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Herzog Ernst C. Lateinisch - Deutsch

2021
978-3-7720-5583-6
A. Francke Verlag 
Seraina Plotke

Der Herzog Ernst-Stoff ist in diversen lateinischen und volkssprachigen Bearbeitungen tradiert. Er verbindet Elemente der deutschen Reichsgeschichte mit Motiven des Kreuzzugsgeschehens und fasst sie zu einer Erzählung, in welcher der Held eine als Irrfahrt gestaltete Abenteuerreise im Orient erlebt, sich in der Fremde bewährt und nach erfolgtem Läuterungsprozess zu Hause reintegriert wird. Zu den ältesten lateinischen Versionen gehört der sogenannte Herzog Ernst C, eine Prosafassung, die ins 13. Jahrhundert datiert wird. Im Vergleich zu den erhaltenen mittelhochdeutschen Bearbeitungen zeigt der Text eigene Akzente, vor allem im Zusammenhang mit der Einbindung der Mutter des Helden ins Reichsgeschehen. Der Band bietet synoptisch zum lateinischen Text erstmals eine deutsche Übersetzung. Diese ist sehr textnah gestaltet, um das fremdsprachige Original auch denjenigen zu erschließen, die in der Lektüre mittellateinischer Diktion weniger geübt sind. Anmerkungen und ein Nachwort erleichtern das Verständnis.

Herzog Ernst C Lateinisch - Deutsch, mit Erläuterungen Seraina Plotke (Hrsg.) Herzog Ernst C. Lateinisch - Deutsch Seraina Plotke (Hrsg.) Herzog Ernst C Lateinisch - Deutsch nach dem Text von Thomas Ehlen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Beno Meier und Seraina Plotke, herausgegeben von Seraina Plotke Umschlagabbildung: „Herzog Ernst streitet mit den Kranich-Menschen“ aus Historia. Herzog Ernst. [Augsburg: Anton Sorg, um 1476]. 2° (GW 12534; ISTC ie00102900) Ex. Gutenbergmuseum / Stadtbibliothek Mainz, Sig. Ink. 322-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Die Drucklegung wurde gefördert durch das Deutsche Seminar der Universität Basel und durch die Universität Bamberg. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7720-8583-3 (Print) ISBN 978-3-7720-5583-6 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0157-4 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhalt Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Der ‚Herzog Ernst C‘, eine lateinische Prosaversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Hinweise zur Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Lateinischer Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Deutscher Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Textausgaben (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Historia ducis Hernesti foeliciter incipit (E219; b: f. 2 ra ; a: f. 92 r ; Haupt 193) Antiquis in temporibus monarchiam tam Bauarie quam Austrie dux quidam Hernestus nomine hereditario iure possessam strennue equissima lance iudicii gubernabat. Iste ex (E220) eque nobilissima alto parentum sanguine creta nomine Adelheida 1 , corporis elegantia per omnia, sed et mentis pulchritudine decentissima, filium 2 adprime speciosum et virtuosum generauit et suo patris nomine equiuocauit. Post vero paruo temporis curriculo transcurso, pater iura nature viam vniuerse carnis nutu Dei ingressus persoluit. Vnde mater, quamuis mariti solatio destituta, filii tamen indole tanti nobiliter in virile robur educati et tam in Latinam quam in Gallicam sed et Grecam 3 linguam adprime per matris 4 procuracionem instructi, cum tota familia, ymmo et (E221) diuersa Austrie et Bauarie natione per hereditarie ius successionis subdita, letabatur. Iste nimirum homo factus totus ad unguem, etriclaro sicut Grais dedit ore rotundo Musa loqui. 5 Postquam more ecclesiastico per sacerdotis benedictionem gladium cinxit quendam virtutum multarum lima politum, linea consanguinitatis proxime astrictum comitem nobilem et diuitem in socium asseruit. Cuius consilio in prudentia serpentino 6 et (E222) auxilio in illustrium et virilium actuum profectu leonino 7 sub dominium et famulatum non tantum domesticos sed et exteras vicinias constituit. (b: f. 2 rb ) Tanti filii 8 titulis et per omnia virtutis et honoris augmentum in dies augescentibus profectibus genitrix congratulabatur et, iuxta verba Domini loquentis in Apostolo (Haupt 194) Vere vidua sperans in Deum, et instans orationibus die ac nocte, 9 cum ceteris misericordie operibus celibem vitam ducere ad tempus pro eternitatis prauio summo opere nitebatur. Recalcitrabant (a: f. 92 v ) tamen in se celibatui sexus fragilis conditio 10 , etatis iuuenilis titillacio, diuitiarum, nu- Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 7 Historia ducis Ernesti Titel: Die Geschichte des Herzogs Ernst beginnt verheißungsvoll (E219) 1 In alten Zeiten übte ein gewisser Herzog Ernst sowohl in Bayern als auch in Österreich die ihm gemäß Erbrecht übertragene Alleinherrschaft voller Tatkraft äußerst gerecht aus. Dieser (E220) zeugte mit der ebenso hochadeligen, aus dem Blut erhabener Vorfahren entsprossenen Adelheid, die in allem durch die Eleganz ihres Körpers und ihre hervorragenden Geistesgaben sehr anmutig war, einen gar schönen und tüchtigen Sohn und nannte ihn nach dem Namen des Vaters. Später aber, nachdem er sein kurzes Leben durchlaufen hatte, betrat der Vater auf Gottes Wink den Weg jeden Fleisches insgesamt und erfüllte die Rechte der Natur. Seither freute sich die Mutter, obwohl ohne den Beistand eines Gatten, am Charakter des so bedeutenden Sohnes, der nach adliger Art zu männlicher Stärke erzogen und sowohl in lateinischer als auch französischer und griechischer Sprache - besonders auf Veranlassung der Mutter - unterwiesen worden war, mit dem ganzen Hofstaat, ja auch (E221) mit der zahlreichen Bevölkerung Österreichs und Bayerns, die ihm gemäß Erbrecht der Nachfolge untertan waren. Kein Wunder, wurde jener zu einem vollendeten Mann von Welt, dem Himmelsberühmten gleich wie den Griechen verlieh die Muse die Gabe kunstvoller Rede. Nachdem er sich nach kirchlichem Brauch mit den Segen eines Priesters ein mit der Feile vieler tapferer Taten poliertes Schwert umgegürtet hatte, erklärte er einen adeligen und reichen Grafen, der ihm in der Verwandtschaftslinie sehr eng verpflichtet war, zu seinem Gefolgsmann. Mit seinem Rat, der an Klugheit dem von Schlangen glich, und (E222) seiner Hilfe beim löwenhaften Erfolg hervorragender männlicher Taten bestimmte er nicht nur seine eigenen Leute, sondern auch die Grenznachbarn. Die Mutter war dankbar über die Zunahme an Tugend und Ehre ihres so bedeutenden Sohnes - von Tag zu Tag nahmen seine ruhmvollen Taten und seine Erfolge zu - und indem sie gemäß den Worten des Herrn, der durch den Apostel spricht, als Witwe, die sie wirklich war, auf Gott hoffte und Tag und Nacht in Gebeten verharrte, bemühte sie sich sehr, mit den übrigen Werken der Barmherzigkeit, für den Lohn des ewigen Lebens vorübergehend ein eheloses Leben zu führen. Der Ehelosigkeit widersetzten sich in ihr 8 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch tricum incentiuorum carnalium accumulacio, preterea quam plurimorum procerum genere, forma, diuitiis et potentia (E223) prestantium cottidiana ad illam confluxio, super omnia gloriosa filii ad matrimonii contraccionem iterandam frequens consilium et cum pia intencione gratia propagande prolis precepcio. (ç) Gubernabat strennuissime illo in tempore Romani apicem et habenas imperii Otto 11 imperator Sclauorum et Frisonum et primatum Teutonicorum et aliarum plurimum nationum 12 subiugator, pacis et tocius equitatis humane et Diuine pius emulator. Iste trans flumen Eilben inclitam ciuitatem Maedeburch 13 , intra quam egregiam in honore Mauritii et socie Thebee 14 legionis basilicam 15 mire fabrice fundavit, cum iure perpetuo ad supplementum latas (E224) agrorum 16 , vinearum, pratorum et ceterorum huius humane indigencie necessariorum possessiones, vnde sufficientissime sustentarentur, vt ibi Deo inclinantes, condonauit. Hic enim in virtute vitam ducens (b: f. 2 va ) in primeuo flore iuuentutis sortitus est in matrimonio matronam sancte 17 conuersacionis et summe ad Deum et homines virtutis Ottegebam 18 nomine, ortam de superbo illustrium Anglicorum regum stemate. Ista post aliquan- (E225) tulum conuictus cum imperatore Ottone feliciter in omni honestate et bonitate transcursum temporis spacium ab hoc seculo iure nature per mortem persoluto migrauit. Cuius animam dominus imperator pia precum instancia celesti Imperatori, sed corporis materiam terre in basilica 19 condita condite ciuitatis cum condigna exequiarum honorificentia commendauit. Post aliquantum temporis a sepultura Oittegebe domine imperatricis in (Haupt 195) memoriam reducens Apostolicum eulogium: Melius est nubere quam vri 20 , eciam communi principum suorum conuocatorum ob hoc negotium et vnanimi consilio prememoratam ducissam Adelhaidam in vxorem, imperatorie maiestatis apici (a: f. 93 r ) bus transportatis per pri- (E226) matem pre aliis primatibus 21 curialem et sciolum, imperatoris tanti tanto negocio condignum 22 et congruum, petiit. Illa quid super hac inopinata tante persone tanta legacione et aliquantulum celibatui iniciato contraria dictu et facto opus sit, filium suum et suos optimates in cetum consuluit. Sed primitus diuersi diuersa 23 , ut in tali negocio fieri solet, senciebant. Sed tandem dux ducisse tam filius quam eius paris amicitie comes Wezelo et omnes qui aderant Deo inspirante in vnum consentiebant scilicet ducissam sine dubitacionis scrupulo debere (b: f. 2 vb ) assensum domino imperatori prebere. Vnde illa quasi futurorum nescio 24 quo instinctu prescia apostrophans 25 ad filium in hec verba prorupisse narratur: ‘Mi fili precordialissime, timeo ne, si iuxta tuum et nostrorum optimatum consilium domini imperatoris connubio iungar, forte discordia aliqua inter te magnanimum iuuenem et inter illum suborta ego hinc pre nimia mentis absorbente tristicia Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 9 dennoch die Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts, der Reiz des jugendlichen Alters, die Anhäufung von Reichtum, dem Nährboden fleischlicher Lüste, außerdem der tägliche Zustrom von so vielen Vornehmen wie möglich, die sich durch Geburt, Schönheit, Reichtum und Einfluss (E223) auszeichneten, vor allem aber der häufige Ratschlag ihres ruhmvollen Sohnes, eine zweite Ehe einzugehen, und - mit frommer Absicht - die Vorschrift, Nachkommen zu zeugen. In jener Zeit leitete Kaiser Otto, der Bezwinger der Slawen, Friesen, deutscher Fürsten und mehrerer anderer Völker, voller Tatkraft das Römische Reich, ein frommer Förderer des Friedens und der völligen menschlichen wie göttlichen Freiheit. Dieser stiftete jenseits der Elbe die berühmte Stadt Magdeburg, in der er den wunderschönen Dom zu Ehren des Mauritius und der mit ihm verbundenen Thebaischen Legion bauen ließ, mit fortlaufendem Recht zur Stärkung weite (E224) Besitzungen an Äckern, Weinbergen, Wiesen und Lebenswichtigem für die menschlichen Bedürfnisse, wovon sie sich ausreichend ernähren können sollten, da sie sich dort vor Gott verneigten. Dieser nämlich, der ein tugendhaftes Leben führte, heiratete in der Blüte seiner Jugend eine Frau mit heiligmäßigem Lebenswandel und von höchster Tugendhaftigkeit gegenüber Gott und den Menschen. Sie hieß Ottegeba und stammte aus dem stolzen Geschlecht der berühmten englischen Könige. Nachdem diese (E225) mit Kaiser Otto nur kurze Zeit in aller Ehrbarkeit glücklich zusammengelebt hatte, erfüllte sie die Rechte der Natur und verließ diese Welt. Ihre Seele empfahl der Herr und Kaiser mit inbrünstigen frommen Gebeten dem himmlischen Herrscher, ihren Leib übergab er der Erde im neu gegründeten Dom der neu gegründeten Stadt mit den für ein Begräbnis würdigen Ehrenbezeugungen. Ziemlich lange Zeit nach der Beerdigung der Herrin und Kaiserin Oittegebe erinnerte er sich an das geistreiche Wort des Apostels: Es ist besser zu heiraten als vor Begierde zu brennen. Auch berief er wegen dieser Sache die Fürsten ein und bat auf ihren einhelligen Rat hin um die Hand der vorher erwähnten Herzogin Adelheid. Ein (E226) vor allen anderen feingebildeter und geschickter Fürst, welcher der so bedeutenden Aufgabe des so bedeutenden Kaisers würdig und ihr gewachsen war, überbrachte ihr den entsprechenden Brief der kaiserlichen Majestät. Jene traf sich mit ihrem Sohn und ihren Edelleuten und fragte sie um Rat, was zu sagen und zu tun sei bezüglich dieser unerwarteten und so bedeutenden Gesandtschaft der so bedeutenden Persönlichkeit, die dem begonnenen Leben in Ehelosigkeit ein bisschen im Wege stehe. Aber zunächst hatten die einen diese, die anderen jene Meinung, wie das bei einem solchen Geschäft zu geschehen pflegt. Aber schließlich waren der Herzog, der Sohn der Herzogin, sowie Graf Wetzel, sein gleichaltriger Freund, einhellig der Meinung, selbstverständlich solle die Herzogin ohne geringste Bedenken dem Herrn und Kaiser ihr Jawort geben. Hierauf, so wird erzählt, sprach jene, als 10 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch viua consumar’. Ad hec dux ait: ‘Talia te, domina mater, a nupciis imperatoris non absterreant, quia summi misericordia Imperatoris arridente terreno huic imperatori adeo devotus, tam in aduersis quam prosperis paratus sincerissime fidei brachiis ipsum et suos amplectar, vt in oculis sue (E227) imperatorie maiestatis gratiam perseueranter inuenire merear.’ Ducissa ducis gloriosi filii virilibus verbis animata rigorem animi pro tempore demutauit et per legatum apicibus suis assensus ad futuri 26 stabilitatem connubii significatiuis imperatori prefixo 27 diei termino, quo nupciari cum eo vellet, significauit. (ç) Imperator itaque super tali legacione 28 satis hylaratus generalem curiam indicit, vbi, vniuersis tam principibus quam vasallis 29 suis adunatis et associatis cum multa ambicione in locum, quo ducissa manserat, ipsam a filio et eius optimatibus cum eque non minima armbicione representa (Haupt 196) tam Magunciam 30 duxit. Ibi nuptiis cum sum (a: f. 93 v ) mis tripudiis celebratis quique tam princeps (b: f. 3 ra ) quam alii aduenticii in sua rediere. Imperator eciam lege thori leta satis ad votum expleta ad exequendi regni negotia vna cum imperatrice Adelheida (E228) diuersa ad loca 31 secessit. Nec mora dignis legatis delegatis ducem Hernestum ad se vocauit, et sociorum clara comitante caterua illum cum imperatrice matre ducis benignissime salutauit, consalutatum in horum verborum tenorem apostrophauit: ‘Iuuenis genere et forma electe, michi post matrem 32 predilecte, scire debes quia pro amore dulcissime matris tue michi in omnibus morem gerentis loco filii te sum habiturus et ad honoris culmen quam maximum possum promoturus. Quapropter et tu michi talionem amoris sinceri recompensato, vtque Christianorum imperium sine cedis, rapine et aliarum huiusmodi generis pressurarum deuastacione incolume Deo annuente seruetur elaborato.’ Fine ora- (E229) tionis huius habito et a duce priuigno magna gratiarum domino imperatori accione exhibita, post aliquot dies inibi factos imperator et imperatrix singula donaria imperatoriam maiestatem decencia duci glorioso et sociorum suorum singulo donauerunt et cum summa beniuolentia in sua redire a se dimiserunt. Ea propter dux miles excellentissimus, vbicunque necessitatis articulus imperatori ingruebat, pro imperatore se murum cum omnibus suis ponebat, eum vere sincere dilectionis brachiis amplectens vnacum 33 paris (E230) amicitie comite Wezilone, et (b : f. 3 rb ) omnibus suis non priuignum sed filium circa prouentus et augmenta honoris imperatorii se fidelissime et indefesse exhibebat. Sic mutua inter illos per aliquantulum temporis interuallum inuiolata mansit amicicia, et ob hoc dux in curia imperatoris tamquam in propria domo familiariter, quia per omnia fideliter conuersabatur, et ab vniuersis iubente imperatore secundus ab illo habebatur. Sed Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 11 hätte sie - ich weiß nicht, durch welche Eingebung - die Zukunft vorausgewusst, zu ihrem Sohn die folgenden Worte: „Mein herzallerliebster Sohn, ich fürchte, wenn ich gemäß deinem Rat und dem unserer Edelleute den Herrn und Kaiser heirate, es könnte zufällig irgendein Streit aufkommen zwischen dir, dem großmütigen jungen Mann, und jenem und ich würde von da an vor allzu großer Traurigkeit mich lebend aufzehren.“ Darauf entgegnete der Herzog: „Solches soll dich, Herrin und Mutter, von der Heirat mit dem Kaiser nicht abschrecken, weil ich, da mir die Barmherzigkeit des höchsten himmlischen Herrschers gewogen ist, diesem Herrscher auf Erden so sehr ergeben bin und sowohl in unglücklichen wie auch in glücklichen Zeiten voller Bereitschaft in aufrichtiger Treue ihn selbst und die Seinen mit meinen Armen umfasse, dass ich in den Augen (E227) seiner kaiserlichen Majestät beständige Gunst zu finden verdiene.“ Beseelt von den männlichen Worten des Herzogs, ihres ruhmreichen Sohnes, änderte die Herzogin ihre unbeugsame Haltung den Umständen entsprechend und ließ dem Kaiser brieflich durch den Gesandten ihre Zustimmung zur dauerhaften künftigen Ehe mitteilen, wobei sie den Tag festsetzte, an dem sie sich mit ihm verheiraten wolle. Über den Erfolg dieser Gesandtschaft hochbeglückt, sagte der Kaiser daher einen allgemeinen Reichstag an. Dort versammelten sich seine sämtlichen Fürsten wie Vasallen und Lehensmänner. Er ging mit zahlreichem Gefolge zum Ort, wo die Herzogin geblieben war, und führte sie selbst, die von ihrem Sohn und seinen Edelleuten von keineswegs geringerem Gefolge begleitet war, nach Mainz. Dort wurde die Hochzeit unter höchstem Jubel gefeiert. Dann kehrten sowohl die Fürsten als auch die anderen Gäste in ihre Reiche zurück. Auch der Kaiser zog sich, nachdem er das glückliche Gesetz des Ehebettes pflichtgemäß erfüllt hatte, zusammen mit der Kaiserin Adelheid, (E228) an verschiedene Orte zurück, um die Aufgaben des Reichs wahrzunehmen. Es dauerte nicht lange, da ließ er durch würdige Gesandte Herzog Ernst zu sich rufen und zusammen mit der Kaiserin, der Mutter des Herzogs, hieß er ihn, der von einer erlauchten Schar Gefährten begleitet war, aufs freundlichste willkommen. Nach der Begrüßung sprach er zu ihm ungefähr folgende Worte: „Du, durch Abstammung und Schönheit auserwählter junger Mann, den ich nach deiner Mutter am meisten liebe, du sollst wissen, dass ich dich wegen meiner Liebe zu deiner allerliebsten Mutter, die in allen Dingen meinen Willen befolgt, wie einen Sohn behandeln und, soviel in meiner Macht steht, zu höchstmöglicher Ehre befördern will. Deshalb sollst auch du mich ebenso aufrichtig lieben und dich bemühen, dass das Reich Christi ohne Verwüstung durch Mord, Raub und andere Unterdrückungen dieser Art mit Gottes Zustimmung unversehrt erhalten bleibe.“ Nach (E229) Beendigung dieser Rede stattete der herzogliche Stiefsohn dem Herrn und Kaiser seinen großen Dank ab, und nach einigen dort verbrachten Tagen gaben der 12 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch summa petit liuor, perflant altissimi venti. 34 (ç) Quidam nempe Henricus (a. f. 94 r ) comes Palatinus 35 imperatoris con (Haupt 197) sanguineus, fornace invidie in ducem sine confictis ambagibus dum mentitur laborans quasi alter Achitophel 36 eum accusauit: ‘O patrie’ inquiens (E231) ‘pater generalis, sed non deus specialis, in quo post Deum tota mea spes dependet, habeo secreta sed prodigiosa et facinorosa, que ad vos perferam. Dux Hernestus, quem loco filii a vobis secundum in curia vestra pre cunctis primatibus amatis et honoratis, vestre dulcissime vite mortem et a regni solio deposicionem omnimodis machinatur eo fine, ut ipse regno sine regni consorte pociatur, et nisi in breui maiestas vestra iaculum sue machinacionis per clipeum prouide discrecionis excuciat, fieret quodcumgue minabitur arcus’. Huic imperator ‘dura sunt’ inquit, ‘mi nepos, que defers et suggeris, quibus, si quis alius preter te apud me de tam amantissimo michi principe deferret, nulla racione fidem adhiberem, sed pro ficticio (b: f. 3 va ) manifesto reputarem et delacionem talem non alia mercede quam capitis obtruncacione remunerarem. Ingruit enim hinc michi duplex periculum, scilicet tam probatissimi per omnia michi principis discidium et imperatricis precordialissime, si illum offendam, offensaculum. Sed quia tuta fides nusquam qua fallimur omnes, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 13 Kaiser und die Kaiserin dem ruhmvollen Herzog und jedem einzelnen seiner Gefolgsleute Geschenke, die der kaiserlichen Majestät entsprachen, und mit Zeichen höchsten Wohlwollens entließen sie sie nach Hause. Deswegen stellte sich der Herzog, ein hervorragender Soldat, wo immer eine Notlage über den Kaiser hereinbrach, für den Kaiser mit allen Seinen als Mauer hin, da er ihn wirklich aufrichtig mit den Armen der Hochachtung umfasste, zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Graf Wetzel, und (E230) erwies sich allen Seinen nicht als Stiefsohn, sondern als treuer und unermüdlicher Sohn, wenn es um Erfolg und Vermehrung der kaiserlichen Ehre ging. So blieb die gegenseitige Freundschaft zwischen ihnen eine Zeitlang unverletzt, und deswegen wurde der Herzog am Hof des Kaisers freundlich wie im eigenen Haus behandelt, weil er sich in allen Belangen als zuverlässig erwies und von sämtlichen Menschen auf Befehl des Kaisers als zweiter nach jenem angesehen wurde. Aber nach Höchstem strebt der Neid, es blasen hoch oben die Stürme. Ein gewisser Heinrich nämlich, ein verwandter Pfalzgraf des Kaisers, glühte vor Neid auf den Herzog; er klagte diesen an, wobei er sich abmühte wie ein zweiter Achitophel und ohne Umschweife Lügen auftischte, indem er sagte: (E231) „O allgemeiner Vater, wenn auch nicht von göttlicher Besonderheit, von dem nach Gott meine ganze Hoffnung abhängt, ich habe Geheimnisse - sie sind aber ungeheuerlich und verbrecherisch -, die ich Euch anvertrauen will. Herzog Ernst, den Ihr an Sohnes statt als zweiten nach Euch an Eurem Hof vor allen Fürsten liebt und ehrt, bezweckt den Tod Eures allerliebsten Lebens und die Absetzung vom Herrschaftsthron auf jede Art und Weise in der Absicht, sich selbst der Herrschaft ohne Mitregenten zu bemächtigen, und wenn nicht in Kürze Eure Majestät den Speer seiner bösen Absicht durch den Schild vorausschauender Klugheit abschüttelt, wird der Bogen das anvisierte Ziel treffen.“ Diesem antwortete der Kaiser: „Es ist hart, mein Neffe, was du mir anvertraust und wovor du mich warnst, Anschuldigungen, denen ich, wenn sie ein anderer außer dir bei mir über den von mir so sehr geliebten Fürsten anvertraute, auf keinen Fall Glauben schenken, sondern für eine offensichtliche Lüge halten würde; eine solche Anzeige würde ich nicht mit anderem Lohn als mit Enthauptung vergelten. Auf mich bricht dadurch doppelte Gefahr herein, nämlich die Trennung von diesem in allen Belangen sehr bewährten Fürsten und die Missstimmung der innig geliebten Kaiserin, wenn ich jenen verstoße. Aber weil nirgends Treue sicher ist, in der wir uns alle täuschen, 14 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch ego illius perfidie machinacionem, quam nulla alia persona nisi te nepote deferente curarem, frustrabor, et quem honoris mei (E232)cepit vitrea fama humiliabo, quia per me hunc circumtonabit gaudens Bellona 37 cruentis.’ Ad quem non creta sed carbone notandus comes: ‘Mi domine, meum si placet super digna tanti facinoris vlcione audiat celsitudo vestra consilium. Hec res amoris nec modum habet neque consilium, racione vero tractari non vult. In amore hec sunt mala, bellum, pax rursum. 38 Que ideo dixerim, vt cautum vos reddam, ne imperatrici, cui totus amor vester inuigilat, prodita intimetis, quia filium cautum et armatum contra uos reddet, filialem (a: f. 94 v ) amorem maritali amori forte (Haupt 198) preponens muliebri leuitate 39 . Nam varium et mutabile semper 40 (E233) mulier 41 . Quin ymmo michi clam collecto per uos exercitu negotium persecucionis merite in illum committite; ego illi talionem facinoris recompensabo.’ Huius huic consilio imperator annuens et in breui grandem militum phalangem colligens, illum clam 42 regina et curie familia ad inferendum persecucionem duci Hernesto comitem Palatinum misit. Ille in malicia glorians per imperatorem potens iniquitate cedibus, rapinis, incendiis et aliis (b: f. 3 vb ) huius generis cladibus prouinciam Austrie tunc Hernesto subiectam, sed post Herbipolensi 43 ecclesie pro amore contraditam, infestabat et (E234) nesciente iam dicto illius provincie dominatore Hernesto Babenberch obsidione uallabat. Burgenses 44 vero, quamuis inopinata et subdita obsidione tamen hospites infeste suscepere et hospicio susceptorum funesto frequentissime tam clanculo quam in propatulo portis armati erumpentes, multam stragem in uallatores exercuere et multorum animas Plutoni 45 transmisere. Cognito vero iussu imperatoris duci offenso obsidionem hanc fieri per Palatinum, sine mora per nuncium velocissimum rem omni ordine duci significabant, et vt ad eorum liberacionem venire maturaret suplicissime implorabant. Legatus vero multis in partibus duci quaesito, sed tandem inuento legata insinuauit. Dux non satis admi- (E235) rando stupens, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 15 werde ich das treulose arglistige Vorhaben jenes Mannes, um das ich mich nicht kümmern würde, wenn es mir eine andere Person als du, mein Neffe, hinterbrächte, vereiteln und ihn, der (E232) sich von meinem glänzenden Ruhm hat blenden lassen, demütigen, denn durch mich wird diesen Bellona, die sich am Blutrausch erfreut, betäuben.“ Zu ihm sagte der Graf, den man nicht mit weißer, sondern mit schwarzer Kreide kenntlich machen müsste: „Mein Herr, wenn es beliebt, möge Eure Erhabenheit auf meinen Rat hören bezüglich der verdienten Strafe für eine so große Untat. Diese Angelegenheit der Liebe kennt nicht Maß noch Einsicht, will aber auch nicht mit Vernunft behandelt werden. In der Liebe gibt es diese Übel: Krieg, dann wieder Frieden. Daher sollt Ihr das, was ich gesagt habe, um Euch zur Vorsicht zu mahnen, nicht der Kaiserin, der Eure ganze Liebe gilt, erzählen; denn sie wird den Sohn zur Vorsicht mahnen und gegen Euch rüsten, weil sie bei der weiblichen Unbeständigkeit die Liebe zum Sohn vielleicht über die Liebe zum Gatten setzen wird. Denn unbeständig und wetterwendisch ist immer (E233) die Frau. Ja vielmehr: Stellt heimlich ein Heer auf und vertraut mir die Aufgabe an, ihn, der es verdient, zu verfolgen; ich werde ihm seine Untat heimzahlen.“ Der Kaiser stimmte diesem seinem Rat zu, sammelte in Kürze eine große Heerschar von Soldaten und entsandte jenen Pfalzgrafen heimlich vor der Königin und dem Hofstaat mit dem Auftrag, Herzog Ernst zu verfolgen. Jener rühmte sich seiner Bosheit und griff - durch den Kaiser zum Unrecht legitimiert - mit Mord, Rauben, Brennen und anderen derartigen Schreckenstaten die Provinz Österreich an, die damals Ernst untertan war, aber später aus Liebe der Kirche von Würzburg übergeben wurde, (E234) und schloss Bamberg durch eine Belagerung ein, ohne dass Ernst, der schon erwähnte Herrscher dieser Provinz, davon wusste. Die Bürger aber, wie unvermutet und unerwartet die Belagerung auch war, wehrten sich schlagkräftig gegen die ungebetenen Gäste und brachen sehr häufig ebenso heimlich wie offen bewaffnet aus den Toren aus, um ihnen ein tödliches Quartier zu bereiten, richteten ein großes Blutbad unter den Belagerern an und übergaben Pluto die Seelen von vielen. Als aber bekannt wurde, dass diese Belagerung durch den Pfalzgrafen auf Geheiß des Kaisers dem verstoßenen Herzog galt, zeigten sie dem Herzog unverzüglich durch einen schnellen Boten ihre Lage Punkt für Punkt an und baten ihn fle- 16 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch qua de causa oculos imperialis serenitatis offensos inopinate sensisset, cum merore in hec uerba prorupit: ‘Testor Deum, cui omnis loquitur consciencia, me circa domini imperatoris honorem ac si corporalis patris honorem omnimodis insudasse diligentia. Vnde speraui melius quia me meruisse putaui. 46 (versus) At comes Henricus sine re nobis inimicus haut impune feret, 47 licet huic rex fautor adheret.’ Nec mora misterium con (Haupt 199) silii cum suis symmystis, quid opus facto esset, habuit. Castra sua que nondum erant expugnata et im- (E236) peratoris militibus non ocupata (a: f. 95 r ) contra belli […] galea communiuit. Legatis ubiuis gencium directis ad conciendum presidium equitum (b: f. 4 ra ) (versus) mente leonina collegit milia trina. Qui fretus turbis, pauor hostibus et fauor vrbis aduolat et in conticinio tempeste noctis castra hostium inprouisorum inuadit et nullum in vincula coniciens omnes, quos reperit, sine misericordia aut occidit aut semineces protrivit aut in fugam compulit. Cuiusmodi fuge auxilio ipse eciam comes uix elapsus est, sed dux burgensibus redditus est et breuiter sed deuote salutatus. Ille vero videlicet Palatinus quamuis multis mortibus suorum aduentum ducis male compertum habuit, mente virili recollecta omnes, qui fuge presidio mortem euaserant, resociauit et dispositis ordinibus acierum magnanimiter in bellum contra ducem occurrit. Necminus dux tam adducticios milites quam ciuitatis inco- (E237) las in aciem disposuit prudentissime et breui quidem pro tempore sed sale sapiencie condita ad bellum exhortacione vsus ab vrbe in obuiam comiti quasi verus Machabeorum 48 princeps processit et, ut vtar compendio, victoria, que aliquando dubia vtriusque pendebat duci racionabiliter Iusticia 49 pro eo pugnante non tamen sine partis sue aliqua strage cessit. Vnde illo videlicet duce cum suis super potito triumpho condigno exhilarato et de spoliis cesorum et fugatorum opulentissime ditato, comes Henricus cum paucis vite dedecorose fuga vix seruatus imperatorem tristis adiit, eius pedibus prouolutus tragediam suam meritam vix singultibus editam exposuit. Super qua re dominus imperator Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 17 hentlich, umgehend zu kommen, um sie zu befreien. Der Gesandte suchte den Herzog in vielen Landesteilen, fand ihn schließlich und teilte ihm mit, was ihm aufgetragen worden war. Der Herzog war (E235) bestürzt und konnte sich nicht genug wundern, aus welchem Grund er die beleidigten Augen der kaiserlichen Hoheit unvermutet zu spüren bekam, und brach voller Trauer in folgende Worte aus: „Ich bezeuge bei Gott, zu dem mein ganzes Gewissen spricht, dass ich mich, was die Ehre meines Herrn und Kaisers betrifft, wie für die Ehre meines leiblichen Vaters in jeder Hinsicht gewissenhaft abgemüht habe. Daher erhoffte ich Besseres, weil ich glaubte, es verdient zu haben. Aber Graf Heinrich, grundlos uns feindlich gesinnt, wird nicht ungestraft davonkommen, mag ihm auch der König, sein Förderer, beistehen.“ Unverzüglich fasste er mit seinen Vertrauten den geheimen Entschluss, was zu tun sei. Sein Lager, das noch nicht erobert und (E236) von den Soldaten des Kaisers nicht besetzt worden war, befestigte er gegenüber der Kriegsgefahr. 2 Er schickte Gesandte in alle Welt, um Reitertruppen zusammenzubringen, und sammelte mit löwenhaftem Mut dreitausend Mann. Auf seine Scharen gestützt, fürchterlich für die Feinde und förderlich für die Stadt, eilte er herbei und drang um Mitternacht ins Lager der ahnungslosen Feinde ein; keinen legte er in Fesseln, alle, die er fand, tötete er ohne Mitleid, schlug sie halbtot oder zwang sie zur Flucht. So half sich auch der Graf [Heinrich] selbst durch Flucht und entkam nur mit Mühe, der Herzog [Ernst] aber kehrte zu den Bürgern zurück und wurde von ihnen kurz, aber treuergeben begrüßt. Aber obwohl jener Pfalzgraf - aufgrund großer Verluste seiner Leute - offensichtlich schlechte Erfahrungen mit dem anrückenden Herzog gemacht hatte, fasste er sich beherzt wieder und vereinigte alle von neuem, die im Schutz der Flucht dem Tod entronnen waren, stellte die Schlachtordnung auf und warf sich mutig in den Krieg gegen den Herzog. Nicht weniger stellte der Herzog sowohl die herangeführten Soldaten als auch die Einwohner (E237) der Stadt auf kluge Weise zur Schlachtordnung auf, hielt der Lage entsprechend eine zwar kurze, aber mit dem Salz der Weisheit gewürzte Ansprache, um sie zum Krieg anzufeuern, und brach von der Stadt auf dem Grafen entgegen wie ein wahrer Makkabäerfürst. Und um es in aller Kürze zu sagen: Der Sieg, der bisweilen für beide in der Schwebe hing, fiel vernünftigerweise, da Justitia für ihn kämpfte, dem Herzog zu, allerdings nicht ohne einige Verluste auf seiner Seite. Daher freute sich der Herzog natürlich mit den Seinen über den erworbenen würdigen Triumph, zudem war er durch 18 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch diram succensus in iram 50 (E238) duci suisque mortem uel exilium minatur et inbreui, si uita comes foret, se ulturum tantum dedecus (b: f. 4 rb ) vociferando protestatur. Interea dux sepe memoratus, vbi nimietatem cladium in villis, (Haupt 200) vicis, ciuitatibus deuastatis et in castellis expugnatis et iam per imperatoris homines occupantes illa a suo dominio alienatis animaduertit, strennuum lega (a: f. 95 v ) tum ad explicandum iniurias ab imperatore illatas destinauit. (versus) Is rumpendo moras cito deueniebat in oras. Quis regina fuit cunctaque perdocuit. hunc per iuniorem peperit regina dolorem. Mandans legato pausare parum memorato, dissimulans tamen anxietatis nimietatem per uultus hylaritatem imperatorem adiit. Et aliquantis vsa ambagibus tandem occasione quadam de filio nacta miserabiliter sic exorsa est: ‘Mi domine (E239) imperator, per summi amorem Imperatoris et meum celsitudinem vestram imploro, et implorans exoratam esse summo opere desidero, vt si qua temeritatis aut culpe presumpcione ille meus vnicus filius offendit oculos vestre serenissime maiestatis, principaliter pro Dei et secundario pro mei amore remittatis. Sin autem saltem secundum decreta et canones generale colloquium tam primatibus quam vasallis vestris, sed et filio meo edicatis, et si quam habetis offense racionabilis in eum causam, nisi se purgauerit ab obiectis, prout scita canonum et decreta iusticiam de eo dictauerint, lata generali principum sentencia satisfactionem condignam in ipsum exerceatis.’ Rex illico nubiloso uultu et in terram ad tempus defixo iracundie stimulis exagitatus ait: ‘O domina, satis sincere te amo, sed tue peticioni in hoc prorsus reclamo, quia fixam et immobilem in corde (b: f. 4 va ) posui sentenciam, ne filius tuus ullam aput me inueniat clemenciam 51 , cum ipse, prout ab intimo quodam meo delatum est michi, pro usurpando sibi regno molitus sit vite mee exitum inopinatum ab eo, cui me patrem ostendi per (E240) summam diligenciam.’ Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 19 die Kriegsbeute von den Gefallenen und in die Flucht Geschlagenen sehr reich geworden; Graf Heinrich aber, der zusammen mit wenigen durch entehrende Flucht sein Leben hatte retten können, ging betrübt zum Kaiser, warf sich ihm zu Füßen und berichtete ihm von seinem - verdienten - Unglück, über das er nur mit Mühe und schluchzend sprechen konnte. Darüber geriet der Herr und Kaiser in schrecklichen Zorn, (E238) drohte dem Herzog und den Seinen den Tod oder die Verbannung an und beteuerte lautstark, er werde - unter der Voraussetzung, dass er am Leben bleibe - diese so große Schmach in Kürze rächen. Inzwischen bemerkte der oft genannte Herzog den übermäßigen Schaden auf Landgütern, in Dörfern, in völlig verwüsteten Städten, an Burgen, die erobert waren, und an solchen, die durch die Belagerung von kaiserlichen Leuten seiner Herrschaft entzogen waren; da bestimmte er einen tüchtigen Gesandten, der über die Ungerechtigkeiten informieren sollte, die vom Kaiser veranlasst worden waren. Dieser gelangte ohne Verzug schnell in die Gegend, in der die Königin war, und unterrichtete sie gründlich über alles. Diese Nachricht 3 schmerzte die Königin. Sie trug dem erwähnten Gesandten auf, etwas zu verweilen, und ging zum Kaiser, wobei sie jedoch ihre große Angst hinter einer heiteren Miene verbarg. Und nach ziemlich vielen Umschweifen packte sie endlich die Gelegenheit, auf ihren Sohn sprechen zu kommen, und begann, mit trauriger Stimme folgendermaßen zu reden: „Mein Herr (E239) und Kaiser, bei der Liebe des höchsten Herrschers und auch bei meiner eigenen flehe ich Eure Hoheit an - und flehentlich bittend wünsche ich gar sehr, sie möge besänftigt sein -, Ihr mögt, falls jener mein einziger Sohn durch irgendeine Anmaßung von Unbesonnenheit oder Schuld die Augen Eurer erlauchten Majestät beleidigt hat, ihm in erster Linie aus Liebe zu Gott und zweitens aus Liebe zu mir vergeben. Wenn nicht, mögt Ihr wenigstens gemäß den Grundsätzen und Bestimmungen eine öffentliche Unterredung sowohl Euren Fürsten wie Vasallen, aber auch meinem Sohn ansagen, und falls Ihr einen vernünftigen Grund für den Zorn gegen ihn habt, so mögt Ihr, wenn er sich von den Vorwürfen nicht reinwäscht, so, wie es ein gerechtes Verfahren in seiner Sache vorschreibt, nach allgemeinem, breit abgestütztem Urteilsspruch der Fürsten eine angemessene Buße über ihn verhängen.“ Der König sagte auf der Stelle mit düsterer und eine Zeitlang fest auf 20 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Animaduertens imperatrix imperatoris immensam iracundiam 52 subito se imperatori absentauit et in basilicam properans solotenus pauimento prosternitur et tota cordis contricione adiutorem in oportunitatibus, in tribulacione implorauit. ‘O’ inquit ‘Christe Ihesu, tu lapis ille, quem Sibille 53 predixit oraculum, prima spretus et deletus, modo tenes angulum, tu, inquam, Impera (Haupt 201) tor imperatorum, (a: f. 96 r ) quem Zacharias 54 pingit septem oculorum, eo quod in te corporaliter sit plenitudo septem Sancti Spiritus donorum, nunc dignare michi quamuis peccatrici reuelare, quis sit auctor tam perniciose de filio meo ad imperatorem delacionis’. Regina necdum verba finierat, et vox facta est de celo dicens: ‘Henricus comes Palatinus est auctor criminis huius.’ Vnde domina mesta et flebilis in presenciam imperatoris se proripuit et sibi assidentem iam memoratum comitem (E241) conspiciens ait: ‘O iuste mortuorum et viuorum Iudex Deus, videas et iudices, tradens in interitum carnis, ut spiritus saluus 55 fiat, illum, inquam, qui peruerse citra horum dolorum intollerabilium uulnere cor meum intime uulnerauit in hoc, quod filium meum gracia domini imperatoris per mendosam, ymmo et facinorosam delacionem lese maiestatis priuauit. Comes Henrice, nil in vos mali commisit vnicus meus, pro cuius talione necesse haberetis minare ipsum de paterne hereditatis possessione. Scitote ergo, scitote, quia in foueam, quam (b: f. 4 vb ) fodistis, incidetis iuxta illud eulogium: frangit Deus omne superbum disce cauere ante pedes foueam quisquis sublime minaris.’ 56 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 21 den Boden gerichteter Miene, außer sich vor Zorn: „O Herrin, ich liebe dich ganz aufrichtig, aber deiner Forderung in dieser Angelegenheit widerspreche ich ganz und gar, weil ich in meinem Herzen das feste und unverrückbare Urteil gefällt habe, dass dein Sohn keine Milde bei mir finden soll, da er selbst, wie mir von einem engen Vertrauten hinterbracht worden ist, um die Königsherrschaft an sich zu bringen, mein Lebensende geplant hat - gerade er, dem ich mich als (E240) höchst fürsorglicher Vater gezeigt habe.“ Als die Kaiserin den gewaltigen Zorn des Kaisers wahrnahm, entfernte sie sich sogleich von ihm, eilte in den Dom und warf sich vollständig auf den steinernen Fußboden. In völliger Zerknirschung ihres Herzens flehte sie zum Helfer in Zeiten der Not: „O Jesus Christus“, sagte sie, „du jener Stein, den das Orakel der Sibylle vorausgesagt hat, zuerst verschmäht und vernichtet, jetzt Eckstein, du, sage ich, Herrscher der Herrscher, den Zacharias mit sieben Augen malt, deshalb, weil in dir wirklich die Fülle der sieben Gaben des Heiligen Geistes ist, lass dich jetzt herab, mir, mag ich auch Sünderin sein, zu enthüllen, wer der Urheber der so verderblichen Anklage gegen meinen Sohn beim Kaiser ist.“ Die Königin hatte noch nicht zu Ende gesprochen, und es erschallte eine Stimme vom Himmel, die sagte: „Der Pfalzgraf Heinrich ist der Urheber dieser Anschuldigung.“ Darauf stürzte sich die Herrin traurig und voller Tränen vor den Kaiser, und als sie den schon erwähnten Grafen bei ihm sitzen (E241) sah, sagte sie: „O Gott, gerechter Richter der Toten und Lebenden, mögest du sehen und urteilen, indem du jenen dem Verderben seines Fleisches preisgibst, damit sein Geist gerettet werde, jenen, sage ich, der auf schurkische Art 4 mit der Wunde dieser unerträglichen Schmerzen mein Herz im Innersten verletzt hat dadurch, dass er meinem Sohn die Gunst des Herrn und Kaisers durch eine verlogene, ja verbrecherische Anzeige wegen Majestätsbeleidigung entzogen hat. Graf Heinrich, nichts Böses hat gegen Euch mein einziger Sohn begangen, für dessen Vergeltung Ihr es als notwendig erachten musstet, ihn aus dem Besitz der väterlichen Erbschaft zu vertreiben. Ihr sollt also wissen, ja, wisst, dass Ihr in die Grube, die Ihr gegraben habt, fallen werdet gemäß jenem treffenden Spruch: Gott bricht alles Stolze, lerne dich vor der Grube vor deinen Füßen in Acht zu nehmen, der du auch immer überheblich drohst.“ 22 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch (E242) Regina post huiuscemodi verborum propheticorum perfusionem senciens non paruam per eam regis indignacionem ab ipso in caminatam secessit et legato supramemorato accito imperatoris iram 57 implacabilem circa ducem, et huius ire auctorem esse comitem Palatinum Henricum sugessit. Ea propter nunctius a regina non sine magnis donis dimissus in Bauariam cursu pernicissimo aduolat et inuento duce in quodam suo castro iram regis et ire auctorem Henricum indicat. Hiis auditis dux ait: ‘Quando quidem terrenus suam sine causa intenderat offensionem, rogandus est rex celorum vt nos et nostra sub suarum alarum assumat protectione.’ (E243) Deinde de perfidissimi cogitans ruina ipse assumpto sibi Wezelo- (E244) ne comite et tercio 58 , quibus eadem que et sibi magnanimitas inerat leonina 59 , (a: f. 96 v ) ascensis (Haupt 202) prestantissimis caballis Francie brachate regna peciit peregrina. Norunt enim quod imperator regalem curiam celebraturus esset in Spiria 60 . Quo vbi sine omni comite 61 a tribus illis ventum est circa vespertinum tempus in curiam equitabant et a caballis desiliebant. 62 Dux vero assumpto comite Wezelone consanguineo caballisque commendatis tercio inibi prestolari cum equis iusso in aule penetralia, in quibus iam cum (E245) Henrico comite Palatino imperator misteria consiliorum tractabat, pernici gressu properat et caminate valuas non caute ac (b: f. 5 ra ) nimis improuise camerario pessulo non obstrusas temere reserat, et ex improuiso duobus, scilicet comiti et imperatori, duo super irruentes euaginatis mucronibus comitem summa auiditate iugulant 63 . Ipsum quoque imperatorem, nisi maturasset fugam prosiliens vltra scampnum in capellam, et vita et regno priuare disposuerant. Dux ubi compos erat facti, quod diu multumque exestuauerat, scilicet mortis Henrici comitis, in hec verba prorupit: ‘Nullam graciarum referam imperatori accionem propter sui absentacionem. Si enim presto aput te, comes Henrice, remansisset, talionem iniuriarum per te inspiratarum numquam circa illum (E246) nec circa te nec circa quemquam vestrum meritarum recepisset. Tu vero Deus misericordie, quod tuum est operare ut, quando quidem caro Henrici per pessimum perfidie sue meritum tradita est in interitum, saltem spiritus eius saluus fiat.’ hec ait et reuaginatis gladiis ipse cum socio Wezelone ex aula se pernicissime proripuit, et vnusquisque suo caballo insiliit et discessum est. Facta est illico tumultacionis per aulicos et per Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 23 (E242) Die Königin spürte nach diesem Schwall prophetischer Worte den nicht geringen von ihr verursachten Unwillen des Königs und zog sich von ihm in ihre Kammer zurück; sie ließ den oben erwähnten Gesandten kommen und berichtete ihm vom unversöhnlichen Zorn des Kaisers auf den Herzog und dass der Urheber dieses Zorns der Pfalzgraf sei. Deswegen eilte der Bote, nachdem er nicht ohne große Geschenke entlassen worden war, so schnell er konnte, nach Bayern, fand den Herzog in einer seiner großen Burgen und machte ihm Mitteilung vom Zorn des Königs und dem Urheber des Zorns, Heinrich. Als er das hörte, sagte der Herzog: „Da eben der irdische Herrscher seine Ungnade gegen mich gerichtet hat, muss ich den Himmelskönig bitten, er möge uns sowie das, was uns gehört, unter seine Fittiche nehmen.“ (E243) Sodann dachte er über den Sturz des Verräters nach, zog sich Graf Wetzel (E244) und einen Dritten hinzu, die über denselben Löwenmut wie er verfügten, bestieg hervorragende Pferde und machte sich auf ins ferne Reich des fremden Frankenlandes. Sie wussten nämlich, dass der Kaiser in Speyer einen königlichen Reichstag abhalten wollte. Sobald sie - ohne jede Begleitung - zu dritt dort gegen Abend angekommen waren, ritten sie an den Hof und stiegen von den Pferden. Der Herzog aber überließ die Pferde dem Dritten und trug ihm auf, dort mit den Rossen zu warten; sodann eilte er mit Graf Wetzel, seinem Blutsverwandten, mit schnellen Schritten ins Innere des Palastes, in dem bereits der Kaiser mit dem (E245) Pfalzgrafen Heinrich seine geheimen Beratungen abhielt, und öffnete die Türe des Gemachs, das unsorgfältig und allzu nachlässig vom Kämmerer nicht mit einem Riegel verschlossen worden war. Dann stürzten die beiden unerwartet auf die zwei, nämlich den Grafen und den Kaiser, zückten die Schwerter und schnitten dem Grafen gierig und entschlossen die Kehle durch. Auch den Kaiser selbst, wäre er nicht hervorgestürzt und schleunigst über eine Sitzbank hinweg in die Kapelle geflohen, hätten sie des Lebens und der Herrschaft beraubt. Sobald der Herzog die Tat begangen hatte, die er so lange ersehnt hatte, nämlich den Pfalzgrafen Heinrich zu töten, brach er in folgende Worte aus: „Ich werde dem Kaiser dafür, dass er sich aus dem Staub gemacht hat, keinen Dank abstatten. Wenn er nämlich bei dir, Graf Heinrich, zurückgeblieben wäre, hätte er die Vergeltung für die von dir angestifteten Ungerechtigkeiten erhalten, die ich niemals, was jenen, (E246) was dich, was irgendeinen von euch betrifft, verdient hatte. Aber du, Gott, habe Mitleid, denn du vermagst zu bewirken - da Heinrichs Fleisch aufgrund der verdienten schlimmen Strafe für seine Bosheit dem Verderben preisgegeben ist -, dass sein Geist gerettet werde.“ So sprach er, und nachdem sie ihre Schwerter wieder in die Scheide gesteckt hatten, stürzte 24 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch aliam imperatoris familiam vociferacio super Palatini comitis occisione per ducem Hernestum perpetrata. Nam super hoc volat fama, malum quo non aliud velocius ullum 64 mobilitate uiget. (E247) Qua exciti tocius curie primates aduenticii cum suis asseclis insuper ciuitatis Spi (a: f. 97 r ) rie capitanei et amici mensarum Gnatonici eorum adcurrunt, conuicanei aule irruunt, quid, circa quem, per quem factum sit inquirunt, comitem Palatinum in sanguine volutatum capite (Haupt 203) a trunco longe disiecto 65 reperiunt. Vnde sine morule dilacione ad hospicia recur (b: f. 5 rb ) runt et iniectis armis, gladiisque super femur accinctis parmisque a leua lanceis a dextra 66 , homicidii commissores fine districtissime ulcionis queritant et insecuntur. Sed noctis tenebris eorum emisperium occupantibus ad inuestigandum ulterius in remotis locis homicidii commisores prepediuntur, communi consilio in ciuitatem unusquisque in suam mansionem reuertitur. Necminus Hernestus et Wezelo cum commilitone tercio in sua regrediuntur. Cesar vero, ubi lesores regie maiestatis incolumes euasisse nepotemque suum spiritum efflauis- (E248) se comperiit, toto fremens et merens spiritu in caminate penetralia abiit et se ultum ire tanti facti presumpcionem minatur 67 in crastinum per inmoderatam districtionem. Imperatrix vero tantum tam subito exortum in aula strepitum audiens et tandem facti qualitatem cognoscens extra caminatam se ad corpus exanime proripuit inquiens: ‘En Henrice, caput trux tibi ducis abstulit ensis, paruum uel nichil plangam carnis tue mortificacionem, sed intime optabo spiritus tui saluificacionem.’ Illucescente die postera imperator post honorificentissimas comitis cum fletu et planctu 68 exequias apud omnes principes querelam tam temere presumpcionis a Hernesto duce commisse deposuit. Vnde data in ducem et socium (E249) Wezelonem generali principum sentencia, prouincie dicioni eorum subdite et feoda et cetera bona eorum, tam mobilia quam immobilia, extra usum et proprietatem eorum abiudicata in ius et usum regii fisci publicanda decernuntur, ambo eciam ex imperialis maiestatis auctoritate vbiuis terrarum angi iussi sunt. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 25 er mit seinem Gefährten Wetzel schnellstens aus dem Palast; jeder von beiden sprang auf sein Pferd, und fort waren sie. Sofort erhoben die Höflinge und andere Diener des Kaisers ein lautes Geschrei wegen der Ermordung des Pfalzgrafen durch Herzog Ernst. Denn diesbezüglich eilte das Gerücht, ein Übel, das schneller ist als alle anderen. (E247) Dadurch aufgescheucht, kamen die zufällig anwesenden Fürsten des ganzen Hofes mit ihren Begleitern, darüber hinaus die führenden Männer der Stadt Speyer und ihre Freunde, die Tischgenossen, eilends herbei; die Mitbewohner des Palastes stürzten herein und wollten wissen, was, wen betreffend von wem getan worden sei, und fanden den sich in seinem Blut wälzenden Pfalzgrafen, dessen Kopf weit weg vom Rumpf lag. Darauf eilten sie unverzüglich zu ihren Unterkünften zurück, griffen zu den Waffen, gürteten um ihre Hüfte das Schwert, den Schild in der linken, die Lanze in der rechten Hand, und suchten und verfolgten die Mörder mit dem Ziel, sie strengstens zu bestrafen. Aber da die Dunkelheit der Nacht die Halbkugel, auf der sie sich befanden, bedeckte, wurden sie daran gehindert, die Mörder in entfernten Gegenden weiter aufzuspüren, und kehrten auf gemeinsamen Beschluss hin in die Stadt, ein jeder in sein Quartier zurück. Ebenso zogen sich Ernst und Wetzel mit ihrem dritten Kameraden auf ihre Güter zurück. Als aber der Kaiser erfuhr, dass die Majestätsbeleidiger unversehrt entkommen waren und sein Neffe das Leben (E248) ausgehaucht hatte, ging er, laut schnaubend und voller Trauer in sein Privatgemach und drohte für den kommenden Tag an, er werde die derart verwegene Tat durch maßlose Bestrafung rächen. Als aber die Kaiserin den plötzlich entstandenen gewaltigen Lärm am Hof hörte und schließlich erfuhr, was geschehen war, stürzte sie aus ihrem Gemach zur Leiche und sagte: „Sieh, Heinrich, das Schwert des Herzogs hat dir dein grimmiges Haupt abgehauen, nur wenig oder gar nicht werde ich die Tötung deines Fleisches betrauern, aber innig die Rettung deines Geistes wünschen.“ Als der folgende Tag anbrach, hinterlegte der Kaiser - nach höchst ehrenvollem Totengeleit für den Grafen mit Tränen und Wehklagen - bei allen Fürsten die Klage über die so grundlos begangene verwegene Tat des Herzogs Ernst. Darauf wurde gegen den Herzog und seinen Gefährten (E249) Wetzel das einhellige Urteil der Fürsten erlassen: Es wurde beschlossen, die Gebiete, die ihnen untertan waren, ihre Lehen und übrigen Güter, sowohl bewegliche als auch unbewegliche, ihnen wegzunehmen, deren Nutzen und Eigentum abzuerkennen und für das Recht und die Nutz- 26 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch (a: f. 97 v ) Emenso postmodum paruo temporis interuallo imperator omni auxilio ad se confluen (b: f. 5 va ) tium principum et vasallorum fretus triginta armatorum milia 69 collegio Bauariam peciit et in primo furoris bellici impetu Ratisponam 70 obsedit; at burgenses per ferrugi- (E250) neos 71 enses hospites invisos salutarunt et quam plurimorum sanguinem interemptorum terre propinauerunt. Vnde exacerbata imperatoris iussu omnis suorum multitudo armata quaqua (Haupt 204) uersum urbem summo impetu belli impugnat et expugnare nititur. Non minus obsessus ciuis magnanimiter a murorum summitate tela, sudes, saxa et multa 72 id genus super impugnantes intorquet et ad vrbis defensionem hostibus mortem ingerere molitur. Sic utrimque diu multum uiriliter 73 pugnatum et ab vtrisque fortiter factum est, tandem cum magna vtrumque strage 74 , sed cesariorum multo maiore, lis dirempta est. Duo enim virorum fortium inibi occisorum milia recensita et ad sepeliendum dilata ferebantur, preterea (E251) quamplurimi uulnerati, qui post in breui diem vltimum sortiti obierunt 75 . Burgenses 76 eciam suorum funera planxerunt et tandem communi consilio per legatum velocissimum in sonipede prestantissimo duci miseram vrbis condicionem et imperatoris non modicam indignacionem significauere et tam auxilium quam consilium suum in breui affore implorauere. Dux igitur de tali legacione admodum turbatus nunccium burgensibus remisit et in breui se affore promisit. lpse vero ducem Saxonie 77 adiit, et tam benigne quam condigne ab eo cum suis susceptus in hunc modum in caminate penetralibus lacrimabiliter 78 exorsus est: ‘O generis et morum generositate preclarissime domine, permaxime periculosus articulus necessitatis compellit (b: f. 5 vb ) me explorare et implorare, utinam contingat exorare excellenciam (E252) leonine 79 vestre virtuositatis propter multas sine causa illatas michi a domino cesare iniurias 80 et contumelias, quarum Yliadem 81 re (a: f. 98 r ) texere perlongum est nec necesse eo quod frequens fama super illis vestras satis attigerit aures. Et iam Ratisponam 82 meam obsidione idem rex uallauit et multos principales meos ministeriales enecauit. Tu ergo, princeps nobilissime, quia ut medici pericia in maxima infirmitate 83 , sic amici amicicia cognoscitur in summa necessitate, clarifica et conserua in mee summe necessitatis articulo tuarum excellentiam uirtutum, manum auxilii et consilii michi porrigendo ad hoc (Haupt 205) saltim, ut tui ducatus munimine possim Ratisponam subire et, post exhortacionem Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 27 nießung des königlichen Eigentums zu beschlagnahmen; auch wurde befohlen, dass beide aufgrund des Beschlusses der kaiserlichen Majestät überall auf der Welt keine Ruhe haben sollten. Bald darauf, nachdem nur kurze Zeit vergangen war, zog der Kaiser, vollends unterstützt von den Fürsten und Vasallen, die sich bei ihm einfanden, mit einem Heer von 30‘000 Bewaffneten nach Bayern und belagerte im ersten Anfall von Kriegswut Regensburg. Die Bürger der Stadt jedoch begrüßten (E250) die verhassten Gäste mit stahlblauen Schwertern und tränkten die Erde mit dem Blut möglichst vieler Getöteter. Erbittert bestürmte daher auf Befehl des Kaisers die ganze bewaffnete Menge seiner Leute die Stadt auf allen Seiten mit höchster Kriegsleidenschaft und unternahm alles, sie zu erobern. Nicht weniger mutig schleuderten die belagerten Bürger von der Höhe der Mauern Wurfgeschosse, Pfähle, Steine und vieles von der Art auf die Anstürmenden und beabsichtigten, zur Verteidigung der Stadt über die Feinde den Tod zu verhängen. So wurde beiderseits lange mannhaft gekämpft, und von beiden Parteien wurden Heldentaten vollbracht; aber schließlich, nach viel Blutvergießen auf beiden Seiten, wobei die Kaiserlichen viel mehr Verluste hatten, wurde der Streit beigelegt. Wie es nämlich hieß, wurden zweitausend dort gefallene Männer gezählt und zur Bestattung weggebracht, außerdem (E251) gab es sehr viele Verwundete, die später in Kürze starben. Auch die Bürger beklagten den Tod ihrer Leute, setzten schließlich auf gemeinsamen Beschluss hin durch einen schnellen Gesandten auf einem vorzüglichen Pferd den Herzog über die elende Lage der Stadt und den gewaltigen Zorn des Kaisers in Kenntnis und flehten ihn an, er möge in Kürze mit seiner Hilfe und seinem Rat zur Stelle sein. In hohem Grad beunruhigt über diese Botschaft, schickte der Herzog also den Boten zu den Bürgern zurück und versprach, sich in Kürze einzufinden. Er selbst aber ging zum Herzog von Sachsen, wurde von ihm, zusammen mit seinen Leuten, ebenso freundlich wie würdig aufgenommen und begann in dessen Privatgemach unter Tränen folgendermaßen zu sprechen: „Du, durch Vortrefflichkeit des Geschlechts und Charakters ausgezeichneter Herr, eine ganz besonders gefahrvolle Notlage bringt mich dazu, inständig zu flehen, es möge mir zuteilwerden, (E252) die ehrwürdige Hoheit Eurer löwenhaften Tüchtigkeit um Hilfe zu bitten wegen der vielen Ungerechtigkeiten, die mir von meinem Herrn und Kaiser ohne Grund angetan worden sind; deren Ilias wahrheitsgemäß darzulegen, würde zu weit führen und ist deshalb nicht notwendig, weil das verbreitete Gerücht über diese Dinge Eure Ohren zur Genüge erreicht haben dürfte. Und jetzt hat er mein Regensburg durch Belagerung eingeschlossen und viele vortreffliche meiner Dienstleute getötet. Du also, edler Fürst - denn wie die Kenntnis des Arztes bei größter Schwäche, so wird die Freundschaft des Freundes 28 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch dedicionis ad burgenses habitam, vita et facultatis substantia quantam quisque ferre potest pacta queam iterum abire.’ Huius huic peticioni cum plena (E253) animi super illius condescensione necessitatibus dux Saxonie annuit, et illico vbiuis terrarum collectis quinque milibus armatorum et semis commendauit eis sub sue gracie et dilectionis obtentu ducem Hernestum, vt pro nosse et posse suo circa illius proteccionem contra tam cesaris quam suorum et quorumcumque aduersariorum infestacionem insudarent et in Ratisponam ducerent et educerent eductumque in sue securitatis loca adducerent. Ipse eciam dux Saxonie 84 preuius imperatorem obsidioni incumbentem adiit et perueniens honorificentissime et a cesare et omnibus obsessoribus susceptus est. Sed cum fama uolans percrebruisset aures cesaris et suorum ducis Hernesti aduentu (b: f. 6 ra ), ingens strepitus, cesar et cesarianus miles armis iniectis cito induitur. Quo viso dux Saxonie 85 aliquantulum terretur et, quia tam subito et improuise imperatorie presentie superuenerit, penitens et tamen dissimulans artificiosa uerba in hunc modum fudisse perhibetur: (versus) ‘Est sine re multus fremitus utrimque tumultus, Ad obsequium namque cesaris omnes parati venimus, pacem non arma ferimus 86 . Militum namque cateruas, quas aduentare proteruas (E254) Cernitis, non ducis sed meas esse sciatis. Multum (a: f. 98 v ) enim de vestre, mi domine imperator, celsitudinis virtuosa mansuetudine confidens ob frequens et fidele imperio impensum a me obsequium, duci Hernesto ducatum intrandi Ratisponam dedi, vt ille burgensibus dedicionem suadeat et iterum meo ducatu in suam securitatem abeat. Huius, domine, ducatus execucionem, ut ratam fieri sine honoris mei detrimento sinatis, rogo quam intime vestre serenitatis oculos.’ Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 29 in höchster Not erkannt -, lass in meiner schlimmen Notlage die Vortrefflichkeit deiner Tugenden erstrahlen und bleib ihr treu, indem du mir die Hand der Hilfe und des Rates hinstreckst, wenigstens so weit, dass ich im Schutz deines Kommandos nach Regensburg zurückkehren, dort die Bürger zur Kapitulation ermahnen und wieder abziehen kann, nachdem das Leben und so viel ausreichende Lebensmittel, wie ein jeder tragen kann, zugesichert sind.“ Dieser Bitte dieses Mannes (E253) entsprach der Herzog von Sachsen mit vollem Entgegenkommen seines Herzens, was dessen Nöte betraf, und auf der Stelle brachte er in aller Welt fünfeinhalbtausend Bewaffnete zusammen und vertraute ihnen unter dem Deckmantel seiner Gunst und Liebe den Herzog Ernst an; sie sollten sich nach ihrem besten Wissen und Können bemühen, ihn sowohl gegen die Anfeindung des Kaisers als auch aller seiner sonstigen Gegner zu schützen, ihn nach Regensburg zu führen, von dort wieder wegzubringen und anschließend in eine Gegend zu führen, wo er sicher sein könne. Der Fürst von Sachsen ging sogar höchstpersönlich voraus zum Kaiser, der mit der Belagerung beschäftigt war, und wurde bei seiner Ankunft von diesem und allen Belagerern höchst ehrenvoll empfangen. Aber als das Gerücht, Herzog Ernst rücke heran, die Runde machte und bis zu den Ohren des Kaisers und der Seinen drang, entstand ein großer Kriegslärm; der Kaiser und das kaiserliche Heer warfen sich schnell in die Rüstung. Als der Herzog von Sachsen das sah, erschrak er ein bisschen und bereute, dass er so plötzlich und überraschend vor dem Kaiser aufgetaucht war; trotzdem soll er sich verstellt und folgendermaßen kunstvoll gesprochen haben: „Ohne Grund gibt es viel Lärm und auf beiden Seiten Aufruhr. Bereit, dem Kaiser zu huldigen, kommen wir nämlich alle, wir bringen Frieden, keine Waffen. Denn die Scharen von Soldaten, die ihr dreist anrücken seht, (E254) gehören nicht dem Herzog, sondern mir. Das sollt ihr wissen. In großem Vertrauen nämlich auf die tugendhafte Freundlichkeit Eurer Hoheit, mein Herr und Kaiser, und wegen der häufigen und treuen Gefolgschaft, die ich dem Reich geleistet habe, habe ich dem Herzog Ernst das Kommando anvertraut und ihm gestattet, Regensburg zu betreten, damit jener den Bürgern zur Kapitulation raten und wieder unter meinem Kommando zu seinem sicheren Zufluchtsort weggehen könne. Mein Herr, ich bitte von Herzen die Augen Eurer Durchlaucht, Ihr mögt zulassen, dass die Ausführung dieses Kommandos genehmigt wird ohne Nachteil für meine Ehre.“ 30 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Huic peticioni fremebunda ministerialium et vasallorum 87 imperialium iuuentus obstrepit. Vnde dux indignans abscedere voluit, sed imperator edicto parum silencio duci iracunde respondit: ‘Dux (Haupt 206) Henrice, nimis presumptuosus et tam imperio quam eius principalibus et ministerialibus huiusmodi ducatus est aduersarius, quia et contumeliosus. Non eciam pacis sed belli faciem ille ducatus pretendit; sed criminator regni, sicut prius comiti Palatino mortem iuxta latus meum contra fastigia regalis imperii intulit, ymo et michi vix in capellam delapso fuga inferre disposuit, ita nunc in me et meos cedes et mortes exercere tam maxima (b: f. 6 rb ) stipatus equitum comitante caterua intendit.’ Hec ait et more Marii qui didicit Sillanum 88 lambere ferrum gladios iracundie plenis oculis inspexit. Vnde sine mora ministeriales cesariani cum magno cuneo ad imperatorem irruunt. Quo viso dux Saxonum et sui bre- (E255) ui accepta licentia cum indignacione abeunt. Burgensis prima iuuentus huius cesarianorum quasi belligerancium tumultuacionem a murorum propugnaculis persencientes, armorum indumentis se muniuere et arrepto vexillo de portis cum fortissimo animosorum cuneo prorupere, et proculdubio in obsessores magna strages perpetrata per obsessos fuisset, nisi cesar prudentum consilio vsus litem futuram pace ad tempus confirmata dimisisset. Sugesserant illi namque cesari, quia si dux Saxonie propter ducatus promissi et exequendi duci Bauarie abnegacionem se illi con (a: f. 99 r ) federaret, quod ipse dominus cesar magnum laborem incursaret. Imperator itaque sine dilacione ducem Saxonie reuocari mandauit. ad quem reuocatum et presto hiis verbis apostrophauit: ‘Tam primates quam ministeriales mei, dux, te affatim amant. Vnde consilium michi dant, ut super ducatus tui execucione morem tibi geram. Tu vero, princeps nobilis, patrisare stude et fidei sinceritatem, quam ego et regnum tibi exhibemus, tu quoque non fucare neque infringere sed intemeratam circa me et imperium seruare memento.’ Dux Saxonum cum graciarum accione fidem seruaturum cesari spondebat et sine mora ducem Hernestum in urbem produci licenciose iubebat. Super qua re ualde letatus Hernestus a burgensibus (b: f. 6 va ) gratanter suscipitur, vbi sint proterue (E256) militum caterue, quos ipsi prius sibi a latere associatos conspexerant, perquiritur, quibus ille ‘non attinent’ inquiens ‘illi ad dominium meum, sed ad ducis Saxonum pendent imperium, qui eos ad meum michi accomodauerat presidium.’ Quo audito tristicia tristicie 89 urbanis accumulata est. Expositis tandem multiphariis cladibus et suorum conciuium multis cedibus dux deplangens et clades et cedes cum magna cordis contricione et querelabunde vocis deploracione ait: ‘O semper fidelissimi mei, voluntas quidem vos liberandi ab ingruencia tantorum periculorum suppetit, sed possibilitas deficit. lnde est quod bona fide consulo, vt ciuitatem imperatori Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 31 Dieser Bitte dröhnte die empört lärmende Mannschaft der kaiserlichen Dienstleute und Vasallen entgegen. Deshalb entrüstete sich der Herzog und wollte weggehen, aber der Kaiser gebot für eine Weile Ruhe und antwortete ihm zornig: „Herzog Heinrich, allzu vermessen und sowohl dem Reich als auch seinen Fürsten und Dienstleuten feindlich ist ein Kommando dieser Sorte, ja auch schmachvoll. Auch trägt jenes Kommando nicht das Gesicht des Friedens, sondern des Krieges zur Schau; aber wie der Verleumder des Reichs früher den Pfalzgrafen an meiner Seite gegen die Würde der königlichen Herrschaft getötet hat, ja sogar mich, der ich nur mit Mühe durch Flucht in die Kapelle entronnen bin, zu töten bestimmt hat, so hat er jetzt die Absicht, gegen mich und die Meinen Mord und Totschlag zu verüben, dicht umgeben von einer so großen Menge Ritter, die ihn begleitet.“ Dies sagte er und nach Art des Marius, der gelernt hatte, die eisernen Waffen Sullas zu lecken, blickte er mit Augen, die voller Zorn waren, auf die Schwerter. Darauf stürzten die kaiserlichen Dienstleute unverzüglich mit einem großen Heeresblock zum Kaiser. Als sie das sahen, gingen der Herzog der Sachsen und seine Leute, nachdem ihnen die Erlaubnis zu gehen erteilt worden war, schnell voller Empörung (E255) weg. Die vorzügliche Bürgermannschaft des Herzogs [Ernst], die von den Bollwerken der Mauern aus den Lärm der Kaiserlichen ganz deutlich als Kriegslärm wahrnahm, schützte sich mit Rüstungen, riss das Banner von den Stadttoren und machte einen Ausfall mit dem stärksten Heeresblock von Mutigen, und zweifelsohne hätten die Belagerten den Belagerern große Verluste zugefügt, wenn nicht der Kaiser, gestützt auf den Rat kluger Männer, durch einen - später bekräftigten - Friedensschluss den bevorstehenden Streit beigelegt hätte. Jene hatten den Kaiser nämlich folgendermaßen gewarnt: Falls dem Herzog von Bayern das versprochene Kommando und dessen Ausführung verweigert würde und der Herzog von Sachsen sich deswegen mit ihm verbünde, werde er selbst, der Herr und Kaiser, in große Schwierigkeiten geraten. Daher gab der Kaiser, ohne zu zögern, den Auftrag, den Herzog von Sachsen zurückzurufen. Er wurde also zurückgerufen, und als er vor ihm stand, sprach der Kaiser ihn mit folgenden Worten an: „Sowohl meine Fürsten als auch meine Dienstleute, Herzog, lieben dich sehr. Deshalb geben sie mir den Rat, dir gegenüber, was die Ausführung deines Kommandos betrifft, offen meinen guten Willen zu bekunden. Aber du, edler Fürst, bemühe dich, deinem Vater nachzueifern, und denk daran, dass auch du das aufrichtige Vertrauen, das ich und das Reich dir gegenüber erkennen lassen, nicht verfälschst und schwächst, sondern es mir und dem Reich gegenüber rein bewahrst.“ Der Herzog der Sachsen gelobte dem Kaiser, die Treue zu bewahren, und befahl - es war ihm nun erlaubt -, Herzog Ernst solle unverzüglich zur Stadt hingeführt werden. Ernst, der sich darüber sehr freute, wurde von den Bürgern freundlich aufgenommen, und man wollte von ihm genau wissen, wo die kecken (E256) Scharen von Soldaten seien, 32 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch pacta vita et semel efferenda a quolibet habili substancia vrbem dedatis; vos et vestra committo proteccioni Diuine pietatis’. Hec ait, et merens a merentibus 90 deliciosis eciam matronabus flentibus dux extra urbem excessit, et rursum fretus auxilio Saxonum 91 in sua tristis abcessit. At cesar, vbi vrbem tribus mensibus obsessam vidit non posse sine machinis expugnari, iubet vbiuis gentium (E257) arborum robora detruncari, ex hiis scilicet tormenta siue machinas id est mangen et 4 minas id est berefrit sua altitudine murorum altitudini equancia, (a: f. 99 v ) preterea balistas id est pheil exercere. Hec in uallum animosi hospites propulsa locauere, sed burgenses illa propellere, diruere, ignibus exurere cum omni conamine sed frustra pertemptauere. Cesariani etenim multa urbanorum propugnacula tam in muris quam infra muros (b: f. 6 vb ) locata machinis disiecere, propter quod graue incommodum Ratisponenses obstupuere et pacem postulantes postulatam impetrauere. Post (E258) tandem pacta uita et parua, quantam quisque ferre quiuit, rerum carissimarum substancia ipsam urbem exeuntes imperatori dedere. Imperator itaque deditam ciuitatem euacuatam suis ciuibus vasallis muniuit, et ipse cum residua multitudine adhuc tam permaxima sublatis tentoriis et crematis militaribus (Haupt 208) ad tempus exstructis mansiunculis in vlteriores partes ducis Hernesti fremebundus abcessit. Deinde post sermonem commendaticium et exhortatorium, quem causa vitande prolixitatis, que est mater fastidii, supersedi 92 , postque pro sua voluntate liberalissima ingentium distribucionem suis donorum tripartiuit exercitum, vnam nempe partem cum illo prefecto principe in Austriam 93 , alteram partem (E259) cum altero suo principe in parcium Danubio adiacencium deuastacionem direxit. Ipse vero tercia parte assumpta in prouincias Lecche fluuio conterminas, preterea eciam in terras utrique litori fluminis Nicer contiguas diuersis cladibus eas consumpturus iter flexit. En Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 33 die sie vorher als Verbündete, die ihnen zur Seite stehen, erblickt hatten. Ihnen sagte er: „Jene stehen nicht unter meiner Herrschaft, sondern unterstehen dem Befehl des Herzogs der Sachsen, der sie mir zu meinem Schutz anvertraut hatte.“ Als sie das hörten, erfasste die Städter größte Traurigkeit. Endlich, nachdem sie ihm ihre mannigfaltigen Niederlagen und die vielen getöteten Mitbürger vor Augen geführt hatten, sagte der Herzog, indem er sowohl Niederlagen wie Gemetzel mit großer Zerknirschung seines Herzens jammervoll heftig beklagte: „O ihr, mir immer treu Ergebenen, zwar ist der Wille vorhanden, euch vor dem Hereinbrechen so großer Gefahren zu bewahren, aber es steht nicht in meiner Macht. Daher kommt es, dass ich euch in guten Treuen rate, dem Kaiser nach Zusicherung eures Lebens und der Erlaubnis, dass jedermann das zum Leben Nötige mitnehmen darf, die Stadt zu übergeben; Euch und eure Angelegenheit vertraue ich dem Schutz der göttlichen Gnade an.“ So sprach der Herzog und ging betrübt von den Betrübten, die ihm am Herzen lagen, und weinenden Frauen weg aus der Stadt und zog sich, wiederum im Vertrauen auf die Hilfe der Sachsen, traurig in sein Gebiet zurück. Aber als der Kaiser sah, dass die Stadt, die er drei Monate lang belagert hatte, nicht ohne Mauerbrecher erobert werden konnte, befahl er, überall (E257) Baumstämme zu fällen und aus ihnen, das versteht sich, Wurfgeschosse oder Mauerbrecher, das heißt mangen [mhd. Steinschleudern], und Schutzdächer, 5 das heißt berefrit [mhd. Angriffstürme], herzustellen, die so hoch sein sollten wie die Mauern, außerdem Geschosstürme, das heißt pheil [pheteraere, mhd. Katapult] 6 . Die ungestümen Gäste stießen diese vorwärts gegen den Wall und stellten sie hin, aber die Bürger versuchten jene fortzustoßen, zu zerstören und zu verbrennen - mit jeglicher Anstrengung, aber vergeblich. Die Kaiserlichen zertrümmerten mit ihren Mauerbrechern nämlich viele Bollwerke der Städter sowohl auf den Mauern als auch unterhalb; wegen diesem schweren Schaden erstarrten die Regensburger, baten um Frieden und erlangten ihn. (E258) Schließlich, nachdem das Leben und kleiner Besitz an liebsten Dingen, so viel, wie ein jeder tragen konnte, zugesichert worden war, gingen sie aus der Stadt und übergaben diese dem Kaiser. Nun besetzte der Kaiser die übergebene, von ihren Bürgern geleerte Stadt mit seinen Vasallen, ließ die Zelte abbrechen sowie die für den Augenblick aufgebauten Militärunterkünfte verbrennen und zog mit der übrigen Menge, die noch sehr groß war, zornig in die entfernteren Gebiete des Herzogs Ernst. Sodann, nach einer ausführlichen Mahnrede - die ich mir erspare, um Weitschweifigkeit, die Mutter der Langeweile, zu vermeiden - und nach der Verteilung gewaltiger Geschenke an seine Leute, wie es seinem äußerst freigebigen Willen entsprach, teilte er das Heer in drei Teile; den einen Teil schickte er mit einem Fürsten, den er mit jenem Kommando betraute, nach Österreich, den 34 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch ponderibus modulisque suis racio vtitur 94 imperatoris. Predia namque ducis in fiscum regium publicata usurpauit, ciuitates diruit, villas igne deuastauit, castra expugnauit et expugnata suis inhabitanda et munienda contradidit, et omnimodis ducem non sine permaximo suorum detrimento depauperauit. Ille etenim suo pari sue amicitie Wezelone assumpto et ceteris sic ut ipsi erant leonina 95 (b: f. 7 ra ) magnanimitate affectis comitantibus omnia imperatoris et suorum complicium dicionis subiecta cedibus, (a: f. 100 r ) rapinis, incendiis vastauit, vrbes et castra aliquot expugnauit et iniuriarum suarum illacionem pro morte multorum (E260) eciam nobilissimorum vendidit. Verumtamen, quia non nesciuit longas regibus esse manus iuxta illud poeticum: ‘An nescis longas regibus esse manus’ 96 , decreuit ad tempus imperatorie maiestati cedere quam semper contencionibus ymmo et cedibus multorum deseruire et ob hoc eternas penas, nisi celesti imperatori ante diem obitus de commissis satisfaceret, subire. (ç) Quinquaginta igitur milites 97 genere, forma et moribus preclaros conuocauit et conuocatos breui sermone in hunc modum apostrophauit: ‘Multa me dehortantur de accepta in imperatorem impug- (E261) nacione, quirites, vnum quia desunt michi militum stipendia 98 ; alterum quia, sicut nauis contra impetum fluminis perparuo tempore im (Haupt 209) petuoso alueo fluuii nando resistere, sed tandem uelit nolit oportet, quo impetuosus alueus fluminis propellit, absistere, ita necesse est me regni viribus quamuis in me desipientibus ad tempus a proposito bello cedere; tertium et vltimum sed maxime ne- (E262) cessarium est, ut Summum Imperatorem videlicet Creatorem, cuius dignissimam creaturam mortificaui, placare satagam. Nescio enim diem neque horam, qua districtissimus Iudex pulsans ianuam meam ueniat, et forte in delicto homicidii dormientem me inueniat, et a cena sui summi Patrisfamilias excludat. Hanc huius Iudicis districtissimam sentenciam pertimescens deliberaui ad exhibicionem satisfactionis uisitare et (b: f. 7 rb ) uisitata adorare secundum duliam loca nostre saluacionis, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 35 zweiten Teil (E259) mit einem zweiten Fürsten in die Gebiete der Donau, um diese zu verwüsten. Er selbst beanspruchte für sich den dritten Teil und wandte sich in die Landstriche, die an den Lech grenzten, außerdem in die Länder, die beide Ufer des Neckars berührten, um sie mit verschiedenen Niederlagen zu erschöpfen. Sieh, die Vernunft misst mit Gewicht und Maß des Kaisers. Denn er konfiszierte die Landgüter des Herzogs und nahm sie als königliche Domäne in Besitz, zerstörte Städte, verwüstete Dörfer mit Feuer, eroberte Burgen und überließ sie seinen Leuten als Wohnsitz und Festung und machte auf jede Art den Herzog nicht ohne größten Schaden der Seinen zu einem armen Mann. Auch jener verwüstete mit seinem Freund Wetzel - der die Freundschaft in gleicher Weise erwiderte - und anderen Begleitern, die sich so, wie sie selbst, durch Löwenmut auszeichneten, alles, was der Gewalt des Kaisers und seiner Verbündeten unterworfen war, mit Morden, Raubzügen und Bränden, eroberte einige Städte und Burgen, und viele (E260), sogar Hochadlige, mussten die ihm zugefügten Ungerechtigkeiten mit dem Tod bezahlen. Gleichwohl, weil er genau wusste, dass die Arme der Könige weit reichen gemäß jenem Spruch des Dichters: „Weißt du nicht, dass die Arme der Könige weit reichen? “, beschloss er, für den Augenblick der kaiserlichen Majestät lieber nachzugeben als sich immer Streitigkeiten, ja vielmehr dem Ermorden vieler hinzugeben und deswegen ewige Strafen auf sich zu nehmen, es sei denn, dass sein früher Tod dem himmlischen Herrscher für die begangenen Untaten Genugtuung leiste. Also berief er fünfzig in Bezug auf Abstammung, Ansehen und Charakter hervorragende Männer zu sich und sprach sie in einer kurzen Rede folgendermaßen an: „Vieles rät mir vom aufgenommenen Kampf gegen den Kaiser ab, (E261) ihr Ritter: Erstens fehlt mir der Sold für die vielen Soldaten; zweitens: Wie das Schiff gegen den Ansturm des fließenden Wassers nur ganz kurze Zeit dem heftig wogenden Fluss schwimmend Widerstand leisten kann, endlich aber, ob es will oder nicht, weichen muss, wohin es der heftig wogende Fluss vorantreibt, so muss ich für den Augenblick auf den vorgenommenen Krieg verzichten, wie sehr auch die Kräfte des Reichs gegen mich toben; drittens und letztens: Aber am wichtigsten (E262) ist, dass ich den höchsten Herrscher, den Schöpfer nämlich, dessen würdigste Kreatur ich getötet habe, zu besänftigen trachte. Denn ich kenne weder den Tag noch die Stunde, in welcher der strengste Richter kommt, an meine Türe pocht, mich zufällig trotz des Vergehens des Totschlags sorglos schlafend findet und mich vom Essen mit seinem höchsten Vater ausschließt. 36 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch scilicet humacionis et passionis Christi 99 et resurrectionis et in celos ascensionis. Iam animaduertite, quid petam, quid suggeram: O fidelissimi, quia ad offendendum terrenum imperatorem sine causa primitus iratum michi auxilio et consilio socii laboris et gaudii a dextris et sinistris affuistis, ideo nunc multo magis ad placandum celestem Imperato- (E263) rem cum (a: f. 100 v ) permaxima causa iratum, quia mutilatum membri sui qui est caput cecidi, pro amore ipsius et mei aliquando domini uestri nunc socii me ad predicta loca comitari curetis et ad iter in breui maturandum destinetis.’ Assensere omnes et intenta mente prima dux, deinde comes Wezelo, post omnis illorum quinquaginta multitudo crucem materialem extrinsecus baiolandam assumpsere et, ut Crucifixus ei gracie sue participio aspiraret per omnia, orauere. Ne igitur a quoquam, ut in tali re fieri solet, (E264) exulari potius ex sordide necessitate paupertatis, quam intuitu Diuine caritatis astruantur, omnia usui bellico necessaria de nouo apparantur, 100 noui mucrones fabricacionis dolonibus id est ligneis uaginis id est sludiu assutis nouis fagidulis id est suertfezil inuaginantur. Noue lancee et noue trudes id est haste (Haupt 210) cum lunato ferro, cuspides id est spiezstange, conti, excipia id est ebirspieze, venabula id est weitespeize, falarice id est gerein, arcus, coriti id est bogfuter, pharetre, sagitte, scorpiones id est gollupite schoz, pili id est phile sive pila, pulciones id est boelcze, amenta id est phideringe, casses de ferro, galee de corio (b: f. 7 va ) - galeri id est ciste- (E265) rel -, buccine id est here uel litui uel classica id est horn, tube id est plashorn fabricantur. Super hac in tam bellicosissimo principe mutacione dextere Excelsi 101 rumor multorum resperserat aures ipsum velle pro Deo exulare et loca saluacionis fidelium transmarina gracia oracionis uisitare. Is rumor amicis tristiciam, inimicis peperit leticiam. Mater uero ducis quingentas marcas et perplurima pellicea grisea et uaria purpuris preciosissimis operta et alias infinitas sericeas vestes auro consutas transmisit, que suscepta ille continuo post renunciatam matri graciarum actionem suis sociis hylarissime dimisit. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 37 Dieses äußerst strenge Urteil dieses Richters fürchte ich sehr; deshalb habe ich überlegt, als Bußleistung die Örtlichkeiten unserer Rettung zu besuchen und unterwürfig anzubeten, nämlich die Orte der Menschwerdung und des Leidens Christi, seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Jetzt passt auf, worum ich bitte, was ich anrate: O ihr Treusten, denn ihr seid mir beigestanden, den irdischen Kaiser, der zuerst grundlos auf mich zornig war, mit Hilfe und Rat als Gefährten der Mühen und Freuden zur Rechten und Linken anzugreifen; deshalb mögt ihr euch jetzt viel mehr darum kümmern, den himmlischen Herrscher, (E263) der mit größtem Grund zornig ist, weil ich eines seiner Geschöpfe verstümmelt, ihm nämlich den Kopf abgeschlagen habe, zu besänftigen und mich aus Liebe zu ihm selbst und zu mir, eurem einstigen Herrn und jetzigem Gefährten, zu den vorher erwähnten Örtlichkeiten zu begleiten, und ihr mögt euch entschließen, in Kürze die Reise anzutreten.“ Alle stimmten zu, und mit angespanntem Geist nahmen zuerst der Herzog, dann der Graf Wetzel und schließlich die Menge jener fünfzig Männer das hölzerne Kreuz an sich, um es aus der Heimat zu schleppen, und sie beteten, dass der Gekreuzigte ihm in allem durch die Anteilnahme an seiner Gnade beistehe. Damit ihnen nun nicht von jemandem, wie es bei einer solchen Sachlage zu geschehen pflegt, (E264) zugeschrieben werde, sie würden eher aufgrund der Notlage schimpflicher Armut als um der göttlichen Liebe willen in die Fremde ziehen, wurde von neuem alles für den Kriegsgebrauch Nötige gerüstet: Neue Schwerter von kunstvoller Machart wurden in Dolchbehälter, das heißt hölzerne Scheiden, das heißt sliude [mhd. Schwertscheide], mit aufgesetzten Stücken aus Buchenholz, das heißt svertfezil [mhd. Schwertgurt], gesteckt. 7 Hergestellt wurden neue Lanzen und neue Brechstangen, das heißt Spieße mit sichelförmigem Eisen, Wurfspieße, das heißt spiezstange [mhd. Stange des Spießes], Wurfkeulen, Abfänger, das heißt ebirspieze [mhd. Spieß für die Eberjagd], Jagdspieße, das heißt weidespeize [mhd. Waidmannsspieß], Brandpfeile, das heißt gere [mhd. Wurfspieß], Bogen, Lederhüllen, das heißt bogefuoter [mhd. Bogenfutteral], Köcher, Pfeile, vergiftete Wurfgeschosse, das heißt gollupite schoz, Wurfgeschosse, das heißt phile [ mhd. Pfeil] oder Wurfspieße, Bolzen, das heißt boelcze, Wurfriemen, das heißt phideringe, Sturmhauben aus Eisen, Lederhelme, Pelzkappen, das heißt cisterel, (E265) Signalhörner, das heißt here oder Signalhörner der Reiterei oder Kriegstrompeten, das heißt horn, Tuben, das heißt plashorn. Was diese Veränderung der rechten Hand des Höchsten beim so kriegerischen Fürsten betraf, so hatte das Gerücht die Ohren von vielen erfüllt, er selbst wolle für Gott in der Verbannung leben und die jenseits des Meeres befindlichen Örtlichkeiten der Rettung der Gläubigen besuchen, um dort zu beten. Dieses Gerücht erzeugte bei den Freunden Traurigkeit und bei den Feinden Freude. Aber die Mutter des Herzogs ließ ihm fünfhundert Mark und sehr viele Mäntel aus Fellen, verschiedene Decken aus kostbarem 38 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch (E266) Emenso tempore uenit dies preposite exulacionis. Ingens multitudo circiter quingentorum optimorum militum ad ducem confluxit summo opere deprecantes, vt eos sui itineris Ierosolim (a: f. 101 r ) itani comites ymmo ministros assumere dignaretur. Ille Deo et eis gra- (E267) cias super hoc societatis proposito referebat et benignissime in suam societatem suscipiebat. Tandem non sine lacrimarum profusione de dulcis patrie limitibus discessum est et in Vngariam ventum. Hunc honorificentissime suscepit cum suis et in omni humanitate fotos rex Vngarie donis ingentibus tantum regem decentibus donabat et donatos a se dimittens per siluam Bulgariorum duci per nunctios sciolos stratarum in partes Grecie mandabat. Post in Constantinopolim peruenientibus imperator Grecie digne (b: f. 7 vb ) susceptis omnia necessaria sufficientissime (Haupt 211) per camerarios eis prefectos ministrauit, quia ducem, eo quod adeo magnanimiter imperatori Romano sine causa 102 primitus offenso obstiterit, admodum carum habuit et adprime ob hoc ipsum honorauit. (E268) Sic per trium ebdomarum reuolucionem in Constantinopoli demorati sunt, eo quod trieres tante iuuentuti et armis aliisque ipsorum vtensilibus deferendis apte et sufficientes difficilime reperirentur. Reperte tandem immense trieres armis et utensilibus et cibariis ad longum tempus sufficientibus ab imperatore ministratis onerantur, 103 (E269) prore et pupes sciolis epibatis id est magistris nautarum commi- (E270) tuntur, forri siue latera nauis tabulata concaua id est huteuaz ex parte nauis utraque disponuntur. Pretoriola id est domuncule in quibus merces reponuntur exstruuntur, remi qui habent palmulas id est lappen per columbria id est riemlo e chir id est foramina per que eminent remi exponuntur, transtra id est tabule in quibus sedent remiges sternuntur. Malus id est mastboem ad sustinendum velum erigitur et modio id est masthalda, arbores cui solent insistere, infigitur. Ceruca id est wetirhano in summitate mali ponitur, troclea id est winda quoque cum funibus necessariis qui solent trahi per carceria id est per duplicem concauitatem in cacumine arboris troclee adaptatur, parastate eciam id est bini (a: f. 101 v ) stipites, quibus arbor troclee sustinetur, preparantur. preterea adaptatur guber (Haupt 212) naculum id est stürruoder, clauus id est sturnagil, (E271) porticulus id est hamirnailis, tonsilla id est crapho id est uncinus ad quem in littore defixum funes nauium al (b: f. 8 ra ) ligantur, anchora id est enchir quoque et puluini id est machine quibus naues ducuntur et deducuntur et subducuntur ad portum. Uela eciam, quorum unum maximum vocatum achateon 104 in medio nauis in antempna statuendum, alterum scilicet epidromum velum ad puppem, ter- (E272) cium quoque velum minimum nuncupatum dalum ad proram defigendum. Sypharum quoque genus veli, quo iuuari nauigio solent quociens uis uenti Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 39 Purpur und unzählige andere mit Gold bestickte Seidengewänder schicken; dies alles empfing jener und überließ es sofort, nachdem er seiner Mutter gedankt hatte, mit größter Heiterkeit seinen Gefährten. (E266) Die Zeit war abgelaufen, es kam der Tag der festgesetzten Verbannung. Eine gewaltige Menge von ungefähr fünfhundert hervorragenden Soldaten strömte beim Herzog zusammen, und sie baten ihn inständig, er möge sie als Gefährten, nein vielmehr als Diener seiner Reise, nach Jerusalem mitnehmen. Jener dankte Gott und ihnen (E267) für diesen Vorschlag der Gefolgschaft und ließ sie aufs freundlichste an seiner Unternehmung teilnehmen. Endlich entfernte man sich, nicht ohne Tränen zu vergießen, von den Grenzen der süßen Heimat und gelangte nach Ungarn. Der König von Ungarn empfing den Herzog mit den Seinen aufs ehrenvollste, ließ es ihnen in aller Freundlichkeit wohlergehen, beschenkte sie mit gewaltigen Gaben, die sich für einen so großen König schickten, entließ die Beschenkten und gab den Auftrag, sie durch kundige Boten durch das Waldgebirge der Bulgaren in die Gebiete Griechenlands zu führen. Später erreichten sie Konstantinopel. Der Herrscher Griechenlands nahm sie würdig auf und versorgte sie durch seine Kämmerer, die sich um sie kümmern mussten, mit allem Notwendigen; denn er hatte den Herzog deshalb, weil dieser dem Römischen Kaiser - der grundlos angefangen hatte, ihm gegenüber unwillig zu sein - so beherzt entgegengetreten war, sehr lieb; und gerade deswegen ehrte er ihn sehr. (E268) So hielten sie sich drei Wochen in Konstantinopel auf, deshalb, weil Schiffe, die geeignet waren, eine so große Mannschaft, Waffen und andere Gerätschaften von ihnen aufzunehmen, in ausreichender Zahl sehr schwer zu finden waren. Endlich fand man riesige Schiffe und belud sie auf Anordnung des Kaisers mit Waffen, Gerätschaften sowie Nahrungsmitteln, die für lange Zeit ausreichen sollten; (E269) Vorder- und Hinterdeck wurden kundigen Matrosen, das heißt Schiffsmeistern, (E270) anvertraut; Ränder beziehungsweise Flanken des Schiffs aus gewölbten Brettern, das heißt huteuaz, wurden an beiden Seiten des Schiffs hochgezogen. Kleine Räume, das heißt Häuschen, in denen man Waren lagerte, wurden errichtet; Ruder, welche Ruderblätter haben, das heißt lappen, wurden durch Ruderlöcher, das heißt riemloechir, das heißt Öffnungen, durch welche die Ruder herausragen, herausgelassen; Ruderbänke, das heißt Bretter, auf denen die Ruderer sitzen, wurden hergerichtet. Ein Mastbaum, das heißt mastboem, zum Festhalten des Segels wurde errichtet und in einen Masthalter, das heißt masthalda, in dem Mastbäume zu stehen pflegen, eingesetzt. Zuoberst am Mastbaum wurde eine Windfahne, das heißt wetirhano, angebracht, auch ein Flaschenzug, das heißt winda, wurde mit den nötigen Seilen versehen, die gewöhnlich durch die Winden, das heißt durch doppelte Krümmung an der Spitze des Mastbaums der Winde, gezogen werden; auch wurden Stützbalken, 40 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch languescit, preparantur. Rudens eciam et spire uel curcube id est funes, quibus utuntur naute in tempestatibus, nec non tormentum id est funis, quo prora ad puppim extenditur, mitra nichilominus funis, quo nauis media uincitur, propes eciam, quo pes veli alligatur, item saphon 105 funis in prora positus, anquina 106 quoque funis, quo ad malum antempna constringitur, oppifera funis, quo cornua antempne dextra sinistra quoque retrouerse tenduntur, promessium funis, quo nauis in littore ad palum religatur, remulcum funis, quo delegata nauis trahitur, Cataforates funis lineus cum massa plumbea, quo maris altitudo (E273) probatur, funes, quibus remi ad scalmos ligantur - hec omnia in trierim ducis Hernesti et suorum comportantur. Greci eciam plurimi in suis trieribus eis associantur. Quid plura? Arthemone tan (Haupt 213) dem alligato dux et sui post accionem graciarum imperatori per multimoda sua circa illos beneficia, post licencie et benedictionis et ingentissimorum donorum accepcionem se et sua Deo dederunt, fune de littore soluto (b: f. 8 rb ) et velo in altum panso et extenso terga maris sulcant, celeuma letum sed non diu celebrant. Emenso namque dierum qinque tempore tempestas maris permaxima oriebatur, ex qua tota illa classis detrahebatur et duodecim 107 (E274) nauibus submersis nobilis Grecorum sibi ob probitatem (a: f. 102 r ) ducis associatorum iuuentus in mare precipitata diem extremum sorciebatur. Trieris vero ducis et Teutonice in Teutonia associate duci iuuentutis super impetuosissima maris terga iactabatur, vbi et ipse cum suis tam inenarrabilia mala quam intollerabilia propter vim tempestatis iugiter multis diebus et noctibus ante ipsorum oculos naufragium minitantis perpeciebatur. Insuper malum vehementissime excoquens eos accumulabatur, tum propter sociorum Grecorum in mare precipitatorum amissionem, tum propter 108 cibariorum iam incipiencium deficere defectionem. Vt ergo fieri solet, Deum in tam multipharie necessitatis articulo attentissime implorant. Vnde implorantibus ex alto prospiciens misit auxilium eis in tem- (E275) pore oportuno. In diei enim cuiusdam diluculo Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 41 das heißt je zwei Pfähle, mit denen der Mastbaum der Winde gestützt wird, vorbereitet. Außerdem wurde ein Steuerruder angebracht, das heißt stürruoder, ein Steuerhebel, das heißt sturnagil, (E271) ein Hammer, das heißt hamimailis, ein Halter, das heißt Haken beziehungsweise Widerhaken, der am Meeresufer befestigt ist und an den die Seile der Schiffe gebunden werden, auch ein Anker, das heißt enchir, und Gelenke, das heißt Maschinen, mit denen die Schiffe in den Hafen gezogen und aus ihm weggezogen werden. Es wurden auch Segel eingerichtet: Das größte von ihnen, achateon genannt, musste in der Mitte des Schiffs an der Segelstange festgemacht werden; ein zweites, nämlich das Epidromos- Segel, 8 musste, wie sich versteht, am Hinterdeck, (E272) und auch ein drittes, das kleinste Segel, genannt dalum, am Vorderdeck angebracht werden; des Weiteren das Bramsegel, eine Segelart, mit der gewöhnlich die Schiffe unterstützt werden, sooft die Kraft des Windes erschlafft. Auch starke Taue und Windungen beziehungsweise Sturmtaue, das heißt Seile, welche die Matrosen bei Stürmen benützen; und auch eine Winde, das heißt ein Seil, das vom Vorderdeck zum Hinterdeck reicht; nichtsdestoweniger eine Binde, ein Seil, mit dem das Schiff in der Mitte umschnürt wird; auch ein Strick, mit dem die Schote des Segels angebunden wird; ebenso das Schiffsgebinde [saphon], ein Seil, das am Vorderdeck angebracht ist; auch die Mastschlinge [anquina], ein Seil, das beim Mastbaum mit der Rahe befestigt wird; das Hilfstau [oppifera], ein Seil, mit dem die Spitzen der Rahe nach rechts und links und auch nach hinten gespannt werden; die Leine [promessium], mit der das Schiff am Meeresufer an einen Pfahl gebunden wird; das Schlepptau [remulcum], ein Seil, mit dem das zugewiesene Schiff gezogen wird; das Senkblei [cataforates], ein Seil aus Leinen mit einer Bleimasse, mit dem die Meereshöhe (E273) gemessen wird; Kordeln [struppi], Seile, mit denen die Ruder an die Ruderpflöcke gebunden werden - dies alles wurde zum Schiff des Herzogs Ernst und seiner Leute zusammengebracht. Auch sehr viele Griechen gesellten sich mit ihren Schiffen zu ihnen. Was mehr? Endlich war das Bramsegel angebunden; da dankten der Herzog und die Seinen dem Kaiser für seine vielfältigen Wohltaten ihnen gegenüber, und nachdem sie die Erlaubnis abzufahren, den Segen und gewaltige Geschenke empfangen hatten, vertrauten sie sich und ihre Habe Gott an, lösten das Seil vom Meeresufer, hissten das Segel, zogen es straff an und durchfuhren die Meeresfläche; aber sie feierten das fröhliche Kommando nicht lange. Denn als die Zeit von fünf Tagen vorüber war, zog ein überaus starker Meeressturm auf, infolge dessen jene ganze Flotte auseinandergerissen wurde, zwölf (E274) Schiffe versanken und die edlen Männer der Griechen, die sich wegen der Rechtschaffenheit des Herzogs ihm angeschlossen hatten, ins Meer stürzten und den Tod fanden. Aber das Schiff des Herzogs und der deutschen Mannschaft, die sich in Deutschland dem Herzog angeschlossen hatte, wurde über die stürmische Meeresfläche hin und her getrieben, wo auch 42 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch aura datur grata et tempestas fit sedata, quieuerunt maria. 109 De longinquo itaque terram Agrippam 110 , vocatam forte a principe aliquo illius terre nominato Agrippa, aspiciunt. Vnde ualde exhylarati remis attencius solito incumbunt, cerula maris terga spe subeundi portus concitati sciderunt et tandem optatum portum subierunt. Ibi ciuitas egregia reperiebatur muro firmissimo et per marmor Parium et porphireticum artificiali colore 111 partim viridatum, partim (b: f. 8 va ) rubricatum, partim deglaucatum, partim dealbatum ornatissimo circumsepta, eciam per uallem profundissimam et latitudinem spaciosissimam repletam aqua amenissima munita. In murorum vero summitatibus, quas pinnas cinnun vocant, du- (E276) centarum turrium 112 propugnacula exstructa fuerant quaquaversum (Haupt 214) decentissime deaurata. Sed hoc tempore ciuitas a ciuibus suis (E277) biformibus 113 , pro Dei voluntate in bina forma, ut docebitur creatis, desolata erat. Dux igitur velis dimissis et barcis emissis, anchoris eciam mari inmissis, sociis et contironibus ait: ‘O tribulacionum iam preteritarum et consolacionum utinam futurarum conparticipes, placet michi, si et uestre placitum est dileccioni, vt, ex quo in terram hanc, terram satis optimam de fluctibus ma (a: f. 102 v ) ris ereptos Diuina misit clemencia, in vrbe presenti victualia aliquanta conquiramus. Vnde sine mora armis induti et gladiis super femora vestra potentissime accincti maturate perquirere, vtrum huius (E278) ciuitatis conciues sint Christiane religionis 114 an paganici erroris cultores. Si enim fidei nostre amicos esse rescierimus, prece et precio victualia benigne et condigne coemamus. Si vero Christi et ecclesie hostes esse probauerimus, vi bellorum necessaria ab eis velint nolint extorqueamus. Quandoquidem enim nos nostraque relinquentes intuitu patrie eterne exulauimus, pro Deo Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 43 er selbst mit den Seinen so unbeschreibliche wie unerträgliche Übel erduldete wegen der Kraft des Sturms, der beständig während vielen Tagen und Nächten vor ihren Augen mit Schiffbruch drohte. Überdies wurde das Übel, das sie in stärkste Mitleidenschaft zog, gesteigert, bald wegen des Verlusts der ins Meer gestürzten griechischen Mitstreiter, bald wegen des Mangels an Nahrungsmitteln, die schon zu schwinden begannen. Wie es also zu geschehen pflegt, flehten sie im Augenblick so vielfältiger Notlage inbrünstig zu Gott. Da sorgte er von der Höhe aus für die Betenden und schickte ihnen Hilfe (E275) zur rechten Zeit. Denn in der Morgendämmerung eines bestimmten Tages wehte ein willkommenes Lüftchen; dem Sturm wurde Einhalt geboten, das Meer beruhigte sich. Nun erblickten sie von weitem das Land Agrippa, das zufällig nach irgendeinem Fürsten jenes Landes mit dem Namen Agrippa heißt. Darauf legten sie sich voller Freude mit größerem Einsatz als sonst in die Ruder, teilten, angetrieben von der Hoffnung, einen Hafen anzulaufen, die blaue Meeresfläche und liefen endlich in den ersehnten Hafen ein. Dort fanden sie eine außergewöhnliche Stadt vor, die umgeben war mit einer festen Mauer aus glänzendem parischem Marmor, der mit kunstgerechter Farbe teils grün, teils rot, teils gelb, teils weiß bemalt war, aufs schönste verziert; zudem war die Stadt durch einen tiefen Graben und eine sehr weite Fläche mit lieblichem Wasser befestigt. Auf den Mauerspitzen, die Zinnen [cinnun] heißen, (E276) waren Bollwerke von zweihundert Türmen errichtet worden, die auf allen Seiten aufs anmutigste vergoldet waren. Aber zu dieser Zeit war die Stadt von ihren zweigestaltigen Bürgern, (E277) die nach Gottes Willen in zweierlei Gestalt, wie noch dargelegt wird, geschaffen worden waren, verlassen. Also ließ der Herzog die Segel einziehen, Beiboote ausrücken, auch Anker ins Meer werfen und sagte zu seinen Gefährten und Mitstreitern: „O ihr, die ihr mit mir teilgenommen habt bei den schon vergangenen Drangsalen und hoffentlich bei den künftigen Tröstungen, es ist mein Beschluss, falls auch ihr damit einverstanden seid, weil uns die göttliche Milde aus Meeresfluten entrissen und in dieses sehr schöne Land geschickt hat, in der Stadt hier einen Vorrat an Lebensmitteln zu beschaffen. Daher bewaffnet euch unverzüglich, gürtet tüchtig die Schwerter um eure Hüften und erkundigt euch schnell, ob die (E278) Mitbürger dieser Stadt Anhänger der christlichen Religion sind oder des heidnischen Irrglaubens. Denn falls wir erfahren sollten, dass sie Freunde unseres Glaubens sind, dürften wir mit Bitten und Geld reichlich und zu einem angemessenen Preis Lebensmittel kaufen. Wenn wir aber erkennen sollten, dass sie Feinde Christi und der Kirche sind, lasst uns mit Kriegsgewalt das Nötige von ihnen, ob sie wollen oder nicht, entwenden. Denn da wir ja unser 44 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch moriamur et in media arma ruamus 115 . hoc enim equiualere sencio, quam si uictualium penuria deficientes in trieri pereamus.’ (E279) Assensere omnes et armis subito induti et in barcis terre expositi, Wezelone iussu ducis Hernesti (b: f. 8 vb ) preferente vexillum rubei 116 coloris ad significacionem Dominice passionis, campum interiacentem littori et ciuitati magnanimis illa iuuentus cum duce suo gressu pedum transuolabant et tandem portis vrbis appropiabant. Ad quas cum ventum esset, ipsas utraque parte apertas repererunt. 117 Vnde non satis admirando stupentes parumper, quamuis neminem rebellantem viderint, consilio et iussu ducis imperterriti constiterunt. Quibus dux: ‘O commilitones, ut suspicor portarum reseracio non sine dolo 118 conciuium ciuitatis huius facta est. Putantes (E280) enim nos ex improuiso vrbi irruituros esse omnes comprehendere decreuerunt et comprehensos perditum ire. Vos itaque innate nobilitatis et auite magnanimitatis et ingruentis permaxime necessitatis memores cum summo (Haupt 215) mentis et corporis nisu conferti signo milicie mee preeunte portas adite, et si qui debellatores ante portas proruant, regredi compellite et vos cum regredientibus vrbem irruite et sine misericordia - si quam habeatis, illa vertatur nobis in miseriam - omnem enim etatis et sexus hominem occidite. Quid plura? Non verborum eloquencia, sed factorum virilium violencia (a: f. 103 r ) in summe necessitatis articulo vtendum est.’ At illi (E281) citius dicto preuio duce et signifero Wezelone pontem ultra uallem vrbis porrectum transierunt, portas irruperunt, et neminem in ipso impetu ipsis obstantem aut ulterioribus urbis partibus conuersantem repererunt. Gallicam 119 itaque melodiam usque ad sydera tollentibus in mediam urbem proceditur. Ibi permaxima domus ad conuescendum preparata id est cenaculum cum mensis (E282; b: f. 9 ra ) omnium generum cibariis sollempnissime onustis et refertis cumque tricliniis per purpuras preciosissimi […] mensarum opertis reperitur. Scutelle vero, que dapes continebant, ex argento purissimo, et item patere, que vinum seu medonem seu siceram seu omne genus poculi capiebant, ex auro erant obrizo et mundissimo. Ad quos iterum dux sub apostropha ait: ‘Deo Creatori et (E283) omnium bonorum Largitori ingentes graciarum acciones, o socii, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 45 Hab und Gut zurückgelassen haben und um des ewigen Vaterlandes willen heimatlos geworden sind, lasst uns mitten ins Kampfgetümmel stürzen und für Gott sterben. Ich meine nämlich, dass dies ebenso viel wert ist, wie wenn wir aus Mangel an Lebensmitteln auf dem Schiff die Kräfte verlieren und zugrunde gehen.“ (E279) Alle stimmten zu, bewaffneten sich sofort und wurden in Beibooten an Land gesetzt; Wetzel trug auf Befehl des Herzogs Ernst das Banner voran - es war rot zur Bezeichnung der Passion des Herrn -, und die mutige Mannschaft durcheilte zu Fuß das Feld, das zwischen dem Meeresufer und der Stadt lag, zusammen mit ihrem Herzog und näherte sich endlich den Stadttoren. Als sie dort ankamen, fanden sie diese sperrangelweit offen vor. Daher konnten sie sich nicht genug wundern und stockten zunächst; schließlich blieben sie, obwohl sie niemanden, der ihnen Widerstand geleistet hätte, gesehen hatten, auf Rat und Befehl des unerschrockenen Herzogs stehen. Zu ihnen sagte der Herzog: „O ihr Mitstreiter, wie ich vermute, ist die Öffnung der Tore nicht ohne List der Mitbürger dieser Stadt geschehen. Denn im Glauben, (E280) wir würden ahnungslos in die Stadt einbrechen, haben sie beschlossen, uns alle gefangen zu nehmen und zugrunde zu richten. Denkt deshalb an unsere angeborene adlige Gesinnung, den ererbten Mut und besonders an die hereinbrechende Notlage und geht mit höchster geistiger und körperlicher Anspannung dichtgedrängt zu den Toren, wobei die Fahne meines Heeres vorangeht, und falls irgendwelche Kämpfer vor die Tore hervorstürzen sollten, zwingt sie zurückzugehen, brecht mit ihnen in die Stadt ein und tötet ohne Mitleid - wenn ihr welches haben solltet, soll es sich für uns zum Elend wenden! - jeden Menschen jeden Alters und Geschlechts. Was gibt es mehr zu sagen? Nicht der Redekunst, sondern der ungestümen männlichen Taten bedarf es im Augenblick der Not.“ Diese aber (E281) überquerten unbeschreiblich schnell unter Führung des Herzogs und des Bannerträgers Wetzel die Brücke über den Stadtgraben, fielen in die Stadttore ein - und fanden niemanden, der sich ihnen bei diesem Ansturm in den Weg gestellt oder sich in den entfernteren Teilen der Stadt aufgehalten hätte. Daher rückten sie zur Stadtmitte vor und sangen dabei laut bis zu den Sternen eine französische Melodie. Dort fanden sie einen sehr großen Palast, der zum gemeinsamen Mahl vorbereitet war, das heißt ein Speisezimmer mit Tischen, (E282) die mit Nahrungsmitteln aller Art aufs festlichste beladen und angefüllt waren, und mit Speisesofas, die mit Purpur kostbarster Art 9 bedeckt waren. Die kleinen Schüsseln aber, die Speisen enthielten, waren aus reinstem Silber, und ebenso waren die Schalen, die Wein, Met, Bier oder jede Art Getränk fassten, aus lauterem und reinstem Gold. Zu ihnen wandte sich wiederum der Herzog 46 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch vna mecum agite, qui potens est parare mensas has seruis suis nobis in deserto vrbis huius. Attamen consiliis meis, sicut actenus obtemperastis, obse- (E284) cundate et uictualia tantum ad humane fragilitatis subsidium necessaria sufficientissime vobis usurpate, aurum vero et argentum et purpuras et cetera huiusmodi floccipendentes suis possessoribus relinquite. Temptat enim vos Dominus, si auaricie que est radix omnium malorum morbo estuetis. Vnde memores, quomodo pro auaritia solius Achor 120 suscipientis auream regulam in Jericho, populus aliquantus in obpugnacione vrbis Hay interfectus occubuerit et ipse auaricie inhiator post excommunicate prede inuencionem circa se sentencia lapida (Haupt 216) cionis perierit. Recognoscat eciam (E285) discrecio vestra huius urbis incolas non longa terre distancia hinc abcessisse, sed in brevi remeaturos fore. Indulgete ergo corporum defatigatorum necessitatibus et post cum summa festinancia uictualia necessaria in futuros vsus collecta nauibus inferte.’ Huius huic hii consilio parentes corporibus habunde indulsere. Et (E286) postquam est exempta fames (a: f.103 v ) epulis menseque remote, gracia videndi varia vrbis loca lustra (b: f. 9 rb ) uere et in diuersis decentissime auro et argento perornatis inmensis edium id est domorum structuris diuersissima ex auro et argento et gemmis diuersi generis ornamenta quorum materiam superabat opus reperere, in quarum edium qualibet tanta fuit conferta cibariorum omnium generum copia, quanta ad prepotentis imperatoris et infiniti sui exercitus sollempnissimam sufficeret refeccionem. Hospites igitur pro ducis sui consilio uictualibus ad dimidii anni (E287) spatium sufficientibus trierim suam et barcas suas onerabant et leti infra trierim suam pausabant. Dux vero paruo interuallo pausauit, comitem Wezelonem vt se comitaretur rursus in vrbem ad explorandum subtilius statum illius efflagitauit. Sociis vero vt si forte bellicos tumultus animaduerterent, cicius in auxilium armati arrepto vexillo succurrerent mandauit. lngressi itaque magnanimi principes vrbem iam memoratam, post multo diligenciorem quam prius perlustracionem situum et ornamentorum diuersissimorum miraculosissimorum, que causa ui- Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 47 und sagte: “Stattet Gott, dem Schöpfer und (E283) Spender aller Güter, o ihr Gefährten, zusammen mit mir außerordentlichen Dank ab; denn er hat die Macht, diese Tische uns, seinen Knechten, in der Wüste dieser Stadt zu bereiten. Dennoch folgt meinen Ratschlägen, wie ihr bis jetzt gehorcht habt, und (E284) nehmt für euch nur die zur Unterstützung der menschlichen Zerbrechlichkeit notwendigen Nahrungsmittel in ausreichendem Maß in Anspruch; um Gold aber, Silber, Purpur und Übriges von dieser Art kümmert euch einen Pfifferling und lasst sie ihren Besitzern. Denn der Herr stellt euch auf die Probe, wenn ihr von der Krankheit der Habgier, welche die Wurzel aller Übel ist, verzehrt werden solltet. Deshalb denkt daran, wie allein wegen der Habsucht Achans 10 , der in Jericho eine Stange Goldes an sich genommen hat, ein ziemlich großes Volk bei der Belagerung der Stadt Ai getötet worden ist und er selbst, der Habsüchtige, nach dem Fund der ausgesonderten Beute zum Tod durch Steinigung verurteilt und so umgekommen ist. Auch soll (E285) euer Urteilsvermögen zugeben, dass die Einwohner dieser Stadt nicht weit von hier weggegangen sind, sondern in Kürze zurückkehren werden. Gebt also den dringenden Bedürfnissen eurer erschöpften Körper nach, sammelt in größter Eile die für den künftigen Gebrauch notwendigen Lebensmittel und bringt sie nachher auf die Schiffe.“ Seine Leute gehorchten diesem seinem Rat und sorgten im Überfluss für ihr körperliches Wohl. Und (E286) nachdem der Hunger gestillt und die Tische entfernt worden waren, streiften sie durch die verschiedenen Winkel der Stadt, um sie zu betrachten, und in diversen aufs anmutigste mit Gold und Silber geschmückten riesigen Häusern beziehungsweise Palästen fanden sie mannigfache Schmuckstücke aus Gold, Silber und Edelsteinen unterschiedlicher Art, über deren Stoff die Kunst triumphierte; in jedem dieser Häuser war eine so große Menge an allen Nahrungsmitteln aufgehäuft, dass sie für die festlichste Mahlzeit des mächtigsten Kaisers und seines zahllosen Heeres hätte ausreichen können. Also beluden die Gäste nach dem Rat ihres Herzogs ihre Ruderboote und ihr Schiff mit Lebensmitteln für (E287) den Zeitraum eines halben Jahres und ruhten froh im Schiff aus. Aber der Herzog gönnte sich nur eine kurze Pause und forderte Graf Wetzel dringend auf, ihn wiederum in die Stadt zu begleiten, um ihren Zustand gründlicher zu erkunden. Den Gefährten aber gab er den Auftrag, falls sie zufällig Kriegslärm bemerken sollten, das Banner zu ergreifen und schnell zu Hilfe zu eilen. Also betraten die wagemutigen Fürsten die schon erwähnte Stadt und besichtigten viel sorgfältiger als vorher die Bauten und verschiedensten wunderbaren Kostbarkeiten - diese will ich, um Weitschweifigkeit zu meiden, nicht 48 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch tande prolixitatis, ne fastidium exinde generaretur, 121 stilo exarare supersedi, venerunt in aulam (E288) marmoream inmensissimam et decentissimam, cum omni suppellectili refertissimam. Huic admota stabat egregia camera auro obrizo et gemmis omnigenis ineffabiliter ad unguem decorata, et in hac duo talamj excellentissimi, cum sua inestimabiliter preciosissima varia supellectili omatissimi. 122 Qua camera transita atrium subeunt (Haupt 217) cedris viridantibus et omnigenis arboribus consitum, vbi fluuium ebullientem leuissimo murmure et liquoris claritate spec (b: f. 9 va ) tatores ad aspiciendum allicientem aspiciunt. Iste (E289) fluuius per fistulas amenas deductas in duo dolia aurea fundebatur quodam artificio, ut si quis balneis delectaretur pro velle suo siue gelidum lauacrum siue calidum inibi consequeretur. 123 Hac per hunc fluuium ministrandorum la (a: f. 104 r ) uacrorum delectacione in aureis doliis dux attractus attraxit ad idem desiderium comitem Wezilonem. Nec mora voti sui uterque per balneorum delectabilissimorum lauacra deterso sudore et puluere compos in (E290) caminate penetralia repedat, in thalamos excellentissimos, vnus in vnum, alter in alterum se collocat. 124 Postquam pro loco et tempore satis pausatum est, de thalamis se proripiunt, vestibus induunt, armis se muniunt et subito per fenestram cancellatam ingentem exercitum de marinis partibus aduentare in equis prospiciunt. Rex enimuero ipsius terre videlicet Agrippe biformis 125 eo, quod binas habuit formas, vnam a planta pedis usque ad humeros hominis, alteram ab humeris usque ad uerticem gruis, cum con- (E291) ciuibus suis item biformibus filiam regis Indie transmissam filio alterius regis in coniugium vi bellica abstulerat hiis, qui domicellam abducturi in exteras sponsi terras erant. Vnde ille, scilicet rex Agrippe, compos victorie cum conuictoribus suis urbem suam letabundus cum letabundis prius desolatam, eo quod sub edicto ad rapiendum domicellam exierint, ingreditur. Huius induti ciclade auro texta latera biformes duo duces, duos arcus mirifice fabricature et fortitudinis ferentes, cicladibus auro textis amicti, cum suis infinitis vasallis stipant. Nihilominus domicellam (b: f. 9 vb ) teneram et adprime bellam duo non infimi primates oppanso contra solem (E292) supra ipsam tecto preciosissimo bistincto regi cum summa reuerentia, tercio nobilissimo principe auream virgam preferente adducunt. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 49 beschreiben, damit nicht davon Langeweile aufkomme. Dann gelangten sie in einen (E288) riesengroßen und sehr schön gestalteten Marmorsaal, der mit jeglicher Ausstattung angefüllt war. An diesen angebaut stand eine außerordentliche Kammer, die mit reinem Gold und Edelsteinen aller Art auf unaussprechliche Weise völlig verziert war, und in dieser befanden sich zwei vorzügliche Betten, die mit ihren unschätzbar kostbaren bunten Decken geschmückt waren. Sie durchquerten diese Kammer und gelangten zu einem Vorplatz, der mit grünenden Zedern und Bäumen aller Art bepflanzt war; dort erblickten sie ein hervorsprudelndes Rinnsal, das mit seinem ganz leichten Plätschern und dem klaren Wasser die Zuschauer zum Anschauen anzog. Dieses (E289) Rinnsal ergoss sich durch liebliche Röhren mittels eines gewissen Kunstgriffs in zwei goldene Fässer, damit einer, wenn er sich an einem Bad erfreuen wollte, nach seinem Willen dort entweder ein kaltes oder warmes Bad habe. Angezogen vom Vergnügen, durch dieses Rinnsal Badewasser in goldenen Fässern zu bekommen, stachelte der Herzog den Grafen Wetzel zum selben Verlangen an. Beide setzten ihren Wunsch unverzüglich in die Tat um und wuschen sich mit dem Wasser im ergötzlichen Bad Schweiß und Staub ab. (E290) Dann gingen sie ins Innere der Kammer zurück und legten sich in die vorzüglichen Betten, der eine ins eine, der andere ins andere. Nachdem sie sich an diesem Ort lange genug ausgeruht hatten, rissen sie sich von den Betten fort, zogen sich an und bewaffneten sich; da erblickten sie unerwartet durch ein Fenstergitter, wie ein riesiges Heer auf Pferden von der Meeresseite herankam. In der Tat hatte der König dieses Landes, eben von Agrippa, der ein Doppelwesen war - denn er hatte zwei Gestalten: von der Fußsohle bis zu den Schultern die eines Menschen, von den Schultern bis zur Kopfspitze die eines Kranichs -, mit seinen (E291) Mitbürgern, die ebenso doppelgestaltig waren, die Tochter des Königs von Indien, die dem Sohn eines anderen Königs zur Eheschließung geschickt worden war, mit kriegerischer Gewalt denen weggenommen, welche die junge Herrin ins ferne Land des Verlobten wegführen sollten. Daher betrat jener, nämlich der König von Agrippa, siegreich zusammen mit seinen Mitsiegern ausgelassen vor Freude mit seinen ebenso fröhlichen Leuten seine Stadt, die vorher verlassen war, deshalb, weil sie unter dem Befehl, die junge Herrin zu rauben, ausgezogen waren. An die Seiten des Königs, der in ein langes, golddurchwirktes Gewand gehüllt war, drängten sich zwei doppelgestaltige Anführer, die ebenfalls mit golddurchwirkten Umhängen bekleidet waren und zwei Bogen 50 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Tandem in cenaculo antedicto omnibus ad conuiuium sollempnissimum necessariis habundantissime paratis ad epulandum tricliniis et mensis, quibus dux Hernestus et sui (Haupt 218) prius discubuerant, discumbunt. Aliquantisper tamen cibaria tante multitudini preparata esse minorata plus solito senciunt. lbi ambubaiarum collegia, pharmacapole, mendici, mime, balatrones et hoc genus omne 126 (E293)omnigenum (a: f. 104 v ) ludj cantus genus ore gruino grocitat. at bella nil flectitur hiis domicella, ymmo querelabunda et tremebunda predonem suum regem sibi basia rostro longo et acuto infigentem torvo visu indignissime stupida inspicit et infelicissimam se proclamans ait: ‘Infelix ego homo, quis me liberabit de corpore mortis huius! Gracia Domini nostri per Ihesum Christum Dominum.’ Hec et similia verba eiulatoria fundentem domicellam audiens dux Hernestus, qui deintus et deprope latuit, ad comitem Wezelonem ait (E294) ‘Eya age, rumpamus moram et istam in summo discrimine positam virginem ab ista biformium 127 monstrorum captiuitate exoluamus.’ Ad hec comes Wezilo: ‘Longe michi, mi domine, alia mens, si vestre placet almitati. Multitudini tante resistere vix vel numquam sine vite nostre dispendio quibimus. Inde est, quod bona fide et mente vestre et mee incolumitati consulo, vt de eripienda domicella differamus, quamdiu conuiuii finem et tantorum conuentuum dissolucionem quolibet ad sua remea (b: f. 10 ra ) turo prospiciamus’. Hoc consilium sanum adprime visum est in oculis ducis. Expletoque conviuio tota turba in breui dilabitur, quia quisque in sua regreditur. Ipse eciam rex (E295) in sua caminate regia ambicione mirificentissime perornate penetralia parua videlicet camerariorum consecretalium comitante caterua ingreditur, ad quem cum aliis camerariis domicella deducenda progreditur. Horum vnus camerariorum domine vestes preter camisile sericum 128 exuens et quasi aduentum sponse domino imperatori grato rumore intimaturus rite alios camerarios precurrens, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 51 von wunderbarer Machart und Stärke trugen, zusammen mit seinen unzähligen Gefolgsleuten. Außerdem führten zwei Adlige - keineswegs die geringsten - die zarte und gar hübsche junge Herrin dem König mit höchster Ehrerbietung zu, wobei sie einen äußerst kostbaren, zweifarbigen Baldachin zum Schutz gegen die Sonne (E292) über ihr ausstreckten und ein dritter hochadliger Fürst eine goldene Rute vorantrug. Schließlich ließen sie sich im vorher erwähnten Speisesaal nieder; darin waren alle für ein festliches Gastmahl notwendigen Sofas und Tische, an denen sich Herzog Ernst und seine Leute vorher niedergelegt hatten, im Überfluss zum Essen ausgestattet. Nach einer Weile merkten sie jedoch, dass die für eine so große Menge zubereiteten Speisen weniger waren als sonst. Die Zunft der Flötenspielerinnen, die Quacksalber, die Bettler, Schauspielerinnen, Possenreißer, und dieses ganze Gesindel (E293) krächzte sodann mit seinem Kranichschnabel jede mögliche Art von lustiger Melodie. Aber die hübsche junge Herrin ließ sich dadurch nicht umstimmen, vielmehr blickte sie klagend und zitternd ihren Räuber, den König, der sie mit dem langen, spitzen Schnabel küsste, mit grimmiger Miene, betroffen und voller Empörung an, schrie laut, sie sei todunglücklich, und sagte: „Ich unglücklicher Mensch, wer wird mich von meinem, dem Tod verfallenen Leib befreien? Dank sei unserem Herrn durch Jesus Christus, den Herrn.“ Herzog Ernst, der sich im Inneren und nicht in unmittelbarer Nähe versteckt hielt, hörte, wie die junge Herrin diese und ähnliche Klagen ausstieß, und sagte zu Graf Wetzel: (E294) „Auf, los, wir wollen uns aufraffen und jene Jungfrau, die sich in höchster Gefahr befindet, aus dieser Gefangenschaft bei den doppelgestaltigen Ungeheuern befreien.“ Darauf entgegnete Graf Wetzel: „Mein Herr, ich bin ganz anderer Meinung, wenn es Eurer Hoheit gefällt. Wir werden einer so großen Menge kaum oder vielmehr niemals Widerstand leisten können, ohne unser Leben zu verlieren. Daraus folgt, weil ich nach bestem Wissen und Gewissen für Eure und meine Unversehrtheit sorge, dass wir die Rettung der jungen Herrin so lange verschieben, bis wir das Ende des Gastmahls und die Auflösung der so großen Versammlung, wenn ein jeder in sein Zuhause zurückkehren will, vor uns sehen.“ Dieser Rat schien in den Augen des Herzogs gar sehr verständig zu sein. Nach dem Ende des Gastmahls löste sich die ganze Schar in Kürze auf, weil ein jeder in sein Zuhause zurückkehrte. Auch der König selbst (E295) ging in sein kleines Privatgemach, das mit königlichem Ehrgeiz wunderbar ausgeschmückt war, wobei ihn natürlich eine Schar von vertrauten Kammerherren begleitete; mit anderen Kammerherren war die junge Herrin unterwegs, um zu ihm geleitet zu werden. Einer von diesen Kam- 52 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch ex improuiso vidit hospites de cenaculi latibulo iam proruentes. 129 Vnde stupore et extasi diriguit steterantque come et vox faucibus hesit 130 , animatus tamen parumper recepto spiritu ad (Haupt 219) dominum, ad quem currere ceperat, arma amens nunciat clamans: ‘Omnis Indie miles armatus ad subripiendam nobis dominam, quam rapuimus, astat. Sed causam aduentus (E296) eorum ego iam frus (a: f. 105 r ) trabor et domine subrepcionem per eius ipsius interempcionem preueniam.’ Hec ait et regem, quo se verteret nescientem, grocitantem tum altisone relinquens ad dominam summo impetu currens rostro acuto latera tenella et admodum bella domicelle transfixit. 131 Huius ob acceptum uulnus exclamatorios gemitus hospites audientes summo impetu camere, in quam deducta fuerat domina, irruunt et tam regem quam omnes suos ibi astantes enecant et seminecem dominam super brachia sua vtroque ex latere profundentem cruorem collocant et fouent frustra. Quibus illa: ‘heu me miseram (b: f. 10 rb ) quod aduentu vestro mortem meam non preuenistis. 132 Si enim preuenissetis et patri meo viuam filiam reduxissetis, alteri vestro nuberem et amplius opibus (E297) et honoribus paterne hereditatis Indie summum regem eum, scilicet unumlibet vestrum, proveherem. Sed quamuis instet mors, ultima linea rerum, 133 gaudeo tamen quia est michi mortis solamen vos homines Christianos ante mortem aspexisse.’ hec ait et ultimum flatum protrahens expirauit. Illi vero humane condicionis memores, quamuis omni ex parte imperatoriam familiam ymmo totius vrbis et adiacentis vicinie populositatem nimiam accursantem se circumvallare prospicerent, 134 purpura tamen corpus domicelle inhumate tegebant et pro saluificacione anime eius Domino, in quo spiritus electorum viuunt, preces fundebant et stratam ensibus sibi versus portas vrbis quam plurimis qui occurrebant occisis faciebant. Hostes vero Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 53 merherren zog der Herrin die Kleider aus - außer dem Seidenhemd - und eilte den anderen Kammerherren voraus, um dem Herrn und Gebieter gleichsam die Ankunft seiner Verlobten mit willkommener Botschaft feierlich mitzuteilen; da sah er unversehens, wie die Fremden jetzt aus dem Versteck des Speisesaals vorstürmten. Deshalb erstarrte er verblüfft und bestürzt, die Haare standen ihm zu Berge und die Stimme blieb ihm im Schlund stecken; dennoch fasste er wieder etwas Mut, rief außer sich nach Waffen und meldete beim Herrn, zu dem er geeilt war: „Das ganze Heer Indiens steht bewaffnet da, um uns die Herrin, die wir geraubt haben, zu entreißen. Aber ich werde jetzt den Grund für ihre Ankunft (E296) zunichtemachen und der Entwendung der Herrin durch ihre eigene Hinrichtung zuvorkommen.“ Dies sagte er, ließ den König, der nicht wusste, wohin er sich wenden sollte, und dann laut krächzte, stehen, eilte so schnell er konnte zur Herrin und durchbohrte mit seinem spitzen Schnabel den zarten und äußerst hübschen Leib der jungen Frau. Die Fremden hörten sie wegen der Wunde, die sie erhalten hatte, laut jammern, brachen, so schnell sie konnten, in die Kammer ein, in welche die Herrin geleitet worden war, töteten sowohl den König als auch alle, die bei ihm standen, und nahmen die halbtote Herrin, die an beiden Seiten blutete, auf ihre Arme und pflegten sie - vergeblich. Jene sagte zu ihnen: „Ach, ich Arme, dass Ihr mit eurer Ankunft meinem Tod nicht zuvorgekommen seid. Wäret Ihr nämlich früher gekommen und hättet meinem Vater die Tochter lebend zurückgeführt, würde ich einen von Euch heiraten und ihn - den einen von Euch - darüber hinaus mit den Schätzen (E297) und Ehren der väterlichen Erbschaft zum höchsten König Indiens erheben. Aber obgleich der Tod, aller Not Ende, bevorsteht, freue ich mich dennoch, weil es für mich Trost über meinen Tod bedeutet, Euch, christliche Männer, vor dem Tod gesehen zu haben.“ So sprach sie, tat ihren letzten Atemzug und starb. Jene aber, mochten sie es auch kommen sehen, dass von allen Seiten die Herrscherfamilie, ja das übermächtige Volk der ganzen Stadt und Umgebung herbeieilte und sie einschloss, bedeckten dennoch im Gedenken an das menschliche Los die Leiche der unbestatteten jungen Herrin mit einer Purpurdecke und beteten für das Heil ihrer Seele zum Herrn, bei dem die Seelen der Auserwählten leben, töteten möglichst viele von denen, die 54 Historia ducis Ernesti tela, saxa, arborum ingentissima rudera et cetera huiusmodi, quecumque manus eorum inuenire (E298) poterat, maximo impetu et gruine vocis strepitu super hospites immitebant. Vbi tandem ventum fuit ad portas vrbis iam obseratas, magnanimi hospites, in quibus vere magnanimitatis quantitate magnanimum Eacidem 135 et uirtuosissimum Priamidem 136 cernere posses, muratis murorum (Haupt 220) se aplicant et in clipeorum excauitatem (E299) mediam se furantes omnia intorta super se clipeis protensis excipiunt et supra exceptam in (a: f. 105 v ) gentem telorum et saxorum et ponderum ingestamque congeriem scandentes tamquam leones 137 circumdati canibus supersistunt et multos, quos ensis vtriusque attigit, ad inferos Plutoni 138 (b: f. 10 va ) transmittere satagunt. Ingenti tandem (E300) belligerancium tumultacione socii nauales exciti armata manu et arrepto vexillo accurrunt, portas obseratas inueniunt et tandem securibus excisas aperiunt, dominis non sine magna strage suorum subueniunt et multis occisis de manu grocitancium hostium ipsos subripiunt et extra portas cum summo labore educunt. Exhylarati ergo classem conscendere gestiunt, sed ecce a maritimis Agrippe partibus infinitos equitum armatorum cuneos (E301) aduentare et ad se iter directum ineuitabiliter intentare conspiciunt. Dux igitur Hernestus suos confortans ait: ‘O egregii milites, en de vita temporali res agitur, que felicissime amittitur, quando pro fide Christi more martirii morte desinatur, quia de ista ad eternam vitam optimo concambio transitur. Hac ergo spe nos, qui in Christi obsequio cottidie occupamur, animati nunc viriliter contra hostes Christi preliemur, et si nutu Dei mors temporalis de tanta multitudine biformium immineat, saltem multa horum monstrorum strage vitam eternam morte transitoria in via Dei perpessa mercemur.’ 139 Hec ait et inuocato Christi auxilio arreptoque vexillo (E302) socia comitante caterua gradatim hostibus obuiat. Hoc uiso Agrippi se per camporum spacia passim diffundunt, et ex improuiso hospites quaquaversum circumfundunt, nec tamen Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 55 ihnen entgegen eilten, und bahnten sich mit ihren Schwertern den Weg zu den Stadttoren. Die Feinde aber schleuderten Waffen, Steine, gewaltige Trümmer von Bäumen und anderes von der Art, was gerade zur Hand war, (E298) mit größter Leidenschaft und kreischendem Kranichgeschrei auf die Fremden. Als sie endlich zu den bereits verriegelten Stadttoren kamen, die mutigen Fremden, in denen man, was die Größe echten Wagemutes betraf, den mutigen Achill und den tapferen Hektor hätte sehen können, lehnten sie sich mit dem Rücken an die Mauern, machten sich die hohle Innenseite der Schilde (E299) zunutze und fingen alles, was geschossen wurde, mit ihren Schilden, die sie über sich vorstreckten, auf; sie stiegen auf die aufgeschüttete Masse von Geschossen, Steinen und schweren Brocken, und gleichsam wie Löwen, die von Hunden umzingelt sind, mühten sie sich eifrig damit ab, jene, die von ihren beiden Schwertern getroffen wurden, in die Unterwelt zu Pluto zu befördern. Endlich eilten, (E300) aufgeschreckt durch den gewaltigen Lärm der Kämpfenden, die Schiffssoldaten mit bewaffneter Hand und dem Banner herbei, fanden die Tore verschlossen, brachen sie schließlich mit ihren Beilen auf und öffneten sie. Nicht ohne große Verluste der Ihren kamen sie ihren Herren zu Hilfe, töteten viele, entrissen diese der Schar der krächzenden Feinde und führten sie nur mit größter Mühe außerhalb der Tore. Froh begehrten sie also die Flotte zu besteigen, aber siehe, da sahen sie von der Meeresseite Agrippas her eine gewaltige Heerschar bewaffneter Reiter (E301) sich nähern und geradewegs und unausweichlich auf sie zu kommen. Daher bestärkte der Herzog die Seinen und sagte: „O, ihr außergewöhnlichen Soldaten, seht, das irdische Leben steht auf dem Spiel, welches man glücklich aufgeben kann, da ja der Tod für den Glauben an Christus wie durch ein Martyrium erkauft wird, weil so der Übergang von jenem zum ewigen Leben als bestes Tauschgeschäft vollzogen wird. 11 Durch diese Hoffnung beseelt, wollen wir also, die wir täglich Christus Gefolgschaft leisten, jetzt mannhaft gegen die Feinde Christi kämpfen, und falls durch Gottes Fügung der irdische Tod von Seiten der so großen Menge Doppelgestaltiger drohen sollte, lasst uns wenigstens diesen Ungeheuern große Verluste zufügen, dabei den vergänglichen Tod auf dem Weg zu Gott erleiden und so das ewige Leben verdienen.“ So sprach er, rief Christus um Hilfe an, nahm das Banner an sich (E302) und ging, begleitet von der Schar seiner Mitstreiter, Schritt für Schritt den Feinden entgegen. Als die Agripper das sahen, breiteten sie sich über die weiten Felder nach allen Seiten aus und umdrängten unverse- 56 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch stabili sed instabili gressu modo huc modo illuc cedentes maiorem cladem hospitibus per tela toxicata 140 eminus missa quam per enses cominus pugnantes ingerebant. Hospites vero vi maxima re (b: f. 10 vb ) sistebant et tandem innumeris hostibus enecatis, quingentis eciam hospitibus prostratis, vsi sunt breui sed sano consilio, vt, quia biformes copiam pugnandi cominus non dabant, ipsi in naues paulatim se reciperent, et recipie (Haupt 221) bant. dux enim et Wezilo comes in sabulo stantes (E303) hostibus obstaculum, suis vero defensacu (a: f.106 r ) lum machinantur, quousque tam uulnerati et semineces quam et incolumes per barchas ad sabulum emissas in trierim transportabantur. 141 Ipse eciam dux et indefessus comes Wezilo post omnium sociorum transportacionem transportati littora linqui et mare sulcari remis mandant, quod et factum est. Agrippi vbi terrestrem pugnam iam subtrahi sensere, (E304) nauali prelio 142 eos aggredi maturauere, sed frustra quia venti flamine velum rapiente hospites etiam nauali prelio biformibus obstare valentes in medium maris alueum et inuiti prosiliere. Sic cum magna aliorum nauigancium, aliorum per uulnerum lesuras laborantium defatigacione duodecim diebus nauigabatur, 143 nec usquam portus aut eciam terre quippiam prospiciebatur. Vnde post diuersorum diuersas ad Deum, laborancium fortitudinem 144 , preces gemebundas directas vnus epÿbatarum satis circa sta- (E305) tus et loca maris sciolus mali summitatem scandebat, et prospiciens alonge quasi ingentissimam molem montis prospiciebat, in quo quasi silua pinuum densissima malorum multitudo se in altum porrigebat. Hanc ipsam quasi montis magnitudinem alii quoque socii contuebantur, et iterum aliquos adesse piratas ob hoc intrepidi opinabantur. 145 Epÿbata vero illius rei sciolus totis infrigidatus medullis pre angu (b: f. 11 ra ) stia mortis cito future ait: ‘O sancte peregrinacionis et iam instantis mortis consortes, en mors, ultima linea rerum 146 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 57 hens die Fremden überall; dennoch fügten sie, nicht in Reih und Glied, sondern mit unstetem Schritt bald hierhin, bald dorthin marschierend, den Fremden größere Verluste durch vergiftete Pfeile zu, die sie von weitem schossen, als im Schwertkampf Mann gegen Mann. Die Fremdlinge aber leisteten mit größter Kraft Widerstand und töteten zahllose Feinde, wobei auch fünfhundert von ihnen fielen; da fassten sie nach kurzer Beratung den vernünftigen Plan, sich selbst, da die Doppelgestaltigen ihnen keine Möglichkeit zum Kampf Mann gegen Mann gaben, allmählich auf die Schiffe zurückzuziehen, und das taten sie auch. Der Herzog nämlich und Graf Wetzel standen im Küstensand (E303) und wehrten die Feinde ab, die Ihren aber schützten sie so lange, bis sowohl die Verwundeten und Halbtoten als auch die Unverletzten durch Beiboote, die laufend zum Küstensand ausgeschickt wurden, auf das Schiff hinübergebracht waren. Auch der Herzog selbst und der unermüdliche Graf Wetzel ließen sich, nachdem alle Mitkämpfer hinübergeschafft waren, hinüberbringen und gaben den Befehl, die Küste zurückzulassen und über das Meer zu rudern, was auch geschah. Sobald die Agripper merkten, dass ihnen der Landkampf entzogen wurde, beeilten sie sich, die Fremdlinge in einer Seeschlacht anzugreifen - aber vergeblich: Denn durch einen Windstoß, der das Segel rasch erfasste, schossen diese, (E304) welche den Doppelgestaltigen auch in einer Seeschlacht entgegentreten wollten, mitten ins offene Meer, wenn auch gegen ihren Willen. So segelte man unter großer Anstrengung - die einen kümmerten sich um die Schifffahrt, die anderen waren mit der Pflege der Wunden beschäftigt - während zwölf Tagen, und nirgends wurde ein Hafen oder etwas Land gesichtet. Dann, nachdem etliche unter Seufzern ihre je eigenen Gebete zu Gott - der Stärke für diejenigen, die sich abmühen - gerichtet hatten, stieg einer der Matrosen, der genug (E305) von der Lage und der Gegend des Meeres verstand, zum obersten Punkt des Mastbaums, blickte in die Ferne und sah vor sich etwas wie eine mächtige Bergmasse, auf der wie ein sehr dichter Pinienwald eine Menge Mastbäume in die Höhe ragten. Diese Art großen Berg sahen auch andere Gefährten, und wiederum andere meinten, irgendwelche Seeräuber seien da, was sie keineswegs aus der Ruhe brachte. Dem Matrosen aber, der von jenem Sachverhalt Kenntnis hatte, gefror das Mark in den Knochen aus Angst vor dem baldigen Tod, und er sagte: „O ihr Schicksalsgefährten der heiligen Pilgerfahrt und des jetzt drohenden Todes, seht, der Tod, aller Not Ende, 58 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch instat. Vnde manus et mentes ad celum leuate et reatuum istorum absolucionem ab engelico agno, 147 tam vicii quam mali actus et (E306) reatus omnis immuni, impetrate, hec omni deuocione poscentes ut, quandoquidem corpora nostra iam danda sunt in interitum, saltem spiritus nostri salui fiant. 148 Ecce in illo monte omnes moriemur, quia Sirtico 149 iam mari velimus nolimus illabimur. Istud nempe mare mortem omnibus in se appulsis intentare frequenter relatis seniorum audiui. Arbores, quas porrectas in altum conspicitis sunt mali nauium, (Haupt 222) sed moles vise sunt naues vi tempestatum (a: f. 106 v ) adpulse, quarum homines omnes mortis amare poculum gustauerunt, quod et uos in ipso loco gustaturos esse proculdubio animaduertite.’ 150 Postquam dicendi epÿbata flebilem finem fecit, dux illustrissimus sermonem ad eos consolatorium fecit dicens: ‘O nos’ inquiens ‘Deo referamus graciarum inmensam actionem (E307) ob omnium tribulacionum a Deo inmissarum inquietacionem ad nostrorum reatuum in hac vita purgacionem. Si Diuina mortem temporalem hoc in loco predestinauit nobis prouidencia, paciamur illam cum summa patientia, ut in districtissimo ultime diei 151 iudiciali examine vicem tribulacionum passarum in via Dei recompenset eius Crucifixi, cuius misteria adoraturi iter Iherosolimam deliberauimus, clemencia. O Jerusalem, ciuitas summi Regis, decus et gloria vtriusque legis, ut quid in te flos non ueniet huius gregis? O quam inscrutabilia sunt iudicia (b: f. 11rb) tua, Christe, qui sinis, ut iam pereat cetus forcium iste. O quam investigabiles uie tue, (E308) Pastor clemens et Rex pie. O iuuentus plangenda et omni luctu lugenda ferens stigmata pacis, estu peribis equoris tenacis. fide Christi plebs fundata, spe in ipso sis plantata, caritate iam fuisti semper radicata, cunctarumque virtutum gemmis perornata, simplicitate Christi tui invndans et omni genere sapiencie habundans, Deo dilecta Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 59 steht bevor. Daher hebt eure Hände und eure Gedanken zum Himmel und erlangt Vergebung für diese irdischen Sünden vom Engelslamm, das sowohl vom Laster als auch von der bösen Tat (E306) und jeder Sünde frei ist, und fordert dies in aller Demut, damit, da ja unser Leib jetzt dem Untergang geweiht ist, wenigstens unser Geist gerettet werde. Siehe da, an jenem Berg werden wir alle sterben, da wir, ob wir wollen oder nicht, jetzt ins Syrtenmeer hineingleiten werden. Dass dieses Meer allen, die in ihm landen, mit dem Tod droht, habe ich häufig durch Berichte von Älteren gehört. Die Bäume, die ihr in die Höhe ragen seht, sind Schiffsmasten, ja auch die sichtbaren Klippen sind Schiffe, die durch die Wucht der Stürme herangetrieben worden sind und deren Menschen allesamt den bitteren Becher des Todes gekostet haben. Beherzigt, dass auch ihr ihn zweifelsohne gerade hier kosten werdet.“ Nachdem der Matrose unter Tränen seine Rede geendet hatte, sprach der erlauchte Herzog zu ihnen die folgenden trostreichen Worte: „O lasst uns Gott größten Dank (E307) abstatten für die Beunruhigung infolge aller von Gott geschickten Nöte zur Reinigung von unseren Sünden in diesem Leben. Wenn die göttliche Vorsehung uns den irdischen Tod an diesem Ort vorherbestimmt hat, lasst uns jenen mit höchster Geduld erleiden, damit er in der strengsten gerichtlichen Prüfung des Jüngsten Tages das Los erlittener Nöte auf dem Weg zu Gott vergelte mit der Milde jenes Gekreuzigten, um dessen Mysterien zu verehren wir die Reise nach Jerusalem beschlossen haben. O Jerusalem, Stadt des höchsten Königs, Zierde und Ruhm beider Gesetze, warum wird die Blüte dieser Herde nicht zu dir kommen? O wie unerforschlich sind deine Entscheidungen, Christus, der du es zulässt, dass jetzt diese Gesellschaft von Tapferen zugrunde geht. O wie unaufspürbar sind deine Wege, (E308) milder Hirt und gütiger König. O Jugend, die zu beklagen und mit jeglicher Trauer zu betrauern ist, die du die Malzeichen des Friedens trägst, du wirst in der Brandung des Meers, das dich festhält, umkommen. Du seist ein Volk, festgegründet im Glauben an Christus, in ihm eingepflanzt durch die Hoffnung, schon immer bist du durch die Liebe verwurzelt gewesen, herrlich geschmückt durch die Juwelen aller Tugenden, überflutend vor der Treuherzigkeit gegenüber deinem Christus und in jeder Art von Weisheit überreich, sei von Gott geliebt und auserwählt, 60 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch sisqe preelecta, en vi maris deuoraris, et in celis ornata coronaris. Syon filie, flete sortem iuuentutis quondam lete. Vos, noui attlethe, (E309) cum Christo in ethere gaudete. Christe sacer, verbum summi Patris, solue cunctos nos a baratro fonte tue pietatis, solue reos, salua gratis, et nos tue claritatis, Rex pie, configura glorie in superna Ierusalem. fiat, fiat.’ Hec eiulans eiulantibus ait et tam ipse quam comes Wezilo quam et omnis exercitus participati sunt viuificum corpus et sanguinem Christi per ministeria sacerdotum, quos eciam in societate illa interfuisse dubium non est. (Haupt 223) Interim loci trieris ipsorum magis et magis prolapsa et magneti lapidi, 152 qui per naturam ferrum sibi attrahit, aplicita capitur, (E310) tenetur. Ibi eiusdem lapidis ful (a: f. 107 r ) gor admodum ignis de fluctibus coruscabat, quo fulgore multa uetusta nauis, que in binas partes in medio dirrupta est, summitati arene, que est multo periculosior quam maris vnda, supernatabat. Malorum eciam multorum ab illo fulgore confractorum moles ingentissima cadens deorsum in trierim nouorum aduenarum mortificabat multos, et, ut compendio vtar, 153 illa nobilissima iuuentus preter paucos inibi misere mortis diuersis modis pocula (b: f. 11 va ) gustabat. Unde dux Hernestus vehementissime totis viscerum medullis perturbatus, plangens iugiter et flens, quia aliud facere non poterat, ait: ‘Christe Deus, Dei Patris Fili, quale erit michi miserrimo et ut mortuo remedium, cum (E311) uideam ante oculos mortem subire optimatum et vasallorum meorum semper fidissimorum collegium’. 154 Sic omni die, ymmo horarum singulo momento flebat et planctibus se afficiebat, et cum mittenda essent corpora defunctorum in mare, ipse tali precipitacioni compassus ea in summitate trieris locari iubebat, ut saltem quoad posset eorum quamuis mortuorum visu solacium aliquod perciperet. Grifes vero prope in desertis et in inaccessis rupium arboribus nidificantes nidore corporum allecti aduolant et corpora multa pullis suis pro cibariis in nidos cursu perpeti Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 61 siehe, du wirst von der Wucht des Meeres verschlungen und im Himmel geschmückt und bekränzt. Töchter Sions, weint über das Schicksal der einst fröhlichen Jugend. Ihr, junge Streiter, (E309) freut euch mit Christus im Himmel. Heiliger Christus, Wort des höchsten Vaters, erlöse uns alle von der Hölle durch die Quelle deiner Güte, erlöse die Angeklagten, rette sie von dir aus und uns, gütiger König, lass uns teilhaben am Ruhm deiner Herrlichkeit im himmlischen Jerusalem. Möge es geschehen, möge es geschehen.“ Das sagte er klagend den Klagenden und sowohl er als auch Graf Wetzel und das ganze Heer nahmen Teil am lebenspendenden Leib und Blut Christi im Gottesdienst der Priester, die - da besteht kein Zweifel - ebenfalls bei jener Gesellschaft dabei waren. Indessen glitt ihr Schiff mehr und mehr vorwärts, näherte sich dem Magnetfelsen, der naturgemäß Eisen an sich zieht, wurde erfasst und (E310) festgehalten. Dort schimmerte der Glanz ebendieses Felsens so sehr wie ein Feuer aus den Fluten; in diesem Glanz schwamm manch altes Schiff, welches in zwei Teile in der Mitte zerbrochen war, auf einer Sandbank, die viel gefährlicher ist als das wogende Meer. Auch fiel eine riesige Masse von vielen Mastbäumen, die von jenem Glanz zertrümmert worden waren, auf das Schiff der Neuankömmlinge nieder und tötete viele, und - um es kurz zu sagen - jene edle Jugend kostete dort mit Ausnahme von wenigen auf verschiedene Arten den Becher eines elenden Todes. Da klagte und weinte Herzog Ernst, der in seinem Innersten zutiefst getroffen war, ohne Unterlass und sagte, weil er nichts anderes tun konnte: „Christus Gott, Sohn des Gottvaters, was für ein Heilmittel wird es geben für mich, der ich sozusagen tot bin, da ich (E311) vor meinen Augen sehe, wie die Gemeinschaft meiner immer treuen Adligen und Vasallen den Tod findet? “ So weinte er den ganzen Tag, ja jeden einzelnen Augenblick der Stunden, schlug sich an die Brust und befahl, als die Leiber der Toten hätten ins Meer geworfen werden sollen, selbst voller Mitleid mit einem solchen Hinabstürzen, man solle sie oben auf das Deck des Schiffs hinlegen, damit er wenigstens, solange er könne, durch den Anblick der Toten irgendeinen Trost erhalte. Aber Greifen, 62 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch transportant. De tanto tamen numero tantum septem supervixere, qui omnes nullum vite sustentamentum preter dimidium panem in (E312) sarcinis habuere. Comes vero Wezilo ait: ‘Ex quo exercitui sociorum tanto commortuo lacrimas persoluimus, quod solum patrare licuit, mi domine, si discrecioni vestre placet, mi domine, ÿmmo quia placet, aliam saltem quam tam inertem mortem eligamus, vt scilicet nos ipsos pellibus mortuorum animalium insutos Grifibus predas consuetas in summitate trieris proponi iubeamus, ut ab illis trans mare portati in nidos pullorum pro escis consuetis aut cibi eorum fiamus aut, si Deus annuerit, aliqua racione viui euada (Haupt 224) mus.’ Hoc consilium, quod puto 155 non ab homine Wezeloni datum, sed a Deo mi (a: f. 107 v ) raculose inspi (b: f. 11 vb ) ratum, duci admodum placuit. Nec mora in alias naues dux et sui subeunt, in quibus nouiter defunctos homines cum auri et argenti et preciosissimarum gemmarum et omnium generum suppellectilium copia reperiunt, sorti quorum et dure conditioni que et ab eis expecta- (E313) batur condescendunt, sed pelles marinorum boum ibi fore conspiciunt, quas secum in suam nauim repedantes deferri precipiunt. Mirantibus ergo aliis dux et comes Wezilo aliquas illarum pellium consui et consutis se ipsos cum omnibus armis suis et cum quibusdam aliis instrumentis necessariis insui, sociis prius tamen valedicentes, mandant, quorum mandatis socii quam molestissime obsecundant, et in summitate trieris locatos Grifes quasi solitam predam, videntibus et plangentibus eisdem exulibus, trans mare nutu Dei misericordiosi et uere miraculosi in suis ducem et comitem in nidum pullis pro esca deportant. 156 Pulli vero super illos huc (E314) et illuc saliunt, excoriare iugiter temptabant, sed squame loricarum insutos ab omni lesura incolumes conseruabant. Senciunt tandem se extra mare in terrestrem quempiam locum firmiter locatos esse, et paulatim resumptis viribus pelles scindunt, et quia Grifes ambo pro cadaueribus apportandis super mare avolauerant, isti duo exules nacti fugam extra nidum se proripiunt, et pedetemptim de rupium asperarum multarum precipiciis cum summo labore in siluarum vicinarum vastitatem prosiliunt. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 63 die in der Nähe in einsamen und unzugänglichen, auf Felsen gelegenen Bäumen nisteten, flogen, angelockt vom Gestank der Leichen, heran und schafften viele von diesen als Nahrung für ihre Jungen in ununterbrochenem Hin- und Herflug in ihre Nester. Von der so großen Zahl der Männer überlebten bei alledem nur sieben, die insgesamt keinen Lebensunterhalt mehr hatten - außer einem halben Brot im (E312) Gepäck. Graf Wetzel aber sagte: „Wir haben für das so große tote Heer der Gefährten Tränen vergossen, das einzige, mein Herr, was wir tun konnten. Jetzt aber, wenn es Eurer Weisheit gefällt, mein Herr, - nein vielmehr, weil es ihr gefällt -, lasst uns wenigstens einen anderen als einen so belanglosen Tod wählen, nämlich derart, dass wir beschließen, uns in Felle toter Tiere einzunähen und uns als den Greifen gewohnte Beute oben auf das Deck des Schiffs zu legen, damit sie uns übers Meer in die Nester der Jungen anstelle der üblichen Nahrung tragen und wir entweder zu ihrem Futter werden oder, falls Gott es zulässt, auf irgendeine Art lebend davonkommen.“ Dieser Vorschlag, der, wie ich glaube, Wetzel nicht von einem Menschen eingegeben, sondern von Gott auf wunderbare Weise eingeflösst worden war, gefiel dem Herzog überaus. Unverzüglich betraten der Herzog und die Seinen die anderen Schiffe, auf denen sie kürzlich verstorbene Menschen mit einem Vorrat an Gold, Silber, kostbaren Juwelen und Hausrat aller Art fanden, und nahmen an deren Los und harter Lage, die sie auch für sich selbst erwarteten, Anteil; (E313) da aber erblickten sie dort Meerrinderhäute und verfügten, diese bei der Rückkehr auf ihr Schiff mitzunehmen. Unter dem Staunen der anderen gaben der Herzog und Graf Wetzel also den Auftrag, einige von jenen Häuten zusammenzunähen und sie selbst mit allen ihren Waffen und gewissen weiteren unentbehrlichen Geräten einzunähen, wobei sie den Gefährten vorher Lebewohl sagten; jene aber gehorchten diesem Auftrag höchst ungern. Sie legten den Herzog und den Grafen, als ob es die übliche Beute wäre, oben auf das Deck des Schiffs, und die Greifen trugen sie, was die so Zurückgelassenen sahen und beklagten, nach dem Willen des barmherzigen und wirklich gegenüber den Seinen wunderbaren Gottes weg in ihr Nest als Futter für die Jungen. Die jungen Vögel aber hüpften über jene hierhin (E314) und dorthin, versuchten sofort, die Tierhaut aufzutrennen, die Eisenpanzer jedoch bewahrten die Eingenähten vor jeglicher Verletzung. Schließlich merkten die zwei Männer, dass sie außerhalb des Meeres an irgendeinen Platz auf dem Festland sicher hingestellt worden waren; allmählich kamen sie wieder zu Kräften, rissen die Häute auf, und weil die beiden Greifen über das Meer weggeflogen waren, um Leichen zu holen, konnten die zwei Zurückgelassenen fliehen: Sie brachen aus dem Nest aus, sprangen zu Fuß über Abgründe vieler rauer Felsen und gelangten mit größter Mühe in weite benachbarte Wälder. 64 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Interea loci alii duo socii priore modo in (b: f. 12 ra ) pellibus assuti ab iam dictis Grifibus in nidum predictum deponuntur, qui eciam pellibus disscissis simili modo et labore quo dux et comes Wezilo in easdem siluas progrediuntur. 157 Adhuc in trieri tres supererant, quorum duo a tercio pellibus insuti in nidum pretaxatum ministerio pretaxatarum Grifium causa adminiculante, sed Deo causa efficiente 158 id operante transferuntur, et tandem illi predicto modo (E315) eciam quo priores vix (a: f. 108 r ) elapsi in siluam progrediuntur. Tercius de numero trium vltimorum, quia neminem sui in pelles con (Haupt 225) sutorem habuit, in naui remansit, et nullum vite sustentamentum habens nisi dimidium panem, quem prius septem habuerant, diem obiit et vltimate diei tubam in generali resurrectione inibi expectabit. Illi uero quatuor, qui in nidum Grifium a Grifibus transportati et de rupibus elapsi fuerant, in siluarum inviis ex improuiso prouidente tamen Dei clemencia insimul conuenerunt. Vnde admodum exhÿlarati dominum suum ducem et comitem Wezilonem in vlterioribus siluarum anfractibus querere disposuerunt, super hoc implorantes Dei auxilium exauditi sunt. Dum enim anxii circa inueniendum dominum suum ulterius aliquantulum in vastissimam heremum procederent, ecce ante se alonge duos homines conspiciunt, et dubii inter spemque metumque, an ipsi quos quererent essent, dominum suum esse agnoscunt et concito cursu (E316) accurrunt. Ille eciam eos recognoscens cum comite ruit eis in obuiam et ab utrisque pre nimietate leticie nimietas lacrimarum fusa est. Tandem post dulces amplexus et mutua oscula dux ait: ‘Dicite, queso, dicite socii, quis (b: f. 12 rb ) vos in pelles consuit.’ At illi: ‘Domine, iste tuus dilectus et electus; hunc nos relinquimus valde mestum, quia nullum, qui se in pelles consueret, invenit. Unde quia procul dubio superna aura iam vescitur, animam eius Deo commendemus.’ 159 Quo audito dux amarissime flebat et preces attentissime pro salute anime illius Deo fidelium Conditori et Redemptori fundebat; sed ipsi iam diutina fame laborabant. Vnde tam fungos id est suamme 160 quam herbas et radices, quas inuenire (E317) manus poterat, manducabant. Post refeccionem sitis vehementissima illos perurgebat sicque tota die usque ad uesperam quisque sitibundus usque ad mortem per siluarum opaca et inuia […] vixerit quisque mouebat. Sed circa solis occasum viderunt in remotissimis concauitatibus conuallium per mon (a: f. 108 v ) tem quendam decurrentem amenum fluuium, ad quem per innumera rupium precipitia, numquam ut credi potest nec prius nec postea hominum accessibus frequentata, modo manibus, modo genubus reptantes Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 65 Indessen wurden zwei weitere Gefährten auf die gleiche Weise wie vorher in Häute eingenäht und von den schon genannten Greifen ins besagte Nest abgelegt; auch sie rissen die Häute auseinander und machten sich auf ähnlich mühsame Art wie der Herzog und der Graf auf in dieselben Wälder. Noch waren drei auf dem Schiff übrig: Zwei von ihnen wurden vom Dritten in die Häute eingenäht und mittels der vorher erwähnten Greifen - das ist die Ursache für die Umsetzung -, aber durch Gott, der das ins Werk setzte - das ist die Wirkursache - ins vorher erwähnte Nest überführt; schließlich entkamen auch jene mit Mühe auf die besagte Weise (E315) wie die vorherigen und machten sich auf den Weg in den Wald. Der Dritte aus der Zahl der drei Letzten blieb im Schiff, weil er niemanden hatte, der ihn in die Häute eingenäht hätte; als Lebensunterhalt hatte er nur gerade das halbe Brot, das vorher die sieben gehabt hatten - er starb und wird daselbst die Posaune des letzten Tages bei der allgemeinen Auferstehung erwarten. Jene vier aber, die von den Greifen ins Greifennest hinübergebracht worden waren und über die Felsen hatten entkommen können, trafen im unwegsamen Waldgelände dennoch unversehens durch Gottes fürsorgliche Milde zusammen. Da beschlossen sie, überaus erfreut, ihren Herrn, den Herzog, und Graf Wetzel in den entfernteren Winkeln der Wälder zu suchen, baten deswegen Gott um Hilfe und wurden erhört. Während sie nämlich ängstlich ein bisschen tiefer in die sehr weite Wildnis vordrangen, um ihren Herrn zu finden, siehe, da erblickten sie vor sich von weitem zwei Menschen, und schwankend zwischen Hoffnung und Furcht, ob es diese waren, die sie suchten, erkannten sie, dass es ihr Herr war, und eilten schnell herbei. (E316) Auch jener erkannte sie wieder und stürzte mit dem Grafen ihnen entgegen, und beide Seiten vergossen vor überströmender Freude Tränen im Überfluss. Schließlich, nach süssen Umarmungen und gegenseitigen Küssen, sagte der Herzog: „Sagt, bitte, sagt, ihr Gefährten, wer hat euch in die Häute eingenäht? “ Jene antworteten: „Herr, jener dein Geliebter und Auserwählter, diesen haben wir zurückgelassen, traurig wie er war, weil er niemanden fand, der ihn in die Häute eingenäht hätte. Deshalb, weil er ohne Zweifel himmlische Luft atmet, lasst uns seine Seele Gott empfehlen.“ Als der Herzog das hörte, weinte er bitterlich und richtete inbrünstig Gebete für dessen Seelenheil an Gott, den Schöpfer und Erlöser der Gläubigen. Aber sie selbst litten schon an lange dauerndem Hunger. Deshalb aßen sie sowohl Pilze, das heißt suamme [Schwämme], als auch Kräuter und Wurzeln, welche (E317) die Hand finden konnte. Nach der Mahlzeit bedrängte sie heftigen Durst; also bewegte sich ein jeder durstig bis zum Tod den ganzen Tag bis zum Abend durch den finsteren und unwegsamen Wald, wobei sich ein jeder [überlegte, wie] er überleben könne. Aber gegen Sonnenuntergang sahen sie in weit entfernter Höhlung des Tals über einem Berg einen lieblichen Quell abwärts fließen; zu diesem gelangten sie mit Mühe über zahllose Felsabgründe - 66 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch cum summo vite discrimine se dimitentes uix venie (Haupt 226) bant et naturalis sitis permaximam necessitatem habundatissime dulcissimis et purissimis fluentis restringebant. Sed adhuc timor de Grifium inmani ferocitate excoquebat eos et tum silencium tenentes, ne Grifes vociferacionibus eorum accitj eos (E318) surriperent, quasi pausando et amenitatem fluuii considerando subsistebant et diuersis piscium grandium motibus fluuium esse piscosum animaduertebant. Vnde debilitatis, fame et itineris lassitudine corporibus indulgebant, et pisces quantos volebant captos, comite Wezilone per ferrum venantibus et piscan (b: f. 12 va ) tibus aptum de silice ignem excuciente, quosdam assabant, quosdam coquebant pro libitu et optime famis inopiam tanta copia eximebant. 161 Post famis exempcionem procedere vlterius volentes non poterant pre preruptissimis usque ad celum, ut ita dicam 162 , porrectis rupium maximarum parietibus vix volatibus auium transgressibilibus. Item reditus per uiam, qua descenderant, mirantibus et quomodo descenderint propter nimiam rupium procliuitatem negabatur. (E319) Communi ergo consilio alueum fluminis secuntur et tandem ad montem, per quem quamuis maximis rupibus obstrusi fluminis impetus ferebatur, veniunt, vbi ulterius progredi nequeunt. 163 Erat quippe permaxima montis concauitas et euripus fluminis, sonitum maximum generans ad modum Caribdis 164 ex profunditate montane concauitatis, modo abscondebatur, modo subito de concauitate prosiliens, in precipicium se derivans ex altera parte colligebatur in se ipsum magnum amnem. Tunc desolati proceres omni humano consilio, quia nullum iter nisi reuertendi in Sirticum 165 mare cernebant, adesse sibi Deum per graciam implorabant. Huius (a: f. 109 r ) consilio inspirato trabibus succisis et per torques communiter intorquendo tam a duce quam a milite elaboratos, sine (E320) ornamento sed cum stabilissimo firmamento compaginatis, cum inestimabili et ineffabili vite periculosissimo discrimine tandem per montis foramen, portantes omnia in hisdem tabulatis arma sua, transiere. In monte vero triplex periculum institit: 166 Vnum euripossissima vertigo minitans pluteo (Haupt 227) tabulatui dissolucionem per frequentissimam et maximam in montis intrinseca et extrema impulsionem. (b: f. 12 vb ) Alterum fuit periculum tenebrarum tanta inmensitas, vt nemo alterum videre potuerit. Tercium, quod nemo audierit uel audire quiuerit propter nimiam fluctuum quaquauersum monti se illidencium tumultacionem. 167 Vnde ad Dominum Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 67 welche niemals, wie man glauben darf, weder früher noch später von Menschen besucht worden waren - bald auf Händen, bald auf Knien kriechend und setzten sich dabei größter Lebensgefahr aus. Dort machten sie der riesengroßen Not natürlichen Durstes mit süßem und reinem Wasser im Überfluss ein Ende. Aber immer noch ängstigte sie die Furcht vor der gewaltigen Wildheit der Greifen, und sie verhielten sich ruhig, damit nicht die Greifen, durch ihre Laute angelockt, sie (E318) raubten; sie blieben stehen, machten sozusagen eine Pause, betrachteten den lieblichen Quell und bemerkten, dass sich im Fluss verschiedenartige große Fische bewegten. Da widmeten sie sich ihren Körpern, die durch Hunger und den ermüdenden Weg geschwächt waren; Graf Wetzel entfachte für die mit dem Schwert Jagenden und Fischenden mit einem Stein ein geeignetes Feuer, und sie brieten oder kochten nach Belieben so viele gefangene Fische, wie sie wollten, und stillten mit der so großen Menge ihren Hunger bestens. Als sie den Hunger gestillt hatten, wollten sie weiter vordringen, konnten aber nicht wegen äußerst steiler Felswände, die bis zum Himmel ragten - wie ich sagen möchte - und die nur mit Mühe von Vögeln überflogen werden konnten. Ebenso war es ihnen, die sich auch wunderten, wie sie herabgestiegen waren, unmöglich, auf dem Weg, auf dem sie herabgestiegen waren, zurückzukehren, weil die Felsen allzu steil waren. (E319) Auf gemeinsamen Entschluss hin folgten sie dem Flussbett und kamen schließlich zu einem Berg, durch den sich der Fluss stürzte, wie sehr er auch von großen Felsen eingeengt wurde; dort konnten sie nicht mehr weitergehen. Allerdings war da eine sehr große Berghöhle, und dort verengte sich der Fluss, der aus der Tiefe des Bergs nach Art der Charybdis ein sehr starkes Brausen erzeugte; bald blieb er unsichtbar, bald sprudelte er plötzlich aus der Höhle hervor, stürzte in den Abgrund und wurde selbst zu einem großen Strom. Da flehten die Vornehmen, jeden menschlichen Ratschlags beraubt, weil sie keinen anderen Weg sahen außer ins Syrtenmeer zurückzukehren, zu Gott, er möge ihnen durch seine Gnade beistehen. Auf dessen Eingebung hin fällten sowohl der Herzog wie auch seine Ritter Baumstämme, bearbeiteten sie sorgfältig, umwickelten sie mit Ketten und fügten sie schmucklos, (E320) aber unerschütterlich fest zusammen; unter unberechenbarer und unaussprechlicher höchster Lebensgefahr gingen sie endlich mit allen ihren Waffen auf ebendiesem Bretterboden durch das Bergloch hindurch. Im Berg aber bestand dreifache Gefahr: Erstens drohte der sehr enge Strudel das Floß durch zahlreiche große Anstöße im Inneren und Äußeren des Bergs auseinanderfallen zu lassen. Die zweite Gefahr war die Dunkelheit, die so stark war, dass keiner den anderen sehen konnte. Drittens kam dazu, dass keiner wegen des allzu starken Lärms der Flussmassen, die über- 68 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch vociferantes altisonas ad Dominum preces in hunc modum fuderunt: ‘O Domine Christe, qui in ypostasi 168 siue in sub- (E321) stancia constas ex duabus substanciis, id est ex duabus substancialibus naturis, vsya et vsyosi, 169 quarum prior scilicet vsya 170 est tantum tui ipsius Creatoris omnium essentia siue substancia, per se sine subiecto extrinseco et sine forma extrinseca existens et existere cuncta faciens. Altera tua substancia 171 scilicet vsyosis, id est substancia subiecti siue subsistencia, que est tantum creature et est tamen ycos siue ymago quedam non propria tue vsye, secundum quod es Deus, salua nos, Saluator, qui saluasti Petrum 172 in mari, qui a Sirtico 173 mari et a Grifium vnguibus fecisti nos prius (E322) liberari.’ Consumata harum et consimilium precum instancia, ecce lux primitus rarescens se ex gracia Increate 174 Lucis illis obtulit et ingens gaudium contulit. Tunc montem valde fulgoreum aspexere et lapidem Vnionem 175 dictum ab vno, quod vnus sit et numquam sint eiusdem generis duo lapides 176 , ab illo monte abrupere. Hunc lapidem Romanus imperator quilibet in corona regali prop- (E323) ter decoris ingens augmentum collocatum ab Ottone imperatore, 177 cui illum dux Hernestus, ut dicetur in sequentibus, tradidit, baiulare solet. huius naturam lapidis nobilissi (a: f. 109 v ) mam si quis inuestigare voluerit, in lapidario discere poterit. 178 Sed ad materiam, de qua digressum est, stilus reflectatur. 179 Dux sepe pretaxatus cum suis in tabulato trabium litori Arimaspi 180 (b: f. 13 ra ) appulit. Tunc relictis tabulatis, sed armis vsurpatis iterum per desertum et opaca siluarum ualde lassi, leti tamen quod de fluctibus euaserant, tota die ibant, sed ecce subito quamplurimas vrbes et castella munitissima situ naturali et labore artificiali aspiciebant. 181 (Haupt 228) In terra illa Arimaspa sunt homines nominati Cyclopes 182 , vnum tantum oculum in medio frontis habentes. Dux et sui inter vrbes (E324) varias vnam excellentem prospicientes et ideo in illa prediuitem optimatem 183 quempiam habitare conicientes, ante illam veniunt et gracia pausacionis subsistunt. Burgenses 184 vero egredientes et ingredientes, vbi illos duobus oculis oculatos aspiciunt, non satis stupendo mirantur 185 et, quasi monstra sint hospites, propter Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 69 all am Berg anschlugen, den anderen hörte oder hören konnte. Deshalb riefen sie laut zum Herrn und richteten erhabene Gebete auf folgende Art an ihn: „O Herr Christus, der du existierst in der Hypostase oder (E321) Substanz aus zwei Substanzen, das heißt aus zwei substantiellen Naturen, der Usia und der Usiosis, deren erstere eben die Usia ist, nur die Wesenheit oder Substanz gerade deines Schöpfers aller Dinge, die durch sich selbst ohne äußeres Subjekt und ohne äußere Gestalt existiert und jede Existenz schafft. Dein zweites Wesen ist eben die Usiosis, das heißt Wesen eines Subjekts oder Realität, die nur dem Geschöpf zukommt und ein Bildnis oder Abbild ist, das deinem eigentlichen Wesen nicht eigen ist, gemäß dem du Gott bist. Rette uns, Heiland, der du Petrus auf dem Meer gerettet hast, der du unsere Befreiung aus dem Syrtenmeer und aus den Krallen der Greifen bewirkt hast.“ (E322) Als sie diese und ähnliche Gebete vollendet hatten, siehe, da bot sich ihnen ein zunächst spärliches Licht aufgrund der Gnade des Ungeschaffenen Lichts und brachte ihnen eine gewaltige Freude. Dann erblickten sie einen stark glänzenden Felsen und brachen den Stein, der Unio heißt, nach der Eins, weil er der einzige ist und es niemals zwei Steine von derselben Art gibt, aus jenem Felsgestein. Diesen Stein pflegt jeder beliebige römische Kaiser in der Reichskrone zu tragen; (E323) Kaiser Otto, der ihn von Herzog Ernst bekommen hatte - wovon im Folgenden die Rede sein wird -, ließ ihn an der Krone anbringen, um ihre Herrlichkeit gewaltig zu steigern. Wenn jemand die edle Natur dieses Steins untersuchen möchte, wird er sie in der Steinsammlung erforschen können. Aber der Griffel soll zum Stoff, von dem abgeschweift worden ist, zurückkehren. Der vorher oft genannte Herzog landete mit den Seinen im Floß an der Küste von Arimaspi. Da ließen sie das Floß zurück, aber griffen zu den Waffen und gingen wieder durch eine Wüste und finstere Wälder - todmüde, dennoch froh, weil sie den Fluten entronnen waren - den ganzen Tag, aber siehe, da erblickten sie plötzlich mehrere Städte und durch ihre natürliche Lage und kunstfertige Bauweise geschützte Burgen. In jenem Land Arimaspi leben Menschen, Zyklopen genannt, da sie nur ein Auge mitten auf der Stirn haben. Der Herzog und die Seinen (E324) sahen unter verschiedenen Städten eine herausragen und vermuteten deshalb, es wohne in ihr irgendein steinreicher Adliger; vor dieser Stadt hielten sie an, um zu rasten. Sobald die Bürger aber, die aus- und eingingen, sahen, dass jene zwei Augen hatten, konnten sie nicht genug staunen und, als wären die Gäste Wunder- 70 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch curiositatem videndi oculatos binis oculis concurrendo circa ipsos glomerantur et tandem domino suo comiti nouos homines monstruosos, quia duobus oculis oculosos 186 , adesse intimare non remorantur. Ille non minus quam Ciclopes sui hoc permouetur miraculo, arbitrans proculdubio siluestres homines siue Satyros 187 illos de sil- (E325) uis casu erupisse. Hunc cum illi adiere, ab ipso benigne salutantur, salutati hospicio suscipiuntur, suscepti, qui genus, vnde domo appulsi sint quibus horis disquiruntur. Quem tristi uultu respiciens dux ait: ‘Nulla de quapiam re responsa dabimus, nisi prius corpora reficiamus, quia maxima inedia laboramus.’ 188 Vix dicta dux finierat, et comes (E326) omnia humane vite necessaria plenissimo, ut ita dicam, 189 copie cornu ministrare iusserat. Post habundantissimam refeccionem ayunt comiti: ‘Domine, tempus et res expostulat, ut vestimenta per te nobis ministrentur, (b: f. 13 rb ) quia verecundia pro nuditatis nimieta (a: f. 110 r ) te pene nobis mortem generat.’ Ad hoc comes: ‘Dicite, queso, dicite de statu vestro, et omnia dabo vobis.’ Cui dux: 190 ‘Imperator omnium imperatorum, quos terra sustinet et super quos Deus solem suum oriri facit, me de patria mea iure paterno (E327) et iure hereditatis michi possidenda sine omni iusticie racione pepulit. Vnde cum ei nimis preualenti contra me cederem et cum magna meorum tam optimatum quam et vasallorum multitudine nauigio transfretarem gracia uisitandi et adorandi sepulchrum Cristi, tempestate maris multos perdidi, deinde prelio commisso aduersus Agrippinos iterum multos non sine hostium magna strage ibi amisi. 191 Iterum secunda tempestate maris trierim nostram Sirtico mari (Haupt 229) appellente tota nobilissima et strennuissima iuuentus heu periit preter nos sex a Grifibus extra mare in nidos suos deportatos. Inde vix elapsi et cum summo labore et maximo vite nostre discrimine per inuia et precipicia montium et per concaua conuallium ad flumen notum vobis deuoluti super tabulata magnarum trabium compaginatarum per montem vicinum non cum minore labore et vite discrimine Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 71 wesen, scharten sie sich sofort um sie, getrieben von der Neugierde, Leute mit zwei Augen zu sehen; schließlich zögerten sie nicht, ihrem Herrn, einem Grafen, mitzuteilen, es seien neuartige, ja seltsame Menschen da, denn sie hätten zwei Augen. Jener wurde nicht weniger stark als seine Zyklopen durch das Wunder erschüttert, da er glaubte, jene Waldmenschen oder Satyrn seien ohne Zweifel zufällig aus den Wäldern (E325) ausgebrochen. Als jene sich ihm näherten, wurden sie von ihm persönlich freundlich begrüßt, gastfreundlich aufgenommen und befragt, wer sie seien, wo sie zu Hause seien und zu welcher Stunde sie gelandet seien. Diesen blickte der Herzog mit traurigem Gesichtsausdruck an und sagte: „Wir werden erst antworten, wenn wir unsere Körper gesättigt haben, denn wir leiden an größtem Hunger.“ Kaum hatte der Herzog zu Ende gesprochen, da hatte der Graf (E326) schon befohlen, alles für das menschliche Leben Nötige mit dem reich ausgestatteten Füllhorn aufzutragen - wie ich es formulieren möchte. Nach der überreichen Mahlzeit sagten sie zum Grafen: „Herr, unsere missliche Lage fordert dringend, dass du uns Kleidung gibst, weil die Scheu, da wir allzu starken Mangel leiden, beinahe unseren Tod verursacht.“ Darauf erwiderte der Graf: „Sprecht, bitte, sprecht von eurem Rang, und ich werde euch alles geben.“ Zu ihm sagte der Herzog: „Der Herrscher aller Herrscher, die die Erde trägt und über die Gott seine Sonne aufgehen lässt, hat mich aus meiner Heimat, die mir nach väterlichem Recht (E327) und Erbrecht zustand, ohne jedes Gerichtsverfahren vertrieben. Darauf, da er mir überlegen war, wich ich vor ihm zurück und überquerte auf einem Schiff zusammen mit einer großen Menge meiner Adligen und Vasallen das Meer, um das Grab Christi zu besuchen und anzubeten; in einem Meeressturm büßte ich viele ein, darauf verlor ich in einer Schlacht gegen die Agrippiner wiederum viele Männer nicht ohne große Verluste der Feinde. Wiederum in einem zweiten Meeressturm, der unser Schiff ins Syrtenmeer trieb, ging die ganze edle und wackere Mannschaft - ach! - zugrunde außer uns sechs, die wir von Greifen über das Meer hinweg in ihre Nester verschleppt wurden. Dann konnten wir mit knapper Not entkommen und mit höchster Anstrengung und unter größter Lebensgefahr gelangten wir durch unwegsames und steiles Gebirge und tief eingeschnittene Täler zum Fluss, der euch bekannt ist. Darauf ließen wir uns auf einem aus großen Balken festgefügten Floß durch den benachbarten Berg mit nicht geringerer Anstrengung und Lebensgefahr hinabtreiben, 72 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch quam prius oris vestris aduenimus.’ Hiis cognitis comes lauacris mundissimis iussit ipsos splendidissime ablui et ablutos preciosis camisilibus, femoralibus sericeis auro consutis, pelliceis desuper tunicis purpureis cicladibus opertis sollempnissime superindui intendens, ut pro (E328) miraculo hominibus illius terre ostentando semper in curia sua eos haberet. 192 Rex vero Arimaspi, ut fama frequens eius attigit aures, comitem nouos homines aduenticios habere missis legatis mandat, vt sine mora cum (b: f. 13 va ) miraculosis hominibus veniat. Ille venit et vellet nollet compulsus et ex hoc mestissimus imperatori hospites dedit; que datio duci et suis gaudium peperit, eo quod honestius in curia imperatoris quam comitis manere visum fuerit. 193 Sed in cuiusdam diei diluculo (a: f. 110 v ) dux prospexit subito ingentes flammarum glomeraciones. 194 Vnde non satis causam incendii admirans regi ait: ‘Video, domine, video terram tuam, ut suspicor per (E329) hostium manus accensam, passim deuastari. Sine me, si placet, has tuas iniurias ultum ire et preliis pace mutatis pacem in regno tuo, si passim, pulsis hostibus sancire.’ Ad hec rex: ‘Non possunt’ inquid ‘hii hostes domari, quia hii homines Ethyopie Sciopedes 195 , magnitudine pedum se tegentes et super mare tamquam arenam terre currentes, nullius cursu possunt preocupari.’ Cui dux: ‘Sine mora socios adpara! ’, quod scitissime factum est. Dux igitur cum suis in equis velocis- (E330) simis per oculta viarum compendia illos a mari intercepit, et pene omnes preter paucissimos fuga elapsos et numquam in terram illam destruendam progressuros interfecit. Vnum tamen viuum in vincula deiectum adducens letus victor reuertitur. Qui cum suis ab rege honorificentissime suscipitur, et (Haupt 230) deinceps ab omnibus tam duci quam suis magnus honor exhibetur. Isdem temporibus gens inculta, sed aurita aurium multitudine multa, more suo pro tributorum singulis annis mittendorum persolucione ad regem legatos pro- Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 73 bevor wir in eurer Gegend ankamen.“ Als der Graf dies erfuhr, ließ er sie mit reinstem Badewasser waschen und mit kostbaren Hemden, mit seidenen Beinkleidern, die mit Gold zusammengenäht waren, darüber mit purpurnen Kitteln aus Fellen, die mit einem langen Gewand bedeckt waren, festlich einkleiden in der Absicht, sie immer an seinem Hof zu haben, um (E328) die Kuriosität den Menschen jenes Landes zu zeigen. Sobald aber wiederholte Kunde an die Ohren des Königs von Arimaspi drang, der Graf habe neuartige fremde Menschen, schickte er Gesandte zu ihm mit dem Auftrag, er solle unverzüglich mit den wunderlichen Menschen kommen. Jener kam und gab, gezwungen, ob er wollte oder nicht, und deswegen tief betrübt, dem Herrscher die Fremden. Diese Übergabe erzeugte beim Herzog und den Seinen Freude deswegen, weil der Aufenthalt am Hof des Herrschers ehrenvoller als der beim Grafen zu werden versprach. Aber in der Morgendämmerung eines bestimmten Tages sah der Herzog plötzlich gewaltige Feuersbrünste. Da konnte er sich über den Grund des Brandes nicht genug wundern und sagte zum König: „Ich sehe, Herr, ich sehe, dass dein Land, wie ich vermute, durch (E329) Feindeshand angezündet worden ist und überall völlig verwüstet wird. Lass mich, wenn es dir gefällt, gehen, um diese Ungerechtigkeiten dir gegenüber zu rächen, die Kämpfe mit Frieden vertauschen und, falls ich es können sollte, nach Vertreibung der Feinde den Frieden in deinem Reich bekräftigen.“ Dazu sagte der König: „Diese Feinde können nicht bezwungen werden, weil diese Menschen aus Äthiopien, die Schattenfüße, sich mit ihren großen Füßen schützen und sowohl über das Meer als auch über den Sand der Erde eilen und niemand sie im Lauf überholen kann.“ Ihm antwortete der Herzog: „Rüste unverzüglich die Gefährten aus! “ Das wurde sehr flink getan. Also ritt der Herzog mit den Seinen auf (E330) schnellen Pferden durch verborgene Wege, fing jene am Meer ab und tötete beinahe alle außer ganz wenigen, die fliehen konnten und sich niemals mehr aufmachen würden, jenes Land zugrunde zu richten. Dennoch legte er einen einzigen Überlebenden in Ketten und kehrte als frohgemuter Sieger mit ihm zurück. Er wurde mit den Seinen vom König aufs ehrenvollste empfangen, und unmittelbar darauf wurde sowohl dem Herzog als auch den Seinen große Ehre erwiesen. Zur selben Zeit schickte ein ungehobeltes, aber mit einer großen Menge Gold versehenes Volk, um nach seiner Art jedes Jahr die Tribute, die ihm abgeliefert 74 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch teruos et proterue tocius regni vastacionem minantes misere, ad quorum legacionem non parum stupefactum regem dux consolans ait: 196 ‘Cuiusmodi sunt hec (E331) monstra? ’ 197 Cui rex: ‘Nullius iusticie racione, sed ceruicose superbie impugnacione Pannothij 198 gentes Scithie 199 instituta tributa exigunt.’ Vnde ille cum suis et cum (b: f. 13 vb ) cetera imperatoris armata iuuentute eis occurrebat et commisso prelio pene omnes interimebat, et terras illas perpetualiter liberatas a tributis Pannothiorum libertati restituebat. 200 Duos vero illorum Pannothiorum viuos reseruans cum ingenti tripudio repedabat, quem imperator cum suis letissime suscepit et amplius in omnibus consiliorum suorum misteriis ipsum assciscens semper honorabat. 201 Insuper regnum iuxta mare quinque vrbibus opulentis et castris infinitis ditatum et munitum ei et suis proprio iure do (a: f. 111 r ) minii possidendum contradidit. Vnde letus dux assumptis sociis et nouis captiuis possedit et traditum regnum et summa virtute et equitate rexit. 202 (E332) Ad illas partes admoti erant Cananei Gigantes, 203 longitudine sua pinuum altissimarum altitudinem superantes et ob huiusmodi corporum suorum magnitudinem multa vicinis mala et precipue regno Arimaspi frequenter intentantes. Vnde solito more miserunt ad regem Arimaspi legatum Gigantem, qui quindecim annorum 204 eminens altissimis arboribus et pro armis ferens in manibus ingentem arborem, 205 superbo et truculento uultu assistebat 206 et tam regi (E333) quam omnibus dicioni sue subiectis vite excidium et omnium possessionum suarum dispendium minando pretendebat nisi mittere tributa pro uelle Gigantum instituta maturaret. Forte casu hisdem temporibus de regno contradito dux Hernestus in curiam regis aduenerat et audita legacione ad regem apostrophat: ‘Huiusmodi tributa, quia pro irracionabili Chananeorum 207 velle sunt instituta, ense per (Haupt 231) soluenda censeo’. Super hoc verbo Gygas indignans et iratus rediit ad compatriotas suos (b: f. 14 ra ) remque omni ordine pandit adiciens hoc quoque: ‘Vidi homullulum 208 , qui superbissima uerba pre omnibus aliis iaculabatur, et cum imperator vellet soluere ipse solus, quia est regi adprime familiaris, contrarium nobis moliebatur.’ Gygantes itaque, tam in suis, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 75 werden mussten, einzutreiben, unverschämte Gesandte zum König, die ihm auf unverschämte Art die Verwüstung des ganzen Reichs androhten. Der Herzog tröstete den König, der über die Gesandtschaft jener nicht wenig außer sich war, und sagte: „Was für (E331) Ungeheuer sind das? “ Ihm antwortete der König: „Ohne jeglichen Rechtsgrund, sondern aufgrund der Böswilligkeit ihres halsstarrigen Stolzes treiben die Langohren, ein skythisches Volk, die angeordneten Tribute ein.“ Darauf eilte jener mit den Seinen und mit der übrigen bewaffneten Mannschaft ihnen entgegen, lieferte ihnen eine Schlacht und tötete fast alle, und so gab er jenem Land, das von den Tributen an die Langohren befreit war, die Freiheit zurück. Aber zwei von jenen Langohren ließ er am Leben; mit ihnen kehrte er unter gewaltigem Jubel zurück. Ihn empfing der Herrscher mit seinen Leuten überglücklich, machte ihn selbst zum engen Berater bei allen seinen geheimen Entschlüssen und ehrte ihn immer. Darüber hinaus übergab er ihm und den Seinen ein Reich nahe beim Meer, das mit fünf wohlhabenden Städten und unzähligen Burgen reich ausgestattet und befestigt war, als Besitz mit eigenem Herrschaftsrecht. Da nahm der Herzog mit seinen Gefährten und den neuen Gefangenen das ihm übergebene Reich in Besitz und regierte es mit höchster Tatkraft und Gerechtigkeit. (E332) An diese Gegenden waren die kanaanäischen Giganten herangerückt: Diese waren größer als die höchsten Kiefern und hatten die Absicht, wegen der derartigen Größe ihrer Leiber ihren Nachbarn und besonders dem Königreich Arimaspi häufig viel Böses anzudrohen. Daher schickten sie in gewohnter Art zum König von Arimaspi einen Giganten als Gesandten, der mit seinen fünfzehn Jahren die höchsten Bäume überragte und anstelle von Waffen einen gewaltigen Baum in den Händen trug. Dieser trat mit stolzer und grimmiger Miene heran, drohte sowohl dem König als auch (E333) allen, die dessen Gewalt unterstanden, die Vernichtung ihres Lebens und den Verlust all ihrer Besitzungen an, wenn sie sich nicht beeilten, die nach dem Willen der Giganten angeordneten Tribute zu liefern. Zufälligerweise war in dieser Zeit Herzog Ernst von seinem ihm übergebenen Reich an den Hof des Königs gekommen; er hörte von der Gesandtschaft und sprach zum König: „Ich bin der Meinung, dass Tribute dieser Art, weil sie nach dem unberechtigten Willen der Kanaanäer angeordnet worden sind, mit dem Schwert bezahlt werden müssen.“ Über diese Äußerung empörte sich der Gigant, kehrte erzürnt zu seinen Landsleuten zurück, erzählte ihnen alles der Reihe nach und fügte auch das hinzu: „Ich habe ein Menschlein gesehen, das vor allen anderen hochmütige Worte ausstieß, und während der Herrscher bezahlen wollte, brachte dieser allein, weil er ein besonderer Vertrauter des Königs ist, zustande, was unseren 76 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch scilicet Cananeys, 209 (E334) quam in extremis partibus collecta innumera gigantum caterua, extra Cananeam patriam suam exeunt in regnum tam ducis, quia confine ipsis fuerat, quam eciam in regnum regis Arimaspi ad deuastandum progressurj. Dux vero per famam eorum propositum et iter futurum agnoscens regi per nunctium significauit. Vnde rex perterritus omni regni sui iuuentute ad ducem conducta omnes ad ducis pendere consilium imperauit. Dux vero, cum sciuit quod Gigantes in siluam aduentassent, eos antequam (a: f. 111 v ) extra siluas procederent, eo quod in siluis pre magnitudine corporum non essent agiles ad oppugnandum, debere impugnari suos iubet, (E335) et sic factum est. Cum enim in siluas gigantes cum permaxima turba et vesania deuoluti essent, ipse dux et Wezilo cum suis et toto exercitu Arimaspi, qui in siluis sub maximo silencio latitabant, dato signo militari subito ex improuiso Cananeos Gigantes inuadebant et sine misericordia illos, non habiles nec potentes parare obpugnaculum hostibus aut sibi ipsis defensaculum, omnes pene occidebant et occisos in campi planiciem protrahebant, et ad considerandum granditatem corporum Giganteorum cunctus exercitus, ÿmo et ipse dux in equo aduectus aduolauit. 210 Tunc forte auditu animaduertens aliquos Gigantes per siluam iter, quo venerant, fugam recolligere, sine mora insequitur fugientes, sed vnum tantum uulnere graui prepeditum a fuge presidio reperit, quem secum extra siluas in sua deduxit. Super illum ergo semiuiuum (E336) relictum misericordia motus (b: f. 14 rb ) et gressibus pie humanitatis illi appropinquans per phisicum optimum alligauit uulnera et curam eius, vere proximus eius, tam per se quam per omnes suos fecit. Hac curacionis summa diligencia Gigas sanatus in amorem ducis (Haupt 232) concitatus deliberauit ineuitabiliter se et perpetualiter quoad uiueret secum mansurum, et deliberacionem executus fideliter exoluit. 211 (E337) Illo in tempore deuenit ad aures ducis esse vicinos quosdam Indye homines Pigmeos 212 vnius cubiti, qui ouis auium in terra illa nidificancium vescantur hac intencione vt, cum fetus auium 213 ab ipsis deuoraretur, multitudo auium, que ibi nimia habundat, minoraretur et tanto facilius, quanto minor est multitudo auium, vita illorum homullulorum ab impugnacione auium per se ipsos homullulos defensetur. Vnde per vnanime suorum consecretariorum consilium relicto exercitu et hominibus, quos bellica vi acquisierat, assumpto Wezilone comite et aliis magnani (a: f. 112 r ) mitate bellica (E338) probatissimis Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 77 Interessen zuwiderläuft.“ Daher sammelten die Giganten sowohl in ihrem Gebiet, das ist in Kanaan, (E334) als auch in weit entferntem Gebiet eine unzählige Schar von Giganten und verließen Kanaan, ihre Heimat, in der Absicht, sowohl ins Reich des Herzogs, weil es ihnen selbst benachbart war, als auch in das des Königs von Arimaspi vorzudringen, um sie völlig zu verwüsten. Der Herzog aber erfuhr gerüchteweise von ihrem Vorhaben und dem künftigen Einmarsch und ließ davon dem König durch einen Boten berichten. Da erschrak der König zu Tode, ließ alle Männer seines Reichs zum Herzog führen und befahl ihnen, dem Plan des Herzogs zu folgen. Aber sobald der Herzog erfuhr, dass die Giganten im Wald angekommen waren, befahl er seinen Leuten, diese müssten, bevor sie außerhalb der Wälder vorrückten, bekämpft werden, deshalb, weil sie in den Wäldern wegen ihrer Körpergröße nicht beweglich genug seien, um anzugreifen - (E335) und so geschah es. Als nämlich die Giganten mit einer riesigen Schar und in ihrem Wahnsinn in die Wälder geraten waren, überfielen der Herzog selbst und Wetzel mit ihren Leuten und dem ganzen Heer von Arimaspi, die in den Wäldern mucksmäuschenstill verborgen waren, auf ein gegebenes militärisches Zeichen hin plötzlich und unvermutet die kanaanäischen Giganten und töteten ohne Mitleid jene, die nicht tauglich oder imstande waren, die Feinde anzugreifen oder sich selbst zu verteidigen, beinahe insgesamt. Sie schleppten die Getöteten ins offene Feld, und das ganze Heer, ja sogar der Herzog selbst eilte herbei, die Größe der Gigantenkörper zu betrachten. Da hörte er zufällig, wie einige Giganten durch den Wald den Weg, auf dem sie gekommen waren, als Fluchtweg wieder einschlugen, verfolgte unverzüglich die Flüchtigen, fand aber nur einen, der durch eine schlimme Wunde an der erfolgreichen Flucht gehindert wurde. Diesen führte er mit sich außerhalb des Waldes in sein Gebiet. Gegenüber jenem, der also halbtot (E336) zurückgelassen worden war, erfasste ihn Mitleid; er näherte sich ihm in frommer Menschlichkeit, ließ ihm durch den besten Arzt die Wunden verbinden und sorgte für ihn - in der Tat sein Nächster - sowohl persönlich als auch mit Hilfe aller seiner Leute. Durch diese sorgfältige Pflege wurde der Gigant geheilt; in Liebe dem Herzog zugetan, fasste er den unausweichlichen Beschluss, solange er lebe, für immer bei ihm zu bleiben - was er auch tat und treu erfüllte. (E337) In jener Zeit kam dem Herzog zu Ohren, es gäbe gewisse Nachbarn, Menschen aus Indien, Pygmäen, die eine Elle groß seien; diese würden Eier von Vögeln essen, die in jenem Land nisteten, in der Absicht, die Menge Vögel, welche dort allzu groß ist, zu verkleinern. Sie als Zwerge würden die Vogeljungen deshalb verzehren, weil, je kleiner die Anzahl Vögel sei, sie ihr Leben umso leichter durch sich selbst vor dem Angriff der Vögel verteidigen könnten. Daraufhin ließ der Herzog durch einhelligen Beschluss seiner Vertrauten das Heer und die Menschen, die er durch Kriegsgewalt gewonnen hatte, zurück 78 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch militibus Pigmeos nauigio adiit. Hii ubi tante stature et multitudinis homines ad se uenire uiderunt, obstupuerunt et finem vite adentes per hos adesse timuerunt. Protensis ergo in celum manibus pacem et vitam paciscuntur et summo opere deprecantur. Quibus proceres aiunt: ‘Non uenimus soluere pacem, sed adimplere, et vitam vestram ab auium periculosis impugnacionibus, si Deus annuerit, saluam facere. Cras ergo contra aues egrediamini et nos ad habitacionis earum loca deducite. Tunc videbitis auxilium Domini per nos super vos.’ Duce ipsorum postea pericula inquirente vnus de numero eorum iuuenis in medium conuentum se proripuit et stans ante ducem suosque ait: ‘O domine, quando iter aliquod pro alicuius negocii mei diffinicione nocte arripui, die (b: f. 14 va ) illucescente pre timore auium in (E339) specu aliquo tota die delatui et ad noctem iter deliberatum perfeci. Item in tempore nocturno agrum colimus, quia die pre auium impugnacione non audemus nec ualemus. 214 Alia quamplura incommoda, que nimis longum est enarrare, 215 per aues in terra nostra propter infortunium nostrum eciam iugiter maxime pre aliis terris conglobatas inferuntur. Precamur itaque ut, quia nos ad vlcionem in aues multarum iniuriarum pre corporum paruitate et imbecillitate non sufficimus, vos saltem, qui estis in comparacione nostrum Gigantes 216 , de illis hucusque iniuriato (Haupt 233) ribus satisfaciatis.’ Horum precibus annuens dux, vbi altera die Tytan 217 terris illuxit, exercitum suum cum Pigmeorum quoque turbulis in insulam, in qua multitudo auium confluxit, conduxit, et tandem, cum multa strage Pigmeorum morsibus auium mortificatorum, dux victor victoriam de auibus Pigmeis tantam tam maxima multitudine auium prostrata contulit, vt amplius nullis inquietacionibus auium molestarentur et prorsus liberati redderentur et de carnibus prostratarum hostilium auium plus quam per anni spacium sufficientissime (a: f. 112 v ) pascerentur. 218 Vnde post exercitus et ducis de insula reuersionem rex Pigmeorum ingentissimas agens gracias duci et suis pro exhibita de auibus victoria inmensa auri et argenti, gemmarum preciosarum Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 79 und segelte zusammen mit Graf Wetzel und anderen Soldaten, die sich durch Tapferkeit im Kampf (E338) sehr bewährt hatten, zu den Pygmäen. Als diese sahen, dass so stattliche Männer in derart großer Zahl zu ihnen kamen, erstarrten sie und fürchteten, durch deren Anwesenheit stehe ihr Lebensende bevor. Also streckten sie die Hände zum Himmel, bedingten sich Frieden und Leben aus und baten gar sehr darum. Ihnen antworteten die Vornehmen: „Wir sind nicht gekommen, den Frieden aufzulösen, sondern zu erfüllen und euer Leben vor den gefährlichen Angriffen der Vögel, wenn Gott es zulässt, zu retten. Morgen also sollt ihr gegen die Vögel ausrücken und uns zur Gegend ihrer Wohnstätte führen. Dann werdet ihr durch uns die Hilfe des Herrn für euch sehen.“ Als der Herzog später fragte, worin genau die Gefahren für sie bestünden, stürzte sich ein junger Mann aus ihrer Zahl mitten in die Versammlung, blieb vor dem Herzog und den Seinen stehen und sagte: „O Herr, zur Erledigung einer Aufgabe machte ich mich einmal nachts eilig auf den Weg; als es Morgen wurde, versteckte ich mich aus Furcht vor den Vögeln den ganzen Tag lang in (E339) einer Höhle und beendete die vorgenommene Reise erst bei Einbruch der Nacht. Ebenso bebauen wir nachts den Acker, weil wir es tagsüber wegen des Ansturms der Vögel nicht wagen und nicht stark genug sind. Mehrere andere Schäden - es würde zu weit führen, sie aufzuzählen - werden uns durch die Vögel zugefügt, die sich in unserem Land wegen unseres nachteiligen Geschickes auch ständig, mehr als in allen anderen Ländern, zusammenballen. Wir bitten daher, weil wir wegen unseres kleinen Körperwuchses und unserer Schwäche nicht zur Rache an den Vögeln für die vielen Ungerechtigkeiten taugen, dass wenigstens ihr, die ihr im Vergleich zu uns Giganten seid, bei jenen, die uns bis jetzt Unrecht zugefügt haben, Genugtuung erreicht.“ Ihre Bitte hieß der Herzog gut, und sobald Titan am nächsten Tag auf Erden zu leuchten begann, führte er sein Heer - auch eine kleine Schar Pygmäen war dabei - zu einer Insel, auf der viele Vögel zusammenströmten; und endlich, unter vielen Verlusten der Pygmäen, die von den Vögeln zu Tode gehackt worden waren, brachte der siegreiche Herzog dem Pygmäenvolk einen derart großen Triumph über die Vögel - es lag eine so gewaltige Menge Vögel niedergestreckt am Boden -, dass sie von da an von ihnen nicht mehr beunruhigt und belästigt wurden, ja sie überhaupt befreit waren und sich vom Fleisch der erlegten feindlichen Vögel mehr als ein Jahr lang zur Genüge ernähren konnten. Nach der Rückkehr des Heeres und des Herzogs von der Insel dankte der König der Pygmäen jenem und den Seinen überschwänglich für den außerordentlichen Sieg über die Vögel und bat ihn und die Seinen inständig, Geschenke von Gold, Silber und kostbaren Juwelen 80 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch munera ducem et suos accipere attente postulauit. Dux illa respuit et, ut saltem pro munere duos homunculos 219 contraderet, rogauit et (E340) a rege duos ministeriales suos impetrauit. 220 Tandem cum regis Pigmeorum et omnium suorum deuota benedictione, cum summa iocunditate habita de ludis et imparitate Pigmeorum et Gigantis Arimaspum, ubi ab omnibus indigenis et a rege suscipitur, remeauit. Dux, (b: f. 14 vb ) ut per gratuitam bonitatem Dei pleno, ut ita dicam, cornu copie omnia temporalia ad uotum successerunt more beati viri in sapiencia eternorum morans in iusticia Christiane legis meditans, toto in sensu cogitauit circumspeccionem Dei. (E341) Quadam itaque die quasi gracia deambulandi cum paucis sibi admodum familiaribus adiuit portuosos maris recessus. Interim Mauri 221 de ulteriori India vi marine tempestatis trieri sua ad portum Arimaspi appulsa applicuerunt. Dux ilico missis nunciis mandat perscrutari, quod genus, vnde domo, cuius fortune et cuius religionis professores et cultores existerent. At illi: ‘Quod pri- (E342) mum est non tempore, sed dignitate profitemur; Christiani 222 sumus et tempestate maris hiis horis de India allabimur, sed pre nimia inedia omnes usque ad mortem laboramus. 223 Quicumque ergo fecerit nobis misericordiam suplendo fedam nostram inopiam per suam splendidam (Haupt 235 [sic: 234! ]) copiam, hunc a Christo misericordiam 224 consequi supliciter optamus.’ Quibus auditis dux adprime exhylaratus omnibus bonis eos refici mandauit et refectos, si que sint in terra sua prelia, interrogauit. At illi ‘Domine’ inquiunt, ‘rex Babilonie 225 cum grandi exercitu terras nostras creberrime infestat eo fine, ut de luce Christiane religionis transmigremus ad tenebras et confusionem ydolatrie. Nos autem confidimus in Do (a: f. 113 r ) mino, qui (E343) potens est protegere nos sub umbra manus sue ab huiusmodi peccatoribus intendentibus arcum, ut sagittent in obscuro rectos corde.’ Dux ilico Spiritus Sancti feruore concepto, habitis consiliorum misteriis cum comite Wezilone et ceteris suis probate fidei symmistis, decreuit ire in Indiam vlteriorem ad bellandum bella Dei, 226 et assenci (b: f. 15 ra ) entibus Indis in trieri illorum onerata omnibus necessariis abcessit sine licentia regis Arimaspi, eo quod esset paganus, assumptis suis, scilicet seriorum contironibus et ludorum auctoribus, quos in bello adeptos collegerat. 227 Tandem (E344) post multorum Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 81 anzunehmen. Der Herzog wies jene zurück und bat den König, er möge ihm als Geschenk eher zwei Menschlein übergeben - und er (E340) bekam zwei als persönliche Diener. Schließlich kehrte er mit dem gottergebenen Segen des Königs der Pygmäen und aller seiner Leute, nachdem er sich an den Gaukelspielen der Pygmäen und des Giganten und an ihrer Gegensätzlichkeit köstlich amüsiert hatte, nach Arimaspi zurück, wo er von allen Einheimischen und vom König empfangen wurde. Als dem Herzog durch Gottes großherzig gespendete Güte mit dem reichen Füllhorn, um es so zu sagen, alle irdischen Unternehmungen nach Wunsch gelangen, da er nach Art des glückseligen Mannes in der Weisheit der Ewigen verweilte und sich in der Gerechtigkeit des christlichen Gesetzes geistlichen Betrachtungen hingab, bedachte er in seinem ganzen Sinn Gottes Umsicht. (E341) Nun ging er eines Tages, gleichsam um spazieren zu gehen, mit den wenigen ihm sehr Vertrauten zum entlegenen Meerhafen. Inzwischen landeten Mauren aus dem weit entfernten Indien, durch einen gewaltigen Meeressturm herangetrieben, mit ihrem Schiff im Hafen von Arimaspi. Der Herzog schickte sofort Boten hin und beauftragte sie, sich zu erkundigen, wer diese seien, woher sie kämen, was für ein Schicksal sie gehabt hätten und zu welcher Religion sie sich bekennen würden. Jene antworteten: „Wir bekennen, was (E342) das Erste nicht der Zeit nach, aber nach der Würde ist: Wir sind Christen und durch einen Sturm auf dem Meer treiben wir in dieser Stunde von Indien heran, aber wir alle leiden an allzu großem Hunger und sterben fast. Wer immer mit uns Mitleid hat und unsere grauenhafte Not durch seinen herrlichen Vorrat lindert, dem wünschen wir flehentlich, er möge von Christus Barmherzigkeit erlangen.“ Als er das hörte, war der Herzog hocherfreut und befahl, sie mit allen Gütern zu stärken, und nachdem sie dies getan hatten, fragte er sie, ob es irgendwelche Kämpfe in ihrem Land gäbe. Jene sagten: „Herr, der König von Babylonien greift sehr häufig mit einem großen Heer unser Land an mit dem Ziel, dass wir vom Licht christlicher Religion ins Dunkel und in die Verwirrung des Götzendienstes übergehen. Wir aber vertrauen auf den Herrn, der (E343) imstande ist, uns im Schatten seiner Hand vor derartigen Sündern zu schützen, die den Bogen spannen, um mit dem Pfeil die Menschen mit redlichem Herzen hinzustrecken.“ Der Herzog wurde auf der Stelle von der Glut des Heiligen Geistes erfasst, hielt mit Graf Wetzel und den übrigen in den trefflichen Glauben Miteingeweihten geheime Beratungen ab und beschloss, ins entfernte Indien zu gehen, um den Krieg Gottes zu führen. Die Inder stimmten zu; darauf belud er deren Schiff mit allem Nötigen, scharte seine Leute, nämlich die Mitstreiter in ernsten Angelegenheiten und die Gaukler, die er im Krieg erbeutet hatte, um sich und fuhr ab - ohne Erlaubnis des Königs von Arimaspi, deshalb 82 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch periculorum maximorum transcursionem et monstrorum miraculosorum 228 in mari perspeccionem ventum est in ulteriorem Indiam. Rex vero forte illius terre post generale colloquium habitum in vicino loco quodam cum optimatibus et vasallis suis maximo intererat conviuio. Ille vero per Ethyopes, conspectui suo cum summo honore ducem et suos representantes, compertam habuit ducis circa Ethyopes beneficenciam et probitatis sue et suorum leoninam excellenciam, dignissime cum vniuerso suo collegio post graciarum actionem ipsum cum suis suscepit et susceptos omni humanitate fouens in omni regno suo adprime honorari precepit. In consiliorum eciam regis omnium misteriis dux cum comite Wezilone interesse iugiter rogatur, et post diuersorum diuersas sentencias ducis denique consilium prouidum et sanum ab omnibus quasi ab ore eius pendentibus expectabatur. 229 Post in cuiusdam diei diluculo fama, malum quo non aliud velocius vllum mobilitate viget, 230 volat regem Babilonie cum infinitis paganorum cuneis de suis partibus (Haupt 235) prorupisse fine martirizandi omnes omnis etatis et sexus Indos, qui non a Creatoris, qui est via, veritas et uita, 231 ad- (E345) oracione declinantes ad ÿdolatrie falsitatem conuerterentur. 232 Hac fama satis periculosissima regem et suos omnes non parum totis medullis perterritos dux Hernestus animaduertens ser (a: f. 113 v ) mone consolatorio huiuscemodi adorsus est: (b: f. 15 rb ) ‘Mi domine rex et vniuersi fratres et patres, ut in libro uite conscripti didici et vos didicisse per predicatores 233 ecclesie satis confido, iuxta eulogium Ieronimi scribentis ad Rusticum 234 monachum nichil Christiano felicius, cui promittuntur regna celorum; nichil laboriosius, qui cottidie de uita periclitatur; nichil forcius, qui vincit dÿabolum et sattellites eius, quales sunt rex Babilonie et sui complices; nichil inbecillius, qui a carne superatur. Huius eulogii significacione tu et tui, ymo et ego et mei confortati nichil timeamus eos, qui occidunt seu occidere possunt corpus, animam autem non possunt (E346) occidere. Cum hii in curribus et in equis temporum uolubilitate trahantur et superbis honoribus efferantur, nos autem, populus gencium de lapidibus suscitati melius filii Abrahe 235 per adopcionem quam Iudei per carnis generacionem, qui surreximus quidem a uiciis et a morte ydolatrie, non quidem viribus nostris sed per fidem iustificatj, erecti ad alta in nomine Domini Dei nostri inuocemus et cio accitis in omni regno tuo tuis illis, qui obligati sunt terrenis desideriis et feritatibus, occurrere non tardemus. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 83 weil dieser Heide war. Endlich, (E344) nach einer Überfahrt unter vielen großen Gefahren und der Begegnung mit wunderlichen Meerungeheuern, kam man im entfernten Indien an. Aber zufällig nahm der König jenes Landes nach einer öffentlichen Versammlung mit seinen Adligen und Vasallen in einem benachbarten Ort an einem sehr großen Gastmahl teil. Jener aber erfuhr von den Äthiopiern, die ihm mit höchster Ehrerbietung den Herzog und dessen Leute vorführten, von der Wohltat des Herzogs ihnen gegenüber und der löwenhaften Großartigkeit seiner Tüchtigkeit und der seiner Leute, dankte ihm und empfing ihn mit den Seinen aufs würdigste mit dem gesamten Hofstaat, erwies ihm jegliche Freundlichkeit und ließ ihn in seinem ganzen Königreich besonders ehren. Der Herzog wurde zusammen mit Graf Wetzel sofort gebeten, an allen Geheimberatungen des Königs teilzunehmen, und nach verschiedenen Meinungsäußerungen verschiedener Leute wurde schließlich der umsichtige und gesunde Rat des Herzogs von allen erwartet, die gleichsam an seinem Mund hingen. Eines Tages während der Dämmerung machte das Gerücht, das schnellste aller Übel - es ist durch seine Beweglichkeit stark -, die Runde, der König von Babylonien sei mit unzähligen Heerscharen von Heiden aus seinem Gebiet hervorgebrochen mit dem Ziel, alle Inder jeden Alters und Geschlechts, die nicht von der Anbetung des Schöpfers - er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben - (E345) abfallen und sich zum falschen Götzendienst bekehren, den Märtyrertod erleiden zu lassen. Der Herzog bemerkte, dass durch dieses höchst gefährliche Gerücht der König und alle Seinen nicht wenig in ihrem Innersten erschrocken waren, und hielt eine Trostrede folgender Art: „Mein Herr und König und ihr, sämtliche Brüder und Väter, wie die im Buch des Lebens Eingeschriebenen habe ich gelernt und vertraue genug darauf, dass ihr es von den Predigern der Kirche gelernt habt: Gemäß dem trefflichen Wort des Hieronymus in seinem Schreiben an den Mönch Rusticus ist nichts glückseliger für den Christen, dem das Himmelreich versprochen wird, nichts beschwerlicher für ihn, der täglich in Lebensgefahr schwebt, nichts stärker für ihn, der den Teufel besiegt sowie dessen Anhänger, wie das der König von Babylonien und seine Spießgesellen sind, nichts schwächer für ihn, der vom Fleisch überwunden wird. Nach der Bedeutung dieses trefflichen Wortes sollen wir, du und die Deinen, ja auch ich und die Meinen, die wir bestärkt sind, diejenigen nicht fürchten, die den Leib töten beziehungsweise töten können, die Seele aber nicht. (E346) Da diese auf Wagen und Rossen von der Flüchtigkeit der Zeiten hin und her gezogen und durch stolze Ehren hochmütig gemacht werden, wir aber - ein 84 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Siue enim viuimus siue morimur, Domini sumus. Verumtamen pagani preambuli et pugiles Antichristi sciant, ÿmo per misericordiosam Dei preuenientem et subsequentem graciam scire illos faciam, me propria manu missurum multos de morte temporali in eternam. Eciam si ipse ignitus Iupiter et Machometus 236 eis adesset, (E347) illos ipsos merdosos deos impeterem.’ Hiis et aliis huius ducis magnanimi exhortatoriis verbis rex Indie et omnes adentes inspirante Dei munimine vehementer animantur 237 et collecta quam maxima pro tempore et loco Christianorum multitudine in obuiam regi Babilonie procedunt. Ille vero, iam partim iniciata malicia sed non satiata, (b: f. 15 va ) templa (Haupt 236) antiqua eiectis sacrosanctis reliquiis subuerterat, matres et pueros ipsarum martirio 238 ad celum transmiserat. Rex Indie (a: f. 114 r ) papiliones castrorum de propinquo figi iussit. (E348) Vbi vero terras axe Tytan illustrauit, vterque exercitus gradatim loco, quo bellum committendum erat, vtrimque appropinquauit. Rex vero exercitum suum paululum subsistere iubens compendiosis huiuscemodi verbis exortatoriis apostrophauit: ‘Eya milites Christi, iam non mei, mortem nefandam martirum et paruulorum, quos lupina paganorum rabies diuersis mortis generibus iam pro fide Christi interemit, didicistis et quod de uita et patria et vestrorum tam dulcium coniugum quam et paruulorum, senum et omnium Christi professorum res agitur, iuxta illud sapientis: Nam res tua agitur, paries dum proximus ardet. 239 Memores itaque auite generositatis et strennuitatis hodie summo nisu enitimini eripere patriam et vitam vestram et vestrorum ac (E349) possessionem ab articulo tam dire et misere necessitatis, scilicet a mordaci dente paganice in Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 85 Volk von Heiden, aus Steinen erweckte Söhne Abrahams durch Aufnahme an Kindes statt, was besser ist als Juden durch leibliche Herkunft, die wir uns freilich erhoben haben von den Lastern und dem Tod des Götzendiensts, allerdings nicht durch unsere Kräfte, sondern gerechtfertigt durch den Glauben - aufgerichtet zum Himmel den Namen des Herrn, unseres Gottes, anrufen, lasst uns schnell in deinem ganzen Reich die Deinen herbeirufen und nicht zögern, jenen, die irdischen Wünschen und irdischer Wildheit verpflichtet sind, entgegen zu eilen. Ob wir nämlich leben, ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Doch die Heiden, Vorläufer und Kämpfer des Antichrists, sollen wissen, nein, vielmehr werde ich jene durch die barmherzige Gnade Gottes, die sofort hilft, wissen lassen, dass ich eigenhändig viele vom irdischen zum ewigen Tod befördern werde. Auch wenn selbst der feurige Jupiter und Mahomet ihnen beistünde, würde ich (E347) gerade jene verworfenen Götter angreifen.“ Durch diese und andere ermunternde Worte dieses großmütigen Herzogs wurden der König von Indien und alle Anwesenden mit entflammender Unterstützung Gottes heftig beseelt, und mit so viel Christen, wie man an Ort und Stelle und im knappen Zeitraum hatte auftreiben können, gingen sie dem König von Babylonien entgegen. Jener aber - seine Bosheit hatte schon zum Teil begonnen, war aber noch nicht befriedigt - hatte hochheilige Reliquien weggeworfen, alte Kirchen zerstört und Mütter sowie deren Kinder durch den Märtyrertod zum Himmel geschickt. Der König von Indien befahl, Zeltlager in der Nähe zu errichten. (E348) Als aber Titan die Erde auf seinem Wagen beleuchtete, näherten sich beide Heere Schritt für Schritt dem Platz, wo die Schlacht geliefert werden sollte. Der König aber hieß sein Heer eine Weile stillstehen und sprach es mit kurzen aufmunternden Worten dieser Art an: „Eia, Soldaten Christi, nicht mehr die meinigen, ihr habt vom frevelhaften Tod der Mütter 12 und Kinder erfahren, welche die Heiden in wölfischem Wahnsinn auf verschiedene Todessarten für ihren Glauben an Christus schon umgebracht haben, und auch davon, dass es um das Leben und die Heimat sowohl eurer lieben Gattinnen als auch Kinder, Greise und aller, die sich zu Christus bekennen, geht, gemäß jenem Spruch des Weisen: Denn es handelt sich um deine Sache, wenn die Wand des Nachbarn brennt. Deshalb denkt an die edle Art und Tüchtigkeit eurer Vorväter und bemüht euch heute mit höchster Anstrengung, eure Heimat und euer Leben und das der Euren wie auch (E349) euren Besitz aus der Bedrängnis so grauenhafter elender 86 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Christianos voracitatis. Si enim hodie iugum pagane seruitutis a collis vestris non excusseritis, miserabilissima vos opprimet condicio, quia proculdubio omnia tormentorum genera in vobis et vestris expendi vnacum destructa patria et vestris possessionibus cedentibus in predam hostium bestialium sencietis. Eligite ergo, eligite, optimi Christi milites, sed mei commilitones, eligite inquam plus pro Christo mori, si tamen Dei prouidencia ita ordinauit, quam per fugam labi et turpiter viuere. Spero tamen de misericordia Christi, cui hodie militamus, quod (E350) de hostibus suis et ecclesie victorias de celo ministrabit’. Ad hec dux: ‘Tempus et res expostulat, quarum fama hostes aduen (b: f. 15 vb ) tare nunciat, vt acies tuas sapienter ordinare non differas et ordinatis aliquos, quorum magisterio regantur, preficias, vexillum eciam tuum ad hoc alicui congruo deducendum in hostes committas.’ Cui rex: ‘facta tua gloriosa clamant in ore multorum, quam magna sit tue multimode virtutis gemina excellentia. Inde est quod intuitu (Haupt 237) Dei, pro cuius amore exul multos labores susti (a: f. 114 v ) nuisti, vexillum meum in hostes Christi deferre summo opere exoro, non precipio, quia non precepti mei lege aliqua concluderis.’ Ad quem dux: ‘Domine rex, peticioni tue libens annuo; ecce coartamur magne necessitatis articulo.’ Inuocans ita- (E351) que Christi auxilium dux vexillum arripuit et ingens iuuentutis constipacio circa ducem signiferum facta est. Accurrit ilico comes Wezilo cum suorum societate et ait: ‘Quando quidem vexillum suscepisti, nil tardandum tibi sed maturandum te in apertam et confertam hostium frontem prorumpere, vbi copiam et materiam belli inueniamus.’ Pro consilio itaque comitis prudenter et audacter se proripiens in apertam hostium frontem dux agmina […]. Comitabatur illum tandem Gigas suus trabem magnam in manibus gestans. (E352) Comes Wezilo tunc ait: ‘Ecce, domine dux, pagani 240 cum vexillo appropinquant. Non opus est monitis, sed virilibus factis, que quemque deceant. Igitur diuertamus ad illos.’ Cui dux dum obtemperare niteretur, rex Babilonie cum ingenti multitudine diuertit ad ducem. Committitur ergo prelium, et post lancearum subito confraccionem, post telorum eciam ad similitudinem grandinis et nimis dense volancium (b: f. 16 ra ) emissionem eminus res ensibus cominus Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 87 Not, nämlich aus dem beißenden Zahn heidnischer Fresslust auf die Christen, zu entreißen. Wenn ihr nämlich heute das Joch heidnischer Knechtschaft nicht von euren Nacken abschüttelt, wird euch eine beklagenswerte Lage bedrücken, weil ihr ohne Zweifel fühlen werdet, dass alle Arten von Qualen an euch und den Euren geprüft werden, dazu auch die Heimat zerstört ist und euer Besitz in die Beute der tierischen Feinde übergeht. Wollt also, wollt, ihr, die ihr vorzügliche Soldaten Christi, aber meine Mitstreiter seid, wollt, sage ich, eher für Christus sterben - vorausgesetzt, dass die Vorsehung Gottes es so angeordnet hat - als durch Flucht entwischen und in Schande leben. Dennoch hoffe ich auf das Erbarmen Christi, für den wir heute kämpfen, dass (E350) er vom Himmel aus Siege über seine Feinde und die der Kirche schenken wird.“ Dazu sagte der Herzog: „Die Zeit und die Lage erfordert - das Gerücht meldet den Anmarsch der Feinde -, dass du sofort deine Schlachtreihen weise ordnest, ihnen einige als ihre Befehlshaber an die Spitze stellst und auch dein Banner einem, der dafür geeignet ist, anvertraust, um es gegen die Feinde hinzuführen.“ Zu ihm sagte der König: „Deine ruhmreichen Taten schreien im Mund von vielen, wie groß die das Maß überragende Vortrefflichkeit deiner mannigfaltigen Tüchtigkeit ist. Daher rührt, dass ich dich um Gottes willen, für den du aus Liebe als Verbannter viele Strapazen ertragen hast, inständig beschwöre, mein Banner gegen die Feinde Christi zu führen; ich kann es dir nicht befehlen, weil ich keine Befehlsgewalt über dich habe.“ Zu ihm sagte der Herzog: „Deiner Bitte stimme ich gern zu; siehe, wir werden durch die augenblickliche große Bedrängnis in die Enge getrieben.“ Also rief (E351) der Herzog Christus um Hilfe an und packte das Banner; und ein Riesengedränge aus jungen Leuten entstand um den standartentragenden Herzog. Auf der Stelle eilte Graf Wetzel in Begleitung seiner Leute herbei und sagte: „Da du ja das Banner an dich genommen hast, darfst du nicht zögern, sondern musst schnell gegen die offene und dichtgedrängte Front der Feinde vorpreschen, wo wir eine gute Gelegenheit für die Schlacht finden dürften.“ Gemäß dem Rat des Grafen warf sich also der Herzog mit seinem Heer klug und kühn in die offene Front der Feinde. Ihn begleitete auch sein Gigant mit einem großen Baumstamm in den Händen. (E352) Graf Wetzel sagte darauf: „Siehe, mein Herr und Herzog, die Heiden nähern sich mit dem Banner. Ermahnungen braucht es nicht, sondern männliche Taten, die sich für jeden ziemen. Also wollen wir uns ihnen zuwenden.“ Während sich der Herzog bemühte, ihm Folge zu leisten, wandte sich der König von Babylonien mit einer gewaltigen Menge gegen ihn. Also wurde die Schlacht begonnen: Sofort schlugen Lanzen eine Bresche, nachher flogen auch aus der Fer- 88 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch geritur. Quamuis enim dispar exercitus utriusque causa, tamen par pendebat ad tempus belli alea. Vnde cum vtrique facerent fortiter, maxima cedes vtrorumque orta est et cruor ad instar magni torrentis decurrit largiter. Rex vero Babilonie, ubi ducem et suos ad similitudinem leonum grassarj in suos cum permaxima strage animaduertit, toto nisu intendens in illum diuertit. Comes vero Wezilo illum preocupans gladio totis viribus in regem acto ipsum vnacum caballo elegante solotenus prostrauit, videns ibi (E353) Gigantem audacissime domino opitulantem, et quoscumque trabe contingere poterat, morti in auxilium domini sui ducis precipitauit. 241 Casum regis (a: f. 115 r ) pagani ubi animaduertere, ad prostratum moliti sunt cum confertissimo cuneo concurrere, et qui eripere prostratum moliti sunt, ipsi quoque a duce et suis prostrati occubuere. 242 Tunc tandem ex necessitatis dire coaccione (Haupt 238) gens incredula cessit, quia Gigas inestimabiles plagas ingessit. 243 Multo maiores nostris fuissent ab hostibus ingeste, si per Gigantem quasi per causam adminiculantem Deus auctorizans causa illas a (E354) nostris non remouisset. Cogebatur denique rex ense dato duci se dedere, vnde et pagani maturabant quaquaversum clipeis in bello declinatis fuge presidio nostris cedere. Sic, sic rege captiuato itur in campum, quo bellum commissum fuerat, suus a suo seminex et mortuus queritur, et dux vnum de suis, qui Sirticum mare euaserat, ibi occubuisse comperit. Vnde totis permotus visceribus defleuit et deplanxit militem, planctibus adeo miserabilibus, quod eciam saxeum pectus ad flendum emollire possent, a duce quidem editis, sed pro vitanda prolixitate hic non positis 244 , et de (b: f. 16 rb ) fleti post missarum sollempnia corpus terre et animam celo attentissime commendauit. Post regem Babilonie captiuum adiit et ait: ‘Rex, de tua liberacione disponerem, si te michi ducatum daturum esse in gloriosam (E355) ciuitatem Dei Ierusalem post liberacionem confiderem.’ 245 Cui paganus: ‘Racionem et occasionem huius rei tibi prebende non inuenio, cum tu pene uite mee exitum diuersissimis plagis intuleris, et fidelis tuus comes Wezilo in pugna prostratum dehonestavit. Ignosco tamen omnia, cum vos ineuitabilis necessitas ad illa, que michi intulistis, Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 89 ne abgeschossene Pfeile dicht wie Hagelkörner und Schnee, schließlich wurde mit Schwertern Mann gegen Mann gekämpft. Obwohl nämlich die Verhältnisse beider Heere ungleich waren, blieb für den Augenblick das Kriegsglück ausgeglichen. Daher, weil beide Seiten tapfer kämpften, entstand ein großes Gemetzel auf beiden Seiten, und Blut floss reichlich wie ein großer Gießbach. Aber als der König von Babylonien bemerkte, dass der Herzog und die Seinen wie Löwen auf seine Leute losgingen und ihm sehr große Verluste zufügten, wandte er sich ihm zu und richtete seine ganze Kraft auf ihn. Graf Wetzel aber kam ihm zuvor, zog das Schwert mit allen Kräften gegen den König und streckte ihn selbst zusammen mit seinem eleganten Ross vollständig nieder; dabei sah er, (E353) wie der Gigant tollkühn seinem Herrn beistand: Alle, die er mit dem Baumstamm treffen konnte, stürzte er in den Tod und half so seinem Herrn, dem Herzog. Sobald die Heiden den Fall des Königs bemerkten, beabsichtigten sie, mit dichtgedrängter Schar zum Niedergestreckten zu eilen, und auch sie selbst, die den Niedergesteckten zu retten beabsichtigen, wurden vom Herzog und den Seinen niedergestreckt und starben. Da endlich wich, durch die grauenvolle Notlage gezwungen, das ungläubige Volk, weil der Gigant unzählbare Schläge austeilte. Die Feinde hätten den Unsrigen viel schlimmere Wunden zugefügt, wenn Gott, die ermächtigende Ursache, (E354) jene nicht durch den Giganten - gleichsam als helfende Ursache - von den Unsrigen abgewendet hätte. Schließlich wurde der König gezwungen, dem Herzog sein Schwert zu geben und sich ihm zu übergeben, weshalb auch die Heiden sich beeilten, nach verlorener Schlacht im Schutz der Flucht den Unsrigen zu weichen. So, ja so wurde der König gefangen genommen, und man ging aufs Feld, wo die Schlacht geschlagen worden war; man suchte dort nach eigenen halbtoten oder toten Leuten, und der Herzog erfuhr, dass einer von den Seinen, der dem Syrtenmeer entkommen war, dort gefallen war. Deshalb beweinte er, in seinem Innersten zutiefst betroffen, den Soldaten heftig; er stieß so sehr bejammernswertes Wehklagen aus, dass es sogar ein Herz aus Stein zum Weinen hätte erweichen können - was aber hier nicht ausgeführt wird, um dem Vorwurf der Weitschweifigkeit zu entgehen -, und nach einer feierlichen Messe vertraute er den Leib des Beweinten der Erde und seine Seele inbrünstig dem Himmel an. Nachher ging er zum König von Babylonien und sagte: „König, ich würde für deine Freilassung sorgen, wenn ich darauf vertrauen könnte, dass du mich nach der Freilassung in die ruhmreiche (E355) Stadt Gottes Jerusalem führen würdest.“ Ihm antwortete der Heide: „Ich finde keinen Grund und keine Veranlassung, dir diese Sache zu gewähren, da du mit verschiedenen Hieben beinahe mein Lebensende verursacht hast, auch hat mich dein treuer Graf Wetzel in 90 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch compulerit.’ Deinde dux coram ipso pagano suos captiuos adductos inuicem varios iocos exercere mandauit et summam Yliadis 246 laborum tolleratorum recitauit. Ad quem paganus: ‘Defixum iam in consilio habeo quod, si tu me de huius captiuitatis iugo absolutum prece coram rege (a: f. 115 v ) Indie reddideris, munia tua deuotus implebo bona fide tam tibi quam tuis cum omnibus itineris suplementis ducatum in cupitam ciuitatem prebendo.’ Hiis pagani promissis exhylaratus dux continuo ad regem Indie accellerauit, inquiens: ‘Quando quidem ad uotum tuum status regni tui per misericordiam summi regis incolumis triumpha- (E356) tis hostibus conseruatur, placeret michi, si et tue esset placitum maiestati, vt de modo absoluendi regis Babilonici consilio meo deliberandum com (Haupt 239) mitteres.’ 247 Ad hec rex: ‘Longe michi alia mens. Non enim absoluetur, sed ad fidem Christianismi conuerti cogetur.’ Illud regis verbum non sedit in animo ducis asserentis, quia fides Christianismi non necessitate coactionis, sed voluntate filia predicatorie exhortacionis mentibus ad uitam predestinatorum inseritur. 248 Accitus tamen rex Babilonie et accepta coram rege copia fandi ad regem ait: ‘Non me ad (b: f. 16 va ) regulam Christianitatis compellito, sed quantumcumque auri et argenti pro mea redempcione accipito hoc pacto, vt quoad uixero numquam nec tuam personam nec regnum tuum inquietabo.’ Rex Indie ilico ducem compellans prudenti ex consilio inquit: ‘O nostre uictorie post Deum precipuus auctor, numquam hoc pagani verbum insidet animo tuo et tue discrecioni.’ 249 At ille: ‘Sedet’ inquit ‘et placet maxime, quia in summa pacis tranquillitate regni tui carina portu (E357) quiete securitatis feliciter stacionaria perpetualiter requiescet, Deo tamen gubernante, qui non ad similitudinem Palinuri 250 naute Enee nauem media linquentis in vnda, ecclesiam nauem Petri misticam linquet, ut, quamuis fluctuet, non tamen naufragium faciet.’ Post ducis oracionem rex paganus ait: ‘In fide mea, que nulla racione sponsionis per eam facte transgressionem aut vllum mutacionis detrimentum recipit, sanctio me neque aliquem meorum tibi o rex Indie, aut regno tuo aut alicui tuorum deinceps nociturum, immo amare si cupis me; hac lege et in trutina poneris eadem.’ Post huius (a: f. 116 r ) sponsionis confirmacionem et pagani a captiuitate liberacionem paganus ducem compellans ait: ‘Fideles mei de absencia mea, ut spero, tristantur, vnde, quia super consolacione (E358) eorum patrium regnum reuisere sine dilacionis mora maturo, tu quoque, si ducatu meo Iherusalem 251 aliquatenus traheris, mecum ire maturato.’ Dux huius verbis acquiescens accitis laborum suorum iocosis fructibus, scilicet diuerse stature, diuerse forme, diuerse 252 lingue hominibus, aduolat ad Indicum regem, coram quo ait: ‘Domine, dies optima, locus et fortuna me iter deliberatum (Haupt 240) in Iherusalem arripere suadent. 253 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 91 der Schlacht niedergestreckt und entehrt. Dennoch verzeihe ich alles, da euch unabwendbare Notwendigkeit zu dem getrieben hat, was ihr mir angetan habt.“ Sodann ließ der Herzog seine Gefangenen herbeiführen, befahl ihnen, vor den Augen des Heiden abwechselnd verschiedene Possen zu reißen, und schilderte die Höhepunkte der ertragenen Leiden seiner Ilias. Zu ihm sagte der Heide: „Es ist nun meine feste Absicht, dass ich, wenn du mich durch deine Fürbitte beim König von Indien vom Joch dieser Gefangenschaft befreist, ergeben dein Begehren in guten Treuen sowohl dir als auch den Deinen gegenüber erfüllen und euch auf der Reise in die gewünschte Stadt in allem unterstützen werde.“ Durch dieses Versprechen des Heiden hocherfreut, eilte der Herzog sogleich zum König von Indien und sagte zu ihm: „Da ja auf deinen Wunsch hin der Zustand deines Reichs durch die Barmherzigkeit des höchsten Königs nach dem Triumph (E356) über die Feinde unversehrt bewahrt wird, würde es mir gefallen, wenn es auch deiner Hoheit gefiele, dass du es mir überlassen würdest, nach meiner Überlegung über die Art, wie der König von Babylonien freigelassen werden soll, zu beschließen.“ Dazu sagte der König: „Ich habe eine ganz andere Meinung. Denn er wird nicht freikommen, sondern gezwungen werden, sich zum christlichen Glauben zu bekehren.“ Jenes Wort des Königs setzte sich nicht im Herzen des Herzogs fest, der erklärte, dass der christliche Glaube nicht durch die Notwendigkeit eines Zwangs, sondern durch den Willen - die Frucht der Ermahnung durch die Predigt - dem Verstand eingepflanzt wird zum Leben der Auserwählten. Der König von Babylonien wurde dennoch geholt und erhielt die Erlaubnis, vor dem König zu sprechen, und sagte zu ihm: „Du sollst mich nicht zum Christentum zwingen, aber du sollst wie viel Gold und Silber auch immer für meinen Loskauf empfangen unter dieser Bedingung, dass ich, solange ich lebe, niemals deine Person oder auch dein Reich belästigen werde.“ Der König von Indien sprach auf der Stelle den Herzog an und sagte aufgrund kluger Überlegung: „O, nach Gott hauptsächlicher Urheber unseres Sieges, niemals wird dieses Wort des Heiden in deinem Herzen und deiner Urteilskraft Platz finden.“ Aber jener sagte: „Es hat da seinen Platz und gefällt mir sehr, weil in tiefster Friedensruhe das Schiff deines Reichs (E357) im Hafen der Sorglosigkeit glücklich seinen Ankerplatz hat und immerfort ausruhen wird; Gott aber wird es lenken, der nicht wie Palinurus, der Seemann des Äneas, welcher das Schiff mitten auf dem Meer verlässt, die Kirche, das mystische Schiff des Petrus, verlassen wird, so dass es keinen Schiffbruch erleiden wird, mag es noch so sehr schwanken.“ Nach der Rede des Herzogs sagte der heidnische König: „Bei meiner Treue, die auf keine Art und Weise eine Übertretung eines durch sie feierlich gegebenen Versprechens oder irgendeinen Nachteil infolge einer Änderung erträgt, bekräftige ich, dass weder ich noch irgendeiner der Meinen dir, o König von Indien, entweder deinem Reich oder irgendeinem der Deinen fürderhin Schaden 92 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Pro multimoda tua circa me bene (b: f. 16 vb ) ficencia recompenset in eternis Diuina clemencia.’ Ad quem rex Indicus: ‘Tui a nobis abcessus hoc uerbum vehementer me excoquit et exulcerat. Si enim perpetualiter mecum stare deliberabis, amplis honoribus ac diuiciis, ymmo et potestatibus, que cum forma et fortitudine mortales prima ducunt, per me ditaberis.’ Huic modesto uultu dux: ‘Omnem omnium quoque bonorum mundj huius luxum, eciam si totus michi conferatur, visioni vrbis que visio pacis interpretatur postpono propter illum, (E359) qui ante mundi constitucionem suos elegit et in finem dilexit. Sine ergo, sine, queso, me meosque nolentes hic tardare cum tue licencie benediccione abscedere. Verumtamen animam militis ymmo socii mei, ut interpelles et interpellare sacerdotes Christi rogites pro anima eius ad Dominum, tue almitati commendo.’ Data ergo a rege licencia et infinita tam auri quam argenti et gemmarum preciosissimarum copia post sepulchri sui socii visitacionem non sine magno luctu discessum est. Omnis vero dies, quo iter arripitur pro iocositate ludorum, quos dispares inter se exercuerunt homines, breuis regi pagano et duci suisque uisa est, et huiusmodi delectacio laborem uie attenuatum temperauit. Emensis itaque aliquibus diebus vt regno suo appropinquare rex cepit, cum paganica gens eius aduentum rumore secundo percepit, leta in occursum (a: f. 116 v ) ruit et ubi uidit tam raros apud se homines non satis admirando stupuit. Cognita vero ex relatu regis (E360) causa liberacionis, scilicet pacto per inter- Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 93 zufügen werde, vielmehr dass ich dich liebe, wenn du es wünschst; mit dem gleichen Maß wirst du auch gemessen werden.“ Nach der Bekräftigung dieses Versprechens und der Befreiung des Heiden von der Gefangenschaft sprach der Heide den Herzog an und sagte: „Meine Getreuen sind wegen meiner Abwesenheit traurig, wie ich hoffe; deswegen, weil ich (E358) unverzüglich das väterliche Reich wiedersehen will, um sie zu trösten, mach auch du dich schnell mit mir auf, falls du dich unter meiner Führung bis fast nach Jerusalem bringen lässt.“ Zufrieden über seine Worte ließ der Herzog die possierlichen Früchte seiner Mühen holen, will sagen: die Menschen mit andersartigem Wuchs, andersartiger Gestalt und andersartiger Sprache und eilte zum indischen König, vor dem er sagte: „Herr, der beste Tag, der Ort und das Schicksal raten mir, mich schnell auf die beschlossene Reise nach Jerusalem zu begeben. Für die vielfältigen Wohltaten an mir möge dich die göttliche Gnade in der Ewigkeit entschädigen.“ Zu ihm sagte der indische König: „Dieses Wort von deinem Weggang von uns ängstigt und betrübt mich heftig. Falls du dich nämlich entschließt, ständig bei mir zu bleiben, wirst du mit ansehnlichen Ehren und Reichtümern, ja sogar mit Macht, was die Menschen zusammen mit Schönheit und Tapferkeit für das Bedeutendste halten, durch mich bereichert werden.“ Diesem antwortete der Herzog mit bescheidenem Gesichtsausdruck: „Auch jeden Luxus an allen Gütern dieser Welt, sollte er mir sogar vollständig verliehen werden, stelle ich hinter den Anblick der Stadt, welche als die Vision des Friedens gedeutet wird wegen ihm, (E359) der vor der Schöpfung der Welt die Seinen auserwählt und bis zum Ende geliebt hat. Lass mich also, bitte, lass mich und die Meinen, die wir nicht hier säumen wollen, mit dem Segen deiner Erlaubnis weggehen. Doch vertraue ich deiner Hoheit die Seele meines Soldaten, nein vielmehr meines Gefährten an, damit du für seine Seele den Herrn anrufst und die Priester Christi inständig bittest, dasselbe zu tun.“ Also gab der König die Erlaubnis und überhäufte sie mit Gold und Silber wie auch mit kostbaren Juwelen, und nachdem sie das Grab ihres Gefährten besucht hatten, schieden sie nicht ohne große Trauer. Aber jeder Tag, an dem sie schnell unterwegs waren, schien dem Heidenkönig, dem Herzog und den Seinen wegen der Possen und Späße, welche die untereinander verschiedenen Menschen trieben, kurz zu sein, und die Heiterkeit dieser Art milderte die Strapazen der Reise sehr. Also vergingen einige Tage, und der König begriff, dass er sich seinem Reich näherte; unter Beifallsrufen nahm das Heidenvolk seine Ankunft wahr und stürzte ihm froh entgegen; sobald dieses aber sah, dass so wenige Menschen bei ihm waren, konnte es sich darüber nicht genug wundern. Als sie aber der 94 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch uentum ducis satis honorifice peracto, dux condigne suscipitur et ab omnibus regni optimatibus et vasallis tam in priuatis (b: f. 17 ra ) quam in publicis paganorum conuentibus extollitur. Item Babilonia, iam inmemor angelice magne exclamacionis ‘cecidit Babilon’, exiit obuiam regi letabunda in tympano et choro in cordis et organo laudantes eum. Visis vero comitibus multiformibus ducis iam ad tempus regi absentantur et de uisione illorum, quos celestis figulus pro uelle suo ex luto in varia forma, varia statura ac lingua finxerat, non (E361) satis cum ingenti (Haupt 241) admiracionis stupore saciantur. Ventum est in curiam, ubi post descensum regis et ducis et ceterorum a caballis spumea frena madentibus, terramque lasciue pedibus sculpentibus, dux in caminatam omnium ornamentorum generibus perornatam cum suis a regis primatibus benigne stipatus deducitur, et, quasi secundus a rege, iussu regis tam splendida et opima omnium bonorum ministracione duci quam regi a regis principibus et vasallis seruitur. Quamuis enim Christiane scole offensi contraibant, ducem tamen quamuis Christianum 254 propter eximias eius virtutes, quas multiformes ludorum suorum auctores in sui capcione testificantur, satis tenere infideles dilectum habebant. Emensis quatuordecim diebus sub ingenti varia leticia dux comitem Wezilonem sibi associat, regem accellerat, in hec verba eum compellat: ‘Domine, ducatum iuxta magnificencie tue fidem promissum prebeto.’ Huic annuens rex uultu leto inquiens ait: ‘Pro (E362) missi mei, o princeps inclite, in nullo frustracionem experieris, quia omnia, que possideo, sine te perdita essent. Incolumes et illesos ab omnibus, quos terra sustinet, in lherosolimam per fidelissimos meos, te et tuos comitantes et omnia (b: f. 17 rb ) necessaria vie et (a: f. 117 r ) vite administrantes, deduci te tuosque faciam.’ Hiis dictis quia ad iter paratos compererat, inmensam auri et argenti congeriem illis contribui fecit, duobus eciam milibus armatorum fide et magnanimitate probatorum sub obtentu gracie sue ineuitabiliter iniunxit, vt eum ab omni molestacione defensarent et in locum aliquem, quo Iherosolimam aspici phas sit, honorifice et fideliter ductitare maturarent. Nec mora dux ante se premissis sepedictis monstruosis hominibus caballis insiliit, tota vrbs sibi valedixit, et a paganorum phalangis ad tutelam sui suorumque destinatis secure per paganie partes deducitur, festiuis in itinere conuiuiis reficitur, tandem venitur, ubi gloriosa ciuitas Dei aspicitur. Tunc paganus ‘Domine’ inquit, ‘hic in loco te a nobis deseri necessitas compellit, quia ecce vrbs, que a Christianis tuis frequentatur, cui (E363) nos vltra (Haupt 242) locum, in quo nunc es, appropinquare non audemus, eo quod de illa nobis Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 95 König (E360) über den Grund seiner Freilassung in Kenntnis setzte, will heißen: über den Vertrag, der durch das Einschreiten des Herzogs genügend ehrenvoll zustande gekommen war, wurde der Herzog würdig aufgenommen und von allen Adligen und Vasallen des Reichs sowohl in privaten wie öffentlichen Versammlungen gepriesen. Ebenso ging Babylon, das nicht mehr an den gewaltigen Ausruf des Engels dachte: “Babylon ist gefallen“, dem König froh entgegen und lobte ihn mit Pauken und Reigen, mit Flöten und Saitenspiel. Als sie aber die vielgestaltigen Gefährten des Herzogs sahen, entfernten sie sich nun für eine Zeitlang vom König und konnten sich am Anblick jener, die der himmlische Töpfer nach seinem Willen aus Ton in verschiedener Gestalt, verschiedenem Wuchs und verschiedener Sprache geformt hatte, (E361) voll gewaltiger staunender Bewunderung nicht satt sehen. Man kam zum Palast; nachdem dort der König, der Herzog und die Übrigen von den Rossen, die feucht waren von den schäumenden Gebissen und mit ihren Hufen keck die Erde scharrten, abgestiegen waren, wurde der Herzog zusammen mit den Seinen, freundlich begleitet von den Vornehmsten des Königs, in ein Gemach geführt, das mit allen Arten von Zierden geschmückt war, und, gleichsam als Zweiter nach dem König, auf Befehl des Königs mit einer sowohl für den Herzog als auch für den König prächtigen und reichlichen Aufwartung aller guten Dinge von den Adligen und Vasallen des Königs bedient. Denn wie sehr sie auch gegen das Christentum waren, so hielten die Ungläubigen den Herzog dennoch - mochte er auch Christ sein - wegen seiner außergewöhnlichen Vorzüge, welche von den vielgestaltigen Spaßmachern, die sich in seiner Gefangenschaft befanden, bezeugt wurden, für einen sehr engen Freund. Nach vierzehn Tagen in Jubel, Trubel, Heiterkeit nahm der Herzog Graf Wetzel zu sich, eilte zum König und sprach ihn mit folgenden Worten an: „Herr, du sollst mir das Geleit geben, das du mit dem Ehrenwort deiner Hochherzigkeit versprochen hast.“ Diesem nickte der König mit froher Miene zu und sagte: (E362) „Erlauchter Fürst, du wirst in keinem Punkt einen Bruch meines Versprechens erfahren, weil alles, was ich besitze, ohne dich verloren wäre. Ich werde dafür sorgen, dass du und die Deinen unversehrt und unverletzt von allen, welche die Erde ernährt, durch meine Getreusten, die dich und die Deinen begleiten und euch alles Nötige für die Reise und zum Leben zur Verfügung stellen, nach Jerusalem hingeführt werdet.“ Weil er nach diesen Worten deutlich verstanden hatte, dass sie zur Reise bereit waren, ließ er ihnen eine gewaltige Menge Gold und Silber zuweisen, auch gab er zweitausend durch Treue und Großmut bewährten Soldaten als Zeichen seiner Gunst unmissverständlich den Auftrag, den Herzog vor jeglicher Belästigung zu verteidigen und ehrenhaft und zuverlässig rasch an einen Ort zu führen, wo es möglich sei, Jerusalem zu sehen. Unver- 96 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch periculum vite forte intentatur.’ 255 Quos inclinato ad eos capite post graciarum accionem pro multorum beneficiorum exhibicione abire permisit, et ipse Deo pro eo, quod contra opinionem et spem suam Deus mirabili prouidencia ipsum Ierosolime representauerat, gracias egit. Vbi tandem ante suburbium dux cum suis deuenerat et frequens rumor de aduentu suo aures multorum resperserat, magna burgensium 256 occurrit multitudo, eo quod prius audierint eum quidem cruce signatum gracia uisitandi sepulchrum Christi, sed in Syrtibus cum socia classe morte occubuisse. Item clerus monasteriorum tam incliti 257 ducis aduentum animaduertens dulci et altisona melodia ad laudem Dei solempnizans eum suscepit. 258 Ipse eciam rex Iherosolimitanus et regina in ocursum (b: f. 17 va ) suum ad salutandum processere, et cum per competa et plateas ciuitatis mirabilis forme et stature homines cum duce aduentasse diuulgatum fuisset, omnes omnis etatis et sexus ad videndum monstra acurrere 259 nec satis admirando stupentes usque ad sydera (a: f. 117 v ) ducem laudibus ex- (E364) tulere. 260 Dux ilico monstra sua sistere ibi gradum mandauit, Giganti vero, vt se comitaretur et per ingentem trabem, quam gestabat manu latus suum a turbarum nimiarum constipacione tueretur, imperauit, et tunc cum suis ad sepulchrum Domini venire maturauit. Quo veniens sacrificium offert materiale, deinde ante altare solotenus prostratus sacrificium cordis contriti reddit spirituale et rigato pauimento lacrimarum ÿmbre ait: ‘O pre omnibus vite mee diebus hanc dulcissimam diem, quam vere specialis leticie collatiuam fecit Dominus, (E365) qua nos de faucibus mortis multipharie ereptos huic sacro sancto sepulchro incolumes Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 97 züglich schickte der Herzog die oft genannten wundersamen Menschen voraus und bestieg sein Pferd; die ganze Stadt sagte ihm Lebewohl, und er wurde von den Heerscharen der Heiden, die zu seinem und seiner Leute Schutz bestimmt worden waren, sicher durch die Gebiete der Heiden weggeführt. Auf der Reise konnte er sich bei festlichen Gastmählern erholen, und man gelangte schließlich an einen Ort, von dem aus die ruhmreiche Stadt Gottes zu sehen war. Da sagte ein Heide: „Herr, hier an dieser Stelle zwingt uns die Notwendigkeit, dich zu verlassen; denn siehe, das ist die Stadt, welche von deinen Christen scharenweise aufgesucht wird; (E363) ihr wagen wir uns nicht weiter zu nähern als bis zu der Stelle, wo du jetzt bist, deswegen, weil uns von ihr möglicherweise Lebensgefahr droht.“ Der Herzog neigte sein Haupt vor ihnen, dankte ihnen für die vielen erwiesenen Wohltaten und erlaubte ihnen wegzugehen; er selbst dankte Gott dafür, dass er ihn selbst wider Erwarten und entgegen seiner Hoffnung mit wunderbarer Vorsehung nach Jerusalem hatte gelangen lassen. Als der Herzog endlich mit den Seinen vor die Vorstadt gekommen war und überall die Kunde von seiner Ankunft die Ohren vieler erfüllt hatte, eilte ihm eine große Menge Bürger entgegen, deswegen, weil sie früher gehört hätten, dass er zwar mit dem Kreuz bezeichnet gewesen sei, um das Grab Christi zu besuchen, aber in den Syrten mit der Flotte seiner Gefährten umgekommen sei. Ebenso bemerkte die Geistlichkeit der Klöster die Ankunft des so berühmten Herzogs und empfing ihn feierlich mit einer lieblichen und hochtönenden Melodie zum Lobe Gottes. Auch der König von Jerusalem persönlich und die Königin gingen ihm entgegen, um ihn zu begrüßen; und als sich über Kreuzwege und Plätze der Stadt die Kunde verbreitete, es seien mit dem Herzog Menschen von seltsamer Erscheinung und Gestalt angekommen, eilten alle jeden Alters und Geschlechts herbei, um die wundersamen Wesen zu sehen. Sie konnten sich nicht genug wundern und staunen und erhoben den Herzog voll des Lobes in den Himmel. (E364) Der Herzog ließ sogleich seine Wunderwesen anhalten, dem Giganten aber befahl er, ihn zu begleiten und mit dem gewaltigen Baumstamm, den er in der Hand zu tragen pflegte, seine Seite vor dem Gedränge der allzu großen Scharen zu schützen; dann ging er schnell mit den Seinen zum Grab des Herrn. Als er dorthin kam, spendete er eine weltliche Opfergabe, darauf warf er sich vollständig vor den Altar, gab eine geistige Opfergabe seines zerknirschten Herzens, benetzte den steinernen Fußboden mit einem Strom von Tränen und sagte: „O dieser Tag, süßester von allen Tagen meines Lebens, den der Herr als wirklich von besonderer Freude erfüllten gemacht hat, (E365) an 98 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch representauit. In honore ergo ipsius Dei tam misericordiosi Creatoris et a morte sepe ad degluciendum nos hÿante liberatoris me per anni circulum et diem seruiturum hic cum meis voveo.’ Hiis dictis de pauimento manibus venerabilium personarum leuatur, ipse rex et regina et tota ciuitas propter hoc huiusmodi votum letatur. Templarii continuo de vrbium prouinciarum a pa (Haupt 243) ganis deuastatarum multiphario dispendio vociferantur. Post horum querelebundam proclamacionem comes Wezilo ait: ‘Salua domini mei ducis gracia, concesso ut eius responsa preueniam, tantam in domino meo compertam frequenter habeo uirtuositatem, quod per eam, Christo preduce si uita comes fuerit, pressura vestra multiplex multiplici commodo resartietur (b: f. 17 vb ) et iniuriarum iniuriatoribus talio in breui habundanter maiori mensura quam filii Belial 261 mensi fuerint remecietur.’ Horum dic (E366) torum veritati asstipulata est execucio factorum ducis preclarissimorum. In breui enim tempore vrbes aliquas et prouincias partim dentibus voracium bestiarum deletas et celerrime integraliter delendas, si auxilii remedium non subuenisset, dux bellica manu Christianorum dicioni restituit, et tamquam leo confidens tamen non in se sed in Domino, pro Domino multas clades, cedes, rapinas hostibus Domini sui ingessit. Vnde et rex Babilonie 262 omnibus suis suggessit, (a: f. 118 r ) ut ab infestacione Ierosolime et omnium ad vrbem spectancium interim, quousque dux in terra illa staret, se quam maxime temperarent. Alioquin mortem omnes a viro, cuius (E367) bellicositatem ipse expertus fuerat, incursarent. Sic, sic probitatis eius bona fraglancia nomen suum in ore multorum quasi mel indulcatum posuit. Fama prodente mater quoque eius Adelhaidis imperatrix cognouit, quod filius eius et fidelis suus comes Wezelo in Iherosolimis starent, et continuo ÿmbrem lacrimarum occulte inde fundens post oracionem secrete pro eo tunc sicut semper consueuerat fusam ait intra se: ‘Fili mi Herneste fili mi, quis michi det, vt aliquando tuo aspectu perfruar? ’ Interim forte imperator superuenit (E368) et fletus sui forte denotati causam disquisiuit hoc adiciens: ‘Domina, habeo ad vos que perferam; filius vester in Ierosolimis demoratur et canis 263 respersus esse narratur.’ Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 99 dem er uns, die wir aus dem Schlund vielfältigen Todes entrissen worden sind, wohlbehalten zu diesem hochheiligen Grab hat kommen lassen. Also gelobe ich zu Ehren Gottes selbst, des so barmherzigen Schöpfers und Befreiers vor dem Tod, der oft seinen Mund aufsperrte, um uns hinunterzuschlingen, dass ich mit den Meinen über Jahr und Tag hier dienen werde.“ Nachdem er dies gesagt hatte, wurde er durch die Hände verehrungswürdiger Personen vom Steinboden hochgehoben, der König persönlich, die Königin, ja die ganze Stadt freute sich wegen dieses Gelübdes von solcher Art. Unmittelbar darauf klagten die Templer lauthals über den vielfachen Schaden der von den Heiden völlig verwüsteten Provinzstädte. Nach ihrer klagenden Beschwerde sagte Graf Wetzel: „Bei der Gunst meines Herrn, des Herzogs, mir gegenüber, ich gebe zu, dass ich seiner Antwort zuvorkomme: Ich habe häufig an meinem Herrn eine so große Tapferkeit erfahren, dass durch sie unter Christi Führung, wenn das Leben mitmacht, eure vielfältige Bedrückung durch vielfältigen Vorteil ersetzt werden wird, und die Wiedervergeltung für die Ungerechtigkeiten wird denen, die Unrecht getan haben, in Kürze im Überfluss nach größerem Maß, als die Söhne Belials gemessen haben, zuteilwerden.“ (E366) Die Wahrheit dieser Worte wurde durch die Ausführung der herrlichen Taten des Fürsten vollkommen bestätigt. Denn in kurzer Zeit brachte der Herzog mit kriegerischer Hand einige Städte und Provinzen, die teils durch die Zähne gefräßiger wilder Tiere zerstört worden waren und sehr schnell vollständig hätten zerstört werden sollen, wenn nicht das Heilmittel der Unterstützung zu Hilfe gekommen wäre, wieder unter die Herrschaft der Christen, und wie ein Löwe - dennoch nicht im Vertrauen auf sich, sondern auf den Herrn - setzte er für den Herrn den Feinden seines Herrn mit vielen Niederlagen, Blutbädern und Raubzügen zu. Daher riet auch der König von Babylonien allen Seinen, sie sollten von einer feindseligen Handlung gegen Jerusalem und gegen alle, die sich nach dieser Stadt richteten, vorläufig, solange der Herzog in jenem Land stehe, möglichst Abstand nehmen. Andernfalls würden alle durch den Mann, dessen (E367) Kriegstüchtigkeit er selber erfahren hatte, den Tod finden. So, ja so legte der gute Duft von dessen Rechtschaffenheit seinen Namen in den Mund vieler wie süßen Honig. Das Gerücht machte die Runde, und so erfuhr auch seine Mutter, die Kaiserin Adelheid, dass ihr Sohn und sein treuer Graf Wetzel in Jerusalem stünden, und unmittelbar darauf vergoss sie im Verborgenen einen Strom von Tränen und sagte, nachdem sie dann, so wie sie es gewohnt war, für ihn gebetet hatte, bei sich: „Mein Sohn Ernst, mein Sohn, wer wird mir die Möglichkeit geben, mich eines Tages an deinem Anblick zu erfreuen? “ Währenddessen erschien zufällig der Kaiser, (E368) bemerkte, dass sie weinte, fragte nach dem Grund und fügte Folgendes an: „Herrin, ich habe Euch etwas zu berichten: Euer Sohn weilt in 100 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Ad hec verba in lacrimas tunc manifeste resoluta regina regi respondit: ‘Domine intempestiui funduntur vertice cani. 264 Vnde hoc (b: f. 18 ra ) filio meo? Venit enim properata malis inopina senectus, 265 Et labor etatem iussit inesse suam, quia Ocia (Haupt 244) corpus alunt, animus quoque pascitur illis. Inmodicus contra carpit vtrumque labor.’ 266 Post exitum regis de caminata ab hominibus suis duci vite incolumitas a Deo exoratur et reditus quam intime exoptatur. (E369) Interim transcurso sub multimodarum sudore virtutum anni circulo dux Hernestus, quamuis omne solum forti patria est ut piscibus equor, 267 tamen dulcedine patrie captus fuit iuxta illud: ‘Nescio qua natale solum dulcedine cunctos ducit et inmemores non sinit esse sui.’ 268 Vnde perlustratis gracia adoracionis omnibus omnium misteriorum Christi locis et accepta benedictione a patriarcha 269 et a rege et a regina ceterisque tam spiritualibus quam secularibus personis ciuitatis capitaneis assumpsit ludorum auctores magnis partos seriis et laboribus. Deinde duobus peregrinorum milibus se et (a: f. 118 v ) suos transmare commeaturis comitantibus vrbem, vrbis incolis abcessum eius deplorantibus, egreditur. 270 Tandem trieribus conscensis et (E370) maribus sulcatis Barum prospero vento venitur; ibi vnus de numero biformium scilicet Blatefu e z 271 moritur. Barenses in mari ambiciosa classe occurrentes illum et omnes suos digne susceptos omni humanitate fouere et visis biformibus obstupuere dicentes: ‘Quantus est gloriosus iste, qui ingreditur ciuitatem nostram inauditis comitatus monstris.’ Ibi post gloriosi Nicholay 272 in honorem Dei veneracionem duabus emensis diebus dux et sui comitati a burgensibus trieres scandunt, equora (b: f. 18 rb ) scindunt et aliquot diebus Romam perueniunt. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 101 Jerusalem und soll grauhaarig geworden sein.“ Auf diese Worte hin antwortete die Königin, jetzt offenkundig in Tränen aufgelöst, dem König: „Herr, von dem Scheitel zu früh ergrauend fallen die Haare herab. Warum geschieht dies meinem Sohn? Denn unvermutet kam, von den Übeln beschleunigt, das Alter, und die Mühsal erklärte, dass seine Zeit nun da sei, denn Muße nährt den Körper, auch der Geist nährt sich von ihr. Dagegen schwächt maßlose Mühsal beide.“ Nach dem Weggang des Königs aus dem Gemach baten die Leute des Herzogs Gott innig um die Erhaltung seines Lebens und wünschten von Herzen sehnlichst seine Rückkehr. (E369) Inzwischen war unter dem Schweiß vielfältiger tapferer Taten das Jahr vorübergegangen; und obwohl für den Tapferen jeder Boden Heimat ist - wie für die Fische das Meer -, fühlte Herzog Ernst Sehnsucht nach dem Zauber der Heimat gemäß jenem Dichterwort: „Ich weiß nicht, mit welchem Zauber der heimatliche Boden alle fesselt und nicht zulässt, seiner uneingedenk zu sein.“ Nachdem er um der Anbetung willen alle Örtlichkeiten aller Wunder Christi aufgesucht und den Segen vom Patriarchen, vom König, der Königin und den übrigen, wichtigen geistlichen wie weltlichen Persönlichkeiten der Stadt erhalten hatte, nahm er die Gaukler, die er durch große, notwendige Strapazen erworben hatte, zu sich. Darauf verließ er, begleitet von zweitausend Pilgern, die mit ihm und den Seinen übers Meer mitreisen wollten, die Stadt, wobei die Stadtbewohner seinen Weggang beklagten. Endlich bestieg man die Schiffe, (E370) durchpflügte die hohe See und gelangte mit günstigem Wind nach Bari; dort starb einer aus der Zahl der Mischwesen, nämlich ein Plattfuß. Die Einwohner von Bari fuhren dem Herzog auf dem Meer mit ihrer ehrgeizigen Flotte entgegen, nahmen ihn und alle Seinen würdig in Empfang und hegten sie in aller Freundlichkeit; und als sie die Mischwesen sahen, staunten sie und sagten: „Wie ruhmreich ist jener, der unsere Stadt in Begleitung von unerhörten Wunderwesen betritt.“ Dort blieben der Herzog und die Seinen nach der Verehrung des ruhmvollen Nikolaus zur Ehre Gottes zwei Tage, bestiegen, von den Bürgern geleitet, ihre Schiffe, durchzogen das Meer und gelangten nach einigen Tagen nach Rom. 102 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch Huius in occursum Romana nobilitas tota ruit et miraculosorum 273 hominum visione saciari non potuit. Vbi vero ad limina Apostolorum 274 ventum est, intercepto ingressu templi ab infinita multitudine populorum vsque ad celum vocife- (E371) rante dux cum omnibus suis ante porticum templi 275 salutatur. Post ab vniuerso clero presente papa in ÿmpnis multisonis suscipitur et adoratis apostolis ab apostolico in suam aulam hospitandi gracia colligitur. 276 Deinde tota sua societas ad hospicia diuersa deducitur. Post dulcia colloquia et expleta opima conuiuia 277 rogatus a papa et a cetu omnium (Haupt 245) nobilium multos in lacrimas resoluentem exponit Yliadem suorum multiplicium laborum. Tandem iniuriosam a patrie hereditatis regno expulsionem factam ab imperatore apud eos cum querimonia deposuit, ad quam papa et tota nobilitas Romana vehementer indoluit. 278 Papa igitur post confessionem 279 excessuum secretam ducis cum vniuerso clero presente senatu absoluit eum et suos domesticos a vinculo anathematis, 280 quod incendiis (E372) et rapinis contra imperatorem excitis contraxerant. Hiis determinatis et apostolis aliisque sanctorum pigneribus inibi diem iudicii feliciter expectantibus attentissime adoratis, accepta apostolica benedictione, (a: f. 119 r ) cum suis comittibus iter arripuit. lbi cum diuersi exules in diuersas suas repatriaturi patria licenciam abeundj impetrarent cumque ipse et sui familiares versus Teutonie partes magis in dies appropinquarent, quadam die in hec verba gemebundus prorupit: ‘Putabam (b: f. 18 va ) aliquando in exteris terris me meo finem posuisse labori, sed ecce in patria mea laboris principium (E373) et mortis periculum initiatur. 281 Olim nempe hospitia petentibus tribui, nunc miser hospes in incertis sedibus profugus hospicia petam. Vide, Deus, et iudica secundum innocenciam meam super me et fer opem, vt coram oculis imperatoris aliquam inueniam clemenciam, insuper matris mee visione perfruar nimis hucusque afflicte propter meam absenciam. Vbi tandem ventum est in Teutoniam forte in tempore natiuitatis Christi, imperator curiam conuocatis omnibus regni primatibus in Neürenbergh gracia instantis sollempnitatis celebraturus erat. Dux igitur ex consilii cum suis habiti deliberacione sub magno vite periculo spem habens in matre, 282 relictis in via omnibus comitibus preter comitem Wezilonem, quem sibi assumpserat, oculte in vespertino crepusculo vrbem predictam subiit, et vterque fa- (E374) ciem Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 103 Ihm stürzte der gesamte römische Adel entgegen und konnte sich an den wunderlichen Menschen nicht sattsehen. Als man aber zum Apostelgrab kam, wurde der Eingang des Gotteshauses von einer riesigen Menge Leute versperrt, die ihre Stimme laut bis zum Himmel (E371) erhob, und der Herzog wurde mit allen Seinen vor der Säulenhalle des Gotteshauses begrüßt. Nachher wurde er vom gesamten Klerus in Anwesenheit des Papstes unter klangreichen Lobgesängen empfangen und nach der Anbetung der Apostel vom Papst an dessen Hof gastfreundlich beherbergt. Darauf wurde seine ganze Gefolgschaft zu verschiedenen Herbergen geleitet. Nach angenehmen Gesprächen und köstlichen Gastmählern schilderte er, vom Papst und der Versammlung aller Adligen gebeten, die Ilias seiner vielfältigen Strapazen, die viele in Tränen ausbrechen ließ. Endlich beklagte er sich bei ihnen über die Vertreibung aus dem von seinem Vater geerbten Reich durch den Kaiser, worüber sich der Papst und der ganze römische Adel heftig empörten. Der Papst sprach nun den Herzog - nach einer geheimen Beichte seiner Sünden - und seine Vertrauten in Anwesenheit der gesamten Geistlichkeit und des Senats von der Fessel des Banns frei, (E372), den sie sich aufgrund von Brandschatzung und Raub gegen den Kaiser zugezogen hatten. Nach diesem Beschluss betete er die Apostel und Reliquien von anderen Heiligen, die ebendort den Tag des Gerichts glücklich erwarten, inbrünstig an, empfing den päpstlichen Segen und machte sich mit seinen Gefährten eilig auf den Weg. Als darauf verschiedene Verbannte, die in ihre verschiedenen Heimatländer zurückkehren wollten, die Erlaubnis, wegzugehen, erhielten und er selbst und seine Freunde von Tag zu Tag näher gegen die Gebiete Deutschlands rückten, brach er eines Tages seufzend in folgende Worte aus: „Irgendwann glaubte ich, in fernen Ländern meiner Mühsal ein Ende gesetzt zu haben, aber siehe da, in meiner Heimat beginnt erst die Mühsal (E373) und herrscht Lebensgefahr. Einst teilte ich freilich denen, die darum baten, Unterkünfte zu, jetzt werde ich, ein armer Gast, als Flüchtling an unsicheren Stätten um Unterkünfte bitten. Schau, Gott, urteile über mich nach meiner Unschuld und hilf, dass ich vor den Augen des Kaisers irgendwie Milde finde und mich darüber hinaus am Anblick meiner Mutter, die bis jetzt wegen meiner Abwesenheit allzu sehr niedergeschlagen ist, sehr erfreuen kann.“ Als man endlich nach Deutschland kam - zufälligerweise zur Zeit der Geburt Christi -, wollte der Kaiser mit allen Fürsten des Reichs, die er zusammengerufen hatte, wegen des nahe bevorstehenden Festtags in Nürnberg feierlich einen Reichstag abhalten. Also ging der Herzog, nachdem er sich mit den Seinen beraten hatte, unter großer Lebensgefahr, wobei er seine Hoffnung auf seine Mutter richtete, nur mit Graf Wetzel, den er zu sich genommen hatte - alle 104 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch suam, ne in noticiam aliquorum deuenirent, oculuit. Circa vero tempus matutinum campanarum sonitu creberrimo vtriusque sexus fidelibus ad ecclesias gracia audiendi diuina sollempnia 283 se proripientibus dux comiti ait: ‘In manus Regis omnium regum vitam meam et tuam summopere dedens commendo. Si consulis, matrem meam imperatricem in ecclesia querere (Haupt 246) maturabo et, si Deus annuerit, inuenire, invente aduentum nostrum significabo.’ Hoc uerbum ut visum est sanum in oculis Wezilonis, dux se operto uultu, ne quis eum agnosceret, cum magno timore in ecclesiam proripuit. Ibi multos astare principes conspexit et similans se esse peregrinum varios basilice an (a: f. 119 v ) gulos quasi oraturus lustrauit. In quorum vno reginam prospectabat, que iam, ut postea retulit, pro filii sui incolumitate et presencia Christum Filium Dei (b: f. 18 vb ) et hominis puris precibus implorabat. 284 Ille igitur appropin- (E375) quans temperato ac disciplinato gressu ad eam ait: ‘O prenobilis et dilecta domina, ianuam misericordie tue pulso summopere deposcens, vt ad impetrandam imperatoris michi graciam pia precum tuarum instancia apud imperatorem interuenias. Scias nempe sine ambiguitatis scrupulo quod, si me ira truculenta imperatoris ad mortem absorbuerit, mors mea grauissimum cordi tuo dolorem importans generabit.’ Imperatrix illico faciei sue qualitatem subito aspectu denotans ait: ‘Ne timeas aut suspiceris, quod ab imperatore aliquid vite dispendium subeas. Quid enim dignum morte tua coram oculis regis commisisti, qui inueteratus et canutus appares? Cras pro te ad eum interpellabo; tu vero, que sit culpa tua, dicito. Vnde es? et quo pergis? Non aliquos rumores de quodam duce Bauarie Hernesto, qui mare transierit, animad (E376) uertisti? ’ Hiis dictis ille ‘Domina’ ait, ‘mater mea estis’. Illa subito oculis lacrimarum stilla repletis inquit: ‘Ai, quomodo adeo inueteratus et canus es? ’ Cui dux: ‘Aduenit properata malis inopina senectus, et labor etatem iussit inesse suam.’ 285 At illa: ‘Superestne comes fidelis tuus, adhuc uescitur aura? ’ Ad hec dux: ‘Vescitur annuente Deo’. Imperatrix mox propius accedere voluit. Cui filius ‘Sta’ inquit, ‘ne aditu tuo in noticiam hostium meorum exponar, quia tunc morte subita moriar. 286 Iam nunc abscedam, tu vero id consilii et auxilii impendito.’ Domina ultra modum stupida filio iussit: ‘Episcopus Babenbergensis 287 cras erit Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 105 anderen Gefährten hatte er auf dem Weg zurückgelassen -, heimlich während der Abenddämmerung in die erwähnte Stadt, und beide (E374) verhüllten ihr Gesicht, damit niemand sie erkennen konnte. Aber am Morgen, als beim fortgesetzten Glockenklang die Gläubigen beiderlei Geschlechts zu den Kirchen eilten, um das heilige Hochamt zu hören, sagte der Herzog zum Grafen: „In die Hände des Königs aller Könige lege und übergebe ich ganz und gar mein und dein Leben. Wenn du einverstanden bist, werde ich meine Mutter, die Kaiserin, in der Kirche schnell suchen und sie, wenn Gott zustimmt, finden; und wenn ich sie gefunden habe, werde ich ihr unsere Ankunft anzeigen.“ In den Augen Wetzels schien dieses Wort verständig zu sein, und so stürzte der Herzog mit bedecktem Gesicht, damit niemand ihn erkennen konnte, mit großer Furcht in die Kirche. Da sah er viele Fürsten stehen, und indem er so tat, als wäre er ein Pilger, musterte er die verschiedenen Winkel des Doms wie einer, der beten wollte. In einem von diesen erblickte er die Königin, die in diesem Augenblick, wie sie später berichtete, Christus, den Gottes- und Menschensohn, für das Wohlergehen ihres Sohnes und seine Anwesenheit mit reinen Gebeten anflehte. Jener näherte sich (E375) ihr also mit großer Zurückhaltung und sagte zu ihr: „O hochgeehrte und geliebte Herrin, ich klopfe an die Türe deiner Barmherzigkeit und fordere inständig, dass du dich mit der gnädigen Beharrlichkeit deiner Bitten beim Kaiser dafür verwendest, dass ich seine Gunst erlange. Wisse freilich, und darüber besteht kein Zweifel: Falls mich der grimmige Zorn des Kaisers in den Tod fortreißt, wird mein Tod deinem Herzen schwersten Schmerz zufügen.“ Die Kaiserin betrachtete sogleich den edlen Ausdruck seines Gesichts und sagte: „Fürchte oder argwöhne nicht, dass du vom Kaiser irgendein Übel für dein Leben erleiden sollst. Was hast du denn vor den Augen des Königs begangen, das den Tod verdienen würde, der du gealtert und ergraut dastehst? Morgen will ich mich für dich bei ihm verwenden; du aber sollst mir sagen, was deine Schuld ist. Woher bist du? Wohin gehst du? Hast du nicht irgendwelche Nachrichten eines gewissen Ernsts, des Herzogs von Bayern, der das Meer überquert hat, (E376) vernommen? “ Nach diesen Worten sagte jener: „Herrin, Ihr seid meine Mutter.“ Sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie sagte: „Ach, wie bist du so sehr gealtert und grau? “ Ihr sagte der Herzog: „Unvermutet kam, von Übeln beschleunigt, das Alter, und die Mühsal erklärte, dass seine Zeit nun da sei.“ Aber jene fragte: „Ist dein treuer Gefährte noch am Leben, gedeiht er? “ Darauf entgegnete der Herzog: „Ja, mit Gottes Zustimmung.“ Die Kaiserin wollte sofort näher zu ihm herantreten. Da sagte zu ihr der Sohn: „Bleib stehen, denn wenn du mir näherkommst, könnten meine Feinde auf mich aufmerksam werden: Dann müsste ich den sofortigen Tod erleiden. Jetzt gleich werde ich mich zu- 106 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch celebraturus missarum sollempnia. Hunc tuum consanguineum et alios proceres linea consanguinitatis asstrictos ego pro te inter (E377) (Haupt 247) pellabo. Tu vero recitato ewangelio post episcopi (b: f. 19 ra ) benedictionem pedibus aduolutus regis graciam suam sola uoce suplicissima (a: f. 120 r ) deposcito. Nec uultum tuum aliqua racione detegito, alioquin vita priuaberis. Tunc ego et episcopus cum aliis regni optimatibus iram regis circa te extinguere temptabimus.’ At ille: inter spem curamque, timores inter et iras omnem credo diem michi diluxisse supremum.’ 288 (E378) Mox mater episcopum et omnem alium procerum fili sui consanguineum pro causa ducis interpellauit et quilibet auxilium firmissime promisit. Dux vero fideli suo Weziloni matris consilium patefecit, quod ille satis probauit. Aurora 289 iam itaque spargente polum dux cum comite ad ecclesiam timidus et Deo deuotus properat. Quem solum in basilicam intrare sinens ipse parato ad manus gladio post ualuas latitat ut, si dominum suum captiuitatis uel alicuius alterius necessitatis incommodo uallatum senciat, prosiliat et imperatorem sine misericordia interficiat. Interea imperator regalibus vestibus sollempniter, ut mos est imperatorum in summis festiuitatibus, indutus coronam regni gestans in capite missarum sollempnia auditurus multa procerum stipatus ambicione procedit et in choro super solium regni conscendit. Interim tota basilica turbis procerum et quorumlibet hominum referta, venit in templum imperatrix regiis quoque indumentis perornata, pallio (E379) marderino circumdata. Hoc uero pallium purpura, sauana coopertum fuisse, sed fibula eius aurea lapidibus Indie rarissimis et preciosis insutis prefulgora cum suis affibulariis de auro mundissimo contextis totam basilicam solis radiis repercussis luminosam ad tempus fertur fecisse. Hec tandem matronarum comitante caterua in chorum quoque ipsa ab omnibus propter forme et virtutum eleganciam satis lau (b: f. 19 rb ) data procedit et ipsa super solium innixa consedit. Cuius pulchritudinem imperator considerans et in ea satis delectans quasi iocando ait: ‘Domina Adelhaida, numquam uos adeo perornatam hactenus presencie mee exhibuistis. (a: f. 120 v ) Decetero vero placet, ut semper adeo (Haupt 248) decentissimam coram me vos offerre studeatis.’ At Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 107 rückziehen, du aber sollst dich um den hilfreichen Plan kümmern.“ Die Herrin war maßlos benommen und erklärte dem Sohn: „Der Bischof von Bamberg wird morgen das Hochamt feiern. Bei diesem deinem Verwandten und anderen durch die Linie der Blutsverwandtschaft mit dir verbundenen Adligen werde ich mich für dich (E377) verwenden. Du aber wirf dich nach der Lesung des Evangeliums und dem Segen des Bischofs vor die Füße des Kaisers und mit demütig bittender Stimme allein flehe um seine Gunst. Und du sollst dein Antlitz auf keinen Fall enthüllen, sonst wirst du dein Leben einbüßen. Dann werden ich und der Bischof mit anderen Großen des Reichs versuchen, den Zorn des Königs gegen dich zu tilgen.“ Jener aber sagte: „Zwischen Hoffen und Bangen, Ängsten und Ärgernissen halte ich jeden Tag, der angebrochen ist, für den letzten.“ (E378) Sogleich verwandte sich seine Mutter beim Bischof und jedem anderen mit ihrem Sohn blutsverwandten Adligen für die Sache des Herzogs, und ein jeder versprach fest seine Hilfe. Der Herzog aber eröffnete seinem Getreuen Wetzel den Plan seiner Mutter, mit dem dieser sehr einverstanden war. Und so eilte, als Aurora schon den Himmel bestrahlte, der Herzog mit dem Grafen voller Furcht und gottergeben zur Kirche. Ihn ließ der Graf allein den Dom betreten und hielt sich, das Schwert zur Hand, hinter den Türflügeln versteckt, um, falls er merken sollte, dass seinem Herrn Gefangenschaft oder irgendein anderes Verhängnis drohte, hervorzuspringen und den Kaiser ohne Mitleid zu töten. Unterdessen schritt der Kaiser in königlichen Gewändern feierlich, wie es bei Hochfesten Brauch der Kaiser ist, mit der Reichskrone auf dem Haupt, dicht umgeben von einem großen Gefolge der Adligen, voran, um das Hochamt zu hören, und bestieg im Chor den Reichsthron. Inzwischen war der ganze Dom voll von Scharen der Adligen und beliebiger Menschen, und ins Gotteshaus kam die Kaiserin, auch sie geschmückt mit königlichen Gewändern und umhüllt von einem Mantel (E379) aus Marderpelz. Dieser Mantel war, wie es heißt, mit Linnen aus Purpur bedeckt, aber seine Spange aus Gold, die hell leuchtete von äußerst seltenen und kostbaren eingenähten Steinen aus Indien, ließ mit ihren aus reinstem Gold gewebten Fransen, welche die Strahlen der Sonne widerspiegelten, für den Augenblick den ganzen Dom hell erstrahlen. Schließlich schritt sie selbst, begleitet von einer Schar Damen, auch in den Chor voran, von allen wegen ihres eleganten Auftretens und ihrer Tugenden sehr gelobt, setzte sich auf den Thron, an den sie sich lehnte. Der Kaiser betrachtete ihre Schönheit, erfreute sich an ihr und sagte wie zum Spaß: „Herrin Adelheid, bisher habt Ihr Euch niemals 108 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch illa: ‘Domine, parata sum per omnia morem gerere preceptis vestre maiestatis, sed Rex eterne glorie (E380) inspiret menti vestre morem gerere desideriis mee non inceste et inepte voluntatis.’ Tunc episcopus Babenbergensis uestimentis sacris sollempnitatem preciositate significantibus amictus missarum sollempnia populo quoque oracionum cooperaciones inchoante inchoat 290 , euangelium dulcisona voce in propria persona recitat. Deinde sermonem exhortacionis prouulgat inter multa hec adiciens: ‘Omnis uirtus sine caritate nomen et rem sui ipsius (E381) amittit, quia sine radice caritatis non est virtus. Omnis nempe alia virtus suadetur, ista precipitur, sine qua impossibile est uidere Deum aut ei placere quempiam. Expurget ergo hodie omnis homo vetus fermentum 291 cuiuslibet peccati et precipue expuat venenum inueterate ire, id est odii. Qui enim, sicut ait Boanerges 292 , id est filius tonitrui, scilicet Iohannes, altisonus euangelii preco, odit fratrem suum, homicida est. Dimittat ergo debitori suo Conchristiano Christianus debita debitoris, si quis debitor aliqua debita debet, vt Deus, cuius omnes debitores sumus, debita illius, cui debetur, dimittat.’ 293 (ç) Inter hec verba dux Hernestus cappa grisea indutus prodiit, et populo astante propter impetum subite progressionis post ducem prospectante genibus imperatoris prouolutus ante pedes procidit et (E382) tecto per uestes uultu, ne quis eum agnosceret, (b: f. 19 va ) suplex flebili voce clamitauit: ‘O imperator admodum nobilis, pro honore temporalis natalitii Summi Imperatoris recipe me in graciam tue maiestatis. Sunt enim offensi michi sine culpa oculi tue serenitatis.’ Ilico proceres quaquauersum accurrunt, et tam illi, quibus causa hec incognita, quam et illi, quibus nota fuerat, vnanimi vo- (a: f. 121 r ) ciferacione, ut prouolutum leuaret, imperatori Ottoni suggerunt. Hiis imperator voce temperata et sub habitudine uultus satis disciplinata respondit: ‘Nolo, mei proceres, vt tam subito et improuiso michi subleuacionem huius a terra suadeatis, quia nescio causam offense huius circa culmen lese imperatorie maiestatis.’ Mox imperatrix: ‘Mi domine, offensam siqua est circa istum hodie pro hodierne sollempni (Haupt 249) tatis honore clementer ignoscens (E383) remitte, vt imperatorum omnium Imperator, in cuius natiuitatis annua reuolucione hodie in vniuersa ecclesia sollempnisatur, suam siqua est circa te offensam remittat.’ 294 Imperator imperatricis precibus sine mora obtemperauit et nesciens, quis esset, de terra prostratum surgere imperauit. Osculum ergo pacis ei libans subito, quis esset, in Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 109 meiner Gegenwart in solchem Schmuck gezeigt. Im Übrigen aber gefällt es mir, dass Ihr Euch immer bemüht, Euch vor mir so anmutig zu zeigen.“ Jene aber sagte: „Herr, ich bin bereit, in allem den Vorschriften Eurer Majestät zu Willen zu sein, aber der König des ewigen Ruhms (E380) mag Eurem Sinn eingeben, den Wünschen meines gar züchtigen und höchst schicklichen Verlangens zu Willen zu sein.“ Dann begann der Bischof von Bamberg in heiligen Gewändern, die mit ihrer Kostbarkeit auf das Hochfest hinweisen, die feierliche Messe, wobei auch das Volk anfing, bei den Gebeten mitzuwirken, und las in eigener Person mit wohltönender Stimme das Evangelium. Darauf hielt er seine Predigt und fügte unter vielem anderem Folgendes hinzu: „Jede Tugend ohne Liebe verliert den Namen und das Wesen ihrer selbst, (E381) denn ohne die Wurzel der Liebe gibt es keine Tugend. Freilich wird jede andere Tugend empfohlen, diese aber wird vorgeschrieben, ohne die es unmöglich ist, dass einer Gott sehen oder ihm gefallen kann. Es soll also heute ein jeder Mensch den alten Sauerteig jeder beliebigen Sünde wegschaffen und besonders das Gift alt gewordenen Zorns, das heißt, des Hasses, ausspucken. Denn, wer - so sagt es Boanerges, das ist der Sohn des Donners, nämlich Johannes, der erhabene Verkünder des Evangeliums - seinen Bruder hasst, ist ein Mörder. Es soll also der Christ dem Mitchristen, seinem Schuldner, die Schuld des Schuldners, wenn ein Schuldner irgendwelche Schulden schuldet, erlassen, damit Gott, in dessen Schuld wir alle stehen, die Schulden jenes, dem geschuldet wird, erlässt.“ Während dieser Worte erschien Herzog Ernst, in einen grauen Mantel gehüllt, und während das Volk, das dabei stand, wegen des plötzlichen, ungestümen Vordringens zum Herzog blickte, fiel er vor dem Kaiser nieder auf die Knie und (E382) sagte demütig flehend mit weinerlicher Stimme, wobei er das Antlitz mit seinem Gewand bedeckt hielt, damit ihn niemand erkennen konnte: „O hochedler Herrscher, zu Ehren des irdischen Geburtstags des höchsten Herrschers, nimm mich wieder in die Gunst Deiner Majestät auf. Die Augen deiner Hoheit sind mir nämlich ohne Schuld ungnädig.“ Auf der Stelle eilten die Vornehmen von überallher herbei, und sowohl jene, die von dieser Angelegenheit nichts wussten, als auch jene, die eingeweiht waren, riefen Kaiser Otto einmütig mit lauter Stimme zu, er solle den vor ihm Liegenden aufstehen lassen. Diesen antwortete der Kaiser mit gemessener Stimme und sehr beherrschtem Blick: „Ich will nicht, meine Vornehmen, dass ihr mir sofort und unversehens dazu ratet, diesen vom Boden aufzuheben; denn ich kenne den Grund meiner Ungnade ihm gegenüber, was den Punkt der Verletzung der kaiserlichen Majestät betrifft, nicht.“ Sofort sagte die Kaiserin: „Mein Herr, verzeih gnädig und verzichte heute auf deine Ungnade, wenn es denn eine gibt gegenüber diesem Mann hier, um der Ehre der heutigen Feierlichkeit willen, (E383) damit der Herrscher aller 110 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch facie denotauit, et ob hoc iracundie stimulus eum inflammauit. 295 Quam inflammacionem rubor subito uultui eius innatus, qua ducem torue et mente obliqua inspexit, significauit. Tunc asstancium multitudo procerum imperatori ait: ‘O domine, domine, venia offense, quecumque et quantacumque est circa (E384) hunc debitorem pro omnium dominorum Dominatore per te iniciata, irretractabilis est, ÿmmo per omnia regni tocius honore sanctiendam esse decernimus et decernendo summopere vnanimiter deposcimus.’ 296 (b: f. 19 vb ) Quibus interim disciplinata uoce et facie imperator: ‘Ex quo huius venie sentencia animis sedet vestris, et meo quoque volo ut sedeat.’ Confluente itaque ad locum placacionis imperialis primatum et uulgi tocius multitudine imperator, vbi esset comes Wezilo, ducem percunctatus est. Cui dux: ‘Mi domine, ille deprope est.’ Mox imperatore eum per ducem adduci mandante dux valde formidantem de vite periculo adduxit et imperatori presentauit. Quem presentatum imperator benigne salutauit et inquit: ‘Huius (E385) modi salutem, quod sub gracie mee tenore vos reg (a: f. 121 v ) ni offensores recepi, celestis Imperator vobis contulit, quia nisi ipse, cuius hodie annua deuocione natalicia serui hominum colimus, Christus inspirasset, ad exterminium vite vestre et honoris vestri defixa sentencia omnimodis insudarem.’ 297 Ex hiis hÿlaratus verbis comes Wezilo timorem de uite periculo prius conceptum deposuit, quem imperatrix manu propria tenuit. Huic postquam imperator osculum 298 pacis dedit, regina quoque ipsum osculata fuit, ad quod factum tota tocius conuentus multitudo intenta pependit. 299 Continuo pro iussu imperatoris preciosissimis uestibus imperatoriam magnificenciam decentibus induti perornantur, et ab omnibus inibi astantibus, dum missarum sollempnia peragebantur, gestus (Haupt 250) duorum illorum specialiter denotantur. Post missarum tandem celebracionem et a domino episcopo datam benedicionem populo et procerum multitudine de basilica Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 111 Herrscher, dessen Geburt in der jährlichen Wiederkehr heute in jeder Kirche gefeiert wird, auf seine Ungnade, wenn es denn eine dir gegenüber gibt, verzichtet.“ Ohne zu zögern, kam der Kaiser der Bitte der Kaiserin nach, und obwohl er nicht wusste, wer es war, befahl er dem Daliegenden, sich vom Boden zu erheben. Als er ihm also den Friedenskuss gab, erkannte er plötzlich am Gesicht, wer er war, und deswegen erregte ihn der Stachel des Zorns. Röte, die plötzlich sein Antlitz überzog, zeigte diese Erregung, mit der er den Herzog finster und grimmig ansah. Da sagte die Menge der dabeistehenden Vornehmen dem Kaiser: „O Herr, Herr, du kannst den Akt der Vergebung für die Freveltat, den du - in welchem Umfang auch immer (E384) gegenüber diesem Schuldner - um des Beherrschers aller Herren willen begonnen hast, nicht rückgängig machen, vielmehr beschließen wir, er sei in allen Punkten zu Ehren des ganzen Reichs zu bekräftigen, und mit diesem Beschluss fordern wir dies nachdrücklich in Einmütigkeit.“ Diesen antwortete der Kaiser mit inzwischen wieder beherrschter Stimme und ebensolchem Gesichtsausdruck: „Weil die Meinung, diesem zu vergeben, in euren Herzen sitzt, will ich, dass sie auch in meinem sitzt.“ Als daher die Menge der Vornehmen und des ganzen Volkes zum Ort der kaiserlichen Versöhnung zusammenströmte, fragte der Kaiser den Herzog, wo Graf Wetzel sei. Ihm antwortete der Herzog: „Mein Herr, jener ist ganz in der Nähe.“ Sofort ließ ihn der Kaiser durch den Herzog herbeiführen; dieser holte ihn, der Angst hatte, sein Leben sei in Gefahr, und führte ihn vor den Kaiser. Ihn begrüßte der Kaiser freundlich und sagte: (E385) „Die Rettung von der Art, dass ich euch, Frevler am Reich, wieder in meine dauerhafte Huld aufgenommen habe, verleiht euch der himmlische Herrscher: Denn wenn nicht Christus selbst, dessen Geburtstag zu Diensten der Menschen wir heute feiern, es eingegeben hätte, würde ich die Tilgung eures Lebens und eurer Ehre mit unabänderlicher Entscheidung auf jede Art und Weise eifrig betreiben.“ Froh über diese Worte legte Graf Wetzel die Furcht um sein Leben, von der er vorher ergriffen worden war, ab, und die Kaiserin reichte ihm ihre Hand. Nachdem der Kaiser ihm den Friedenskuss gegeben hatte, küsste ihn auch die Königin, und die ganze Menge aller Anwesenden verfolgte dieses Ereignis aufmerksam. Unmittelbar darauf wurden sie auf Befehl des Kaisers mit kostbaren Gewändern, die sich für die kaiserliche Hoheit ziemen, geschmückt, und solange das Hochamt gefeiert wurde, achteten alle, die dort dabeistanden, besonders auf das Verhalten jener beiden. Endlich, nach der Feier der Messe und dem vom Herrn Bischof gespendeten Segen, gingen das Volk und die Menge der Vornehmen aus dem Dom; Graf Wetzel 112 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch exeunte comes Wezilo dominam suam imperatricem Adelhaidam manu (b: f. 20 ra ) tenens eduxit et ad locum preparacionis mensarum perduxit. (ç) Nec mora dux Hernestus pro adducendis miraculosis suis hominibus legatum strennuum transmittebat, et cum adducti fuissent, in giro magnus dominus imperator cum imperatrice et optimatibus suis forte considebat. Visis vero huiusmodi monstris omnis residens mensas remouebat ferculorumque et poculorum delicias (E386) pre amore et stupore videndi talia monstra miraculosa fastidiebat, ymmo tam mense quam scamma a multitudine magis et magis confluente fine videndi miraculosos homines occupabantur nec illorum visione saciebantur. Dux vero bicubite stature homullulos ante se in mensa locauit. 300 Deinde inmensum Gigantem ad se uocauit. Postmodum Pannothij indigene Scithici venere, qui pro aurium tam diffusa magnitudine, ut omne corpus suum ex eis contegant, omnibus astantibus stuporem cum ammiracione incussere. Nec ad minus miraculum, (a: f. 122 r ) idem miraculum concitantur, postquam Arimaspos duos homines, quorum vterque in singula fronte vnum tantum oculum habuit, adentes cum Mauris duobus eciam adentibus contuebantur. Dux igitur Hernestus in ore cunc- (E387) torum ad sydera in eius laude clamorem tollentium resonabat, qui lapidem Vnionem 301 maximo partum labore, ut in longa retro serie elucubratum est, imperatori donabat. Huic eciam et suis iuxta eorum frequentem peticionem omnes suas et suorum necessitates et tribulacionum Yliadem labo (b: f. 20 rb ) riosam rememorabat. Vnde dominus imperator sex 302 diebus in iudiciali consistorio cum suis tam primatum quam ministerialium suorum choris consedit et rem et ordinem talis Yliadis probate per singula indicia, scilicet monstruosos homines, quos in diuersis acquisierat locis, per prothonotarios suos ex ore ducis scriptis mandari precepit. 303 Frequenti eciam rogatu imperatoris quamuis inuitus duos Arimaspi- (E388) cos homines, quorum vterque vnum tantum in fronte oculum habuit, (Haupt 251) donauit. 304 Cui imperator ait: ‘Nunc remoto omni et singulo dubietatis scrupulo compertum habeo, dulcissime iuuenis, me sine iusticie racione te hucusque inquietasse et tue dicioni hereditario iure subiciendo tam Austrie quam Bauarie regno priuasse. In presencia itaque omnium principum et ministerialium regni omnia tua irracionabiliter in fiscum regium publicando usurpata ex integro resigno et tue dominacioni restituo teque in (E389) vice filii carnalis ammodo amaturus et per omnia honorando exaltaturus ero, miles strennuissime. 305 Esto eciam in regno meo post me et matrem tuam secundus et tocius curie mee dominator et ad gubernandum regnum Christianorum fidelis cooperator.’ Dux pro hiis ingentibus beneficiis ingentes graciarum domino imperatori agens cum matre imperatrice et vniuersa curia actiones, omnia sua repossedit et in omnibus se filium imperatori paterne diligenti exhibuit. (a: f. 122 v ) Hunc rerum ducis prosperum statum Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 113 führte seine Herrin, die Kaiserin Adelheid, an der Hand hinaus und geleitete sie zum Platz, wo die Speisen vorbereitet waren. Unverzüglich schickte Herzog Ernst einen tüchtigen Boten, um seine Wundermenschen zu holen, und als sie hergebracht waren, setzte sich der große Herr und Kaiser gemeinsam mit der Kaiserin und seinen Edelleuten wie von ungefähr im Kreis. Als sie aber die derartigen Fabelwesen sahen, schob ein jeder, der saß, die Tische weg und wies die köstlichen Gerichte und Getränke (E386) vor dem staunenden Verlangen, solche Wunderwesen zu sehen, zurück, ja Tische wie Schemel wurden von der Menge, die mehr und mehr zusammenströmte, um die wunderlichen Menschen zu sehen, besetzt, und sie konnten sich an jenen nicht satt sehen. Der Herzog aber stellte die zwei Ellen hohen Zwerglein vor sich auf den Tisch. Darauf rief er den gewaltigen Giganten zu sich. Bald darauf kamen die Langohren, skythische Eingeborene, die wegen ihrer Ohren, die so groß waren, dass sie mit ihnen ihren ganzen Körper bedeckten, bei allen Anwesenden Staunen und Bewunderung verursachten. Und nicht weniger, sondern ebensolches Erstaunen wurde bei ihnen geweckt, als sie die zwei Männer aus Arimaspi, von denen jeder auf der Stirn nur ein einziges Auge hatte, zusammen mit den zwei Mohren erblickten, die auch da waren. Also ertönte Herzog Ernst im Mund (E387) aller, die zu seinem Lobe laute Rufe zum Himmel erhoben; dieser aber schenkte den „Waisen“, den Stein, den er unter höchster Anstrengung gewonnen hatte, wie in der langen Schilderung seiner Erlebnisse ans Licht kam, dem Kaiser. Auch erzählte er diesem und dessen Leuten auf ihr stetes Drängen hin alle seine und der Seinen Bedrängnisse und die mühselige Ilias ihrer Leiden. Von da an saß der Herr und Kaiser sechs Tage im Gerichtssaal mit den Reihen seiner Fürsten sowie seiner Dienstleute und ließ das Ereignis und die richtige Reihenfolge dieser Ilias, die durch einzelne Beweismittel bezeugt wurde - nämlich durch die wunderlichen Menschen, die der Herzog an verschiedenen Orten erworben hatte -, durch seine Ersten Schreiber aus dem Mund des Herzogs schriftlich festhalten. Auch schenkte der Herzog dem Kaiser auf sein häufiges Bitten hin, wenn auch ungern, die zwei Männer aus Arimaspi, (E388) die beide auf der Stirn nur ein Auge hatten. Ihm sagte der Kaiser: „Jetzt ist jeder einzelne Zweifel aus der Welt geschafft, und ich sehe ein, liebster Mann, dass ich dich ohne Rechtsgrund bis heute behelligt und der Herrschaft sowohl über Österreich als auch Bayern, die dir nach väterlichem Erbrecht hätten untertan sein sollen, beraubt habe. Deshalb gebe ich dir in Anwesenheit aller Fürsten und Dienstleute des Reichs alle deine Güter, die unberechtigterweise durch Beschlagnahmung in königliches Eigentum übergegangen sind, zurück, setze dich wieder vollständig in deine Herrschaft ein und will dich (E389) anstelle eines leiblichen Sohnes lieben und in allem durch Ehrerbietung erhöhen, du vorzüg- 114 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch ex nimis aduerso transuariatum, ut conici potest, Deus, qui est in sanctis suis mirabilis, per merita Sancte Adelhaidis imperatricis, sicut et alia miracula per eam (b: f. 20 va ) operatus est, effecisse credendus est. (E390) (ç) Miraculorum uero horum quedam sunt talia: Sancta Adelhaida dum construeret basilicam in Selsa ad similitudinem basilice Ierosolimitane, carpentarius trabes basilice illi necessarias nimis curtauerat. 306 Vnde ille metuens de uite periculo a regine ministerialibus exulare proposuerat. Verumptamen ille presummens de pietate domine Adelhaidis desipienciam suam in curtacione trabium et exulacionis ob hoc propositum confitebatur. Quem illa, vt erat plena misericordie, misericorditer consolabatur et, ne ob confessam desipienciam exularet, ymmo ut aliqua die, quando omnes arbitros in basilica illa semotos videret, sibi regine loqueretur, hortabatur. Vnde ille exhilaratus quadam die remotis omnibus arbitris aduocauit per se in basilicam imperatricem. Im- (E391) peratrix ergo dum ex vna parte trabem vnamquamque manibus propriis teneret, carpentarius quoque, quamuis primitus verba regine iubentis trahere delira esse putauerat, traxit et per Dei (Haupt 252) potenciam sufficienter protelauit. Item eadem Adelhaide pomum porrigente claudo cuidam in domo sua latenti ille claudus factus sospes resiliit et gressum recepit. 307 Ipsa illa imperatrix pro nimia humilitate micas regalis mense clanculo comedere solebat. 308 Huius factum peruersis quidem in contrarium peruertentibus et imperatori referentibus imperator quadam die in tali facto eam deprehendens Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 115 licher Soldat. Auch in meinem Reich sollst du nach mir und deiner Mutter der Zweite sein, Beherrscher meines ganzen Hofes und treuer Mitarbeiter bei der Lenkung des Reichs der Christen.“ Für diese gewaltigen Wohltaten sprach der Herzog dem Herrn und Kaiser mit seiner Mutter, der Kaiserin, und dem gesamten Hof seinen größten Dank aus, nahm alle seine Güter wieder in Besitz und erwies sich in allem dem Kaiser gegenüber, der ihn väterlich liebte, als Sohn. Man muss glauben, dass Gott - der an seinen heiligen Stätten wunderbar ist - durch die Verdienste der Heiligen Adelheid, der Kaiserin, diesen Wandel der Verhältnisse des Herzogs von einem allzu widrigen in einen günstigen Zustand entstehen ließ, so, wie er auch andere Wunder durch sie bewirkt hat. (E390) Einige dieser Wunder sind die folgenden: Während die Heilige Adelheid in Selz den Dom nach dem Vorbild des Doms in Jerusalem errichten ließ, hatte ein Zimmermann die Balken, die für jenen Dom nötig waren, allzu sehr verkürzt. Deshalb fürchtete jener von Seiten der Dienstleute der Königin um sein Leben und hatte sich vorgenommen, in der Verbannung zu leben. Aber trotzdem hoffte er auf die Frömmigkeit der Herrin Adelheid, gestand seine unsinnige Tat beim Verkürzen der Balken und schlug ihr deswegen seine Verbannung vor. Jene tröstete ihn, da sie voller Mitleid war, in ihrer Barmherzigkeit und ermunterte ihn, nicht wegen der gebeichteten unsinnigen Tat in der Verbannung zu leben, vielmehr an irgendeinem Tag, an dem er sehe, dass es in jenem Dom keine Zeugen gäbe, für sich zur Königin zu sprechen. Darüber freute sich jener und an einem bestimmten Tag, als keine Zeugen da waren, rief er die Kaiserin um seinetwillen in den Dom. (E391) Während die Kaiserin einen jeden Balken an einer Seite mit eigenen Händen hielt, zog auch der Zimmermann daran, obwohl er anfänglich geglaubt hatte, die Worte der Königin, die ihn daran zu ziehen hieß, seien unsinnig; und durch Gottes Macht verlängerte er die Balken hinreichend. Ferner reichte dieselbe Adelheid einem Lahmen, der sich in ihrem Palast versteckte, eine Frucht: Da sprang jener Lahme gesund auf und konnte wieder gehen. Gerade jene Kaiserin pflegte aus allzu großer Demut die Krümchen vom königlichen Tisch heimlich aufzuessen. Als jedoch bösartige Menschen ihr Tun als etwas, was sich nicht gehört, verdrehten und es dem Kaiser berichteten, sagte der Kaiser eines Tages, als er sie bei solchem Tun ertappte, empört: „Was hast 116 Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch indignanter aÿebat: ‘Quid habes in manu? ’ At illa: ‘Margaritas domine’, 309 et aperta manu reperte sunt marga (b: f. 20 vb ) rite de micis translate. (E392) Imperator sepenumero memoratus pro eo, vt dominam suam Adelhaidam diligeret - idem diligere deberet - detrahens quadam die verbere afficere ipsam voluit. 310 Vnde cum illa pro iussis imperatoris pallium extra (a: f. 123 r ) heret et per radium solis proicere ad terram vellet, radius solis illud ad sustentaculi similitudinem sustentauit, quo viso imperator deposita feritate ipsam adorauit. Iuxta hunc eciam hec residens per Spiritus Sancti reuelacionem basilicam, quam consanguineus suus construere iniciauerat Augusta, ruere animaduertit et subito alto singultu ingemuit. 311 Causam (E393) huius gemitus cum illa iuxta frequentem regis scissitacionem ruinam basilice in Augusta ciuitate referret, imperator diem et horam ruine relate scripto denotauit, et per strennuum legatum Augustam transmissum eadem die et hora, qua Augusta imperatrix ruinam basilice prodiderat, ita contigisse rerum euentu edidicit. Vnde post in magna eam veneracione tam ipse rex quam sui habuisse feruntur. Multa huiusmodi Dei per istam suam famulam operantis miracula in medium iacere vellemus et ex rerum vera et affluenti experiencia valeremus, sed causa vitande prolixitatis, que est mater fastidii, hec supersedemus. Horam clamidi, id est finem opusculo, huic texentes tam virtutum quam premiorum beate Adelhaidis largitorem omnes et singuli deprecemur, vt meritis eius ipsius regine Adelhaidis et aliorum suorum omnium electorum donet nobis vtriusque vite salutem, cuius (b: f. 21 ra ) Trini in personis et Vnius in substancia eternam credimus per secula seculorum essentiam et virtutem. Amen. Herzog Ernst C: Text lateinisch - deutsch 117 du in der Hand? “ Sie aber antwortete: „Perlen, Herr“, öffnete die Hand, und es fanden sich darin aus den Krümchen verwandelte Perlen. (E392) Oftmals dachte der Kaiser daran, wie er seine Herrin liebe - ja lieben müsse -, erniedrigte sie eines Tages und wollte sie schlagen. Als jene infolgedessen auf Befehl des Kaisers ihren Mantel auszog und ihn durch einen Sonnenstrahl hindurch auf den Boden werfen wollte, hielt ihn jener Sonnenstrahl wie eine Stütze auf; als das der Kaiser sah, legte er seine Wildheit ab und huldigte ihr. Zudem, als sie neben ihm saß, spürte sie durch die Offenbarung des Heiligen Geistes, dass der Dom, den ihr Verwandter in Augsburg zu bauen begonnen hatte, einstürzte und gab sofort einen tiefen Seufzer von sich. (E393) Der König fragte sie mehrmals nach dem Grund dieses Seufzers; als sie ihm nun vom Einsturz des Doms in Augsburg berichtete, schrieb der Kaiser Tag und Stunde des berichteten Einsturzes auf, schickte einen tüchtigen Gesandten nach Augsburg und erfuhr von ihm, dass am selben Tag und zur selben Stunde, wie die Kaiserin ihm den Einsturz des Doms in Augsburg entdeckt hatte, dies tatsächlich so geschehen sei. Deshalb sollen sie später sowohl der König selbst als auch die Seinen sehr verehrt haben. Wir wollten noch viele Wunder dieser Art, die Gott durch diese seine Dienerin wirkte, vorlegen und wir wären dazu aufgrund der wahren und reichlichen Kenntnis der Geschehnisse imstande, aber um Weitschweifigkeit, welche die Mutter der Langeweile ist, zu vermeiden, unterlassen wir das. Wir weben den Zipfel für den Mantel, das heißt: Wir kommen zum Ende dieses Werkchens. Lasst uns - wir alle und jeder einzelne - den Spender der Tugenden wie auch der Belohnungen der seligen Adelheid bitten, dass er uns aufgrund der Verdienste der Königin Adelheid selbst und aller anderen seiner Auserwählten das Heil beider Leben schenke, an dessen ewige Wesenheit und Tatkraft in drei Personen und einem Wesen wir immerdar glauben. Amen. Nachwort Der in verschiedenen mittelhochdeutschen und lateinischen Versionen tradierte Erzählstoff von Herzog Ernst verbindet Elemente der deutschen Reichsgeschichte mit Motiven des Kreuzzugsgeschehens. Der Held erlebt nach der Vertreibung aus seinem Sozialkontext eine als Irrfahrt gestaltete Abenteuerreise im Orient, bewährt sich in der Fremde und wird nach erfolgtem Läuterungsprozess zu Hause wieder aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass sich die Geschichte dieses Helden bei den mittelalterlichen Dichtern einiger Beliebtheit erfreute, hat der Stoff doch immer wieder neue Bearbeiter gefunden. Der grobe Handlungsgang lässt sich entsprechend wie folgt skizzieren: Herzog Ernst, dessen verwitwete Mutter Adelheid Kaiser Otto geheiratet hat, ist bei diesem von dessen Neffen, dem Pfalzgrafen Heinrich, aus Eifersucht verleumdet worden. Der Kaiser lässt Ernsts Gebiete mit Krieg überziehen, worauf der Herzog zusammen mit seinem Gefährten Graf Wetzel bei einem Attentat den diffamierenden Rivalen tötet, während Otto nur knapp entkommt. Vom Kaiser geächtet, beschließt Ernst, einen Kreuzzug ins Heilige Land zu unternehmen, um Buße zu tun. Er gelangt auf dem Landweg nach Konstantinopel, wo er freundlich empfangen wird, besteigt darauf Schiffe mit dem Ziel, Jerusalem zu erreichen. Ein gewaltiger Sturm verschlägt den bayerischen Herzog und seine Begleiter zuerst ins Land der Grippianer bzw. von Agrippa, wo Menschen mit Kranichköpfen leben, dann an den Magnetberg. Von dort retten sich die verbliebenen Kameraden, indem sie sich von Greifvögeln wegtragen lassen. Sie gelangen ins Land der Arimaspi, dessen Bewohner einäugige, als Zyklopen bezeichnete Menschen sind, die höfische Sitten pflegen. Ernst bekommt vom dortigen König ein Lehen und kämpft gegen allerlei seltsame Völker wie die Platthufe, die Langohren, die kleinwüchsigen Pigmei und die Riesen aus Kanaan. Nach sechs Jahren lässt sich der Herzog von Kaufleuten mitnehmen, steht darauf dem christlichen Herrscher des sogenannten Mohrenlandes gegen den Heidenkönig aus Babylon bei und gelangt endlich nach Jerusalem. Deutsche Pilger stellen den Kontakt zum Kaiser her, so dass Ernst wieder in seine Heimat zurückkehrt und sich schließlich mit seinem Stiefvater versöhnt. Wie der kurze inhaltliche Abriss verdeutlicht, unterliegt die Geschichte von Herzog Ernst einer klaren Zweiteilung, indem einerseits das Reichsgeschehen und die entsprechenden hiesigen Verwicklungen, andererseits die heterogenen 120 Nachwort Ereignisse im Orient berichtet werden. Die stoffliche Zugehörigkeit scheint von daher eine doppelte zu sein: Sowohl die Ereignisse im deutsch-römischen Imperium als auch die sich im Osten zutragenden Handlungsfolgen werden ausgestellt und letzten Endes zueinander in ein Verhältnis gesetzt. Welches Gewicht sie in Relation zueinander allerdings bekommen, dies lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern hängt von der einzelnen Bearbeitung ab und differiert im Einzelfall durchaus. Allein was die stoffliche Herkunft der im Rahmen der deutschen Reichsgeschichte berichteten Erzählungen angeht, vermischen die diversen Werke verschiedene Ereignisse, wobei mehrere historische Konstellationen im Hintergrund stehen. Zu nennen ist hier zum einen der Aufstand von Ernst II., Herzog von Schwaben, der sich im Jahr 1026 gegen seinen Stiefvater, Kaiser Konrad II., wandte und gemeinsam mit seinem Vasallen, Graf Werner von Kyburg, 1030 im Kampf getötet wurde. Zum anderen ist Liudolf, ebenfalls Herzog von Schwaben, für die Geschichte zu erwähnen, der bereits einige Dekaden früher gelebt hat: Er richtete sich 953 in rebellischem Kampf gegen den eigenen Vater, Kaiser Otto I., bei dem Heinrich von Bayern, Liudolfs Onkel, eine wesentliche Rolle spielte, ebenso wie die verwitwete Adelheid von Burgund, die Kaiser Otto heiratete und damit zur Stiefmutter Liudolfs wurde. Als thematische Grundlage der Herzog Ernst-Bearbeitungen sind also zwei historische Empörergeschichten mit Vater-Stiefsohnbzw. Vater-Sohn-Konflikten auszumachen, bei denen weitere Handlungsträger involviert sind, die als Namensgeber für die Figuren der literarischen Versionen dienten. Als Basis des Orientteils wiederum lassen sich Motive und Versatzstücke aus der antiken Ethnographie und den hellenistischen Reiseromanen greifen, wahrscheinlich war auch orientalisches Erzählgut in die Ausformung der Wundergeschichten eingeflossen, was jedoch im Einzelnen kaum mehr nachzuvollziehen ist. Für die meisten der Wunderwesen, auf die Ernst im Morgenland trifft, gibt es bereits Quellen des Altertums, auf die der unbekannte erste Schöpfer des Texts zurückgegriffen hat; besonders zu erwähnen sind Plinius der Ältere sowie Gellius mit seinen Noctes Atticae, für das Frühmittelalter aber auch Isidor von Sevilla. 1 Je nachdem, wie ausgefallen die herauszustellenden Konstellationen waren, haben sie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine reiche Rezeption erhalten, wie zum Beispiel die Skiapoden, also die Schattenfüßler, die in ihren Eigenheiten dem Inhalt der Geschichte jeweils angepasst wurden, etwa wenn die Wesen den Fuß als Sonnen- oder als Regenschirm benützen. Hieraus kann 1 Die diversen Quellen, die der Autor des ‚Herzog Ernst C‘ verwendet hat, sind ebenfalls in der umfassenden Einleitung zur Edition von Thomas Ehlen herausgearbeitet, siehe dazu insbesondere die Seiten 49-67. Nachwort 121 man folglich schließen, aus welcher geographischen Region in etwa die betreffende Erzählversion herstammt. Keine genaueren Herkunftsangaben finden sich bei der umfangreichen Episode gleich zu Beginn der Reise im Land Agrippa bzw. bei den Grippianern in den deutschsprachigen Bearbeitungen. Tatsächlich ist die Geschichte vom Zusammentreffen mit den Hybridwesen insofern offen, als bis heute keine eigentliche Vorlage für sie ausgemacht werden konnte. Wie und wann sich die narrativen und vornehmlich antiken Gestaltungen mit den Erzählungen der deutschen Empörergeschichten verbunden haben, bleibt bis heute im Dunkeln. Unklar ist letzten Endes ebenso, ob zu Beginn der schriftliterarischen Überlieferung eine volkssprachige oder eine lateinische Fassung stand. Im Allgemeinen geht die Herzog Ernst-Forschung davon aus, dass die älteste heute greifbare Textversion eine mittelhochdeutsche Bearbeitung darstellt, die allerdings nur noch in drei kurzen Fragmenten erhalten ist. Dieser so genannte ‚Herzog Ernst A‘ wird auf die Mitte des 12.-Jahrhunderts datiert und hat vorhöfischen Charakter. Den wenigen überlieferten Textstellen ist zu entnehmen, dass der unbekannte Dichter den unterschwellig stets präsenten Streit zwischen den Parteien, insbesondere zwischen der königlichen Macht und der herzoglichen Handhabung derselben, ins Zentrum des Geschehens gestellt hat, wobei das Ganze auf eine Lösung des Konflikts bei gegenseitiger Rücksichtnahme abzielt. Tatsächlich schafft gerade die Einbeziehung des Orientteils das nötige Substrat für diese Deutung, da der Gedanke an die Bußfahrt und den daran geknüpften Läuterungsweg ursächlich mit den Zerwürfnissen im Heimatland verbunden wird. Von daher besitzt die Annahme, der anonyme Verfasser entstamme selbst dem klerikalen Milieu, einige Plausibilität; auch der Umstand, dass dem Orient ab dem zweiten Kreuzzug, der sich von 1147 bis 1149 abspielte, in Deutschland erhebliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, fügt sich in dieses Bild. Als ein erzählerisches Ganzes liegt die höfische Überarbeitung dieser vermutlich ersten Schriftfassung im ‚Herzog Ernst B‘ vor, der heute in der germanistischen Forschung die am häufigsten beleuchtete Stoffvariante darstellt. Sie wird ins späte 12. oder ins frühe 13.-Jahrhundert datiert, allerdings ist sie ihrerseits nicht gut überliefert, erhalten sind nur zwei späte Handschriften sowie ein Fragment. Eine Notwendigkeit für die Wiederaufnahme des Texts war seine Überarbeitung in formaler Hinsicht, insbesondere die konsequentere Umsetzung des reinen Reims, dem in wesentlichen Aspekten Rechnung getragen wird. Das Grundgerüst der Dichtung hat sich allerdings insofern nicht verändert, als weiterhin eine durchgehend maskuline Welt präsentiert wird, in der es eigentlich keinen Platz für Liebesabenteuer gibt. Wo der Held ansatzweise als potentieller Bräutigam in den Blick kommt, nämlich im Zusammenhang mit der indischen Prinzessin, bricht die Diskussion unmittelbar nach der Ermordung der höfischen 122 Nachwort Dame ab, von einer ehelichen Paarbeziehung ist im Grunde genommen auch davor nur ein unscheinbarer Keim zu erkennen. Gleichwohl weist der ‚Herzog Ernst B‘ eine Reihe von höfisierenden Anpassungen im Text auf. Dass die Fassung ‚A‘ noch ganz einer vorhöfischen Struktur verhaftet war, ist nicht nur in der lediglich vereinzelten Nutzung hyperbolischer Formen, in der Abwesenheit des Grotesken und im Fehlen von Anwendungsweisen der List abzulesen, sondern auch an der konsequenten Heranziehung eines älteren, epischen Vokabulars und am Fehlen französischstämmiger Wörter des Rittertums. Hingegen hat die Erzählung in ‚B‘ merklich an anschaulicher Präzision und vor allem auch auf dem Feld psychologischen Weltwissens und entsprechender Reflexionsformen deutlichere Konturen gewonnen. Alles in allem ist diese Version stark geglättet, nicht zuletzt was die sprachliche Bearbeitung angeht, und zeigt Ansätze zu einer Höfisierung in der Lexik, wobei sich auch das Französische mitunter bereits niederschlägt. Zudem stellt sich die Frage, auf welcher Basis der kurze Hinweis auf den Waisen, also den speziellen Edelstein, wie er in der Reichskrone anzutreffen ist, und dessen Herkunft zu bewerten sei. Von der Konstellation her ist diese Geschichte nach der Art einer aitiologischen Erzählung berichtet, indem auf einen lateinischen Schriftzug in Bamberg verwiesen ist, der davon Zeugnis abgibt. Offen bleibt hier, welcher Stellenwert innerhalb des Geschehens dem Hinweis an dieser Position zukommt. Auch der ‚Herzog Ernst B‘ ist durch den merkwürdigen Umstand geprägt, dass die Liebe als alle menschlichen Gegebenheiten steuerndes Weltphänomen im Erzählgefüge kaum Relevanz gewinnt. Die Absenz von Liebesbeziehungen zeigt sich bemerkenswerter Weise sowohl im Falle des männlichen Protagonisten, für den keinerlei weibliche Beziehung in Frage kommt, wie auch im Hinblick auf andere Figuren der Geschichte. So ist bereits zum Auftakt der Handlung nicht die Rede davon, dass Ernsts Mutter und Kaiser Otto eine Minnebeziehung eingehen, obwohl sie neu heiraten. Selbst im Hinblick auf die indische Prinzessin stellen sich keine Liebesregungen ein, vielmehr ist ihre Charakteristik durch das Gefühl der erbermde (V. 3590) gekennzeichnet. So sind zwar der Art der Prachtentfaltung auf Ernsts Orientreise wenig Grenzen gesetzt, doch geht diese eben nicht mit einer auf Harmonie aufbauenden Minnebeziehung einher. Was nun die weiteren deutschsprachigen Versionen angeht, sind eine Reihe zusätzlicher Varianten entstanden, die sich schon allein vom Stil her unterscheiden, wobei nicht zuletzt die Metrik eine Rolle spielt. Unikal überliefert ist die schwierig zu datierende Reimpaarfassung ‚Herzog Ernst Kl‘, die sich bereits dadurch auszeichnet, dass sie sämtliche Wörter, die einen altepischen Charakter zeigen, gestrichen hat, die Fassung also einen gleichsam aktualisierten Zuschnitt wählt. Hinzu kommt, dass der Text Formen der direkten Rede vermeidet, um so den Wortlaut in der Tendenz nicht zu beschweren. Es handelt sich dabei um Nachwort 123 stilistische Mittel, die der Version eine charakteristische Prägung verleihen. In der Tendenz geht es darum, ursprünglich weniger gut passende Varianten so zu minimieren, dass ein spezifisches Gattungsmodell sichtbar wird, das Raum für neue Anlagen zulässt. Ein anderes Bild vermittelt der ‚Herzog Ernst D‘, der wahrscheinlich um 1300 entstanden ist und die höfischen Elemente der ‚B‘-Fassung nochmals verstärkt. Dieses Werk ist nur in einem einzigen, heute in Gotha befindlichen Manuskript auf uns gekommen, das sprachliche Inkonsistenzen zeigt und Einflüsse verschiedener Dialekte verarbeitet. Eine explizite Besonderheit hat der Handschriftentext insofern erhalten, als er diverse Aspekte höfischer Ritterlichkeit in vorbildhafter Weise zum Ausdruck bringt, wobei gerade die ambitionierten Festlichkeiten in der Darstellung besonders hervortreten. Auch in diesem Falle stellt sich der Autor nicht namentlich vor, doch erhält die Tatsache Gewicht, dass er an den höfischen Aktivitäten erzählerisch ausdrücklich beteiligt ist. Geradezu meisterlich geraten sind die Schilderungen einzelner menschlicher Charaktereigenschaften, die der Verfasser im Kontext der Abbildung höfischer Feste entfaltet. Mit Blick auf die Thematik der Ritterlichkeit fasziniert vor allem die Herausarbeitung fabelhaften Heldenmuts; ein Aspekt, der für die Darbietung adäquater Abenteuergeschichten besondere Relevanz gewinnt. Hierin zeigt sich eine spezifische Herangehensweise an die Geschichte des Stoffs, mittels welcher der Dichter seine persönliche Interpretation zur Geltung bringt. Um zunächst bei den weiteren deutschsprachigen Versionen zu bleiben, sind in frühneuhochdeutscher Zeit ebenfalls Herzog Ernst-Texte entstanden. Eine Besonderheit stellt der ‚Herzog Ernst F‘ bereits dadurch dar, dass er im Grunde genommen keine neue Bearbeitung des Stoffs vornimmt, sondern sich über weite Strecken als deutsche Wiedergabe auf die lateinische Version ‚C‘ stützt und über manche Passagen eine wörtliche Übersetzung der Vorlage bietet. Dabei umgeht diese Fassung allerdings die typischen lateinischen Prägungen des Texts, insbesondere den Hang zu Ablativus-absolutus-Konstruktionen, die in der deutschen Version aufgelöst, mithin aber auch modifiziert gestaltet wurden. Der Wortlaut dieser vermutlich in Augsburg entstandenen Fassung neigt dazu, die speziellen Raffinessen der römisierten Gestaltung zurückzunehmen und stattdessen die Fäden breiter aufzufächern, wobei diverse Synonymgruppen als redaktionelle Hilfestellungen genutzt wurden. Insbesondere sind hinsichtlich kurzer Anknüpfungsbeispiele oftmals sinnverwandte Wörter in Gebrauch, die über das enger motivierte Bedeutungsraster hinausweisen und damit ein vielseitigeres Entwurfsarsenal eröffnen. Dies geschieht vor allem in denjenigen Fällen, wo sich die lateinische Quelle nicht durch eine simple Addition einzelner Wörter ergänzen lässt, sondern die komplexe Gestalt des Wortlauts durch ein neues Konglomerat an Begriffen 124 Nachwort inventarisiert werden muss. In derartigen Beispielen zeigt sich die Neigung des Texterstellers, aus knappen Annotationen ausführlichere Anmerkungen zu machen; dabei gewinnen gerade historische Persönlichkeiten an Kontur, und es werden etliche sachliche Ergänzungen zum Inhalt beigesteuert. Insgesamt verfolgt die frühneuhochdeutsche Version die Tendenz, die spezielle Gestalt eines lateinischen Textkonvoluts aufzugeben zugunsten einer volkssprachigen Fassung, mit welcher sich der Stoff einem breiteren Publikum öffnet. Eine substanzielle Nuance der Rezeption hat der ‚Herzog Ernst F‘ in einer gekürzten Fassung erhalten, die in den folgenden Jahrhunderten immer wieder neu aufgelegt wurde. Diese fokussiert das Gefüge stark auf die thematische Befassung mit den kuriosen Zügen des Orients, die im Handlungsgang als denkwürdige Episoden mit je einzelnen Wunderzeichnungen hervortreten. Vor allem die reflektierenden Passagen sind zu diesem Zweck fast vollständig ausgeklammert worden zugunsten von denjenigen szenenhaften Erlebnissen, die zumindest schemenhaft auch den kulturellen Hintergrund umreißen. Die detaillierten Einzelheiten werden dem Interesse einer typisierten Orient-Darstellung eingepasst, auf deren Grundkonstellation jedes Geschehnis atmosphärisch bezogen bleibt. Eine andere Form der Ausgestaltung hat der Stoff im ‚Herzog Ernst G‘ erfahren, der in dieser Gestalt wohl schon im 14.-Jahrhundert geschaffen wurde und im Wesentlichen den Orientteil präsentiert. Er ist im Bernerton gehalten, einer Strophenform, die im Rahmen der Dietrichsepik weitere Bekanntheit erreichte und als Paradebeispiel für deutsche Heldenepik gelten kann. Auch hierbei ist das gesamte Szenario darauf ausgerichtet, einen adäquaten Hintergrund für die Orienterlebnisse von Herzog Ernst zu entrollen und für die Abenteuerreise überhaupt einen passenden Verstehenshorizont herzustellen. Hand in Hand mit einem klar ausgewiesenen Erwartungsrepertoire geht in dieser Version die unproblematische Aufnahme einer Liedform, die ansonsten durchaus auf realpolitische Interferenzen beziehbar ist. Vom allgemeinen Zugriff her gleicht der ‚Herzog Ernst G‘ einer Kette von Ereignissen, die sich der Märchenthematik verschreibt und auch auf deren Fiktionalitätsmuster zu beziehen ist. Hierzu fügt sich, dass in diesem Handlungsgang die indische Prinzessin nicht ermordet wird, sondern durch Ernst ihre Rettung erfährt und zuhause wiederum als hochrangige Königin fungieren kann. Dieser Modifikation entsprechend, bestehen die Abenteuer von Ernst und seiner Gruppe nicht in erster Linie aus fremdartigen Geschichten, hingegen eher in der Aneinanderreihung von Impulsen, welche einen sagenbildenden Charakter an den Tag legen. Dies zeigt sich etwa darin, dass die diversen Märchenmotive in verschiedenartige Facetten aufgeteilt werden und dabei ein durchaus nuanciertes Bild ergeben. Insofern transportiert der Reihencharakter, zu dem sich die Nachwort 125 einzelnen Versatzstücke formieren, auch eine Diversifikation des Stoffes und seiner Überlieferungstradition mithilfe semantischer Zusatzaspekte. Weiterhin besteht eine formale Spezialität der Bearbeitung ‚G‘ darin, dass sie in zwei unterschiedlichen Umfangs-Formaten auf uns gekommen ist. So gibt es eine kürzere Fassung, die aus 55 Strophen besteht und Eingang in das ‚Dresdner Heldenbuch‘ erhalten hat. Daneben findet sich die Langversion, mit ihren 89 Strophen nochmals mehr als die Hälfte umfangreicher und gespickt mit allerhand Modifikationen und Ergänzungen. In welchem Verhältnis diese beiden Fassungen letztlich zueinanderstehen, wird in der Forschung noch mit unterschiedlichen Einschätzungen diskutiert. Doch ist die besondere Resonanz, die der Herzog Ernst-Stoff als Lieddichtung erlangen konnte, eindrucksvoll durch den Umstand belegt, dass in zahlreichen Handschriften und Drucken des 15. und 16.-Jahrhunderts gerade diese beiden Versionen wiedergegeben wurden. Bemerkenswert ist bei der Überlieferung des Stoffs die vielseitige Varianz sowohl in der Volksprache als auch in den diversen lateinischen Texttypen. Gerade bei Letzteren ist augenscheinlich, dass in der Ausarbeitung verschiedene Verwendungsarten berücksichtigt werden und hierbei auch differente Gattungsmuster zu Tage treten. Allein die Unterscheidung von Vers und Prosa deckt in dieser Hinsicht diverse Zugangsmodi ab, die je eigene Verweischaraktere mit sich bringen. Eine besondere Bedeutung kommt den lateinischen Bearbeitungen schon deshalb zu, weil dort die verschiedenen Versionen quer über die sich ausprägenden europäischen Sprachgrenzen miteinander verwoben sind. Unter den lateinischen Fassungen stellt der hier übersetzte ‚Herzog Ernst C‘ die älteste erhaltene Bearbeitung dar, eine rhetorisch überformte Prosafassung aus dem frühen 13.-Jahrhundert, die sich durch verschiedene inhaltliche Eigenheiten auszeichnet, auf die sogleich bei der Vorstellung des Gesamtkonzeptes des vorliegenden Bandes noch genauer einzugehen ist. Hier sei zusammenfassend nur so viel ausgeführt, als der nicht weiter bekannte Autor offensichtlich einige Handlungssequenzen so modifizierte, dass das positive Ende der Geschichte mithilfe des frommen Wesens der Königin Adelheid motiviert wird, verbunden mit dem Anliegen, verschiedene weitere Geschichten aus ihrem Leben in die Darstellung einzuflechten. Die im Geschehensverlauf eher negativ wirkenden Episoden arrangiert der Verfasser anders, indem er beispielsweise die frühzeitige Heimkunft von Ernst mit der Verzeihensbereitschaft auf Seiten des Kaiser Otto in Verbindung bringt. Eine vergleichbar funktional angepasste Passage findet sich etwa auch da, wo Ernst bereit ist, mit dem Herzog von Sachsen zusammenzuspannen, um der Stadt Regensburg angemessen begegnen zu können. Überdies scheint alles, was sich in den um Adelheid gruppierten Episoden zuträgt, offenbar Städte wie Selz oder 126 Nachwort Augsburg zu betreffen und folglich die Geschichte stärker an den süddeutschen Raum zu binden. Eine einzige aus der breiten Palette der Ernst-Bearbeitungen - in der Forschung firmiert sie unter der Bezeichnung ‚Herzog Ernst E‘ - ist mit der tatsächlichen Nennung eines Verfassers verknüpft, nämlich die lateinische Hexameterversion, die mit dem Namen Odo von Magdeburg verbunden ist. Darüber hinaus ist hierbei auch der Mäzen der Dichtung zu greifen, und zwar in der Person Albrechts II. von Kefernburg, dem Erzbischof von Magdeburg. Wie die Forschung zum ‚Ernestus‘, so wird diese Fassung ebenfalls genannt, herausgearbeitet hat, ist der Text zwischen 1212 und 1218 entstanden; das kann aus mehrmaligen Bezugnahmen auf gegenwärtige Geschehnisse gefolgert werden. Was den Zugriff auf die Antike angeht, bemüht sich Odo im Stile Walters von Châtillon und dessen Alexandreis um eine antikisierende Darbietung des Stoffs, was bei einer Materie, deren Grundfesten vollständig auf das Christentum rekurrieren, nicht immer mühelos möglich ist. Tatsächlich versucht Odo auch die griechisch-römische Götterwelt zu ihrem Recht kommen zu lassen. Doch stellt es kein einfaches Unterfangen dar, insbesondere die christlichen Wertehierarchien mit denjenigen der Antike in Einklang zu bringen, wie aus gelegentlichen Widersprüchen in der Zugriffsweise erkennbar wird. Als weitere unter den lateinischen Textversionen ist schließlich noch der ‚Herzog Ernst Erf‘ zu erwähnen, bei dem es sich möglicherweise um eine der ältesten Bearbeitungen überhaupt handelt. Sie gibt die Version in einer Erfurter Handschrift zum Besten, stellt damit den Text also wiederum unikal bereit. Was den frühen Schaffenszeitpunkt angeht, ist es durchaus wahrscheinlich, dass der ‚Herzog Ernst A‘ unmittelbar nach seiner Konzeption in den Händen eines schriftkundigen Verfassers in eine lateinische Version umgearbeitet worden ist. Wie der Wortlaut von ‚Erf‘ darlegt, handelt es sich dabei um eine rhetorisch an die kursierenden Lehrbücher angepasste Fassung, die das Wissen und die Techniken zur Modifikation nutzte, wie sie einem versierten Publikum jener Zeit zur Verfügung standen. Ein wesentliches Gestaltungsmerkmal bildet dabei die Art der rhetorischen Überformung, wobei der Umstand, dass hier im Wesentlichen über die Orientgeschehnisse berichtet wird, formal kaum zu Buche schlägt. Diese insgesamt reiche Anzahl an deutschsprachigen und lateinischen Versionen belegt eindrucksvoll, dass es sich beim Herzog Ernst-Stoff im Mittelalter um eine sehr beliebte Materie handelte, die immer wieder neue Bearbeiter gefunden hat. Auffällig ist jedoch, dass sämtliche Fassungen mangelhaft oder gar nur unikal überliefert sind. Dieser Befund ist allerdings schwer zu deuten, da eine aus heutiger Sicht spärliche Überlieferungssituation nicht notwendigerweise bedeutet, dass im Mittelalter selbst nur wenige Manuskripte der betreffenden Fassung existierten, sondern unter Umständen auch eine erhebliche Anzahl von Nachwort 127 Tradenten im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Dass der Stoff das ganze Mittelalter hindurch faszinierte, ist aufgrund der vielfältigen Bearbeitungen nicht von der Hand zu weisen. Der ‚Herzog Ernst C‘, eine lateinische Prosaversion Im Vergleich mit den diversen weiteren erwähnten Bearbeitungen des Stoffs weist der ‚Herzog Ernst C‘ sowohl thematische als auch formale Eigenheiten auf. Diese sind es, die der gebotenen Version ihr spezifisches Gepräge geben, und an welchen die Charakteristik der Bearbeitung festzumachen ist. Zunächst zur Überlieferungssituation, wie sie für den ‚Herzog Ernst C‘ konstitutiv ist. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die handschriftlichen Zeugnisse über zweihundert Jahre jünger sind als der in der Forschung anvisierte Entstehungszeitraum des Werks, das an den Anfang des 13.-Jahrhunderts datiert wird. Von den drei Manuskripten, die nach aller Kenntnis bis in die Neuzeit erhalten werden konnten, sind heute noch zwei Handschriften in der Bayerischen Staatsbibliothek in München einzusehen, hingegen ist das dritte, der Straßburger Textzeuge, 1870 während der deutschen Belagerung der Stadt verbrannt. Die beiden Münchner Kodizes stammen aus der zweiten Hälfte des 15.- Jahrhunderts und sind typische Erzeugnisse einer Buchkultur des Übergangs, indem sie bereits das sprunghaft in die Höhe geschnellte Potenzial an Schriftzeugnissen reflektieren, typischerweise aber noch in Form der Handschrift. Beim Clm 850 handelt es sich um eine Sammelhandschrift aus Papier, die von Hartmann Schedel in Nördlingen angefertigt wurde; sie weist eine Datierung in das Jahr 1473 auf. Die Herzog Ernst-Erzählung wird in der Abfolge des Schriftträgers als dritte Geschichte gegeben, wobei die übergreifende Gemeinsamkeit der Texte durch die Thematik der Orient-Literatur bestimmt ist. Umgeben ist die Fassung von Marco Polos ‚Liber de mirabilibus conditionibus et consuetudinibus orientalium regionum‘, dem ‚Tractatus de locis terre sancte‘ von Franciscus Pipinus sowie weiteren, kleineren Texten. Beim Tradenten Cgm 572 wiederum geht es um eine Handschrift, die dem Herzog Ernst-Stoff als solchem gewidmet ist, indem der Träger im Verbund mit der lateinischen ‚C‘-Version auch die frühneuhochdeutsche Fassung ‚F‘ bietet. Gestützt auf Thomas Ehlen wird der lateinische Text auch in der vorliegenden Edition gemäß diesem zweiten Manuskript dargeboten, wobei graphematische Spezifika des Kodex in der Wiedergabe des Wortlauts mitberücksichtigt werden. Was die inhaltlichen Besonderheiten angeht, hat die lateinische Prosaversion ‚C‘ eine eigene Ausformung erhalten, indem Ernsts Mutter Adelheid stärker ins Zentrum der Geschehnisse gerückt wird, als dies in den anderen Bearbei- 128 Nachwort tungen des Stoffs der Fall ist. Das wird sowohl zu Beginn als auch besonders zum Schluss des Texts augenscheinlich, wo der Figur aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Position eine explizite Aufgabe zugewiesen wird. Bereits mit dem ersten Auftakt der Erzählung erlangt die Mutter des Helden ihr Recht, indem sie prominent eingeführt und als diejenige herausgehoben wird, die sowohl durch körperliche als auch durch geistige Eleganz hervorsticht. Ihre herausragenden Fähigkeiten sind es, die ihrem Sohn die notwendige Unterstützung liefern und ihn damit vor allen anderen auszeichnen, besonders von dem Zeitpunkt an, als der leibliche Vater des Helden bereits verstorben ist und damit der männliche Bezugspunkt in der Genealogie wegfällt. Dass es im vorliegenden Fall auf eine Mutter-Sohn-Konstellation hinausläuft, macht der lateinische Text schon nach wenigen Sätzen klar. Überdies ist die Prosafassung auch insofern ganz auf die weiblichen Überlieferungszusammenhänge fokussiert, als die Schönheit und die Tüchtigkeit des jungen Mannes explizit auf Muster femininer Herkunft zurückgeführt werden. Dieser Aspekt sticht als Unterscheidungsmerkmal nicht zuletzt im Vergleich mit der vermutlich ältesten volkssprachigen Version prominent hervor, bei der die Charakterisierung von Herzog Ernst stärker auf die männliche Herkunftslinie zielt. Eine spezielle Hinwendung zur Heiligenlegende erfährt der ‚Herzog Ernst C‘ dann aber auch zum Schluss der Geschichte, der mit einer dezidierten Hinwendung zur Mutter ausklingt. Dabei endet die Bearbeitung mit einer Aufzählung der Wundergeschichten, die sich im Zusammenhang mit Adelheids eigenem religiösen Status ergaben, so dass von ihnen in angemessener Weise zu berichten ist. Aufgezählt werden kürzere Episoden, anhand derer die Heiligkeit von Herzog Ernsts Mutter sichtbar belegt und begründet wird. Den Auftakt macht der Bericht von den Schwierigkeiten eines Zimmermanns, der die Balken zu kurz geschlagen hatte und deswegen von Angst gepeinigt wird, in Ungnade zu fallen; mit der Hilfe Adelheids, welche an den Balken zieht und sie damit in der Länge anpasst, kommt das Ganze aber füglich wieder ins Lot. Es folgen weitere erbauliche Passagen, darunter etwa diejenige, dass Adelheid von Demut erfüllt, verstohlen die bei Tisch von den aufgetragenen Speisen abfallenden Krumen heimlich gegessen habe. Im Moment, wo man dieses Umstands gewahr wird, stellt sich heraus, dass aus den Brotkrümchen wunderbarerweise Perlen geworden sind. Gerade durch derartige Episoden, auch wenn sie für sich genommen noch kaum als hinreichender Beleg für die Heiligkeit der Figur dienen können, wird Adelheid erzählerisch deutlich ins Feld der Wundergeschichten gerückt. Die Einarbeitung solcher besonderen Taten und Charakterzüge exponiert die Adelheid-Figur innerhalb des Erzählkontinuums und ist als starker Hinweis auf die tragende Rolle zu werten, die der Mutterfigur in der vorliegenden Version zuerkannt wird. Der Umstand, dass die betreffenden Passagen einerseits ganz zu Nachwort 129 Beginn, andererseits zum Ausklang der Geschichte geboten werden, reflektiert ihre Aufgabe im Gesamtrahmen: So handelt es sich dabei um diejenigen Orte, bei denen die Rezipienten eine erhöhte Aufmerksamkeit an den Tag legen. Die demonstrative Betonung der entsprechenden Episoden bewirkt zweifellos eine Konzentration auf das Exzeptionelle; im gegebenen Moment steht nicht der eigentliche Held selbst im Zentrum der Geschehnisse, sondern eben dessen Mutter. Doch ist der vorliegende Text nicht nur durch inhaltliche Ausdifferenzierungen in der Dimension der Figurenzeichnung geprägt. Zu seiner literalen Wirkungsebene etwa gehört auch die Eigenheit, das Interesse an dezidiert volkssprachigen Spezialausdrücken zu pflegen. Es geht dabei um ein ausgewiesenes Vokabular, das sich im Bereich des Mittelhochdeutschen zeigt und über das sich demonstrieren lässt, inwiefern auch technisches Wissen gerade in der Volkssprache eine Rolle zu spielen vermag. In den Blick gerückt wird dabei vor allem der handwerkliche Bereich des Schiffsbaus, mit dem der ‚Herzog Ernst C‘ eine Praxis beleuchtet, die nicht unbedingt zu den genuinen heimatlichen Tätigkeitsgebieten zählte und insofern als abenteuerliches Motiv vom interessierten Publikum mit umso größerem Genuss verfolgt werden konnte. Passenderweise wird dafür die Szene genutzt, in der sich die Gefährten in Konstantinopel aufhalten und darum bemüht sind, angemessen große Boote für die Überfahrt nach Jerusalem aufzutreiben. Als diese endlich gefunden sind, wird ihnen eine minutiöse Beschreibung gewidmet, welche auch die volkssprachigen Termini jeweils mit in den lateinischen Text einbezieht. Was dabei entsteht, ist eine eigentliche Inventarisierungsliste, bei der die verschiedensten Geräte und Utensilien akribisch benannt und vor Augen gestellt werden: Mastbaum, Ruderlöcher und -bretter, Windfahne, Flaschenzug, Steuerruder und -hebel usw. Der Text erzielt dadurch eine praktische Reichhaltigkeit an Realien, die in ihrer Besonderheit adäquat und konkret wiedergegeben sind, wobei die einschlägigen Fachausdrücke sowohl lateinisch als auch mittelhochdeutsch aufgeführt werden. Analoge, deskriptionsreiche Sequenzen entfalten sich darüber hinaus auch in anderen Praxisbereichen (und vor allem auf dem Feld des Kämpfens), in denen es ebenfalls um angemessene Anwendungstechniken geht. Ausführlich werden dort mittelhochdeutsche Wörter für Bogen, Futteral, Spieße, Lederhüllen, Köcher, Pfeile usw. eingesetzt und anhand ihrer jeweiligen Tätigkeitsgebiete und Einsatzweisen umschrieben. Überall, wo praktische Verfahren und Techniken in die Darstellung aufgenommen sind, hat man sie ebenfalls mit den betreffenden volkssprachigen Termini versehen. Alles in allem zeichnet sich der ‚Herzog Ernst C‘ dadurch ästhetisch aus, dass er in herausgehobenen Anwendungsbereichen einen besonderen Gestaltungsaufwand betreibt. Insgesamt betrachtet, modelliert der Herzog Ernst-Stoff eine 130 Nachwort Reihe sozialer Handlungsfelder und gesellschaftlich definierter Interaktionsräume, in denen bestimmte kulturelle Bedeutungsmuster exponiert und auf die Probe gestellt werden. Hierbei werden auch Relationsverhältnisse durchgespielt, die soziale Konstellationen und Machtstrukturen betreffen, so die hierarchische Fügung von König und Vasall, die Konstruktion von Orient und Okzident, aber auch die Konfiguration gleich- und gegengeschlechtlicher Beziehungsformen. Alle diese Relationsverhältnisse sind vom Plot her miteinander verwoben und führen zu einer spezifischen Variante des Erzählschemas der heldischen Ausreise und Bewährung in der Fremde, wie es in Narrativen verschiedener Epochen immer wieder zum Tragen kommt. Hinweise zur Lektüre Der Text des ‚Herzog Ernst C‘ wird mit der vorliegenden Edition in einer zweisprachigen Ausgabe geboten. Der synoptische Blick, mit lateinischem und neuhochdeutschem Wortlaut parallel geführt, will einem breiteren Spektrum von Interessierten ein Verständnis dieser wahrscheinlich ältesten erhaltenen lateinischen Version des Stoffs näherbringen. Was den Prosatext aus dem frühen 13.-Jahrhundert angeht, wird die Edition nach dem Wortlaut gegeben, wie ihn Thomas Ehlen zusammengestellt hat. Dies hat in erster Linie praktische Gründe, da in Ehlens Ausgabe zahlreiche Aspekte mit aufgenommen sind, die einem Publikum mit partikularen Forschungsfragen hilfreich sind, sodass spezifischer Interessierte sich entsprechend kundig machen können. Somit wird auch im hier gebotenen Text anhand der Sigle E fortlaufend markiert, wann im dortigen Format die Seiten wechseln. Darüber hinaus gibt Ehlen aber ebenso die Seitenumbrüche jener einschlägigen Ausgabe an, die Moriz Haupt im Jahr 1849 in der von ihm selbst betreuten ‚Zeitschrift für deutsches Alterthum‘ im achten Jahrgang ediert hat. Zudem vermerkt Ehlen den jeweiligen Blattwechsel der beiden zentralen Manuskripte. Diese vier Angaben sind in den Text der vorliegenden Ausgabe in die lateinische Version mit aufgenommen worden, um ein Verständnis für die epochal differierenden Anliegen sichtbar zu machen. Im deutschen Text sind die Seitenumbrüche Ehlens zur besseren Orientierung ebenfalls vermerkt. Die Kommentierung möchte weiterführende Hinweise und Anmerkungen präsentieren, die näher in den Hintergrund des Texts führen und dessen Verständnis befördern. Für eine philologisch instruierte Leserschaft würden die etablierten Kürzel zwar reichen, wie sie sich bereits über lange Zeit herausgebildet haben, um etwa Stellennachweise wiederzugeben, doch sind diese einem im Bereich der Antikenforschung weniger versierten Leserkreis nicht ohne Nachwort 131 weiteres verständlich. Deshalb wurden Abkürzungen, wann immer sinnvoll, ausgeschrieben wiedergegeben, was auch für eingebürgerte Kürzel wie Verg. Aen. und andere Varianten der Bezugnahme gilt; gewisse Inkonsequenzen in der Nomenklatur waren dabei unvermeidlich. Hier wie auch bei den Sachanmerkungen geht es dieser Edition in erster Linie um eine gute und leichte Verständlichkeit, die dazu beiträgt, die Erzählung nach Möglichkeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Basel, im September 2020 Seraina Plotke (Diese Edition wurde von der im Herbst 2020 verstorbenen Herausgeberin Seraina Plotke noch für die Publikation vorbereitet, aber nicht mehr druckfertig gemacht. Nachwort und Anmerkungen wurden von Alexander Honold und Alyssa Steiner redaktionell durchgesehen und in manchen Passagen leicht überarbeitet.) Kommentar Lateinischer Text 1 Über den Namen Adelheid wird Bezug genommen auf Adelheid von Burgund, die 931 oder 932 in Hochburgund geboren wurde und am 16. Dezember 999 in dem von ihr gegründeten elsässischen Kloster Selz starb. Als Gemahlin Ottos I. des Großen von 951 bis 973 war sie ostfränkische Königin, Königin von Italien sowie von 962 bis 973 Kaiserin des ostfränkisch-deutschen Reiches. 2 Die Hauptfigur der Erzählung, Herzog Ernst, wird bei ihrer ersten Einführung sowohl in ihren körperlichen als auch in ihren geistigen Fähigkeiten ausgezeichnet, und zwar in unmittelbarem Rekurs auf die betreffenden Fertigkeiten der Mutter Adelheid. Damit wird im ‚Herzog Ernst C‘ gleich zu Beginn die direkte Beziehung zwischen Mutter und Sohn eröffnet, unter deren Auspizien die gesamte Erzählung steht. 3 Mit der Benennung der griechischen Sprache und der Muse ist hier das Griechische als zentrale klassische Sprache exponiert. Damit geht die Erzählung offenkundig über den üblichen Wissenskontext der Zeit hinaus. So wird das Griechische in einem Atemzug mit dem Lateinischen sowie mit den Sprachen der Romania erwähnt. 4 Auffällig ist die Konzentration auf die Mutter, was die Bildung des jungen Herzog Ernst angeht. Sie wird hier zur wichtigen Bezugsperson aufgebaut. 5 Vgl. Horaz, Ars poetica, 323. Es geht in diesem Zitat um das Talent, das die Griechen - nicht zuletzt vor den Römern - erhalten haben für ihre Ausbildung. 6 Indem die Klugheit mit derjenigen von Schlangen verglichen wird, erhält der Text ein ambivalentes Element. Schlangen sind in der christlichen Welt negativ besetzt, nicht zuletzt aufgrund der Paradies-Geschichte (1. Buch Mose, 2-5). 7 Das Adjektiv leoninus wird im Text immer wieder verwendet, um die Eigenschaft löwenartiger Männlichkeit zu vermitteln. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bezug auf Schlangen, die über die Sündenfallszene ihrerseits mit Weiblichkeit verbunden ist, erhält dies eine zusätzliche Brisanz, insbesondere in der hier gebrauchten Schreibweise serpentino-… leonino, die als solche ins Auge sticht, da sie eine klare Dichotomie auftut: Ersteres ist negativ besetzt, Letzteres positiv. 134 Kommentar 8 Die Bedeutung des jungen Mannes zeigt sich bereits in dessen frühen Jahren, indem er mit seinen Taten glänzt. 9 Der Text nimmt hier auf den ersten Brief des Paulus an Timotheus (1 Timotheus 5,5) Bezug: Es geht um die Witwe, die beharrlich fleht. 10 Auffällig zeigt sich die unverbundene Aufzählung bzw. asyndetische Steigerung der Aspekte, die die junge Mutter wiederum zur Heirat zwingen. 11 Otto bezieht sich hier auf Otto I. dem Großen aus dem Geschlecht der Liudolfinger, der ab 936 Herzog von Sachsen und König des Ostfrankenreiches, ab 951 König von Italien sowie ab 962 römisch-deutscher Kaiser war. 951 hatte er Adelheid von Burgund, seine zweite Ehefrau, geehelicht. 12 Otto I. hat diverse wichtige Völkerschaften besiegt, so auch die Slawen und die Friesen. Dies zeichnet ihn als Herrscher aus, ist gleichsam Teil seines Portfolios, das ihn auch über andere deutsche Kaiser erhebt. 13 In der Stadt Magdeburg gründete Otto 937 n. Chr. das Mauritiuskloster. Als Erzbistum wurde Magdeburg aber erst im Jahr 968 eingeführt. 14 Mauritius ist der Legende nach der Anführer der Thebaischen Legion und wird in der katholischen und der orthodoxen Kirche seit dem 4.-Jahrhundert als Heiliger verehrt. Die Berichte über die angebliche Existenz und Geschichte der Thebaischen Legion stützten sich über viele Jahrhunderte im Wesentlichen auf die um 430/ 40 entstandene spätantike Schrift Passio Acaunensium martyrum des um 450 verstorbenen Lyoner Bischofs Eucherius. 15 Das Mauritiuskloster in Magdeburg war ein Benediktinerkloster. 16 Die rhetorische Anlage der benannten folgenden Aufzählungen sticht ins Auge: Sie ist durch die Genitivformen geprägt, die sich auf Besitzgüter konzentrieren. 17 Die besonderen Auszeichnungen der Ottegeba werden bereits über die Adjektive greifbar, die sie auszeichnen. 18 Mit der Formulierung ‚Ottegeba‘ nimmt der Autor eine in der Volkssprache etablierte Namensform von Edgitha auf (siehe z.-B. in den Casus Sancti Galli von Ekkehard IV.; das Werk schildert die Geschichtsquellen des Klosters St. Gallen, von Ekkehard stammt der Teil der Jahre 890 bis 972). Edgitha, Ottos erste Ehefrau, gehörte einem der angesehensten angelsächsischen Geschlechter überhaupt an. Sie war die Tochter Eduards des Älteren von Wessex und Ælflaedas sowie Halbschwester König Æthelstans und Enkelin Alfreds des Großen. 19 Edgitha wurde 946 im Mauritiuskloster in Magdeburg beigesetzt, später jedoch mehrfach umgebettet. Der Dom war zum Zeitpunkt ihrer Bestattung noch neu, er war 937 gegründet worden. Kommentar 135 20 Hier wird auf den ersten Korintherbrief im Neuen Testament rekurriert, der auch explizit (1 Kor 7,9) zitiert wird. Inhaltlich geht es um das Verhalten in der Ehelosigkeit und die Frage, in welchen Fällen eine Wiederverheiratung doch sinnvoller sein könnte als der Witwenstand. 21 Die große Würdigkeit des Herrschers wird über die mehrfache Auszeichnung des gleichen Adjektivs festgehalten. Sie geben der Faktur ein besonderes Gepräge und zeichnen den Kaiser in seiner Wertigkeit speziell aus. 22 Signifikant ist im Rahmen der Herrschenden die Kommunikation per Brief. 23 Dargestellt sind hier zunächst die je durchaus unterschiedlichen Meinungen am Hof der Adelheid. Erst in einem zweiten Schritt formiert sich das gemeinsame Jawort, das sich noch einmal auf eine Ehe einlassen will. 24 Hier zeigt sich die Erzählinstanz in der ersten Person Singular, allerdings nur als floskelhafte Formel. 25 Dass sich eine schwierige Konstellation zwischen den beiden wichtigsten Männern Adelheids, nämlich dem Sohn und dem zukünftigen Ehemann, ergeben würde, ist hier bereits vorweggenommen. 26 Auch die Antwort der zukünftigen Ehefrau des Kaisers erfolgt wiederum per Brief. 27 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich Adelheid nicht nur auf eine Heirat einlässt, sondern gleich auch das Datum der Eheschließung festlegt. 28 Kommunikation zwischen den Herrscherhäusern spielt sich in der Form ab, dass Gesandtschaften zwischen den verschiedenen Orten verkehren. Das, worüber gegenseitig verhandelt wird, wird dabei schriftlich in Briefen festgehalten. 29 Bei der Herrschaftsform, die hier zugrunde gelegt wird, handelt es sich um das Lehenswesen. ‚Lehen‘ bezeichnet ein Gut, das der Eigentümer einem anderen Menschen zur Nutzung überlässt, ohne dass sich dabei die Eigentumsverhältnisse verändern. In der Regel handelt es sich um ein Grundstück, es kann jedoch auch ein politisches Amt oder ein Hoheitsrecht, über das sich Vermögen generieren lässt (z.-B. die Erlaubnis, zu fischen oder zu jagen), sein. Der Lehnsherr (also der Eigentümer) gibt dieses Lehen unter der Bedingung gegenseitiger Treue in den (häufig erblichen) Besitz des Lehnsmanns. Dieser ist als Nutznießer für die Verwaltung und Pflege des Lehens verantwortlich, kann im Gegenzug daraus aber seinen Lebensunterhalt bestreiten. Ausserdem verpflichtet er sich, den Lehnsherrn politisch und mitlitärisch zu unterstützen. 30 Mainz entwickelte sich ab dem 8.-Jahrhundert zur größten Kirchenprovinz nördlich der Alpen. Im 9. und 10.- Jahrhundert erwarb sich die Stadt den Titel Aurea Moguntia. Der Einfluss der Mainzer Erzbischöfe ließ diese zu 136 Kommentar Reichserzkanzlern, Landesherren des kurmainzischen Territoriums und Königswählern (Kurfürsten) aufsteigen. 31 Im mittelalterlichen Reich bewegte sich das Kaiserpaar von Ort zu Ort, um die verschiedenen Verpflichtungen wahrzunehmen, die sich seinen Aufgaben stellten. Einen festen Wohnsitz gab es in dieser Hinsicht nicht. 32 Die Beziehung zwischen Herzog Ernst und dessen Mutter wird besonders herausgehoben, indem sie hier gleich zweimal nacheinander betont wird. 33 Die Ähnlichkeit zwischen Herzog Ernst und Graf Wetzel wird durch das verbindende Adjektiv unacus ausgedrückt, das die beiden Männer zusammenrückt. 34 Rückgriff auf Ovid, Remedia amoris, 369. Sichtbar gemacht wird an dieser Stelle, dass sich heidnisches Gedankengut problemlos mit christlichem verbinden lässt. 35 Ein Pfalzgraf (lateinisch: comes Palatinus) war ursprünglich Amtsträger und Vertreter des Königs oder des Kaisers. Er verwaltete die königliche Hofhaltung und führte die Verhandlungen im Königsgericht. Dabei fungierte er auch als Verbindungsmann zwischen Bittstellern aus dem Reich und dem König oder Kaiser. Erstmals in der 2. Hälfte des 6.-Jahrhunderts erwähnt, hat sich das Amt, welches nicht erblich war und auch nicht auf Lebenszeit vergeben wurde, wohl in der frühen Merowingerzeit entwickelt. In der Karolingerzeit erweiterte sich der Aufgabenbereich des Pfalzgrafen erheblich, indem das Amt immer stärker zu einer Stellverteterposition des Königs und damit zur höchsten Instanz für weltliche Angelegenheiten wurde. 36 Achitophel (bzw. Ahitofel) war einer der Ratgeber von König David im Alten Testament und lebte um 1000 v. Chr. Er verbündete sich mit Davids Sohn Abschalom, um den König zu stürzen (2 Samuel 15, 12). 37 Bellona (von lat. bellum für „Krieg“) war in der römischen Religion eine Kriegsgöttin. In der Mythologie galt Bellona als Schwester, Ehefrau oder Tochter des Kriegsgotts Mars, mitunter auch als seine Wagenlenkerin oder Muse. Ihre Attribute sind Helm, Lanze und Schwert. 38 Hier nimmt der Autor des ‚Herzog Ernst C‘ unmittelbar auf Horaz Bezug, indem er mehrere Verse aus dessen Satiren heranzieht (Horaz, Sermones, 2, 3, 266-268). 39 Es werden hier zwei Liebesverhältnisse gegeneinander in Konkurrenz gestellt, zum einen dasjenige der Mutter zum Sohn, zum anderen das zwischen den neuen Eheleuten. 40 Bezugnahme auf Vergil, Aeneis, 4, 569: Die Rede ist von den Wechselhaftigkeiten der weiblichen Befindlichkeit, der nicht zu trauen sei. Kommentar 137 41 Mit einer rhetorischen Pointierung wird der Disput allerdings zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts ausgelegt, auf das im Zweifelsfall kein Verlass sei. Es gibt in dieser Hinsicht durchaus eine misogyne Komponente, die den Fall prägt. 42 Auffällig ist die Heimlichkeit, mit der das Unterfangen geschieht. Es verdeckt die Offenheit der Angelegenheiten und lässt die Aktion im Verborgenen geschehen. 43 Mit Würzburg und Bamberg gibt es hier lokale Bezugnahmen, die das Geschehen zu verorten helfen. 44 Um die Einwohner der Stadt zu bezeichnen, wird vom Verfasser mitunter das Wort burgenses verwendet. Es charakterisiert den Bewohner einer burc, einer fest gebauten Stadt. Das Wort bietet auf diese Weise einen Bezug zur Gegenwart im Entstehungszeitraum des Textes. 45 Pluto bzw. Pluton ist sowohl in der griechischen als auch in der römischen Mythologie der Gott der Totenwelt. In der griechischen Mythologie trägt er den Namen Hades. 46 Bezugnahme auf Ovid, Heroides, 2, 61. 47 Weitere Bezugnahme auf Ovid, Metamorphosen, 2, 474. 48 Machabeus (von hebr. maqqævæt für ‚Hammer‘) ist der Beiname von Judas, dem Sohn des Priesters Mattatias, des militärischen Anführers beim Aufstand gegen die syrische Besatzung, der 168 v. Chr. begann. Der Name wird ebenfalls auf dessen Brüder übertragen sowie auf die auf sie zurückzuführende fast einhundertjährige religiöse und nationale Einheit des jüdischen Volkes unter der Herrschaft der Hasmonäer. 49 Iustitia ist die Göttin der Gerechtigkeit. Während sie in der alten römischen Mythologie für die ausgleichende Gerechtigkeit steht, wird sie seit der augusteischen Zeit mit den griechischen Figuren Dike und deren Mutter Themis, die ebenfalls für Phänomene der Gerechtigkeit stehen, vermengt. 50 Der Zorn wird zu einer Grundlage des kaiserlichen Handelns. So wird in den folgenden Passagen immer wieder die ira als explizites Movens herausgehoben, das die Handlungsgeschicke bewegt. 51 Hier wird die Kluft offensichtlich, die sich zwischen der Sicht des Kaisers Otto und derjenigen seines Stiefsohns Ernst auf die Gegebenheiten eröffnet. Sie ist nicht überwindbar und macht auch die Hierarchien deutlich, die für Otto gelten: Kaiser Otto hat sich eine Gruppe von Vasallen aufgebaut, deren Meinung für ihn einen höheren Stellenwert hat als diejenige seiner eigenen Frau - selbst dann, wenn es um ihren Sohn Herzog Ernst geht. 138 Kommentar 52 Sichtbar wird auch hier noch einmal die ira des Kaisers, die zu den Todsünden gehört. 53 Ihre wichtige Funktion als Orakel, dessen Sprüche relevant sind, entfaltete Sibylle auch im Hochmittelalter. 54 Bezug auf Zacharias IV, 10: Die Rede ist von den sieben Augen, mit denen Gott die Welt erblickt. Gott sticht damit die Menschen aus, die nur zwei Augen zur Verfügung haben. 55 Vgl. 1 Korinther 5,5. Inhaltlich geht es hier um den Namen des Satans, im Zentrum steht das Verderben unseres Fleisches, damit der Geist gerettet wird am Tag von Jesus Christus. 56 Zitat aus Prudentius, Psychomachia, 285-288. 57 Signifikant ist die Häufung des Bezugs auf den Zorn des Kaisers Otto. Er wird zur alleinigen Größe stilisiert, die relevant ist für den Disput zwischen den Kämpfern. 58 Auffällig ist im ‚Herzog Ernst C‘, dass der Überfall auf den Kaiser sowie den Pfalzgrafen Heinrich zu dritt unternommen wird, indem neben Herzog Ernst und Graf Wetzel noch buchstäblich ein ‚dritter Mann‘ genannt wird. Was es mit diesem auf sich hat, wird allerdings nicht erläutert. 59 Ein Punkt, der die drei Gefährten eint, ist dass sie alle über Löwenmut verfügen, eine für Helden im vorliegenden Text wichtige Auszeichnung. 60 Speyer ist eine der ältesten Städte Deutschlands. Otto I. verlieh 969 der Bischofskirche das Immunitätsprivileg, eine eigene Gerichtsbarkeit und die Kontrolle über Münze und Zoll. 61 Indem der ‚Herzog Ernst C‘ betont, dass die Gruppe zu dritt unterwegs ist, unterscheidet er sich etwa vom ‚Herzog Ernst B‘, der bekanntesten Version des Stoffs, wo die Helden nur zu zweit sind. 62 Die Figur dieses ‚dritten Mannes‘ ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er in der Hierarchielinie an letzter Stelle genannt wird und jeweils für nebensächliche Tätigkeiten zuständig ist, wie hier sich um die Pferde zu kümmern. 63 Beim Vokabular scheint in diesem Satz das Ungestüme durch. Offenkundig ist Herzog Ernst hier nicht ohne Pathos. 64 Zitat aus Vergil, Aeneis, 4, 174. Im Zentrum des Zitats steht die Gerüchtekommunikation: Gerüchte können von niemandem besiegt werden, sondern sind schneller als alle anderen Formen der Mitteilung. 65 Zur Schau gestellt wird der ermordete Pfalzgraf Heinrich in der besonders weiten Trennung von Kopf und Körper. 66 Der Text stellt den genauen Einsatz der Waffen sowie den Ort am Körper, an dem sie getragen werden, aus. Kommentar 139 67 Die Perspektive von Kaiser Otto wird hier eingenommen und seine Sichtweise auf den Tatbestand festgehalten. 68 Dass dem Toten gesegnete Ruhe zukam, hält der Verfasser des Texts ausdrücklich fest. 69 Der Kaiser Otto hat innert kurzer Zeit 30’000 Kämpfende zur Seite, die ihn in seinem Unterfangen unterstützen. 70 Regensburg ist im europäischen Mittelalter eine der bedeutendsten Städte überhaupt. Es wurde bereits von den Römern gegründet, hatte ab dem Frühmittelalter besondere Sichtbarkeit als Stadt der Bayern gewonnen. Auch wurden dort mitunter Hoftage abgehalten. 71 Das Adjektiv ferrugineus verdeutlicht die düstere Ausgangslage: Die blaugraue Farbe, verbunden mit der Eisenanbindung, die vom originalen Wortlaut herkommt, steht für negative Charakterzüge. 72 Sichtbar wird hier das Kämpfen mit allerlei Gegenständen. So ist sich keiner zu schade, sich ganz für die Sache einzusetzen. 73 Die Männlichkeit als Kampffähigkeit wird bei beiden Parteien ins Zentrum gestellt. Indem für beide das Charakteristikum viriliter in Anspruch genommen wird, ist die betreffende Stärke jeweils ausschlaggebend. 74 Die Heldentaten auf beiden Seiten der Besatzung werden vom Autor herausgehoben. 75 Um auf die Krisensituation hinzuweisen, in der sich beide Seiten befinden, werden die mehreren tausend Personen erwähnt, die getötet werden. 76 Auch hier und im Folgenden wird wieder das Wort burgenses verwendet. Es charakterisiert den Bewohner einer burc, einer fest gebauten Stadt. 77 Das Stammesherzogtum Sachsen war ein mittelalterliches Herzogtum, gelegen zwischen dem Niederrhein, der Unterelbe sowie der Eider. Es entstand aus dem Siedlungsgebiet der Sachsen, das zwischen 772 und 804 durch Karl den Großen erobert und in das Fränkische Reich eingegliedert wurde. Was den aktuellen Erzählkontext angeht, bleiben allerdings Unklarheiten. Tatsächlich war Otto in seinen Zeiten auch Herzog von Sachsen. 78 Die Traurigkeit der Betroffenen wird hier sichtbar über die Tränen. Unter Männern ist dies bemerkenswert und weicht von neuzeitlichen Gepflogenheiten ab. Im Hochmittelalter sind weinende Helden keine Seltenheit. 79 Die Löwenhaftigkeit eines Menschen wird auch hier über das Adjektiv leoninus ins Blickfeld gerufen. 80 Gekennzeichnet werden explizit die Ungerechtigkeiten sowie die Beschimpfungen und die Schmach, die sich zwischen den Parteien ergeben haben. 140 Kommentar 81 Die gesamten Ereignisse werden in dieser Geschichte mehrfach als ‚Ilias‘ bezeichnet. Damit ist ein gräzisierendes Moment erhalten. 82 Regensburg wird im vorliegenden Kontext ebenfalls zur Residenzstadt stilisiert. Alles, was mit dessen Bewohnern dort geschieht, ist von größerer Wichtigkeit. 83 Wiederum wird Regensburg mit Emphase angesprochen: „mein Regensburg“. 84 Der Fürst von Sachsen wird in seinen Handlungen dadurch herausgehoben, dass er immer wieder buchstäblich genannt, signifikanterweise aber nicht mit einem Namen bezeichnet wird. Dies liegt daran, dass der Kaiser Otto selbst Fürst von Sachsen war. 85 Sobald der Herzog von Sachsen realisiert, dass der Kaiser persönlich über Herzog Ernsts Anwesenheit informiert ist, macht er einen Rückzieher. 86 Anklänge an Vergil, Aeneis, 8, 114. 87 Was die gesellschaftlichen Hierarchie-Ebenen angeht, wird durchgehend auf das im Hochmittelalter etablierte System von Vasallen und Ministerialen rekurriert. 88 Der Verweis auf Marius [= Marii] und Sulla [= Sillanum] verdeutlicht das Bezugsfeld, in dem sich der Text mit seinen Argumenten findet. Es handelt sich um zwei Herrscher bzw. Feldwebel aus der römischen Antike, genauer gesagt aus der Zeit der römischen Bürgerkriege. Marius war der erste Nichtadlige, der in den Jahren 109 bis 100 v. Chr. mehrmals hintereinander das Amt des Konsuls innehatte. Außenpolitisch wuchs seine Macht durch den Sieg über Jugurtha, zudem auch seine erfolgreichen Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen. Im Jahre 88 v. Chr. beauftragte der Senat Sulla, der als einer der beiden Konsuln des Jahres amtierte, mit der Kriegsführung gegen Mithridates VI., der zuvor in einem umfassenden Vormarsch ganz Kleinasien erobert hatte. In diesem Moment erwirkte Marius als Anhänger der sogenannten Popularen die Übertragung des Kommandos durch die comitia centuriata auf ihn. Sulla, Verfechter des Gegenlagers der Optimaten, erkannte dieses Vorgehen aber nicht an und marschierte mit seinen Legionen auf Rom. Die Stadt fiel in die Hand Sullas. Marius flüchtete aus Rom bis nach Nordafrika, wo er erst auf der Insel Cercina sichere Zuflucht fand. Im Jahr 87 v. Chr. kehrte Marius nach Italien zurück, wo nach Sullas Abmarsch Richtung Kleinasien der innenpolitische Machtkampf zwischen Popularen und Optimaten erneut ausgebrochen war. Marius schloss sich den vertriebenen Popularen an und erlangte gemeinsam mit ihnen die Kontrolle über Rom. Die Anführer der optimatischen Gegenseite wurden getötet oder begingen Selbstmord. Außerdem kam es zur Aufhebung der Ächtung, und Marius sowie Cinna erhielten für das Jahr 86 v. Chr. die Kommentar 141 Konsulwürde. Umstritten ist allerdings, ob dies durch Wahl oder Selbsternennung geschah. Marius trat turnusgemäß zum 1. Januar sein Amt an, verstarb aber zwei Wochen später. Sulla ließ jedoch die sterblichen Überreste einige Jahre später exhumieren und in den Fluss werfen, um das Andenken an seinen Feind für alle Zeit zu verdunkeln. 89 Dass auch große Traurigkeit in mittelalterlichen Konstellationen zu einem wesentlichen Wert gehört, vermag der Text über die Verdoppelung des betreffenden Substantivs zu zeigen: tristicia tristicie. 90 Hier geschieht mit merens a merentibus ähnlich wie wenige Zeilen vorher über tristitia tristitie eine rhetorische Verstärkung der argumentativen Verknüpfung: In der unmittelbaren Wiederholung des einschlägigen Worts liegt die Stärke. 91 Dass die Sachsen hilfreich zur Stelle stehen, ist ein sich wiederholender Topos im ‚Herzog Ernst C‘. 92 Rhetorische Figur der Praeteritio: Sie wird angewendet nach der Art, etwas Bestimmtes jetzt nicht zu erwähnen, was aber in demselben Zusammenhang dann doch ausdrücklich genannt wird. Damit wird die Aufmerksamkeit auf die Narration gelenkt. 93 Hinweise auf Gebietsaufteilungen werden häufig durch die Nennung von Ländern oder Flüssen vorgenommen, hier zum Beispiel über Österreich, die Donau sowie den Lech und die Neckar. 94 Unmittelbare Bezugnahme auf die Satiren von Horaz (Horaz, Sermones, 1, 3, 78). 95 Die Löwenhaftigkeit tritt wiederum ins Zentrum der Geschichte. Sie dient als Mittel der Auszeichnung. 96 Hier zitiert der Autor den Brief von Helena an Paris und bringt damit wiederum Ovid ins Spiel (siehe Ovid, Heroides, 17, 166). 97 Herzog Ernst ruft die besten Männer aus seinem Umfeld zu sich. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre Herkunft, sondern insbesondere auch durch ihren Charakter aus. 98 Herzog Ernst gibt offen zu, dass ihm die finanziellen Mittel für eine Heerfahrt fehlen, er also gar nicht über das Geld verfügt, um aktuell einen entsprechenden Kampfzug zu lancieren. 99 Als eigentliche Aufgabe hat sich Herzog Ernst die Pilgerfahrt nach Jerusalem vorgenommen, die er nun für Jesus Christus auf sich nehmen möchte. 100 Es folgt ein ausführlicher Einbezug von mittelhochdeutschem Fachvokabular, das in die lateinische Beschreibung der Kriegsgüter integriert wird und den einzelnen Gegenstand mit seiner Aufnahme in die Liste würdigt. Eine besondere Rolle spielen bei dieser Benennung unterschiedliche Holz- 142 Kommentar und Metallarten, aus denen die Gefäße und Werkzeuge hergestellt sind, die zur Überfahrt gebraucht werden. 101 Hinweis auf Psalm 77,11. Gemeint ist wohl die Veränderung des Schicksals. 102 Es sind hier kleine Feindseligkeiten und Sticheleien zum Römischen - also abendländischen - Kaiser eingezogen, die aber nicht näher ausgeführt oder erklärt werden. 103 Wiederum folgt eine spezifische Fachsprache im Bereich des Schiffsbaus, wo neben den lateinischen Termini auch die deutschsprachigen Wörter genannt sind. 104 Vgl. Isidor, Origines, 19.3.2: achateon ist ein Segel zum Schnellsegeln. 105 Vgl. Isidor, Origines, 19,4,5. 106 Vgl. Isidor, Origines, 19,4,7. 107 Zwölf in der Zahl an Schiffen, mit Hilfe derer Konstantinopel Herzog Ernst und seine Leute unterstützt, zeigt die magische Form, ja die Heiligkeit der Anzahl. 108 Die Gründe für die bedrückte Stimmung sind vielfältig, zwei davon werden ausdrücklich hervorgehoben. Ins Auge sticht, dass das Mitleiden mit den byzantinischen Gefährten in einem Atemzug mit dem Schwinden der Vielfalt auf der eigenen Speisekarte formuliert ist. Dabei wird deutlich: Obwohl das Reich Konstantins von den realpolitischen Verhältnissen her durchaus ambivalent zum westlichen Christentum gestellt ist, gelangt von dieser Thematik hier nichts in den Fokus. 109 Diese drei Zeilen gehören zu einem anonym überlieferten Hymnus, der dem Heiligen Nikolaus am 6. Dezember vorgetragen wurde. 110 Der Name ‚Agrippa‘ wird von einem fürstlichen Namensgeber her gedeutet, der nicht näher gefasst wird, wie die Erzählstimme explizit festhält. Tatsächlich handelt es sich bei ‚Agrippa‘ um eine Namensform, die bereits in der Antike eine Reihe berühmter Träger hatte. 111 Die kunstvollen Farben sind Ausdruck des Luxus, der sich in den prächtigen Marmorbauten zeigt. 112 Auch die Quantitäten bei den einzelnen Gegenständen sind Ausdruck der besonderen Prachtentfaltung. 113 Die spezifische Gestalt der Einwohner von Agrippa wird hier schon kurz angesprochen, ohne jedoch auf Details einzugehen. Insofern wird zwar einerseits eine gewisse Brisanz angedeutet, andererseits bleibt die Komik der Situation aber zunächst noch im Dunkeln. 114 Signifikant ist die Angelegenheit der Religion der fremden Zeitgenossen. Damit steht und fällt die Frage eines freundschaftlichen Empfangs in der fernen Gegend. Kommentar 143 115 Bezugnahme auf Vergil, Aeneis, 2, 353. Die Übernahme von dem heidnischen ins christliche Milieu funktioniert auch an dieser Stelle bestens. 116 Was die liturgischen Farben angeht, kommt Rot eine besondere Heiligkeit zu: Es wurde als Farbe des Blutes und des Feuers unter anderem an Palmsonntag sowie an Karfreitag von denjenigen getragen, die in den Gottesdienst involviert waren. 117 Die Stadttore einer wunderbaren und prächtigen Stadt unbewacht und offen vorzufinden, stellt eine Besonderheit dar. Damit ist ein Umstand markiert, der zu den üblichen Gepflogenheiten der Zeit im Widerspruch steht. Es wird von daher deutlich, dass es sich um eine ungeklärte Situation handelt, die einer Auflösung bedarf. 118 Die Konstellation der vorgefundenen Situation spricht dafür, dass die Bewohner von Agrippa eine List anwenden. So gibt es im Grunde genommen gar keine andere Lösung angesichts der ungeschützten Lage der Stadt. 119 Dass eine französische Melodie gespielt wird, zeigt die Aufgeschlossenheit der verbliebenen Truppe um Herzog Ernst, der in den aktuellen musikalischen Entwicklungen bewandert ist. Tatsächlich hatten mit den Trobadors und den Trouvères französische Dichter einen großen Einfluss auf das weitere Musikgeschehen gerade auch im deutschsprachigen Raum. 120 Hier erfolgt eine Bezugnahme auf die Geschichte von Achan (mitunter auch Achar bzw. Achor genannt), die im Buch Josua im Alten Testament erzählt wird (Josua 7, 1-26). Achan nimmt sich dort, auch wenn Gott das explizit untersagt hat, ein Beutestück, nachdem die Stadt Jericho gefallen ist. Gott war wegen der betreffenden Verfehlung verärgert, mit der Folge, dass er die Stadt Ai einnehmen ließ. Achan gab darauf die Untat zu und wurde, zusammen mit seinen Söhnen und Töchtern, ins Land Archor gebracht und dort gesteinigt. 121 Erneute Verwendung einer Praeteritio als rhetorische Figur. Außerdem wird hier Bezug genommen auf die Narrationsinstanz. 122 Der ganze Raum ist mit einer hervorragenden Ausstattung und Verzierung angelegt, die mit meisterhafter Kunstfertigkeit geschaffen ist. Hervorgehoben sind das reine Gold sowie die zahlreichen verwendeten Edelsteine. Auffällig ist der Verweis auf die zwei Betten, die nebeneinander bereitstehen. Im ‚Herzog Ernst B‘ ist im Gegensatz hierzu explizit von nur einem Bett die Rede. 123 Von besonderem Kunstverstand geprägt zeigt sich die Darstellung des Brunnens, der zudem über zwei Arten von Wasserröhren angelegt ist, eine heiße sowie eine kalte. Dem Benutzer stehen also zwei verschiedene Becken zur Verfügung, die er je nach Lust und Laune verwenden kann. 144 Kommentar 124 Offenkundig stehen den beiden Gästen hier zwei getrennte Betten zur Verfügung, die ihrerseits ausdrücklich auch als solche genutzt werden. 125 Die Leute von Agrippa zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine doppelte Gestalt haben: So entsprechen sie zum einen von den Schultern bis zu den Füßen abwärts einem Menschen, der Kopf hingegen gleicht dem eines Kranichs. 126 Bezug auf Horaz und dessen Satiren (Horaz, Sermones, 1, 2). 127 Die Zweigestaltigkeit der Gegner wird immer wieder ins Zentrum der Ereignisse gestellt. Sie ist der eigentliche Stein des Anstoßes. 128 Es handelt sich um ein seidenes Kleid, das die junge Inderin als Überzug anbehält. Aufgrund des Stoffs ist damit letzten Endes auch eine gewisse Durchsichtigkeit der Verhüllung gegeben. Damit wird, wenn auch nicht explizit, bereits greifbar, was sich darunter verbirgt. 129 Hier ist eine momentane Änderung in der Fokalisierung sichtbar: Waren vorher stets der Herzog Ernst und der Graf Wetzel diejenigen, von denen aus der Blick auf die Gegebenheiten fiel, sind es neu die Monstren, die alles überschauen. Insofern wechseln Subjekt- und Objektpositionen für eine kurze Zeit die Plätze. 130 Nach Vergil, Aeneis, 2,774; 3,48. 131 Die Ermordung der jungen Inderin erfolgt in dieser Situation ohne konkreten Anlass und damit gewissermassen aus dem Nichts heraus. 132 Tatsächlich verspricht die indische Königstochter, dass sie sich mit einem der beiden Deutschen verheiratet hätte, wäre die Rettung rechtzeitig erfolgt. Allerdings ist markant, dass sie sich durchaus nicht festlegt, welchen der beiden männlichen Freunde sie in diesem Fall auserkoren hätte. 133 Hier Anklang an die Briefe des Horaz (vgl. Horaz, Epistulae, 1, 16, 78). 134 Minimale Aspekte des zeremoniellen Bestattens werden eingehalten. 135 Bezug auf den Anfang von Publius Papinius Statius und dessen Achilleis, die den betreffenden Teil beginnt mit Magnanimum Eacidem formidatamque Tonanti-… Die Verbindung zwischen beiden Formulierungen ist evident. 136 Die griechischen und trojanischen Helden werden teilweise nach ihrer Herkunft benannt: Hektor ist der Sohn des Priamos. 137 Es findet sich hier die Gegenüberstellung von Löwen und Hunden, die das Kräfteverhältnis beider Parteien zum Ausdruck bringt. 138 Die Bildlichkeit bleibt hier insofern in der antiken paganen Welt verhaftet, als für das Totenreich die Welt des Pluton thematisiert ist. 139 Die körperliche Zweigestaltigkeit sowie das pagane Wesen kommen hier zur Deckung. Kommentar 145 140 Was die Kampfkraft, insbesondere die angewandten Tötungsmechanismen angeht, sind die verschiedenen Kämpfer je nach körperlicher Form, in der sie gestaltet sind, unterschiedlich charakterisiert: Mit der Doppelgestaltigkeit der Kranichmenschen geht einher, dass ihre eigentlich ideale Waffe der Brandpfeil darstellt, den sie im Gesicht tragen. 141 Der geführte Kampf ist durchaus ambivalent, indem es sowohl verletzte und halbtote als auch unversehrte Menschen gibt. Es gehen also keine klaren Gewinner und Verlierer hervor. Dies scheint auch als Ausdruck der gesamten Konzeption der Erzählung von Herzog Ernst deutbar. Der Herzog ist zwar unzweifelhaft ein Anführer, doch ein großer Held, der über der gesamten Konstellation steht, ist er gerade nicht. 142 Land- und Seeschlacht stehen in dieser Passage in Konkurrenz zueinander, wobei Letztere den Landkampf ablöst. 143 Die zwölf Tage sind entsprechend der Heiligkeit dieser Zahl als offene Zeitstrecke markiert, die durch eine fehlende Zielgerichtetheit charakterisiert ist. 144 Gott als übergeordnete Bezugsgröße gerät niemals aus dem Sichtfeld, er ist immer da. 145 In der neuen Situation, in der das Schiff wiederum in See gestochen ist und nach Land sucht, werden unterschiedliche Konstellationen skizziert, die als solche aber alle realistisch geschildert werden. 146 Die Briefe des Horaz werden zitiert mit derselben Passage wie eben: Horaz, Epistulae, 1, 16, 78. 147 Die Kombination von Engel und Lamm fungiert als doppelte motivische Anspielung sowohl auf die christlich verstandene Sündhaftigkeit wie auf die über Jesus Christus eröffnete Erlösungsperspektive. Jesus ist das Zentrum der Engelswelt, als Lamm Gottes steht er aber auch für die Erfahrung der Erlösung. Insofern ist er derjenige, der den Weg zur Vergebung in diesem Moment erst eigentlich auftut. 148 Der Leib-Seele-Dualismus spielt hier insofern eine Rolle, als gemäß platonisch-christlicher Vorstellung diese Dichotomie mit dem Tod aufgelöst wird: In der seelischen Welt findet demnach die Erlösung statt, nicht in der Körperlichkeit. 149 Die Große Syrte, auch als Golf von Sidra bezeichnet, ist eine große Bucht, die sich an der Nordküste Libyens befindet. Sie galt in der Antike bei Seefahrern als eine Art Todeszone, da sie wegen ihrer Sandbänke und Strömungen gefürchtet war. 150 Dass es sich bei der Klippe, die sichtbar geworden ist, um den Magnetberg handelt, ist zunächst noch nicht ausgesprochen. 146 Kommentar 151 Der Tag des Jüngsten Gerichts wird hier als eigentlicher Rechnungstag anvisiert. 152 An dieser Stelle wird nun der Magnetberg als solcher benannt, verbunden mit der Zusatzinformation, dass er aufgrund seiner ‚Natur‘ Eisen anzieht. Man kann hier durchaus ein naturwissenschaftlich geprägtes Weltverständnis erkennen. 153 Hier handelt es sich um eine der wenigen Textstellen, an denen die erste Person Singular als Erzählinstanz greifbar wird. Während diese in den deutschsprachigen Versionen immer wieder sichtbar wird im Sinne des ich sage euch, ist sie in der lateinischen Prosaversion fast komplett unterdrückt. Darin ist ein markanter Unterschied zwischen den Fassungen greifbar, wobei in der folgenden Passage eine gewisse Ballung sichtbar wird: So fällt der Verfasser öfters gleichsam in die Rolle eines volkssprachigen Autors. 154 Auch fern vom christlichen Heimatland sieht sich Herzog Ernst noch vollständig in seine herrschaftliche Rolle der Lehensgesellschaft eingebunden. 155 Genau dasselbe Phänomen ist auch hier wieder virulent, indem die Erzählstimme in der ersten Person Singular auftritt. 156 In dieser Passage unterziehen sich Herzog Ernst und Graf Wetzel einem Experiment, um sich mittels einer bislang unerprobten Transportweise wegtragen zu lassen: Dabei nähen die Gefolgsleute Ernsts die Häute von Meerrindern zu Beuteln zusammen, um die Männer als Beute getarnt von Greifen zu den auf dem Festland liegenden Nestern zu verbringen. 157 Es bilden sich drei Zweiergruppen, die jeweils auf die gleiche Weise über den Ozean flüchten. Insofern ist am Schluss auch klar, dass ein Kandidat übrigbleibt: Für ihn bleiben nur das Gebet und der Tod. 158 Gott verfügt über die entsprechenden Wirkursachen, um die Geschicke zu einem Ende zu bringen. Letzten Endes wird Gott im ‚Herzog Ernst C‘ immer wieder als die ursprüngliche Instanz der Wirkmacht dargestellt. 159 Tatsächlich gibt es in diesem Text ein klares Bedingungsverhältnis gegenüber Gott: Wer sich gut verhält, der soll in den Himmel kommen, das zeigt sich in solch kleinen Szenen wie der vorliegenden. 160 Vereinzelt findet sich auch hier ein Einsprengsel des Mittelhochdeutschen. 161 Aspekte des Alltags funktionieren in der Welt von Herzog Ernst und Graf Wetzel ohne Probleme. 162 Wiederum wird die Erzählinstanz in der ersten Person Singular greifbar. Entsprechende Textstellen kommen hier gehäuft vor. 163 Die Erzählung hebt hier die Reziprozität von Berg und Fluss hervor. 164 Von Skylla und Charybdis wird an dieser Stelle nur Letztere in den Text eingefügt. Charybdis ist ein gestaltloses Wesen aus der griechischen My- Kommentar 147 thologie, das im Meer haust und gemeinsam mit Skylla vor Sizilien sein Unwesen treibt. Bereits bei Homer kommen sie vor: In der Odyssee meidet Odysseus Charybdis auf den Rat der Kirke hin, wird dann aber mit Skylla in einen Kampf verwickelt, der ihm mehrere Gefährten raubt; auch Jason und die Argonauten umschiffen die Ungeheuer, als sie sich bei Skylla und Charybdis befinden. 165 An dieser Stelle wird noch einmal auf die Große Syrte verwiesen: Sie wird in der Wertung des Texts quasi als das kleinere Übel aufgefasst. Auch sie ist eine nicht leichte Herausforderung hinsichtlich des Schiffswegs, wird aber für Ernst und seine Leute als weniger einschneidend empfunden. 166 Bergloch und Bretterboden spielen eine genuine Rolle bei der Wiedergeburt, die in dieser Szene vonstatten geht. Herzog Ernst und seine verbliebenen Gefolgsleute durchleben hier eine symbolische Erneuerung. Ziel ist, aufs Neue in die Welt ‚gespült‘ zu werden, eine Art nochmalige Geburt mitzumachen und dadurch zu einem zweiten Leben zu gelangen. Insofern ist der Magnetberg gewissermassen das Todestal, der Weg durch den Fluss wird hingegen zum Medium der Wiedergeburt stilisiert. 167 Systematisch werden die drei Gefahren aufgezählt, die sich aus der Konstellation ergeben. Sie stehen alle in einem sinnvollen Verhältnis zueinander. 168 Der Begriff der Hypostase wird in der christlichen Trinitätslehre verwendet, um das Verhältnis von Gott Vater, Gott Sohn und Heiligem Geist näher zu charakterisieren. 169 Mit Usia und Usiosis befinden wir uns im Bereich mittelalterlicher Schöpfungstheologie. Es geht dabei um die Beschaffenheit der wesentlichen Dinge in ihrer Substanz. 170 Bei der Usia geht es um Fragen der Subjekthaftigkeit und ihres Zustandekommens. 171 Bei der Usiosis geht es um das Wesen von Abbildlichkeit. 172 Auf das Matthäus-Evangelium geht das Motiv zurück, dass Petrus auf dem See geht (Matthäus 14, 25-31). 173 Das Syrtenmeer kommt als Bezugspunkt mehrfach vor. Es dient als Fluchtpunkt für den Herzog und seine Leute. 174 Der Begriff des ‚ungeschaffenen‘ Lichts stammt aus der christlichen Spiritualität. Gemeint ist dasjenige Licht, das Petrus, Jakobus und Johannes auf dem Berg Tabor gesehen haben (Markus 9, 2-8; Matthäus 17, 1-8; Lukas 9, 28-36). Es handelt sich um das Licht größter Gnadenerfahrung, das in der Form des Hesychasmus, einer Form des inneren Friedens, im Mittelalter fortlebt, wobei sein Ausgangspunkt Formen spätantiken Mönchtums bilden. In der ‚Hesychia‘, in der sich Vorstellungen von Gelassenheit und 148 Kommentar ruhiger Stille kombinieren, bekommt das ‚ungeschaffene‘ Licht seinen Ausdruck. 175 Eingebaut wird der ‚Stein des Weisen‘ in die Erzählung, der in seiner Konzeption bis auf die ersten Jahrhunderte n.-Chr. zurückgeht. Beim ‚Waisen‘ (lat. orphanus) handelt es sich um einen besonderen Stein, der einzigartig und in keiner Weise nachbaubar ist. Eingang fand der Stein in die mittelalterliche Kaiserkrone, dessen Prunkstück er wurde. Laut ‚Herzog Ernst C‘ ist es gerade auch die Herkunft, die aus diesem Stein etwas Besonderes macht, ihn insbesondere zu einem Verjüngungs- und Allheilmittel werden lässt. 176 Markant ist an dieser Stelle die entsprechende Gegenüberstellung von Einheit und Dualität, die sich der Wesensart des Steins einschreibt. So ist es gerade die Einzigartigkeit, die den ‚Stein des Weisen‘ auszeichnet. 177 Tatsächlich ist es Kaiser Otto persönlich, der den Stein von Herzog Ernst bekommen hat und ihn entsprechend in die Krone hat einbauen lassen. 178 Hier findet sich ein aitiologischer Verweis auf die Kaiserkrone des Deutschen Reichs. Diese wird in der Form einer Naturerscheinung begründet. Erklärt wird die Herkunft im Sinne einer Begründungssage, die sich aus der Beschaffenheit des Steins ergibt. 179 Hinweis auf der Metaebene des Erzählens, der zurück zum eigentlichen Stoffgeschehen führt. 180 Das Land der Arimaspen gehört zu denjenigen Ländern, in denen einäugige Riesen leben, die sich Zyklopen nennen. Überliefert ist die Kunde der Arimaspea, wie das Werk des Aristeas von Prokonnesos heißt, im Wesentlichen bei Herodot, aber auch bei Aischylos gibt es eine Referenz auf den Autor. Bei Herodot (Historien, III, 116; IV, 13, 27, 32) wird die Kunde der Einäugigkeit vermittelt, auch der Umstand, dass diese Wesen Gold hüten. 181 In dieser Gegend trafen Herzog Ernst und seine wenigen noch übrig gebliebenen Leute plötzlich auf ganz andere Arten des Zusammenlebens. 182 Die Zyklopen sind Figuren der griechischen Mythologie, die sich in unterschiedlichen Erzähltraditionen wiederfinden. Bei Homer sind es die Söhne des Polyphem, die sich als Zyklopen bezeichnen ließen und von dort an eine reiche Rezeption erfahren; sie werden allerdings nicht ausdrücklich als einäugig beschrieben, unter Umständen weil dies als bekannt vorausgesetzt wurde. In der Theogonie Hesiods wiederum handelt es sich um die Söhne und Töchter von Uranos und Gaia, die Zyklopen genannt werden. In Vergils Aeneis, einem der für das lateinische Mittelalter zentralen Ausgangspunkte der Erzähltraditionen, schmieden die Zyklopen auf der Insel Volcania Blitze und Donnerkeile für Jupiter, einen Streitwagen für Mars Kommentar 149 und einen Schild für Athene (Vergil, Aeneis, 8, 418 ff.); in der Georgica lässt Vergil sie im Ätna wohnen (Vergil, Georgica, 1, 471). 183 Das Schema ist in diesem Text derart aufgebaut, dass reiche Ausstattung auch eine luxuriöse Grundsituation zur Ausgangslage hat. Von daher kommt als Eigentümer jeweils nur eine reiche Partie in Frage, ist die Rede von einem predivitem optimatem-… 184 Im Bereich der Wundervölker wird hier das Lexem burgenses verwendet, das eigentlich in die abendländische Welt gehört und dort spezifisch das bezeichnet, was zur burc gehört, nämlich deren Bewohner. 185 Eine Besonderheit ist die Verwunderung über die beiden Augen, mit Hilfe derer Herzog Ernst und seine Gefährten in die Welt blicken; sie wird über mehrere spezifische Wörter konturiert, wobei gerade die explizite Zweiheit des Augenlichts mehrfach in verschiedener Weise zum Ausdruck gebracht wird. 186 Die Benutzung von Stilfiguren sticht hervor: So ist auffällig, in welchen Formationen und Konstellationen Aspekte des Auges bzw. der Augenlichter in dieser Passage verwendet werden. Insbesondere die Zusammenstellungen-…-duobus oculis oculatos-…,-…-oculatos binis oculis-… bzw.-…-duobus oculis oculosos-… kommen gehäuft vor und stechen buchstäblich ins Auge. 187 In der griechischen Mythologie zählt der Satyr zu den Dämonen, die sich im Gefolge des Dionysos befinden. Mitunter werden sie auch mit den Waldmenschen gleichgesetzt. 188 Die Konstellation ist zu Beginn bei den Arimaspi nicht einfach: Die Gäste, die aus der Ferne angereist sind, benehmen sich zum Auftakt zurückhaltend. Das Hauptproblem besteht in der fehlenden Speise. 189 Ein weiteres Beispiel für die Erzählinstanz, die sich in der ersten Person Singular zu Wort meldet. 190 Die gesamte Reise bis hierher wird in einem raffenden Schnelldurchlauf erzählt. 191 Die Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse zeigt, dass die Niederlage gegen die Agrippiner nicht dermaßen unkontrolliert vonstatten ging, wie eine erste Lektüre der Geschehnisse suggerieren könnte. 192 Die Arimaspi boten einen besonderen Anblick für die erste Tour: Sie ließen sich selbst und ihre Gäste aufwendig einkleiden, um das erste Zusammenkommen unter günstige Vorzeichen zu stellen. 193 Schon das erste Zusammentreffen am Hof des Königs von Arimaspi wirkt vielversprechend. Es sieht so aus, als ob sich aus der neuen Konstellation interessante Perspektiven ergäben. 194 Als eines Tages bei den Arimaspi plötzlich Feuersbrünste am Himmel schwelen, ergibt sich für Herzog Ernst die Möglichkeit, als Mittler-Figur 150 Kommentar zu figurieren, indem er sich zunächst zwar am Kampf beteiligt, sodann aber zugleich auch für Frieden sorgt. 195 Die Sciopeden - mitunter auch als Skiapoden bezeichnet - sind sogenannte Schattenfüßler, die hier ausdrücklich in Äthiopien verortet werden. Es handelt sich um Wesen, die bereits von Hekataios von Milet (spätes 6. Jh. v.-Chr.) erwähnt werden und in der Regel nur über ein Bein verfügen. Dieses verwenden sie als Sonnenschutz gegen die Hitze, indem sie es zur Abschirmung über den Kopf halten. Mitunter gibt es in späteren Fassungen des Herzog Ernst-Stoffs auch die Variante des Schutzes gegen den Regen, wenn es sich um nördlichere Gefilde handelt. Im ‚Herzog Ernst C‘ kommt als Eigenschaft aber noch hinzu, dass diese Wesen aufgrund des einen Fußes unglaublich schnell sind und sich von niemandem überholen lassen. 196 Eine weitere Kategorie von Völkern stellen diejenigen dar, die über viel Gold verfügen und entsprechend aufzutrumpfen wissen; sie vermögen die Gunst des jeweiligen Moments gut auszunutzen und beziehen daraus ihre Handlungsmacht. 197 Gerade, als sich die Siuation bis zu einem gewissen Grad eingependelt hat, treten neue feindschaftliche Größen auf. Dass der König der Arimaspi hierüber enerviert ist, ist in diesem Kontext verständlich, denn durch diese Entwicklung gelangt Herzog Ernst gleichsam in eine dem König von Arimaspi überlegene Rolle, wiewohl er sich eigentlich in einer diesem rangmäßig untergeordneten Position befindet. 198 Die Panoten gehören zur antiken Mythologie, sie sind ein antikes Volk von Ohrenmenschen und finden sich bei Ktesias von Knidos, einem griechischen Arzt und Geschichtsschreiber aus dem 4. Jh. v.-Chr., ein erstes Mal erwähnt. Sie zählen zu den diversen anderen Völkern, die der Autor des ‚Herzog Ernst C‘ im vorliegenden Komplex erwähnt. 199 Als Skythen wurden Wandernomaden bezeichnet. 200 Herzog Ernst ist durchweg darauf bedacht, die Verhältnisse im Klaren zu lassen: Es geht ihm also gerade nicht darum, eine bessere Position zu erringen, sondern sich in das Gefüge beim König von Arimaspi einzugliedern. 201 Jeweils zwei Exemplare eines Typus bleiben am Leben, um ein Beispiel für die jeweilige Art abzugeben. So erhalten sich konkrete Situationsbezüge für das spezifische Exemplum, das wiederum Zeugnis über die sonderbaren Lebewesen abgibt, die sich am Rande der Welt finden. 202 Aus dem Disput ergibt sich wiederum eine sinnvolle Welt: Der Herzog fügt sich in dieser Weise vorübergehend in das Herrschaftssystem des Königs von Arimaspi ein und wird dort zu dessen Vasallen. Kommentar 151 203 Die Giganten sind Gestalten aus der griechischen Mythologie. Die älteste Überlieferung ist diejenige des Hesiod, doch werden sie in vielfältigen antiken Zeugnissen genannt und sind auch in bildlichen Darstellungen überliefert; ihr besonderes Kennzeichen ist die alles übertreffende Körpergröße, die sie im Kampf anderen überlegen macht. Wie der Wortlaut des ‚Herzog Ernst C‘ verdeutlicht, standen die Giganten mit den Bewohnern von Arimaspi im Krieg; auch hier wird ihr Rang auf der Skala der Völker durch ihre Körpergröße bestimmt. 204 Die herausragende Leistung besteht darin, dass bei den Giganten bereits ein junger Mann von fünfzehn Jahren alle potentiellen Gegner bei weitem überragt. 205 Anstelle einer Waffe trug der junge Mann einen übergroßen Baum, den er sich zum Stock machte. 206 Der König der Giganten tritt mit einigem Machtgebaren an den Obersten der Arimaspi heran, um seinen Tributforderungen Nachdruck zu verleihen. 207 Auch die Einwohner von Kanaan spielten bei diesen Verpflichtungen eine Rolle, da sie ebenfalls mit in die aufgezwungenen Abgaben involviert waren. 208 An mehreren Stellen karikiert der Text im Folgenden die Verhaltensarten von kleinen Menschen, indem die Termini homullulus oder auch homunculus zu Negativbeispielen stilisiert werden; verschiedene Fremdvölker finden sich mit diesem herabsetzenden Attribut versehen. Der Stein des Anstoßes besteht dabei darin, dass sich die solcherart beschriebenenWunderwesen anmaßen, superbissima verba von sich zu geben, womit sie die geistige Hierarchie missachten, die ihnen von der göttlichen Konstellation, wie sie der Text suggeriert, vorgezeichnet worden war. 209 Die Gebiete der Giganten und derjenigen von Kanaan kommen teilweise zur Deckung. Es geht in beiden Fällen um fremdländische Völker, die sich dadurch auszeichnen, dass sie markante körperliche Abweichungen gegenüber dem menschlichen Maß aufweisen. 210 Die Gigantenkörper sind in ihren Dimensionen überproportional und werden daher wegen ihrer granditas von Herzog Ernst und seinen Leuten gern genau betrachtet. Andererseits wird in der Spezifik des Wortlauts durchaus ein martialisches Vergnügen greifbar, das mit dem Abschlachten eines Giganten einhergeht. 211 Entsprechende Fürsorge lässt greifbare und durchaus langfristig beständige Beziehungen entstehen. 212 Pygmäenvölker gehören in der antiken Welt zu den Fabelwesen, die in Asien oder Afrika angesiedelt sind. Der Begriff ‚Pygmäen‘ leitet sich ety- 152 Kommentar mologisch vom altgriechischen Wort für ‚Faust‘ ab, es geht also um faustgroße Menschen. 213 Die Faszination für Vögel ist in dieser Passage von besonderem Interesse. So dreht sich viel um die Flugtiere, es geht darum, ihre Spezifik zu erfassen. 214 Die gesamte Konstellation war in dieser Situation auf die Vögel und deren Wohlbefinden ausgerichtet; sie sind also als die eigentlichen Helden der Passage. 215 Stilfigur der Enumeration. 216 Hier gibt es ein Spiel mit den unterschiedlichen Fremdvölkern, die auf raffinierte Art gegeneinandergesetzt werden: So ist die Abfolge der auftretenden Völker entsprechend ihrer optischen Grössenverhältnisse abgestuft. 217 Der Titan ist hier der Vogel, der die Erde erleuchtet. Alles in allem gibt es von der Antike her diverse Titanen mit unterschiedlichen Aufgaben. Grundsätzlich handelt es sich um Riesen in Menschengestalt. 218 Die heilsame Art, mit den Vögeln umzugehen, zeigt sich hier im eher simplen Gegeneinander. 219 Die besondere Vorliebe für den Ausdruck der homunculi bzw. homulluli ist in dieser Textpassage frappant. Sie werden gleichsam zu einer Sammelbezeichnung, um die diversen ‚Menschlein‘, wie eine treffende Übersetzung sie ausmachen würde, zu fassen. Die Wundervölker sind damit zwar als Menschen klassifiziert, aber eben doch keine ‚vollwertigen‘. Dementsprechend werden sie auch den ministeriales zugeordnet. 220 Als Belohnung wünscht sich Herzog Ernst jeweils zwei Exemplare von Vertretern der Wundervölker, damit er diese in seinem eigenen Gefolge halten kann. Er wird sie später mit sich nach Europa führen. 221 Als weitere Gruppe sind in der Zwischenzeit Mauren gelandet, die ihre Siedlungsgebiete vom 7. bis zum 10. Jh. in Nordafrika hatten und zu den Berberstämmen gerechnet wurden. 222 Beim ersten Außenkontakt spielt wiederum das Argument der Christlichkeit eine zentrale Rolle. Der Umstand, dass auch die Gestrandeten der christlichen Religion angehören, vereinfacht die Angelegenheit immens. 223 Das Merkmal der Fernfahrer ist wiederum großer Hunger und Durst, so wie es auch Herzog Ernst und seine Begleiter erlebt hatten. 224 Nicht zufällig wird hier die christliche Barmherzigkeit angerufen. Sie soll in der Not helfen, den aus der Ferne Zugereisten Hilfe zu leisten. 225 Der König von Babylonien wird als weitere Gegenfigur installiert. Mit ihm wird wiederum auf die Zeit des Alten Testaments zurückgegriffen. Der Kampf um die ‚richtige‘ Religion ist entsprechend auch in dieser Passage Kommentar 153 dominant. Die ‚falsche‘ Religion zeichnet sich dadurch aus, dass sie von Idolatrie ausgeht, also materielle Bildzeichen zum Gegenstand der kultischen Verehrung erhebt. 226 Ein Kernpunkt der kriegerischen Motivation liegt im Herrschaftsanspruch Gottes, von dem auch nicht abgerückt werden kann. 227 Dass Ernst und seine Leute sich so unvermittelt vom König von Arimaspi lösen, wird mit dem trennenden Umstand des Heidentums begründet. 228 Die Schiffsreise nach Indien ist durch die Gefahren wilder Klippen geprägt und steht damit noch einmal symbolisch für den ‚wilden Ritt‘, den die Christen erdulden müssen, wenn sie in heidnische Gebiete reisen. 229 Auch hier steht Herzog Ernst wiederum im Zentrum der Ereignisse, indem er für die Fremden als relevante Bezugsperson fungiert. 230 Zitat aus der Aeneis: Vergil, Aeneis 4, 174/ 175. 231 Der Spruch aus der Bildrede des Neuen Testaments (Johannes 14, 16) hat eine große Prominenz erlangt, nicht zuletzt aufgrund seiner markanten Position in der Überlieferung. Der über Jesus vermittelte Glaubensweg erlaubt es, eine letztgültige Lebensgemeinschaft mit Gott aufzubauen. 232 Märtyrertode stellen grundsätzlich insofern ein Problem dar, als nicht die ‚falschen‘ Todesarten anvisiert erlebt werden sollen; von ihnen gilt es die ‚richtigen‘zu unterscheiden. 233 Zu den Predigern der Kirche gehören in der Spätantike zahlreiche Denker, Mönche und Philosophen. 234 Es geht hierbei um jenen asketischen Brief, der vom Heiligen Hieronymus an den Mönch Rusticus geschrieben worden ist (Hieronymus, Epistulae 125). Der Adressat ist Rusticus aus Marseille, welchem Hieronymus eine Art Handbüchlein geschickt hatte mit den wichtigsten Regeln für das Zusammenleben. Die Passage berührt die Anfänge der monastischen Entwicklung in Europa. Die Datierung des Briefs birgt allerdings Schwierigkeiten, vermutlich ist er nach 406 n. Chr. geschrieben worden. 235 Orientiert sich an Matthäus 3, 9, wobei es um den persönlichen Glauben geht. Der Anlass stellt die Aufgabe dar, den Pharisäern und Sadduzäern das Gericht Gottes anzukündigen und sie zur Buße aufzurufen. Den alttestamentlichen Referenzen zufolge lehrte Gott Abraham, Kinder zu erwecken, selbst wenn er sich hierzu der Steine bedienen musste. 236 Bemerkenswert ist an dieser Zusammenstellung die Gleichwertigkeit von Jupiter und Mohammed, mit dem Unterschied allerdings, dass der Erstere noch mittels eines entsprechenden Adjektivs herabgesetzt wird, das auf seine geistige Brüchigkeit als Gottesinstanz zielt. 237 Im Vordergrund steht permanent die Vorstellung von der treusorglichen Herrschaft Gottes, die auf der ganzen Welt verbreitet werden soll. 154 Kommentar 238 Die Spätantike ist die Zeit der Märtyrer, die hier aus der Perspektive der nicht christlichen Völker zu Gegnern stilisiert werden. 239 Zitat aus den Briefen des Horaz (Horaz, Epistulae, 1, 18). 240 Die Wunderwesen sind durchgehend als Heiden konzipiert. Der Kampf zwischen Christen und paganen Wesen spielt also eine intrinsische Rolle in der Auseinandersetzung zwischen den Völkern. 241 Die Rolle des Giganten ist hier eine besondere, da er derjenige ist, der für den Sieg von Herzog Ernst und seiner Leute kämpft. Er ermöglicht es, die ganze Angelegenheit ohne fremde Hilfe zu meistern. 242 Tatsächlich wollten die Christen weiterhin die Oberhand im Spiel behalten. Sie waren also darauf bedacht, durchgehend die führende Stimme innezuhaben und nichts abzugeben. 243 Eine unglaubliche Schlagkraft liegt bei dem einen Giganten, der im Alleingang das Gros der Gegner umbringt. 244 Die Erzählinstanz ringt darum, sich selbst im Zaum zu halten, damit sie nicht schärfer mit dem Erzählten in eine Konkurrenz tritt. Es handelt sich also wiederum um eine Art der Enumeratio, die hier an den Tag gelegt wird. Dabei gilt es, Weitschweifigkeit zu reduzieren und dadurch sinnvolle Richtlinien für das Gesamtkonzept der Erzählung zu konturieren. 245 Der Weltenlauf weist mit intrinsischer Konsequenz nach Jerusalem. Allerdings stellt sich die Frage, wie der Weg von Osten aus überhaupt bis dahin würde führen können. 246 Die Darbietung dient nicht zuletzt dazu, den König von Babylonien umzustimmen. 247 Der König von Indien, seines Zeichens christlich, und der König von Babylonien, welcher der paganen Religion angehört, stehen in einem manifesten Konkurrenzverhältnis zueinander. 248 Die unterschiedlichen sozialen Verbindlichkeiten spielen eine Rolle hinsichtlich der Erzählinstanz. Insofern kommt es durchaus darauf an, ob der pagane Partner sich als großzügiger oder kleinlicher erweist. 249 Das Heidentum der Babylonier wird demonstrativ ausgestellt, sodass sich die verschiedenen Parteien umso klarer gegen die eine oder andere Formation positionieren lassen. 250 Palinurus, der umsichtige Steuermann des Aeneas, hilft entscheidend dabei, das Schiff auf Kurs zu halten. 251 Die Stadt Jerusalem ist der Mittelpunkt des Heilswerks und deshalb das eigentliche Ziel der Reise. 252 Hier eine Repetitio als Stilfigur: Durch die Dreiheit von diverse wird die Vielfalt ausgestellt, der Text wird gleichzeitig aber stringent belassen. Kommentar 155 253 Jerusalem ist der einzige Ort, von dem aus sich die Geschichte nun weiterentwickeln kann. 254 Der Unterschied von Christentum zum Heidentum hatte nie eine wirklich objektivierte Form angenommen, so dass er die interpersonellen Beziehungen grundsätzlich hätte stören können. So wird Herzog Ernst unabhängig von diesen religiösen Differenzen für einen Freund gehalten. 255 Der Kampf Christen gegen Heiden ist insofern zugespitzt, als Erstere vollkommen die Oberhand in Jerusalem gewonnen haben. Offenkundig ist die Zeit der Kreuzzüge auf ihrem Höhepunkt, da sich Jerusalem hier ganz in der Hand der Christen befindet. 256 Auch hier findet sich wiederum die Bezeichung burgenses für die Einwohner im Orient. Allerdings sind damit die Christen gemeint, die sich in Jerusalem niedergelassen haben. 257 Herzog Ernst eilt sein Ruf voraus, indem er als inclitus bezeichnet wird, ein Wort, das denjenigen ankündigt, dessen Ruhm schon von weitem bekannt ist, ohne dass man ihn bereits persönlich kennt. 258 Alles in allem ist Jerusalem zu diesem Zeitpunkt eine christliche Stadt geworden. Sie unterscheidet sich nicht grundlegend von einer Metropole in Mitteleuropa. Dies zeigt sich auch an den Klöstern, die sich in ihrem Umfeld befinden. 259 Eine immense Wirkung haben die Wunderwesen, die Herzog Ernst zunächst nach Jerusalem, dann aber auch ins Abendland bringt. Sie werden später den Schritt zum Kaiser öffnen, der ihm stets feindlich gesinnt war. 260 Herzog Ernst verfolgt seinen Weg weiter bis nach Jerusalem, ohne noch einmal große Ereignisse zu erleben. Bei seiner Ankunft in der Stadt wird er jedoch freudig empfangen, eilt die Kunde von seinen Reiseabenteurn ihm doch voraus. Insbesondere die von ihm mitgeführten, jeweils in zwei Exemplaren gegebenen Wunderwesen verleihen ihm dabei ein besonderes Renommé. 261 Belial ist eine dämonische Gestalt aus dem Alten Testament, ihre Herkunft ist ungeklärt. Sie hat sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament ein breites Feld an Anwendungsgebieten erfahren. Die etymologische Erklärung des Wortes bezieht sich auf ‚Kinder der Wertlosigkeit‘; sinnvoll ist auch eine ugaritische Anbindung, die ‚Nichtsnutz‘ bedeuten würde. 262 Bemerkenswerterweise hält sich selbst der König von Babylonien in seinem Urteil hinsichtlich der großartigen Stadt Jerusalem zurück. 263 Mit dem Hinweis, dass Herzog Ernst ergraut sein soll, fällt an dieser Stelle eine neue Information, die in gewisser Weise im Widerspruch zu den sonstigen Einblicken in das Reisegeschehen zu stehen scheint. Gegenüber den 156 Kommentar anderen Fassungen, wo der Herzog dem Typus nach jünger charakterisiert ist, wirkt er in dieser Version von den Reiseerfahrugen stärker ausgezehrt. 264 Zitat aus Boethius, Consolatio Philosophiae, 1, c.1,11. Es folgen in unmittelbarer Fortsetzung noch weitere direkte Zitate, die der Antwort der Königin ein besonderes Gepräge geben. Der Aspekt, der hier im Vordergrund steht, ist das Ergrauen des Haares, das in Bezug auf den Herzog eindeutig in einem zu frühen Stadium erfolgt und damit seine Jugend torpediert. Damit wird seine hohe Stellung nach der Rückkehr ins eigene Herzogtum prekarisiert, was in einem gewissen Widerspruch zu den bisherigen Berichten steht: Ernst war bis dato ein tapferer Mann, der keine Einschränkungen zu gewärtigen hatte. Dass er jetzt plötzlich ergraut ist, führt in eine modifizierte Geschichte hinein, welche zu einem gewissen Grad jener Erzählung entspricht, die der Kaiser, sein Stiefvater, über den Jüngling zu erzählen gewillt ist. 265 Zitat aus Boethius, Consolatio Philosophiae, 1, c.1,9. Auffällig sind hier die geballten Direktzitate aus der Literatur- und der Philosophiegeschichte, die hier noch einmal Wirkung zeitigen, indem sie den gesamten Bericht in die zentralen Sphären der letzten 1200 Jahre einordnen. Markant werden in diesem Zusammenhang Höhepunkte der Literaturgeschichte eingearbeitet, die damit den Kenntnisreichtum des unbekannten Autors der lateinischen Prosafassung ausstellen. 266 Zitat aus Ovid, Epistulae ex Ponto, 1, 4, 21/ 22. Die Zusammenstellung von christlichen und heidnischen Topoi verleiht der Argumentation hier ein eigenes Gepräge, das christliche und heidnische Referenzpunkte gleichermaßen überformt, wie das zum Entstehungsraum des ‚Herzog Ernst C‘ aber durchaus üblich war. 267 Zitat aus Ovid, Fasti, 11, 493. 268 Zitat aus Ovid, Epistulae ex Ponto, 1, 3, 35. 269 Es sticht ins Auge, dass der Patriarch in der Auflistung bedeutender Personen in der Stadt an früher Stelle genannt wird. Dies bestätigt den Umstand, dass die östliche-christliche Welt hier ganz im Sinne der westlichen zu verstehen ist. 270 Tatsächlich war aus Herzog Ernst ein fabelhafter Ritter geworden, mit einem reichen Umfeld, den man nicht leicht ziehen lassen wollte. Für den gemeinsamen Rückzug nach Europa schließt sich eine stattliche Zahl von über 2000 Pilgern zusammen. 271 Die besondere Stellung der Wunderwesen zeigt sich auch darin, dass der Tod eines der Plattfüssler hier genannt ist, somit fortlaufend Inventar geführt wird. Kommentar 157 272 Nikolaus von Myra ist einer der berühmtesten Heiligen der Ostkirchen wie auch der lateinischen Kirche, sein Gedenktag ist der 6. Dezember. Er wirkte im kleinasiatischen Reich, sein Name bedeutet so viel wie ‚Sieg des Volkes‘. Historisch gibt es nur wenige Zeugnisse, so wurde er 310 im Zuge der Christenverfolgung gefangen genommen und gefoltert. 273 Eine Besonderheit spielen auch in Rom die als miraculosa bezeichneten Wunderwesen, die Anlass zu großer Bewunderung gaben. Im vorliegenden Zusammenhang fehlt zudem die früher gebrauchte, als despektierlich aufzufassende Verkleinerungsform des Substantives homo. 274 Das Apostelgrab des Simon Petrus befindet sich in Rom in der Peterskirche. Es wird davon ausgegangen, dass Petrus der erste Bischof von Rom war. Deshalb habe Christus Petrus und dieser den folgenden römischen Bischöfen eine Vormachtstellung als Lehrer, Richter und Leiter sämtlicher Christen verliehen. 275 Hier steht die Urkirche im Vordergrund, die als Basilika konzipiert ist und ihrerseits direkt auf pagane Traditionen zurückgeht. 276 Herzog Ernst erhält vom Papst in Rom die höchste Anerkennung. 277 Auch für die angenehmsten Gastmähler ist beim Papst gesorgt. 278 Herzog Ernst verdeutlicht durch sein Verhalten eine Gesellschaft, in der sich Kaiser und Papst in unterschiedlichen Sphären befinden. Charakteristisch ist dabei allerdings, dass sich der römische Adel auf der Seite des Papstes bewegt. 279 Der Papst holt zunächst im Geheimen das Bekenntnis sowie die Beichte von Herzog Ernst ein, bevor es zu einer gemeinsamen Zusammenkunft kommt. 280 Thematisiert wird zudem der Bannstrahl, auch Anathema genannt, der mit einer kirchenrechtlichen Exkommunikation gleichzusetzen ist. Einen Höhepunkt erlebte das gegenseitige Bann-Anlegen im Jahr 1054, als sich die Auseinandersetzung zwischen östlichem und westlichem Kaiser auf einen Höhepunkt der gegenseitigen Aberkennungsdynamik zubewegte. Diese Konfrontation wurde nur wenige Jahrzehnte durch den abendländischen Disput um Canossa in den Jahren 1066/ 67 noch einmal verlagert. Beim legendären ‚Gang nach Canossa‘ sei König Heinrich IV. beim Papst vorstellig geworden und habe untertänigst drei Tage auf der Schwelle um Einlass erbeten. So steht ‚Canossa‘ bis heute sprichwörtlich für einen Bittgang, der als erniedrigend und unter der Würde des Bittstellers empfunden wird. 281 Die hier angedeutete Rückkehr ins Kaiserreich, welche dem Aufenthalt unter päpstlicher Gerichtsbarkeit gegenübergestellt wird, erfolgt unter ungünstigen Auspizien, stehen doch schon Gewaltandrohungen im Raum. 158 Kommentar 282 Markant ist wiederum die Fokussierung auf die Mutter von Herzog Ernst, die zur eigentlichen Hauptperson dieser Passage konturiert wird. Sie ist die Ansprechsperson für die Anliegen, die Ernst vorbringt, und zwar deutlich auffälliger, als dies bei den Parallelversionen der Fall ist. 283 Das Hochamt bezeichnet in der römisch-katholischen Kirche eine Form der heiligen Messe. Entstanden ist das Hochamt im römischen Ritus des 10. bzw. 11.- Jahrhunderts durch Vereinfachungen, die sich aus dem bischöflichen Pontifikalgottesdienst entwickelt haben, wobei es in der Regel täglich stattfand. Typisch war der Gesang des Priesters und des Chors. 284 In der Heimat findet Herzog Ernst die Königin in der Kirche, in welcher sie gerade für ihn Gebete spricht. Auch hier hat sie also nicht abgelassen von der Position, ihren Sohn zu unterstützen und seine Interessen im Disput zum Kaiser zu verteidigen. 285 Teilzitat aus Boethius, Consolatio Philosophiae, 1, c.1, 9/ 10 (etwas weiter oben wurde der erste Teil des Zitats bereits gegeben, dort allerdings korrekt). An dieser Stelle kommt bei Boethius gleich zweifach der Topos des frühen Alterns vor. 286 Die politische Situation in Deutschland ist zu dieser Zeit nach wie vor sehr kritisch. Offenkundig muss Herzog Ernst seinen Tod fürchten, dies machen die Gesprächsäußerungen deutlich: Der Kaiser scheint in keiner Weise auf ihn zuzugehen. 287 Das Hochamt wird am kommenden Tag von keinem geringeren als vom Bischof von Bamberg gelesen. Damit wird ein besonders schicksalsträchtiger Tag markiert. 288 Zitat aus Horaz, Epistulae, 1, 4, 13. 289 Mit Aurora wird wiederum auf eine heidnische Göttin, die römische Göttin der Morgenröte, verwiesen. Gottesfiguren aus Christen- und Heidentum reichen sich in diesem Text öfters die Hand, ohne dass dadurch Verständnisprobleme entstehen würden. 290 Benutzung eines Polyptotons, das über die spezielle Lautform des Verbs zusätzlich erhöht wird. 291 Der Sauerteig spielt in der Bibel eine wichtige Rolle. Bereits in der Genesis kommt er zum Zug (3. Mose 2, 11 sowie 3. Mose 7, 12.13), dann aber vor allem im Gleichnis vom Sauerteig (Matthäus 13, 33 und Lukas 13, 20-21). 292 Der Name Boanerges bedeutet so viel wie ‚Söhne des Donners‘ und kommt im Neuen Testament vor. Dort wird er den Aposteln Jakobus und Johannes, den beiden Söhnen des Zebedäus, von Jesus von Nazareth gegeben (Matthäus 3, 17). Einen Grund für diese Konvergenz sah man darin, dass sich beide durch starken Feuereifer ausgezeichnet hatten. Kommentar 159 293 Die gesamte Passage ist wiederum durch Polyptota gespickt, die ihr einen besonderen sprachlichen Reiz verleihen. 294 Alleinstellungsmerkmal von Jesus ist es - wie hier gegenüber dem Kaiser aufgezeigt wird -, über ein unübertreffliches Maß an Güte zu verfügen. 295 Tatsächlich zeigt der Kaiser gegenüber Herzog Ernst einen unwilkürlichen Ausdruck des Unwillens, der den Sachverhalt einer möglichen Übeltat übersteigt, selbst wenn der Kaiser damals seinerseits vom Herzog bedroht worden war. 296 Es zeigt sich in dieser Szene, dass sich die Masse der Bevölkerung dem Kaiser gegenüberstellen und auf ihrem Recht beharren kann. Deutlich wird hier, wie selbst der Kaiser zugunsten von Herzog Ernst letztendlich nachgibt. 297 Der Kaiser macht in seiner Erläuterung deutlich, dass er es ausschließlich Jesus Christus zuschreibt, Herzog Ernst und Graf Wetzel nun vergeben zu haben. Allein Christus vermag es den Kaiser, der seinerseits, wie er sagt, unbeugsam geblieben wäre, gewissermaßen zu überstimmen. Offenkundig zeigt sich in dieser Haltung auch ein Ausdruck des Lehenswesen, der einem feudalistischem Verständnis auch im Bereich der geistlichen Beziehungen entspricht. 298 Der Friedenskuss gehörte im Hochmittelalter zu den fest etablierten Zeremoniellen des Zusammenkommens. Insbesondere Papst und Kaiser nutzten diese Geste, aber auch im hierarchischen Habitus, wie sie der Kaiser und Herzog Ernst an den Tag legen, hatte diese Form ihren Sinn. 299 Dass auch die Königin den Friedenskuss appliziert, bekommt im vorliegenden Kontext eine spezielle Note, da der Kuss aufgrund der Aufmerksamkeit, die ihm durch die Beistehenden zukommt, besonders herausgehoben ist. 300 Herzog Ernst zeigt nun seine ganze Sammlung von Wunderwesen, die er im Orient für sich zusammengetragen und mitgebracht hat. Dezidiert werden sie in den Einzelheiten noch einmal präsentiert, zur Erinnerung des durchlaufenen Handlungsweges, aber vor allem auch zur Statuierung seiner sozialen Attribute. Da der Herzog über sie verfügt, sind sie Ausdruck seines Reichs und seiner Macht. 301 In diesem Zusammenhang wird die aitiologische Erzählung vom ‚Waisen‘ berichtet, dem Stein der Kaiserkrone, den der Herzog Ernst aus dem Orient mitgebracht hat. Die Geschichte wird an dieser Stelle zwar nur kurz erwähnt, ihre Bedeutungshaftigkeit wird mit dem Verweis auf die Länge aber durchaus angedeutet. 302 Die Schilderung aller Ereignisse dauert sechs Tage, ist also exakt - ohne den Sonntag - ein Wochenwerk. 160 Kommentar 303 Sämtliche Ereignisse der Orientreise werden schriftlich festgehalten. Dabei ist wichtig, dass alles in der richtigen Reihenfolge notiert wird. Relevant sind gerade auch die Wunderwesen, die Zeugnis ablegen und damit das Mitgeteilte bekräftigen. 304 Offenkundig gibt Herzog Ernst seine Beute, die er in der Wunderwelt erlangt hat, nur ungern an den Kaiser heraus. Die Art und Weise wie hier über die beiden Männer aus Arimaspi verfügt wird, trägt kolonialistische Züge. Indem diese dem Kaiser übergeben werden, werden sie als Zeichen der fremden Welt in das westliche Reich einverleibt, womit sich der westliche Kaiser zum Mitinhaber der betreffenden östlichen Sphären aufschwingt. 305 Der Kaiser räumt ein, die Privilegien des Herzog Ernst damals ohne Rechtsgrund eingezogen zu haben. Er hat damit also seinerseits ein Unrecht begangen, das er nun wiedergutmacht, indem er die Rechtssituation des Herzogs wiederherstellt und ihm die Länder Bayern und Österreich zuteilt, die ihm von Rechts wegen zustehen. Die hier ausgestellte Willkürlichkeit des Kaisers beeinträchtigt seinen Stand in der Geschichte. Anstatt als souveräne Figur aufzutreten, handelt er beliebig und ohne stringenten Sinn. 306 Die Basilika in Selz wird ganz nach dem Dom in Jerusalem ausgerichtet. Damit wird die lokale Komponente in Deutschland an das Heilige Land angeglichen und so eine Verbindung zu Jerusalem hergestellt. 307 Die Erwähnung des Lahmen ist als klare Referenz auf die Bibel zu lesen: Sowohl im Alten wie im Neuen Testament finden sich zahlreiche Episoden, die von bewegungsunfähigen Menschen handeln. 308 Die hier erwähnten Geschichten sind insofern auffallend, als es sich gerade nicht um erzählungswürdige Ereignisse handelt und sie im Gegenteil sogar das feine Ansehen der Kaiserin eher untergraben. 309 Bemerkenswert ist gerade auch der Vorgang der wundersamen Auflösung, weil er eine enorme Aufwertung der heimlich konsumierten Ware anzeigt: Aus Brotkrümchen sind Perlen geworden. Letzten Endes spiegelt sich hierin die Hochschätzung des Verfassers gegenüber der Kaiserin, die eine entsprechende Umkodierung überhaupt erst ermöglicht. 310 Siehe Platon, Lysis, 210e; vor allem auch: Hebräer 12,6-7.11; Buch der Sprichwörter 3,12. Lieben und Schlagen bewegen sich im vorliegenden Kontext eng nebeneinander, was nicht zuletzt an dieser Szene deutlich wird. 311 Der Westbau des Augsburger Münsters stürzte im Jahre 994 n. Chr. ein. Direkt danach begann Bischof Liutold mit dem Neubau, unterstützt durch die Kaiserin Adelheid, die den Einsturz angeblich in einer Vision vorausgesehen hatte. Kommentar 161 Deutscher Text 1 Die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Ehlen, Thomas: Hystoria ducis Bauarie Ernesti. Kritische Edition des „Herzog Ernst“ C und Untersuchungen zu Struktur und Darstellung des Stoffes in den volkssprachlichen und lateinischen Fassungen, Tübingen: Gunter Narr Verlag 1996 (ScriptOralia. Reihe A, Altertumswissenschaftliche Reihe 23). 2 Der lateinische Text ist hier lückenhaft überliefert, die Übersetzung bezieht sich auf Haupts Konjektur ‘contra belli aleam’, die eine plausible Übersetzung ermöglicht. Vgl. Haupt, Moriz: Herzog Ernst [C]. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 7 (1849), S.-193-303. 3 Auch hier wird nach einer Konjektur von Haupt übersetzt: ‘per rumorem peperit’. 4 Im lat. Text ist ‘citra’ problematisch. 5 Haupt an dieser Stelle konjiziert ‘vineas’. 6 Haupt konjiziert ‘pheteraere’. 7 Siehe zu den Waffenbezeichnungen: O’Sullivan, Angelika: Waffenbezeichnungen in Althochdeutschen Glossen: Sprach- und Kulturhistorische Analysen und Wörterbuch. Berlin, New York 2013 (Lingua Historica Germanica 5). 8 Siehe zu diesen nautischen Fachausdrücken: Pleuger, Nina: Der Vocabularius rerum von Wenzeslaus Brack. Untersuchung und Edition eines spätmittelalterlichen Kompendiums. Berlin, New York 2005 (Studia Linguistica Germanica 76). 9 Die Übersetzung folgt hier der Konjektur von Haupt: ‘purpuras pretiosissimas opertis’. 10 Auch hier folgt die Übersetzung der Konjektur Haupts: ‘solius Achan’. 11 Die Handschriften überliefern ‘mrē’. Die Übersetzung folgt dem Text nach Haupt: ‘more’. 12 Übersetzt nach der Konjektur Haupts: ‘matrum’. Bibliographie Textausgaben (Auswahl) [Herzog Ernst A]: Bartsch, K[arl]: Bruchstücke von Herzog Ernst A. In: Germania 19 (1874), S.-195-196 [wieder in: Herzog Ernst, hrsg. v. B. Sowinski, Stuttgart 1979, S.-355-357]. [Herzog Ernst A]: Göber, Willi: Neue Bruchstücke des Herzog Ernst. In: Festschrift für Theodor Siebs zum 70. Geburtstag, 26. August 1933, hrsg. v. Walther Steller, Breslau 1933, S.-17-32. [Herzog Ernst A/ B/ F]: Bartsch, Karl: Herzog Ernst, Wien 1869. [Herzog Ernst A/ B/ Kl]: Herzog Ernst. Ein mittelalterliches Abenteuerbuch. In der mittelhochdeutschen Fassung B nach der Ausgabe von Karl Bartsch mit den Bruchstücken der Fassung A hrsg., übers., mit den Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Bernhard Sowinski, 2. verbess. Aufl., Stuttgart 1979. 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Er verbindet Elemente der deutschen Reichsgeschichte mit Motiven des Kreuzzugsgeschehens und fasst sie zu einer Erzählung, in welcher der Held eine als Irrfahrt gestaltete Abenteuerreise im Orient erlebt, sich in der Fremde bewährt und nach erfolgtem Läuterungsprozess zu Hause reintegriert wird. Zu den ältesten lateinischen Versionen gehört der sogenannte Herzog Ernst C, eine Prosafassung, die ins 13. Jahrhundert datiert wird. Im Vergleich zu den erhaltenen mittelhochdeutschen Bearbeitungen zeigt der Text eigene Akzente, vor allem im Zusammenhang mit der Einbindung der Mutter des Helden ins Reichsgeschehen. Der Band bietet synoptisch zum lateinischen Text erstmals eine deutsche Übersetzung. Diese ist sehr textnah gestaltet, um das fremdsprachige Original auch denjenigen zu erschließen, die in der Lektüre mittellateinischer Diktion weniger geübt sind. Anmerkungen und ein Nachwort erleichtern das Verständnis. www.narr.de