitudes allemandes , der deutschen Unberechenbarkeit und Gefahr. Diese an Hypotheken der Vergangenheit anknüpfenden Vorstellungen finden insbesondere zur Begründung einer fortdauernden und Frankreich bedrohenden deutschen Gefahr Einsatz. Das Bild des romantisch veranlagten „deutschen Dichters und Denkers“ speist sich aus Assoziationsketten von einem tiefsinnigen, melancholischen Wesen mit Hang zum Träumen, zum Erhabenen, einer außerordentlichen literarisch-philosophischen und musischen Begabung und einem besonderen Zugang zur Natur. Durch diese binären Stereotypenkomplexe entsteht das Janusbild eines guten und eines bösen Deutschlands. Doch bleiben beide Bilder nicht entkoppelt voneinander stehen, werden vielmehr häufig durch weitere Assoziationsketten miteinander verknüpft. So wird dem romantischen deutschen Wesen eine Tendenz zur Irrationalität, ja zum Realitätsverlust nachgesagt und die Neigung zum Übersinnlichen und Erhabenen als Prädisposition für Ideologien interpretiert, wodurch das Böse geweckt werde. Somit ist auch das romantische deutsche Wesen verantwortlich für die incertitudes allemandes . Das stereotype Bild des „deutschen Spießbürgers“ spannt sich über Attributionsketten von einem fleißigen, ordentlichen, gründlichen, disziplinierten, strebsamen, pflichtbewussten, perfektionistischen, pünktlichen, loyalen Wesen über einen freudlosen, steifen, humorlosen, sicherheitsfanatischen, rechthaberischen und besser- Stereotype 442 S wisserischen bis hin zu einem untertänigen und gehorsamen Charakter, und führt damit wiederum zur deutschen Gefahr, den incertitudes allemandes . Es manifestiert sich überwiegend in Aussagen zum deutschen Alltag und zu deutschen Lebensgewohnheiten, aber auch in Betrachtungen zum sozio-ökonomischen und politischen Deutschland. So lassen sich die auf den ersten Blick zusammenhanglosen drei stereotypen Bildkomplexe des deutschen Barbaren, des deutschen Dichters und Denkers und des deutschen Spießbürgers in den incertitudes allemandes zusammenführen, denn der romantische Hang führt zur Neigung zu Ideologien, der Untertanengeist dazu, in deren Namen blind zu gehorchen und dies wiederum zur Erweckung der barbarischen Seite des deutschen Wesens. Der französische Diskurs über die incertitudes allemandes erfuhr nach langjährigem Rückgang während der Bonner Republik mit dem Fall der Berliner Mauer eine plötzliche und vehemente Hochkonjunktur. Während er sich zum Ende des 20. Jahrhunderts wieder deutlich abschwächte, scheinen die warnenden und besorgten französischen Stimmen ob der deutschen Unberechenbarkeit in den jüngsten Publikationen allerdings wieder zuzunehmen. Auch der deutsche Blick auf Frankreich ist von aus der Vergangenheit tradierten Stereotypen geprägt. Frankreich ist für die Deutschen ein reizvolles, aber zurückgebliebenes Land, in dem Genuss und Geschmack im Vordergrund stehen. Es ist das Land der erotischen Freiheit, dessen politische und wirtschaftliche Blüte zwar der Vergangenheit angehört, dessen kulturelle Ausstrahlung jedoch auch weiterhin von Bedeutung ist. Bei der Genussfreude lassen sich drei Komponenten unterscheiden, zum einen eine allgemeine, die auf das Leben in Frankreich in seiner Gesamtheit rekurriert. Den Franzosen wird eine besondere Kunst zu leben als Grundeigenschaft zugeschrieben. Die zweite Komponente stellen die kulinarischen Genüsse dar. Essen ist ein wichtiger Bestandteil der französischen Kultur, gut zu essen gehört zu einer guten Erziehung, und französische Nahrungsmittel schmecken in der Darstellung aller Autoren besser als deutsche. Die dritte Komponente ist die Liebeskunst. An diese Komponente schließen sich Lobeshymnen auf die französische Frau an, die wegen ihrer Schönheit und ihres Charmes gerühmt wird. Sie ist koketter, charmanter und gepflegter, muss jedoch eine dreifache Rolle ausfüllen und nicht wie die deutsche Frau nur eine zweifache, denn sie ist erotische Geliebte, arbeitet und muss die Rolle der Ehefrau und Mutter erfüllen. Auch die französische Sprache ist Teil der Reflexionen über das Nachbarland. Sich gut auszudrücken und flüssig zu sprechen zeugt von Bildung. Der Stolz auf die Sprache geht einher mit dem besonderen Schutz und der Pflege derselben. Damit ist verbunden, dass all jene ausgegrenzt werden, die die Sprache nicht in Perfektion beherrschen. Im Zusammenhang mit dem Stolz auf die Sprache wird ein weiteres Stereotyp eingeführt, laut dem die Franzosen nicht in der Lage sind, im Ausland Fremdsprachen zu sprechen oder nicht sprechen möchten, da damit ein Identitätsverlust einhergehen könnte. Der Charakter der Franzosen zeichne sich durch Arroganz und große Liebe zu ihrer Nation aus. Diese Liebe und der Stolz auf Frankreich, seine Geschichte, seine Küche und seine technologischen Leistungen wird zurückgeführt auf den Glauben an die französische Besonderheit als kulturelles Modell zu dienen. Das ironisierend verwendete Schlagwort von der „Grande Nation“ fasst dieses Stereotyp eines französischen Größenwahns zusammen, der gekoppelt ist an die ehemalige französische Vormachtstellung. Sprechen über Frankreich, seine Bewohner und deren Gewohnheiten weist verschiedene Grundkonstanten auf: Freiheitsliebe, Sinnesfreuden und schöne Frauen prägen das deutsche Bild von Frankreich auf positiver Seite. Auf der negativen Seite stehen hingegen Arroganz und ein aus deutscher Sicht übertriebener Stolz auf die Nation. Von *„Erbfeindschaft“ und Gegnerschaft wird jedoch nicht gesprochen. Vergegenwärtigt man sich die Charakteristika und Funktionen von Stereotypen, erstaunt deren transchrone Persistenz im Diskurs über den jeweiligen Nachbarn nicht, was per se auch nicht problematisch ist. Doch kommt es auf die Art und Weise der Verwendung von Stereotypen an. Wenn auch gerade in Frankreich instrumentalisierende Feindbildkonstruktionen nach wie vor zu finden sind, lässt sich bei Publikationen jüngeren Erscheinungsdatums eine Tendenz zu einer kritischen Thematisierung, einem reflektierten und humorvollen Umgang mit derartigen Wesenszu- Stiftung Genshagen S 443 schreibungen sowie zu einer kritischen Selbstreflexion der eigenen Perspektive erkennen, und damit eine Tendenz, stereotype Betrachtungsweisen zu relativieren und ihrer ideologischen Instrumentalisierung den Boden zu entziehen. Hans J. Kleinsteubner, Stereotype, Images und Vorurteile. Die Bilder in den Köpfen der Menschen, in: Günter Trautmann (Hg.), Die häßlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, Darmstadt 1991, S. 60-68; Hanna Milling, Zwischen Wesenszuschreibung und Selbstreferenz - Nationalstereotype als sekundäres semiologisches System, in: Inga Baumann u.a. (Hg.), Zeichen setzen - Konventionen, Kreativität, Interpretation. Beiträge zum 24. Forum Junge Romanistik. Bonn 2009, S. 113-128; dies., Das Fremde im Spiegel des Selbst. Deutschland seit dem Mauerfall aus Sicht französischer, italienischer und spanischer Deutschlandexperten, Berlin 2010; Martina Weis, Stereotyp, et alors? Das Frankreichbild bayerischer Schüler im Kontext von Lehrplan, Schulbuch und individueller Frankreicherfahrung, Tönning 2009. Hanna Milling, Martina Weis Stierle, Karlheinz „Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewusstsein der Stadt“ (1993) lautet der programmatische Titel der wichtigsten, der französischen Literatur und Kultur gewidmeten Monographie des Romanisten Karlheinz Stierle. In Stuttgart 1936 geboren, in Heidelberg aufgewachsen, studierte er dort Anglistik, Germanistik, Romanistik, Philosophie und wurde 1963 Assistent von *Hans Robert Jauß. Mit ihm ging er 1966 an die Reformuniversität Konstanz, von wo er 1969 auf einen Lehrstuhl an der Ruhruniversität Bochum wechselte, um 1988 nach Konstanz zurückzukehren, wo er 2005 emeritiert wurde. Der Romanist Stierle arbeitete seit ihrer Gründung an der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ (1963-1994) mit, die den Geisteswissenschaften entscheidende Impulse gab; drei der 17 Tagungsbände wurden von ihm mitherausgegeben. Der Titel der Forschungsgruppe charakterisierte Stierles Verständnis der (romanischen) Literaturwissenschaft, ihm ging es darum, hermeneutische und strukturalistische Traditionen und Methoden im „Zeichen der Theorie des sprachlichen Handelns zu vereinen“ (Stierle). Dieser Konzeption entsprach auch die Gründung des Bochumer Sonderforschungsbereichs „Wissen und Gesellschaft im 19. Jahrhundert“, in dessen Kontext der mit Hans Ulrich Gumbrecht und Rainer Warning herausgegebene Sammelband „Honoré de Balzac“ (1980) oder die vielfach übersetzte rezeptionsästhetische Untersuchung „Was heißt Rezeption bei fiktionalen Texten? “ (1975) entstanden. Stierle ist ein klassischer Romanist, seine wichtigsten Arbeiten sind der italienischen und der französischen Literatur gewidmet. Er veröffentlichte literaturtheoretische Werke - „Text als Handlung“, 1975, „Ästhetische Rationalität. Kunstwerk und Werkbegriff“ (1997) - ebenso wie Studien zu den Bezügen zwischen Kunst und Literatur. Nicht zuletzt war er als Übersetzer tätig („Francesco Petrarca: Canzoniere“, 2011). Mit dem eingangs erwähnten „Mythos von Paris“, dessen Übersetzung 2001 als „La Capitale des Signes: Paris et son discours“ erschien, gelang Stierle ein Werk, mit dem die deutsche Romanistik nachhaltig in Frankreich wahrgenommen wurde. Ähnliches gilt für seine Vorträge am Collège de France. Karlheinz Stierle war u.a. Herausgeber der einflußreichen Zeitschrift „Poetica“ (1987-2000) sowie der Reihen „Studien zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft“, „Sprache und Geschichte“ (mit Reinhart Koselleck) und „Bild und Text“ (mit Gottfried Böhm). Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (seit 1995) und korrespondierendes Mitglied der Académie des sciences morales et politiques (Paris). Dieter Ingenschay, Helmut Pfeiffer (Hg.), Werk und Diskurs. Karlheinz Stierle zum 60. Geburtstag, München 1999. Wolfgang Asholt Stiftung Genshagen Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutschfranzösische Zusammenarbeit in Europa wurde als gemeinnütziger Verein im Jahr 1993 als Vorgänger der Stiftung Genshagen gegründet. Die Dolmetscherin des französischen Präsidenten François Mitterrand und spätere Beraterin des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, *Brigitte Sauzay, sowie der Göttinger Historiker *Rudolf von Thadden hatten sich nur drei Jahre nach der Vollendung der deutschen Einheit zum Ziel gesetzt, in einem neuen Bundesland ein Institut zu gründen, in dem ein zivilgesellschaftlicher, deutsch-französischer Dialog über Europa geführt werden sollte. Die bis dahin auf Westeuropa begrenzte Debatte über europäische Integration und Zusammenarbeit sollte damit institutionell und in öffentlich wahrnehmbarer Form auf Ostdeutschland ausgedehnt werden. Stiftungen 444 S Unterstützt vom Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe fand das Institut seinen Sitz im zehn Kilometer südlich von Berlin gelegenen Schloss Genshagen. Von Beginn an hatten die Genshagener Konferenzen jedoch nicht nur einen bilateralen deutsch-französischen Charakter, sondern wurden auf eine regelmäßige polnische Beteiligung ausgerichtet. Das 1991 gegründete *Weimarer Dreieck war damit stets die zweite tragende Säule des Genshagener Instituts. Der im Jahr 2004 vollzogene Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) veränderte nicht nur die politische Landkarte Europas, sondern hatte auch Auswirkungen auf die Europadebatte zwischen Deutschland, Frankreich und Polen. Wurden in den ersten zehn Jahren grundlegende Fragen der Zukunft Europas nach dem Ende des Kalten Krieges in Genshagen diskutiert, richtete sich die Arbeit des Instituts im politischen Bereich nun verstärkt an konkreten Themen der Integration in der erweiterten EU aus. Zeitlich fiel diese Zäsur zusammen mit der Gründung der Stiftung Genshagen, die 2005 Rechtsnachfolgerin des Vereins wurde. Sie erhält für ihre Arbeit jährliche Zuwendungen ihrer beiden Stifter, des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie des Landes Brandenburg. Darüber hinaus verfügt die Stiftung neben einer Förderung des Auswärtigen Amts seit 2009 auch über öffentliche Mittel aus Frankreich sowie seit 2013 aus Polen. Ferner arbeitet sie in einem breiten Netzwerk mit Partnereinrichtungen insbesondere im *Weimarer Dreieck, aber auch in anderen Ländern zusammen. Seit 2009 verfolgt die Stiftung ihr zentrales Ziel der „Förderung der Völkerverständigung und des Dialogs in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur“ in den beiden Arbeitsbereichen „Kunst- und Kulturvermittlung in Europa“ und „Europäischer Dialog - Europa politisch denken“. Unter diesem gemeinsamen Dach widmet sie sich in ihrem kulturellen Schwerpunkt ebenso der Begleitung grenzüberschreitender, komparativer Expertise der künstlerischen und kulturellen Bildung wie der Heranführung unterrepräsentierter gesellschaftlicher Gruppen an Kultur und Kunst in grenzüberschreitenden Projekten. Mit einem besonderen Augenmerk auf die Zielgruppe der Jugendlichen steht die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt Europas im Mittelpunkt dieser Aktivitäten. Mit demselben Fokus auf grenzüberschreitenden Dialog in Europa konzentriert sich die Stiftung in ihrem Schwerpunkt „Europäischer Dialog - Europa politisch denken“ auf die Reflexion über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft Europas, seinen inneren Zusammenhalt und seine Rolle in der Welt. Dabei sollen die europapolitischen Debatten insbesondere in Deutschland, Frankreich und Polen gefördert, der lösungsorientierte Austausch von Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über europapolitische Fragestellungen gestärkt sowie Impulse gegeben werden für eine verbesserte Kommunikation zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern über europäische Themen. Martin Koopmann, Christel Hartmann-Fritsch Stiftungen Parallel zur deutsch-französischen (kulturellen) Zusammenarbeit auf Regierungsebene hat sich eine Vielfalt von Projekten entwickelt, die von Stiftungen oder stiftungsähnlichen Körperschaften meist in Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Bürgerinitiativen oder Medien durchgeführt werden. Diese diversité besteht im Bezug auf die Stiftungslandschaft inklusive der Rechtsform der Stiftungen (1), auf die Zielgruppe (2), auf die Art der Aktivitäten (3), auf die zeitliche Beständigkeit (4) und auf die geographische Reichweite (5). So wie der Begriff der Stiftung ( fondation ) hier weit gefasst ist, gilt dies auch für den Begriff der Kultur, der z.B. interkulturelle Verständigung, Erinnerungskultur oder Jugendtheaterprojekte umfasst. Eine Auswahl aktuell bestehender Stiftungsaktivitäten veranschaulicht dies (6). 1. Stiftungslandschaft und Rechtsformen von Stiftungen: Stiftungen sind Teil der eng gewebten Struktur gesellschaftlicher Zusammenarbeit im deutsch-französischen Kontext. Mit ihren Aktivitäten sind sie einerseits Begründer und Förderer deutsch-französischer Projekte, Austauschprogrammen oder Veröffentlichungen. Sie sind andererseits auch selbst Kinder der deutsch-französischen Zusammenarbeit insbesondere durch den Impuls des *Élysée-Vertrags und verstärkt seit Stiftungen S 445 den 1980er Jahren, in denen in Europa insgesamt viele Stiftungen gegründet wurden. Die ursprüngliche und traditionelle Stiftungsphilosophie philanthropischen Handelns, der politischen Positionierung sowie der Stärkung des gesellschaftlichen Engagements entspricht den Zielsetzungen und Bedürfnissen des deutschfranzösischen (und europäischen) Aussöhnungs- und Einigungsprozesses. Im Vergleich zu staatlichen Akteuren oder Bürgerinitiativen haben Stiftungen die ideologische und finanzielle Unabhängigkeit sowie die damit verbundene Verantwortung, ergänzend langfristig ausgerichtete Initiativen im Sinne des Allgemeinwohls anzustoßen und zu begleiten, ohne dabei an die Stelle staatlicher Akteure zu treten. In Deutschland muss zwischen Körperschaften unterschieden werden, die den Rechtsstatus einer Stiftung haben und solchen, die zwar den Begriff Stiftung in ihrem Namen tragen, juristisch gesehen jedoch ein e.V. oder beispielsweise eine GmbH sind. In Frankreich dürfen Körperschaften den Term fondation grundsätzlich nur dann im Namen tragen, wenn sie der gesetzlichen Definition (23 juillet 1987) entsprechen. Es gibt in Frankreich ca. 200 Stiftungen, von denen ein Drittel anerkannt gemeinnützig (Steuerbefreiung) ist. Traditionell besteht ein Misstrauen gegenüber Stiftungen, daher ist die Vereinslandschaft ( associations loi 1901 ) besonders entwickelt. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts und insbesondere mit der loi Aillagon über das Mäzenatentum (2003) ist die Anerkennung als Stiftung vereinfacht worden, die Grundhaltung änderte sich und der Sektor ist heute sehr dynamisch. In Deutschland gibt es ca. 20 000 meist gemeinnützige Stiftungen verschiedener Rechtsformen. Eine gesetzliche Definition gibt es nicht. Das größte Aktivitätsfeld deutscher und französischer Stiftungen ist der Bereich „Soziales“. Ein Viertel der französischen und ein Fünftel der deutschen Stiftungen sind im Bereich Kunst, Kultur und Sport tätig und lediglich jeweils zehn Prozent im Bereich „Internationales“. Das Ungleichgewicht zwischen der deutschen und französischen Stiftungslandschaft (im Verhältnis eins zu acht der Anzahl im Bezug auf die Bevölkerung), macht sich auch in der Gesellschaft und bei der deutschfranzösischen (kulturellen) Zusammenarbeit bemerkbar. Zu unterscheiden sind überdies rein fördernde Stiftungen von operativ tätigen Stiftungen, die selbst, meist gemeinsam mit Partnern, Projekte durchführen. Häufig sind deutsch-französische Stiftungsaktivitäten eine Mischung aus finanzieller Förderung und einer aktiven Rolle der Stiftungen sowie deren Mitarbeitern. Es gibt Stiftungen, die sich explizit und ausschließlich den deutsch-französischen (Kultur-) Beziehungen widmen (z.B. die Fondation entente franco-allemande) und solche, die ein breiteres Aktionsfeld haben (z.B. die Robert Bosch Stiftung). Im letzteren Fall handelt es sich meist um Stiftungen, die im Bereich Völkerverständigung/ Europa oder Bildung aktiv sind. Eine weitere Kategorie sind die Auslandsvertretungen der deutschen politischen Stiftungen in Paris. Sie haben Vereinsstatus, eine deutsch-französische Ausrichtung, kooperieren mit lokalen Akteuren der Politik, Kultur, Bildung und Gesellschaft und flankieren die Regierungsaktivitäten. 2. Zielgruppen: Neben jungen Menschen (*Jugendbeziehungen) vom Kindergarten bis zu jungen Berufstätigen, richten sich die Programme z.B. an Lehrpersonal, *Journalisten, Schriftsteller oder Wissenschaftler. Von Anfang an stehen junge Menschen im Mittelpunkt. Austauschprogramme, Stipendienprogramme zur Aus- und Fortbildung sowie Programme für junge Führungskräfte sollen heute Sprach- und interkulturelle Kompetenzen fördern sowie ein Bewusstsein für die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen im Europa des 21. Jahrhunderts schaffen, wohingegen die Programme zunächst den Aussöhnungsprozess fördern sollten. 3. Art der Aktivitäten bzw. Förderung und Partner: Die zentrale Zielstellung der geförderten Aktivitäten ist und bleibt die Begegnung insbesondere zwischen jungen Menschen. Kultur ist dabei das Mittel: Literatur, Theater, Kunst, Wissenschaft, Sprache, Interkulturelle Kommunikation, (politische) Bildung. Die Anzahl der Programme und die Innovation in den Formaten haben sich seit den 1960er Jahren stark fortentwickelt. Der Bedarf an (finanzieller) Förderung von Projekten steigt an, was sich mit einem steigenden Bekanntheitsgrad sowie Bewerber- und Teilnehmerzahlen in Verbindung bringen lässt. Gefördert werden (traditionelle) Austauschbegegnungen von Jugendlichen, Künstlern, Stiftungen 446 S Schauspielern, *Journalisten, Bildnern, aber auch Führungskräften oder Politikern, Jugendparlamente, Schreibwerkstätten, (Schüler-)Zeitungsprojekte, *Preise, Stipendien, Dialogveranstaltungen, Arbeitssitzungen, Netzwerke, Forschungsprojekte etc. 4. Zeitliche Beständigkeit: Die Aktivitäten haben sich stetig professionalisiert. Durch die Partnerschaft verschiedener Stiftungen insbesondere aber zwischen Stiftungen und ihren Partnern, sind Synergien sowie Netzwerke auch zwischen Teilnehmern, Stipendiaten und Preisträgern entstanden. 5. Geographische Reichweite: Zunächst beschränkten sich die Stiftungsaktivitäten auf bilaterale Programme oder gar einseitige Besuchsprogramme. Seit den 1980er Jahren hat sich die Reichweite auf trilaterale oder europäische bzw. internationale Programme und Kooperationen ausgeweitet. In Grenznähe mehrt sich die Ansiedlung der Stiftungen, was auf ein besonderes Bewusstsein für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zurückzuführen ist. 6. Beispiele bestehender Stiftungsaktivitäten im deutsch-französischen Kulturbereich: Die Fondation entente franco-allemande (FEFA), fondation de droit français , wurde 1981 durch Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt für die deutschfranzösische Verständigung gegründet und von der deutschen Bundesregierung mit ihren Mitteln ausgestattet. Neben der Aufgabe, die finanzielle Entschädigung und soziale Unterstützung der in die Wehrmacht zwangseingezogenen Elsässer und Lothringer (Moselaner) vorzunehmen, steht die Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Unter Federführung des ehemaligen Präsidenten *André Bord († 2013) sind heute 75 % der geförderten Projekte im Bereich Kultur angesiedelt. Für die Robert Bosch Stiftung (Stuttgart), sind deutsch-französische Aktivitäten im Sinne des europäischen Politikengagements ihres Gründers († 1942) seit Anfang an zentral. Heute sind die deutsch-französischen Aktivitäten der Stiftung dem Bereich Völkerverständigung zugeordnet und beziehen sich auf die Festigung der Beziehungen im europäischen Einigungsprozess. Die Vielfalt der aktuellen deutsch-französischen Projekte kann auf der Homepage eingesehen werden. Seit 1980 engagiert sich die heute selbständige Tochter der Robert Bosch Stiftung, die DVA-Stiftung GmbH, für die Übersetzung als interkulturelle Verständigung insbesondere mit der Vergabe von Preisen im Bereich der *Kulturwissenschaften, der Literatur und des Theaters. Selbst Akteur der Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen im Kulturbereich ist hingegen die Stiftung Centre culturel franco-allemand (Karlsruhe) mit ihren Veranstaltungen in den Bereichen Literatur, Musik, Theater und *bildende Künste. In der *Stiftung Genshagen (nahe Berlin) ist die Kunst- und Kulturvermittlung im Sinne von Kunst als Sprache und als Mittel der interkulturellen Begegnung seit ihrer Gründung 1993 eines der Arbeitsfelder. Die Stiftung deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit (Saarbrücken) wurde 1989 als Rechtsträger des deutschen Sekretariats des *Deutsch-Französischen Kulturrates gegründet und hat den öffentlichen Auftrag zur Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Im Rahmen der geförderten Projekte entstand z.B. ein Theater-Wörterbuch, seit 2004 besteht ein zweisprachiges deutsch-französisches Jugendzeitungsprojekt, seit 2007 ist die Stiftung ebenfalls Rechtsträger des deutsch-französischen Theaterfestivals Perspectives. Seit 1980 gibt es das deutsch-französische Forschungsprogramm der Fondation Maison des sciences de l’homme Paris (FMSH), das mit dem Ziel der Förderung der interdisziplinären und internationalen Zusammenarbeit von Wissenschaftlern Forschungs- und Übersetzungsstipendien vergibt. Gemeinsam mit ihren Partnern führt die Asko Europa-Stiftung (Saarbrücken) seit 1990 Forschungs-, Dialog- und Bildungsprojekte für die Entwicklung Europas u.a. mit einem deutsch-französischen Schwerpunkt durch. Seit 1999 organisiert sie jährlich gemeinsam mit ihren Partnern den „Deutsch-Französischen Dialog - Europa weiter denken“. Die beiden größten deutschen politischen Stiftungen sind seit 1980 (Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)) bzw. 1985 (Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)) mit einem Auslandsbüro in Paris vertreten und unterstützen den gesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich mit dem Ziel der Netzwerkbildung (z.B. in Form von Expertenforen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft) Straßburg-Preis S 447 und als Beitrag zum Europäischen Integrationsprozess. Die Partner der KAS sind z.B. die Fondation Robert Schuman (Paris) - die seit ihrer Gründung 1991 ebenfalls einen deutsch-französischen Arbeitsschwerpunkt hat -, die Fondation pour l’innovation politique oder das *Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa). Die FES kooperiert insbesondere mit dem *Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC), dem Cercle des économistes, den Fondation Jean Jaurès und Res Publica, der Hans-Böckler-Stiftung sowie Gewerkschaften in Frankreich und Deutschland. Inga Wachsmann Stockhausen, Karlheinz Für mehr als eine Generation war der Name Stockhausen gleichbedeutend mit einer Form der neuen Musik, die bei vielen wenn nicht Unverständnis und Empörung, so doch Kopfschütteln oder Lächeln auslöste. Dazu trug sicherlich neben den radikalen Ton- und Klangexperimenten sowie die Aufführungsform und -dauer, die exzentrische Persönlichkeit des deutschen Komponisten und Musikers Karlheinz Stockhausen (1928-2007) bei, der Skandale auslöste, sich esoterisch verstieg und jederzeit - wie bei seinen Äußerungen zu den Ereignissen des 11. Septembers, als er das Attentat auf die twin towers und seine Folgen als großes Kunstwerk bezeichnete - zu aufsehenerregenden Einlassungen bereit war. Die stilbildende musikalische Wirkung seines Œuvres ist jedoch keinesfalls zu unterschätzen. Er gilt heute als Pionier der Neuen Musik und einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, dessen elektroakustische Kompositionen und Experimente selbst die elektronische Popmusik (wie z.B. die Gruppen Kraftwerk oder Can) beeinflusste. Der früh verwaiste Stockhausen - seine Mutter fiel wahrscheinlich der Nazi-Euthanasie zum Opfer, der Vater starb an der Ostfront - wurde nach seinem Studium in Köln nachhaltig durch seine Begegnungen mit französischen Akteuren der Konkreten und Seriellen Musik auf den so genannten Darmstädter Ferienkursen (eigentlich: Internationale Ferienkurse für Neue Musik) in den 1950er Jahren geprägt. Dort lernte er u.a. Olivier Messiaen und *Pierre Boulez kennen. Die schon kurz nach Ende des Krieges 1947 gegründeten Darmstädter Ferienkurse haben (ähnlich wie beispielsweise das Berliner Künstlerprogramm des DAAD oder das von *Jean-Baptiste Joly geleitete Schloss Solitude bei Stuttgart) den Kulturaustausch zum Ziel - ausgehend von der Überzeugung, dass im Mittelpunkt dieses Austauschs konkrete Begegnungen von Künstlern stehen, um ein genuines, von nationalen Denkmustern abgelöstes Interesse an der Arbeit anderer zu stimulieren. Für Stockhausen bildeten die Ferienkurse in diesem Sinne die Grundlage seiner weiteren Karriere: So ging er nach Paris, um bei Messiaen Ästhetik und Rhythmik zu studieren. Hier lernte er dann auch den Komponisten und Schriftsteller Pierre Schaeffer kennen und experimentierte in der Gruppe musique concrète des französischen Rundfunks. Darüber hinaus komponierte er in Paris erste Synthesen von Klangspektren mit elektronischen Sinus- Tönen und setzte sich intensiv mit den Arbeiten jüngerer Kollegen wie Luigi Nono und *Pierre Boulez auseinander. Mit letzterem blieb Stockhausen in den 1950er und 60er Jahren eng verbunden: So fanden verschiedene Uraufführungen (1956, 1958, 1963) seiner Stücke unter der Leitung von Boulez statt, dem Stockhausen 1966 einen Teil seiner „Hymnen“ widmete. Darüber hinaus kamen auch zahlreiche von Stockhausens Werken in Paris zur Uraufführung, so beispielsweise 1953 „Kontrapunkte“ (nach einer Teilaufführung in Köln) unter der Leitung von Hermann Scherchen; 1971 (die bereits 1950 komponierten) Stücke „Chöre für Doris“ „Choral“ und „Drei Lieder“ durch Marcel Courauds Groupe vocal de France sowie das 1951 entstandene „Formel“ durch Stockhausen selbst als Orchesterdirigent. 1998 spielte das Ensemble intercontemporain - unterstützt durch das *Goethe-Institut Paris - „Inori“, einen Zyklus von acht Konzerten, teilweise dirigiert von *Pierre Boulez, in der Pariser Cité de la musique. Der französische Staat ehrte Stockhausen für seine Verdienste im Bereich der Neuen Musik und ernannte ihn 1985 zum Commandeur de l’ordre des arts et des lettres. Nicole Colin, Joachim Umlauf Straßburg-Preis Prix Strasbourg 1955 rief die von Alfred Toepfer (1894-1993) 1932 gegründete Hamburger „Stiftung F.V.S.“ den auf fünf Jahre befristeten Straßburger Europapreis für „wissenschaftliche, schriftstel- Straßburg-Preis 448 S lerische, organisatorische oder publizistische Leistungen im Sinne der europäischen Einheit“ ins Leben und zeichnete damit u.a. *Jean du Rivau (1956) für seine Bemühungen um deutschfranzösische *Versöhnung aus. Um 1960 setzten dann Überlegungen zu einer Neuorientierung des Preises ein, die zwei Jahre später mit der Stiftung des Straßburg-Preises „zur Förderung der deutsch-französischen Verständigung und Freundschaft“ ihren Abschluss fanden. 1963 wurden erstmals fünf deutsche und sechs französische Schüler mit jeweils 500 DM sowie zwei Doktoranden, einer aus Frankreich und eine aus der Bundesrepublik, mit je 1 000 DM ausgezeichnet. In den folgenden Jahren erweiterte das Kuratorium den Kreis der Preisträger um Habilitanden (1964) und Studenten (1972); ab 1975 wurde zusätzlich noch eine Straßburg-Goldmedaille an einen verdienten Vertreter der älteren Generation verliehen. Die letzte Preisvergabe fand 1996 statt. Neben den im Laufe der Zeit gelegentlich erhöhten Zuwendungen gehörten die Verleihungsfeier in der Straßburger Universität sowie ein Rahmenprogramm zum jährlich wiederkehrenden Prozedere. Die feierliche Übergabe der Preise war mit dem Festvortrag eines prominenten Vertreters (west-)deutsch-französischer Belange verbunden. Mit der Vergabe der Straßburg- Goldmedaille ab 1975 änderte sich auch der Charakter der Ansprachen dahingehend, dass der Preisträger in einer Laudatio gewürdigt wurde und daraufhin selbst das Wort ergriff. In der Liste der Festredner bzw. Laudatoren finden sich *Carlo Schmid (1964), *Ernst Jünger (1968), *René Cheval (1969), Pierre Pflimlin (1979) und *Robert Picht (1985). Die Straßburg-Goldmedaille erhielten u.a. *Peter Scholl-Latour (1978), *Joseph Rovan (1985) und Jérôme Clément (1995). Laureaten wie *Gilbert Ziebura (1965), Helmut Berding (1969), Jacques Le Rider (1983) und *Étienne François (1991) standen zum damaligen Zeitpunkt für den Nachwuchs der französischen Deutschlandforschern und deutschen Frankreichforschern, die mit einem historischen, politologischen, literaturwissenschaftlichen oder landeskundlichen Thema besonders hervorgetreten waren. Im Rahmenprogramm gab es Besichtigungen, Wanderungen, gemeinsame Essen usw. Dahinter stand die erklärte Absicht des Stifters, bei den Straßburg-Preisträgern einen esprit de corps zu wecken. Diesem Ziel dienten auch die von der Stiftung finanziell unterstützten Folgetreffen der Preisträger (ab 1977), die sich dann im Club Strasbourg-Straßburger Kreis zusammenschlossen. Für diese Treffen wurden namhafte Experten gewonnen, um mit den Teilnehmern in seminarähnlichen Veranstaltungen einschlägige Themen zu vertiefen. Hinter all dem stand das Kuratorium als Entscheidungsträger. Es wurde vom Vorstand der Stiftung berufen und sollte aus höchstens neun Personen bestehen, darunter ein führender Vertreter der Universität Straßburg, Repräsentanten des politisch-parlamentarischen Lebens beider Länder sowie Hochschullehrer und Lehrer als Gutachter. Hervorzuheben sind hier Pierre Pflimlin, der während der gesamten Zeit dazugehörte, und *Gonthier-Louis Fink, der den Kuratoriumsvorsitz von 1973 bis 1996 innehatte. In dem Wirken des Politikers und des Wissenschaftlers spiegelt sich die relative Unabhängigkeit des Gremiums gegenüber der Stiftung und ihrem Vorstand. Die Geschichte des Straßburg-Preises war von Anbeginn durch die Kritik an Alfred Toepfer überschattet, dem seine völkisch-nationalistische Vergangenheit und seine Verstrickungen in die NS-Diktatur vorgeworfen wurden. Im Grunde - so der Tenor der Anschuldigungen - habe er nie seine pangermanistischen Einstellungen aufgegeben und mit dem Straßburg-Preis auf subtile Weise separatistische Tendenzen im Elsass fördern wollen. Als langjähriger Vorstandsvorsitzender hatte Toepfer der Stiftung seinen Stempel aufgedrückt und auch die Entstehungsgeschichte des Straßburg-Preises ist eng mit seinem Namen verbunden. Bei der Verleihung zeigte er regelmäßige Präsenz und erhob auch immer wieder seine Stimme, wenngleich er sich bei der Einflussnahme gegenüber dem Kuratorium und seinen selbstbewussten Vorsitzenden selbst Grenzen setzte. Die lange mehr oder weniger latente Kritik flammte Mitte der 1990er Jahre wieder auf und führte dazu, dass die Stadt und die Universität Straßburg ihre Beteiligung an der Preisvergabe aufkündigten. Daraufhin stellten die 1993 in Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. umbenannte Stiftung und das Kuratorium 1996 alle damit verbundenen Aktivitäten ein und bemüht sich seitdem darum, ihre eigene Geschichte von unabhängigen Historikern aufarbeiten zu lassen. Straub-Huillet S 449 Georg Kreis u.a. (Hg.), Alfred Toepfer. Stifter und Kaufmann. Bausteine einer Biographie. Kritische Bestandsaufnahme, Hamburg 2000; Dieter Tiemann, Die Geschichte des Straßburg-Preises 1963-1996. „Vordringlich war die Bereinigung des deutsch-französischen Verhältnisses“, Hamburg 2002. Dieter Tiemann Straub-Huillet Die Kindheit des 1933 in Metz geborenen Jean- Marie Straub war geprägt durch das Erleben der Besatzung Lothringens und den Zwang, nur deutsch reden zu dürfen. Nach dem Krieg machte er sein baccalauréat und begann in Straßburg und Nancy zu studieren, bevor er 1954 nach Paris übersiedelte, wo er erste Erfahrungen in der Filmbranche machte. Im selben Jahr lernte Straub seine in Paris geborene Frau Danièle Huillet (1936- 2006) kennen. Bis zu deren Tod realisierten beide ihre sämtlichen filmischen Projekte (28 Filme) gemeinsam, danach hat Straub noch weitere sieben Werke vollendet. 1958 setzte sich Straub in die Bundesrepublik ab, um dem französischen Militärdienst und dem Einsatz im Algerienkrieg zu entgehen. In Deutschland konnten Straub und Huillet ab 1962 ihre ersten cineastischen Arbeiten fertigstellen und wurden mit diesen zu den Mitbegründern des *Neuen Deutschen Films. 1969 erfolgte die Uraufführung des lange vorbereiteten Projekts der „Chronik der Anna Magdalena Bach“, Bachs Leben geschildert anhand des Tagebuchs seiner Frau. In den 1970er Jahren siedelten Straub und Huillet dann nach Rom über. Ihre Arbeiten sind nur zu verstehen aus ihrer kompromisslos marxistischen Grundhaltung. Ihr radikaler Antikapitalismus kommt bereits bei der Produktion ihrer Filme zum Ausdruck: So entstanden ihre Werke alle völlig abseits des etablierten kommerziellen Kinobetriebs auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Eigeninitiative. Ihre strikte Verweigerung gegenüber Vermarktungsmöglichkeiten hatte eine Bevorzugung kurzer bzw. mittellanger Produktionen zur Folge. In ästhetischer Hinsicht manifestiert sich ihr cineastischer Purismus in einer hochgradigen Perfektion, was Material, Tonspur sowie die Sorgfalt bei den Dreharbeiten und der Postproduktion anbelangt. Filmsprachlicher Bezugspunkt ist *Bertolt Brechts Prinzip der „Verfremdung“, mit der jegliche Form „manipulativer“ Illusionsbildung unterbunden und neue Horizonte der politischen Reflexion erschlossen werden sollen. Bewerkstelligt wurde diese Distanzierung durch Originalton (gegebenenfalls unter Einbeziehung aller Außenweltgeräusche) und den Einsatz von Laiendarstellern, denen sie ein möglichst emotionsloses Spiel abverlangten. In narrativer Hinsicht wird die anti-illusionistische Zerstörung des „Erlebnis“-Kontinuums durch den strikten Verzicht auf episierende Verfahren und die Kondensierung des Plots auf verweiskräftige Schlüsselszenen bewerkstelligt. Zur Umsetzung ihres asketischen Konzepts griffen sie ausnahmslos auf die verfremdende Bearbeitung literarischer, musikalischer und künstlerischer Vorlagen zurück. 2006 wurde ihnen auf den Filmfestspielen in Venedig ein Spezialpreis für „Innovation der Filmsprache“ zuerkannt. Inhaltlich steht die anklagende Darstellung, Hinterfragung und Bekämpfung von Ausbeutungsverhältnissen und kapitalistischer Macht im Zentrum des Werks. Die Radikalität des politischen Standorts der Cineasten zeigt sich beispielhaft in der Widmung ihrer Opernverfilmung „Moses und Aron“ (1974) an den RAF-Terroristen Holger Meins. Auf französischer Seite sind beide insbesondere inspiriert von Corneille („Othon“, 1969) und Paul Cézanne, dessen Werk nach den Aufzeichnungen des Maler-Freundes Joachim Gasquet dokumentiert wird. „Lothringen! “ (1994) greift auf „Colette Baudoche“, den Roman des Nationalisten Maurice Barrès zurück, um am Beispiel der preußischen Besetzung Lothringens nach 1870 jede Form des (Kultur-)Imperialismus zu geißeln. Aus der deutschen Literatur haben beide neben der „Anna Magdalena Bach-Chronik“ Stoffe von Heinrich Böll - „Machorka Muff“ nach „Hauptstädtisches Journal“ (1962); „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ nach „Billard um halb zehn“ (1965) -, *Brecht - „Geschichtsunterricht“ nach „Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar“(1972) -, Kafka - „Klassenverhältnisse“ nach „Der Verschollene/ America“ (1983) - sowie Hölderlin - „Der Tod des Empedokles“ (1986); „Schwarze Sünde“ (1988) - verarbeitet. Eine intensive Würdigung erfährt Arnold Schönbergs Zwölfton-Musik in den Opernfilmen „Moses und Aron“ (1974) und „Von heute auf morgen“ (1996). Die Association des films et leurs sites informiert auf www.straubhuillet.com über das Werk von Straub-Huillet. Tagespresse 450 T Ursula Böser, The Art of Seeing, the Art of Listening: The Politics of Representation in the Work of Jean- Marie Straub and Danièle Huillet, Frankfurt/ M. 2004. Klaus-Peter Walter T Tagespresse Frankreichs Tageszeitungen erreichten 2009 eine Gesamtauflage von 7,3 Mio. Exemplaren, wobei wie in allen Industrieländern die Auflagen schrumpfen. Der Rückgang von 5,7 % (2005-2009) erscheint zwar moderat (Deutschland: minus 8,3 %), trifft jedoch eine Branche, die schon vor Ausbreitung des Internet stark kränkelte. Ihr Anteil an den Werbeausgaben lag 2008 bei 25,6 % (D: 42,1 %), die Abonnements-Quote unter 20 % (D: 70 %), die Kosten sind überproportional hoch. Der Druck der in Paris erscheinenden „International Herald Tribune“ z.B. kostet in Frankreich 3 854 Euro je Ausgabe, in Deutschland 1 661 Euro. Eine Umfrage des von Verlegern und Journalistenverbänden getragenen Centre national pour le développement de l’information (CNDI) erbrachte 2006 bedenkliche Ergebnisse: Tageszeitungen seien langweilig, schlecht geschrieben und unglaubwürdig. Dass fast 45 % der Befragten keine Angaben machten, zeugt von Gleichgültigkeit gegenüber der Bezahlpresse. Der Niedergang der Tageszeitungen veranlasste Sarkozy 2008, zur Ursachenanalyse eine Studie über „Les médias et le numérique“, den „Rapport Giazzi“, in Auftrag zu geben und zur Behebung der Probleme eine Kommission (États généraux de la presse écrite) einzuberufen. Neben der Forderung nach höheren Subventionen ist deren Empfehlung bemerkenswert, die Redaktionen sollten „mehr Kontakt zu ihren Lesern suchen“. Bei der überregionalen presse nationale sank die Auflage von fast 7 Mio. Anfang der 1950er Jahre auf derzeit unter 1,5 Mio. - in Deutschland erreicht allein „Bild“ 3,15 Mio. Die sechs nationalen Tageszeitungen mit einer Auflage von über 100 000 Exemplaren haben ihren Sitz alle in Paris. Anders als bei ihren deutschen Pendants fehlen ihnen die inhaltliche Verankerung in der Provinz und damit Werbekunden außerhalb der Metropolregion. Zum Vergleich: In Deutschland bietet „Bild“ 21 Regionalausgaben, die „Süddeutsche Zeitung“ unterhält sogar innerhalb Münchens unterschiedliche Stadtteilbeilagen und bedient die umliegenden Landkreise mit gesonderten Regionalteilen. Einzig der konservative „Figaro“ (Auflage: 330 000) erzielt dank seiner Magazinbeilagen solide Werbeumsätze, „Le Monde“ (340 000; liberal) und „Libération“ (120 000, links-liberal) wurden wiederholt zu Sanierungsfällen. Alle Titel haben logistische Probleme - das Gros der Auflagen wird über nur 30 000 Verkaufsstellen abgesetzt (D: 90 000), die vom Quasi-Vertriebsmonopolisten Presstalis beliefert werden. Ein Streik lähmt somit den Absatz landesweit. 34 % des Verkaufspreises werden für den Vertrieb aufgewandt (D: 23 %). Die presse régionale bedient Leser außerhalb der Hauptstadtregion, dies fast ausschließlich mit Lokal- und Regionalnachrichten. Das Gros der Auflagen kommt von einem halben Dutzend Verlagen, die Zahl der Vollredaktionen liegt bei 60 (D: 105). Dank kleinräumiger Berichterstattung ist die Leser-Blatt-Bindung stärker ausgeprägt - die Marktführer „Est Bourgogne Rhône-Alpes“ (EBRA) und „Ouest France“ (Auflage jeweils über 1 Mio.) haben 101 bzw. 42 Lokalausgaben. Auflage und Anzeigenumsatz sind damit stabiler. Zudem haben die meisten Regionalblätter ein eigenes Vertriebssystem. In Deutschland arbeiten die Verlage regional mit eigener Absatzlogistik bzw. mit Vertriebsgemeinschaften, über die auch überregionale Blätter frühmorgens zum Abonnenten kommen. Bedeutend ist in Frankreich die Gratispresse, die nach der Jahrtausendwende auf den Markt kam und sich allein über Werbung finanziert. In wenigen Jahren verdreifachte sich ihre Auflage; bis 2006/ 2007 wuchs der (Werbe-)Umsatz stetig auf 1,1 Mrd. Euro, sinkt seither aber stark. „20 minutes“, eine Kooperation des norwegischen Schibsted-Verlags mit dem Regionalblatt „Ouest- France“, erreichte 2011 rund 1 Mio. Exemplare. „Metro“, von der schwedischen „Metro international“, verteilt 755 000 Exemplare, an ihr ist Bouygues’ TF1 beteiligt. „Direct“, aus dem Mischkonzern Bollorés, erscheint mit einer Auflage von 1 Mio. und arbeitet mit „Le Monde“ zusammen. Zahlreiche Regionalblätter zogen mit eigenen Gratis-Zeitungen nach. Der Erfolg der Gratis-Presse ist einfach zu erklären: Anders als die Bezahlpresse funktioniert sie rein marktgesteuert. Zielgruppe ist keine bestimmte soziale Schicht oder politische Richtung. Tagespresse T 451 Der Absatz erfolgt über stumme Verteiler im öffentlichen Personennahverkehr. Das Format ist „U-Bahn gerecht“, das Layout bietet eine gute optische Orientierung. Die Inhalte sind knapp formuliert - länger als 20 Minuten am Tag liest statistisch ohnehin niemand Zeitung - und beschränken sich auf Überblickswissen und Information mit Nutzwert. Zudem bedienen die Gratisblätter auch die Ballungsräume außerhalb von Paris. „Metro“ hat neun Regionalausgaben, „20 minutes“ zwölf und „Direct“ elf. Gleichwohl setzen alle drei mit jeweils über 400 000 Exemplaren den Großteil ihrer Auflagen im Großraum Paris ab. Die Konzentration auf die Ballungsräume ist attraktiv für Anzeigenkunden, denn beworbene Angebote liegen durchweg in geographischer Nähe des potentiellen Käufers. Zudem ist der Absatz einfach zu organisieren und kommt mit kurzen Wegen aus. Deutsche Verlage waren in der Vergangenheit finanzstark genug, um sich eine Gratiskonkurrenz vom Leibe zu halten. Notfalls wird ein eigenes Gratisblatt auf den Markt gebracht und damit das Anzeigenaufkommen des Wettbewerbers so lange reduziert, bis er vom Markt gedrängt ist. Frankreich war in der III. Republik eines der führenden Zeitungsländer, bis 1914 hielt es auflagenmäßig international den 1. Platz. Das „Petit Journal“ von Alphonse Millaud verkaufte bereits Ende des 19. Jahrhunderts über eine Mio. Exemplare. Allerdings gelang es den Zeitungen nicht, sich gegenüber Staat und Interessengruppen zu emanzipieren. Die Presse bestand vor 1940 einerseits aus Blättern für die Eliten, die fast durchwegs parteipolitisch festgelegt waren. Ministerien, Finanzmagnaten und Politiker hielten sich quasi ihr Hausblatt, ein Drittel aller Abgeordneten jener Epoche kam aus dem Journalismus. Dem gegenüber stand eine Skandal- und Unterhaltungspresse für die breite Masse; vordergründig unpolitisch, hatte sie den Ruf bestechlich zu sein. Damit war Frankreichs Presse für Werbekunden wenig attraktiv, denn abgesehen von zersplitterten Reichweiten, konnte eine Anzeigenschaltung ja auch als Parteinahme gedeutet werden. Nach der Niederlage von 1940 stellten zahlreiche Blätter ihr Erscheinen freiwillig ein oder wurden verboten. Was übrig blieb, kompromittierte sich in der collaboration . Nach der Befreiung begann noch 1944 eine Säuberung. Verlage, die mit den Nazis zusammengearbeitet hatten, wurden enteignet. Ihr Betriebsvermögen ging an die staatliche Société nationale des entreprises de presse und wurde von dieser weiterverkauft oder verpachtet. Nutznießer waren Blätter der Résistance, die ehedem im Untergrund erschienen waren, Neugründungen, darunter „Le Monde“, und Blätter aus der Vorkriegszeit, die ihr Erscheinen nach der Niederlage rechtzeitig eingestellt hatten. Das bescherte der IV. Republik zahlenmäßig sehr viele Titel, die wirtschaftlich auf schwachen Beinen standen. Den neuen Verlagen fehlte es an Erfahrung und Kapital, der Werbemarkt war klein. Die Kontingentierung von Zeitungspapier bremste bis 1958 ein Auflagenwachstum, die staatliche Preisbindung für Zeitungen fiel erst in den 1960er Jahren. Eine starke Stellung der kommunistischen Druckergewerkschaft Fédération du Livre verhinderte Strukturanpassungen. Ein finanzielles Desaster war damit bereits in den frühen 1950er Jahren absehbar, verzögert wurde es durch gute Verbindungen der Verleger zur Politik: Seither fließen umfangreiche Staatshilfen, denen man nachsagt, sie seien ursächlich für eine Dauerkrise der Tageszeitungen. Anstatt sich den veränderten Bedürfnissen der Leser anzupassen, hätten die Verlage auf Subventionen vertraut. Staatsgelder (2008: rund 2 Mrd. Euro) fließen in verschiedensten Formen: Durch reduzierte Bahn-, Post- und Telefontarife, um 30 % verminderte Sozialversicherungsabgaben für Kioskbetreiber, Zeitungsausträger und Journalisten, Gewerbesteuerbefreiung für Verlage und Druckereien und subventionierte Leistungen der - de jure - staatsfernen Nachrichtenagentur AFP (Ministerien und Rathäuser sind Zwangsabonnenten der Agentur). Die EU-Kommission sah sich deshalb 2011 genötigt, wegen stiller Subventionen nachzufragen. Frankreich garantiert zwar in Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 jedem Bürger „freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen“, nicht aber, wie Art. 5 des Grundgesetzes, den Medien . In Frankreich ist Meinungsfreiheit Individualrecht: Geschützt ist der Meinungsartikel, weit weniger der investigative Journalismus. Das erklärt eine gewisse Kommentarlastigkeit zu Lasten „harter“ Fakten. Den Blättern, die weit überwiegend am Kiosk abgesetzt werden, fehlt damit ein wichtiger Kaufanreiz. Der „Rapport Giazzi“ hatte deshalb eine Verfassungsnovelle empfohlen, die sich am Thadden, Rudolf von 452 T amerikanischen First Amendment bzw. an Art. 5 des Grundgesetzes orientieren solle. Journalisten können bislang keine Auskunftspflicht bei Behörden und Staatsunternehmen einfordern, vielmehr haben diese breite Möglichkeiten, Sachverhalte zum secret défense zu erklären (Artikel 413-9 des Code pénal). Amtliche Unterlagen, die nicht geheim sind, entzieht der Artikel 433-4 unerwünschter Einsichtnahme. Untersuchungsausschüsse des Parlaments sind als Quelle wenig ergiebig: Die Opposition darf lediglich einen pro Jahr beantragen, dieser muss seine Tätigkeit nach sechs Monaten abschließen. Ordnet der Justizminister ein Ermittlungsverfahren zum gleichen Thema an, ist dieses der parlamentarischen Untersuchung entzogen. Die illegale Beschaffung von Informationen ist in Deutschland nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zulässig, wenn ein „überragendes öffentliches Interesse“ an einer Veröffentlichung besteht. In Frankreich können sich Journalisten erst seit 2010 auf gesetzlichen Quellenschutz berufen (Loi 2010-1), der aber bei „überragendem öffentlichen Interesse“ nicht greift; dieses kann schon dann bestehen, wenn im Strafverfahren lediglich ein Vergehen aufzuklären wäre, dessen Strafmaß schon mit sechs Monaten Haft beginnt. Die deutsche Rechtsfigur der absoluten/ relativen Person der Zeitgeschichte mit ausgedünntem Persönlichkeitsschutz gibt es in Frankreich nicht. Berichte über Personen werden durch den Schutz der Privatsphäre nach Artikel 9 des Code civil faktisch von deren Einwilligung abhängig gemacht. Andernfalls riskiert ein Blatt noch vor Auslieferung die Beschlagnahme. Ausgenommen sind lediglich Berichte, die sich auf die öffentliche Funktion einer Person beziehen oder die für die Geschichtsforschung notwendig sind. Ein Gegendarstellungsrecht, das droit de réponse , hat jeder, der in einem Zeitungsbeitrag erkennbar vorkommt. Der Inhalt der Berichterstattung ist dabei unerheblich; in der Bundesrepublik sind allein Tatsachenbehauptungen gegendarstellungsfähig. In Deutschland werden presserechtliche Streitfälle in aller Regel zivilrechtlich geklärt; Frankreich hat die Loi sur la liberté de la presse, ein Pressestrafgesetz, das auch Einzelpersonen und Verbänden Klage- und Beteiligungsmöglichkeiten am Strafprozess einräumt. Grundsätzlich verboten ist z.B. jede Verdachtsberichterstattung (Artikel 29). Die Praxis deutscher Boulevardblätter, hinter eine Aussage ein salvatorisches Fragezeichen zu stellen („Neue Beweise gegen XY? “) funktioniert in Frankreich nicht: Bis zum Wahrheitsbeweis wird Böswilligkeit unterstellt (Artikel 35). Trotz Wahrheitsbeweis strafbar bleiben Aussagen, die sich auf das Privatleben beziehen sowie Bilder, die Verdächtige oder Angeklagte gefesselt zeigen (Artikel 35). Bei Freiheitsstrafe verboten ist es, unerlaubt Bilder zu veröffentlichen, die an einem „privaten Ort“ entstanden sind (Artikel 226-1 Code pénal). Der liegt bereits vor, wenn, wie bei Nacht- oder Tennisclubs, nur eine beschränkte Öffentlichkeit Zutritt hat; in Deutschland schützt §201a des Strafgesetzbuchs lediglich „Wohnung oder einen gegen Einblick besonders geschützten Raum“. Seit die US-Berichterstattung zur Affäre Dominique Strauss-Kahn gleichsam ein Lehrbuch zur Verletzung französischer Rechtsnormen lieferte, wird erstmals auch in Frankreichs Presse breiter diskutiert, ob man denn überhaupt eine wirksame Wächterrolle spielen könne. Eingezwängt zwischen strafbewehrtem Geheimnis- und Persönlichkeitsschutz haben es Tageszeitungen in Frankreich traditionell schwer, dem Leser einen Mehrwert zu bieten. Auch eine weniger restriktive Gesetzeslage dürfte daran nichts mehr ändern: „Die Öffentlichkeit hat gegenüber den Tageszeitungen eine Abneigung entwickelt, die es in dieser Form in anderen europäischen Länder nicht gibt“ (Giazzi, S. 4). Pierre Albert, Histoire de la presse, Paris 2008; États généraux de la presse écrite: Livre vert, Paris 2009; Danièle Giazzi, Les médias et le numérique, Paris 2008; Andreas Wrobel-Leipold, Warum gibt es die Bild-Zeitung nicht auf französisch? Zu Gegenwart und Geschichte der tagesaktuellen Medien in Frankreich, Wiesbaden 2010. Andreas Wrobel-Leipold Thadden, Rudolf von Rudolf von Thadden (geb. 1932 in Trieglaff) ist eine zentrale Mittlerfigur des franco-allemand und gehört, wie auf französischer Seite *Joseph Rovan und *Alfred Grosser, zu jener Gruppe Mittler, die sich, häufig bereits familiär vorgeprägt, mit hohem zivilgesellschaftlichem, ethischem und wissenschaftlichem bzw. publizistischem Engagement für die deutsch-französische Aussöhnung und Freundschaft eingesetzt haben. Dies wurde verstärkt durch die Mitarbeit in zahl- Thalmann, Rita T 453 reichen Gremien, durch Berufungen auf offizielle Posten sowie Ehrendoktortitel und Auszeichnungen wie die Légion d’honneur. Herkunftsbedingt - Rudolf von Thadden stammt aus dem ostpreußischen Adelsgeschlecht gleichen Namens - schlug er dabei stets einen Bogen in Richtung der östlichen Regionen Deutschlands sowie Polen, insbesondere in den Jahren unmittelbar nach dem Mauerfall. In seinem 2010 veröffentlichten Buch „Trieglaff. Eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807-1948“ schildert er die politischen und historischen Irrungen und Wirrungen in seinem Geburtsort in Form einer Chronik seiner durchaus schillernden Familie, deren Mitglieder aus zum Teil sehr unterschiedlichen Gründen bekannt wurden: So spielten einige eine hervorgehobene Rolle in der Geschichte der evangelischen Kirche seit dem 19. Jahrhundert, engagierten sich im Widerstand (wie Elisabeth von Thadden, die von den Nazis hingerichtet wurde), waren prominente Mitglieder in der CDU, aber auch der NPD. Von Thadden selber steht von jeher der gemäßigten Sozialdemokratie nahe. Er studierte Geschichte, Theologie und *Romanistik in Paris und an der Universität Göttingen, an die er 1968 auch als Professor berufen wurde. Seine Bücher und Publikationen befassen sich mit Preußen sowie der Kirchengeschichte, seine Habilitationsschrift mit dem französischen Verwaltungszentralismus, mit Restauration und napoleonischem Erbe (1972). Seine Essays „Nicht Vaterland, nicht Fremde“ (1989) sowie „Brückenwege nach Europa“ (2003) lassen ihn immer wieder als überzeugten Europäer erscheinen, der das bilaterale deutschfranzösische Verhältnis als ersten, nötigen und beispielhaften Schritt zu einer allgemeinen europäischen Integration ansieht. Mit Beginn der 1980er Jahre verstärkten sich seine institutionellen Beziehungen zu Frankreich, er wurde Gastprofessor ( directeur d’études associé ) an der renommierten École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris, wo er später, zwischen 1989 und 1992, erneut lehrte und zahlreiche Kontakte auf- und ausbaute. Von 1985 bis 1994 war er Präsident des *Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Ein Glücksfall für die deutsch-französischen Beziehungen der 1990er Jahre war seine Freundschaft mit der Dolmetscherin und Kulturmittlerin *Brigitte Sauzay, die von 1998-2003 den mit diesen Dingen bis dato wenig vertrauten Bundeskanzler Gerhard Schröder in deutsch-französischen Angelegenheiten beriet; gemeinsam mit ihr gründete von Thadden zunächst als private Initiative 1993 den Verein *Berlin-Brandenburgisches Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa, das im Schloss Genshagen unweit von Berlin seinen Sitz fand und 2005 in eine Stiftung umgewandelt wurde. Die Stärkung der Beziehungen der Neuen Länder zu Frankreich (und einzelnen Regionen) sowie der Austausch, auch im Rahmen des *Weimarer Dreiecks zwischen Polen, Deutschland und Frankreich lagen ihm dabei besonders am Herzen. Den Höhepunkt seiner öffentlichen Karriere erlebte er von 1999 bis 2003, als er in der Funktion des Koordinators für die deutsch-französische Zusammenarbeit der Bundesregierung manchen Impuls setzen konnte. Dabei beförderte er mannigfaltige Initiativen und hatte an der angenehm unaufgeregten Atmosphäre dieser Phase der politischen und kulturellen deutsch-französischen Beziehungen, in die u.a. 2003 die 40-Jahr- Feier des *Élysée-Vertrags sowie die Entscheidung zur Entwicklung des *deutsch-französischen Schulgeschichtsbuches fielen, erheblichen Anteil. Rudolf von Thadden, Trieglaff. Eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807-1948, Göttingen 2010. Joachim Umlauf Thalmann, Rita „Tout commença à Nuremberg“ (Paris 2004) ist der Titel der Memoiren der in Nürnberg geborenen französischen Germanistin Rita Thalmann (1926-2013). Sie wuchs in einer orthodoxen jüdischen Familie auf, der Vater war Tuchhändler und schon vor 1933 ein Intimfeind von Julius Streicher, dem Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, sodass die Familie (Rita und ihr Bruder Alfred) bereits 1933 nach Frankreich auswanderte und sich in Dijon niederließ. Während der Besatzung durch deutsche Truppen wurde ihre kranke Mutter in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und starb dort. Der Vater und die Kinder flohen in die unbesetzte Zone, doch nach dem Einmarsch der Wehrmacht im November 1942 wurde der Vater verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo er 1943 umkam. Die beiden Waisenkinder konnten Théâtre national de Strasbourg (TNS) 454 T sich mit Hilfe von französischen Widerständlern bis in die Schweiz durchschlagen. In Basel kamen sie bei den Eltern der Mutter unter und überlebten den Krieg. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich machte Rita Thalmann ihr Abitur und wurde zunächst Grundschullehrerin an der jüdischen Schule Yabne in Paris (1948). Sie kümmerte sich zugleich auch im Rahmen der Organisation de secours aux enfants (OSE) um jüdische Kriegswaisen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Zudem schrieb sie sich an der Sorbonne für ein Germanistikstudium ein, nach eigenem Bekunden, um zu verstehen, wie ein Land wie Deutschland, technisch und kulturell auf höchstem Niveau in Europa, sich unter dem Nationalsozialismus in einer derartigen „Entmenschung“ wiederfinden konnte. Nach ihrem Bestehen der Staatsexamina CAPES und agrégation unterrichtete sie 15 Jahre lang Deutsch am Gymnasium und bereitete währenddessen ihre Habilitationsschrift über „Protestantismus und Nationalismus von 1900 bis 1945“ vor (Paris 2000), aufgrund derer sie an die Universität von Tours berufen wurde. Sie beendete ihre Karriere an der Universität Paris 7 (heute Université Denis-Diderot). Rita Thalmann war eine civilisationniste der *französischen Germanistik eine und befasste sich vor allem mit zeithistorischen Fragen. Sie legte Analysen zur Vorgeschichte bzw. die Geschichte des Nationalsozialismus vor, so mit ihren Büchern „La Nuit de cristal“ (Paris 1972) und „La Mise au pas de la France 1940-1944“ (Paris 1991). Ihre Spezialisierung auf den Nationalsozialismus verband Rita Thalmann oftmals mit feministischen Fragestellungen. Ihr Buch „Être femme sous le III e Reich“ (Paris 1982) dürfte u.a. die Schriften von Claudia Koonz („Mothers in the Fatherland: Women, the Family, and Nazi Politics, New York 1986) beeinflusst haben. Das Seminar „Sexe et race“ an der Universität Paris 7, das von Rita Thalmann gegründet und geleitet wurde, entstand in diesem Kontext und sollte eine neue Sicht auf Frauen im Nationalsozialismus präsentieren. Schon in den 1950er Jahren hatte sie sich kurzzeitig der französischen KP angeschlossen, diese aber sehr bald - infolge der antisemitisch gefärbten Schauprozesse in den Ländern des „Ostblocks“ - wieder verlassen. Noch lange Zeit stritt sie vehement mit Kollegen wie *Gilbert Badia über die Politik in den so genannten „Volksrepubliken“. Rita Thalmann war innerhalb der *französischen Germanistik lange Zeit umstritten, insbesondere als Feministin und wegen ihrer Forschungen zum Schicksal der französischen Juden während der Vichy-Zeit. Die Wahl zur Präsidentin des französischen Hochschulgermanistenverbands *AGES (1988) war daher eine kleine Sensation. Ihr Einsatz für eine Anerkennung der civilisation in der Germanistik und damit auch innerhalb der französischen concours trug bei konservativen Germanisten nicht zu ihrer Popularität bei. Dafür wirkte sie als eine der ersten französischen Professorinnen - noch lange vor der Einführung der co-tutelle de thèse - aktiv an deutsch-französischen Doktorprüfungen mit. Rita Tahlmann war eine streitbare, aber äußerst gewissenhafte civilisationniste , die dem Fach stets Priorität einräumte und sich besonders für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einsetzte. Fritz Taubert Théâtre national de Strasbourg (TNS) Das Théâtre national de Strasbourg (TNS) ist das einzige der fünf französischen Nationaltheater außerhalb von Paris. Die Tatsache, dass hier nach 1945 mit weitem Abstand die meisten französischen Inszenierungen und Wiederaufnahmen deutschsprachiger Stücke stattgefunden haben, lässt sich zwar in gewisser Weise aus der Nähe zu Deutschland erklären, überrascht jedoch angesichts seiner Gründungsidee. Da die deutschen Besatzer im annektierten Elsass und in Lothringen aus propagandistischen Gründen und zu Zwecken der kulturellen Umerziehung besonderen Wert auf eine kontrollierte Förderung der dramatischen Kunst gelegt, Theater nach deutschem Vorbild eingerichtet und Straßburg zu einer regelrechten Kulturmetropole ausgebaut hatten, lag das ursprüngliche Ziel der 1947 als Centre dramatique de l’Est (CDE) und erstem Theater der décentralisation culturelle gegründeten, zunächst in Colmar angesiedelten und 1968 in ein théâtre national transformierten Bühne vor allem in einer von Paris aus gesteuerten Rückorientierung der Straßburger Bürger auf ihr kulturelles französisches Erbe und einer Förderung des nationalen Zugehörigkeitsgefühls. Tophoven, Elmar T 455 1946 gründeten die Städte Colmar, Straßburg und Mulhouse ein syndicat intercommunal für kulturelle Angelegenheiten, 1947 schloss sich Metz an. Von welcher Stadt die Initiative ausging, ist nicht eindeutig zu klären, fest steht jedoch, dass die Kulturbeauftragte Jeanne Laurent auf der Suche nach Möglichkeiten ihre Idee einer décentralisation culturelle umzusetzen, hier schnell ein geeignetes Terrain ausmachte und die örtlichen Kommunen ermunterte einen Antrag zu stellen. „Demandez et vous recevrez“, lautete die Devise. Angesichts dieser Zielvorgabe überrascht nicht, dass der CDE, was die Entwicklung seines Repertoires anbelangt, zunächst eine augenscheinlich anti-deutsche Position einnahm: So wurde zwischen 1947 und 1958 kein einziges Stück eines deutschsprachigen Autors aufgeführt. Stattdessen standen in den Anfangsjahren vor allem französische Klassiker und Lustspiele auf dem Programm. In den späten 1950er Jahren begann man dann immerhin Stücke von Friedrich Dürrenmatt zu inszenieren. Zum einen erschienen die Stücke eines Autors aus der deutschsprachigen Schweiz wohl als gelungener Kompromiss zwischen nationalem Auftrag und regionaler, sprachlicher Besonderheit; zum anderen gab Dürrenmatt - anders als die meisten seiner französischen Kollegen - offenbar aufgrund seiner langjährigen Freundschaft zum Direktor des Theaters, Hubert Gignoux, der das Theater von 1957-1971 leitete -, die Rechte einiger seiner französischen Erstaufführungen nach Straßburg. Abgesehen davon finden sich Stücke deutscher Theaterautoren in den 1960er Jahren in Strasbourg nur außerhalb des CDE: bei Gaston Jungs Compagnie Les Drapiers, die sozusagen ein regionales Gegenmodell zum neuen Theater darstellte. So stand Jung als deutsch sprechender Elsässer und Übersetzer (*Übersetzung von Theaterstücken) u.a. in engem Kontakt zu Robert Voisin vom Verlag *L’Arche und setzte sich stark für die jungen deutschen Autoren ein. Die Spielplanpolitik des TNS änderte sich grundsätzlich erst 1975 unter der Leitung von Jean-Pierre Vincent, einem überzeugten Vertreter einer intellektuellen und politisierten Theaterkunst, der zudem in extremer Weise durch die Berliner *Schaubühne beeinflusst war. Auf diese Weise fand die deutschsprachige Dramatik Einlass in das Repertoire des TNS - und dominierte es alsbald. Schauspieler und Dramaturgen wie Dominique Muller, Bill Freyd, André Wilms und ganz besonders Michel Deutsch erzeugten zusätzlich ein regelrecht „elsässisches Ambiente“ (*Jean Jourdheuil). In den 1980er und 90er Jahren setzten Jacques Lassalle, Jean-Louis Martinelli und schließlich *Stéphane Braunschweig als Direktoren diese Tradition fort. Das Ergebnis ist ein im nationalen Vergleich extrem reiches Repertoire an deutschsprachigen Stücken, wobei das Theater seit einigen Jahren - zum Teil mit Hilfe von Übertitelungen - zudem versucht, ein deutsches Publikum über die Grenze nach Straßburg zu locken. Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Bielefeld 2011; Pascale Goetschel, Renouveau et décentralisation du théâtre (1945-1981), Paris 2004; Denis Gontard, La décentralisation théâtrale en France 1895-1952, Paris 1973; André Gunthert, Le voyage du t.n.s., Paris 1983. Nicole Colin Tophoven, Elmar Der Weg des in Straelen (Niederrhein) geborenen Elmar Tophovens (1923-1989) zur literarischen Übersetzung („seine“ Autoren waren vor allem *Samuel Beckett und Nathalie Sarraute, aber auch andere Vertreter des so genannten Nouveau roman wie Alain Robbe-Grillet, Claude Simon, Monique Wittig, Louis-René des Forêts u.a.) lässt sich, zumindest in den Anfängen, auch als vermutlich erstes Fallbeispiel einer gelungenen Politik des Kulturaustauschs zwischen Frankreich und Deutschland in den Nachkriegsjahren erzählen. Als Arztsohn hatte er zunächst ein Medizinstudium aufgenommen, bevor er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs einberufen wurde und in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Im Lager soll er sich, nach dem Zeugnis von *René Wintzen, als Leiter einer Laienspielgruppe betätigt und die französischen Autoren des klassischen Repertoires entdeckt haben. Zum Wintersemester 1946 schrieb sich Tophoven an der neu gegründeten Universität Mainz in Germanistik ein und studierte u.a. bei Willi Fleming Theatergeschichte. Gleichzeitig gründete er mit Kommilitonen, darunter der später bekannte Kabarettist Hans Dieter Hüsch, eine Theatertruppe. Anfang des Wintersemesters 1949/ 50 trat *Raymond Schmittlein mit der Bitte an die Universität heran, ihm bei der Suche nach einem *Lektor für deutsche Sprache und Literatur am Tournier, Michel 456 T Lehrstuhl von *Edmond Vermeil an der Sorbonne, zu helfen. Die Wahl fiel auf Elmar Tophoven, dem *Vermeil schon am 4.12.1949 seine Ernennung bestätigte: „Worüber lesen Sie denn, junger Mann? “ Damit war Tophoven, oder „Top“, wie ihn seine Freunde nannten, der erste *Lektor für Deutsch in Frankreich (sein Vertrag endete im Jahre 1952), der nicht den Zirkeln der Emigration entstammte und aus der neuen Bundesrepublik einreiste. Tophoven versorgte die Mainzer Freunde mit neuester Theaterliteratur aus Frankreich und übersetzte drei Stücke von Arthur Adamov. Adamov war es auch, der ihn am 7.1.1953 zur Première von *Becketts „En attendant Godot“ im Pariser Théâtre de Babylone mitnahm. Schon am Tag darauf besorgte Tophoven sich das Stück, übersetzte es in drei Wochen und legte es *Beckett vor. Es war dies der Beginn einer lebenslangen Kooperation zwischen Autor und Übersetzer, es war aber auch der Beginn der Karriere des literarischen Übersetzers Elmar Tophoven (*Übersetzung von Theaterstücken). Im selben Jahr nahm Tophoven zudem erstmals an den von *René Wintzen initiierten *deutschfranzösischen Schriftstellertreffen teil (u.a. mit Heinrich Böll, Paul Schallück, Luise Rinser, *Joseph Breitbach, Gabriel Marcel, Manès Sperber und dem *Camus-Übersetzer Guido Meister). Tophoven ließ sich als Übersetzer in Paris nieder, vertrat ab 1963 immer wieder *Paul Celan als *Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der École normale supérieure (ENS), bevor er 1970, nach *Celans Freitod, zu dessen Nachfolger ernannt wurde. Zu würdigen ist indes nicht nur Elmar Tophovens herausragende Leistung als Übersetzer avantgardistischer französischer Gegenwartsliteratur. Stets auf dem neuesten Stand linguistischer Forschungen galt sein Interesse der wissenschaftlichen Reflexion und Transparenz der Übersetzertätigkeit. Legendär sind seine lexikographisch-semantischen Zettelkästen (allein 1 000 Zettel für *Becketts Roman „Mercier et Camier“), die den modernen Textdateien und -verarbeitungssystemen vorausgreifen. Was ihm für Übersetzungen vorschwebte, war das, was heute in „genetischen“ Texteditionen zur Norm geworden ist: Nachvollziehbarkeit des Schaffensprozesses unter Einbeziehung von - gestrichenen - Varianten. Der Archivierung des work in progress und dem intellektuellen Austausch unter Übersetzern galt auch sein wohl größtes Projekt: 1978 gründete er in seiner Geburtsstadt Straelen das erste internationale Übersetzerkolleg, das in seiner Vorstellung ein neues Toledo sein sollte: Schule und weltliches Kloster für Übersetzer aus aller Herren Länder. Dem Vorbild Straelen folgte wenig später die Gründung (an der er maßgeblich beteiligt war) des Collège international de la traduction littéraire (CITL) in Arles, wo seit 1984 alljährlich die Assises de la traduction littéraire stattfinden. Es folgten ähnliche Gründungen in anderen europäischen Ländern. Jürgen Ritte Tournier, Michel Der 1924 in Paris geborene Sohn eines französischen Germanistenpaares hatte von Beginn an „einen Fuß in Deutschland“. Sein auf Goethes Ballade anspielender Roman „Le Roi des Aulnes“ (1970) steht für den Beginn einer neuen Art der literarischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Als Kind erlebte Tournier in den 1930er Jahren bei Ferienaufenthalten in Deutschland den Alltag und die Allgegenwärtigkeit der Propaganda im Nationalsozialismus. Er studierte ab 1942 Philosophie an der Sorbonne und beschäftigte sich mit der deutschen Philosophie. 1944 entging er knapp einer deutschen Razzia. Er nahm 1946 an einem der ersten Austausche mit deutschen Studierenden teil und blieb für vier Jahre in Tübingen (in der französischen Besatzungszone). Dort befreundete er sich mit dem späteren Dokumentarfilmregisseur Claude Lanzmann (*Shoah), mit Thomas Harlan und seinem späteren Übersetzer Hellmut Waller. Nach dem Studium war Tournier bei Rundfunk und Presse journalistisch tätig. 1950 begann er für die Éditions Plon aus den Akten des Geheimarchivs des Auswärtigen Amtes des „Dritten Reichs“ zu übersetzen. Außerdem übertrug er Erich Maria Remarques Romane „Der Funke Leben“ und „Zeit zu leben, Zeit zu sterben“ ins Französische und traf den Autor in Paris. Für Gallimard war Tournier später als *Lektor u.a. für deutschsprachige Literatur tätig (*Übersetzen/ Dolmetschen). Sein erster Roman „Vendredi ou les Limbes du Pacifique“ (1967), eine Neuschöpfung des Robinson-Motivs, wurde von der Académie fran- Trivium T 457 çaise ausgezeichnet. 1970 erhielt Tournier für „Le Roi des Aulnes“ einstimmig den Prix Goncourt. Grundlage dieses vielschichtigen Romans, der großes Aufsehen erregte, ist Tourniers germanistique personnelle aus Geschichte und Mythen. Der französische Protagonist Abel Tiffauges erliegt der Verführung des Nationalsozialismus, wird zum ogre an einer Napola in Kaltenborn (Ostpreußen) und endet als Christophorus, indem er ein jüdisches Kind zu retten versucht. Tournier schrieb weitere Romane wie „Les Météores“ (1975), „Gaspard, Melchior & Balthazar“ (1980), „Gilles et Jeanne“ (1983), den autobiographischen Essai „Le vent Paraclet“ (1977) sowie Erzählungen, Kinderbücher und Essais zu Kunst und Fotografie. Von 1972 bis 2011 war er Mitglied der Académie Goncourt. Tournier unternahm zahlreiche Reisen in beide Teile Deutschlands, u.a. 1981 zur Leipziger Buchmesse. 1985 nahm er an einem offiziellen Besuch des Premierministers Laurent Fabius in Ost-Berlin teil; 1986 hielt er sich mehrere Wochen in der DDR auf, um seinen nicht vollendeten Sport-Roman „Eva ou la République des corps“ vorzubereiten. Er wurde korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik sowie 1988 Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrates. 1993 erhielt Tournier in Weimar die Goethe-Medaille; 1999 sprach er dort zum 250. Geburtstag Goethes. Seine Betrachtungen und Erfahrungen mit Deutschland versammelte er in dem Essay-Band „Le Bonheur en Allemagne? “ (2004). In der Bundesrepublik erschienen die Werke Tourniers seit 1968 bei Hoffmann & Campe. Er stand weiterhin in engem Kontakt mit dem Übersetzer Waller. „Der Erlkönig“ (1972) wurde, abgesehen von Jean Amérys Vorwurf des „Ästhetizismus der Barbarei“, sehr positiv aufgenommen und insgesamt einer eher historisierenden Lesart unterzogen, die der philosophischen und sprachgestalterischen Dimension des Romans nicht immer gerecht wird. In der DDR wurde das Buch zunächst im Verlag Volk & Welt aufgrund der irritierenden Ambivalenz möglicher Lesarten ablehnend begutachtet (*Französische Literatur in der DDR). 1983 übernahm der Aufbau-Verlag die westdeutsche Übersetzung. Im Nachwort wurde u.a. auf die thematische Nähe zu Christa Wolfs „Kindheitsmuster“ (1976) hingewiesen. 1996 brachte *Volker Schlöndorff seine Filmadaption „Der Unhold“ mit John Malkovich in der Hauptrolle auf die Leinwand. Manfred S. Fischer, Probleme internationaler Literaturrezeption. Michel Tourniers „Le Roi des Aulnes“ im deutsch-französischen Kontext, Bonn 1977; Cornelia Klettke, Der postmoderne Mythenroman Michel Tourniers am Beispiel des „Roi des Aulnes“, Bonn 1991; Michel Tournier, Je m’avance masqué. Entretiens avec Michel Martin-Roland, Paris 2011. Sandra Schmidt Trivium „Trivium. Deutsch-französische Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften“ ist eine im Jahr 2008 gegründete elektronische Publikationsplattform, die ausgewählte Artikel aus deutschen und französischen wissenschaftlichen Zeitschriften in den Geistes- und Sozialwissenschaften in der jeweils anderen Sprache veröffentlicht. Ihr Ziel ist es, den wissenschaftlichen Austausch zwischen deutsch- und französischsprachigen Ländern durch Übersetzungen zu fördern und auf diese Weise auch zur Bewahrung und Wertschätzung des Deutschen und des Französischen in der Forschungspraxis und in der internationalen wissenschaftlichen Kommunikation beizutragen. Die vom Verlag der Fondation Maison des sciences de l’homme Paris (FMSH) herausgegebene Zeitschrift (ISSN 1963-1820) erscheint in Einzelausgaben (durchschnittlich drei pro Jahr), die thematisch ausgerichtet sind und jeweils von einem deutschen und einem französischen wissenschaftlichen Herausgeber betreut werden. Ein wissenschaftlicher Beirat entscheidet mit den Herausgebern über die Auswahl der zu übersetzenden Artikel, die sich an der jeweils spezifischen Rezeptionslage in beiden Ländern orientiert. Die Zeitschrift ist frei im Internet zugänglich. Gegründet wurde „Trivium“ auf Initiative von Hinnerk Bruhns, Historiker am CNRS und langjähriger Leiter des deutsch-französischen *Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme (FMSH), die das Projekt bis heute in Kooperation mit weiteren Institutionen des deutsch-französischen Wissenschaftsaustauschs trägt. Erste Unterstützung des Projekts kam von der DVA-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Délégation à la langue française et aux langues de France (DGLFLF) des Ministère de la Troller, Georg Stefan 458 T culture. Nahezu gleichzeitig wurde es in das von der DFG und ANR gemeinsam verantwortete Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften aufgenommen. Die französischen wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland (*Centre Marc Bloch und *Institut français d’histoire en Allemagne) sowie die deutschen Forschungsinstitute in Paris (*DHI und *Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK)) sind durch einen festen Sitz im Beirat seit Beginn in das Projekt eingebunden; seit 2011 gilt dies auch für das vom *DAAD geförderte *CIERA sowie seit 2014 für das Zentrum für Elektronisches Publizieren der Bayerischen Staatsbibliothek München. Alle an „Trivium“ beteiligten institutionellen Akteure sind überzeugt davon, dass das Nachdenken über die Gesellschaft auch in einer zunehmend global organisierten und kommunizierenden Welt nicht ohne Nationalsprachen auskommen kann. Auch wenn Kooperation und Austausch in der Wissenschaft in Europa und weltweit auf eine Lingua franca - heute das Englische - nicht verzichten können, ist für eine auf das gegenseitige Verständnis und die Problematisierung von Bedeutungszusammenhängen und Sinnstrukturen gegründete Zusammenarbeit zwischen Forschern aus unterschiedlichen Sprachgemeinschaften der alleinige Rückgriff auf eine dritte Sprache unzureichend. Thematisch deckt „Trivium“ das gesamte Spektrum der Geistes- und Sozialwissenschaften ab, wobei den Prinzipien der Zeitschrift gemäß besonders solche Themen berücksichtigt werden, die bislang unter einer geringen Aufmerksamkeit im Partnerland gelitten haben. Auch wenn gewöhnlich jede Ausgabe Artikel in deutscher und in französischer Sprache umfasst, sind deshalb in Einzelfällen auch Themenhefte möglich, die Übersetzungen nur in eine Richtung enthalten. Jede Ausgabe der Zeitschrift wird von einem Forschungsüberblick der Herausgeber eröffnet und von einer ergänzenden Bibliographie begleitet, die den Lesern die weitere Orientierung im behandelten Forschungsfeld ermöglicht. Falk Bretschneider Troller, Georg Stefan Es ist nicht gewiss, ob der 1921 als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers in Wien geborene Filmemacher und Buchautor Georg Stefan Troller sich ausgerechnet in einem Handbuch zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen verewigt sehen möchte. „Nein, ich habe keine Sehnsucht, Frankreichs Kulturbotschafter in Deutschland zu spielen“, schrieb (und wiederholte) er noch im Jahre 2009 in seinem autobiographischen Buch „Selbstbeschreibung“. Und doch: Mit den gut 50 Folgen seines zwischen 1962 und 1971 von der ARD ausgestrahlten „Pariser Journals“ schrieb er nicht nur ein Kapitel der deutschen Fernsehgeschichte (die Einschaltquoten lagen teilweise bei sagenhaften 50 %! ), er leistete damit auch, auf gleichsam zivilgesellschaftlicher Ebene, einen ganz entscheidenden Beitrag zur deutschen Frankreichwahrnehmung. Das Paris (inklusive weiterer Umgebung), das Troller damals zeigte und seither in zahlreichen Büchern zeichnete - „Pariser Journal“ (1966), „Mein Paris“ (1973), „Dichter und Bohémiens. Literarische Streifzüge durch Paris“ (2003), „Paris geheim“ (2008) -, brachte frischen Wind und einen besonderen Ton in die Wohnstuben der Adenauer-Erhard-Kiesinger-Jahre. Troller bediente keine touristischen Postkartenwünsche, er inszenierte französische Menschen, Prominente (Piaf, Gréco, Aznavour, Gainsbourg oder Romain Gary), solche, die es werden sollten und solche, dies vielleicht seine besondere Stärke, die es niemals sein würden. Es waren Lebensbilder, die ein anderes Frankreich, eine andere, unangepasste façon de vivre nach Deutschland brachten. Der unverwechselbare sound, die klare Diktion seiner stets aus dem Off erklingenden Stimme, der ironisch getönte Lakonismus seiner Kommentare, die scheinbar beiläufige, aber stets präzise Kameraführung, die gestochene Schnitt- und Montagetechnik, der wohltuende, und eben stets neugierige Verzicht auf jede Form von Besserwisserei, die den Befragten und Porträtierten erst zu ganzer Präsenz verhalf, all das hat exemplarischen Vorbildcharakter gehabt für das von Troller erneuerte und eigentlich erst erfundene Genre einer besonderen Form des Dokumentarfilms, der „Personenbeschreibung“, wie Troller sie zwischen 1971 und 1993 in 70 Folgen für das ZDF produzierte. Er entwickelte eine eigene Technik und Ästhetik des Dokumentarfilms, die er nach den „Personenbeschreibungen“ noch in einer Reihe anderer Realisierungen ausarbeitete - etwa in „Amok! “ (2001), „Mord aus Liebe“ (1993) oder einem halben Dutzend sognannter „Hollywood- Übersetzung von Theaterstücken U 459 profilen“ über John Malkovich, Woody Allen, Isabella Rossellini. Troller, der 1938, im Jahre des „Anschlusses“, über Paris in die USA emigrierte und als amerikanischer Staatsbürger (in der Uniform eines Korporals der US-Army und Mitglied eines Vernehmungsteams) 1944 nach Europa zurückkehrte, bevor er von 1946-1949 an der University of California und an der Columbia University studierte, lebt seit 1949 in Paris, wo er damals ein Stipendium an der Sorbonne erhalten hatte. Die Alma Mater verließ er indes zugunsten des Journalismus’ und des Films. Es sind, nach mancher Schätzung, gut 2 000 Interviews, die Troller in seinem langen Journalistenleben geführt hat. Dazu kommen 150 Filme und eine lange Reihe an Drehbüchern, wie etwa für Robert Schindels „Gebürtig“ oder die große Emigrantentrilogie „Wohin & Zurück“ (für Axel Corti, 1981/ 1986). Troller ist außerdem Autor von bald zwanzig Büchern, zuletzt einer stark parodistischen Märchenreise mit Saint-Exupérys „Kleinem Prinzen“ (2011). Der internationale, dutzendfach ausgezeichnete „Menschenfresser“ (so Trollers Selbstbezichtigung) hat von Paris aus für ein deutschsprachiges Publikum einen neuen, einen anderen Blick auf die Welt und ihre Menschen geworfen. Das ist die vornehmste Aufgabe der Kunst, wie schon Proust, auch er ein „Menschenfresser“, sagte. Jürgen Ritte U Übersetzen/ Dolmetschen Seit es unterschiedliche Sprachen gibt, können Kulturbeziehungen zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen ohne Übersetzer und Dolmetscher nicht auskommen. Beide Berufsprofile werden oft vergessen, wenn es um die deutsch-französischen Kulturbeziehungen geht. Dabei ist klar: Entwickelte Kulturen, die auf Schriftlichkeit und auf hoch spezialisierte Fachsprache begründet sind, müssen zum Transfer sowohl von schriftlich fixierten Gedanken, als auch von mündlicher Kommunikation befähigt sein. Anderenfalls kann Kulturaustausch nur von einer kleinen, zweisprachigen Elite betrieben werden. In den deutsch-französischen Kulturbeziehungen haben Dolmetscher und Übersetzer deshalb eine besonders große Verantwortung und Bedeutung, weil die Intensität der Kontakte und die Sprachkenntnisse der jeweils anderen Sprache nicht proportional sind. Beide Sprachen gehören zu unterschiedlichen Sprachfamilien, haben sich aber gegenseitig über Jahrhunderte beeinflusst. Besonders schwierig ist der Umgang mit den so genannten „falschen Freunden“, d.h. Worten und Begriffen, die in beiden Sprachen existieren, aber unterschiedliche Bedeutung haben. Nach Auskunft der Frankfurter Buchmesse sind im Jahr 2009 in Frankreich 566 aus dem Deutschen übersetzte Titel erschienen: Das ergibt 6,2 % und einen dritten Platz nach den Übersetzungen aus dem Japanischen mit 8,3 % und aus dem Englischen mit 62 %). Bei den Übersetzungen ins Deutsche ist Französisch nach Englisch die zweite Ausgangssprache (10,2 % aller Übersetzungen). Dabei entfallen auf die Belletristik 32 % aller Übertragungen aus dem Französischen mit 342 Titeln im Jahre 2009. Im Bereich der hochwertigen literarischen Übersetzung ist seit einigen Jahren tendenziell eine Abnahme zu beobachten, die mit der Höhe der Auflagen zusammen hängt. Übersetzungszuschüsse und Förderpreise für literarische Übersetzung versuchen, diesem Trend entgegen zu wirken. Der Markt für gute Simultandolmetscher bleibt hingegen bedeutend, auch wenn zunehmend in der fachwissenschaftlichen Welt und auch im politischen Bereich in der Drittsprache Englisch kommuniziert wird. Ein weiterer Bereich der qualifizierten Übertragung ist die Synchronisation von Filmen. Dank der europäischen Filmförderung werden kontinuierlich hochwertige deutsche und französische Filme wechselseitig synchronisiert und so auch gerne vom Publikum angenommen. Jürgen Stähle, Vom Übersetzen zum Simultandolmetschen. Handwerk und Kunst des zweitältesten Gewerbes, Stuttgart 2009. Frank Baasner Übersetzung von Theaterstücken Theaterstücke, sofern sie keine Klassiker sind, werden relativ selten in Buchform verlegt - häufig nur dann, wenn sie auf bekannten Bühnen aufgeführt wurden. Da ausländische Texte zudem die Vermittlung in die Zielsprache durch Übersetzen erfordern, ist in diesem Bereich die Verbreitung und Bekanntmachung noch schwieri- Übersetzung von Theaterstücken 460 U ger. In Deutschland und in Frankreich sind daher seit Ende der 1960er Jahre nach und nach wichtige Übersetzungsförderungsprogramme für Gegenwartsdramatik ins Leben gerufen worden, die landesspezifische Eigenheiten aufweisen. Die in Deutschland bestehende Organisationsform der Theater scheint die Zirkulation und das Übersetzen von Theatertexten stärker zu begünstigen als in Frankreich. Die Theater haben in der Regel feste Ensembles, zusammengesetzt aus Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen, von denen einige selbst bekannte Autoren und Übersetzer sind (u.a. Marius von Mayenburg oder Leopold von Verschuer). Die Veröffentlichung von Theaterstücken in Deutschland wird durch zwei Zeitschriften intensiv unterstützt: „Theater heute“ (gegründet 1960) publiziert jeden Monat ein zeitgenössisches Theaterstück, das auf einer deutschen Bühne aufgeführt wurde, und widmet ihm einen Hintergrundartikel; „Theater der Zeit“ wurde 1946 in der DDR gegründet und ist seit den 1990er Jahren ebenfalls ein wichtiger Akteur bei der Veröffentlichung von Theatertexten. Hier wird nicht allein jeden Monat ein neues Theaterstück publiziert, sondern der Verlag gibt zudem die Reihe DIALOG heraus, die der Erstveröffentlichung von zeitgenössischen Theaterstücken aus aller Welt gewidmet ist. Neben diesen Zeitschriften kümmern sich vor allem die Theater- und Medienabteilungen größerer Verlage (wie der Rowohlt Theater Verlag oder Suhrkamp Theater & Medien) oder spezielle Theaterverlage (wie der Theater-Verlag Desch) um die Zirkulation der Stücke und vertreten auch zahlreiche zeitgenössische Autoren aus Frankreich. Sie verfügen über umfangreiche Sammlungen von Manuskripten, die sie Theatern und Regisseuren kostenlos zur Einsicht bereitstellen. Die Medienverlage verwalten vor allem die Aufführungsrechte im deutschsprachigen Raum, Buchpublikationen sind in der Regel nicht vorgesehen und erfolgen (bei bekannten Autoren) häufig auch in einem anderen Verlag. Mit den ins Deutsche übersetzten Werken von Yasmina Reza haben der Theater-Verlag Desch (bei dem die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen) und der Verlag Libelle (der für die Publikation zuständig ist) einen herausragenden Erfolg erzielt. Der Rowohlt Theater Verlag vertreibt die Texte von Laurent Gaudé und Fabrice Melquiot, die Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH Valère Novarina (zwei Stücke von ihm wurden vom Alexander Verlag Berlin veröffentlicht), der Theaterverlag Henschel Schauspiel vertritt Michel Vinaver, Desch und Libelle Éric-Emmanuel Schmitt und der Merlin Verlag Olivier Py. Französische Dramatik wird in Deutschland nicht zuletzt durch die (gemeinsam von dem Berliner Bureau du théâtre et de la danse des *Institut français‘ und dem Verlag der Autoren gegründete) Reihe „Scène“ bekannt gemacht, die ursprünglich von Barbara Engelhardt geleitet wurd. Seit 2011 haben Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand) diese Rolle übernommen. Seit 1999 werden jährlich fünf Stücke zeitgenössischer französischer Autoren in deutscher Übersetzung publiziert, von denen viele auf deutschen Bühnen aufgeführt wurden. Für Deutschland entdeckt wurden hier u.a. David Lescot, Joël Pommerat, Noëlle Renaude, Olivier Cadiot, Eugène Durif, Enzo Cormann, Didier-Georges Gabily und Wajdi Mouawad. In Frankreich hat sich der Verlag *L’Arche Éditeur bereits in den 1950er Jahren auf die Veröffentlichung von zeitgenössischen (und vor allem deutschsprachigen) Theatertexten spezialisiert. Es begann mit der Publikation der im Théâtre national populaire (TNP) aufgeführten Stücke, der Herausgabe der Zeitschrift „Théâtre populaire“ und der französischen Übersetzung des Werkes von *Bertolt Brecht. Bis heute engagiert sich der Verlag in diesem Bereich, und mit ungefähr zwanzig Neuerscheinungen pro Jahr trägt er wesentlich zur Steigerung des Bekanntheitsgrads der deutschen Gegenwartsdramatik bei: Hausautoren sind neben großen Namen wie *Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek u.a. Lukas Bärfuss, Dea Loher, Falk Richter oder Roland Schimmelpfennig. Weitere Verlage für Gegenwartsdramatik sind die éditions THEA- TRALES (seit 1982), Actes Sud-Papiers (seit 1987) und die Éditions Les Solitaires Intempestifs (seit 1992). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das französischsprachige Verlagshaus Lansman Éditeur in Belgien, das in fast zwanzig Jahren ein ca. 600 Titel umfassendes Verlagsprogramm aufgebaut hat. In seiner Reihe „Théâtre en traduction“ veröffentlicht der Verlag auch interessante Werke von deutschen Autoren. Die 1990 gegründete Maison Antoine Vitez ist ein internationales Zentrum für *Theaterübersetzungen, das auf vielfältige und innovative Weise Übersetzung von Theaterstücken U 461 Übersetzungen und ihre Veröffentlichungen fördert. Obwohl sich das Zentrum ganz allgemein die Öffnung der französischen Theater für das zeitgenössische ausländische Repertoire zum Ziel setzt, ist durch seinen langjährigen Direktor, den *Germanisten, Dramaturgen und *Übersetzer *Michel Bataillon, sowie Laurent Mühleisen, Übersetzer zahlreicher deutschsprachiger Theaterstücke ins Französische und künstlerischer Berater an der Comédie-Française, sichergestellt, dass die deutsche Dramatik einen ihr angemessenen Platz erhält. Das Zentrum war u.a. der Initiator des Projekts „Traits d’Union, 27 nouvelles pièces d’Europe“, das anlässlich der französischen EU-Präsidentschaft durchgeführt wurde. Aus jedem Land der EU wurde ein unveröffentlichter Theatertext ausgewählt, übersetzt, in Form einer szenischen Lesung in bekannten Theatern aufgeführt und bei den éditions THEATRALES veröffentlicht. Traits d’Union ist Teil des Programms TER (Traduire, éditer, représenter), das den Aufbau einer Plattform für alle in Europa bestehenden professionellen Theaterübersetzungs-Netzwerke zur Aufgabe hat. Ziel ist es zudem, eine Charta für Übersetzer zu erarbeiten, Übersetzungen zirkulieren zu lassen und internationale Begegnungen anzustoßen. Frankreich ist auf diesem Weg zu einem der Hauptakteure auf dem Gebiet des Theateraustauschs innerhalb Europas geworden. In der zweisprachigen Reihe Nouvelles Scènes - Allemand werden unter der Leitung von Hilda Inderwildi und Catherine Mazellier jedes Jahr ein bis zwei Werke publiziert. Die Reihe wurde 2003 von den Herausgebern der Presses universitaires du Mirail und dem Théâtre de la Digue in Toulouse gegründet. Mit der Reihe, die ausschließlich der Gegenwartsdramatik gewidmet ist, sollen deutschsprachige Autoren, die den bestehenden Formen europäischer Dramatik neue Akzente geben, über die Grenzen ihres Heimatlands hinaus bekannt gemacht werden. Die Auswahlkommission besteht aus acht deutschen und französischen Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Übersetzung und Regie. Zum ersten Mal in Frankreich publiziert wurden in dieser Reihe u.a. Falk Richter (heute bei *L’Arche), Kathrin Röggla, Martin Heckmanns, Anja Hilling, Ewald Palmetshofer, Philipp Löhle und Darja Stocker. Die Übersetzer von Theatertexten, die nicht nur im Schatten des Autors arbeiten, sondern meist sogar noch hinter dem Regisseur verschwinden, erhalten Sichtbarkeit und Anerkennung durch Institutionen wie die Maison Antoine Vitez, aber auch Programme zur Übersetzungsförderung wie Theater Transfer. Seit 1999 werden im Rahmen dieses durch das *Goethe- Institut, die DVA-Stiftung (Stuttgart), die Fondation Beaumarchais (Paris) und das Bureau de la création artistique - théâtre et danse des *Institut français (Berlin) koordinierten und finanzierten deutsch-französischen *Übersetzungsprogramms jedes Jahr zwei bis vier Übersetzungsstipendien vergeben, um zeitgenössische französische Stücke in Deutschland und umgekehrt deutsche zeitgenössische Stücke in Frankreich bekannt zu machen. Prämiert wurden u.a. Jörn Cambreleng, Ruth Orthmann, Heinz Schwarzinger, Maurice Taszman für ihre Übersetzungen von Einar Schleef, Enzo Cormann oder Lothar Trolle. Viele Übersetzungen, die früher in den Schubladen der Übersetzer oder in den Archiven der Verleger darauf warteten, aufgeführt zu werden, sind heute in numerischen Bibliotheken gespeichert und somit auch leichter zugänglich. Unter anderem bietet die Datenbank theatertexte.de - eine Serviceeinrichtung des Verbandes Deutscher Bühnen- und Medienverlage (VDB) - Theatermachern und anderen Interessierten die Möglichkeit Theatertexte zu suchen und zu bestellen. Die Zahl der (übersetzten) Stücke übersteigt dennoch wesentlich die Zahl der Aufführungen. Neben den Übersetzungsförderprogrammen sind aus diesem Grund auch Theaterfestivals in Deutschland und Frankreich für die Entdeckung von Texten junger und weniger bekannter ausländischer Autoren bedeutsam. In Berlin findet seit 1964 jährlich das bekannte Theatertreffen (tt) statt, dessen 1978 gegründeter Stückemarkt jeweils zwei bisher nicht aufgeführte Texte auszeichnet, die infolge häufig von bekannten Theatern - so in der Vergangenheit beispielsweise dem Maxim Gorki Theater in Berlin oder dem Bayerischen Staatsschauspiel München - aufgeführt werden. Zudem werden seit 2002 bis zu fünf junge Autoren zur Teilnahme an einem im Rahmen des Stückemarktes stattfindenden Dramatikerworkshop eingeladen. Ähnliche Stückemärkte gibt es in Heidelberg, Hannover, Hamburg und München; erwähnenswert ist darüber hinaus die von Manfred Beilharz in Bonn gegründete Theaterbiennale „Neue Stücke aus Eu- Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme 462 U ropa“, die seit Beilharz Wechsel am Staatsschauspiel Wiesbaden beheimatet ist. Es handelt sich um ein internationales Theaterfestival für Gegenwartsdramatik, auf dem in Originalsprache aufgeführte und für das Publikum simultan übersetzte Inszenierungen von aktuellen europäischen Theatertexten gezeigt werden. In Frankreich findet neben dem Festival d’Avignon seit 1995 jährlich Ende August in der Region Lorraine das Festival La Mousson d’été statt, das durch eine von Jean-Pierre Ryngaert geleitete europäische Sommerakademie ergänzt wird, auf der die auf dem Festival vorgestellten Stücke analysiert werden. Das Maison européenne des écritures contemporaines (meec) ist ein europäisches Zentrum für Gegenwartsdramatik und wurde 2001 im Rahmen von La Mousson gegründet. Es unterstützt die Entdeckung, Ausbildung und Förderung junger europäischer Dramatik, indem es hilft, ausländische Texte in Frankreich sowie französische Texte im Ausland zu verbreiten. Eine weitere bemerkenswerte Einrichtung zur Förderung junger französischer (und ausländischer) Dramatiker ist das Théâtre Ouvert und sein Theater-Laboratorium École pratique des auteurs de théâtre (EPAT). Schließlich bietet das Festival Les Européennes in Lyon szenische Lesungen junger Autoren an, bei denen auch die deutsche Dramatik vertreten ist. RECIT ist ein europäisches Netzwerk literarischer Übersetzungszentren. Die Zentren bieten Übersetzern Arbeitsaufenthalte und organisieren Treffen mit Autoren. Die deutschen Zentren befinden sich in Straelen und Berlin, die französischen in Arles und Saint-Nazaire. In diesem Rahmen finden auch Workshops statt, die professionelle literarische Übersetzer zusammenbringen, die aus dem Französischen ins Deutsche und aus dem Deutschen ins Französische übersetzen. Den Austausch von Ideen, Menschen und Produktionen zu fördern, Koproduktionen zu realisieren und ein regelrechtes europäisches Netz für Theaterzusammenarbeit zu schaffen, sind auch Zielsetzungen der von *Daniel Benoin 1988 ins Leben gerufenen und von Jean-Claude Berutti bis 2011 weitergeführten Convention théâtrale européenne, einer Vereinigung, in der sich zahlreiche europäische Theater und Theaterverbände zusammengeschlossen haben. Hilda Inderwildi Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme Das deutsch-französische Übersetzungsprogramm der Fondation Maison des sciences de l’homme (FMSH) stellt eine Achse des *Programme francoallemand dar. Es wurde im Jahre 1984 mit den Mitteln des Ministère de la culture, des Ministère de l’éducation nationale et de la recherche, des Ministère des affaires étrangères, der Werner- Reimers-Stiftung, der Thyssen-Stiftung und des *Goethe-Instituts ins Leben gerufen. Die Betreuung und Weiterführung der Initiative wird bis heute durch ein vom *DAAD unterstütztes Fachlektorat abgesichert. Im Rahmen des Programms werden Übersetzungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften gefördert. Das *Goethe-Institut subventioniert dabei mit einem jährlichen Budget von 25 000 Euro die Übersetzung deutscher Werke ins Französische. Ein Teil dieser Sondermittel fließt dabei in die von der Édition de la maison des sciences de l’homme herausgegebene Reihe „Bibliothèque allemande“, in der jährlich ein bis zwei deutsche Titel in französischer Sprache erscheinen. Das Ziel der Reihe ist es, Erstübersetzungen von Werken deutscher Autoren zu veröffentlichen, die in Frankreich noch unbekannt sind. Auf diese Weise sollen französische Verlage auf junge Autoren aufmerksam werden, um in der Folge weitere Übersetzungen zu initiieren. Des Weiteren wird intendiert, deutsche Klassiker, die bisher in Frankreich nur marginal übersetzt bzw. völlig ignoriert wurden, einem französischen Publikum näher zu bringen. In der „Bibliothèque allemande“ sind bis heute über 40 Titel erschienen, welche die Bereiche Geschichte, Philosophie, Anthropologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Politik, Soziologie, Jura, Philologie und Psychologie abdecken. Zu den in der Reihe veröffentlichten Werken zählen unter anderem „Conscience linguistique et lectures littéraires“ von *Harald Weinrich, „Le rire et le pleurer“ von Helmut Plessner, „Le national-socialisme et la société allemande“ von Hans Mommsen, „Musique et société“ von Hanns Eisler sowie „La capitale des signes“ von *Karlheinz Stierle. Die Auflagenhöhe der Werke liegt dabei um die 1 000 Stück. Neben den in der „Bibliothèque allemande“ herausgegebenen Titeln werden durch die Subventionen des *Goethe-Instituts auch Übersetzungen anderer französischer Verlage unterstützt. Zu den Verlagen, die in den letzten ’ Universität der Großregion (UGR) U 463 Jahren von einem Übersetzungszuschuss profitieen konnten, gehören unter anderem Gallimard, Vrin, La Découverte, Éditions du Cerf, Presses universitaires de France, Belin und Economica. Das deutsch-französische Übersetzungsprogramm bildet ebenfalls eine Anlaufstelle für deutsche Verlage wie Suhrkamp, Campus, Wallstein, Alber und Beck, die sich für ihre Übersetzungen ins Französische beim Centre national du livre (CNL) für einen Zuschuss bewerben möchten. Die FMSH agiert dabei als Mittler zwischen französischer und deutscher Seite. Die vom CNL bereitgestellten Subventionen decken in der Regel 30 bis 40 % der Übersetzungskosten ab. Stephanie Schwerter Ungerer, Tomi Der 1931 in Straßburg als Jean-Thomas Ungerer geborene Illustrator, Grafiker, Karikaturist und Schriftsteller ist eine der zentralen Persönlichkeiten des deutsch-französischen Kulturaustausches. Er lebt und arbeitet in Südirland und Straßburg. Während des Zweiten Weltkriegs wuchs Ungerer als Sproß einer großbürgerlichen Familie in der Nähe von Colmar auf und erfuhr am eigenen Leib, was es bedeutet, dem kulturellen Konflikt zweier verfeindeter Nationen in der Grenzregion ausgesetzt zu sein. Diese Erfahrungen hat er u.a. in einem seiner Hauptwerke, dem autobiographisch-dokumentarischen Bilderbuch „Die Gedanken sind frei. Meine Kindheit im Elsass“ (1998), editiert. Nach ersten Studienerfahrungen an der École municipale des arts décoratifs in Straßburg emigrierte Ungerer 1956 nach New York. Dank seines eigenwillig bissigen Stils feierte er dort große Erfolge als Zeichner, Karikaturist und Illustrator. Neben Werbekampagnen für renommierte Auftraggeber wie die „New York Times“ erschienen Zeichnungsbände, vor allem erotischen Inhalts, und seine ersten Kinderbücher. 1971 zog sich Ungerer auf eine kanadische Farm zurück, bevor er 1976 nach Europa zurückkehrte. Während seines Amerikaaufenthaltes hielt Ungerer die Verbindung zu seiner europäischen Heimat aufrecht und illustrierte 1972 die Kampagne der SPD zu den Bundestagswahlen, nachdem bereits 1962 sein damaliges Gesamtwerk in Berlin unter der Schirmherrschaft Willy Brandts erstmals ausgestellt worden war. Ungerers Leben und Œuvre weist politisches und gesellschaftliches Engagement mit meist persönlichen Bezügen auf. Geprägt durch seine Herkunft, setzte er sich seit der Rückkehr nach Europa verstärkt für die Annäherung der *„Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich ein. Vor allem in seinen autobiographischen Werken und Bilderbüchern für Kinder und Erwachsene beschäftigt er sich mit der Angst vor dem Fremden, insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. 1987 von *Jack Lang in die interministerielle deutsch-französische Kommission berufen, gehörte Ungerer bald zu den zentralen Mittlern zwischen Deutschen und Franzosen. Die Gründung der Kulturbank im Jahr 1990 ermöglichte es ihm, über eine eigene Gesellschaft den kulturellen Austausch zwischen den beiden Nationen zu fördern. Seit 2000 ist Ungerer Sonderbotschafter des Europarates für Jugend und Erziehung und tritt in dieser Funktion, ähnlich wie sein 2012 verstorbener elsässischer Landsmann *André Weckmann, für die Förderung der Bilingualität ein. Auch in sein architektonisches Schaffen flicht Ungerer oftmals deutsch-französische Anspielungen ein. So entwarf er das Denkmal zum 2 000-jährigem Stadtjubiläum Straßburgs als ein Monument der bi-kulturellen Prägung der Stadt und der elsässischen Region. Mit dem 2007 in Straßburg eröffneten Musée Tomi Ungerer - Centre international de l’illustration (*Karikatur) wurde erstmals in Frankreich ein lebender Künstler mit einem Museum geehrt, das seine Werke präsentiert. 2009 erhielt Ungerer für seine herausragende Mittlertätigkeit im deutsch-französischen Kulturtransfer den „Prix de l'*Académie de Berlin“. Wilhelm Hornbostel (Hg.) Tomi Ungerer, Zwischen Marianne und Germania, München 1999. Rebecca Heil Universität der Großregion (UGR) Université de la Grande Région Das Projekt Universität der Großregion (UGR) wurde in einem grenzüberschreitenden Gebiet eingeführt, das fünf Regionen, vier Länder und drei Sprachen umfasst. Das Projekt UGR zielt auf die Vernetzung von sieben Universitäten der Großregion, d.h. die *Universität des Saarlandes, r Universität des Saarlandes 464 U die Universitäten Luxemburg, Lüttich, Nancy, Metz, Trier und die Technische Universität Kaiserslautern, die insgesamt 115 000 Studenten und 6 000 Lehrende zählen. Dieses europäische Projekt wird von der Europäischen Union im Rahmen des Programms Interreg IVA Großregion sowie den Bundesländern bzw. Regionen Saarland, Wallonien, Lothringen und Rheinland- Pfalz und den Universitäten gefördert. Durch die vier nationalen Bildungssysteme und Hochschultraditionen ist die Hochschullandschaft der Großregion heterogen. Die im Rahmen des Bologna-Prozesses eingeleiteten Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschul- und Forschungsraums bewirkten hier eine deutliche Angleichung. Zuvor hatte jedoch schon die Charta Saar-Lor-Lux- Trier/ Westpfalz aus dem Jahr 1984 einen Grundstein für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Lehre und Forschung gelegt. 2003 formulierte der Bericht „Zukunftsbild 2020“ dann die Perspektive der Großregion zur Schaffung eines „integrierten Hochschul-, Forschungs- und Innovationsraums“. Zu diesem Zweck wurden die einzelnen Aktionen des Projektes fünf Thematiken zugeordnet: Gouvernance, Mobilität, Lehre und Studium, Forschung, International und Öffnung. Jede Partneruniversität ist gleichberechtigt an der Steuerung, der Umsetzung und der Evaluierung des Projektes beteiligt. Die Integration der Professoren, Studierenden, Forscher sowie der zentralen Einrichtungen in die verschiedenen Arbeitsgruppen und gemeinsamen Überlegungen ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Ziele. UGR ist die Etablierung einer nachhaltigen grenzüberschreitenden Kooperationsstruktur in Lehre und Forschung in der Großregion sowie die Mobilität der Studenten und Lehrenden. Das Projekt umfasst auch den Transport sowie die gegenseitige Anerkennung der Diplome und die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren. Ein Beispiel dafür ist das Abkommen über einen kostenfreien Zugang zu den Dokumentationsdiensten der Universitäten. Durch die Online- Setzung des UGR-Internetportals mit einer Datenbank der Studienangebote der Partneruniversitäten werden das Hochschulsystem und die Forschung in der Großregion und auf internationaler Ebene sichtbarer. Die Vernetzung der Forscher und Doktoranden wird durch die Möglichkeit, die Vorbereitungen zu seiner Doktorarbeit grenzüberschreitend zu tätigen stimuliert. Die Sicherung und der Ausbau der erzielten Ergebnisse werden durch die effektive Einrichtung eines durch die Partner verwalteten Universitätsverbundes gewährleistet. Für die nachhaltige Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg sichert der UGR-Universitätsverbund eine optimale und gleichberechtigte Rollenverteilung aller Partneruniversitäten und die Integration aller Bereiche der universitären Zusammenarbeit sowie der gesamten Universitätsangehörigen. Julie Prouteau Universität des Saarlandes Mit europäischer Perspektive und unter Verschmelzung französischer und deutscher Bildungstraditionen öffnete die seinerzeit zweisprachige Universität des Saarlandes im November 1948 ihre Pforten. Diese erste, nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründete linksrheinische Hochschule entstand in der damaligen Sondersituation des politisch teilautonomen und ökonomisch durch Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich verbundenen Saarlandes unter der Ägide Frankreichs und der Universität Nancy. Zunächst waren mit Genehmigung der französischen Militärregierung im Januar 1946 im Homburger Landeskrankenhaus medizinischklinische Fortbildungskurse für saarländische Medizinstudenten eingerichtet worden. Da die Anerkennung der Kurse durch die benachbarten Universitäten scheiterte, wandte sich Militärgouverneur Gilbert Grandval an den ihm aus der Résistance bekannten Rektor der Universität Nancy, Pierre Donzelot. Die Universitätsgremien in Nancy erörterten die Errichtung eines Institut d’études supérieures de l’université de Nancy en territoire sarrois , das hohe französische und saarländische Repräsentanten am 8.3.1947 als Centre d’études supérieures de Hombourg aus der Taufe hoben. Am 9.4.1948 beschloss der erweiterte Verwaltungsrat des Homburger Instituts im Ministère des affaires étrangères die Umwandlung in eine Universität des Saarlandes mit einem von einem französischen Präsidenten geleiteten Verwaltungsrat, einem französischen Rektor und einem saarländischen Prorektor. Programmatisch wies man der Universität die Aufgabe einer in- Valentin, Jean-Marie V 465 ternationalen Brücke zwischen Frankreich und Deutschland zu. Am 15.9.1948 wurde der aus Nancy kommende Physiker Jean Barriol zum Gründungsrektor ernannt, Anfang Oktober 1948 konstituierten sich die vier Fakultäten, Mitte November nahm die Universität an ihren beiden Standorten Saarbrücken und Homburg den Lehrbetrieb auf und konnte im Dezember als ersten prominenten Gast den französischen Außenminister und Pionier der europäischen Einigungsbewegung Robert Schuman begrüßen. Das am 3.4.1950 publizierte Statut fixierte die administrativen Strukturen der finanziell vom Saarland und Frankreich gemeinsam getragenen Hochschule. Im Herbst 1950 übernahm der bekannte französische Rilke- und Goetheforscher *Joseph-François Angelloz das Rektorat, erklärte die Hochschule zur „europäischen Universität“, begründete 1951 als deren „Krone und Symbol“ das Europa-Institut und setzte den universitären Ausbau fort. Ein aus verschiedenen Nationen und unterschiedlichen wissenschaftsgeschichtlichen Traditionen zusammengesetzter Lehrkörper mit französischen Gast- und Reiseprofessoren prägte das Bild. Die Lehre erfolgte in der Regel in der Muttersprache des jeweiligen Dozenten, das Studium orientierte sich an parallel nebeneinander existierenden deutschen und französischen Ordnungen. Im November 1955 wurde das Centre d’études juridiques françaises, das heutige Centre juridique franco-allemand, errichtet. Der durch die Volksabstimmung vom 23.10.1955 ausgelöste Umbruch tangierte auch die Universität, die nun den Übergang von der „europäischen“ zur deutschen Landesuniversität und den Wechsel vom hierarchisch-zentralistischen Rektoratssystem französischer Prägung zum deutschen System kollegialer Mitverantwortung vollzog. Am 1.10.1956 trat der erste deutsche Rektor Heinz Hübner sein Amt an, im saarländisch-französischen Kulturprotokoll vom Oktober 1956 wurde die Gründung eines *Institut français in Saarbrücken vereinbart, und zum 30.9.1957 verließen die meisten französischen Lehrkräfte die Universität. Aus der Universität heraus wurden ein modernes Universitätsgesetz und eine Universitätsverfassung erarbeitet, durch den weiteren Ausbau und die Berufung überaus qualifizierter Nachwuchswissenschaftler gewann die Universität in den 1960er Jahren ein herausragendes Profil und pflegte mit dem Europa-Institut und dem Centre weiterhin Traditionen und Einrichtungen deutsch-französischer und europäischer Prägung. Seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren entwickelten sich vielfältige Universitätskooperationen insbesondere nach Frankreich, aber auch nach Osteuropa und zu Hochschulen auf allen Kontinenten. Entscheidende Weichen stellte die 1984 in Pont-à-Mousson abgeschlossene Charta Saar-Lor-Lux-Trier/ Westpfalz (Charte de coopération universitaire Saar- Lor-Lux), die sich inzwischen zum Projekt der *Universität der Großregion weiterentwickelt hat mit dem Ziel, grenzüberschreitend zu studieren und in der Großregion (Saarland, Lothringen, Luxemburg, Wallonien und Rheinland- Pfalz) einen gemeinsamen Hochschulraum zu schaffen. Die traditionsreiche und interdisziplinäre Europa-Kompetenz, die im bundesdeutschen Exzellenz-Wettbewerb erfolgreiche Informatik und die Bio-Nanowissenschaften markieren die Schwerpunkte im gegenwärtigen Universitätsprofil. Heute umfasst die Universität über 18 000 Studierende, 276 Professorinnen und Professoren, drei Sonderforschungsbereiche, ein Exzellenzcluster, eine Graduiertenschule und mehrere Graduiertenkollegs. Armin Heinen, Rainer Hudemann (Hg.), Universität des Saarlandes 1948-1988, Saarbrücken 1989; Rainer Hudemann, Burkhard Jellonek und Bernd Rauls unter Mitarbeit von Marcus Hahn (Hg.), Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, St. Ingbert 1997; Wolfgang Müller, Die Universität des Saarlandes. Impressionen aus 60 Jahren, Erfurt 2008; Wolfgang Müller, Das Archiv der Universität des Saarlandes, in: Ingo Runde (Hg.), Universitätsarchive in Südwestdeutschland. Geschichte, Bestände und Projekte, Heidelberg 2014, S. 157-174. Wolfgang Müller V Valentin, Jean-Marie Der am 2.6.1938 in Xertigny/ Lothringen geborene Jean-Marie Valentin hat durch seine vielfältige und umfassende Tätigkeit als Hochschullehrer, Forscher und Bildungspolitiker die französische Germanistik per se und in Wechselwirkung mit den Germanistiken anderer u.a. deutschsprachiger Länder sowie dem deutsch-französischen Aus- Vercors (Jean Bruller) 466 V tausch auf akademischer und kultureller Ebene seit den 1970er Jahren nachhaltig geprägt. Sein Studium der Altphilologie, Germanistik, Geschichte und katholischen Theologie in Nancy, Straßburg, München, Köln und Paris bereitete ihn auf diese Mittlerrolle zwischen Deutschland und Frankreich sowie zwischen den Disziplinen vor. In seiner Habilitation über das Jesuitentheater (1978, 2001) erneuerte er den Blick auf die Kulturgeschichte deutschsprachiger Länder bis ins 21. Jahrhundert. Nach Tätigkeiten als außerordentlicher Professor in Straßburg (ab 1969) und in Nancy (ab 1979) trat er 1985 die Nachfolge von *Claude David an der Sorbonne an und blieb dort als ordentlicher Professor bis zu seiner Emeritierung. Außerdem war er Inhaber des Sonderlehrstuhls für „Kulturgeschichte des deutschen Sprachraums“ am Institut universitaire de France (1996-2006). Als Präsident der Société des études germaniques entfaltete er seit 1990 eine rege Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift *Études germaniques sowie als Verantwortlicher verschiedener Buchreihen. Darüber hinaus ist er aktiver Mitarbeiter im Kreis der Träger der öffentlichen Vermittlung der Kulturen Frankreichs, Deutschlands und Europas, wurde u.a. 1991 in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen und stand der Internationalen Vereinigung für Germanistik (2000-2005) vor, deren Weltkongress er in Paris veranstaltete. Auch aus diesem Grund wurde er zum Mitgestalter einer Germanistik, die sich als gleichberechtigte Gesprächspartnerin auf deutschsprachigem Boden behaupten konnte und außerdem als französisch geprägte Auslandsgermanistik eine bedeutende Rolle spielte. Dies hinderte Valentin nicht daran, ein reichhaltiges Werk als Herausgeber deutscher Literatur in französischer Sprache zu veröffentlichen (*Brecht, Lessing, Deutsche Novellistik) und als Impulsgeber für zentrale Themen der deutschen bzw. deutsch-französischen Kulturgeschichte hervorzutreten - hier seien nur „Paul Celan, poésie et poétique“ (2000), „Goethe. L’Un L’Autre et le Tout“ (2005) „Pierre Corneille et l’Allemagne“ (2007) genannt. In seinem Œuvre vertrat er stets die Erforschung kulturhistorischer Fragestellungen, die er mit literarisch-künstlerischen und komparatistischen Perspektiven verband. Dabei stehen stets die Beziehungen des Textes zu seiner Umwelt und Entstehungszeit sowie zu den dominanten „Ideologien“ im Mittelpunkt. Ihm ging es weniger um die Identifizierung bestimmter Inhalte, als vielmehr um die Charakterisierung der sich daraus ergebenden Poetik. Diese Position erlaubte es ihm, die verschiedenen theoretischen Entwicklungen der Disziplin kontinuierlich zu begleiten, ohne jemals dem Dogmatismus anheim zu fallen. Seine wissenschaftliche Autorität verschaffte ihm zudem die Möglichkeit, in wichtigen Gremien einen Beitrag zu den deutsch-französischen Beziehungen im Bereich der Kultur und Bildung zu leisten: Er war von 1979 bis 1991 Berater im Ministère de l’enseignement supérieur et de la recherche (Referat: deutsch-französische Zusammenarbeit), Gründungsmitglied, dann Präsident des Deutsch- Französischen Hochschulkollegs mit Sitz in Straßburg (1991-1995) und Mainz (1995-1999), französischer Vorsitzender der Kommission für die Gründung der *DFH (1997/ 98) und Mitglied des *Deutsch-Französischen Kulturrats. Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre 1554- 1680. Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique, Paris 2001; ders., Minerve et les muses. Essais de littérature allemande, Paris 2007; ders., Germanistik im Konflikt der Kulturen, 12 Bde., Bern 2007/ 08; Gottholt Ephraim Lessing, Dramaturgie de Hambourg. Introduction, traduction intégrale et commentaire de Jean- Marie Valentin, Paris 2010. Françoise Lartillot Vercors (Jean Bruller) Der in Paris als Sohn einer ungarisch-französischen Familie geborene Vercors (1902-1991), eigentlich Jean Bruller, gehört zu den wichtigsten französischen Vertretern des literarischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, dessen Werdegang eng mit der Entwicklung der deutschfranzösischen Beziehungen im 20. Jahrhundert verbunden ist. Vercors machte sich in der Zwischenkriegszeit bis zu seiner Einberufung 1939 einen Namen als Graphiker, Zeichner und Illustrator. Politisiert durch den Ersten Weltkrieg, stand er nach einer patriotischen Phase für Pazifismus und deutschfranzösische Verständigung. Er las Romain Rolland und bewunderte den französischen Politiker Aristide Briand, in dessen Haut er später in einer fiktionalisierten Biographie schlüpfte („Moi, Aristide Briand“, 1981). Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) V 467 Mit Beginn der années noires zog sich Vercors aus Paris und dem von Zensur und Kollaboration geprägten Literatur- und Zeitungsbetrieb zurück, um als Tischler zu arbeiten. Durch den befreundeten Herausgeber Pierre de Lescure kam er mit der Résistance in Kontakt. Sie gründeten 1941 gemeinsam den Untergrundverlag „Éditions de Minuit“. Unter schwierigsten Bedingungen gaben sie 27 Bände mit Texten von Aragon, Éluard, Mauriac, Triolet u.a. heraus. Das erste Buch, die Erzählung „Le silence de la mer“ (1942) war die Geburtsstunde des Schriftstellers, der fortan das Pseudonym Vercors benutzte, nach dem Gebirge, das für die Résistance eine wichtige Rolle spielte. Bis zur Befreiung Frankreichs wurde er nicht als Urheber des Buches identifiziert. Die exemplarische Geschichte zweier Franzosen, die einen gebildeten und frankophilen deutschen Offizier beherbergen müssen und ihm gegenüber passiv Widerstand leisten, indem sie schweigen, machte Vercors zur Symbolfigur der intellektuellen Résistance. In Artikeln und Erinnerungen verarbeitete er seine Erfahrungen: „Le sable du temps“ (1945), „La bataille du silence“ (1967) u.a. Sein literarisches Werk umfasst zudem Romane, teilweise mit einem utopisch-philosophischen Ansatz wie in „Les animaux dénaturés“ (1952) und „Sylva“ (1961), sowie Erzählungen z.B. „La marche à l’étoile“ (1943/ 51), Theaterstücke und Übersetzungen. Nach 1945 unternahm Vercors zahlreiche Vortragsreisen, u.a. nach Deutschland (1948/ 49), bei denen er den fehlenden Mut der Deutschen beklagte, gegen das NS-Regime aufzubegehren. Vercors gehörte zu den Gründungsmitgliedern des *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle, das er allerdings im Februar 1951 wieder verließ. Genauso wie beispielsweise *Sartre und *Camus war er zudem Mitglied, später Vorsitzender des Comité national des écrivains, das sich der épuration der französischen Intellektuellen verschrieben hatte. Er sprach sich in der Diskussion um die Schwarze Liste französischer Schriftsteller, die kollaboriert hatten, vehement dafür aus, diese zur Verantwortung zu ziehen. 1947 sprach er sich auf dem PEN-Kongress in Zürich gegen die sofortige Neugründung einer deutschen PEN-Sektion aus. Zunächst sollten alle potentiellen Mitglieder von einer Kontrollkommission überprüft werden; dagegen erhob Johannes R. Becher Einspruch. Vercors Sympathie für den Kommunismus endete mit der sowjetischen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes 1956. Mit „Pour prendre congé“ (1957) zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, engagierte sich aber später für die Unabhängigkeit Algeriens und gegen den Vietnamkrieg. Im deutschsprachigen Raum kursierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche, qualitativ unterschiedliche Übersetzungen von „Le silence de la mer“. Im Prometheus Verlag gab es 1946 eine erste Ausgabe für die französische Besatzungszone. Auf Vermittlung des französischen Kulturattachés *Félix Lusset nahm der Ost-Berliner Aufbau- Verlag 1947 „Das Schweigen des Meeres“ (Übersetzung: Kurt Stern) als eines der ersten französischen Bücher ins Programm. In der DDR erschienen später einige weitere Werke, während er in der frühen Bundesrepublik kaum präsent war, was wohl zum einen an den von Vercors so wahrgenommenen restaurativen Tendenzen der Ära Adenauer, zum anderen an dem Kommunismusvorwurf lag, dem er lange in der Bundesrepublik ausgesetzt war. 1982 erschien in Darmstadt eine deutsch-französische Europaausgabe. Seit langem gehört „Le silence de la mer“ zu den Klassikern im Französischunterricht. Im Diogenes Verlag erschien 1999 eine Neuübersetzung von Karin Krieger, ergänzt durch einen Essay von *Ludwig Harig, bei dem das Buch in der unmittelbaren Nachkriegszeit während seiner Studienzeit in Frankreich prägenden Eindruck hinterlassen hatte. Radivoye D. Konstantinovic, Vercors, écrivain et dessinateur, Paris 1969; Anne Simonin, Les Éditions de Minuit, 1942-1955. Le devoir d’insoumission, Paris 1994; Gisèle Sapiro, La Guerre des écrivains. 1940-1953, Paris 1999; Martin Strickmann, L’Allemagne nouvelle contre l’Allemagne éternelle. Die französischen Intellektuellen und die deutsch-französische Verständigung 1944-1950, Frankfurt/ M. 2004; Christian de Bartillat, Vercors. L’homme du siècle à travers son œuvre, Étrépilly 2008. Sandra Schmidt Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) Die VdF macht es sich zur Aufgabe, die französische Sprache und Kultur in Deutschland zu verbreiten und richtet ihr Hauptaugenmerk auf den Französischunterricht, das Französischstudium und die Fortbildung der Französischlehrkräfte. Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) 468 V Der Verein wurde 1970 in Rottweil gegründet; die ersten Vereinsmitglieder stammten ausschließlich aus Baden-Württemberg. Der erste Vorsitzende war Jürgen Olbert, Fachleiter am Rottweiler Studienseminar. Anlass für die Vereinsgründung waren diverse Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, die den Französischunterricht erkennbar benachteiligten. Das Düsseldorfer Schulabkommen (1955), die Saarbrücker Vereinbarung (1960) und das Hamburger Schulabkommen (1964) reduzierten Schritt für Schritt das Französische in den weiterführenden Schulen. Das Hamburger Abkommen sah als erste Fremdsprache in den Anfangsklassen der deutschen Gymnasien „in der Regel [nur] Englisch oder Latein“ vor. Dies widersprach nicht nur eklatant den Bestimmungen des im Jahr zuvor geschlossenen *Deutsch-Französischen Vertrages, sondern auch dem legitimen Verlangen der Französischlehrkräfte nach einer Gleichstellung des Französischen mit anderen Fremdsprachen. Massiver Druck auch seitens der Vereinigung der Französischlehrer führte schließlich 1971 zur Revision des Hamburger Abkommens, das nun im § 13 (a) festlegte: „Die erste Fremdsprache ist eine lebende Fremdsprache oder Latein.“ Nun galt es, den Kultusministerien der Länder die Möglichkeiten des Frühbeginns mit Französisch ab Klasse 5 begreiflich zu machen. Zahlreiche Bundesländer fühlten sich nämlich nicht an dieses Abkommen gebunden. An diesem Punkt setzten die Aktivitäten der sich nach und nach bildenden Regionalverbände der VdF ein. Diese versuchten in eigener Regie für den Frühbeginn mit Französisch zu werben, Elternabende zu veranstalten und Eingaben an die Kultusbehörden zu richten. Insbesondere in den norddeutschen Bundesländern dauerte es mehrere Jahre, bis Möglichkeiten für Frühfranzösisch eröffnet wurden. Zudem veröffentlichte und verteilte die VdF selbst erstellte Broschüren zur Werbung für Französisch als erste und zweite Fremdsprache, die Titel trugen wie „Es geht um die Zukunft Ihres Kindes“ oder „Ein Zug nach Frankreich“. Seit einigen Jahren erstellt der Landesverband Bayern federführend diese Flyer, wie z.B. „Französisch am Gymnasium - ist doch klar“. Auch an den Broschüren, welche die *Bevollmächtigten für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen und das *Institut Français herausgeben, arbeitet die VdF mit (*Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen). Verbandsorgan der VdF ist seit 1972 die Fachzeitschrift „Französisch Heute“, die viermal im Jahr erscheint und zunächst in Kooperation mit Zeitschriftenverlagen herausgegeben und vertrieben wurde. Heute wird sie im Selbstverlag erstellt. Im Untertitel trägt sie noch den ursprünglichen Titel „Informationsblätter für Französischlehrer in Schule und Hochschule“. Nahmen anfangs die bildungspolitischen Aktivitäten der Vereinigung breiten Raum ein, so dominieren heute didaktische und methodische Themen die Zeitschrift, die sich nicht nur bei den Mitgliedern, sondern auch bei den Lesern von Schul-, Universitäts- und Studienseminarsbibliotheken im In- und Ausland großen Interesses erfreut. Neben den regionalen Fachtagungen der Vereinigung, die sich 2004 in „Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer“ umbenannte, finden in unregelmäßigen Abständen auch Bundeskongresse statt, so 2009 in Jena und 2013 in Bochum. Durch die Zusammenarbeit mit der *Association pour le Développement de l’Enseignement de l’Allemand en France (ADEAF ), die ähnliche Ziele in Bezug auf den Deutschunterricht in Frankreich verfolgt, wurden u.a. mit großer Resonanz zwei binationale Kongresse in Bayreuth (1993) und in Tours (1996) veranstaltet. Außer in Schleswig-Holstein gibt es heute in jedem Bundesland einen Landesverband der VdF. Ein weiteres Problem, welches die VdF in ihren Anfangsjahren aufgriff, war die Reform der gymnasialen Oberstufe. Sie bot den Schülern größere und differenziertere Wahlmöglichkeiten der Prüfungsfächer. Damit kam nun die Sorge auf, dass insbesondere die Fremdsprachen Einbußen zugunsten von Nebenfächern erleiden würden. Am neusprachlichen Gymnasium hatten die Schüler zwei Fremdsprachen verbindlich bis zum Abitur belegen müssen. Selbst im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig wurde eine Fremdsprache, in der Regel die zweite, bis zum Vorabitur gelernt. In der reformierten gymnasialen Oberstufe jedoch sollte nur noch eine einzige Fremdsprache verpflichtend sein. Die heutige Situation stellt sich so dar: Englisch dominiert als Fremdsprache in allen Schultypen, Spanisch tritt als vermeintlich leichter zu lernende Fremdsprache in zunehmende Konkurrenz zu Französisch. Dennoch konstatiert Marcus Reinfried, Professor für die Didaktik der Romanischen Schulsprachen an der Universität Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) V 469 Jena, dass Französisch sich insgesamt in all den Jahrzehnten gut behauptet hat, vor allem als am meisten gewählte zweite Fremdsprache an Gymnasien und Realschulen. Vor allem nach der Wiedervereinigung war eine deutliche Steigerung der Nachfrage nach Französisch festzustellen. Zwar ist heute die Wochenstundenzahl zurückgegangen, doch ist dies ein Problem, das auch andere Fächer betrifft. Günstig hat sich die bundesweite Vorverlegung der zweiten Fremdsprache auf die Klasse 6 ausgewirkt. Im Schuljahr 2011/ 12 betrug die Zahl der Französischlernenden bundesweit 41,7 % in den Gymnasien und 23 % in den Realschulen. Allerdings sieht die Bilanz für den Französischunterricht in der gymnasialen Oberstufe nicht so günstig aus. Durch umfangreichere Wahlmöglichkeiten bei gleichzeitiger geringerer Verpflichtung zum Erlernen von Fremdsprachen hat sich die Lernerzahl gegenüber den 1960er Jahren deutlich reduziert. Momentan bleiben die Zahlen jedoch stabil. Im Schuljahr 2011/ 12 lernten bundesweit immerhin 21,4 % der Gymnasiasten in der Qualifikationsstufe 2, d.h. dem Abiturjahrgang, Französisch. Bernd Käsebier, Französisch in Niedersachsen und Bremen, in: Festschrift der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages. Stuttgart 2013, S. 58- 64; Franz-Joseph Meißner, 20 Jahre Sprachenpolitik und die Vereinigung der Französischlehrer, in: Dorion, Meißner, Riesz, Wielandt: Le Français aujourd’hui. Mélanges offerts à Jürgen Olbert. Frankfurt/ M. 1992, S. 20-48, Ulf Wielandt: Zur Geschichte der Vereinigung der Französischlehrer e.V., in: Dorion, Meißner, Riesz, Wielandt: Le Français aujourd’hui. Mélanges offerts à Jürgen Olbert. Frankfurt/ M. 1992, S. 10-19; Marcus Reinfried, Ein Verband zur Förderung des Französischunterrichts. Betrachtungen zur Geschichte der VdF (1970-2012), in: Festschrift der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages. Stuttgart 2013, S. 16-25. Bernd Käsebier Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) Die VDFG, die Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (bis 2010: Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich e.V.), ist aus dem 1957 gegründeten Arbeitskreis Deutsch- Französischer Gesellschaften (AK) hervorgegangen. Die Initiative ging von der Vorsitzenden der *Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) Wetzlar, *Elsie Kühn-Leitz, aus, die zu einem Treffen aller *DFG einlud. 21 von 26 teilnehmenden Gesellschaften beschlossen, einen Arbeitskreis zu bilden, der die Selbständigkeit jeder einzelnen *DFG nicht beeinträchtigen solle. Wegen dieses Prinzips gab der AK sich vorerst weder eine Satzung noch ließ er sich als Verein registrieren, folglich erhielt er auch keine Förderung aus öffentlichen Mittel. Die Vorhaben des AK - schriftlicher Informationsaustausch über Programmgestaltung, Wissenswertes aus Politik und Publizistik sowie die Organisation eines jährlichen Treffens zwecks persönlichen Erfahrungsaustausches - wurden in ehrenamtlicher Arbeit realisiert. Seit 1961 nahmen an den alljährlichen Treffen, bald Kongress genannt, auch Vertreter von *Französisch-Deutschen Gesellschaften aus Frankreich teil. 1964 beschloss der AK, sich die Rechtsform eines eingetragenen Vereins zu geben, Bestandteile seiner Satzung wurden die enge Zusammenarbeit zwischen den deutschen und französischen Gesellschaften und die gleichmäßige Besetzung des Vorstandes mit Deutschen und Franzosen. Der AK richtete 1969 ein Generalsekretariat in Mainz ein und benannte sich 1981 um in Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich e.V. 1984 gründeten die französischen Mitgliedsgesellschaften der VDFG die juristisch selbständige Fédération des associations franco-allemandes en France et en Allemagne (FAFA). Trotz der juristischen Trennung wurde die enge Zusammenarbeit der *DFG aus beiden Ländern in wichtigen Angelegenheiten ebenso aufrechterhalten wie ihre vereinspraktische Verklammerung: Der Vorsitzende der VDFG ist stimmberechtigtes Vorstandsmitglied der *FAFA, und umgekehrt. Die Mitgliedsgesellschaften der *FAFA sind beitragsfreie Mitglieder der VDFG mit beratender Stimme in der Mitgliederversammlung, und umgekehrt. Jährlich finden gemeinsame Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen statt. Mit dieser Organisationsstruktur bilden VDFG und *FAFA und ihre über 250 Mitgliedsgesellschaften ein in der Welt einzigartiges grenzüberschreitendes Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die wichtigste und beständigste Dienstleistung, welche die VDFG gemeinsam mit der *FAFA für ihre Mitgliedsgesellschaften erbringt, ist die Organisation des jährlichen Kongresses der Vergangenheitsaufarbeitung 470 V *DFG aus beiden Ländern. Er wird abwechselnd nach Deutschland und Frankreich und jeweils an eine andere Stadt vergeben. Im Zeitraum von 1957 bis 2013 haben 58 Kongresse stattgefunden. Weitere Dienstleistungen sind u.a. die Führung einer Referentendatei, Werbung für die Partnersprache, neuerdings auch für die Nutzung des deutsch-französischen Geschichtsschulbuches, Publikationen in verschiedener Form, zuletzt „VDFG/ FAFA actuel“ als Beiheft zu der Zeitschrift *„Dokumente“ bis Ende 2007, seitdem die Internet-Seite www.vdfg.de. Die Gesamtzahl der persönlichen Mitglieder in den rund 150 Mitgliedsgesellschaften der VDFG liegt bei über 20 000. Bernd van Deenen (Hg), Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften in Deutschland und Frankreich e.V. - eine Dokumentation, Bonn/ Mainz 1994; Gereon Fritz, Am Anfang war das Volk, in: Dokumente/ Documents 2 (2012), S. 29-32; Beate Gödde-Baumanns, Bürgerschaftliche Basis der Annäherung - die Deutsch-Französischen Gesellschaften, in: Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945, Tübingen 2010, S. 137-157. Beate Gödde-Baumanns Vergangenheitsaufarbeitung Wie lassen sich der Annäherungsprozess zweier Länder und die Erinnerungen an eine schwierige, von Leid, Tod und Verbrechen geprägte gemeinsame Kriegsvergangenheit in ein konstruktives Spannungsverhältnis bringen? Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Hinblick auf das deutschfranzösische Verhältnis durchaus Stimmen, die für ein Gleichgewicht zwischen aktiver Erinnerung und Zukunftsgestaltung plädierten. So forderte der frühere Kriegsgefangene Georges Lepeltier 1953 die Franzosen auf, nicht nur auf die schmerzhafte Vergangenheit zu schauen, die Deutschen hingegen, sich nicht nur an Gegenwart und Zukunft zu orientieren. Doch schnell setzte sich im deutsch-französischen Annäherungsprozess die Einstellung durch, gerade alles, was den Zweiten Weltkrieg berührte, für zu heikel und gefährlich für die angestrebte bzw. sich realisierende Zusammenarbeit zu halten und Vergangenheitsaufarbeitung und *Versöhnung als weitgehend inkompatibel anzusehen. Im Namen der Annäherung protestierte 1956 die Bundesregierung gegen die Auswahl von Alain Resnais‘ Film *„Nacht und Nebel” für die Filmfestspiele in Cannes, und die französische Regierung strich den Film aus dem offiziellen Programm. In den 1960er Jahren waren sich beide Regierungen darin einig, keine strafrechtlichen Schritte wegen deutscher Kriegsverbrechen während der Besetzung Frankreichs zu unternehmen. Exemplarisch dafür ist, dass selbst der Hauptverantwortliche des Massakers von Oradour-sur-Glane, Hans Lammerding, 1945 von einem französischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt, in der Bundesrepublik als erfolgreicher Bauunternehmer tätig sein konnte und 1971 unbehelligt als Pensionär in Bad Tölz verstarb. Das Paradigma der *Versöhnung ohne aktive Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit entwickelte eine solche Kraft, dass es auch die 1970er und 1980er Jahre weitgehend bestimmte. Signifikant dafür ist, dass die von Johannes Sticker 1977 geschriebenen Memoiren über seine schwierige Kriegsgefangenschaft in Frankreich 1945-1947 in Deutschland nie veröffentlicht wurden und deutsche Verlage dabei immer wieder argumentierten, man wolle der deutschfranzösischen Beziehung durch das Aufreißen alter Wunden nicht schaden. Das heißt nicht, dass im deutsch-französischen Versöhnungsdiskurs die Zeit der Kriege nicht präsent war. Aber in offiziellen Reden wurde die Kriegsvergangenheit meist nur kurz und in vagen Worten erwähnt, um im Kontrast dazu dann Gegenwart und Zukunft umso heller erstrahlen zu lassen. Wenn die schwierige Geschichte expliziter thematisiert wurde, ging es eher um den Ersten Weltkrieg, der weiter zurücklag und dessen Aufarbeitung inzwischen weniger problematisch erschien, auch weil er eher mit Kämpfen zwischen Armeen als mit Verbrechen an Zivilisten assoziiert wurde (*Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs): Die Wahl Verduns als Ort der Versöhnungszeremonie von Helmut Kohl und François Mitterrand 1984 ist dafür ein herausragendes Beispiel. Aber auch hier ging es nicht um kritische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg, sondern um die Inszenierung eines Versöhnungsdiskurses, der sich im Kern auf die Botschaft beschränkte: Wir haben alle gelitten, haben aus dieser Erfahrung gelernt und schreiten nun gemeinsam voran. Immer wieder unterstützte der Versöhnungsdiskurs gar Selbstexkulpationstendenzen, so als de Gaulle 1962 und Mitterrand 1995 bei ihren Besuchen in Deutschland die Vergangenheitsaufarbeitung V 471 Soldaten der deutschen Wehrmacht lobten. Bezeichnend ist auch, dass im Rahmen deutschfranzösischer *Jugendbeziehungen und *Städtepartnerschaften kriegsbezogene Themen jahrzehntelang kaum explizit angesprochen wurden. Wenn ein Vorfall Kriegserinnerungen an die Oberfläche brachte, blieb es oft bei verlegenem Schweigen oder rituellen moralischen Beschwörungsformeln. Gründe für diese Vermeidungsstrategie sind u.a. darin zu sehen, dass einerseits vor 1945 Kriegserinnerungen im *Erbfeind-Diskurs mobilisiert und im Kampf gegen den Nachbarn instrumentalisiert worden waren, andererseits nach 1945 in Frankreich die Erinnerung an die NS- Zeit immer wieder auch in antideutschen Diskursen benutzt wurde - wogegen der Versöhnungsdiskurs einen doppelten Kontrapunkt setzen wollte. Zudem blieben beide Gesellschaften jede für sich lange blind für die dunklen Seiten ihrer eigenen Geschichte: In Frankreich gab es bis in die 1970er Jahre keine Bereitschaft, sich öffentlich mit der Kollaboration zu beschäftigen, und in der Bundesrepublik blieb die Sicht auf die NS-Zeit lange geprägt von Selbstexkulpation und die Reduktion der Verbrechen auf Hitler und die SS. Solange beide Gesellschaften schon für sich selbst nicht zu einer selbstkritischen Erinnerungsarbeit gewillt und fähig waren, waren sie erst recht nicht bereit, in Anwesenheit und in Zusammenarbeit mit dem Nachbarn unliebsame Tabuthemen kritisch aufzugreifen. Hinzu kam der Kontext des Kalten Kriegs: Da die westdeutsche Vereinigung der Verfolgten des Nazi- Regimes und mehrere ihr nahestehende französische Opferverbände kommunistisch inspiriert waren, wurden sie gerade in der Bundesrepublik extrem misstrauisch betrachtet und ihre Kontakte blieben außerhalb der offiziellen Versöhnungspolitik. In den „anderen” deutsch-französischen Beziehungen, zwischen der DDR und Frankreich, stellte sich die Situation auf den ersten Blick anders dar. In den DDR-Kontakten mit der französischen PCF und ihnen nahestehenden Organisationen nahm gerade in den 1960er und 70er Jahren die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand gegen Hitler einen hervorgehobenen Platz ein. Die DDR-Reisen von Delegationen ehemaliger französischer déportés und die Besuche von Gedenkstätten wie Buchenwald wurden instrumentalisiert, um NS-Kontinuitäten und „Militarismus” der Bundesrepublik anzuprangern und sich selbst, im gezielten Gegensatz zur westlichen Politik, als Hüter einer antifaschistischen Erinnerungskultur und als Vertreter einer „wahren Versöhnung” zu präsentieren. War im Westen die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend inexistent, so war sie hier erstarrt in einen ideologischen Diskurs im Kampf gegen den Klassenfeind. Von einer selbstkritischen Konfrontation mit der gemeinsamen Vergangenheit konnte auch hier keine Rede sein, Tabuzonen wie der Hitler-Stalin-Pakt wurden tunlichst vermieden. Allerdings gab es durchaus Versuche, nicht nur innerhalb der ideologischen Kanalisierung sich mit dem Thema der deutschen Emigranten in Frankreich und ihrer Beteiligung an der französischen Résistance (*Edith Zorn, *Dora Schaul) ausführlicher zu befassen, so in den 1980er Jahren von Seiten des Germanisten *Gilbert Badia oder des früheren Frankreich-Emigranten *Gerhard Leo - wenn auch eher parallel als gemeinsam. Was die westdeutsch-französischen Beziehungen betrifft, fügten sich keineswegs alle der lange dominierenden Strategie des Ausweichens und Beschweigens. Zu erwähnen ist hier beispielsweise die 1958 gegründete Organisation Aktion Sühnezeichen, die sich, nicht nur in Frankreich, aktiv mit dem von deutscher Seite ausgelösten Leid auseinandersetzte, in Form der Unterstützung von Projekten zum Wiederaufbau in Frankreich mithilfe junger deutscher Freiwilliger und später der Betreuung von Holocaust- Überlebenden. Intellektuelle wie *Alfred Grosser mahnten zur aufrichtigen Erinnerung, auch wenn die Resonanz solcher Forderungen meist gering blieb. Bald entstanden auch konfrontative Formen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der dominierenden Ausweichstrategie. Dafür stehen vor allem die Namen des deutsch-französischen Ehepaars Beate und Serge Klarsfeld. Ab Ende der 1960er Jahre widmeten sie sich der Suche nach NS-Verbrechern und starteten öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen die Straffreiheit für deutsche NS-Täter, die in Frankreich die Judendeportationen organisiert hatten und unbehelligt in der Bundesrepublik lebten. Das Engagement der Klarsfelds führte auch dazu, dass schließlich 1975 der Bundestag ein Gesetz verabschiedete, das es ermög- Vermeil, Edmond 472 V licht, deutsche NS-Verbrechen in Frankreich auch in der Bundesrepublik strafrechtlich zu verfolgen. Eine wichtige Etappe hin zu einer aktiveren Auseinandersetzung in der deutsch-französischen Öffentlichkeit stellte dann 1987 der Prozess gegen den früheren Gestapo-Chef von Lyon Klaus Barbie dar. Dieser Prozess und die darum entstandene Diskussion waren auch deswegen möglich geworden, weil sich nunmehr beide Gesellschaften jede für sich in einem Prozess der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit befanden, und dabei auch dem Thema der Judenverfolgung und -vernichtung immer mehr Aufmerksamkeit schenkten. Ab den 1990er Jahren wurde die Kriegsvergangenheit innerhalb der deutsch-französischen Gemeinschaft dann offensiver, selbstkritischer und auch in einer konstruktiven Weise aufgegriffen. Das *DFJW setzte Erinnerungsarbeit explizit auf die Themen- Agenda und schaffte Räume für eine aktive Auseinandersetzung in Form von Seminaren über Widerstand, Exil, Verfolgung und Holocaust. Gedenkstätten beider Länder entwickelten Kooperationen, in gemeinsamen Historiker-Kolloquien (*Historiker/ Geschichtswissenschaft) wurden lange gemiedene Dimensionen der Kriegsvergangenheiten behandelt. Auch in zahlreichen Büchern wurden Themen aufgegriffen, die lange als zu heikel galten: Deutsche in französischer Kriegsgefangenschaft nach 1945, das Schicksal der Kinder verbotener Beziehungen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Behandlung französischer schwarzer Kriegsgefangener durch die Wehrmacht u.a. Die problematischen Seiten der Vergangenheit beider Länder werden auch auf *ARTE immer wieder kritisch beleuchtet. Dennoch hielt und hält die Tendenz, die belastende Vergangenheit als unvereinbar mit dem Versöhnungsdiskurs zu sehen sowie die geringe Bereitschaft, die eigene Negativgeschichte bei deutsch-französischen Anlässen zu thematisieren, weiter an. Als sich Jacques Chirac beim Weimarer Gipfel im September 1997 nach Buchenwald begab, geschah dies außerhalb des offiziellen Programms und ohne Helmut Kohl. Mitterrand hatte zuvor zwar im September 1991 mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker Buchenwald besucht, dennoch muss man festhalten: In über 60 Jahren haben kein französischer Präsident und kein deutscher Kanzler gemeinsam eine KZ- Gedenkstätte oder einen Ort von NS-Verbrechen aufgesucht. Das galt auch für Oradour-sur-Glane, wohin sich aber immerhin im September 2013 beide Präsidenten, Joachim Gauck und François Hollande, zusammen begeben haben. Natürlich ist die Frage berechtigt, ob die erfolgreiche Versöhnungsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg nicht auch damit zusammenhängt, dass man lange auf eine kritische Konfrontation verzichtete. Aber anders gefragt: Hätte es wirklich die Annäherung gefährdet, wenn in den 1960er Jahren Hans Lammerding vor Gericht gestellt worden wäre? Und steht nicht die deutsch-französische Annäherung auf einer viel solideren Grundlage, seit es das Engagement der Klarsfelds, die Arbeit von Aktion Sühnezeichen oder die Seminare des *DFJW zur Erinnerungsarbeit gibt? Bernhard Brunner, Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/ M. 2007; La réconciliation franco-allemande - les oublis de la mémoire, dossier coordonné par Mathias Delori, in: Cahier d’histoire. Revue d’histoire critique 100 (janviermars 2007); Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949- 1990, Köln 2004; Valérie-Barbara Rosoux, Les usages de la mémoire dans les relations internationales. Le recours au passé dans la politique étrangère de la France à l’égard de l’Allemagne et de l’Algérie, de 1962 à nos jours, Bruxelles 2001. Nicolas Moll Vermeil, Edmond Der in Vevey geborene und in Südfrankreich aufgewachsene Edmond Vermeil (1878-1964) war nach 1945 der Nestor der *französischen Germanistik. Sein weit über die Fächergrenzen hinausreichender Ruf als Deutschlandkenner gründete gleichermaßen auf politischem Engagement und wissenschaftlicher Expertise. Von Anfang an bekämpfte er den Nationalsozialismus und erwarb sich große Verdienste als Résistant. Zudem hatte er mit „L’Allemagne. Essai d’explication“ (1940, 1945) einen der bekanntesten Erklärungsversuche des Nationalsozialismus vorgelegt, der bis in die 1950er Jahre als das französische Standardwerk über Deutschland galt. Nach einem Aufenthalt als *Lektor an der Universität Göttingen (1904-1907) kehrte er nach Paris zurück und unterrichtete an der École alsacienne, bevor er 1912 bei Charles Andler promovierte. Der eigentliche Schaffenshöhepunkt von Vernet, Daniel V 473 Vermeil war die Zwischenkriegszeit, in der er maßgeblich dazu beitrug, die Germanistik als eine interdisziplinär-allumfassende science de l’Allemagne zu etablieren, die sich gleichermaßen an Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft wandte. Als Hochschullehrer war er zunächst in Straßburg (1919-1934), später in Paris (1934-1940) tätig und verfasste in dieser Zeit zahlreiche bedeutende Schriften über das Deutschland der Gegenwart, z.B. über die Weimarer Verfassung und das Spektrum konservativer Denker der Weimarer Republik. Wie die meisten Germanisten seiner Zeit war er von der Notwendigkeit der deutsch-französischen Annäherung überzeugt und engagierte sich in zahlreichen Mittlervereinigungen der Locarno-Ära. Sein offener Widerstand gegen das „Dritte Reich“ zwang ihn 1940 zur Flucht in die unbesetzte Zone und schließlich 1943 nach London, wo er als Mitarbeiter einer diplomatischen Delegation des Freien Frankreichs erste Überlegungen zur Umerziehung der Deutschen formulierte. Nach der Befreiung Frankreichs nahm er seine Lehrtätigkeit an der Sorbonne (1944-1951) wieder auf und unterrichtete zudem bis 1953 am Institut d’études politiques. Seine politische Beratertätigkeit setzte er in verschiedenen Gremien (u.a. einer Kommission zur rééducation) fort, in denen er als Anwalt einer politisch-territorialen Dezentralisierung des Nachbarlandes sowie einer vornehmlich, aber nicht ausschließlich auf Kontrollelementen beruhenden Kultur- und Demokratisierungspolitik hervortrat. Obwohl er als Akteur in den Pionierorganisationen der deutsch-französischen Annäherung präsent war (so z.B. als Gründungspräsident des *Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle oder als Eröffnungsredner des *DFI in Ludwigsburg), gelang es ihm nur bedingt, sich auf die neuartige, auf die Jugend fokussierte Verständigungspraxis der Nachkriegszeit und auf die zunehmend vom Ost-West-Konflikt geprägten Prämissen des deutsch-französischen Dialogs einzulassen. Als illusions-, aber nicht hoffnungsloser Befürworter der bilateralen Annäherung beobachtete er in den 1950er Jahren mit wachsender Skepsis die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik und warnte vor den möglichen Gefahren eines neu aufkeimenden Nationalismus. In seinen Veröffentlichungen konzentrierte er sich hauptsächlich auf die deutsche Geschichte bis 1945. Das Deutschland der Gegenwart bildete ein Terrain, das vor allem die Generation seiner Schüler erkundete, zu denen *Robert Minder und *Alfred Grosser zählen. Obwohl sie sich deutlich von der ideengeschichtlichen und bisweilen kausallogischen Argumentation Vermeils distanzierten und eine stärker vergleichend-relativierende Sichtweise auf das Nachbarland einforderten, übernahmen sie zumindest mit ihrem zivilgesellschaftlichen Mittleranspruch sowie ihrer interdisziplinären Arbeitsweise die verständigungspolitischen Prämissen und die forschungsstrategische Ausrichtung von Vermeils Ansatz. Katja Marmetschke, Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878-1964) in den deutsch-französischen Beziehungen, Köln 2008; Pascale Gruson, Edmond Vermeil (1878-1964), in: Michel Espagne, Michael Werner (Hg.), Histoire des études germaniques en France (1900-1970), Paris 1994, S. 171-193; Corine Defrance, Edmond Vermeil et la commission de rééducation du peuple allemand, 1945- 1946, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 28 (1996) 2, S. 207-221. Katja Marmetschke Vernet, Daniel Dem 1945 geborenen französischen Politikwissenschaftler, Journalisten und Publizisten Daniel Vernet ist eine große Sammlung an scharfsinnigen und kritischen Analysen Deutschlands, deutscher Politik und der deutsch-französischen Beziehungen zu verdanken, die manche Tabus erhellen und kritische Themen zwischen den beiden Ländern beleuchten. Nach seinem Studium der Politikwissenschaft am Pariser Institut d’études politiques arbeitete er zwischen 1973 und 1983 als Auslandskorrespondent für die französische Tageszeitung „Le Monde“ in Bonn, Moskau und London. Ab 1991 war er ihr außenpolitischer Direktor und im Anschluss Chefredakteur. Mittlerweile gehört er zu den Leitern des Internetmagazins „Boulevard extérieur“, das sich mit Fragen der Weltpolitik beschäftigt. Er war außerdem im Redaktionskomitee der von *BILD herausgegebenen Zeitschrift *„Documents“ sowie in der sich außenpolitischen Fragen widmenden Zeitschrift „Internationale Politik“ (Berlin). Im Jahre 2000 erhielt er zusammen mit *Ulrich Wickert den *Prix de Gaulle-Adenauer sowie im gleichen Jahr den Prix franco-allemand du journalisme*. Fünf Jahre später wurde Vernet von der französischen Botschaft in Wien mit dem Versöhnung 474 V Joseph-Roth-Journalistenpreis für seine Tätigkeit im Bereich der österreichisch-französischen Verständigung ausgezeichnet. Vernet schreibt für die Deutschen über Frankreich und für die Franzosen über Deutschland und ist in dieser Mittlertätigkeit vor allen Dingen bemüht, dem jeweiligen Partnerland die politischen Sorgen und Ängste, Wunden und Empfindlichkeiten des Nachbarn zu erklären und mögliche negative Auswirkungen von Haltungen und Handlungen zu verdeutlichen. So erklärt er den deutschen Lesern etwa Frankreichs Vorstellungen von einem gemeinsamen Europa oder Frankreichs Sorge vor einem hegemonialen Deutschland in Europa und verdeutlicht die Schwierigkeiten im deutsch-französischen Tandem sowie die Wichtigkeit in Frankreich wie in Deutschland, weiterhin und dauerhaft ein Bewusstsein für die Notwendigkeit Europas zu schaffen. An seine französischen Leser wandte sich Vernet u.a. auch mit seinem Deutschlandbuch „La renaissance allemande“ (1992). Darin beschäftigt er sich mit der internationalen Positionierung und Identität des wiedervereinigten Deutschlands. Seinen Versuch, Deutschlands Absichten und Identität zu verstehen und zu erklären, beendete er allerdings mit der Feststellung, dass nicht einmal die Deutschen sich selbst verstünden. Sein Fokus liegt auf Frankreichs Sorge vor einem unberechenbaren und zu mächtigen Deutschland, auf den so genannten incertitudes allemandes (*Stereotype)und einer damit einhergehenden Warnung, dass nur durch die Zusammenarbeit in einem geeinten Europa als Friedensmacht die Schatten der Vergangenheit überwunden werden können. Unter den französischen Mittlerfiguren im Feld der „sinndeutenden Intellektuellen […] grenzüberschreitender Kontakte“ (Hans Manfred Bock), die sich durch die Spezialisierung auf Deutschland und deutsche Sprachkompetenz auszeichnen und den Mitbürgern des einen Landes die besonderen Denk- und Sichtweisen des anderen Landes zu erklären versuchen, gehört er zu den Bedenkenträgern, die Vorsicht, Achtsamkeit und Weitsicht anmahnen, wie auch sein Buch „Le roman de Berlin“ (2005) dokumentiert. Durch seine außerordentliche publizistische Tätigkeit leistet er einen wertvollen Beitrag zur Konstruktion deutscher, französischer und damit letzlich auch europäischer Identitätsdiskurse. Daniel Vernet (Hg.), Novembre 1989. Le mur de Berlin s’effondre, Paris 1999; Hans Manfred Bock, Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005; Hanna Milling, Das Fremde im Spiegel des Selbst. Deutschland seit dem Mauerfall aus Sicht französischer, italienischer und spanischer Deutschlandexperten, Berlin 2010. Hanna Milling Versöhnung Versöhnung ( réconciliation ) beschreibt politische, gesellschaftliche und kulturelle Prozesse, die nach einer konflikthaften Vergangenheit ein friedvolles Miteinander in Gegenwart und Zukunft herzustellen suchen. Diese integrativen Prozesse finden sowohl auf der Handlungsals auch auf der Kommunikationsebene statt und bringen mannigfaltige Praktiken und Diskurse von Versöhnung hervor. In das heutige Verständnis von Versöhnung sind verschiedene religiös-theologische und philosophische Konzepte eingeflossen. Versöhnung umfasst den in anderen Sprachen separaten Begriff der Aussöhnung (lat. expiatio ; engl. atonement ), wobei beide Begriffe vielfach weitgehend synonym verwendet werden. Zudem werden Konzepte semantisch naher Begriffe wie Sühne, Vergebung, Schuld, Frieden, Freundschaft, Annäherung ( rapprochement ) und (Völker-)Verständigung diskutiert. Frankreich und Deutschland teilen eine lange Tradition gemeinsamer und trennender Erfahrungen, die sich aus intellektuellen und kulturellen Kontakten einerseits und kriegerischen Auseinandersetzungen andererseits speist. In den Grenzregionen haben die Bewohner neben der Erfahrung territorialer Verschiebungen und Besatzungen auch grenzübergreifende Bande geknüpft, die nach 1945 teilweise Grundlage für Versöhnungsinitiativen wurden. Der Umgang mit dem gemeinsamen historischen Erbe ist in nationale und transnationale Erinnerungs- und Gedenkkulturen eingeflossen, in die die deutschfranzösische Versöhnung seit 1945 eingebettet ist (*Vergangenheitsaufarbeitung). Bereits in den ersten Nachkriegsjahren entwickelten sich vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen zu einer deutsch-französischen Versöhnung. Einen Vorreiter spielte die katholische Organisation Pax Christi, die den Gedanken einer Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen seit der unmittelbaren Nachkriegszeit über die Versöhnung V 475 Organisation deutsch-französischer Wallfahrten und Messen verfolgte. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten wurden im ersten Nachkriegsjahrzehnt auch das Friedenskreuz in Bühl (Baden) errichtet und 1955 eine Gedenkmesse für das Massaker von Oradour-sur-Glane unter Verwendung eines von deutscher Seite gestifteten Sühnekelches abgehalten. Ebenfalls aus einem christlichen Verständnis von Sühne und Versöhnung heraus organisiert die im protestantischen Umfeld situierte Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Versöhnungsaktivitäten deutscher Jugendlicher in Frankreich. Die ersten Projekte der seit 1961 in Frankreich tätigen Organisation waren Bauprojekte, beispielsweise der Bau einer Synagoge in Villeurbanne bei Lyon. Seit den 1970er Jahren leisten die Freiwilligen Arbeit in sozialen Einrichtungen und Gedenkstätten wie dem Mémorial de la Shoah Paris. Weitere zivilgesellschaftliche Versöhnungsinitiativen sind aus dem Veteranenmilieu heraus entstanden. Unter dem Motto „Versöhnung über den Gräbern“ organisiert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seit 1953 nationale und internationale Jugendlager auf deutschen Kriegsgräberstätten im Ausland. Die Pflege von Soldatengräbern des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf französischem Gebiet, Gedenkveranstaltungen sowie Jugendbegegnungen in der Begegnungsstätte Niederbronn-les-Bains machen weitere Aspekte der Frankreichaktivitäten des Volksbundes aus. In den frühen 1950er Jahren organisierten der westdeutsche Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen e.V. (VdH) und die Fédération nationale des combattants prisonniers de guerre (FNCPG) Partnerschaften zwischen lokalen Verbandsstufen der Kriegsveteranen sowie Treffen auf dem Felde der *Jugendbeziehungen, deren Träger zu den wichtigsten Versöhnungsaktivisten zählten. Auch Organisationen ehemaliger Internierter und Deportierter wie die Fédération nationale des déportés internés résistants patriotes (FNDIRP) und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) etablierten Kooperationen zum Zweck der Annäherung. Die zivilgesellschaftlichen Kontakte aus Veteranenkreisen waren in mehreren Fällen Grundlage für die Etablierung von *Städtepartnerschaften seit den 1950er Jahren, oder flankierten diese Partnerschaften. Auf kommunaler Ebene entwickelten sich zudem Initiativen zur Einrichtung *Deutsch- Französischer Gesellschaften in der französischen Besatzungszone und in der Bundesrepublik, die Veranstaltungen zur französischen Kultur sowie Austauschprogramme organisierten. Die *Deutsch- Französische Gesellschaft der DDR (Deufra) war Teil der vom SED-Regime etablierten Freundschaftsgesellschaften und setzte sich für die Kulturbeziehungen mit Frankreich und die Errichtung von *Städtepartnerschaften ein. Die zivilgesellschaftlichen Versöhnungsaktivitäten haben in den letzten Jahren das Interesse der Forschung geweckt, doch wäre noch gezielter zu untersuchen, wie Versöhnungsbemühungen auf staatlicher Ebene, auf der intermediären Ebene von Organisationen und Initiativen individueller Akteure zusammenhängen und welche Synergieeffekte oder auch Konfliktpotenziale sich hieraus ergeben. In der Praxis arbeiteten die zivilgesellschaftlichen Akteure zudem vielfach zusammen oder richteten ihr Augenmerk auf dieselben Orte. An diese breitgefächerten zivilgesellschaftlichen Versöhnungsinitiativen konnten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mit ihrer Versöhnungspolitik der frühen 1960er Jahre anknüpfen. Versöhnung wurde auf dieser Ebene als Politik der Annäherung ( rapprochement ) beider Staaten praktiziert, die eingebettet war in den Kontext des Kalten Krieges und den europäischen Integrationsprozess und das damit verknüpfte Interesse Westdeutschlands, Teil der westlichen Staatengemeinschaft zu werden. Durch den *Élysée-Vertrag wurde den Versöhnungsbestrebungen ein politischer Rahmen gegeben. Über den Aufbau spezifischer Institutionen wie dem *DFJW wirkte der *Élysée-Vertrag wiederum auf Versöhnungsbemühungen zivilgesellschaftlicher Akteure zurück. Viele Jugendaktivitäten der Aktion Sühnezeichen und des Volksbundes beispielsweise wurden und werden in Kooperation mit dem *DFJW organisiert, das zivilgesellschaftliches Engagement in beiden Staaten bündelt und mit staatlichen Fördermitteln unterstützt. Eine Erscheinung der deutsch-französischen Versöhnungspolitik waren seit den frühen 1960er Jahren symbolhafte und medienwirksame Inszenierungen. Mit ihrem Gottesdienstbesuch in der Kathedrale von Reims im Juli 1962 stellten Adenauer und de Gaulle ihre Versöhnungspolitik in Weckmann, André 476 W einen religiösen Kontext. Die Versöhnungsinszenierung der sich an den Händen haltenden Staatsmänner François Mitterrand und Helmut Kohl in Verdun stellte 1984 den Höhepunkt einer Entwicklung der dortigen Gedenkkultur dar, die seit Mitte der 1960er Jahre ein „versöhnendes Gedenken“ in Verdun lokalisiert. Die Umarmung von Gerhard Schröder und Jacques Chirac in Caen im Juni 2004 anlässlich der Gedenkfeier zum 60. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie wurde in den Medien als Symbol der auf einer erfolgreichen Versöhnung basierenden starken Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich bewertet. In der politischen Rhetorik taucht seit Ende der 1990er Jahre die Vorstellung auf, die deutschfranzösische Versöhnung sei erfolgreich abgeschlossen und man befinde sich, wie dies der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer im Januar 1999 in der französischen Nationalversammlung unter Verweis auf seinen Amtskollegen Hubert Védrine formulierte, in einer Phase der post-réconciliation . Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte etablierte sich neben politischer und zivilgesellschaftlicher Versöhnung ein Erinnerungsnarrativ der Versöhnung, das insbesondere in Veteranenerinnerungen zu finden ist. Im Zuge von Versöhnungsinitiativen und -diskursen formulierten deutsche und französische Akteure zudem Vorstellungen eines geeinten Europa. Dabei wurde auf bereits virulente Ideen eines christlichen Abendlandes als Wertegemeinschaft zurückgegriffen wie auch neue, auf die entstehenden europäischen Institutionen bezogene Vorstellungen entwickelt. Ein zentrales Anliegen neuerer Forschungen ist es daher, Versöhnung in ihren transnationalen Bezügen zu analysieren und die dabei entstandenen Ideen für den europäischen Integrationsprozess zu untersuchen. Wichtig erscheint dabei, die von den Akteuren verwendete Europa-Rhetorik auf ihre empirisch fassbare Rolle für die voranschreitende europäische Integration zu überprüfen. Neben Untersuchungen zur Erfolgsgeschichte der deutsch-französischen Versöhnung problematisiert die Forschung zunehmend auch entsprechende Handlungen und Diskurse. Dabei gilt es nicht nur die politische Versöhnungsrhetorik kritisch zu hinterfragen, sondern auch Konflikte herauszuarbeiten, die sich aus Aktions- und Kommunikationszusammenhängen ergeben, in denen die beteiligten Akteure von divergierenden Vorstellungen von Versöhnung ausgehen oder Versöhnungsangebote ablehnen. Diskrepanzen bestehen bezüglich der Bewertung von Versöhnung: Auffassungen, Versöhnung solle mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit einhergehen, stehen Bestrebungen gegenüber, über Versöhnungsakte und -diskurse ein geteiltes Opferschicksal zu betonen und damit einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen (*Vergangenheitsaufarbeitung). Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Tübingen 2010; Andrea Erkenbrecher, A Right to Irreconcilability? Oradour-sur-Glane, German-French Relations and the Limits of Reconciliation after World War II, in: Birgit Schwelling (Hg.), Reconciliation, Civil Society and the Politics of Memory. Transnational Initiatives in the 20th and 21st century, Bielefeld 2012, S. 167-200; Lily G. Feldman, The Principle and Practice of „Reconciliation“ in German Foreign Policy: Relations with France, Israel, Poland and the Czech Republic, in: International Affairs 75 (1999) 2, S. 333- 356; Valentin Rauer, Versöhnung zwischen Erinnerungskulturen. Die mediale Repräsentation internationaler Versöhnungsrituale nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Ellen Ueberschär (Hg.), Soldaten und andere Opfer? Loccumer Protokolle 73/ 05 (2007), S. 83-108; Hans-Richard Reuter, Gerhard Beestermöller (Hg.), Politik der Versöhnung, Stuttgart 2002; Valérie-Barbara Rosoux, Les usages de la mémoire dans les relations internationales: le recours au passé dans la politique étrangère de la France à l’égard de l’Allemagne et de l’Algérie de 1962 à nos jours, Brüssel 2001. Christiane Wienand W Weckmann, André Der in Steinbourg (Elsass) geborene Schriftsteller und Pädagoge André Weckmann (1924-2012) entwickelte von Kindheit an ein besonderes Gespür für das kollektive Bewusstsein der elsässischen Bevölkerung. 1943 wurde er von der deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert (gehörte also zur Gruppe der elsässischen malgré-nous ) und in Russland bei Fastov schwer verletzt. Den Genesungsurlaub nutzte er, um zu desertieren und sich den Forces françaises de l’Intérieur (FFI) an- Weimarer Dreieck 477 zuschließen. Nach dem Krieg studierte er Germanistik in Strasbourg und arbeitete nach Tätigkeiten als Kulturbeigeordneter der Präfektur in Straßburg sowie als Lehrkraft für die Weiterbildung in ländlichen Gebieten von 1961 bis 1989 als Gymnasiallehrer für Deutsch am Lycée in Strasbourg-Neudorf. In den 1970er und 80er Jahren gehörte er zu den entschiedensten Gegnern der Errichtung von Kernkraftwerken am Oberrhein (Wyhl). Das schriftstellerische Werk Weckmanns umfasst mehr als 30 Titel. In seiner Prosa hat sich der Autor vornehmlich in deutscher Sprache artikuliert: „Geschichten aus Soranien, ein elsässisches Anti-Epos“ (1973), „Die Fahrt nach Wyhl, eine elsässische Irrfahrt“ (1977), „Wie die Würfel fallen“ (1981), „TamieHeimat“ (2003), „Schwarze Hornissen. Erzählungen aus dem sonderbaren Land, das Elsass heißt“ (2005). In französischer Sprache sind erschienen: „Les nuits de Fastov“ (1968) und „Fonse ou l’éducation alsacienne“ (1975). Der Roman „Odile oder das magische Dreieck“ (1988) erschien gleichzeitig in einer französischen Fassung unter dem Titel „La roue du paon“. Sein Hauptanliegen stellte die Wahrung und Förderung der elsässischen Identität dar, für die der Dialekt das Fundament der kulturellen Existenz bedeutet: „Wir wollen endlich das sein, frei und ganz das sein, wovon wir schon so lange träumen: mündige alemannische Franzosen, mündige französische Alemannen“ (Rede zur Hebelpreisverleihung). Deshalb griff er gerade in seinem lyrischen Schaffen auf die Mundart für den Ausdruck seines Lebensgefühls zurück. Gedichtbände (Auswahl): „Schang d’sunn schint schun lang“ (1975), „Fremdi Getter“ (1980), „Bluddi Hand“ (1983), „Elsassischi Grammatik oder ein Versuch die Sprache auszuloten“ (1989). Weckmann verstand die Pflege der elsässischen Sprache und Kultur keineswegs als Form der regionalen Abkapselung, sondern umgekehrt als geradezu modellhaften Beitrag zu einer weltoffenen Lebenspraxis zwischen und mit den beiden „Hochsprachen“ im Herzen Europas. Wie er sich diese Praxis in der Erweiterung auf den Raum entlang der gemeinsamen Grenze mit Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland deutscherseits und dem Elsass und Nordostlothringen französischerseits vorstellte, hat er in dem Manifest „Plaidoyer pour une zone bilingue francoallemande/ Plädoyer für eine deutsch-französische Bilingua-Zone“ aus dem Jahr 1991 mit einer scharfsinnigen Analyse der sprachlich-interkulturellen Situation und einer „Charta“ für die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Verwirklichung einer konsequenten Zweisprachigkeit im öffentlichen Leben ausgeführt. Preise und Ehrungen (Auswahl): Johann-Peter-Hebel-Preis (1976), Jacob-Burckhardt-Preis (1986), Carl-Zuckmayer-Medaille (1990), Gustav- Regler-Preis (1999), Grand prix de l’Institut des arts et traditions populaires (1978), Prix européen de langue régionale (2002), Ordre des arts et des lettres (2007). 2004 wurde in Roeschwoog/ Dép. Bas-Rhin die „André Weckmann-Grundschule“ eingeweiht, die einen paritätisch bilingualen deutsch-französischen Unterricht anbietet. Adolf Schmid, Der Elsässer André Weckmann, in: Badische Heimat 3 (2007), S. 526ff. Klaus-Peter Walter Weimarer Dreieck Das Weimarer Dreieck wurde am 28.8.1991 gegründet. Die Gründungsväter waren die drei damaligen Außenminister der Bundesrepublik Deutschland (Hans-Dietrich Genscher), Frankreichs (Roland Dumas) und Polens (Krzysztof Skubiszewski). Die Wahl Weimars begründet sich nicht nur mit seiner kulturellen Ausstrahlung als Stadt deutscher Literatur (Goethe, Schiller), sondern auch mit der Nähe zum Konzentrationslager Buchenwald: ein Ort als Ausdruck historischer Verantwortung für die jüngere europäische - will heißen: deutsch-französische und deutsch-polnische - Geschichte. Der Begriff des Dreiecks sollte theoretisch eine Gleichberechtigung und eine Aufeinanderbezogenheit der drei Partner in bestimmten europäischen Handlungsfeldern vermitteln. Durch die Einbeziehung Polens in das deutsch-französische Tandem sind im Weimarer Dreieck die drei kulturellen Archetypen des europäischen Kontinents verkörpert: das romanische, germanische und slawische Element. Das Gründungsdokument besteht aus einer Gemeinsamen Erklärung, die eine vertiefte trilaterale Zusammenarbeit anvisiert und eine „bindende Verantwortung Polens, Deutschlands und Frankreichs“ fordert, erfolgreich Strukturen aufzubauen, welche die europäische Nachbarschaft erweitern. Diese Erklärung hatte jedoch keinen rechtsverbindlichen Charakter wie z.B. der *Ély- W Weimarer Dreieck 478 W sée-Vertrag von 1963. Eine Institutionalisierung von Begegnungen in regelmäßigen Abständen mit fest umrissenen Inhalten und daraus abzuleitenden Handlungserfordernissen nach deutschfranzösischem Muster war von vornherein nicht gewollt. Das Weimarer Dreieck wurde vielmehr als flexibles Dialogforum angelegt, zum Austausch über die europäische Aktualität auf unterschiedlichen Ebenen: im Gipfelformat zwischen den drei Staatsbzw. Regierungschefs (durchschnittlich alle 2-3 Jahre), zwischen den drei Außen- und später auch Europaministern (alle 1-2 Jahre) sowie auf der Ebene fast aller Fachministerien, z.B. Verteidigung, Justiz, Wissenschaft und Soziales. Treffen zwischen den drei Parlamenten oder ihren Europaausschüssen waren auch geplant, fanden aber wegen ihrer schwerfälligen Umsetzung in lediglich großen Abständen statt (1992, 1996, 2008; 2010 zwischen den 3 Parlamentspräsidenten). Im Verlauf der 1990er Jahre kam eine starke regionale und kommunale Kooperation hinzu, die zu hunderten neuen biwie trilateralen *Städtepartnerschaften führte und den Jugendaustausch förderte. Universitätskooperationen wurde durch trilaterale Projekte beflügelt. Ein Sekretariat oder einen Verantwortlichen für diese Struktur gibt es nicht. Die Akteure, die dem Weimarer Dreieck Leben geben, sitzen in den Stäben der jeweiligen Außenministerien. Die deutsche Wiedervereinigung 1990, der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und eine neu zu schaffende Sicherheitsarchitektur für Europa waren tieferliegende geopolitische Motive für die Gründung des Weimarer Dreiecks. Im Kern diente es der Heranführung Polens an die europäischen Strukturen und die internationalen Sicherheitsanforderungen. „Stabilitätsexport statt Instabilitätsimport“ lautete damals eine griffige Formel, um den Unsicherheiten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zuvorzukommen. Das Ziel wurde bald klar formuliert: Der Beitritt Polens zur NATO und seine Integration in die EU. Beide Ziele wurden in den Jahren 1999 bzw. 2004 erreicht. Das Weimarer Dreieck diente in vielfacher Hinsicht als ein strategisches Instrument des deutsch-französischen Bilateralismus. Auch die Idee, sich an der erfolgreichen deutsch-französischen Aussöhnung als Modell für die deutschpolnische zu inspirieren, hat eine Rolle gespielt. Die Gründung des Weimarer Dreiecks war gleichzeitig die erste Gelegenheit für Deutschland und Frankreich, angesichts der europäischen Umbrüche Leadership zu zeigen. Zudem diente es als Sicherheitsgarantie gegenüber Frankreich, dass Deutschland bei seinem früh erkennbaren Engagement nicht wieder nach Osten abdriften und alte incertitudes allemandes (*Stereotype) heraufbeschwören würde, wie man Anfang der 1990er Jahre wieder in der französischen Presse lesen konnte. Aus der französischen Wahrnehmung heraus gab es im Weimarer Dreieck eine zweite dominante Achse, nämlich die deutsch-polnische. Die deutsche Überlegung wiederum lautete: An Frankreich zu denken während man sich Polen widmete, war die eigentliche Legitimität dafür, die traditionell engen deutschen Bindungen zu Polen fortan auf demokratisch-marktwirtschaftlicher Grundlage aufzubauen. Hiermit war die Idee verknüpft, Frankreich das Gefühl zu geben, dass seine Rolle als informelle Führungsmacht durch die europäischen Umbrüche nicht geschmälert würde. Das Weimarer Dreieck bot aus französischer Perspektive also die Gelegenheit, Interesse an und Präsenz in Osteuropa zu zeigen. Doch das damit verbundene Ziel der deutschen Regierung, hierdurch grundlegend Frankreichs Vorbehalte gegenüber der Osterweiterung, dessen größter Befürworter Deutschland war, abzubauen, war zum damaligen Zeitpunkt kaum erfolgreich. Frankreich befürchtete, dass im europäischen Mächtegleichgewicht eine Asymmetrie zugunsten Mittelosteuropas (unter deutscher Führung) und zuungunsten des Mittelmeerraumes („Südschiene“) entstehen könnte. Noch im Frühjahr 1991 unterbreitete François Mitterrand Konföderationspläne für Osteuropa, die nicht den EU-Beitritt zum Ziel hatten. Sie scheiterten am Widerstand der USA, Deutschlands und nicht zuletzt der osteuropäischen Staaten selbst. Diese komplexe geopolitische Konstellation erklärt, warum Frankreich so gut wie nie die treibende Kraft im Weimarer Dreieck gewesen ist. Schließlich symbolisierte und symbolisiert das Weimarer Dreieck die Schrittmacherrolle des deutsch-französischen Tandems in Sachen europäischer Integration und im Blick auf eine gemeineuropäische Verantwortung. Zugespitzt formuliert belegt das Fortbestehen des Weimarer Dreiecks gleichzeitig die Notwendigkeit des Fort- Weinrich, Harald 479 bestehens der deutsch-französischen Sonderbeziehung. Nach der EU-Osterweiterung im Jahre 2004 stellte sich umgehend die Frage, welche Auswirkungen diese auf das Weimarer Dreieck haben würde. Es zeigte sich rasch, dass eine EU der 25 bzw. 27 Mitgliedstaaten die Rolle des Dreiecks geopolitisch nicht aufwertet, sondern eher marginalisiert. Zu komplex wurde der Prozess, mehrheitsfähige Entscheidungen auf EU-Ebene herbeizuführen. Überdies beanspruchten Deutschland und Frankreich in diesem Prozess die Leadership-Rolle für sich allein. Der Mehrwert der trilateralen Treffen besteht tatsächlich im Austausch über aktuelle europapolitische und internationale Themen, in der Regel im Vorfeld von EU-Gipfeln, EU-Vertragsänderungen oder Begegnungen im Rahmen der G8- oder G20- Treffen. Gemeinsame Positionspapiere oder selbstbindende Deklarationen gibt es wenige. Die trilaterale Kooperation ist umso erfolgreicher, je konkreter sie an bestimmte Projekte gebunden ist, beispielsweise der Gründung einer Weimar battlegroup im Verteidigungssektor oder einer um Polen erweiterten deutsch-französischen Diplomatenausbildung. Für Europa gewinnbringend nutzbar bleibt das Erfahrungspotenzial, das Polen im Umgang mit Russland besitzt und in das Weimarer Dreieck einbringen kann. Um dem Weimarer Dreieck eine stärkere Sichtbarkeit zu geben, wird seit 2006 der *Prix Adam Mickiewicz verliehen, der Persönlichkeiten ehrt, die sich um die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit verdient gemacht haben. Wolfram Vogel, The Franco-German Polish Weimar Triangle: A Strategic Instrument of Franco-German Relations, in: Carine Germond, Henning Türk (Hg.), A History of Franco-German Relations in Europe. From „Hereditary Enemies” to Partners, London 2008, S. 261- 271; ders., Le Triangle de Weimar: une structure de dialogue en quête de sens, in: Questions internationales 37 (mai-juin 2009), S. 84-88. Wolfram Vogel Weinrich, Harald Hinsichtlich der deutsch-französischen Kulturbeziehungen stechen im Lebenslauf des 1927 in Wismar geborenen Harald Weinrich zwei bezeichnende Ereignisse hervor. Als 17-Jähriger geriet er in eine zweieinhalbjährige französische Kriegsgefangenschaft. Dort hatte er einen Theologiestudenten zum Wächter, der ihn Französisch lehrte und ihm Frankreich nahe brachte. Es war der spätere Kardinal Albert Decourtray (1923-1994), der kurz vor seinem Tod in die Académie française aufgenommen wurde. Mit Stolz bekundet Weinrich, dass er sein „Französisch direkt von einem späteren Angehörigen der Académie française gelernt“ habe. Nach seiner Emeritierung erhielt Weinrich 1992 als erster Deutscher und als erster Ausländer überhaupt, nicht zuletzt dank der Unterstützung durch *Jean-Marie Zemb, den Ruf auf einen Lehrstuhl des Collège de France; dort hatte er erst den Europa-Lehrstuhl und dann den für Romanische Philologie inne. Diese Rufe ergingen an einen besonders vielseitigen und innovativen Philologen, der Romanistik, Germanistik, Latinistik und Philosophie studiert hatte, der in Münster 1954 promoviert, dort 1958 habilitiert und kurz danach Ordentlicher Professor für Romanistik in Kiel (1959- 1965) und Köln (1965-1969) wurde. Weinrich war Mitbegründer der Universität Bielefeld und 1972-74 erster Direktor des dortigen Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF); er hatte dort den Lehrstuhl für Linguistik (1969-1978) inne. Von 1978 bis 1992 vertrat er in München das von ihm begründete Fach „Deutsch als Fremdsprache“. Weinrich war Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin (1987/ 88), Gastprofessor an den Universitäten von Michigan (1963/ 64) und Princeton (1978), und am Galilei-Lehrstuhl an der Scuola Normale Superiore von Pisa (1992/ 93). Zudem erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Der Romanist Weinrich ist ein Philologe, der sprach- und literaturwissenschaftliche Fragen und Arbeitsweisen miteinander verbindet und so für die Sprachwissenschaft neue Fragestellungen, Sichtweisen und methodische Ansätze entwickelt, der aber immer auch eigene literaturwissenschaftliche Fragen behandelt hat. Dabei sind für ihn prinzipiell Texte in ihren pragmatischen und kulturellen Kontexten zentrale sprachliche Bezugsgröße. Das zeigte sich deutlich in dem Buch „Tempus“ (1964), dessen Untertitel „Besprochene und erzählte Welt“ zwei kommunikative und textuelle Einstellungen für die Erklärung einer - zumal im Französischen - wichtigen sprachlichen Erscheinung ankündigt. Das Buch zeigt im Einzelnen anhand zahlreicher literari- W Weisenfeld, Ernst 480 W scher und alltäglicher Textbeispiele aus romanischen und germanischen Sprachen - u.a. Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch und Englisch - die Bedingungen für den Tempusgebrauch. Konsequent ging Weinrich den an Texten orientierten Weg weiter und trug so zum Aufbau der Textlinguistik als eigener linguistischer Teildisziplin bei. Er legte 1982 eine Textgrammatik der französischen, dann 1993 eine mehrfach überarbeitete Textgrammatik der deutschen Sprache vor, die seine textlinguistischen Erkenntnisse zu beiden Sprachen systematisch zusammenfassen. Ohne „Sprachkultur“, deren historische Wege er in einem eigenen Band nachzeichnet, ist jedoch für ihn „Sprache, Sprachunterricht und Sprachwissenschaft etwas Monströses“; denn sie prägt den Sprachgebrauch und das Sprachbewusstsein der Sprecher. Zu dessen differenzierter Herausbildung trägt nach Weinrich gerade auch die individuelle Mehrsprachigkeit bei. In ihr sieht er deshalb ein wichtiges Moment beim Aufbau eines demokratischen Europa, weil Demokratie zur Konsensbildung grundsätzlich auf sprachliche Auseinandersetzungen der beteiligten Parteien angewiesen ist. In vielen Beiträgen und öffentlichen Auftritten erweist sich Weinrich als überzeugter Europäer. Seine Arbeiten richten sich auch an ein breites Publikum und finden dort Interesse, wenn er immer wieder übliche Wege verlässt und zu neuen Themen und Sichtweisen gelangt. Nicht selten machen Titel wie „Linguistik der Lüge“ schlagwortartig auf seine aufschlussreichen, anregenden und viel beachteten Beiträge aufmerksam. Viele davon wurden auch in anderen Sprachen, vornehmlich auf Englisch und Französisch, veröffentlicht. Da Weinrich zudem als Schriftsteller, Lyriker und Essayist hervorgetreten ist, gilt er mit gutem Grund als wahrer homme de lettres von europäischem Format. Harald Weinrich, Tempus. Besprochene und erzählte Welt, München 1964 ( 6 2001); ders., Linguistik der Lüge, Heidelberg 1966 ( 5 1974); ders., Textgrammatik der französischen Sprache, Stuttgart 1982; ders., Wege der Sprachkultur, Stuttgart 1985 (München 1988); ders., Textgrammatik der deutschen Sprache, Mannheim 1993 ( 4 2007 Darmstadt); ders., Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997 ( 3 2000). Wolfgang Settekorn Weisenfeld, Ernst Der in Gevelsberg/ Westfalen geborene Ernst Weisenfeld (1913-2009) verfolgte bzw. begleitete als *Journalist und Autor mehrerer zeitgeschichtlicher Werke über Frankreich die Entwicklung des Nachbarlandes und der deutsch-französischen Annäherung nach 1945. Er studierte Geschichte, Staats- und Zeitungswissenschaften sowie Rumänisch in München und Berlin, wo er auch 1938 mit einer Dissertation zu den Siebenbürger Sachsen promoviert wurde. Nachdem er vor 1945 noch als Journalist in Bukarest gearbeitet und sein Interesse eher Mittelbzw. Osteuropa gegolten hatte, führte ihn der Kalte Krieg und die beginnende deutsch-französische Aussöhnung Anfang der 1950er Jahre in den Westen. Bereits 1951 schickte ihn der Nordwestdeutsche Rundfunk als Berichterstatter nach Paris. Gemeinsam mit dem etwas jüngeren Hansjakob Stehle kam er als Auslandskorrespondent, erst über die Zeitungen, dann über Hörfunk und Fernsehen in die deutschen Wohnzimmer und prägte sowohl die Fernsehberichterstattung über Frankreich als auch das Frankreichbild der Bundesdeutschen maßgeblich. Er schrieb u.a. für die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“, „Die Zeit“ und zeigte sich stets als intimer Kenner der französischen Verhältnisse. Zwischen 1961 und 1964 baute er das Hauptstadtstudio der ARD in Bonn auf und leitete es, bevor er dann wieder nach Frankreich ging und zwischen 1969 und 1978 als Korrespondent und Leiter des Pariser ARD-Büros arbeitete. In den Ruhestand wollte der deutsch-französische Mittler, der mehreren Generationen von Deutschen half, das Land westlich des Rheins zu entdecken und zu verstehen (*Stereotype), nicht, und so setzte er sich von Anfang der 1980er Jahre bis 1993 als Chefredakteur der Zeitschrift *„Dokumente“ weiter für den deutschfranzösischen Dialog ein. Von diesem Bemühen zeugen auch seine zeithistorischen Schriften, setzte er es sich doch bereits in den 1960er Jahren zum Ziel, seinen Landsleuten Charles de Gaulle näher zu bringen, der in der Bundesrepublik oftmals Verwirrung auslöste, weil er vielen wie eine Mischung aus Jeanne d’Arc, Don Quichotte und Macchiavelli vorkam, wie ein deutscher Diplomat Weisenfeld einmal anvertraute. Nach „De Gaulle sieht Europa Weiss, Peter 481 - Reden und Erklärungen 1958-1966“ (1966) erschien bezeichnenderweise im Jahre der deutschen Einigung sein biographischer Essay „Charles de Gaulle. Der Magier im Élysee“ (1990), der zwangsläufig auf den Vergleich zwischen der Haltung des Generals und von François Mitterrand zur deutschen Frage hinlief. Weisenfeld traute dabei de Gaulle mehr Weitsicht zu und vermutete, dass dieser „als erster und als unüberhörbare Stimme Europa die Freiheit begrüßt“ hätte. „Le problème allemand“ beschäftigte ihn auch in der 1986 erschienenen Analyse „Welches Deutschland soll es sein? Frankreich und die deutsche Einheit seit 1945“, das noch heute zu den anregendsten Überlegungen zu einer Frage gehört, welche die französische Innen- und Außenpolitik über Jahrzehnte beschäftigte. Sie unterstreicht in aller Deutlichkeit die unterschiedlichen (geo)politischen Interessen der beiden Länder (unter Einschluss der DDR) im Kontext der europäischen Integration und des Kalten Krieges, die sie im Dienste der Annäherung und Kooperation in Übereinstimmung bringen mussten. Dass dieses für ein deutsches Publikum konzipierte Werk auch für Franzosen von Interesse sein konnte, belegt die Übersetzung „Quelle Allemagne pour la France? “ (1989), die ebenfalls das Ziel verfolgt, Missverständnisse zwischen Deutschen und Franzosen zu vermeiden. Neben verschiedenen Sammelbänden soll hier auch die „Geschichte Frankreichs seit 1945“ erwähnt werden, die 1997 in 3. Auflage erschien und noch heute als Standardwerk gilt. So war es nur selbstverständlich, dass Weisenfeld, in dem Freunde und Kollegen einen „Grandseigneur“ des Journalismus sahen, neben anderen Ehrungen 1983 den *Deutsch-Französischen Journalistenpreis und 1989 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für seine Leistungen um die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich verliehen bekam. Ingo Kolboom, En hommage à │ Im Gedenken an Ernst Weisenfeld (1914-2009), in: Bulletin des Deutsch-Französischen Komitees für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 21 (2011), S. 10-12. Ulrich Pfeil Weiss, Peter Der deutschsprachige Schriftsteller Peter Weiss wurde 1916 in der Nähe von Potsdam geboren und starb 1982 in Stockholm. Mit Frankreich verbindet ihn eine lebendige, wenngleich kurze Rezeptionsgeschichte, die sich vor allem auf seine in den 1960er Jahren entstandenen Dokumentartheaterstücke konzentriert. Weiss, dessen Stücke gleichermaßen in West wie Ost erfolgreich aufgeführt wurden, hat seine Rolle als deutsch-deutscher Grenzgänger und politischer Außenseiter bewusst kultiviert. Verstand er sich selber als ein heimatloser, deutschsprachiger, sozialistischer Exilschriftsteller mit schwedischem Pass, wurde er in Frankreich jedoch der bundesrepublikanischen Literatur zugeordnet. Seine Bedeutung erklärt sich nicht zuletzt aus den kulturpolitischen Entwicklungen (*Deutsches Theater in Frankreich) und kann nicht losgelöst werden von den Akteuren des in den 1960er Jahren entstehenden théâtre public . Von großer Bedeutung für die Positionierung Weiss’ in Frankreich war seine Kennzeichnung als Vertreter des Dokumentartheaters, das in den 1960er Jahren in Frankreich als neue wegweisende dramatische Form galt, gleichrangig mit dem Epischen Theater. Weiss, der mit *Brecht argumentierte und doch zugleich über ihn hinauswies, erschien als zeitgemäße Antwort auf die zu dieser Zeit gestellten Forderungen nach einem politischen Theater oder Anti-Theater. Nach Rolf Hochhuth und Heinar Kipphardt, deren Stücke den Auftakt für die Rezeption des théâtre-document oder auch théâtre-procès-verbal bildeten - Hochhuths „Stellvertreter“ wurde 1963/ 64 (nur wenige Monate nach Erwin Piscators Uraufführung) von Peter Brook und François Darbon in der französischen Bearbeitung von Jorge Semprún am Théâtre de l’Athénée in Paris aufgeführt, Kipphardts „In der Sache J.R. Oppenheimer“ 1964/ 65 in einer Bearbeitung von Jean Vilar inszeniert -, avancierte Weiss rasch zum „chef de file de l’école allemande“ (*André Gisselbrecht). Die französische Erstaufführung der „Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“, kurz: „Marat-Sade“ (1964), sein wohl bekanntestes Stück, wurde mit großem Erfolg in der Spielzeit 1966/ 67 in Paris am Théâtre Sarah- Bernhardt, dem heutigen Théâtre de la Ville, gespielt. Aufgrund einer Verzögerung der Auf- W Wenders, Wim 482 W führung wegen juristischer Probleme mit den Erben des Marquis de Sade hatte ein Jahr zuvor jedoch bereits die Erstaufführung der „Ermittlung“ am Théâtre de la Commune in Aubervilliers stattgefunden. Während Gabriel Garran bei seiner Inszenierung auf eine Übersetzung von *André Gisselbrecht zurückgriff, ist der offizielle Übersetzer (*Übersetzung von Theaterstücken) des bei Du Seuil editierten Textes *Jean Baudrillard, der zuvor bereits den Prosatext „Abschied von den Eltern“ übersetzt hatte und auch danach noch weitere Stücke ins Französische übertrug. Die Tatsache, dass Weiss französische Vermittler - der Verleger Robert Voisin, Gabriel Garran, *André Gisselbrecht sowie *Michel Bataillon - aus dem Umfeld der kommunistischen Partei stammten, begünstigte zunächst seine Verbreitung, beschleunigte dann aber auch seinen Abstieg im Augenblick seines Bruches mit der DDR 1969 infolge seines Stückes „Trotzki im Exil“, das die vom Stalinismus propagierte Darstellung Trotzkis als Verräter revidierte. So kam es in diesem Moment auch zum Ende der freundschaftlichen Beziehungen mit *Gisselbrecht, der Weiss in „L’Humanité“ angriff. Die Pläne „Trotzki im Exil“ in einer Übersetzung von *Michel Bataillon in Aubervilliers auf die Bühne zu bringen, wurden nicht realisiert. Stattdessen inszenierte Garran zwar „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird“, dennoch wurde Weiss - ähnlich wie in Deutschland - nun zunehmend marginalisiert. Hatte man in ihm Mitte der 1960er Jahre noch den legitimen *Brecht-Nachfolger sehen wollen, notierte Bernard Dort in seinem Jahresrückblick 1970 erstaunlich kommentarlos den échec der „Trotzki“-Uraufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus. Nach einer kurzen Zeit der heftigen Begeisterung wurde das Dokumentartheater im post-68er Zeitgeist zunehmend als Sackgasse empfunden, was sich in der Bundesrepublik vor allem im linken Protest gegen die (angebliche) politische Unwirksamkeit von Weiss’ „Viet Nam Diskurs“ äußerte, der in Frankreich unaufgeführt blieb. Wenngleich alle anderen Stücke noch zur Aufführung kamen, brach die Rezeption des Weiss’schen Dokumentartheaters am Anfang der 1970er Jahre mit Marcel Maréchals „Hölderlin“-Inszenierung auf dem Festival d’Avignon ab - außer dem „Marat-Sade“ wurde kaum ein Stück in den folgenden Jahrzehnten nachinszeniert. Eine Erneuerung des in die Jahre gekommenen politischen Theaters à la *Brecht mit Hilfe des Dokumentartheaters erschien illusorisch, es blieb in Frankreich ohnehin eine Importware, eigene bekannte Autoren wurden in dieser Sparte nicht hervorgebracht. Weiss' Prosawerk war lange Zeit unbekannt: Sein Roman „Fluchtpunkt“, der bereits 1962 mit dem Prix Charles Veillon ausgezeichnet und 1964 in der Übersetzung von *Baudrillard auf Französisch publiziert wurde, ist lange vergessen; die zwischen 1989 und 1993 erschiene „Ästhetik des Widerstands“ hat keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Überraschenderweise beginnt jedoch in neuerer Zeit die nachwachsende Generation ein Interesse an Weiss zu entwickeln: So übersetzte Alban Lefranc (*Französischsprachige Schriftsteller in Berlin) 2006 Weiss frühe Texte „Das Duell“ und 2008 „Der Schatten des Körpers des Kutschers“. Nicole Colin, Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945, Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld 2011; Günter Schütz, Peter Weiss und Paris. Prolegomena zu einer Biographie, 2 Bde., St. Ingbert 2004/ 2011. Nicole Colin Wenders, Wim Der 1945 in Düsseldorf geborene Wilhelm Ernst Wenders brach 1966 sein Studium der Medizin, Philosophie und Soziologie ab und zog nach Paris, wo er ein eifriger Besucher der Cinémathèque wurde: „Ich würde, auf etwas pathetische Weise, sagen, daß die Cinémathèque eines der Häuser meiner Kindheit ist,” bemerkte er später einmal. Ihrem damaligen Leiter, Henri Langlois, widmete er seinen Film „Der amerikanische Freund“. Die Filme der *Nouvelle vague übten einen starken Einfluss auf Wenders aus und er entwickelte eine Sonderbeziehung zu Frankreich, die dauerhaft bleiben sollte - auch vermittelt durch französische Mitarbeiter wie dem Kameramann Henri Alekan, der Schauspielerin Solveig Dommartin oder Claire Denis, die, bevor sie selbst zu einer angesehenen Regisseurin wurde, seine Assistentin war. 1967 begann er ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, das er 1970 mit dem Film „Summer in the City“ erfolgreich abschloss. Bereits als Student schrieb Werner, Karl Ferdinand 483 er Kritiken für die „Süddeutsche Zeitung“ und „Filmkritik“. 1972 verfilmte er *Peter Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ in enger Kooperation mit dem Autor. Der Tormann verkörpert bereits einen seiner typischen Helden; es handelt sich um eine Art des professionellen Beobachters wie der Regisseur, der Filmvorführer, der Fotograf, der Schriftsteller, der Detektiv oder der Maler, wie wir sie auch in den späteren Filmen Wenders finden, der seine Arbeit „eher als eine Dokumentation als eine Manipulation“ betrachtet. Der internationale Durchbruch erfolgte mit seiner Road-Movie-Trilogie „Alice in den Städten“ (1974), „Falsche Bewegung“ (1975), einer freien Bearbeitung von Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ durch *Handke, sowie den Film „Im Lauf der Zeit“ (1976), für den er seinen ersten Preis auf dem Festival de Cannes erhielt. In allen drei Road Movies durchkreuzen die Protagonisten ein Land und konfrontieren ihr Innenleben mit Landschaft und Städten. Das Imaginäre und das Konkrete stehen bei dieser Suche nach sich selbst, nach den Anderen und der Wirklichkeit in ständiger Spannung zueinander. Nach der Mitbegründung des Filmverlags der Autoren im Jahr 1971 machte sich Wenders 1976 mit seiner Filmproduktionsfirma Road Movies in Berlin selbständig und wurde 1977 mit dem Thriller „Der amerikanische Freund“ auch in den USA bekannt. Er war der erste deutsche Autorenfilmer, der nach Hollywood aufbrach und entwickelte vor allem aufgrund seiner Faszination für amerikanische Musik, Filme, Großstädte und Landschaften eine besondere Beziehung zu dem Land („Ich wollte immer Amerikaner werden”). 1980 drehte er hier „Nicks Film - Lightning over Water“ über die letzten Wochen des todkranken Regisseurs Nicholas Ray sowie „Hammett“, eine Hommage an den berühmten Krimi-Autor. Dennoch blieb er, nach eigenem Bekenntnis, ein europäischer Regisseur und brachte alle seine in Amerika gedrehten Filme als europäische Produktionen von Berlin aus auf den Markt. Zwei Filme entstanden in Portugal: 1982 „Der Stand der Dinge“, in dem er seinen Wunsch, im Film selbst das Wesen des Filmischen zu dokumentieren, auf die Spitze trieb, und 1994 „Lisbon Story“. Seine größten Erfolge feierte er jedoch in Frankreich, was er u.a. seinen Preisen auf dem Festival de Cannes verdankte, wo er neunmal mit seinen Filmen vertreten und 1989 Präsident der Jury war. Hier gewann er 1984 mit „Paris-Texas“ die Goldene Palme; 1987 erhielt er für „Der Himmel über Berlin“ (abermals in Zusammenarbeit mit Peter Handke) den Preis für die beste Regie, 1993 den großen Preis der Jury für „In weiter Ferne, so nah! “. Darüber hinaus wurde ihm in Frankreich der Robert-Bresson-Preis verliehen; 1987 wurde er als einziger Regisseur von François Mitterrand während seines Staatsbesuches in Deutschland eingeladen. 1989 verlieh ihm die Universität Sorbonne Nouvelle die Ehrendoktorwürde zur Würdigung seines Filmwerkes. „Paris- Texas“ und „Der Himmel über Berlin“ waren seine größten Publikumserfolge und die französischen Kritiker, die ihn schon seit Jahren unterstützten, kürten ihn zu einem der besten Filmemacher überhaupt. Bei aller Verbundenheit mit Frankreich und Amerika blieb Heimat und Ausgangspunkt seiner Filmarbeit jedoch Berlin. Wenders: „Keine andere Stadt ist so sehr ÜBERLEBENSORT, so sehr exemplarisch für unser Jahrhundert.” Nach dem Erfolgsfilm „Buena Vista Social Club“ (1999), eine Dokumentation über kubanische Musik, drehte Wenders zwischen 1997 und 2005 mehrere Filme in den USA, über die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft, deren düstere Stimmung die sozialen Probleme einer von Kriegen und Krisen gezeichneten Gesellschaft entsprachen. Wie stark die Wirkungsgeschichte von Wenders Werk mit Frankreich verbunden bleibt, bewies auch sein erster Film in 3D: „Pina“, eine Hommage an die 2009 verstorbene Choreographin *Pina Bausch, die in Frankreich bei seiner Vorpremiere im Théâtre de la Ville 2011 in Paris, wo sich die Filmprominenz - von Pedro Almodóvar bis zu Catherine Deneuve - ein Stelldichein gab, groß gefeiert wurde. Buchka Peter, Augen kann man nicht kaufen. Wim Wenders und seine Filme, München 1983; Volker Behrens, Man of Plenty - Wim Wenders, Marburg 2005; Wim Wenders, Daniel Bickermann, A Sense of Place: Texte und Interviews, Frankfurt/ M. 2005. Gilbert Guillard Werner, Karl Ferdinand Der aus dem saarländischen Neunkirchen stammende Historiker Karl Ferdinand Werner (1924- 2008) spielte als Direktor des *DHI Paris (1968- 1989) eine entscheidende Rolle in den geistes- W Werner, Karl Ferdinand 484 W wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik. Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dessen er Zeuge von NS- Verbrechen geworden war, wandte er sich dem französischen Nachbarn zu. Über jede Form von Nationalismus erhaben, war er tief im abendländisch-westlichen Europa verankert, sodass er sich nach der deutschen Wiedervereinigung kaum mit dem Wechsel der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin abfinden konnte. Als Historiker beschäftigte er sich vor allem mit dem Früh- und Hochmittelalter, doch richtete er seinen Blick stets auf die gesamte deutsche und französische Geschichte, sodass er auch ein von den Fachleuten anerkannter Zeithistoriker wurde. Seine historische Ausbildung erfuhr er in Heidelberg, wo er 1950 promovierte. In seiner folgenden Assistentenzeit lehrten dort u.a Werner Conze und Erich Maschke, deren Handeln im „Dritten Reich“ damals erst ansatzweise bekannt war. Doch die Geschichte der deutschen *Geschichtswissenschaft zwischen 1933 und 1945 hat Werner bereits früh interessiert, woraus sein 1967 publiziertes Buch „Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft“ entstand. Mit diesem vielleicht meistgelesenen seiner Werke wurde er zum Wegbereiter der Frage nach der Haltung der deutschen Historiker während des Nationalsozialismus, die in ihrer großen Mehrheit deshalb unfähig waren, sich dem Regime zu widersetzen, weil sie weitgehend die Grundauffassungen der Machthaber teilten. Diese Kritik an der eigenen Zunft und seine große Zuneigung zu Frankreich machten ihm in der damaligen Bundesrepublik nicht nur Freunde, begründeten jedoch sein Renommee westlich des Rheins. Zuallererst war er aber Historiker einer Epoche und eines Milieus: des Adels, des Staats, der Könige und der Fürsten des Frankenreiches, von Chlodwig bis zu den Ottonen und den Robertinern. Er wurde damit zu einem der besten Kenner der Ursprünge Deutschlands und Frankreiches. In seiner 1950 abgeschlossenen Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Vorstellungswelt der ersten kapetingischen Könige („Die Entstehung des Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli“), und in seiner unveröffentlichten Habilitation von 1961 behandelte er die Ursprünge des Fürstentums innerhalb des Karolingerreiches. Eine Reihe von Artikeln erregte im selben Jahr das Interesse von Georges Duby und mit seinen Büchern „Les Origines“ (1984) und „La naissance de la noblesse“ (1994) erwarb er sich endgültig die Wertschätzung der französischen Kollegen. Um sich mit dieser so weit entfernten und dennoch sehr präsenten Vergangenheit vertraut zu machen, hatte er ab 1948 in französischen Archiven und Bibliotheken gearbeitet. Zwischen 1951 und 1954 wohnte er in Enghien-les-Bains bei Paris, studierte an der École pratique des hautes études und wurde zu einem ständigen Besucher des Handschriftenlesesaals der Nationalbibliothek. Es entstanden dauerhafte Freundschaften, u.a. mit Jean-François Lemarignier, Olivier Guillot, Jean Favier und Georges Duby, der ihn später als privilegierten Ansprechpartner in seinem Seminar achtete und 1989 das Vorwort zu der in französischer Sprache abgefassten Abschiedsfestschrift schrieb. Im Jahre 1965 wurde Werner an die neue Universität Mannheim berufen und gründete dort das Historische Seminar. Seinen Lehrstuhl behielt er jedoch nur wenige (fulminante) Jahre, denn im Jahre 1968 wurde ihm die Direktorenstelle des *DHI Paris angetragen. Aus dieser damals noch kleinen Forschungsstätte machte er schnell ein angesehenes Institut, durch die systematische Kontaktaufnahme zu den Kollegen, die Organisation von Kolloquien zu wichtigen Themen, die den französischen Kollegen Deutschland näher brachten, eine Aufstockung des Personals, den Umzug in ein hôtel particulier im vornehmen 16. Arrondissement von Paris und die Gründung der zweisprachigen (bisweilen dreisprachigen) Zeitschrift *„Francia“. Hinzu kamen neue Schriftenreihen, eine ständige Beteiligung an wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten und die Konzeption von Projekten, die immer groß, zuweilen zu groß waren. Dass das Institut schließlich 1993 in die prächtigen Räume des Hôtel Duret de Chevry im Pariser Marais-Viertel einziehen konnte, war nicht zuletzt dem Renommee zu verdanken, das Werner dem Institut verschafft hatte. Die französischen mehr noch als die deutschen Kollegen waren von seiner starken Persönlichkeit fasziniert, die mit Energie, Intelligenz und Originalität Eindruck machte. Öffentliche Ehrungen waren die Folge: Werner wurde 1986 zum korrespondierenden und 1991 zum assoziierten ausländischen Mitglied der Académie des inscriptions et belles-lettres gewählt, erhielt 1988 Wickert, Ulrich 485 die Ehrendoktorwürde der Sorbonne und 1996 die der Universität Orléans sowie im gleichen Jahr die nur selten vergebene Silbermedaille des CNRS. Menschen sterben, Bücher altern, aber die Institutionen überdauern, wenn sie sich permanent erneuern. In diesem Sinne hat Karl Ferdinand Werner als langjähriger Direktor des *DHI Paris den deutsch-französischen Kulturbeziehungen ein großes Erbe hinterlassen. Der wissenschaftliche Nachlass liegt im DHIP, die Privatbibliothek befindet sich an der Universität von Nagoya in Japan. Karl Ferdinand Werner, Ein Historiker der „Generation 1945“ zwischen „deutscher Historie“, „Fach“ und Geschichte, in: Hartmut Lehmann und Otto Gerhard Oexle (Hg.), Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit, Wien 1997, S. 237-248; Michel Parisse, Karl Ferdinand Werner, in: Véronique Sales (Hg.), Les historiens, Paris 2003, S. 267-283; Werner Paravicini, Wachstum, Blüte, neue Häuser. Das Institut in den Jahren 1968-2007, in: Rainer Babel, Rolf Große (Hg.), Das Deutsche Historische Institut Paris 1958-2008, Ostfildern 2008, S. 85-169; ders., [Nachruf], in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 542-549; Otto Gerhard Oexle, [Nachruf], in: Francia 36 (2009), S. 408f; Dominique Barthélemy, Karl Ferdinand Werner, le médiéviste, in: Francia 38 (2011), S. 169-178; Peter Schöttler, Karl Ferdinand Werner et l’histoire du temps présent, in: Francia 38 (2011), S. 179-189. Werner Paravicini Wickert, Ulrich Der 1942 in Tokio geborene Ulrich Wickert war langjähriger Korrespondent in der französischen Hauptstadt und prägte auf diesem Weg nachhaltig das deutsche Bild von Frankreich. Schon in seiner Jugend hatte Wickert eine enge Beziehung zu Paris, wo er in den 1950er Jahren die Schule besuchte, als seine Familie aufgrund beruflicher Verpflichtungen des Vaters, Erwin Wickert, im diplomatischen Dienst in die französische Hauptstadt zog. Nach seinem Jurastudium entschied sich Wickert für den Journalismus und begann für die ARD zu arbeiten. Bereits 1969 bis 1978 berichtete Wickert aus Paris, bis er 1978 eine feste Anstellung im Pariser ARD-Studio antrat. Ab 1984 übernahm er dann die Leitung des französischen Hauptstadt-Studios, bevor er 1991 nach Deutschland zu den Tagesthemen wechselte. Als langjähriger Korrespondent in Paris prägte Wickert lange das Frankreich-Bild in den deutschen Medien. Bekannt wurde er unter anderem durch seinen „Selbstversuch“ 1984 auf dem Place de la Concorde: Fünf Mal überquerte er die wohl gefährlichste Kreuzung von Paris für eine Reportage zu Fuß und ohne Rücksicht auf das Autochaos zu nehmen. Für die ARD legte er sich aber auch mit Taxifahrern und Feinkosthändlern an, als er den „Guide de l’emmerdeur“ für die deutschen Fernsehzuschauer ausprobierte. Neben den leichtlebigen Themen berichtete er vor allem über den politischen Alltag während der Präsidentschaft von François Mitterrand. Frankreich ist für Wickert jedoch viel mehr als nur eine berufliche Station: „Genuss habe ich in Frankreich gelernt“, sagt der ehemalige Tagesthemen-Sprecher von sich. Seine Frankophilie hat Wickert in mehreren Büchern über den Alltag in Paris sowie der französischen Lebensart und Kultur niedergeschrieben. So legte er nach „Frankreich: Die wunderbare Illusion“ (1989) mit „Und Gott schuf Paris“ (1993) eine Sammlung von einfühlsamen, anekdotenhaften Essays über die Hauptstadt, ihre Geschichte und Bewohner vor. Darauf folgten in den nächsten Jahren noch Bände wie „Vom Glück, Franzose zu sein: Unglaubliche Geschichten aus einem unbekannten Land“ (1999) oder auch „Alles über Paris“ (2004). Wickerts Erzählungen wollen dem deutschen Leser Frankreich nahe bringen, indem der Autor über Mentalität, Marotten und kulturelle Feinheiten seiner Nachbarn aufklärt. Vor allem versucht er jedoch in seinen Beschreibungen durch historisches Wissen und eigene berufliche und persönliche Erfahrungen das Verhältnis beider Staaten zueinander näher zu bestimmen. Mittlerweile finden sich unter seinen (bis jetzt 22) Veröffentlichungen auch Kriminalromane, die in der französischen Hauptstadt spielen und sich um den Untersuchungsrichter Jacques Ricou drehen. Dabei geht es nicht nur um spannende Fälle, sondern auch um den Pariser Alltag und die Eigenheiten des französischen Lebens. Wickert ist secrétaire perpétuel der *Académie de Berlin und wurde für seine Arbeit als Frankreich-Korrespondent von deutscher wie französischer Seite mit verschiedenen Preisen honoriert: 1990 bekam er den *Prix franco-allemand du journalisme in der Kategorie Fernsehen sowie 2006 den Ehrenpreis des *Prix franco-allemand du journalisme. Der französische Staat ehrte ihn mit seiner höchsten Auszeichnung: 2005 wurde W Wintzen, René 486 W er in die Ehrenlegion aufgenommen. Vielleicht weniger glorreich aber nicht minder wichtig: Aufgrund seiner großen Liebe zum französischen Käse wurde Wickert 2011 sogar von der Käsegilde „Guilde Internationale des Fromagers“ mit der Auszeichnung „Maître Honoris Caseus“ versehen. Susanne Götze Wintzen, René Der in Verneuil-sur-Avre (Eure) geborene René Wintzen (1924-2015) studierte in Nancy und Paris und verdankte es, wie er selber berichtet, dem Zufall einer Reisebekanntschaft, dass er 1946- 1949 *Lektor der französischen Sprache an der Volkshochschule Koblenz wurde. Er unterstand in dieser Funktion dem Sport- und Jugendbüro der französischen Militärregierung, das in Baden- Baden von *Jean-Charles Moreau und seiner Stellvertreterin *Geneviève Carrez geleitet wurde. Das Büro sorgte für den Vertrieb der von ihm in dieser Zeit gegründeten literarischen Zeitschrift „Vent debout“, die bald zusammengeführt wurde mit der von Luc Bérimont herausgegebenen Revue „Verger“. Prosatexte und Gedichte französischer Schriftsteller wurden darin veröffentlicht sowie Studien zur zeitgenössischen deutschen Literatur, zur Rolle der deutschen Intellektuellen im „Dritten Reich“, zur deutschen Jugend usw. So kam Wintzen in Kontakt mit zahlreichen deutschen Autoren, darunter Reinhold Schneider und Werner Bergengruen, aber auch mit französischen Schriftstellern wie René Guy Cadou, Lucien Becker oder Jacques Robichon. Die letzte gemeinsame Ausgabe dieser Publikation, die sich als „Zeitschrift für schöngeistige Literatur, Theater und Künste“ verstand, erschien im Juni 1949. Zum 1.10.1949 wechselte Wintzen zu den Redaktionen der Zeitschriften *„Documents“ und *„Dokumente“, die vom Jesuitenpater *Jean du Rivau in Offenburg, später in Köln herausgegeben wurde. Die Funktion eines Redakteurs hatte er bis 1957 inne. Mit dem Empfang von deutschen Schriftstellern (darunter Günther Weisenborn, Alfred Andersch, Luise Rinser, Heinrich Böll, Hans Bender, Rudolf Hagelstange, Paul Schallück usw.) 1953 in Paris begann eine Reihe von deutsch-französischen *Schriftstellertreffen in Deutschland wie in Frankreich, an deren Zustandekommen Wintzen einen maßgeblichen Einfluss hatte. Er wurde literarischer Direktor im Verlag Castermann und verfolgte als Übersetzer (*Übersetzen/ Dolmetschen) und Rezensent wieter das Ziel, die neueste deutsche Literatur in Frankreich bekannt zu machen. Er stand Paul Schallück nahe, brachte eine Auswahl an Gedichten von *Bertolt Brecht im Verlag Pierre Seghers heraus und widmete ihm eine Studie in der berühmten Reihe „Poètes d’aujourd’hui“. 1978 veröffentlichte er unter dem Titel „Une mémoire allemande“ bei den Éditions du Seuil ein langes Gespräch mit Heinrich Böll, das auf ein erstaunliches Interesse stieß. Von 1976 bis zu seiner Verabschiedung war er Chefredakteur in Paris von *„Documents“, seine Beiträge zeichneten ihn als sozialengagierten Christen aus. René Wintzen, Private und persönliche Initiativen in der französischen Besatzungszone. Die Zeitschriften „Documents“ und „Dokumente“, „Vent debout“ und „Verger“, in: Jérôme Vaillant (Hg.), Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1949, Konstanz 1984, S. 143-152; René Wintzen Rencontres franco-allemandes d’écrivains (1945-1984), in: *Allemagnes d’aujourd’hui 112 (1990), S. 93-116. Jérôme Vaillant Wismann, Heinz Der Altphilologe und Philosoph Heinz Wismann wurde 1935 in Berlin geboren. Nach der kriegsbedingten Umsiedlung nach Münster besuchte er, inzwischen Halbwaise (sein Vater fiel in den letzten Monaten des Krieges), das dortige Gymnasium. Nach bestandenem Abitur (1955) studierte er Philosophie und Altphilologie - zunächst in Berlin, dann in Wien, Lille und Paris. In Berlin lernte er den Gräzisten Jean Bollack kennen, dem er 1959 nach Frankreich folgte. Dort bekleidete er ab 1962 eine Stelle als *Lektor für Deutsche Philosophie an der Sorbonne. Gleichzeitig arbeitete mit Jean Bollack an kritischen Ausgaben, Übersetzungen und Kommentaren griechischer Philosophen - „La lettre d’Épicure“ (Paris 1971), „Héraclite ou la séparation“ (Paris 1972) - und veröffentlichte mehrere bahnbrechende Studien zu Demokrit. Auf diese Weise wurde er zu einer der führenden Gestalten der um Bollack versammelten Philologengruppe, der man den nicht ganz zutreffenden Namen der École de Lille gegeben hat. Die Verbindung von Philologie und Philosophie verleiht der Arbeit von Heinz Wismann ihre besondere Prägung. Sie kreist um die Frage der Interpretation, insbesondere die Theorie der Hermeneutik, die Zemb, Jean-Marie Z 487 Wismann als eine spezifisch nachkantische Form der Philosophie versteht. Als Herausgeber der von ihm konzipierten Reihe „Passages“ bei den Éditions du Cerf sorgte er unter anderem für die Übersetzung der Werke von Wilhelm Dilthey, Friedrich Schleiermacher, Hermann Cohen und Ernst Cassirer. Unter seiner Leitung wurde diese Reihe, in der zwischen 1986 und 2007 mehr als 150 Bände erschienen sind, zu einer der wichtigsten verlegerischen Vermittlungsinitiativen zwischen Deutschland und Frankreich. An der École des hautes études en sciences sociales, wo er ab 1978 lehrte - zuletzt als directeur d’études in dem von Michael Werner gegründeten Centre de recherches interdisciplinaires sur l’Allemagne -, entwickelte er ein Forschungsprogramm zur Epistemologie der Geisteswissenschaften. Seine Seminare, in denen der deutsch-französische Kulturtransfer eine zentrale Rolle spielte, behandelten hauptsächlich Probleme der historischen Erkenntnis. Von 1991 bis 2001 war Heinz Wismann gleichzeitig Leiter des Evangelischen Instituts für Interdisziplinäre Forschung (FEST) in Heidelberg. Heinz Wismann wirkte und wirkt in zahlreichen Institutionen mit, die sich der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Rahmen der europäischen Integration widmen. So war er zwischen 1993 und 1995 an der Gründung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder beteiligt. Von 1995 bis 2009 nahm er in maßgeblicher Position an der Arbeit des *Berlin-Brandenburgischen Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa (Genshagen) teil. Seit 1997 gehört er dem Vorstand des *Deutsch-Französischen Institutes in Ludwigsburg an. Während mehrerer Jahre war er zudem Mitglied der Jury des *Raymond-Aron- Preises der DVA-Stiftung (*Übersetzen/ Dolmetschen). Heinz Wismann ist Chevalier de l’ordre des palmes académiques und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Neuere Veröffentlichungen sind „L’avenir des langues“ mit Pierre Judet de la Combe (Paris 2004), „Les avatars du vide. Démocrite et les fondements de l’atomisme“ (Paris 2010), „La science en jeu“ (Arles 2011), „Penser entre les langues“ (Paris 2012). Jean-Marc Tétaz Z Zemb, Jean-Marie Der in Erstein im Elsass geborene *Germanist und Philosoph Jean-Marie Zemb (1928-2007) gehört zu den bedeutendsten Mittlern der germanistischen Sprachwissenschaft. Seine zahlreichen Veröffentlichungen, in denen er mit überkommenen Theorien Tabula rasa machte und dafür eine eigene kohärente Grammatik- und Sprachtheorie vorschlug, zeugen von hoher wissenschaftlicher Originalität. Von der Sprachphilosophie der Antike ausgehend, ist für Zemb der Wechselbezug von Sprache und Denken der einzig mögliche Ansatzpunkt, um Grammatik zu ergründen. Allen Modeströmungen abgeneigt, lässt er sich nicht leicht in gängige Kategorien eingliedern, was anfangs die Rezeption seines Werkes erschwerte. Sowohl in Frankreich (z.B. Thierry Gallèpe und Martine Dalmas) als auch in Deutschland (Elisabeth Leiss) sind jedoch Wissenschaftler mit der Aufarbeitung seiner Theorien beschäftigt. In deutschen Fachkreisen zog zunächst das in Dialogform verfasste Buch „Satz - Wort - Rede. Semantische Strukturen des deutschen Satzes“ (1972) die Aufmerksamkeit auf sich. Bekannt wurde Zemb jedoch durch seine monumentale, zweibändige „Vergleichende Grammatik Französisch-Deutsch“ (Mannheim 1978/ 1984) - Teil 1: Comparaison de deux systèmes, Teil 2: L’économie de la langue et le jeu de la parole -, in der jedes Sprachsystem in der jeweils anderen Sprache beschrieben wird. Erst die Lektüre beider Teile ermöglicht das Verständnis. Wahrgenommen von einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland wurde Jean-Marie Zemb durch seine Kritik an der deutschen Rechtschreibreform von 1996, die er in zahlreichen Artikeln zum Ausdruck brachte, z.B. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie in seinem Buch „Für eine sinnige Rechtschreibung. Eine Aufforderung zur Besinnung ohne Gesichtsverlust“ (Tübingen 1997). Einen anderen Erfolg erzielte er als Didaktiker in der beliebten TV- Serie „Les Gammas! Les Gammas! “, einem Sprachkurs der französischen Sprache. Das Interesse für Sprachen, Sprachvergleich und Übersetzung wurde Zemb gewissermaßen in die Wiege gelegt. Als Elsässer begriff er sich als Teil zweier Kulturen. Seine Muttersprache war das Französi- Ziebura, Gilbert 488 Z sche, jedoch wurde Straßburg, und damit auch sein Gymnasium, infolge der deutschen Annektierung germanisiert. Schon mit fünfzehn Jahren wurde er eingezogen und diente als Flakhelfer bei der Wehrmacht in Kehl. Kurz bevor die Einheit an die Ostfront verlegt wurde, gelang es ihm zu fliehen, wofür er später mit der Médaille des réfractaires ausgezeichnet wurde. Nach dem Krieg studierte Zemb Philosophie an der Sorbonne und an der Dominikanerhochschule Le Saulchoir und schloss 1955 sein Studium mit der Promotion in Freiburg ab. Von 1956 bis 1961 lehrte er als *Lektor an der Universität Hamburg. Dort entstand auch sein Werk „Aristoteles in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“ (1961), das vielfach aufgelegt und mehrmals übersetzt wurde: „Aristote“ (2008). Zur gleichen Zeit wandte er sich der *Germanistik und Vergleichenden Sprachwissenschaft zu. 1968 habilitierte er sich an der Sorbonne mit der von dem Linguisten *Jean Fourquet und dem Philosophen René Poirier betreuten Arbeit „Les structures logiques de la proposition allemande. Contribution à l’étude des rapports entre le langage et la pensée“ (Paris 1968). Mit diesem wesentlichen Werk zur Stellung und Funktion der Negation im deutschen Satz entwarf Zemb die Grundlagen seiner Sprachtheorie über den Bezug von Sprache und Denken. Ausgehend von den Begriffen onoma und rhema in Platons „Kratylos“ bestimmte er die logisch-semantische Struktur des Satzes, die im deutschen Nebensatz mit Endstellung des konjugierten Verbs sichtbar wird und die auf der Triade der Konstituenten Thema - Phema - Rhema beruht: (weil) die Rose NICHT rot ist. Dem Thema ( percept) als Ausschnitt der Wirklichkeit, das durch seine Bezeichnungsfunktion definiert ist, wird mit Hilfe des Phemas ein bedeutungstragendes Rhema ( concept ) zugeordnet. Diese Brückenfunktion des Phemas zum Ausdruck von Affirmation, Negation, Modalität und Modalisierung der Aussage hat Zemb in Videos anschaulich dargestellt. Von 1968 bis 1986 lehrte Jean-Marie Zemb als ordentlicher Professor für germanistische Linguistik an verschiedenen Pariser Universitäten: Paris VIII (1968-1969), Paris III (1969-1976), und Paris X (1977-1985). Durch seine 1986 erfolgte Berufung auf einen Lehrstuhl im Collège de France mit dem selbstgewählten Titel „Grammaire et pensée allemandes“ und seiner Ernennung zum Mitglied der Académie des sciences morales et politiques im Jahre 1999 erfuhr sein Werk eine hohe Würdigung. In der Bundesrepublik wurde er 1980 mit dem Bundesverdienstkreuz und 1996 mit dem Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des *DAAD für „Kognitive Klärungen: Gespräch über den deutschen Satz“ (1994) ausgezeichnet. In seinem letzten, posthum erschienen Werk „Non et non ou non? Entretiens entre un philosophe, un grammairien et un logicien“ (2007) kommt er in der von ihm bevorzugten Form des Dialogs als Mittel der Erkenntnisfindung noch einmal auf alle Themen seines Denkens und Schaffens zurück. Eugène Faucher, Frédéric Hartweg, Jean Janitza (Hg.), Sens et Être. Mélanges en l’honneur de Jean-Marie Zemb. Nancy 1989; Thierry Gallèpe, Martine Dalmas (Hg.), Déconstruction - Reconstruction. Autour de la pensée de Jean-Marie Zemb, Limoges 2011 (mit einem Verzeichnis von Zembs Veröffentlichungen); Christine Jacquet-Pfau, In Memoriam. Jean-Marie Zemb, grammairien-philosophe, in: Cahiers de Lexicologie 90 (2007) 1, S. 215-223; Elisabeth Leiss, Aristotelische Linguistik: Der Neubeginn einer philosophischen Grammatik durch J.-M. Zemb, in Sprachwissenschaft, 23 (1998) 2, S. 141-165; Gunhild Samson, Rhematische Erstbesetzung: Kommunikative Ebene und Textkohärenz, in: Faucher, Hartweg, Janitza (Hg.) 1989, S. 207-225; Gunhild Samson, Die Hypotaxe - ein syntaktisch-semantisches Strukturprinzip. In: Michel Lefèvre (Hg.), Subordination in Syntax, Semantik und Textlinguistik. Reihe Eurogermanistik 15. Tübingen, Stauffenburg 2000, S. 101-113; Gunhild Samson, Die Relationen in der Grammatiktheorie von Jean-Marie Zemb: Mörtel und Gerüst im Bauwerk der Grammatik., in: Gallèpe, Dalmas (Hg.) 2011, S. 35-60. Gunhild Samson Ziebura, Gilbert Der Name von Gilbert Ziebura (1924-2013) ist zwar einer breiteren Öffentlichkeit in Frankreich wie in Deutschland nicht bekannt, allen, die sich wissenschaftlich mit französischer Politik und Zeitgeschichte beschäftigen, ist er aber wohlvertraut als Begründer der sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung in Deutschland nach 1945, deren „Nestor, Mentor und Inspirator“ (so im Vorwort der Festschrift zu Zieburas 65. Geburtstag) er wurde. In einer katholisch-konservativen, national eingestellten Familie aufgewachsen (seit 1931 in Berlin), fand Ziebura erst nach Kriegsende, in seiner zweiten Sozialisation im Rahmen der ersten, schon 1947 stattfindenden deutsch-fran- Ziebura, Gilbert Z 489 zösischen Studententreffen zu seinem wissenschaftlichen Lebensthema: der französischen Politik und den deutsch-französischen Beziehungen. Als einer der ersten deutschen Studenten hielt er sich bereits 1950 bis 1952 in Paris auf und bereitete seine Dissertation über die deutsch-französischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg vor. Schon Zieburas wissenschaftlicher Erstling zeigt ein in seinen weiteren Publikationen noch deutlicher zutage tretendes Charakteristikum: den Mut zu entschiedener Kritik an der Politik der Regierungen beiderseits des Rheins und an bisher vertretenen wissenschaftlichen Positionen. Mit seinen 1956/ 57 und 1960 erschienenen Quellenbüchern zur IV. und V. französischen Republik legte er das Fundament für die universitären Lehrveranstaltungen zu diesen Themen sowie zur in den 1960er Jahren allmählich einsetzenden deutschen sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung. Seine mit dem Straßburg-Preis ausgezeichnete Habilitationsschrift, eine leider unvollendet gebliebene Biographie Léon Blums, des französischen Sozialisten und Ministerpräsidenten der Volksfrontregierung 1936/ 37, wurde auch in Frankreich vielbeachtet und ist wohl die erste deutsche zeitgeschichtliche und politikwissenschaftliche Habilitationsschrift, die ins Französische übersetzt wurde. Damit war Ziebura endgültig zum führenden deutschen Frankreichexperten avanciert. Insofern war es logisch, dass ihn das Bundeskanzleramt 1967 bat, im wissenschaftlichen Sachverständigengremium des Planungsstabes mitzuarbeiten und dem Kanzler Kurt Georg Kiesinger insbesondere die Europapolitik General de Gaulles zu erklären. 1970 veröffentlichte Ziebura die erste Gesamtdarstellung der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945, sein am weitesten verbreitetes (auch über die Bundeszentrale für politische Bildung), aber auch am meisten Anstoß erregendes Buch. Es war eine zugespitzt kritische Analyse mit scharfen Urteilen, die die offiziellen Freundschaftsbeteuerungen als Schönfärberei entmystifiziert. Wohl nicht zuletzt deshalb kam eine ursprünglich geplante französische Ausgabe nicht zustande. Ziebura eckte damit nicht nur bei Politikern in beiden Ländern an; es kam auch zu anhaltenden Verstimmungen mit langjährigen Freunden und zum Bruch mit der *GÜZ, die die Zeitschrift *„Dokumente“ herausgibt und in der Ziebura bis dahin aktiv tätig war. Nach seiner Berufung 1974 auf einen Lehrstuhl für Internationale Beziehungen an der FU Berlin, 1974 an der Universität Konstanz - eine politikwissenschaftliche Professur für Frankreich und/ oder die deutsch-französischen Beziehungen gibt es in der Bundesrepublik bis heute nicht - beanspruchte das neue Lehr- und Forschungsgebiet, das ihn rasch faszinierte, den größten Teil seiner Zeit (neben der Hochschulpolitik), sodass er sich mit Frankreich nur noch „nebenbei“ beschäftigen konnte. 1978 wechselte er an die Universität Braunschweig. Erst in einer späteren Phase seiner beruflichen Tätigkeit wandte er sich wieder dem Nachbarn jenseits des Rheins zu. Ab 1985 beteiligte er sich aktiv an der Gründung des Arbeitskreises sozialwissenschaftlicher Frankreichforscher am *DFI in Ludwigsburg und an der Herausgabe des *„Frankreich Jahrbuchs“. Er schrieb eine Reihe von Aufsätzen, in denen er sich in gewohnt provokativer Weise mit Grundproblemen der französischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzte. Ziebura war zweifellos in erster Linie Wissenschaftler und Hochschullehrer, und sein primäres, natürlich begrenztes Wirkungsfeld war die Universität und die Zunft der Politikwissenschaftler. Gleichwohl scheute er sich nicht, in öffentlichen Vorträgen (z.B. an Volkshochschulen) und in Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen (lange Jahre vor allem in *„Dokumente“, dem meinungsbildenden Organ für „Deutsch-Französisches“), in eine breitere Öffentlichkeit hineinzuwirken, auch wenn sein Einfluss etwa mit dem *Alfred Grossers nicht vergleichbar ist. Ziebura hat zwar keine wissenschaftliche Schule begründet, aber soweit sozialwissenschaftliche Frankreichforschung an deutschen Universitäten betrieben wird, wird sie überwiegend von seinen wissenschaftlichen Kindern und Enkeln betrieben. Insofern hat er nicht nur durch eigene Publikationen und Vorträge und durch seine zeitweilige Rolle in den zivilgesellschaftlichen deutsch-französischen Beziehungen (u.a. auch für das *DFJW) sondern auch durch seinen starken Einfluss im wissenschaftlichen, gegenwartsbezogenen deutsch-französischen Netzwerk das deutsche Frankreichbild mitgeprägt. Gilbert Ziebura, Léon Blum. Theorie und Praxis einer sozialistischen Politik, Bd. 1: 1872-1934, Berlin 1963 (Paris 1967); ders., Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Pfullingen 1970 (Stuttgart 1997); ders., Frankreich 1789-1870. Zorn, Edith 490 Z Entstehung einer bürgerlichen Gesellschaftsformation, Frankfurt/ M. 1979; ders., Frankreich: Geschichte, Gesellschaft, Politik. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Adolf Kimmel, Opladen 2003; ders., Kritik der „Realpolitik“. Genese einer linksliberalen Vision der Weltgesellschaft. Autobiographie, Berlin 2009. Adolf Kimmel Zorn, Edith Die in Essen geborene Edith Zorn (1910-1967) engagierte sich während des Zweiten Weltkriegs in der französischen Résistance und wurde später über die DDR hinaus bekannt als erste Forscherin, die sich ausschließlich mit dem Thema „Widerstandskampf deutscher Kommunisten in Frankreich während der deutschen Besatzung“ befasste. Sie studierte ab 1930 Medizin und trat, nach eigenen Angaben, im selben Jahr der KPD bei. 1933 entschied sie sich aus politischen Gründen und wohl auch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zur Emigration nach Straßburg. Im Dezember desselben Jahres heiratete sie den deutschen Emigranten Harald Hauser in Paris. Beide hielten sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser und pflegten zudem Kontakte zu deutschen Kommunisten. 1940 mussten sich die Hausers infolge der von den französischen Behörden in die Wege geleiteten Internierungsmaßnahmen gegenüber deutschen Emigranten trennen. Allerdings konnten sie sich noch im selben Jahr gemeinsam in Mende (Lozère) niederlassen. Dort wurden sie von den lokalen Behörden protegiert, und es gelang ihnen, wieder erste Kontakte zu deutschsprachigen Emigranten zu knüpfen bzw. diese gegebenenfalls zu unterstützen. Es folgte nach der Besetzung ganz Frankreichs im November 1942 der Eintritt in die Illegalität im Rahmen des TA (Travail allemand) und des CALPO (Comité Allemagne Libre pour l’Ouest, Komitee Freies Deutschland für den Westen) zunächst im Süden, ab 1943/ 44 dann in Paris. Unter dem Decknamen Marie-Louise Maurel arbeitete Zorn an der Seite von Otto Niebergall, dem Leiter des CALPO. Im September 1945 kehrte das Ehepaar gemeinsam nach Deutschland zurück. Nach der Scheidung im Jahre 1949 heiratete Edith zwei Jahre später Heinz Zorn. Als Mitglied der SED und nach Besuch der Parteihochschule (1946/ 47) musste Edith Zorn ihre Arbeit im Parteiapparat Anfang der 1950er Jahre aus gesundheitlichen Gründen einstellen. Sie war von 1953 bis 1955 in der Redaktion der „Lausitzer Rundschau“ in Cottbus wieder beruflich tätig, bevor sie dann von 1957 bis 1967 vom Institut für Marxismus- Leninismus (IML) als freie Mitarbeiterin engagiert wurde. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Über die Arbeit der deutschen Genossen in der französischen Widerstandsbewegung vom September 1939 bis 1945“ erfasste Zorn systematisch Biographien und Erinnerungen von zahlreichen deutschsprachigen Emigranten in der DDR, in der BRD und in Frankreich, die in irgendeiner Form während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich illegal aktiv waren oder nachweislich Verbindungen zur Résistance hatten. Ende der 1950er und in der ersten Hälfte der 1960er Jahre erschienen aus ihrer Feder zudem mehrere Artikel zu dem Thema, vor allem in den „Beiträge(n) zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. In diesen zum Teil mehr politisch-legitimatorischen Beiträgen wurde die gemeinsame Vergangenheit deutscher und französischer Kommunisten in der Résistance u.a. dazu instrumentalisiert, die Regierungen in Bonn und Paris heftig zu attackieren und diese somit als falsche Erben und Vertreter einer deutsch-französischen Annäherung zu kritisieren. Auf Anregung des französischen Kommunisten Florimond Bonte fassten das IML und das Institut Maurice Thorez Mitte der 1960er Jahre ein Gemeinschaftsprojekt ins Auge. Ziel war es, eine deutschsowie eine französischsprachige Publikation von Zorn und Bonte zu diesem Thema vorzubereiten. Allerdings erschien 1969 lediglich die französische Version. Zorn verstarb nach langer Krankheit 1967 in Dresden und konnte somit ihr Vorhaben nicht beenden, das schließlich von *Dora Schaul fortgeführt wurde. Ihre Arbeit wirkt dennoch bis heute nach, da sich die Forschung in Frankreich und Deutschland lange Zeit auf die von ihr gesammelten Materialien und Interpretationen stützte. Florimond Bonte, Les Antifascistes allemands dans la Résistance française, Paris 1969; Harald Hauser, Gesichter im Rückspiegel, Berlin (DDR) 1989; Dora Schaul, Edith Zorn - Kämpferin und Chronistin der Résistance, in: dies. (Hg.), Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten, Berlin (DDR) 3 1985, S. 365-368; SAPMO- Barch. Erinnerungen, SgY30/ 1400/ 16-41. Franz Kuhn Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 Thematische Achsen I Kunst und Kultur Literatur Übersetzung Theater Musik/ Oper/ Tanz Bildende Kunst (Malerei/ Fotographie/ Skulptur) Film/ Fernsehen/ Hörfunk Unterhaltungs-, Populär- und Alltagskultur II Politische Kultur Printmedien/ Internet Verlage/ Buchhandlungen Journalisten/ Frankreich-Deutschland-Essayistik Politische und zivilgesellschaftliche Institutionen/ Akteure Preise III Wissenschaft und Bildung Wissenschaftstransfer Philologie/ Germanistik und Romanistik Geschichts- und Sozialwissenschaften/ Philosophie/ Kunst- und Kulturwissenschaft Bildung, Sprache und Jugend I Kunst und Kultur Literatur - Beckett, Samuel - BRD-Literatur in Frankreich - Brecht, Bertolt - Breitbach, Joseph - Camus, Albert - Candide-Preis - Caven, Ingrid - Celan, Paul - DDR-Literatur in Frankreich - Deutsch-französische Schriftstellertreffen - Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich - Döblin, Alfred - Franz-Hessel-Preis - Französische Literatur in der Bundesrepublik - Französische Literatur in der DDR - Französische Schriftsteller in Berlin - Genet, Jean - Goldschmidt, Georges-Arthur - Handke, Peter - Harig, Ludwig - Ionesco, Eugène - Jünger, Ernst - Lance, Alain - Kluge, Alexander - Mann, Heinrich - Merle, Robert - Müller, Heiner - Österreichische Literatur in Frankreich - Sartre, Jean Paul - Seghers, Anna - Tournier, Michel - Ungerer, Tomi - Vercors (Jean Bruller) - Weckmann, André - Weiss, Peter Thematische Achsen 492 Übersetzung - André-Gide-Preis - Badia, Gibert - Bataillon, Michel - Bary, Nicole - Baudrillard, Jean - Benoin, Daniel - Celan, Paul - Gisselbrecht, André - Goldschmidt, Georges-Arthur - Handke, Peter - Helmlé, Eugen - Jourdheuil, Jean - Lance, Alain - Lefebvre, Jean-Pierre - Lortholary , Bernard - Merle, Robert - Paul-Celan-Preis - Prix Gérard de Nerval - Raymond-Aron-Preis - Sauzay, Brigitte - Schmid, Carlo - Schwarzinger, Heinz - Tophoven, Elmar - Übersetzen/ Dolmetschen - Übersetzung von Theaterstücken - Übersetzungsprogramm der MSH - Trivium - Wintzen, René Theater - Bataillon, Michel - Baudrillard, Jean - Bausch, Pina - Beckett, Samuel - Benoin, Daniel - Berliner Ensemble - Besson, Benno - Bondy, Luc - Braunschweig, Stéphane - Brecht, Bertolt - Camus, Albert - Le carreau Forbach - Chéreau, Patrice - Cloos, Hans Peter - Deutsches Theater in Frankreich - Fassbinder, Rainer Werner - Französisches Theater in Deutschland - Gisselbrecht, André - Grüber, Klaus Michael - Handke, Peter - Hertling, Nele - Ionesco, Eugène - Jourdheuil, Jean - Lang, Jack - Langhoff, Matthias - L’Arche Éditeur - Lemper, Ute - Mortier, Gérard - Mnouchkine, Ariane - Müller, Heiner - Ostermeier, Thomas - Sartre, Jean-Paul - Savary, Jérôme - Schaubühne - Schwarzinger, Heinz - Sobel, Bernard - Stein, Peter - Straub-Hulliet - Théâtre national de Strasbourg (TNS) - Übersetzung von Theaterstücken - Weiss, Peter Musik/ Oper/ Tanz - Barenboim, Daniel - Bausch, Pina - Boulez, Pierre - Braunschweig, Stéphane - Caven, Ingrid - Chéreau, Patrice - Dietrich, Marlene - Göttingen (Barbara) - Hertling, Nele - Kaas, Patricia - Lang, Jack - Lemper, Ute - Liebermann, Rolf - Mathieu, Mireille - Mey, Reinhard - Mortier, Gérard - Musik, ernsthafte - Musik, populäre - Robert Schuman Chor - SaarLorLux Orchester - Schygulla, Hanna - Stockhausen, Karlheinz Thematische Achsen 493 Bildende Kunst (Malerei/ Fotographie/ Skulptur) - Bellmer, Hans - Beziehungen im Bereich der bildenden Künste - De l’Allemagne (Ausstellung) - Deutsches Forum für Kunstgeschichte (DFK) - Freund, Gisèle - Gerz, Jochen - Hartung, Hans - Hausenstein, Wilhelm - Interferenzen. Interférences. Architektur Deutschland-Frankreich 1800-2000 - Joly, Jean-Baptiste - Karikatur - Kiefer, Anselm - La mer gelée - Paris-Berlin (Ausstellung) - Spies, Werner - Ungerer, Tomi Film/ Fernsehen/ Hörfunk - Kluge, Alexander - ARTE - Beckett, Samuel - Berliner Schule - Nouvelle vague allemande - Brice, Pierre - Caven, Ingrid - Cloos, Hans Peter - Derrick - Deutsch-Französische Filmakademie - Dietrich, Marlene - Eisner, Lotte - Fassbinder, Rainer Werner - Fernsehen - Film - Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg - Handke, Peter - Haneke, Michael - Hörfunk - Karambolage - Kinder des Olymp (Marcel Carné) - Kino-Koproduktionen DDR-Frankreich - Lang, Jack - Mnouchkine, Ariane - Nacht und Nebel - Neuer Deutscher Film - Nouvelle vague - Ophüls, Max - Radio Euro District (RED) - Schlöndorff, Volker - Schneider, Romy - Schygulla, Hanna - Schroeter, Werner - Shoah (Claude Lanzmann) - Spies, Werner - Straub-Huillet - Troller, Georg Stephan - Wenders, Wim - Weisenfeld, Ernst - Wickert, Ulrich Unterhaltungs-, Populär- und Alltagskultur - Asterix - Brice, Pierre - Derrick - Dietrich, Marlene - Fußball - Göttingen (Barbara) - Kaas, Patricia - Karambolage - Karikatur - Lemper, Ute - Mathieu, Mireille - Mey, Reinhard - Mode II Politische Kultur Printmedien/ Internet - Allemagne d’aujourd’hui - CIRAC-Forum - Connaissance de la RDA - Deutsch-Französischer Journalistenpreis - Deutsch-Französisches Internetportal - Dokumente/ Documents - Études germaniques - Francia - Frankreich Jahrbuch - Journalisten - La Gazette de Berlin - Lancelot, der Bote aus Frankreich - La mer gelée - Lendemains - ParisBerlin (Magazin) - Prisma Presse - Recherches germaniques Thematische Achsen 494 - Regards sur l’économie allemande rencontres.de - Rencontres franco-allemandes - Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande - Romanistische Zeitschriften - Tagespresse - Trivium Verlage/ Buchhandlungen - Bary, Nicole - Deutsche Buchhandlungen in Paris - L’Arche Éditeur - Leo, Gerhard - Engelmann, Peter - Merve Verlag - Passagen Verlag - Prisma Presse Journalisten/ Frankreich-Deutschland-Essayistik - Baier, Lothar - Bondy, François - Bourel, François - Breitbach, Joseph - Curtius, Ernst Robert - Distelbarth, Paul H. - Grosser, Alfred - Harpprecht, Klaus - Hausenstein, Wilhelm - Hessel, Stéphane - Journalisten - Rivau, Jean du - Rovan, Joseph - Scholl-Latour, Peter - Sieburg, Friedrich - Spies, Werner - Troller, Georg Stephan - Vernet, Daniel - Weisenfeld, Ernst - Wickert, Ulrich - Wintzen, René Politische und zivilgesellschaftliche Institutionen/ Akteure - Académie de Berlin - Adam-Mickiewicz-Preis - Adenauer-de Gaulle-Preis - Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit - Auswärtige Kulturpolitik der BRD - Auswärtige Kulturpolitik der DDR - Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs - Berater - Bord, André - Bourel, François - Breitbach, Joseph - Bureau international de liaison et de documentation (BILD) - Centre culturel français (Berlin/ DDR) - Cohn-Bendit, Daniel - Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle - Carrez, Geneviève - Castellan, Georges - Christadler, Marieluise - Dahlem, Franz - DDR-Kulturzentrum in Paris (KUZ) - Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra) - Deutsch-Französische Gesellschaften - Deutsch-französische Gipfeltreffen - Deutsch-Französischer Kulturrat - Deutsch-Französischer Parlamentspreis - Deutsch-Französisches Institut in Ludwigsburg (DFI) - Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) - Deutsch-Französisches Kulturabkommen - Distelbarth, Paul H. - Échanges franco-allemands (EFA) - Élysée-Vertrag - Erbfeindschaft - Erinnerungsorte - Fassbinder, Klara Marie - Fédération des associations francoallemandes pour l’Europe - Föderation deutsch-französischer Häuser - François-Poncet, André - Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg - Frauen - Frauenbewegung - Fußball - Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) - Goethe-Institute in Frankreich - Grosser, Alfred - Hausenstein, Wilhelm - Hessel, Stéphane Thematische Achsen 495 - Instituts français in Deutschland - Jugendbeziehungen 1945-1963 - Konfessionelle Beziehungen - Kühn-Leitz, Elsie - Moreau, Jean-Charles - Mounier, Emmanuel - Nies, Fritz - Programm Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der DGAP - Rivau, Jean du - Rovan, Joseph - Sauzay, Brigitte - Schaul, Dora - Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs - Schmid, Carlo - Städtepartnerschaften - Stiftungen - Stiftung Genshagen - Thadden, Rudolf von - Thalmann, Rita - Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) - Verein deutsch-französischer Parlamentspraktikanten - Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) - Weimarer Dreieck - Weisenfeld, Ernst Preise - Adam-Mickiewicz-Preis - Adenauer-de Gaulle-Preis - André-Gide-Preis - Apollinaire-Preis - Candide-Preis - Deutsch-Französischer Journalistenpreis - Deutsch-Französischer Parlamentspreis - Franz-Hessel-Preis - Gay-Lussac-Humboldt-Preis - Paul-Celan-Preis - Prix Gérard de Nerval - Prix Pierre Grappin - Raymond-Aron-Preis - Straßburg-Preis III Wissenschaft und Bildung Wissenschaftstransfer - Académie de Berlin - ANR-DFG-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften - Bayerisch-Französisches Hochschulzentrum (BFHZ) - Berchem, Theodor - Bureau du CNRS en Allemagne - Carolus-Magnus-Kreis (CMK) - Centre d’études germaniques Strasbourg (CEG) - Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) - Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) - CIRAC-FORUM - Comité d’études des relations francoallemandes (CERFA) - Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) - Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK) - Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) - Deutsche Sprache in Frankreich - Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (DFGWT) - Deutsch-Französische Hochschule (DFH) - Deutsch-Französische Rektorenkonferenz - Deutsch-Französischer Parlamentspreis - Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis - Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft (DFHI) - Deutsch-Französisches Institut in Ludwigsburg (DFI) - Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) - Frankreich-Zentren - Französischunterricht in Deutschland - Gay-Lussac-Humboldt-Preis - GIRAF-IFFD - Heinrich-Heine-Haus Paris (HHH) - Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) - Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) - Institut Laue-Langevin (ILL) Thematische Achsen 496 - Nies, Fritz - Prix Pierre Grappin - PROCOPE - Programme franco-allemand du CNRS - Recherches germaniques - Regards sur l’économie allemande - Rovan, Joseph - Schulte, Hansgerd - Stiftungen - Stiftung Genshagen - Straßburg-Preis - Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme - Universität der Großregion (UGR) - Universität des Saarlandes - Trivium - Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) Philologie/ Germanistik und Romanistik - Académie de Berlin - Allemagne d’aujourd’hui - Angelloz, Joseph-François - Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES) - Badia, Gilbert - Berchem, Theodor - Bertaux, Pierre - Bondy, François - Carolus-Magnus-Kreis (CMK) - Centre d’études germaniques, Strasbourg (CEG) - Cheval, René - Connaissance de la RDA - Curtius, Ernst Robert - David, Claude - Deutsche Sprache in Frankreich - Droz, Jacques - Études germaniques - Fink, Gonthier-Louis - François-Poncet, André - Französische Germanistik - Französischunterricht in Deutschland - Friedrich, Hugo - Gisselbrecht, André - Goldschmidt, Georges-Arthur - Grappin, Pierre - Helmlé, Eugen - Institut d’allemand d’Asnières - Jauß, Hans Robert - Klemperer, Victor - Krauss, Werner - Lefebvre, Jean-Pierre - Lektoren - Lendemains - Lusset, Félix - Lortholary , Bernard - Minder, Robert - Mounier, Emmanuel - Naumann, Manfred - Nerlich, Michael - Nies, Fritz - Recherches germaniques - Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande - Riesz, János - Romanistenverbände in der Bundesrepublik Deutschland - Romanistik (Franko-Romanistik) - Romanistik in der DDR - Romanistische Zeitschriften - Rovan, Joseph - Sagave, Pierre Paul - Schober, Rita - Schulte, Hansgerd - Stierle, Karlheinz - Thalmann, Rita - Tophoven, Elmar - Valentin, Jean-Marie - Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) - Vermeil, Edmond - Weinrich, Harald - Wintzen, René - Zemb, Jean-Marie Geschichts- und Sozialwissenschaften/ Philosophie/ Kunst- und Kulturwissenschaft - Allemagne d’aujourd’hui - Aron, Raymond - Badia, Gilbert - Baudrillard, Jean - Bourdieu, Pierre - Camus, Albert - Castellan, Georges - Centre Marc Bloch - Christadler, Marieluise - CIRAC-Forum Thematische Achsen 497 - Comité d’études des relations francoallemandes (CERFA) - Connaissance de la RDA - Dokumente/ Documents - Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK) - Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) - Deutsch-Französische Geschichte - Deutsch-Französisches Historikerkomitee - Deutsch-Französisches Institut in Ludwigsburg (DFI) - Droz, Jacques - Erinnerungsorte - Ewig, Eugen - Existentialismus - Foucault, Michel - Francia - François, Étienne - Frankreich Jahrbuch - Frankreich-Zentren - Grosser, Alfred - Hausenstein, Wilhelm - Heidegger, Martin - Heller, Clemens - Historiker/ Geschichtswissenschaft - Historikerkontroverse - Institut d’allemand d’Asnières - Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) - Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) - Jurt, Joseph - Lendemains - Merve Verlag - Mounier, Emmanuel - Nies, Fritz - Passagen-Verlag - Philosophie - Picht, Robert - Politikwissenschaft - Raymond-Aron-Preis - Regards sur l’économie allemande. Bulletin économique du CIRAC - Renouvin, Pierre - Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande - Rovan, Joseph - Sartre, Jean Paul - Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs - Schweitzer, Albert - Soziologie - Spies, Werner - Thadden, Rudolf von - Thalmann, Rita - Trivium - Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme - Vergangenheitsaufarbeitung - Vernet, Daniel - Weisenfeld, Ernst - Werner, Karl Ferdinand - Wismann, Heinz - Ziebura, Gilbert - Zorn, Edith Bildung, Sprache und Jugend - AbiBac - Académie de Berlin - Apollinaire-Preis - Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) - Bureau international de liaison et de documentation (BILD) - Carolus-Magnus-Kreis (CMK) - Deutsche Sprache in Frankreich - Deutsch-französische Gymnasien - Deutsch-französisches Abitur - Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) - Deutsch-französisches Schulgeschichtsbuch - FplusD - Französischunterricht in Deutschland - Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GüZ) - Goethe-Institute in Frankreich - Jugendbeziehungen 1945-1963 - Jugendkultur - Schulen - Schulpolitik - Sprachenpolitik in Deutschland und in Frankreich und die Förderung der Nachbarsprache - Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) Personenregister Abetz, Otto 39 Abondji, Nadj 141 Achternbusch, Herbert 162, 185, 371 Adamov, Arthur 143, 254, 281, 456 Adenauer, Konrad 38, 44, 45, 52, 54, 56, 62, 64, 72, 97, 135, 144, 164, 192, 207, 213, 217, 228, 262, 288, 290, 335, 338, 368, 397, 415, 421, 430, 446, 458, 467, 475 Adjani, Isabelle 232, 233 Adorno, Theodor W. 265, 284, 330, 355, 432 Adrien, Philippe 185, 424 Aichinger, Ilse 374, 375 Aillaud, Gilles 282 Airaudo, Malou 122 Akin, Fatih 426 Albach-Retty, Wolf 417 Albérès, René-Marill 320 Alekan, Henri 482 Alexis, Agathe 184 Allard, Sébastien 172 Allemann, Beda 154 Allemann, Fritz René 132 Allen, Woody 459 Allio, René 428 Almodóvar, Pedro 483 Altenberg, Peter 375 Althusser, Louis 353, 403 Altman, Robert 346 Altwegg, Jürg 314 Amalvi, Gilles 352 Améry, Jean 118, 376, 457 Amsler, Jean 139 Andersch, Alfred 117, 197, 486 Andler, Charles 224, 244, 315, 472 Angel, Pierre 97 Angelloz, Joseph-François 98, 465 Ann, Keren 365 Anouilh, Jean 253, 254, 255, 309 Antignac, Annette 176, 177 Apitz, Bruno 170, 171 Apollinaire, Guillaume 99, 153 Aragon, Louis 170, 339, 403, 427, 467 Arasse, Daniel 326 Arcabas 119 Ardant, Fanny 414 Arendt, Hannah 133, 163 Aristophanes 132 Arjouni, Jakob 140, 211 Arletty 286, 327 Arndt, Ernst Moritz 219 Arnold, Heinz Ludwig 117 Aron, Raymond 101, 130, 133, 136, 214, 215, 390, 416, 432 Arp, Hans 126, 287 Arrabal, Fernando 255 Arroyo, Eduardo 282 Arslan, Thomas 130 Artaud, Antonin 309, 378 Ashoff, Brigitta 327 Asholt, Wolfgang 80, 344, 347 Asmus, Walter D. 124 Assmann, Aleida 222 Assmann, Jan 222 Aub, Max 292 Auburtin, Victor 314 Audiberti, Jacques 254 Audran, Stéphane 233 Auerbach, Erich 334 Augstein, Rudolf 98 Aulaula, Carla 420 Aumüller, Uli 379 Auster, Paul 250 Austin, John L. 395 Autant-Lara, Claude 243 Auteuil, Daniel 284, 285 Axelos, Kostas 290 Ayrault, Jean-Marc 79, 199 Aznavour, Charles 458 Baader, Andreas 408 Baasner, Frank 80, 204 Bach, Anna Magdalena 449 Bach, Johann Sebastian 425, 449 Bachmann, Ingeborg 133, 153, 326, 374, 375, 376, 420 Badia, Gilbert 67, 115, 121, 152, 165, 170, 171, 215, 216, 245, 274, 369, 454, 471 Badiou, Alain 354 Badiou, Bertrand 154 Bähnisch, Theanolte 151 Bahr, Hermann 176 Baier, Lothar 117, 119, 210, 314 Bailly, Jean-Christophe 256 Baker, Nicolson 250 Balenciaga, Cristóbal 211 Balmain, Pierre 358 Balzac, Honoré de 242, 251, 266, 314, 328, 330, 386, 402, 443 Balzer, Hans 403 Balzer, Wolfgang 325 Bank, Zsuzsa 141 Banoun, Bernard 386 Barbara 278, 279, 364, 365, 366 Barbe, Jean-Paul 170, 339, 386 Barbie, Klaus 411, 472 Barbusse, Henri 427 Barck, Karlheinz 403 Bardot, Brigitte 62, 232, 233, 244, 358, 366 Barenboim, Daniel 118 Personenregister 500 Bärfuss, Lukas 139, 460 Bariéty, Jacques 202 Barillet, Pierre 256 Barker, Lex 144 Barlog, Boleslaw 124 Barrault, Jean-Louis 127, 255, 309, 327, 409 Barre, Raymond 164 Barrès, Maurice 220, 449 Barrial, Claude 106 Barriol, Jean 98, 465 Barsacq, Alberte 420 Barthes, Roland 142, 184, 252, 309, 321, 330, 342, 441 Barth, Karl 332 Bartók, Béla 136 Bartolone, Claude 200 Bary, Nicole 68, 78, 119, 141, 170, 177, 234, 293, 386 Baselitz, Georg 188 Bataille, Georges 352 Bataillon, Michel 120, 129, 170, 185, 199, 341, 361, 461, 482 Battiston, Patrick 267 Baty, Gaston 129, 142 Baudelaire, Charles 197, 308, 371, 378, 415, 427 Baudo, Serge 118 Baudrillard, Jean 115, 120, 121, 354, 378, 482 Bauer, Roger 155, 385, 394 Baulig, Henri 155 Baumeister, Willi 187 Baumont, Maurice 97, 393 Bausch, Pina 120, 122, 340, 483 Bayen, Bruno 184, 256, 283, 431 Bazaine, Jean 186 Béart, Emmanuelle 134 Beaufret, Jean 289, 380, 407 Beaupré, Nicolas 200 Beauvoir, Simone de 249, 252, 262, 263, 408, 423, 424, 427, 428 Becher, Johannes R. 171, 467 Bechstein, Jutta 140 Beck, Ulrich 433 Becker, Carl Heinrich 38, 130, 381 Becker, Jean-Jacques 413 Becker, Josef 201, 202, 296 Becker, Jurek 170 Becker, Lucien 486 Becker, Nikolaus 220 Becker, Werner 325 Beckett, Samuel 123, 254, 255, 375, 403, 434, 455, 456 Beckmann, Max 171 Beethoven, Ludwig van 118 Béguin, Albert 97, 196, 197, 214 Beilharz, Manfred 127, 461 Béjart, Maurice 122 Bellmer, Hans 125 Belmen O 271 Belmondo, Jean-Paul 144, 232, 244 Bender, Hans 197, 486 Bénichou, Maurice 284, 285 Benjamin, Alfred 410 Benjamin, Walter 130, 163, 242, 258, 265, 276, 330 Bennent, Heinz 233, 244 Benoin, Daniel 126, 185, 256, 462 Benoist, Alain de 161 Bénoziglio, Jean-Luc 249 Bense, Max 286 Berchem, Theodor 128, 181 Berdiaeff, Nicolas 360 Berding, Helmut 448 Berg, Alban 136, 348 Bergengruen, Werner 486 Berger, Senta 424 Bergman, Anna-Eva 287 Bergson, Henri 360 Bergsträsser, Arnold 40 Bérimont, Luc 486 Bernanos, Georges 214, 251, 252, 320, 321 Bernhard, Thomas 127, 139, 184, 185, 255, 342, 349, 361, 374, 375, 376, 427, 431, 460 Bernstein, F. W. 323 Bertaux, Félix 38, 130, 144, 351 Bertaux, Pierre 38, 77, 78, 130, 154, 156, 180, 245, 257, 302, 311, 407, 423 Berthoin, Jean 207 Bertrand, Aloysius 371 Berutti, Jean-Claude 462 Bessler, Albert 124 Besson, Benno 129, 131, 142, 341, 342, 430 Besson, Jean-Louis 424 Bettelheim, Charles 353 Betz, Albrecht 302 Betz, Maurice 320 Beuerle, Hans-Michael 397 Beutler, Christian 182 Beuys, Joseph 122, 135, 188 Beyer, Andreas 172, 181 Beyer, Ernest 247 Beyer, Marcel 120, 141, 250 Bezençon, Hélène 257, 258 Bianquis, Geneviève 224 Biasini, Daniel 418 Biasini, Sarah Magdalena 418 Biermann, Wolf 112, 170, 338 Bilger, François 394 Biller, Maxim 140 Binoche, Juliette 284 Biolay, Benjamin 365 Birkhofer, Adolf 191 Bismarck, Katharina von 342 Bismarck, Otto von 215, 222, 239 Blanche, Francis 244 Bled, Jean-Paul 156 Bleek, Wilhelm 383 Blier, Bernard 328 Personenregister 501 Blin, Roger 255 Bloch, Ernst 130, 330, 368 Bloch, Jean-Richard 36, 38, 257, 427 Bloch, Marc 158, 238, 296 Blos, Wilhelm 411 Blücher, Heinrich 163 Blum, Léon 144, 415, 489 Blum, Pierre 265 Blumenberg, Hans 381 Blumenfeld, Kurt 163 Bobineau, Olivier 200 Bobrowski, Johannes 170 Bock, Hans Manfred 71, 302, 347, 384 Böckler, Hans 447 Bohley, Bärbel, 264 Böhm, Gottfried 443 Böhme, Rolf 321 Bohnet, Thomas 365 Boisset, Yves 233 Böll, Heinrich 140, 197, 210, 338, 375, 414, 449, 456, 486 Bollack, Jean 486 Boltanski, Christian 97 Boltanski, Luc 433 Bon, François 257, 258 Bonaparte, Napoléon 194, 219, 223, 324, 325, 330 Bondy, François 132, 134 Bondy, Fritz 132 Bondy, Luc 132, 134, 159, 186, 312, 410, 440 Bongs, Rudolf 197 Bonte, Florimond 490 Boon, Dany 107 Borchert, Wolfgang 140 Bord, André 135, 446 Borderie, Charles 328 Börne, Ludwig 314 Borzik, Rolf 122 Bosc, Jean 323 Bosch, Robert 212, 446 Bothorel, Arlette 390 Bottigelli, Émile 116, 216 Boublil, Max 174 Boucher, Maurice 197, 276 Boudon, Raymond 433 Bouglé, Célestin 431 Boulanger, Nadia 118 Boulez, Pierre 97, 135, 159, 348, 363, 447 Boumard, Luc Antoine 397 Bour, Ernest 363 Bourdieu, Pierre 29, 74, 78, 136, 236, 239, 248, 292, 298, 321, 382, 433 Bourel, Dominique 200 Bourel, François 137, 397, 416 Bourgead, Pierre 127 Bourgois, Christian 424 Bourriaud, Nicolas 354 Bouvier, Beatrix 202 Bove, Emmanuel 283 Brandt, Willy 45, 109, 176, 286, 416, 463 Brandts, Evelyne 200 Brandts, Victor 200 Branly, Edouard 300 Brant, Sebastian 386 Braque, Georges 186 Brasch, Thomas 162, 170, 184, 185 Brassens, Georges 354 Braudel, Fernand 292 Braun, Volker 119, 140, 141, 148, 166, 170, 171, 185, 293, 338, 339, 431 Braunschweig, Stéphane 134, 138, 184, 185, 431, 455 Braz, Philippe 257, 258 Brea, Antoine 352 Brecht, Bertolt 66, 67, 71, 77, 115, 117, 120, 121, 129, 131, 132, 138, 139, 141, 142, 170, 171, 184, 185, 217, 255, 256, 258, 274, 309, 312, 341, 342, 343, 346, 349, 361, 362, 374, 376, 410, 427, 430, 431, 449, 460, 466, 481, 482, 486 Bredel, Willi 171 Breitbach, Joseph 143, 197, 456 Brel, Jacques 346 Bremer, Karl Heinz 404 Brenner, Kurt 208, 234 Brentano, Clemens 282 Bresslau, Helene 425 Bresson, Henri de 377 Bresson, Robert 233, 243 Breton, André 117, 125, 126, 309, 378 Breton, Olivier 377 Brialy, Jean-Claude 417 Briand, Aristide 99, 164, 192, 466 Brice, Pierre 144 Broca, Philippe de 233 Broch, Hermann 176, 282, 391 Brook, Peter 283, 362, 409, 481 Bruch, Walter 231 Bruckner, Anton 118, 136 Bruckner, Ferdinand 127 Brugmans, Hendrik 382 Brühl, Daniel 97 Bruhn, Christian 351, 366 Bruhns, Hinnerk 372, 388, 457 Bruley, Édouard 393 Bruller, Jean 466 Brunner, Laurent 150 Brunschwig, Henri 296 Bryen, Camille 187 Buber, Martin 360 Buchholz, Ernst 271 Büchner, Georg 127, 138, 139, 154, 168, 184, 276, 342, 374 Buck, Theo 168, 291 Bultmann, Rudolf 425 Burckhardt, Jacob 477 Büren, Veronika von 271 Burgaud, Stéphanie 387 Personenregister 502 Busch, Wilhelm 323 Bussmann, Nina 352 Butor, Michel 250, 434 Cactus, Françoise 366 Cadiot, Olivier 460 Cadou, René Guy 486 Cage, John 122 Cahn, Jean-Paul 202, 245 Calder, Alexander 294 Calla, Cécile 315 Callas, Maria 420 Calle, Sophie 258 Calleja, Arno 352 Camartin, Iso 133 Cambreleng, Jörn 461 Cambreling, Sylvain 363 Camus, Albert 62, 117, 147, 214, 227, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 295, 401, 403, 456, 467 Canetti, Elias 140, 176 Canetti, Veza 376 Cao, Pierre 397 Capa, Robert 265, 266 Capitant, René 155 Carco, Francis 176 Cardinale, Claudia 346 Carné, Marcel 243, 327 Carnet, Michel 318 Carossa, Hans 99 Carré, Jean-Marie 97 Carrez, Geneviève 150, 317, 416, 486 Carrière, Jean-Claude 426, 427 Casanova, Nicole 386 Casarès, Maria 431 Cassagnou, Robert 201 Cassirer, Ernst 487 Cassou, Jean 186 Castel, Robert 433 Castellan, Georges 67, 97, 151, 216, 297 Castorf, Frank 139, 185, 259 Cathrine, Arnaud 257, 258, 259 Caven, Ingrid 152, 229, 346, 420 Cayatte, André 233 Cayrol, Jean 154, 367, 368 Cazet, Roland 285 Cebron, Jean 122 Celan, Paul 153, 168, 176, 211, 326, 343, 344, 345, 346, 349, 367, 378, 386, 456, 466 Céline, Louis-Ferdinand 249, 251, 252, 420 Cendrey, Jean-Yves 257, 258 Cerha, Friedrich 348 Cervantes, Miguel de 370 Cézanne, Paul 449 Chabbal, Robert 145 Chabrol, Claude 189, 243, 372 Chamaux, Philippe 150 Chambon, Jacqueline 140 Chanel, Coco 211, 357 Chanois, Jean-Paul 327 Char, René 135, 153, 283 Charbonneau, Patrick 141 Chateaubriand, François-René de 314 Châtellier, Hildegard 390 Chaval 323 Chenal, Odile 114 Chéreau, Patrice 120, 134, 158, 184, 185, 199, 233, 256, 312, 348, 362, 371, 409, 431, 440 Cheval, René 97, 159, 416, 448 Chevalier, Maurice 211 Chevillot, Jean-Pierre 145 Cheysson, Claude 68, 154 Chiapello, Ève 433 Chirac, Jacques 47, 86, 91, 188, 348, 389, 472, 476 Chomsky, Marvin J. 428 Chopin, Frédéric François 373 Christadler, Marieluise 160 Christian-Jaque 233, 244 Christophe, Henri 424 Cibulka, Hanns 170 Cioran, Emile 133, 153 Ciriani, Henri 413 Cixous, Hélène 354, 356 Clappier, Louis 97, 198 Claudel, Paul 214, 228, 255 Claudius, Eduard 171 Clausewitz, Carl von 102 Clauss, Max 40 Clément, Jérôme 448 Clément, René 242 Clever, Edith 233, 371, 410 Cloos, Hans Peter 162, 185, 229, 340, 371, 414 Cluchey, Rick 124 Cluytens, André 363 Cocteau, Jean 153, 176, 211, 255, 286 Cohen, Albert 292 Cohen, Hermann 487 Cohen, Jean-Louis 308 Cohn, Danièle 172 Cohn-Bendit, Daniel 95, 104, 162, 198, 279, 408 Cohn-Bendit, Erich 162, 163 Cointe, Denis 259 Colin, Nicole 199, 200 Colletti, Lucio 353 Colleville, Maurice 97, 197 Collin, Marie 281 Colliot-Thélène, Catherine 158 Colombat, Rémy 246 Condorcet, Nicolas de 330 Confais, Jean-Paul 345 Conze, Werner 484 Corbin, Henry 289 Cormann, Enzo 256, 424, 460, 461 Corneille, Pierre 255, 334, 449, 466 Personenregister 503 Cornu, Auguste 296 Corti, Axel 140, 459 Coster, Charles de 328 Cotten, Ann 352 Coudenhove-Kalergi, Richard 335 Couraud, Marcel 447 Couve de Murville, Maurice 193 Crevel, René 257 Croce, Benedetto 133 Croissant, Klaus 408 Crozier, Michel 432 Cunningham, Merce 122 Curien, Hubert 145, 387 Curtius, Ernst Robert 38, 40, 144, 166, 370 D’Alembert 369 Dahlem, Franz 67, 167, 190, 348 Dahrendorf, Ralf 108, 109 Dalle, Béatrice 284 Dammer, Karl-Heinz 324 Damrau, Diana 364 Daquin, Louis 327, 328 Darbon, François 481 Darcos, Xavier 96, 114 Dasté, Jean 142, 185 Dauge, Yves 114 Daumier, Honoré 323, 325 Daun, Denise 274 David, Claude 154, 168, 224, 349, 466 David, René 146 Davis, Brad 271 Davis, Yvon 430 De Gaulle, Charles 45, 49, 56, 62, 64, 97, 98, 113, 131, 135, 160, 192, 217, 415, 416, 417, 421, 470, 475, 480, 481, 489 Debussy, Claude 136 Decourtray, Albert 479 Defrance, Corine 72, 304 Degenhardt, Franz-Josef 365 Delacroix, Eugène 135 Delerm, Vincent 365 Deleuze, Gilles 330, 352, 354 Delforge, Séverine 397 Deligne, Alain 324 Delius, Friedrich Christian 119 Delon, Alain 144, 145, 232, 233, 414, 417, 418 Delors, Jacques 84, 97, 294, 335, 406 Delporte, Christian 324 Deluy, Henri 339 Deneuve, Catherine 107, 145, 232, 233, 424, 483 Denis, Claire 482 Depardieu, Gérard 107, 144, 283, 321 Derrida, Jacques 219, 226, 252, 290, 330, 378, 379, 380, 381 Descartes, René 227, 379 Deshusses, Pierre 331 Desjardins, Paul 40, 166, 212 Desnos, Robert 378 Deussen, Christiane 291, 345 Deutsch, Michel 185, 256, 455 Deville, Patrick 249 Diderot, Denis 113, 251, 330, 369, 402 Didi-Huberman, Georges 429 Dietrich, Marlene 153, 211, 233, 258, 266, 346 Dietrich, Reinhard 324 Digeon, Claude 295 Dilthey, Wilhelm 101, 487 Dion, Céline 351 Diop, Papa Samba 396 Dior, Christian 211, 357, 358 Dirks, Walter 196, 214, 361 Distelbarth, Paul H. 37, 196, 212 Döblin, Alfred 140, 141, 210, 213, 214, 258, 319, 416 Doderer, Heimito von 141 Domenach, Jean-Marie 196 Dominique A 365 Dommartin, Solveig 482 Domnick, Ottomar 187, 287 Donnedieu de Vabres, Renaud 434 Donzelot, Pierre 464 Doré, Paul Gustave 325 Dorst, Tankred 159, 184 Dort, Bernard 142, 184, 254, 309, 312, 342, 409, 482 Douchet, Jean 420 Doutriaux, Claire 322 Dresch, Joseph 97 Drewes, Nina 377 Dreyfus, Alfred 35 Dreyfus, François-Georges 156, 394 Drieu la Rochelle, Pierre 320 Dröscher, Daniela 352 Drost, Julia 181 Droz, Jacques 97, 208, 215, 297, 393 Dubois, Michel 185, 229 Dubois-Dumée, Jean-Pierre 196 Duby, Georges 264, 484 Duchamp, Marcel 126, 294 Duhamel, Jacques 348 Dumas, Roland 96, 477 Dupeux, Louis 202 Duras, Marguerite 243, 256, 266, 283, 284, 424, 434 Dürer, Albrecht 187 Durif, Eugène 460 Durkheim, Émile 265, 431, 432 Duroselle, Jean-Baptiste 393 Dürrenmatt, Friedrich 184, 342, 455 Dutronc, Jacques 366 Ebert, Friedrich 67, 446 Echenoz, Jean 249, 250 Eck, Jean-François 202 Eckert, Georg 208, 393 Eco, Umberto 370 Edl, Elisabeth 249, 250 Effel, Jean 323, 325 Eichel, Wieto 144 Personenregister 504 Einstein, Albert 36, 38 Eisler, Hanns 142, 328, 367, 462 Eisner, Lotte H. 216 Elias, Norbert 73, 265, 432 Elisabeth von Österreich 417 Éluard, Paul 126, 378, 467 Emmanuel, Pierre 133 Énard, Mathias 148 Engel, André 143, 185 Engelhardt, Barbara 460 Engelkes, Heiko 314 Engelmann, Peter 218, 236, 378 Engels, Friedrich 121, 245 Enrico, Robert 243 Ensslin, Christiane 368 Ensslin, Gudrun 368 Enzensberger, Hans Magnus 117, 140, 153, 338, 349 Epting, Karl 39, 175, 404 Erb, Elke 352 Erdmann, Karl Dietrich 393 Erdos, Thomas 122 Erhard, Ludwig 45, 458 Ernaux, Annie 339 Ernst, Max 126, 182, 187, 294, 434 Erpenbeck, Jenny 143 Érudition, Didier 224 Eschenbach, Christoph 363 Espagne, Michel 77, 244, 246 Esscoffier, Louise Hélène (Lotte H. Eisner) 217 Estève, Maurice 186 Ette, Ottmar 257 Ewig, Eugen 182, 225, 296 Fabian, Ruth 176 Fabian, Walter 176 Fabius, Laurent 457 Fabréguet, Michel 156 Faktor, Jan 148 Fall, Jean-Claude 185 Fantin-Latour, Henri 182 Farias, Victor 290 Fassbinder, Klara Marie 228 Fassbinder, Rainer Werner 130, 152, 153, 162, 185, 229, 233, 244, 270, 271, 342, 370, 371, 373, 414, 420, 426 Fatah, Sherko 141 Faucher, Eugène 106 Faure, Edgar 245, 302 Favier, Jean 484 Faye, Éric 257 Faye, Jean-Pierre 352 Febvre, Lucien 296 Fekl, Walther 324 Fendi 358 Fernandel 233 Ferreri, Marco 426 Ferrero, Guglielmo 133 Fetscher, Iring 161 Feuchtwanger, Lion 140, 386 Feydeau, Georges 256 Fichte, Hubert 210, 270, 271 Fink, Eugen 394 Fink, Gonthier-Louis 233, 390, 448 Fisch, Stefan 202 Fischer, Edwin 118 Fischer, Fritz 215 Fischer, Jan O. 253 Fischer, Joschka 163, 476 Fischer, Oskar 68 Fischer, Samuel 130 Fischer, Tutti 130 Flaubert, Gustave 251, 266, 321, 330, 351 Flechtheim, Alfred 38 Fleischmann, Peter 373 Fleißer, Marieluise 162 Fleming, Willi 455 Flinker, Martin 176, 177 Fock, Holger 250 Folz, Martin 397 Fontane, Theodor 407 Fontius, Martin 402 Forêts, Louis-René des 455 Forte, Dieter 250 Fosse, Jon 374 Foucault, Michel 219, 235, 252, 290, 298, 330, 354, 379, 395, 420 Fouque, Antoinette 263 Fourquet, Jean 97, 154, 224, 247, 488 Foussier, Gérard 147, 215 France, Anatole 351 France, Henri de 231 France, Peter 248 Franck, Julia 140 Franco, Francisco 287 François, André 323 François, Étienne 158, 221, 238, 297, 303, 448 François, Jean-Claude 255 François-Poncet, André 53, 97, 213, 239, 290 Françon, Alain 374 Franju, Georges 217 Frank, Hartmut 308 Franken, Joseph Paul 272 Fréchette, Carole 424 Frege, Gottlob 395 Freud, Sigmund 277, 291, 343, 380, 407 Freund, Gisèle 71, 77, 265 Frevert, Hans 161 Frevert, Ute 264 Freyd, Bill 455 Freyer, Hans 431 Friedmann, Wilhelm 36, 38 Friedrich II. 215, 270, 313 Friedrich, Caspar David 124, 171, 172, 326 Friedrich, Hugo 266, 423 Personenregister 505 Fries, Fritz-Rudolf 171 Frisch, Max 139, 162, 184, 342, 414 Fritz, Helmut 367 Fröbe, Gerd 243 Froment-Meurice, Henri 133 Fröschke, Oliver 365 Fühmann, Franz 170 Furet, François 298, 299 Furtwängler, Wilhelm 363 Gabily, Didier-Georges 256, 460 Gabin, Jean 211, 232, 233, 328 Gadamer, Hans-Georg 381, 394 Gaehtgens, Thomas W. 95, 181 Gailly, Christian 249 Gainsbourg, Serge 346, 366, 458 Galissaires, Pierre 141 Gall, France 62, 366 Gall, Hugues 349 Gallimard, Gaston 320 Galmot, Jean 346 Gamblin, Jacques 233 Ganten, Detlev 95 Ganz, Axel 384, 385 Ganz, Bruno 233, 282, 410 Garcia, Victor 409 Gardes, Jean-Claude 324 Garnier, Charles 169 Garran, Gabriel 120, 129, 142, 159, 184, 185, 341, 482 Gary, Romain 132, 458 Gasquet, Joachim 449 Gatti, Armand 243, 255, 256 Gaudé, Laurent 460 Gavalda, Anna 249 Gavarni, Paul 325 Gay-Lussac, Louis Joseph 268, 269 Gees, Marion 210 Geiger, Arno 376 Geiger, Tim 200 Gelas, Gérard 229 Gelz, Andreas 347 Genazino, Wilhelm 140, 141 Genet, Jean 176, 229, 233, 255, 270, 440 Genevoix, Maurice 412 Genscher, Hans-Dietrich 96, 97, 335, 477 Gente, Peter 353, 354 George, Götz 353 George, Stefan 168, 172 Gernhardt, Robert 323 Gersmann, Gudrun 189, 237 Gervereau, Laurent 324 Gerz, Jochen 271 Giacometti, Alberto 135 Gide, André 38, 40, 98, 130, 144, 166, 167, 176, 252, 257, 265, 330, 403 Gieseking, Walter 363 Gignoux, Hubert 455 Gilcher-Holtey, Ingrid 137 Gillespie, Stuart 248 Gimferrer, Pere 292 Giordano, Ralph 117 Girardot, Annie 284 Giraudoux, Jean 113, 131, 253, 254, 355 Gironès, Robert 143 Giroud, Françoise 263, 372 Giscard d’Estaing, Valéry 45, 47, 56, 68, 91, 190, 268, 335, 408, 446 Gisselbrecht, André 120, 274, 312, 481, 482 Glavinic, Thomas 376 Glöckner, Hermann 188 Glück, Gerhard 323 Godard, Colette 138, 142, 229, 341 Godard, Jean-Luc 330, 372, 373, 426 Goeldel, Denis 200 Goethe, Johann Wolfgang von 96, 98, 127, 139, 148, 168, 173, 222, 224, 234, 276, 293, 343, 349, 351, 373, 387, 394, 431, 456, 457, 466, 477, 483 Goguel, Maurice 425 Göhring, Martin 304 Goldman, Jean-Jacques 321 Goldschmidt, Georges-Arthur 95, 141, 143, 177, 199, 276, 282, 283 Gollwitzer, Helmut 161 Gombrowicz, Witold 133 González, Julio 287 Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 46, 116 Göring, Brezel 366 Goscinny, René 106, 107 Götz, Karl Otto 187 Götze, Karl Heinz 314 Gougeon, Jacques-Pierre 79 Gourdault-Montagne, Maurice 95 Goytisolo, Juan 292 Grabbe, Christian Dietrich 185, 430 Graf, Marion 141 Gramsci, Antonio 274 Grandval, Gilbert 194, 464 Grappin, Pierre 104, 279, 339, 350, 386, 407 Grass, Günter 133, 140, 141, 177, 210, 250, 286, 338, 414 Grautoff, Otto 36, 37, 403 Grave, Johannes 172 Gravier, Magali 200 Gréco, Juliette 458 Grédy, Jean Pierre 256 Green, Julien 144, 176, 415 Greenaway, Peter 346 Grémion, Pierre 114 Grimm, Friedrich Melchior 313 Grimm, Jakob 278 Grimm, Jürgen 401 Grimm, Wilhelm 278 Grinberg, Anouk 233 Grisebach, Valeska 130 Personenregister 506 Gröber, Gustav 166, 403 Groethuysen, Bernherd 40 Grohmann, Will 187, 287 Grosser, Alfred 55, 113, 151, 152, 156, 161, 165, 197, 203, 245, 280, 315, 316, 361, 382, 383, 394, 398, 406, 412, 415, 452, 471, 473, 489 Grosser, Annie 281 Grosser, Lily 280 Grosser, Margarete 280 Grosser, Paul 280 Grosz, George 125 Grüber, Klaus Michael 185, 255, 281, 340, 410, 440 Gruenter, Undine 211 Grumbach, Salomon 415 Grund, Helen 242, 294 Gründgens, Gustaf 356 Grunewald, Michel 245 Grzimek, Waldemar 188 Gstrein, Norbert 375 Guattari, Félix 354 Guédiguian, Robert 243 Guérin, Alain 331 Guervel, Michel 397 Guillot, Olivier 484 Gumbrecht, Hans Ulrich 443 Gundolf, Friedrich 159 Haag, Achim 345 Haag, Ingrid 246 Habermas, Jürgen 433 Hachfeld, Rainer 323 Hacker, Katharina 140 Hackl, Erich 376 Hacks, Peter 132, 312 Haderer, Gerhard 323 Haderlap, Maja 376 Haerdter, Michael 124 Haftmann, Werner 187 Hagège, Claude 435 Hagelstange, Rudolf 197, 486 Hagena, Katharina 140, 141 Haider, Jörg 134 Halbwachs, Maurice 431, 432 Hallervorden, Dieter 107 Hallstein, Walter 111, 112 Hamard, Sylvie 150 Hammer, Ellen 282 Hammer, Jean-Pierre 350 Handke, Peter 134, 140, 141, 149, 184, 185, 211, 277, 282, 342, 344, 349, 374, 375, 376, 427, 483 Haneke, Michael 189, 229, 283 Hanimann, Joseph 172, 198, 313 Harcourt, Robert d’ 97, 196, 197, 214 Harder, Hermann 291, 345 Hardy, Françoise 366 Harig, Ludwig 285, 292, 293, 467 Harlan, Thomas 456 Harnack, Adolf 425 Harpprecht, Klaus 286, 314 Harth, Helene 200 Hartke, Wolfgang 296 Härtling, Peter 119 Hartung, Hans 187, 287 Hasperg, Ila von 420 Hauff, Werner 373 Hauptmann, Gerhart 168, 343 Hausen, Karin 264 Hausenstein, Wilhelm 54, 187, 197, 272, 288 Hauser, Harald 490 Haushofer, Marlen 376 Haussmann, Georges Eugène 308 Hebel, Johann Peter 355, 425, 477 Heck, Bruno 138 Heckmanns, Martin 461 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 38, 148, 218, 226, 343, 407 Hegemann, Helene 140 Heger, Gerd 365 Heidegger, Martin 38, 76, 172, 226, 227, 277, 289, 355, 379, 380, 395, 407 Heilbron, Johan 296 Hein, Christoph 119, 120, 140, 141, 166, 170, 171, 177, 184, 185, 431 Hein, Jakob 171 Heine, Heinrich 116, 154, 172, 209, 220, 279, 312, 314, 343 Heinemann, Gustav 228 Heinen, Johanna 392 Heinrichs, Hans-Jürgen 277 Heinse, Wilhelm 140 Heintz, Émile 146 Heinzelmann, Martin 237 Heisenberg, Benjamin 130 Heisig, Bernhard 188 Heißenbüttel, Helmut 293 Heller, Clemens 291, 388 Heller, Hugo 291 Helmlé, Eugen 249, 277, 285, 292, 339 Henning, Eduard 188 Hensel, Jana 62, 171 Herbert, Zbigniew 133 Herbin, Auguste 187 Herding, Klaus 324 Hermann, Judith 140, 141 Hermlin, Stephan 119, 170, 171, 190, 339 Hermon, Michel 229 Hersch, Jeanne 133 Hertling, Cornelius 293 Hertling, Nele 199, 293 Hertz, Heinrich 300 Hervier, Julien 320 Herzfeld, Helmut 125 Herzog, Werner 370, 371, 373 Hesse, Hermann 99, 140 Hessel, Franz 242, 258, 294 Personenregister 507 Hessel, Stéphane 95, 233, 242, 294 Hessel, Ulrich 242 Heuman, Eric 233 Heuss, Theodor 146, 192, 202, 288, 304, 415, 425 Heym, Stefan 119, 170, 171, 177 Hidalgo, Michel 267 Hilaire, Kits 257, 258 Hilbig, Wolfgang 170 Hilling, Anja 461 Hillje, Jens 374, 410 Hilsenrath, Edgar 177, 386 Hitler, Adolf 36, 43, 107, 132, 135, 176, 215, 220, 222, 270, 280, 281, 320, 325, 471 Hittorff, Jakob Ignaz 308 Hochhäusler, Christoph 130 Hochhuth, Rolf 481 Hoffmann, Johannes 194, 419 Hofmann, Werner 324 Hofmannsthal, Hugo von 141, 168, 176, 374 Holbach, Paul Henri Thiry d ‘ 368 Hölderlin, Friedrich 130, 131, 148, 168, 224, 282, 338, 343, 355, 449 Holl, Herbert 331 Hollande, François 47, 472 Holthusen, Hans Egon 197 Honneger, Arthur 176 Honneth, Axel 235 Hoock-Demarle, Marie-Claire 345 Horváth, Ödön von 138, 139, 162, 184, 375, 376, 424, 430 Höß, Rudolf 353 Houellebecq, Michel 248, 249 Hourdin, Jean-Louis 229 Huber, Jörg 177 Hubert, Michel 302 Hübner, Heinz 465 Huchel, Peter 171 Hudemann, Rainer 202 Hugo, Victor 96, 308, 314, 328, 351, 421 Hugues, Pascale 198, 315 Humboldt, Alexander von 268, 269 Huppert, Isabelle 232, 284, 420 Hürlimann, Thomas 141 Hüsch, Hans Dieter 455 Hüser, Dietmar 202, 365 Husserl, Edmund 38, 226, 227, 289, 290, 379, 380, 381, 394, 395, 407 Ibsen, Henrik 374, 410 Inderwildi, Hilda 461 Ingres, Jean-Auguste-Dominique 135 Innerhofer, Franz 375 Ionesco, Eugène 133, 254, 255, 308 Irons, Jeremy 322, 414 Ivernel, Philippe 274 Jaccottet, Philippe 141 Jahn, Hans Henny 139, 140 Jakobson, Roman 395 Jandl, Ernst 119 Janicaud, Dominique 289 Janin, Pierre 376, 377 Jansen, Johannes 352 Jarry, Alfred 254, 292 Jaspers, Karl 133, 144, 214, 394 Jaurès, Jean 447 Jauß, Hans Robert 310, 370, 443 Jeanne d’Arc 427, 480 Jeismann, Michael 220 Jelinek, Elfriede 140, 162, 185, 342, 352, 375, 376, 386, 420, 460 Jirgl, Reinhard 140 Johnson, Uwe 170, 171 Joly, Jean-Baptiste 311, 447 Jonas, Hans 386 Jonke, Gert 141, 376 Jouanneau, Joël 424 Jouet, Jacques 339 Jouhandeau, Marcel 320 Jouhy, Ernest 163 Jourdheuil, Jean 142, 170, 184, 185, 256, 311, 361, 362, 424, 440, 455 Jouve, Pierre-Jean 176 Joyce, James 166, 266 Jugnot, Gérard 107 Jung, Gaston 185, 455 Jünger, Ernst 210, 319, 414, 448 Juppé, Alain 86 Jürgens, Curd 233 Jurt, Joseph 137, 320 Kaas, Patricia 97, 321, 352, 364, 365, 366, 427 Kaehlbrandt, Roland 291, 345 Kaelble, Hartmut 200, 202, 292, 319 Kafka, Franz 117, 127, 139, 153, 154, 168, 276, 312, 349, 374, 449 Kahlo, Frida 265 Kahn-Ackermann, Georg 109 Kahnweiler, Daniel-Henry 38, 176 Kaiser, Georg 127 Kaiser, Joachim 133 Kaiser, Karl 389 Kalinowski, Isabelle 141, 386 Kalscheuer, Claudia 250 Kandinsky, Wassily 187, 287 Kant, Hermann 170, 171 Kant, Immanuel 38, 101, 425 Karajan, Herbert von 118 Karge, Manfred 120, 121, 129, 132, 143, 185, 341, 361, 374 Karina, Anna 233 Kaufmann, Christine 420 Kaufmann, Gisela 177 Kauka, Rolf 107 Kawerau, Siegfried 35 Keersmaeker, Anne Teresa De 150 Kehlmann, Daniel 376 Personenregister 508 Keich, Henryk 368 Keller, Luzius 249 Kemp, Friedhelm 249 Kempowski, Walter 285 Kennel, Odile 352 Kerger, Camille 397 Kermani, Navid 143 Kern, Alfred 338 Kern, Fritz 304 Keusch, Erwin 371 Khan, Aga 131 Kiefer, Anselm 95, 97, 172, 173, 325, 341 Kierkegaard, Sören 226 Kiersch, Gerhard 240 Kiesinger, Kurt Georg 45, 458, 489 Kinkel, Klaus 86 Kipphardt, Heinar 481 Kirchhoff, Bodo 349 Kirchner, Hadwig 329 Kirsch, Rainer 170 Kirsch, Sarah 170 Klabund 139, 141 Klarsfeld, Beate 471, 472 Klarsfeld, Serge 471, 472 Klee, Paul 187 Kleeberg, Michael 177, 211 Kleib er, Michał 96 Klein, Harry 173 Klein, Yves 187 Kleist, Heinrich von 75, 129, 138, 139, 141, 168, 184, 233, 312, 410, 427 Klemperer, Eva 329 Klemperer, Victor 329, 334, 370, 402, 403, 418 Klossowski, Pierre 354 Kluge, Alexander 130, 141, 229, 330, 362, 370, 371, 373, 414 Kluger, Martin 148 Knipping, Franz 202 Koch, Ursula E. 324 Koenig, Pierre Marie 315, 339 Kofman, Sarah 378 Kogon, Eugen 196, 197, 214, 294, 361 Kohl, Helmut 46, 62, 85, 91, 97, 102, 109, 118, 147, 320, 335, 406, 412, 470, 472, 476 Köhler, Erich 334, 404 Köhlmeier, Michael 376 Kolb, Annette 166, 197 Kolb, Walter 280 Kolbe, Maximilian 243 Kolbe, Uwe 171, 177 Kolboom, Ingo 389 Koltès, Bernard-Marie 256, 378, 440 König, René 432 König, Traugott 250, 386, 408 Königsdorf, Helga 171 Konrad, Laurent 367 Koonz, Claudia 454 Körting, Gustav 403 Kortländer, Bernd 248, 249 Koschwitz, Eduard 403 Koselleck, Reinhart 74, 79, 222, 443 Kosma, Joseph 327 Kouchner, Bernard 163 Kraemer, Jacques 142, 185 Krämer-Badoni, Rudolf 197 Kraus, Karl 140, 168, 375, 424 Kraus, Peter 318 Krauß, Angela 120, 170 Krauß, Henning 80, 401, 404 Krauss, Werner 329, 333, 368, 369, 370, 402 Krausser, Helmut 140 Krebs, Gilbert 302 Krebs, Roland 234, 246, 279, 386, 387 Krechel, Ursula 143 Kreisky, Bruno 247 Kreiss, Bernard 140, 141, 386 Kreissler, Felix 247 Kretzschmar, Harald 325 Krieger, Karin 467 Kringel, Petra 177 Kroetz, Franz Xaver 139, 184, 342, 374 Krolow, Karl 197 Krüger, Hardy 243, 244 Krumeich, Gerd 413 Krüss, Hugo Andres 38 Kuczynski, Robert René 35, 39 Kuhlmann, Quirinus 140 Kuhn, Irène 133 Kühn-Leitz, Elsie 334, 469 Kunert, Günter 170, 171 Kunze, Rainer 170 Kuppe, Johannes 110 Kurzeck, Peter 210 Kutscher, Volker 141 Kwaschik, Anne 200 Kwiatkowski, Michael 353 La Fayette, Marie-Madeleine de 330 Labiche, Eugène 256, 282, 440 Laborier, Pascale 158 Lacan, Jacques 252, 290 Lacoste, Jean 139 Laffitte, Pierre 191 Lagarde, Christine 90 Lagerfeld, Karl 358 Lalo, Charles 265 Lamberty, Tom 354 Lammerding, Hans 470, 472 Lammert, Norbert 200 Lampe, Jutta 282, 410 Lance, Alain 68, 141, 170, 293, 338, 344 Lance-Otterbein, Renate 141, 293, 339, 344 Landgrebe, Ludwig 277, 394 Landsberg, Paul-Louis 360 Personenregister 509 Lang, Fritz 217, 373 Lang, Jack 96, 122, 159, 162, 184, 301, 312, 326, 340, 463 Lange, Helene 228 Langevin, Paul 305 Langgässer, Elisabeth 197 Langhoff, Anna 341 Langhoff, Matthias 120, 121, 129, 132, 139, 143, 185, 341, 361, 362 Langhoff, Wolfgang 341 Langlois, Henri 217, 482 Lanzmann, Claude 345, 428, 429, 456 Larbaud, Valéry 176, 250 Lasker-Harpprecht, Renate 286 Lasky, Melvin 133 Lassalle, Jacques 184, 455 Lasserre, René 77, 156, 200 Lattre de Tassigny, Jean de 396 Laue, Max von 305 Laurent, Jeanne 183, 455 Lautréamont, Comte de 420 Lavabre, Marie-Claire 222 Lavaudant, Georges 143, 185 Lavelli, Jorge 409 Le Borgn’, Pierre-Yves 200 Le Bris, Pierre Louis 144 Le Clézio, Jean-Marie Gustave 249 Le Corbusier 308 Le Divellec, Armel 105 Le Gloannec, Anne-Marie 200 Le Lionnais, François 292 Le Maire, Bruno 200 Le Rider, Jacques 77, 139, 248, 448 Le Vigan, Robert 327 Léaud, Jean-Pierre 233 Léautaud, Paul 320 Lebert, Hans 376 Lecoq, Jacques 134 Leenhardt, Jacques 321, 369 Lefebvre, Georges 297 Lefebvre, Henri 121 Lefebvre, Jean-Pierre 154, 283, 293, 343, 345, 386 Lefebvre, Noémi 257, 258, 259 Lefranc, Alban 230, 257, 352, 482 Lefranc, Pierre 115 Léger, Fernand 186, 287 Lehmann, Karl Kardinal 95 Lehmann, Klaus-Dieter 96 Lehmann-Rußbüldt, Otto 35 Leick, Roman 134 Lelord, François 249 Lelouch, Claude 243 Lemarignier, Jean-François 484 Lemper, Ute 346, 410 Lenoir, Roland 152, 392 Lenz, Jakob Michael Reinhold 159, 185 Lenz, Siegfried 140 Leo, Gerhard 67, 175, 190, 347, 471 Lepeltier, Georges 470 Lepenies, Wolf 95 Lerch, Eugen 403 Lersch, Thomas 182 Lescot, David 460 Lescure, Pierre de 467 Lesort, Paul André 197 Lessing, Gotthold Ephraim 139, 185, 279, 466 Levi, Primo 428 Lévinas, Emmanuel 226, 290, 380 Levison, Wilhelm 225 Lévi-Strauss, Claude 136, 330, 395 Lévy, Marc 249 Lewinski, Charles 141 Lhermitte, Thierry 162 Lhote, André 287 Libuše, Monika 386 Licard, Nathalie 352 Lichtenberger, Henri 38, 224, 239, 244, 315 Liebau, Eckart 137 Liebermann, Rolf 348, 359, 440 Lietzau, Hans 271 Linke, Caroline 233 Lissner, Stéphane 134 Liszt, Franz 373 Littell, Jonathan 249, 353 Löffler, Sigrid 344 Loher, Dea 139, 342, 460 Löhle, Philipp 461 Lonsdale, Michael 283 Loriot 323 Lortholary, Bernard 95, 139, 140, 141, 154, 344, 349, 386 Lowien, Merve 353 Loyrette, Henri 172 Lübke, Heinrich 138, 192, 228 Lucchini, Fabrice 107 Ludwig XIV. 219 Lugand, Jacques 182 Luhmann, Niklas 236, 433 Lukács, Georg 274 Lüpke, Gustav von 425 Lüsebrink, Hans-Jürgen 59, 396 Lusset, Claude 98 Lusset, Félix 97, 98, 349, 467 Lüthy, Herbert 132 Luxemburg, Rosa 116, 245 Lyotard, Jean-François 219, 354, 378 Maak, Niklas 172 Macchiavelli, Niccolò 480 MacGowran, Jack 124 MacOrlan, Pierre 314 Maginot, André 172 Magnusson, Christof 140 Magny, Claude-Edmonde 196 Maheu, René 130 Personenregister 510 Mahler, Gustav 135 Maier-Leibnitz, Heinz 191, 305 Maillard, Christine 246, 390 Maillet, Pierre 229 Mainardi, Enrico 118 Maistre, Xavier de 364 Malaplate, Jean 139 Malkovich, John 414, 457, 459 Mallarmé, Stéphane 135, 267, 378 Malle, Louis 243, 244, 373, 414 Mallet, Serge 432 Malraux, André 56, 133, 135, 183, 265, 403, 415, 416, 427 Maltzan, Vollrath von 289 Mandrou, Robert 303 Mann, Golo 130 Mann, Heinrich 36, 38, 99, 130, 176, 350 Mann, Klaus 144, 356 Mann, Thomas 99, 112, 130, 131, 138, 140, 168, 176, 274, 286, 319, 351, 407 Mannheim, Karl 265 Mannoni, Olivier 139, 141 Marceau, Sophie 319 Marcel, Gabriel 97, 197, 394, 456 Maréchal, Marcel 482 Maritain, Jacques 360 Marivaux, Pierre 255, 440 Marker, Chris 330 Markevitch, Igor 118 Markov, Walter 296, 297, 368 Marmetschke, Katja 71, 79 Marquardt, Fritz 132 Marthaler, Christoph 139 Martin, Claude 95, 149 Martin, Jacques 106 Martin, Jean-Hubert 377 Martinelli, Jean-Louis 185, 229, 455 Marx, Karl 101, 102, 115, 121, 148, 172, 245, 290, 330, 333, 343, 380, 407 Maschke, Erich 484 Masson, Jean-Yves 141 Masur, Kurt 97, 136, 363 Mathieu, Mireille 322, 351, 366 Matisse, Henri 186, 266 Maupassant, Guy de 373 Maurel, Marie-Louise 490 Maurer, Jean-Pierre 106 Mauriac, François 176, 467 Maurras, Charles 220 Mauss, Marcel 224, 431 May, Karl 144 Mayenburg, Marius von 374, 460 Mayer, Georg 190 Mayer, Hans 120, 368 Mayrisch de Saint-Hubert, Aline 40, 166 Mayrisch, Émile 40, 41, 164, 166 Mayröcker, Friederike 119, 376 Mazellier, Catherine 461 McCarthy, Joseph 266 Meillet, Antoine 224 Meins, Holger 449 Meise, Helga 248 Meister, Guido 154, 250, 456 Melquiot, Fabrice 460 Melville, Jean-Pierre 243, 373, 414 Menasse, Robert 143, 376 Mendel, Deryk 124 Mendès France, Pierre 164, 207, 294 Menne, Lothar 95 Ménudier, Henri 77, 302, 383 Menuhin, Yehudi 130 Menzel, Adolph 188 Mercier, Jacques 406 Mercy, Dominique 122 Merkel, Angela 47, 90, 91, 193, 414 Merkel, Ina 264 Merle, Robert 251, 352 Merleau-Ponty, Maurice 379, 380 Mertens, Hans 137 Messiaen, Olivier 349, 360, 363, 447 Métail, Michèle 257, 258 Métailié, Anne-Marie 177 Metzger, Chantal 202 Mey, Reinhard 354, 365, 366 Meyen, David-Christopher 418 Meyen, Harry 418 Meyer, Till 234 Miard-Delacroix, Hélène 77 Michaud, Eric 173 Michaux, Henri 126, 176, 265, 378 Michel, Henri 393 Michelet, Edmond 330, 405 Mickel, Karl 170 Mickiewicz, Adam 96 Mikaël, Ludmila 282 Mikesch, Elfi 420 Milhaud, Darius 176 Millaud, Alphonse 451 Miller, Arthur 328, 414 Miller, Henry 266 Millet, Catherine 249 Milo šević, Slo b o dan 283 Milosz, Cheslaw 133 Minder, Robert 97, 104, 154, 196, 197, 213, 224, 233, 276, 279, 350, 354, 425, 473 Minetti, Bernhard 282 Minkmar, Nils 95 Minyana, Philippe 256 Mirkine Guetzévitch, Vitia 294 Mitelberg, Louis 325 Mitrani, Michel 243 Mitscherlich, Alexander 325 Mitterer, Félix 107, 424 Personenregister 511 Mitterrand, François 46, 62, 85, 91, 102, 156, 158, 210, 218, 266, 267, 301, 320, 340, 385, 408, 412, 443, 470, 472, 476, 478, 481, 483, 485 Mitterrand, Frédéric 134, 153, 420 Mitterrand, Henri 419 Mnouchkine, Ariane 256, 354, 356, 362, 409, 424 Mocky, Jean-Pierre 233 Modiano, Patrick 249, 283 Modrow, Hans 46 Mohr, Arno 188 Moldenhauer, Eva 95, 249, 379 Molière 132, 142, 184, 253, 255, 256, 277, 346, 356 Möller, Horst 237 Möllering, Rüdiger 353 Mommsen, Hans 462 Mommsen, Theodor 407 Mondot, Jean 246 Monioudis, Perikles 141 Monnet, Jean 43, 44 Monnier, Adrienne 265 Montaigne, Michel de 249, 266, 370 Montand, Yves 211, 328 Montbrial, Thierry de 164 Montesquieu 295, 329 Montezuma, Magdalena 420 Môquet, Guy 370, 414 Moreau, Jean-Charles 137, 151, 315, 317, 358, 416, 486 Moreau, Jeanne 232, 233, 271, 282, 283, 424 Morel, Jean-Pierre 331 Morel, Robert 196 Morgenstern, Soma 376 Morgner, Irmtraud 177 Mörike, Eduard 154, 209 Morin, Edgar 214 Moritz, Karl Philipp 355 Mortier, Gérard 349, 359 Mortier, Jean 116 Mose 323 Mosebach, Martin 140 Mossé, Fernand 97, 224 Mouawad, Wajdi 460 Moulin, Jean 295 Mounier, Emmanuel 55, 165, 196, 214, 280, 360 Mouraret, Serge 258 Mourey, Marie-Thérèse 246 Moustaki, Georges 365 Mozart, Wolfgang Amadeus 349 Mühleisen, Laurent 461 Muller, Dominique 455 Müller, Harald 162 Müller, Heiner 120, 121, 129, 132, 159, 162, 166, 170, 184, 185, 255, 312, 340, 341, 342, 361, 424, 427, 430 Müller, Herta 119, 120, 140, 141, 143, 177 Müller, Klaus-Jürgen 202 Müller, Olaf 171 Müller-Freienfels, Reinhart 124 Müller-Westernhagen, Marius 321 Münch, Charles 118, 363 Münzenberg, Willy 36 Murat, Jean 155 Murnau, Friedrich Wilhelm 217 Musil, Robert 140, 168, 176, 374, 375, 414 Musset, Alfred de 134 Muti, Ornella 414 Mutter, Anne-Sophie 364 N’Diaye, Marie 256, 257, 258, 259 N’Sondé, Wilfried 257 Nabokov, Vladimir 282 Nadeau, Maurice 197 Nancy, Jean-Luc 378, 429 Naumann, Manfred 253, 334, 368, 402 Naumann, Michael 286 Naville, Pierre 432 Neau, Patrice 173 Néel, Louis 305 Negri, Toni 354 Negt, Oskar 330 Nerlich, Michael 77, 80, 167, 346, 347, 369, 399, 400, 404 Nero, Franco 271 Neubert, Stefanie 345 Neumann, Alexander 331 Neumann, Brigitte 141 Neuschäfer, Anne 345 Ney, Michel 194 Nichet, Jacques 127 Niebergall, Otto 490 Nies, Fritz 241, 248, 249, 371, 386, 400 Nietzsche, Friedrich 50, 101, 148, 224, 227, 380, 407 Nizan, Paul 117 Nizon, Paul 119, 141, 210 Noch, Curt 353 Nolte, Ernst 298, 299 Nono, Luigi 447 Nora, Pierre 28, 80, 221, 238, 367 Nordau, Max 314 Nordey, Stanislas 185 Novalis 420 Novarina, Valère 256, 460 Nuoranne, Timo 397 Nyman, Michael 346 Obaldia, René de 254, 292, 293 Oestergaard, Heinz 357 Ogier, Bulle 134, 233 Olbert, Jürgen 468 Oliveira, Claire de 386 Ollier, Claude 434 Oltjen, Almut 327 Ophüls, Marcel 244 Ophüls, Max 244, 373 Oppenheimer, Franz 431 Ormesson, Wladimir d’ 37 Orthmann, Ruth 461 Personenregister 512 Orths, Markus 140 Oster, Christian 249 Ostermeier, Thomas 185, 199, 374, 410 Oster-Stierle, Patricia 95 Ostertag, Ferdinand 175 Ottinger, Ulrike 370 Oury, Gérard 244 Ozon, François 229 Pabst, Peter 122 Pagnol, Marcel 255 Palmetshofer, Ewald 461 Palmier, Jean-Michel 258 Papilloud, Christian 347 Paravicini, Werner 189 Paris, Heidi 354 Parisse, Michel 303 Pascal, Blaise 360 Pascin, Jules 325 Passeron, Jean-Claude 136 Pasternak, Boris 265 Patellière, Denys de la 244 Patou, Jean 358 Paugam, Serge 433 Paul, Arno 255 Paul, Jean-Marie 245 Paulhan, Jean 252, 265 Pech, Karlheinz 411 Péguy, Charles 360 Peisert, Hansgert 109, 110 Penck, A. R. 188 Perec, Georges 249, 250, 293 Pérennec, René 246 Péridès, Nicolas 354 Perón, Evita 266 Perrault, Gilles 411 Perregaux, Béatrice 312 Perrot, Michelle 264 Perutz, Leo 375 Pétain, Philippe 360, 425 Peterich, Eckart 196 Pettersen, Grete 397 Petzold, Christian 59, 130, 233 Pey, Serge 352 Peymann, Claus 129, 186, 340, 341, 439 Peyret, Jean-François 312, 362 Pfeil, Ulrich 297 Pflimlin, Pierre 335, 448 Philipe, Gérard 211, 327, 328, 341 Philipp, Marthe 247 Piaf, Édith 153, 211, 321, 346, 351, 352, 458 Picaper, Jean-Paul 198, 301, 314 Picard de la Vacquerie, Robert 332 Picard, Fritz 176 Picasso, Pablo 153, 170, 176, 186, 187, 188, 294, 434 Piccoli, Michel 134, 233, 282, 418 Picht, Georg 381 Picht, Robert 78, 204, 240, 345, 381, 404, 423, 448 Picht, Werner 381 Picht-Axenfeld, Edith 382 Pierre, Claude 98 Pinget, Robert 256, 434 Pirennes, Henri 295 Piscator, Erwin 217, 481 Pistorius, George 248 Planchon, Roger 120, 142, 159, 184, 185 Plantu, Jean 324 Plard, Henri 320 Plenzdorf, Ulrich 170 Plessner, Helmut 462 Poidevin, Raymond 156, 201, 202, 296 Poirier, René 488 Pollesch, René 150, 185 Pommerat, Joël 460 Pompidou, Georges 45, 272, 408 Ponge, Francis 434 Poppe, Ulrike 264 Porcell, Claude 386 Posener, Julius 308 Poth, Chlodwig 323 Po toro czyn, Paw eł 96 Pouget, Jean-Michel 387 Powald, Tobias 331 Pozner, Vladimir 251, 427 Prader, Felix 257 Pré, Jacqueline du 118 Preminger, Otto 417 Présent-Griot, Régis 270 Presley, Elvis 318 Prévert, Jacques 346 Prévost, Claude 428 Prévost, Jacqueline 279, 339 Priessnitz, Reinhard 119 Prigent, Christian 257, 258, 352 Priol, Urban 107 Proust, Marcel 166, 242, 249, 250, 285, 310, 330, 369, 403, 414, 459 Pusch, Ursula 177 Py, Olivier 460 Quéhec, Dominique 229 Queneau, Raymond 285, 286, 292 Quillier, Patrick 352 Rabault-Feuerhahn, Pascale 387 Raben, Peer 152, 153 Rabih, Leyla-Claire 460 Rach, Rudolf 342, 343 Racine, Jean 255, 378, 440 Rade, Martin 212 Radrizzani, Huguette 141 Radrizzani, René 141 Radvanyi, Laszlo 427 Radvanyi, Pierre 428 Raether, Martin 291 Personenregister 513 Rahner, Karl 197 Raimond, Jean-Bernard 97 Ralite, Jack 120, 129, 341 Rampling, Charlotte 162 Rancière, Jacques 354, 429 Ransmayr, Christoph 376 Rathenau, Walther 166 Rathenow, Lutz 62, 252 Ratzinger, Joseph 286 Rauger, Jean-François 229 Raulet, Gérard 77, 246 Ravel, Maurice 136 Ravy, Gilbert 247 Ray, Man 294 Rea, Chris 321 Recalcati, Antonio 282 Rechel-Mertens, Eva 249 Recoing, Aurélien 233 Regler, Gustav 477 Régnier, Philippe 325 Régy, Claude 185, 283 Reichardt, Rolf 325 Reimers, Werner 462 Reinecker, Herbert 173 Reinerova, Lenka 120 Reinfried, Marcus 468 Reinhardt, Max 132, 217 Reiser, Jean-Marc 323, 324 Reitz, Edgar 162, 229, 371, 414 Remarque, Erich Maria 456 Rémon, Martine 140 Renan, Ernest 314 Renaud, Madeleine 327 Renaude, Noëlle 460 Renoir, Jean 421 Renoir, Pierre 327 Renouvin, Pierre 208, 215, 393 Resnais, Alain 154, 233, 243, 367, 373, 414, 470 Rétoré, Guy 184 Rey, Alain 322 Reza, Yasmina 134, 249, 257, 292, 460 Rezzori, Gregor von 376 Rheinfelder, Hans 334, 398, 400 Rich, Claude 162 Richard, Lionel 170, 258 Richard-Willm, Pierre 373 Richter, Falk 185, 460, 461 Richter, Gerhard 188 Richter, Hans Werner 197 Richter, Uli 357 Rickert, Heinrich 101 Ricœur, Paul 222, 290, 381, 394 Ricou, Jacques 485 Riehl, Claude 140, 293 Riesz, János 396 Rieutord, Maurice 397 Rigaud, Jacques 114 Rilke, Rainer Maria 98, 168, 343, 374, 408 Rimbaud, Arthur 378, 427 Rinck, Monika 352 Rinser, Luise 197, 456, 486 Riopelle, Jean-Paul 187 Riquet, Michel 396 Ritte, Jürgen 121, 345 Ritter, Gerhard 296, 393 Riva, Emmanuelle 284 Rivau, Jean du 55, 137, 138, 146, 165, 196, 197, 214, 316, 333, 396, 448, 486 Rivière, Jacques 166 Robbe-Grillet, Alain 250, 282, 370, 434, 455 Robert, Yves 233 Robichez, Cyril 142 Robichon, Jacques 486 Robin, Régine 257, 258 Robitaille, Louis-Bernard 257 Rocard, Michel 158, 295 Roche, Charlotte 140 Roché, Henri-Pierre 294 Rochefort, Jean 107 Rocher, Daniel 246 Rodin, Auguste 186 Röggla, Kathrin 376, 461 Rohan, Anton 40 Rohe, Oliver 257 Rohmer, Eric 233, 410 Rolin, Olivier 249 Rolland, Romain 38, 160, 403, 466 Romains, Jules 330 Ronge, Peter 324 Rops, Félicien 325 Röseberg, Dorothee 77 Rosenthal, Olivia 148 Rosner, Jacques 142, 185 Rossellini, Isabella 346, 459 Rossellini, Roberto 211 Roth, François 202 Roth, François-Xavier 363 Roth, Joseph 130, 144, 176, 375, 376, 474 Roth, Philip 250 Rothacker, Joachim 234 Rother, Frauke 338 Roubaud, Jacques 292, 339 Roudy, Yvette 263 Rougemont, Denis de 133, 214 Rouleau, Raymond 327, 328 Rousseau, Jean-Jacques 251, 277, 295, 402 Roux, Jacques 296 Rovan, Joseph 53, 138, 147, 149, 151, 165, 196, 214, 245, 280, 301, 302, 315, 335, 359, 360, 405, 406, 415, 416, 448, 452 Royer, Louis-Charles 314 Ruge, Eugen 141 Personenregister 514 Rühmann, Heinz 233 Rühmkorff, Heinrich Daniel 285 Ruhrberg, Elfriede 182 Ruhrberg, Karl 182 Rüsen, Jörn 295 Rütten, Raimund 324 Ruttmann, Walter 258 Ryngaert, Jean-Pierre 462 Saar, Martin 235 Sachs, Nelly 140 Sade, Donatien Alphonse François, Marquis de 482 Sagan, Françoise 424 Sagave, Pierre-Paul 245, 350, 407 Saïd 120 Saint Laurent, Yves 153, 358 Saint-Exupéry, Antoine de 421, 459 Salat, Rudolf 206, 207 Salino, Brigitte 439 Sallenave, Danielle 369 Salomon, Gottfried 37 Salomon-Delatour, Gottfried 432 Saluveer, Aarne 397 Sand, George 351 Sandberg, Herbert 188 Sander, Jil 358 Sander, Otto 410 Sanderson, Richard 319 Sandig, Jochen 374, 410 Sandoz, Gérard 314 Sangnier, Marc 228 Santoni, Julien 257, 258, 259 Sarkozy, Nicolas 47, 91, 92, 193, 450 Sarraute, Nathalie 133, 250, 256, 434, 455 Sarrazin, Maurice 142, 184 Sartre, Jean-Paul 62, 117, 130, 147, 148, 226, 227, 249, 250, 252, 253, 254, 255, 265, 289, 309, 318, 328, 380, 407, 423, 428, 467 Saura, Carlos 426 Saussure, Ferdinand de 395 Sauzay, Brigitte 205, 408, 443, 453 Savary, Jérôme 143, 256, 346, 409 Savoy, Bénédicte 387 Scarpetta, Guy 143 Schabert, Thilo 200 Schädlich, Hans Joachim 119, 349 Schaeffer, Pierre 447 Schäfer, Axel 200 Schalk, Fritz 334, 369 Schallück, Paul 197, 456, 486 Schamoni, Peter 371 Schamoni, Ulrich 371, 373 Schanelec, Angela 130 Schardin, Hubert 200, 201 Schaul, Dora 67, 410, 471, 490 Schaul, Hans 411 Scheffel, Gerda 434 Scheffel, Helmut 249, 434 Scheffel, Tobias 293 Scheler, Max 360 Schenk, Fritz 55, 202, 203, 204, 316, 411, 415 Scherchen, Hermann 447 Schickele, René 166, 288 Schieder, Martin 200 Schiffer, Claudia 358 Schiller, Friedrich 131, 139, 168, 185, 255, 302, 394, 477 Schiller, Karl 131, 302 Schimmelpfennig, Roland 342, 460 Schindel, Robert 376, 459 Schinkel, Karl Friedrich 308 Schitthelm, Jürgen 410 Schlagdenhauffen, Alfred 155 Schleef, Einar 461 Schleiermacher, Friedrich 487 Schlichter, Rudolf 125 Schlink, Bernhard 140, 349 Schlocker, Georges 255, 430 Schlöndorff, Volker 95, 130, 162, 198, 229, 233, 370, 371, 373, 413, 414, 426, 457 Schloser, Franz 272 Schlumberger, Jean 97, 130, 144, 197 Schmid, Carlo 55, 131, 159, 202, 267, 414, 448 Schmid, Daniel 152 Schmidt, Arno 140, 141 Schmidt, Harald 352 Schmidt, Helmut 45, 47, 56, 91, 190, 267, 268, 446 Schmidt, Klaus-Peter 314 Schmidt, Trudeliese 152 Schmidt-Henkel, Hinrich 249, 250, 379 Schmitt, Christian 276 Schmitt, Éric-Emmanuel 249, 257, 460 Schmittlein, Raymond 150, 186, 202, 206, 207, 213, 216, 296, 304, 315, 358, 416, 455 Schneckenburger, Max 220 Schneider, Magda 373, 417 Schneider, Manfred 327 Schneider, Peter 140 Schneider, Reinhold 486 Schneider, Romy 233, 243, 417, 424 Schnitzler, Arthur 134, 150, 176, 184, 342, 373, 374, 375, 376, 424 Schober, Rita 253, 368, 402, 404, 418 Schockenhoff, Andreas 200, 389 Scholderer, Otto 182 Scholl-Latour, Peter 314, 335, 419, 448 Schönberg, Arnold 136, 258, 449 Schöningh, Franz Josef 196 Schöttler, Peter 295 Schröder, Gerhard 47, 85, 86, 91, 108, 188, 279, 366, 389, 408, 443, 453, 476 Schroeder, Conrad 321 Schroeter, Werner 152, 370, 419 Schröffer, Joseph Kardinal 333 Personenregister 515 Schubert, Helga 171 Schuhl, Jean-Jacques 153, 229 Schulin, Ernst 296 Schulte, Hansgerd 77, 78, 128, 180, 181, 302, 345, 382, 422 Schultheis, Franz 137 Schultze, Bernhard 187 Schulze, Hagen 221, 238 Schulze, Ingo 140, 141, 143, 171, 293, 339 Schumacher, Harald 267 Schuman, Robert 43, 44, 50, 144, 146, 239, 364, 397, 447, 465 Schütz, Alfred 432 Schütz, Günter 211 Schütz, Helga 171 Schwab, Werner 185, 375 Schwan, Gesine 95 Schwartzenberger, Xaver 244 Schwarz, Jewgeni 132 Schwarz, Stephan 95 Schwarzer, Alice 151, 262, 263, 408, 423 Schwarzinger, Heinz 141, 376, 424, 461 Schweeger, Elisabeth 138 Schweitzer, Albert 335, 425 Schweitzer, Rhena 425 Schygulla, Hanna 97, 229, 346, 426 Scola, Ettore 426 Sebald, Winfried Georg 141, 143, 250, 386, 391 Seghers, Anna 170, 171, 190, 282, 427 Seghers, Pierre 486 Séguy, Pierre 365 Sell, Maren 119 Sellner, Rudolf 309 Sempé 323 Semprún, Jorge 282, 481 Senghor, Léopold Sédar 396 Sénia, Jean-Marie 426 Serreau, Geneviève 131 Serreau, Jean-Marie 129, 131, 132, 142 Serres, Michel 354 Sévenier, Claude 159 Seydoux, Roger 113 Shakespeare, William 129, 132, 134, 142, 184, 374 Shalev, Esther 272 Sichrovsky, Peter 284 Siclier, Jacques 229 Siebe, Michaela 324 Sieburg, Friedrich 37, 212, 313, 314, 429 Siepe, Hans T. 250 Sigmann, Jean 296 Signoret, Simone 232, 233, 328 Silone, Ignazio 133 Simenon, Georges 117, 153, 378 Simitis, Spiros 95 Simmel, Georg 101, 432 Simon, Claude 250, 434, 455 Simon, Frédéric 150 Simon, Michel 233 Simon, Pierre-Henri 320 Sinassamy, Evelyne 404 Sinclair, Peggy 124 Siné 323 Sitte, Willi 188 Skubiszewski, Krzysztof 96, 477 Sloterdijk, Peter 80 Smolka, Georg 272 Sobel, Bernard 120, 138, 142, 143, 159, 184, 185, 256, 311, 361, 430 Soboczynski, Adam 172 Soboul, Albert 296, 297, 369 Soellner, Hedda 250 Soellner, Rolf 250 Soissons, Quintin von 333 Sollers, Philippe 153 Solti, Georg 118, 119 Sombart, Nicolaus 197 Sontag, Susan 270 Sophokles 132 Soulages, Pierre 187 Soupault, Philippe 314 Soutou, Georges-Henri 202 Soyfer, Jura 375 Späth, Lothar 241 Speer, Julius 145 Spenlé, Jean-Édouard 155, 350 Sperber, Manès 133, 197, 416, 456 Sperr, Martin 185, 342 Spielberg, Steven 429 Spies, Werner 95, 182, 199, 301, 341, 377, 416, 433 Spingler, Andrea 250 Spitzer, Leo 38 Srebnik, Simon 429 Staël, Germaine de 219, 312, 314, 441 Stalin, Josef 132, 188, 327, 471 Stamm, Peter 140 Stangl, Otto 287 Stanisic, Sasa 141 Stark, Hans 164 Stauch, Martin 105 Stavrinaki, Maria 173 Steffen, Hans 291 Stehle, Hansjakob 480 Steiger, André 142, 312 Stein, Peter 134, 185, 186, 256, 281, 282, 312, 341, 374, 410, 439 Steinberg, Saul 324 Stemann, Nicolas 139, 185 Stendhal 242, 249, 251, 266, 369, 370, 402 Stephan, Rüdiger 345 Stern, Carola 424 Stern, Jeanne 427 Stern, Kurt 467 Sternheim, Carl 184 Sternheim, Thea 210 Personenregister 516 Stern-Rubarth, Edgar 39 Sticker, Johannes 470 Stieg, Gerald 248, 302 Stiegler, Bernard 331 Stierle, Karlheinz 443, 462 Stifter, Adalbert 140, 276, 386 Stil, André 251 Stilett, Hans 249 Stirner, Max 227 Stirnweiss, Charles 150 Stock, Franz 332 Stocker, Darja 461 Stockhausen, Karlheinz 363, 447 Stoll, André 325 Stolpe, Manfred 444 Strauß, Botho 127, 134, 159, 185, 256, 312, 342, 349, 440 Strauss, Ernst 175 Strauss, Leo 101 Strauss-Kahn, Dominique 452 Stravinsky, Igor 136 Strehler, Giorgio 142, 159, 281 Streicher, Julius 453 Stresemann, Gustav 39, 164, 192 Strindberg, August 134 Strittmatter, Erwin 171 Strobel, Heinrich 363 Stroesser, Florent 397 Stroux, Karl-Heinz 309 Sturm, Marcel 332 Sucher, C. Bernd 255 Suchomel, Franz 429 Suhrkamp, Peter 342 Sulzer, Alain Claude 140 Süskind, Patrick 140, 349 Süssmuth, Rita 96 Suter, Martin 140 Syberberg, Hans Jürgen 371 Szondi, Peter 311 Szymanovski, Karol 136 Tabori, George 127 Tacitus 441 Tailleur, Jean 170 Tappert, Horst 173, 174 Tarbé de Saint Hardouin, Jean 350 Tardieu, Jean 255, 434 Tasca, Catherine 159 Taszman, Maurice 461 Taubes, Nicole 140, 386 Tautou, Audrey 97 Tavernier, Bertrand 233, 414 Tawada, Yoko 141, 352 Tellkamp, Uwe 171 Terray, Emmanuel 158, 258 Testud, Sylvie 162, 233 Teufel, Erwin 80 Thadden, Elisabeth von 453 Thadden, Rudolf von 292, 409, 443, 452 Thalheimer, Michael 139 Thalmann, Alfred 453 Thalmann, Rita 453 Tharradin, Lucien 437 Théas, Pierre-Marie 333 Thieberger, Richard 171 Thomas (Apostel) 360 Thomas, Henri 320 Thorez, Maurice 392, 490 Thouard, Denis 173 Tieck, Ludwig 355 Tillich, Paul 395 Toepfer, Alfred 279, 448 Tonnelat, Ernest 224 Tönnies, Ferdinand 431 Tophoven, Elmar 124, 249, 345, 455 Tophoven, Erika 95, 124 Topor, Roland 323 Toubon, Jacques 199 Touraine, Alain 432, 433 Tournier, Michel 176, 199, 233, 251, 414, 456 Toussaint, Jean-Philippe 249, 257, 258 Trautmann, Matthieu 258 Traxler, Hans 323 Treeck, Christian van 248 Tremblay, Larry 424 Trintignant, Jean-Louis 233, 284 Trintzius, Réne 257 Triolet, Elsa 467 Trolle, Lothar 120, 312, 461 Troller, Georg Stefan 198, 301, 314, 458 Trotta, Margarethe von 130, 368, 414, 426 Truffaut, François 233, 244, 294, 372 Tschinag, Galsan 120 Tübke, Werner 188 Tucholsky, Kurt 140, 314 Turrini, Peter 375 Uderzo, Albert 106, 107 Ulbricht, Walter 64, 112, 167, 348 Ulenspiegel, Till 328 Umlauf, Joachim 234, 291, 345, 386 Ungar, Hermann 375 Ungerer, Tomi 95, 198, 323, 324, 463 Unruh, Fritz von 36 Unseld, Siegfried 342, 355 Urzidil, Franz 375 Uterwedde, Henrik 161 Vadim, Roger 233 Vago, Pierre 308 Vaillant, Jérôme 77, 165 Valente, Caterina 420 Valentin, Antonina 130 Valentin, Jean-Marie 77, 202, 224, 343, 465 Valentin, Karl 185, 312 Valentin, Paul 247 Personenregister 517 Valéry, Paul 330, 379, 415 Vallotton, Félix 325 Vanderbeeke, Birgit 210 Vanoosthuyse, Michel 246 Varda, Agnès 233, 424 Védrine, Hubert 59, 476 Veiel, Andres 352 Veil, Simone 198 Veit, Patrice 158 Ventura, Lino 244 Vercors (Jean Bruller) 165, 251, 320, 466 Verlaine, Paul 285 Vermeil, Edmond 97, 155, 196, 197, 215, 244, 276, 279, 315, 405, 456, 472 Vernet, Daniel 198, 314, 473 Verschuer, Leopold von 460 Vesters, Michael 136 Vian, Boris 292, 318 Viénot, Pierre 37, 40, 131 Viëtor, Karl 403 Vilar, Jean 75, 129, 142, 184, 342, 430, 481 Villégier, Jean-Marie 312 Vinaver, Michel 143, 256, 460 Vincent, Jean-Pierre 120, 142, 143, 159, 184, 185, 256, 312, 356, 440, 455 Violette, Gérard 122 Virilio, Paul 354 Visconti, Lucchino 417 Vitez, Antoine 138, 143, 410 Vitrac, Roger 255 Voigt, Fritz-Georg 402 Voigt, Wolfgang 308 Voisin, Robert 121, 142, 170, 184, 342, 361, 455, 482 Vollmöller, Karl 403 Voltaire 95, 96, 113, 148, 205, 251, 270, 295, 330, 351, 402 Voß, Jürgen 237 Vossler, Karl 329, 334, 400, 403 Wader, Hannes 365 Waechter, Friedrich Karl 323 Waechter, Matthias 200 Wagner, Nike 95 Wagner, Richard 38, 119, 135, 136, 222, 363 Wahl, Adalbert 411 Wahl, Jean 197 Waits, Tom 346 Wajda, Andrzej 426 Wajsbrot, Cécile 257, 258, 259 Waldenfels, Bernhard 380 Waldheim, Kurt 283, 375 Waller, Hellmut 456, 457 Walser, Martin 141, 184, 286, 375 Walser, Robert 141 Waltz, Sasha 374, 410 Warning, Rainer 443 Wartburg, Walther von 402 Wassermann, Jakob 130 Weber, Hermann 182 Weber, Max 101, 386, 431, 432 Webern, Anton 136 Wechssler, Eduard 329 Weckmann, André 463, 476 Wedekind, Frank 138, 139, 159, 184, 424 Weigand, Frank 460 Weigel, Helene 129, 132, 142, 430 Weill, Kurt 346 Weinbrenner, Friedrich 308 Weinrich, Harald 462, 479 Weisenborn, Günther 197, 486 Weisenfeld, Ernst 480 Weiskopf, Franz Carl 171 Weiß, Christina 95 Weiss, Ernst 375 Weiss, Louise 270 Weiss, Peter 117, 120, 121, 185, 211, 272, 342, 481 Weizsäcker, Richard von 95, 472 Welles, Orson 417 Wenders, Wim 95, 130, 229, 258, 283, 340, 370, 371, 373, 420, 482 Wenzel, Jean-Pierre 256 Wepper, Fritz 173 Werfel, Franz 176, 375 Werle, Simon 378 Werner, Karl Ferdinand 183, 237, 296, 483 Werner, Michael 71, 77, 79, 189, 244, 246, 487 Werner, Oskar 233 Westheim, Paul 182 Weyergans, François 249 Wheeler, René 328 Wiazemski, Anne 257, 258 Wickert, Erwin 485 Wickert, Ulrich 95, 198, 313, 314, 473, 485 Widmer, Urs 119, 141 Widor, Charles-Marie 425 Wiechert, Ernst 99 Wiens, Paul 170 Wiese, Leopold von 431 Wiesler, Hermann 182 Wilde, Oscar 353 Willem 323 Willms, Johannes 95, 314 Wilms, André 455 Wilson, Bob 340, 362 Wilson, Georges 142, 184 Wingler, Hans Maria 182 Winkler, Angela 282, 346 Winkler, Heinrich August 95 Winkler, Josef 141, 270, 271, 375, 376 Winkler, Ron 352 Wintzen, René 197, 455, 456, 486 Wismann, Heinz 486 Wiss-Verdier, Antoine 198 Witte, Bernd 302 Personenregister 518 Witteck, Bernhard 275 Witteler, Rolf 365 Wittgenstein, Ludwig 375, 395 Wittig, Monique 263, 455 Woelk, Ulrich 141 Wolf, Christa 119, 120, 140, 141, 166, 170, 171, 293, 339, 457 Wolfgruber, Gernot 375 Wols 187 Wondratschek, Wolf 153 Woolf, Virginia 265 Wowereit, Klaus 392 Wuilmart, Françoise 141 Wurmser, André 251, 427 Wuttke, Martin 362 Wyneken, Gustav 334 Yersin, Claude 185 Yourcenar, Marguerite 250 Zadek, Peter 256, 346 Zaimoglu, Feridun 140 Zecchi, Carlo 118 Zegree, Stephen 397 Zehetbauer, Rolf 244 Zemb, Jean-Marie 247, 302, 479, 487 Ziebura, Gilbert 219, 240, 382, 448, 488 Ziegler, Volker 308 Ziewer, Christian 371 Zimmermann, Bénédicte 79 Zischler, Hanns 95, 353 Zola, Émile 251, 351, 402, 418 Zorn, Edith 67, 411, 471, 490 Zorn, Fritz 141 Zorn, Heinz 490 Zschokke, Heinrich 141 Zuckmayer, Carl 477 Zürn, Unica 126, 210 Zweig, Stefan 38, 99, 140, 176, 265, 375, 376 Zwetajewa, Marina 259, 282 Sachregister 20 minutes 450, 451 À Cœur joie 138 AbiBac 56, 95, 193, 194, 421, 422, 437 Absurdes Theater 252, 310, 400 Abteilung Éducation publique 202 Academia Chigiana 118 Académie de Berlin 95, 414, 485 Académie de la chanson française 354 Académie de Paris 278 Académie de Strasbourg 79 Académie des inscriptions et belles-lettres 484 Académie des sciences morales et politiques 443, 488 Académie française 128, 309, 412, 457, 479 Académie Goncourt 457 Actes de la recherche en sciences sociales 136 Actes Sud-Papiers 424, 460 Acteurs franco-allemands pour l’Europe (Rhône-Alpes) 230 Action poétique 339 Action-Theater 152, 426 Adam-Mickiewicz-Institut 96 Adam-Mickiewicz-Preis 96 Adam-Mickiewicz-Universität Posen 96 Adenauer-de Gaulle-Preis 96, 322, 366 AFAAP-Journal 105 Afrikazentrum 241 AG Franz-Biling 261 AG Rom 399 Agence de librairie française et étrangère 174, 175 Agence europe éducation formation france 209 Agence France-Presse 300, 451 Agence nationale de la recherche (ANR) 99, 458 Agenda 2020 195 Agone 140 Agrégation 101, 115, 136, 150, 154, 177, 179, 215, 238, 239, 245, 246, 247, 279, 280, 343, 345, 349, 350, 393, 394, 407, 417 Akademie der Künste Berlin 124, 293, 294, 350 Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik 457 Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) 368 Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz 213, 355 Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt 169 Akademischer Auslandsdienst 25 Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. 333, 471, 472, 475 Aktionsrat für die Befreiung der Frau 262 Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. 95, 149, 355, 447, 448 Alinéa 170, 339 All contents 377 Allemagne 280 Allemagne d’aujourd’hui 97, 147, 160, 171, 245, 276, 350, 355, 407 Allert de Lange 175 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst 348 Alliance française 25, 114 Alliierte Hohe Kommission 97 Ambassade de France auprès de la RDA 154 Ammann Verlag 277 André-Gide-Preis 98, 372, 390 Annales 264 Annuaires 105 ANR-DFG-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften 99, 123, 387 Antiteater 152, 426 Apollinaire-Preis 99 Arbeitsgemeinschaft der Frankreich-Zentren 241 Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland 231 Arbeitsgemeinschaft romanistischer Fachverbände 399 Arbeitskreis der privaten Institutionen für internationale Begegnung und Bildungsarbeit 100, 151, 412 Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten 273 Arbeitskreis Deutsch-Französischer Gesellschaften (AK) 100, 317, 335, 469 Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 403 ARD 57, 102, 232, 300, 419, 485 Argos-Film 368 Argument-Verlag 369 Ariane-Filmgesellschaft 328 Armée secrète 350 Ars Industrialis 331 Art Press 120 ARTE 57, 58, 102, 135, 139, 198, 209, 229, 232, 322, 341, 349, 359, 362, 370, 392, 414, 416, 472 Artemis Verlag 237 ArtTransForm 182 Assemblée nationale 105, 200, 205, 417 Sachregister 520 Assises de la traduction littéraire 456 Association artistique et théâtrale de l’est Mosellan 150 Association de développement de l’enseignement de l’allemand en France 437 Association des écrivains bernois 437 Association des films et leurs sites 449 Association des germanistes de l’enseignement supérieur (AGES) 104, 106, 245, 279, 355, 387 Association des journalistes européens (AJE) 270 Association des nouveaux cahiers d’allemand 106 Association des parents d’élèves des jardins d’enfants franco-allemands (AJEFA) 421 Association des professeurs de langues vivantes (APLV) 106 Association européenne des enseignants (AEDE) 151 Association française d’action artistique (AFAA) 113, 114 Association française d’expansion et d’échanges artistiques 113 Association française des amis d’Albert Schweitzer 426 Association franc-comtoise de culture 151 Association France-RDA 170 Association franco-allemande des assistants parlementaires e.V. (AFAAP) 105 Association internationale d’études occitanes (AIEO) 398 Association internationale de littérature comparée 418 Association Lehrer 437 Association pour la connaissance de l’Allemagne d’aujourd’hui (ACAA) 97 Association pour la coopération franco-allemande culturelle et pédagogique 149 Association pour la diffusion de la pensée française (ADPF) 114 Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) 104, 106 Asterix 106 Atelier Ludwigsburg-Paris 189 Au pont de l’Europe 175 Aufbau-Verlag 251, 353, 457, 467 Au-Pair-Mädchen 426 Auslands- und Dolmetscherinstitut Germersheim 349 Außenministerium 131, 205, 317, 350 Außerparlamentarische Opposition (APO) 163 Austriaca 376 Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik 25, 54, 69, 107, 112, 180, 269, 301 Auswärtige Kulturpolitik der DDR 66, 110, 116, 155, 190, 327 Auswärtige Kulturpolitik Frankreichs 53, 112, 306 Auswärtiges Amt (AA) 36, 107, 108, 109, 113, 114, 164, 195, 199, 203, 204, 206, 209, 235, 236, 275, 276, 289, 290, 316, 336, 387, 430, 444, 456 Autorenfilm 130, 419 Ballet du XX e siècle 122 Ballistisches Institut der Technischen Akademie der Luftwaffe 200 Bärmeier & Nikel 323 Bauhaus 125, 377 Bayerische Akademie der Schönen Künste 288, 309, 434 Bayerische Rektorenkonferenz 128 Bayerischer Rundfunk (BR) 300, 301, 406 Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst 123 Bayerisches Staatsschauspiel 461 Bayerisch-Französisches Hochschulzentrum (BFHZ) 123 Bayreuther Festspiele 136, 159, 363 BBC 136, 280, 300 Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien 188, 242, 444 Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit 97, 204 Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 490 Beiträge zur romanischen Philologie 402, 404 Belles Etrangères 177 Berater 127 Berlinale 130, 233, 373, 420, 426 Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 111, 369 Berlin-Brandenburgisches Institut für deutschfranzösische Zusammenarbeit in Europa (Genshagen) 409, 453, 487 Berliner Ensemble (BE) 66, 120, 129, 132, 142, 186, 312, 340, 341, 342, 362, 374, 410, 430, 431 Berliner Festwochen 124, 256 Berliner Künstlerprogramm des DAAD 294, 311, 447 Berliner Philharmoniker 363 Berliner Schule - Nouvelle vague allemande 59, 130, 371, 373 Berliner Senat 158 Berliner Staatsbibliothek 38 Berliner Staatsoper 119 Berliner Tageblatt 217, 314 Berliner Theatertreffen 293 Bermann-Fischer Verlag 175 Bibliotheca Hertziana Rom 181 Sachregister 521 Bibliothèque allemande 462 Bibliothèque de documentation internationale contemporaine (BDIC) 393 Bibliothèque de la Pléiade 319 Bibliothèque Maurice Cahen 223 Bibliothèque nationale de France (BNF) 265, 287 Biederstein Verlag 353 Biennale in Venedig 272, 287 Bildende Kunst 188 Blaesheim-Treffen 193 Bloomsbury Publishing 250 Bobino (Theater und Konzerthaus, Paris) 354 Bochumer Schauspielhaus 340 Bologna Center 281 Bologna-Prozess 195, 274 Börsenverein des Deutschen Buchhandels 108, 249 Bosch AG 40 Bravo 318 BRD-Literatur in Frankreich 139 Bremer Literaturpreis 278 Brigade Alsace-Lorraine 135 Brigitte-Sauzay - Programm 409 British Council 25, 108 Brucknerfest Linz 136 Bruno-Kreisky-Preis 219 Brüsseler Oper 359, 360 Bucher Verlag 327 Bund entschiedener Schulreformer (BeS) 35 Bund Neues Vaterland (BNV) 35 Bundesarbeitsgemeinschaft Französisch e.V. 261 Bundeskunsthalle Bonn 272 Bundesministerium des Inneren 183 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 158, 181, 183 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 205, 263 Bundesverdienstkreuz 138, 145, 234, 239, 278, 294, 322, 352, 397, 434, 487, 488 Bundeswehr 201 Bundeswettbewerb Fremdsprachen 261 Bundeszentrale für politische Bildung 489 Bündnis 90/ Die Grünen 163, 264 Bureau de coopération universitaire 123 Bureau de l’édition et des lettres 97 Bureau de la création artistique - théâtre et danse 460, 461 Bureau des écoles et des œuvres françaises à l’étranger 113 Bureau des lettres 213 Bureau du CNRS en Allemagne 145 Bureau export de la musique française 364 Bureau international de liaison et de documentation (BILD) 55, 78, 138, 146, 197, 214, 272, 273, 316, 333, 345, 397, 406, 473 Büro für Kulturzentren 155 Cahiers du cinéma 229, 370, 371 Calligrammes 176, 177 Campus France 115, 463 Can 447 Canal+ 323 Canard enchaîné 323 Candide-Preis 148 CAPES 179, 276, 345 Capricci Éditions 370 Caricatura 323, 324 Carl Hanser Verlag 249 Carl-Duisberg-Gesellschaft 101 Carlo-Schmid-Preis 416, 434 Carlo-Schmid-Stiftung 416 Carolus-Magnus-Kreis (CMK) 149 Cassiodor 406 Central Intelligence Agency (CIA) 133 Centre allemand de recherches historiques 296 Centre culturel de Cérisy-la-Salle 290 Centre culturel français 209 Centre culturel français (Berlin/ DDR) 68, 112, 154, 306 Centre culturel franco-allemand 446 Centre culturel suisse 177 Centre d’action culturelle et pédagogique de Spire 137 Centre d’études culturelles, économiques et sociales (CECES) 146, 214, 316, 397 Centre d’études de politique étrangère 164 Centre d’études et de recherches autrichiennes 247 Centre d’études européennes 161 Centre d’études françaises Tübingen 160 Centre d’études germaniques, Strasbourg (CEG) 38, 155, 202, 350, 393, 394 Centre d’études juridiques françaises 465 Centre d’études supérieures de Hombourg 464 Centre d’information cinématographique de l’Institut français à Munich (CICIM) 232 Centre d’information et de documentation de l'ambassade d'Allemagne (CIDAL) 324 Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) 57, 156, 157, 161, 203, 345, 383, 388, 391, 447 Centre de chant choral de la communauté française de Belgique 397 Sachregister 522 Centre de recherches interdisciplinaires sur l’Allemagne (CRIA) 487 Centre de ressources pour les pratiques vocales en Lorraine/ Mission de voix lorraine 397 Centre de sociologie européenne (CSE) 136 Centre dramatique de l’Est (CDE) 454, 455 Centre dramatique de Toulouse 184 Centre dramatique national (CDN) 138 Centre européen pour les langues vivantes (CELV) 436 Centre français de recherche en sciences sociales (CEFRES) 158 Centre franco-allemand 234 Centre franco-allemand de Provence 234 Centre franco-allemand de recherches en sciences sociales 158 Centre franco-allemand Nantes 234, 235 Centre Georges Pompidou 120, 177, 247, 266, 272, 331, 370, 371, 375, 377, 420, 434 Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (CIERA) 128, 156, 157, 246, 273, 345, 458 Centre international d’études pédagogiques 344 Centre international de l’illustration 463 Centre juridique franco-allemand (CJFA) 465 Centre Marc Bloch (CMB) 57, 58, 78, 156, 158, 238, 297, 303, 458 Centre mondial de la paix 413 Centre national de la recherche scientifique (CNRS) 57, 114, 145, 146, 154, 155, 156, 158, 233, 263, 269, 279, 297, 303, 387, 388, 391, 394, 457, 485 Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) 188, 189, 327 Centre national du livre 119, 148, 171, 177, 463 Centre national pour le développement de l’information (CDNI) 450 Centre universitaire international de formation et de recherche dramatiques (CUIFER) 312 Centres culturels 275 Cercle du cinéma 217 Cercle Heinrich Heine 216 Cercle Volney 187 César du cinéma 244, 418 Chantiers de jeunesse 396 Chapelle de la Salpêtrière 326 Charlie Hebdo 323 Charta Saar-Lor-Lux-Trier/ Westpfalz 464, 465 Charte de coopération universitaire Saar-Lor-Lux 242, 465 Chevalier de l’ordre des arts et des lettres 153, 294 Chevalier de l’ordre des palmes académiques 487 Chevalier de la légion d’honneur 294 Chloé 358 Christ und Welt 286 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 138, 264, 288, 335, 453 Cinéfête 261 Cinéma du Réel 370 Cinémathèque française 217, 331, 370, 482 CIRAC-Forum. Bulletin pour la coopération francoallemande dans les sciences humaines et sociales 157, 161, 383 Cité de la musique 447 Cité internationale de la bande dessinée et de l’image 324 Cité internationale des arts Paris (CIA) 311 Cité internationale universitaire de Paris 235, 239, 288, 290, 291 Classes bilangues 437 Classes bilingues 437 Club ParisBerlin 377 Club Strasbourg-Straßburger Kreis 448 Clubs Convaincre 295 Collège de ‘Pataphysique 292 Collège de France 96, 128, 136, 137, 247, 326, 355, 371, 395, 443, 479, 488 Collège international de la traduction littéraire 456 Collegium Budapest 158 Columbia University 459 Combat 280 Comédie de Caen 185, 229 Comédie de Genève 132 Comédie de Saint-Étienne (CDN) 127, 185 Comédie du Livre 141 Comédie-Française 132, 139, 143, 184, 255, 283, 342, 376, 461 Comenius 261, 437 Comité Allemagne Libre pour l’Ouest/ Komitee Freies Deutschland für den Westen (CALPO) 490 Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa) 164, 389, 447 Comité d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale (CHDGM) 393 Comité de coordination des associations d’échanges internationaux 100, 138 Comité de jumelage et d’échanges internationaux 151 Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle 55, 151, 164, 203, 228, 280, 316, 333, 361, 412, 467, 473 Comité français de la Libération nationale 262 Comité France-Allemagne (CFA) 39 Comité national des écrivains 467 Sachregister 523 Comité pour la solution pacifique du problème allemand 353 Comité pour les relations nationales et internationales des associations de jeunesse et d’éducation populaire 147 Commandeur de l’ordre des arts et des lettres 122, 153, 219, 284, 447 Commandeur de l’ordre des palmes académiques 99 Commandeur de l’ordre national du mérite 434 Commedia dell’arte 356 Commentaire 298 Commission franco-allemande 301 Compagnie des Compteurs 230 Comparativ 292 Concours des jeunes compagnies 159 Conférence des grandes écoles 191 Conférence des présidents d’universités (CPU) 196 Conférence Laennec 396 Conférences de l’académie royale de peinture et sculpture 182 Connaissance de la RDA 116, 165, 171 Conseil économique et social des communautés européennes 138 Conseil général des Hauts-de-Seine 386 Conseil national de l’éducation populaire et de la jeunesse 147 Conseil national du patronat français (CNPF) 138 Conservatoire de musique d’Esch-sur-Alzette 406 Conservatoire de musique de Luxembourg 406 Conservatoire du Nord Diekirch/ Ettelbruck 406 Conservatoire national de Région, Metz 406 Conservatoire national de Région, Nancy 406 Conservatoire royal Liège 406 Convention théâtrale européenne 462 Courrier international 323 Critique 352 CulturesFrance 113, 114 Cusanuswerk 128 Cyberlangues 106 DAAD-Außenstelle 180, 181, 203, 344, 345, 382, 423 DALF-Diplom 261 Das Argument 369 Das Kunstwerk 186 DDR-Botschaft in Paris 169 DDR-Kulturpolitik 169 DDR-Kulturzentrum Paris (KUZ) 68, 112, 169, 170 DDR-Literatur in Frankreich 66, 140, 166, 169, 339 DDR-Revue 190, 392 DDR-Volkskammer 329 De l’Allemagne (Germaine de Staël) 219, 312 De l'Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann 171, 182, 326 Décades de Pontigny 40, 166, 228 Décentralisation culturelle 183, 454, 455 Décentralisation théâtrale 184 Dekonstruktivismus 378 Délégation générale à la langue française et aux langues de France 436, 457 DELF-Diplom 261 Demokratischer Frauenbund 264 Der Spiegel 134, 152, 417 Der Stürmer 453 Derrick 173 Deutsch-arabische Gesellschaft 419 Deutsche Akademie 25, 275 Deutsche Akademie der Wissenschaften der DDR 329, 334, 402, 418 Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt 278, 344, 349, 355, 434, 466 Deutsche Bibliothek 170 Deutsche Botschaft 182, 324 Deutsche Buchhandlungen in Paris 119, 141, 170, 174 Deutsche Dante-Gesellschaft 398 Deutsche Film AG (DEFA) 327, 328, 368 Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 99, 145, 146, 262, 388, 396, 458 Deutsche Freiheitsbibliothek 36, 39, 175 Deutsche Friedens-Union 228 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) 388 Deutsche Gesellschaft für Fotografie e.V. 266 Deutsche Hochschule für Politik 382 Deutsche Künstler-Agentur GmbH Berlin 111 Deutsche Liga für Menschenrechte (DLM) 35 Deutsche Schule Paris 421 Deutsche Sprache in Frankreich 178 Deutsche Welle 108, 301 Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) 38, 39, 69, 78, 108, 128, 157, 180, 203, 208, 235, 241, 257, 273, 290, 291, 302, 311, 343, 344, 345, 381, 382, 387, 388, 407, 423, 436, 458, 462, 488 Deutscher Balkanromanistenverband 398 Deutscher Botschafter in Paris 290 Deutscher Buchpreis 141 Deutscher Bundesjugendring 316 Deutscher Bundestag 96, 105, 200, 205, 218, 262, 367, 398, 471 Deutscher Filmpreis 284 Deutscher Frauenrat 262 Deutscher Hispanistenverband 398, 400 Sachregister 524 Deutscher Italianistenverband 398, 400 Deutscher Katalanistenverband 398 Deutscher Literaturfonds in Darmstadt 386 Deutscher Lusitanistenverband 398 Deutscher Musikrat 108 Deutscher Romanistentag 398 Deutscher Romanistenverband 241, 398, 399, 400 Deutsches Architekturmuseum (DAM) 308 Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK) 181, 183, 188, 458 Deutsches Historisches Institut Paris (DHI) 54, 69, 78, 158, 181, 182, 189, 221, 225, 237, 290, 291, 296, 303, 393, 458, 483, 484, 485 Deutsches Institut Paris 39, 175 Deutsches Kunstforum 78, 290 Deutsches Theater 132, 374 Deutsches Theater in Frankreich 129, 132, 134, 139, 162, 170, 183, 229, 256, 283, 340, 346, 371, 376, 481 Deutsch-französische Agenda 2020 242 Deutsch-französische Beziehungen im Bereich der bildenden Künste 54, 186, 311, 446 Deutsch-Französische Filmakademie 57, 188, 409 Deutsch-Französische Forschungskooperation 191 Deutsch-Französische Geschichte 189, 297 Deutsch-Französische Gesellschaft (DFG) 35, 37, 39, 149, 202, 212, 228, 335, 469, 470 Deutsch-Französische Gesellschaft der DDR (Deufra) 66, 111, 167, 168, 169, 190, 192, 348, 475 Deutsch-Französische Gesellschaft für Wissenschaft und Technologie (DFGWT) 57, 190, 269, 388 Deutsch-Französische Gesellschaften (DFG) 190, 191, 317, 335, 371, 469, 475 Deutsch-französische Gipfeltreffen 95, 192, 204 Deutsch-Französische Gruppe e.V. 37 Deutsch-Französische Gymnasien 56, 95, 160, 194, 421, 436 Deutsch-Französische Häuser 392 Deutsch-Französische Hochschule (DFH) 57, 58, 149, 181, 193, 195, 196, 199, 202, 209, 241, 345, 383, 392, 423, 436, 466 Deutsch-französische Hochschulkommission 128 Deutsch-Französische Hörfunkkommission 300 Deutsch-Französische Kulturbibliothek 241 Deutsch-Französische Kulturkommission 239 Deutsch-Französische Monatshefte 404 Deutsch-Französische Rektorenkonferenz 55, 195 Deutsch-Französische Rundschau (DFR) 37, 403 Deutsch-französische Schriftstellertreffen 196, 214, 361, 397, 456, 486 Deutsch-französische Schulbuchgespräche 208, 215 Deutsch-Französische Union/ Union Franco-Allemande (CDFU/ UFA) 36 Deutsch-Französische Wirtschaftskorrespondenz 35 Deutsch-französischer Bruderrat 332 Deutsch-französischer Gipfel 201 Deutsch-Französischer Journalistenpreis 198, 301, 313, 481 Deutsch-französischer Kulturausschuss 207 Deutsch-französischer Kulturgipfel 199 Deutsch-Französischer Kulturrat 57, 121, 127, 199, 278, 293, 311, 321, 374, 414, 446, 457, 466 Deutsch-Französischer Parlamentspreis 200 Deutsch-Französischer Rundfunkrat 231 Deutsch-Französischer Tag 218 Deutsch-französischer Übersetzerpreis der Stadt Baden-Baden 416 Deutsch-Französischer Vertrag 468 Deutsch-französisches Filmtreffen 189 Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint- Louis 200 Deutsch-Französisches Forum 195 Deutsch-französisches Historikerkomitee 161, 201 Deutsch-Französisches Hochschulinstitut für Technik und Wirtschaft (DFHI) 202 Deutsch-Französisches Hochschulkolleg (DFHK) 181, 195, 241, 466 Deutsch-Französisches Institut der Stadt Köln 38 Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (DFI) 55, 78, 80, 100, 149, 202, 235, 240, 316, 345, 381, 382, 383, 404, 411, 412, 415, 453, 473, 487, 489 Deutsch-Französisches Internetportal 204 Deutsch-Französisches Jugendparlament 208 Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) 56, 60, 64, 71, 78, 97, 100, 108, 120, 138, 147, 160, 198, 199, 204, 208, 209, 218, 235, 236, 273, 278, 301, 302, 315, 317, 345, 359, 392, 394, 406, 409, 416, 436, 437, 439, 472, 475, 489 Deutsch-Französisches Komitee für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts e.V. 296 Deutsch-Französisches Kulturabkommen 54, 55, 100, 206, 218, 231, 288, 306, 317 Deutsch-französisches Schulgeschichtsbuch 60, 183, 189, 207, 215, 221, 223, 230, 297, 393, 397, 453 Deutsch-Französisches Studienkomitee 40 Deutschland - Frankreich 404 Deutschland-Frankreich-Preis 147 Deutschlandradio 198 Sachregister 525 DeutschMobil - FranceMobil 97, 208, 209, 235, 392 Deutschsprachige Schriftsteller in Frankreich 153, 209 Dfi-aktuell 203 DIALOG 460 Dialogiques 157 Die Kritik 217 Die Neueren Sprachen 403, 404 DIE WELT 133, 417, 480 DIE ZEIT 117, 286, 480 Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt 206 Diogenes Verlag 323 Direct 451 Directeur général des affaires culturelles 206 Direction de l’éducation publique 186, 315 Direction générale de l’action culturelle et technique 113 Direction générale de la mondialisation, du développement et des partenariats 114 Direction générale des affaires culturelles (DGAC) 113, 186, 317 Division des politiques linguistiques 436 Documenta 187, 266, 272, 287, 434 Dokumentartheater 481, 482 Dokumente 120, 137, 146, 147, 160, 166, 196, 197, 214, 240, 273, 316, 333, 396, 406, 470, 473, 480, 486, 489 Domaine Musical 136 Dominikanerhochschule Le Saulchoir 488 Donaueschinger Musiktage 135, 348, 363 Dossiers de l’action populaire 214, 396 Droit de réponse 323 Düsseldorfer Schauspielhaus 482 Düsseldorfer Schulabkommen 207, 468 DVA-Stiftung 371, 457, 461, 487 Échanges franco-allemands (EFA) 66, 112, 116, 151, 152, 170, 190, 216, 392, 438 École alsacienne 294, 472 École d’agriculture de Grignon 423 École de Lille 486 École de Paris 186, 187 École des hautes études en sciences sociales (EHESS) 157, 189, 292, 321, 453, 487 École municipale des arts décoratifs 463 École nationale d’administration (ENA) 128, 382, 406 École nationale d’architecture de Strasbourg 308 École normale supérieure Lyon (ENS Lyon) 157 École normale supérieure Paris (ENS) 101, 127, 130, 136, 138, 154, 157, 168, 211, 238, 239, 279, 294, 331, 343, 349, 350, 354, 371, 378, 423, 456 École pratique des auteurs de théâtre (EPAT) 462 École pratique des hautes études Paris (EPHE) 291, 292, 484 École Sainte-Geneviève („Ginette“) Versailles 396, 397 École supérieure d’interprètes et de traducteurs (ESIT) 349 École supérieure de biotechnologie 225 Economica 463 Édition de la maison des sciences de l’homme 462 Éditions Albin Michel 197 Éditions Armand Colin 394 Éditions Bartillat 139 Éditions Belin 463 Éditions Calmann-Lévy 197 Éditions Cercle de la librairie 169 Éditions Christian Bourgois 140 Éditions Circé 140 Éditions de Minuit 361 Éditions des femmes 263 Éditions du Cerf 463, 487 Éditions du Seuil 140, 170, 197, 277, 482, 486 Éditions Fayard 140 Éditions Flammarion 139, 349 Éditions Gallimard 120, 130, 139, 140, 153, 168, 197, 221, 282, 331, 342, 344, 349, 394, 434, 456, 463 Éditions Grasset 140 Éditions Klincksieck 224 Éditions La nuée bleue 120, 177 Éditions les Escales 141 Éditions Les Solitaires Intempestifs 460 Editions Martin Flinker 176 Éditions Métailié 120, 141, 170 Éditions Nathan 207 Éditions P.O.L 331 Éditions Plon 197, 456 Éditions Stock 141 Éditions THEATRALES 139, 424, 460, 461 Éditions Tristram 141 Éditions Verdier 141 Éditions Vrin 463 Éditions Zoé 141 Egide 387 Ehrenlegion 486 Elsie-Kühn-Leitz-Preis 335, 434 Élysée-Vertrag 45, 54, 56, 58, 60, 62, 85, 87, 96, 97, 107, 109, 128, 145, 147, 168, 190, 192, 193, 194, 200, 204, 207, 210, 217, 231, 235, 278, 279, 300, 303, 305, 317, 324, 335, 364, 366, 383, 389, 421, 422, 438, 441, 444, 453, 475, 478 EMMA 262, 424 ENA-Programm 78 Sachregister 526 Ensemble intercontemporain 136, 447 Ensemble théâtral de Gennevilliers (ETG) 142, 185, 361, 430, 431 Episches Theater 129, 481 Équipe interdisciplinaire de recherches sur l’image satirique (EIRIS) 324 Erasmus-Programm 181, 437 Erbfeindschaft 29, 49, 53, 55, 75, 107, 146, 189, 219, 225, 332, 393, 415, 416, 438, 440, 442, 463, 471 Erinnerungsorte 221, 238, 297 Ernst Klett Verlag 207, 209, 212 Erziehungsministerium 158, 317 Esprit 196, 280, 405 Est Bourgogne Rhône-Alpes (EBRA) 450 Étoile de cristal de l’Académie 418 Études danubiennes 248 Études germaniques 168, 223, 244, 343, 466 Eugen-Helmlé-Preis 120, 293, 344 Eulenspiegel 325 EuroComRom 437 EuroGr@mm 247 Eurokorps 193 Europa Cantat 138 Europa-Institut 98, 465 Europäische Kommission 264, 294, 437 Europäische Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) 224, 241 Europäische Revue 40 Europäische Theaterkonvention - Convention théâtrale européenne 127 Europäische Union (EU) 123, 273, 461, 464, 478, 479 Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 201, 213, 325, 437 Europäischer Filmpreis 284 Europäischer Kulturbund 40 Europäischer Zollverein (EZV) 39 Europäisches Jugendtreffen 316, 359 Europäisches Sprachenportfolio 436 Europäisches Sprachensiegel 209, 392 Europakolleg Brügge 382 Europapreis 147, 447 Europarat 264, 415, 436 Europarat für Jugend und Erziehung 463 Europe 120, 339, 340 European Center for Modern Languages Graz 436 European Incoherent Scatter Facility (EISCAT) 145 European Research Council 182 European Union National Instituts for Culture (EUNIC) 109, 115 Eurovision 231 Evangelisch-theologische Fakultät Université de Strasbourg 425 Existentialismus 38, 147, 226, 249, 250, 251, 253, 254, 290, 320, 380, 400, 407 Express 325 Expressionismus 217, 377 Falken-Verlag 316 Fauvismus 377 Fédération des associations franco-allemandes pour l’Europe (FAFA) 59, 60, 230, 317, 469 Fédération des chorales franco-allemandes 230 Fédération des maisons franco-allemandes 59 Fédération internationale des jeunes chorales 138 Fédération interrégionale pour le livre et la lecture (FILL) 451 Fédération nationale des combattants prisonniers de guerre 475 Fédération nationale des déportés internés résistants patriotes 475 Feministisches Interdisziplinäres Forschungsinstitut (FIF) 263 Fémis (École nationale supérieure des métiers de l'image et du son) 189 Femme actuelle 385 Fernsehen 230 Fernuniversität Hagen 382 Festival d’Automne 134, 162, 229, 281, 341, 362, 370, 440 Festival d’Avignon 75, 138, 184, 185, 229, 312, 341, 342, 356, 362, 374, 410, 462, 482 Festival de Cannes 130, 229, 243, 283, 284, 322, 367, 373, 414, 420, 426, 470, 483 Festival de Nancy 122, 159, 162, 340 Festival du film de Locarno 373 Festival du film francophone 232 Festival international d’art dramatique 129, 142 Festival international de films de femmes 232 Festival La Mousson d’été 462 Festival Les Européennes 462 Festival Lettres d’Europe et d’ailleurs Aix-en-Provence 120 Festival M@rs attaque 150 Festival Perspectives 150 Festival Primeurs 150 Festival Traits d’Union 461 Fête de la musique 341 Film 229, 232, 410 Filmakademie Baden-Württemberg 189 Filmförderungsanstalt (FFA) 189 Filmkritik 483 Sachregister 527 Filmkurier 217 Filmverlag der Autoren 483 Finanzministerium 205 Flandern Festival 359 Föderation deutsch-französischer Häuser 208, 234, 235, 439 Folkwang Museum 187 Folkwangschule (Folkwanguniversität der Künste) 122 Fondation Beaumarchais 461 Fondation Maison des sciences de l’homme Paris (FMSH) 157, 388, 446, 457, 462, 463 Fondation Pierre Bergé-Yves Saint Laurent 266 Fonds de coopération de la jeunesse et de l’éducation populaire 147 Fonds national de la recherche scientifique (FNRS) 320 Fonds zur Förderung von Kulturprojekten in Drittstaaten 218 Forces françaises de l’Intérieur (FFI) 476 Forschungsinstitut der DGAP 389 Forschungsinstitut des französischen Waffenamts (DEFA) 201 Forschungsministerium 158 Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) 487 Forschungszentrum Sophia Antipolis 191, 422 Forum culturel autrichien Paris 177, 424 FplusD 236 France 24 114 France 3 103 France Bleu Alsace 301 France Dimanche 385 France expertise internationale (FEI) 115 France Info 301 France Inter 269 France libre 417 France Soir 173 France Télévisions 198 France-Diplomatie 96 Francia 183, 237, 238, 297, 484 Francomics 261 Francomusique 261 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 80, 117, 267, 313, 336, 430, 434, 487 Frankfurter Buchmesse 119, 349, 355, 459 Frankfurter Goethe-Plakette 99 Frankfurter Hefte 196 Frankfurter Rundschau 276 Frankfurter Schule 330 Frankfurter Zeitung 197, 288, 314 Franko-Romanistenverband 398, 400 Frankreich Jahrbuch 161, 203, 240, 347, 382, 383, 404, 489 Frankreichforschung 369 Frankreich-Zentren 238, 241, 321, 370, 371, 383, 400 Frankreich-Zentrum der FU Berlin 401 Frankreich-Zentrum der TU Berlin 238 Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg/ Br. 241, 321 Franz Steiner Verlag 201 Franz-Hessel-Preis 242 Französisch Heute 404, 468 Französisch-Deutsche Gesellschaften 469 Französische Botschaft 400 Französische Botschaft Berlin 199, 209 Französische Botschaft Bonn 97, 160 Französische Botschaft Wien 160 Französische Ehrenlegion 287 Französische Filme über den Zweiten Weltkrieg 242 Französische Filmtage 232 Französische Germanistik 104, 131, 139, 153, 168, 215, 244, 302, 376, 383, 390, 403, 407 Französische KP 454 Französische Literatur in der Bundesrepublik 248 Französische Literatur in der DDR 251, 457 Französische Schriftsteller in Berlin 256 Französische Studien 403 Französische Theatertage Wien 425 Französischer Film 144 Französisches Akademikerhaus Berlin 101 Französisches Hochkommissariat 206, 317 Französisches Theater in Deutschland 147, 253, 271, 308, 380, 408 Französischsprachige Schriftsteller in Berlin 230, 257 Französischunterricht in Deutschland 259 Frau und Frieden 228 Frauenbewegung 151, 161, 261, 265, 423, 424 Freie Schulgemeinde Wickersdorf 334 Freie Universität (FU) Berlin 222, 238, 240, 241, 262, 311, 345, 391, 400, 401, 428, 434, 480, 489 Freier Künstlerbund 39 Freiheit 347 Fremdenlegion 287 Fremdsprachenassistent 115, 149, 344 Fremdsprachenassistentenaustausch 436 Fremdsprachenunterricht 404 Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR 116 Friedensbund deutscher Katholiken 228 Friedenskirche Speyer 333 Friedenskreuz Bühl (Baden) 333, 475 Sachregister 528 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 281, 326, 425 Friedrich-Gundolf-Preis 159, 169, 344, 349 Frischer Wind 325 Front national (FN) 274 Front national universitaire 350 Fußball 267 Galerie Badinier 188 Galerie Lydia Conti 287 Gay-Lussac-Humboldt-Preis 268 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GeR) 436 GEO 286 Georges-Arthur-Goldschmidt-Preis 372 Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm 141, 278 Germania 324 Germanica 120, 171 Germanisch-romanische Monatsschrift 403 Germanisten 97, 213, 461, 487 Germanistik 79, 98, 130, 181, 276, 280, 281, 338, 405, 488 Germanistik in Frankreich 338, 472 Germanistisches Institut der Sorbonne 244 Germano-Fil 157 Geschwister-Scholl-Preis 278 Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (GkVA) 111 Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) 100, 146, 147, 197, 214, 272, 288, 316, 489 Gestapo 405 Gewerkschaftsjugend 316 Gibert Jeune 175 GIRAF-IFFD 273 Global and European Studies Institute 241, 400 Goethe Stiftung Basel 233 Goethe-Gesellschaft Weimar 233 Goethe-Haus in Paris 38, 275 Goethe-Institut 54, 59, 60, 76, 78, 96, 106, 108, 109, 115, 120, 130, 140, 169, 177, 180, 185, 209, 232, 234, 235, 290, 291, 301, 307, 311, 324, 331, 345, 357, 362, 370, 374, 386, 392, 420, 436, 440, 447, 461, 462 Goethe-Institute in Frankreich 274, 307 Goethe-Medaille 99, 169, 278, 357, 434, 457 Goldene Palme 284, 414, 483 Goldener Bär 233 Goldener Ehrenbär 426 Goldmedaille der Goethe-Gesellschaft in Weimar 234 Görres-Gesellschaft 128 Göttingen (Barbara) 278, 364, 366 Grand croix de l’ordre national du mérite 295 Grand officier de la légion d’honneur 289 Grand Palais 326 Grand prix de la critique 374 Grand prix national de la traduction 349 Grand prix national des arts pour la photographie 266 Grand Théâtre Genève 349 Grandes écoles 123, 137, 203, 343, 344 Grandville 323 Graphisches Kabinett Genf 287 Grenzgänge 404 Großer Preis für Malerei 287 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik 135, 287, 335 Groupe Condorcet 97 Groupe vocal de France 447 Gruner + Jahr 384 Gruppe 47 197, 198, 375 Gruppe 53 187 Gruppe Revolutionärer Kampf 163 Gruppe ZERO 187 Guignols de l’info 323 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH 460 Haid-Apparat 347 Hamburger Kunsthalle 272 Hamburger Schulabkommen 207, 468 Hamburgische Staatsoper 348 Hansischer Goethe-Preis der Alfred Toepfer Stiftung 355 Haus Burgund Mainz 234, 439 Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 323 Haus der Kunst 377 Haus Rheinland-Pfalz Dijon 120, 234, 235, 439 Hautes études commerciales (HEC) 127 Havas Agentur 417 Hebbel-Theater 293 Heidelberger Akademie der Wissenschaften 443 Heidelberg-Haus Montpellier 208, 234, 235, 439 Heilbronner Stimme 213 Heinrich-Heine-Haus Paris 54, 120, 171, 177, 234, 235, 239, 288, 290, 345 Heinrich-Heine-Preis 283 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 401 Henschel Schauspiel 460 Herder-Institut 111 Hessisches Staatstheater Wiesbaden 462 Histoire croisée 32, 62, 79, 81, 246 Historial de la Grande Guerre 296, 413 Historiker/ Geschichtswissenschaft 183, 189, 221, 225, 238, 242, 247, 295, 297, 298, 299, 304, 337, 384, 393, 395, 397, 411, 413, 431, 433, 472, 484 Historikerbeziehungen 295 Sachregister 529 Historikerkontroverse (Briefwechsel zwischen François Furet und Ernst Nolte) 298 Historikertag 341 Historische Kommission zu Berlin 407 Hochland 196 Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater 406 Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) 482 Hochschule für Musik Mainz 406 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch 374 Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes 202 Hoffmann und Campe Verlag 457 Hollywood 327 Homburger Hochschulinstitut 464 Homburger Landeskrankenhaus 464 Hôpital de la Salpêtrière 282 Hörfunk 198, 293, 300, 341, 365, 434 Hueber Verlag 209 Humboldt-Forschungspreis 269 Humboldt-Stiftung 78, 108, 180, 269 Humboldt-Universität zu Berlin (HU) 105, 152, 158, 171, 218, 279, 293, 329, 334, 336, 368, 401, 402, 418, 419 Ici Paris 385 Images du Monde 266 Initiative Eurodistrict e.V. 389 Initiativpreis Deutsche Sprache 209 Insel-Dieterich Verlag 402 Institut catholique de Paris 423 Institut d’allemand d’Asnières 77, 131, 245, 302, 311, 382, 407, 423, 430 Institut d’études germaniques 38, 390 Institut d’études politiques (IEP) - Sciences Po 105, 155, 157, 281, 294, 382, 383, 419, 473 Institut d’études supérieures de l’université de Nancy en territoire sarrois 464 Institut d’histoire du temps présent 393 Institut de France 287 Institut de radioastronomie millimétrique (IRAM) 145 Institut de recherche et de coordination acoustique/ musique (IRCAM) 136 Institut des arts et traditions populaires 477 Institut des hautes études cinématographiques 414 Institut des textes et manuscrits modernes 154 Institut européen de chant choral 397 Institut français 59, 76, 78, 96, 112, 114, 115, 160, 202, 232, 241, 289, 301, 303, 311, 324, 339, 392, 407, 417, 425, 460, 461, 465 Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) 158, 238, 297, 303, 307, 388, 458 Institut français des relations internationales (IFRI) 164, 389 Institut Frau und Gesellschaft 263 Institut für Ausländerstudium 111 Institut für Auslandsbeziehungen 108, 324 Institut für deutsche Sprache 247 Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) 215, 296, 304, 393, 416 Institut für Marxismus-Leninismus (IML) 116, 411, 490 Institut für romanische Sprachen und Kultur 334, 402 Institut für romanische Sprachwissenschaft 402 Institut für Sozialforschung Frankfurt/ M. (IfS) 265 Institut germanique 223 Institut ISAMA 435 Institut Laue-Langevin (ILL) 57, 145, 191, 305 Institut national d’histoire de l’art 181 Institut national de l’audiovisuel 103 Institut national de la statistique (INSEE) 437 Institut national des langues et civilisations orientales (INALCO) 152 Institut Pierre Werner Luxembourg 398 Institut Robert Schuman 397 Institut universitaire de France 466 Instituts français in Deutschland 53, 60, 160, 209, 239, 275, 305, 311 Interferenzen. Interférences. Architektur Deutschland- Frankreich 1800-2000 307 International Herald Tribune 450 International Social Science Council 292 International University Bremen (IUB) 128 Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 136, 363, 447 Internationale Filmfestspiele von Venedig 420, 449 Internationale Filmschau 217 Internationale Rohstahlgemeinschaft (IRG) 40 Internationale Vereinigung der kunsthistorischen Forschungsinstitute 182 Internationaler Deutschlehrerverband (IDV) 106 InterNationes 108 Interscènes 424 J. B. Metzler Verlag 401 J.-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien (FU) 241 Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis (DAAD) 343, 488 Jahr der Frau 263 Jahrbuch des Frankreich-Zentrums der Universität des Saarlandes 241 Jahrbuch für romanische und englische Literatur 403 Jahrbuch Idealistische Philologie 403 Jakob-Burckhardt-Medaille 234 Sachregister 530 Jean-Améry-Preis 118 Jesuitenorden 396 Jeu de Paume 287 Jeune République 137 Johns Hopkins University 281 Joseph-Breitbach-Preis 143, 278 Journal interparlementaire 105 Journalisten 71, 286, 312, 419, 445, 446 Jugendbeziehungen 1945-1963 53, 55, 56, 137, 146, 151, 160, 204, 239, 273, 315, 318, 332, 358, 416, 421, 445, 471, 475 Jugendburg Waldeck 318 Jugendhof Vlotho 316 Jugendkultur 317 Jugendministerien 205 Juillard School of Music 122 Junges Theater Göttingen 278 Kaiserreich 378 Karambolage 103, 322 Karikatur 323, 463 Karl-Marx-Universität Leipzig (DDR) 111, 120 Karl-May-Festspiele 144 Karlsruher Institut für Technologie 224 Katholischer Akademischer Ausländer Dienst (KAAD) 128 Kinder des Olymp (Marcel Carné) 327 Kino-Koproduktionen, DDR-Frankreich 66, 327 Komitee zur Förderung der Deutsch-Französisch- Polnischen Zusammenarbeit e.V. 96 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 167, 334, 348, 410 Konferenz der Romanischen Seminare 398 Konfessionelle Beziehungen 288, 331 Kongress für die Freiheit der Kultur 133 Konkrete Musik 447 Konzentrationslager Dachau 405, 414 Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit der Bundesregierung 135, 416, 453 Kraftwerk 319, 365, 447 Kriegsgefangenenseminar Chartres 332 Kritiker Preis für Bildende Kunst 272 Kulturabkommen 194 Kulturbeirat 108 Kulturbevollmächtigter 95, 199, 208, 236, 335 Kulturgesellschaften 235 Kulturinstitut 154 Kulturministerium (DDR) 111 Kulturstadt Europa 293 Kulturwissenschaft 32, 240, 336, 398, 399, 446 Kultusministerkonferenz (KMK) 108, 199, 344, 468 Kunstakademie Dresden 287 Kunstakademie Düsseldorf 434 Kunstgeschichte 353 Kunsthistorisches Institut Florenz 181 Kunsthochschule Berlin-Weißensee 311 Kunstwissenschaft 354 Kuratorium junger deutscher Filme 373 Kursbuch 117 Kurt-Wolff-Preis 354 L’Arche Éditeur 121, 139, 142, 170, 184, 342, 361, 424, 455, 460, 461 L’Association pour le développement des études germaniques en France 386 L’Écluse 278 L’Équipe 268 L’Express 372 L’Humanité 170, 325, 482 La Cartoucherie de Vincennes 356 La Croix 281, 406 La Découverte 463 La Dépêche 351 La Gazette de Berlin 269, 390 La Gazette des lettres 340 La maison des amis des livres 265 La Mama 162 La mer gelée 352 La nouvelle critique 170, 274 La Ruche 282 Laboratoire de recherches de Saint-Louis 201 Lancelot, der Bote aus Frankreich 279, 339 Langenscheidt Verlag 209 Langues étrangères appliquées (LEA) 245, 302 Langues, littératures, civilisations étrangères (LLCE) 245 Lansman Éditeur 460 Lateinamerika-Institut 241 Lausitzer Rundschau 490 Le Carreau Forbach 150 Le Débat 298 Le Figaro 171, 173, 239, 301, 314, 321, 450 Le Magazine littéraire 120, 171 Le Monde 80, 120, 134, 170, 171, 229, 267, 276, 281, 289, 314, 315, 323, 377, 406, 439, 450, 451, 473 Le Nouvel Observateur 385 Le Parisien 173, 418 Le Patriote 170 Le Républicain Lorrain 198 Le Roi des Aulnes 119, 170, 177 Légion d’honneur 138, 211, 295, 453 Sachregister 531 Leibniz-Preis 269 Leipziger Buchmesse 457 Lektoren 25, 39, 69, 113, 120, 130, 149, 154, 181, 206, 208, 209, 225, 233, 291, 302, 343, 344, 349, 378, 382, 407, 423, 428, 455, 456, 472, 486, 488 Lendemains 120, 346, 369, 404 Les Amis du Roi des Aulnes 119, 177, 234, 235 Les Amitiés chrétiennes 405 Les Belles Etrangères 171 Les Belles Lettres 224 Les Cahiers du cinéma 372 Les Cahiers du Sud 340 Les Drapiers 455 Les éditeurs français réunis (EFR) 170 Les lettres françaises 170, 340 Les Milles 126, 242 Les Verts 163 Liberal 298 Libération 117, 120, 315, 323, 385, 450 Librairie franco-allemande 175 Librairie internationale Biblion 175 Life magazine 266 Liga für Völkerfreundschaft (LfV) 111, 169, 192 Ligue d’études germaniques (LEG) 37 Ligue des Droits de l’Homme (LDH) 35, 36 Ligue du droit international des femmes (LDIF) 263 Lila-Offensive 264 Lindauer Absprache 108 Lingua 437 Linoleum-Werke Bietigheim 40 Lire 140 Literarische Gesellschaft (Scheffelbund) 100 Literarische Welt 217 Literarischer Verein e.V. Minden 148 Literaturblatt 288 LITTERall 120, 171 Living Theatre 162 Loi Lang 341 Loi Veil 263, 264 London School of Economics 294 Londoner Symphonieorchester 118 Lothringer Kreuz 211 Louvre 135, 182, 326 Love-Parade 319 Ludwig-Börne-Preis 278 Lupo 107 Lycée Champollion 423 Lycée Chaptal 215 Lycée français de Berlin 354, 366 Lycée Fustel 215 Lycée Henri IV Paris 168, 414, 423 Lycée Hoche 194 Lycée Louis Pasteur Besançon 150 Lycée Louis-le-Grand Paris 120, 159, 215, 393 Lycée Maréchal Ney Saarbrücken 194 Lycée Pasteur Neuilly-sur-Seine 215 Lycées franco-allemands 422 Magnum Photos 265, 266 Maison académique fran ç aise in Berlin 38, 150 Maison Antoine Vitez 121, 424, 460, 461 Maison de l’Allemagne in Brest 234, 235 Maison de la Paix 188 Maison de Tübingen 59 Maison des écrivains 120, 339 Maison des sciences de l’homme Paris (MSH) 292, 388, 405 Maison européenne des écritures contemporaines (meec) 462 Maison Suger 292 Maisons de la culture 183 Mannheimer Institut für deutsche Sprache 247 Mannheimer Morgen 406 Marianne 322, 324 Marissal Bücher 177, 178 Marstall 139 Matthes & Seitz 338 Max Weber Stiftung 183 Maxim Gorki Theater 461 Max-Ophüls-Preis 373 Max-Planck-Gesellschaft (MPG) 57, 145, 158, 388 Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte 303 Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen 297, 303 Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln 292 Max-Reinhardt-Seminar 284 Mayrisch-Komitee 40, 41 MC93 440 Médaille des réfractaires 488 Medientheorie 121, 353 Medienwissenschaftler 121 Melos Quartett 311 Mémorial de la Shoah 475 Mémorial de Verdun 412 Mercedes-Benz 235 Mercure de France 98 Merkur 117, 167 Merlin Verlag 460 Sachregister 532 Merve Verlag 121, 219, 236, 353, 356 Messagerie Hachette 175 Metro international 450 Mindener Stadtschreiber-Stipendium 148 Ministère de l’éducation nationale 95, 179, 208, 386, 387, 462 Ministère de l’enseignement supérieur et de la recherche 157, 195, 386, 387, 388, 466 Ministère de l’information 131 Ministère de l’intérieur 190 Ministère de la culture 113, 114, 119, 148, 171, 177, 199, 242, 266, 340, 374, 434, 458, 462 Ministère des affaires étrangères 112, 114, 123, 154, 158, 160, 164, 195, 204, 206, 236, 239, 243, 359, 387, 388, 462, 464 Ministère des droits de la femme 263 Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR 111, 169 Ministerium für Bildung und Forschung 183 Ministerium für Kultur (DDR) 111 Ministerium für Staatssicherheit 218 Mini-Vertrag 188 Mission historique française en Allemagne 238 Mission historique française Göttingen 388 Mission laïque française 350 MIX’ART Deutschland-Frankreich 261 Mode 211, 318, 357 Monat 133 Montan-Union 213 Montpellier-Haus Heidelberg 59, 234 Monumenta 326 Mouvement de libération des femmes 263, 424 Mouvement européen-France 147 Mouvement européen-Franche-Comté 151 Mouvement républicain populaire (MRP) 137 Münchner Kammerspiele 162 Münchner Neueste Nachrichten 288 Münchner Residenztheater 138 Musée d’art et d’histoire du Judaïsme 370 Musée d’art moderne de la ville de Paris 188, 266, 272, 377 Musée d’art moderne et contemporain de Strasbourg 308 Musée du Cinéma 217 Musée national d’art moderne 186, 187, 377, 434 Musée Tomi Ungerer 324, 463 Musik, ernste 349, 362, 397, 406 Musik, populäre 322, 352, 362, 364 Musikakademie Basel 136 Nacht und Nebel (Alain Resnais) 154, 243, 367, 470 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 117, 155, 225, 289, 418 NATO 478 Naturfreundejugend 316 Nelly-Sachs-Preis 278 Netzwerk Deutsch 437 Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland Frankreich (EBD) 273 Neue Frankfurter Schule 323 Neue Freie Presse 314 Neue Musik 447 Neue Zürcher Zeitung 121, 133 Neuer Deutscher Film 229, 370, 373, 426, 449 Neues Deutschland 348 Neues Hörspiel 293 Neusprachliche Mitteilungen 404 New York Times 133, 463 New Yorker Philharmoniker 136 Norddeutscher Rundfunk (NDR) 348 Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) 231, 480 Nouveau roman 197, 198, 249, 250, 252, 282, 369, 400, 403, 434, 455 Nouveau théâtre 254 Nouvel Observateur 263, 424 Nouvelle Clio 189 Nouvelle Europe 171 Nouvelle revue de psychanalyse 276 Nouvelle revue française (NRF) 40, 130, 166, 197, 276 Nouvelle vague 130, 188, 318, 371, 372, 414, 482 Nouvelle-France 274 Nouvelles d’Allemagne 190 Nouvelles littéraires 340 Nouvelles Scènes - Allemand 461 Obélix 106 Oberhausener Festspiele 330 Oberhausener Manifest 371, 373 Observatoire européen du plurilinguisme 106 Odéon 129, 134, 159, 162, 186, 255, 309, 312, 440 Office de radiodiffusion télévision française (ORTF) 300, 301, 414 Office national des universités et écoles françaises (ONUEF) 39, 196, 345 Officier de l’ordre des arts et des lettres 374, 424, 477 Officier de la légion d’honneur 128 Oldenbourg 189 Olympia (Konzerthaus, Paris) 354 Opéra Bastille 119, 349 Opéra comique Paris 410 Opéra Garnier 122, 348, 349, 359, 360, 440 Sachregister 533 Opéra national du Rhin 390 Oprecht & Heibling 175 Orchester des West-östlichen Divans 119 Orchestre de la société des concerts du conservatoire 118 Orchestre de Paris 118, 119 Orchestre national de France 363 Ordre du mérite 234 Organisation de secours aux enfants (OSE) 454 Oscar 284, 414 Österreichische Akademie der Wissenschaften 169 Österreichische Literatur in Frankreich 283, 374 Österreichische Theatertage Paris 424 Österreichischer Austauschdienst (ÖAD) 345 Österreichischer Staatspreis für literarisches Übersetzen 424 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 424 Otto-Suhr-Institut der Freien Universität (FU) Berlin 382 Ouest-France 281, 450 Ouvroir de littérature potentielle (Oulipo) 283, 286, 292 Pädagogische Hochschule Bonn 228 Pädagogische Hochschule zu Freiburg 149 Pädagogischer Austauschdienst (PAD) 261, 344, 436 Pädagogisches Bezirkskabinett Leipzig 368 Palais Beauharnais 386 Pardon 423 Paris Match 266, 385 Paris-Berlin (Ausstellung) 377, 434 ParisBerlin (Magazin) 376 Pariser Tageblatt 174 Partenariats Hubert Curien 387 Parti communiste français (PCF) 66, 68, 116, 120, 132, 170, 187, 274, 347, 353, 356, 392, 431, 471 Parti radical 36 Partisans 263 Passagen-Verlag 219, 236, 378 Paul-Celan-Preis 378 Pax Christi 333, 474 Pen-Club 434, 467 Peter-Weiss-Preis 272 Petit Journal 451 Petit Odéon 362 Peuple et Culture 151, 405 Pfadfinder 316 Pflasterstand 163 Philharmonieorchester Israel 118 Philosophie 101, 121, 343, 353, 379 Piccolo Teatro 159, 281 Pilote 106 Pinakothek der Moderne München 287 Poetica 443 Politikwissenschaft 382 Praxis des Neusprachlichen Unterrichts 404 Praxis FSU 404 Preis für Germanistik des Auslands der Darmstädter Akademie 355 Preis Jean Vigo 243 Preise 446 Presses universitaires de France (PUF) 344, 463 Presses universitaires du Mirail 461 Presses universitaires du Septentrion 97, 189 Preußisches Kultusministerium 38, 381 Preuves. Une revue européenne à Paris 133 Princeton-University 479 Prisma Presse 77, 384 Prix Adam Mickiewicz 96, 479 Prix Aristide Briand 419 Prix Baudelaire 386 Prix Charlemagne 149 Prix de Gaulle-Adenauer 96, 136, 147, 209, 279, 427, 473 Prix de l’Académie de Berlin 95, 343 Prix de la critique 162 Prix de la Fraternité 353 Prix de l'Académie de Berlin 463 Prix des associations franco-allemandes 149 Prix des lycéens allemands 261 Prix Dominique de la mise en scène 134 Prix Europe pour le théâtre 362 Prix France Culture 278 Prix franco-allemand du journalisme 392, 419, 485 Prix Franz Hessel 294 Prix Gérard de Nerval 344, 349, 386 Prix Goncourt 153, 229, 353, 457 Prix Guillaume Apollinaire 339 Prix international de la chanson française 354 Prix Pierre Grappin 279, 386 Prix Strasbourg 239, 387, 419 Prix Tristan-Tzara 339 PROCOPE 241, 382, 387 Programm Frankreich/ deutsch-französische Beziehungen der DGAP 164, 388 Programme Bertaux 180 Programme franco-allemand du CNRS 292, 387, 388, 462 Prometheus Verlag 467 Prospero 374, 410 Psychanalyse et Politique 263 Quadriga 187 Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 238 Sachregister 534 Querido Verlag 175 Quidam Verlag 140 Quinzaine littéraire 276 Radio France 103, 198, 300, 301 Radio France Internationale (RFI) 198, 269, 301 Radio Koblenz 300 Radio Londres 300 Radio Paris 300 Radio Saarbrücken 300 Radio Zürich 348 Radiodiffusion-télévision française (RTF) 231 Radioeurodistrict (RED) 301, 389 Rammstein 365 Random House 250 Rat für kulturelle Zusammenarbeit des Europarats 109 Raymond-Aron-Preis 98, 372, 390, 487 Recherches germaniques 233, 245, 390 Recherches internationales 274 Recherches sur les femmes et recherches féministes 263 RECIT 462 Reclam Verlag 251, 402 Rectorat de l’Académie de Paris 290 Regards sur l’économie allemande. Bulletin économique du CIRAC 157, 391 Rencontres franco-allemandes 166, 216, 392 rencontres.de 391 Rendez-vous de l’Histoire 341 Répons 136 Résistance 414, 428 Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 37, 147, 156, 245, 390, 393 Revue franco-allemande/ Deutsch-Französische Rundschau 403 Revue historique 215 Rezeption französischer Literatur in der DDR 353, 402 Rheinisches Landesmuseum Bonn 266 Rhein-Mainische-Volkszeitung 228 RIAS 286 Rivages 141 Robert Bosch Stiftung 78, 96, 99, 100, 149, 198, 208, 209, 235, 250, 389, 445, 446, 457 Robert Schuman Chor 364, 397, 406 Robert-Bresson-Preis 483 Roland-Preis der Stadt Bremen 272 Romanische Forschungen 403 Romanische Literaturwissenschaft 369 Romanische Philologie 266 Romanisches Institut in Berlin 402, 418 Romanistentag 399, 400 Romanistenverband 241, 371 Romanistenverband der DDR 402 Romanistenverbände in der Bundesrepublik Deutschland 398 Romanistik (Franko-Romanistik) 80, 149, 181, 266, 267, 310, 337, 338, 347, 370, 371, 372, 396, 399, 403, 404, 434, 453 Romanistik in der DDR 334, 368, 369, 398, 401, 418 romanistik.de 399 Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 404 Romanistische Zeitschriften 346, 399, 403 Rote Armee Fraktion (RAF) 270, 408, 414 Rote Rübe 162 Rowohlt-Verlag 147, 212, 242, 249, 271, 408, 460 Rubens-Preis der Stadt Siegen 287 Ruhrtriennale 359, 360 Rundfunk 231 Rütten & Loening 402 S. Fischer Verlag 286, 344 Saarbrücker Vereinbarung 468 Saarbrücker Zeitung 419 Saarländischer Rundfunk (SR) 198, 231, 293, 300, 301, 392 Saarländisches Staatstheater Saarbrücken 150 SaarLorLux Orchester 364, 397, 406 Saarlouiser Theater am Ring 150 SACEM 386 Sächsische Akademie der Künste 339 Saint-Marc Girardin 314 Salle Favart 349 Salon des Réalités nouvelles 187, 287 Salon du livre Paris 119, 141, 171, 177 Salut les copains 318 Salzburger Festspiele 349, 359, 360 San Quentin Drama Workshop 124 Satiricum 323 Schaubühne 134, 159, 185, 199, 255, 256, 257, 281, 312, 340, 374, 410, 439, 440, 455 Schauspiel Frankfurt 139 Schauspielhaus Bochum 256 Schickele-Gesellschaft 288 Schiller-Theater Berlin 123, 124, 125, 254 Schlachtfelder und Museen des Ersten Weltkriegs 412, 413, 470 Schloss Solitude 311, 447 Schlosspark-Theater 124, 255, 271 Schulen 54, 194, 420, 422, 454 Schulpolitik 54, 95, 194, 421 Schuman-Programm 261 Sachregister 535 Schutzverband Deutscher Schriftsteller 39, 174 Schwarzwälder Volksfreund 434 Schweizer Monatshefte 133 Schweizer Radio DRS 301 Schweizer Wochenzeitung 117 Science et littérature 175 Scuola Normale Superiore von Pisa 479 Secrétariat d’État à la condition féminine 263 Section française de l'Internationale ouvrière (SFIO) 36 Sections internationales de Sèvres (SIS) 349 Semaine du film français 232 Semaines sociales 228 Sender Freies Berlin 414 Service des œuvres françaises à l’étranger (SOFE) 25, 113 Shoah (Claude Lanzmann) 326, 345, 428, 456 Silberner Bär 130, 233 Sinn und Form 253, 339 Sisyphus 295 Social Sciences Centre Athen 292 Socialisme ou barbarie 163 Société d’études allemandes 393 Société d’études franco-allemandes 37 Société des auteurs et compositeurs dramatiques (SACD) 343, 386 Société des concerts du conservatoire de Paris 363 Société des études germaniques 223, 466 Société des gens de lettres 349, 386 Société Goethe de France 233 Société nationale des entreprises de presse 451 Socrates 437 Sohlbergkreis 39 Sonderpreis des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Österreich 219 SOS femmes violées 263 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 35, 46, 159, 264, 367, 368, 414, 415, 463 Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) 176 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 66, 67, 69, 110, 111, 112, 115, 116, 129, 152, 155, 167, 169, 188, 190, 251, 329, 348, 368, 411, 418, 475, 490 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) 163, 262 Sozialwissenschaftliche Frankreichforschung 203 Soziologie 121, 136, 431 Sprachenpolitik 106, 108, 139, 149, 207, 209, 272, 421 Sprachenpolitik und Förderung der Nachbarsprachen 435 Sprachschule Berlitz 153 Springer-Verlag 385 Staatliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig 287 Staatliche Kunstsammlung Dresden 124, 287 Staatliche Museen zu Berlin - Kupferstichkabinett 287 Staatliche Schauspielbühnen Berlin 124 Städtepartnerschaften 55, 56, 66, 151, 192, 216, 230, 234, 317, 332, 335, 341, 364, 416, 437, 471, 475, 478 Stanford University 281 Stauffenburg 401 Stereo Total 366 Stereotype 62, 127, 181, 213, 219, 234, 267, 268, 286, 313, 322, 324, 351, 352, 385, 429, 440, 474 Stern 262, 323, 419 Stiftung Akademie Schloss Solitude 311 Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland 181, 183 Stiftung Genshagen 148, 242, 409, 443, 446 Stiftungen 98, 99, 100, 135, 149, 198, 208, 209, 388, 389, 444 Stolpersteine 259 Straßburg-Goldmedaille 448 Straßburg-Preis 447, 489 Straßenkunstfestival Bataille de rue 150 Straub-Huillet 371, 426, 449 Strukturalismus 245, 252, 290, 372, 395, 403 Stückemarkt 461 Stuttgarter Zeitung 434 Süddeutsche Zeitung (SZ) 196, 313, 314, 483 Süddeutscher Rundfunk (SDR) 123, 124, 125, 293, 434 Südwestfunk (SWF) 231, 284, 300, 363 Südwestrundfunk (SWR) 301 Suhrkamp-Verlag 131, 249, 342, 355, 460, 463 Surrealismus 125, 252 Symphonieorchester Chicago 119 Syndicat intercommunal 150, 455 Syndicat professionnel de la critique de théâtre, de musique et de danse 129 Tagespresse 315, 450 tageszeitung 117 Tanztheater 122 Tarabuste 339 Teatro Real 360 Technische Hochschule Dresden 329 Technische Universität (TU) Berlin 238, 241, 369, 370, 400 Technische Universität (TU) Braunschweig 400, 489 Technische Universität (TU) Chemnitz 400 Technische Universität (TU) Dresden 401, 402 Technische Universität (TU) Kaiserslautern 464 Technische Universität (TU) München 123 Teddy Award 420 Sachregister 536 Tel Quel 283, 293 Telefunken 230, 231 Témoignage Chrétien 196 Text + Kritik 117 TF1 57, 198, 232, 450 Thalia Theater 134 Theater der Zeit 460 Theater Drachengasse 425 Theater heute 255, 460 Theater Transfer 461 Theatertreffen (tt) 461 Theater-Verlag Desch 460 Theaterverlag Merlin 271 Théâtre de Babylone 124, 456 Théâtre de l’Athénée 481 Théâtre de l’Espérance 312, 440 Théâtre de l’Est Parisien 184 Théâtre de la Bastille 229 Théâtre de la Cité 142 Théâtre de la Cité internationale 374 Théâtre de la Commune 120, 142, 162, 482 Théâtre de la Digue 461 Théâtre de la Huchette 309 Théâtre de la Madeleine 134 Théâtre de la rue d’Ulm 127 Théâtre de la Ville 122, 162, 184, 440, 481, 483 Théâtre des Amandiers 134, 159, 371, 440 Théâtre des Bouffes du Nord 134, 162 Théâtre des Nations 129, 142, 184, 409 Théâtre du Châtelet 119, 134, 278 Théâtre du Chêne noir 229 Théâtre du Rond-Point 127 Théâtre du Soleil 356 Théâtre Gérard Philipe (TGP) 430 Théâtre Hébertot 144 Théâtre jeune public (TJP) 390 Théâtre municipal de Sartrouville 159 Théâtre national de Bretagne (TNB) 342, 410 Théâtre national de Chaillot 127, 143, 340, 346, 410 Théâtre national de la Colline 139, 170, 229, 374 Théâtre national de Strasbourg (TNS) 139, 162, 184, 185, 312, 440, 454 Théâtre national populaire (TNP) 120, 142, 159, 162, 184, 185, 342, 361, 430, 460 Théâtre Ouvert 462 Théâtre populaire 142, 184, 342, 460 Théâtre public 134, 142, 162, 184, 256, 362, 430, 481 Théâtre Royal de la Monnaie/ De Munt 349 Théâtre Sarah-Bernhardt 481 Théâtre Vidy-Lausanne 342 Théâtre-document 481 Théâtre-procès-verbal 481 Thorbecke Verlag 237 Thyssen-Stiftung 388, 462 Tokio Hotel 59, 319, 365 Topor 323 Tour de France 231 Traduire, éditer, représenter (TER) 461 Transatlantik 117 Travail allemand (TA) 490 Trivium 372, 388, 405, 457 Übersetzen/ Dolmetschen 98, 107, 120, 140, 141, 147, 154, 170, 171, 175, 176, 177, 219, 242, 248, 249, 252, 277, 278, 283, 293, 312, 339, 340, 349, 352, 353, 374, 376, 378, 383, 386, 390, 391, 395, 408, 425, 456, 457, 458, 459, 461, 462, 467, 486, 487 Übersetzung von Theaterstücken 185, 425, 459, 460, 461, 482 Übersetzungsprogramm der Maison des sciences de l’homme 388, 461, 462 UNESCO 109, 130, 292, 381, 405, 418, 422 UNICEF 145 Unifrance-Film 232 Union des Associations franco-allemandes pour la région Lorraine 230 Union des étudiants communistes 430 Union douanière européenne (UDE) 39 Union francilienne des Associations francoallemandes 230 Union pour la coopération Bourgogne/ Rhénanie- Palatinat 230 Union pour la Vérité 212 Unité de recherche Paul Celan 154 Università di Bologna 382 Universität Basel 224, 233, 271, 390 Universität Bayreuth 241, 396 Universität Bielefeld 262, 479 Universität Bochum (Ruhruniversität) 443 Universität Bonn 105, 166, 182, 228, 307, 369, 396, 401, 434 Universität Bremen 218, 401 Universität der Großregion (UGR) 224, 241, 397, 406, 463, 465 Universität des Saarlandes 98, 99, 234, 241, 306, 337, 400, 401, 463, 464 Universität Erlangen-Nürnberg 128 Universität Frankfurt/ M. 335 Universität Frankfurt/ Oder (Viadrina) 128, 336, 487 Sachregister 537 Universität Freiburg/ Br. 224, 233, 234, 241, 266, 289, 321, 390, 400, 401, 423, 488 Universität Gießen 310, 401 Universität Göttingen 303, 453, 472 Universität Greifswald 171, 329, 400, 402 Universität Halle-Wittenberg 171, 329, 337, 401, 402, 418 Universität Hamburg 337, 369, 488 Universität Hannover 400 Universität Heidelberg 166, 266, 288, 310, 343, 401 Universität Hildesheim 336 Universität Jena 234, 368, 402 Universität Karlsruhe 390 Universität Kaunas (Litauen) 417 Universität Konstanz 310, 443, 489 Universität Leipzig 98, 171, 241, 334, 336, 368, 400, 401, 402 Universität Lüneburg 336 Universität Lüttich/ Université de Liège 464 Universität Mainz 233, 288, 305, 306, 396, 416, 455 Universität Mannheim 337, 401, 484 Universität Marburg 166, 334 Universität München (LMU) 119, 123, 266, 279, 288, 329, 334, 401, 479, 480 Universität Münster 241, 310 Universität Osnabrück 278, 337, 369, 401 Universität Passau 337 Universität Potsdam 337, 401 Universität Prag 418 Universität Regensburg 321, 401 Universität Rostock 368, 402 Universität Siegen 337 Universität Trier 464 Universität Tübingen 159, 288, 355, 401, 411, 434 Universität Wien 424 Universität Würzburg 128, 401 Universität zu Köln 101, 128, 241, 271, 307, 369 Université Blaise Pascal (Clermont-Ferrand) 370 Université d’Alger 115 Université d’Orléans 485 Université de Bourgogne 215 Université de Caen 98, 128 Université de Cergy-Pontoise 156, 157, 245, 391 Université de Clermont-Ferrand 215 Université de Dijon 233, 407 Université de Franche-Comté 171, 233 Université de Genève 128 Université de la Sorbonne 119, 120, 128, 131, 132, 153, 165, 168, 215, 223, 233, 238, 239, 244, 247, 263, 265, 279, 281, 302, 320, 338, 343, 345, 349, 355, 356, 379, 386, 394, 395, 407, 419, 430, 454, 456, 459, 473, 486, 488 Université de Lille 131 Université de Lorraine 202 Université de Lyon 98 Université de Metz 202, 279, 464 Université de Mulhouse-Colmar 224 Université de Nancy 233, 274, 279, 306, 464 Université de Nantes 235, 274 Université de Paris 233, 290 Université de Provence, Aix-Marseille 280, 407 Université de Rennes 160, 233, 353 Université de Rouen 247 Université de Strasbourg 155, 224, 233, 244, 247, 390, 393, 394, 407, 448, 477 Université de Toulouse 2 (Le Mirail) 263 Université de Tours 454 Université du Havre 247 Université du Luxembourg 202, 464 Université du Théâtre 409 Université Lyon 2 (Lumière) 157, 171 Université Marc Bloch (Strasbourg 2) 158, 238, 245, 390 Université Nancy 2 225, 238 Université Paris 1 (Panthéon-Sorbonne) 157, 238 Université Paris 7 (Diderot) 263, 454 Université Paris 8 (Vincennes-Saint-Denis) 115, 116, 166, 171, 263, 274, 405, 406, 488 Université Paris Ouest Nanterre La Défense - Paris 10 98, 104, 115, 121, 162, 238, 245, 279, 312, 350, 353, 394, 407, 488 Université Paris-Sorbonne (Paris 4) 128, 157, 247, 349, 466, 485 Université Robert Schuman (Strasbourg 3) 155 Université Sorbonne Nouvelle (Paris 3) 77, 152, 198, 245, 302, 311, 382, 406, 407, 423, 430, 483, 488 University of California 459 University of Chicago 395 University of Michigan 479 UNO 112, 294 Vent debout 486 Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen e.V. 475 Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage (VDB) 461 Verein der Deutsch-Französischen Gesellschaften (VDFG) 60 Verein Deutsche Sprache 209 Verein für das Deutschtum im Ausland, Schulverein e.V. 411 Sachregister 538 Verein zur Förderung des europäischen Austauschs (APEE - Association pour la promotion des échanges européens) 389 Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) 437, 467 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 475 Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) 149, 191, 192, 230, 273, 334, 335, 434, 469 Vereinigung für deutsch-französische pädagogische und kulturelle Zusammenarbeit e.V. 149 Vereinte Nationen 294, 348 Vergangenheitsaufarbeitung 135, 221, 356, 368, 412, 470, 474, 476 Vergleichende Frankreichforschung 369, 404 Verlag C.H. Beck 221, 463 Verlag Castermann 486 Verlag der Autoren 460 Verlag Diaphanes 331 Verlag Ehapa 107 Verlag Eichborn 249 Verlag Karl Alber 463 Verlag L’Arche 95 Verlag Leske + Budrich 240 Verlag Libelle 460 Verlag Malik 125 Verlag Matthes & Seitz 95 Verlag Peter Kirchheim 339 Verlag Volk & Welt 457 Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck 198 Versailler Vertrag 415, 432 Versöhnung 52, 62, 63, 71, 76, 77, 79, 80, 81, 97, 102, 146, 151, 160, 183, 192, 208, 217, 221, 278, 280, 281, 288, 289, 332, 333, 359, 394, 412, 413, 422, 448, 470, 474 VFbil 261 Vice-Versa. Deutsch-französische Kulturstudien 241 Vidéothèque de Paris 362 Villa Gillet (Observatoire international des langages contemporains) in Lyon 148, 242 Villa Vigoni 388 Vogue 358 Voici 385 Voix d’Allemagne 190 Voix de France 350 Volk und Welt 251, 402 Völkerbund 34, 35, 38, 381 Volksbühne 129, 132, 341, 361 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 475 Volkshochschule 316 Volkstheater 425 Vossische Zeitung 314 VS Verlag 240 Vu 266 Wallstein Verlag 463 Web-Kulturradio GIF 301 Weimarer Abkommen 157 Weimarer Beiträge 253 Weimarer Dreieck 60, 96, 199, 444, 453, 477 Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte 341 Weltkongress der Frauen 263 Welttheatertage in Nancy 122 Weltwoche 133 Werkstatt Berlin 293 Werner-Reimers-Stiftung 462 Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) 480 Westdeutsche Frauenfriedensbewegung 228 Westdeutsche Kurzfilmtage 371 Westdeutsche Rektorenkonferenz 128, 196 Westdeutscher Rundfunk Köln (WDR) 286, 300, 309 Westeuropäische Union (WEU) 415 Westfälisches Landesmuseum Münster 324 Widerstandsgruppe „Marcel” 407 Wiener Festwochen 134 Wiener Gruppe 293, 375 Wiener Philharmoniker 136 Wilhelm Fink Verlag 237 Wilhelm-Busch-Museum 323 Winnetou 144, 145 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt (WBG) 189 Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen 183 Wissenschaftskolleg Berlin 158, 292, 388, 479 Wissenschaftsrat 181 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) 388 Wissenschaftszentrum Bonn 145 Wuppertaler Tanztheater 122 Würth-Gruppe 96 www.deutschland-frankreich.diplo.de 232 Yves Saint Laurent (YSL) 358 ZDF 102, 198, 286, 419 Zeitschrift des Deutschen Instituts 404 Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 403, 404 Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 403 Zeitschrift für romanische Philologie 403 ZEIT-Stiftung 95 Sachregister 539 ZEN 49 München 187 Zentrale Politische Kommission der Internationalen Brigaden in Spanien 167 Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München 182 Zentralinstitute für Literaturgeschichte und für Sprachwissenschaft 402 Zentralstelle für das Auslandsschulwesen 108, 436 Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) 479 Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe 354 Zielsprache Französisch 404 Zweitausendeins 293 edition lendemains herausgegeben von Wolfgang Asholt, Hans Manfred Bock, Andreas Gelz und Christian Papilloud Bisher sind erschienen: Band 1 Bock, Hans Manfred (Hrsg.) Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen 2005, 334 Seiten €[D] 39,90, 978-3-8233-6181-7 Band 2 Bock, Hans Manfred Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 2005, 412 Seiten €[D] 39,90, 978-3-8233-6182-4 Band 3 Febel, Gisela; Struve, Karen; Ueckmann, Natascha (Hrsg.) Écritures transculturelles Kulturelle Differenz und Geschlechterdifferenz im französischsprachigen Gegenwartsroman 2007, II, 237 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6337-8 Band 4 Mathis-Moser, Ursula; Mertz-Baumgartner, Birgit (éds.) La littérature ‹française› contemporaine Contact de cultures et créativité 2007, 274 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6354-5 Band 5 Boyer-Weinmann, Martine; Estelmann, Frank; Müller, Olaf (Hrsg.) Das Münchener Abkommen und die Intellektuellen Literatur und Exil in Frankreich zwischen Krise und Krieg 2008, 319 Seiten €[D] 39,90, 978-3-8233-6382-8 Band 6 Türschmann, Jörg/ Aichinger, Wolfram (éd.) Das Ricœur-Experiment Mimesis der Zeit in Literatur und Film 2009, 199 Seiten €[D] 54,00, 978-3-8233-6420-7 Band 7 Defrance, Corine; Kißener, Michael; Nordblom, Pia (Hrsg.) Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945 Zivilgesellschaftliche Annäherungen 2010, 412 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6421-4 Band 8 Stauder, Thomas (éd.) Simone de Beauvoir cent ans après sa naissance Contributions interdisciplinaires de cinq continents 2008, 480 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6422-1 Band 9 Kamecke, Gernot; Teschke, Henning (Hrsg.) Ereignis und Institution Anknüpfungen an Alain Badiou 2008, 260 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6445-0 Band 10 Struve, Karen Écriture transculturelle beur Die Beur -Literatur als Laboratorium rr transkultureller Identitätsfiktionen 2008, 336 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6461-0 Band 11 von Treskow, Isabella; von Tschilschke, Christian (Hrsg.) 1968/ 2008 Revision einer kulturellen Formation 2008, XXIV, 271 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6463-4 Band 12 Böhm, Roswitha; Bung, Stephanie; Grewe, Andrea (Hrsg.) Observatoire de l’extrême contemporain Studien zur französischsprachigen Gegenwartsliteratur 2009, XX, 414 Seiten €[D] 78,00, 978-3-8233-6494-8 Band 13 Estelmann, Frank; Müller, Olaf (Hrsg.) Exildiskurse der Romantik in der europäischen und lateinamerikanischen Literatur 2011, 279 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6514-3 Band 14 Müller, Gesine; Stemmler, Susanne (Hrsg.) Raum - Bewegung - Passage Postkoloniale frankophone Literaturen 2009, 243 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6515-0 Band 15 Kuhnle, Till R.; Oszi, Carmen; Wiedner, Saskia (éds.) Orient lointain - proche Orient La présence d’Israël dans la littérature francophone 2011, 160 Seiten €[D] 39,00, 978-3-8233-6516-7 Band 16 Haberer, Monika; Vatter, Christoph (éds.) Le cyberespace francophone Perspectives culturelles et médiatiques 2011, 198 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6517-4 Band 17 Asholt, Wolfgang; Hoock-Demarle, Marie-Claire; Koiran, Linda; Schubert, Katja (Hrsg.) Littérature(s) sans domicile fixe / Literatur(en) ohne festen Wohnsitz 2010, 184 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6541-9 Band 18 Bock, Hans Manfred Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts 2010, 400 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6551-8 Band 19 Linsenmann, Andreas Musik als politischer Faktor Konzepte, Intentionen und Praxis französischer Umerziehungs- und Kulturpolitik in Deutschland 1945-1949/ 50 2010, 286 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6545-7 Band 20 Asholt, Wolfgang; Ette, Ottmar (Hrsg.) Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft Programm - Projekte - Perspektiven 2009, 290 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6540-2 Band 21 Stauder, Thomas (éd.) L’Identité féminine dans l’œuvre d’Elsa Triolet 2010, 439 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6563-1 Band 22 Bender, Niklas; Schneider, Steffen (Hrsg.) Objektivität und literarische Objektivierung seit 1750 2010, 241 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6583-9 Band 23 Albertin, Lothar (Hrsg.) Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union Partner auf dem Prüfstand 2010, IV, 225 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6598-3 Band 24 Alexandre, Didier; Asholt, Wolfgang (éds.) France - Allemagne, regards et objets croisés La littérature allemande vue de France/ La littérature française vue d’Allemagne 2011, XVIII, 277 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6660-7 Band 25 Hülk, Walburga; Schuhen, Gregor (Hrsg.) Haussmann und die Folgen Vom Boulevard zur Boulevardisierung 2012, 218 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6661-4 Band 26 Bähler, Ursula; Fröhlicher, Peter; Labarthe, Patrick; Vogel, Christina (éds.) Figurations de la ville-palimpseste 2012, 159 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6662-1 Band 27 Sick, Franziska (Hrsg.) Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte Literarische Räume vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart 2012, 243 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6698-0 Band 28 Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Joachim Umlauf Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2015, 542 Seiten, €[D] 49,00, 978-3-8233-6882-3 Band 29 Berzel, Barbara Die französische Literatur im Zeichen von Kollaboration und Faschismus Alphonse de Châteaubriant, Robert Brasillach und Jacques Chardonne 2012, 444 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6746-8 Band 30 Bock, Hans Manfred Versöhnung oder Subversion? Deutsch-französische Verständigungs- Organisationen und -Netzwerke der Zwischenkriegszeit 2014, 675 Seiten €[D] 78,00, 978-3-8233-6728-4 Band 31 Amos, Thomas; Grünnagel, Christian (Hrsg.) Bruxelles surréaliste Positionen und Perspektiven amimetischer Literatur 2013, 138 Seiten €[D] 49,00, 978-3-8233-6729-1 Band 32 Keilhauer, Annette; Steinbrügge, Lieselotte (éds.) Pour une histoire genrée des littératures romanes 2013, 139 Seiten €[D] 54,00, 978-3-8233-6784-0 Band 33 Costa, Béatrice Elfriede Jelinek und das französische Vaudeville 2014, 248 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6872-4 Band 34 Hagemann, Anja Les Interactions entre le texte et l’image dans le ‹‹Livre de dialogue›› allemand et français de 1980 à 2004 2013, VI, 261 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6808-3 Band 35 Maierhofer-Lischka, Theresa Gewaltperzeption im französischen Rap Diskursanalytische Untersuchung einer missverständlichen Kommunikation 2013, 438 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6835-9 Band 36 Zimmermann, Margarete (éd.) Après le Mur: Berlin dans la littérature francophone 2014, 268 Seiten €[D] 48,00, 978-3-8233-6879-3 Band 37 Lüsebrink, Hans-Jürgen; Mbondobari, Sylvère (éds.) Villes coloniales/ Métropoles postcoloniales Représentations littéraires, images médiatiques et regards croisés 2015, 285 Seiten €[D] 58,00, 978-3-8233-6940-0 Band 38 Böhm, Roswitha; Kovacshazy, Cécile (éds.) Précarité Textes et images de la crise au XXI e siècle 2015, ca. 180 Seiten €[D] 28,00, 978-3-8233-6936-3 Band 39 Borst, Julia Gewalt und Trauma im haitianischen Gegenwartsroman Die Post-Duvalier-Ära in der Literatur 2015, XI, 289 Seiten €[D] 68,00, 978-3-8233-6916-5 ock 15 Deutsch-französische Gesellschafts- und Kulturbeziehungen der Zwischenkriegszeit (1919-1939) 3 Bände, zusammen 1.478 Seiten, €[D] 150,00 statt €[D] 185,90 (Einzelbezug) ISBN 978-3-8233-6933-2 Erkenntnisobjekt der vorliegenden drei Bände sind die Motive, Formen und Praktiken transnationaler Austausch- und Begegnungsvorgänge zwischen Deutschen und Franzosen in Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft während der beiden extrem krisendurchwirkten Zwischenkriegsjahrzehnte. Diese sind bislang vielfach Gegenstand einzelner (vor allem literatur- und diplomatiegeschichtlicher) Fallstudien gewesen, aber niemals in ihrer Wechselwirkung und Gesamterscheinung dargestellt worden. Dieser Aufgabe stellt sich die dreibändige Monographie, indem sie die anerkannten Mittlerpersönlichkeiten dieser Periode (Bd. 1), die im Entstehen begriffenen außenkulturpolitischen Institutionen (Bd. 2) und die zivilgesellschaftlichen Organisationen bzw. Netzwerke (Bd. 3) erstmals vorstellt und analysiert. Diese Akteure bildeten zusammengenommen die strukturelle Grundlage der Austausch- und Begegnungsprozesse zwischen beiden Nationen. Diese Grundlage war in dieser Periode zu keiner Zeit politisch stärker als die Interessen und Ideologien, die sich ihrer bemächtigten, und sie waren insgesamt zu schwach, um den abermaligen Krieg zu verhindern. Sie enthielten gleichwohl beachtenswerte Komponenten, die den deutsch-französischen Beziehungen der Nachkriegszeit die Richtung wiesen bei der konsequenten Favorisierung zivilgesellschaftlicher Aufbauarbeit. Enthält die Bände: Ein Standardwerk transnationaler Beziehungs- und Vergleichsforschung Jetzt komplett Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts edition lendemains, Vol. 2 2005, 412 Seiten, €[D] 39,90 ISBN 978-3-8233-6182-4 Lieferbar! Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts edition lendemains, Vol. 18 2010, 400 Seiten, €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6551-8 Lieferbar! Versöhnung oder Subversion? Deutsch-französische Verständigungs-Organisationen und -Netzwerke der Zwischenkriegszeit edition lendemains, Vol. 30 2014, 675 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6728-4 Lieferbar! Narr Francke Att tt empto Ve VV rlag GmbH+Co. KG • Dischingerw rr eg 5 • D-72070 Tübingen • Te TT l.: +49 (07071) 9797-0 • Fax: +49 (07071) 9797-11 • E-Mail: info@narr.de • www.narr.de Bock Hans Manfred Dieses Sachlexikon mit 345 Stichworten und sieben Überblicksdarstellungen informiert kompakt, zuverlässig und auf dem neuesten Forschungsstand über die wichtigsten Konzepte, Ereignisse, Fakten, Entwicklungen, Institutionen und Mittler der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945. Über 150 Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen ziehen erstmals auf Grundlage eines breit angelegten interdisziplinären Forschungsansatzes eine Bilanz des bisher Erreichten. Dem Laien bietet dieses Lexikon einen bequemen Einstieg in ein weit verzweigtes Beziehungsgeflecht, dem Kenner einen verlässlichen Überblick zu einem zentralen Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte und dem Akteur vor Ort die handlungsorientierte Darstellung eines transnationalen Aussöhnungsprozesses, dem nicht nur in Europa Modellcharakter zugeschrieben wird. Zum Weiterlesen regen Hinweise zur einschlägigen und aktuellen Forschungsliteratur am Ende eines jeden Artikels an; Querverweise vernetzen die einzelnen Beiträge untereinander und erleichtern die vertiefende Lektüre. Für die zweite Auflage wurde das Lexikon aktualisiert und um einige Artikel ergänzt.