eBooks

Troubadourdichtung

2008
978-3-8233-7451-0
Gunter Narr Verlag 
Prof. Dr. Johannes Kramer
Dr. Christine Felbeck

Im Zuge der Einführung der modularisierten Studiengänge nach dem Bachelor- und Mastermodell bietet sich auch die Möglichkeit, die Beschäftigung mit der frühen Literatur der romanischen Sprachen zu reformieren. Während bislang vor allem die Heldenepik im Zentrum mediävistischer Studienanteile stand, wurde die mittelalterliche Textgattung mit der größten Wirkung auf die Geschichte der europäischen Literatur weitestgehend vernachlässigt: die Troubadourdichtung. Der vorliegende Band bereitet diese Anfänge der Lyrik im 12. und 13. Jahrhundert für den akademischen Unterricht auf und bietet mit altprovenzalischen Liedern von 19 Troubadours nebst textnahen deutschen Parallelübersetzungen und französischen Versionen Studierenden erstmals einen direkten Zugang. Einführungen zu den Troubadours, Kommentare zum Text und ein Überblick über die Forschungsliteratur ermöglichen eine sachgerechte Auseinandersetzung mit den Liedern. Zudem bilden eine Einleitung zu sprachlich-literarischen Fragestellungen und eine Kurzgrammatik sowie eine Auswahl aus Catulls Lesbia-Gedichten und aus europäischen Nachwirkungen der Troubadourdichtung den weiterführenden Rahmen dieser Anthologie.

narr studienbücher Christine Felbeck Johannes Kramer Troubadourdichtung narr studienbücher Christine Felbeck / Johannes Kramer Troubadourdichtung Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik Gunter Narr Verlag Tübingen Dr. Christine Felbeck lehrt als Akademische Rätin romanistische Literaturwissenschaft und Prof. Dr. Johannes Kramer romanistische Sprachwissenschaft am Fachbereich II: Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Universität Trier Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Druck: Gulde, Tübingen Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6451-1 Vorwort Die Geschichte der Romanistik beginnt bekanntlich mit der Beschäftigung mit altprovenzalischen Texten: Die ersten Fundamente der neuen Wissenschaft waren für François Raynouard (1821), für August Wilhelm von Schlegel (1818/ 1971) und für Friedrich Diez (1882/ 1883) die Liebesgedichte der Troubadours, die es sprachlich zu erklären und literarisch zu verorten galt. Das gesamte 19. Jahrhundert war von einer Begeisterung für diese Gattung geprägt, obwohl sehr bald altfranzösische Texte, meist der Gattung der chansons de geste angehörig, eine immer stärker werdende Konkurrenz darstellten. Unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts war das verständlich: Die Studierenden brachten ausgezeichnete Lateinkenntnisse vom Gymnasium mit ins Studium, und da war dann das Altfranzösische eine mit den Mechanismen der historisch-vergleichenden Grammatik relativ leicht zu beschreibende Zwischenstufe zwischen dem bekannten Latein und dem ebenfalls bekannten Neufranzösisch. Der Zeitgeist war zudem dem heldischen Gedankengut der Epik weit gewogener als den Gefühlsregungen der Lyrik. Im 20. Jahrhundert ist die Beschäftigung mit den Troubadours im Studium der Romanistik und fast noch mehr im französischen Fachstudium an den Rand gedrängt worden: Die Altfranzösisch-Kurse blieben an vielen Universitäten ein von der Tradition gestützter Teil der Studiengänge mit Einübung der historischen Sprachwissenschaft, obwohl sie von den meisten Studierenden eher als lästiges Übel denn als motivierende Beschäftigung mit der mittelalterlichen Epoche angesehen wurden. Das Altprovenzalische hingegen wurde - wenn überhaupt - zu einer Domäne für Spezialisten, mit der Normalstudierende keine Berührung mehr hatten. Wenn man sich überhaupt für Provenzalisch - in der moderneren Terminologie Okzitanisch - interessierte, dann für die neuzeitlichen Erscheinungsformen dieser Sprache und für die verschiedenen Versuche, sie durch Normierungen lebenskräftig zu halten. In den letzten Jahrzehnten ist aber die Art, wie man Altfranzösisch an den Universitäten betreibt, zunehmend anachronistisch geworden: Das Erlernen vom Latein aus, mit Lautregeln, die die Verwandlung eines bestimmten lateinischen Wortes in ein bestimmtes altfranzösisches Wort erklären, hat wenig Sinn, wenn man gleichzeitg in einem Latein-Intensivkurs sitzt. Herangehensweisen, die vom Neufranzösischen rückwärts zum Altfranzösischen gehen, haben sich noch nicht etabliert. Der Literaturkanon bewegt sich weiter im Umfeld des Rolandsliedes, der Fabliaux und der Lais der Marie de France. Dass man, wenn man auf diesen ausgetrete- Vorwort VI nen Wegen weitergeht, wohl kaum Begeisterung für das Mittelalter in Frankreich erwecken kann, liegt auf der Hand. Ein neuer Ansatz bietet sich also an. Für die Literaturgeschichte stellt ohne jede Frage die provenzalische Dichtung einen Ausgangspunkt dar, der für einige Jahrhunderte, teilweise bis in die Gegenwart hinein, den Entwicklungsgang der Lyrik bestimmt hat, sowohl formal als auch inhaltlich. Diese Beobachtung gilt für das Französische, aber genauso für das Italienische und das Spanische, und auch Entwicklungen in Deutschland schließen sich direkt oder indirekt an provenzalische Vorbilder an. Für die Studierenden des Französischen, des Italienischen und des Spanischen war jedoch immer die sprachliche Gestalt der Troubadourgedichte eine Barriere, allerdings eher eine gefühlte als eine tatsächliche. In der Tat, wenn man Altprovenzalisch so erlernt, wie man Altfranzösisch zu erlernen gewohnt ist, dann sagt man sich mit einigem Recht, dass der Aufwand zu hoch ist, um einige Gedichte besser beurteilen zu können. Eine andere Herangehensweise bietet sich also an. Jedem, der eine romanische Sprache kann, ist ein bestimmter Prozentsatz des Altprovenzalischen ohne Weiteres verständlich, aber das reicht natürlich nicht, um ein Gedicht verstehen oder gar interpretieren zu können. Wenn man jedoch neben den Text eine Übersetzung stellt, die nicht, wie in den meisten Sammlungen bisher, poetische Ansprüche erfüllen will, sondern einigermaßen wörtlich ist, wenn man eine französische Version beigibt, die auf der Ebene der Sprachverwandschaft einige Zugänge ermöglicht, wenn man sachlich schwierige Stellen kurz erläutert, dann ist es für Studierende ohne Weiteres möglich, sich ein eigenes Urteil über die provenzalischen Basistexte der europäischen Lyrik zu bilden. Wir hoffen, dass unsere Textauswahl, die Studierenden der romanistischen Fächer Französisch, Italienisch und Spanisch einen direkten Zugang zu den wesentlichen Zeugnissen der Troubadourdichtung bieten soll, einen Aspekt der mittelalterlichen Literatur für den akademischen Unterricht aufbereitet, der in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt wurde. Im Zuge der flächendeckenden Einführung der modularisierten Studiengänge (Bachelor- und Mastermodell) bietet sich nunmehr die Möglichkeit, die Mittelalterstudien dahingehend zu reformieren, dass die älteste volkssprachliche europäische Lyrik den ihr angemessenen Platz in der romanistischen und komparatistischen Ausbildung findet. Trier, im August 2008 Christine Felbeck Johannes Kramer Inhaltsverzeichnis I. EINFÜHRUNG XI 1. W AS IST L IEBE ? Diskursformen und Vorstellungen von Liebe im Mittelalter (Hermann Kleber, Trier) XII 2. D ER B EGINN DER ROMANISCHEN D ICHTUNG XXXV 3. D ER N AME DER S PRACHE DER T ROUBADOURS XXXVII 4. D IE PROVENZALISCHEN T ROUBADOURS XLI 5. D ER U RSPRUNG DER T ROUBADOURDICHTUNG XLVI 6. D IE P ERSONEN DER PROVENZALISCHEN D ICHTUNG LI 7. D IE G ATTUNGEN DER T ROUBADOURDICHTUNG LIII 8. Z IEL DES VORLIEGENDEN B ANDES LV II. ANTIKE LIEBESDICHTUNG 1 1. C. V ALERIUS C ATULLUS 2 1.1 Vivamus, mea Lesbia, atque amemus (Cat. 5) 4 1.2 Quintia formosa est multis. Mihi candida, longa (Cat. 86) 6 1.3 Ille mi par esse deo videtur (Cat. 51) 8 1.4 Lesbia mi praesente viro mala plurima dicit (Cat. 83) 10 1.5 Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam (Cat. 92) 10 1.6 Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris? (Cat. 85) 10 1.7 Miser Catulle, desinas ineptire (Cat. 8) 12 1.8 Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa (Cat. 58) 14 1.9 Furi et Aureli, comites Catulli (Cat. 11) 16 III. TROUBADOURDICHTUNG 21 0. A NONYMUS 22 0.1 En un vergier sotz fuella d’albespi 24 1. E RSTE G ENERATION ( BIS 1125) 29 1.1 G UILHEM DE P EITIEU / W ILHELM VON A QUITANIEN 30 1.1.1 Vida 32 1.1.2 Farai un vers, pos mi sonelh 34 1.1.3 Ab la dolchor del temps novel 44 1.1.4 Pos de chantar m’es pres talenz 48 2. Z WEITE G ENERATION (1125-1150) 53 2.1 C ERCAMON 54 2.1.1 Vida 55 2.1.2 Lo plaing comenz iradamen 56 Inhaltsverzeichnis VIII 2.2 J AUFRÉ R UDEL 62 2.2.1 Vida 65 2.2.2 No sap chantar qui so non di 66 2.2.3 Quan lo rius de la fontana 70 2.2.4 Lanqand li jorn son lonc en mai 76 2.3 M ARCABRU 82 2.3.1 Vida I 84 2.3.2 Vida II 85 2.3.3 Dirai vos senes duptansa 86 2.3.4 L’autrier jost’una sebissa 94 2.3.5 A la fontana del vergier 104 2.3.6 Amics Marchabrun, car digam 108 3. D RITTE G ENERATION (1150-1175) 115 3.1 B ERNART DE V ENTADORN 116 3.1.1 Vida I 118 3.1.2 Vida II 120 3.1.3 Can vei la lauzeta mover 124 3.1.4 Non es meravelha s’eu chan 130 3.1.5 Lonc tems a qu’eu no chantei mai 136 3.1.6 Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn 144 3.2 P EIRE D ’A LVERNHA 150 3.2.1 Vida 152 3.2.2 Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge 154 3.3 R AIMBAUT D ’A URENGA 160 3.3.1 Vida 162 3.3.2 Er resplan la flors enversa 164 3.4 C OMTESSA DE D IA 168 3.4.1 Vida 171 3.4.2 Estat ai en greu cossirier 172 3.4.3 Ab joi et ab joven m’apais 176 3.4.4 A chantar m’er de so q’ieu no volria 180 4. V IERTE G ENERATION (1175-1200) 185 4.1 G IRAUT DE B ORNELH 186 4.1.1 Vida und razó 188 4.1.2 Si us quer conselh, bel’ami’Alamanda 190 4.2 F OLQUET DE M ARSELHA 196 4.2.1 Vida 197 4.2.2 Tant m’abellis l’amoros pessamens 198 4.3 B ERTRAN DE B ORN 204 4.3.1 Vida I 206 Inhaltsverzeichnis IX 4.3.2 Vida II 207 4.3.3 Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge 208 4.4 P EIRE V IDAL 214 4.4.1 Vida 216 4.4.2 Ab l’alen tir vas me l’aire 218 5. F ÜNFTE G ENERATION (1200-1225) 223 5.1 A RNAUT D ANIEL 224 5.1.1 Vida 226 5.1.2 Lo ferm voler q’el cor m’intra 228 5.2 R AIMBAUT DE V AQUEIRAS 232 5.2.1 Vida 234 5.2.2 Domna, tant vos ai preiada 236 5.2.3 Eras quan vey verdeyar 246 5.2.4 Kalenda maia 250 6. S ECHSTE G ENERATION (1225-1250) 257 6.1 C ASTELLOZA 258 6.1.1 Vida 259 6.1.2 Mout avetz faich lonc estatge 260 7. S IEBTE G ENERATION ( NACH 1250) 265 7.1 S ORDEL 266 7.1.1 Vida 268 7.1.2 Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so 270 7.2 C ERVERÍ DE G IRONA 276 7.2.1 Com es ta mal enseynada 278 7.3 G UIRAUT R IQUIER 282 7.3.1 Pus astres no m’es donatz 284 7.3.2 Ad un fin aman fon datz 290 IV. EUROPÄISCHE NACHWIRKUNGEN DER TROUBADOURDICHTUNG 295 0. E INFÜHRUNG 296 1. I TALIEN : G IACOMO DA L ENTINI 301 1.1 Io m’aggio posto in core a Dio servire 302 2. S PANIEN : A LFONSO X EL S ABIO 304 2.1 Rosa das rosas et Fror das frores 306 3. D EUTSCHLAND : O SWALD VON W OLKENSTEIN 308 3.1 Do fraig amors 310 4. F RANKREICH : L ES TROUVERES 314 4.1 Conon de Béthune 314 4.1.1 Ahi, Amours! com dure departie 316 Inhaltsverzeichnis X 4.1.2 Ce fut l’autrier en un autre païs 320 4.2 Thibaut IV de Champagne 325 4.2.1 L’autrier par la matinee 326 ANHANG 331 1. K URZÜBERBLICK ÜBER DIE G RAMMATIK DES A LTPROVENZALISCHEN 332 1.1 D IE F ORMEN DES A RTIKELS 332 1.2 D IE D EKLINATION DER S UBSTANTIVE 334 1.3 D IE D EKLINATION DER A DJEKTIVE 339 1.4 D IE D EKLINATION DER P RONOMINA 341 1.5 D IE K ONJUGATION DER V ERBEN 345 2. B IBLIOGRAPHIE 355 2.1 T EXTAUSGABEN UND Ü BERSETZUNGEN 355 2.1.1 Anthologien 355 2.1.2 Textausgaben zu einzelnen Troubadours 356 2.2 S EKUNDÄRLITERATUR 358 2.3 W ÖRTERBÜCHER UND G RAMMATIKEN 363 2.3.1 Wörterbücher 363 2.3.2 Grammatiken 363 Einführung Hermann Kleber: Was ist Liebe? XII 1. Was ist Liebe? Diskursformen und Vorstellungen von Liebe im Mittelalter (Hermann Kleber, Trier) Vorbemerkungen Liebe ist nur ein Wort? So lautet ein Romantitel von Johannes Mario Simmel, aber ohne das Fragezeichen, das hier dem Titel hinzugefügt ist. Durch dieses Fragezeichen soll deutlich werden, dass der Verfasser anderer Auffassung ist, als es der affirmative Titel des Romans nahe legt, und er hofft, dass sich die Leserinnen und Leser der folgenden Ausführungen seiner Auffassung anschließen können. Sie wurden erstmals als Vortrag konzipiert, der im Rahmen der interdisziplinären Ringvorlesung „Was ist ...? Fragen an die Mediävistik“ im Sommersemester 2005 an der Universität Trier gehalten wurde. Für die Aufnahme in dieses Studienbuch wurde der Vortragsstil weitgehend beibehalten sowie die damit verbundene didaktische Reduktion des Stoffes und seiner Darstellung. Die Darstellung der Diskursformen und Vorstellungen von Liebe im Mittelalter in ihrer historischen Bedingtheit soll als Hinführung zu und als Bezugsrahmen für jene Diskursform bzw. -formen über Liebe dienen, die in den Liedern und Lebensbeschreibungen der Troubadours vorliegen. Jeder kann mitreden: Liebe als konstitutive Erfahrung menschlichen Lebens Bei dem Thema „Liebe“ kann eigentlich jeder mitreden, der der Sprache mächtig ist. Denn Liebe gehört zu den frühesten und konstitutiven Erfahrungen menschlichen Lebens. Ohne Liebe wären wir nicht ins Leben getreten, nicht nur wegen des Zeugungsaktes unserer Eltern, sondern auch wegen der von Anfang an notwendigen umsorgenden Liebe, ohne die ein Säugling und Kleinkind nicht überleben kann. Liebe begleitet uns nicht nur als Wort durch das Leben von der Wiege bis zur Bahre und darüber hinaus, sondern bleibt als Erfahrung, trotz aller Veränderungen, ihrer vielfältigen Erscheinungsformen und selbst in ihren Gegenteilen, immer Bestandteil unseres Lebens. Die Vielfältigkeit der Erfahrungen und Benennungen für Liebe Daher steht in der Regel nicht das Phänomen „Liebe“ als solches in Frage, sondern die Vielfältigkeit der Erscheinungsformen und mehr noch die Widersprüchlichkeit der Liebeserfahrungen, die den Zweifel nähren, ob man diese Vielfalt und Widersprüchlichkeit mit demselben Wort bezeich- Hermann Kleber: Was ist Liebe? XIII nen darf und ob dieses Wort auf ein und dieselbe, zusammenhängende Wirklichkeit verweist. Der Sprachgebrauch - nicht nur der deutsche - mahnt zur Vorsicht. Worin kommen die griechischen Begriffe éros, órexis, philía, phílesis und agapé überein, worin die lateinischen Begriffe amor, dilectio, cupiditas, amicitia und caritas, worin die vielen Zusammensetzungen, die man im Neuhochdeutschen mit „Liebe“ bisher gebildet hat und deren Möglichkeiten keineswegs ausgeschöpft sind. Ich zähle hier nur einige auf, deren Disparatheit - so bin ich überzeugt - keiner weiteren Erklärung bedarf: Mutterliebe, Bruderliebe, Gattenliebe / Eigenliebe / Jugendliebe / Gottesliebe / Vaterlandsliebe / Tierliebe / Affenliebe / Hassliebe. Ist Liebe wirklich immer das Gleiche hinter allen ihren Erscheinungsformen oder stets Verschiedenes, das man auch verschieden benennt und benennen sollte, um Missverständnisse zu vermeiden? Jemandem im Griechischen kali órexis in Liebesangelegenheiten zu wünschen, würde bestenfalls Unverständnis hervorrufen, obwohl Liebe auch als órexis erklärt werden kann. Der Sprachgebrauch differenziert nach der Vielfalt der Erscheinungen von Liebe. Er provoziert aber damit auch wie die Erscheinungsvielfalt selbst immer wieder die Frage nach dem Wesen der Liebe und die entsprechenden Versuche einer Antwort. Als Beleg für die Virulenz dieses Pro blems macht es zunächst keinen Unterschied, in welchem Horizont es thematisiert wird: im Horizont religiöser Ergriffenheit wie bei Paulus im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes, im Horizont tatsächlicher oder fingierter existentieller Betroffenheit wie in der Literatur oder auch in der Popkultur wie in Nenas Lied „Liebe ist...“ oder schließlich auch im Horizont wissenschaftlicher Distanziertheit. Stellenwert und Eingrenzung der Frage „Was ist Liebe? “ Für diese Ausführungen reklamiere ich letzteren und nehme damit eine erste notwendige Präzisierung vor. Der Schwerpunkt dieser Ausführungen ist der Liebe in der Literatur des Mittelalters gewidmet, aber als wissenschaftliches Erkenntnisobjekt und gerade nicht in dem der Literatur eigenen Modus tatsächlicher oder fingierter existentieller Betroffenheit. Außerdem ist eine zweite Präzisierung oder Eingrenzung angebracht: Unser Thema ist vorzugsweise jene Art von Liebe, wie sie zwischen zwei menschlichen Individuen als emotionale Anziehung besteht und die zumindest tendenziell auch Sexualität impliziert. Zu ihrer Einordnung in die Vielfalt von Liebeserfahrungen und -begriffen werden aber auch die anderen Formen und Begriffe von Liebe soweit erforderlich mitbehandelt. 1 1 Vgl. Artikel „Liebe“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, 1980, Kol. 290- 328; Artikel „Liebe“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Kol. 1963-1968. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XIV Was hat uns das Mittelalter zum Thema „Liebe“ zu sagen? Der hintersinnige Mediävist und Semiotiker Umberto Eco soll mit Blick auf Europa und den westlichen Kulturkreis Folgendes über das Mittelalter gesagt haben: Das Mittelalter ist unsere Kindheit und die Wiege unserer eingestandenen und uneingestandenen Obsessionen. 2 Dem möchte ich nichts hinzufügen. Die Gliederung des Stoffes Die folgenden Ausführungen skizzieren zunächst das antike und biblische Erbe, das in den Diskursformen und Vorstellungen von Liebe im Mittelalter immer wieder auftaucht und ohne das die mittelalterlichen Ausprägungen nicht verstanden werden können. Danach werden die wissenschaftlichen Diskurse des Mittelalters über Liebe zusammenfassend dargestellt als Hintergrund für die literarischen Diskurse, bevor diese selbst in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit vorgestellt werden. Den Abschluss bildet ein konkretes Beispiel, in dem die Wesensfrage „Was ist Liebe? “ gestellt wird und eine dreifache Antwort erhält. Darüber hinaus soll das ausgewählte Beispiel deutlich machen, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen den nicht-literarischen und literarischen Diskursformen gibt und dass die Besonderheiten der literarischen Diskurse besser hervortreten, wenn sie auf dem Hintergrund der nicht-literarischen Diskursformen gesehen werden. Das antike Erbe 3 Ohne das antike Erbe ist das Mittelalter nicht begreifbar. Deshalb sollen hier nur in aller Kürze diejenigen Diskursarten aufgeführt werden, die das Mittelalter von der Antike übernahm. Unterschieden werden sie hier nach denjenigen Kategorien, wie sie später im Mittelalter wieder auftauchen. Literarische Diskurse Sie erzählen, besingen, inszenieren und dramatisieren die Macht der Liebe als menschliche, sexuell gefärbte Emotion und Leidenschaft in allen ihren Schattierungen, zwischenmenschlichen Beziehungen und Spielarten. Der Beispiele bedarf es hier nicht, da sie auch heute noch in den abendländischen Literaturen lebendig sind. Wahrscheinlich sind die literarischen Diskurse die ältesten; belegt jedoch sind sie erst seit Sappho (um 600 v. Chr.). 2 Vgl. Umberto Eco, 1985, 8-33. 3 Artikel „Liebe“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, 1980, Kol. 290-295. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XV Kosmogenetischer Diskurs Ebenso alt wie die literarischen Liebesdiskurse, aber früher belegt, ist der kosmogenetische Diskurs. In ihm wird die Liebe als das Prinzip des Werdens und aller Bewegung in der Welt gedeutet. So wird z.B. in Hesiods Theogonie Eros als der Erstgeborene in der göttlichen Genealogie und als der schönste der unsterblichen Götter geschildert (um 700 v. Chr.). Dieser Diskurs hat die literarische Form eines Mythos’, in dem Theologie und Weltgeschichte in eins verwoben sind. Medizinischer Diskurs Im medizinischen Diskurs wird Liebe als Krankheit, also als Störung der normalen Funktion des Körpers und seiner Organe verstanden mit einer genauen Nosologie (Krankheitsbild), einer Aitiologie (Krankheitsursache) gemäß der damaligen Humoralpathologie und entsprechenden Therapien (Behandlungsmethoden). Diese Auffassung soll auf den alexandrinischen Arzt Erasistratos (304ca. 240 v. Chr.) zurückgehen. Genau belegt ist diese Auffassung von Liebe seit Galen aus Pergamon (130-200 n. Chr.). Philosophischer Diskurs Den Beginn eines genuin philosophischen Diskurses reklamiert Platons Symposion für sich. Ob dies jedoch nur eine geschickte Selbstvermarktung war oder dieses Meisterwerk tatsächlich den Beginn der philosophischen Reflexion über Liebe darstellt, ist nicht klar. Jedenfalls ist die Liebe seit Platons Symposion auch ein verbindlicher Gegenstand philosophischer Reflexion. Die Einheit dessen, was „Liebe“ genannt wurde, erwies sich jedoch im Hellenismus zwischen den Polen éros und philía zunehmend als brüchig und zerfiel mit dem Übergang in eine lateinische Begrifflichkeit in drei disparate Bereiche: Liebe als unwiderstehliche Leidenschaft, als Krankheit des Körpers und des Geistes (cupiditas), Freundesliebe (amicitia) und wohltätige Liebe (beneficia, caritas). 4 Das biblische Erbe Neben dem antiken Erbe ist das biblische Erbe für das Mittelalter zum unverzichtbaren Bestandteil der eigenen Auffassung geworden. 4 Ebd., Kol. 295. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XVI Literarischer Diskurs Literarische Diskurse über Liebe finden sich vielfach in der Bibel, oft als kurze eingelegte Passagen in anderen Gattungen. Am prägnantesten jedoch ist der literarische Diskurs im Hohen Lied oder Lied der Lieder ausgeprägt und fassbar. Es ist eine Sammlung hebräischer Liebeslyrik, in der Liebeslieder ursprünglich profanen Charakters in einem theologischen Horizont reinterpretiert, d.h. neu gelesen und verstanden, und dann zu einer Sammlung zusammengefügt wurden. Das emotionale, sexuell getönte Liebesverhältnis zwischen Mann und Frau wird im Alten Testament metaphorisch und allegorisch auf das Verhältnis Jahwes zu seinem auserwählten Volk Israel übertragen und im Neuen Testament auf das Verhältnis Christi zu seiner Kirche. Dabei störte die emotionale und bisweilen erotische Diktion der ursprünglichen Liebeslyrik keineswegs das metaphorische und allegorische Verständnis, sondern akzentuierte die Liebeserfahrung als einen privilegierten Zugang zu einem personalen Gottesverständnis. Theologischer Diskurs (Propheten, Liebesgebot Dt. 6,5) Die gleiche Metapher eines emotionalen Liebesverhältnisses liegt dezidiert theologischen Ausführungen zugrunde, so etwa dem bekannten Liebesgebot im Buche Deuteronomium: „Du sollst Jahwe, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und mit all deiner Kraft! “(Dt. 6,5) 5 Das hebräische Wort für Liebe bezeichnet eindeutig ein emotionales Verhältnis. 6 Insofern wird die Liebe Gottes zu seinem Volk und die Liebe Israels zu seinem Gott sehr anthropomorph, nämlich als personale, emotionale Beziehung gesehen. Diese Sicht übernimmt auch das Neue Testament im erweiterten Liebesgebot, 7 in dem der Gottesliebe die Nächstenliebe gleichgestellt wird: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt. 22,39) und dieses Gebot auf das Beispiel Jesu gegründet wird: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet; wie ich euch geliebt habe, sollt auch ihr einander lieben.“ (Jo. 13,34) Eine Phänomenologie und Wesensbeschreibung der neutestamentlichen Gottes- und Nächstenliebe versucht Paulus in seinem Hohen Lied der Liebe in 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes: 5 Die Zitate aus der Bibel bieten den Text der deutschen Fassung der Jerusalemer Bibel. 6 Gesenius, 1899, 14; Jenni / Westermann, Bd. I, 1971, Kol. 60-73, bes. 64. 7 Mt. 22,37-40. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XVII „Die Liebe ist langmütig, gütig ist die Liebe, die Liebe ist nicht eifersüchtig, sie prahlt nicht, ist nicht aufgeblasen. Sie handelt nicht taktlos, sucht nicht den eigenen Vorteil, sie lässt sich nicht erbittern, sie trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, freut sich vielmehr mit an der Wahrheit. Alles deckt sie zu, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles erträgt sie. Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor. 13,4-7) Mit dem Wechsel vom Alten zum Neuen Testament erfolgte auch der Übergang von der hebräischen zu einer neuen, differenzierteren griechischsprachigen Begrifflichkeit bei gleichen Sachverhalten. 8 Der kosmogenetisch-theologische Diskurs in Patristik und Mittelalter In der Patristik begann der Prozess, in dem die antik-heidnischen und die biblischen Liebesvorstellungen zusammengeführt wurden, und der im Mittelalter fortgeführt und abgeschlossen wurde. Die entscheidende Neuerung war die Umformulierung des mythischen kosmogenetischen Diskurses zu einer Schöpfungstheologie. Am besten gelang dies in Anlehnung an die neuplatonische Philosophie. Für diesen Vermittlungsprozess wurde Dionysios Areopagita - neben Augustinus - zu der mittelalterlichen Autorität schlechthin. Jedoch dürfte der Autor dieser Schriften nicht mit der in der Apostelgeschichte (17,34) genannten Person identisch sein, sondern die mittelalterliche Autorität, die man besser Pseudo-Dionysios nennt, war wahrscheinlich ein Schüler des Neuplatonikers Proklos. Mit seiner Deutung der Liebe als „vis unificativa“ erklärte er die Rückkehr der Schöpfung zu Gott nach ihrem Hervorgehen aus Gott, das als ein schenkender Liebesakt Gottes verstanden wurde. Augustinus überschritt den kosmogenetischen Ansatz hin zu einer anthropologisch fundierten einheitlichen Theorie und stellte damit jene Einheit wieder her, die im Hellenismus verloren gegangen war. In der Liebe Gottes und in der Liebe zu Gott (amor Dei - als genetivus subiectivus und obiectivus) „offenbart sich das Seinsgefälle der menschlichen Natur: In ihr verschmelzen die allem Seienden innewohnende Selbstbehauptung und der Drang zur Selbstvollendung mit dem sehnsüchtigen Verlangen nach Gott“. 9 Thomas von Aquin gelang es schließlich nach vielen Vorarbeiten anderer Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts, auch die wissenschaftliche aristotelische Kosmologie im Sinne der christlichen Schöpfungslehre zu deuten. Die Liebe (amor) ist zielbestimmende Kraft jeder kosmischen Bewegung und als das natürliche Streben einer jeden Existenz zu dem ihm 8 Jenni / Westermann, Bd. I, 1971, Kol. 62; Artikel „Liebe“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Kol. 1964. 9 Artikel „Liebe“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, 1980, Kol. 297. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XVIII gemäßen Guten (appetitus naturalis ad proprium bonum) als Phänomen fassbar. 10 Der anthropologisch-moraltheologische Diskurs (als eigentlicher Ort der amor-Problematik) Augustinus Augustinus entwickelte aus dem christlichen kosmogenetischen Diskurs einen anthrologisch-moraltheologischen, indem er das menschliche Herz zum Sitz der Liebe macht, das Gott sucht und unruhig ist, bis es in Gott ruht. 11 Zugleich entwickelt er damit die natürliche Liebe (amor) zu der vom Glauben getragenen Gottes- und Nächstenliebe (caritas) weiter, in der die selbstbezogne, aus der Erbsünde stammende Liebe (éros, cupiditas) mit Hilfe der göttlichen Gnade überwunden ist. 12 Thomas von Aquin Den wichtigsten Beitrag für die emotionale zwischenmenschliche Liebe leistete das Hochmittelalter und namentlich Thomas von Aquin, dessen Auffassung als die prominenteste ihres Zeitalters gelten kann. 1) Thomas weist die emotionale Liebe als die spezifisch menschliche Realisierung des amor naturalis aus (Sth IaIIae, q. 26, a. 1 co.), 13 in der die moralische Qualität erst durch einen bewussten Willensakt gesetzt wird. Gut oder böse wird die Liebe erst durch den bewussten Willensakt der Wahl (electio) mit Zustimmung oder Ablehnung, der entweder richtig (recta voluntas) oder falsch (mala, falsa voluntas) sein kann gemäß der Ordnung der Vernunft (Sth Ia, q. 83, a. 1 co). 14 2) Thomas unterscheidet die Erscheinungsformen der natürlichen Liebe (amor naturalis) von der übernatürlichen theologischen Tugend der caritas, der Gottes- und Nächstenliebe. 3) Thomas klärt die Wesensfrage („Utrum amor sit passio“ Sth IaIIae, q. 26, a. 2) unter Respektierung der überlieferten Begrifflichkeit als eine Veränderung in drei Phasen: als Berührt- und Ergriffenwerden von einem Begehrenswerten im Wohlgefallen an ihm (complacentia), als Hingezogenwerden zu ihm im tatsächlichen Begehren 10 Ebd., Kol. 301. 11 Ebd., Kol. 297. 12 Artikel „Liebe“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Kol. 1964. 13 Thomas’ Summa theologiae wird nach der Marietti-Ausgabe (1962-1963) zitiert und als Sth abgekürzt. 14 Vgl. dazu viele Parallelstellen, Sth Indices, Index elementorum s.v. „electio“. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XIX und der Sehnsucht (desiderium) und schließlich als Erfüllung im freudigen Verweilen im Begehrten (gaudium): „Prima ergo immutatio appetitus ab appetibili vocatur amor, qui nihil est aliud quam complacentia appetibilis; ex hac complacentia sequitur motus in appetibile, qui est desiderium; et ultimo quies, quae est gaudium. Sic ergo, cum amor consistat in quadam immutatione appetitus ab appetibili, manifestum est quod amor sit passio: proprie quidem, secundum quod est in concupiscibili; communiter autem, et extenso nomine, secundum quod est in voluntate“ (Sth IaIIae, q. 26, a. 2 co.). 15 4) Thomas erklärt bzw. versöhnt und ordnet die verschiedene Begrifflichkeit aus griechischer Philosophie und mittelalterlicher Theologie einander zu: amor, dilectio, caritas und amicitia (Sth IaIIae, q. 26, a. 3). Amor ist der allgemeinere Begriff, dilectio ist der spezielle Begriff für die Liebe der vernunftbegabten Wesen, bei denen die Liebe mit einem Vernunfturteil verbunden ist, also amor mit vorausgehender electio. Amicitia ist nicht nur tätige Freundschaftsliebe, sondern wie die aristotelische philía auch ein habitus, die erworbene, antrainierte Verhaltensdisposition der Freundschaftsliebe, die eine bewusste Wahl voraussetzt; sie ist also eine habitualisierte dilectio. Caritas ist ein Vollendungsgrad von Liebe sowohl als tätige Liebe wie auch als erworbene und gnadenhaft geschenkte Verhaltensdisposition. 5) Thomas bringt die Dichotomie amor concupiscentiae - amor amicitiae (benevolentiae) als amor secundum quid - amor simpliciter auf den Punkt. Die Liebe kann auf Zweierlei aus sein, erstens auf das Gute, das man wegen etwas anderem und letztendlich für sich selbst haben möchte, und zweitens auf die Person, für die man das Gute haben möchte. Die erste Form von Liebe ist die begehrende Liebe, die zweite die Freundschaftsliebe. 15 Die Übersetzung der deutschen Thomas-Ausgabe (Bd. 10, 66) lautet: „Die erste Veränderung also des Strebevermögens vom Erstrebten her wird ‚Liebe’ genannt, und die ist nichts anderes als das Wohlgefallen am Erstrebten. Aus diesem Wohlgefallen folgt die Bewegung zum Erstrebten hin, das ist die Sehnsucht; und zuletzt die Ruhe, das ist die Freude. Da also Liebe in einer Veränderung des Strebevermögens durch das Erstrebte besteht, ist es klar, dass Liebe eine Leidenschaft ist, und zwar im eigentlichen Sinne, sofern sie im begehrenden Strebevemögen ist; allgemein aber und, wenn man den Namen weiter fasst, soweit sie im Willen ist.“ Hermann Kleber: Was ist Liebe? XX Liebe als cupiditas Ovidrezeption Die ovidianische Liebeskonzeption wird im Mittelalter unter dem Begriff cupiditas gefasst. Durch das paulinische Diktum im 1. Timotheusbrief (6,10) „cupiditas est radix omnium peccatorum“ 16 gerät sie in diametralen Gegensatz zur theologischen Tugend der caritas und überlebt trotzdem. Ovid überlebt trotz des klerikalen Moralismus zunächst als Schulautor seit dem frühen Mittelalter; vor allem der Ovid der Metamorphosen, aber auch zunehmend der Ovid der Ars amatoria und der Remedia amoris. Er wird zunächst gelesen und nachgeahmt wegen seiner stilistischen Eleganz; inhaltlich ohne eine Auseinandersetzung mit den ideologischen Implikationen des amor-Begriffes, ohne sozial-kulturelle Einbettung. Da Liebe bei Ovid auch nicht definiert wird, erhebt er auch keinen Anspruch auf wissenschaftliche Geltung. „Das Gemeinte wird, als auf der Erfahrung eines jeden basierend, stillschweigend vorausgesetzt. Praktisch bedeutet dies auch: Liebe ist nicht an Stand und Bildung gebunden. Gegenseitiges Gefallen und Gelegenheit sind die einzigen Bedingungen für ihr Gelingen: Liebe ist nur Geschlechtsverkehr, Beischlaf“. 17 Im 12. und 13. Jahrhundert kann man von einer wahren Ovid-Renaissance in der mittellateinischen Dichtung sprechen. Übersetzungen und Bearbeitungen in den Volkssprachen ändern den Rezeptionsmodus. Ovid wird zunehmend Anleitung zur Liebe oder von ihr frei zu kommen. Aber die Remedia werden gerne unterschlagen. So erwähnt z.B. Chrétien de Troyes im Prolog zum Cligès (Verse 1-3) in seinem Werkverzeichnis eine von ihm verfasste Übersetzung oder Bearbeitung Ovids, die aber nicht erhalten ist. Ab dem 13. Jahrhundert sind die volkssprachlichen Ovidübersetzungen, -paraphrasen und -bearbeitungen zahlreicher und überliefert. 18 cupiditas, Erbsünde und caritas Eine ganz andere Art der Rezeption erfährt die Liebe als cupiditas, concupiscentia und libido in der kirchenrechtlichen und moraltheologischen Ehelehre. Hier ist das antik-heidnische Erbe der rein begehrenden sinnlichen Liebe mit der Lehre von der Erbsünde verbunden. 19 Weil die Erbsünde über den Zeugungsakt im Koitus weitergegeben wird, 20 ist dieser seit dem Sün- 16 Die bei Paulus nur auf die Habgier bezogene Aussage wird auf alle Arten von Begehrlichkeit und namentlich auf die sexuelle ausgeweitet. 17 Karnein, 1985, 133. 18 Artikel „Ovid“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Kol. 1592-1599. 19 So schon bei Augustinus, der immer wieder von mittelalterlichen Autoren als Autorität zitiert wird. 20 Thomas von Aquin, Sth IaIIae, q. 83, a. 1 co. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXI denfall hoch verdächtig, das Einfallstor einer ungeordneten Begehrlichkeit zu sein, zumal die Intensität des sinnlichen Vergnügens beim Orgasmus außerhalb des regulierenden Zugriffs der Vernunft liegt. 21 Es ist daher auch nicht überraschend, wenn die Kanonisten 22 und Moraltheologen der sinnlichen Liebe selbst in der Ehe mit Misstrauen begegnen. Manche halten den Koitus für sündhaft, die Mehrheit jedoch hält ihn an sich und solange für gut, solange er erstens auf die Ehezwecke, proles, fides, sacramentum, auf die Erzeugung von Nachkommenschaft, die eheliche Treue und gegenseitige Hilfe sowie auf die Abbildung der mystischen Einheit zwischen Christus und seiner Kirche ausgerichtet ist, und zweitens nach der Ordnung der Vernunft ausgeführt wird, d.h. nur zwischen Eheleuten und in den legitimen Stellungen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass alle anderen Formen des Koitus und der sinnlichen Liebe im Geschlechtsverkehr einschließlich seiner Vorformen wie erotisierende Berührungen und der Kuss außerhalb der Ehe sündhaft sind. 23 Alle sündhafte Begehrlichkeit soll in der caritas überwunden werden, die als theologische Tugend dem Laster der luxuria diametral entgegengesetzt ist. Nur sehr sporadisch und zögerlich wird in sexuelle Liebesbeziehungen, und speziell in die Ehelehre, auch die amicitia einbezogen, in letztere vor allem in Verbindung mit dem Ehezweck der Treue und gegenseitigen Hilfe. 24 Der medizinische Diskurs: Liebe als Krankheit im Mittelalter Von der Moraltheologie weitgehend nicht zur Kenntnis genommen wird die Fortsetzung des antiken medizinischen Diskurses über Liebe als Krankheit. Dies ist umso erstaunlicher, als so mancher Arzt auch Theologe war und ihm die als Krankheit auftretende Liebe als cupiditas in ihrer schlimmsten Form hätte erscheinen müssen. Das Erbe der antiken und arabischen Medizin Die Tradition läuft von Galen über die alexandrinischen und byzantinischen Ärzte (z.B. Paulus von Aigina, 7. Jahrhundert) zu den großen muslimischen Ärzten, den Persern Rhazes und Ali Abbas sowie dem für das Mittelalter auch als Philosoph und Theologe bedeutenden Gelehrten Ibn al Sina, latinisiert Avicenna. Der nächste Schritt ist die Rezeption der griechisch-arabischen Medizin an der Hohen Schule von Salerno, namentlich durch die Übersetzungen des Constantinus Africanus (1020-1087). Von dort verbreitete sich die Auffassung der Liebe als Krankheit unter dem 21 Ebd., IaIIae, q. 82, a. 4 ad 3; IIaIIae, q. 153, a. 2 ad 2 und viele Parallelstellen. 22 Weigand, 1993; Otis-Cour, 2000, 55-81; Schnell, 2002, 97-105. 23 Thomas von Aquin, Sth IIaIIae, qq. 153 und 154; besonders q. 154, a. 4. 24 Vgl. Otis-Cour, 2000, 136-145. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXII medizinischen Schulbegriff amor hereos auch an den anderen medizinischen Fakultäten. 25 Die Bezeichnung amor hereos ist erstens eine Verbalhornung aus dem griechischen éros ‚Liebe’; erklärt zweitens diese Art von Liebe mit Bezug auf das mittellateinische herus ‚Herr’ als Liebe nach Art der Herren oder Vornehmen; und ist drittens nach Constantinus Africanus eine Übersetzung des arabischen al-isq. Wie die Herleitung des Namens auch sei, er bezeichnet eine abnorme, pathologische Form von Liebe und nicht den Normalfall. 26 Das Krankheitsbild (Nosologie) verzeichnet: Intensität der Liebesleidenschaft, tatsächliche oder eingebildete Unerfüllbarkeit und von der Dauer abhängige Pathologie mit einer in Richtung melancholia oder mania weisenden Symptomatik. 27 Die Krankheitsursache (Aitiologie) wird entsprechend der Humoralpathologie in einer unausgewogenen Säftemischung gesehen. 28 Als Therapie wird empfohlen: Zerstreuung, Weingenuss, Ablenkung. 29 Avicenna empfiehlt zusätzlich, die geliebte Person verleumden zu lassen. 30 Bei Ibn al Dschazzar tritt neben der spychogenen die somatische Genese in den Vordergrund der Therapie: er empfiehlt zur Abfuhr der überflüssigen Säfte den häufigen Koitus, allerdings gerade nicht mit der begehrten Person. 31 Mittelalterliche Mediziner: Arnaldus von Villanova (1235-1312), Bernard (von) Gordon (1258-1320), Johannes von Tornamina (1329-1396) Von den mittelalterlichen Ärzten sieht Arnaldus von Villanova die eigentliche Krankheitsursache in einer zerrütteten Urteilskraft wegen des Zuviel an Wärme im dritten Hirnventrikel. Er bietet eine reichhaltige Symptomatik und folgt bei der Therapie den arabischen Ärzten: Zerstreuung, Verleumdung der geliebten Person, häufiger Koitus mit wechselnden Partnern, Evakuierung der krankheitserzeugenden Körpersäfte durch den Arzt. Anders als Galen und Avicenna sieht er in der Pathogenese des amor hereos nicht ein selbstverschuldetes Leiden durch das Überschreiten des richtigen Maßes, sondern ein unverschuldetes Übermaß der spiritus cordis per accidens. Daher wahrscheinlich auch seine von jeder religiösen Rücksicht freien Therapievorschläge. 32 25 Haage, 1990, 39-73; besonders 47. 26 Ebd., 33. 27 Ebd., 36f. 28 Ebd., 42-44. 29 Ebd., 45. 30 Ebd., 47. 31 Ebd., 46f. 32 Ebd., 47-49. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXIII Ganz anders denkt der Arzt und Theologe Bernhard (von) Gordon. Da er die Selbstverschuldung als Ursache annimmt, empfiehlt er unter anderem auch Stockschläge als Therapie. 33 Johannes von Tornamina schließt sich im wesentlichen Arnaldus von Villanova an. Er hält den vorderen und hinteren Hirnventrikel für gestört und ausgetrocknet; der Patient magere ab und ohne Behandlung müsse er sterben. Konsequenterweise empfiehlt er außer dem Üblichen den häufigen „Vollrausch zur Befeuchtung des Gehirns“. 34 Hinter diesen, uns teilweise befremdlich anmutenden Therapien der mittelalterlichen Ärzte steht eine gemeinsame Auffassung des amor hereos. Er ist eine spychosomatische Erkrankung und hat Züge der Melancholie, heute würde man sagen, einer endogenen oder einer reaktiven Depression, Züge der Manie, des Erregungs- und Enthemmungszustandes der manisch-depressiven Erkrankung und der Phrenitis, der Bessenheit von Wahnvorstellungen. 35 Nicht der pathologische Fall des amor hereos als solcher, aber einige Elemente des medizinischen Diskurses über Liebe finden Eingang in literarische Diskurse in den Volkssprachen und im Latein des Mittelalters, indem sie die alte Metapher von der Liebe als Krankheit 36 verstärken und allegorisch ausdeuten. 37 Über die Metaphorik gelangen Elemente des medizinischen Diskurses sporadisch auch in andere wissenschaftliche Diskurse aus Philosophie und Theologie. Umgekehrt nimmt die Medizin jedoch - wie eingangs dieses Gliederungspunktes schon angemerkt - kaum Notiz von anderen Diskursen. Darstellung und Kritik der höfischen Liebe als gesellschaftliches Phänomen bei Andreas Capellanus Gegen Ende des 11. oder spätestens zu Beginn des 12. Jahrhunderts tauchte zunächst in Südfrankreich eine neue gesellschaftliche wie literarische Theorie und Praxis der Liebe auf, die heute „höfische Liebe“ genannt wird und die von ihren damaligen Erfindern und Protagonisten als fin’amor bezeichnet wurde. Sie verbreitete sich rasch innerhalb der gesellschaftlichen Eliten über ganz Europa und wurde erstmals zwischen 1181 und 1186 auch Ge- 33 Ebd., 49. 34 Ebd., 50. 35 Ebd., 52. 36 Diese Metapher taucht schon im Hohen Lied (2,5 und 5,8) auf und in der frühen griechischen Literatur. Bei den römischen Elegikern ist sie ein Topos. Vgl. Funke, 1990, 11-30. 37 Vgl. in dem Sammelband Liebe als Krankheit die Beiträge von Johann Christoph Bürgel zur klassischen Dichtung des Islam, von Benedikt Konrad Vollmann zur weltlichen Lyrik des lateinischen Mittelalters, von Gerold Hilty zur altspanischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, von Rupprecht Rohr zu den Trobadors, von Friedrich Wolfzettel zur altfranzösischen Literatur, von Karl Reichl zur mittelenglischen Literatur und von Karl Hoffmann zur mittelhochdeutschen Lyrik. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXIV genstand wissenschaftlicher Reflexion und Darstellung. In seinem Traktat De Amore stellt Andreas Capellanus, der vor und nach der Wende von 12. zum 13. Jahrhundert am Hofe des französischen Königs Philipp II. August und am Hof des Grafen der Champagne gelebt und gewirkt haben dürfte, 38 das gesellschaftliche und kulturelle Phänomen der höfischen Liebe dar. Er tut dies aber aus einer eindeutig ablehnenden Haltung heraus und mit dem Rüstzeug seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Das theoretische, wissenschaftliche Interesse und die negative Einstellung des Autors in praktischer Hinsicht treten nicht nur in Prolog und Epilog deutlich hervor, in denen er sich an seinen Adressaten, einen jüngeren, aber sozial höher gestellten und ebenso wie er selbst wissenschaftlich vorgebildeten Höfling mit Namen Walter wendet, 39 sondern auch im Aufbau des Werkes, seiner Diktion und vor allem seiner Definition der Liebe, mit der er nach Prolog und Gliederung seine Darstellung beginnt: „Amor est passio quaedam innata procedens ex visione et immoderata cogitatione formae alterius sexus, ob quam aliquis super omnia cupit alterius potiri amplexibus et omnia de utriusque voluntate in ipsius amplexu amoris praecepta compleri. Quod amor sit passio, facile est videre. Nam, antequam amor sit ex utraque parte liberatus, nulla est angustia maior, quia semper timeat amans ne amor optatum capere non possit effectum, nec in vanum suos labores emittat.“ 40 In guter scholastischer Manier beginnt Andreas mit der Klärung der Wesensfrage, bevor er sich den anderen, in der Gliederung aufgeführten Problemen zuwendet. Seine Definition gibt er nach genus proximum und differentia specifica. Die Liebe ist gattungsmäßig eine passio, eine Art Erleiden, Berührt- und Affiziertwerden. Die differentia specifica ist aus drei Elementen formuliert: erstens der Näherbestimmung der passio als innata, als angeboren und nicht erworben wie ein habitus; zweitens durch ihre Entstehungsart (procedens ex...) und drittens durch ihre Wirkung (ob quam...). Im Anschluss daran werden die in der Gliederung aufgezählten Probleme behandelt, die in der Ausführung bis zum Ende des Kapitels 6 des zweiten Buches reicht. Kapitel 7 des zweiten Buches führt 21 Liebesurteile auf, und Kapitel 8 erzählt das Einholen der abschließenden 31 Liebes- 38 Andreas Capellanus, 1982, 1-3; Artikel „Andreas Capellanus”, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, 1980, 604. 39 Andreas Capellanus, 1982, 30, 322, 324. 40 Ebd., 32. „Liebe ist eine Art angeborene ‚passio’. Sie entsteht durch Anschauen und übermäßige gedankliche Beschäftigung mit einer wohlgestalteten Person des anderen Geschlechts, die dazu führen, mehr als alles andere die Umarmung des anderen zu begehren und gemeinsam die Vorschriften der Liebe in der Umarmung zu erfüllen. Daß diese Liebe eine ‚passio’ ist, ist leicht einzusehen, denn ehe die Liebe in zweien gleichmäßig zur Entfaltung kommt, entsteht die allergrößte Angst, da der Liebende befürchtet, daß seine Liebe erfolglos bleibt und er sich umsonst abmüht.“ Die deutsche Übersetzung ist entnommen aus: Schnell, 1985, 50. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXV regeln. Buch III ist ebenso wie die beiden letzten Kapitel des zweiten Buches in der Gliederung nicht vorangezeigt. Es enthält die reprobatio amoris, welche die vorausgehende Darstellung der doctrina damit rechtfertigt, dass der so belehrte Adressat sich umso besser von ihr distanzieren kann. 41 Die Praxis der höfischen Liebe erscheint bei Andreas Capellanus als der illegitime Versuch, einen vermeintlichen Freiraum innerhalb der höfischen Gesellschaft auszuleben, der angesichts der Feudalgesellschaft mit ihren realen Zwängen zum Scheitern verurteilt ist. 42 Daher endet sein Traktat nach den beiden darstellenden Teilen folgerichtig mit der reprobatio amoris als drittem und letztem Teil. Der Intention seines Autors entsprechend ist De Amore keine Anleitung und noch weniger eine Rechtfertigung der höfischen Liebe, sondern deren wissenschaftliche Darstellung und Widerlegung. So wurde De Amore auch rund 100 Jahre verstanden. Erst danach wurde daraus - unter Weglassung des dritten Buches - ein Handbuch der Minnedidaxe. 43 Nach dem Durchgang durch die expositorischen Diskurse über Liebe im Mittelalter bleibt festzuhalten, das sie in sich ziemlich konsistent sind, aber kaum aufeinander Bezug oder Rücksicht nehmen, vor allem wenn sie verschiedenen Wissenschaften zugeordnet sind. Inwieweit dies mit den disparaten und teilweise sogar unvereinbaren Liebesvorstellungen zu tun hat, die in den verschiedenen Diskursen artikuliert werden, ist nur zu vermuten, aber nicht beweisbar. Die Betroffenen schweigen sich darüber aus, auch dann, wenn sie in verschiedenen Wissenschaften und Welten zuhause sind und verschiedene Diskursformen beherrschen und praktizieren. Dies ist symptomatisch bei Andreas Capellanus der Fall, welcher die höfische Liebe als wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstand und doctrina ganz anders darstellt und wertet als ihre Praxis. Literarische Diskurse Gegenüber den zuvor behandelten expositorischen Diskursen über Liebe muss man bei literarischen Diskursen noch vorsichtiger sein, von den Diskursen auf die in ihnen artikulierten oder hinter ihnen stillschweigend vorausgesetzten Vorstellungen von Liebe zurückzuschließen. Das hat nicht nur mit dem häufig fiktionalen Status von Literatur zu tun, sondern auch damit, dass diese Diskurse in der Regel hoch stilisiert sind und nicht immer erkennen lassen, ob sie ernsthaft oder ironisch gelesen werden sollen. 44 In Frage steht auch, wie die Darstellungen von Liebe in der bildenden 41 Andreas Capellanus, 1982, 286. 42 Vgl. Karnein, 1994, 81-95. 43 Karnein, 1985; Artikel „Andreas Capellanus“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, 1980, Kol. 605-607; vgl. Otis-Cour, 2000, 147f.; Schnell, 1985, 50f. 44 Schnell, 1985, 15-52 und 2002, 15-41. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXVI Kunst auf Texte, literarische oder expositorische, bezogen sind oder bezogen werden können, wenn ausdrückliche Bezüge fehlen. 45 Ferner ist mit Peter Dinzelbacher, einem der beiden Autoren des Artikels „Liebe“ im Lexikon des Mittelalters, festzustellen, dass es zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert keine (oder nur ganz wenige) einschlägige Quellen zur Liebe als emotionalem, sexuell gefärbtem Verhältnis zwischen zwei Menschen gibt. 46 Das Phänomen aber wird es sicher gegeben haben. Wahrscheinlich waren die tradierten religiösen und profanen Texte der Antike, der Bibel und der Patristik für die Menschen dieser Zeit sprechend genug, um sich in ihnen wiederzufinden und/ oder das Eigene nicht des Aufschreibens wert, weil es ja bereits aufgeschrieben war. 47 Ab dem späten 11. und vor allem ab dem 12. Jahrhundert erscheint dann die emotionale Liebe massiv in den Texten, sowohl der lateinischen als auch zunehmend der volkssprachlichen Literatur, 48 zunächst Ende des 11. Jahrhunderts in lyrischer Form, dann aber auch in epischer Form im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts. Daneben wird die emotionale Liebe auch in autobiographischer Artikulationsform (z.B. in Peter Abelards Historia calamitatum), in biographischer Form (z.B. in den Vitensammlungen der Troubadours) oder in Briefform (reale oder fingierte Briefwechsel, z.B. zwischen Peter Abelard und Eloisa) thematisiert. Ab dem 13. Jahrhundert treten dann weitere, vorwiegend lehrhafte Gattungen in den Liebesdiskurs ein: Anleitungen, Traktate, Streitgespräche, Traumberichte u.a. Zwei Gegebenheiten fallen trotz aller Zurückhaltung beim Vergleich der volkssprachlichen Diskursformen untereinander und im Vergleich mit den expositorischen Diskursformen ins Auge. Die literarischen Diskurse orientieren sich meistens an einer bestimmten Vorstellung von Liebe, so z.B. der höfische Roman an der ehelichen Liebe, die Troubadourlyrik eher an der außerehelichen Liebe, die Vagantenlyrik an der freien Liebe usw. 49 Ferner stellen sie nicht die Wesensfrage „Was ist Liebe? “. Wo sie einmal auftaucht, stellt sie sich als rhetorisch gemeinte Frage heraus, auf die keine Antwort gegeben wird, zumindest nicht mit wissenschaftlichem Anspruch auf Geltung. 50 An einem Beispiel soll diese Schwierigkeit vor Augen geführt werden, in welchem der literarische Diskurs mit einem wissenschaftlichen Diskurs in einem Zusammenhang gesehen werden kann. Alles, was man erreichen kann, wenn keine explizite Bezugnahme vorliegt, ist eine gewisse Plausibilität, hier auf Grund lexikalischer und begrifflicher Übereinstimungen und 45 Vgl. Bartz / Karnein / Lange, 1994; Bein, 2003. 46 Artikel „Liebe“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Kol. 1966. 47 Vgl. Otis-Cour, 2000, 181-183. 48 Vgl. z.B. für die französische Literatur, Pollmann, 1966. 49 Vgl. Otis-Cour, 2000, 146-169. 50 Karnein, 1994, 83. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXVII Affinitäten. Es handelt sich um ein dreiteiliges Streitgedicht, in der Fachsprache der Provenzalen Tenzone genant, über das Wesen der Liebe zwischen drei Angehörigen einer Dichtergruppe, der sogenannten scuola siciliana, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts am Königshof der Hohenstaufen in Süditalien ihren Fixpunkt hatte. 51 Sie schreiben in einer Kunstsprache, dem siciliano illustre, ein Sizilianisch, das mit fachsprachlichen Provenzalismen und Latinismen angereichert ist. Die Texte sind jedoch nicht in ihrer Originalfassung überliefert, sondern - bis auf wenige Ausnahmen - in einer toskanisierten Form gemäß den erhaltenen Handschriften. Bei der folgenden kursorischen Interpretation spare ich die kunstvollen formalen Bezüge 52 aus und versuche die internen Bezüge zur Klärung der Wesensfrage „Was ist Liebe? “ und mögliche extratextuelle Bezüge zur quaestio disputata im Allgemeinen und zur Begrifflichkeit Thomas von Aquins im Besonderen herauszuarbeiten. Die Tenzone besteht aus drei Sonetten, einer Gedichtform, die höchstwahrscheinlich damals und dort kreiert worden ist. Der italienische Text stammt aus der Sammelausgabe von Gianfranco Contini Poeti del Duecento, die deutsche Übersetzung ist vom Verfasser. Jacopo Mostacci Jacopo Mostacci Sollicitando un poco meo savere Ein wenig mein Wissen bemühend, e con lui mi vogliendo dilettare, um mich dabei zu vergnügen, un dubïo che mi misi ad avere, kann ich auf eine Zweifelsfrage, 4 a voi lo mando per determinare. die ich Euch schicke, um sie zu ent- [scheiden. Ogn’omo dice ch’amor ha potere Alle sagen, dass die Liebe Macht habe, e li coraggi distringe ad amare, die Herzen zum Lieben zu nötigen; ma eo no [li] lo voglio consentire, aber ich möchte dem nicht zustimmen, 8 però ch’amore no parse ni pare. weil die Liebe bisher noch nicht gesehen [wurde, noch gesehen wird. Ben trova l’om una amorositate Natürlich kann man Verliebtheit fest- [stellen, la quale per che nasca di piacere, welche - so scheint es - aus dem Wohl- [gefallen entsteht, e zo vol dire om che sia amore. und das soll heißen, dass die Liebe [selbständig existiere. 12 Eo no li saccio altra qualitate; Und keine andere Eigenschaft hat sie [meines Wissens. 51 Vgl. dazu auch das Kapitel IV, 1. des vorliegenden Bandes. 52 Sie sind in den Anmerkungen der Ausgabe in den Poeti del Duecento, Bd. I, 88 erläutert. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXVIII ma zo che è, da voi [lo] voglio [audire: Aber das, was sie ist, möchte ich von [Euch hören: però ven faccio sentenz[ï]atore. Denn Euch mache ich in dieser Frage [zum Entscheider. Pier de la Vigna Pier de la Vigna Però ch’amore no si pò vedere Weil man die Liebe nicht sehen kann e no si tratta corporalemente, und sie nicht als Körper fassen kann, manti ne son di sì folle sapere sind manche zu der falschen Schluss[folgerung gekommen, 4 che credono ch’amor sïa nïente. dass sie glauben, die Liebe sei ein [Nichts. Ma po’ ch’amore si face sentire Aber weil die Liebe sich bemerkbar [macht dentro dal cor signoreggiar la [gente, aus dem Inneren des Herzens, um die [Leute zu beherrschen, molto maggiore presio de[ve] [avere muss sie viel größeren Wert haben 8 che se ’l vedessen visibilemente. als wenn wir sie in Gestalt sehen könn- [ten. Per la vertute de la calamita Man kann nicht sehen, mit welcher como lo ferro at[i]ra no si vede, Kraft der Magnet das Eisen anzieht, ma sì lo tira signorevolmente; und dennoch zieht er es wirkmächtig [an. 12 e questa cosa a credere mi ’nvita Und dieser Sachverhalt lädt mich ein zu [glauben, ch’amore sia; e dàmi grande fede dass die Liebe eine selbständige [Existenz hat, che tuttor sia creduto fra la gen- [te. und gibt mir große Zuversicht, dass sie [Glauben bei den Leuten findet. Notaro Giacomo da Lentini Notar Giacomo da Lentini Amor è un[o] desio che ven da [core Die Liebe ist ein Begehren, das aus dem [Herzen kommt per abondanza di gran piaci- [mento; auf Grund des Übermaßes an großem [Wohlgefallen; e li occhi in prima genera[n] [l’amore und die Augen erzeugen zuerst die [Liebe 4 e lo core li dà nutricamento. und das Herz gibt ihr dann Nahrung. Ben è alcuna fiata om amatore Gleichwohl wird jemand bisweilen zum [Liebenden senza vedere so ’namoramento, ohne den Gegenstand seiner Liebe zu [sehen, ma quell’amor che stringe con aber jene Liebe, die mit Macht un- Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXIX [furore [widerstehlich zwingt, 8 da la vista de li occhi ha [nas[ci]mento: entsteht aus dem Anblicken mit den [Augen: ché li occhi rapresenta[n) a lo [core weil die Augen dem Herzen d’onni cosa che veden bono e rio, von allen Dingen, ob gut oder schlecht, com’è formata natural[e]mente; Vorstellungen liefern, wie sie ihrer [Natur nach beschaffen sind; 12 e lo cor, che di zo è concepitore, und das Herz, das diese Vorstellungen [aufnimmt, imagina, e [li] piace quel desio: sie in Bilder umsetzt und Gefallen an [jenem Begehren findet: e questo amore regna fra la [gente. und diese Art von Liebe herrscht unter [den Menschen. Jacopo Mostacci eröffnet das Streitgespräch mit seinem Sonett. Im ersten Quartett erläutert er als lyrisches Ich zunächst in einem Rückblick, wie er zu der Frage „Was ist Liebe? “ gekommen ist. Sie stellte sich ihm als Zweifelsfrage „Was ist eigentlich...? “ und weckte sein Interesse, als er sein Fachwissen nicht wie üblich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit, sondern zu seinem Vergnügen auf das zentrale Thema nicht nur seiner Dichtung, sondern der ganzen scuola siciliana anwandte. Die Zweifelsfrage „Was ist eigentlich Liebe? “ stellte sich ihm also nicht von außen kommend, von irgend jemandem oder durch irgend einen Umstand vorgegeben, sondern entstand eher zufällig und wie von selbst aus der spielerischen Anwendung seines Fachwissens auf die Liebesdichtung. Allerdings hat diese Zweifelsfrage ihn so beschäftigt, dass er sie jetzt an seinen mit „voi“ direkt angesprochenen Adressaten schickt, in der Absicht, eine Antwort in Form einer determinatio, einer Geltung beanspruchenden Lehrmeinung, zu erhalten. Im zweiten Quartett führt er zunächst die opinio communis, die allgemeine Auffassung zu dem anstehenden Problem, der er sich aber nicht anschließen kann. Dann begründet er seine ablehnende Haltung. Damit ist die eigene Position aber noch nicht klar. Sie wird im ersten Terzett formuliert. Liebe ist - so scheint ihm - ein accidens, ein Epiphänomen, das aus dem Wohlgefallen an etwas entsteht und daher keine selbständige Existenz, keine Substanz ist, sondern nur Beiläufiges. Dafür gebraucht er den Kunstbegriff „amorositate“, der dem ebenso künstlich klingenden lateinischen amorositas nachgebildet ist. Diese Begriffsbildung denotiert oder impliziert aber, dass der so benannte Sachverhalt eine Substanz ist. Daraus resultiere die falsche Annahme, dass Liebe eine Substanz sei. Das zweite Terzett unterstreicht noch einmal, dass er der Liebe keine andere qualitas, keine andere Existenzform bzw. Kategorie als die eines accidens zuerkenne. Von seinem Adressaten will er hören, wie dieser die Wesensfrage, was Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXX Liebe ist, beantwortert und er bestellt ihn für die Beantwortung dieser Frage förmlich zum Entscheider („sententiatore“), dem es zukommt, die autoritative Lehrmeinung zu formulieren. Die Gegenposition zu Jacopo Mostacci vertritt Pier de la Vigna. Auch er führt im ersten Quartett zunächst eine Meinung an, die er nicht teilt, nämlich, dass Substanzen nur als Körper existieren. Das verleitet zu dem Fehlschluss, dass das, was keine Ausdehnung hat und nicht als Körper existiert, überhaupt nicht existiere. Das zweite Quartett formuliert die indirekte Widerlegung dieser Auffassung. Liebe wirkt von innen heraus, vom Herzen als herrschendes Prinzip. Daher hat sie größeren Wert als Körperliches. Das erste Terzett führt ein Plausibilitätsargument aus der Natur an. Die Kraft des Magneten zieht Eisen an, obwohl man sie nicht sehen kann. Im zweiten Terzett wird von diesem bekannten, unleugbaren Sachverhalt in einem Analogieschluss auf den Selbststand der Liebe geschlossen. Liebe ist zwar eine körperlose, aber wirkmächtige Substanz, die von den Leuten auch als solche angesehen wird. Das letzte Sonett stammt von Giacomo da Lentini. Er ist der Adressat, den Jacopo Mostacci anspricht und zum Entscheider in der Streitfrage beruft. Ohne dass es gesagt wird, ist er neben Jacopo Mostacci auch der Adressat Pier de la Vignas. Denn Giacomo da Lentini greift beide Positionen auf, um seine Lehrmeinung zu formulieren, die gleich mit dem ersten Quartett mit den ersten beiden Versen definitorisch eingeführt wird. Liebe ist der Gattung nach (genus proximum) ein Begehren („desio“). Der artbildende Unterschied zu anderen Arten des Begehrens (differentia specifica) liegt einmal in der causa materialis („che ven da core“) dieses Begehrens und zweitens in seiner causa efficiens („per abondanza di gran piacimento“). Mit diesen beiden Bestimmungen der differentia specifica greift Giacomo da Lentini sowohl die These Jacopo Mostaccis als auch die Antithese Pier de la Vignas auf. Allerdings rückt er beide zurecht. Liebe ist nicht nur ein Zustand der Verliebtheit („amorositate“), die aus Wohlgefallen („piacere“) entsteht, sondern ein Begehren, eine Bewegung des Herzens als Sitz des Strebevermögens, wenn dieses eine Überfülle von Wohlgefallen empfindet. Nur dann geht die Empfindung des Wohlgefallens in die Bewegung des Begehrens über. Gegenüber Pier de la Vigna stellt er klar, dass die Liebe sich zwar aus dem Herzen bemerkbar macht („si face sentire dentro dal cor“), aber nicht als präpotenter Akt des Herrschens über die Leute („signoreggiar“), sondern als Begehren nach etwas, als ein Bewegtwerden auf etwas hin. In den folgenden Versen (3f.) wird die Entstehung der Liebe aus dem Herzen weiter erklärt. Dem Begehren geht ein sinnlicher Erkenntnisakt voraus, der am Anfang des Entstehungsprozesses der Liebe steht („e li occhi in prima generan l’amore“). Das Strebevermögen („cor“) gibt diesem ersten Stadium der Liebe dann Nahrung („nutricamento“), d.h., dass die Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXXI sinnliche Erkenntnis zu einem sinnlichen Begehren übergeht. Diese Überlegungen werden erst in den beiden Terzetten weitergeführt, weil im zweiten Quartett zunächst ein möglicher Einwand ausgeräumt wird. Der Einwand nimmt, ohne ihn namentlich zu nennen, Bezug auf den Troubadour Jaufré Rudel, der sich - so erzählt seine vida - unsterblich in die Gräfin von Tripoli verliebte, ohne sie jemals gesehen zu haben. 53 Jaufré Rudels amor de lonh könnte also die These, dass die Liebe mit dem Sehen beginnt, in Frage stellen. Die Ausräumung dieses möglichen Einwandes wird - typisch scholastisch - mit einer Unterscheidung (distinctio) vorgenommen. Der amor spiritualis, der aus dem geistigen Strebevermögen, also dem Willen, entsteht, braucht keine Anschauung des Begehrten, wohl aber der amor sensibilis, der aus dem sinnlichen Strebevermögen entsteht. Die aber hier in Frage stehende Liebe ist die sinnliche, als unwiderstehlich erlebte Liebe, und diese entsteht beim Anschauen mit den Augen. Erst nach dieser Klarstellung führt Giacomo da Lentini seine Überlegungen zum Entstehungsprozess der sinnlichen Liebe weiter. Die sinnliche Erkenntnis liefert dem Herzen als Sitz des Strebevermögens Bilder der gesehenen Dinge, und zwar so wie die Dinge beschaffen sind in Hinsicht auf gut oder böse als mögliche Ziele des Strebevermögens. Im Herzen entsteht dann bei Gefallen, d.h. wenn die Bilder das begehrenswerte Gute der abgebildeten Dinge zeigen, das Begehren (gemäß der eingangs gegebenen Definition). Diese Art von Liebe ist die Liebe, die Menschen dann als ein Beherrschtwerden erleben. Diese Tenzone ist wie andere Tenzonen ein stilisiertes Streitgespräch. Deshalb signalisiert die Verwendung des lyrischen Ichs keine autobiographische Einbettung, sondern Rollenidentität. Die Autoren vertreten hier also nicht ihre eigene Meinung, sondern eine Position. In der vorliegenden Tenzone sind die Rollen nun so besetzt und angeordnet, dass sie wie eine quaestio disputata erscheint, ein typisch scholastisches Unterrichtsverfahren, das zu einer schriftlichen Darstellungsform wurde. Mostacci vertritt seine These wie die Eröffnung der quaestio disputata (videtur quod, ponitur), La Vigna formuliert das sed contra, die Gegenposition zur Eröffnungsthese; Giacomo da Lentini formuliert die Geltung beanspruchende Lehrmeinung im corpus articuli, die in der quaestio disputata mit respondeo dicendum eingeleitet wird. Der Bezug auf die quaestio disputata wird im Sonett von Jacopo Mostacci selbst hergestellt und durch eine Fülle weiterer Fachtermini gestützt. Die Form der quaestio disputata ist auch die kongeniale Gattung, um eine Wesensfrage zu stellen und zu beantworten. Das wissen die drei Autoren aufgrund ihrer Ausbildung, und auch das Verfahren ist ihnen vertraut. Was lag also näher, diese Tenzone als quaestio disputata zu gestalten und damit neben einer literarischen Lektüre auch eine wissenschaftliche Lesart zu ermöglichen? 53 Vgl. zu Jaufré Rudel auch das Kapitel III, 2.2 des vorliegenden Bandes. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXXII Bei einer wissenschaftlichen Lesart geraten auch die damaligen wissenschaftlichen Diskurse über Liebe in den Blick, zumal wenn dies lexikalische und begriffliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten nahe legen. Dies ist vor allem im Sonett Giacomo da Lentinis der Fall. Seine Definition der Liebe steht in der Nähe derjenigen Definition, die Thomas von Aquin in Sth IaIIae, q. 26, a. 2 gibt und die weiter oben zitiert ist. Das „desio“ und „piacimento“ Giacomos sind nicht nur aus den lateinischen Bezeichnungen desiderium und complacentia entstanden, sondern entsprechen ihnen auch begrifflich und funktional in der Definition. Für „cor“ als Sitz des Strebevermögens steht bei Thomas das abstraktere „concupiscibile“. Damit ist auch klar, ohne dass der Begriff fällt, dass Liebe auch für Giacomo passio ist, ein Erleiden oder Berührtwerden vom Begehrenswerten, das im Gefallen seinen Ausdruck findet und zum Begehren wird. Auch die Auffassung, dass dem sinnlichen Begehren ein sinnlicher Erkenntnisakt vorausgehen muss, ist allgemeine scholastische Auffassung und wird bei Thomas unter der Frage De causa amoris als Artikel 2 behandelt. 54 Desgleichen ist die von Giacomo skizzierte Erkenntnistheorie und seine Ausführungen über das Zusammenwirken von Erkennen und Begehren weit verbreitet und ebenso seine Unterscheidung von geistiger und sinnlicher Liebe (amor spiritualis - amor sensualis). Man darf also festhalten: Die Frage nach dem Wesen der Liebe wird in der Tenzone zwar spielerisch eingeführt, wird aber ernsthaft gestellt und behandelt. Die Antwort, die der „sentenziatore“ Giacomo da Lentini gibt, erfolgt in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der damaligen Leitwissenschaft, der Theologie. Sie erscheint als auf der Höhe ihrer Zeit, aber sie wird dadurch nicht wissenschaftlich. Trotz der vielfachen Bezüge und offensichtlichen Anleihen aus wissenschaftlichen Diskursen über Liebe, bleibt diese Tenzone ein literarischer Diskurs, der nicht nur durch die poetische Sprache und die Sonettform garantiert ist, sondern auch durch seinen lebensweltlichen Kontext. Diese Tenzone ist Dichtung innerhalb von Dichtung, welche die Autoren der scuola siciliana in ihrem persönlichen Freiraum (otium) betreiben und gerade nicht im Pflicht- und Öffentlichkeitsbereich (negotium) ihrer jeweiligen Ämter. Literatur Primärliteratur Andreas Capellanus: On Love, edited with an English Translation by Walsh, Patrick G., London (Duckworth) 1982, [Duckworth Classical, Medieval and Renaissance Editions]. Die Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes. Deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, herausgegeben von Arenhoevel, Diego / Deissler, Alfons / Vögtle, Anton, Freiburg / Basel / Wien (Herder) 1968. 54 Sth IaIIae, q. 27, a. 2 „Utrum cognitio sit causa amoris”. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXXIII Giacomo da Lentini: „Tenzone con Jacopo Mostacci e Pier della Vigna”, in: Poeti del Duecento, tomo I, a cura di Gianfranco Contini, Milano / Napoli (Riccardo Ricciardi) 1960, 88-90. Thomas von Aquin: Summa theologiae, cura et studio Petri Caramello, cum textu ex recensione Leonina, 3 Bände, Taurini / Romae (Marietti) 1962-1963. Thomas von Aquin: Summa theologiae, deutsch-lateinische Ausgabe, übersetzt von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, herausgegeben von der Albertus-Magnus-Akademie Walberberg bei Köln, bisher 36 Bände, Heidelberg (F.H. Kerle), Graz / Wien / Köln (Styria) ab 1933 [Die Deutsche Thomas-Ausgabe]. Sekundärliteratur Artikel „ ` ` hb lieben“, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, herausgegeben von Jenni, Ernst unter Mitarbeit von Westermann, Claus, 2 Bände, München (Chr. Kaiser) / Zürich (Theologischer Verlag), 1971-1976, Bd. 1, Kol. 60-73. Artikel „Liebe“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, herausgegeben von Ritter, Joachim / Gründer, Karlfried / Gabriel, Gottfried / Kranz, Margarita, 13 Bände, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1971-2007, Bd. 5, 1980, Kol. 290- 328. Artikel „Liebe“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Kol. 1963-1968. Artikel „Ovid“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Kol. 1592-1599. Artikel „Andreas Capellanus“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, 1980, Kol. 604-607. Bartz, Gabriele / Karnein, Alfred / Lange, Claudio: Liebesfreuden im Mittelalter. Kulturgeschichte der Erotik und Sexualität in Bildern und Dokumenten, Stuttgart / Zürich (Belser Verlag) 1994. Bein, Thomas: Liebe und Erotik im Mittelalter, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2003. Bürgel, Johann Christoph: „Der Topos der Liebeskrankheit in der klassischen Dichtung des Islam“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 75-103. Funke, Hermann: „Liebe als Krankheit in der griechischen und römischen Antike“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 11-30. Gesenius, Wilhelm: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearbeitet von Buhl, Frants, Leipzig (F.C.W. Vogel) 13 1899. Haage, Bernhard D.: „«Amor hereos» als medizinischer Terminus technicus in der Antike und im Mittelalter“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 31-73. Hilty, Gerold: „Liebe als Krankheit: Altspanische Texte des 12. und 13. Jahrhunderts“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 127-138. Hoffmann, Werner: „Liebe als Krankheit in der mittelhochdeutschen Lyrik“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 221-257. Karnein, Alfred: De Amore in der volkssprachlichen Literatur. Untersuchungen zur Andreas-Capellanus-Rezeption in Mittelalter und Renaissance, Heidelberg (Winter) 1985, [Germanisch-Romanische Monatsschrift, Beiheft; 4]. Karnein, Alfred: „Die Stimme der Intellektuellen im Mittelalter: Andreas Capellanus über Liebe, Sexualität und Geschlechterbeziehung“, in: Bartz, Gabriele / Karnein, Alfred / Lange, Claudio: Liebesfreuden im Mittelalter. Kulturgeschichte der Erotik und Sexualität in Bildern und Dokumenten, Stuttgart / Zürich (Belser Verlag) 1994, 81-95. Hermann Kleber: Was ist Liebe? XXXIV Liebe als Krankheit. Vorträge eines interdisziplinären Kolloquiums, herausgegeben von Stemmler, Theo, Tübingen (Narr) 1990. Lexikon des Mittelalters, herausgegeben von Auty, Robert u.a., 9 Bände und Registerband, München / Zürich (Artemis) 1980-1999. Otis-Cour, Leah: Lust und Liebe. Geschichte der Paarbeziehungen im Mittelalter, aus dem Englischen von Vorspohl, Elisabeth, Frankfurt am Main (Fischer) 2000 (Fischer Taschenbuch; 60107: Europäische Geschichte). Pollmann, Leo: Die Liebe in der hochmittelalterlichen Literatur Frankreichs. Versuch einer historischen Phänomenologie, Frankfurt am Main (Vittorio Klostermann) 1966 [Analecta Romanica; 18]. Reichl, Karl: „Liebe als Krankheit: Mittelenglische Texte“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 187-219. Rohr, Rupprecht: „Liebe als Krankheit bei den Trobadors“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 139-149. Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern / München (Francke) 1985 [Bibliotheca Germanica; 27]. Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln / Weimar / Wien (Böhlau) 2002. Vollmann, Benedikt Konrad: „Liebe als Krankheit in der weltlichen Lyrik des lateinischen Mittelalters“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 105-125. Weigand, Rudolf: Liebe und Ehe im Mittelalter, Goldbach (Keip) 1993 [Bibliotheca eruditorum; 7]. Wolfzettel, Friedrich: „Liebe als Krankheit in der altfranzösischen Literatur. Überlegungen zu einer Funktionalisierung des Topos“, in: Liebe als Krankheit, 1990, 151- 186. Der Beginn der romanischen Dichtung XXXV 2. Der Beginn der romanischen Dichtung In den meisten romanischen Ländern erwachte zwischen 850 und 1200 das Bedürfnis, Dichtungen in der Volkssprache niederzuschreiben, nachdem man kurze Bibeltexte, Predigten, Eidesformeln, Gerichtsaussagen und „Federproben” schon vorher zu Pergament gebracht hatte. Aus dem französischen Sprachraum ist die Eulalia-Sequenz bekannt, die zwischen 880 und 890 verfasst sein dürfte. Dieser folgen dann um 1000 die Passio Christi und die Chanson de Saint Léger, bis um 1100 die Version der Chanson de Roland formuliert wurde, die für uns der Inbegriff der altfranzösischen Literatur bleibt. Die ältesten poetischen Bezeugungen des Spanischen liegen in den romanischen Schlussstrophen (jarchas) hebräischer oder arabischer lyrischer Dichtungen vor, die im 11. Jahrhundert entstanden sind. In lateinischer Schrift ist der um 1140 entstandene Cantar de mio Cid das älteste Zeugnis. Die Dialekte Italiens erleben ihr erstes poetisches Auftreten mit dem Ritmo Bellunese aus dem Jahre 1193 und mit dem Cantico di Frate Sole von Francesco d’Assisi († 1226). Aber schon mit den Werken der Scuola Siciliana in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gerät die Dichtkunst Italiens, wie übrigens auch die frühe Dichtung des galicischportugiesischen Sprachraums, unter den überwältigen Einfluss der in Südfrankreich beheimateten Dichtung der Troubadours, der der vorliegende Band gewidmet ist. Die Literatur im Gebiet südlich der Loire beginnt mit dem Boethius (Boëcis), einer poetischen Inhaltsangabe des spätantiken Werks De consolatione philosophiae von A. Manlius Severinus Boethius. Das Werk ist jedenfalls vor 1050 in einem limousinischen Dialekt geschrieben worden. Ebenso wohl noch dem 11. Jahrhundert gehören ein Marienlied und ein „Weihnachtsgedicht” an, bei denen die provenzalischen Strophen mit lateinischen wechseln. Zeitlich befinden wir uns aber damit schon in der Nähe der ersten Troubadourdichtungen. Der Beginn der romanischen Dichtung XXXVI Sprachen und Dialekte zur Troubadourzeit Quelle: Bec, 1963, 8. Der Name der Sprache der Troubadours XXXVII 3. Der Name der Sprache der Troubadours Wie die Sprache der Kirche und der gelehrten Welt bezeichnet werden musste, darüber gab es im Mittelalter nirgendwo eine Diskussion: Die lingua Latina oder einfach das Latinum des alten Rom nannte man in der Muttersprache la lenga latina oder lati(n). Wie man aber die eigene Sprache, die man im Alltag verwendete und in der man dichtete, benennen sollte, darüber war man sich lange Zeit uneins. Am Allgemeinsten ist der Ausdruck nostra lenga oder nostre lengage, aber das ist natürlich kein eigentlicher Sprachname. Als solcher erscheint lenga romana bei Jaufré Rudel: die auf die Römer zurückgehende Alltagssprache im Gegensatz zur Buchsprache Latein. Während lenga romana mehrfach vorkommt, ist das maskuline Adjektiv roman extrem selten. Die gängige Form lautet vielmehr romans oder romantz, was nicht direkt auf das lateinische Adjektiv Romanus, sondern auf das Adverb Romanice zurückgeht, das auch als Adjektiv vorkommen konnte und so als maskuline Form zum Femininum romana aufzufassen ist (Deklination wie os, palais, bratz). Vom Anfang der Troubadourdichtung bis zu ihrem Ende ist romans / romantz gut belegt. So stellt schon Wilhelm von Aquitanien in seinem um 1111 verfassten „Bußlied” (Pos de chantar m’es pres talenz, vgl. S. 46-51) heraus, dass er sowohl in seinem eigenen romans als auch in der ehrfurchtgebietenden Prestigesprache des göttlichen Herrn der Welt, also auf Latein, bei Jesus um Gnade bitten werde: Et il prec En Jezu del tron / en romans et en son lati. Am Ende des 14. Jahrhunderts wird in der Dichtungslehre Las Leys d’amors in der Definition des „Vers” einfach gesagt, dass er eine Dichtung in romans sei: Vers es us dictatz en romans. Mit romans / romantz / (roman) wurde die eigene Sprache im Gegensatz zum Lateinischen bezeichnet, aber es wurde nicht verwendet, um die Sprache des heutigen Südfrankreichs vom Italienischen, Französischen oder Spanischen abzugrenzen. Dazu verwendete man Namen, die sich primär auf die Landschaft beziehen, in der die Sprachform zu Hause war: peitavi(n) ‚poitevinisch’, lemozi(n) ‚limousinisch’, pro(v)ensal(es) ‚provenzalisch’, g(u)ascon(il) ‚gaskognisch’. Sehr schnell verloren diese Bezeichnungen jedoch die konkrete Beziehung auf ein eingeschränktes Gebiet und meinten einfach die Sprache der Troubadours in ihrer Gesamtheit. In den Rasos de trobar von Raimon Vidal gibt es einen ganzen Paragraphen, in dem es darum geht, dass die parladura de Lemosin ohne regionale Einschränkung die Sprache der Troubadours ist. Raimon Vidal spricht sogar vom cantar de la lenga lemosina. Und wenn bei Raimbaut de Vaqueiras (Domna, tant vos ai preiada, vgl. S. 236-245) die bodenständige Genueserin dem Troubadour, der sie in höfischer Sprache zu verführen sucht, vorwirft, dass sie sein proenzalesco nicht besser als Deutsch, Sardisch oder Berberisch verstehe, dann ist damit natürlich nicht die sprachliche Sonderform der Landschaft Provence gemeint, sondern die höfische Troubadoursprache im Ganzen. XXXVIII Der Name der Sprache der Troubadours Eine andere, in unseren Augen etwas merkwürdige Sprachbezeichnung geht davon aus, dass man die Sprache nach dem Wort benennt, das diese für ‚ja’ verwendet. Wir haben dafür ein explizites Zeugnis in Dantes um 1204 verfasster sprachtheoretischer Schrift De vulgari eloquentia (I 8, 3 und 5), wo gesagt wird, dass die Sprachen des Nordens als Wort für ‚ja’ iò haben, während für den Süden und Westen gilt, dass dort ein ydioma [...] tripharium Geltung habe mit drei Bejahungsformeln: alii «oc», alii «oil», alii «si» affirmando locuntur, ut puta Yspani, Franci et Latini. Übersetzt heißt das, dass „einige beim Bejahen «oc», andere «oïl», andere «si» sagen, nämlich die Spanier (= Provenzalen und Katalanen), die Franzosen und die Italiener“. In seinen italienischen Texten spricht Dante von lingua d’oco im Gegensatz zum Italienischen, der lingua di sì (z.B. in der um 1291 geschriebenenVita nuova 25, 4). In einem lateinischen Text taucht lingua d’oc ebenfalls 1291 auf, und der provenzalische Erstbeleg für lenga d’oc stammt aus dem Jahre 1323; das französische langue d’oc (1355) stellt die Entsprechung dar (DHLF 2, 1349; DI 2, 730). Gemeint ist immer die Sprachform des Südens des heutigen Frankreich, also die Grundlage der Troubadoursprache. Freilich verlor der Begriff langue d’oc relativ schnell seine Eindeutigkeit, weil sich auch hier eine engere Verwendung des Namens herausbildete: Das Gebiet zwischen Rhône und Pyrenäen erhielt zwischen 1370 und 1420 den (maskulinen! ) Namen Languedoc, so wie das Gebiet östlich der Rhône Provence im engeren Sinne hieß. Wir finden also langue d’oc oder pro(v)ensal(es) als eine der Möglichkeiten (neben lemozin, romans usw.), die Sprachformen des heutigen Südfrankreich generell zu bezeichnen, aber Languedoc und Provence können auch die Namen von geographisch viel enger umschriebenen Landschaften sein, und dazu gehörige Adjektive beziehen sich auf ihre sprachlichen Ausdrucksformen. Konkret kann also langue d’oc entweder die Troubadoursprache und die damit verwandten Idiome oder nur die Sprachform des Languedoc bezeichnen, so wie pro(v)ensal(es) entweder die überregionale Dichtersprache oder die konkrete Sprachform der Region Provence meinen konnte. Eine der Möglichkeiten, dieser Uneindeutigkeit auszuweichen, war die Prägung eines eindeutigen Sprachnamens. In lateinischer Gestalt taucht occitanus, die Latinisierung von langue d’oc, im Jahre 1315 zum ersten Mal auf, und als Name des Sprachgebietes ist Occitania in lateinischer Form 1320 belegt. Eigensprachliche Belege fehlen allerdings, sie sind erst seit der Zeit der neuzeitlichen Wiederbelebung der Schriftsprachlichkeit bekannt (Occitanie 1787; occitanique 1803; occitanien 1819; óucitan 1880; occitan im 18. Jahrhundert). Nach dem Ende der Troubadourepoche und der Erarbeitung der damit in Zusammenhang stehenden sprach- und dichtungstheoretischen Schriften war die Gelegenheit für die Prägung eines gemeinsamen Sprachnamens zunächst verpasst. Die einzelnen Sprachvarietäten sanken auf die Der Name der Sprache der Troubadours XXXIX Stufe von schriftlich immer weniger verwendeten Regional- und Lokaldialekten herab, wurden - französisch ausgedrückt - zu patois. Erst mit dem Erwachen eines wissenschaftlichen Interesses gegen Ende des 18. Jahrhunderts ergab sich die Notwendigkeit der Prägung eines Sprachnamens. François Raynouard (1761-1836), einer der „Väter” der Romanistik und Verfasser des heute noch maßgeblichen Lexique roman ou dictionnaire de la langue des Troubadours (1836-1845), ging von der - falschen - Annahme aus, dass die Sprache der Troubadours die Ausgangsform sei, von der alle anderen romanischen Sprachen abstammten. Er nannte diese Sprachform roman, wobei er erstens auf das seltene mittelalterliche roman, also auf eine Analogieform zum normalen romans, zurückgriff, zweitens aber das ebenso zu erklärende altfranzösische roman heranzog, das vom 16. Jahrhundert an von Sprachtheoretikern als Bezeichnung für das Altfranzösische (le roman français), aber auch für die Gesamtheit der romanischen Sprachen verwendet wurde. Als aber Raynouards Theorie von der Herleitung aller romanischen Sprachen aus der Troubadoursprache durch Friedrich Diez, den zweiten „Vater” der Romanistik, endgültig widerlegt wurde und die mittelalterliche Sprachform als eine der aus dem Vulgärlateinischen zu erklärenden Sprache auf derselben Stufe neben ihren Schwestersprachen Italienisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch usw. eingeordnet wurde, war der Terminus roman oder langue romane, der ja jetzt ‚romanische Sprache’ hieß, nicht mehr für die südfranzösische Sprachform verwendbar. Ein neuer Name musste also her. Dieser Name war provençal, in Anlehnung an das mittelalterliche pro(v)ensal gebildet und mit Beziehung auf die mittelalterliche Sprache immer üblich geblieben, wenn auch nicht gerade häufig verwendet. J. Fr. Féraud verfasste um 1790 Essais de grammaire et glossaire de la langue provençale, und auch die Wiederbelebungsaktivitäten, die dann in Frédéric Mistral und seiner Félibrige-Dichterschule am Ende des 19. Jahrhunderts ihre unbestrittenen Vorkämpfer fanden, benutzten prouvençau. International schlug zu Buche, dass die deutschen Romanisten von Anfang an ohne Diskussion von Provenzalisch und von der provenzalischen Sprache redeten, eine Terminologie, die in die Ausdrucksweise der gebildeten Bürger Eingang fand: Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gehört es zum Abiturwissen, dass die mittelalterlichen Troubadours provenzalische Gedichte verfasst haben. Ein weiterer Sprachname tauchte ebenfalls an der Schwelle des 18. zum 19. Jahrhundert auf. Es ist occitanique, das Fabre d’Olivet 1803 im Anschluss an den Landesnamen Occitanie prägte, der 1787 vom Modeschriftsteller Jean-Pierre Claris de Florian gebildet wurde. Eine französische mittelalterliche Ausgangsform gibt es nicht; mittellateinisch occitanus (1315) ist der Anknüpfungspunkt. Als Terminus dümpelte die zum im 18. Jahrhundert bei Abbé Séguier erstmals belegten occitan gehörende Wortfamilie jedoch XL Der Name der Sprache der Troubadours während des ganzen 19. Jahrhunderts am Rande der Aufmerksamkeit dahin, die von den Romanisten einerseits und von der wiederbelebenden Dichterschule der Félibrige um Mistral beherrscht wurde, die beide provenzalisch präferierten. Erst in den Konflikten zwischen verschiedenen Ausrichtungen der Sprachwiedererweckungsbewegung kam der Aufmerksamkeit für den Sprachnamen eine neue Bedeutung zu. Während die zunehmend konservativer werdende, stark auf die Dialekte der Bouche-du-Rhône fixierten Félibrige-Anhänger dem Terminus prouvençau treu blieben und während provençal bzw. provenzalisch, unterteilt in altprovenzalisch für die Zeugnisse der mittelalterlichen Periode und neuprovenzalisch für die im 19. Jahrhundert zu neuer Schriftsprachlichkeit erweckten Sprache, der kanonische Name in der Wissenschaft blieb, fanden die Vertreter einer anderen Ausrichtung, die die neu zu kanonisierende Sprachform in eine am mittelalterlichen Sprachstand orientierte „Deckmantelorthographie” kleiden wollten, Gefallen am Terminus occitan. 1930 wurde die Societat d’Estudis Occitans gegründet, die vor allem, aber nicht nur, Mitglieder aus den nicht zur Provence im engeren Sinne gehörenden Landstrichen unter ihrem Dach versammelte. Während des Zweiten Weltkrieges waren einige Anhänger der konservativen Félibrige-Bewegung offene oder verdeckte Kollaborateure, und in der Nachkriegszeit gewann zumindest außerhalb der eigentlichen Provence die nicht mit diesem Makel behaftete Bezeichnung occitan an Boden. In der Loi Deixonne von 1951, die eine gewisse Berücksichtigung der Regionalsprachen im französischen Schulwesen garantierte, ist schließlich von la langue occitane und vom enseignement de la langue, de la littérature, de l’histoire occitanes die Rede, so dass der Name occitan für die heutige Sprache sozusagen offizialisiert ist. Es sei aber nicht verschwiegen, dass es dagegen eine allerdings immer schwächer werdende Opposition gibt, die an provençal festhalten will. Zunächst hatte diese auf die Moderne orientierte Diskussion für den Namen der mittelalterlichen Sprache keine Auswirkungen: Man sprach weiter von provençal bzw. von provenzalisch. Für die Verbreitung des neuen Namens occitan spielt es eine Rolle, dass einige der französischen Spezialisten für die Troubadoursprache zugleich in den zeitgenössischen Spracherweckungsbewegungen mitarbeiteten. Joseph Anglade, der Verfasser der grundlegenden Grammaire de l’Ancien Provençal (1921) und einer einflussreichen Anthologie des troubadours (1927), war auch Chef der Escòla Occitana und verteidigte in seiner Grammatik, freilich ohne selbst praktische Konsequenzen daraus zu ziehen, den Sprachnamen occitan. Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts plädierten Robert Lafont und Pierre Bec für die Einführung dieses Namens in der Romanistik, was im Gefolge des Einschnitts des Jahres 1968 durchgehend von Erfolg gekrönt war, zumindest was die Sprachwissenschaft anbelangt. Bei den deutschen Romanisten Der Name der Sprache der Troubadours XLI linguistischer Orientierung ist es etwa seit 1970 üblich, vom Okzitanischen zu reden und Alt- und Neuokzitanisch zu unterscheiden. In der Literaturwissenschaft freilich blieb man weitgehend beim alten Namen Provenzalisch bzw. Altprovenzalisch, und in der außerromanistischen Öffentlichkeit ist ebenfalls nur Provenzalisch wirklich geläufig. Für unsere Anthologie haben wir uns dafür entschieden, den traditionellen Sprachnamen Provenzalisch zu benutzen, schon, um keinen terminologischen Keil zwischen die Benutzer literarischer und sprachwissenschaftlicher Orientierung zu treiben. Es reicht, zu wissen, dass diese Sprache in neueren linguistischen Studien meistens den Namen Okzitanisch trägt, das für die mittelalterliche Epoche einfach als Synonym zu Provenzalisch angesehen werden kann. Ein zweites terminologisches Problem ist noch einfacher zu lösen. Die mittelalterlichen Sänger bezeichneten sich selbst als trobadors, also als Leute, die sich auf die art de trobar, die ‚Sangeskunst’, verstanden. Der Terminus trobador wurde 1575 als troubadour, also in einer der provenzalischen Aussprache entsprechenden graphischen Form, ins Französische entlehnt (DHLF 2, 2178), und aus dem Französischen kam das Wort in die anderen europäischen Sprachen (etwa deutsch Troubadour im 17. Jahrhundert). Unter einigen deutschen Romanisten gab es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Mode, der Originalform Trobador den Vorzug zu geben, zum Teil aus einer ideologischen Einstellung heraus, die den unfranzösischen, ja antifranzösischen Charakter der mittelalterlichen „Minnesänger” unterstreichen wollte. In der Öffentlichkeit vermochte sich Trobador aber nicht wirklich durchzusetzen. Wir haben uns daher entschlossen, im Folgenden immer von Troubadours zu reden und so der im Deutschen üblichen Form den Vorzug zu geben. 4. Die provenzalischen Troubadours Wilhelm von Aquitanien (1071-1126) gilt zu Recht als erster Troubadour und als Begründer der provenzalischen Dichterschule, die etwa zwei Jahrhunderte lang blühte. Was aber ist ein Troubadour? Das Wort als solches ist, wie gesagt, eine Anpassung des provenzalischen trobador an das französische Lautsystem. Im Provenzalischen taucht trobador (als Nominativ Plural) zum ersten Male um 1150 in einem Gedicht von Cercamon auf (Puois nostre temps comens’a brunezir, Vers 19) und hat dort bereits seine Grundbedeutung ‚lyrischer Dichter und Sänger der Liebe’: Ist trobador, entre ver e mentir, Diese Troubadours, zwischen Wahrheit und Lüge, afollon drutz e molhers et espos, verwirren Liebhaber, Frauen und XLII Die provenzalischen Troubadours Ehemänner, e van dizen qu’amors vay en biays, und behaupten, dass die Liebe schlecht verläuft, per que·l marit endevenon gilos, weswegen die Ehemänner eifersüchtig werden e dompnas son intradas en pantays, und die Damen von Unruhe erfasst werden, car mout vol hom escoutar et auzir. denn man will von den Troubadours viel hören und erfahren. Grammatisch ist trobador der Obliquus Singular bzw. der Rektus Plural (Obliquus Plural: trobadors) zum Rektus Singular trobaire. Das Substantiv ist eine Ableitung vom Verb trobar, das in den Bedeutungen ‚finden, erfinden, Verse machen’ vorkommt. Über die Etymologie wohl kaum eines romanischen Wortes gibt es derart viel Literatur wie über trobar und seine Entsprechungen (französisch trouver, italienisch trovare, katalanisch trobar). Es stehen einander zwei Herleitungen gegenüber, die ältere, schon in den Kindertagen der Romanistik von Friedrich Diez vorgeschlagene (EWRS 331f.), die auf lat. turbare ‚durcheinander werfen, durchstöbern, durchsuchen, finden durch Suchen, dichten durch Nachdenken’ zurückgeht (von Hugo Schuchardt 1899 dahingehend abgewandelt, dass er von einem Fischereiterminus ausging: turbare aquam ‚das Wasser durchwühlen, um Fische aufzustöbern; Fische finden’), und die jüngere, auf Gaston Paris (1909, 615-626) zurückgehende, die von einem zu tropus ‚bildlicher Gebrauch eines Wortes; Gesang’ gebildeten Verb *tropare ‚Melodien erfinden, finden’ ausgeht. Bei dieser Kontroverse hat sich heute die Waagschale weitgehend zu Gunsten von *tropare eingependelt, wenn es auch durchaus noch Befürworter von turbare gibt (Pfister/ Lupis, 2001, 122). Wenn *tropare richtig ist, dann haben wir es mit einem spätantiken Ausdruck der musikalischen Terminologie zu tun, der ursprünglich ‚eine auf uneigentlichem Wortgebrauch beruhende Gesangsweise erfinden’ bedeutete. Damit reichte das Wort in die Bedeutungssphäre von lat. invenire ‚finden, erfinden’ hinein, das ja mit inventio ‚rhetorische (Er-)findung eines Themas’ seinen Eingang in die Redekunst gefunden hat. Das Verb trobar gehört jedenfalls von Wilhelm von Aquitanien an zum normalen Wortschatz der Troubadours, sowohl in seiner Bedeutung ‚dichten’ als auch in seiner Bedeutung ‚finden’ (in Vers 5 von Farai un vers de dreit nien heißt es, dass das Gedicht „fo trobatz en durmen sus un chivau”; in Vers 32 sagen die liebeshungrigen Damen „trobat avem que anam queren”, also eindeutig ‚finden’ ohne dichtungsspezifischen Unterton). Ein Synonym für den trobaire / trobador ist im Substantiv cantaire / cantador zu sehen, das zum Verb cantar ‚singen’ gehört, das noch häufiger als trobar vorkommt. Man muss freilich bedenken, dass der Bedeutungsum- Die provenzalischen Troubadours XLIII fang von cantar größer ist: Während trobar nur das Erfinden und Vortragen eigener Kompositionen bezeichnet, wird cantar auch für das Vorsingen fremder Lieder verwendet. Der genaue Ausdruck für jemanden, der Kompositionen anderer aufführt, für einen ‚Spielmann’ also, ist joglar < lat. jocularis. Er war durchaus geachtet, und in vielen Gedichten wird auf ihn Bezug genommen, vor allem als Überbringer von Dichtungen an die geliebte Dame. Jedoch war der Spielmann dem Troubadour keineswegs gleichgestellt, sondern im sozialen Rang weit nachgeordnet. Uns sind durch eine relativ reiche Überlieferung in etwa hundert Sammelhandschriften des späten 13. und des 14. Jahrhunderts etwa zweitausendfünfhundert Lieder von ungefähr vierhundertfünfzig Troubadours erhalten (darunter vielleicht zwanzig Autorinnen, trobairitz genannt), die aus dem Poitou, aus der Grafschaft Toulouse, aus Aquitanien und der Provence, aber auch aus Italien (15 Autoren) und aus Katalonien (25 Autoren) stammten. Die soziale Herkunft der Troubadours ist sehr unterschiedlich. Wilhelm von Aquitanien war einer der größten Feudalherren seiner Zeit, Jaufré Rudel war Prinz von Blaye, Raimbaut d’Aurenga war Graf von Orange. Neben diesen Dichtern, die in der Gesellschaft des 12. Jahrhunderts die höchsten Ränge einnahmen, gab es andere Autoren wie Bernart de Ventadorn, Peire d’Alvernha oder Peire Vidal, die aus dem Handwerker- oder Bürgerstand stammten, und Marcabru war, wenn man der vida glauben will, sogar ein Findelkind. Die meisten Troubadours entstammten jedoch weder dem höchsten Feudaladel noch waren sie unadliger Herkunft, sondern sie gehörten dem niederen Adel und dem Rittertum an. Erich Köhler (1966), der Hauptvertreter der literatursoziologischen Interpretation der Troubadourlyrik, hat herausgestellt, dass eine bestimmte Gruppe im dichterischen Engagement eine besondere Stellung einnahm: Es handelt sich um die Angehörigen der „Jugend” (joven, lat. juventus), also um den jove. Wenn diese beiden Wörter in der Lyrik auftauchen, geht es normalerweise nicht einfach um die Andeutung des biologischen Alters, sondern um eine Begrifflichkeit, die die Summe des „höfischen Betragens”, der cortezia, umfasst. Mit juvenes oder tirones werden in den lateinischen Schriftzeugnissen vom 11. bis 13. Jahrhundert die unverheirateten und unbelehnten Angehörigen des ständigen Gefolges eines Feudalherrn, seiner maisnie, bezeichnet, um sie von den veterani, den älteren, verheirateten und bereits mit einem Lehen ausgestatteten Vasallen, abzusetzen. Wilhelm von Aquitanien hat drei seiner Lieder an die companhos seiner maisnada privada oder companha gerichtet, und es ist offenkundig, dass viele Troubadours sich als Mitglieder einer solchen (realen oder imaginären) Gefolgschaft betrachteten. Der Gruppe dieser juvenes fehlte die Stabilität einer gesicherten Existenz. Sie waren ständig auf der Suche nach Abenteuern als der Möglichkeit, Ruhm und vielleicht als Aner- XLIV Die provenzalischen Troubadours kennung vom Feudalherrn ein Lehen zu erringen. Innerhalb der Gruppe herrschten natürlich Eifersüchteleien um das Erringen der Gunst, und trotz des gemeinsamen positiven Lebensgefühls, das sich im joi manifestiert, beobachtete man sich gegenseitig und sah im companho oft auch einen Rivalen, den lauzengier. Wenn die hier angesprochene Gruppe des juvenes auch sicher den größten Teil der Troubadours ausmachte und einige Facetten der Verehrung der domna aus den Gegebenheiten der Loyalitätsbezeugung im System des senhoratge zu erklären sind, so ist es sicher nicht angebracht, die literatursoziologische Interpretation zu weit zu treiben. Die Gesellschaft der Troubadours, also derjenigen, die Text und Melodie zu einem anspruchsvollen Lied vereinigen konnten, ist grosso modo egalitär gewesen: Wer sich auf das trobar bonas cansos verstand und dadurch zum conoisser e presiar a la bona gen gelangen konnte (zwei Zitate aus der vida von Raimbaut de Vaqueiras), der hatte genug literarisches Ansehen, um seine Herkunft vergessen zu machen. Die Tenzonen, also die Streitgedichte, in denen Troubadours unterschiedlichster sozialer Stellung miteinander diskutieren, sind nur denkbar, wenn auf der literarischen Ebene Gleichberechtigung zwischen den Dialogpartnern herrscht. Sogar die Frauen, die im wirklichen Leben weitgehend aus der männlich geprägten Gesellschaft ausgeschlossen waren, wurden in der literarischen Welt als trobairitz, also als weibliches Gegenbild zum männlichen trobador, akzeptiert, und dialogische Dichtungen, in den die Rollen auf eine Frau und einen Mann verteilt sind (z. B. Giraut de Bornelhs Si us quer conselh, bel’ami’Alamanda, vgl. S. 190-195), erregten keinen Anstoß. Ein Troubadour hatte als jemand, der eine gesellschaftlich anerkannte und gesuchte Tätigkeit, das Texten, Komponieren und Vortragen von Liedern, ausübte, eine geachtete Stellung in der Gesellschaft und war in die Lebenswelt des hohen Adels einbezogen, was immer seine eigene soziale Herkunft sein mochte. Natürlich war es ein Unterschied, ob der Troubadour selbst dem Hochadel entstammte und sozusagen nur zur dichterischen Selbstentfaltung sang, oder ob er an einem Hof fest angestellt war und sich seinen Lebensunterhalt, ja, seine ganze soziale Wertigkeit, durch seine Kunst erhalten musste. Jedoch schlägt sich dieser Unterschied in den Liedern höchstens marginal nieder: Der Sänger bezog sein Selbstwertgefühl aus der Qualität seiner Dichtung und trat so in den Wettstreit mit anderen Sängern ein. Auf einer erheblich niedrigeren Stufe des sozialen Ansehens stand demnach der joglar, der Spielmann, der lediglich Lieder, die von anderen gedichtet worden waren, vortrug. Ein joglar musste einige Virtuosität aufweisen: Er musste nicht nur den Text, sondern auch seine musikalische Notation lesen können, er musste eine angenehme Stimme für den Gesang haben und sich auf einem Instrument, meist der Fiedel, begleiten. Für die Die provenzalischen Troubadours XLV Verbreitung der Troubadourdichtung hatten die Spielleute eine große Bedeutung: Sie machten die Lieder außerhalb des eigentlichen Wirkungskreises eines Troubadours bekannt. Erfolgreiche Troubadours beschäftigten einen oder sogar mehrere Spielleute. Die Grenzen zwischen trobador und joglar waren eng gezogen und nur in Ausnahmefällen durchlässig: Wirtschaftliche Gründe, wie fehlende Anerkennung durch Mäzene, konnten einen trobador dazu bringen, sich den Lebensunterhalt als joglar zu verdienen, und ein besonders talentierter joglar konnte zum trobador aufsteigen, aber das geschah äußerst selten. Der zeitliche Rahmen der Troubadourdichtung ist ziemlich eng gezogen: Dass Wilhelm von Aquitanien (1071-1126) der erste Troubadour war, wird durch niemanden bestritten, und wenn wir annehmen, dass er in jugendlichem Alter zu dichten begann, kommen wir für den Anfang des Troubadourzeitalters auf das letzte Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts, also auf die Jahre kurz vor 1100. Das Ende der Troubadourepoche ist weniger leicht zu bestimmen, weil es noch lange Zeit ein Nachleben der formalen Ansätze gab. Wenn man aber Sordel (1200-1279), Cerverí de Girona (1259-1285) und Guiraut Riquier (1254-1292) als die letzten „echten” Troubadours einstuft, dann kommt man ans Ende des 13. Jahrhunderts. Die Troubadourdichtung weist also eine zeitliche Dauer von ziemlich genau zweihundert Jahren, grob von 1090 bis 1290, auf, wobei insgesamt das letzte Jahrhundert bereits als Epoche des langsamen Niedergangs anzusehen ist. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts die Nachwirkung der Troubadourdichtung in anderen Sprachen bereits einsetzt. So geht beispielsweise die kurze Blüte der italienischen scuola siciliana mit dem Tode Friedrichs II. im Jahre 1250 bereits ihrem Ende entgegen, bevor noch die „letzten” Troubadours Hand an ihre Werke gelegt hatten. Es ist üblich, die Troubadours in ein Schema der Abfolge von sieben Generationen zu je 25 Jahren einzupassen. Natürlich ist das mit einem gewissen Grad von Künstlichkeit und Systemzwang verbunden, weil man erstens die Datierung der Dichtungen oft nur ungefähr erschließen kann und zweitens die Aktivitäten der Troubadours manchmal die Vierteljahrhundert-Schrittfolge nicht einhielten. Dennoch hat das Generationenschema zweifellos einen zumindest mnemotechnischen Wert: Erste Generation (bis 1125): Guilhem de Peitieu/ Wilhelm von Aquitanien Zweite Generation (1125-1150): Cercamon, Jaufré Rudel, Marcabru Dritte Generation (1150-1175): Bernart de Ventadorn, Peire d’Alvernha, Raimbaut d’Aurenga, Comtessa de Dia Vierte Generation (1175-1200): Giraut de Bornelh, Folquet de Marselha, Bertran de Born, Peire Vidal Fünfte Generation (1200-1225): Arnaut Daniel, Raimbaut de Vaqueiras Sechste Generation (1225-1250): Castelloza Siebente Generation (nach 1250): Sordel, Cerverí de Girona, Giraut Riquier XLVI Der Ursprung der Troubadourdichtung 5. Der Ursprung der Troubadourdichtung Lange Zeit bestand der thematische Schwerpunkt der Troubadourforschung darin, die Quellen dieser Dichtung auszumachen. Der auf den ersten Blick naheliegendste Gedanke, die poetische Inspiration mit Werken der Antike zu verbinden, geht nicht wirklich auf: Zwar nennen die Troubadours gelegentlich Personen oder Vorstellungen, die mit Autoren wie Vergil oder Ovid in Zusammenhang zu bringen sind (vgl. z.B. die Anspielung auf Narcissus in Vers 24 des Liedes Can vei la lauzeta mover von Bernart de Ventadorn, die einen Ovid-Bezug voraussetzt, vgl. S. 124-129), und Gelehrte wie W. Schröter (1908) oder D. Scheludko (1934; 1940) haben ganze „Nester” von Klassikerzitaten ausgemacht. Aber das Bild der Troubadourliebe mit der Hochschätzung, ja Apotheose der angebeteten Frau, die auch dann (oder vielleicht gerade dann), wenn sie sich den Avancen verweigert und „unhöfisches” Verhalten zeigt, immer noch von einer Aura der dem Alltag entrückten Erhabenheit umgeben ist, unterscheidet sich doch fundamental von den amourösen Abenteuern der römischen Dichter. Diese haben unter der Ablehnung und unter den Charakterschwächen ihrer puella im konkreten Einzelfall vielleicht persönlich ungeheuer gelitten; aber die Reaktion des römischen Dichters ist die Beschimpfung und Verunglimpfung der Frau, die er in den Schmutz zieht. Er fragt sich eben nicht, was die Gründe sein könnten, warum das Regelwerk der Liebe, das die Dame zu einer positiven Reaktion auf seine Bemühungen veranlassen müsste, im konkreten Fall nicht funktioniert. Catull, Ovid und Horaz bieten ein durch und durch männliches Bild, bei dem die Frauen bei aller Liebe, die man für sie empfand, in einer wesentlich untergeordneten Rolle verharren, nicht auf derselben Stufe mit dem Dichter und schon gar nicht ihm übergeordnet. Die quasi-religiöse Frauenverehrung der Troubadours kann aus der lateinischen Dichtung nicht erklärt werden: „La mysticité est l’autre pôle de cet aimant dont Catulle et sa bande, poètes brutaux et purement épidermiques, n’ont connu que le pôle sensualité”, hat Baudelaire zu Recht festgehalten (zit. nach Marrou 1971, 135). Die Troubadours kannten, wie alle gebildeten Leute ihrer Zeit, römische Dichter (zumindest in Auszügen) und bedienten sich ihrer gelegentlich als Zitatenspender, um eben ihre Bildung herauszustellen, aber eine Quelle für die Troubadourdichtung selbst ist die Antike nicht. „Pour ce qui est de la poésie classique de l’antiquité, on peut affirmer d’ores et déjà que la lyrique d’oc du moyen âge ne lui doit à peu près rien”, hat Pierre Bec (1970, 39) ebenso kategorisch wie richtig gesagt. Anders steht es vielleicht mit der mittellateinischen Dichtung. Reto Bezzola hat in den - durchaus nach klassischen Metren abgefassten - Gedichten des merowingischen Hofdichters Venantius Fortunatus (530-600) ein Vorbild gesehen. Er gibt darin seiner fast mystischen Verehrung von Der Ursprung der Troubadourdichtung XLVII Radegundis, der Frau von Chlodwig I., Ausdruck, die sich nach dem Tod ihres Mannes in ein Kloster in Poitiers zurückgezogen hatte. Freilich, den Gefühlen, die hier (an die Adresse einer fast fünfzigjährigen Frau) ausgedrückt werden, fehlt völlig die erotische Komponente, und die Überhöhung der Radegundis ist eher ihrer Stellung als Königin und verehrenswürdiger Klosterfrau als irgendeiner Manifestation höfischer Liebe avant la lettre zu verdanken. Außerdem ist es natürlich bedenklich, einen fünfhundert Jahre zurückliegenden Dichter, der keineswegs zum Kreis der omnipräsenten Klassiker gehörte, als Inspirationsquelle für eine flächendeckende Bewegung wie die der Troubadours in Anspruch zu nehmen. Aber auch ein ungefährer Zeitgenosse Wilhelms von Aquitanien, der Leiter der Domschule von Le Mans Hildebert von Lavardin (1056-1133), kommt als Inspirator der neuen Dichtungsart kaum in Frage. Zwar hat er in seinen zahlreichen Briefen an Klosterfrauen, aber auch an vornehme weltliche Damen, und in seinen Gedichten manchmal eine Art Vorgeschmack auf bestimmte Gepflogenheiten und Ausdrucksweisen der Troubadours geboten (von Moos 1965), aber die zu Grunde liegende Einstellung ist doch eine andere: Hildebert ist und bleibt der geistliche Führer all der von ihm angeredeten vornehmen Damen, die nur deswegen mit dem Titel domina und allen positiven Epitheta einer vornehmen Frau bedacht werden, weil sie ja die per definitionem in jeder Hinsicht positiv zu beurteilenden Gattinen der Feudalherren sind. Hildeberts dilectio kommt nie auch nur in die Nähe der fin’amor, in deren Kontext ja die domna die unbestrittene Macht hat, das Schicksal ihres Verehrers ins Positive oder ins Negative zu wenden. Wenn es also zwischen dem poetischen Niederschlag der Liebesauffassung in der Troubadourdichtung und der Darstellung der vornehmen Damen in der gleichzeitigen mittellateinischen Literatur nur vage Ähnlichkeiten gibt, so ist doch im formalen Bereich eine Anknüpfung der volkssprachlichen Dichter an die Poesie des lateinischen Mittelalters unübersehbar: Die tropatores waren Verfasser von tropi, also von ‚Tropen’, von einstimmigen, den Introitus begleitenden erweiternden Choralbearbeitungen (zu lat. tropus ‚vergleichendes Bild, Metapher’). In der Tradition des Klosters Saint-Martial in Limoges wurden die Tropen auch als versus bezeichnet, und vers ist bekanntlich in der ersten und zweiten Generation der Troubadours, manchmal auch noch später, die Bezeichnung des ganzen Gedichts: Mit Farai un vers beginnen dann auch zwei Lieder von Wilhelm von Aquitanien. Die Verbreitung der religiösen versus zeigt ebenfalls Übereinstimmungen mit der Troubadourdichtung, denn Spielleute, cantores joculares, sorgten dafür, dass die Gesänge von Kloster zu Kloster wanderten. Das liturgische Lied ist jedenfalls der Anknüpfungspunkt der Gesangs- und Dichtungskunst der Troubadours, die formalen Anschluss suchten an den conductus (frz. conduit), „ursprünglich als Umzugsgesang, der als Be- XLVIII Der Ursprung der Troubadourdichtung gleitlied zur Prozession gesungen wurde, dann aber Sammelname geworden ist für das einfachere Lied, das neben dem vornehmeren Organum die kirchlichen Feiern ausschmückte. [...] Der Conductus ist meist auf den Geschmack eines weiten, gemischten Publikums zugeschnitten. Volkstümlich, ja sogar volksliedhaft, und beim Hörer, der oft den Refrain mitsang, keine besondere Kunstbildung voraussetzend” (Spoerri 1967, 178f.). Eine Verbindung zwischen der Troubadourdichtung und mittellateinischen Liedformen, die im Conductus ihren Niederschlag fanden, besteht also durchaus, aber sie bewegt sich ausschließlich auf der formalen Ebene - eine Quelle für den Kult der fin’amor lässt sich hier auf keinen Fall finden. Das gilt in noch höherem Maße für mögliche arabische Quellen, die in der Forschung seit G. M. Barbieri im 16. Jahrhundert immer wieder herangezogen wurden und die nach der Entdeckung der jarchas, iberoromanischer Schlussstrophen arabischer oder hebräischer Liebesgedichte des 11. Jahrhunderts aus Andalusien (Stern 1953 / Heger 1960), in den fünfziger Jahren eine Zeit lang die Diskussion beherrschten. Freilich, die Begeisterung für die jarchas als Quelle der Troubadourdichtung hat nach der ersten Aufwallung bald nachgelassen, denn allein die geographische Distanz zwischen Andalusien und Südfrankreich macht eine direkte Übernahme sehr unwahrscheinlich, und Zwischenglieder hat man nicht nachweisen können. Zudem ist die Thematik der jarchas sehr festgelegt: Es handelt sich um einen leidenschaftlichen ‚Abschied’ (das ist die wörtliche Bedeutung von jarcha) vom Geliebten, der Frauen in den Mund gelegt wird. Das passt natürlich gut zu den Frauenliedern, aber die treten frühestens in der dritten Generation der Troubadours auf und setzen die vorherrschende Tradition einer vergeistigten Liebe männlicher Sänger zu verehrenswürdigen Frauen voraus - von Dichterliebe zu höher angesiedelten Damen ist in den jarchas nie die Rede. Bessere Verbindungen bietet da - trotz der weiter bestehenden Schwierigkeit des geographischen Kontakts - die Verbindung mit dem Liebesgedicht in arabischer Umgangssprache, mit dem zadjal also, das aus fünf bis sieben Strophen der Struktur a - a - a - b und dem Refrain b - b besteht. In diesen leidenschaftlichen Liebesgedichten tauchen Figuren und Vorstellungen auf, die die provenzalischen Gedichte ebenfalls bieten: Es gibt den ‚Neider’ (arab. hasud, prov. gilos), den ‚Bewacher’ (arab. raqib, prov. gardador), den ‚Verleumder’ (arab. waschi, prov. lauzengier), ‚gute Erziehung’ (arab. adab, prov. enseignament) ist ein wichtiger Charakterzug, und die körperliche Schönheit der Frau wird nach nahezu denselben Mustern wie bei den Troubadours beschrieben. Ein wichtiger Unterschied zwischen den arabischen und provenzalischen Gedichten wiegt jedoch sehr schwer: Die Frauen, die im Zentrum der arabischen Gedichte stehen, sind Sklavinnen, Tänzerinnen, Musikantinnen, Sängerinnen, und es ist klar, dass sich hier aller poetischen Überhöhung Der Ursprung der Troubadourdichtung XLIX zum Trotz der Herr an seine Untergebene wendet, deren Aufgabe es ist, ihm Vergnügen zu bereiten - das durch die Invokation möglicher Hindernisse nur noch gesteigert werden kann. Das ist weit entfernt von der Erhöhung und Quasi-Vergöttlichung der Dame bei den Provenzalen. Vor diesem Hintergrund wird man sich gerne dem Urteil von Henri Marrou (1971, 125) anschließen, der arabische Einflüsse auf die Form und auf die Typisierung der Umwelt für sehr wahrscheinlich hält, aber einen entscheidenden Beitrag auf die Kernaussage der provenzalischen Lyrik, den Kult der höfischen Liebe, für ausgeschlossen erachtet: „Il n’est pas possible de considérer l’amour courtois, tel qu’il s’incarne dans la lyrique de nos troubadours, comme un simple décalque de l’amour andalou: l’un n’a pas été emprunté tel quel à l’autre. Je ne nie pas que celui-ci ait pu influencer celui-là, mais la «source» arabe ne serait, au mieux, qu’un des éléments au moyen desquels le génie original des poètes d’Oc aura élaboré, combiné, sa synthèse”. Wenn also weder klassisch-lateinischer noch mittellateinischer noch arabischer Einfluss letztlich verantwortlich sein können für das Entstehen einer neuen Liebesauffassung, die ihren Ausdruck in einer verfeinerten volkssprachlichen Lyrik fand, dann muss man die Quelle in einer eigenständigen Entwicklung im Südfrankreich des 11. Jahrhunderts suchen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der literatursoziologische Ansatz von Erich Köhler (1962, 7), der den Ausgangspunkt in der Stellung des niederen Rittertums in der feudalen Gesellschaft sieht, in der sie als Leute ohne Lehen am Rande der Vasallengesellschaft stehen, aber von der Hoffnung getragen sind, weiter emporstreben und in den Kreis des durch ein Lehen ausgezeichneten hohen Adels eintreten zu können. Viele Indizien weisen in dieser Sicht „auf das Spannungsverhältnis zwischen niederem Adel und Hochfeudalität im Zusammenleben an den Höfen und auf den geschichtlichen Zwang, die existentielle Interessendifferenzierung in einem gemeinsamen ständischen Ideal aufzufangen. [...] In der Analogie zwischen der Huldigung des Liebenden für seine ‚Dame’ und der Huldigung des Vasallen für den Lehensherrn manifestiert sich die Beziehung zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und dichterischem Ideal genauso eindeutig wie in der Benennung und Anrede der geliebten Frau - domna (dame), midons. Keine Vermittlungsschicht - außer der durchsichtig bleibenden Sprache - verdeckt hier den Zusammenhang. [...] Das große, so poetische Paradoxon der höfischen Liebe, der Verzicht auf ihre Erfüllung, läßt sich in letzter Instanz als sublimierte Projektion der Besitzlosigkeit des Kleinadels, also konkreter gesellschaftlich-ökonomisacher Verhältnisse, verstehen”. In der relativ homogenen Männergesellschaft der juvenes, in der es ja an Frauen vergleichbarer sozialer Stellung fehlte, war es verständlich, dass die einzige adlige Frau, die ständig präsent und zumindest während der Feldzüge auch nicht sichtbar von einem Mann umsorgt war, also die Gattin des L Der Ursprung der Troubadourdichtung Landesherren, zum Kristallisationspunkt erotischer Hinwendung wurde, der vor dem Hintergrund der Sozialstruktur des Hofes nur in den Termini einer Vasallengesellschaft benannt werden konnte, also als ‚Herrin’ (domna) oder noch durchsichtiger als ‚Herr’ (midons). Diese Grundthese, die in letzter Instanz die Troubadourdichtung als poetische Überhöhung der Vasallengesellschaft mit Ersetzung des männlichen Feudalherrn durch eine absolute weibliche Herrin alles Geschehens deutet, hat von den sechziger bis zu den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts weitgehend die Diskussion beherrscht, und es musste von Anfang an klar sein, dass viele Aspekte der Welt der Troubadourdichtung tatsächlich vor einem derartigen Hintergrund gut zu beleuchten waren. Aber eine schlüssige These für die Entstehung der Troubadourdichtung wird hier schon aus zwei Gründen nicht gegeben: Erstens macht die schönste Parallelisierung der sozialen Bedingungen mittelalterlicher Vasallengesellschaften nicht klar, warum aus einer realen Welt mit furchterregenden, ungebildeten und tapferen Recken in der dichterischen Umdeutung eine völlig umgekehrte Welt mit schönen und gebildeten, aber per definitionem auch schwachen Frauen als Kristallisationspunkten des höfischen Geschehens werden konnte. Zweitens darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die Troubadours eben gerade keine Vertreter einer bestimmten sozialen Schicht waren, sondern aus allen gesellschaftlichen Gruppen, auch den höchsten, kamen, zumal gerade der erste Troubadour, Wilhelm von Aquitanien, den höchsten Adelsrang seiner Zeit einnahm und also gewiss nicht als Sprachrohr der unbelehnten juvenes betrachtet werden kann. Im Grunde genommen kann man auch heute noch das Urteil, das Hans- Gerd Tuchel vor beinahe einem halben Jahrhundert äußerte (1966, XX), unterschreiben: „Der Ursprung dieser Lyrik gibt Rätsel auf, die man mit verschiedenen Theorien zu lösen versucht hat: Wilhelm IX. als bewußter Schöpfer, der im Bestreben eines raffinierten Ausgleichs geistlicher und weltlicher Ansprüche der Zeit die neue Bewegung als gespielt oder echt verliebter Vorsänger im Kreise seiner Zeitgenossen eigens ins Leben ruft und doch, zugestanden oder verschwiegen, eine mehr oder minder lange Tradition voraussetzt; folkloristische Thesen; arabischer Einfluß; mittellateinische Transmission; liturgische Theorien; Katharereinwirkung; klassisch-lateinische Filiationen; einseitig soziologische Deutungsversuche; keltische Ursprungstheorien und so fort. All diese Lösungsversuche kranken an einer gewissen Eindimensionalität und verstellen eher den Blick, als daß sie zu Erkenntnis führen”. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Verbindung günstiger äußerer und innerer Voraussetzungen für einen kurzen geschichtlichen Moment einer Dichtungsart einen Siegeszug gestattete, der unter anderen Bedingungen nicht möglich gewesen wäre. Zahlreiche Höfe existierten in kurzer Entfernung voneinander meist in friedlicher, nur gelegentlich von kleinen kriegerischen Konflikten getrübten Koexis- Der Ursprung der Troubadourdichtung LI tenz, die kulturelle Kontakte favorisierte, das mittelalterliche Vasallensystem war vollendet, die wenigen vornehmen Damen an den Höfen, nach dynastischen Interessen ohne Rücksicht auf ihre Gefühlslage an einflussreiche und meist wesentlich ältere Herren verheiratet, sehnten sich, ohne natürlich (schon aus dynastischen Gründen) wirklich Ehebruch begehen zu können, nach emotionaler Zuneigung junger Männer, was ein Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Abstand erzeugen musste, gesungener Vortrag dichterischer Texte in der Volkssprache wurde zur begehrten Unterhaltung am Hofe, Laien begannen in die bis dahin vor allem den Klerikern vorbehaltene Welt der Aufzeichnung von Literatur einzudringen, die Kreuzzugsidee lieferte ein ideologisches Fernziel und eröffnete ferne Horizonte, die es zuvor nie gegeben hatte. Dieses Amalgam historischer Voraussetzungen liefert den Humus, auf dem die Troubadourdichtung erblühen konnte. 6. Die Personen der provenzalischen Dichtung Im Zentrum der Dichtung steht die Verehrung für die Dame, die normalerweise domna < lat. domina ‚Herrin’ (mit den phonetischen Varianten dompna und don(n)a; sehr selten liegt auch die französische Form dame vor, gelegentlich die Anredeform mit agglutiniertem Possessivum madom(p)na oder madona) genannt wurde. Statt dieser Feminina konnte auch das Maskulinum midons und sogar senhor eintreten. Eine größere Vertraulichkeit liegt in den Bezeichnungen amia ‚Freundin’ und dru(z)a ‚Vertraute’. Nicht selten wird für die Dame ein ‚Deckname’, senhal, angewendet, der zur Irreführung ihrer missgünstigen Umgebung dient, die aus ‚Bewachern’, gardadors, ‚Verleumdern’, lauzengiers, und vor allem aus dem ‚eifersüchtigen Ehemann’, dem meist nur gilos oder gelos ‚Eifersüchtiger’ genannten marit, besteht. Die weibliche Umgebung der Dame besteht aus ‚edlen Fräulein’, donzel(h)as, die vom Troubadour durchaus mit positiven Ausdrücken, die eigentlich nur der Dame zustehen (amia, bela, blonda, ensenhada), bedacht werden - eine Konkurrenz für die Dame konnte die donzel(h)a ja auf keinen Fall sein, denn die fin’amor konnte nur einer in jeder Hinsicht vollendeten, also verheirateten Frau entgegengebracht werden. Der Troubadour selbst sieht sich als ‚Freund’, amic, ‚Vertrauter’, drut, oder ‚Liebender’, amador bzw. aman. Dieser amic bringt der domna die fin’amor, die ‚höfische Liebe’ (frz. amour courtois), entgegen, die von der Profanierung durch den gilos und durch gardadors und lauzengiers ferngehalten werden muss. Die Dame wird in diesem Liebesdreieck als eine der Realität entrückte, spiritualisierte und idealisierte Inkarnation aller positiven weiblichen Eigenschaften verherrlicht und wird zugleich in einer Art feudalen Metapher als sublimierter Ausdruck des Treue- und Beistandsverhältnisses, das den Vasallen mit LII Die Personen der provenzalischen Dichtung seinem Herrn verbindet, dargestellt. Die Welt des gilos, der lauzengiers und gardadors ist eine poetische Projektion der Verhältnisse der Realität, die nur eine Beeinträchtigung der Idealität der fin’amor darstellt. Der amic steht zwischen beiden Welten und singt über sein letztlich nicht wirklich von Erfolg gekröntes Streben nach einem Einswerden mit der idealen Welt durch Abschüttelung der realen Welt. Beim Streben nach der Vollendung der fin’amor, konkret also bei der Verehrung der Dame, wendet der Liebende Vorgehensweisen an, die mit dem traditionellen Vokabular des Vasallendienstes benannt werden: Der Herr(inn)endienst (domnei, domneiar) ist eine Huldigung (omatge, omenatge) im Gefüge des Dienstverhältnisses (servizi), bei dem der Vasall treu (leial), aufrichtig (fin), stark (fort), großzügig (larc) und gehorsam (obedien) sein muss. Als Kompensation für diese Dienstleistungen muss der Herr dem Vasallen in Ausübung seiner Großzügigkeit (largueza) Geschenke (dons) geben (donar), beispielsweise ihm einen Ring (anel) oder auch nur ein huldvolles Lächeln (ris) schenken. In diesem System hat der Herr absoluten Anspruch auf die treue Loyalität (leialtat, leialeza) des Vasallen, aber auch der Vasall kann sich darauf verlassen, dass seine Ergebenheit mit entsprechenden Gunstbeweisen bedacht wird, so dass er einen höheren ‚Wert’ (pretz) erreicht, also zugleich eine angemessene gesellschaftliche Hochschätzung und ein entsprechendes Lehen (feu), und in seiner ‚Ehre’ (onor) gestärkt wird, worunter nicht nur die hohe Achtung unter den Gleichgestellten, sondern auch der dazu gehörige Besitz verstanden wird. Die Übertragung dieses Wertesystems, das auf großzügiger Belohnung für abgesprochene Dienste beruht, auf die Gegebenheiten der fin’amor macht die Troubadourdichtung erst möglich: Die Dame nimmt die Position des großherzigen Feudalherrn ein, der Dichter ist ihr treuer Vasall, und dieses Verhältnis muss vor der neidischen Umwelt verborgen bleiben. Der Inhalt eines großen Teils der Gedichte besteht nun im Grund darin, dass darüber geklagt wird, dass für die erbrachten, den Regeln entsprechenden Dienste nicht die zu erwartende reiche Belohnung abgestattet wird. In geradezu archetypischer Weise bringt beispielsweise das berühmte Can vei la lauzeta mover von Bernart de Ventadorn diese Gedankengänge zur Geltung (vgl. S. 124-129). Vor diesem Hintergrund darf man aber keineswegs annehmen, dass die Troubadourdichtung nur eine poetische Überhöhung der realen Strukturen des Vasallensystems wäre - wäre das so, würde heute außer Historikern niemand diese Literatur des hohen Mittelalters mehr lesen. Es ist vielmehr so, dass es sich um eine echte Liebesdichtung handelt, die sich lediglich der gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit bedient. Die Dame, die der Gegenstand der Gedichte ist, ist wirklich eine Frau, die als solche - und nicht einfach als Inkarnation des Vasallensystems - vergöttlicht, aber auch in ihrer Launenhaftigkeit kritisiert wird, und der Herr, der sie besingt, ist der idealisierte Mann seiner Zeit. Die Darstellung der in ihren Erwar- Die Personen der provenzalischen Dichtung LIII tungen enttäuschten Liebe hat zumindest stellenweise durchaus überzeitliche Qualitäten, und Vorstellungen wie die der amor de lonh haben immerhin noch ein spätes Echo in der Arie Dies Bildnis ist bezaubernd schön aus Mozarts Zauberflöte. 7. Die Gattungen der Troubadourdichtung Natürlich ist es nicht so, dass die Troubadours nur Liebeslyrik verfasst hätten - diese machen nur etwa ein Drittel ihres Gesamtwerkes aus. Die folgende kurze Übersicht soll einen ersten Blick auf die Gattungen erlauben. Pierre Bec (1970, 115-167) hat eine nützliche Unterteilung der Lyrik nach „genres aristocratisants”, bei denen sechs Gattungen (canson, sirventés, planh, tenson, partimen/ joc partit, salut d’amor) zu unterschieden sind, und verschiedenen „genres popularisants” (pastorela, alba, balada, peguesca, retroensa) eingeführt. Die canson (frz. chanson), die von den ersten Troubadours einfach vers genannt wurde, ist die eigentliche Form des poetischen Ausdrucks der fin’amor. Es handelt sich dabei um eine lyrische Dichtung, die von einer dazugehörigen Melodie begleitet wird, und die in fünf oder sechs identisch gebauten Strophen (coblas) mit einem oder zwei Refrains (tornadas) auftritt. Dieses strikte Schema kennt in den Einzelausprägungen größere Freiheiten: Die Verszahl pro Strophe ist frei (acht oder zehn Verse sind normal, aber es gibt alle Zahlen zwischen drei und vierzehn), die Versstruktur ist frei (Sieben- und Achtsilbler dominieren, aber es kommen sogar Dreizehnsilbler vor), die Zahl und die Abfolge der Reime ist frei. Man unterscheidet zwischen coblas unissonans, bei denen Versbau und Reimanordnung in allen Strophen gleich sind, coblas singulars mit Reimwechsel in jeder Strophe und coblas doblas mit gleichen Reimen in je zwei Strophen. Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Stilarten, den dunklen und verschleiernden, auf höchste formale Virtuosität setzenden ‚geschlossenen Gesang’ des trobar clus und den deutlichen und zugänglichen ‚leichten Gesang’ des trobar leu. Im 13. Jahrhundert taucht auch der raffinierte und manirierte, nach formaler Harmonie strebende ‚reiche Gesang’, das trobar ric, auf. Das sirventés (zu sirven ‚Diener’, also ursprünglich eine Dichtung, bei der der Dichter seinem Herrn seine poetischen Fähigkeiten zur angemessenen Äußerung von Aggressionen, Zorn und Tadel leiht) unterscheidet sich seiner poetischen Form nach nicht von der canson, dient aber inhaltlich der moralischen, politischen, literarischen und persönlichen Kritik an Gegebenheiten der Zeit und an den dahinterstehenden Menschen. „Das sirventés greift oft kräftig in das Zeitgeschehen ein und schont auch hochgestellte Fürsten nicht, oft im Namen der öffentlichen Meinung sprechend und mit- LIV Die Gattungen der Troubadourdichtung unter auch persönliche Verhältnisse des Dichters vorbringend” (Tuchel 1964, XXXIV). Die Form des sirventés wird besonders oft zur Abfassung von Kreuzzugsliedern eingesetzt, die ein wichtiges Instrument bei der Propagierung der Kreuzzüge unter den Adligen Südfrankreichs waren. Der planh oder die Totenklage ist eine Sonderform des sirventés. Wir kennen etwa vierzig planhs, die entweder den Tod eines Gönners oder einer Dame beklagen. Das normale Versmaß sind Zehnsilbler, weil eine getragene und langsame Melodie vorauszusetzen ist. Inhaltlich schälen sich meist drei Abschnitte heraus, die den Schmerz des Dichters, das Lob des Verstorbenen und das Gebet für das Heil seiner Seele zum Inhalt haben. Zwei Genera nutzen die von der canson vorgegebene Struktur zur Inszenierung poetischer Debatten. Die tenson, auf Deutsch meistens mit dem entsprechenden italienischen Terminus als Tenzone bezeichnet, ist eine Diskussion zwischen zwei oder mehreren Troubadours über ein und dieselbe Frage meist literarischen Inhalts (bei den französischen trouvères heißt das Genus konsequenterweise débat). Es sind also eigentlich hintereinandergeschaltete sirventés derselben Form, die von verschiedenen Autoren verfasst sind. Das partimen, auch joc partit (frz. jeu-parti) genannt, ist eine daraus abgeleitete Gattung, in der der zunächst auftretende Fragesteller zwei mögliche Antworten vorgibt und selbst die Verteidigung der Position übernimmt, die der Gesprächspartner nicht wählt (daher der Ausdruck partir un joc ‚eine spielerische Argumentation aufteilen’). Das endgültige Urteil wird durch einen als Schiedsrichter gewählten Dritten ausgesprochen. Es ist klar, dass in diesen dialogischen Genera die Traditionen der juristischen Disputationen des Mittelalters für die Konstruktion eines poetischen Gesprächs über die Grundsätze der eigenen Dichtkunst eingesetzt wurden. Eigenen verstechnischen Gesetzmäßigkeiten folgt der salut d’amour, ein Versbrief in Achtsilblern der Reimfolge a - a - b - b - c - c usw. Das Thema dieser normalerweise an eine Dame gerichteten Briefe sind Fragen höfischer Liebe, die in einer gewissen Breite unter didaktischen Prämissen dargestellt werden. Die aus dem Einfluss der Volksdichtung zu erklärenden „genres popularisants” gruppieren sich um das häufigste Genus, die pastorela, eine Liebesdebatte zwischen einer jungen Hirtin und einem Ritter, der sie verführen möchte. In der langen Debatte erweist sich die Hirtin oft argumentativ dem Ritter überlegen, aber am Ende entgeht sie seinen Nachstellungen - die manchmal in einer kruden Vergewaltigungsszene enden - nur in den seltensten Fällen. Dieses konventionelle Genus, das sicherlich in der Volksdichtung wurzelt, war dennoch in adligen Kreisen sehr beliebt, weil es eine „leichtere” Kost als die ernsten cansons bot. Die Gattungen der Troubadourdichtung LV Auch die alba, das Morgenlied, fand große Verbreitung. Diese Gattung behandelt den Abschied zwischen zwei Liebenden, die sich nach einer heimlich gemeinsam verbrachten Nacht im Morgengrauen zum Ruf des Nachtwächters (gaita) trennen müssen und den anbrechenden Tag ebenso verfluchen, wie sie die vergangene Nacht preisen. Die Ballade (balada) ist ursprünglich ein Tanzlied. Ein besonderer Typ ist die Ballade der unglücklich Verheirateten, eine Klage über den schlechten Ehemann, der keinen Vergleich mit dem amic standhält. Daneben gibt es noch weitere aus der Volkspoesie erwachsene Genera (wie die peguesca oder die retroensa), die insgesamt recht selten sind und nur von einigen meist späten Dichtern gepflegt wurden. 8. Ziel des vorliegenden Bandes Der vorliegende Band will eine mittelgroße Auswahl der Troubadourdichtung als Basis für Universitätsübungen, aber auch als Lesebuch für das Selbststudium bieten. Als Text wird normalerweise die Fassung geboten, die die große Anthologie in drei Bänden für ein spanisches Publikum (Riquer, 1975) auf der Basis der Konsultation der führenden kritischen Ausgaben liefert. In der Zeichensetzung sind wir gelegentlich von dieser Vorlage abgewichen, ohne darüber im Einzelnen Rechenschaft abzulegen. Wenn wir in unseren Kommentaren wörtliche Zitate provenzalischer Autoren anführen, verwenden wir natürlich die Originalformen. Wenn wir hingegen bestimmte Konzepte behandeln, bedienen wir uns der üblichen Standardschreibweise, so dass wir etwa von der amor de lonh sprechen, obwohl Jaufré Rudel amor de loing schrieb. Eine reine Textausgabe mit sprachlichem Glossar, wie sie in den lange benutzten Lesebüchern von Erhard Lommatzsch (1917 und 1957; 1959) vorliegt, kann heute angesichts des Rückgangs der Altfranzösisch- und Lateinkenntnisse bei den Studierenden nicht mehr guten Gewissens benutzt werden. Wir haben uns daher entschlossen, die provenzalischen Texte durch eine deutsche Parallelübersetzung und durch die Beigabe einer französischen Version zugänglich zu machen. Zunächst hatten wir beabsichtigt, auf die zahlreichen deutschen Übersetzungen zurückzugreifen, die ja jetzt dank einer neuen Bibliographie (Heintze/ Schöning/ Seemann 2004) leicht zugänglich sind. Von diesem Plan mussten wir leider Abstand nehmen, da die Übersetzungen allzu unterschiedlicher Qualität sind, zudem meist im Geiste einer verspäteten Romantik abgefasst wurden und ziemlich textfern daherkommen. Daher haben wir eigene Prosaübersetzungen angefertigt, die keinen anderen Anspruch haben, als eine möglichst getreue Wiedergabe des Originaltextes zu bieten; poetische Aspirationen haben wir jedenfalls nicht verfolgt. Bei den der deutschen Übersetzung folgenden neufranzösischen Übersetzungen, LVI Ziel des vorliegenden Bandes die wir französischen Ausgaben entnommen haben, liegt zuweilen eine von der unseren abweichende Interpretation des Textes vor, ohne dass wir dies kommentieren würden. Einige erklärende Anmerkungen begleiten den provenzalischen Text. Diese sollen lediglich zur Erläuterung schwer verständlicher Passagen beitragen, ohne dass wir beabsichtigt hätten, einen durchgängigen wissenschaftlichen Kommentar der Gedichte zu liefern. Als Anhang haben wir einen Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen angefügt, die, ohne in Konkurrenz zu den zahlreichen vorliegenden Sprachdarstellungen treten zu wollen, eine schnelle Orientierung über die wichtigsten Erscheinungen der Morphologie liefern soll. Auf ein Glossar haben wir verzichtet, weil ja das kleine provenzalisch-französische Wörterbuch von Levy ( 6 1973) und die provenzalisch-deutschen Wortlisten von Lommatzsch (1957, 79-138; 1959, 82-149) die notwendigen Informationen liefern. Dem Text und seinen Übersetzungen geht jeweils eine kurze Einleitung voran, die auf das Leben des jeweiligen Troubadours und auf seine Stellung in der Geschichte der Dichtung eingeht sowie kurze bibliographische Hinweise liefert. An verschiedenen Stellen haben wir zudem zeitgenössische Illustrationen beigefügt, die den Handschriften (nach modernen Veröffentlichungen) entnommen sind. Außerdem fügen wir die vida mit einer eigenen deutschen Übersetzung an. Es ist seit langem klar, dass diese ins 14. Jahrhundert zu datierenden Biographien meist nur Ausgestaltungen dessen sind, was ihre Verfasser aus den Gedichten herausgelesen haben; anderes ist ein Produkt der Phantasie, einiges allerdings auch auf lokale mündliche Traditionen zurückzuführen. In jedem Falle sind die vidas aber Zeugnisse einer meist naiven und schlichten Erzählkunst, die nicht selten die Vorlage für spätere Novellen geboten haben und schon aus diesem Grunde eine Vorstellung verdienen. Den Gedichten der Troubadours haben wir eine kleine Auswahl der Lesbia-Gedichte von Catull vorangestellt, um an einem konkreten Beispiel - der unglücklich verlaufenen Zuneigung eines Veroneser Provinzjünglings zu einer Dame aus einer einflussreichen Familie der Hauptstadt Rom - die Unterschiede zwischen antiker und provenzalischer Literarisierung der Liebe deutlich zu machen. Wir haben absichtlich Catull - und nicht etwa den von den Troubadours eifrig gelesenen Ovid - gewählt, weil die provenzalischen Dichter ihn nicht gekannt haben und also keine Nachahmung vorliegen kann. Zudem bietet das gesellschaftliche Gefälle zwischen Catull und Lesbia sowie die detaillierte Beschreibung des Auf und Ab der Liebesbeziehung viele Parallelen. Den Abschluss des Bandes bilden einige Ausblicke auf die Nachwirkungen der Troubadourdichtung im italienischen, iberoromanischen, deutschen und französischen Sprachraum. Natürlich handelt es sich dabei nicht um eine repräsentative Auswahl, sondern nur um Schlaglichter aus einer großen europäischen Tradition. Ziel des vorliegenden Bandes LVII Die Idee, ein neues provenzalisches Liederbuch - wir greifen hier bewusst auf den Titel eines Klassikers (Lommatzsch, 1917) zurück - für die Bedürfnisse des Universitätsunterrichts und des Selbststudiums am Anfang des 21. Jahrhunderts zu erstellen, erwuchs aus einer Lehrveranstaltung, die wir gemeinsam im Sommersemester 2005 an der Universität Trier durchgeführt haben. Das so spröde und altmodisch aussehende Thema vermochte, jedenfalls nach unserem Eindruck, nach einiger Zeit bei den Studierenden - denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei - wirkliches Interesse und sogar Enthusiasmus zu erwecken. Die Thematik eröffnete einen neuen Zugang zur anfänglich so fremden Welt des Mittelalters, und dass die sonst so strenge Trennung zwischen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft hier weitgehend in den Hintergrund gedrängt wurde, ist auch vielfach als befreiend empfunden worden. Im selben Semester fand eine vom Arbeitskreis Trierer Mediävistik - aus dem mittlerweile das Historisch-Kulturwissenschaftliche Forschungszentrum Mainz-Trier (HKFZ) und das Trierer Zentrum für Mediävistik (TZM) erwachsen sind - organisierte interdisziplinäre Ringvorlesung zum Thema „Fragen an die Mediävistik“ statt, in deren Zusammenhang Hermann Kleber über „Was ist Liebe? “ referierte. Es hat uns sehr gefreut, dass er bereit war, diesen Text als ersten Beitrag für unseren Band zu überarbeiten. Des Weiteren müssen wir Geneviève Bender-Berland danken, die uns für zwei Lieder, von denen uns keine französische Fassung zur Verfügung stand, Neuübersetzungen anfertigte. In gewissem Sinn ist also der vorliegende Band aus dem Lehrbetrieb der Trierer Romanistik entstanden, und wir hoffen sehr, dass er seine Brauchbarkeit auch in weiteren Universitäten unter Beweis stellen kann. So könnte die Beschäftigung mit den Troubadours wieder zu dem werden, was sie einmal war: das Herzstück der Romanistik. Antike Liebesdichtung C. Valerius Catullus 2 1. C. Valerius Catullus (~ 80-51 v. Chr.) C. Valerius Catullus, im Deutschen als Catull bekannt, ist wahrscheinlich um 80 v. Chr. in Verona geboren und um 51 v. Chr. in Rom gestorben. Er entstammte einer vornehmen römischen Familie des Ritterstandes, die die Geschicke der Kolonie Verona bestimmte und enge Kontakte zu Senatorenfamilien in Rom pflegte. In Rom gehörte Catull zur jungen Intellektuellenschicht, die als neoterici die griechische Dichtung des hellenistischen Alexandria des 3. Jahrhunderts v. Chr. (Kallimachos) ins Lateinische umzusetzen bemüht waren. Catull schrieb Spottgedichte über einflussreiche Politiker (z.B. Cicero, 49; Caesar, 93; Mamurra, Schützling von Caesar und Pompeius, 29), längere Adaptationen griechischer Hochzeitsgedichte und mythologischer Dichtungen, Totennachrufe und vor allem Liebesgedichte. Wahrscheinlich hat Catull selbst die Sammlung seiner Gedichte zusammengestellt, die einem bestimmten Schema gehorcht: kurze Liebesgedichte, Satiren, Spottgedichte in wechselnden Versmaßen (1-60), längere Dichtungen in Nachahmung alexandrinischer Vorlagen (61-68), Epigramme (69- 116). Der Inhalt der meisten Liebesgedichte ist Catulls Liebe zu Lesbia (Pseudonym, das auf die Dichterin Sappho von Lesbos, um 600 v. Chr., anspielt). Hinter diesem Decknamen steckt Clodia (vulgärsprachliche Nebenform von Claudia), die Schwester des Volkstribunen P. Clodius Pulcher und die Frau des Q. Caecilius Metellus Celer. Clodia, die 15 Jahre älter als Catull war, knüpfte vorübergehende Verbindungen zu den jungen Intellektuellen, die einen neuen, freien und von griechischen Vorstellungen geprägten Geist ins traditionelle Rom brachten. Der aufstrebende Transpadanus (39, 13) Catull durchlebte mit Lesbia eine leidenschaftliche Liebe, deren Stationen vom positiven Anfang zum negativen Schluss von der Frau diktiert wurden: ungetrübte Beziehung (5; 86; 51), erste Anzeichen einer Trübung (83; 92), Umschlagen der Liebe in Verzicht und Hass (85; 8), Beschimpfungen der Lesbia als Prostituierte (58; 11). Catull wird hier als Beispiel für die römische Liebeslyrik gewählt, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zur provenzalischen Dichtung deutlich werden zu lassen. Wie die mittelalterlichen Minnedamen hat Lesbia eine höhere gesellschaftliche Position als der Dichter, wird unter einem Pseudonym eingeführt, muss die Existenz ihres Liebhabers vor ihrem Ehemann verbergen, erfüllt die an sie gestellten Treueerwartungen nicht und wird deshalb vom darüber verzweifelten Dichter zurechtgewiesen. Andererseits treten die Unterschiede deutlich hervor: Während die Verehrung in der provenzalischen Dichtung auf reiner Topik beruht, bildet eine echte Lie- C. Valerius Catullus 3 besbeziehung, versetzt mit Reminiszenzen anderer Dichter, das Fundament von Catulls Lyrik. In diesem Zusammenhang steht auch die Tatsache, dass es in Rom kein gesellschaftlich akzeptiertes Modell gibt, das eine klaren Rahmen für derartige Beziehungen bieten würde. Catull reagiert als Individuum und nicht als Vertreter der auf die Einhaltung bestimmter Regeln fixierten amans. So überzieht Catull seine untreue Geliebte schlusssendlich auch mit vulgären Schmähungen und Hasstiraden, die in der höfischen Dichtung - hier wird selbst eine schlechte Behandlung als Wertinhalt und Lust empfunden - undenkbar wären. Literatur: Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull I: Die kleinen Gedichte (1-60), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1984. Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull II: Die großen Gedichte (61-68), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1990. Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull III: Die Epigramme (69-116), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1987. Als musikalischer Eindruck sei auf die Vertonung von Carl Orff: Catulli Carmina - Ludi scaenici verwiesen. 4 C. Valerius Catullus 1.1 Vivamus, mea Lesbia, atque amemus (Cat. 5) Vivamus, mea Lesbia, atque amemus, rumoresque senum severiorum 1 omnes unius aestimemus assis! Soles occidere et redire possunt: 4 Nobis cum semel occidit brevis lux, 2 nox est perpetua una dormienda. Da mi basia mille, deinde centum, 3 dein mille altera, dein secunda centum, 8 deinde usque altera mille, deinde centum. Dein, cum milia multa fecerimus, conturbabimus illa, ne sciamus, aut ne quis malus invidere possit, 4 12 cum tantum sciat esse basiorum. 5 1 Dichtungen auf den Lebens- und Liebesgenuss waren seit dem griechischen Elegiker Mimnermos (zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts) ein beliebtes Thema der antiken Lyrik. Die Vergänglichkeit des Lebens im Vergleich zur Unvergänglichkeit der Natur rechtfertigt den gänzlich unrömischen Augenblicksgenuss und das Zurückweisen der Kritik der etablierten „Greise”, die ihrerseits für das römische Ideal stehen. 2 Mit dem „kurzen Licht“ ist das Lebenslicht gemeint. 3 basium, wahrscheinlich keltischer Herkunft, wurde in der lateinischen Literatursprache zugunsten von savium und osculum vermieden. Das Wort hatte einen volkstümlich-erotischen Beigeschmack. 4 Mit dem malus ist derjenige gemeint, der den jungen Leuten den Lebens- und Liebesgenuss neidet (invidere), und stellt damit einen Rückbezug auf die „Greise“ in Vers 2 dar. Die poetische Funktion des bösen Neiders kehrt unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen im provenzalischen enveios lauzengier wieder. 5 Im zweiten Teil des Gedichtes aus der Periode der (noch) glücklichen Liebe (Verse 7- 13) geht es um Vorstellungen aus dem Schadenzauber: Zählen und Messen gibt dem, der die Berechnungen durchführt, Macht über den Gegenstand. Deswegen müssen genaue Angaben vermieden werden. Vivamus, mea Lesbia, atque amemus (Cat. 5) 5 Leben, meine Lesbia, und lieben wollen wir (Cat. 5) Leben, meine Lesbia, und lieben wollen wir und auf alles Gezeter der überstrengen Greise wollen wir nicht mehr als einen Heller geben! Sonnen können untergehen und wiederaufgehen, 4 doch wenn uns einmal das kurze Licht untergegangen ist, müssen wir eine ewige Nacht schlafen. Gib mir tausend Küsse, dann hundert, dann noch tausend weitere, dann weitere hundert, 8 dann noch weitere tausend, dann hundert. Dann, wenn wir viele tausend erreicht haben, wollen wir sie durcheinanderwirbeln, so dass wir es nicht wissen und kein Böser neidisch sein kann, 12 wenn er weiß, wie groß die Menge der Küsse war. 6 C. Valerius Catullus 1.2 Quintia formosa est multis. Mihi candida, longa (Cat. 86) Quintia formosa est multis. Mihi candida, longa, recta est: haec ego sic singula confiteor. 1 Totum illud formosa nego: nam nulla venustas, 2 nulla in tam magno est corpore mica salis. 3 4 Lesbia formosa est, quae cum pulcherrima tota est, 4 tum omnibus una omnis surripuit Veneres. 1 Quintia ist ein geläufiger Frauenname, weshalb es zwecklos ist, die hier genannte Frau ausfindig machen zu wollen. Vier Adjektive, die körperliche Schönheit ausdrücken, werden hintereinander gestellt: formosus ist ein affektives Wort für ‚schön’, sinnlicher als das neutrale pulcher. Die drei folgenden Wörter stellen die optische Schönheit dar, wie man sie bei einer Statue erwarten würde: candidus heißt eigentlich ‚blendend weiß, strahlend’, longus ‚groß gewachsen’ und rectus ‚von aufrechter Haltung’. 2 totum illud sc. verbum ‚das ganze Wort’. venustas heißt ‚Anmut’, lässt aber sogleich an die Liebesgöttin Venus denken. Diese Doppelbedeutung spielt auch in Vers 6 eine Rolle. 3 Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf die körperliche Größe als äußeres Schönheitsmerkmal. 4 Das affektive Adjektiv formosus wird nun dem übergeordneten pulcher, das hier ‚in jeder Hinsicht schön, dem Ideal der Schönheit entsprechend’ heißt, zur Seite gestellt. Quintia formosa est multis. Mihi candida, longa (Cat. 86) 7 Quintia ist schön für viele, für mich ist sie ansehnlich, groß (Cat. 86) Quintia ist schön für viele, für mich ist sie ansehnlich, groß, schlank. Das gebe ich im Einzelnen gerne zu, aber schön im Ganzen streite ich ab, denn keine Anmut, kein Körnchen Salz ist in einem so großen Körper. 4 Lesbia ist schön; da sie im Ganzen die Schönste ist, hat sie allein allen anderen die Venusreize entwunden. 8 C. Valerius Catullus 1.3 Ille mi par esse deo videtur (Cat. 51) (I) Ille mi par esse deo videtur, ille, si fas est, superare divos, qui sedens adversus identidem te spectat et audit 4 (II) dulce ridentem, misero quod omnis eripit sensus mihi: nam simul te, Lesbia, aspexi, nihil est super mi <vocis in ore,> 8 (III) lingua sed torpet, tenuis sub artus flamma demanat, sonitu suopte tintinant aures, gemina teguntur lumina nocte. 1 12 (IV) Otium, Catulle, tibi molestum est: Otio exultas nimiumque gestis: Otium et reges prius et beatas perdidit urbes. 16 1 Das Gedicht, das ein Huldigungsgedicht an die Schönheit Lesbias darstellt und das private Verhältnis zur Freundin zeigt, verdeutlicht in seinem ersten Teil (Verse 1-12) die betäubende Wirkung übermäßiger, idealer Schönheit auf den Betrachter. Diese ersten 12 Verse sind eine lateinische Adaptation und zugleich Entkontextualisierung eines Gedichtes der griechischen Dichterin Sappho. Sie hatte einen Kreis von Mädchen um sich gesammelt, denen sie, bevor sie verheiratet wurden, eine éducation sentimentale, die sich durchaus im homoerotischen Bereich bewegte, angedeihen ließ. Das hier zugrundeliegende Gedicht ist ein Hochzeitsgedicht für Agallis, deren Bräutigam die Dichterin um die Stärke beneidet, die Braut ansehen zu können, ohne von Emotionen übermannt zu werden. Der Gedichtübersetzung folgen in den letzten vier Versen eine sozusagen römische Wendung: Das otium, das Nichtbefasstsein mit den ernsten Dingen des Lebens, wird als Ursache des moralischen Verfalls angeprangert, wie es der lateinischen Moralistik entspricht. Die folgende deutsche Übersetzung von Sappho 31 entstammt Joachim Latacz, Die griechische Literatur in Text und Darstellung I: Archaische Periode, Stuttgart (Reclam) 1991, S. 423: „Es scheint derjenige mir gleich den Göttern/ zu sein, der Mann, der gegenüber dir/ stets sitzt und aus der Nähe sieht, wenn süß du/ redest, dir zuhört,/ / und wenn du lachst, betörend ... / Das hat mir wahrhaftig/ das Herz in der Brust jäh aufgeschreckt./ Denn wie ich auf dich blicke, kurz nur, ist zu/ Sprechen kein Raum mehr,/ / nein, ganz gebrochen ist die Zunge, fein/ ist augenblicks unter die Haut ein Feuer mir gelaufen,/ und mit den Augen seh’ ich nichts, es/ dröhnen die Ohren./ / herab rinnt kalter Schweiß an mir, ein Zittern/ hält ganz gepackt mich, fahler noch als Dürrgras/ bin ich - vom Totsein wenig nur entfernt/ komm’ ich mir selbst vor. Doch alles ist durchstehbar, da ... ” (hier bricht der Text des Gedichtes ab). Ille mi par esse deo videtur (Cat. 51) 9 Der scheint mir einem Gotte vergleichbar (Cat. 51) (I) Der scheint mir einem Gotte vergleichbar, der, wenn es zu sagen erlaubt ist, die Götter zu übertreffen, der dir gegenüber sitzt und immer wieder sieht und hört, 4 (II) wie du lieblich lächelst, was mir Armen alle Sinne raubt; denn kaum habe ich dich, Lesbia, erblickt, bleibt mir keine Stimme mehr im Mund, 8 (III) sondern meine Zunge stolpert, tief in die Glieder dringt eine feine Flamme, vom inneren Rauschen brausen die Ohren, beide Augen werden von Nacht umfangen. 12 (IV) Nichtstun, Catull, macht dich krank, Nichtstun verführt dich und lässt dich übermütig sein, Nichtstun hat früher Könige und glückliche Städte in den Untergang getrieben. 16 10 C. Valerius Catullus 1.4 Lesbia mi praesente viro mala plurima dicit (Cat. 83) Lesbia mi praesente viro mala plurima dicit: 1 haec illi fatuo maxima laetitia est. Mule, nihil sentis? Si nostri oblita taceret, 2 sana esset: nunc quod gannit et obliquitur, 3 4 non solum meminit, sed, quod multo acrior est res, irata est. Hoc est, uritur et loquitur. 1 Da Lesbia als Deckname für Clodia fungiert, deren Gatte Metellus 59 v. Chr. gestorben ist, kann angenommen werden, dass dieses Gedicht vorher geschrieben wurde, d.h. als Catull wenig über 20 Jahre alt war. Durch die Integration des Ehemannes wird Lesbia hier als verheiratete Frau inszeniert. 2 Das Maultier galt als Inbegriff der Dummheit, der Hässlichkeit und des sexuellen Versagens. 3 Die Liebe wird als Krankheit aufgefasst, die die Sinne in Brand setzt (Vers 6: uritur), also ist sanus, wer von Liebe frei ist. gannire ist eigentlich das Knurren des Hundes. 1.5 Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam (Cat. 92) Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam de me: Lesbia me dispeream nisi amat. Quo signo? Quia sunt totidem mea: deprecor illam assidue, verum dispeream nisi amo. 4 1.6 Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris? (Cat. 85) Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris? Nescio, sed fieri sentio et excrucior. Cat. 83, Cat. 92, Cat. 85 11 Lesbia sagt vor ihrem Mann viel Böses über mich (Cat. 83) Lesbia sagt vor ihrem Mann viel Böses über mich, und das ist für einen Trottel wie ihn das größte Vergnügen. Maultier, merkst du denn nichts? Wenn sie mich vergäße und schwiege, dann wäre sie geheilt; jetzt, da sie knurrt und Seitenhiebe austeilt, 4 denkt sie nicht nur an mich, nein, was ein viel schlimmerer Befund ist: Sie ist wütend! Das heisst: Sie brennt und verrät es. Lesbia redet nur Böses von mir und schweigt nie (Cat. 92) Lesbia redet nur Böses von mir und schweigt nie über mich. Wenn Lesbia aber mich nicht doch noch liebt, will ich umkommen. Was der Beweis ist? Weil es bei mir genauso ist: Ich verfluche sie 4 ständig, aber ich würde umkommen, wenn ich sie nicht liebte. Ich hasse und liebe. Warum ich das mache, fragst du vielleicht (Cat. 85) Ich hasse und liebe. Warum ich das mache, fragst du vielleicht. Ich weiß es nicht. Doch dass es so ist, fühle ich und leide. 12 C. Valerius Catullus 1.7 Miser Catulle, desinas ineptire (Cat. 8) Miser Catulle, desinas ineptire, et quod vides perisse, perditum ducas. Fulsere quondam candidi tibi soles, cum ventitabas, quo puella ducebat 4 amata nobis, quantum amabitur nulla. Ibi illa multa cum iocosa fiebant, 1 quae tu volebas nec puella nolebat. Fulsere vere candidi tibi soles. 8 Nunc iam illa non volt: tu quoque inpote<ns noli>, nec quae fugit, sectare, nec miser vive, sed obstinata mente perfer, obdura. Vale, puella. Iam Catullus obdurat, 12 nec te requiret nec rogabit invitam. At tu dolebis, cum rogaberis nulla. Scelesta, vae te, quae tibi manet vita? Quis nunc te adibit? Cui videberis bella? 16 Quem nunc amabis? Cuius esse diceris? Quem basiabis? Cui labella mordebis? At tu, Catulle, destinatus obdura. 2 1 Mit multa iocosa werden natürlich Liebespiele angedeutet. Das provenzalische joc kann denselben Sinn haben. 2 Das Gedicht beschreibt das erste ernsthafte Zerwürfnis: Von Trennung ist die Rede, aber nicht von Untreue. Miser Catulle, desinas ineptire (Cat. 8) 13 Armer Catull, hör’ auf, dich wie ein Narr aufzuführen (Cat. 8) Armer Catull, hör’ auf, dich wie ein Narr aufzuführen, und was du verloren siehst, das halte für verloren. Es leuchteten einst helle Sonnen für dich, als du dahin gingst, wo das Mädchen hinführte, 4 so geliebt von uns, wie keine andere jemals geliebt werden wird. Dort geschah viel Amüsantes, das dir gefiel und dem Mädchen nicht missfiel. Es leuchteten wirklich helle Sonnen für dich. 8 Jetzt will sie das nicht mehr. Auch du, Machtloser, lass davon ab. Und jage nicht der nach, die flieht, und lebe nicht unglücklich, sondern mit hartem Sinn ertrage es und dulde. Leb’ wohl, mein Mädchen! Schon duldet Catull, 12 er wird dich nicht mehr suchen, er wird dich, Unwillige, nicht mehr bitten. Aber du wirst leiden, wenn keine Bitten dich mehr erreichen. Schändliche, wehe, was für ein Leben erwartet dich? Wer wird dich jetzt umwerben? Wem wirst du schön scheinen? 16 Wen wirst du jetzt lieben? Wem wirst du gehören? Wen wirst du küssen? Wem wirst du die Lippen wund beißen? Doch du, Catull, dulde entschlossen. 14 C. Valerius Catullus 1.8 Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa (Cat. 58) Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa, 1 illa Lesbia, quam Catullus unam plus quam se atque suos amavit omnes, nunc in quadriviis et angiportis 2 4 glubit magnanimi Remi nepotes. 3 1 Caelius ist wahrscheinlich ein Freund Catulls aus Verona (Gedicht 100). Eine Gleichsetzung mit M. Caelius Rufus, der von Cicero als Liebhaber der Clodia in den Jahren 59 bis 57 genannt wird, ist nicht wahrscheinlich. Die Anrede an den Freund wird gewählt, weil die Gedichte im Freundeskreis vorgetragen wurden. 2 Es werden die Orte aufgezählt, wo die billigsten Prostituierten Roms anzutreffen waren, d.h. die Kreuzungen großer Straßen und die engen Gassen der Innenstadt. Clodia wurde allgemein als quadrantaria (Plutarch, Cic. 29, 2) beschimpft. Eine derartige Beschimpfung als Hure wäre in der provenzalischen Lyrik undenkbar. 3 Catull bedient sich der tiefsten Stufe der Gossensprache: glubere heißt wörtlich ‚die Haut abziehen’ und bezieht sich hier darauf, dass die Frau beim Geschlechtsverkehr die Vorhaut des Mannes umfängt. Die hochtrabende und feierliche Bezeichnung der Römer als Enkel des Remus - und damit nicht des Stadtgründers, sondern seines Rivalen! - wirkt ist diesem Zusammenhang parodistisch. Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa (Cat. 58) 15 Caelius, unsere Lesbia, jene Lesbia (Cat. 58) Caelius, unsere Lesbia, jene Lesbia, die Lesbia, die Catull als einzige mehr als sich und alle Seinigen liebte, jetzt, an Kreuzungen und in engen Gassen, 4 saugt sie aus des hochgesinnten Remus Enkel. 16 C. Valerius Catullus 1.9 Furi et Aureli, comites Catulli (Cat. 11) (I) Furi et Aureli, comites Catulli, 1 sive in extremis penetrabit Indos, 2 litus ut longe resonante Eoa tunditur unda, 4 (II) sive in Hyrcanos Arabasve molles, 3 seu Sagas sagittiferosve Parthos, 4 sive quae septemgeminus colorat 5 aequora Nilus, 8 (III) sive trans altas gradietur Alpes, 6 Caesaris visens monimenta magni, 7 Gallicum Rhenum, horribile aequor ultimosque Britannos, 12 (IV) omnia haec, quaecumque feret voluntas caelitum, temptare simul parati, pauca nuntiate meae puellae non bona dicta. 8 16 1 Das Gedicht richtet sich an Catulls Kameraden Furius und Aurelius, denen er - vage - Reisepläne an die verschiedenen Enden der Welt und Abschiedsgrüße übermitttelt. 2 Indien, literarisch bekannt durch Beschreibungen des Indienfeldzuges von Alexander dem Großen, galt als das östliche Ende der Welt. Mit der Aufzählung der verschiedenen Länder wird der Wegwanderer-/ Evasionstopos bedient. 3 Hyrkanien, das heutige China, war das Südufer des Kaspischen Meeres. Die Araber galten in der ganzen Antike als verweichlicht, weil sie die Hauptproduzenten von Luxusgütern (Parfüm, Körperöle, Gewürze) waren. 4 Die Saker und die Parther stellen die Bogenschützen Asiens dar. 5 Ägypten war zu dieser Zeit bereits ein römischer Satellittenstaat. Der in sieben Armen ins Mittelmeer mündende Nil färbt dessen Wasser mit seinem schlammigen Flusswasser. 6 Wer sich nach Norden wandte, musste die Schauplätze von Caesars gallischem Krieg besuchen. Der Rheinübergang und die Fahrt nach Britannien haben 55 v. Chr. stattgefunden, das Gedicht ist also später verfasst. 7 Natürlich ist Caesar magnus nur als Spott zu verstehen. Caesar gerät auch sonst in Catulls ironische Schusslinie (Gedichte 29 und 93). 8 Normalerweise übermittelt man als Abschiedsgruß pauca bona dicta; hier hebt das non am Anfang der herausgehobenen Schlusszeile die Besonderheit deutlich hervor. Furi et Aureli, comites Catulli (Cat. 11) 17 Furius und Aurelius, Kameraden Catulls (Cat. 11) (I) Furius und Aurelius, Kameraden Catulls, ob er zu den äußersten Indern vordringt, wo der Strand von der weithin tönenden östlichen Welle geschlagen wird, 4 (II) ob er zu den Hyrkanern oder zu den weichen Arabern, ob er zu den Sakern oder bogenbewerten Parthern, ob er zum Meer, das der siebenarmige Nil färbt, 8 (III) ob er über die hohen Alpen reisen wird, des großen Caesars Siegesmale zu schauen, den gallischen Rhein, das schaurige Meer und die äußersten Briten, 12 (IV) alles das, was der Wille der Himmlischen auch bringen mag, zusammen zu erleben bereit: wenige Worte bestellt meinem Mädchen, die nicht gut sind. 16 18 C. Valerius Catullus (V) Cum suis vivat valeatque moechis, 1 quos simul complexa tenet trecentos, 2 nullum amans vere, sed identidem omnium ilia rumpens; 20 (VI) nec meum respectet, ut ante, amorem, qui illius culpa cecidit velut prati ultimi flos, praetereunte postquam tactus aratro est. 24 1 Wörtlich ist moechus der Ehebrecher, also jemand, der eine legale Verbindung zwischen Mann und Frau nicht achtet. Catull bezieht das Wort hier auf die in seinen Augen unverbrüchlich angelegte Liebesverbindung zwischen Lesbia und sich. 2 trecenti gilt als Ausdruck einer großen Menge und unterstreicht die Beschimpfungen als Prostituierte. Furi et Aureli, comites Catulli (Cat. 11) 19 (V) Sie soll glücklich mit ihren Liebhabern leben und es sich gut gehen [lassen, von denen sie dreihundert zugleich umarmt hält; keinen liebt sie wirklich, aber immerfort ruiniert sie allen die Manneskraft, 20 (VI) und sie soll nicht mehr, wie früher, an meine Liebe denken, die durch ihre Schuld zu Boden sank wie die Blume am Wiesenrand, nachdem sie vom vorbeiziehenden Pflug berührt worden ist. 24 . Troubadourdichtung Anonymus 22 0. Anonymus Bei dem anonymen Gedicht En un vergier sotz fuella d’albespi handelt es sich um eine alba. Darunter versteht man in der provenzalischen Dichtung die Gattung, die den Abschied der Liebenden im Morgengrauen und den Schmerz über die bevorstehende Trennung zum Thema hat. Das Wort alba bezeichnet konkret die ‚Morgendämmerung’; es ist auf lat. alba lux ‚bleiches Licht, Dämmerung’ zurückzuführen (FEW 24, 305). Die französische Entsprechung zu alba ist aube; in der deutschen Minnedichtung spricht man von Tagelied. Die Szenerie der alba geht von der Fiktion aus, dass der Liebhaber (amic) heimlich die Nacht in einem Garten (en un vergier) bei seiner Dame (dompna) verbracht hat. Diese ist, der höfischen Einkleidung entsprechend, höher gestellt und verheiratet, so dass sie fürchten muss, dass ihr neidischer Ehemann (gilos) oder andere Verleumder (lauzengiers) das Stelldichein entdecken und publik machen. Diese drohende Enthüllung soll der Wächter (la gaita) verhüten, der das Anbrechen des Tages, das sich im Aufzug der Morgenröte (alba) andeutet, verkündet und so der Liebesnacht, dieser Liebe im Dunkeln, ein Ende bereitet. Denn bei Morgenanbruch muss die Frau in ihrem Ehebett sein, um die levée - den Beginn der Morgenzeremonie - an der Seite ihres Ehemannes absolvieren zu können. In der provenzalischen Dichtung gibt es rund ein Dutzend albas. Guiraut de Bornelh, Bertran d’Alamon und Raimon de las Salas sind als Verfasser bekannt, jedoch ist die Mehrzahl anonym überliefert. Auch daran kann man ablesen, dass die alba zu den volkstümlichen niederen Gattungen gehörte, deren sich die aristokratischen Sänger nur gelegentlich annahmen. Dieser unterste Rang, der eben zumeist zu diesem anonymen Erscheinen führte, zeigt sich vor allem in der Tatsache, dass hier im Unterschied zur höfischen Dichtung nicht eine entsagende, auf ethische Verfeinerung gerichtete Minne, sondern die körperliche Realisierung der Liebe inszeniert wird. Damit stellt die alba - zusammen mit der pastorela, die von einer vergleichbaren Inhaltskonzeption ausgeht, ihr Thema jedoch nicht zwischen Liebesglück und Trennungsschmerz, sondern auf derbe und ironische Weise behandelt - einen Sonderfall in der provenzalischen Dichtung dar. Die folgende anonyme und bekannteste alba weist die genustypische einfache metrische Struktur dieser primär inhaltlich definierten Gattung auf: Sie umfasst sechs Strophen, bestehend aus vierzeiligen Zehnsilblern, wobei jeweils der vierte Vers, der auch selbst das Wort alba aufweist, den Refrain bildet. Die erste und sechste Strophe stellen dabei die Beschreibung des szenischen Rahmens dar, in den die Monologe - häufig ist die Gattung Anonymus 23 auch rein in Monologform gehalten - eingelagert werden. Die Stophen zwei bis vier weisen so Monologe in Anwesenheit des Freundes auf, der in Strophe fünf integrierte Monolog vollzieht sich bereits in Abwesenheit des Liebhabers. Es gibt eine Gattung, die sozusagen die Parallele zur alba darstellt, nämlich die serena, in der der Abend als Zeit der Begegnung zwischen den Liebenden nach längerer Trennung besungen wird. Dieses Genus hatte - trotz des bekannten Gedichts Ad un fin aman von Guiraut Riquier - weit weniger Erfolg als die alba. Während die altfranzösische aube, von der wir nur vier Beispiele kennen, auch nicht sehr erfolgreich war, wurde das Tagelied in der mittelhochdeutschen Literatur zu einer äußerst beliebten Gattung. Einzug in die Weltliteratur hat die Gattung als Apotheose der Nacht und Angst vor dem hereinbrechenden Tag mit Shakespeares Romeo and Juliet gefunden (vgl. Akt III, Szene 5, mit dem zentralen, weltberühmten „It was the nightingale, and not the lark“). Strophenstruktur: En un vergier sotz fuella d’albespi: sechs coblas singulars mit refranh im vierten Vers. Literatur: Appel, Carl: Provenzalische Chrestomathie mit Abriss der Formenlehre und Glossar, Leipzig (Reisland) 6 1930. Anonymus 24 0.1 En un vergier sotz fuella d’albespi (I) En un vergier sotz fuella d’albespi 1 tenc la dompna son amic costa si, tro la gaita crida que l’alba vi. Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 4 (II) «Plagues a Dieu, ja la nueitz non falhis 2 ni·l mieus amicx lonc de mi non partis ni la gaita jorn ni alba no vis! » Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 8 (III) «Bels dous amics, baizem nos yeu e vos aval els pratz, on chanto˙ls auzellos; 3 tot o fassam en despieg del gilos! » 4 Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 12 1 Hier zeigt sich die Gegenwelt zur ehelichen Liebe, die im Bett stattfindet, während die außereheliche Liebe im Freien vollzogen wird. Zugleich stellt der Garten als Ort der Liebesnacht jedoch eine gebändigte Form der Natur dar. 2 Die konjunktivische Gestaltung, die sich durch die Monologpartien erstreckt, manifestiert den Topos von der Nacht, die länger andauern soll. 3 Der Vogelgesang steht als Motiv für den beginnenden Morgen. 4 Zu dieser Situation der außerehelichen Liebe gehört immer auch am Rande der Neidische, der Ehemann. En un vergier sotz fuella d’albespi 25 In einem Garten unterm Weissdorn (I) In einem Garten unterm Weissdorn hält sich eine Dame nahe bei ihrem Geliebten auf, bis der Wächter ruft, dass er die Morgenröte aufziehen sieht. Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 4 (II) «Gefiele es doch Gott, dass die Nacht nicht vergeht, noch dass mein Geliebter weit von mir geht, noch dass der Wächter Tag noch Morgen sieht». Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 8 (III) «Schöner süßer Freund, lass uns küssen dort in der Wiese, wo die Vögel singen, lass uns alles tun trotz des Eifersüchtigen. Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 12 Aube 1 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1970, 154-156). (I) En un vergier, sous le feuillage d’une aubépine, la dame a gardé son ami près d’elle, jusqu’à ce que le veilleur ait crié qu’il a vu poindre l’aube. Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! (II) «Plût à Dieu que la nuit ne finît pas, que jamais mon ami ne s’éloignât de moi, et que le veilleur ne vît jamais ni le jour ni l’aube. Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! (III) «Beau doux ami, unissons nos baisers, là-bas, dans les prés où chantent les oiseaux; aimons-nous bien en dépit du jaloux! » Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! 26 Anonymus (IV) «Bels dous amicx, fassam un joc novel 1 yns el jardi, on chanto li auzel, tro la gaita toque son caramelh! » 2 Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 20 (V) «Per la doss’aura qu’es venguda de lay, del mieu amic belh e cortes e gay, del sieu alen ai begut un dous ray.» 3 Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 24 (VI) La dompna es agradans e plazens, per sa beutat la gardon mantas gens, et a son cor en amar leyalmens. 4 Oy Dieus, oy Dieus, de l’alba! tan tost ve. 28 1 joc ist ein wenig verhüllendes Wort für den Geschlechtsverkehr. 2 Das erste Morgengrauen hat der Wächter markiert, indem er gerufen, d.h. ein Lied gesungen hat (vgl. erste Strophe). Nachdem die Vögel gesungen haben (vgl. dritte Strophe) und es bereits hell wird, spielt er als weiterführendes Signal ein lautes Instrument, die Schalmei, mit deren Klang er den angebrochenen Tag öffentlich ankündigt. Dergestalt sind zwei äußere Markierungspunkte festgelegt, zwischen denen sich nach der Liebesnacht das Geschehen der alba abspielt. 3 Nicht-optische Wahrnehmungen, wie hier etwa der olfaktorische Sinn, spielen in den Monologen der Liebenden, die im Dunkeln der Nacht verharren wollen, stets eine besondere Rolle. In dieser fünften Strophe ist die Liebesnacht schon nurmehr noch Erinnerung. Die Metapher des Windes als Bote des Geliebten stellt einen Topos der Troubadourdichtung dar. 4 Damit hat die Dame alle positiven Eigenschaften einer Minnedame. Dieser Preis der Dame am Ende der alba kommt so unerwartet und lässt sich auch bei den anderen Gattungsrepräsentanten nicht finden, dass über die Zugehörigkeit der Strophe zum Gesamtlied spekuliert wurde. Jedoch könnte es sich aber auch um eine Art höfische Ehrenrettung und nachträgliche Verfeinerung dieser leidenschaftlich auf den körperlichen Genuss fokussierten Frau handeln. En un vergier sotz fuella d’albespi 27 (IV) «Schöner süßer Freund, lass uns ein neues Spiel spielen in dem Garten, wo die Vögel singen, bis der Wächter die Schalmai spielt.» Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 20 (V) «Durch die süße Luft, die herüber geweht ist, von meinem schönen und höfischen und fröhlichen Geliebten, von seinem Atem habe ich einen süßen Strahl getrunken». Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 24 (VI) Die Dame ist grazil und liebenswert, wegen ihrer Schönheit betrachtet sie mancher Mensch, und ihr Herz ist voll von aufrichtiger Liebe. Ach Gott, ach Gott, der Morgen! wie kommt er so früh! 28 (IV) «Beau doux ami, faisons un jeu nouveau dans le jardin où chantent les oiseaux, jusqu’à ce que le veilleur joue de son chalumeau.» Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! (V) «Dans la douce brise qui est venue de là-bas, où est mon bel ami, courtois et gai, j’ai bu de son haleine un doux rayon. Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! (VI) La dame est gracieuse et charmante; pour sa beauté maintes gens la gardent; et son cœur est plein d’amour sincère. Oh! Dieu! oh! Dieu! cette aube! comme elle vient tôt! Erste Generation (bis 1125) Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 30 1.1 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (1071-1127) Die Troubadourdichtung beginnt mit Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien, zugleich Wilhelm VII., Graf von Poitiers (prov. Guilhem de Peitieu). Er ist am 22. Oktober 1071 geboren und wurde bereits mit 15 Jahren Herr über den riesigen Landbesitz Aquitaniens, der den seines Lehnherrns, des Königs von Frankreich, an Umfang weit übertraf. In erster Ehe war er mit Ermengarda von Anjou verheiratet, in zweiter Ehe mit Felipa von Toulouse, der Witwe von Sancho Ramírez, des Königs von Navarra und Aragón. Während des ersten Kreuzzuges, an dem sein Schwager Raimon IV. teilnahm, besetzte er dessen Grafschaft Toulouse. 1101 brach Wilhelm selbst ins Heilige Land auf, kehrte aber schon 1102 nach einem Besuch von Jerusalem militärisch erfolglos zurück. Nach erneuten militärischen Bemühungen um Toulouse wurde er 1105 exkommuniziert und durfte erst 1117 wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren. Bei einem Feldzug gegen die Mauren in Spanien nahm er 1120 an der Schlacht von Cutanda teil. Am 10. Februar 1127 starb er in seiner Heimat Poitiers und wurde in der Abtei Montierneuf beigesetzt. Wilhelm von Aquitanien gilt als Erfinder der Troubadourdichtung. Er wird in den lateinischen Geschichtswerken seiner Zeit als charmanter Verächter aller Heiligkeit und Schamhaftigkeit, als gefürchteter Spötter, als Gegner der kirchlichen Hierarchie, als allzeit sangesbereiter Unterhalter und vor allem als Frauenheld, „vehemens amator feminarum” (Gaufredi Chronica), beschrieben. Die Trennung von seiner Frau Felipa schrieb man der Tatsache zu, dass er sich im Anbau seines Palastes die Maubergeonnne, die mit einem benachbarten Vizegrafen verheiratet war, als Nebenfrau hielt. Zu den Klatschgeschichten um seine Liebesbeziehungen gehört auch die Nachricht, dass er mit dem Porträt seiner Favoritin auf dem Schild in den Krieg zog, weil er die, die nachts bei ihm schlief, auch in der Schlacht an seiner Seite haben wollte (im Lateinischen bei Wilhelm von Malmesbury etwas drastischer: „dictitans se illam velle ferre in praelio, sicut illa portabat eum in triclinio”, also „er sagte, dass er sie auf dem Schild tragen wolle, so wie sie ihn im Bett trug“). Von Wilhelm sind elf Gedichte in den Liederhandschriften erhalten. Diese pflegt man seit Friedrich Diez in drei Gruppen zu unterteilen: 1) die zum Vortrag im Kreise der companhos bestimmten Gedichte erzählenden, oft derb-erotischen und spöttischen Charakters, 2) die an die donna gerichteten höfischen Lieder und schließlich 3) reuige Bußverse. Die hier zusam- Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 31 mengestellten Beispiele illustrieren der Reihenfolge nach diese drei Gruppen. Strophenstruktur: Farai un vers, pos mi sonelh: 15 coblas singulars (jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - a - a - b - c - b). Ab la dolchor del temps novel: vier coblas doblas und eine tornada (jeweils sechs Verse mit dem Reimschema I-II: a - a - b - c - b - c; III-V: b - b - c - a - c - a. Pos de chantar m’es pres talenz: zehn coblas singulars (mit je vier Versen, Reimschema: a - a - a - b) und eine tornada (mit zwei Versen, Reimschema: a - b); b tritt als i-Assonanz in allen Strophen auf. Literatur: Dürrson, Werner: Wilhelm von Aquitanien: Gesammelte Lieder, Zürich (Arche) 1969. Jeanroy, Alfred: Les chansons de Guillaume IX, Duc d’Aquitaine (1071-1127), Paris (Champion) 2 1927. Pasero, Nicolò: Guglielmo IX: Poesie, Modena (S.T.E.M.-Mucchi) 1973. Payen, Jean-Charles: Le Prince d’Aquitaine. Essai sur Guillaume IX, son œuvre et son érotique, Paris (Champion) 1980. 32 Vida 1.1.1 VIDA Lo coms de Peitieus si fo uns dels majors cortes del mon e dels majors trichadors 1 de dompnas, e bons cavalliers d’armas e larcs de dompnejar 2 ; a saup ben trobar e cantar. Et anet lonc temps per lo mon per enganar las domnas. Et ac un fill 3 , que ac per moiller la duquessa de Normandia, don ac una filla que fo moiller del rei Enric d’Engleterra, maire del Rei Jove e d’En Richart e del comte Jaufre de Bretaingna. 4 1 Hier muss mit der Grundbedeutung des Verbs tricher ‚verwirren’ gerechnet werden. Die zumeist angesetzte Bedeutung ‚betrügen’ ist zu negativ. 2 dompnejar hat die Bedeutung ‚sich dem Frauendienst widmen’. 3 Die genealogische Verbindung beruht auf einem Irrtum: In Wahrheit war Eleonore von Aquitanien, die Tochter der normannischen Eleonore und also die Nichte Wilhelms, die Frau von Ludwig VIII. von Frankreich und von Heinrich II. von England, Herzog der Normandie. 4 Der Akzent der sehr knappen vida liegt nicht auf dem Politiker und einflussreichen Feudalherren Wilhelm, sondern auf dem Höfling und in den verschiedensten Umschreibungen vor allem auf dem Frauenhelden. LEBEN Der Graf von Poitou war einer der größten Edelleute der Welt und einer der größten Verwirrer der Damen, guter Ritter in Waffen und großer Frauenverehrer; und er konnte gut dichten und singen. Er ging lange Zeit durch die Welt, um die Frauen zu täuschen. Er hatte einen Sohn, der die Herzogin der Normandie zur Frau hatte, von der er eine Tochter hatte, die die Frau des Königs Heinrich von England war, Mutter des jungen Königs, des Herrn Richard und des Grafen Gottfried von der Bretagne. Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 33 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (1071-1127) Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien mit Saiteninstrument (1071-1127) 34 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 1.1.2 Farai un vers, pos mi sonelh (I) Farai un vers, pos mi sonelh, e ⋅ m vauc e m’estauc al solelh; donnas i a de mal conselh, e sai dir cals: 4 cellas c’amor de chevaler tornon a mals. 1 (II) Donna non fai pechat mortau que ama chevaler leau; 8 mas s’ama monge o clergau non a raizo: per dreg la deuria hom cremar ab un tezo. 2 12 (III) En Alvernhe, part Lemozi, m’en aniei totz sols a tapi: 3 trobei la moiller d’En Guari e d’En Bernart; 16 saluderon me sinplamentz, per Saint Launart. 4 1 Der Inhalt des Gedichtes wird in einer Art Einleitungsstrophe, auch um die Aufmerksamkeit des männlichen Zuhörerkreises zu sichern, beschrieben: donnas de mal conselh, die die Regeln höfischer Liebe (amor de cavaler) pervertieren (tornon a mals). Die Tatsache, dass Frauen selbst in der Liebe tonangebenden die Aktivitäten entfalten, ist der Ausdruck dieser Perversion. 2 Die beiden Damen entsprechen als rechtliche Ehefrauen (moiller) eines feudalen Herrn (En) den Standesbedingungen der höfischen Liebe. In der Strophe wird versucht, die höfische Liebe im Wertekanon der Zeit positiv zu situieren: Die den Regeln entsprechende Liebe einer Dame zu einem Ritter ist keine Todsünde. Die Liebe zu einem Kleriker hingegen sehr wohl. 3 a tapi heißt wörtlich ‚im ärmlichen Pilgergewand’ und steht hier für ‚inkognito’. Der Landesherr wandert allein und unerkannt durch seinen Besitz. 4 Der heilige Leonhard, Schutzpatron der Gefangenen und Zerbrecher ihrer Ketten, wurde in der Pilgerstätte Noblat (= en Alvernhe, part Lemozi, Vers 13) verehrt. Die Damen meinten also, der Mann, der ihnen begegnete, sei ein Pilger (don peleri, Vers 20) auf dem Wege nach Noblat. Farai un vers, pos mi sonelh 35 Ich werde ein Lied machen, dann schlafe ich ein (I) Ich werde ein Lied machen, dann schlafe ich ein und gehe weg und bin in der Sonne. Frauen gibt es mit üblen Plänen, und ich kann auch sagen, welche: 4 die, welche die Liebe eines Ritters herabsetzen. (II) Eine Dame begeht keine Todsünde, die einen Ritter aufrecht liebt; 8 aber wenn sie einen Mönch oder Kleriker liebt, hat sie nicht Recht: richtigerweise müsste man sie versengen mit einem Feuerbrand. 12 (III) In der Auvergne, jenseits des Limousin, wanderte ich ganz allein in ärmlicher Kleidung: ich fand die Frau des Herrn Guarin und die des Herrn Bernart; 16 sie grüßten mich ganz einfach beim heiligen Leonhart. Je vais faire une chanson, puisque je someille 1 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt hier von Jean-Charles Payen (1980, 92-99), da Alfred Jeanroy dem Zeitgeist entsprechend, die offen erotischen Strophe XIV nicht übersetzt hatte (1927, 8-13). (I) Je vais faire une chanson, puisque je sommeille, et que je m‘en vais, et me tiens au soleil. Il est des dames de méchante nature, et je sais dire lesquelles: celles pour qui amour de chevalier est dérisoire. (II) Dame fait grand péché mortel qui n’aime chevalier loyal; mais si elle aime moine ou clerc, elle déraisonne: par justice on la devrait brûler avec un tison. (III) En Auvergne, après Limousin, je m’en allais, seul et sans bruit: je rencontrai la femme de sire Garin et celle de sire Bernard; elles me saluèrent sans ambages, au nom de saint Léonard. 36 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (IV) La una ⋅ m diz en son lati: 1 «O, Deus vos salf, don peleri! 20 Mout mi semblatz de bel aizi, 2 mon escient; mas trop vezem anar pel mon de folla gent». 3 24 (V) Ar auzirets qu’ai respondut: anc no li diz ni «bat» ni «but», ni «fer» ni «fust» no ai mentagut, 4 mas sol aitan: 28 «Babariol, babariol, babarian.» 5 (VI) «Sor», diz N’Agnes a N’Ermessen, «trobat avem que anam queren! » 32 «Sor, per amor Deu, l’alberguem, 6 que ben es mutz, e ja per lui nostre conselh 7 non er saubutz! » 36 1 en son latin meint ‚in der für sie typischen Redeweise’; so singen auch etwa Vögel „in Latein“, vgl. Ab la dolchor del temps novel, Vers 3. 2 aizi ist das Territorium, das einem Schloss zugehörig ist. 3 Die Tatsache, dass die eine Dame ihn anspricht, ist eine unpassende Verhaltensweise, erst recht dann, dass sie ihn auch noch gutaussehend findet. 4 bat und but dürften rein onomatopoetische Bildungen sein, während fer und fust möglicherweise eine Anspielung auf Formeln der chansons de geste darstellen: Im Rolandslied (Vers 1602) wird von einer Lanze gesagt, dass der afrikanische Fürst Malquiant einem der doze pers von Karl dem Großen el cors li met e le fer (= Metallspitze) et le fust (= hölzerner Schaft). Vielleicht liegt aber auch nur eine Anspielung auf den Kult des heiligen Leonhard vor, dessen Holzstatue (= fust) eine Metallkette (= fer) in Händen hielt. 5 Das Vorgeben, nicht sprechen zu können, stellt ein erzählerisches Mittel dar, um die Spannung in der Ritterrunde zu erhöhen. Im weiteren Verlauf wird die Stummheit ironischerweise für die Frauen, die als berechnende sexuelle Bestien dargestellt werden, zum Garant, dass der äußere Schein gewahrt bleibt und die Orgien nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden können. 6 Das Beherbergen von Pilgern war eine Christenpflicht, auf die hier ironisch angespielt wird. 7 Die Nennung von conselh weist auf Vers 3 zurück. Farai un vers, pos mi sonelh 37 (IV) Die eine sagte mir in ihrem Latein: «O, Gott sei mit euch, Herr Pilger! 20 Von sehr guter Herkunft scheint ihr mir zu sein, wirklich; doch sehen wir durch die Welt ziehen sehr viele merkwürdige Menschen.» 24 (V) Nun hört, was ich geantwortet habe: ich sagte ihr weder «bat» noch «but», und ich habe weder Eisen noch Holz erwähnt, sondern nur soviel: 28 «Babariol, babariol, babarian». (VI) «Schwester», sagt Frau Agnes zu Frau Ermessen, «wir haben gefunden, was wir gesucht haben! » 32 «Schwester, bei der Liebe Gottes, den wollen wir beherbergen, denn er ist ganz stumm, und durch ihn wird unser Plan nicht bekannt werden.» 36 (IV) L’une me dit en son latin: «Dieu vous garde, seigneur pèlerin; Vous me semblez de fort bon lignage que je sache; mais nous voyons trop aller par le monde de folles gens.» (V) Écoutez maintenant ce que je répondis; point ne lui dit ni ceci ni cela, ni ne lui parlai de fer ni de manche, mais pour tout propos: «Babariol, babariol, babarian.» (VI) Voici ce que dit Agnès à Ermessen: «Nous avons trouvé ce que nous allions cherchant. Ma sœur, pour l’amour de Dieu, hébergeons-le, car il est vraiment muet, et jamais par lui notre projet ne sera connu.» 38 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (VII) La una ⋅ m pres sotz son mantel, 1 Et mes m’en sa cambra, el fornel; 2 sapchatz qu’a mi fo bon e bel, e ⋅ l focs fo bos, 40 et eu calfei me volenter als gros carbos. (VIII) A manjar mi deron capos, 3 e sapchatz, aig i mais de dos; 44 et no·i ac cog ni cogastros, mas sol nos tres; e ⋅ l pans fo blancs e ⋅ l vins fo bos e ⋅ l pebr’espes. 4 48 (IX) «Sor, s’aquest hom es enginhos e laissa lo parlar per nos, nos aportem nostre gat ros de mantenent, 52 que ⋅ l fara parlar az estros, si de re ⋅ nz ment». (X) N’Agnes anet per l’enoios, et fo granz et ac loncz guinhos; 56 et eu, can lo vi entre nos, aig n’espavent, qu’a pauc non perdei la valor e l’ardiment. 5 60 1 Der Mantel ist das Symbol des Schutzes in der feudalen Gesellschaft (vgl. die Schutzmantelmadonna der deutschen Volksfrömmigkeit), so wie der Ring das Symbol der Treue ist. Wenn die Dame den Pilger unter ihren Mantel nimmt, bietet sie ihm also ihren Schutz und damit die Beherbergung (l’alberguem, Vers 33) an. Zugleich hat die Formel prendre sotz son mantel natürlich eine stark erotische Konnotierung: Mann und Frau sind von derselbe Decke bedeckt. 2 cambra und fornel gehören zunächst zu dem, was man einem Pilger gewähren muss. Außerdem haben beide Wörter freilich eine erotische Nebenbedeutung: Die cambra ist der Ort, wo das Liebesspiel stattfindet, und bei fornel ist der Anklang an lat. fornix ‚Bordell’ und fornicari ‚Prostitution betreiben’ überdeutlich. 3 Kapaune (=kastrierte Masthähne) waren die große kulinarische Spezialität im Mittelalter und galten zugleich als Aphrodisiakum. 4 Die hervorragende Qualität der Speisen ist dem Pilger geschuldet, steht hier aber auch als Vorzeichen für die bevorstehende Außergewöhnlichkeit der sexuellen Abenteuer. 5 valor und ardiment sind die hervorstechendsten Eigenschaften eines chevaler. Ihr Verlust würde das Ende höfischer Liebe bedeuten. Farai un vers, pos mi sonelh 39 (VII) Die eine nahm mich unter ihren Mantel, brachte mich in ihr Zimmer, zum Ofen. Wissen sollt ihr, dass es mir gut und schön erging, und das Feuer war gut, 40 und ich wärmte mich gerne an den großen Kohlen. (VIII) Zu Essen gaben sie mir Kapaune, und ihr sollt wissen, es waren mehr als zwei; 44 und es gab keinen Koch und keinen Küchenjungen, sondern nur uns drei, und das Brot war weiß und der Wein war gut, und der Pfeffer scharf. 48 (IX) «Schwester, wenn dieser Mann erfindungsreich ist und das Sprechen wegen uns sein lässt, wir wollen unseren roten Kater bringen, ganz sogleich, 52 der ihn sofort sprechen lassen wird, wenn er uns irgendwie belügt.» (X) Frau Agnes holte das verdrießliche Tier, und es war groß und hatte einen langen Schnurrbart; 56 und ich, als ich es zwischen uns sah, bekam Furcht, so dass ich fast die Tüchtigkeit und den Mut verlor. 60 (VII) L’une me prit sous son mantel, m’emmena dans sa chambre, près du fourneau. Sachez que cela me fut bon et bel, que le feu était doux, et je me chauffai bien volontiers à la chaleur des gros charbons. (VIII) À manger elles me donnèrent des chapons, et sachez qu’il y en eut plus de deux, et qu’il n’y avait là ni cuisinier ni marmitons, mais seulement nous trois; et le pain était blanc, le vin savoureux et le poivre abondant. (IX) «Sœur, cet homme est rusé, il se garde de parler à cause de nous: apportons notre chat roux sans tarder, il le fera parler tout de suite, s’il est tant soit peu menteur.» (X) Dame Agnès s’en alla chercher la sale bête, un gros chat aux moustaches longues; et quand je le vis entre nous, j’en fus épouvanté, presqu’au point d’en perdre ma valeur et ma hardiesse. 40 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (XI) Quant aguem begut e manjat, e ⋅ m despoillei per lor grat; detras m’aporteron lo chat mal e felon: 64 la una ⋅ l tira del costat tro al talon. (XII) Per la coa de mantenen tir’el chat, el escoisen; 68 plajas mi feron mais de cen 1 aquella ves; mas eu no ⋅ m mogra ges enguers, qui m’aucizes. 72 (XIII) «Sor», diz N’Agnes a N’Ermessen, «mutz es, que ben es conoissen.» «Sor, del bainh nos apaireillem e del sojorn». 2 76 Ueit jorn ez ancar mais estei 3 az aquel torn. (XIV) Tant las fotei com auzirets: cent et quatre-vinz et ueit vetz, 4 80 que a pauc no ⋅ i rompei mos corretz e mos arnes; e no ⋅ us puesc dir los malavegz, tan gran m’en pres. 5 84 1 mais de cen ist eine geläufige ungefähre Zahl zum Ausdruck einer großen Menge, aber hier auch schon die erste Anspielung auf das Zahlenspiel in Vers 80. 2 bainh und sojorn stehen zusammengenommen für ‚Genuss und Liebesfreude’: bainh ist die momentane Reinigung, die Genuss beinhaltet; sojorn ist die dauernde Anwesenheit eines angenehmen Partners. 3 Ueit jorn ist ein üblicher Ausdruck für eine Woche, aber auch ein Vorgriff auf das Spiel mit der Zahl acht in Vers 80. 4 Die Zahl scheint um die vier - der Anzahl der Anwesenden beim Treffen: der Dichter, die zwei Damen, der Kater konstruiert zu sein: cent als große Zahl (vgl. Vers 69), ueit jorn (= zweimal vier) des Zusammenseins, 80 als viermal zwanzig. 5 In dieser Strophe liegt eine für mittelalterliche Dichtungen typische Prahlerei, der sogenannte gap, vor: Unwahrscheinliche eigene Taten werden in den höchsten Tönen geschildert (vgl. etwa die Darstellung eines auf mehrere Helden verteilten gap in der Karlsreise). Farai un vers, pos mi sonelh 41 (XI) Als wir getrunken und gegessen hatten, und ich mich auszog nach ihrem Gefallen, brachten sie mir von hinten den Kater herbei, der böse und arglistig war; 64 die eine zieht ihn die Seite herunter bis zu den Fersen. (XII) Am Schwanz zieht sie sogleich den Kater, und er kratzt: 68 Wunden fügten sie mir zu, mehr als hundert, bei dieser Gelegenheit; aber ich würde mich ganz und gar nicht bewegt haben, auch wenn man mich umgebracht hätte. 72 (XIII) «Schwester», sagt Frau Agnes zu Frau Ermessen, «er ist stumm, das ist klar.» «Schwester, bereiten wir uns fürs Bad und für das Zusammensein». 76 Acht Tage und noch mehr verbrachte ich in diesem Umkreis. (XIV) So oft habe ich sie beschlafen, wie ihr hören werdet: Hundertachtundachtzigmal, 80 so dass ich beinahe das Zaumzeug mir zerbrach und meinen Harnisch; und ich kann euch nicht die Krankheit beschreiben, so groß, wie ich sie mir geholt habe. 84 (XI) Quand nous eûmes bu et mangé, je me dévêtis à leur gré. Derrière mon dos elles m’amenèrent le chat méchant et félon; l’une le tira le long de mes flanc jusqu’au talon. (XII) Par la queue, sans attendre, elle tire le chat, et lui me griffe; ils me firent plus de cent plaies cette fois-là; mais je n’aurais pas fait le moindre geste, m’eût-on occis. (XIII) «Sœur», dit Agnès à Ermessen, «il est muet, c’est bien visible; préparons-nous au bain et profitons de sa présence.» Huit jours et plus je demeurai dans cette fournaise. (XIV) Je les pris autant de fois que vous allez entendre: cent quatre-vingthuit fois, si bien que j’en rompis presque mes attaches et mon harnais, et je ne peux vous dire ma douleur, tant elle était forte. 42 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (XV) Monet, tu m’iras al mati, 1 mo vers portaras el borssi, dreg a la molher d’En Guari e d’En Bernat: 88 e diguas lor que per m’amor aucizo·l cat! 2 1 Monet ist der Name eines juglar, der die Aufgabe erhält, das Gedicht den Adressatinnen zu überbringen. 2 Die Handschrift N schließt mit Vers 84. In der Handschrift V findet sich eine sogenannte „Nachklangtornada” folgenden Wortlautes: „E us no sai dir los malavegz, tan gran m’en pres! ” Die Verse 85-90 finden sich nur in der Handschrift V, die auch im Wortlaut des Gedichtes einige Abweichungen aufweist. Diese letzte Strophe unterstreicht aber den insgesamt heiteren Charakter des Gedichtes in nachdrücklicher Weise und wird daher wohl echt sein. Farai un vers, pos mi sonelh 43 (XV) Monet, du wirst für mich am Morgen dich aufmachen und meine Verse in der Tasche tragen direkt zur Frau des Herrn Guarin und des Herrn Bernart; 88 und du wirst ihnen sagen, dass sie um meiner Liebe willen den Kater umbringen sollen. (XV) Monet, tu iras pour moi dès le matin porter ma chanson que tu donneras à la femme du sire Garin et à celle du sire Bernard, à qui tu diras que pour l’amour de moi, elles tuent le chat. 44 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 1.1.3 Ab la dolchor del temps novel (I) Ab la dolchor del temps novel 1 foillo li bosc, e li aucel chanton, chascus en lor lati, segon lo vers del novel chan: 2 4 adonc esta ben c’om s’aisi d’acho dont hom a plus talan. (II) De lai don plus m’es bon e bel no vei mesager ni sagel, 3 8 per que mos cors non dorm ni ri ni no m’aus traire adenan, tro qu’eu sacha ben de la fi, s’el’es aissi com eu deman. 12 (III) La nostr’amor va enaissi com la brancha de l’albespi, qu’esta sobre l’arbr’en creman, la nuoit, ab la ploi’ez al gel, 16 tro l’endeman, que·l sols s’espan per la fueilla vert el ramel. 4 1 Das Gedicht beginnt mit dem Bild des alles erneuernden Frühlings. Gedichtanfänge dieser Art, die sich vielleicht an das Hohelied 2, 11, anschließen, werden zum Topos der Troubadourdichtung schlechthin. 2 Parallel zur Erneuerung der Natur manifestiert Wilhelm von Aquitanien eine neue Epoche der Lyrik: Nicht länger in den Händen von Klerikern wird sie nun getragen von Sängern in der Volkssprache, die aber dennoch fein und kultiviert nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Wohlklangs dichten. Damit ist auch metatextuell der fulminante Aufgesang der Troubadourlyrik bereitet. 3 mesager ist der Bote, sagel ist der versiegelte Brief. Die Verbindung beider Wörter stammt wahrscheinlich aus dem Kanzleiwesen. 4 Der Weißdorn ist wegen seines sehr starken Duftes und seiner Empfindlichkeit auf Umwelteinflüsse die Pflanze der Verliebten. Ab la dolchor del temps novel 45 Von der Süße der neuen Jahreszeit (I) Von der Süße der neuen Jahreszeit grünen die Wälder, und die Vögel singen, jeder in seinem Latein, nach dem Vers des neuen Gesangs: 4 also ist es gut, dass man sich annähere an das, wonach man das größte Verlangen hat. (II) Von dort, wo ich am meisten Gutes und Schönes habe, kommt kein Bote und kein Schreiben, 8 weswegen mein Körper weder schläft noch lacht, und ich wage es nicht, weiter zu leben, bis ich von dem Endresultat erfahre, ob es so ist, wie ich es wünsche. 12 (III) Unsere Liebe verhält sich so Wie der Zweig des Weißdorns, der sich zitternd am Baum befindet in der Nacht, mit Regen und Eis, 16 bis zum Morgen, wenn die Sonne sich ausbreitet durch das grüne Blattwerk im Geäst. Grâce à la douceur du printemps 1 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1927, 24-26). (I) Grâce à la douceur du printemps, les bois se couvrent de feuilles, les oiseaux chantent et chacun en son langage fait entendre les strophes d’un chant nouveau. Il est donc juste que chacun se procure ce plaisir que l’homme désire le plus ardemment. (II) De là où est toute ma joie je ne vois venir ni messager, ni lettre scellée; aussi mon cœur ni ne s’endort [dans la quiétude] ni ne rit [de joie]; et je n’ose faire un pas en avant jusqu’à ce que je sache sûrement, au sujet de la paix, si elle est telle que je le voudrais. (III) Il en est de notre amour comme de la branche de l’aubépine: tant que dure la nuit, elle est, sur l’arbre, tremblante, exposée à la pluie et aux frimas; mais le lendemain le soleil éclaire les feuilles vertes sur le rameau. 46 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (IV) Enquer me membra d’un mati que nos fezem de guerra fi 1 20 e que·m donet un don tan gran: sa drudari’e son anel. 2 Enquer me lais Dieus viure tan qu’aia mas mans soz son mantel! 3 24 (V) Qu’eu non ai soing d’estraing lati que·m parta de mon Bon Vezi; 4 qu’eu sai de paraulas com van, ab un breu sermon que s’espel: 28 que tal se van d’amor gaban, nos n’avem la pessa e·l coutel. 5 1 Das Bild vom ‚Liebeskrieg’ ist antik, vgl. etwa Ovid, Amores 1, 9, 1: militat omnis amans. 2 drudaria ist ein Begriff aus dem Feudalwesen und bezeichnet die Dienstleistungen, die man den Frauen der Landesherren in Treue erbringen musste (vgl. Du Cange 3, 197a: ‚praestationis species, quae Dominorum vel judicum mulieribus exsolvebatur’). Das Grundwort ist mittellat. drudis, prov. drut ‚vertrauter Ratgeber, vertrauter Freund’) < gallisch *druto ‚stark’ (FEW 3, 164-167). 3 Mit Ring und Mantel wird das feudale Treueverhältnis begründet. Beide dienen aber auch als Symbole der besiegelten Liebe, vgl. den Kommentar zu Farai un vers, Vers 37. 4 Bon Vezi ist der Deckname (senhal) der Dame. Das senhal hat - anders als bei den römischen Dichtern - hier in den meisten Fällen eine maskuline Form, weil dahinter das Konzept eines Lehnverhältnisses steht. 5 pessa ist das ‚Stück Brot’, das man nur anschneiden kann, wenn man ein ‚Messer’ hat. Natürlich liegt eine sexuelle Metapher vor: frz. pièce kann u.a. ‚membre de la femme’ heißen (FEW 8, 333), und „il coltello, nella simbologia onirica medievale, simboleggia il sesso maschile” (Pasero, 1973, 266). Ab la dolchor del temps novel 47 (IV) Noch erinnere ich mich an einen Morgen als wir das Ende eines Krieges besiegelten 20 und als sie mir ein sehr großes Geschenk machte: ihre Treue und ihren Ring. Noch so lange lasse Gott mich leben, bis ich meine Hände unter ihrem Mantel habe! 24 (V) Ich will mich nicht sorgen um das merkwürdige Latein, das mich von meinem Guten Nachbarn trennen will; denn ich weiß, wie sich Worte verhalten, mit einem kurzen Spruch, der besagt, 28 dass mancher umhergeht und mit seiner Liebe prahlt, wir aber haben das Brotstück und das Messer. (IV) Il me souvient encore ce matin où nous mîmes fin à la guerre, où elle me donna un grand don, son amour et son anneau. Que Dieu me laissa encore vivre assez pour que j’aie [un jour] mes mains sous son manteau. (V) Je n’ai nul souci de ces chuchotages étranges qui pourraient me séparer de mon Bon Voisin. Je sais ce qui en est des paroles et de ces brefs discours qui vont se répandant; tels autres peuvent se vanter de leur amour; nous, nous en avons la pièce et le couteau [c.à-d. nous pouvons jouir du nôtre]. 48 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien 1.1.4 Pos de chantar m’es pres talenz (I) Pos de chantar m’es pres talenz farai un vers, don sui dolenz: mais non serai obedienz 1 en Peitau ni en Lemozi. 4 (II) Qu’era m’en irai en eisil 2 ; en gran paor, en gran peril, en guerra laisserai mon fil 3 ; faran li mal siei vezi. 8 (III) Lo departirs m’es aitan greus del seignoratge de Peiteus! En garda lais Folcon d’Angeus 4 tota la tera son cozi. 12 (IV) Si Folcos d’Angeus no·l socor, e·l reis de cui ieu tenc m’onor, faran li mal tut li plusor, felon gascon et angevi. 16 (V) Si ben non es savis ni pros, cant ieu serai partitz de vos, vias l’auran tornat en jos, car lo veiran jove mesqui. 20 1 obedienz ist der feudale Fachausdruck für den Vasallen. Der Dichter will sagen, dass er wegen seiner Krankheit die an sein Territorium gebundenen Vasallenpflichten nicht mehr erfüllen kann - er ist ja Graf des Poitou und Herzog des Limousin. 2 Eisil ist im Sinne von ‚Exil von der irdischen Existenz, Tod’ aufgeführt. 3 Damit ist Wilhelm X. von Aquitanien, VIII. von Poitou (gestorben 1137 auf der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela) gemeint. Wenn das Gedicht 1111 oder 1112 geschrieben ist, war der Sohn zwölf Jahre alt; wenn man das Datum auf 1117 setzt, war er 17 - in jedem Fall aber ein jove mesqui (Vers 24). 4 Folcon von Anjou (Graf von 1109-1142) soll - im Einklang mit dem rei - als Schutzherr des Sohnes auftreten. Pos de chantar m’es pres talenz 49 Weil auf Singen mein Sinn gerichtet ist (I) Weil auf Singen mein Sinn gerichtet ist, werde ich einen Vers machen über das, worüber ich Schmerzen empfinde; niemals mehr werde ich Vasallendienst leisten im Poitou und im Limousin. 4 (II) Jetzt nämlich gehe ich in die Verbannung; in großer Angst, in großer Gefahr, im Krieg lasse ich meinen Sohn zurück, übel werden ihm seine Nachbarn mitspielen. 8 (III) Der Abschied fällt mir so schwer von der Herrschaft über das Poitou! Zur Bewachung überlasse ich dem Folcon von Anjou das ganze Land seines Vetters. 12 (IV) Wenn Folcon von Anjou ihm nicht beisteht und auch der König nicht, von dem ich mein Lehen habe, werden ihm alle Welt übel mitspielen, die Bösewichte aus der Gaskogne und aus Anjou. 16 (V) Wenn er sich nicht sehr weise und tapfer zeigt, wenn ich von euch geschieden sein werde, werden sie ihn schnell zugrunde richten, wo sie ihn doch als einen schwachen Jüngling sehen. 20 Puisque le désir m’a pris de chanter 1 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1927, 26-29). (I) Puisque le désir m’a pris de chanter, je ferai un «vers» [sur un sujet] qui m’attriste: jamais plus je ne serai d’amour ni en Poitou ni en Limousin. (II) Je vais partir pour l’exil: en grand’peur, en grand péril, en guerre je laisserai mon fils, et ses voisins lui feront du mal. (III) Qu’il m’est pénible de la quitter, la seigneurie de Poitiers, je laisse à la garde de Foucon d’Angers et la terre et son cousin. (IV) Si Foucon d’Angers ne le secourt pas, ainsi que le roi de qui je tiens mes domaines, il aura tout à craindre d’un grand nombre de gens, des félons Gascons et Angevins. (V) S’il n’est pas sage et preux, quand je me serai éloigné de vous, bien vite ils l’auront mis à bas, car ils le verront jeune et faible. 50 Guilhem de Peitieu / Wilhelm von Aquitanien (VI) Per merce prec mon conpaignon 1 : s’anc li fi tort, qu’il m’o perdon; et il prec En Jezu del tron en romans et en son lati 2 . 24 (VII) De proeza e de joi fui 3 , mais ara partem ambedui; et ieu irai m’en a Cellui, on tut peccador troban fi. 28 (VIII) Mout ai estat cuendes e gais, mas Nostre Seigner no·l vol mais; ar non puesc plus soffrir lo fais, tant soi aprochatz de la fi. 32 (IX) Tot ai guerpit cant amar sueill: cavalaria et orgueill; e pos Dieu platz, tot o acueill, e prec li que·m reteng’am si. 36 (X) Toz mos amics prec a la mort que·i vengan tut e m’onren fort 4 ; qu’ieu ai agut joi e deport loing e pres et e mon aizi. 40 (XI) Aissi guerpisc joi e deport, e vair e gris e sembeli 5 . 1 Dieser Singular meint wohl Folcon, den Wilhelm eine Zeit lang gefangen gehalten hatte. Der Versuch, das Wort conpaignon auf Wilhelms zweite Frau zu beziehen, die er 1115 verstieß, geht nicht auf, weil ein derartiges senhal nur auf die Geliebten, keinesfalls aber auf die rechtmäßigen Gattinnen angewendet werden kann. 2 Weil Latein die Kirchensprache war, wird lati vom Possessivpronomen son begleitet. 3 Es folgt eine Gegenüberstellung des von höfischer Liebe (proeza, joi, deport, conhde, gai) und herrschaftlichem Stolz (cavalaria, orgueill) und seinen Symbolen (vair, gris, sembeli) bestimmten Diesseits und dem von Gott bestimmten Jenseits. 4 Die Freunde, also die in Wilhelms Abhängigkeit stehenden Vasallen, müssen eine aufwendige Totenfeier als letzten Beweis der vornehm-herrschaflichen ricor ausrichten, um die Ehre zu bewahren (m’onren fort). 5 Dabei handelt es sich um die Symbole der landesherrschaftlichen Position. Pos de chantar m’es pres talenz 51 (VI) Um Gnade bitt ich meinen Kameraden. Wenn ich ihn jemals kränkte, möge er mir verzeihen; und ich bete zu Jesus auf seinem Thron in Romanisch und in seinem Latein. 24 (VII) Ich liebte die Tapferkeit und die Lust, aber jetzt trennen wir uns voneinander; und ich gehe zu dem, bei dem alle Sünder ihre Bestimmung finden. 28 (VIII) Ich war sehr verliebt und heiter, aber Unser Hergott will das nicht mehr; ich kann die Last nicht mehr tragen, so sehr bin ich nahe dem Ende. 32 (IX) Ich habe auf alles verzichtet, was ich zu schätzen pflegte: Rittertum und Stolz; und was Gott gefällt, das nehm ich alles an, und bitte ihn, dass er mich bei sich behält. 36 (X) Alle meine Freunde bitte ich im Tode, dass sie alle kommen und mich besonders ehren; denn ich habe Lust und Freude gehabt, in der Ferne, in der Nähe, und in meinem Lande. 40 (XI) So verzichte ich auf Lust und Freude auf Zobel, Silberfuchs und Hermelin. (VI) Je crie merci à mon prochain: si jamais je lui ai fait tort, qu’il me pardonne: C’est aussi la prière que j’adresse à Jésus, roi du ciel, et en roman et en latin. (VII) J’ai été ami de prouesse et de joie; mais maintenant je dois me séparer de l’une et de l’autre pour m’en aller à celui auprès de qui tous les pécheurs trouvent la paix. (VIII) J’ai été grandement jovial et gai; mais Notre-Seigneur ne veut plus qu’il en soit ainsi: maintenant je ne puis plus supporter le fardeau, tant je suis proche de la fin. (IX) J’ai laissé tout ce qui me charmait, la vie chevaleresque et pompeuse: puisqu’il plaît à Dieu, je me résigne, et je le prie de me retenir parmi les siens. (X) Je prie tous mes amis qu’après ma mort ils viennent, tous, tem’honorent grandement, car j’ai connu joie et liesse, et loin et près et dans ma demeure. (XI) Mais aujourd’hui je renonce à joie et liesse; je quitte le vair et le gris et les précieuses fourrures. Zweite Generation (1125-1150) 54 Cercamon 2.1 Cercamon (…1137-1149…) Über das Leben dieses Troubadours, unter dessen Namen neun Lieder überliefert sind, weiß man so gut wie nichts: Ein sicheres Datum ist durch sein Klagelied, den planh, auf den Tod seines Gönners Wilhelm X. von Aquitanien, des Sohnes des Troubadours Wilhelm IX. von Aquitanien, gegeben. Denn dieser mächtige Herzog war am 9. April 1137 auf der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela verstorben und es liegt nahe, dass ein planh nicht allzu lange nach dem Todesfall gedichtet wurde, dem er gewidmet ist. Der planh von Cercamon ist das erste Gedicht dieser in der weiteren Troubadourdichtung so reichlich vertretenen Gattung. Ebles II von Ventadour, der der Empfänger des planh war, ist in Dokumenten von 1096 bis 1147 belegt. In Vers 45 des Liedes Puois nostre temps comens’a brunezir spielt der Dichter darauf an, dass ein reuiger Sünder, wenn er tapfer ist, yssira ves Roays, also nach Edessa ziehen wird. Das ist eine deutliche Anspielung auf den zweiten Kreuzzug, denn Edessa, das hier mit seinem arabischen Namen ar-Ruha benannt wird, ist 1144 von den Mohammedanern erobert worden. 1146 wurde der zweite Kreuzzug zu seiner Wiedereroberung ausgerufen. Weiter scheint Cercamon ein ziemlich genauer Zeitgenosse von Marcabru gewesen zu sein. Die vida von Marcabru bietet sogar die gänzlich unwahrscheinliche Geschichte, dass beide identisch seien. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Cercamon in Verstechnik und Thematik Bernart de Ventadorn inspiriert hat; so zeigt Cercamons Quant l’aura doussa s’amarzis Berührungen mit Bernarts Lerchenlied. Dass Cercamon, wie die vida berichtet, aus der Gascogne stammte, ist zumindest möglich, denn seine Sprache weist einige gaskognische Züge auf (Vokalisierung des Schluß-l zu -u, chai statt sai ‚hier’). Unter den uns erhaltenen Werken gibt es keine Pastourellen. Aber dies kann durchaus daran liegen, dass unsere Überlieferung vor allem die „ernsthaften” Dichtungen berücksichtigt und wenig Raum für populäre Genera bietet. Strophenstruktur: Lo plaing comenz iradamen: neun coblas singulars zu jeweils sechs Versen; der sechste Vers ist feststehend. Literatur: Jeanroy, Alfred: Les poésies de Cercamon, Paris (Champion) 1922. Vida 55 2.1.1 VIDA Cercamons si fo uns joglars de Gascoingna, 1 e trobet vers e pastoretas a la usanza antiga. 2 E cerquet tot lo mon lai on el poc anar, e per so fez se dire Cercamons. 3 1 Es gibt keine Dokumente, die diese Herkunft beweisen. 2 Von Cercamon sind keine Pastourellen erhalten. 3 Dabei handelt es sich um eine typische Namenerklärung des Mittelalters: cercar heißt ‚suchen, aufsuchen’, mon ‚Welt’. LEBEN Cercamon war ein Spielmann aus der Gascogne, und dichtete Verse und Pastourellen nach alter Gewohnheit. Er bereiste die ganze Welt, wohin er gehen konnte, und deswegen ließ er sich Cercamon nennen. 56 Cercamon 2.1.2 Lo plaing comenz iradamen (I) Lo plaing comenz iradamen d’un vers don hai lo cor dolen; ir’e dolor e marrimen ai, car vei abaissar Joven: 4 Malvestatz puej’e Jois dissen despois muric lo Peitavis. 1 (II) Remazut son li prez e·ill lau qi solon issir de Peitau. 8 Ai! com lo plaigno li Barrau. 2 Peza·m s’a longas sai estau. Segner, lo baro q’ieu mentau metetz, si·us platz, em paradis! 12 (III) Del comte de Peitieu mi plaing q’era de Proeza compaing; despos Pretz e Donars soffraing, peza·m s’a lonjas sai remaing. 16 Segner, d’efern lo faitz estraing, qe molt per fon genta sa fis. 3 1 Wilhelm X. von Aquitanien war der VIII. coms de Peitieus. 2 Bar ist die Hauptstadt von Burgund, das zum Feudalgebiet von Wilhelm X. gehörte. 3 per dient hier als Steigerungspartikel. Lo plaing comenz iradamen 57 Das Trauerlied beginne ich betrübt (I) Das Trauerlied beginne ich betrübt mit einem Vers, über den mein Herz Schmerz empfindet; Trauer, Schmerz und Betrübnis empfinde ich, denn ich sehe den Niedergang der Jugend: 4 Bosheit steigt auf und Freude ist im Niedergang, seit der Poiteviner gestorben ist. (II) Aufgehört haben die Verdienste und der Ruhm, die vom Poitou auszugehen pflegten. 8 Ah! Wie ihn die Leute von Bar beweinen! Es bedrückt mich, wenn ich hier (auf Erden) lange verbleibe. Herr, den großen Baron, von dem ich spreche, versetzt bitte ins Paradies. 12 (III) Über den Grafen von Poitou trauere ich, der der Kamerad der Tüchtigkeit war; seit Verdienst und Freigiebigkeit dahin sind, bedrückt es mich, wenn ich hier (auf Erden) lange verbleibe. 16 Herr, lass ihn der Hölle fremd bleiben, denn überaus nobel war sein Ende. Complainte funèbre 1 (I) Cette complainte, je la commence avec douleur, en un vers qui rend mon cœur dolent. Oui, j’ai tristesse, deuil et tourment, car je vois abaisser la Jeunesse: Méchanceté monte et Joie descend, depuis qu’est mort le Poitevin. (II) Elles ne sont plus, les belles actions et les nobles qualités qui jadis venaient du Poitou. Ah! Comme le regrettent les Barrois! Et moi, ma vie me pèse si elle doit être longue. Seigneur, le Baron que je vous rappelle, mettez-le, s’il vous plaît, en paradis. (III) Sur le comte de Poitiers je me lamente, car il était compagnon de Prouesse. Puisque Prix et Largesse ne sont plus, il me pèse de rester longtemps ici-bas. Seigneur, écartez-le de l’enfer, car très noble fut sa fin. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1922, 19-22). 58 Cercamon (IV) Glorios Dieus, a vos me clam, car mi toletz aqels qu’ieu am; 20 aissi com vos formetz Adam, lo defendetz del fel liam del foc d’efern, qe non l’aflam, q’aqest segles nos escharnis. 24 (V) Aqest segle teing per enic qe·l paubre non aten ni·l ric. Ai! com s’en van tuit mei amic, e sai remanem tuit mendic. 28 Pero sai ben q’al ver afic seran li mal dels bos devis. (VI) Gasco cortes, nominatiu, perdut avez lo segnoriu; 1 32 fer vos deu esser et esqiu, don Jovenz se clama chaitiu, qar un non troba on s’aiziu, mas qan N’Anfons, qu’a joi conquis. 2 36 1 Normalerweise heißt segnoriu die ‚Herrschaft’, aber bei Cercamon tritt es mehrfach als Synomym von semhor der ‚Herr’ auf. 2 Damit ist Alfons VII. von Kastilien gemeint. Lo plaing comenz iradamen 59 (IV) Ruhmreicher Gott, euch rufe ich an, denn ihr nehmt mir diejenigen, die ich liebe; 20 so wie ihr Adam gebildet habt, verteidigt ihn vor dem grausamen Band des Höllenfeuers, das ihn nicht verbrennen soll, denn diese Welt betrügt uns. 24 (V) Diese Welt halte ich für ungerecht, weil sie weder den Reichen noch den Armen schont. Ach, wie gehen alle meine Freunde hinweg, und wir alle sind hier im Elend verblieben. 28 Aber ich weiß ja, dass beim letzten Gericht die Bösen von den Guten getrennt werden. (VI) Höfische und namhafte Gascogner, verloren habt ihr den Herrn; 32 zu ertragen muss das für euch hart und schwer sein, weswegen die Jugend sich als unglücklich bezeichnet, denn sie findet niemanden, bei dem sie Schutz finden könnte, wenn nicht Herrn Alfons, der die Freude erobert hat. 36 (IV) Dieu glorieux, à vous je me plains, car vous m’enlevez ceux que j’aime; aussi vrai que vous créâtes Adam, vous éloignerez le comte du lien cruel, du feu de l’enfer, pour qu’il n’en soit pas brûlé; car ce monde nous déçoit. (V) Ce monde, je le tiens pour haïssable, car il ne considère ni le pauvre ni le riche. Ah! comme s’en vont tous mes amis! Et ici nous restons tous, misérables. Mais je sais bien qu’au jugement dernier les méchants seront séparés des bons. (VI) Gascons courtois et renommés, vous avez perdu la seigneurie, perte qui doit vous être dure et cruelle. Aussi la Jeunesse se proclame malheureuse, car elle ne trouve plus personne auprès de qui elle s’abrite, si ce n’est le seigneur Alphonese qui a conquis Joie. 60 Cercamon (VII) Plagnen lo Norman e Franceis, e deu lo be plagner lo reis cui el laisset la terr’e·l creis; 1 pos aitan grans honors li creis, 2 40 mal l’estara si non pareis chivauchon sobre Serrazis. (VIII) Aqil n’an joia, cui que pes, de Limozi e d’Engolmes; 3 44 si el visques ni Deu plagues, el los agra dese conqes; estort en son car Dieus lo pres, e·l dols n’es intratz en Aunis. 48 (IX) Lo plainz es de bona razo qe Cercamonz tramet N’Eblo. 4 Ai! com lo plaigno li gasco, cil d’Espaign’e cil d’Arago. 52 Sant Jacme, membre·us del baro 5 que denant vos jai pelegris! 1 Ludwig VII. von Frankreich erbte die Besitzungen des Herzogs von Aquitanien und des Grafen von Poitiers, weil er mit Eleonore, der Tochter (li creis ‚die Nachkommenschaft’) von Wilhelm X./ VIII. verheiratet war. 2 honors heißt in der rechtlichen Bedeutung ‚das Lehen’. 3 Das Limousin und Angoulême standen in ständiger Rebellion gegen Wilhelm. 4 Der Adressat dieses planh ist Ebles II. von Ventadorn, der ebenfalls als Troubadour bekannt ist. Von diesem sind allerdings keine Lieder überliefert. 5 Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf die Tatsache, dass Wilhelm während einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela am 9. April 1137 verstorben war. Lo plaing comenz iradamen 61 (VII) Es klagen die Normannen und die Franzosen, und es muss ihn auch der König beklagen, dem er sein Land und seine Nachkommenschaft hinterließ; denn ein so großes Lehen hat er ihm geschaffen, 40 dass es ihm übel anstehen würde, wenn er sich nicht zeigen würde als Ritter gegen die Sarrazenen. (VIII) Es freuen sich aber, wenn es einem auch leid tut, die vom Limousin und von Angoulême; 44 wenn er gelebt hätte und wenn es Gott gefallen hätte, hätte er sie in kurzer Zeit erobert; sie sind diesem Schicksal entkommen, denn Gott nahm ihn zu sich, und der Schmerz hat seinen Einzug im Aunis gehalten. 48 (IX) Der Trauergesang hat einen guten Grund, der von Cercamon an Herrn Ebles geschickt wird. Ah, wie beweinen ihn die Gaskogner, die aus Spanien und die aus Aragón! 52 Heiliger Jakob, erinnere dich des Barons, der vor dir liegt als Pilger. (VII) Que les Normands et les Français le plaignent! Et il doit aussi se lamenter, le roi auquel il laissa sa terre et son rejeton. Puisque son domaine s’accroît si grandement, il sera à blâmer s’il ne se montre à cheval [armé] contre les Sarrasins. (VIII) Ils en ont joie, quels que soient les affligés, ceux du Limousin et de l’Angoumois. S’il eût vécu, et que cela eût plu à Dieu, il les aurait promptement conquis. Ils en sont délivrés, puisque Dieu l’a pris, et le deuil est entré en Aunis. (IX) Elle est composée sur un noble sujet, la complainte que Cercamon envoie au seigneur Eble. Ah! comme le regrettent les Gascons et ceux d’Espagne et ceux d’Aragon! Saint Jacques, souvenez-vous du baron qui, pèlerin, gît devant vous. 62 Jaufré Rudel 2.2 Jaufré Rudel (...1125-1148...) Die relativ lange vida des Troubadours Jaufré Rudel liefert uns eine sehr schöne romanhafte Geschichte, die im Zeitalter der Romantik Ludwig Uhland (Rudello in der Sängerliebe), Heinrich Heine (Romanzero, Historien) und Giosuè Carducci (Jaufré Rudel in den Rime e ritmi) inspiriert hat und sogar den Stoff zu Edmond Rostands Drama La Princesse lointaine bot. Freilich ist diese romantische Liebesgeschichte aus den Gedichten des Troubadours herausgelesen und mit viel Phantasie ausgeschmückt, so dass man sie für echte Angaben zum Leben nicht benutzen kann. Aus zeitgenössischen Quellen wissen wir nur wenig: Jaufré Rudel war prince von Blaye an der Garonne-Mündung (gegenüber von Bordeaux); im Jahre 1125 hat er als Gaufredus Rudelli zusammen mit seinem Bruder und seinem Vater Geraldus de Blavia eine Schenkungsurkunde für das Kloster Fontdouce unterzeichnet; sein Großvater Willelmus Freelandi taucht 1090 als Blaviensium princeps auf. Jaufré Rudel wird als Teilnehmer des zweiten Kreuzzuges erwähnt, den sein Cousin Wilhelm IV. von Angoulême 1147 organisierte und an dem auch Alfons Jordan, Graf von Toulouse, der in Non sap chantar (Vers 36) erwähnt ist, und Hugo VII. von Lusignan, der in Quan lo rius de la fontana (Vers 32) vorkommt, teilnahmen. Marcabru richtete in der zweiten Hälfte des Jahres 1148 sein Lied Cortesamen vuoill comensar an Jaufré Rudel, outra mar. Danach verlieren sich alle Spuren: Vielleicht fiel der Sänger 1149 bei der Belagerung von Damaskus, aber Belege dafür gibt es nicht. Im Jahre 1164, als sein Sohn Gerart eine Pilgerfahrt nach Jerusalem antrat, war er jedenfalls schon tot. Jaufré Rudel ist ein Vertreter des trobar leu, also des leichten und unverschlüsselten Dichtens (ab paubres motz, heißt es in der vida). Zu Recht gilt er als der Erfinder des amor de lonh, der Fernliebe also, die in der Literatur- und Opernliteratur („Dies Bildnis ist bezaubernd schön” in Mozarts Zauberflöte) eine immense Ausstrahlung gehabt hat. Es gibt eine große Zahl von wissenschaftlichen Werken, die die ferne Frau mit einer zeitgenössischen Persönlichkeit in Verbindung bringen wollten oder sie gar mit der Muttergottes zu identifizieren wagten. Jedoch tut man gut daran, die poetische Fiktion keiner realistischen Deutung zu unterwerfen. Denn die Troubadourlyrik hat die höfische Liebe, also ein Idealbild der Liebe, zum Inhalt, und ihr höchster Ausdruck ist zweifellos die Unerreichbarkeit. Zu Recht betont Giorgio Chiarini (1985, 36): „Una formulazione massimalistica dell’amore assoluto è a mio avviso l’amor de lonh: amore, propriamente, caratterizzato dalla lontananza, che vive e ha valore per (e nella) lontananza. Da intendere, questa, spitzerianamente, come distanza fisica soltanto per metafora della irraggiungibilità dell’amata.” Jaufré Rudel 63 Unter dem Namen Jaufré Rudel sind sieben Gedichte überliefert, von denen wohl eines unecht ist. Strophenstruktur: No sap chantar qui so non di: sechs coblas unissonans (jeweils sechs Verse mit der Reimstruktur a - b - b - a - a - b) und eine tornada (mit zwei Versen a - b). Quan lo rius de la fontana: fünf coblas doblas (jeweils sieben Verse mit der Reimstruktur a - b - c - d - a - c - d). Lanqand li jorn son lonc en mai: sieben coblas unissonans (jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - b - a- b - c - c - d) und eine tornada (mit drei Versen c - c - d). Literatur: Chiarini, Giorgio: Il canzoniere di Jaufre Rudel. Edizione critica, con introduzione, note e glossario, L’Aquila / Roma (Sapadre) 1985. Jeanroy, Alfred: Les chansons de Jaufré Rudel, Paris (Champion) 1924. Lefrèvre, Yves: „L’amors de terra lonhdana dans les chansons de Jaufré Rudel”, in: Mélanges offerts à Rita Lejeune, Band 1, Gembloux (Duculot) 1969, 185-196. Spitzer, Leo: „L’amour lointain de Jaufré Rudel et le sens de la poésie des troubadours”, in: Spitzer, Leo: Romanische Literaturstudien, Tübingen (Niemeyer) 1959, 363-417. 64 Jaufré Rudel Jaufré Rudel mit der Gräfin von Tripoli (...1125-1148...) Musikalische Notierung von Lanqand li jorn son lonc en mai Vida 65 2.2.1 VIDA Jaufres Rudels de Blaia si fo mout gentils hom, princes de Blaia. Et enamoret se de la comtessa de Tripol 1 , ses vezer, per lo ben qu’el n’auzi dire als pelerins que venguen d’Antiocha. E fez de leis mains vers ab bons sons, ab paubres motz 2 . E per voluntat de leis vezer, el se croset e se mes en mar, e pres lo malautia en la nau, e fo condug a Tripol, en un alberc, per mort. E fo fait saber a la comtessa et ella venc ad el, al son leit, e pres lo aentre sos bratz. E saup qu’ella era la comtessa, e mantenemt recobret l’auzir e·l flairar, e lauzet Dieu, que l’avia la vida sostenguda tro qu’el l’agues vista. Et enaissi el mori entre sos braz. Et ella lo fez a gran honor sepellir en la maison del Temple; e pois, en aquel dia, ella se rendet morga, per la dolor qu’ella nac de la mort de lui. 1 Gemeint ist Tripoli im heutigen Libanon, das seit 1109 eine Kreuzrittergrafschaft mit beeindruckenden Befestigungsanlagen war und als Durchgangsstation nach Antiochien diente. 2 Gemeint ist hier das trobar leu im Gegensatz zum trobar ric, das durch lexikalische Ausschmückungen gekennzeichnet ist. LEBEN Jaufré Rudel war ein sehr edler Herr, Fürst von Blaye. Er verliebte sich in die Gräfin von Tripoli, ohne sie zu sehen, wegen des Guten, das er von ihr seitens der Pilger, die von Antiochien kamen, reden hörte. Er machte über sie viele Verse mit guten Melodien und mit schlichten Worten. Aus dem Wunsch heraus, sie zu sehen, nahm er das Kreuz und stach in See; auf dem Schiff befiel ihn eine Krankheit, und er wurde nach Tripoli gebracht, in eine Herberge, wie ein Toter. Das wurde der Gräfin bekannt gemacht, und sie kam zu ihm, zu seinem Bett, und nahm ihn in die Arme. Er wusste, dass sie die Gräfin war, er gewann das Hören und das Atmen zurück und lobte Gott, der ihm das Leben bewahrt hatte, bis er sie gesehen hatte. Und so starb er in ihren Armen. Sie ließ ihn mit großen Ehren bestatten im Tempelhaus, und dann, noch am selben Tage, wurde sie zur Nonne wegen des Schmerzes, den sie über seinen Tod empfand. 66 Jaufré Rudel 2.2.2 No sap chantar qui so non di (I) No sap chantar qui so non di, 1 ni vers trobar qui motz no fa, 2 ni conois de rima co·s va 3 si razo non enten en si. 4 4 Mas lo mieus chans comens’aissi, 5 com pluz l’auziretz, mais valra, a, a. (II) Nuils hom no·s meravill de mi 6 s’ieu am so que ja no·m veira, 8 que·l cor joi d’autr’amor non ha mas de cela qu’ieu anc no vi, ni per nuill joi aitan no ri, e no sai quals bes m’en venra, a, a. 12 (III) Colps de joi me fer, que m’ausi, et ponha d’amor que m sostra la carn, don lo cors magrira; et anc mais tan greu no m feri, 16 ni per nuill colp tan no langui, quar no cove ni no s’esca, a, a. 1 Die erste Strophe stellt eine Art Poetik dar, auf die in der letzten Strophe und in der tornada wieder zurückgegriffen wird. so, wörtlich der ‚Ton’, meint hier die Melodie. 2 vers ist das Gedicht in Bezug auf seinen Inhalt, mot ist das Textwort. 3 rima meint die poetisch-musikalische Grundstruktur. 4 razo ist die Gelegenheit, die Anlass zum Dichten gibt. 5 Der Dichter leitet zur praktischen Anwendung der Theorie über. 6 Das Neutrum so steht für die unerreichbare Frau. No sap chantar qui so non di 67 Keiner kann singen, der keine Melodie erfindet (I) Keiner kann singen, der keine Melodie erfindet, und keiner kann Verse machen, der keine Wörter zu fügen weiß, und niemand kennt etwas von einem Reim, wenn er bei sich den Sinn nicht versteht. 4 Aber mein Lied fängt so an; wenn ihr es weiter hören werdet, wird es mehr gelten. (II) Niemand soll sich über mich wundern, wenn ich das liebe, was mich niemals sehen wird, 8 denn das Herz hat keine Freude an anderer Liebe als an einer zu der, die ich noch niemals sah, und wegen keiner anderen Freude lacht es, und ich weiß nicht, welches Gut mir von dort zukommen wird. 12 (III) Ein Schlag des Glücks trifft mich, der mich umbringt, und eine Liebespein, die mir das Fleisch verzehrt, worüber der Körper abmagern wird; und noch nie war ich so schwer verwundet 16 und durch keinen Schlag habe ich so gelitten, denn das gebührt sich nicht und paßt auch nicht. Il ne sait pas chanter, celui qui n’exécute pas de melodie 1 (I) Il ne sait pas chanter, celui qui n’exécute pas de melodie, ni trouver de «vers», celui qui ne fait pas de couplets, et il ne sait ce que c’est qu’une poésie s’il n’en comprend pas le sens en lui-même. Ainsi commence mon chant: plus vous l’entendrez, plus il vous plaira, a, a. (II) Que nul ne s’étonne à mon sujet si j’aime ce qui jamais ne me verra, car mon cœur n’a joie d’aucun amour, sinon de celui que jamais je ne vis; aucune autre joie ne le réjouit autant, et je ne sais quel bien m’en viendra, a, a. (III) Un coup de joie me frappe, qui me tue, et piqûre d’amour qui dessèche ma chair et fait maigrir mon corps; jamais nul autre ne me frappa si rudement; jamais pour nul autre coup je ne languis de la sorte, car cela ne convient ni ne peut se produire, a, a. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1924, 16-18). 68 Jaufré Rudel (IV) Anc tan suau no m’adurmi mos esperitz tost no fos la, 1 20 ni tan d’ira non ac de sa mos cors ades no fos aqui; e quan mi resveill al mati totz mos bos sabers mi desva, a, a. 24 (V) Ben sai c’anc de lei no·m jauzi, ni ja de mi no·s jauzira, ni per son amic no·m tenra ni coven no·m faura de si, 2 28 anc no·m dis ver ni no·m menti, e no sai si ja s’o fara, a, a. (VI) Bos es lo vers, qu’anc no·i falhi, 3 e tot so que·i es ben esta; 32 e sel que de mi l’apenra 4 gart se no·l franha ni·l pessi; car si l’auran en Caersi En Bertrans e·l coms en Tolza, a, a. 5 36 (VII) Bos es lo vers, e faran hi calque re don hom chantara, a, a. 1 la ist der ideale Ort der Liebe, zu dem sich der Dichter richtet; sa ist der Alltag in aller Traurigkeit. Zugleich wird die Sphäre des esperitz angesprochen und im Gegensatz zum cors (Vers 22) gesetzt. 2 Hier wird der Inhalt der Fernliebe ausgeführt: Jede körperliche Komponente ist ausgeschaltet, um die spirituelle Liebe umso klarer erstrahlen zu lassen. 3 Das Postulat der Anfangsstrophe ist eingelöst, denn das vers trobar ist mit ben es lo vers erfüllt. 4 Deutliche Anspielung darauf, dass joglars den vers des trobador singen werden. 5 Das gut gelungene Gedicht (bos es lo vers) wird, wenn die Sänger es nicht entstellen, vor den Herren in Quercy und Toulouse vorgetragen werden. Herr Betrans ist der illegitime Sohn von Alfons Jordan, dem Grafen von Toulouse. Alfons Jordan nahm wie Jaufré Rudel am zweiten Kreuzzug teil. No sap chantar qui so non di 69 (IV) Ich habe noch nie so sanft geschlafen, dass mein Geist nicht sogleich bei ihr war, 20 und ich habe noch nie solche Traurigkeit hier erlitten, dass ich persönlich nicht dort gewesen wäre; und wenn ich am Morgen aufwache, weicht mein ganzes gutes Wissen von mir. 24 (V) Ich weiß wohl, dass ich niemals Genuss an ihr hatte und dass sie niemals Genuss an mir haben wird, dass sie mich niemals als ihren Freund haben wird und dass sie mir keine Versprechung über sich machen wird. 28 Sie hat mir nie die Wahrheit gesagt und mich nie belogen, und ich weiß nicht, ob sie es je machen wird. (VI) Der Vers ist gut, weil ich noch keinen Fehler gemacht habe und alles das, was dort steht, gut ist; 32 und der, der es von mir lernen wird, möge sich hüten, es zu zerbrechen und zu zerstückeln; so nämlich halten das in Quercy Herr Bertrans und der Graf in Toulouse. 36 (VII) Gut ist der Vers, und daraus machen sie etwas, das man singen wird. (IV) Jamais je ne m’endormis si doucement que mon esprit ne fût vite làbas, ni jamais je n’éprouvai ici tant de tristesse que mon cœur aussitôt n’y fût; et quand je me réveille, au matin, toute cette douceur m’échappe, a, a. (V) Je sais bien que jamais d’elle je n’ai joui, que jamais de moi elle ne jouira, ni ne me tiendra pour son ami, ni ne me fera, à son propre sujet, aucune promesse; jamais elle ne me dit ni vérité ni mensonge, et je ne sais si jamais elle le fera, a, a. (VI) Bon est ce «vers», car jamais je n’échouai [dans cet art]; tout ce qui s’y trouve y est à sa place; que celui qui de moi l’apprendra se garde bien de le briser et de le mettre en pièces; tel l’auront en Quercy sire Bertrand et le comte dans le pays de Toulouse, a, a. (VII) Bon est ce «vers», et ils y feront [là-bas où ils sont] quelque chose dont on chantera, a, a. 70 Jaufré Rudel 2.2.3 Quan lo rius de la fontana (I) Quan lo rius de la fontana s’esclarzis, si cum far sol, e par la flors aiglentina e·l rossinholetz el ram 4 volf e refranh ez aplana 1 son dous chantar et afina, 2 dreitz es qu’ieu lo mieu refranha. 3 (II) Amors de terra lonhdana, 8 per vos totz lo cors mi dol; 4 e no·n puesc trobar mezina si non au vostre reclam ab atraich d’amor doussana 12 dinz vergier o sotz cortina ab dezirada companha. 5 1 volver ist hier im Sinne der antiken Rhetorik verwendet. Bei Cicero wird volvere im Sinne von ‚Worte hintereinander hervorbringen, Worte gleichmäßig von den Lippen rollen lassen’ (vgl. oratio volubilis ‚schnell dahinrollende Redeweise’) verwendet: Cic. Brut. 246: celeriter sane verba volvens. Aus der gregorianischen Musiklehre stammen refranher und aplanar: Der erste Terminus bezeichnet den cantus fractus ‚rhythmisch differenzierter Gesang’, der zweiten den cantus planus ‚einstimmiger Choral in rhythmisch nicht differenzierten Notenwerten’ (vgl. Lexikon für Theologie und Kirche 2, Freiburg (Herder) 1994, 929f.). 2 afinar heißt wörtlich ‚verfeinern’; hier ist die Erreichung von fi(n) ‚vollendet’ gemeint. 3 Das Naturbild steht hier parallelistisch für die Tätigkeit des Sängers und nicht, wie sonst üblich, für die Liebe. 4 Man muss cors < lat. corpus ‚Körper’ und cor < lat. cor ‚Herz’ auseinanderhalten. Hier ist gemeint, dass das ganze diesseitige Wesen des Dichters Schmerz empfinden. Die sinnlichen Anspielungen der nächsten Verse stützen diese Interpretation. 5 In der zweiten Strophe werden beide Liebeskonzeptionen angesprochen, die der Fernliebe und die der Realisierung der Liebe in einem Garten (im Freien) oder unter einem (Bett-)Vorhang (im Haus). Quan lo rius de la fontana 71 Wenn der Bach, der von der Quelle kommt (I) Wenn der Bach, der von der Quelle kommt, klarer wird, so wie er es zu tun pflegt, und wenn die Heckenrosenblüte erscheint, und wenn die Nachtigall im Zweigwerk 4 ihren süßen Gesang vorträgt, variiert, moduliert und vervollkommnet, dann ist es recht, dass auch ich meinen Gesang variiere. (II) Liebe aus dem fernen Land, 8 euretwegen schmerzt mich mein ganzes Wesen und ich kann kein Heilmittel finden, wenn ich nicht auf euren Ruf höre, mit der Lockung der süßen Liebe 12 in einem Garten oder unter einem Vorhang mit der ersehnten Begleiterin. Quand l’eau de la source court 1 (I) Quand l’eau de la source court plus claire, comme cela arrive [au printemps], et que paraît la fleur de l’églantier, et que le rossignol, sur la branche, répète, module, adoucit et embellit sa douce chanson, il est bien juste que je module la mienne. (II) Amour de terre lointaine, pour vous tout mon cœur est dolent; je n’y puis trouver de remède si je n’écoute votre appel, par attrait de douce amour, en verger ou sous tentures, avec une compagne désirée. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1924, 3-5). 72 Jaufré Rudel (III) Pus totz jorns m’en falh aizina, 1 no·m meravilh s’ieu n’aflam. 16 Quar anc genser Crestiana non fo, ni Dieus non la vol, Juzeva ni Sarrazina; 2 ben es selh pagutz de mana, 3 20 qui ren de s’amor guazanha! (IV) De dezir mos cors no fina vas selha ren qu’ieu pus am; e cre que volers m’enguana 4 24 si cobezeza la·m tol 5 ; que pus es ponhens qu’espina la dolors que ab joi sana 6 ; don ja non vuelh qu’om m’en planha 7 . 28 1 aizina ist der ‚Ort für die Intimität der Liebe’, der mit dinz vergier o sotz cortina (Vers 13) bereits umschrieben war. 2 Die drei Religionsgruppen des Mittelalters - Christen, Juden, Mohammedaner - sind genannt, um die absolute Negation zu illustrieren: Nie gab es einen edleren Menschen. 3 Anspielung auf Exodus 16, 15: iste est panis quem dedit Dominus vobis ad vescendum. Das Partizip Perfekt pagutz, abgeleitet vom Verb paisser ‚nähren, speisen’, ist eine genaue Übersetzung von lat. vesci. Die Fernliebe wird also mit göttlicher Speise gleichgesetzt. 4 Der Wille zielt auf das Erreichen seines Objektes im Diesseits oder im Jenseits; voler ist positiv gewendet, wenn er vom positiven Teil des Menschen gelenkt wird, negativ, wenn niedere Begierden ihn bestimmen. 5 cobezeza < lat. (con)cupiscentia ist eine negative Eigenschaft, die auf Erfüllung ihres Strebens in der Realität gerichtet ist. 6 Der Schmerz wird verursacht durch das Sehnen. Die Erfüllung der Liebe, also der joi, würde das Sehnen beenden. 7 Der Dichter möchte nicht, dass die Spannung seines Lebens, die durch das Sehnen nach der Fernliebe konstituiert wird, zu Ende gehe: „non vuole che si pianga sul suo caso perché la realizzazione del desiderio interromperebbe la tensione emotiva essenziale per la sua vita” (Chiarini, 1985, 81). Quan lo rius de la fontana 73 (III) Weil alle Tage mir die Gelegenheit dazu fehlt wundere ich mich nicht, dass ich mich verzehre, 16 denn eine edlere Christin gab es nie - und Gott will das auch nicht - und auch keine Jüdin und keine Sarrazenin; derjenige ist wahrlich gespeist mit Manna, 20 der etwas von ihrer Liebe gewinnen kann. (IV) Zu verlangen hört mein Wesen nicht auf nach der Sache, die ich am meisten liebe; und ich glaube, dass mein Wollen mich betrügt, 24 wenn Begierde sie mir wegnimmt; denn es sticht heftiger als ein Dorn der Schmerz, den man durch Freude heilt; aber ich will nicht, dass man mich deswegen bedauert. 28 (III) Puisque toujours le pouvoir m’en est refusé, je ne m’étonne point si je m’en consume, car jamais il ne fut - car Dieu ne le veut pas - plus gente chrétienne, juive ou sarrasine; celui-là est vraiment repu de manne qui gagne un peu de son amour. (IV) Mon cœur ne cesse d’aspirer vers cet objet que j’aime entre tous, et je crois que mon vouloir m’abuse si convoitise me l’enlève; car elle est plus poignante qu’épine, la douleur qui guérit par joie [d’amour]; et voilà pourquoi je ne veux pas qu’on m’en plaigne. 74 Jaufré Rudel (V) Senes breu de parguamina 1 tramet lo vers, que chantam en plana lengua romana, a·N Hugo Bru per Filhol; 2 32 bo·m sap, quar gens Peitavina de Berri e de Guiana s’esgau per lui e Bretanha. 3 1 Anspielung auf das mittelalterliche Nachrichtenwesen: breu de pergamina war ein versiegeltes Schriftstück. Hier geht es aber um eine mündliche, den joglars anvertraute Fassung, die nicht in der Sprache schriftlicher Dokumente, also in Latein, verfasst ist, sondern in ‚einfacher romanischer Sprache’, also im trobar leu ohne die Künstlichkeiten des ornatus difficilis. 2 Gemeint ist Hugo VII. von Lusignan mit dem Beinamen lo Bruns, der wie Jaufré Rudel am zweiten Kreuzzug teilnahm. Filhol ist der Künstlername eines juglar. 3 Die Bewohner der unter der Dynastie der Lusignans stehenden Länder sind zufrieden (s’esgau) mit ihrem Landesherrn. Quan lo rius de la fontana 75 (V) Ohne Pergamentbrief schicke ich den Vers, den wir singen, in einfacher romanischer Sprache an Herrn Hugo Bru durch Filhol; 32 es gefällt mir gut, dass die Leute von Poitou, von Berry und von Guyenne sich wegen ihm freuen, und die der Bretagne auch. (V) Sans bref de parchemin, j’envoie ce vers, que nous chantons en simple langue romane, à Uc le Brun, par Filhol; il m’est doux de voir que la gent poitevine et ceux de Berry et de Guyenne se réjouissent à cause de lui, de même que la Bretagne. 76 Jaufré Rudel 2.2.4 Lanqand li jorn son lonc en mai (I) Lanqand li jorn son lonc en mai 1 m’es bels douz chans d’auzels de loing, 2 e qand me sui partitz de lai remembra·m d’un’amor de loing: 4 vauc de talan embroncs e clis, si que chans ni flors d’albespis no·m platz plus que l’inverns gelatz. 3 (II) Ja mais d’amor no·m gauzirai 4 8 si no·m gau d’est’amor de loing: que gensor ni meillor non sai vas nuilla part, ni pres ni loing. Tant es sos pretz verais e fis 12 que lai el renc dels sarrazis fos eu per lieis chaitius clamatz! 5 (III) Iratz e gauzens m’en partrai, 6 qan veirai cest’amor de loing; 16 mas non sai coras la·m veirai, car trop son nostras terras loing: 7 assatz i a portz e camis, e per aisso non sui devis... 20 Mas tot sia cum a Dieu platz! 1 Vor der Gregorianischen Kalenderreform (1582) fielen die längsten Tage des Jahres in den Mai. Die Formulierung von den langen Tagen im Mai findet sich häufig in der Troubadourdichtung. 2 Der zweite und der vierte Vers jeder Strophe gehen auf loing aus und entsprechen damit dem Kunstgriff des Wiederholungswortes, des mot refranh. 3 Während in der Regel ein Parallelismus zwischen dem Zustand der Seele und dem der Natur vorliegt, handelt es sich hier um ein Aprosdoketon (altgriech. ‚das Unerwartete’), das in dem Kontrast besteht, dass die Natur blüht und im Frühling ist, wohingegen sich die Seele des Sängers im tiefsten Winter befindet. 4 Die Reihenfolge der Strophen folgt der Handschriftengruppe, die als Alpha bezeichnet wird. Die älteren Ausgaben, darunter Jeanroy, folgten der Handschriftengruppe Beta, die die Gruppierung I-V-IV-III--II-VI-VII-VIII bietet. 5 Im Provenzalischen ist amor Femininum. Es bleibt also offen, ob die sarrazenische Gefangenschaft wegen der Fernliebe oder der sie auslösenden Dame anzutreten wäre. 6 Das Oxymoron iratz e gauzens drückt den Status dessen aus, dessen Liebe keine Aussicht auf Umsetzung in die Realität hat, und bildet zugleich ein Echo auf pres loing in Vers 25 und auf loindas vezis in Vers 27. 7 Dieser Entfernung liegt die Kreuzzugserfahrung zugrunde. Lanqand li jorn son lonc en mai 77 Wenn die Tage lang sind im Mai (I) Wenn die Tage lang sind im Mai, klingt mir sehr süß der Gesang der Vögel von fern, und wenn ich mich von dort gelöst habe, erinnere ich mich an eine Liebe von fern. 4 Ich gehe, von Verlangen bekümmert und gebeugt, so dass der Gesang und die Blüten des Weißdorn mir nicht mehr gefallen als der eisige Winter. (II) Niemals werde ich die Liebe genießen, 8 wenn ich keinen Genuss habe an dieser Liebe von fern, denn eine edlere und bessere kenne ich nicht an irgendeinem Ort, weder nah noch fern. So wahr und so hervorragend ist ihr Ruhm, 12 dass ich dort ins Reich der Sarrazenen ihretwegen als Gefangener gehen würde. (III) Bekümmert und freudig würde ich davongehen, wenn ich sehen könnte diese Liebe von fern, 16 aber ich weiß nicht, wann ich sie sehen werde, denn unsere Länder sind einander sehr fern. Es gibt ja so viele Häfen und Straßen! Deswegen kann ich keine Voraussagen machen... 20 Aber alles soll so sein, wie es Gott gefällt! Quand les jours sont longs, en mai 1 (I) Quand les jours sont longs, en mai, il me plaît, le chant des oiseaux, lointain; et quand je suis parti de là (j’ai cessé de l’écouter), il me souvient d’un amour lointain: je vais alors pensif, morne, tête baissée, et alors ni chant [d’oiseaux], ni fleur d’aubépine ne me plaisent plus que l’hiver glacé. (II) Jamais d’amour je ne jouirai si je ne jouis de cet amour lointain, car femme plus gracieuse ni meilleure je ne connais, ni près ni loin. Sa valeur est si pure et si parfaite que je voudrais, pour elle, être appelé captif là-bas, au pays des Sarrasins. (III) Triste et joyeux je me séparerai d’elle, si jamais je le vois, cet amour lointain; mais je ne sais quand je le verrai, car nos pays sont trop lointains: il y a, d’ici là, beaucoup de passages et de routes, et, pour cela, je n’ose rien prédire à ce sujet... Qu’il en soit donc de tout cela comme il plaira à Dieu! 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Alfred Jeanroy (1924, 12-15). 78 Jaufré Rudel (IV) Be·m parra jois qan li qerrai, per amor Dieu, l’amor de loing: 1 e, s’a lieis plai, albergarai 24 pres de lieis, si be·m sui de loing. Adoncs parra·l parlamens fis qand drutz loindas er tan vezis c’ab bels digz jauzirai. 28 (V) Ben tenc lo Seignor per verai per q’ieu veirai l’amor de loing; mas per un ben que m’en eschai n’ai dos mals, car tan m’es de loing. 32 Ai! car me fos lai peleris, si que mos fustz e mos tapis 2 fos pelz sieus bels huoills remiratz! (VI) Dieus, qe fetz tot qant ve ni vai 36 e fermet cest’amor de loing, me don poder, qe l cor eu n’ai, q’enbreu veia l’amor de loing, veraiamen, en locs aizis, 40 si qe la cambra e·l jardis mi resembles totz temps palatz! 1 Die meisten Handschriften haben l’alberc de loing, das auf den folgenden Vers verweist. Da aber immer amor de loing im zweiten Vers steht, ist die von zwei Handschriften gelieferte Lesung l’amor de loing vorzuziehen. 2 Stab und Umhang sind das Kennzeichen der Pilger. Lanqand li jorn son lonc en mai 79 (IV) Für mich wird die Freude sichtbar werden, wenn ich sie aufsuchen [werde, bei der Liebe Gottes, die Liebe von fern; und, wenn es ihr gefällt, werde ich Wohnung nehmen 24 in ihrer Nähe, obwohl ich jetzt so weit entfernt bin! Dann wird die Unterhaltung vollendet sein, wenn ich, der ferne Freund, ihr so nahe sein werde, dass ich mit guten Worten das Gespräch genießen kann. 28 (V) Wohl halte ich den Herrn für wahrhaft, dass ich einmal sehen werde die Liebe von fern; aber für ein Gut, das mir zufällt, erhalte ich zwei Übel, denn sie ist so fern! 32 Ach, wäre ich dort Pilger, so dass mein Pilgerstab und mein Umhang von ihren schönen Augen betrachtet würden! (VI) Gott, der du alles schufst, was geht und kommt, 36 und der du auch bildetest diese Liebe von fern, gib mir Kraft, denn ich habe keinen Mut dazu, dass ich erblicken kann diese Liebe von fern, wahrhaftig, an einem angemessenen Ort, 40 so dass das Zimmer und der Garten mir alle Zeit als ein Palast erscheint! (IV) Quelle joie m’apparaîtra quand je lui demanderai, pour l’amour de Dieu, d’héberger l’hôte lointain: et s’il lui plaît, je serai hébergé près d’elle, quelque éloigné que j’en sois maintenant; ah, les charmants entretiens, quand l’amant lointain sera si voisin qu’il jouira des doux et beaux propos! (V) Je le tiens, certes, pour véridique le Seigneur par lequel je verrai l’amour lointain; mais pour un bien qui m’en échoit, j’en ressens deux maux, car il m’est trop lointain. Ah! fusse-je pèlerin, là-bas, de sorte que mon bourdon et mon esclavine fussent contemplés de ses beaux yeux! (VI) Que Dieu, qui a créé tout ce qui va et vient et qui a formé cet amour lointain, me donne le pouvoir - car j’en ai la volonté - de voir cet amour lointain, en vérité (de mes yeux), en de telles demeures que la chambre et le jardin me semblent toujours un palais. 80 Jaufré Rudel (VII) Ver ditz qui m’apella lechai ni desiran d’amor de loing, 44 car nuills autre jois tant no·m plai cum jauzimens d’amor de loing. Mas so qu’eu vuoill m’es tant ahis, q’enaissi·m fadet mos pairis 1 48 q’ieu ames e non fos amatz. 2 (VIII) Mas so q’ieu vuoill m’es tant. Totz sia mauditz lo pairis qe·m fadet q’ieu non fos amatz! 3 52 1 Anspielung auf den Volksglauben, dass der Taufpate ein Los wirft, das über das Schicksal des Täuflings bestimmt. 2 Was hier klingt, wie ein individuelles Fehlverhalten der Dame, die ihn nicht liebt und ihm keine Rückmeldung gibt, ist integrativer Bestandteil des Konzeptes der amor de lonh (hier stets in der Schreibung loing): Während die Dame in der Minne nach einem bestimmten Verhaltenskodex aktiv ist, indem sie dem Troubadour Zeichen der Bestätigung (Bewegung der Hand / Augenbrauen, gewisse Darreichungen wie eine Rose / Ring etc.) aussendet, dass sein Minnedienst willkommen ist, besteht die Tragik der amor de lonh in der vollkommenen Passivität der Dame, die nichts von der Verehrung weiß und deshalb auch nicht reagieren kann. 3 Die tornada wird hier aus der vorletzten Strophe wieder aufgenommen. Lanqand li jorn son lonc en mai 81 (VII) Der hat wahr gesprochen, der mich lüstern und begierig nannte nach der Liebe von fern, 44 denn keine andere Freude gefällt mir so sehr wie der Genuss der Liebe von fern. Aber das, was ich will, ist mir verwehrt, denn das Schicksal hat mir mein Pate zugewiesen, 48 dass ich liebe und nicht geliebt werde. (VIII) Aber das, was ich will, ist mir verwehrt. Völlig verflucht sei der Pate, der mir das Schicksal zuwies, nicht geliebt zu werden. 52 (VII) Il dit vrai, celui qui m’appelle avide et désireux d’amour lointain; car nulle joie ne me plaît autant que la possession de cet amour lointain. Mais à mes vœux il est fait obstacle, car mon parrain m’a voué ce sort que j’aimasse et ne fusse pas aimé. (VIII) Mais à mes vœux il est fait obstacle. Ah, maudit soit le parrain qui m’a voué cet sort que j’aimasse et ne fusse pas aimé! 82 Marcabru 2.3 Marcabru (...1130-1149...) Wenn die beiden vidas zu Marcabru auch eigentlich nichts bieten, was nicht aus seinen Liedern herausgelesen wäre, so ist doch eine Bemerkung richtig: Marcabru gehörte der ersten Generation der Troubadours an, Trobaire fo dels premiers c’om se recort. Für einige Genera der Dichtung ist er der erste greifbare Vertreter, nämlich für die pastorela, die das Treffen und den Dialog zwischen einem Ritter und einer sozial weit inferioren Schäferin (donzela) zum Thema hat, für den sirventés, das satirisch-moralische Streitgedicht über den Niedergang der Gegenwart, für die tenson, das Streitgedicht, in dem Troubadours mit verteilten Rollen ein Problem der Liebestheorie erörtern, und für das Kreuzzugslied, das dazu aufruft, bei der Befreiung der heiligen Stätten aus mohammedanischer Hand mitzukämpfen. Wir haben 42 Gedichte von Marcabru, die alle in einer direkten, oft rauhen und missmutigen Sprache geschrieben sind und häufig Anleihen aus Sprichwörtern, aus Volksweisheiten und vor allem aus biblischen Passagen machen. Trotz der starken Anlehnung an die Volkssprache gilt Marcabru doch als der erste Vertreter des trobar clus, also des ‚dunklen Stils’, der Aussagen in konziser, ausgefeilter und oft schwer zu deutender Weise zusammenpresst. Obwohl Marcabru zu den frühesten Troubadours gehört, empfand er sich selbst bereits als Angehörigen einer Periode des Niedergangs, in der es keine wirklichen Minnedamen gab, in der die Liebe keinen Glanz mehr hatte - die fals’amor die fin’amor überdeckt - und in der die Tapferkeit zur berechnenden Feigheit geworden war. Der einzige ritterliche Ausweg aus dieser lasterhaften Welt war für Marcabru der Kreuzzug. Von Marcabrus Leben wissen wir wenig: Er ist wahrscheinlich gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 12. Jahrhunderts in der Gascogne geboren und war wahrscheinlich niederer Herkunft, was man zumindest daraus schließen kann, dass er sich für seine Abkunft nur auf seine Mutter und nicht etwa auf einen bedeutenden Vater beruft. Er wurde gefördert von Wilhelm X. von Aquitanien, dem Sohn des ersten Troubadours. Nach dessen Tod suchte er vergeblich Unterstützung beim französischen König VII. und fand schließlich in Alfons VII. von Kastilien, an dessen Hof er von 1137 bis 1145 weilte, einen neuen Unterstützer, bis er auch dort in Ungnade fiel. Nach seiner Rückkehr in die Heimat dichtete Marcabru noch Lieder, die zur Teilnahme am zweiten Kreuzzug aufrufen. Die letzten Spuren von ihm sind ins Jahr 1149 zu datieren. Dass die Nachricht der vida, er sei von den Herren von Guyana umgebracht worden, auf Wahrheit beruhe, ist wenig wahrscheinlich. Marcabru 83 Strophenstruktur: Dirai vos senes duptansa: zwölf coblas singulars (jeweils sechs Verse mit dem Reimschema a - a - a - b (mot refranh) - a - b). L’autrier jost’una sebissa: zwölf coblas doblas (jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - a - a - b (mot refranh) - a - a - b) und zwei tornadas (jeweils mit drei Versen, Reimschema: a - a - a). A la fontana del vergier: sechs coblas singulars (jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - a - a - b - c - c - d). Amics Marchabrun, car digam: 14 coblas doblas (mit je vier Versen, Reimschema: a - a - a - b; b tritt als i-Assonanz in allen Strophen auf). Literatur: Appel, Carl: „Zu Marcabru”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 43, 1923, 403-469. Déjeanne, Jean-Marie-Lucien: Les poésies complètes du troubadour Marcabru, Toulouse (Privat) 1909 [Nachdruck: New York (Johnson) 1971)]. Lewent, Kurt: „Beiträge zum Verständnis der Lieder Marcabrus”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 37, 1913, 313-451. Pirot, François: „Bibliographie commentée du troubadour Marcabru”, in: Le Moyen Âge 73, 1967, 87-126. 84 Vida I 2.3.1 VIDA I Marcabruns si fo de Gascoingna, fils d’una paubra femna que ac nom Marcabruna, si com el dis en son chantar: Marcabruns, lo filhs Na Bruna, fo engendraz en tal luna qu’el saup d’Amor cum degruna, - Escoutatz! - que anc no amet neguna ni d’autra non fo amatz. Trobaire fo dels premiers c’om se recort. De caitivetz vers e de caitivetz serventes fez, e dis mal de las femnas e d’amor. LEBEN I Marcabru war aus der Gascogne, Sohn einer armen Frau, die Marcabruna hieß, wie er in seinem Lied sagt: Marcabrun, der Sohn von Frau Bruna, wurde gezeugt unter einem solchen Mond, dass er weiß, wie die Liebe zerbröckelt, - Hört zu! - denn er hat noch nie eine Frau geliebt, und er ist auch noch von keiner geliebt worden. Er war einer der ersten Troubadours, an die man sich erinnert. Er machte traurige Verse und traurige Sirventes, und er sprach schlecht von den Frauen und von der Liebe. Vida II 85 2.3.2 VIDA II Marcabrus si fo gitatz a la porta d’un ric home, ni anc non saup hom qui·l fo ni don. E N’Aldrics del Vilar fetz lo noirir. Apres estet tant ab un trobador que avia nom Cercamon, qu’el comensset a trobar. Et adoncs el avia nom Panperdut; mas d’aqui enan ac nom Marcabrun. Et en aqel temps non appellava hom cansson, mas tot qant hom cantava eron vers. E fo mout cridatz et ausitz pel mon, e doptatz per sa lenga; car el fo tant maldizens que, a la fin, lo desfeiron li castellan de Guiana, de cui avia dich mout gran mal. LEBEN II Marcabru wurde an der Tür eines reichen Mannes ausgesetzt, und niemand wusste, wer er war und woher er kam. Und Herr Alderic von Vilar ließ ihn aufziehen. Dann war er solange mit einem Troubadour namens Cercamon zusammen, bis er zu dichten begann. Er hatte den Namen Panperdut; von da an aber trug er den Namen Marcabrun. In jener Zeit redete man nicht von Lied, sondern alles, was man sang, bezeichnete man als Vers. Er wurde sehr gerühmt und gehört in der Welt, und er wurde gefürchtet wegen seiner Zunge, denn er führte eine so böse Rede, dass ihn schließlich die Burgherren von Guyana töteten, von denen er viel Übles gesagt hatte. 86 Marcabru 2.3.3 Dirai vos senes duptansa (I) Dirai vos senes duptansa d’aquest vers la comensansa; li mot fan de ver semblansa; - Escoutatz! - 4 qui ves Proeza balansa semblansa fai de malvatz. (II) Jovens faill e fraing e brisa, et Amors es d’aital guisa 8 de totz cessals a ces prisa, 1 - Escoutatz! - chascus en pren sa devisa, ja pois no·n sera cuitatz. 12 (III) Amors vai com la belluja que coa·l fuec en la suja, art lo fust e la festuja, - Escoutatz ! - 16 e non sap vas qual part fuja cel qui del fuec es gastatz. 1 cessal ist jemand, der ‚assujetti au cens d’un héritage’ ist. ces (< lat. census) ist die ‚Grundsteuer, die der an die Scholle gebundene Bauer dem Grundherrn zu zahlen hat’ (FEW 2, 580-583). Dirai vos senes duptansa 87 Sagen werde ich euch ohne Zweifel (I) Sagen werde ich euch ohne Zweifel von diesem Vers den Anfang; die Worte haben den Anschein von Wahrheit; - Hört zu! - 4 wer im Angesicht der Tugend schwankt, erweckt den Anschein, pervers zu sein. (II) Ein Jüngling stolpert, taumelt und zerbricht, und die Liebe ist von der Art, 8 dass sie von allen, die ihr steuerpflichtig sind, den Zins eintreibt; - Hört zu! - jeder muss dabei seinen Teil übernehmen, denn später wird keiner davon befreit. 12 (III) Die Liebe verhält sich wie der Funke, der das Feuer in der Asche ausbrütet, den Holzstamm und den Strohhalm verbrennt, - Hört zu! - 16 und es weiß nicht, wohin zu fliehen ist, wer vom Feuer angesengt ist. Je vous dirai sans hésitation 1 (I) Je vous dirai sans hésitation de ce vers le commencement; les strophes ont toute l’apparence de la vérité! - Écoutez! - Celui qui hésite en face de Prouesse me fait l’effet d’un pervers. (II) Jeunesse déchoit, tombe et se brise. Amour est de telle nature qu’il prélève le cens sur tous ceux qui y sont soumis. - Écoutez! - Chacun en doit sa part, et dans la suite, n’en sera jamais plus dispensé. (III) Il en est de l’Amour de l’étincelle qui couve le feu dans la suie, puis brûle et le bois et la paille, - Écoutez! - et alors il ne sait plus où fuir, celui qui est d´évoré par le feu. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jean-Marie-Lucien Déjeanne (1909, 77- 88). Da es sich hierbei um die einzige Gesamtausgabe handelt, ist die Übersetzung auch mit wenigen Variationen in allen späteren Ausgaben nachgedruckt worden. 88 Marcabru (IV) Dirai vos d’Amor con signa: de sai guarda, de la guigna, 20 sai baiza, de lai rechigna, - Escoutatz! - plus sera dreicha que ligna quand ieu serai sos privatz. 24 (V) Amors soli’esser drecha, mas er’es torta e brecha et a coillida tal decha - Escoutatz! - 28 lai on non pot mordre, lecha plus aspramens no fai chatz. (VI) Greu sera mais Amors vera pos del mel triet la cera 32 anz sap si pelar la pera; - Escoutatz! - doussa·us er com chans de lera si sol la coa·l troncatz. 1 36 1 troncar la coa heißt ‚den Schwanz abschneiden’. Mit dieser Metapher aus der Pferdezucht wird ausgedrückt, dass man den Wildwuchs verhindert, dass man also bösen Konsequenzen aus dem Weg geht. Dirai vos senes duptansa 89 (IV) Ich werde sagen, wie die Liebe Zeichen gibt: hierhin schaut sie, dahin schielt sie, 20 hier küsst sie, dort zieht sie Grimassen - Hört zu! - sie wird steifer als ein Stock sein, wenn ich ihr Vertrauter sein werde. 24 (V) Die Liebe pflegte geradlinig zu sein, aber jetzt ist sie krumm und schartig, und hat diesen Fehler angenommen, - Hört zu! - 28 dass sie, wo sie nicht beißen kann, leckt, rauher als es je eine Katze könnte. (VI) Schwerlich wird die Liebe aufrichtig sein, nachdem sie vom Honig das Wachs schied; 32 vielmehr wusste sie für sich die Birne zu schälen; - Hört zu! - süß wird sie euch erscheinen, wie ein Lied zur Leier, aber nur, wenn ihr ihr den Schwanz abschneidet. 36 (IV) Je vous dirai quels sont les manèges d’Amour: il regarde d’un côté et fait de l’autre des signes; de ce côté il baise, de l’autre, il grimace. - Écoutez! - Il sera plus droit qu’une ligne droite quand je serai son familier. (V) Amour jadis était droit, mais aujourd’hui il est tordu et ébréché, et il a pris cette habitude, - Écoutez! - que là où il ne peut mordre, il lèche de sa langue plus âpre que celle du chat. (VI) Difficilement Amour sera désormais sincère depuis le jour où du miel il sut séparer la cire; c’est pour lui-même qu’il pèle la poire. - Écoutez! - Sa voix paraîtra douce comme le chant de la lyre si seulement vous lui coupez la queue (c’est-à-dire, si vous supprimez ses conséquences). 90 Marcabru (VII) Ab diables pren barata qui fals’Amor acoata, no·il cal c’autra verga·l bata; - Escoutatz! - 40 plus non sent que cel qui·s grata tro que s’es vius escorjatz. (VIII) Amors es mout de mal avi: mil homes a mortz ses glavi, 44 Dieus no fetz tant fort gramavi, 1 - Escoutatz! - que tot nesci del plus savi non fassa, si·l ten al latz. 48 (IX) Amors a uzatge d’ega que tot jorn vol c’om la sega, e ditz que no·l dara trega - Escoutatz! - 52 mas que puej de leg’en lega, sia dejus o disnatz. (X) Cujatz vos qu’ieu non conosca d’Amor s’es orba o losca? 56 Sos digz aplan’et entosca, - Escoutatz! - plus suau poing qu’una mosca mas plus greu n’es hom sanatz. 2 60 1 gramavi < lat. grammaticus steht für den Teufel, weil er Adam das Deklinieren des Wortes Deus beigebracht hatte. Der Teufel hatte die Klugheit Adams, seine Nähe zu Gott, in Dummheit, die Verführung durch Eva, verwandelt. 2 Der Stich von Amor ist angenehmer als der Stich einer Biene, aber viel schwerer zu heilen. Dirai vos senes duptansa 91 (VII) Mit dem Teufel geht einen Handel ein, wer die falsche Liebe ausbrütet; es ist nicht nötig, dass eine andere Rute ihn schlage; - Hört zu! - 40 er spürt das so wenig, wie der, der sich kratzt, bis er sich bei lebendigem Leibe totgescheuert hat. (VIII) Die Liebe ist ein übler Ahne: tausend Mann hat ihr Schwert umgebracht. 44 Gott hat sonst keinen so großen Zauberer geschaffen, - Hört zu! - der einen ganz Unwissenden aus einem sehr Weisen machen könnte, wenn er ihn in seinen Fängen hat. 48 (IX) Die Liebe hat die Gewohnheit einer Stute, die erwartet, dass man ihr den ganzen Tag folgt, und sagt, dass sie keine Ruhe geben wird, - Hört zu! - 52 sondern Meile für Meile weitergeht, ob man nun nüchtern oder satt ist. (X) Glaubt ihr, dass ich weiß, ob die Liebe blind oder kurzsichtig ist? 56 Ihre Äußerungen glätten und verstreuen, - Hört zu! - stechen süßer als eine Biene, aber ganz schwer wird man davon geheilt. 60 (VII) Il lie partie avec le diable, celui qui couve Fausse Amour; pas n’est besoin d’autre verge pour le battre; - Écoutez! - Il ne sent pas la douleur plus que celui qui se gratte jusqu’à ce qu’il se soit écorché tout vif. (VIII) Amour est de détestable lignée; il a tué sans glaive des milliers d’hommes. Dieu n’a pas créé de plus terrible enchanteur, - Écoutez! - plus capable de faire un fou du sage qui est tenu dans ses lacs. (IX) Amour se conduit comme la jument qui, tout le jour, veut qu’on la suive et refuse de donner très, - Écoutez! - et vous fait monter, lieue après lieue, sans s’inquiéter si vous avez le ventre creux ou plein. (X) Croyez-vous que je ne sache point si Amour est aveugle ou louche? Ses paroles sont tout miel, mais cette douceur cache le poison; - Écoutez! - sa piqûre est plus douce que celle de l’abeille, mais on en guérit plus difficilement. 92 Marcabru (XI) Qui per sen de femna reigna dreitz es que mals li·n aveigna, si cum la Letra·ns enseigna; 1 - Escoutatz! - 64 malaventura·us en veigna si tuich no vos en gardatz! (XII) Marcabrus, fills Marcabruna, fo engenratz en tal luna 68 qu’el sap d’Amor cum degruna, - Escoutatz! - quez anc non amet neguna ni d’autra non fo amatz. 2 72 1 Anspielung auf Sirach 25, 33f.: „Die Sünde kommt her von einem Weibe, und um ihretwillen müssen wir alle sterben. Wie man dem Wasser nicht Raum lassen soll, also soll man einem bösen Weibe seinen Willen nicht lassen”. 2 Diese Schlusszeilen sind geeignet, den misogynen Charakter dieses Sirventés gegen die Liebe - als eines der ersten Zeugnisse frauenfeindlicher Dichtung in den romanischen Literaturen -, zu erklären: Marcabru nimmt nicht am Frauendienst teil. Als Schlüssel für sein Gesamtwerk angesehen, findet sich diese Strophe auch in der ersten vida. Dirai vos senes duptansa 93 (XI) Wer sich nach dem Sinn einer Frau richtet, dem geschieht zu Recht ein Übel, wie die Schrift uns lehrt; - Hört zu! - 64 das Unheil möge euch ereilen, wenn ihr euch nicht alle davor hütet! (XII) Marcabru, der Sohn der Marcabruna, wurde gezeugt unter einem solchen Mond, 68 dass er weiß, wie die Liebe zerbröckelt, - Hört zu! - denn er hat noch nie eine Frau geliebt, und er ist auch von keiner geliebt worden. 72 (XI) Si vous réglez votre conduite sur la sagesse d’une femme, il est juste que mal vous vienne: c’est l’Écriture qui vous le dit: - Écoutez! - Malheur à vous si vous ne vous en gardez! (XII) Marcabru, fils de Marcabrune, fut engendré sous telle étoile qu’il sait comment Amour s’égrène; - Écoutez! - Jamais il n’aima nulle femme, ni d’aucune il ne fut aimé. 94 Marcabru 2.3.4 L’autrier jost’una sebissa (I) L’autrier jost’una sebissa trobey pastora mestissa, 1 de joy e de sen massissa; e fon filha de vilayna; 4 cap’e gonelh’e pellissa vest e camiza treslissa, sotlars e caussas de layna. (II) Ves lieys vinc per la planissa: 8 «Toza», fi·m ieu, «res faitissa, 2 dol ai del freg que vos fissa.» «Senher», so dis la vilayna, «merce Dieu e ma noyrissa, 12 pauc m’o pretz si·l vens m’erissa, qu’alegreta suy e sayna.» (III) «Toza», fi·m ieu, «cauza pia, destouz me suy de la via 16 per far a vos companhia; quar aitals toza vilayna no deu ses parelh paria pasturgar tanta bestia 20 en aital terra soldayna.» 1 mestissa, eigentlich ‚Halbblut’ (< lat. mixticius), ist in dieser pastorela wie häufig im Provenzalischen (FEW 6 [2], 194f.) für eine Person niederer sozialer Abkunft gebraucht. 2 res ‚Ding’ wird hier im Sinne von ‚Wesen, Person’ verwendet. L’autrier jost’una sebissa 95 Gestern neben einer Hecke (I) Gestern neben einer Hecke traf ich ein Mädchen niederen Standes, voll von Freude und gutem Sinn, und es war eine Bauerntochter; 4 einen Umhang, einen Rock, einen Pelz trug sie und ein gestricktes Hemd, Schuhe und Strümpfe aus Wolle. (II) Zu ihr kam ich über die Ebene: 8 «Mädchen», sagte ich, «schönes Ding, ich habe Mitleid, wie die Kälte euch quält.» «O Herr», das sagte die Bäuerin, «dank Gott und meiner Amme 12 kümmert es mich wenig, wenn der Wind mich zaust; trotzdem bin ich heiter und gesund.» (III) «Mädchen», sagte ich, «frommes Wesen, ich habe mich vom Weg entfernt, 16 um euch Gesellschaft zu leisten; denn ein solches Bauernmädchen sollte nicht ohne passenden Begleiter so viel Vieh weiden lassen 20 in so einsamer Umgebung.» L’autre jour, près d’une haie 1 (I) L’autre jour, près d’une haie, je trouvai une pastoure métisse (de moyenne condition), pleine de gaieté et de sens; elle était fille de vilaine; vêtue d’une cape, d’une gonelle et d’une pelisse, avec une chemise maillée, des souliers et des chausses de laine. (II) Vers elle je vins par la plaine: «Jouvencelle», lui dis-je, «être enchanteur, j’ai grand deuil que le froid vous pique.» - «Sire», dit la vilaine, «grâce à Dieu et à ma nourrice, peu me chaut que le vent m’échevèle, car je suis joyeuse et saine.» (III) «Jouvencelle», lui dis-je, «objet charmant, je me suis détourné du chemin pour vous tenir compagnie; car une jeune vilaine telle que vous ne doit pas, sans un compagnon assorti, paître tant de bétail dans un tel lieu, soulette.». 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jean-Marie-Lucien Déjeanne (1909, 137-143). 96 Marcabru (IV) «Don», fetz ela, «qui que·m sia, ben conosc sen o folhia. La vostra parelhairia, 24 senher», so dis la vilayna, «lay on se tanh si s’estia, que tals la cui’en bailia tener, no·n mas l’ufayna.» 28 (V) «Toza de gentil afaire, cavaliers fon vostre paire, que·us engenret en la maire, car fon corteza vilayna. 1 32 Quon plus vos guart, m’es belhayre, e per vostre joy m’esclaire, si fossetz un pauc humayna». (VI) «Don, tot mon linh e mon aire 2 36 vey revertir e retraire al vezoig et a l’araire, senher», so dis la vilayna; «mas tals se fay cavalguaire 40 c’atrestal deuria faire los seys jorns de la setmayna.» 3 1 vilayna bezieht sich auf die soziale Stellung, corteza auf das Wissen um die feine Liebe. 2 linh oder linhatge ‚Abstammung’ und aire ‚Benehmen, Auftreten, Familie’ sind der Inbegriff des auf Herkunft pochenden Standesstolzes der Ritter, während die Bäuerin stolz ist auf ihre eigene Leistung im Leben. 3 Dabei handelt es sich um eine deutliche sozialkritische Anmerkung. L’autrier jost’una sebissa 97 (IV) «Herr», sagte sie, «wer ich auch sein mag, ich erkenne doch Vernunft und Unvernunft. Eure Gesellschaft, 24 Herr», das sagte die Bäuerin, «lasse dort, wo sie hingehört, denn so jemand denkt, sie unter Kontrolle zu haben, und hat doch nicht als Anmaßung.» 28 (V) «Mädchen edlen Wesens, ein Ritter war euer Vater, der euch zeugte in der Mutter, denn sie war eine höfische Bäuerin. 32 Je mehr ich euch betrachte, desto schöner seid ihr, und durch eure Freude empfinde ich Vergnügen; wenn ihr nur ein bisschen milder wärt.» (VI) «Herr, meine Abstammung und meine Sippe 36 möchte ich herleiten und ableiten vom Spaten und vom Pflug, Herr», das sagte die Bäuerin; «aber jemand, der sich Ritter nennt, 40 könnte ebenso tätig sein sechs Tage der Woche lang.» (IV) «Sire», dit-elle, «quelles que soient mes qualités, je sais reconnaître sens et folie. Réservez votre accointance, Seigneur», dit la vilaine, «à ceux à qui elle sied; car tel croit vous posséder qui n’a de cette possession que la vaine apparence». (V) «Jeune fille de noble condition, quelque cavalier fut votre père; la mère dont il vous engendra fut une courtoise vilaine; plus je vous vois (regarde), plus vous me semblez belle, et votre gaieté m’illumine. Si seulement vous vouliez m’être un peu plus humaine? » (VI) «Sire, tout mon lignage et toute ma famille, je les vois retourner et revenir à la bêche et à la charrue, Seigneur», dit la vilaine; «mais tel se dit chevalier qui devrait faire le même métier durant six jours de la semaine». 98 Marcabru (VII) «Toza», fi·m ieu, «gentil fada vos adastret, quan fos nada, 44 d’una beutat esmerada sobre tot’autra vilayna; e seria·us ben doblada, si·m vezia una vegada 48 sobira e vos sotrayna.» 1 (VIII) «Senher, tan m’avetz lauzada, tota’n seri’envejada. Pus en pretz m’avetz levada, 52 senher», so dis la vilayna, «per so n’auretz per soudada al partir: „Bada, folh, bada! ”, 2 e la muz’a meliayna». 56 (IX) «Toza, estranh cor e salvatge adomesg’om per uzatje. Ben conosc al trespassatge qu’ab aital toza vilayna 60 pot hom far ric companhatge ab amistat de coratge, quan l’us l’autre non eniayna.» 1 Diese deutlich sexuelle Anspielung ist nur möglich, weil der Ritter und das Mädchen verschiedenen sozialen Schichten angehören. 2 badar heißt wörtlich ‚mit offenem Mund dastehen’, dann u.a. ‚vergeblich erwarten’. Das hier zugrundeliegende Sprichwort findet sich genauso bei Bernard Martì, Bel m’es lai latz la fontana, Vers 27. L’autrier jost’una sebissa 99 (VII) «Mädchen», sagte ich, «eine noble Fee hat euch beschenkt, als ihr geboren wurdet, 44 mit einer verfeinerten Schönheit, mehr als jede andere Bäuerin; und sie wäre noch verdoppelt, wenn ich mich einmal 48 oben und euch unten sehen würde.» (VIII) «Herr, ihr habt mich so gelobt, dass ich deswegen ganz beneidet werden könnte. Weil ihr meinen Wert so erhoben habt, 52 Herr», das sagte die Bäuerin, «deswegen werdet ihr als Lohn erhalten beim Weggehen: „Warte vergeblich, Narr, warte vergeblich! ”, und das vergebliche Harren bis zur Mittagsstunde». 56 (IX) «Mädchen, ein sprödes und wildes Herz zähmt man durch Gewöhnung. Ich weiß aus Erfahrung, dass man mit so einem Bauernmädchen 60 eine reiche Verbindung eingehen kann, mit einer Herzensfreundschaft, wenn der eine den anderen nicht täuscht.» (VII) «Jouvencelle», dis-je, «gentille fée vous doua, quand vous naquîtes, d’une beauté suprême sur toute autre vilaine; et vous seriez doublement belle si une fois nous pouvions nous trouver moi sur vous et vous sous moi.» (VIII) «Sire, vous m’avez tellement louée que j’en suis tout ennuyée. Puisque vous avez exalté mon mérite, Seigneur», dit la vilaine, «pour ce vous aurez pur salaire, au départ: „Baye, fou, baye”, et la perte de l’après-midi». (IX) «Jouvencelle, cœur cruel et sauvage s’apprivoise par l’usage, et je connais bien par ce court entretien que ce serait une précieuse compagnie que celle d’une jeune vilaine telle que vous, à condition que les cœurs soient unis et qu’il n’y ait de tromperie ni d’une part ni de l’autre.» 100 Marcabru (X) «Don, hom cochatz de folhatge 64 jur’e pliu e promet guatge: si·m fariatz homenatge, senher», so dis la vilayna; «mas ges per un pauc d’intratge 68 no vuelh mon dispiuzelhatge camjar per nom de putayna.» (XI) «Toza, tota creatura revertis a ssa natura. 1 72 Parelhar parelhadura devem eu e vos, vilayna, al abric lonc la pastura, que mielhs n’estaretz segura 76 per far la cauza dossayna». 2 (XII) «Don, oc; mas segon drechura serca folhs la folhatura, cortes cortez’aventura 80 e·l vilas ab la vilayna. En tal loc fai sens fraitura on hom non guarda mezura, 3 so ditz la gens ansiayna.» 4 84 1 Dabei handelt es sich um eine sehr grobe Erwiderung auf den nom de putayna. 2 cauza ist eine der Bezeichnungen für den Geschlechtsverkehr, auch mittelfrz. chose de par Dieu und als Verb choser (FEW 2, 542). 3 mezura ‚das rechte Maß’ stellt den Schlüsselbegriff dieses Gedichtes dar: Die Standesunterschiede verlangen das Einhalten eines gebührenden Abstandes zwischen Ritter und Bäuerin und verbieten jedes Eingehen einer Liebesbeziehung. 4 Dies ist eine typisch lateinische Bekräftigungsformel, dicunt maiores, um die zum Verhaltenskodex gewordene Tradition, mos majorum, herauszustellen. Dass die vilayna in ihrer moralisierenden Schlussabweisung der Avancen des Ritters auf die philosophischen Erkenntnisse der Antike zurückgreift, ist Marcabrus besonderer Kunstgriff. L’autrier jost’una sebissa 101 (X) «Herr, wenn man bedrängt ist von Torheit, 64 schwört man und verpflichtet sich und verspricht ein Pfand; so habt ihr mir Lob erwiesen, Herr», das sagte die Bäuerin; «aber für ein so geringes Eintrittsgeld 68 will ich nicht meine Jungfräulichkeit gegen den Namen einer Hure eintauschen.» (XI) «Mädchen, jede Kreatur kehrt zu ihrer Natur zurück. 72 Eine Paarung begründen müssen wir, ich und ihr, an einer geschützten Stelle neben der Wiese, denn dort werdet ihr ganz sicher sein, 76 um die nette Sache zu machen». (XII) «Herr, ja; aber nach der Rechtmäßigkeit sucht ein Narr die Narrheit, ein Höfischer das höfische Abenteuer 80 und der Bauer die Bäuerin. An einer solchen Stelle handelt man ohne Einsicht, wo man nicht auf das rechte Maß schaut, das sagen die alten Leute.» 84 (X) «Sire, homme pressé de folie jure, garantit et promet gage; ainsi vous me feriez hommage, Seigneur», dit la vilaine; «mais, en échange d’une légère récompense, je ne veux pas laisser mon bien le plus cher pour être perdue de réputation.» (XI) «Jouvencelle, toute créature retourne à sa nature; nous devons former un couple assorti, moi et vous, vilaine, le long de ce pâturage, car vous y serez plus en sûreté pour faire la douce chose.» (XII) «Sire, oui, mais selon droiture (raison) le fou cherche sa folie et le courtois courtoise aventure: que le vilain reste avec la vilaine. Là où mesure n’est pas observée, la sagesse manque, ce dit la gent ancienne.» 102 Marcabru (XIII) «Belha, de vostra figura non vi autra pus tafura ni de son cor pus trefayna.» 1 (XIV) «Don, lo cavecs vos ahura, 88 que tals bada en la penchura, qu’autre n’espera la mayna.» 2 1 Der Ritter quittiert seinen Misserfolg mit Beschimpfungen. 2 Der eine schaut nur auf den äußeren Schein und geht leer aus, während der andere das Beste aus der Realität macht. L’autrier jost’una sebissa 103 (XIII) «Schöne, von eurer Art gibt es keine andere perfidere und betrügerischere in ihrem Herzen.» (XIV) «Herr, die Eule prophezeit euch, 88 dass der eine auf das Gemälde schaut, während der andere das Manna erwartet.» (XIII) «Jeune fille, de votre figure je n’en vis une autre plus friponne, ni ayant esprit plus moqueur.» (XIV) «Sire, la chouette vous est d’un mauvais augure; tel est bouche bée devant la peinture (l’apparence), tandis qu’un autre attend la manne (la réalité)». 104 Marcabru 2.3.5 A la fontana del vergier (I) A la fontana del vergier on l’erb’es vertz josta·l gravier, a l’ombra d’un fust domesgier, en aiziment de blancas flors 4 e de novelh chant costumier, trobei sola, ses companhier, selha que no vol mon solatz. 1 (II) So fon donzelh’ab son cors belh, 8 filha d’un senhor de castelh; e quant ieu cugei que l’auzelh li fesson joi e la verdors, - e pel dous termini novelh -, 12 e quez entendes mon favelh, tost li fon sos afars camjatz. (III) Dels huelhs ploret josta la fon 2 E del cor sospiret preon: 16 «Jhesus», dis elha, «reis del mon, per vos mi creis ma grans dolors, quar vostra anta mi cofon, 3 quar li mellor de tot est mon 20 vos van servir, mas a vos platz. 1 solatz bedeutet, wenn es im Zusammenhang mit der Liebe verwendet wird, ‚Scherzen, Freude, Vergnügen’, es heißt aber auch ‚Unterhaltung, Gesellschaft’. Hier wird natürlich mit der Doppeldeutigkeit gespielt. 2 plorer dels huelhs ist eine archaische Wendung, die sich etwa auch in den chansons de geste und cantar de gestas findet. 3 Die anta ‚Schmach’ besteht darin, dass die Mohammedaner Herren über die heiligen Stätten der Passionsgeschichte sind. A la fontana del vergier 105 Bei der Quelle des Gartens (I) Bei der Quelle des Gartens, wo das Gras grün ist, neben dem Kies, im Schatten eines Obstbaumes, im Schmuck weißer Blüten 4 und an neuen Gesang gewohnt, fand ich allein, ohne Begleiter, die, die meine Gesellschaft nicht will. (II) Es gab ein Mädchen mit schönem Körper, 8 die Tochter eines Burgherrn; und als ich dachte, dass die Vögel ihr Freude bereiteten und das Grün, - und auch die süße Frühlingszeit - 12 und dass sie meine Rede anhören würde, da war sogleich ihr Betragen verändert. (III) Aus den Augen weinte sie neben der Quelle und aus der Tiefe des Herzens seufzte sie: 16 «Jesus, König der Welt, wegen euch erwächst mir mein großer Schmerz, denn eure Schmach verwirrt mich, weil die Besten der Welt 20 werden euch dienen, denn das gefällt euch. A la fontaine du verger 1 (I) A la fontaine du verger, là où l’herbe est verte, près de la grève, à l’ombre d’un arbre fruitier, avec le charme des blanches fleurs et du chant habituel de nouvelle saison, je trouvai seule, sans compagnie, celle qui ne veut pas mon bonheur. (II) C’était une demoiselle au corps gent [beau], fille d’un seigneur de château. Et au moment même où je pensais que les oiseaux lui faisaient hoie, ainsi que la verdure et la douceur de la saison nouvelle, et qu’elle voudrait entendre mes propos, elle changea bientôt d’attitude (de contenance). (III) Les larmes de ses yeux coulèrent près de la fontaine, et soupirant du fond du cœur: «Jésus», dit-elle, «roi du monde, par vous s’accroît ma grande douleur, car l’outrage que vous subissez cause ma perte, puisque les meilleurs de tout cet univers vous vont servir, car tel est votre plaisir. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jean-Marie-Lucien Déjeanne (1909, 3- 5). 106 Marcabru (IV) Ab vos s’en vai lo mieus amicx, lo belhs e·l gens e·l pros e·l ricx. Sai m’en reman lo grans destricx, 24 lo deziriers soven e·l plors... Ai! Mala fos reis Lozoicx, 1 que fai los mans e los prezicx per que·l dols m’es el cor intratz! » 28 (V) Quant ieu l’auzi desconortar, ves lieis vengui josta·l riu clar. «Belha», fi·m ieu, «per trop plorar afolha cara e colors, 2 32 e no vos qual dezesperar, que Selh qui fai lo bosc fulhar vos pot donar de joi assatz». (VI) «Senher», dis elha, «ben o cre 36 que Dieus aia de mi merce, en l’autre segle per jasse, quon assatz d’autres peccadors; mas sai mi tolh aquelha re, 40 qui joi mi crec, mas pauc mi te que trop s’es de mi alonhatz.» 1 König Ludwig VII. von Frankreich (1137-1180) rief 1146 zum zweiten Kreuzzug auf und nahm auch an ihm teil. Das Datum ermöglicht eine Datierung des Gedichtes. 2 Der starke Gegensatz zwischen der bleichen Haut und den pigmentierten Partien des Gesichts (Augen, Augenbrauen, Lippen) galt als Schönheitsideal. A la fontana del vergier 107 (IV) Für euch geht mein Freund dahin, der Schöne, der Edle, der Tapfere und der Reiche. Hier bleibt mir das große Leid, 24 das vielfache Sehnen und die Tränen... Ah, zum Unheil schlage es König Ludwig aus, der das Aufgebot und die Predigten machen ließ, durch die der Schmerz in mein Herz eindrang! » 28 (V) Als ich sie so jammern hörte, ging ich zu ihr an die klare Quelle. «Schöne», sagte ich, «durch starkes Weinen nehmen das Gesicht und seine Farben Schaden 32 und ihr müsst nicht verzweifeln, denn der, der den Wald mit Laub versieht, kann euch sehr viel Freuden geben». (VI) «Mein Herr», sagte sie, «ich glaube sehr wohl, 36 dass Gott meiner gnädig sein wird, in der anderen Welt auf ewig, wie er es auch mit anderen Sündern tut; aber hier hat er mir meinen Schatz genommen, 40 der mir Freunde brachte; ich kann mich kaum halten, denn er ist zu weit von mir entfernt.» (IV) «Avec vous s’en va mon ami, le beau, le gent, le preux et le puissant; ici, il ne me reste que grande détresse, le désir souvent et les pleurs. À la male heure soit donc le roi Louis qui ordonne ces appels et ces prédications qui ont fait entrer le deuil dans mon cœur! » (V) Quand je l’entendis se désoler de la sorte, je vins vers elle près du clair ruisseau: «Belle», lui dis-je, «trop de pleurs flétrissent le visage et ses couleurs; il ne vous faut point désespérer, car celui qui fait feuiller les forêts vous peut donner beaucoup de joie». (VI) «Seigneur», dit-elle, «je crois bien ceci, que Dieu aura merci de moi dans l’autre vie, à tout jamais, comme de bien d’autres pécheurs. Mais ici il m’enlève celui qui accrut ma joie: rien ne me touche plus, puisqu’il est parti si loin de moi.» 108 Marcabru 2.3.6 Amics Marchabrun, car digam (I) «Amics Marchabrun, car digam un vers d’amor, que per cor am q’a l’hora que nos partiram en sia loing lo chanz auziz.» 4 (II) «Ugo Catola, er fazam; 1 mas de faus’amistat me clam, q’anc pos la serps baissa lo ram no foron tant enganairiz.» 2 8 (III) «Marcabrun, ço no m’es pas bon qe d’amor digaz si ben non; per zo·us en move la tenzon, qe d’amor fui naz e noiriz». 12 (IV) «Catola, non entenz razon? Non saps d’amor cum trais Samson? 3 Vos cuidaz e·ill autre bricon qe tot sia vers quant vos diz.» 16 1 Der Gesprächspartner dieser Tenzone ist Hugo Catola, der sonst nicht als Autor von Dichtungen bekannt ist. 2 Dies ist eine Anspielung auf Gen. 3, 6, wo der Teufel Eva dazu verleitet, die Frucht vom bonum lignum ad vescendum et pulchrum oculis aspectuque delectabile, also vom ‚Holz, das gut zu essen und schön für die Augen und im Anblick lieblich ist’, zu essen. 3 Die Samson-Geschichte steht im Buch der Richter (14, 1-2 und 20): Samson hatte eine Philisterin geheiratet, die er später verstieß und an einen seiner Knechte weitergab. Also hat die Liebe von Samsons Frau ihren valor in dem Moment verloren, als diese ihre Liebe einem geringerwertigen Mann zuwenden musste. Amics Marchabrun, car digam 109 Freund Marcabru, dichten wir doch (I) «Freund Marcabru, dichten wir doch einen Liebesvers, denn ich liebe es von Herzen, dass zu der Stunde, in der wir uns trennen, dieser Gesang weithin gehört werde.» 4 (II) «Hugo Catola, machen wir das jetzt; aber ich beklage mich über die falsche Liebe, denn seit die Schlange den Zweig heruntergebogen hat, gab es nie so viele Täuscherinnen.» 8 (III) «Marcabru, es gefällt mir nicht, dass du von der Liebe etwas sagst, das nicht gut ist; deswegen lade ich euch zu diesem Streitgesang ein, denn durch die Liebe wurde ich geboren und aufgezogen». 12 (IV) «Catola, hörst du nicht auf die Vernunft? Weißt du nicht, wie die Liebe Samson betrog? Ihr und alle anderen Dummköpfe glaubt, dass alles wahr ist, was sie euch sagt.» 16 Allons, ami Marcabru, disons un vers 1 (I) «Allons, ami Marcabru, disons un vers d’Amour, car j’ai grandement à cœur qu’à l’heure de notre séparation notre chant soit entendu au loin.» (II) «Hugues Catola, faisons-le maintenant, mais je me plains de la fausse amitié, car jamais depuis que le serpent abaissa le rameau [devant Ève], il n’y eut autant de femmes perfides.» (III) «Marcabru, il ne m’est pas agréable que vous disiez d’Amour autre chose que du bien; c’est pour cela que je vous invite à cette tenson, car Amour m’a fait naître et m’a élevé.» (IV) «Catola, tu n’entends pas la raison: ne sais-tu pas comment Amour trahit Samson? Vous et les autres jobards, pensez-vous que tout ce que vous dit Amour soit vrai? » 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jean-Marie-Lucien Déjeanne (1909, 24- 27). 110 Marcabru (V) «Marcabrun, nos trobam auctor de Sanso·l fort e de s’uxor q’ela n’avia ostat s’amor a l’ora que ce fo deliz.» 20 (VI) «Catola, qar a sordejor la det, e la tolc al meillor, lo dia perdet sa valor, qe·l seus fo per l’estraing traiz.» 24 (VII) «Marcabrun, si cum declinaz, qu’amor si ab engan mesclaz, dunc es lo almosna pechaz: la cima devers la raiz! » 28 (VIII) «Catola, l’amors dont parlaz camja cubertament los daz; aprop lo bon lanz vos gardaz! ço dis Salomons e Daviz.» 32 (IX) «Marcabrun, amistaz dechai, car a trobat joven savai; eu n’ai al cor ir’et esclai qar l’en alevaz tan laiz criz». 36 Amics Marchabrun, car digam 111 (V) «Marcabrun, wir finden Autoren, die zum starken Samson und zu seiner Gattin sagen, dass sie ihm ihre Liebe entzogen hatte in dem Moment, wo er umgebracht wurde.» 20 (VI) «Catola, wie sie dem Schlechteren ihre Liebe gab und dem Besseren wegnahm, verlor sie an dem Tag ihren Wert, an dem ihr Mann durch den Fremden verraten wurde.» 24 (VII) «Marcabrun, wie ihr erklärt, dass Liebe mit Täuschung vermischt ist, ist auch das Almosen Sünde: die Spitze unter der Wurzel! » 28 (VIII) «Catola, die Liebe, von der ihr redet. wechselt hinterlistig die Würfel; nach einem guten Wurf seid vorsichtig! Das sagen Salomon und David.» 32 (IX) «Marcabru, die Freundschaft ist in Verfall geraten, denn sie hat eine schlechte Jugend gefunden: Ich habe im Herzen Zorn und Schrecken, weil ihr ihr so unedle Vorwürfe macht.» 36 (V) «Marcabru, on ne trouve pas de gens qui affirment, au sujet du fort Samson et de sa femme, qu’elle lui avait enlevé son Amour à l’heure [seule] qui le vit s’épuiser.» (VI) «Catola, c’est au pire [des hommes] qu’elle le donna et l’enleva au meilleur et elle perdit sa valeur le jour où son mari fut [par elle] trahi pur l’étranger.» (VII) «Marcabru, puisque vous déclarez qu’Amour est mélange de tromperie, l’aumône est donc un péché et la cime est au-dessous de la racine? » (VIII) «Catola, l’Amour dont vous parlez change insidieusement les dés; après le bon coup, arrêtez-vous, disent Salomon et David.» (IX) «Marcabru, Amitié dechoit, car elle a trouvé lâche la Jeunesse. J’en ai au cœur colère et effroi, car elle [Jeunesse] a provoqué de si vilains cris.» 112 Marcabru (X) «Catola, Ovides mostra chai, 1 e l’ambladura o retrai, que non soana brun ni bai, anz se trai plus aus achaiz.» 40 (XI) «Marchabrun, anc non cuit t’ames l’amors, ves cui es tant engres, ni no fo anc res meinz prezes d’aitals joglars esbaluiz.» 44 (XII) «Catola, anc de ren non fo pres un pas, que tost no s’en loignes, et enqer s’en loingna ades e fera tro seaz feniz.» 48 (XIII) «Marcabrun, quant sui las e·m duoill, e ma bon’amia m’acuoill ab un baisar, quant me despuoill, m’en vau sans e saus e gariz.» 52 (XIV) «Catola, per amor deu truoill 2 tresaill l’avers al fol lo suoill, e puois mostra la via a l’uoill aprop los autres escharniz.» 56 1 Die zitierte Stelle ist Ars amatoria 1, 769f., wo es heißt: inde fit, ut, quze se timuit commitere honesto, | vilis in amplexus inferioris eat (‚So kommt es, dass eine, die sich scheute, sich einem Anständigen anzuvertrauen, erniedrigt sich in die Umarmungen eines Unwürdigen begibt’). 2 Martín de Riquer sagt lapidar: „Estrofa que ofrece tales dificultades y ha sido objeto de tan diversas opiniones, que prefiero dejarla sin traducción” (1975, Bd. I, 194). Die Übersetzung beruht auf der Vorstellung, dass die Liebe wie die Weinpresse die verborgensten Emotionen offenbar werden lässt, aber im sichtbaren Bereich nur dazu führt, dass man sich wie die große Masse verhält. Amics Marchabrun, car digam 113 (X) «Catola, Ovid zeigt hier, und der Zusammenhang erklärt es, dass die Liebe weder Braune noch Blonde verachtet, aber sich immer den Degenerierten zuwendet.» 40 (XI) «Marcabru, ich glaube nicht, dass du die Liebe liebst, gegen die du so ausfallend bist, und nie war etwas weniger hochgeschätzt als solche überspannten Sänger.» 44 (XII) «Catola, niemals kam [die Liebe] so nah, dass sie sich nicht bald wieder entfernte, und auch jetzt entfernt sie sich und wird weiter so handeln bis zum Lebensende.» 48 (XIII) «Marcabru, wenn ich Müdigkeit und Schmerz empfinde und meine gute Freundin mich empfängt mit einem Kuss, wenn ich mich ausziehe, dann fühle ich mich gesund, geborgen und geheilt.» 52 (XIV) «Catola, wegen der Liebe verlässt die Weinpresse am Grunde jede trübe Substanz, und außerdem zeigt sie dem Auge den Weg hinter den anderen Perversen her.» 56 (X) «Catola, Ovide montre ici et l’allure [des choses] le fait voir qu’il [l’Amour] ne méprise ni brun ni bai, mais s’adresse de préférence aux dégénérés (dechus).» (XI) «Marcabru, je ne pense pas que jamais t’aima l’Amour, vers qui tu es si véhément, ni que jamais il estima un être au monde moins que des jongleurs écervélés [tels que toi].» (XII) «Catola, jamais l’Amour ne fit un pas vers moi qu’il ne s’éloignat bien vite; et encore il s’en éloigne sans rélache et agira ainsi jusqu’à la mort.» (XIII) «Marcabru, quand je suis las et attristé et que ma bonne amie m’accueille avec un baiser, quand j’ôte mes vêtements, je deviens sain et sauf et guéri.» (XIV) «Catola, par amour du pressoir (vin), l’argent fait franchir au fou le seuil [de la porte] et puis montre à son œil la voie pour suivre les autres gens bafoués (décriés).» Dritte Generation (1150-1175) Bernart de Ventadorn 116 3.1 Bernart de Ventadorn (...1147-1170...) Von Bernart de Ventadorn (frz. Bernard de Ventadour) gibt es zwei relativ ausführliche vidas. Die darin enthaltenen vielfältigen Details sind teilweise aus den Gedichten herausgelesen, teilweise können sie aber auch auf lokalen Traditionen beruhen, die uns nicht mehr zugänglich sind und deren Wahrheitsgehalt wir nicht überprüfen können. Auch Peire d’Alvernha spricht in seiner Troubadoursatire Cantarai d’aqestz trobadors von der niederen Herkunft seines Zeitgenossen Bernart, dessen Vater sirven (Vers 21) und dessen Mutter für den Ofen und das Holz zuständig war (sa mair’escaldava·l forn et amassava l’issermen, Vers 23f.). Bernart begann seine Karriere als Sänger wahrscheinlich kurz nach dem Tode von Ebles de Ventadorn, also etwa im Jahre 1147. Das Gedicht Pel doutz chan que·l rossinhols fai ist der reina dels Normans (Vers 45) gewidmet, worunter zweifellos Eleonore von Aquitanien (1122-1204), die Tochter Wilhelms X. und die Enkelin des Troubadours Wilhelm IX., zu verstehen ist. Diese war von 1137 bis 1152 mit König Ludwig VII. von Frankreich verheiratet und wurde nach Annullierung dieser Ehe 1152 die Frau von Heinrich II., also Königin von England und Herzogin der Normandie. Da Eleonore zwischen 1174 und 1184 in Ungnade gefallen war und im Kerker saß, muss Bernart das Gedicht früher geschrieben haben. Da die Art der Liebeslyrik trotz aller Idealisierung doch nicht gut zu einer fünfzigjährigen Dame passen will, wie Martín de Riquer treffend feststellt (1975, Bd. I, 343), muss man davon ausgehen, dass Bernart das Gedicht kurz nach 1152 auf Eleonore, die damals wenig über dreißig Jahre alt war, geschrieben hat. Das würde zu der Vermutung von Carl Appel passen, dass Bernart vom Dezember 1154 bis zum Oktober 1155 in England am Hofe seiner Gönnerin lebte. Bernart de Ventadorn gilt als einer der vollendetsten Troubadours. Der Erfolg seines Liedes Can vei la lauzeta mover war beispiellos, was man an den zahlreichen Bearbeitungen dieses Lerchenliedes sehen kann. Sein Werk ist nahezu ausschließlich dem fin’amor gewidmet: Unter den 41 Gedichten, die ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden, gibt es nur zwei Tenzonen (Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn und Tensó entre Peirol e Bernart de Ventadorn). Seine Dichtungen gelten mehreren Damen: Er verwendet die senhals Bel Vezer ‚schöner Anblick’, Aziman ‚Diamant’, Conort ‚Trost’. Trotz einer umfangreichen Literatur wird man wohl immer darauf verzichten müssen, diese Decknamen mit einer bestimmten Dame in Verbindung bringen zu wollen. Bernard stellt den Scheitelpunkt der Entwicklung der Troubadourlyrik dar: In elegantem, aber immer klarem, den Idea- Bernart de Ventadorn 117 len des trobar leu verbundenem Stil werden die Gegenstände der höfischen Liebe, also Unerreichbarkeit und Anziehungskraft der hochgestellten Dame, Mutlosigkeit und Sehnsucht des Liebenden, Leiden und Tränen neben Freude und Jubel, Unvereinbarkeit und doch gegenseitige Bedingtheit und Anziehung von Gegensatzpaaren, angesprochen, ohne dass man den Eindruck der monotonen Wiederholung von Topoi hat. Strophenstruktur: Can vei la lauzeta mover: sieben coblas unissonans (jeweils acht Verse mit dem Reimschema a - b - a - b - c - d - c - d) und eine vierzeilige tornada (Reimschema c - d - c - d). No es meravelha s’eu chan: sieben coblas capcaudadas (jeweils acht Verse mit dem Reimschema a - b - b - a - c - d - d - c) und eine dreizeilige tornada (Reimschema d - d - c). Lonc tems a qu’eu no chantei mai: sieben coblas unissonans (jeweils neun Verse mit dem Reimschema a - b - b - c - c - d - e - d - f) und eine dreizeilige tornada (Reimschema e - d - f). Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn: sieben coblas doblas (jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - b - b - a - c - d - d) und zwei dreizeilige tornadas (Reimschema c - d - d). Literatur: Appel, Carl: Bernart von Ventadorn: Seine Lieder mit Einleitung und Glossar, Halle (Niemeyer) 1915. Appel, Carl: Bernart von Ventadorn. Ausgewählte Lieder, Halle (Niemeyer) 1926. Billet, Léon: Bernard de Ventadour. Troubadour du XII e siècle. Tulle (Orfeuil) 1974. Lazar, Moshé: Bernard de Ventadour. Chansons d’amour. Paris (Klincksieck) 1966. Mancini, Mario: Bernart de Ventadorn: Canzoni, Roma (Carocci) 2003. 118 Bernart de Ventadorn 3.1.1 VIDA I Bernartz de Ventadorn si fo de Limozin, del castel de Ventadorn. 1 Hom fo de paubra generacion, fils d’un sirven qu’era forniers, qu’esquaudava lo forn a coszer lo pan del castel. 2 E venc bels hom et adreichs, e saup ben chantar e trobar, e venc cortes et enseingnatz. E lo vescons, lo seus seingner, de Ventadorn, s’abelli mout de lui e de son trobar e de son cantar e fez li gran honor. E·l vescons de Ventadorn si avia moiller, joven e gentil e gaia. 3 E si s’abelli d’En Bernart e de soas chansos e s’enamora de lui et el de la dompna, si qu’el fetz sas chansos e sos vers d’ella, de l’amor qu’el avia ad ella e de la valor de leis. Lonc temps duret lor amors anz que·l vescons ni l’autra gens s’em aperceubes. E quant lo vescons s’en aperceup, si s’estranjet de lui, e la moiller fetz serar e gardar. E la dompna si fetz dar comjat a·N Bernart, qu’el se partis e se loingnes d’aquella encontrada. Et el s’en parti e si s’en anet a la duchesa de Normandia, 4 qu’era joves e de gran valor e s’entendia en pretz et en honor et en bendig de lausor. E plasion li fort las chansos e·l vers d’En Bernart, et ella lo receup e l’acuilli mout fort. Lonc temps estet en sa cort, et enamoret se d’ella et ella de lui, e fetz mantas bonas chansos d’ella. Et estan ab ella, lo reis Enrics d’Engleterra si la tolc per moiller e si la trais de Normandia e si la menet en Angleterra. En Bernartz si remas de sai tristz e dolentz, e venc s’en al bon comte Raimon de Tolosa, 5 et ab el estet tro que·l coms mori. Et En Bernartz, per aquella dolor, si s’en rendet a l’ordre de Dalon, e lai el definet. Et ieu, N’Ucs de Saint Circ, de lui so qu’ieu ai escrit si me contet lo vescoms N’Ebles de Ventadorn, que fo fils de la vescomtessa qu’En Bernartz amet. E fetz aquestas chansos que vos auziretz aissi de sotz escriptas. 1 Das Schloss Ventadour war der Sitz der Vizegrafen. Ebles II (†1147) war einer der Initiatoren der Troubadourdichtung, Ebles III war einer der Förderer der Dichtkunst. 2 Die Angaben über die niedere Abkunft des Sängers stammen aus Peire d’Alvernhas satirischem Gedicht über die Troubadours, Cantarai d’aqestz trobadors, das um 1170 enstanden ist. 3 Gemeint ist Margarete von Tourenne, die Gattin von Ebles III. 4 Hier geht es um Eleonore von Aquitanien, die sich nach ihrer Trennung vom französischen König Ludwig VII. mit Henri Plantagenet, Herzog der Normandie und späterem englischen König verband. In der vida liegt insofern ein Irrtum vor, dass Eleonore nur durch ihre neue eheliche Verbindung Herzogin der Normandie war. 5 Raimon V. von Toulouse (†1194), dessen Frau Ermengart Bernard de Ventadour ebenfalls besang. Vida I 119 LEBEN I Bernart de Ventadorn war aus dem Limousin, vom Schloss Ventadorn. Er war von armer Herkunft, Sohn eines Bediensteten, der Bäcker war und den Ofen unterhielt, um Brot für das Schloss zu backen. Er wurde ein schöner und gewandter Mann, er konnte gut singen und dichten, und er wurde höfisch und gebildet. Und der Vizegraf von Ventadorn, sein Herr, fand großes Gefallen an ihm, seinem Dichten und seinem Singen, und erwies ihm große Ehre. Der Vizegraf von Ventadorn hatte eine Frau, die jung, edel und heiter war. Auch sie fand Gefallen an Herrn Bernart und seinen Liedern, sie verliebte sich in ihn und er in die Herrin, so dass er seine Lieder und seine Verse über sie machte, über die Liebe, die er ihr gegenüber empfand, und über ihre Geltung. Ihre Liebe dauerte lange Zeit, bevor der Vizegraf oder jemand anders sie bemerkte. Aber als der Vizegraf sie bemerkte, entfernte er sich von ihm, und er ließ seine Frau einschließen und bewachen. Und die Herrin erteilte Herrn Bernart den Abschied, auf dass er wegginge und diese Gegend verließe. Und er ging von dannen und ging zur Herzogin der Normandie, die jung war, von großer Geltung und die sich auf Preis, auf Ehre und auf schönen Ausdruck des Lobes verstand. Es gefielen ihr sehr die Lieder und Verse von Herrn Bernart, sie empfing ihn und nahm ihn sehr bereitwillig auf. Er verbrachte eine lange Zeit an ihrem Hof, verliebte sich in sie und sie in ihn, und er machte viele gute Lieder über sie. Während er bei ihr weilte, nahm der König Heinrich von England sie zur Frau, führte sie aus der Normandie fort und brachte sie nach England. Herr Bernart blieb dort traurig und schmerzerfüllt zurück, begab sich dann zum guten Grafen Raimon von Toulouse und blieb bei ihm, bis der Graf starb. Aus Schmerz darüber trat Herr Bernart in den Orden von Dalon ein, und dort starb er. Mir, dem Herrn Hugo von Saint-Circ, hat das, was ich über ihn geschrieben habe, der Vizegraf Herr Ebles von Ventadorn erzählt, der der Sohn der Vizegräfin war, die Herr Bernart geliebt hat. Er hat die Lieder gemacht, die ihr hören werden, so wie sie unten geschrieben sind. 120 Bernart de Ventadorn 3.1.2 VIDA II Bernartz de Ventador si fo de Lemoisin, d’un chastel de Ventador, de paubra generation, fils d’un sirven e d’una fornegeira, si con dis Peire d’Alvergne de lui en son chantar, qan dis mal de totz los trobadors: 1 Lo terz Bernartz de Ventadorn, q’es meindre d’un Borneil un dorn: en son paire ac bon sirven que portav’ades arc d’alborn, e sa mair’escaudava’l forn, e·l paire dusia l’essermen. Mas de qi q’el fos fils, Dieus li det bella persona et avinen, e gentil cor, don fo el comensamen gentilessa, e det li sen e saber e cortesia e gen parlar; et avia sotilessa et art de trobar bos motz e gais sons. Et enamoret se de la vescomtessa de Ventador, moillier de so seingnor. E Dieus li det tant de ventura, per son bel captenemen e per son gai trobar, q’ella li volc ben outra mesura, qe no i gardet sen ni gentilessa ni honor ni valor ni blasme, mas fugi son sen e seget sa voluntat, si con dis N’Arnautz de Meruoil: 2 Consir lo joi et oblit la foudat e fuc mon sen e sec ma voluntat; e si con dis Gui d’Uisel: 3 Q’enaissi s’aven de fin aman, qe·l sens non a poder contra·l talan. Et el fo honoratz e presiatz per tota bona gen, e sas chansos honradas e grasidas. E fo vesuz et ausiz e receubuz mout volontiers e foron li faich grand honor e gran don per los grans barons e per los grans homes, don el anava en gran arnes et en gran honor. Mout duret lor amors longa sazon enans qe·l vescoms, sos maritz, s’en aperceubes. E qan s’en fo aperceubut, mout fo dolens e tris, e mes la vescomtessa, soa moillier, en gran tristessa et en gran dolor, e fez dar cumjat a Bernart de Ventador q’el issis de la sua encontrada. Et el s’en issi e s’en anet en Normandia, a la dukessa q’era adonc domna dels Normans, et era joves e gaia e de gran valor e de prez e de gran poder, et entendia mout en honor et en prez. Et ella lo receub con gran plaiser e con grant honor e fo mout alegra de la soa venguda e fetz lo seingnor e maïstre de tota la soa cort. Et enaissi con el s’enamoret de la moillier de son seingnor, enaissi s’enamoret de la duchessa, et ella de lui. Lonc temps ac gran joia d’ella e gran benansa, entro q’ella tolc lo rei Enric d’Angleterra per marit e qe la·n mena outra lo braç del mar d’Angleterra, si q’el no la vi mai, ni so mesatge. 4 Don el, puois, de duol e de tristessa qe ac de lei, si se fetz monges en l’abaïa de Dalon, et aqui persevera tro a la fin. 1 Dies ist ein Zitat aus dem Gedicht Cantarai d’aqestz trobadors, 4. Strophe, Verse 19-24. 2 Das Zitat stammt aus Si·m destreignetz, domna, vos et Amors, 5. Strophe, Vers 39f. 3 Dabei handelt es sich um ein Zitat aus Ben feira chanzos plus soven, 5. Strophe, Vers 35f. 4 In dieser vida fehlt also der Aufenthalt am Hof von Toulouse. Vida II 121 LEBEN II Bernart de Ventadorn war aus dem Limousin, von einem Schloss Ventadorn, von armer Herkunft, Sohn eines Bediensteten und einer Bäckerin, wie Peire d’Alvernha von ihm in seinem Lied berichtet, das Übles von allen Troubadours sagt: Der dritte Sänger ist Bernart von Ventadorn, der eine Handbreit kleiner als Borneil ist; in seinem Vater hatte er einen guten Diener, der immer Holunderbogen brachte, und seine Mutter versorgte den Herd, und sein Vater sammelte Rebholz. Aber wessen Sohn er auch war, Gott gab im eine schöne und angenehme Persönlichkeit, ein edles Herz, worin der Anfang des edlen Auftretens liegt, und er gab ihm Verstand, Wissen, höfisches Auftreten und edles Reden; und er hatte feinen Sinn und die Kunst, gute Worte und heitere Melodien zu dichten. Und er verliebte sich in die Vizegräfin von Ventadorn, die Frau seines Herrn. Gott gab ihm so viel Glück, wegen seines schönen Auftretens und wegen seines heiteren Dichtens, dass sie ihm über alle Maßen wohlgesonnen war und also weder Sinn noch edles Auftreten noch Ehre noch Selbstachtung noch Tadel beachtete, sondern ihr eigenes Urteil fahren ließ und seinem Willen folgte, wie Herr Arnaut von Meuoil sagt: Ich überdenke die Freude und vergesse die Torheit und fliehe vor meinem Urteil und folge meinem Willen, und wie Guy von Ussel sagt: So ergeht es einem feinen Liebenden, dass die eigene Urteilskraft gegen den Willen machtlos ist. Er wurde geehrt und gepriesen von allen guten Leuten, und seine Lieder wurden geehrt und geschätzt. Er wurde sehr gerne gesehen, gehört und empfangen, und es wurden ihm große Ehren und grosse Geschenke durch die großen Barone und die großen Menschen erwiesen, so dass er in großem Pomp und in großer Ehre lebte. Eine lange Zeit dauerte ihre Liebe, bevor der Vizegraf, ihr Mann, sie bemerkte. Und als er sie bemerkte, war er schmerzerfüllt und traurig, und versetzte auch die Vizgräfin, seine Frau, in große Trauer und in großen Schmerz, und ließ sie Herrn Bernart den Abschied geben, dass er wegginge aus seinem Land. Und er ging weg und kam in die Normandie, zur Herzogin, die damals die Herrin der Normannen war, die jung, heiter, gepriesen und mächtig war und die sich auf Ehre und auf Preis verstand. Sie empfing ihn mit großer Freude und mit großer Ehre, war sehr froh über sein Kommen und machte ihn zum Herrn und Meister ihres ganzen Hofes. Und so wie er sich in die Frau seines Herrn verliebt hatte, so verliebte er sich in die Gräfin und sie in ihn. Lange Zeit hatte er große Freude und großes Glück mit ihr, bis sie den König Heinrich von England zum Ehemann nahm und der sie über den Kanal des engli- 122 Bernart de Ventadorn schen Meeres brachte, so dass Bernart sie nicht mehr sah und keine Nachricht von ihr hatte. Deshalb ist er dann wegen des Schmerzes und der Traurigkeit, die sie ihm zugefügt hatte, zum Mönch geworden in der Abtei von Dalon, und dort blieb er bis an sein Ende. Bernart de Ventadorn (...1147-1170...) Bernart de Ventadorn 123 Musikalische Notierung von Non es meravelha s’eu chan 124 Bernart de Ventadorn 3.1.3 Can vei la lauzeta mover (I) Can vei la lauzeta mover 1 de joi sas alas contra·l rai, que s’oblid’e·s laissa chazer per la doussor c’al cor li vai, 4 ai! tan grans enveya m’en ve de cui qu’eu veya jauzion; meravilhas ai, car desse lo cor de dezirer no·m fon. 8 (II) Ai, las! tan cuidava saber d’amor, e tan petit en sai! Car eu d’amar no·m posc tener celeis don ja pro non aurai. 12 Tout m’a mo cor, e tout m’a me, e se mezeis’e tot lo mon; e can se·m tolc, no·m laisset re mas dezirer e cor volon. 16 (III) Anc non agui de me poder ni no fui meus de l’or’en sai que·m laisset en sos olhs vezer en un miralh que mout me plai. 20 Miralhs, pus me mirei en te, m’an mort li sospir de preon, c’aissi·m perdei com perdet se lo bels Narcisus en la fon. 2 24 1 Normalerweise ist das Naturbild, das am Anfang vieler Dichtungen steht, statisch (z.B. die Auswirkungen des Frühlings auf die Natur). Hier stellt die sich in Bewegung befindliche Lerche die Liebe des Sängers zu seiner domna dar, die genauso unerfüllt bleiben muss, wie der Flug der Lerche die Sonne nicht erreichen kann. Das Naturbild der glücklichen Lerche wird jedoch als Gegenentwurf zum unglücklichen, die Lerche neidvoll betrachtenden Sänger konzipiert. 2 Die Geschichte von Narcissus, der sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte, war dem Sänger durch die Darstellung bei Ovid (Metamorphoses 3, 341-510) geläufig. Can vei la lauzeta mover 125 Wenn ich sehe, dass die Lerche vor Freude (Lerchenlied) (I) Wenn ich sehe, dass die Lerche vor Freude ihre Flügel gegen die Sonnenstrahlen bewegt, wenn sie sich vergisst und fallen lässt bei der Freude, die ihr zum Herzen steigt, 4 ah! , so großer Neid überfällt mich da auf alle, die ich voller Freude sehe; ich wundere mich, dass auf der Stelle das Herz mir vor Verlangen nicht schmilzt. 8 (II) Ach, ich Unglücklicher! So viel glaubte ich zu wissen von der Liebe, und so wenig weiß ich darüber. Denn ich kann mich in der Liebe nicht zurückhalten zu der, von der ich keinen Nutzen haben werde. 12 Sie hat mir mein Herz genommen, und hat mir mich genommen, und sich selbst und die ganzeWelt; und als sie mich für sich nahm, hat sie mir nichts gelassen außer dem Begehren und dem verlangenden Herzen. 16 (III) Ich hatte keine Gewalt über mich und ich war nicht mehr mein Herr, seitdem sie mich in ihre Augen sehen ließ wie in einen Spiegel, der mir sehr gefällt. 20 Spiegel, seit ich mich in dir sah, haben mich umgebracht die Seufzer aus der Tiefe, denn so habe ich mich verloren, wie sich der schöne Narziss in der Quelle verlor. 24 Ma Dame a tout mon cœur et tout moi-même 1 (I) Quand je vois l’alouette balancer, joyeuse ses ailes contre les rayons du soleil, au point de s’oublier et de se laisser tomber, par la douceur qui lui va au cœur, hélas! , si grande envie m’en vient, de ceux que je vois heureux, je trouve merveilleux qu’aussitôt, mon cœur ne fonde pas de désir. (II) Hélas! je croyais tant savoir d’amour et si peu j’en sais! Car moi je ne peux m’abstenir d’aimer celle dont je n’aurai jamais de faveur. Elle a tout mon cœur et m’a tout entier; et elle m’a moi-même et le monde entier; quand elle me prit, elle ne me laissa rien, sinon le désir et le cœur avide. (III) Depuis je n’eus sur moi de pouvoir, et je ne m’appartins plus depuis le temps, où elle me laissa dans ses yeux voir, en un miroir qui beaucoup me plaît. Miroir, depuis que je me mirai en toi, m’ont fait mourir les soupirs profonds, et ainsi je me perdis comme se perdit le beau Narcisse dans la fontaine. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Léon Billet (1974, 203f.). 126 Bernart de Ventadorn (IV) De las domnas me dezesper; ja mais en lor no·m fiarai; c’aissi com las solh chaptener, enaissi las deschaptenrai. 1 28 Pois vei c’una pro no m’en te vas leis que·m destrui e·m cofon, totas las dopt’e las mescre, car be sai c’atretals se son. 32 (V) D’aisso·s fa be femna parer ma domna, per qu’e·lh o retrai, 2 car no vol so c’om deu voler, e so c’om li deveda, fai. 36 Chazutz sui en mala merce, 3 et ai be faih co·l fols en pon; 4 e no sai per que m’esdeve, mas car trop puyei contra mon. 5 40 1 Die Gegensatzbildung zwischen chaptener, wörtlich ‚das Verhalten unterstützen’, und deschaptener, einem sonst nicht belegten Wort, ist in dieser Prozessmetapher natürlich gewollt. 2 Die domna als Konstrukt der feinen Dame wird, wenn man sie als femna bezeichnet, auf ihren rein biologischen Status reduziert. femna wäre vielleicht in diesem Zusammenhang am ehesten mit ‚Weibchen’ zu übersetzen, wenn das nicht dem höfischen Stil zu sehr Abbruch täte. 3 merce hat die Grundbedeutung ‚Lohn, Belohnung’ und heißt dann im feudalen System ‚Gunst, Gnade’, die dem Vasallen vom Herrn gewährt wird. In der Dichtung ist eine häufige Bedeutung ‚freundliches Entgegenkommen’, das die Dame dem Dichter gewährt. 4 Dies ist eine Anspielung auf ein Sprichwort, das besagt, dass nur der Narr nicht vom Pferd steigt, wenn er eine Brücke überqueren muss. 5 Der Berg - und die Dame - sind höher, als dass sie für den Sänger erreichbar wären. Damit liefert der Sänger in dieser Strophe zwei mögliche Erklärungen, warum sich die Dame nicht systemkonform verhält und ihm nach seiner Vereherung ihre Gunst nicht gewährt: 1. Er hat sich wie ein Tor, fols, verhalten, 2. seine Wahl war zu hoch im System angesiedelt, trop puyei contra mon. Can vei la lauzeta mover 127 (IV) An den Damen verzweifele ich; niemals mehr werde ich ihnen vertrauen; denn so, wie ich sie zu verteidigen pflegte, genauso werde ich sie jetzt im Stich lassen. 28 Da ich sehe, dass nicht eine auf meiner Seite steht gegen die, die mich zerstört und vernichtet, fürchte ich sie alle und misstraue ihnen, denn ich weiß wohl, dass sie alle von einer Art sind. 32 (V) Darin lässt sich nur als Frau sehen meine Dame, und das werfe ich ihr vor, denn sie will nicht das, was sie wollen soll, und das, was man ihr verbietet, tut sie. 36 Ich bin in Ungunst gefallen, und es ging mir wie dem Narren an der Brücke; ich weiß nicht, warum es mir geschieht, außer dass ich am Berg zu hoch gestiegen bin. 40 (IV) Des dames je me désespère; jamais plus en elles je n’aurai confiance; si j’avais l’habitude de les estimer, désormais je les mépriserai. Puisque je vois qu’aucune ne me soutient auprès de celle qui m’anéantit et me tue, de toutes je doute et je ne les crois pas, car je sais bien qu’elles sont toutes pareilles. (V) En cela elle se montre bien femme, ma dame, et je lui en fais le reproche, car elle ne veut pas ce qu’on doit vouloir, et ce qu’on lui défend, elle le fait. Je suis tombé en disgrâce, j’ai fait comme le fou sur le pont; je ne sais pourquoi cela m’advient, si ce n’est que je suis monté trop haut. 128 Bernart de Ventadorn (VI) Merces es perduda, per ver - et eu non o saubi anc mai -, car cilh qui plus en degr’aver, no·n a ges; et on la querrai? 44 A! can mal sembla, qui la ve, qued aquest chaitiu deziron que ja ses leis non aura be, laisse morir, que no l’aon! 48 (VII) Pus ab midons no·m pot valer precs ni merces ni·l dreihz qu’eu ai, 1 ni a leis no ven a plazer qu’eu l’am, ja mais no·lh o dirai. 52 Aissi·m part de leis e·m recre; mort m’a, e per mort li respon, e vau m’en, pus ilh no·m rete, chaitius, en issilh, no sai on. 56 (VIII) Tristans, ges no·n auretz de me, 2 qu’eu m’en vau, chaitius, no sai on. De chantar me gic e·m recre, e de joi e d’amor m’escon. 3 60 1 Gemeint ist das Recht des Vasallen (und also des Liebenden), dass seine den Regeln entsprechenden Anstrengungen eine Belohnung verdienen. 2 Tristan ist ein von Bernart de Ventadorn in drei Gedichten verwendeter Deckname. Man hat vermutet, dass mit dem senhal Raimbaut d’Aurenga gemeint ist, aber dies ist keineswegs sicher. 3 In dieser tornada sind alle Schlüsselwörter vorhanden, denn chantar hängt ab von joi und amor. Can vei la lauzeta mover 129 (VI) Das freundliche Entgegenkommen ist verloren, wirklich - und ich habe es noch nie erlebt -, weil die, die davon das meiste haben müsste, es gar nicht hat; und wo müsste ich sonst suchen? 44 Ah, in wie schlechtem Licht erscheint sie einem Beobachter, wenn sie diesen unglücklichen Verlangenden, der ohne sie kein Gut mehr erreichen kann, sterben lässt und ihm nicht hilft. 48 (VII) Weil bei meiner Herrin nichts Wirkung tut, weder die Bitte noch der freundliche Umgang noch das Recht, das ich habe, und es ihr auch nicht gefällt, dass ich sie liebe, werde ich ihr das niemals sagen. 52 Vielmehr verlasse ich sie und verzichte auf sie; getötet hat sie mich, und als Toter antworte ich ihr, und gehe von dannen, weil sie mich ja nicht zurückhält, als Unglücklicher ins Exil, ich weiß nicht, wohin. 56 (VIII) Tristan, nichts werdet ihr mehr von mir haben, denn ich gehe von dannen, als Unglücklicher, ich weiß nicht wohin. Vom Singen lasse ich ab und ich verzichte darauf, und ich verberge mich vor der Freude und der Liebe. 60 (VI) Pitié est perdue, en vérité (Et je n’en sus jamais d’avantage), car celle qui en devrait le plus avoir, n’en a guère et où la trouverai-je? Ah! que cela semble mal à qui la voit, qu’elle laisse ce chétif soupirant qui sans elle n’aura plus de bien, mourir, sans lui porter secours! (VII) Puisqu’auprès de ma dame ne me peuvent compter ni prières, ni pitié, ni le droit que j’ai et qu’il ne lui fait pas plaisir que je l’aime, jamais plus je ne lui en parlerai. Ainsi je m’éloigne d’elle et me retire; c’est un mort qu’elle a, et c’est un mort qui lui répond, je m’en vais, puisqu’elle ne me retient pas, pitoyable, en exil, je ne sais où. (VIII) Tristan, vous n’aurez plus rien de moi, je m’en vais, pitoyable, je ne sais où. Je cesse de chanter et je m’éloigne, à la joie et à l’amour je renonce. 130 Bernart de Ventadorn 3.1.4 Non es meravelha s’eu chan (I) Non es meravelha s’eu chan melhs de nul autre chantador, que plus me tra·l cors vas amor e melhs sui faihz a so coman. 4 Cor e cors e saber e sen e fors’e poder i ai mes; si·m tira vas amor lo fres que vas autra part no·m aten. 1 8 (II) Ben es mortz qui d’amor no sen al cor cal que dousa sabor; e que val viure ses amor 2 mas per enoi far a la gen? 3 12 Ja Domnedeus no·m’azir tan qu’eu ja pois viva jorn ni mes, pois que d’enoi serai mespres ni d’amor non aurai talan. 16 1 Das Gedicht thematisiert die totale Hinwendung des Dichters zur höfischen Liebe. 2 Ein Leben ses amor (so die Lesart der meisten Handschriften; andere haben ses valor) ist nicht lebenswert, ist nur enoi. 3 enoi, zum lateinischen Verb inodiare ‚Widerwillen verursachen’ zu stellen, hat „zwei Hauptnuancen, je nachdem ob das Missbehagen, das damit bezeichnet wird, durch eine konkrete Ursache, ein Bedrängnis, ein Leiden usw. hervorgerufen wird (1) oder aber dadurch, dass es der menschlichen Seele an einem sie befriedigenden Inhalt fehlt (2)” (FEW 4, 704). Hier ist jedenfalls der zweite Sinn gemeint. Non es meravelha s’eu chan 131 Es ist kein Wunder, wenn ich singe (I) Es ist kein Wunder, wenn ich singe besser als irgendein anderer Sänger, weil mich mein Herz mehr zur Liebe zieht und ich besser nach ihrem Auftrag gemacht bin. 4 Herz und Körper und Wissen und Urteilskraft und Kraft und Macht habe ich auf sie gesetzt; so sehr zieht mich der Zügel zur Liebe hin, dass ich anderswo hin nicht mehr strebe. 8 (II) Wirklich tot ist der, der von der Liebe nicht im Herzen irgendwelchen süßen Geschmack empfindet; und was ist es wert, zu leben ohne Liebe, nur um den Leuten Langeweile zu bereiten? 12 Gott kann mir nicht so sehr zürnen, dass er mich leben lässt Tage und Monate, nachdem ich an der Langeweile schuldig wäre und keine Neigung zur Liebe hätte. 16 Que vaut la vie sans Amour? 1 (I) Ce n’est pas surprenant que je chante, mieux que tout autre chanteur, davantage mon cœur m’entraîne vers l’amour, et je me prête mieux à son commandement. Le cœur, le corps, le savoir, l’entendement, la force, le possible, j’y ai tout consacré; le frein me tire tellement vers l’amour que je ne me porte nulle part ailleurs. (II) Il est bien mort celui qui de l’amour ne sent au cœur, quelque douce saveur; et que vaut vivre sans amour, si ce n’est pour ennuyer les gens? Que le Seigneur-Dieu ne se courrouce contre moi, au point que je vive jour et mois, en me rendant coupable de cet ennui, et sans avoir le désir de l’amour. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Léon Billet (1974, 177f.) . 132 Bernart de Ventadorn (III) Per bona fe e ses enjan am la plus bel’e la melhor. Del cor sospir e dels olhs plor, car tan l’am eu, per que i ai dan. 20 Eu que·n posc mais, s’Amors me pren? E las charcers en que m’a mes, no pot claus obrir mas merces, e de merce no·i trop nien. 24 (IV) Aquest’amors me fer tan gen al cor d’una dousa sabor; cen vetz mor lo jorn de dolor e reviu de joi autras cen. 28 Ben es mos mals de bel semblan, que mais val mos mals qu’autre bes; e pois mos mals aitan bos m’es, bos er lo bes apres l’afan. 32 (V) Ai Deus! car se fosson trian d’entre·ls faus li fin amador; e·lh lauzenger e·lh trichador portesson corns el fron denan! 36 Tot l’aur del mon e tot l’argen i volgr’aver dat, s’eu l’agues, sol que ma domna conogues aissi com eu l’am finamen. 40 Non es meravelha s’eu chan 133 (III) In guter Treue und ohne Täuschung liebe ich die Schönste und die Beste. Aus dem Herzen seufze ich und aus den Augen weine ich, denn ich liebe sie so sehr, dass ich Schaden davon habe. 20 Was kann ich noch tun, wenn die Liebe mich gefangen hält? Die Kerker, in die sie mich geworfen hat, kann kein Schlüssel öffnen außer der Gnade, und von Gnade finde ich bei ihr überhaupt nichts. 24 (IV) Diese Liebe trifft mich so schön im Herzen mit einem süßen Geschmack; hundert Mal sterbe ich am Tag vor Schmerz und lebe hundert andere Mal vor Freude wieder auf. 28 Wohl ähnelt mein Übel dem Schönen, denn mein Übel ist viel mehr wert als ein anderes Schönes; und weil mein Übel für mich so gut ist, wird das Schöne gut sein nach den Mühen. 32 (V) Ach Gott! Wenn doch die Unterschiede kenntlich wären zwischen den falschen und den feinen Liebenden, und wenn die Verleumder und die Betrüger Hörner auf der Stirn vorne trügen! 36 Alles Gold der Welt und alles Silber würde ich gegeben haben, wenn ich das erreichte, dass nur meine Dame erkennen würde, wie ich sie auf feine Art liebe. 40 (III) De bonne foi et sans tromperie, j’aime la plus belle et la meilleure. Mon cœur soupire et mes yeux pleurent, je l’aime tant, moi, que j’en souffre. Moi, je n’en peux plus, l’amour m’enchaîne et, la prison où il m’a enfermé, une seule clé peut l’ouvrir, pitié, et de pitié, je n’en trouve nullement? (IV) Cet amour me blesse si agréablement, au cœur, d’une douce saveur: Cent fois le jour je meurs de douleur, et je revis de joie cent autres fois. Mon mal est bien de belle apparence, car mon mal vaut plus que tout autre bien; puisque mon mal m’est si bon, bon sera le bien après la souffrance. (V) Eh Dieu! Que puissent se trier d’entre les faux les vrais amants, que les adulateurs et les tricheurs portent des cornes sur leur front! Tout l’or du monde et tout l’argent, je voudrais les avoir donnés, si je les avais pourvu que ma dame reconnût combien je l’aime parfaitement. 134 Bernart de Ventadorn (VI) Cant eu la vei, be m’es parven als olhs, al vis, a la color, car aissi tremble de paor com fa la folha contra·l ven. 44 Non ai de sen per un efan, aissi sui d’amor entrepres; e d’ome qu’es aissi conques, pot domn’aver almorna gran. 48 (VII) Bona domna, re no·us deman mas que·m prendatz per servidor, qu’e·us servirai com bo senhor, cossi que del gazardo m’an. 52 Ve·us m’al vostre comandamen, francs cors umils, gais e cortes! Ors ni leos non etz vos ges, que·m’aucizatz, s’a vos me ren. 56 (VIII) A Mo Cortes, lai on ilh es, 1 tramet lo vers, e ja no·lh pes car n’ai estat tan lonjamen. 1 Cortes mit der Bedeutung ‚Höfisch’ ist als senhal für einen joglar zu verstehen, der das Gedicht der Dame vorsingen soll. Non es meravelha s’eu chan 135 (VI) Wenn ich sie sehe, dann ist das an mir kenntlich an den Augen, am Gesicht, an der Farbe, denn so sehr zittere ich vor Furcht wie das Blattwerk es im Wind tut. 44 Ich habe nicht mehr den Verstand eines Kindes, so sehr bin ich von der Liebe ergriffen; und mit einem Mann, der so bezwungen ist, kann eine Dame großes Mitleid haben. 48 (VII) Gute Dame, nichts anderes verlange ich von euch als dass ihr mich als Diener annehmt, denn ich werde euch als guter Herr dienen, welchen Lohn ich dafür auch bekommen mag. 52 Seht mich unter eurem Befehl, einen edlen gütigen Körper, heiter und höfisch! Weder ein Bär noch ein Löwe seid ihr ja, die ihr mich töten würdet, wenn ich mich euch anvertraue. 56 (VIII) Du mein Cortes, wohin immer sie ist, dahin übersende ich den Vers, und es möge sie nicht erzürnen, dass ich so lange Zeit entfernt war. (VI) Quand je la vois, cela se remarque bien à mes yeux, à mon visage, à mon teint, car alors je tremble de peur comme fait la feuille contre le vent. Je n’ai pas plus de raison qu’un enfant, tellement je suis d’amour entrepris; à un homme qui est ainsi conquis une dame peut faire une grande charité. (VII) Bonne dame, je ne vous demande rien sinon de me prendre pour votre serviteur, je vous servirai comme un bon seigneur, quel que soit mon salaire. Voyez-moi à vos ordres, cœur loyal, humble, gracieux et courtois! Vous n’êtes sûrement pas un ours ou un lion, qui me dévorerait, si à vous je me rends. (VIII) A mon Courtois, là-bas où elle est, transmets ma chanson et qu’elle ne s’afflige plus, si j’ai mis tant de retard. 136 Bernart de Ventadorn 3.1.5 Lonc tems a qu’eu no chantei mai (I) Lonc tems a qu’eu no chantei mai ni saubi far chaptenemen. Ara no tem ploya ni ven, tan sui entratz en cossire 4 com pogues bos motz assire en est so c’ai apedit. Sitot no·m vei flor ni folha, melhs me vai c’al tems florit, 8 car l’amors qu’eu plus volh, me vol. (II) Totz me desconosc, tan be·m vai; e s’om saubes en cui m’enten, ni auzes far mo joi parven: 12 del melhs del mon sui jauzire! E s’eu anc fui bos sofrire, ara m’en tenh per garit, qu’e re no sen mal que·m dolha. 16 Si m’a jois pres e sazit, no sai si·m sui aquel que sol! Lonc tems a qu’eu no chantei mai 137 Es ist schon lange Zeit, dass ich nicht gesungen habe (I) Es ist schon lange Zeit, dass ich nicht gesungen habe und ich hatte kein angemessenes Auftreten. Jetzt fürchte ich weder Regen noch Wind, so sehr bin ich in eine Überlegung eingetreten, 4 wie ich gute Worte anordnen könnte in diesem Lied, das ich komponiert habe. Wenngleich ich weder Blume noch Blatt sehe, geht es mir besser als in der Zeit der Blüte, 8 denn die Liebe, nach der ich am meisten verlange, verlangt nach mir. (II) Ich kenne mich gar nicht mehr, so gut geht es mir; und wenn man wüsste, in wen ich verliebt bin oder meine Freude offenbar zu machen wagte: 12 Ich freue mich am Besten der Welt! Und wenn ich bisher ein guter Leider war, so halte ich mich jetzt für geheilt, denn in nichts fühle ich ein Übel, das mich schmerzen könnte. 16 Wenn mich die Freude ergriffen und erfüllt hat, weiß ich nicht, ob ich noch der bin, der ich zu sein pflegte! L’Amour vaut mieux que le printemps fleuri 1 (I) Voilà longtemps que je ne chantais plus ne sachant quelle conduite adopter. Maintenant je ne crains ni la pluie, ni le vent, tant je suis plongé dans la réflexion cherchant quels bons mot je pourrais insérer dans cette mélodie que j’ai apprise quoique je ne vois ni fleurs, ni feuilles, je suis mieux qu’à la saison fleurie, car l’amour que je veux le plus, me veut. (II) Je ne me reconnais plus, tant je vais bien; et si l’on savait qui je recherche, et si j’osais laisser paraître ma joie! De la meilleure du monde je reçois du bonheur! Si jadis j’ai beaucoup souffert, maintenant je m’en tiens pour guéri, je ne sens plus rien qui me fasse souffrir. La joie m’a pris et saisi, au point que je ne sais si je suis celui que je fus! 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Léon Billet (1974, 192f.). 138 Bernart de Ventadorn (III) El mon tan bon amic non ai, fraire ni cozi ni paren, 20 que, si·m vai mo joi enqueren, qu’ins e mo cor no·l n’azire, e s’eu m’en volh escondire no s’en tenha per trait. 24 No volh lauzengers me tolha s’amor ni·m leve tal crit per qu’eu me lais morir de dol. (IV) C’ab sol lo bel semblan que·m fai 28 can pot ni aizes lo·lh cossen, si tan de joi que sol no·m sen, 1 c’aissi·m torn e·m volv’e·m vire. E sai be, can la remire, 32 c’anc om belazor no·n vit; e no·m pot re far que·m dolha Amors, can n’ai lo chauzit d’aitan com mars clau ni revol. 36 1 Wörtlich bedeutet dies: ‚dass ich mir nicht mehr meiner selbst bewusst bin’. Lonc tems a qu’eu no chantei mai 139 (III) Auf der Welt habe ich keinen so guten Freund noch Bruder, noch Vetter, noch Verwandten, 20 der, wenn er mich nach meinem Glück fragte, dass ich in meinem Herz nicht zornig würde, und wenn ich mich verbergen würde möge er sich nicht für verraten halten. 24 Ich will nicht, dass ein Verleumder mir wegnehme ihre Liebe oder einen solchen Schrei an mich richte, durch den ich vor Schmerz sterbe. (IV) Nur mit dem schönen Antlitz, das sie mir macht, 28 wenn sie kann oder die Gelegenheit es ihr erlaubt, habe ich eine solche Freude, dass ich meinen Verstand verliere, und so wende ich mich, drehe und winde mich. Und ich weiß gut, wenn ich sie anschaue, 32 dass man niemals eine Schönere gesehen habe; und niemals kann etwas machen, das mich schmerzt, die Liebe, denn ich habe erkannt was das Meer einschließt oder umschließt. 36 (III) Dans le monde je n’ai si bon ami, frère, voisin, parent, que, s’il vient de ma joie s’enquérir, en mon cœur je ne le haïsse, et si je veux m’en cacher, qu’il ne se tienne pas pour trahi. Je ne veux pas qu’un flatteur m’enlève son amour et ne m’arrache tel cri que je pousserais en me laissant mourir de douleur. (IV) Avec la bonne mine qu’elle me fait quand elle peut et en a l’occasion, j’ai tant de joie que je ne me sens plus, que je me tourne et volte et vire. Je sais bien quand je la contemple, que nul jamais n’en vit de plus belle; et il ne peut rien faire pour m’affliger, amour, alors que j’ai fait un choix qui égale tout ce que la mer renferme et retourne. 140 Bernart de Ventadorn (V) Lo cors a fresc, sotil e gai, et anc no·n vi tan avinen. Pretz e beutat, valor e sen a plus qu’eu no vos sai dire. 1 40 Res de be no·n es a dire, ab sol c’aya tan d’ardit c’una noih lai o·s despolha, me mezes, en loc aizit, 44 e·m fezes del bratz latz al col. 2 (VI) Si no·m aizis lai on ilh jai, si qu’eu remir son bel cors gen, doncs, per que m’a faih de nien? 48 Ai las! Com mor de dezire! Vol me doncs midons aucire, car l’am? O que lh’ai falhit? Ara·n fassa so que·s volha 52 ma domna, al seu chauzit, qu’eu no m’en planh, sitot me dol. 1 Hier wird eine ideale Dame in ihren körperlichen und geistigen Vorzügen geschildert. 2 Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf Ovids amores 2,18,9: „implicuitque suos circum mea colla lacertos“, ‚und sie legte ihre Arme um meinen Hals’. Vgl. Comtessa de Dias Estat ai en greu cossirier, Vers 10. Lonc tems a qu’eu no chantei mai 141 (V) Sie hat einen frischen, schlanken und heiteren Körper, und ich habe noch nie einen so anmutigen gesehen. Preis und Schönheit, Wert und Verstand hat sie mehr, als ich euch sagen kann. 40 Kein Gut fehlt ihr, und so hat sie so viel Kühnheit, dass sie eine Nacht mich dorthin, wo sie sich auszieht, führte, an den passenden Ort, 44 und mir aus ihrem Arm eine Schlinge für meinen Hals machte. (VI) Wenn sie mich nicht empfängt dort, wo sie liegt, so dass ich ihren schönen edlen Körper ansehen kann, warum hat sie mich dann aus Nichts erhoben? 48 O weh! Wie ich vor Verlangen sterbe! Will mich denn meine Herrin umbringen, wo ich sie doch liebe? Worin habe ich einen Fehler gemacht? Jetzt soll sie machen, was sie will, 52 meine Herrin, nach ihrer Wahl, denn ich werde darüber nicht klagen, obwohl es mich schmerzt. (V) Son corps est frais, svelte et gai, jamais on n’en vit de si gracieux. De prix, de beauté, de valeur, d’intelligence elle en a plus que je ne sais vous dire. Rien de bien n’en est à dire, sauf qu’elle a eu tant de hardiesse qu’une nuit là où elle se dévêt, elle m’a amené, en lieu propice, et de ses bras m’a fait un collier autour du cou. (VI) Si elle ne me mène là où elle repose, pour que je puisse contempler son joli corps gracieux, pourquoi donc m’a-t-elle fait de rien? Hélas! Je me meurs de désir! Veut-elle donc me tuer, ma dame, parce que je l’aime? En quoi lui ai-je manqué? Maintenant qu’elle me fasse ce qu’elle veut, ma dame, à son gré, je ne m’en plains pas, même si j’en souffre. 142 Bernart de Ventadorn (VII) Tan l’am que re dire no·lh sai; mas ilh s’en prend’esgardamen, 56 qu’eu non ai d’alre pessamen mas com li fos bos servire. E s’eu sai chantar ni rire, tot m’es per leis escharit. 60 Ma domna prec que m’acolha, e pois tan m’a enriquit, no sia qui dona, qui tol. (VIII) De cor m’a, coras se volha. 1 64 Ve·us me del chantar garnit, pois sa fin’amors m’o assol. 1 Es liegt ein Wortspiel zwischen cor ‚Herz’ und coras ‚wenn’ vor. Lonc tems a qu’eu no chantei mai 143 (VII) So sehr liebe ich sie, dass ich das nicht aussagen kann; aber sie möge in Betrachtung ziehen, 56 dass ich keinen anderen Gedanken habe als den, ihr ein guter Diener zu sein. Und wenn ich singen oder lachen kann, ist mir das alles durch sie geschenkt. 60 Meine Dame bitte ich, mich zu empfangen, und dann hat sie mich so bereichert, dass da niemand ist, der gibt, der nimmt. (VIII) Von Herzen hat sie mich, wenn sie will. 64 Seht mich zum Singen ausgerüstet, denn ihre feine Liebe erlaubt mir das. (VII) Je l’aime tant que je ne sais rien de lui dire, mais qu’elle fasse bien attention, que je n’ai pas d’autre intention que d’être son bon serviteur. Si je sais chanter et rire, tout par elle m’advient. Je prie ma dame de m’accueillir, puisqu’elle m’a tant enrichi, qu’elle ne soit pas celle qui donne et qui reprend. (VIII) De tout cœur, je suis à elle, quand elle voudra. Vous me voyez prêt à chanter, puisque son bel amour me réconforte. 144 Bernart de Ventadorn 3.1.6 Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn (I) «Amics Bernartz de Ventadorn, com vos podetz de chant sofrir, can aissi auzetz esbaudir lo rossinholet noih e jorn? 4 Auyatz lo joi que demena! Tota noih chanta sotz la flor. Melhs s’enten que vos en amor.» 1 (II) «Peire, lo dormir e·l sojorn 8 am mais que·l rossinhol auvir; ni ja tan no·m sabriatz dir que mais en la folia torn. Deu lau, fors sui de chadena, 12 e vos e tuih l’autr’amador etz remazut en la folor.» (III) «Bernartz, greu er pros ni cortes qui ab amor no·s sap tener; 16 ni ja tan no·us fara doler que mais no valha c’autre bes, car, si fai mal, pois abena. Greu a om gran be ses dolor; 20 mas ades vens lo jois lo plor.» 1 In dieser Tenzone tritt Peire d’Alvernha als Vertreter der amor auf, während Bernart de Ventadorn sich als ihr Gegner stilisiert. Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn 145 Tenzone zwischen Peire von Alvernhe und Bernart von Ventadorn (I) «Freund Bernart von Ventadorn, wie könnt ihr euch des Gesanges enthalten, wenn ihr doch hört, wie fröhlich die kleine Nachtigall in der Nacht und am Tage ist? 4 Hört die Freude, die sie zum Ausdruck bringt! Die ganze Nacht singt sie unter den Blüten. Sie versteht sich besser als ihr auf die Liebe.» (II) «Peire, das Schlafen und die Ruhe 8 liebe ich mehr als das Hören der Nachtigall; denn ihr könnt mir nichts sagen, um mich zur Verrücktheit zurückkehren zu lassen. Gott sei dank bin ich frei von der Kette, 12 und ihr und alle anderen Liebenden seid in der Narretei verblieben.» (III) «Bernart, schwer wird tüchtig und höfisch sein, der sich mit der Liebe nicht abzugeben weiß; 16 und sie wird euch nicht so viel Schmerz bereiten, dass dieser nicht so viel wert ist wie jedes andere Gut, denn, wenn es Übles schafft, erweist es dann Gutes. Schwer erreicht der Mensch ein großes Gut ohne Schmerz; 20 aber immer besiegt die Freude die Trauer.» Plaidoyer en faveur de l’Amour pour arracher Bernard à son désenchantement 1 (I) Ami, Bernard de Ventadour, comment pouvez-vous vous abstenir de chanter, quand ainsi vous entendez se livrer à l’allégresse, le rossignolet, nuit et jour? Entendez la joie qu’il manifeste! Toute la nuit, il chante sous les fleurs. Mieux que vous, il s’entend à l’amour. (II) Pierre, le sommeil et le repos, je les préfère à l’audition du rossignol; jamais vous ne saurez mieux me dire, que je sombre davantage dans la folie. Dieu merci, je suis délivré de mes chaînes, tandis que vous et les autres amoureux vous êtes demeurés dans la démence. (III) Bernard, il n’est guère preux ni courtois celui qui ne sait pas se tenir à l’amour; jamais il ne vous procurera une telle souffrance qui ne vaille plus que tout autre bien, car s’il fait du mal, ensuite il fait du bien. Rarement on a de grand bien sans douleur; mais bientôt la joie chasse les pleurs. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Léon Billet (1974, 320f.). 146 Bernart de Ventadorn (IV) «Peire, si fos dos ans o tres lo segles faihz al meu plazer; de domnas vos dic eu lo ver: 24 non foran mais preyadas ges, ans sostengran tan greu pena qu’elas nos feiran tan d’onor c’ans nos prejaran que nos lor.» 28 (V) «Bernartz, so non es d’avinen que domnas preyon; ans cove c’om las prec e lor clam merce; et es plus fols, mon escien, 32 que cel qui semn’en l’arena, qui las blasma ni lor valor; e mou de mal ensenhador.» (VI) «Peire, mout ai lo cor dolen, 36 can d’una faussa me sove, que m’a mort, e no sai per que, mas car l’amava finamen. Faih ai longa carantena, 1 40 e sai, si la fezes lonhor, ades la trobara pejor.» 1 Das Konzept der carantena d’amor aus Kummer über das Verhalten einer bestimmten Dame kommt mehrfach bei den Troubadours vor. Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn 147 (IV) «Peire, wenn zwei oder drei Jahre die Welt nach meinem Vergnügen gemacht wäre, so sage ich euch von den Damen die Wahrheit: 24 Sie würden überhaupt nicht mehr gebeten werden, sondern sie würden große Pein leiden, so dass sie uns soviel Ehre erweisen würden, dass sie eher uns bitten würden als wir sie.» 28 (V) «Bernart, das ist nicht passend, dass die Damen bitten; vielmehr gehört es sich, dass der Mann sie bittet und ihre Gnade anruft; und verrückter, meiner Treu, 32 als jemand, der auf Sand sät, ist der, der die Frauen oder ihren Wert tadelt, und er kommt von einem schlechten Lehrer her.» (VI) «Peire, ich habe ein sehr betrübtes Herz, 36 wenn ich mich an eine falsche Frau erinnere, die mich umgebracht hat, und ich weiß nicht warum, außer dass ich sie auf feine Art liebte. Ich habe eine lange Enthaltsamkeit geübt, 40 und ich weiß, wenn ich sie noch länger eingehalten hätte, würde ich sie noch immer schlechter finden.» (IV) Pierre, si pendant deux ans ou trois, le monde était à mon gré, sur les dames je vous dis, moi, la vérité; elles ne seraient plus guère suppliées, mais se résigneraient à grand peine, à nous faire tant d’honneur qu’elles nous prieraient plus que nous les prierions. (V) Bernard, il n’est pas convenable que les dames supplient; mais il convient qu’on les prie et leur demande grâce; et il est plus fou, à mon sens, que celui qui sème dans le sable celui qui les blâme et rebaisse leur valeur; de beaucoup de mal, il se fait colporteur. (VI) Pierre, j’ai bien mal au cœur, quand je me souviens d’une traitresse, qui m’a fait mourir, et je ne sais pourquoi car je l’aimais parfaitement. J’ai fait une longue quarantaine, et je sais, que si je la faisais plus longtemps, je la trouverais encore pire. 148 Bernart de Ventadorn (VII) «Bernartz, foudatz vos amena, car aissi vos partetz d’amor, 44 per cui a om pretz e valor.» (VIII) «Peire, qui ama, desena, car las trichairitz entre lor an tout joi e pretz e valor.» 1 48 1 Die Frauen garantieren nach Peire d’Alvernha den Bestand von pretz und valor, den Grundfesten der höfischen Welt, während sie nach Bernart de Ventadorn gerade joi, pretz und valor verraten und so das Ende dieser Welt heraufbeschwören. Tensó entre Peire d’Alvernha e Bernart de Ventadorn 149 (VII) «Bernart, die Torheit leitet euch, da ihr so von der Liebe euch trennt, 44 durch die man Preis und Wert hat.» (VIII) «Peire, wer liebt, verliert den Verstand, denn die Betrügerinnen haben gemeinsam weggenommen Freude und Preis und Wert.» 48 (VII) Bernard, la folie vous tient, car ainsi vous renoncez à l’amour, grâce auquel on a mérite et valeur. (VIII) Pierre, qui aime, est insensé, car les (dames) infidèles entre elles ont toutes joie, mérite et valeur. 150 Peire d’Alvernha 3.2 Peire d’Alvernha (...1138-1180...) Peire d’Alvernha ist einer der ersten Troubadours aus der Auvergne, also aus dem Norden des provenzalischen Sprachraumes. Er war nach der vida bürgerlicher Herkunft und wuchs im geistlichen Ambiente auf. Zunächst wandte sich Peire d’Alvernha aber vom Dasein als Kleriker ab und war an verschiedenen Höfen, auch in Kastilien und Katalonien, als Sänger tätig. Im Alter kehrte er sich aber wieder den klösterlichen Idealen zu. Peire d’Alvernha ist von Marcabru beeinflusst, dessen im trobar clus zum Ausdruck kommenden „dunklen Stil” er durch stärkere Verwendung raffinierter Reime, sentenzenhafter Kurzverse sowie einer oft komplizierten Sprachverwendung zum trobar ric, also zum „kunstreichen Stil”, verfeinerte und weiterentwickelte. Wegen seiner Stilvirtuosität hat Peire d’Alvernha sich selbst zum Meister aller Troubadours ausgerufen: In seiner Troubadour-Sirventés (Cantarai d’aqestz trobadors) sagt er von sich selbst, dass er maistres es de totz (Vers 82), wenn auch die zur Anwendung kommende Verskunst so kompliziert sei, das „kaum jemand seine Worte versteht” (Vers 84: c’a penas nuils hom los enten). Besonders die italienischen Dichter pflichteten Peire d’Alvernha in seiner Selbsteinschätzung bei: Dante ordnet in seinem um 1305 geschriebenen Werk De vulgari eloquentia alle Troubadours seinem Namen zu (I 10, 2: In der lingua oc „primitus poetati sunt tamquam in perfectiori dulciorique loquela, ut puta Petrus de Alvernia et alii antiquiores doctores”, also ‚zuerst hat man in einer besonders vollkommenen und angenehmen Sprache geschrieben, wie Peire d’Alvernha und andere alte Autoren’), und Petrarca nennt ihn zusammen mit Giraut de Bornelh (Triumphus Cupidinis IV 48: „e ’l vecchio Pier d’Alvernia con Giraldo”). Die neueren Urteile über Peire d’Alvernha sind etwas weniger hoch gestimmt: Er wird eher als Dichter des Überganges zwischen der Generation von Marcabru und den wirklichen Neueren der Generation von Arnaut Daniel angesehen. Seine technische Meisterschaft im Umgang mit den Versen, die sich in üppigen Metaphern, Konsonantenhäufungen, Alliterationen, komplizierten Reimen und Enjambements ausdrückt, lässt eher an eine gewisse Manieriertheit denken. Oft ist die Dunkelheit seiner Verse der Ausdruck einer gesuchten Uneindeutigkeit. Von Peire d’Alvernha sind 21 Gedichte erhalten, darunter die Tenzone mit Bernart de Ventadorn. Neben dem Troubadour-Sirventés, das wegen der Anspielungen auf viele unbekannte Sänger hier nicht aufgenommen werden soll, ist das zweiteilige Nachtigall-Gedicht das wohl erfolgreichste Lied des Sängers. Im ersten Teil beauftragt der Troubadour eine Nachtigall, Peire d’Alvernha 151 was sie seiner Dame von ihm ausrichten soll. Im zweiten Teil trägt die Dame dem Vogel ihre günstige Antwort auf. Strophenstruktur: Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge: Gedicht in zwei Teilen, die aus jeweils sechs zehnzeiligen coblas unissonans (Reimschema: a b a b c c d c c d) zusammengesetzt sind. Literatur: Monte, Alberto del: Peire d’Alvernha. Liriche. Torino (Loescher) 1955. Zenker, Rudolf: Peire d’Auvergne, Die Lieder, Erlangen (Junge) 1900 (= Romanische Forschungen 12, 1900, 653-924). 152 Peire d’Alvernha 3.2.1 VIDA Peire d’Alverne si fo de l’evesquat de Clarmon 1 . Savis homs fo e ben letratz, e fo fils d’un borges. Bels et avinens fo de la persona. E trobet ben e cantet ben, e fo lo premiers bons trobaire que fon outra mon et aquel que fez los meillors sons de vers que anc fosson faichs: Dejosta·ls breus jorns e·ls loncs sers. 2 Canson no fetz, qe non era adoncs negus cantars appellatz cansos, mas vers; qu’En Guirautz de Borneill 3 fetz la premeira canson que anc fos faita. Mout fo onratz e grasitz per totz los valenz barons que adonc eran e per totas las valenz dompnas, et era tengutz per lo meillor trobador del mon, tro que venc Guirautz de Borneill. Mout se lausava en sos cantars e blasmava los autres trobadors, si qu’el dis de si en una cobla d’un sirventes qu’il fez: 4 Peire d’Alverne a tal votz que chanta de sobr’e de sotz e siei son son douz e plazen; e pois es maistre de totz, ab q’un pauc esclaris sos motz, qu’a penas nuillz hom los enten. Longamen estet e visquet al mon ab la bona gen, segon qu’en dis lo Dalfins d’Alverne, que nasquet en son temps; e pois el fetz penitensa e mori. 1 Clermont-Ferrand liegt von der eigentlichen Provence aus gesehen nördlich des Massif Central, also outra mon. 2 Dabei handelt es sich um das Gedicht Nr. 6 bei R. Zenker, um Nr. XV 46 bei Martín de Riquer. 3 Guiraut de Bornelh wird vom Verfasser der vida als Höhe- und zugleich Wendepunkt der Troubadourdichtung angesehen. 4 Die 14. und vorletzte Strophe des Troubadour-Sirventés (Nr. 12 Zenker; Nr. XV 49 bei de Riquer) weist gegenüber der Fassung der Liederhandschriften im zweiten, dritten und vierten Vers Varianten auf (die Handschriften haben: que chanta con granoill’en potz, | e lauza·s mout a tota gen; / pero maistres es de totz). Vida 153 LEBEN Peire d’Alvernha stammte aus dem Bistum Clermont. Er war ein kluger und sehr gebildeter Mann, und er war der Sohn eines Bürgers. Von Gestalt war er schön und anmutig. Und er dichtete und sang gut, und er war der erste gute Troubadour jenseits des Gebirges und derjenige, der die besten Singweisen, die es je gab, komponierte: Während der kurzen Tage und der langen Abende. Kanzonen dichtete er nicht, denn damals nannte man kein Lied Kanzone, sondern Vers; erst später dichtete Guiraut de Bornelh die erste Kanzone, die jemals entstandt. Peire d’Alvernha wurde von allen edlen Baronen, die damals lebten, und von allen edlen Damen sehr geehrt und gefeiert, und er wurde für den besten Troubadour der Welt gehalten, bis später Guiraut de Bornelh kam. Er lobte sich sehr in seinen Liedern und tadelte die anderen Troubadours, so dass er in einer Strophe eines Sirventés, das er dichtete, von sich sagte: Peire d’Alvernha hat eine solche Stimme, dass er hoch und tief singt, und seine Singweisen sind süß und gefällig; und dann ist er der Meister von allen, würde er nur ein wenig seine Worte klären, denn kaum jemand versteht sie. Lange lebte er in der Welt und hatte Umgang mit adeligen Leute, wie mir der Dauphin der Auvergne erzählte, der zu seiner Zeit geboren wurde; und dann tat er Buße und starb. 154 Peire d’Alvernha 3.2.2 Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge (I) „Rossinhol, el seu repaire (I) Ben ha tengut dreg viatge m’iras ma dona vezer l’auzels lai on e·l tramis, e diguas li·l mieu afaire et ill envia·m mesatge 4 et ill digua·t del sieu ver 1 , segon que de mi formis 2 : e man sai „Molt mi platz, com l’estai, so sapchatz, mas de mi·ll sovenha, vostra parladura; 8 que ges lai et aujatz, per nuill plai que·l diguatz ab si no·t retenha, so don mi pren cura. (II) qu’ades no·m tornes re- [traire (II) Fort mi pot esser salvatge 12 son star e son captener, quar s’es lonhatz mos amis, qu’ieu non ai paren ni fraire qu’anc joi de negun linhatge don tant o vueilla saber.” no vi que tan m’abelis; Ar s’en vai trop viatz 16 l’auzels guai fo·l comjatz, dreit vas hon ill renha 3 , mas, s’ieu fos segura, ab essai, mais bontatz ses esglai, n’agr’asatz: 20 tro qu’en trob l’ensenha. per qu’ieu n’ai rancura. 1 ver ist hier als ‚Wahrheit’ aufzufassen. 2 R. Zenker (1900, 840) versteht: ‚Sie sendet mir Botschaft entsprechend dem, d. h. in Beantwortung dessen, was er (der Vogel) von mir (an sie) ausrichtet’. 3 renhar heißt ‚leben, sich aufhalten’. Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge 155 Nachtigall, in ihrer Wohnstätte Seinen Weg hat gut eingehalten (I) „Nachtigall, in ihrer Wohnstätte (I) Seinen Weg hat gut eingehalten wirst du meine Herrin besuchen [gehn, der Vogel, wo er ihn hinschickte, und sage ihr meinen Zustand, und er schickte mir die Botschaft 4 und sie sage dir die Wahrheit über [ihren. ganz so, wie ich es erwartete: und sie melde hierher, „Sehr gefällt mir, wie es ihr geht; das sollt ihr wissen, aber von mir erinnere sie dar- [an, eure Rede; 8 dass sie nur ja nicht, und hört zu, unter keiner Bedingung, um ihm das zu sagen, dich bei ihr zurückhalte, was mir am Herzen liegt. (II) bevor du nicht zurückkehrst, [um mir (II) Es kommt mich sehr hart an, 12 ihr Befinden und Treiben zu berich[ten, dass mein Freund sich abwandte, denn ich habe keinen Verwandten [noch Bruder, denn von keiner Verwandtschaft [hatte ich eine Freude von dem ich so viel erfahren [möchte.” die mir so viel bedeuten würde; Jetzt fliegt davon zu rasch kam 16 der muntere Vogel, der Abschied; direkt dahin, wo sie verweilt, aber wäre ich seiner sicher, mit Mut, hätte ich ihm viele ohne Furcht, Freundlichkeiten erwiesen. 20 bis er ihr Abzeichen findet. Deswegen bin ich traurig. Message d’Amour 1 (I) «Rossignol, tu iras voir ma dame dans sa retraite; dis-lui mes sentiments, et qu’elle te dise sincèrement les siens; qu’elle me fasse connaître ci comment elle va; mais qu’elle se souvienne de moi et que sous aucun prétexte elle ne te retienne là-bas auprès d’elle.» (I) L’oiseau est bien allé tout droit là où je l’ai envoyé; et quand à elle, elle me mande un message conforme à ce qu’il a dit de moi: «Vos paroles, sachez-le, me plaisent beaucoup; et écoutez, pour le lui rapporter quels sont les sentiments que j’ai au cœur.» (II) «De manière que tu ne reviennes pas aussitôt me dire son état et ses sentiments; car je n’ai ni parent ni frère dont la santé m’intéresse autant.» Aussitôt l’oiseau gai s’en va droit vers le pays où elle habite; il part de bon cœur et sans crainte, jusqu’à ce qu’il ait trouvé l’enseigne de sa demeure. (II) «Il peut me déplaire beaucoup que mon ami se soit éloigné; car jamais je n’ai vu personne d’aussi haut lignage dont l’amour me plût autant; trop rapide fut la séparation; mais si j’étais sûre de lui, il en aurait beaucoup plus de bontés; et c’est cela qui m’attriste.» 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Joseph Anglade, 1927, 88-93. 156 Peire d’Alvernha (III) Quan l’auzeletz de bon [aire (III) Que tan l’am de bon co- [ratge, vi sa beutat aparer, qu’ades, s’eu entredormis, dous chant comenset a braire, ab lui ai en guidonatge 24 si com sol far contra·l ser; joc e joi e gaug e ris; pueis se tai, e·l solatz que non brai, c’ai em patz mas de liei s’engenha no sap creatura, 28 co·l retrai tan quan jatz ses pantai e mos bratz, so qu·ill auzir denha. tro que·s trasfigura. (IV) „Sel que·us es verais [amaire, (IV) Tostems mi fo d’agradatge, 32 volc qu’ieu en vostre poder pos lo vi et ans que·l vis, vengues sai esser chantaire, e ges de plus ric linhatge per so que·us fos a plazer. non vueill autr’aver conquis; E sabrai, mos cuidatz 36 quan veirai, es bos fatz; de vos l’entresenha 1 , no·m pot far tortura que·il dirai. vens ni glatz Si ren sai, ni estatz 40 per qu’el lai s’en fenha, ni cautz ni freidura. 1 Mit entresenha ist hier das verabredete Zeichen gemeint, an dem die gegenseitige Zuneigung den Eingeweihten deutlich wird und das zugleich die anderen ausschließt. Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge 157 (III) Als das zahme Vögelchen (III) Denn so sehr liebe ich ihn von [Herzen, ihre Schönheit erscheinen sah, dass jetzt, wenn ich einschlafe, stimmte es seinen süßen Gesang [an, mit ihm ich zur Gesellschaft habe 24 so, wie es am Abend zu tun pflegt. Spiel, Freude, Spaß und Lachen; Dann schwieg es, und das Vergnügen, sang nicht mehr, das ich im Stillen habe, aber bei sich denkt es nach, kennt keine Kreatur, 28 wie es berichten könnte so lange er liegt ohne Verwirrung das, in meinen Armen, was sie zu hören geruhen mö- [ge. bis er sich verwandelt. (IV) „Der, der euch wahrhaftig [liebt, (IV) Alle Zeit war er mir ange- [nehm, 32 wollte, das ich in euer Besitztum seit ich ihn sah und bevor ich ihn [sah, komme, um hier zu singen, und niemanden vornehmeren [Standes damit es euch zur Freude gereiche. wünschte ich erobert zu haben; Und ich werde wissen, mein Gedanke 36 wenn ich es sehen werde, hat sich gut erfüllt; was euer Zeichen sein soll, keinen Schmerz kann mir antun was ich ihm sagen werde. der Wind, das Eis, Wenn ich etwas weiß, der Sommer, 40 über das er dort stolz sein [darf, die Hitze oder die Kälte. (III) Quand l’oiseau de noble naissance vit apparaître sa beauté, il commença à moduler son doux chant, comme il a coutume de faire vers le soir; puis il cesse sa chanson, il se tait; mais il s’engénie pour savoir comment il lui racontera sans peur ce qu’elle daignera entendre. (III) «Car je l’aime d’un cœur si sincère que, si je suis à moitié endormie, aussitôt je possède en sa compagnie jeux et joies, plaisirs et ris; et la joie que j’ai en secret, personne ne la connaît, aussi longtemps qu’il est couché dans mes bras, jusqu’à ce qu’il disparaisse.» (IV) «Celui qui est votre amant fidèle, dit-il, a voulu que je vinsse me mettre à votre disposition pour chanter à votre plaisir; et je saurai, quand je verrai, à quoi servira le signe; et si j’apprends quelque chose, je lui dirai, pour qu’il dissimule là-bas». (IV) «Depuis que je l’ai vu, et même avant, il m’a toujours plu; et je ne voudrais pas en avoir subjugué d’autre qui fût d’un plus haut lignage; mes sentiments ont une heureuse conséquence: ni vent, ni glace, ni chaleur d’été, ni froidure ne me causent aucun ennui.» 158 Peire d’Alvernha (V) e si·l port per que·s [n’esclaire, (V) Bon’amors ha un uzatge gran gaug en devetz aver, co·l bos aurs, quan ben es fis, qu’anc hom no nasquet de [maire que s’esmera de bontatge, 44 tan de be·us puesca voler. qui ab bontat li servis; Ie·m n’irai e crezatz e·m mourai c’amistatz ab gaug, on que·m venha… cascun jorn meillura: 48 No farai, meilluratz quar non ai et amatz dig qual plaig en prenha. es cui jois s’aura. (VI) D’aiso·m farai plaidejaire: (VI) Dous auzels, vas son es- [tatge 52 qui·n amor ha son esper, m’iretz, quan venra·l matis no·s deuria tardar gaire, e diguatz l’en dreg lengatge tan com l’amors n’a lezer; de qual guiza l’obedis.” que tost chai Abrivatz 56 blancs en bai n’es tornatz, com flors sobre lenha; trop per gran mezura e val mai doctrinatz qui·l fag fai, 1 emparlatz 60 ans qu’als la·n destrenha.” de bon’aventura. 1 Der Sinn dieser Zeilen ist: Weiße Haare lösen die blonden ab, d. h. man wird älter, so wie die Blüte am Baum vergänglich ist, und man muss seine Jugend genießen. Rossinhol, el seu repaire Ben ha tengut dreg viatge 159 (V) und wenn ich ihm Erheitern[des bringe, (V) Gute Liebe verhält sich wie müsst ihr darüber große Freude [haben, gutes Gold, wenn es ganz fein ist, denn noch nie war ein Mensch das an Lauterkeit zunimmt, 44 gegen euch so wohlgesinnt. wenn man es gut behandelt; Ich werde wegfliegen und glaubt, und werde mich fortbe- [wegen dass Freundschaft mit Freude, wo ich hin- [komme- jeden Tag edler wird; 48 ich werde es nicht machen, veredelt denn ich habe noch nicht und geliebt gesagt, wie ich das beurteile. ist der, dem Freude winkt. (VI) Folgendes will ich vertreten: (VI) Süßer Vogel, zu seinem Sitz [fliegt 52 Wer auf Liebe seine Hoffnung [setzt, mir, wenn der Morgen kommt, darf auf keinen Fall zögern, und sagt ihm in guter Sprache, solange sich Liebe Zeit lässt; wie ich ihm ergeben bin.” denn bald folgt Auf kurzem Weg 56 weiß auf blond, ist er zurückgekehrt, wie eine Blüte am Baum, in ganz großem Maße und es ist besser unterrichtet, das Machbare zu machen eloquent erzählend 60 bevor etwas anderes sie dazu [zwingt. von einem glücklichen Aben- [teuer. (V) «Et si je lui apporte un message qui puisse le renseigner sur vos sentiments, vous devez en avoir grande joie; car jamais homme ne vous voulut tant de bien; quant à moi, je m’en irai et je partirai avec joie, où que j’aille; mais non, je ne le ferai pas, car je n’ai pas dit encore quelle décision je prends.» (V) «Il en est de l’amour sincère comme du bon or, quand il est très fin: il gagne en s’affinant, si on le traite bien; et croyez que l’amour s’améliore tous les jours; celui à qui l’amour est promis est amélioré et aimé.» (VI) «Voici quelle sera ma plaidoirie: Quand on a son espoir dans l’amour, il ne faut pas tarder longtemps à agir, tant qu’amour en a le loisir; bientôt la blancheur tombe sur les cheveux blonds, comme la fleur sur l’arbre; et il vaut mieux agir avant que l’amour ne soit asservi par un autre.» (VI) «Doux oiseau, vers sa demeure, vous irez quand viendra le matin et dites-lui en clair langage de quelle manière je lui obéis.» En hâte, en très grande hâte même, l’oiseau est revenu, bien stylé et parlant bien de sa jolie aventure. 160 Raimbaut d’Aurenga 3.3 Raimbaut d’Aurenga (1144-1173) Raimbaut d’Aurenga oder in französischer Form Raimbaud d’Orange, geboren um 1144, ist der erste Troubadour aus der eigentlichen Provence. Er war der zweite Sohn von Guilhem d’Omelas, von dem er ausgedehnte Besitzungen in den Diözesen Montpellier und Maguelonne erbte, und von Tiburga, die ihm die Grafschaft Orange und das Schloss Courthézon hinterließ, auf dem er den größten Teil seines Lebens verbrachte und 1173 auch starb. Unter dem Namen dieses Troubadours sind 40 Dichtungen bekannt, die zum großen Teil dem trobar ric und dem trobar clus zuzurechnen sind. Angesichts der komplizierten Formgebung muss man davon ausgehen, dass Raimbaut, der noch vor seinem dreißigsten Lebensjahr - ohne Erben zu hinterlassen - starb, sehr früh mit der Dichtung begonnen hat. Er stand in Beziehungen zu anderen Troubadours wie Giraut de Bornelh, Peire Rogier oder Peire d’Alvernha. Die Damen, die Raimbaut d’Aurenga in seinen Liedern besingt, bleiben trotz der Phantasie, die der Autor der vida auf die Identifikation aufgewendet hat, merkwürdig farblos, so dass die Forschung dazu neigt, ihre reale Existenz in Frage zu stellen. Die in der vida berichteten Details sind einerseits eine Wiederaufnahme der Geschichten um die amor de lonh, wie sie in der vida von Jaufré Rudel auftauchen, andererseits eine schlecht verdaute Nacherzählung der Geschichte der Grafschaft Orange, die in der Tat wegen der Auftauchens immer derselben dynastischen Namen nicht leicht zu durchschauen ist: Der kinderlose und wahrscheinlich unverheiratete Raimbaut d’Aurenga hat seinen Besitz jedenfalls nicht seinen imaginären Töchtern, sondern seinen beiden Schwestern vermacht. Das hier ausgewählte Gedicht ist wegen der Virtuosität seines Umgangs mit auf die Verse verteilten Schlüsselwörtern berühmt. Der Ausgangspunkt ist die Umkehrung des Frühlingsmotivs, das normalerweise die junge Liebe repräsentiert. Hier bildet der Winter in einer Art Antitopos ein Gegenbild, ein enverse, zu amor und joi (Vers 49) des Troubadours. In den Strophen I bis VI wird das letzte Wort der Verse (oder eine Variante davon) jeweils wiederaufgenommen: envers (Verse 1, 9, 17, 25, 33, 41), tertre (Verse 2, 10, 18, 26, 34, 42), conglapi (Verse 3, 11, 19, 27, 35, 43), trencar (Verse 4, 12, 20, 28, 36, 44), siscle (Verse 5, 13, 21, 29, 37, 45), giscle (Verse 6, 14, 22, 30, 38, 46), joi (Verse 7, 15, 23, 31, 39, 47), croi (Verse 8, 16, 24, 32, 40, 48). Da diese Wörter in verschiedenen Bedeutungen auftauchen, ist die Übersetzung des Gedichts ziemlich schwierig. Raimbaut d’Aurenga 161 Strophenstruktur: Er resplan la flors enversa: sechs coblas alternadas (Reimstruktur: a - b - c - d - e - e - f - f) und zwei tornadas. Literatur: Appel, Carl: Raïmbaut von Orange, Berlin (Weidmann) 1928 (Nachdruck Genève 1973). Pattison, Walter T.: The life and works of the Troubadour Raimbaut d’Orange, Minneapolis (University of Minnesota) 1952. 162 Raimbaut d’Aurenga 3.3.1 VIDA Roembauz d’Aurenga si fo lo seingner d’Aurenga e de Corteson e de gran ren d’autrez castels. E fo adreich et eseingnaz, e bons cavalliers d’armas, e gens parlans. Et mout se deleitet en domnas onradas et en donnei onrat. E fo bons trobaires de vers e de chansons; mas mout s’entendeit en far caras rimas e clusas. Et amet longa sason una domna de Proensa, que avia nom ma domna Maria de Vertfuoil 1 , et apellava la „son Joglar” en sas chiansos. Longamen la amet et ella lui. E fez maintas bonas chansos d’ella e mainz autres bons faics. Et el s’ennamoret puois de lla bona contessa d’Urgel, que fo lombarda, filla del marques de Busca 2 . Mout fon onrada e presada sobre totas las pros domnas d’Urgel; et Rambauz, senes veser leis, per lo gran ben que n’ausia dire, si s’enamoret d’ella et ella de lui. E si fez puois sas chansos d’ella; e si·l manda sas chansos per un joglar que avia nom Rosignol, si con dis en una chanson 3 : Amics Rossignol, sitot as gran dol, per la mi’amor t’esjau ab una leu chanzoneta qe·m portaras a jornau a la contessa valen, lai en Urgel per presen. Lonc temps entendet en aqesta comtessa e la amet senes veser, et anc non ac lo destre que la anes veser. Don ieu ausi dir ad ella, qu’era ja morgua, que, c’el i fos venguz, ella l’auria fait plaser d’aitan, qe·il agra sufert q’el com la ma reversa l’agues tocada la camba nuda. Aisi leis aman, Rambauz mori senes fillol mascle, e remas Aurenga a doas soas fillas 4 . La una ac per moiller lo seigner d’Agout; de l’autra nasquet N’Uc del Bauç et En Willems del Bauz 5 ; e de l’autra Wilems d’Aurenga que mori joves malamen, e Rambauz, lo cals det la meitat d’Aurenga a l’Hospital. 1 Von dieser Dame weiß man sonst nichts. Vermutlich ist sie eine Erfindung des vida- Verfassers. 2 Eine lombardische Gräfin von Urgel ist historisch nicht bezeugt. 3 Das Gedicht, aus dem dieser Passus stammt, ist anderweitig nicht überliefert. 4 In Wirklichkeit vererbte Raimbaut seinen Besitz seinen beiden Schwestern. 5 Die Söhne von Tiburga, der älteren Schwester von Raimbaut, hießen Uc und Guilhem de Baus. Guilhem wurde im Juni 1218 von den Bürgern Avignons gevierteilt. Vida 163 LEBEN Raimbaut d’Aurenga war der Herr von Orange, von Courthéson und von anderen Schlössern. Er war aufrecht und belesen, ein guter Waffenritter und ein distinguierter Unterhalter. Er hatte viel Freude an ehrbaren Damen und daran, ihnen ehrbar den Hof zu machen. Er war ein guter Troubadour in Gedichten und Liedern; aber besonders verstand er sich darauf, kunstvolle und schwer verständliche Reime zu machen. Er liebte eine lange Zeit eine Dame aus der Provence, die Madame Maria de Vertfolh hieß, und nannte sie in seinen Liedern „seinen Spielmann”. Lange liebte er sie und sie ihn. Er machte manche gute Lieder über sie und manche andere gute Aussagen. Danach verliebt er sich in die gute Gräfin von Urgel, die eine Lombardin war, Tochter des Markgrafen von Busca. Sie wurde sehr geehrt und geschätzt, mehr als alle vornehmen Damen von Urgel; ohne sie zu sehen, nur wegen ihres guten Rufes, verliebte sich Raimbaut in sie und sie sich in ihn. Dann machte er Lieder über sie, und er sandt ihr seine Lieder durch einen Spielmann namens Rossignol, wie er in einem Lied selbst sagt: Freund Rossignol, wenn Du auch großen Schmerz leidest, erfreue Dich wegen meiner Liebe an einem leichten Lied, das Du mir sofort der edlen Gräfin bringen wirst als Geschenk dort in Urgel. Lange Zeit richtete er sich auf diese Gräfin und liebte sie, ohne sie zu sehen, und er hatte nie die Gelegenheit, sie sehen zu gehen. Ich habe von ihr, als sie schon Nonne war, sagen gehört, dass, wenn er zu ihr gekommen wäre, sie ihm eine solche Freude bereitet hätte, dass sie es zugelassen hätte, dass er mit dem Handrücken ihr nacktes Bein hätte berühren dürfen. Während dieser Liebe starb Raimbaut ohne Sohn, und er vererbte Orange an seine zwei Töchter. Die eine war die Frau des Herrn von Agout; die andere hatte Herrn Uc von Baux und Herrn Guilhem von Baux als Söhne, die erste Guilhem von Orange, der auf eine üble Art ums Leben kam, und Raimbaut, der dem Hospitalorden die Hälfte von Orange vererbte. 164 Raimbaut d’Aurenga 3.3.2 Er resplan la flors enversa (I) Er resplan la flors enversa 1 pels trencans ranc e pels tertres. Quals flors? Neus, gels e conglapis, que cotz e destrenh e trenca; 4 don vey morz quils, critz, brays, siscles pels fuels, pels rams e pels giscles. Mas mi te vert e jauzen joys. Er quan vey sec los dolens croys. 8 (II) Quar enaissi o enverse que·l bel plan mi semblon tertre, l tenc per flor lo conglapi, e·l cautz m’es vis que·l freit trenque, 12 e·l tro mi son chant e siscle, e paro·m fulhat li giscle. Aissi·m suy ferms lassatz en joy Quer e non vei que’m sia cròi. 16 (III) Mas una gen fad’enversa cum s’eron noirit en tertres, que·m fan trop pieigz que conglapis; q’us quec ab sa lengua trenca 20 e·n parla bas et ab siscles; e no·y val bastos ni giscles, ni menassas, ans lur es joys quan fan so don hom los clam croys. 24 1 Mit flors enversa ist das Gegenteil einer Blüte gemeint, also die in Vers 3 ausgedrückten Winterphänomene. Allerdings konnte auch die Lilie wegen ihrer nach unten zeigenden schneeweißen Blätter so genannt werden. Er resplan la flors enversa 165 Jetzt strahlt die umgekehrte Blume (I) Jetzt strahlt die umgekehrte Blume durch die steilen Felsen und durch die Klippen. Welche Blume? Schnee, Eis und Reif, die verdorren lassen, einengen und schneiden; 4 so dass ich Todesschreie, Kreischen, Wimmern, Säuseln in den Blättern, in den Ästen und in den Schößlingen bemerke, aber mich hält Freude grün und jauchzend, auch wenn ich alles elenden Niedrige vertrocknet sehe. 8 (II) Denn so kehrt sich mir alles um, dass ich schöne Abhänge als steile Klippen sehe und den Reif für eine Blume halte, und ich glaube, dass die Hitze die Kälte vertreibt; 12 und die Donnerschläge sind mir Gesang und Säuseln, und die Schößlinge scheinen mir voll Blätter zu sein. So fest habe ich mich an die Freude gekettet, dass ich nichts sehe, das für mich niedrig sein könnte. 16 (III) Aber umgekehrt aufgewachsene Leute, als wären sie in Klippen grossgezogen worden, die schaden mir mehr als Reif, weil jeder mit seiner Zunge schneidet 20 und leise im Säuseln spricht; da nützen keine Stöcke, keine Schößlinge und keine Drohungen, denn ihre Freude besteht darin, das zu tun, weswegen die Menschen sie niedrig nennen. 24 Quand paraît la fleur inverse 1 (I) Quand paraît la fleur inverse, sur rocs rugueux et sur tertres, - Est-ce fleur? Non, gel et givre, qui brûle, torture et tronque! - Morts sont cris, bruits, sons qui sifflent, en feuilles, en rains, en ronces. Mais me tient vert et joyeux Joie, quand je vois secs les âcres traîtres. (II) Car le monde ainsi j’inverse, que plaines me semblent tertres, je tiens pour fleur neige et givre et pour chaud le froid qui tronque, l’orage m’est chant qui siffle et feuillues me semblent ronces. Si lié ferme suis à Joie que rien ne vois qui me soit traître. (III) Sinon gens à tête inverse (Comme nourris sur des tertres), qui me cuisent plus que givre car tous de leur langue tronquent, parlant d’une voix qui siffle! Rien n’y sert, ni rains ni ronces ni menace. Ils ont grand Joie faisant ce qui les fait traîtres. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1971, 203-210). 166 Raimbaut d’Aurenga (IV) Quar en baizan no·us enverse, no m’o tolon plan ni tertre, dona, ni gel ni conglapi, mas non-poder trop m’en trenque. 28 Dona, per cuy chant e siscle, vostre belh huelh mi son giscle que·m castion si·l cor ab joy qu’ieu non aus aver talan croy. 32 (V) Anat ai cum cauz’enversa Lonc temps, sercan vals e tertres, marritz cum hom cui conglapis cocha e mazelh’e trenca: 36 Qu’anc no·m conquis chans ni siscles plus que·l fels clerc conquer giscles. Mas ar - Dieu lau - m’alberga Joys mal grat dels fals lauzengiers croys. 40 (VI) Mos vers an - qu’aissi l’enverse, que no·l tenhon val ni tertre - lai on hom non sen conglapi, ni a freitz poder que·y trenque. 44 A midons lo chant e·l siscle clar, qu’el cor li·n intro·l giscle, selh que sap gen chantar ab joy que no·s tanh a chantador croy. 48 (VII) Doussa Dona, Amors et Joys nos ten ensems mal grat dels croys. (VIII) Jocglar, granre ai menhs de joy! quar no·us vey, e·n fas semblan croy. 52 Er resplan la flors enversa 167 (IV) Dass ich jetzt zum Küssen euch umkehre, daran hindern mich weder Abhänge noch Klippen, meine Dame, weder Eis noch Reif, aber die ohnmächtige Erstarrung hält mich davon ab. 28 Meine Dame, für die ich singe und säusele, euere schönen Augen sind für mich wie Schößlinge, die mir so sehr das Herz mit Freude bestrafen, dass ich gegen euch kein niederes Verlangen zu haben wage. 32 (V) Ich bin herumgegangen wie ein Umgekehrter für eine lange Zeit durch Täler und durch Klippen, verirrt wie ein Mensch, den der Reif verdorrt, quält und schneidet, 36 denn noch haben die Gesänge und das Gesäusel mich noch nicht mehr erobert als die Schößlinge den untreuen Kleriker. Aber jetzt, Gott sei Dank, wohnt Freude in mir trotz der niederen und verleumderischen Lügner. 40 (VI) Mein Vers gehe, denn ich kehre ihn so um, dass Täler und Klippen ihn nicht aufhalten werden, dorthin, wo man keinen Reif empfindet und wo die Kälte nicht die Macht hat, zu schneiden: 44 Meiner Dame singe er ihn und säusele er ihn deutlich vor, damit er wie ein Schößling ihr ins Herz dringe, er, der mit Freude zu singen weiß, wie es sich für einen niederen Sänger nicht gebührt. 48 (VII) Süße Dame, Liebe und Freude hält uns zusammen trotz der Niederen. (VIII) Sänger, ich habe viel weniger Freude, weil ich Euch nicht sehe, und ich zeige deswegen ein niederes Gesicht. 52 (IV) D’un baiser, je vous renverse; rien n’y peut, ni plat ni tertre, Dame, ni gel, neige ou givre, car si Non-Pouvoir m’en tronque, Dame, pour qui mon chant siffle, vos beaux yeux sont pour moi ronces qui frappent tant mon cœur en Joie que je n’ose avoir désir traître. (V) Je vais comme chose inverse, cherchant rocs et vaux et tertres, triste, tel celui qui givre, tenaille, torture et tronque: Pas plus que clerc fou les ronces, ne m’ont conquis chants qui sifflent. Mais, grâce à Dieu, m’accueille Joie en dépit des faux flatteurs traîtres. (VI) Aille mon vers - je l’inverse: Qu’il résiste à bois et tertres! - Là où n’est ni gel ni givre ni force de froid qui tronque. Qu’il le chante clair et siffle - Que ma dame ait au cœur ronces! - Celui qui siat chanter en Joie: Ce qui ne sied à chanteur traître. (VII) Douce Dame, qu’amour et Joie nous unissent malgré les traîtres! (VIII) Jongleur, j’ai bien moins que de Joie: Vous parti, je fais mine traître. 168 Comtessa de Dia 3.4 Comtessa de Dia (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) Selten haben in der Literaturgeschichte wenige Zeilen eine so heftige Diskussion ausgelöst wie die zwei Sätze der vida der Comtessa de Dia. Die Liedersammlungen überliefern uns vier Gedichte unter dem Namen Contessa de Dia, und wir erfahren über die Autorin nur das, was die vida sagt: Sie war eine schöne und gute Dame, die Ehefrau von Wilhelm von Poitou, verliebt in Raimbaut von Orange, über den sie Gedichte verfasste. Alle diese Angaben sind uneindeutig: Wilhelm I. von Poitou hatte Besitzungen in der Region um Die (heute im Département Drôme, im Dauphiné), aber er war nicht Graf von Die (denn diesen Titel gab es zwischen 1168 und 1307 gar nicht). Seine Gattin Béatrice, die von der älteren Provenzalistik mit der Comtessa de Dia identifiziert worden war, könnte also nicht als Gräfin von Die bezeichnet werden. Wenn man dem letzten Grafen von Die, Isoard II., der zwischen 1149 und 1168 bezeugt ist, eine undokumentierte Schwester zuschreibt, die nach ihrer Mutter Beatrix geheißen haben könnte, so könnte diese den Namen Comtessa de Dia auch nach einer möglichen Heirat mit Wilhelm von Poitou - der Namen von dessen Frau ist nicht überliefert - beibehalten haben. Diese Gleichung mit mehreren Unbekannten führt zur dritten Person der vida, die das Set von Unbekannten noch erweitert: Die Vermutung, in der vida sei der Troubadour Raimbaut d’Orange als Geliebter der Comtessa de Dia gemeint, hielt sich lange in der Diskussion, zumal der in seinen 40 Gedichten oft hochfahrend und prahlerisch auftretende Troubadour gut zu dem die Liebe der Dichterin verschmähenden amic passen würde. Diese Theorie stößt sich jedoch daran, dass die vida Raimbauts von einer derartig prominenten Liebesbeziehung nichts weiß, und dass auch das Werk keine deutlichen Anspielungen auf die dichtende Kollegin aufweist. Persönliche Beziehungen können ja nicht deswegen angenommen werden, weil es dichterische Gemeinsamkeiten gibt: Raimbaut von Orange (1144-1173) fängt eine seiner Tenzonen (Amics, en gran cossirier) mit einer Zeile an, die eine deutliche Parallele bei der Comtessa de Dia findet (Estat ai en greu cossirier), allerdings auch bei Raimon de Miraval (Lonc temps ai avutz consiriers), und auch sonst bestehen dichterische Parallelen (herausgestellt von Rieger, 1991, 616-619) zu Raimbaut, freilich auch zu Bernard de Ventadour (ib., 615f.). Angesichts der Tatsache, dass der Namen Raimbaut beim Adel von Orange verbreitet war (ein gutes Dutzend Träger dieses Namens ist bezeugt), zwingt nichts dazu, an den Troubadour zu denken, falls die Information der vida über die Identifikation des amic überhaupt zuverlässig ist. Comtessa de Dia 169 Insgesamt wird man gegenüber den biographischen Angaben der kurzen vida misstrauisch bleiben müssen: Die comtessa hatte auch für die mittelalterlichen Biographen keinen persönlichen Namen, und die Kombination mit zwei im Umfeld der Troubadours gängigen Namen, Guillem de Peitieus und Rambaut d’Aurenga, zeigt eigentlich nur, dass es an verlässlichen Angaben mangelte. Wenn man sich schließlich darauf beschränkt, zu sagen, dass die Comtessa de Dia nach Bernart de Ventadorn dichtete und wahrscheinlich eine Zeitgenössin von Raimbaut d’Orange war, kommt man dem, was man wirklich wissen kann, wohl am nächsten. Die eindeutig dem trobar leu zuzurechnende Comtessa de Dia ist die wohl bekannteste weibliche Sängerin der Troubadourzeit, mit dem Fachausdruck trobairitz benannt. Es gibt nach der Berechnung von Angelica Rieger (ib., 81-91) 26 Texte, in denen eine Frau als Dialogpartnerin auftritt, und 20 Texte, in denen eine Frau allein als lyrisches Ich fungiert. Wir kennen etwa 15 trobairitz-Namen, von denen vielleicht Tibors, Alamanda und Castelloza neben der Comtessa de Dia die bedeutendsten sind. Die oft schwierigen Fragen der Zuschreibung der Gedichte und der tatsächlichen Autorschaft von Frauen - im deutschen Bereich sind die sogenannten Frauenlieder etwa auch meist von Männern verfasst - können hier nicht erörtert werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Umkehrung der Perspektive der fin’amor aus einer männlichen in eine weibliche Sehweise ohne Änderung der Gesamtsituierung oft beträchtliche Anstrengungen erforderlich machte: Die kunstvolle Beherrschung der Textvirtuosität und des Systems der Spielregeln um die höfische Liebe sind zwar gleich, aber die sprechende Person ist ja nicht mehr der in ritterlicher Zurückhaltung und in einer dem Feudalsystem nachgebildeten Vasallenstellung mit festgelegten Leistungen und Gegenleistungen gezeichnete Mann, sondern die von der Situationszeichnung her in einer höheren Position stehende Frau, die die Einhaltung der Spielregeln von oben und nicht von unten her einfordern muss. Strophenstruktur: Estat ai en greu cossirier: drei coblas doblas, jeweils acht Verse mit dem Reimschema a - b - b - a - c - d - d - c. Ab joi et ab joven m’apais: vier coblas doblas, jeweils acht Verse mit dem Reimschema a - b - a - b - b - a - a - b, und eine vierzeilige tornada. A chantar m’er de so q’ieu non volria: fünf coblas singulars, jeweils sieben Verse mit dem Reimschema a - a - a - a - b - a - b, und eine zweizeilige tornada. Literatur: Bogin, Meg: The Women Troubadours, London/ New York (Paddington) 1976 [französisch: Paris (Denoël/ Gonthier) 1978; katalanisch: Barcelona (Horsori) 2006]. 170 Comtessa de Dia Kussler-Ratyé, Gabrielle: „Les chansons de la comtesse Béatrix de Die”, in: Archivum Romanicum 1, 1917, 161-182. Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus, Tübingen (Niemeyer) 1991, 585- 627. Schultz-Gora, Oskar: Die provenzalischen Dichterinnen, Leipzig (Fock) 1888. Comtessa de Dia (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) Vida 171 3.4.1 VIDA La comtessa de Dia si fo moiller d’En Guillem de Peitieus, bella domna e bona. Et enamoret se d’En Rambaut d’Aurenga, e fez de lui mantas bonas cansos. LEBEN Die Gräfin von Die war die Frau von Herrn Wilhelm von Poitou, eine schöne und gute Dame. Und sie verliebte sich in Herrn Raimbaut von Orange und machte über ihn viele gute Lieder. Comtessa de Dia (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) 172 Comtessa de Dia 3.4.2 Estat ai en greu cossirier (I) Estat ai en greu cossirier per un cavallier q’ai agut, 1 e voill sia totz temps saubut cum eu l’ai amat a sobrier; 2 4 ara vei q’ieu sui trahida car eu non li donei m’amor, don ai estat en gran error en lieig e qand sui vestida. 3 8 (II) Ben volria mon cavallier tener un ser e mos bratz nut, q’el sen tengra per ereubut sol q’a lui fezes cosseillier; 4 12 car plus m’en sui abellida no fetz Floris de Blanchaflor: 5 eu l’autrei mon cor e m’amor, mon sen, mos huoills e ma vida. 6 16 1 Im Sprachgebrauch der Troubadours hatte aver durchaus eine erotische Komponente, vgl. Rieger, 1991, 589. Man kann aber auch verstehen: „ein Ritter, der in meinen Diensten war”. 2 Normalerweise wird in den Troubadourgedichten die mezura ‚das rechte Maß’ gepriesen. Es ist charakteristisch, dass dieses sinnliche Gedicht mit a sobrier ‚im Übermaß’ davon abweicht. 3 Die Formel bedeutet in der normalen Sprache ‚immer’, aber hier dient sie natürlich dazu, die sexuelle Konnotation der nachfolgenden Strophe vorzubereiten. 4 Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf Bernhart de Ventadorns Long tems a qu’eu no chantei mai, Vers 45, wo das auf Ovid (Amores 2, 18, 9) zurückgehende Bild ebenfalls vorkommt. 5 Floris und Blancheflor war eine der beliebtesten mittelalterlichen Liebesgeschichten. Wir kennen 13 Anspielungen aus der provenzalischen Literatur, von denen mindestens vier dem 12. Jahrhundert angehören (Felicitas Krüger, Li romanz de Floire et Blancheflor, Berlin (Matthiesen) 1938, XVI), aber eine provenzalische Fassung des Stoffes, dessen beide altfranzösische Fassungen (eine aus der Zeit zwischen 1160 und 1170 und eine von der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert) sowohl im Mittelmeerraum (z.B. Boccaccios Filocolo) als auch in den germanischen Ländern (mhd. Konrad von Fleck, Flore und Blancheflur) vielfach nachgeahmt wurden. Die Comtessa de Dia verwendete den Namen Floris als senhal für ihren Geliebten. 6 Dies ist wiederum eine Anspielung auf den Wertekanon bei Bernart de Ventadorns Long tems a qu’eu no chantei mai, Verse 37-39. Estat ai en greu cossirier 173 Ich bin in großem Kummer gewesen (I) Ich bin in großem Kummer gewesen wegen eines Ritters, den ich gehabt habe, und ich will, dass man für alle Zeit weiß, wie ich ihn geliebt habe über alle Maßen. 4 Jetzt sehe ich, dass ich verraten bin, weil ich ihm meine Liebe nicht schenkte. Darüber war ich in großer Betrübnis im Bett und wenn ich angezogen bin. 8 (II) Ich wollte gerne meinen Ritter einen Abend nackt in meinen Armen halten, so dass er sich glücklich schätzte nur weil ich ihm als Kissen diente; 12 denn ich bin mehr verliebt in ihn als Floris in Blanchefleur war: Ich vertraue ihm mein Herz, meine Liebe, meine Urteilskraft, meine Augen und mein Leben. 16 J’ai été en un cruel tourment 1 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Gabrielle Kussler-Ratyé (1917, 173f.). (I) J’ai été en un cruel tourment pour un chevalier que j’ai eu et je veux qu’il soit su en son temps comme je l’ai aimé avec passion; maintenant je vois que je suis trahie parc que je ne lui donnai pas preuve d’amour sensuel, j’en ai été en grande peine nuit et jour. (II) Je voudrais bien tenir mon chevalier un soir nu entre mes bras, et il serait transporté de joie si je lui servais d’oreiller; car j’en suis plus éprise que ne le fut Floris de Blanchefleur; je lui donne mon cœur et mon amour, mon esprit, mes yeux et ma vie. 174 Comtessa de Dia (III) Bels amics, avinens e bos, cora·us tenrai e mon poder? E que jagues ab vos un ser e qe·us des un bais amoros! 20 Sapchatz, gran talan n’auria qe·us tengues en luoc del marit, 1 ab so que m’aguessetz plevit de far tot so qu’eu volria. 24 1 Angelica Rieger, 1991, 604 interpretiert: „dass ich Euch an der Stelle des Ehemanns (anstatt/ dort, wo - eigentlich - sein Platz ist, im Bett) in den Armen hielte”. Estat ai en greu cossirier 175 (III) Schöner, angenehmer und guter Freund. wann werde ich dich zu meiner Verfügung haben? Dass ich doch mit euch einen Abend liegen könnte, und dass ich euch einen verliebten Kuss geben könnte! 20 Wisset, dass ich große Lust darauf hätte, euch an der Stelle des Ehemanns zu halten, unter der Voraussetzung, dass ihr mir geschworen hättet, alles zu tun, was ich wünschte. 24 (III) Bel ami, aimable et bon, quand vous tiendrai-je en mon pouvoir? et que couchant avec vous un soir je vous puisse donner un baiser d’amour! Sachez-le, j’aurais grand désir de vous avoir à la place du mari, pourvu que j’aie votre promesse de faire tout ce que je voudrais. 176 Comtessa de Dia 3.4.3 Ab joi et ab joven m’apais (I) Ab joi et ab joven m’apais 1 e jois e jovens m’apaia, 2 car mos amics es lo plus gais, per qu’ieu sui coindet’e gaia; 4 e pois eu li sui veraia be·is taing q’el me sia verais, c’anc de lui amar no m’estrais ni ai cor que m’en estraia. 8 (II) Mout mi plai car sai que val mais sel q’ieu plus desir que m’aia. 3 E cel que primiers lo m’atrais, Dieu prec que gran joi l’atraia; 12 e qui que mal l’en retraia, no·l creza, fors so qu’ie·l retrais: c’om cuoill maintas vetz los balais ab q’el mezeis se balaia. 4 16 (III) E dompna q’en bon pretz s’enten deu ben pausar s’entendenssa en un pro cavallier valen; pois ill conois sa valenssa, 20 que l’aus amar a presenssa; e dompna, pois am’a presen, ja pois li pro ni·ll avinen no·n dirant mas avinenssa. 24 1 Hier ist das Verb apaisar ‚(er)nähren’, in der nächsten Zeile ist es apaiar ‚befriedigen, beruhigen’. 2 Die erste Strophe stellt jeweils in Doppelversen die Schilderung der eigenen Erlebniswelt und die der Außenwelt einander gegenüber. Der Grundgedanke des Gedichts ist das gleiche Empfinden und die gleiche Wertigkeit von Mann und Frau. 3 Dabei handelt es sich um die erotische Zweitbedeutung von aver. 4 Vgl. Cnyrim, 1888, 47. Ab joi et ab joven m’apais 177 Von Freude und Jugend nähre ich mich (I) Von Freude und Jugend nähre ich mich, und Freude und Jugend machen mich zufrieden, denn mein Freund ist der Fröhlichste, darum bin auch ich freundlich und fröhlich; 4 und weil ich zu ihm aufrichtig bin, ist es wohl recht, dass auch er zu mir aufrichtig ist, denn niemals befreite ich mich davon, ihn zu lieben, noch ist es mein Wunsch, mich davon zu befreien. 8 (II) Es gefällt mir sehr, denn ich weiß, dass der die größten Vorzüge hat, von dem ich am meisten wünsche, dass er mich haben möge, und wer als erster ihn zu mir brachte, für den bitte ich Gott, dass er ihm Freude bringe; 12 und wer über ihn Schlechtes berichtet, dem soll man nicht glauben, abgesehen von dem, was ich sage; denn man sammelt manchmal die Ruten, mit denen man selbst geschlagen wird. 16 (III) Und eine Dame, die sich auf den wahren Wert versteht, muss ihre Zuneigung einem edlen tüchtigen Ritter schenken; weil sie seinen Wert kennt, 20 muss sie wagen, ihn ganz offen zu lieben; und einer Dame, wenn sie offen liebt, werden dann die Vornehmen und die Ansehnlichen nur Ansehnliches sagen. 24 Je me complais dans la joie et l’allégresse 1 (I) Je me complais dans la joie et l’allégresse, et la joie et l’allégresse me satisfont, car mon ami est le plus gai, c’est pourquoi je suis aimable et joyeuse; et puisque je suis sincère à son égard, il convient bien qu’il soit loyal envers moi, car jamais je n’ai renoncé à l’aimer et ne désire me dégager de son amour. (II) Il m’est infiniment agréable de savoir qu’il a une grande valeur celui par lequel je désire le plus être possédée, et je prie Dieu que grande joie arrive à celui qui le premier l’a conduit à moi; et quiconque lui rapporterait du mal, qu’il ne le croie pas, sauf ce que je lui ai dit: qu’on cueille maintes fois les verges avec lesquelles on se bat soi-même. (III) Dame qui en bon mérite se complaît doit bien placer son affection en un preux chevalier vaillant, quand elle connaît sa vaillance, qu’elle ose aimer ouvertement; et d’une dame qui aime au su de tous, les preux et les fins ne diront jamais plus que des louanges. 1 Die neufranzösische Übersetzung ist von Gabrielle Kussler-Ratyé (1917, 161-164). 178 Comtessa de Dia (IV) Q’ieu n’ai chausit un pro e gen per cui pretz meillur’e genssa, larc et adreig e conoissen, on es sens e conoissenssa; 28 prec li que m’aia crezenssa, ni hom no·l puosca far crezen q’ieu fassa vas lui faillimen, sol non trob en lui faillensa. 32 (V) Floris, la vostra valenssa 1 saben li pro e li valen, per q’ieu vos qier de mantenen, si·us plai, vostra mantenensa. 2 36 1 Floris, in Anspielung auf Floris et Blanchefleur, ist das senhal für den amant der Dichterin. 2 Die normale Bedeutung von mantenensa ist ‚Hilfe, feudales Schutzverhältnis’, aber Angelica Rieger (1991, 591) schlägt ‚Beachtung, Zuwendung, Gegenliebe’ vor. Ab joi et ab joven m’apais 179 (IV) Ich habe einen Vornehmen und Edlen erwählt, durch den der Ruhm gewinnt und wächst, freigiebig und gewandt und kundig, wo es Verstand und Kenntnis braucht; 28 ich bitte ihn, dass er mir Glauben schenkt, und niemand möge ihn glauben lassen, dass ich gegen ihn einen Verstoß machen würde, sofern ich bei ihm keinen Verstoß finde. 32 (V) Floris, eueren Wert kennen die Vornehmen und die Ansehnlichen, deswegen ersuche ich euch jetzt, bitte, um euere Gegenliebe. 36 (IV) J’en ai choisi un preux et noble, par qui le mérite s’améliore et brille, généreux et adroit et instruit, possédant esprit et savoir; je le supplie qu’il ait confiance en moi et que personne ne puisse lui faire croire que je commette une faute envers lui, pourvu que je ne trouve pas en lui de défaillance. (V) Floris, les preux et les nobles connaissent votre valeur, c’est pourquoi je vous demande maintenant, si cela vous agrée, votre protection. 180 Comtessa de Dia 3.4.4 A chantar m’er de so q’ieu no volria (I) A chantar m’er de so q’ieu no volria, tant me rancur de lui cui sui amia, car eu l’am mais que nuilla ren que sia; vas lui no·m val merces ni cortesia 4 ni ma beltatz ni mos pretz ni mos sens, c’atressi·m sui enganad’e trahia cum degr’esser, s’ieu fos desavinens. (II) D’aisso·m conort car anc non fi faillenssa, 8 amics, vas vos per nuilla captenenssa, anz vos am mais non fetz Seguis Valenssa, 1 e platz mi mout qez eu d’amar vos venssa, lo mieus amics, car etz lo plus valens; 12 mi faitz orguoill en digz et en parvenssa, e si etz francs vas totas autras gens. (III) Meravill me cum vostre cors s’orguoilla, amics, vas me, per q’ai razon qe·m duoilla; 16 non es ges dreitz c’autr’amors vos mi tuoilla per nuilla ren qe·us diga ni·us acuoilla; e membre vos cals fo·l comensamens de nostr’amor. Ja Dompnidieus non vuoilla 20 q’en ma colpa sia·l departimens! 1 Dies ist ein sonst unbekanntes Liebespaar, vgl. Schulz-Gora, 1900, 122. A chantar m’er de so q’ieu no volria 181 Zu singen kommt mich an, obwohl ich es nicht will (I) Zu singen kommt mich an, obwohl ich es nicht will, so sehr gräme ich mich über den, dessen Freundin ich bin, denn ich liebe ihn mehr als irgendetwas auf der Welt; bei ihm nützt mir Verdienst und höfisches Verhalten nichts, 4 und auch nicht meine Schönheit, mein Rang oder mein Verstand, denn so sehr bin ich getäuscht und betrogen, wie ich sein müsste, wenn ich unansehnlich wäre. (II) Damit tröste ich mich, dass ich nie mich falsch verhielt, 8 mein Freund, gegen euch in irgendeinem Benehmen, sondern ich liebe euch mehr als Seguis Valensa liebte, und es gefällt mir gut, dass ich in der Liebe euch besiege, mein Freund, denn ihr seid (sonst) der Wackerere; 12 mir zeigt ihr euch stolz in Worten und im Auftreten, wo ihr doch sonst so freundlich gegen alle anderen Leute seid! (III) Ich wundere mich, wenn euer Herz im Stolz erstarrt, mein Freund, gegen mich, und darum habe ich recht, wenn ich mich gräme; 16 es ist nicht recht, dass eine andere Liebe euch mir wegnimmt, um keine Sache, die sie euch sagen oder gewähren könnte; und erinnert euch daran, wie der Anfang unserer Liebe war. Gott wird es nie zulassen, 20 dass in meiner Schuld die Trennung liegt. Je suis contrainte à chanter de ce que je ne voudrais pas 1 (I) Je suis contrainte à chanter de ce que je ne voudrais pas, tant me cause de chagrin celui dont je suis l’amie, car je l’aime plus que tout au monde; pour lui n’ont de prix ni pitié, ni courtoisie, ni ma beauté, ni mon mérite, ni mon esprit, car je suis trompée et trahie comme je devrais l’être si j’étais déplaisante. (II) Je me console par la pensée que jamais je ne commis de faute envers vous, ami, d’aucune manière, au contraire je vous aime plus que Seguis n’aima Valensa, et je suis heureuse de vous vaincre en amour, mon ami, car vous avez le plus de valeur; vous vous montrez envers moi orgueilleux en paroles et en actions, et vous êtes affable à l’égard de toutes les autres personnes. (III) Je suis surprise de l’arrogance que vous me témoignez dont j’ai raison de souffrir; il n’est pas juste qu’un autre amour vous éloigne de moi, quoique cette femme vous dise ou vous permette; souvenez-vous de ce que fut le début de notre amour, Dieu veuille que jamais notre séparation ne s’accomplisse par ma faute! 1 Die neufranzösische Übersetzung ist von Gabrielle Kussler-Ratyé (1917, 164-168). 182 Comtessa de Dia (IV) Proesa grans q’el vostre cors s’aizina e lo rics pretz q’avetz m’en atayna, c’una non sai loindana ni vezina, 24 si vol amar, vas vos non si’aclina; mas vos, amics, etz ben tant conoisens que ben devetz conoisser la plus fina - e membre vos de nostres covinens. 28 (V) Valer mi deu mos pretz e mos paratges e ma beutatz e plus mos fis coratges, per q’ieu vos mand lai on es vostr’estatges esta chansson que me sia messatges: 32 e voill saber, lo mieus bels amics gens, per que vos m’etz tant fers ni tant salvatges, non sai si s’es orguoills o mals talens. (VI) Mas aitan plus vuoill li digas, messatges, 36 q’en trop d’orguoill ant gran dan maintas gens. A chantar m’er de so q’ieu no volria 183 (IV) Der große Stolz, der in euerem Herzen wohnt, und das reiche Verdienst, das ihr habt, erschreckt mich, weil eine, ich weiß nicht, ob von nahe oder von ferne, 24 wenn sie lieben will, zu euch sich neigen könnte; aber ihr, mein Freund, seid so kundig, dass ihr gut die Allerfeinste erkennen müsst - und erinnert euch an unsre Abmachungen. 28 (V) Für mich sprechen müssen mein Verdienst, meine Abkunft, meine Schönheit, und mehr noch mein feines Herz, weswegen ich euch, wo immer euer Aufenthaltsort ist, dieses Lied schicke, das mir als Bote dienen soll: 32 und ich will wissen, mein guter edler Freund, warum ihr zu mir so roh und so wild seid; ich weiß nicht, ob das Stolz oder üble Laune ist. (VI) Aber noch mehr will ich, dass du ihm sagst, Bote, 36 dass in vielem Stolz viele Leute großen Schaden fanden. (IV) La grande noblesse qui règne en vous et les riches mérites que vous possédez m’empèchent de m’éloigner de vous, car je ne connais pas une femme, lointaine ou voisine, qui voulait aimer ne tende vers vous; mais vous, ami, vous êtes si fin connaisseur en amour que vous devez bien reconnaître la plus fidèle; rappelez-vous notre accord. (V) Mon mérite, ma haute naissance, ma beauté et plus encore mon cœur fidèle devraient me faire valoir, c’est pourquoi je vous mande là où est votre demeure cettte chanson afin qu’elle me serve de messager, et je veux savoir, mon bel et noble ami, pourquoi vous êtes si dur et si cruel pour moi; je ne sais si c’est fierté ou mauvaise volonté. (VI) Mais que le messager vous dise surtout que beaucoup de gens se font du tort par trop d’orgueil. Vierte Generation (1175-1200) 186 Giraut de Bornelh 4.1 Giraut de Bornelh (...1162-1199...) Giraut de Bornelh ist ein Troubadour, der nach Angaben der vida aus Excideuil in der Dordogne stammte. Er war offenbar niederer Herkunft, erwarb sich aber eine solche Bildung und eine solch hohe Technik im Komponieren von Liedern, dass er als Maestre dels trobadors galt. Den Winter verwendete der poeta doctus zur Vervollkommnung seiner Bildung, im Sommer zog er in Begleitung von zwei Spielleuten (joglars), die seine Lieder kunstvoll vortragen mussten, von Hof zu Hof. Sein Leben verlief bewegt: Er war am Hofe von Alfons VIII. von Kastilien tätig; bei der Rückkehr ließ ihm allerdings der katalanisch-aragonesische König Sancho VI. die reichen Geschenke des kastilischen Königs abnehmen. Der Vicomte de Limoges ließ seine Bibliothek plündert. Es ist sicher, dass Giraut de Bornelh am dritten Kreuzzug unter Richard Löwenherz, zu dem er selbst 1188 aufgerufen hatte, teilnahm. Bornelh war bei der Eroberung von Akko (12. Juli 1191) dabei und war danach Dichter am Hofe des Fürsten von Antiochien. Seinen Lebensabend verbrachte er aber wieder im heimischen Limousin. Es sind 77 Gedichte in den Liederhandschriften erhalten. Von seinen Zeitgenossen wurde Giraut de Bornelh sehr verehrt, und Dante zählt ihn in De vulgari eloquentia (2, 2, 8) als Sänger der rectitudo neben Bertran de Born und Arnaut Daniel zu den drei illustres viri der provenzalischen Dichtung. Im Purgatorio (26, 120) wird er allerdings als quel di Lemosì Arnaut Daniel nachgeordnet. In der Theorie rechnete sich Giraut de Bornelh eher dem leichten Stil des trobar leu zu, aber in Wahrheit ist trotz aller zwanglos aussehenden Sprachkunst sein Stil voll von rhetorischen und metrischen Raffinessen, und seine Bildung zeigt sich in Beispielen aus der Zoologie, der Botanik und der Bibel. Die hier aufgenommene Tenzone ist ein Gespräch zwischen dem Troubadour und einer Dame, die bel’ami’Alamanda genannt wird und die als Vermittlerin im Konflikt des Dichters mit seiner dompna dienen soll. Ob N’Alamanda eine fiktive, von Giraut ersonnene Person ist, wie die meisten Interpreten annehmen, oder ob sie, wie es besonders Angelica Rieger vertreten hat, tatsächlich eine reale trobairitz war, kann hier nicht erörtert werden. Die Tenzone ist auf das Ende der siebziger Jahre des 12. Jahrhunderts zu datieren, denn Bertran de Born bezieht sich in seinem im Januar 1183 verfassten Gedicht D’un sirventes no·m chal far lonhor ganda darauf. Angelica Rieger hat darauf hingewiesen, dass die Tenzone „ein außerordentlich klares Lehrstück höfischer Liebeskasuistik” darstelle, „in dem Giraut den Gefühlen des aufbegehrenden Liebhabers Ausdruck verleiht (cobla I: Betroffenheit; III: Aufbegehren; V: Beschuldigung; VII: Einlenken), während Giraut de Bornelh 187 die Spielregeln des fin’amor (cobla II: Nachgiebigkeit; IV: Versöhnlichkeit; VI: Loyalität; VIII: Treue) von Alamanda verteidigt werden” (Rieger, 1991, 202). Strophenstruktur: Si·us quer conselh, bel’ami’Alamanda: acht coblas doblas mit der Reimstruktur a - a - a - a - b - a - b und zwei je zweiversigen (a - b) tornadas. Literatur: Kolsen, Adolf: Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh, Halle (Niemeyer) 1910. Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus, Tübingen (Niemeyer) 1991. 188 Giraut de Bornelh 4.1.1 Vida und razó VIDA Girautz de Borneill si fo de Limozi, de l’encontrada d’Esiduoill, d’un ric castel del viscomte de Lemoges. E fo hom de bas afar, mas savis hom fo de letras e de sen natural. E fo meiller trobaire que negus d’aquels qu’eron estat denan ni foron apres lui; per que fo apellatz Maestre dels trobadors, et es ancar per toz aquels que ben entendon subtils ditz ni ben pauzatz d’amor ni de sen. Fort fo honratz per los valens homes e per los entendenz e per las dompnas qu’entendian los sieus maestrals ditz de las soas chansos. E la soa vida si era aitals que tot l’invern estava en escola et aprendia letras, e tota la estat anava per cortz e menava ab se dos cantadors que cantavon las soas chansos. Non volc mais muiller et tot so qu’el gazaingnava dava a sos paubres parenz et a la egleisa de la vila on el nasquet, la quals glesia avia nom, et a ancaras, Saint Gervas. Et aici son escritas gran ren de las soas chansos. RAZÓ Girautz de Borneil si amava una dompna de Gascoina qe avia nom N’Alamanda d’Estanc. Mout era presiada dompna de sen e de valor e de beutat; et ella si sofria los precs e l’entendimen d’En Giraut, per lo gran enansamen q’el li fazia de preç e d’onor, e per las bonas chasos q’el fasia d’ella, ond ella s’en deleitava mout, per q’ella las entendia ben. Lonc temps la preget; et ella, com bels ditz e com bels honramenz e com bellas promissions, se defendet de lui corteizamen, qe anc no·il fetz d’amor ni·l det nuilla joia, mas un son gan, dont el visqet lonc temps gais e joios; e pueis n’ac mantas tristessas, qant l’ac perdut; que ma domna N’Alamanda - qan vi q’el la preissava fort q’ella li feses plaser d’amor e saub q’el avia perdut lo gan -, ella l’encuset del gan, digan qe mal l’avia gardat e q’ella no·il daria mais nulla joia, ni plaser no·il faria mais d’amor, e qe so q’ella li avia promes li desmandava, q’ela vesia ben q’el era fort loing eissitz de sua comanda. Qant Girautz ausi la novella ocaison e·l comjat que la domna li dava, mout fo dolens e tristz, e venc s’en ad una donzella q’ell’avia, que avia nom Alamanda, si com la domna. La doncella si era mout savia e cortesa, e sabia trobar ben et entendre. E Girautz si·l dis so qe la domna li avia dit, e demandet li conseil a la doncella qe el devia far, e dis: Si us quier conseil, bell’amiga Alamanda. Vida und razó 189 LEBEN Giraut de Bornelh war aus dem Limousin, aus der Gegend von Excideuil, von einem reichen Schloss des Vicomte von Limoges. Er war ein Mann niedriger Herkunft, aber er war ein gelehrter Mann in der Literatur und von natürlichem Verstand. Er war der beste Troubadour von allen, die vor und nach ihm lebten, weswegen er Meister der Troubadours genannt wurde, und er ist es immer noch für alle die, die etwas von feinen und wohlgesetzen Worten der Liebe und des Inhalts verstehen. Er stand in hohen Ehren bei den mächtigen Männern, bei den Verständigen und bei den Frauen, die die meisterhaften Worte seiner Kanzonen verstanden. Sein Leben war so beschaffen, dass er den ganzen Winter in der Schule verbrachte und Literatur lernte, während er den ganzen Sommer von Hof zu Hof reiste und zwei Sänger mit sich führte, die seine Lieder sangen. Er wollte keine Ehefrau; alles, was er verdiente, gab er weiter an arme Verwandte und an die Kirche des Ortes, wo er geboren war; diese Kirche hieß und heißt noch Saint-Gervais. Hier sind große Dinge aus seinen Liedern aufgeschrieben. KOMMENTAR Giraut de Bornelh liebte eine Dame aus der Gascogne, die den Namen N’Alamanda d’Estanc trug. Es war eine geschätzte Dame wegen ihres Verstandes, ihrer Tugend und ihrer Schönheit; und sie erduldete die Bitten und die Werbung von Herrn Giraut wegen der großen Förderung, die er ihr in Wertschätzung und Ehre eintrug, und wegen der guten Gesänge, die er über sie machte; über sie erfreute sie sich sehr, denn sie verstand sie gut. Lange Zeit umwarb er sie; und sie entzog sich ihm auf höfische Art mit schönen Worten, Ehrbezeugungen und Versprechungen, so dass sie ihm nie Liebe gewährte und auch keine andere Freude bereitete, nur dass sie ihm ihren Handschuh gab, mit dem er lange Zeit in Fröhlichkeit und Freude lebte; und dann hatte er dadurch eine große Traurigkeit, als er ihn verloren hatte, denn die Dame Alamanda - als sie sah, dass er sie sehr bedrängte, ihm die Freuden der Liebe zu gewähren, und dann erfuhr, dass er den Handschuh verloren hatte - machte ihm Vorwürfe über den Handschuh, indem sie sagte, dass er ihn schlecht gehütet habe und dass sie ihm nie mehr eine Freude gewähren würde und ihm keine Huld der Liebe mehr schenken würde, und dass sie das, was sie ihm versprochen habe, wiederrufe, weil sie ja sehr gut sehe, dass er sich von ihrer Weisung weit entfernt habe. Als Giraut die erneute Anklage und den Abschied, den die Dame ihm gab, gehört hatte, war es sehr schmerzerfüllt und traurig, und ging zu einem in ihren Diensten stehenden Edelfräulein, das den Namen Alamanda wie die Dame hatte. Das Edelfäulein war sehr gebildet und höfisch, und verstand sich gut auf die Dichtkunst und das Zuhören. Und Giraut berichtete ihr, was die Dame zu ihm gesagt hatte, und fragte das Edelfäulein um Rat, was er machen solle. Er sprach: Wenn ich euch um Rat bitte, schöne Freundin Alamanda. 190 Giraut de Bornelh 4.1.2 Si·us quer conselh, bel’ami’Alamanda (I) Si·us quer conselh, bel’ami’Alamanda, 1 no·l me vedetz, c’om cochatz lo·us demanda; que so m’a dich vostra domna truanda que lonh sui fors issitz de sa comanda 4 que so que·m det m’estrai er e·m desmanda. Que·m conselhatz? C’a pauc lo cor dins d’ira no m’abranda, tan fort en sui iratz. 8 (II) Per Deu, Giraut, ges aissi tot a randa volers d’amic no·s fai ni no·s garanda; car si l’us falh, l’altre conve que blanda, que lor destrics no crescha ni s’espanda. 12 Pero si·us ditz d’alt poi que sia landa, vos la·n crezatz, e plassa vos lo bes e·l mals que·us manda; c’aissi seretz amatz. 16 (III) No posc mudar que contr’orgolh no gronda, ja siatz vos, donzela, bel’e blonda. Pauc d’ira·us notz e paucs jois vos aonda; mas ges no n’etz primera ni segonda! 2 20 Et eu que tem d’est’ira que·m confonda, que m’en lauzatz, si·m tem perir, que·m traia plus vas l’onda? Mal cut que·m chabdelatz! 24 1 Die Strophen I, III, V, VII und IX werden von Giraut gesprochen, während die Strophen II, IV, VI, VIII und X die Entgegnungen Alamandas darstellen. 2 Die Zeile ist schwer zu verstehen. Man könnte daran denken, dass Alamanda nicht die erste oder zweite Ratgeberin ist, mit anderen Worten nicht die besten Ratschläge erteilt. Möglich ist es aber auch, dass sie beim Empfinden tiefer Trauer und großer Freude nicht die erste oder zweite Stelle einnimmt, das also andere, erfahrenere, viel tiefere Empfindungen hatten. Si us quer conselh, bel’ami’Alamanda 191 Wenn ich euch um Rat bitte, schöne Freundin Alamanda (I) Wenn ich euch um Rat bitte, schöne Freundin Alamanda, versagt ihn mir nicht, weil ein gequälter Mann ihn von euch erbittet; denn das hat mir eure trügerische Herrin gesagt, dass ich mich von ihrer Weisung weit entfernt habe, 4 so dass sie das, was sie mir versprochen hat, zurücknimmt und widerruft. Was ratet ihr mir? Denn beinahe zerspringt mein ganzes Herz vor Kummer, so sehr bin ich darüber betrübt. 8 (II) Bei Gott, Giraut, ganz so schnell verwirklicht und erfüllt sich der Wille eines Liebenden nicht; denn wenn der eine einen Fehler macht, muss der andere nachgeben, damit ihr Leid nicht wachse und sich ausdehne. 12 Wenn sie euch aber von einem hohen Berg sagt, er sei eine Ebene, dann glaubt ihr das, und nehmt das Gute und das Schlechte hin, das sie euch sendet; auf diese Weise werdet ihr geliebt werden. 16 (III) Ich kann nicht umhin, gegen solchen Stolz aufzubegehren, obwohl ihr, edles Fräulein, schön und blond seid. Ein kleiner Kummer schmerzt euch und eine kleine Freude vergnügt euch, aber ihr seid dabei weder die ersten noch die zweite. 20 Aber ich, der ich fürchte, dass dieser Kummer mich umbringt, wieso ratet ihr mir, der ich den Untergang fürchte, stärker gegen die Wellen anzukämpfen? Schlecht, denke ich, ratet ihr mir! 24 Si je vous demande conseil, belle amie Alamanda 1 (I) Si je vous demande conseil, belle amie Alamanda, ne me le refusez pas, parce qu’un homme tourmenté vous le demande; car votre maîtresse trompeuse m’a dit que je suis fort loin de ses ordres de sorte que ce qu’elle m’a promis, elle me retire et me révoque. Que me conseillez-vous? Car mon coeur est prêt d’éclater de peine tant j’en suis affligé. (II) Mon Dieu, Giraut, aussi vite le voeu de l’amoureux ne se réalise ni n’est garanti; car si l’un faute, l’autre doit pardonner, pour que leurs querelles ne croissent ni s’étendent. Car si elle vous dit que montagne est lande vous la croyez, et acceptez les biens et maux qu’elle vous envoie: c’est ainsi que vous serez aimé. (III) Je ne peux que me révolter contre un tel orgueil bien que vous soyez, donzelle, belle et blonde. Un petit chagrin vous fait mal et un petit plaisir vous amuse, mais vous n’êtes ni la première ni la seconde. Mais moi qui crains que ce chagrin me confonde, pourquoi me conseillez-vous à moi, qui crains tant de périr, d’affronter plus encore les vagues? Je pense que vous me conseillez mal! 1 Die neufranzösische Übersetzung wurde für diesen Band von Geneviève Bender- Berland (Trier) angefertigt. 192 Giraut de Bornelh (IV) Si m’enqueretz d’aital razo preonda, per Deu, Giraut, no sai com vos responda; pero, si·us par c’ab pauc fos jauzionda, mais volh pelar mo prat c’altre·l me tonda. 1 28 E s’e·us er oi del plach far dezironda ja l’encerchatz com so bo cor vos esdui’e·us resconda; be par com n’etz cochatz! 32 (V) Donzel’, oimais no siatz trop parlera! S’ilh m’a mentit mais de cen vetz primera, cudatz vos donc que totztems l’o sofera? Semblaria c’o fezes per nescera 36 d’altr’amistat. Er ai talan que·us fera 2 , si no·us chalatz! Melhor conselh dera Na Berengera 3 que vos no me donatz. 40 (VI) L’ora vei eu, Giraut, qu’ela·us mera, car l’apeletz chamjairitz ni leugera; per so cudatz que del plach vos enquera? Mas no cut ges que sia tan manera; 44 ans er oimais sa promessa derrera, que que·us diatz, si s’en destrenh tan que ja vos ofera treva ni fi ni patz. 48 1 Gemeint ist: Ich will mich lieber mit Kleinem zufriedengeben als für Großes alles zu verlieren. 2 Dieser wirklich unhöfische Ausfall ist nur zu erklären, wenn man daran denkt, dass die donzella keineswegs die herausgehobene Stellung einer domna einnimmt. Angelica Rieger bevorzugt eine andere handschriftliche Lesart: d’autr’amistat ai talan qu’ie·us enquieira ‚ich möchte euch doch sehr darum bitten, mir Eure Freundschaft auf andere, bessere Art zu beweisen’. 3 Sicherlich ist hier eine sprichwörtliche Person gemeint, die aber bis jetzt noch nicht identifiziert ist. Im Roman de Renart kommt eine anesse Berenger vor. Si us quer conselh, bel’ami’Alamanda 193 (IV) Wenn ihr mich über ein so tiefgründiges Thema befragt, bei Gott, Giraut, weiß ich nicht, was ich antworten soll; aber, wenn ihr glaubt, dass man mir mit wenig eine Freude machen kann - ich ziehe es vor, meine Wiese zu mähen, bevor ein anderer sie ausrupft. 28 Und wenn ich noch bestrebt bin, euch eine Versöhnung zu arrangieren, sucht ihr schon danach, wie sie ihr gutes Herz euch entfremden und verbergen könnte; es scheint, dass ihr es nicht eilig habt! 32 (V) Edles Fräulein, seid hinfort nicht so redselig! Wenn sie mich mehr als hundert Mal als erste belog, glaubt ihr denn, dass ich das alle Zeit erdulden werde? Es könnte ja scheinen, ich mache das aus Mangel 36 einer anderen Liebe. Jetzt hätte ich Lust, euch schlagen, wenn ihr nicht schweigt! Einen besseren Rat würde Frau Berengera geben, als ihr ihn mir gebt. 40 (VI) Ich sehe die Stunde, Giraut, dass sie euch das büßen lässt, denn ihr nanntet sie unbeständig und leichtsinnig; denkt ihr, dass sie euch deswegen um Versöhnung bitten wird? Ich glaube aber nicht, dass sie so nachgiebig ist; 44 vielmehr wird hinfort ihr letztes Zugeständnis sein, was immer ihr auch sagen möget, wenn sie sich so viel abzwingt, dass sie euch anbietet Waffenstillstand, Verständigung und Frieden. 48 (IV) Si vous m’interrogez sur un tel sujet si important, mon Dieu, Giraut, je ne sais que répondre; mais si vous croyez qu’on puisse me faire plaisir de peu - je préfère tondre mon pré avant qu’un autre ne le fasse. Et si je m’efforce encore de vous arranger une réconciliation, cherchez déjà comment elle pourrait vous éloigner et vous cacher son bon coeur; il semble que vous n’en soyez pas tourmenté! (V) Donzelle, ne soyez donc pas si bavarde! Si elle m’a menti en premier plus de cent fois, croyez-vous donc que je le souffrirai sans cesse? Il semblerait que je le fasse par manque d’une autre amitié. J’aurais bien envie de vous frapper, si vous ne vous taisez! Meilleur conseil donnerait Dame Bérengère que vous ne me donnez. (VI) Je vois le moment, Giraut, qu’elle vous le fera payer car vous l’avez traitée d’instable et de légère; croyez-vous qu’ainsi elle vous en accordera réconciliation? Je ne crois pas qu’elle soit si conciliante; dorénavant sa dernière promesse sera, quoi que vous disiez, si elle s’y abaisse tant qu’elle vous offrira trève, confiance et paix. 194 Giraut de Bornelh (VII) Bela, per Deus, no perda vostr’aiuda, car be sabetz com me fo convenguda. S’eu m’ai falhit per l’ira c’ai aguda, no·m tenha dan; s’anc sentitz com leu muda 52 cor d’amador, ami’, e s’anc fotz druda, del plach pensatz; que be vos dic: mortz sui, si l’ai perduda, mas no l’o descobratz! 56 (VIII) Senher Giraut, ja n’agr’eu fi volguda, mas ela·m ditz c’a drech s’es irascuda, c’altra·n preietz com fols, tot a saubuda, que no la val, ni vestida ni nuda 1 . 60 No fara donc, si no·us gic, que vencuda, s’altra·n preiatz? Be·us en valrai, ja l’ai’eu mantenguda, si mais no·us i mesclatz. 64 (IX) Bela, per Deu, si d’ela n’etz crezuda, per me lo·lh afiatz! (X) Ben o farai; mas can vos er renduda s’amors, no la·us tolhatz. 68 1 Diese Wendung hat sprichwörtlichen Charakter: ‚niemals’. Vgl. auch die Ausdrucksweise der Comtessa de Dia: ai estat en gran error | en lieig e qand sui vestida (Estat ai en greu cossirier, Verse 7f.). Si us quer conselh, bel’ami’Alamanda 195 (VII) Schöne, bei Gott, ich möchte eueren Beistand nicht verlieren, denn ihr wisst, wie er mir zugesagt wurde. Wenn ich unrecht tat im Schmerz, den ich erfahren musste, rechnet mir das nicht zum Schaden an; wenn ihr je fühltet, wie wandelbar 52 das Herz eines Liebenden ist, Freundin, und wenn ihr je verliebt wart, dann denkt an die Versöhnung; denn ich sage euch klar: ich bin tot, wenn ich sie verloren habe, aber sagt ihr das nur nicht! 56 (VIII) Herr Giraut, ich hätte eine Verständigung angestrebt, aber sie sagt mir, dass sie zu Recht erzürnt ist, denn einer anderen macht ihr wie ein Narr vor aller Augen den Hof, die es nicht wert ist, weder bekleidet noch nackt. 60 Wird sie denn nicht, wenn sie euch nicht fallen lässt, unterlegen erscheinen, wenn ihr eine andere preist? Ich werde mich für Euch einsetzen und habe sie euch schon erhalten, sofern ihr euch nie mehr auf so etwas einlasst. 64 (IX) Schöne, bei Gott, wenn ihr bei ihr Glauben findet, versprecht es ihr für mich! (X) Ich werde es gerne tun; aber wenn euch wiedergegeben sein wird ihre Liebe, setzt sie nicht mehr aufs Spiel! 68 (VII) Ma Belle, par Dieu, je ne veux perdre votre aide car vous savez bien comment elle me fut promise. Si j’ai failli par la douleur que j’ai soufferte ne m’en tenez pas rigueur; si vous sentiez comme changeant est le cœur de l’amant, amie, et si vous avez jamais été amoureuse, pensez à la réconciliation; car je vous le dis clairement: je suis mort si je l’ai perdue, mais surtout ne le répétez pas devant elle! (VIII) Sieur Giraut, j’aurais essayé d’arranger un accord, mais elle me dit qu’avec raison elle est fâchée, car comme un fou aux yeux de tous à une autre vous faites la cour, qui n’en vaut la peine ni habillée ni nue. N’aura-telle pas l’air vaincue si elle ne vous abandonne, alors que vous en célébrez une autre? Je vous soutiendrai et vous l’ai déjà maintenue, à condition que de ce genre de choses ne vous mêliez plus. (IX) Ma Belle, par Dieu, si vous elle vous accorde foi, promettez-le-lui pour moi! (X) Je le ferai volontiers; mais si son amour vous est rendu ne le remettez plus en jeu! 196 Folquet de Marselha 4.2 Folquet de Marselha (…1178-1231) Folquet de Marselha weist zwei deutlich unterscheidbare Lebensabschnitte auf: Als junger Mann, bis vielleicht zum Ende seines vierten Lebensjahrzehnts, war er ein gefeierter Troubadour. Seit seinem 1195 erfolgten Eintritt in den Orden der Zisterzienser, wo er bald Abt wurde und 1205 in den Rang eines Bischofs von Toulouse aufsteigen konnte, war er der aktivste Vorkämpfer des von Papst Innozens III. am 10. März 1208 ausgerufenen Kreuzzuges gegen die Albigenser, der bekanntlich das Ende des Troubadourzeitalters einleiten sollte. Auf dem Konzil von Toulouse wurde er 1229 zum Leiter der Inquisition bestellt, im gleichen Jahr gründete er aber auch die Universität Toulouse. Folquet de Marselha, auf Italienisch Folco, ist der einzige Troubadour, den Dante ins Paradies versetzt hat, freilich nicht in seiner Eigenschaft als Sänger, der er nur war, solange es die jugendliche Färbung seiner Haare zuließ (IX 99: „infin che si convenne al pelo”), sondern als Glaubenskämpfer, der dem Venushimmel, der ihn in der Jugend inspiriert hat, nach dem Tode seinen Glanz schenkt (IX 95-96: „e questo cielo | di me s’imprenta com’io fei di lui”). Von Folquet de Marselha sind uns 19, mit einer religiösen Alba, die jedoch wahrscheinlicher von Folquet de Romans stammt (Vers Dieus, el vostre nom et de Sancta Maria), sogar 20, Gedichte erhalten: 14 Liebeslieder, eine Tenzone und ein debat, zwei Kreuzzugslieder und ein planh auf Barral de Marselha. Folquet de Marselha war sehr gebildet, kannte er sich doch sowohl in der scholastischen Kasuistik wie in der lateinischen Literatur aus, aus der er viele Wendungen und Anspielungen übernommen hat. Er liebte Personifizierungen und Allegorien und war für seine sublime Ausdrucksweise wie für seine Kunst bei der Formulierung von Strophen bekannt. Die hier ausgewählte canso war bei den Zeitgenossen berühmt wegen ihres klaren Aufbaus. Strophenstruktur: Tant m’abellis l’amoros pessamens: fünf coblas unissonans (Reimschema: a - b - c - a - b - c - d - d) sowie eine vierzeilige (b - b - d - d) und eine dreizeilige (b - d - d) tornada. Literatur: Frank, István: Trouvères et Minnesänger, Saarbrücken (West-Ost-Verlag) 1952, 47-55. Squillacioti, Paolo: Folquet de Marselha: Poesie, Roma (Carocci) 2003. Stroński, Stanisław: Le troubadour Folquet de Marseille, Cracovie (Académie des Sciences) 1910 [= Genève (Slatkine) 1968]. Vida 197 4.2.1 VIDA Folquet de Marsseilla si fo fillz d’un mercadier que fo de Genoa et ac nom ser Anfos. E quan lo paire muric, si·l laisset molt ric d’aver. Et el entendet en pretz et en valor; e mes se a servir als valenz barons et als valenz homes, et a brigar ab lor, et a dar et a servir et a venir et a anar. Et fort fo grazitz et onratz per lo rei Richart e per lo comte Raimon de Tolosa e per En Baral, lo sieu seingnor de Marseilla. Molt trobava ben e molt fo avinenz om de la persona. Et entendia se en la muiller del sieu seingnor En Baral. E pregava la e fasia sas chansos d’ella. Mas anc per precs ni per cansos no·i poc trobar merce, qu’ella li fezes nuill ben en dreit d’amor; per que totz temps se plaing d’Amor en soas cansos. Et avenc si que la domna muric, et En Barals, lo maritz d’ella e·l seingner de lui, que tant li fasia d’onor, e·l bons reis Richartz, e·l bons coms Raimos de Tolosa, e·l reis Anfos d’Arragon. Don el, per tristeza de la soa domna e dels princes que vos ai ditz, abandonet lo mon; e si rendet a l’ordre de Cistel ab sa muiller et ab dos fillz qu’el avia. E si fo fachs abas d’una rica abadia, qu’es en Proensa, que a nom Le Torondet. E pois el fo faichs evesques de Tolosa; e lai el muric. LEBEN Folquet de Marselha war der Sohn eines Kaufmanns aus Genua namens Amfos. Als der Vater starb, hinterließ er ihm ein bedeutendes Vermögen. Folquet konzentrierte sich auf Ehre und Einfluss, und er begab sich daran, den einflussreichen Herren und machtvollen Gebietern zu dienen, zu ihrem Vertrauten zu werden, zu geben, zu dienen, bei ihnen ein- und auszugehen. Sehr beliebt und geschätzt war er bei König Richard, beim Grafen Raimon von Toulouse und bei Herrn Barral, seinem Gebieter in Toulouse; und er verliebte sich in die Frau seines Herrn Barral, um die er warb und über die er Lieder dichtete. Aber weder durch seine Bitten noch durch seine Lieder fand er Gnade bei ihr, denn sie erwies ihm in Liebesdingen keinerlei Gunst. Deswegen klagte er immer in seinen Liedern über die Liebe. Es ereignete sich, dass diese Dame starb, ebenso Herr Barral, ihr Mann und sein Gebieter, der ihn so sehr geehrt hatte, gleichfalls der gute König Richard, der gute Graf Raimon von Toulouse und der König Alfons von Arragon. Deswegen, also wegen der Trauer um seine Dame und um die Edlen, die ich gerade genannt habe, entsagte Folquet de Marselha der Welt und trat zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in den Zisterzienserorden ein. Er wurde Abt einer reichen Abtei in der Provence namens Le Toronet; später wurde er Bischof von Toulouse, wo er auch starb. 198 Folquet de Marselha 4.2.2 Tant m’abellis l’amoros pessamens (I) Tant m’abellis l’amoros pessamens 1 que s’es vengutz e mon fin cor assire, per que no·i pot nuills autre pes caber ni mais negus no m’es dous ni plazens, 4 qu’adonc viu sas quan m’aucizo·l cossire e fin’amors aleuja·m mo martire que·m promet joi, mas trop lo·m dona len, qu’ap bel semblan m’a trainat longamen. 8 (II) Be sai que tot quan faz es dreiz niens! Eu qu’en puesc mais s’Amors mi vol aucire? Qu’az escien m’a donat tal voler que ja non er vencutz ni el no vens; 12 vencutz si er, qu’aucir m’an li sospire tot soavet, quar de liey cui dezire non ai socors, ni d’allors no l’aten, ni d’autr’amor no puesc aver talen. 16 1 Dieser Vers war so bekannt, dass Dante die Rede von Arnaut Daniel im Purgatorio (26, 140-148) mit seiner Abwandlung beginnen lassen kann: „Tan m’abellis vostre cortes deman, | qu’ieu no me puesc ni voill a vos cobrire.“ Tant m’abellis l’amoros pessamens 199 So sehr erfreut mich die verliebte Besorgnis (I) So sehr erfreut mich die verliebte Besorgnis, die sich in meinem treuen Herzen niedergelassen hat, weil sich kein anderer Gedanke dort aufhalten kann und mir auch kein anderer Gedanke angenehm und willkommen ist, 4 dass ich jetzt gesund lebe, wo mich doch die Sorgen umbringen, aber die feine Liebe meine Leiden mindert, die mir Freude verheißt, aber sie mir allzu langsam schenkt, denn mit schöner Vorspiegelung hat sie mich lange hingehalten. 8 (II) Ich weiß sehr gut, dass alles, was ich mache, nichts wert ist! Was kann ich denn noch machen, wenn die Liebe mich umbringen will? Mit vollem Willen hat sie mir ein solches Verlangen gegeben, dass ich nie besiegt werden kann und nie auf den Sieg verzichten werde; 12 wenn ich besiegt werde, dann nur, weil die Sorgen mich ganz langsam umgebracht haben, weil von der, nach der ich verlange, keine Rettung kommt, und von anderswo erwarte ich sie nicht, und nach der Liebe zu einer anderen kann ich kein Verlangen haben. 16 Le souci amoureux qui est venu s’installer dans mon cœur 1 (I) Le souci amoureux qui est venu s’installer dans mon cœur - et qui en a exclu toute autre pensée, de sorte qu’aucune ne peut m’être douce ni agréable - me réjouit tellement que je vis sain et sauf, alors que les chagrins me tuent. Amour parfait m’allège mon martyre en me promettant la joie que je désire. Il est cépendant trop lent à me l’accorder, car, par de belles apparences, il m’a tenu longtemps en haleine. (II) Je sai bien que tout ce que je fais est fait en pure perte; mais qu’y puisje, si Amour veut me tuer? C’est à bon escient qu’il m’a inspiré un désir tel que je ne serai jamais vincu et que je ne renoncerai jamais à la victoire. Vaincu, je le serai cependant: les soupirs me tueront, avec tant de douceur, car je n’ai aucun secours de celle que je désire, et je n’en attends de personne d’autre, et l’amour d’aucune autre ne saurait me plaire. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von István Frank (1952, 50-52). 200 Folquet de Marselha (III) Bona dona, si·us platz, siatz sufrens del ben qu’ie·us vuel qu’ieu sui del mal sufrire, e pueis lo mals no·m poira dan tener ans m’er semblan que·l partam egalmens; 20 pero, si·us platz qu’az autra part me vire, ostatz de vos la beutat e·l dous rire e·l bel semblan que m’afollis mon sen: pueis partir m’ai de vos, mon escien. 24 (IV) A totz jorns m’etz plus bel’e plus plazens, per qu’ie·n vuel mal als huels ab que·us remire, quar a mon pro no·us poirian vezer et a mon dan vezon trop sotilmens; 28 mos dans non es, sivals pos no·m n’azire, ans es mos pros, dona, per qu’ieu m’albire, si m’aucisetz, que no·us estara gen, 1 quar lo mieus dans vostres er eissamen. 32 1 Hier hat gen die Bedeutung ‚zuträglich’. Tant m’abellis l’amoros pessamens 201 (III) Gute Dame, bitte ertragt das Gute, das ich für euch empfinde, denn ich ertrage das Üble, und doch kann das Üble mir keinen Schaden zufügen, denn mir will scheinen, dass wir es zu gleichen Teilen tragen. 20 Wenn es euch aber gefällt, dass ich mich von euch abwende, dann legt euere Schönheit ab und das süße Lächeln und eure attraktive Erscheinungsform, die meinen Sinn verwirrt; dann werde ich mich wirklich von euch abwenden! 24 (IV) Alle Tage seid ihr mir immer schöner und immer ansehnlicher, weswegen ich meinen Augen böse will, mit denen ich euch betrachte, denn zu meinem Vorteil können sie euch nicht sehen, aber zu meinem Nachteil sehen sie euch nur zu deutlich; 28 mein Nachteil ist es nicht, jedenfalls kann ich darüber nicht traurig sein, sondern es ist mein Vorteil, meine Dame, denn ich denke mir, wenn ihr mich umbringt, dann wird euch das nicht gut anstehen, denn mein Schaden wird zugleich euer Schaden sein. 32 (III) Belle dame, supportez, s’il vous plaît, l’amour que j’ai pour vous, car moi je supporte le mal que cet amour me fait, et, alors, ce mal ne pourra pas me nuire: j’aurai, au contraire, le sentiment que nous le partageons en égalité. Et si vous préférez que je me détourne de vous, quittez vos beautés et votre doux rire et vos belles manières, qui metroublent l’esprit, et alors je me séparerai de vous, je vous l’assure! (IV) Je vous trouve chaque jour plus belle et plus gracieuse et j’en veux à mes yeux, avec lesquels je vous contemple, parce qu’ils ne pourraient pas vous voir à mon avantage et qu’à mon dam, ils vous voient trop bien. A mon dam? Non, vertes, je le sais, et je ne m’en attriste jamais; c’est à mon avantage, au contraire, madame! Aussi me dis-je que, si vous me tuez, cela ne pourra vous être agréable, car mon dommage sera également le vôtre. 202 Folquet de Marselha (V) Per so, dona, no·us am saviamens qu’a vos sui fis et a mos ops trayre; e vos cug perdr’e mi no puesc aver, e·us cug nozer et a mi sui nozens; 36 pero, no·us aus mon mal mostrar ni dire, mas a l’esgart podetz mon cor devire, qu’ar lo·us cuich dir et aras m’en repen et port n’als huels vergonh’e ardimen. 40 (VI) Trop vos am mais, dona, qu’ieu no sai dire, e quar anc jorn aic d’autr’amor desire no m’en penet, ans vos am per un cen, car ai proat l’autrui captenemen. 44 (VII) Vas Nems t’en vai, chanssos, qui qe·s n’azire 1 , que gauch n’auran, per lo meu escien, las tres donnas a cui ieu te presen. 1 Wer die drei Damen in Nîmes sind, denen das Gedicht gewidmet ist, ist unklar. Tant m’abellis l’amoros pessamens 203 (V) Deswegen, meine Dame, liebe ich euch nicht auf eine weise Manier, denn ich bin euch treu und Verräter meiner selbst; ich glaube, euch zu verlieren, und kann mich selbst nicht bewahren, und ich denke euch zu schaden und schade mir doch selbst; 36 aber ich wage es nicht, euch mein Leid zu zeigen oder zu sagen, aber aus meinem Aussehen könnt ihr mein Herz erraten, denn mal möchte ich es euch sagen, mal schrecke ich davor zurück, und ich trage in meinen Augen Scham und Wagemut. 40 (VI) Ich liebe euch, meine Dame, mehr, als ich zu sagen wage, und wenn ich niemals Verlangen nach einer anderen Liebe hatte, dann bedauere ich das nicht, sondern ich liebe euch hundertmal mehr, denn ich habe das Verhalten der anderen erprobt. 44 (VII) Nach Nîmes wende dich, Lied, wem immer das missfallen mag, denn Freude darüber werden, soweit ich weiß, die drei Damen haben, denen ich dich präsentiere. (V) Voilà pourquoi, madame, je vous aime d’une manière insensée: je suis fidèle à vous et traître à moi-même, je pense vous vaincre et je ne puis me conserver moi-même, je crois l’emporter sur vous et je m’inflige une défaite à moi-même. Voilà pourquoi je n’ose vous montrer ni vous dire mon mal, mais à mon regard, vous pouvez deviner mon cœur; tantôt je veux m’ouvrir à vous, tantôt je m’en repens: je porte, dans mes yeux, honte et hardiesse. (VI) Je vous aime, madame, bien plus que je ne saurais vous dire. Et si je conçus, jadis, un autre amour, je ne le regrette point, je ne vous en aime que davantage, car j’ai à présent la preuve de ce que vaut l’attitude des autres. (VII) Va-t’en, chanson, vers Nîmes, à qui que cela déplaise: tu feras, je pense, la joie des trois dames auxquelles je te présente. 204 Bertran de Born 4.3 Bertran de Born (1140-1215) Bertran de Born ist einer der leidenschaftlichsten und kampfeslustigsten Troubadoure, der sein Rittertum oft so verstand, dass er an allen Parteienstreitigkeiten Anteil nahm, nicht zuletzt, um daraus persönlichen Gewinn zu ziehen. Sein Gedicht Be·m platz lo gais temps de pascor kann geradezu als Loblied auf den Kriegszustand verstanden werden. So ist es nicht erstaunlich, dass er seine eigentliche Meisterschaft im polemischen sirventés fand; „lo que más destaca en la poesía del señor de Autafort es su gusto por la guerra”, sagt Martín de Riquer mit Recht (1975, Bd. 2, 684), und für Dante ist er schlicht der Sänger der arma (De vulgari eloquentia 2, 2, 9). Der Geburtsort dieses Troubadours, über dessen bewegtes Leben man durch zahlreiche Dokumente unterrichtet ist, war Born, zwölf Kilometer nördlich des Familiensitzes Hautefort im Périgord. Zudem weiß man, dass der Troubadour mit seinen beiden Brüdern in ständigen Besitz- und Erbschaftsstreitigkeiten lag. Er war zweimal verheiratet, trat aber als Witwer 1197 in den Zisterzienserorden ein. Zum englischen Königshof, der dynastische Interessen im heutigen Südwestfrankreich verfolgte, hatte er enge Beziehungen, und er gehörte zum engeren Gefolge des „Jungen Königs” Heinrich, den er in seinem Streit mit dem Vater Heinrich II. unterstützte (in Dantes Inferno 28, 112-142, tritt Bertran mit dem eigenen Kopf in der Hand auf als Strafe für das Säen von Zwietracht zwischen Vater und Sohn) und der 1183 in seinem Beisein verstarb. In der Folgezeit näherte er sich Richard Löwenherz an, dessen dritten Kreuzzug er durch Kreuzzugslieder unterstützte. Mit dem Eintritt ins Kloster scheint Bertran de Born sowohl sein kampferprobtes abenteuerliches Leben als auch seine dichterische Tätigkeit aufgegeben zu haben. Von Bertran de Born sind uns 40 Gedichte erhalten, die sich im Großen und Ganzen durch ihren streitbaren Ton und durch ihre thematische Nähe zur Heldendichtung auszeichnen. Die eigentliche Liebeslyrik war nicht gerade die Stärke des Dichters, obwohl er ihre formale Seite durchaus beherrschte. Das hier ausgewählte Gedicht ist ein sirventés, zusammengestellt nach der Unterscheidung zwischen enueg (‚Anlass für Missvergnügen’) und plazer (‚Anlass für Vergnügen’), in dem die positiven Eigenschaften von jove(n) und die negativen Eigenschaften des vielh einander gegenübergestellt werden. Es geht hier freilich nicht um das biologische Alter, sondern um die Gleichsetzung positiver ritterlicher Tugenden einer lockeren und freien Biographie und negativer Erscheinungsformen eines gesetzten Lebensstils mit Alterskonnotationen. Bertran de Born 205 Strophenstruktur: Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge: fünf achtzeilige coblas unissonans (a - b - a - b - c - c - d - d) und eine vierzeilige tornada (c - c - d - d). Literatur: Appel, Carl: Die Lieder Bertrans von Born, Halle (Niemeyer) 1932. Stimmig, Albert: Bertran de Born: Sein Leben und seine Werke, Halle (Niemeyer) 2 1913. 206 Vida I 4.3.1 VIDA I Bertrans de Born si fo uns castellans de l’evesqat de Peiregors, seingner d’un castel que avia nom Autafort. Totz temps ac guerra ab totz los sieus vesins, ab lo comte de Peiregors et ab lo vescomte de Lemoges et ab son fraire Constanti et ab Richart, tant quant fo coms de Peitieus. Bons cavalliers fo e bons guerrers e bons domnejaire e bons trobaire e savis e ben parlanz; e saup ben tractar mals e bens. Seingner era totas ves quan se volia del rei Enric e del fill de lui, mas totz temps volia que ill aguessen guerra ensems, lo paire e·l fils e·l fraire, l’uns ab l’autre. E toz temps volc que lo reis de Fransa e·l reis d’Engleterra aguessen guerra ensems. E s’il aguen patz ni treva, ades se penet ab sos sirventes de desfar la patz e de mostrar com cascuns era desonratz en aquella patz. E si n’ac de grans bens e de grans mals. LEBEN I Bertran de Born war ein Kastellane aus dem Périgord, Herr einer Burg namens Hautefort. Er war alle Zeit im Krieg mit seinen Nachbarn, mit dem Grafen von Périgord und mit dem Vicomte von Limoges und mit seinem Bruder Constantin und mit Richard, solange er Graf von Poitou war. Er war ein guter Krieger, ein guter Liebhaber, ein guter Troubadour, weise und wortgewandt; er konnte gute und schlechte Dinge behandeln. Er war zu allen Zeiten, wenn er wollte, Herr über den König Heinrich und über dessen Sohn, aber er wollte immer, dass sie miteinander Krieg hätten, der Vater, der Sohn und die Brüder, einer mit dem anderen. Er wollte auch alle Zeit, dass der König Frankreichs und der König Englands miteinander Krieg hätten. Und wenn sie Frieden oder Waffenstillstand einhielten, dann bemühte er sich mit seinen Sirventés, den Frieden zunichte zu machen und zu zeigen, wie ein jeder durch den Frieden entehrt würde. So hatte er große Verdienste, aber auch viele schlechte Seiten. Vida II 207 4.3.2 VIDA II Bertrans de Born si fo de Lemozi, vescoms d’Autafort, qe·i avia prop de mil homes. Et avia fraires e cujava·ls dezeretar, si no fos lo reis d’Anclaterra. Molt fo bons trobaire de sirventes et anc no fes chansos fors doas; e·l reis d’Arago donet per moiller las chansos d’En Guiraut de Borneill a sos sirventes. Et aquel que cantava per el avia nom Papiols. Et era azautz hom e cortes. E clamava „Rassa” lo comte de Bretanha, e·l rei d’Anclaterra „Oc-eno”, e·l Rei Jove, son fill, „Marinier”. Et avia aital uzatge c’ades fazia mesclar guerra entre·ls baros e fes mesclar lo pair’e·l fill d’Anclaterra, tant entro·l Joves Reis fo mortz d’un cairel en un castel de Bertran de Born. E Bertrans de Born si·s vanava qu’el cujava tan valer que ja no cujava que totz sos sens l’agues mestier. E pueis lo reis lo pres, e quant l’ac pres, e li dis: „Bertrans, aura·us encara mestier totz vostre sens.” Et el respos qu’el avia tot son sen perdut quan lo Reis Joves morit. Adonx si ploret lo reis de son fill e perdonet li e·l vestit e·ill det terras e honors. E visquet longuamen el setgle e pueis rendet se a l’orde de Sistel. Et aqui trobares de sos sirventes. LEBEN II Bertan de Born stammte aus dem Limousin; er war Vicomte von Hautefort, von dem er fast tausend Mann hatte. Er hatte Brüder und beabsichtigte, die ihres Erbes zu berauben, wenn der König von England nicht gewesen wäre. Er war ein guter Sirventés-Troubadour, dichtete jedoch nur zwei Chansons; und der König von Aragón gab seinen Sirventés die Chansons von Guiraut de Bornelh als Ehefrauen. Der, der seine Lieder vortrug, hieß Papiol. Er war ein vornehmer und höfischer Mann. Er nannte den Grafen der Bretagne „Rassa”, den König von England „Oc-e-no”, und dessen Sohn, den „Jungen König”, „Marinier”. Er hatte die Angewohnheit, immer Krieg zwischen den Herren anzustacheln, und er entzweite den Vater und den Sohn von England, bis dass der „Junge König” an einem Pfeil in einem Schloss von Bertran de Born starb. Bertran de Born rühmte sich, er halte sich für so vortrefflich, dass er nicht glaubte, alle seine Talente nötig zu haben. Aber als der König ihn gefangen genommen hatte, sagte dieser zu ihm: „Bertran, jetzt endlich habt ihr alle euere Talente nötig”. Und er antwortete, dass er all seinen Geist verloren habe, als der „Junge König” starb. Da weinte der König über seinen Sohn, verzieh dem Sänger, kleidete ihn und gab ihm Ländereien und Ehren. Er lebte lange in dieser Welt und trat schließlich in den Zisterzienserorden ein. Hier findet ihr nun einige seiner Sirventés. 208 Bertran de Born 4.3.3 Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge (I) Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge, que·lh vielh laissan als joves lor maisos, e chacus pot laissar en son linhatge tans filhs que l’us puoscha ben esser pros. 4 Adoncs m’es vis que·l segles renovel mielhs que per flor ni per chantar d’auzel. E qui senhor ni domna vol chamjar vielh per jove, be·s deu renovelar. 8 (II) Per vielha tenh domna puois qu’a pelatge 1 , et es vielha, quan chevalier non a. Vielha la tenh, si de dos drutz s’apatge, et es vielha, quant avols hom lo·lh fa 2 . 12 Vielha la tenh, si ama dintz son chastel 3 , et es vielha, quan l’a ops de fachel. Vielha la tenh, puois l’enoian joglar, et es vielha, quan trop vuolha parlar. 16 1 Die Handschriften bieten pus capelaia bzw. ma capelaia, das man ‚mit einem Hut’ (dessen Tragen das Alter verbergen könnte) übersetzen könnte. Ähnlich ist die Konjektur mas chapel atge zu verstehen. Die hier in den Text aufgenommene Konjektur von Stimmig bezieht sich explizit darauf, dass äußere Erscheinungen das wahre Alter sichtbar machen. 2 faire lo·lh hat dieselbe obszöne Bedeutung wie das umgangssprachliche deutsche es ihr besorgen. 3 Bei einer Dame, die sich mit ihrem Ehemann dintz son chastel begnügt und keine Liebhaber (drutz) hat, ist die Zeit der jugendlichen Leidenschaftlichkeit vorbei. Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge 209 Ich sehe es gern, wenn sich die Herrschaft erneuert (I) Ich sehe es gern, wenn sich die Herrschaft erneuert und wenn die Alten ihre Häuser den Jungen überlassen, und jeder kann in seiner Nachkommenschaft so viele Söhne aufweisen, dass einer von ihnen recht tüchtig sein kann. 4 So scheint es mir, dass sich die Welt besser erneuere als durch Blumen oder durch Gesang von Vögeln. Und wenn jemand bezüglich des Herrn oder der Dame jung gegen alt eintauschen will, dann muss er sich erneuern. 8 (II) Ich halte für alt eine Dame, deren Haare dünn werden, und alt ist die, die keinen Ritter hat. Ich halte die für alt, wenn sie sich mit zwei Verehrern begnügt, und alt ist die, die sich einem schwachen Mann hingibt. 12 Ich halte die für alt, die nur in ihrem Schloss der Liebe pflegt, und alt ist die, die einen Liebestrank benötigt. Ich halte die für alt, die von den Sängern gelangweilt wird, und alt ist die, die zu viel reden will. 16 Sirventés des vieux et des jeunes 1 (I) Il me plaît de voir l’autorité changer de place et les vieux laissent aux jeunes leurs maisons: car chacun peut laisser dans son lignage assez de fils pour que l’un d’entre eux puisse devenir valeureux. Alors, il me semble que le monde se renouvelle mieux que par des fleurs et des chants d’oiseaux. Et si quelqu’un peut changer son vieux seigneur ou sa dame contre des jeunes, il faut bien qu’il se renouvelle. (II) Je tiens pour vieille une dame même quand elle porte un chapeau (? ), et elle est vieille quand elle n’a pas de chevalier-servant. Je la tiens pour vieille si elle se satisfait de deux amants, et elle est vieille quand un homme vil lui fait l’amour. Je la tiens pour vieille si elle n’aime que dans son château, et elle est vieille quand elle a besoin d’apprêts. Je la tiens pour vieille si les jongleurs l’ennuient, et elle est vieille quand elle veut trop parler. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1979, 217-221). 210 Bertran de Born (III) Jov’es domna que sap onrar paratge, 16 et es joves per bos fachs, quan los fa. Joves si te, quan a adrech coratge e ves bo pretz avol mestier non a. Joves si te, quan garda son cors bel, 20 et es joves domna, quan be·s chapdel. Joves si te, quan no·i chal divinar 1 , qu’ab bel joven si art de mal estar. (IV) Joves es om que lo sieu ben engatge, 24 et es joves, quan es be sofrachos. Per jove·l tenh, quan pro·lh costan ostatge, et es joves, quan fai estragatz dos. Joves, quan art s’archa ni son vaissel, 28 joves quan vol bastir cort e cembel. Per jove·l tenh, quan ben vuolha jogar, et es joves, quan sap ben domneiar. 1 Außer der Grundbedeutung ‚erraten, ausspionieren’ kann divinar auch globaler ‚alles wissen wollen’ bedeuten. Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge 211 (III) Jung ist eine Dame, die die hohe Abkunft zu ehren weiß, 16 und jung ist sie durch die guten Taten, die sie vollbringt. Jung hält sie sich, wenn sie die rechte Gesinnung hat und die zum guten Lob keine unlauteren Mittel braucht. Jung hält sie sich, wenn sie ihren Körper gut pflegt, 20 und jung ist eine Dame, wenn sie sich schön benimmt. Jung hält sie sich, wenn sie nicht alles wissen will, und wenn sie sich vor schlechtem Umgang mit einem schönen jungen [Mann hütet. (IV) Jung ist ein Mann, der sein Gut verpfändet, 24 und jung ist er, wenn er wirklich mittellos ist. Für jung halte ich ihn, wenn ihm Gastfreundschaft ein Vermögen wert ist, und jung ist er, wenn er extravagante Geschenke macht. Jung, wenn er sein großes oder kleines Gepäck verbrennt, 28 jung, wenn er höfische Treffen und Turniere einrichten will. Für jung halte ich ihn, wenn er das Spiel liebt, und jung ist er, wenn er gut den Damen den Hof macht. (III) Jeune est la dame qui sait honorer les gens de haut parage, et elle est jeune par les belles actions qu’elle fait. Elle se conduit en jeune quand elle a un juste jugement et n’agit pas d’une manière indigne d’une bonne réputation. Elle se conduit en jeune quand elle sait garder beau son corps, et elle reste une dame jeune quand elle se conduit bien. Elle se conduit en jeune quand elle ne se soucie pas de tout savoir et qu’elle se garde de se mal comporter en compagnie d’élégants jouvenceaux. (IV) Jeune est l’homme qui engage son bien et il est jeune quand il est vraiment dépourvu de tout. Il se conduit en jeune quand il dépense largement en réceptions, et il est jeune quand il octroie de splendides dons. Jeune, quand il brûle ses coffres et ses vases, et organise mêlées, joutes et tournois. Il se conduit en jeune s’il aime courtiser les dames, et il est jeune quand il est bien aimé des jongleurs. 212 Bertran de Born (V) Vielhs es rics om, quan re no met en gatge 32 e li sobra blatz e vis e bacos. Per vielh lo tenh, quan liura uous e fromatge a jorn charnal se e sos companhos 1 . Per vielh, quan vest chapa sobre mantel, 36 per vielh, quan a chaval qu’om sieu apel 2 . Vielhs es, quan vol un jorn en patz estar, e vielhs, quan pot gandir ses baratar. (VI) Mo sirventesc port de vielh e novel 40 Arnautz joglars a Richart, que·l chapdel 3 ; e ja tesaur vielh no vuolh’amassar, qu’ab tesaur jove pot pretz gazanhar! 1 Es wird auf den Geiz des reichen Mannes angespielt, der seinen Kameraden Fastenspeisen auch an Tagen anbietet, an denen die Kirche das Essen von Fleisch erlaubt. 2 Diese Zeile nimmt auf die Gewohnheit Bezug, dass es üblich war, dass man als junger Ritter ein Pferd als Gastgeschenk erhielt. Wer von diesem System der largeza nicht mehr erfasst wurde, war ‚alt’. 3 Damit ist Richard Löwenherz gemeint. Bel m’es quan vei chamjar lo senhoratge 213 (V) Alt und reich ist ein Mann, der keinen Einsatz wagt 32 und der im Überfluss Getreide, Wein und Speck hat. Für alt halte ich ihn, wenn er Eier und Käse am Fleischtag für sich und die Kameraden auftischt. Für alt, wenn er den Überzug über dem Mantel trägt, 36 für alt, wenn er ein Pferd hat, das man seines nennt. Alt ist er, wenn er einen Tag in Frieden verbringen will, und alt, wenn er sich ohne großen Einsatz erhalten kann. (VI) Mein Sirventés über alt und jung trage 40 der Spielmann Arnaut zu Richard, dass er es beschütze; und er solle keinen alten Schatz anhäufen, weil man nur mit einem jungen Schatz einen Preis erwerben kann. (V) Vieux est l’homme riche qui ne met rien en gage et a trop de blé, de vin et de porc salé. Je le tiens pour vieux quand il offre des œufs et du fromage, les jours gras, à lui-même et à ses compagnons; pour vieux, quand il s’habille d’une chape par-dessus son manteau, et vieux quand il possède un cheval qu’on tient pour son bien propre. Il est vieux quand il veut un seul jour rester en paix, et vieux s’il peut accorder son soutien sans dépenser follement. (VI) Porte mon sirventés vieil et nouveau, jongleur Arnaud, à Richard pour qu’il le protège; et qu’il n’amasse jamais de vieux trésor, car c’est par un trésor [jeune] qu’il pourra gagner de nouveaux mérites. 214 Peire Vidal 4.4 Peire Vidal (…1183-1204…) Peire Vidal ist sicherlich einer der Troubadours mit dem bewegtesten Leben, was unter anderem damit zusammenhängt, dass er - der von handwerklicher Herkunft, Sohn eines Kürschners, war - sehr häufig seine Gönner gewechselt hat und ständig auf der Suche nach neuen Mäzenen die damals zugängliche Welt mehrfach durchquert hat. Er begann seine Sängerkarriere in Toulouse am Hofe Raimons V., war im Dienste von Alfons II., Grafen von Barcelona und der Provence, tätig, war in Freundschaft mit dem Vicomte Raimon Gaufridi Barral von Marseille verbunden, trat nach einem Streit mit Raimon (um 1186) in den Dienst von Alfons VIII. von Kastilien und kam als Pilger in den Orient, als Sänger bis nach Ungarn und Malta. Seine Gedichte sind zunächst an eine Dame, die er Vierna nennt, gerichtet, bis um 1196, nach dem Tode seiner bisherigen Gönner, eine Loba, also Wölfin, genannte Dame in sein Leben tritt, die wenig später durch Raimbauda de Biolh, die in einer Bergfestung an der provenzalischpiemontesischen Grenze lebte, ersetzt wird. Von Peire Vidal sind 45 Lieder erhalten, vier weitere sind in ihrer Autorschaft umstritten. Er dichtete vor allem Kanzonen, Sirventés, Tenzonen, aber auch gaps ‚Prahlgedichte’; die populären Kurzformen fehlen, ebenso Klagelieder und Kreuzzugslieder. Beonders berühmt war die Musikalität und die sprachliche Eleganz seiner Verse. Die vidas und die razós betonen besonders die unkonventionelle Lebensart des Troubadours, indem sie Stellen aus seinen Gedichten zum Ausgangspunkt phantasievoller Erzählungen nehmen. Der literarische Wert dieser Ausschmückungen ist beachtlich, denn man kann hier eine der Quellen der Novellistik sehen, während der biographische Wert jedoch unerheblich ist. Strophenstruktur: Ab l’alen tir vas me l’aire: vier coblas unissonans mit dem Reimschema a - b - b - a - c - c - d. Literatur: Anglade, Joseph: Les poésies de Peire Vidal, Paris (Champion) 1923. Avalle, D’Arco Silvio: Peire Vidal: Poesie, Milano / Napoli (Ricciardi) 1960. Bartsch, Karl: Peire Vidal’s Lieder, Berlin (Dümmler) 1857. Hoepffner, Ernest: Le troubadour Peire Vidal: sa vie et son œuvre, Paris (Les Belles Lettres) 1961. Peire Vidal 215 Peire Vidal mit Dame (…1183-1204…) Peire Vidal (…1183-1204…) 216 Peire Vidal 4.4.1 VIDA Peire Vidals si fo de Tolosa. Fils fo d’un pelicer. E cantava meilz c’ome del mon. E fo dels plus fols omes que mais fossen; qu’el crezia que tot fos vers so que a lui plazia ni qu’el volia. E plus leu li avenia trobars que a nuil home del mon, e fo aquels que plus rics sons fetz e majors fulias dis d’armas e d’amor e de mal dir d’autrui. E fo vers c’us cavaliers de San Zili 1 li tailla la lenga, per so qu’el donava ad entendre qu’el era drutz de sa muiller. E·N Ucs del Baus 2 si·l fetz garir e medegar. E quant fo garritz, el s’en anet outra mar. De lai el amenet una grega, que·il fo donada a muiller en Cypry. E·ill fo dat a entendre qu’ela era neza de l’emperador de Costantinopoli, e qu’el per lei devia aver l’emperi per rason. Don el mes tot quant poc gazaingnar a far navili, qu’el crezia anar l’emperi conquistar. E·n portava armas emperials e fasia se clamar emperaire e la muillier emparariz. E si entendia en totas las bonas dompnas que vezia e totas las pregava d’amor; e totas li dizion de far e de dir so qu’el volgues. Don el crezia esser drutz de totas e que chascuna moris per el. E totas vetz menava rics destriers e portava ricas armas e cadreilla emperial. E·l meiller cavallier del mon crezia estre e·l plus amatz de donnas. 1 Saint-Gilles-du-Gard liegt in der Nähe von Nîmes. 2 Hugues de Baux, der Prinz von Oranges (1173-1240), kommt in den Gedichten von Peire Vidal unter seinem Namen nicht vor. Vielleicht ist er der Gönner, der mit dem senhal Gazanhat gemeint ist. Vida 217 LEBEN Peire Vidal stammte aus Toulouse. Er war der Sohn eines Kürschners. Er sang besser als irgendjemand auf der Welt. Er war einer der närrischsten Menschen, die es je gab, denn er glaubte, dass alles wahr war, was ihm gefiel oder was er wollte. Das Dichten fiel ihm leichter als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt, und er war der, der die reichsten Singweisen ersann, aber auch die größten Torheiten im Waffenwerk, in der Liebe und im Schmähen. Es ist wirklich wahr, dass ein Ritter von Saint-Gilles ihm die Zunge abschnitt, weil er zu verstehen gegeben hatte, dass er der Liebhaber seiner Frau sei; Herr Hugo von Baux ließ ihn behandeln und heilen. Und als er geheilt war, ging er ins Gebiet jenseits des Meeres. Von dort brachte er eine Griechin mit, die ihm auf Zypern zur Frau gegeben worden war. Es war ihm zu verstehen gegeben worden, dass sie eine Nichte des Kaisers von Konstantinopel war und dass er durch sie berechtigterweise das Kaisertum erhalten sollte. Also wandte er alles, was er beschaffen konnte, zur Ausrüstung einer Flotte auf, denn er glaubte, er könne das Kaiserreich erobern. Er führte das kaiserliche Wappen, ließ sich Kaiser und seine Frau Kaiserin nennen. Er verguckte sich in alle edlen Damen, die er sah, und bat sie alle um ihre Liebe; alle sagten ihm, sie würden das tun und sagen, was er wollte. Deswegen glaubte er, er sei der Liebhaber von allen und jede würde für ihn sterben. Alle Zeit führte er ein reiches Streitross bei sich, und er trug glänzende Waffen und einen kaiserlichen Thron. Er meinte, der beste Ritter der Welt zu sein und von den Frauen am meisten geliebt zu werden. 218 Peire Vidal 4.4.2 Ab l’alen tir vas me l’aire (I) Ab l’alen tir vas me l’aire qu’ieu sen venir de Proensa; tot quant es de lai m’agensa, si que, quan n’aug ben retraire, 4 ieu m’o escout en rizen e·n deman per un mot cen: tan m’es bel quan n’aug ben dire. (II) Qu’om no sap tan dous repaire 8 cum de Rozer tro c’a Vensa 1 , si cum clau mars e Durensa 2 , ni on tant fins jois s’esclaire. Per qu’entre la franca gen 12 ai laissat mon cor jauzen ab lieis que fa·ls iratz rire 3 . (III) Qu’om no pot lo jorn mal traire qu’aja de lieis sovinensa, 16 qu’en liei nais jois e comensa. E qui qu’en sia lauzaire, de ben qu’en diga, no·i men; que·l mielher es ses conten 20 e·l genser qu’el mon se mire. 1 Rozer (neuprov. Ròser) ist der einheimische Name der Rhône, die die Provence im Westen begrenzt. Vence, eine kleine Stadt im Département Alpes-Maritimes im Hinterland von Monaco, deutet die Ostgrenze an. 2 Das Mittelmeer (mar) ist die Südgrenze der Provence, die Durance bildet die Nordgrenze. 3 Die Dame, die gepriesen wird, ist wahrscheinlich Na Vierna. Ab l’alen tir vas me l’aire 219 In meinem Atem spüre ich die Luft (I) In meinem Atem spüre ich die Luft, die ich aus der Provence zu mir kommen fühle; alles, was von dort ist, gefällt mir, so dass, wenn man mir Gutes darüber berichtet, 4 ich das lächelnd höre und für jedes Wort hundert weitere erbitte; so wohl ergeht es mir, wenn ich gut darüber reden höre. (II) Man kennt keine so süße Landschaft 8 wie die zwischen Rhône und Vence, und die das Meer und die Durance umschließt, wo eine so feine Freude sich ausbreitet. Darum habe ich bei den frohen Leuten 12 mein Herz gelassen, das sich erfreut mit der, die den Betrübten das Lächeln wiederbringt. (III) Man kann nicht böse mit einem Tag sein, der Erinnerung an sie in sich trägt, 16 denn in ihr entsteht und beginnt alle Freude. Und wer ihr Lobredner sein will, der lügt nicht mit allem Guten, das er von ihr sagt, denn widerspruchslos ist sie die Beste 20 und die Edelste, die man auf der Welt erblicken kann. Amour de la Provence 1 (I) De mon haleine, j’aspire la brise que je sens venir de Provence; tout ce qui vient de là-bas me plaît; aussi, quand j’en entends dire du bien, j’écoute en souriant et, pour un mot, j’en demande cent: tel est le plaisir que j’en ai. (II) Car on ne sait d’aussi douce contrée que celle qui va du Rhône à Vence et qu’enclôt la mer et la Durance, contrée où rayonne une joie plus pure. C’est pourquoi, parmi ce noble peuple, j’ai laissé mon cœur plein de joie, auprès de celle qui rend le sourire aux affligés. (III) On ne peut être malheureux le jour où l’on se souvient d’elle, car en elle naît et commence toute joie. Quel que soit celui qui fait son éloge et quelque bien qu’il en dise, ses propos ne sont point mensongers; car elle est sans contredit la meilleure et la plus gente qu’on puisse voir au monde. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1979, 259-262). 220 Peire Vidal (IV) E s’ieu sai ren dir ni faire, ilh n’aia·l grat, que sciensa m’a donat e conoissensa, 24 per qu’ieu sui gais e chantaire. 1 E tot quan fauc d’avinen ai del sieu bell cors plazen, neis quan de bon cor consire. 28 1 Die gaia sciensa des chantaire (mit Absicht ist hier dieses Wort gewählt, das weniger prätentiös als trobaire klingt) wird durch die aus der Provence gebürtige Dame aktiviert. Ab l’alen tir vas me l’aire 221 (IV) Und wenn ich etwas sagen oder machen kann, dann habe ich es ihr zu verdanken, denn Wissen und Kenntnis hat sie mir gegeben, 24 durch die ich heiter und ein Sänger bin. Und alles, was ich an Schönem mache, habe ich von ihrem schönen anmutigen Körper, sogar was ich mit gutem Herzen träume. 28 (IV) Si je suis capable de dire ou de faire rien qui vaille, c’est à elle que doit revenir ma gratitude, car elle m’a donné la science et le talent qui ont fait de moi un gai poète. Tout ce que je produis de plaisant et jusqu’aux pensées qui me viennent du cœur, je le dois à son beau corps plein de grâce. Fünfte Generation (1200-1225) Arnaut Daniel 224 5.1 Arnaut Daniel (...1180-1210...) Arnaut Daniel stammte nach den Angaben der vida - andere Quellen gibt es außer einigen Erwähnungen bei anderen Troubadours für ihn nicht - aus Ribérac in der Dordogne. Er war literarisch gebildet und übte die Tätigkeit eines joglar aus. In seinen Gesängen, von denen 19 erhalten sind, bringt er das trobar ric zur Vollendung: Arnaut Daniel hat einen geradezu artistischen Reimreichtum gepflegt, eine ausgeklügelte Kompositionstechnik angewandt und, soweit wir das beurteilen können, auf den Gleichklang von Melodie und Gedankenstruktur der Gedichte größten Wert gelegt. Seltene Wörter in ungewöhnlichen Stellungen und ausgefallene Reime lassen seine Dichtungen oft kaum verständlich erscheinen. Die oft manieriert ausgedrückte Bilderwelt seiner Werke wirkt auf den modernen Leser zuweilen abschreckend, fand jedoch in der Wirkungsgeschichte immer wieder Bewunderer. In der frühen italienischen Literatur galt Arnaut Daniel als der Höhepunkt der Kunst der Toubadours. Dante rühmt ihn in seiner Schrift De vulgari eloquentia als Inbegriff des Dichters der Liebe (2, 2, 8), als Verfasser erhabendster Konstruktionen (2, 6, 6) sowie von Sextinen (2, 10, 2) und reimlosen Stanzen (2, 13, 4). Das höchste Lob aber gewährte Dante ihm im 26. Gesang des Purgatorio, im Kreise derer, die die luxuria ihres irdischen Lebens büßen, wo Guido Guinizelli ihm Arnaut Daniel als - auch im Vergleich zu Giraut de Bornelh - „besten Schmied der Muttersprache” vorstellt (26, 117: „fu miglior fabbro del parlar materno”). Das höchste Kompliment, das Dante diesem poetischen Vorbild zollen konnte, besteht aber darin, dass er Arnaut Daniel acht provenzalische Verse in den Mund legt, die das einzige Beispiel dieser Art in der Divina Commedia (26, 140-147) sind: Tan m’abellis vostre cortes deman, So erfreut mich euere höfliche Frage, qu’ieu no me puesc ni voill a vos cobrire. dass ich mich euch nicht verbergen kann und will. Ieu sui Arnaut, que plor e vau cantan: Ich bin Arnaut, der weinend und singend existiert. Consiros vei la passada folor, Ich denke an die vergangene Torheit e vei jausen lo jorn qu’esper denan. und erwarte freudig den erhofften Tag. Arnaut Daniel 225 Ara vos prec, per aquella valor Jetzt bitte ich euch, bei jener Kraft, que vos guida al som de l’escalina, die euch zum Ende dieser Stufen führt, sovenha vos a temps de ma dolor. erinnert euch zur rechten Zeit meines Schmerzes. Auch Petrarca nennt Arnaut Daniel als den besten Troubadour (Triumphus Cupidinis 4, 40-42): Fra tutti il primo Arnaldo Daniello, Unter allen war der erste Arnaut Daniel, gran maestro d’amor, ch’a la sua terra großer Meister der Liebe, der seinem Lande ancor fa onor col suo dir strano e bello. noch heute Ehre macht mit seiner fremdartigen und schönen Dichtung. Unser Eindruck von Arnaut Daniel ist etwas weniger strahlend, erscheint er uns doch weit mehr als begabter Techniker einer verkünstelten Dichtungsart, denn als revolutionärer Neuerer oder gar empfindsamer Poet. Im Folgenden bringen wir sein berühmtestes Gedicht, die Sextine an die streng bewachte Geliebte: Lo ferm voler q’el cor m’intra. Strophenstruktur: Lo ferm voler q’el cor m’intra: sechs sechszeilige coblas mit „kreuzweisem Rückschreiten” (Dante, vulg. eloq. 2, 10, 2: „retrogradatio cruciata”) und mit sechs Reimwörtern in jeder Strophe, dazu eine dreizeilige tornada bilden die komplizierte äußere Struktur. Literatur: Toja, Gianluigi: Arnaut Daniel: Canzoni, Firenze (Sansoni) 1960. Toja, Gianluigi: „La lingua di Arnaut Daniel“, in: Cultura Neolatina 29, 1969, 58-83. Wilhelm, James J.: The poetry of Arnaut Daniel, New York (Garland) 1981. Arnaut Daniel 226 5.1.1 VIDA Arnautz Daniels si fo d’aquella encontrada don fo N’Arnautz de Meruoill 1 , de l’evesquat de Peiregors, d’un castel que a nom Ribairac, e fo gentils hom. Et amparet ben letras 2 e delectet se en trobar. Et abandonet las letras, et fetz se joglars, 3 e pres una maniera de trobar en caras rimas 4 , per que soas cansons no son leus ad entendre ni ad aprendre. Et amet una autra domna de Goscoingna, muiller d’En Guillem de Buovilla, 5 mas non fo cregut que la domna li fezes plaiser en dreit d’amor; per qu’el dis: 6 Ieu sui Arnautz qu’amas l’aura e chatz la lebre ab lo bou e nadi contra suberna. 1 Arnaut de Maruelh ist ein Troubadour, von dem wir etwa 30 Gedichte besitzen, die um das Jahr 1195 zu datieren sind (Riquer, 1975, Bd. 2, 647-669). Er stammte aus Mareuil-sur-Belle in der Dordogne. 2 Mit amparet ben letras ist wahrscheinlich gemeint, dass er eine lateinische Bildung hatte. Vielleicht hat Arnaut eine Ausbildung zum clerc durchlaufen. 3 Im voherigen Satz ist Arnaut als dichtender Laie in der freien Zeit seiner literarischen Studien gemeint. Hier geht es darum, dass er den Gesang zu seinem Beruf machte (fetz se joglars). 4 caras rimas sind ‚seltene Reime’ (mit ungewöhnlichen, z. T. selbst geprägten Wörtern), die typisch für das trobar ric sind. Dieses erfährt durch Arnaut seine Vollendung. 5 Eine historische Bestimmung dieser Dame ist bisher nicht gelungen. 6 Es folgen die letzten Verse des Liedes En cest sonet coinde’e leri. Vida 227 LEBEN Arnaut Daniel war aus der Landschaft, aus der auch Arnaut de Maruelh war, aus dem Bistum Périgord, von einem Schloss, das Ribérac heißt, und er war ein edler Mann. Er beschäftigte sich gründlich mit literarischen Gegenständen, und hatte Freude am Dichten. Er verließ die Literatur, wurde zum Spielmann, und nahm eine Art an, in seltenen Reimen zu dichten, weswegen seine Gesänge nicht leicht zu verstehen und zu lernen sind. Er liebte auch eine andere Dame aus der Gascogne, Ehefrau des Herrn Wilhelm von Bouville, aber man glaubte nicht, dass die Dame ihm in Liebesdingen zu Gefallen gewesen ist; deswegen sagte er: Ich bin Arnaut, der Wind ansammelt und den Hasen mit dem Rind jagt und gegen die Flutwelle anschwimmt. 228 Arnaut Daniel 5.1.2 Lo ferm voler q’el cor m’intra (I) Lo ferm voler 1 q’el cor m’intra no·m pot jes becs escoissendre ni ongla de lausengier 2 , qui pert per maldir s’arma; e car non l’aus batr’ab ram ni ab verga 3 , 4 sivals a frau 4 , lai on non aurai oncle 5 , jauzirai joi, en vergier o dinz cambra. 6 (II) Qan mi soven de la cambra on a mon dan sai que nuills hom non intra 8 anz me son tuich plus que fraire ni oncle, 7 non ai membre no·m fremisca, 8 neis l’ongla, aissi cum fai l’enfas denant la verga: tal paor ai no·l sia trop de l’arma. 12 (III) Del cors li fos, non de l’arma, e cossentis m’a celat dinz sa cambra! Que plus mi nafra·l cor que colps de verga car lo sieus sers lai on ill es non intra; 16 totz temps serai ab lieis cum carns et ongla, e non creirai chastic d’amic ni d’oncle. 1 Prov. voler bedeutet sowohl ‚wollen’ wie ‚verlangen’ und ‚lieben’. 2 Der ‚Lügner’ oder ‚Neider’ steht hier, wie so oft, für den Ehemann der Geliebten, der dem Glück des troubadouresken Liebespaares im Wege steht. Mit seiner Nennung ist das typische Figurenszenario der Dichtung genannt: das sprechende Ich in der Rolle des amic, die mit der Nennung ihrer cambra gemeinte domna als Quelle des jauzir joi und der lauzengier oder gilos, der der Erfüllung der Liebe im Wege steht. 3 Das Schlüsselwort verga taucht in den Versen 11, 15, 24, 25, 32, 38 ebenfalls auf. In diesem Vers ist (wie in Vers 11 und 15) die Rute gemeint, mit der man Kinder oder Gegner schlägt. 4 Gegen den lauzengier, der ja das positive Recht auf seiner Seite hat, nützt der Einsatz von Gewalt (ram ‚Stock’, verga ‚Rute’) nicht. Man muss sich auf die List (a frau) verlassen. 5 Im altfranzösischen Tristanroman ist Marc von Cornoualle, König von England, der Gatte Isoldes und der Onkel Tristans. Der lauzengier kann also mit Bezug auf dieses Beispiel als oncle bezeichnet werden (Roncaglia). 6 Die freie Natur oder der für alle Personen außer dem Liebespaar unzugängliche geschlossene Raum sind die typischen Räume für den joi. Im Verlauf des Gedichtes beschränkt sich Arnaut auf die cambra. 7 Alle Verwandte, fraire, oncle und natürlich der nicht genannte marit, stellen ein Hindernis beim jauzir joi dar. 8 Die Anspielung darauf, dass beim Anblick des geliebten Wesens alle Glieder des Körpers erzittern, ist antik, vgl. z. B. Catull 51, der Sappho aufnimmt. Dass bei membre und verga auch eine sexuelle Anspielung vorliegt, dürfte sicher sein. Lo ferm voler q’el cor m’intra 229 Den starken Willen, der mir ins Herz eingeht (I) Den starken Willen, der mir ins Herz eingeht, können mir weder Schnabel noch Nagel des Neiders verbiegen, der bei übler Nachrede seine Seele verliert; und weil ich nicht wage, ihn mit Stock oder Rute zu schlagen, 4 werde ich heimlich dort, wo es keinen Onkel gibt, Freude genießen, in einem Garten oder in einem Zimmer. (II) Wenn ich mich an das Zimmer erinnere, wo, wie ich zu meinem Ärger weiß, niemand eintritt, 8 obwohl mir alle schlimmer als Bruder oder Onkel vorkommen dann gibt es bei mir kein Glied, das nicht erzittert, sogar der Nagel, so wie es dem Kind vor der Rute ergeht; ich habe eine solche Angst, dass sie zu viel für meine Seele ist. 12 (III) Es ginge um den Körper, nicht um die Seele, duldete sie mich heimlich in ihrem Zimmer. Das verwundet mich mehr als Rutenschläge, dass ich als ihr Diener dort, wo sie ist, nicht hineinkomme. 16 Allzeit werde ich mit ihr sein wie Fleisch und Nagel, und ich werde keine Zurechtweisung von Freund oder Onkel glauben. Sextine 1 (I) Ce vœu dur qui dans le cœur m’entre nul bec ne peut le déchirer, ni ongle de lausengier, qui médisant perd l’âme; et ne l’osant battre à branche ou à verge, secrètement, là où il n’y a point d’oncle, j’aurai ma joie en verger ou en chambre. (II) Quand j’ai souvenir de la chambre où à mon dam je sais que pas un n’entre, tant me sont durs plus que frère ni oncle - nul membre n’ai qui ne me tremble, ni d’ongle, plus que ne fait l’enfant devant la verge: Telle est ma peur de n’avoir près son âme! (III) Puisse-t-elle de corps, non d’âme, me recevoir en secret dans sa chambre! Car plus me blesse au cœur que coup de verge si qui la sert là où elle est ne rentre! Toujours serai pour elle chair et ongle et ne croirai conseil d’ami ni d’oncle. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1971, 215-220). 230 Arnaut Daniel (IV) Anc la seror de mon oncle 1 non amei plus ni tant, per aqest’arma! 20 C’aitant vezis cum es lo detz de l’ongla, s’a liei plagues, volgr’esser de sa cambra; de mi pot far l’amors q’inz el cor m’intra mieills a son vol c’om fortz de frevol verga. 24 (V) Pois flori la seca verga 2 ni d’En Adam 3 mogron nebot ni oncle, tant fin’amors cum cella q’el cor m’intra non cuig fos anc en cors, ni eis en arma; 28 on q’ill estei, fors en plaz’, o dins cambra, mos cors no·is part de lieis tant cum ten l’ongla. (VI) C’aissi s’enpren e s’enongla 4 mos cors en lei cum l’escorss’en la verga; 32 q’ill m’es de joi tors e palaitz e cambra, e non am tant fraire, paren ni oncle: q’en paradis n’aura doble joi m’arma, si ja nuills hom per ben amar lai intra. 36 (VII) Arnautz tramet sa chansson d’ongl’e d’oncle, a grat 5 de lieis que de sa verg’a l’arma, 6 son Desirat, 7 cui pretz en cambra intra. 8 1 Der typischer Ausdruck des trobar ric: la seror de mon oncle meint natürlich die eigene Mutter. 2 Es handelt sich um eine Anspielung auf die Mutter Gottes, vgl. St. Bernhard adv. Dom. 2, 4 = PL 183, 42: „Quoniam virgo Dei genitrix virga est, flos filius eius“. 3 Damit ist gemeint: vom Anfang der Menschheit an. 4 enonglar kommt nur hier vor. Es ist von Arnaut Daniel geprägt worden, um die Verbindung mit dem Substantiv ongla ‚Fingernagel’ herzustellen. 5 grat ist das ‚Gefallen’. 6 Die Dame beherrscht die Seele des fin’amant, hat sie also unter ihrer ‚Rute’ (de sa verga). 7 Zweifellos ist Desirat ein senhal. Ob es aber für einen anderen Troubadour (Bertrand de Born? ) oder, was eigentlich wahrscheinlicher ist, für die vom Dichter angebetete Dame steht, ist andauernder Gegenstand der Forschungsdiskussion. 8 Wenn mit Desirat ein berühmter Troubadour gemeint ist, heißt die Zeile: „Sein Liebling, dessen Ruhm allein in das Zimmer eintreten kann”. Ist Desirat aber die Geliebte, dann meint die Zeile: „Sein Liebling, deren Tugendpreis das einzige ist, das Einlass ins Zimmer hat”. Bei beiden Lösungen muss jedenfalls der Sänger des Gedichtes sich noch weitere Verdienste erwerben, um ebenfalls Zutritt zum Zimmer zu haben. Lo ferm voler q’el cor m’intra 231 (IV) Sogar die Schwester meines Onkels liebte ich nicht heftiger oder genauso, bei dieser Seele! 20 Genauso wie der Finger dem Nagel benachbart ist, möchte ich, wenn es ihr gefällt, ihrem Zimmer nahe sein. Mit mir kann die Liebe, die in mein Herz eintritt, mehr nach ihrem Willen anstellen als ein starker Mann mit schwacher Ru- 24 [te. (V) Seit die trockene Rute geblüht hat und seit von Herrn Adam Neffen und Onkel ausgingen, gab es eine so feine Liebe wie die, die in mein Herz eintritt, wie ich glaube, noch nie in einem Körper oder gar in einer Seele. 28 Wo auch immer sie sich aufhält, draußen auf dem Platz oder drinnen im [Zimmer mein Körper weicht von ihr nicht die Länge eines Nagels weg. (VI) So heftet und so klammert sich mein Körper an sie wie die Rinde an der Rute haftet, 32 denn sie ist der Turm, der Palast und das Zimmer meiner Freude, und ich liebe weder Brüder noch Eltern noch Onkel so sehr, und im Paradies wird meine Seele doppelte Freude empfinden, wenn jemals ein Mensch wegen guter Liebe dort eintrat. 36 (VII) Arnaut schickt seinen Gesang über Nagel und Onkel, um der zu gefallen, die unter der Rute die Seele hält, sein „Liebling”, dessen Preis ins Zimmer eintritt. (IV) Et jamais la sœur de mon oncle je n’aimai plus ni tant, de par mon âme! Et si voisin que l’est le doigt de l’ongle, je voudrai être, à son gré, de sa chambre; plus peut Amour qui dans le cœur me rentre faire de moi qu’un fort de frêle verge. (V) Car depuis que fleurit la verge sèche et qu’Adam légua neveux et oncles, si fine amour, qui dans le cœur me rentre, ne fut jamais en corps, ni même en âme; où qu’elle soit, dehors ou dans sa chambre, mon cœur y tient comme la chair à l’ongle. (VI) Car ainsi se prend et s’énongle mon cœur en elle ainsi qu‘écorce en verge; elle est de joie tour et palais et chambre, et je ne prise autant parents ni oncle: au ciel j’aurai deux fois joyeuse l’âme, si jamais nul, de trop aimer, n’y entre. (VII) Arnaud envoie sa chanson d’ongle et d’oncle à toi qui tiens son âme sous ta verge, son Désiré, dont le Prix en chambre entre. 232 Raimbaut de Vaqueiras 5.2 Raimbaut de Vaqueiras (1155-1206) Raimbaut wurde gegen 1155 in Vaqueiras im heutigen Département Vaucluse als Sohn eines armen Ritters geboren. Als junger Mann schloss er sich dem Prinzen Bonifacio di Monferrato an. Um 1190 hielt er sich in Genua auf, wo er die zweisprachige Tenzone Domna, tant vos ai preiada zwischen einem provenzalischen Ritter, der alle Kunstgriffe der hohen Dichtung beherrscht, und einer genuesischen Frau von niederem sozialen Status, die die poetischen Formeln wörtlich versteht, schrieb. Auch der fünfsprachige descort (Eras quan vey verdeyar) könnte in dieser Zeit entstanden sein. Raimbaut begleitete Bonifacio auf seinen Kriegszügen gegen Asti und 1294 auf der Militärexpedition nach Sizilien. In diesem Kontext wurde Raimbaut zum Ritter geschlagen. 1201 nahm Raimbaut am vierten Kreuzzug teil, der unter der Leitung von Bonifacio di Monferrato stand. Er scheint an der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 mitgewirkt zu haben, und trat dem berühmten französischen Trouvère Conon de Béthune, der französisch antwortete, in einem partimen entgegen. Das letzte datierbare Gedicht von Raimbaut ist im Jahre 1205 in Saloniki geschrieben. Da es gegen die Gewohnheit keinen planh auf Bonifacio di Monferrato gibt, der im September 1207 in einem Kampf gegen die Bulgaren fiel, ist anzunehmen, dass Raimbaut zwischen 1205 und 1207 in Griechenland starb. 33 lyrische Gedichte und ein epischer Brief laufen unter dem Namen von Raimbaut de Vaqueiras. Bei sieben Dichtungen ist die Autorschaft umstritten. Raimbaut richtete seine Werke an Beatrice di Monferrato, eine Tochter des Bonifacio, außerdem an eine Unbekannte, die sich unter dem Senhal Bel Cavalier verbirgt. Der Stil und die Verskunst von Vaqueiras stehen in der Tradition von Bernart de Ventadorn und sind weitaus einfacher als bei seinen Zeitgenossen. Besonders auffällig ist der ausgeprägte Sinn für Humor und die Einsicht in die Tatsache, dass die Spielregeln der Welt der fin’amor kaum noch Beziehungen zur Realität hatten. Besonders hervorzuheben ist die sprachliche Begabung von Raimbaut, der nicht davor zurückschreckte, in - leicht provenzialisierten - romanischen Idiomen seiner Zeit zu schreiben. Das Gedicht Domna, tant vos ai preiada stellt formal eine Tenzone dar, die allerdings stilistische Anleihen bei der Pastourelle macht. Die genuesische Frau, die die bürgerlichen Ideale der ehelichen Treue und der unverbrüchlichen Liebe zum Ehemann der durchritualisierten Scheinwelt der Troubadours entgegenstellt, bedient sich einer genuesischen Sprache, die bis dahin literarisch nie verwendet wurde und die also keine dem Provenzalischen vergleichbare Stilistik kannte. Das Gedicht Eras quan vey verdeyar ist ein descort, eigentlich die Bezeichnung Raimbaut de Vaqueiras 233 für eine uneinheitliche Strophenform mit unterschiedlichen Melodien, hier aber nur auf den Wechsel männlicher und weiblicher Reime in fünf Sprachen bezogen. Dabei handelt es sich um das erste Beispiel der mehrsprachigen Dichtung, einer Virtuosität, die sich von Bonifacio Calvo über Cerverí de Girona bis zu Oswald von Wolkenstein einiger Beliebtheit erfreuen sollte. Bei dem Gedicht Kalenda maia handelt es sich um eine estampida, ein zum germanischen Verb stampjan ‚mit den Füßen auf den Boden stampfen’ gebildetes Substantiv estampida (frz. estampie), das ursprünglich einen Tanz bezeichnete, der zur Begleitung durch ein Saiteninstrument getanzt wurde. Man stampfte dabei in Übereinstimmung mit dem Rhythmus auf die Tanzfläche. Im Französischen ist die estampie, von der wir 19 Beispiele kennen, ein heiteres und nicht sehr kunstvolles Lied eher volkstümlicher Art. Im Provenzalischen gibt es nur sechs estampidas, wobei nur bei dem Gedicht von Raimbaut de Vaqueiras die komplizierte Melodie erhalten blieb, die zur anspruchsvollen Struktur der Verse passt. „Sa structure formelle, la richesse de ses combinaisons rythmiques, les dédicaces et les senhals qu’il contient, sa tonalité courtoise et érotique enfin en font une composition très savante qui n’est au fond qu’une simple variante de la canso” (Bec, 1979, 253). Strophenstruktur: Domna, tant vos ai preiada: sechs coblas singulars (Reimschema: a - b - b - a - b - b - c - b - c - b - b - b - b) und zwei tornadas (a - b - b - b - b - c). Eras quan vey verdeyar: fünf coblas unissonans (Reimschema: a - b - a - b - a - b - a - b mit Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Reimen) und eine Schlussstrophe von zehn Zeilen in fünf Sprachen, die man als fünf zweizeilige tornadas interpretieren kann. Kalenda maia: sechs coblas singulars mit jeweils einem Reim pro Strophe und mit Binnenreimen. Literatur: Bergin, Thomas G.: Rambaldo di Vaqueiras. Liriche, Firenze (Sansoni) 1956. Fassbinder, Klara M.: „Der Trobador Raimbaut von Vaqueiras”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 47, 1927, 619-643. Linskill, Joseph: The poems of the troubadour Raimbaut de Vaqueiras, La Haye (Mouton) 1964. 234 Raimbaut de Vaqueiras 5.2.1 VIDA Raembautz de Vaqueiras si fo fillz d’un paubre cavaillier de Proensa, del castel de Vaqueiras, que avia nom Peirors, qu’era tengutz per mat. En Raembautz si se fetz joglar et estet longua saison ab lo prince d’Aurenga, Guillem del Baus 1 . Ben sabia chantar e far coblas e sirventes; e·l princes d’Aurenga li fetz gran ben e gran honor, e l’ennanset e·l fetz conoisser e presiar a la bona gen. E venc s’en en Monferrat, a miser lo marques Bonifaci 2 . Et estet en sa cort lonc temps. E crec si de sen e d’armas e de trobar. Et enamoret se de la serror del marques, que avia nom ma dompna Beatritz 3 , que fo moiller d’Enric del Caret. E trobava de leis mantas bonas cansos. Et apellava la en sas cansos Bels Cavalliers 4 . E fon crezut qu’ella li volgues gran ben per amor. E quant lo marques passet en Romania, el lo mena ab se e fetz lo cavalier. E det li gran terra e gran renda el regisme de Salonic. E lai el mori. 1 Die Burg Vaqueiras gehörte der Familie Baux (aus Les Baux bei Arles), seit Bertrand I. († 1181) 1150 die Schwester des Troubadours Raimbaut d’Aurenga geheiratet hatte. Bertrands Sohn Wilhelm IV. war seit 1182 bis zu seinem Tod 1218 Fürst von Orange. 2 Bonifacio II. von Monferrato (1152-1207) war ein großer Förderer der Troubadourlyrik in Italien und eine der führenden politischen Gestalten der Zeit. Er nahm am Sizilienfeldzug Heinrichs VI. teil und wurde 1201 zum ideellen Führer des vierten Kreuzzuges bestimmt, der mit der Einnahme von Konstantinopel 1204 und der Errichtung der lateinischen Königreiche in Romania, also im griechischen Hinterland der Kaiserhauptstadt, endete. 3 Beatrice von Monferrato war die Tochter, nicht die Schwester von Bonifacio. Sie war mit Henri de Caret verheiratet. 4 Bel Cavalier ist das senhal für eine hochgestellte Dame am Hofe von Monferrato, die aber jedenfalls nicht mit Beatritz identisch ist. Vida 235 LEBEN Raimbaut von Vaqueiras war der Sohn eines armen Ritters der Provence, vom Schloss Vaqueiras, der Peiror hieß und für einen Narren gehalten wurde. Herr Raimbaut wurde Spielmann und blieb eine lange Zeit beim Prinzen von Orange, Wilhelm von Baux. Raimbaut konnte gut singen und Strophen und Sirventés machen. Der Prinz von Orange tat ihm viel Gutes und erwies ihm große Ehren, er förderte ihn und ließ ihn von Edelleuten kennen- und schätzenlernen. Er kam dann nach Monferrato, zum Herrn Markgrafen Bonifacio. Er blieb lange Zeit an seinem Hof; er machte Fortschritte in seiner Urteilsfähigkeit, im Waffenhandwerk und in der Dichtkunst. Er verliebte sich in die Schwester des Markgrafen, die Frau Beatritz hieß und Frau des Herrn Henri von Caret war; über sie dichtete er viele gute Lieder. In seinen Liedern nannte er sie Schöner Ritter (Bel Cavalier). Man glaubte, dass sie ihn durch ihre Liebe sehr schätzte. Als der Markgraf ins Reich von Byzanz zog, nahm er Raimbaut mit sich und machte ihn zum Ritter; er gab ihm großen Landbesitz und große Einkünfte im Königreich Saloniki. Und dort starb er. 236 Raimbaut de Vaqueiras 5.2.2 Domna, tant vos ai preiada (I) Domna, tant vos ai preiada si·us plaz, q’amar me voillaz, q’eu sui vostr’endomenjaz 1 , car es pros et enseignada 4 e toz bos prez autreiaz; per qe·m plai vostr’amistaz. Car es en toz faiz cortesa, 2 s’es mos cors en vos fermaz 8 plus q’en nulla genoesa, per q’er merces 3 si m’amaz; e pois serai meilz pagaz qe s’era mia·ill ciutaz 12 ab l’aver q’es ajostaz dels genoes. 4 1 Dieser Fachausdruck benennt den Vasallen oder Hörigen, der zur domaine gehört. 2 Die Genueserin ist pros, enseignada, cortesa, Inhaberin von toz bos prez. Mit anderen Worten: Ihr werden alle positiven Eigenschaften der perfekten domna zugeschrieben. 3 merces hat - neben dem normalen Sinn ‚Gnade’ - zwei Bedeutungen, nämlich in der Liebesterminologie ‚huldvolles Entgegenkommen der Dame’ und in materieller Terminologie ‚geldlicher Gewinn’. Mit beidem wird hier gespielt, indem das dichterische merces des Verses 10 brüsk mit dem ökonomischen pagar des Verses 11 aufgenommen wird, das mit dem sprichwörtlichen Reichtum der Genueser verbunden ist. 4 In dem Gedicht sind die Strophen des Sängers, d.h. die Strophen I, III, V und VII, auf Provenzalisch, wohingegen die Strophen der Herrin, d.h. die Strophen II, IV, VI und VIII, auf Genuesisch verfasst sind. Domna, tant vos ai preiada 237 Herrin, ich habe euch sehr gebeten (I) Herrin, ich habe euch sehr gebeten, wenn es euch gefällt, dass ihr mich lieben wollet, dass ich euer Diener sei, denn ihr seid herausragend und gebildet 4 und ihr garantiert alle guten Verdienste; daher gefällt mir euere Freundschaft. Weil ihr in jeder Hinsicht höfisch seid, hat sich mein Herz auf euch festgelegt 8 mehr als auf irgendeine andere Genueserin, daher wird es verdient sein, wenn ihr mich liebt; und ich wäre dann reicher belohnt als wenn diese Stadt mein wäre 12 mit der Habe, die zusammengebracht ist von den Genuesern. Dame je vous ai tant priée 1 (I) Dame, je vous ai tant priée, s’il vous plaît qu’aimer vous me vouliez, que je suis devenu votre vasal car vous êtes noble et bien élévée et vous accordez tout mérite, aussi me plaît votre amitié. Car vous êtes en tous actes courtoise, du coup mon cœur s’est à vous assujetti plus qu’à nulle autre Génoise, vous montrerez pitié si vous m’aimez, j’en serai mieux récompensé que si était mienne la cité avec toutes richesses qui y sont des Génois. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jacques Roubaud (1971, 254-257). 238 Raimbaut de Vaqueiras (II) Jujar 1 , voi no sei corteso 2 qe me chaidejai de zo, 16 qe niente no farò. Ance fossi voi apeso! Vostr’amia non serò. Certo, ja ve scanerò, 20 provenzal malaurao! Tal enojo ve dirò: sozo, mozo, escalvao! Ni ja voi non amerò, 24 q’eu chu bello marì ò qe voi no sei, ben lo so. Andai via, frar’, eu temo’ ò meillaurà! 28 (III) Domna gent’et essernida gai’e pros e conoissenz, valla·m vostr’ensegnamenz, car jois e jovenz vos gida 32 cortesi’e prez e senz e toz bos captenemenz; per qe·us sui fidels amaire senes toz retenemenz, 36 francs, humils e merceiaire, 3 tant fort me destreing e·m venz vostr’amors, qe m’es plasenz; per qe sera chausimenz, 40 s’eu sui vostre benvolenz e vostr’amics. 1 Dabei handelt es sich um einen abwertenden Gebrauch des Terminus, der eben nicht den Dichter, sondern den Vortragskünstler meint. 2 Die höfische cortezia, die ja die jugendliche Schönheit von amic und amia als Voraussetzung hat und die den Ehebruch als wesentlichen Bestandteil einbezieht, wird von der Genueserin grundsätzlich abgelehnt. Daher kommt auch die Betonung der körperlichen Hässlichkeit des provenzal malaurao und im Gegensatz dazu der Schönheit des eigenen Ehemanns (chu bello marì). 3 In dieser Wiederholung der Werbung werden die guten Eigenschaften verstärkend wiederholt, die die Topik der höfischen Dichtung der domna (Verse 29-34) und dem amaire (Verse 35-37) zuschreibt. Domna, tant vos ai preiada 239 (II) Spielmann, ihr seid nicht höfisch, dass ihr mich damit belästigt, 16 denn ich werde nichts machen. Wäret ihr vielmehr aufgehängt. Euere Freundin werde ich nicht sein. Gewiss, ich werde euch die Kehle durchschneiden, 20 verfluchter Provenzale! Folgende Schmähung werde ich euch sagen: Schmutzfink, Rotznase, Glatzkopf! Niemals werde ich euch lieben, 24 denn ich habe einen schöneren Ehemann als ihr seid, das weiß ich wohl. Verschwindet, Bruder, ich brauche die Zeit für Besseres! 28 (III) Herrin, edel und distinguiert, heiter, herausragend und kenntnisreich, es helfe mir euere Unterweisung, denn Freude und Jugend leiten euch, 32 Höfischkeit, Verdienst, Verstand und alle guten Verhaltensweisen; dass ich euer treuer Liebender bin ohne alle Zurückhaltungen, 36 aufrichtig, demütig und gnadeheischend, dazu zwingt und veranlasst mich euere Liebe so sehr, dass es mir angenehm ist; deswegen wird es Huld sein, 40 wenn ich euer Zugeneigter bin und euer Freund. (II) Jongleur vous n’êtes pas poli de m’embêter comme ça, que je n’en ferai rien du tout, je préfèrerais être pendue, votre amie je ne serai. Je te ferai égorger, Provençal au mauvais œil, je vais te dire des insultes: idiot, crétin, tordu! Jamais je ne vous aimerai car moi plus beau mari j’ai, que vous soyez bien le sais, va-t’en frère je ne veux pas le temps perdre! (III) Dame gracieuse et distinguée, gaie et noble et intelligente, que m’aide votre bonne éducation car joie et jeunesse vous guident, courtoisie et prix et raison, et toutes les bonnes qualités dont je deviens fidèle amoureux, sans aucune restriction, franc et humble et implorant, tant fort m’étreint et me vainc votre amour qui m’est plaisant, et ce fera bienveillance si je deviens votre suivant et votre ami. 240 Raimbaut de Vaqueiras (IV) Jujar, voi semellai mato, qe cotal razon tegnei. 44 Mal vignai e mal andei! 1 Non avei sen per un gato, per qe trop me deschasei, qe mala cosa parei; 48 ni no volio qesta cosa, si fossi fillo de rei. Credì voi que sia mosa? Mia fe, no m’averei! 52 Si per m’amor ve chevei, oguano morrei de frei: tropo son de mala lei li provenzal. 56 (V) Domna, no·m siaz tant fera, qe no·s cove ni s’eschai; anz taing ben, si a vos plai, qe de mo sen vos enqera 60 e qu·us am ab cor verai, e vos qe·m gitez d’esmai, q’eu vos sui hom e servire car vei e conosc e sai, 64 qant vostra beutat remire fresca cum rosa en mai, q’el mont plus bella no·n sai; per qe·us am et amarai, 68 e si bona fes me trai sera pechaz. 1 Man denkt an it. bene andiate, bene vegniate im Sinne von ‚wenn ihr nur wieder weggeht, dann seid ihr willkommen’. Domna, tant vos ai preiada 241 (IV) Spielmann, ihr scheint verrückt, dass ihr solche Reden haltet. 44 Übel seid ihr gekommen, übel sollt ihr wieder gehen! Ihr habt nicht einmal den Verstand eines Katers, deshalb missfallt ihr mir sehr, denn ihr scheint eine üble Sache zu sein; 48 und ich will diese Sache auch nicht, selbst wenn du ein Königssohn wärest. Glaubt ihr, ich wäre ein dummes Mädchen? Meiner Treu, ihr werdet mich nicht haben! 52 Wenn ihr euch um meiner Liebe willen erhitzt, dann werdet ihr noch dieses Jahr vor Kälte sterben: von allzu übler Art sind die Provenzalen. 56 (V) Herrin, seid nicht so grausam zu mir, denn das ziemt sich nicht und gehört sich nicht; vielmehr passt es gut, wenn es euch gefällt, dass ich euch entsprechend meiner Laune frage 60 und dass ich euch mit aufrechtem Herzen liebe, und dass ihr mich aus meiner üblen Lage erlöst. denn ich bin euer Lehnsmann und Diener, weil ich sehe, erkenne und weiß, 64 wenn ich euere Schönheit betrachte, frisch wie eine Rose im Mai, dass ich auf der Welt keine Schönere kenne; daher liebe ich euch und werde euch lieben, 68 und wenn der gute Glaube mich enttäuscht, dann wird es eine Sünde sein. (IV) Jongleur vous me semblez idiot de dire de telles choses, mal venu et mal parti, avec autant de raison qu’un chat, vous me déplaisez beaucoup car vous me semblez plutôt moche, je ne veux pas cette chose-là, même si vous étiez fils de roi, croyez-vous que je suis idiote, par ma foi vous ne m’aurez pas, si vous insistez en mon amour, cette année vous mourrez de froid, ils ont de bien mauvaises coutumes les Provençaux. (V) Dame ne me soyez tant cruelle, cela ne convient ni n’est adéquat, mais il serait bien s’il vous plaît que de mes intentions vous vous enquerriez, que je vous aime d’un cœur vrai et vous devez me sortir d’émoi, puisque je suis votre vassal et serviteur, car je vois et reconnais et sais quand votre beauté je regarde, fraîche comme rose en mai, qu’au monde plus belle je ne sais, dont je vous aime et aimerai et si ma bonne foi vous trahissez, sera péché. 242 Raimbaut de Vaqueiras (VI) Jujar, to proenzalesco, s’eu aja gauzo de mi, 72 no prezo un genoì 1 . No t’entend plui d’un toesco o sardo o barbarì, 2 ni non ò cura de ti. 76 Voi t’acaveilar co mego? Si·l saverà me’marì, mal plait averai con sego. Bel messer, ver e’ve dì: 80 no vollo questo latì 3 , fraello, zo ve afì. Proenzal, va, mal vestì 4 , largaime star! 84 (VII) Domna, en estraing cossire m’avez mes et en esmai; mas enqera·us preiarai qe voillaz q’eu vos essai, 5 88 si cum provenzals o fai, qant es pojatz 6 . 1 un genoì ist die kleinste Münzeinheit in Genua. 2 Die elaborierte Sprache des provenzalischen Troubadours wird von der Genueserin beleidigenderweise auf dieselbe Stufe gestellt wie die Sprache der ausgemachtesten Barbaren, also der Deutschen, der Sarden und der Afrikaner. 3 latì hat hier den Sinn: ‚für nicht Eingeweihte unverständlich’. 4 Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die von Zuwendungen ihrer adligen Gönner abhängigen provenzalischen Sänger mit dem bürgerlichen Reichtum wohlhabender Genueser nicht mithalten konnten. 5 Vgl. Rieger, 1991, 428: „Wörtlich: «Euch auszuprobieren (wie ein Pferd vor dem Kauf)»; die erotische Bedeutung der Wendung ist - allein durch die Nähe zum assag- Motiv in der konventionellen Liebeslyrik - völlig gesichert”. 6 Anspielung auf den assag, die ‚Liebesprobe’, womit das Petting bzw., in lateinischer Umschreibung, der concubitus sine actu angedeutet wird. Domna, tant vos ai preiada 243 (VI) Spielmann, dein Provenzalisch, so wahr ich Freude an mir habe, 72 das ist mir keinen genuesischen Heller wert. Ich verstehe dich nicht besser als einen Deutschen oder Sarden oder Berber, und ich kümmere mich gar nicht um dich! 76 Willst du dir mit mir in die Haare geraten? Wenn mein Mann das erfährt, dann wirst du einen üblen Streit mit ihm bekommen. Schöner Herr, ich sage euch die Wahrheit: 80 Ich will dieses Lateingeschwätz nicht; Brüderchen, das versichere ich euch! Provenzale, geh’, Zerlumpter, lass mich in Ruhe! 84 (VII) Herrin, in seltsame Sorge habt ihr mich versetzt und in Unruhe; aber nochmal werde ich euch bitten, dass ihr zulasst, dass ich euch ausprobiere, 88 so wie ein Provenzale das macht, wenn er hochgestiegen ist. (VI) Jongleur ton provençal, et qu’ainsi j’ai joie de moi-même, je n’estime pas un sou génois, je ne te comprends pas mieux qu’un Allemand, qu’un Sarde ou qu’un Berbère, et je ne me soucie pas de toi. Tu veux qu’on s’arrache les cheveux? Si le sait mon mari, mauvais argument tu auras de lui, beau monsieur je te dis la vérité, je n’aime pas ce latin-là, petit frère je te l’assure, provençal va-t’en mal vêtu, laisse-moi tranquille! (VII) Dame en douloureuse peine, m’avez mis et en détresse, mais encore je vous prierai que vous vouliez bien que je vous essaye, comme provençal le fait, de sa monture. 244 Raimbaut de Vaqueiras (VIII) Jujar, no serò con tego, pos’aisi te cal de mi; 92 meill varà, per Sant Martì, 1 s’andai a ser Opetì 2 , que dar v’a fors’un roncì 3 car sei jujar. 96 1 Der heilige Martin war der Familienheilige der Malaspina. 2 Gemeint ist Obizzo II. von Malaspina, mit dessen Bruder Albert Raimbaut einen dichterischen Dialog gepflegt hat. 3 Ein roncìn ist ein gewöhnliches Pferd, im Gegensatz zum edlen ‚Schlachtross’, das als destrier bezeichnet wird. „Für die Zwecke der Genueserin, Raimbauts recht unverblümten Antrag zurückzuweisen, indem sie ihn darauf hinweist, daß zum Reiten ein Pferd besser geeignet sei als eine Frau (sie selbst), genügt allerdings ein roncì völlig”. Rieger, 1991, 429. Domna, tant vos ai preiada 245 (VIII) Spielmann, ich werde nicht bei dir sein, obwohl du dich so für mich erhitzt; 92 besser wird es beim Heiligen Martin sein, wenn ihr zu Herrn Obizzino geht, der euch vielleicht einen Klepper schenkt, denn du bist ja ein Spielmann. 96 (VIII) Jongleur je n’irai pas avec toi, même si tu as très besoin de moi, il vaut mieux par saint Martin, que tu ailles voir le seigneur Obizzo, qui te donnera peut-être un cheval puisque tu es jongleur. 246 Raimbaut de Vaqueiras 5.2.3 Eras quan vey verdeyar (I) Eras quan vey verdeyar pratz e vergiers e boscatges, vuelh un descort comensar 1 d’amor, per qu’ieu vauc aratges; 4 q’una dona·m sol amar, mas camjatz l’es sos coratges, per qu’ieu fauc dezacordar los motz e·ls sos e’·ls lenguatges. 8 (II) Io son quel que ben non aio 2 ni jamai non l’averò, ni per april ni per maio, si per ma donna non l’ò; 12 certo que en so lengaio sa gran beutà dir non sò, çhu fresca qe flor de glaio, per qe no m’en partirò. 16 (III) Belle douce dame chiere, a vos mi doin e m’otroi; je n’avrai mes joi’entiere si je n’ai vos e vos moi. 20 Mot estes male guerriere si je muer per bone foi; mas ja per nulle maniere no·m partrai de vostre loi. 24 1 Raimbaut de Vaqueiras nennt sein virtuoses Gedicht descort, weil er an die ‚Nichtübereinstimmung’ der Sprachen und an die Abfolge zwischen männlichen und weiblichen Reimen denkt. Dem Wechseln der Gesinnung der Dame wird mit Wechseln in der sprachlichen Gestaltung begegnet. Dergestalt ist die 1. Strophe provenzalisch, die 2. Strophe italienisch (vgl. nachfolgende Fußnote), die 3. Strophe französisch, die 4. Strophe gaskognisch und die 5. Strophe galicisch verfasst. In der 6. Strophe werden dann die Sprachformen strophenimmanent auf unterschiedliche Verse verteilt (Vers 1: provenzalisch, Vers 3: italienisch, Vers 5: französisch, Vers 7: gaskognisch und Vers 9: galicisch). 2 Eine italienische Normsprache gab es zur Zeit der Abfassung des Gedichtes natürlich noch nicht. Die Sprachform entspricht mehr oder weniger dem Genuesisch in Domna, tant vos ai preiada. Eras quan vey verdeyar 247 Jetzt, wo ich ergrünen sehe (I) Jetzt, wo ich ergrünen sehe Wiesen und Gärten und Wälder, will ich einen Descort beginnen über die Liebe, weswegen ich verzweifelt bin; 4 denn eine Dame pflegte mich zu lieben, aber verändert hat sich ihr Sinn, weswegen ich daran gehe, zu verwirren die Worte und die Melodien und die Sprachen. 8 (II) Ich bin der, der kein Gut hat und es niemals haben wird, weder im April noch im Mai, wenn ich es nicht durch meine Dame habe; 12 gewiss, dass ich in ihrer Sprache ihre große Schönheit nicht beschreiben kann, frischer als eine Schwertlilie; deswegen werde ich mich nicht entfernen. 16 (III) Schöne süße geliebte Dame, euch übergebe und überantworte ich mich; ich werde meine ganze Freude nicht haben, wenn ich euch nicht habe und ihr nicht mich. 20 Eine schlechte Kriegerin seid ihr, wenn ich wegen des guten Glaubens sterbe; aber auf keine Art werde ich mich von eurer Herrschaft trennen. 24 Alors que je vois prés et vergers et bocages 1 (I) Alors que je vois prés et vergers et bocages se couvrir de vert, je veux commencer un descort d’amour parce que je me sens désorienté; car une femme qui d’ordinaire m’aimait a cependant changé son courage, c’est pourquoi il me faut désaccorder les mots, les sons et les langages. (II) Je suis celui qui de bien n’a et n’aura jamais, ni en avril ni en mai, si par ma dame je ne l’ai; certain qu’en son langage, je ne sais dire sa grande beauté, plus fraîche que fleur de lys; c’est pourquoi ne m’en éloignerai. (III) Belle, douce et chère dame, c’est à vous que je me donne et me remets; je n’aurai plus jamais de joie entière, si je ne vous ai et vous moi. Vous êtes très mauvaise guerrière, si je meurs de bonne foi; mais en aucune manière, je ne me soustrairai à votre loi. 1 Die neufranzösische Übersetzung wurde für diesen Band von Geneviève Bender- Berland (Trier) angefertigt. 248 Raimbaut de Vaqueiras (IV) Dauna, io mi rent a bos, coar sotz la mes bon’e bera q’anc fos, e gaillard’e pros, ab que no·m hossetz tan hera. 28 Mout abetz beras haisos e color hresc’e noera. Boste son, e si·bs agos no·m destrengora hiera. 32 (V) Mas tan temo vostro preito, todo·n son escarmentado. Por vos ei pen’e maltreito e meo corpo lazerado: 36 la noit, can jatz en meu leito, so mochas vetz resperado; e car nonca m’aprofeito falid’ei en mon cuidado. 40 (VI) Belhs Cavaliers, tant es car lo vostr’onratz senhoratges que cada jorno m’esglaio. Oi me lasso! que farò 44 si sele que j’ai plus chiere me tue, ne sai por quoi? Ma dauna, he que dey bos ni peu cap Santa Quitera 1 , 48 mon corasso m’avetz treito e mot gen favlan furtado. 1 Santa Quiteria wird in der Gascogne verehrt. Eras quan vey verdeyar 249 (IV) Dame, ich übergebe mich an euch, denn ihr seid die Beste und Schönste die es je gab, heiter und trefflich, sofern ihr nur nicht so grausam wäret. 28 Ihr habt sehr schöne Gesichtszüge und eine frische und junge Farbe. Euer bin ich, und wenn ich euch hätte, würde mir keine Schnalle fehlen. 32 (V) Aber so sehr fürchte ich euren Zank, dass ich dadurch ganz verschüchtert bin. Wegen euch habe ich Leid und Unbill und einen zerissenen Körper: 36 In der Nacht, wenn ich in meinem Bett liege, wache ich viele Male auf; und da ich keinen Nutzen davon habe, bin ich in meinem Gedanken fehlgegangen. 40 (VI) Schöner Ritter, so lieb ist eure geehrte Ritterwürde, dass ich jeden Tag davor erschrecke. Weh mir, ich Unglücklicher, was werde ich tun, 44 wenn die, die mir die Liebste ist, mich tötet, ich weiß nicht, warum. Meine Dame, bei der Treue, die ich euch schulde und beim Haupt der heiligen Quiteria, 48 mein Herz habt ihr mir genommen und, sehr schön sprechend, gestohlen. (IV) Dame, je m’en remets à vous, car vous êtes la meilleure et la plus belle qu’il y eût jamais, forte et valeureuse, si vous ne m’étiez tant cruelle. Vous avez de très beaux traits, le teint clair et jeune. Je suis à vous, et si je vous avais plus rien ne me manquerait. (V) Mais je crains tant votre courroux que j’en suis tout confus. Par vous j’ai peine et mauvais traitement et mon corps est lacéré: La nuit allongé dans mon lit, je suis souvent éveillé; et comme je n’en ai aucun profit j’ai failli en pensée. (VI) Beau Chevalier, si cher est votre honneur chevaleresque que chaque jour je m’en effraie. Quelle infortune! que vais-je faire si celle qui m’est le plus cher me tue, ne sais pourquoi? Ma Dame, vous à qui je dois fidélité sur la tête de Sainte Quitère, mon cœur m’avez pris par vos paroles gentilles me l’avez ravi. 250 Raimbaut de Vaqueiras 5.2.4 Kalenda maia (I) Kalenda maia 1 ni fueills de faia ni chans d’auzell ni flors de glaia non es qe·m plaia, 4 pros dona gaia, tro q’un isnell messagier aia del vostre bell cors, qi·m retraia plazer novell q’amors m’atraia 8 e jaia, 2 e·m traia vas vos, donna veraia e chaia, de plaia ·l gelos, anz qe·m n’estraia. 12 (II) Ma bell’amia, per Dieu non sia qe ja·l gelos de mon dan ria, qe carvendria 16 sa gelozia si aitals dos amantz partia; q’ieu ja joios mais non seria, ni jois ses vos pro no·m tenria; 20 tal via faria qu’oms ja mais no·m veiria; cell dia morria, donna pros, q’ie·us perdria. 24 1 Mit Kalenda maia ist in Anspielung auf den römischen Kalender der 1. Mai gemeint. An diesem Tag fand ein Volksfest statt. 2 jaia ist als Konjunktiv von jazer ‚liegen’ aufzufassen. Kalenda maia 251 Erster Mai (I) Erster Mai und Blätter des Hagedorns und Vogelgesang und Gladiolenblüten können mir nicht mehr gefallen, 4 edle heitere Dame, bis ich einen schnellen Boten empfange von euerer schönen Person, der mir ausmalen würde ein neues Vergnügen, dass nämlich die Liebe mich hinzöge 8 und (zu euch) legte, und mich brächte zu euch, wahrhafte Frau, und es falle verwundet der Neider, bevor ich davor zurückweiche. 12 (II) Meine schöne Freundin, bei Gott möge es nicht geschehen, dass der Neider über mein Unglück lacht, denn er würde büßen müssen 16 für seinen Neid, wenn er zwei solche Liebende trennen könnte; froh werde ich niemals mehr sein und Freude ohne euch könnte ich niemals haben; 20 einen solchen Weg würde ich gehen, dass niemand mich mehr sehen könnte; an dem Tag würde ich sterben, meine edle Dame, an dem ich euch verlieren würde. 24 Estampida 1 (I) Ni le premier jour de mai, ni la feuille du hêtre, ni le chant des oiseaux, ni la fleur du glaïeul ne sauraient me réjouir, Dame noble et joyeuse, tant que je ne verrai pas venir, de la part de votre gente personne, un messager rapide qui me dépeigne le plaisir nouveau qu’Amour et Joie m’apporteront; tant que je ne me rendrai pas auprès de vous, Dame sincère, et que le Jaloux ne sera pas tombé sous les coups, avant que je ne vous quitte. (II) Ma belle amie, veuille Dieu que le Jaloux ne se réjouisse jamais de mon dommage: il paierait cher sa jalousie, s’il séparait les deux amants que nous sommes. Car je ne serais jamais plus joyeux, et la joie sans vous ne me profiterait guère: je prendrais un chemin tel que jamais plus personne ne me verrait et mourrais le jour même, noble Dame, où je vous aurais perdue. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1971, 240-246). 252 Raimbaut de Vaqueiras (III) Con er perduda ni m’er renduda donna, s’enanz non l’ai aguda? Qe drutz ni druda 28 non es per cuda; mas qant amantz en drut si muda, l’onors es granz qe·l n’es creguda, e·l bels semblanz fai far tal bruda; 32 qe nuda tenguda no·us ai, ni d’als vencuda; volguda cresuda vos ai, ses autr’ajuda. 36 (IV) Tart m’esjauzira, pos ja·m partira, Bells Cavalhiers, de vos ab ira, 1 q’ailhors no·s vira 40 mos cors, ni·m tira mos deziriers, q’als non dezira; q’a lauzengiers sai q’abellira, donna, q’estiers non lur garira; 44 tals vira, sentira mos danz, qi·lls vos grazira, qe·us mira, cossira cuidanz don cors sospira. 48 1 Mit diesem senhal benennt Raimbaut eine Dame des Hofes von Monferrat. Eine Identifikation mit Beatritz ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht beweisbar, und vielleicht hat Pierre Bec Recht (1979, 254), wenn er an eine „double dédicace (Bèls Cavalièrs et Na Beatritz)” glaubt. Kalenda maia 253 (III) Wie soll ich verlieren und wiedergewinnen eine Dame, die zuvor ich doch niemals besaß? Denn Liebender und Geliebte 28 ist man ja nicht durch den Gedanken allein; aber wenn ein Freund sich in einen Geliebten verwandelt, dann ist die Ehre groß, die daraus erwächst, und der schöne Schein nährt solche Gerüchte; 32 doch nackt gehalten habe ich euch nie, und nichts von euch erhalten; gewünscht, geglaubt habe ich euch ohne irgendeine Hilfe. 36 (IV) Kaum würde ich Freude geniessen, wenn ich mich trennen würde, schöner Ritter, von euch im Zorn, denn anderswo hin wendet sich 40 mein Herz nicht, und anderswo hin zieht mich mein Verlangen nicht, denn ich verlange nach nichts anderem; dass das den Neidern gefallen würde, weiß ich, meine Dame, denn anders würden sie nicht gesunden: 44 Wenn davon einer meine Leiden sähe und hörte, wäre er euch dankbar, denn er betrachtet euch und hegt Gedanken, über die das Herz seufzt. 48 (III) Comment pourrais-je perdre et recouvrer une dame si elle n’a été mienne auparavant? On n’est pas amant ou amante par la seule pensée. Pourtant, quand le soupirant devient amant, grand est l’honneur qu’il en retire: mais c’est le doux regard [que vous m’avez jeté] qui est cause de tels faux bruits. Car je ne vous ai pas tenue sans voile entre mes bras, et n’ai pas obtenu autre chose de vous. Je vous ai désirée et j’ai cru en vous, sans autre récompense. (IV) Il me serait difficile de me réjouir si je devais vous quitter en proie au ressentiment, Beau Cavalier. Car mon cœur ne saurait se tourner ailleurs, ni mon désir m’attirer autre part, puisque je n’ai pas d’autres désirs. Je sais bien que les médisants s’en réjouiraient, Dame, car autrement leur maladie ne serait point guérie. Et tel d’entre eux, voyant et sentant mon infortune, vous en serait reconnaissant; car il vous regarde, plein de présomptueuses pensées: et mon cœur en gémit. 254 Raimbaut de Vaqueiras (V) Tant gent comensa part totas gensa, Na Beatritz, e pren creissensa vostra valensa; 52 per ma credensa, de pretz garnitz vostra tenensa e de bels ditz, senes failhensa; de faitz grazitz tenetz semensa; 56 siensa, sufrensa avetz e coneissensa; valensa ses tensa vistetz ab benvolensa. 60 (VI) Donna grazida, qecs lauz’e crida vostra valor q’es abellida, e qi·us oblida 64 pauc li val vida, per q’ie·us azor, donn’eissernida; qar per gençor vos ai chauzida e per meilhor, de prez complida, 68 blandida, servida genses q’Erecs Enida 1 . Bastida, finida, N’Engles 2 , ai l’estampida. 72 1 Anspielung auf den ersten Roman von Chrestien de Troyes, abgefasst um 1170. 2 Dieses senhal spielt auf einen Gönner Raimbauts, wahrscheinlich Bonifacio di Monferrato, an. Kalenda maia 255 (V) Freundlich beginnt und strahlt bei allen, Frau Beatritz, und wächst an euerem Verdienst; 52 und, meiner Treue, ihr stattet euren Besitz mit Wert und schönen Wort tadellos aus; für schöne Taten seid ihr der Ausgangspunkt; 56 Wissen, Zurückhaltung habt ihr und Erkenntnis; Tüchtigkeit verbindet ihr ohne Konflikt mit Wohlwollen. 60 (VI) Liebenswerte Frau, jeder lobt und preist euere Vortrefflichkeit, die wohlgefällig ist, und wer euch vergisst, 64 für den hat das Leben wenig Wert, und deswegen verehre ich euch, edle Frau; denn als die edelste habe ich euch erwählt und als die beste, gepriesen, 68 geschmeichelt, verehrt in edlerer Weise, als Erec Enide diente. Vollbracht, vollendet, Herr Engles, habe ich die Estampida. 72 (V) Votre mérite, Dame Béatrice, fleurit et croît avec tant de grâce, et surpasse celui de toutes les autres dames. A ce que je crois, vous ajoutez aux qualités que vous possédez l’ornement de votre valeur et de vos belles paroles; vous êtes la source d’actions dignes de louanges; vous possédez savoir, discrétion et connaissance et, sans conteste, vous joignez à votre mérite la parure de la bienveillance. (VI) Aimable Dame, chacun loue et proclame en vous une valeur qui sait plaire; et qui vous oublie ne prise guère la vie. Aussi je vous adore, Dame distinguée. Car je vous ai choisie comme la plus noble et la meilleure, avec la perfection de votre mérite; et je vous ai courtisée et servie mieux que ne le fit Erec envers Enide. Seigneur Engles, voici finie l’estampie que je viens de composer. Sechste Generation (1225-1250) Castelloza 258 6.1 Castelloza (erstes Viertel des 13. Jahrhunderts) Nach der vida war Castelloza mit Turc de Mairona verheiratet, womit wir ins erste Viertel des 13. Jahrhunderts kommen. Von ihrem angeblichen Geliebten Arman de Breon wissen wir sonst nichts, und zur Adelsfamilie von Brion gehörte in der fraglichen Zeit kein Arman(d). Castelloza gehörte anscheinend zum Kreis der Troubadours um Dalfin d’Alvernha (1155- 1235). Darüber hinaus lassen sich Beziehungen zum Sänger Peirol, der von 1188 bis 1222 tätig war, nachweisen. Von der Castelloza sind uns mit Sicherheit drei, mit großer Wahrscheinlichkeit vier Lieder erhalten. Damit ist sie nach der Comtessa de Dia die trobairitz, von der die meisten Dichtungen überliefert sind. Bei Castelloza ist die Verkehrung der männlich-weiblichen Rollen am augenfälligsten: Sie richtet sich in denselben Termini an ihren Geliebten, in denen der männliche Troubadour sich an seine domna zu richten pflegt. Bemerkenswert ist, dass sie in dem hier angeführten Gedicht an den Geliebten ihre Familie und ihren Mann nennt (Vers 43f.). Strophenstruktur: Mout avetz faich lonc estatge: fünf coblas unissonans zu jeweils zehn Verse mit dem Reimschema a - b - a - b - c - e - e - c - f - f. Literatur: Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus , Tübingen (Niemeyer) 1991, 518-569. Vida 259 6.1.1 VIDA Na Casteloza si fo d’Alvergne, gentils domna, moillier del Turc de Mairona. Et ama N’Arman de Breon e fez de lui sas cansos. Et era domna mout gaia e mout enseingnada e mout bella. Et aqui son escriptas de las soas cansos. LEBEN Frau Castelloza war aus der Auvergne, eine vornehme Dame, die Frau von Turc de Mayronne. Sie liebte Herrn Arman de Breon und machte über ihn ihre Lieder. Sie war eine sehr fröhliche und sehr gebildete Frau, und sie war sehr schön. Hier sind ihre Lieder niedergeschrieben. 260 Castelloza 6.1.2 Mout avetz faich lonc estatge (I) Mout avetz faich lonc estatge, 1 amics, pois de mi·us partitz, et es mi greu et salvatge, car me juretz e·m plevitz 4 que als jorns de vostra vida non acsetz dompna mas me; e si d’autra vos perte 2 m’avetz morta e trahida, 8 c’avi’en vos m’esperanssa que m’amassetz ses doptanssa 3 . (II) Bels Amics, de fin coratge vos amei puois m’abellitz, 12 e sai que fatz hi follatge, que plus m’en etz escaritz c’anc non fis vas vos ganchida; e si·m fasetz mal per be, 16 be·us am e no m’en recre; mas tant m’a amors sazida qu’eu non cre que benananssa puosc’aver ses vostr’amanssa. 20 1 Der provenzalische Text folgt der Ausgabe von Angelica Rieger, 1991, 539f. 2 Das Verb ist pertener, das hier ‚für jemand anderen Interesse zeigen’ heißen muss. 3 Mit doptanssa ist primär ‚Zweifel’ gemeint. Hier geht es darum, dass eine Liebe gemeint ist, die keinen Anlass gibt, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln. Mout avetz faich lonc estatge 261 Eine sehr lange Abwesenheit habt ihr gemacht (I) Eine sehr lange Abwesenheit habt ihr gemacht, mein Freund, seit ihr von mir gegangen seid, und das ist mir schwer und drückend, denn ihr habt mir geschworen und versprochen, 4 dass ihr Zeit eures Lebens keine andere Dame außer mir haben werdet; und wenn ihr euch für eine andere interessiert, dann habt ihr mich getötet und verraten, 8 denn ich setzte auf euch meine Hoffnung, dass ihr mich ohne jeden Grund zum Zweifel lieben würdet. (II) Schöner Freund, von reinem Herzen liebte ich euch, seit ihr mein Gefallen fandet, 12 und ich weiß, dass ich damit eine Dummheit beging, denn noch mehr seid ihr mir deswegen fremd, dass ich mich euch gegenüber nie verweigerte; und wenn ihr mir Gutes mit Bösem vergeltet, 16 dann liebe ich euch trotzdem und lasse nicht davon ab; so sehr hat mich jedenfalls die Liebe überwältigt, das ich nicht glaube, dass ich glücklich werden könnte ohne euere Liebe. 20 Vous avez fait bien long séjour 1 (I) Vous avez fait bien long séjour, ami, depuis que vous m’avez quittée, et ce m’est dur et sauvage; vous m’aviez promis et juré qu’à tous les jours de votre vie vous n’auriez de dame que moi, et si rien d’autre vous importe, vous m’avez trahie et tuée. J’avais en vous l’espérance que vous m’aimeriez sans un doute. (II) Ami beau et de pur cœur, je vous aimai dès que vous m’avez plu. Je sais que j’ai fait folie, et plus vous m’êtes éloigné, car je n’ai fait vers vous de ruse, et vous me donnez mal pour bien. Bien vous aime et ne m’en désiste, mais tant m’a l’amour saisie que je ne crois pas qu’un bonheur je puisse avoir sans votre amour. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Jacques Roubaud (1971, 320-323). 262 Castelloza (III) Mout aurai mes mal usatge a las autras amairitz, c’om sol trametre messatge 1 e motz triatz e chausitz; 24 et eu tenc me per garida, Amics, a la mia fe, qan vos prec, c’aissi·m cove; qe·l plus pros n’es enriquida 28 s’a de vos calc’aondanssa 2 de baisar o d’acoindanssa. (IV) Mal ai’eu, s’anc cor volatge vos aic ni·us fui camiairitz, 32 ni drutz de negun paratge per mi non fo encobitz; anz sui pensiv’e marrida, car de m’amor no·us sove, 36 e si de vos jois no·m ve, tost mi trobaretz fenida; car per pauc de malananssa mor dompna s’om tot no·il lanssa 3 . 40 1 om ist hier wohl konkret als ‚der Mann’ zu verstehen - Liebesbotschaften haben schicklicherweise vom Mann und nicht von der Frau auszugehen, und eigentlich können nur Männer Liebesgedichte verfassen. 2 Wörtlich ist aondanssa der ‚Überfluss’, dann aber auch die ‚Befriedigung’ und der ‚Genuss’. 3 Das Verb lanssar heißt ‚wegwerfen, entfernen’, und om ist wieder (wie in Vers 23) als ‚der Mann’ zu verstehen. Mout avetz faich lonc estatge 263 (III) Eine sehr schlechte Verhaltensweise werde ich den anderen liebenden Frauen gezeigt haben, denn der Mann muss Liebesbotschaften übermitteln und erlesene und gewählte Wörter; 24 und ich halte mich für geheilt, mein Freund, meiner Treu, wenn ich euch bitte, denn so gefällt es mir; denn die Edelste gewinnt an Wert, 28 wenn sie von euch einige Befriedigung erhält durch Küssen und durch vertrauten Umgang. (IV) Ein Unheil möge mich ereilen, wenn ich euch je ein unbeständiges Herz zeigte oder wankelmütig war 32 oder wenn ein Freund irgendeiner Abkunft von mir begehrt wurde; viel mehr bin ich nachdenklich und betrübt, denn an meine Liebe erinnert ihr euch nicht, 36 und wenn von euch mir keine Liebesfreude kommt, werdet ihr mich bald dahingeschieden finden; denn an geringem Leid stirbt eine Dame, wenn der Mann es ihr nicht verjagt. 40 (III) J’aurais créé mauvaise coutume pour toutes les autres amantes: on leur envoie des messages, des paroles triées et choisies, et moi, je ne suis garantie, ami, que de ma seule confiance; je vous prie, car cela me convient; la plus noble est enrichie, qui de vous a quelque plaisir de baiser ou de rencontre. (IV) Malheur à moi, si jamais cœur volage j’ai eu pour vous, si je fus changeante: aucun ami d’aucun paratge par moi ne fut convoité; mais je suis pensive et chagrine - de mon amour il ne vous souvient, et si de vous joie ne me vient, bientôt vous me trouverez morte, car pour un peu de malheur meurt dame si vite, on ne le chasse. 264 Castelloza (V) Tot lo maltraich e·l dampnatge que per vos m’es escaritz vos grazir fan mos lignatge 1 e sobre totz mos maritz. 44 E s’anc fetz vas mi faillida perdon la·us per bona fe; e prec que veingnaz a me depueis que auretz auzida 48 ma chansson qe·us fai fianssa, sai trobetz bella semblanssa. 1 faire grazir bedeutet wörtlich: ‚bewirken, dass man an etwas Gefallen findet’. Angelica Rieger (1991, 547) versteht: „Dahinter könnte sich eine ausgefallene Variante des klassischen Hinweises auf die das Glück der Liebenden bedrohenden lauzengier und den gelos verbergen, die den amic nur dann schätzen, wenn er die domna schlecht behandelt”. Es könnte aber auch einfach gemeint sein, dass erst die schlechte Behandlung durch ihren Geliebten die Dichterin zur Abfassung von Versen bringt, deren hohe Qualität dann wiederum Ruhm für ihre ganze Familie und natürlich auch für ihren Ehemann mit sich bringt. (V) Alles Übel und alles Ungemach, das mir durch euch zuteil wird, machen euch bei meiner Familie beliebt und besonders bei meinem Mann. 44 Und wenn ihr je gegen mich eine Schuld auf euch ludet, vergebe ich sie euch guten Willens, und ich bitte euch, dass ihr zu mir kommt, nachdem ihr mein Lied gehört habt, 48 das euch eine Bürgschaft bietet, dass ihr hier eine schöne Aufnahme finden werdet. (V) Tout le mal et le dommage qui par vous m’est advenu, me le fait supporter ma famille et par-dessus tout mon mari. E si vous avez envers moi faute, je la pardonne de bonne foi, et je vous prie de venir à moi dès que vous aurez entendu ma chanson; je vous assure, ici sera bon l’accueil. Siebte Generation (nach 1250) Sordel 266 7.1 Sordel (...1220-1269) Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wurde die Troubadourlyrik zunehmend zu einem Exportprodukt, das man auch in angrenzenden romanischen Ländern schätzte: An den Höfen von Katalonien, Aragón, Kastilien und Norditalien findet man immer wieder kürzere und längere Aufenthalte von Troubadours. Zunehmend fanden auch einheimische Sänger den Weg zur neuen Kunstgattung. Der berühmteste Sänger Italiens ist Sordello bzw. Sordel, der dem mantuanischen Kleinadel entstammte und wohl kurz vor 1200 in Goito geboren wurde. Als Landsmann Vergils erhielt er in Dantes Purgatorio einen Ehrenplatz (in Purg. 6, 74-75, redet Sordel Vergil folgendermaßen an: „«O Mantovano, io son Sordello | de la tua terra! » E l’un l’altro abbracciava”). In der vida des Sordel wird berichtet, dass er zwar ein „großer Liebhaber” (grans amaires) war, der in seinen Liedern einige Frauen verherrlichte, andererseits aber „treulos und falsch” (truans e fals) sowohl gegen die Damen als auch gegen seine herrschaftlichen Gönner auftrat. Zu diesem Urteil trugen seine unstete Lebensweise bei (er war an den Höfen von Este, Verona, San Bonifacio, Treviso, dann bei Alfons IX. von León und bei Jaume I. El Conquistador, wahrscheinlich auch in Portugal, schließlich bei Raimon Berenguer IV. in Aix in der Provence und am Ende seines Lebens, nachdem er erfolgreich die Kreuzzugsteilnahme vermieden hatte, lebte er ab 1266 als Günstling von Karl von Anjou im heimatlichen Italien), dann seine scharfe Zunge gegen die Mächtigen der Zeit, die beispielsweise im Planh auf Blacatz deutlich hervortritt, und schließlich die Skandalgeschichte um die Entführung der von Dante (Par. 9, 1-66) immerhin in den Venushimmel versetzten Cunizza, der Schwester des trevisischen Tyrannen Ezzelino da Romano, die Sordel 1226 im Auftrage ihres Vaters aus dem Haus ihres Ehemannes entführte. Von Sordel sind 44 provenzalische Gedichte erhalten, außerdem einige wenige Verse in Französisch und vielleicht ein lombardisches Sirventés (Poi qe neve ni glaza). Die wirkungsvollste Komposition, die Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so, ist 1236 nach dem Tod seines Gönners Blacatz d’Aups, der auch selbst Gedichte verfasste und als Dialogpartner in einigen Tenzonen figugiert, entstanden: Formal handelt es sich dabei um einen Planh, also um ein Trauergedicht, aber der Inhalt gehört eher in die Kategorie der Sirventés, denn es werden nacheinander die acht mächtigsten Herrscher (Kaiser von Rom, König von Frankreich, England, Kastilien, Aragón, Navarra, Graf von Toulouse und von der Provence) verspottet. Sie sollen ihre Machtlosigkeit be- Sordel 267 heben, indem sie ein Stück vom Herzen des Blacatz essen und so dessen Mut in sich aufnehmen. Hier wird ein altes, in Italien noch heute lebendiges Motiv des Volksglaubens aufgenommen: Die seelischen Eigenschaften eines Toten gehen in diejenigen über, die Teile seines Körpers, besonders seines Herzens, essen (Zerstückelungsmythos). Strophenstruktur: Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so: fünf coblas singulars (mit einheitlichem Reim) und zwei tornadas aus je zwei Versen. Literatur: Boni, Marco: Sordello, Le poesie. Nuova edizione critica con studio introduttivo, traduzioni, note e glossario, Bologna (Libreria antiquaria Palmaverde) 1954. 268 Sordel 7.1.1 VIDA Sordels si fo de Mantoana, d’un castel que a nom Got 1 ; gentils catanis. E fo avinens hom de la persona, e fo bons chantaire e bons trobaire, e grans amaires; mas mout fo truans e fals vas dompnas e vas los barons ab cui el estava. Et entendet se en ma dompna Conissa, sor de ser Aicelin e de ser Albric de Romans 2 , q’era moiller del comte de Saint Bonifaci, ab cui el estava. E per voluntat de miser Aicelin, el emblet ma dompna Conissa, e menet la·n via. E pauc apres et el s’en anet en Onedes 3 , ad un castel d’aqels d’Estras, de ser Henric e de ser Guillem e d’En Valpertin, q’eron mout siei amic; et esposet una soa seror celadamens, que avia nom Otha; e venc s’en puois a Trevis. E qand aqel d’Estras lo saup, si li volia offendre de la persona, e·il amic del comte de Sain Bonifaci eissamens; don el estava armatz sus en la casa de miser Aicelin; e qand el anava per la terra, el cavalgava en bos destriers ab granda compaignia de cavalliers. E per paor d’aicels qe·il volion offendre, el se partic, et anet s’en en Proenssa. Et estet ab lo comte de Proenssa. Et amet una gentil dompna e bella de Proenssa; et appellava la en los sieus chantars, que el fazia per lieis, «Doussa Enemia»; per la cal dompna el fetz maintas bonas chanssos. 1 Goito ist ein bescheidenes Schloss, etwa 15 km von Mantua entfernt. 2 Die Familie da Romano hatte 1222 ihren Pakt mit der konkurrierenden Familie di Bonifacio durch die Heirat der Cunizza mit Riccardo di San Bonfacio besiegeln wollen. Jedoch war der Pakt schnell zerbrochen, und ab 1225 ging es darum, Cunizza in den Machtbereich derer Da Romano zurückzubringen. Ob tatsächlich das in der vida insinuierte Liebesverhältnis mit Sordel bestand, ist unklar. Cunizza jedenfalls hat sich schnell vom Ritter Bonio, ihrer großen Liebe, aus dem Vaterhaus entführen lassen: „ipsa nimium amorata in eum cum ipso mundi partes plurimas circumivit multa habendo solacia et maximas faciendo expensas” (‚sie war sehr verliebt in ihn und bereiste mit ihm die meisten Teile der Welt, wobei sie viele Unterhaltungen hatte und große Ausgaben hatte’), heißt es in der Chronik des Rolandinus von Padua. Cunizza starb nach weiteren zwei Ehen als bußfertige Witwe im Hause der Cavalcanti in Florenz, wo Dante ihr noch begegnet zu sein scheint. 3 Onedo liegt im Gebiet von Treviso. Vida 269 LEBEN Sordel war aus der Gegend von Mantua, von einem Schloss namens Goito. Er war ein edler Burgvogt, ein persönlich angenehmer Mann, ein guter Sänger und ein guter Troubadour, ein großer Liebhaber; aber er war treulos und falsch gegen die Damen und gegen die Herren, bei denen er sich aufhielt. Er verliebte sich in Frau Conizza, Schwester von Herrn Ezzelino und von Herrn Alberico von Romano, Gattin des Grafen von San Bonifacio, bei dem er sich aufhielt. Auf Wunsch des Herrn Ezzelino entführte er Frau Conizza und zog mit ihr fort. Wenig später ging er nach Onedo, zu einer Burg derer von Strasso, des Herrn Enrico, Guglielmo und Valpertino, die sehr mit ihm befreundet waren; und er heiratete im Geheimen eine ihrer Schwestern namens Otha, und er ging dann nach Treviso. Und als der Herr von Strasso das hörte, wollte er ihn persönlich angreifen und ebenso die Freunde des Grafen von San Bonifacio. Also hielt Sordel sich immer bewaffnet im Hause des Herrn Ezzelino auf, und wenn er übers Land reiste, ritt er auf guten Schlachtrössern mit einer großen Begleitung von Rittern. Aus Furcht vor denen, die ihn angreifen wollten, zog er ganz weg und ging in die Provence. Er hielt sich dort beim Grafen der Provence auf. Er liebte eine edle und schöne Dame der Provence; er nannte sie in seinen Liedern, die er für sie dichtete, Süße Feindin; für diese Dame machte er manche gute Lieder. 270 Sordel 7.1.2 Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so (I) Planher vuelh En Blacatz 1 en aquest leugier so, ab cor trist e marrit; et ai en be razo, qu’en luy ai mescabat senhor et amic bo, e quar tug l’ayp valent en sa mort perdut so; 4 tant es mortals lo dans qu’ieu non ai sospeisso que jamais si revenha, s’en aital guiza no: qu’om li traga lo cor e que·n manjo·l baro que vivon descorat; pueys auran de cor pro. 8 (II) Premiers manje del cor, per so que grans ops l’es, l’emperaire de Roma 2 , s’elh vol los milanes per forsa conquistar, quar luy tenon conques e viu deseretatz, malgrat de sos ties; 12 e deseguentre lui manje·n los reys frances 3 : pueys cobrara Castella que pert per nescies; mas, si pez’a sa maire, elh no·n manjara ges, quar ben par, a son pretz, qu’elh non fai ren que·l pes. 16 1 Blacatz ist Anfang 1236 gestorben. Sordel schrieb seinen Planh wenig später. 2 Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen war Friedrich II. von Schwaben. Sein Konflikt mit den lombardischen Städten dauerte von 1212 bis zur Niederlage der Lombarden in der Schlacht von Cortenuova am 27.11.1237. Der Planh muss vor diesem Datum abgefasst sein. 3 Ludwig IX. (Saint-Louis) war 1224 mit zwölf Jahren französischer König geworden und stand bis 1236 unter der Tutel seiner Mutter Blanca de Castilla. Er hätte theoretisch Anspruch auf die Krone Kastiliens erheben können, die nach dem Tod von Heinrich I. im Jahre 1217 von dessen Schwester beansprucht und an ihren Sohn Ferdinand III. weitergegeben wurde. Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so 271 Ich will Herrn Blacatz in dieser leichten Melodie beweinen (I) Ich will Herrn Blacatz in dieser leichten Melodie beweinen, mit traurigem und bekümmertem Herzen; und dazu habe ich wahrlich [Grund, weil ich in ihm einen guten Herrn und Freund verloren habe und weil alle wackeren Eigenschaften in seinem Tod untergingen. 4 So tödlich ist der Schaden, dass ich keine Hoffnung habe, dass er jemals geheilt werden könnte, wenn nicht in folgender Weise: Man nehme ihm das Herz heraus und gebe es den Herren zum Verspeisen, die herzlos leben; dann werden sie Herz im Überfluss haben. 8 (II) Als erster soll vom Herzen essen, weil es für ihn sehr nötig ist, der Kaiser von Rom, wenn er die Mailänder mit Gewalt erobern will, denn sie haben es ihm entrissen, und er lebt ohne sein Erbe trotz seiner Deutschen; 12 und nach ihm soll davon der französische König essen, dann wird er sich Kastiliens bemächtigen, das er aus Dummheit verlor; aber wenn es seiner Mutter missfällt, wird er überhaupt nicht davon essen, denn es scheint, zu seinem Lob, dass er nichts tun wird, was ihr missfällt. 16 Planh sur la mort de Blacatz 1 (I) Je veux, le cœur triste et dolent, pleurer la mort de Blacas sur cette simple mélodie; et j’ai bien raison de le faire, car j’ai perdu en lui un bon seigneur, un bon ami, et toutes les nobles qualités ont péri avec lui. Si cruelle est la perte, que je n’ai pas le moindre espoir qu’on puisse jamais la réparer, à moins qu’on ne prenne le cœur du mort pour le donner à manger à tous ces barons qui n’en ont pas: ils en auront ensuite suffisamment. (II) Qu’il mange le premier de ce cœur, car il en a grand besoin, l’empereur de Rome, s’il veut par la force conquérir le Milanais, car c’est lui que l’on tient et qui vit, déshérité, en dépit de ses Allemands, qu’en mange, après lui, le roi de France, pour recouvrer la Castille qu’il perd par sa niaiserie; mais, si cela contrarie sa mère, il n’en mangera point, car on voit bin à son honneur qu’il ne fait rien qui lui déplaise. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1971, 270-274). 272 Sordel (III) Del rey engles 1 me platz, quar es pauc coratjos, que manje pro del cor; pueys er valens e bos, e cobrara la terra, per que viu de pretz blos, que·l tol lo reys de Fransa, quar lo sap nualhos; 20 e lo reys castelas 2 tanh qu’en manje per dos, quar dos regismes ten, e per l’un non es pros; mas, s’elh en vol manjar, tanh qu’en manj’a rescos, que, si·l mair’o sabia, batria·l ab bastos. 24 (IV) Del rey d’Arago 3 vuelh del cor deia manjar, que aisso lo fara de l’anta descarguar que pren sai de Marcella e d’Amilau; qu’onrar no·s pot estiers per ren que puesca dir ni far; 28 et apres vuelh del cor don hom al rey navar 4 , que valia mais coms que reys, so aug comtar: tortz es, quan Dieus fai home en gran ricor pojar, pus sofracha de cor lo fai de pretz bayssar. 32 1 Heinrich III. hatte 1230 vergeblich versucht, die in Frankreich gelegenen Lehen Normandie, Bretagne und Poitou an sich zu bringen. 2 Ferdinand III. von Kastilien hatte die Kronen von Kastilien und Galicien-León im Jahre 1230 vereinigt. Seine Mutter Berenguela, die Schwester Blancas, hatte einen bestimmenden Einfluss auf ihn. 3 Gegen Jaume I. el Conquistador war 1230 in Marseille ein Aufstand losgebrochen. 1229 hatte er durch den Vertrag von Meaux Millau aufgeben müssen. 4 Theobald I., Graf der Champagne, war seit 1234 König von Navarra. Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so 273 (III) Beim englischen König gefällt mir, weil er wenig mutig ist, dass er reichlich vom Herzen esse; dann wird er mutig und tapfer sein, und er wird sich des Landes bemächtigen, weswegen er keinen Ruhm hat, das ihm der König von Frankreich wegnahm, der ihn als träge kennt; 20 und der König von Kastilien muss für zwei essen, denn er hat zwei Königreiche und ist doch nicht tüchtig genug für eines; aber wenn er davon essen will, soll er im Verborgenen davon essen, denn wenn seine Mutter es wüsste, würde sie ihn mir dem Stock schlagen. 24 (IV) Beim König von Aragón will ich, dass er vom Herzen esse, denn das wird ihn von Schande befreien, die er hier erfuhr wegen Marseille und Millau, denn Ehre verschaffen kann er sich auf andere Weise durch nichts, das er sagen oder tun könnte; 28 und danach will ich, dass man vom Herzen dem navarrischen König gebe, der als Graf mehr denn als König wert war, so höre ich erzählen; es ist falsch, wenn Gott einen Menschen zu großer Macht aufsteigen lässt, und Mangel an Herz ihn dann in Wert sinken lässt. 32 (III) Quant au roi anglais, cet homme de peu de cœur, il me plairait qu’il en mange à souhait; il en prendra vaillance et courage, et reconquerra les domaines dont la perte le déshonore, et que lui ravit le roi de France, qui connaît son indolence. Et quant au roi de Castille, qu’il en mange pour deux; car il tient deux royaumes et n’a pas de cœur pour un seul; mais s’il veut en manger, qu’il le fasse en cachette, car si sa mère le savait elle lui donnerait du bâton. (IV) Pour le roi d’Aragon, je veux que, lui aussi, mange de ce cœur: il le lavera de la honte dont il se couvre à propos de Marseille et de Milan; car quoi qu’il dise et fasse, il ne peut autrement retrouver son honneur. Je veux ensuite qu’on donne de ce cœur au roi de Navarre qui, à ce qu’on dit, valait mieux comte que roi. Il est grand dommage qu’un homme, que Dieu a fait parvenir aux plus hautes dignités, perde toute valeur par manque de courage. 274 Sordel (V) Al comte de Toloza 1 a ops qu’en manje be, si·l membra so que sol tener ni so que te; quar, si ab autre cor sa perda no reve, no·m par que que la revenha ab aquel qu’a en se; 36 e·l coms proensals 2 tanh qu’en manje, si·l sove c’oms que deseretatz viu guaire non val re; e, sitot ab esfors si defen ni·s chapte, ops l’es mange del cor pel greu fais qu’el soste. 40 (VI) Li baro·m volran mal de so que ieu dic be, mas ben sapchan qu’ie·ls pretz aitan pauc quon ilh me. (VII) Belh Restaur 3 , sol qu’ab vos puesca trobar merce, a mon dan met quascun que per amic no·m te. 44 1 Raimon VII., Graf von Toulouse, hatte 1229 den größten Teil seiner Ländereien an den französischen König verloren. 2 Gemeint ist Raimon Berenguer IV., an dessen Hof sich Sordel zur Zeit der Abfassung des Gedichtes aufhielt. 3 Das senhal bezeichnet die Gräfin Guida de Rodez, die der Mittelpunkt eines literarischen Verehrerkreises war und auch von Blacatz besungen wurde. Planher vuelh En Blacatz en aquest leugier so 275 (V) Für den Grafen von Toulouse gehört es sich, davon viel zu essen, wenn er sich daran erinnert, was er damals hatte und jetzt hat, denn wenn mit einem anderen Herzen sein Verlust nicht zurückkehrt, so glaube ich nicht, dass er mit dem zurückkommt, das er in sich hat; 36 und der provenzalische Graf muss davon essen, wenn er sich erinnert, dass der, der enterbt lebt, kaum irgendetwas wert ist; und wenngleich er sich mit Anstrengung verteidigt oder sich behauptet, muss er doch vom Herzen essen wegen der schweren Bürde, die er trägt. 40 (VI) Die Herren werden schlecht aufnehmen, was ich gut sage, aber sie sollen wissen, dass ich sie so wenig schätze wie sie mich. (VII) Schönes Labsal, sofern ich nur bei euch Gnade finden kann, missachte ich jeden, der mich nicht für einen Freund hält. 44 (V) Le comte de Toulouse a bien besoin d’en manger, s’il a souvenance de ce qu’il possédait et de ce qu’il possède; car s’il ne répare point ses pertes avec un autre cœur, je ne pense pas qu’il le fasse avec le sien propre. Que le comte de Provence en mange aussi, s’il n’a point oublié qu’un homme qui vit déshérité ne vaut pas grand-chose. Il a beau faire tous ses efforts pour se défendre et se maintenir: il devra en manger, car lourde est la charge qu’il porte. (VI) Les barons m’en voudront pour ce que je leur dis clairement; mais qu’ils sachent que j’ai pour eux aussi peu d’estime qu’ils en ont pour moi. (VII) Beau Réconfort, pourvu qu’auprès de vous je puisse trouver merci, je ne me soucie guère de tous ceux qui ne me tiennent point pour leur ami. 276 Cerverí de Girona 7.2 Cerverí de Girona (...1259-1285...) Cerverí de Girona ist der „Künstlername” des katalanischen Edelmannes Guillem de Cervera, der derjenige Troubadour ist, von dem sich die meisten Dichtungen erhalten haben: 119 Werke, die praktisch alle Gattungen der Troubadourlyrik vertreten (vers, estampidas, pastorelas, dansas, baladas, gelosescas, fünf allegorisch-erzählende Dichtungen). Die Mehrzahl seiner Gedichte sind in einem katalanischen Prachtkodex bewahrt geblieben, der heute in Barcelona aufbewahrt wird und von dem F. A. Ugolini 1936 in Rom eine diplomatische Edition publiziert hat (Il canzoniere inedito di Cerverí di Girona). Die peguesca, deren Text im Folgenden vorgestellt wird, scheint ein von Cerverí erfundenes ironisch-humoristisches Genus zu sein, das peguescas ‚Dummheiten’ (zu pec ‚dumm, närrisch’ < lat. pecus) im Sinne von ‚Liebestorheiten’ zum Inhalt hat: Der Troubadour wendet sich an ein einfaches Mädchen, das mit dem nicht adeligen Namen Girmana angedeutet wird. Der unaristokratische Ton des Gedichts wird auch dadurch unterstrichen, dass Cerverí Katalanismen in den Text hat einfließen lassen: é steht für ai (Verse 3, 8, 21), puix steht statt puesc oder posc (Verse 4, 14), diu ersetzt ditz (Vers 9), menuc vertritt manduc (Vers 9) und in der Graphie liest man yn für nh und yll statt lh. Strophenstruktur: Com es ta mal enseynada: drei coblas unissonans mit variierender Abfolge der a - b-Reime. Literatur: Cluzel, Irénée: „Trois «unica» du troubadour catalan Cerveri (dit de Girona)”, in: Romania 77, 1956, 66-77. Coromines, Joan: Cerverí de Girona, Lírica. 2 Bände, Barcelona (Curial) 1988. Riquer, Martín de: Obras completas del trovador Cerverí de Girona, Barcelona (Instituto Español de Estudios Mediterráneos) 1947. Cerverí de Girona 277 Cerverí de Girona mit Saiteninstrument und Dame (...1259-1285...) Cerverí de Girona (...1259-1285...) 278 Cerveri de Girona 7.2.1 Com es ta mal enseynada Com es ta mal enseynada, 1 Girmana, c’amar no·m vols, e sabs que tant t’e amada? (I) Ne no puix sotz la flaçada 4 dormir, de tal guisa·m dols; e sera’n t’arma dapnada si·m fas morir sotz lençols; c’al metg’e l’ayga mostrada 2 , 8 e diu que no menuc cols 3 ne vaca, sino cayllada 4 . (II) Doncs, ans que·t sies tardada, da’m ço que donar me sols, 12 que tan m’es t’amors pujada no puix menjar cinq tuynols ses companatge aviada, 5 ne beu pus de set mujols 16 de vi a una tirada. 1 Der provenzalische Text folgt hier der Ausgabe von Martín de Riquer, 1947, 3f. 2 Die Urinuntersuchung gehörte zu den Diagnoseverfahren mittelalterlicher Ärzte. 3 Kat. diu steht statt prov. ditz, und kat. menuc ersetzt prov. manduc. 4 Die Verse 9 und 10 enthalten sicherlich eine sexuelle Anspielung, aber es ist nicht klar, welche. Man könnte daran denken, dass col ‚Kohl’ fast homonym mit colh ‚Hoden’ ist und dass vaca in der Iberoromania, aber auch im Galloromanischen (vgl. FEW 14, 103) ein vulgäres Wort für ‚Frau’ ist. tayllada könnte hier für ‚wohlproportioniert’ stehen (vgl. FEW 13, 1, 41), jedoch bleibt der Gesamtzusammenhang zu klären. 5 biada, sonst unbelegt, ist vielleicht mit beatus zu verbinden. Com es ta mal enseynada 279 Wie bist du schlecht unterrichtet Wie bist du schlecht unterrichtet, Germaine, dass du mich nicht lieben willst! Und weißt du überhaupt, dass ich dich so sehr geliebt habe? (I) Ich kann unter der Bettdecke 4 nicht mehr schlafen - so heftige Schmerzen bereitest du mir! Und deine Seele wird verdammt werden, wenn du mich unter den Laken sterben lässt, denn ich habe mein Wasser dem Arzt gezeigt, 8 und er sagt, dass ich keinen Kohl und kein Rindfleisch essen soll - lediglich kleingehackt. (II) Also, bevor es zu spät ist, gib mir das, was du mir zu geben pflegst, 12 denn die Liebe zu dir ist bei mir so angestiegen, dass ich keine fünf Brötchen mehr essen kann ohne frohe Begleitung, und ich trinke nicht mehr als sieben Becher 16 Wein auf einen Schluck! Peguesca 1 Pourquoi donc es-tu si farouche, Germaine, que tu refuses de m’aimer - et tu sais pourtant bien que, moi, je t’ai tant aimée! (I) Je ne puis plus dormir, sous la couverture, tellement tu me fais souffrir; et ton âme en sera damnée, si tu me fais mourir sous les draps! J’ai, en effet, montré mes urines au médecin: il déclare que je ne dois manger ni choux, ni viande de vache, sinon hachée menue. (II) Donne-moi donc, sans retard, ce que tu vais coutume de me donner, car l’amour que je te porte s’est accru au point que je ne puis plus désormais manger que cinq pains, avec tout ce qui les accompagne (? ); et je ne bois plus que sept pots de vin d’un seul trait! 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1971, 164-167). 280 Cerverí de Girona (III) Bon’ombra si t’agra da[da]! Fe que deus a tos fylols, da’m una douç’abraçada, 20 e fare’t, si me’n sols, guonela ben escotada ab pena de cabirols, e garnatxa ben cordada. 24 (IV) Peguesca giroflada: vay e di li que dos dols 1 aya, don sia pagada. (V) La dompna dels Cartz honrada 2 , 28 Sobrepretz, e·l rossynols 3 de may, e l Enfan m’agrada 4 . 1 I. Cluzel denkt an dols ‚Schmerzen’, möglich ist aber auch dols = dous ‚süße Geschenke’. 2 Es ist das senhal von Sibylle d’Ampurias, Witwe von Ramon Folch IV von Cardona. 3 Sobrepetz ist das senhal einer unbekannten Gönnerin Cerverís. 4 ‚Das Kind’ ist Peire von Aragón, der Sohn von Jaume dem Eroberer und König ab 1276. Com es ta mal enseynada 281 (III) Wenn du ein gutes Werk tun willst - bei allem, was du deinen Nachkommen schuldest - gib mir einen süßen Kuss. 20 Und ich werde dir, wenn du meinen Wunsch erfüllst, einen wohlgeschnittenen Rock machen lassen mit einem Rehfutter und einen wohlgeknöpften Mantel. 24 (IV) Mein gewürztes Narrenlied, geh’ zu ihr und sag’ ihr, dass sie zwei Geschenke haben soll, mit denen sie ihren Lohn haben soll. (V) Die geehrte Disteldame, 28 der höchste Preis, die Maiennachtigall und das Kind sind meine Freude. (III) Si tu veux faire une bonne action - par la foi que tu dois à tes filleuls - donne-moi une tendre embrassade. Et, si tu me payes de la sorte, je te ferai une jupe bien taillée, avec une fourrure de chevreuil, et même un manteau bien coupé. (IV) Ma peguesca, parfumée de girofle, va! et dis-lui qu’elle souffre deux douleurs, dont elle soit payée! (V) Voici ce qui me plaît: la Dame des Chardons, Sobrepretz, le rossignol de mai et l’enfant. 282 Guiraut Riquier 7.3 Guiraut Riquier (1230-1292) Guiraut Riquier wird nicht zu Unrecht als der letzte Troubadour bezeichnet, wenn es auch noch spätere Dichter gibt, die an das bel saber de trobar anknüpfen möchten. Was ihnen aber fehlt, ist das höfisch-ritterliche Ambiente, das die von Hof zu Hof ziehenden Dichter-Sänger ernährt und geschätzt hatte. Denn mit den Albigenserfeldzügen ist eine unwiderrufliche Änderung in der Macht- und Sozialstruktur Südfrankreichs eingetreten, die es nicht mehr zuließ, dass in einem höfischen Kosmos eine Idealwelt zelebriert wurde. Zudem hatte die kirchliche Kritik am im Grunde auf Ehebruch ausgerichteten Frauendienst die ideologischen Grundlagen des fin’amor unterminiert. Die bürgerlichen Nachfahren der Troubadours, die in jährlichen Jeux Floraux und in Konsistorien des Gai Saber die Technik der Liedkunst zu erhalten trachteten, setzten im Grunde nur mechanisch und handwerklich fort, was sich überlebt und keinen Bezug zur Außenwelt mehr hatte. Guiraut Riquier ist ein Dichter, der sich verzweifelt, wenn auch erfolglos, gegen das sich abzeichnende Ende der höfischen Dichtung zur Wehr setzte. Er war sich jedoch der Tatsache bewusst, dass er ein Relikt aus einer eigentlich untergegangen Welt war. Seine Sorge galt der Tatsache, dass eine unwissende Umwelt den Unterschied zwischen bufos ‚Straßensänger’, joglars ‚Sänger höfischer Lieder’, trobadors ‚Verfasser und Sänger einfacher Genera’ und doctors de trobar ‚Verfasser und Sänger hoher Dichtung’ nicht mehr zu machen wisse. Von Guiraut Riquier gibt es keine vida. Dafür sind die 101 Dichtungen, die wir von ihm besitzen, in den meisten Fällen in der Überschrift genau datiert. Deshalb können wir also die Stationen seines Lebens einigermaßen verfolgen: Guiraut Riquier ist zwischen 1230 und 1235 in Narbonne geboren, wo er auch die erste Hälfte seines Lebens verbrachte. Er gewann die Gunst des Vicomte Amalric IV. von Narbonne (1239-1270), dem er zwischen 1254 und 1263 einige Gedichte widmete. Die Dame, die er in dieser Zeit verehrte, verbirgt sich unter dem Senhal Belh Deport ‚Schöne Lust’. Wir wissen natürlich nicht, wer das war, und die Vermutungen gehen von der Vizegräfin von Narbonne bis zu der Auffassung von einer rein dichterischen Fiktion. Nach dem Tode von Amalric, dessen der Dichter mit einem planh gedachte, war Guiraut Riquier zwischen 1270 und 1279 am Hofe Alfons des Weisen von Kastilien tätig, den er begeistert feierte und mit dem er auch einen dichterischen Dialog führte. Danach kehrte der Troubadour in seine Hei- Guiraut Riquier 283 mat zurück, blieb aber in Beziehung mit den letzten Zentren der Dichtkunst. Guiraut Riquier hat mehr oder weniger in allen Genera gearbeitet: Wir haben von ihm vers, cansons, sirventés, tensons, descortz, Versbriefe, aber auch seltenere Arten wie die retroencha, die serena, das breu-doble. Besonders bemerkenswert sind seine sechs pastorelas, die im Laufe von 22 Jahren zwischen 1260 und 1282 verfasst wurden und die die Lebensgeschichte einer einzigen pastorela vom jungen Mädchen über die Verlobte, die gerade Verheiratete, die junge Mutter bis zur älteren Witwe mit einer begehrenswerten Tochter darstellen. Unübersehbar ist zudem der religiöse Bezug in einigen Dichtungen: Es gibt eine alba de la maire Dieu und weitere Marienlieder. Strophenstruktur: Pus astres no m’es donatz: fünf coblas singulars (Reimschema: a - b - a - b a - b a - b - c - c) mit demselben refranh in den beiden letzten Versen jeder Strophe. Ad un fin aman fon datz: vier coblas unissonans (Reimschema: a - b - a - b c - d d - e - e) mit demselben refranh in den vier letzten Versen jeder Strophe. Literatur: Anglade, Joseph: Le troubadour Guiraut Riquier. Etude sur la décadence de la poésie provençale, Bordeaux (Feret) 1905. Mölk, Ulrich: Guiraut Riquier, Las Cansos, Heidelberg (Carl Winter) 1962. 284 Guiraut Riquier 7.3.1 Pus astres no m’es donatz La primeira retroencha d’En Guiraut Riquier, facha en l’an MCCLXX (I) Pus astres no m’es donatz 1 que de midons 2 bes m’eschaya, ni nulhs mos plazers 3 no·l platz, ni ai poder que·m n’estraya, 4 ops m’es qu’ieu sia fondatz 4 en via d’amor veraya; e puesc n’apenre assatz en Cataluenha la gaya, 8 entre·ls Catalans valens e las donas avinens. (II) Quar dompneys, pretz e valors, joys e gratz e cortezia, 12 sens e sabers et honors, belhs parlars, bella paria, e larguesa et amors, conoyssensa e cundia 5 16 troban mantenh e secors en Cataluenha a tria 6 , entre·ls Catalans valens e las donas avinens. 20 1 Bei der retroencha handelt es sich um eine Form der Dichtung, die im Provenzalischen erst seit 1220 auftaucht und die aus dem Französischen entlehnt ist. Dort ist die rotrouenge (nach dem Namen Rotrou, wahrscheinlich, weil die frühesten Dichtungen dieses Typs einen Rotrou feierten) die Wiederholung eines musikalischen Satzes mit anschließendem gleichbleibenden Refrain, der vom Publikum mitgesungen wurde. Im vorliegenden Gedicht bilden die zwei letzten Verse der Strophen den Refrain; in der vorangehenden Zeile tritt jeweils en Cataluenha auf. Im angegebenen Entstehungsjahr 1270 starb Amalric IV., der der Gönner von Guiraut Riquier gewesen war. Er verfasste einen planh, musste sich nun aber nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen, wobei er an den Hof von Alfons dem Weisen von Kastilien dachte. Das Lob des - konservativen, die alten Troubadourideale weiterhin schätzenden - Kataloniens ist im Zusammenhang der Orientierung auf die iberische Halbinsel zu sehen. 2 Es handelt sich um die in Vers 23 mit dem Senhal Belh Deport bezeichnete Dame, an die die in Narbonne entstandenen Liebesdichtungen gerichtet sind. 3 plazer hat nicht nur die Grundbedeutung ‚Freude’, sondern bezeichnet auch den ‚Dienst, den der Lehnsmann dem Lehnsherrn gewährt, um ihn zu erfreuen’. 4 fondat hat hier die Bedeutung ‚gründlich unterrichtet’. 5 Hier liegt ein Katalog der positiven Eigenschaften vor, die in der idealen Troubadourwelt vorkommen müssen. 6 a tria heißt ‚im Überfluss’; tria gehört zum Verb triar ‚auswählen’. Pus astres no m’es donatz 285 Weil der Schicksalsstern es mir nicht gegeben hat Die erste Rotrouenge von Herrn Guiraut Riquier, gemacht im Jahre 1270 (I) Weil der Schicksalsstern es mir nicht gegeben hat, dass von meiner Herrin mir Gutes gewährt wird, und weil keine meiner Dienste ihr gefällt, und weil ich nicht auf sie verzichten kann, 4 ist es für mich angebracht, mich gründlich zu unterrichten über den Weg der wahren Liebe; und ich kann darüber viel lernen im heiteren Katalonien, 8 unter wackeren Katalanen und anmutigen Damen. (II) Denn Galanterie, Wert und Tüchtigkeit, Freude und Anmut und Höfischkeit, 12 Verstand und Wissen und Ehre, schöne Sprache, schöne Gesellschaft, dazu Großzügigkeit und Liebe, Kenntnis und Grazie 16 finden Unterstützung und Beistand in Katalonien in hervorragender Art, unter wackeren Katalanen und anmutigen Damen. 20 Retroencha 1 La première rotrouenge de Guiraud Riquier, faite en l’an 1270 (I) Puisque mon destin ne veut pas que de ma Dame me vienne quelque bien, et puisque aucun de mes plaisirs ne lui plaît, et que je n’ai pas le pouvoir de renoncer à elle, il faut bien que je m’instruise sur le chemin de l’amour véritable; et là, je puis en apprendre beaucoup en Catalogne la joyeuse, parmi les Catalans valeureux et leurs dames gracieuses. (II) Car le service des dames, le prix et la valeur, la joie, le bon gré et la courtoisie, la raison, le savoir et l’honneur, les belles paroles, l’agréable compagnie, la largesse et l’amour, la connaissance et le charme: tout cela trouve soutien et secours parmi les Catalans valeureux et leurs dames gracieuses. 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1979, 336-340). 286 Guiraut Riquier (III) Per qu’ieu ai tot mon acort que d’elhs lurs costums aprenda, per tal qu’a mon Belh Deport done razon, que m’entenda, 24 que non ai autre conort que de murir me defenda, et ai cor, per penre port 1 , qu’en Cataluenha atenda, 28 entre·ls Catalans valens e las donas avinens. (IV) E s’ieu entr’elhs non aprenc so per qu’amors guazardona 32 servir als sieus, don dan prenc, no·y a mas qu’om me rebona; quar tant d’afan ne sostenc que m’a gitat de Narbona, 36 e per gandir via tenc en Cataluenha la bona, entre·ls Catalans valens e las donas avinens. 40 1 Mit diesem nautischen Ausdruck ist das Erreichen des Hafens vor dem Sturm gemeint; die Bedeutung ist also: ‚sich retten’. Pus astres no m’es donatz 287 (III) Daher habe ich mein ganzes Sinnen darauf gerichtet, dass ich von ihnen ihr Verhalten erlerne, um meiner Belh Deport einen Grund zu geben, mich zu verstehen, 24 dass ich keinen anderen Trost habe, der mich am Sterben hindern würde, und ich habe die Absicht, um zum Hafen zu gelangen, Katalonien anzustreben, 28 unter wackeren Katalanen und anmutigen Damen. (IV) Und wenn ich unter ihnen nicht das erlange, womit die Liebe belohnt 32 den Dienst Treuen - ich leide davon nur Leiden - dann bleibt es nur noch übrig, mich zu begraben, denn ich erleide so viel Leid, dass es mich aus Narbonne vertrieben hat, 36 und um zu entkommen, bin ich auf dem Weg ins gute Katalonien, unter wackeren Katalanen und anmutigen Damen. 40 (III) J’ai donc mis toute ma résolution à apprendre leurs coutumes, afin de donner à mon Bel Deport quelque raison pour qu’elle m’entende: car je n’ai pas d’autre réconfort qui puisse m’empêcher de mourir, et j’ai le désir, pour arriver à bon port, de me rendre en Catalogne, parmi les Catalans valeureux et leurs dames gracieuses. (IV) Et si je n’apprends point parmi eux ce pourquoi l’amour récompense ceux qui le servent - source de mon dommage -, il ne me reste plus qu’à me faire ensevelir: car j’endure ne douleur telle qu’elle m’a fait fuir de Narbonne, et pour m’y soustraire je me mets en route vers Catalogne la vaillante, parmi les Catalans valeureux et leurs dames gracieuses. 288 Guiraut Riquier (V) Tan suy d’apenre raissos so que d’amar ai fallensa, que nulhs pessars no m’es bos mas selh qu’als verays agensa; 44 e quar no·l say, ad estros 1 vau per bona entendensa querre e trobar cochos en Cataluenha valensa, 48 entre·ls Catalans valens e las donas avinens. 1 ad estros bedeutet ‚voller Entschlossenheit’ oder ‚in Eile’. Pus astres no m’es donatz 289 (V) Ich bin so begierig, zu lernen, was mir beim Lieben noch fehlt, dass kein Gedanke mir gut erscheint außer dem, der den wahren Liebenden gefällt; 44 und weil ich den nicht kenne, gehe ich entschlossen, gutes Verständnis zu suchen und schnell zu finden im wackeren Katalonien, 48 unter wackeren Katalanen und anmutigen Damen. (V) Je suis si soucieux d’apprendre ce qui me fait défaut en amour qu’aucune autre pensée ne m’est agréable que celle qui plaît aux vrais amants; et comme je ne le sais pas, je m’en vais sans plus attendre, pour en être éclairé, chercher et trouver, en toute hâte, secours en Catalogne, parmi les Catalans valeureux et leurs dames gracieuses. 290 Guiraut Riquier Ad un fin aman fon datz Serena d’En Guiraut Riquier, l’an MCCLXIII (I) Ad un fin aman fon datz 1 per sidons respiegz d’amor, e·l sazos e·l luecx mandatz; e·l jorn que·l ser dec l’onor 4 penre, anava pessius e dizia sospiran: - Jorns, ben creyssetz a mon dan, e·l sers 8 auci·m e sos loncx espers. (II) Tant era l’amans cochatz de la deziran ardor del joy que l’er’autreyatz, 12 qu’elh se dava gran temor que·l ser non atendes vius. E dizia sospiran: - Jorns, ben creyssetz a mon dan, 16 e·l sers auci·m e sos loncx espers. 1 Die serena, die die ungeduldige Erwartung der Nacht der Liebe durch den aman zum Gegenstand hat und die eine Art Gegenstück zur alba darstellt, wurde von Guiraut Riquier in die provenzalische Literatur eingeführt. Ad un fin aman fon datz 291 Einem vollendeten Liebenden wurde Serena von Herrn Guiraut Riquier, aus dem Jahre 1283 (I) Einem vollendeten Liebenden wurde von seiner Dame Hoffnung auf Liebe gewährt, und Zeit und Ort dafür festgelegt; und am Tag, an dem er die Ehre 4 empfangen sollte, ging er in Gedanken, und er sagte seufzend: - Tag, du bist zu meinem Schaden lang, und der Abend 8 tötet mich und das lange Warten darauf. (II) So sehr war der Liebende bedrängt vom verlangenden Sehnen nach der Freude, die ihm versprochen war, 12 dass er große Furcht hegte, den Abend nicht mehr lebend zu erreichen. Und er sagte seufzend: - Tag, du bist zu meinem Schaden lang, 16 und der Abend tötet mich und das lange Warten darauf. Serenada 1 (I) A un amant fidèle, sa dame lui donna un délai d’amour, fixant le temps et le lieu du rendez-vous. Et le jour où, le soir venu, il devait obtenir grand honneur, l’ami s’en allait pensif, et il disait en soupirant: «Jour, tu crois pour mon dommage, et le soir me tue en me faisant si longtemps attendre.» (II) L’amant était si impatient, si consumé du désir de jouir de l’amour qu’on devait lui octroyer, qu’il craignait de ne point vivre jusqu’au soir. Et il disait en soupirant: «Jour, tu crois pour mon dommage, et le soir me tue en me faisant si longtemps attendre.» 1 Die neufranzösische Übersetzung stammt von Pierre Bec (1979, 334-336). 292 Guiraut Riquier (III) Nulhs hom non era de latz a l’aman de sa dolor 20 no conogues, tant torbatz era ab semblan de plor; tant li era·l jorns esquius. E dizia sospiran: 24 - Jorns, ben creyssetz a mon dan, e·l sers auci·m e sos loncx espers. (IV) Mout es greus turmens astratz 28 a selh qu’ab nulh valedor no·s pot valer; donc gardatz d’est aman en qual langor era·l jorn d’afan aizius. 32 E dizia sospiran: - Jorns, ben creyssetz a mon dan, e·l sers auci·m e sos loncx espers. 36 Ad un fin aman fon datz 293 (III) Niemand kam in die Nähe des Liebenden, der seinen Schmerz 20 nicht erkennen würde, so verwirrt war mit einem weinenden Gesicht; so sehr war ihm der Tag verhasst. Und er sagte seufzend: 24 - Tag, du bist zu meinem Schaden lang, und der Abend tötet mich und das lange Warten darauf. (IV) Sehr schwer ist das Leiden, das dem bestimmt ist, 28 der mit keinem Beschützer rechnen kann; betrachtet also diesen Liebenden, in welcher Ermattung er den Tag der Erwartung erlebte. 32 Und er sagte seufzend: - Tag, du bist zu meinem Schaden lang, und der Abend tötet mich und das lange Warten darauf. 36 (III) Personne ne s’approchait de l’amant sans s’apercevoir de sa douleur, à en juger par son trouble et son visage en pleurs, tant le jour lui était pénible. Et il disait en soupirant: «Jour, tu crois pour mon dommage, et le soir me tue en me faisant si longtemps attendre.» (IV) Quel affreux tourments inflige la destinée à l’amoureux sans soutien! Pensez donc dans quelle langueur était notre amant tout le jour, accablé de chagrin. Et il disait en soupirant: «Jour, tu crois pour mon dommage, et le soir me tue en me faisant si longtemps attendre.» Europäische Nachwirkungen der Troubadourdichtung 296 Einführung 0. Einführung Bei den Troubadours gehörte die Unstetigkeit des Lebens, das Reisen von einem Hof zum anderen, das Vertrauensverhältnis zu verschiedenen Gönnern und die Verehrung von Damen mit unterschiedlichem geographischen Hintergrund zu den Grundbedingungen der dichterischen Tätigkeit. Angesichts der Tatsache, dass man im 12. und 13. Jahrhundert noch ein starkes Gefühl für die Einheitlichkeit des romanischen Raumes hatte, ist es selbstverständlich, dass die Reisetätigkeit der Sänger nicht an den Grenzen aufhörte, die wir heute dem provenzalischen Sprachgebiet setzen, sondern dass sie ganz selbstverständlich auch die reichen Residenzen der benachbarten Gebiete einbezogen. So finden wir provenzalische Sänger in Barcelona und anderen Städten Kataloniens, wo ja auch der enge Grad der Verwandtschaft zwischen Katalanisch und Provenzalisch die Verständlichkeit der Dichtungen garantierte. Aber auch das eigentlich spanische Sprachgebiet gehörte zum Reiseprogramm der Troubadours: Mindestens 25 Troubadours hielten sich, beginnend mit Marcabru, längere Zeit an den Höfen von Kastilien, León und Navarra auf (Alvar, 1977, 287). Aber nicht nur über die Pyrenäen, sondern auch über die Alpen gelangte der Ruhm der neuen provenzalischen Dichtungsart: Die Höfe von Monferrato in Piemont, von Ferrara, von Lunigiana bildeten Anziehungspunkte. Raimbaut de Vaqueiras verbrachte beispielsweise einen großen Teil seines Lebens in Norditalien. Aber die Troubadourdichtung war nicht nur ein Importprodukt, es gab auch Troubadours, die nicht im provenzalischen Sprachgebiet zu Hause waren: Zu nennen sind beispielsweise die Katalanen Berenguer de Palou, Guilhelm de Cabestanh, dessen Herz nach der vida seiner Dame von ihrem Ehemann wohlgeröstet und gewürzt zur Speise vorgesetzt wurde (fetz lo cor raustir e far a pebrada, e fetz lo dar a manjar a la moiller), und Cerverí de Girona, immerhin der Troubadour, von dem uns die meisten Dichtungen erhalten sind. Auch in Italien wurde auf Provenzalisch gedichtet: Es gibt mehr als 30 Dichter, unter denen Lanfranc Cigala, Bonifaci Calvo und Sordel die bekanntesten sind. Man kann geradezu sagen, dass sich eine Entwicklung anbahnte, in der Gattung und für diese Gattung geeignete Sprache einander zugeordnet wurden: Für die Liebesdichtung im Troubadourstil bediente man sich des Provenzalischen, für das Heldenlied griff man auf das Französische zurück, theologische und historische Werke wurden auf Latein abgefasst. Diese sich anbahnende Genus-Sprache- Zuordnung, die ein wenig an ähnliche Tendenzen im klassischen Griechenland erinnert (dorisch für die Chorlyrik, äolisch für die monodische Lyrik, ionisch-attisch für die Dramatik und die Prosa), setzte sich jedoch niemals Einführung 297 wirklich vollständig durch, weil es von Anfang an Ausnahmen gab und weil etwa von 1150 an eine neue Richtung ihren Siegeszug antrat, nämlich die Abfassung aller Genera im jeweiligen Heimatidiom des Dichters. In Nordfrankreich finden wir zum ersten Male eine Dichtkunst, die die verschiedenen Ausprägungen der Troubadourlyrik (chanson d’amour, plainte funèbre, tenson, sirventés, pastourelle, aube, ballade usw.) in einer anderen Sprache, eben auf Französisch (bzw., genauer gesagt, in verschiedenen regionalen Ausprägungen der Volkssprache im nördlichen Frankreich) verfasste. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Richard Löwenherz, Gace Brulé, Thibaut de Champagne, Adam de la Halle, der Châtelain de Coucy und Conon de Béthune. Es ist eine viel diskutierte und letztlich nicht gelöste Frage, auf welchem Wege der Durchbruch des Gebrauchs einer nicht-provenzalischen Sprache für die von den Troubadours erfundenen Dichtungsformen erfolgte. Man kann denken, dass die Epoche, in der Eleonore von Aquitanien französische Königin war (1137-1152) und ihre beiden Töchter Marie de Champagne und Aélis de Blois Mittelpunkte des kulturellen Lebens waren, die neue Richtung gefördert hat, man mag an Beeinflussungen während der Kreuzzüge denken, wo Ritter aus allen Gegenden Europas zusammentrafen, man kann an den Versuch denken, das Blühen der südfranzösischen Poesie mit eigenen Kräften im Norden nachzuahmen - jedenfalls wurde die Dichtung der trouvères, wie sich die nordfranzösischen Sänger in Abgrenzung von ihren südlichen Kollegen nannten, „vite une mode quasi tyrannique dans les brillantes cours de l’Ilede-France ou de la Champagne” (Bec, 1970, 82). Von Frankreich gelangte die Troubadourdichtung nach Deutschland, wo die Zeit der Minnesänger von etwa 1150 bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts dauerte. Auch hier sind die Wege der Übernahme der provenzalischen Formen nicht wirklich geklärt: Im Westen Deutschlands ist sicher an die französischen trouvères zu denken, die gemeinsame Zeit während der Kreuzzüge hat bestimmt eine Rolle gespielt, für den süddeutschösterreichischen Raum ist auch an Vortragsreisen provenzalischer Troubadours zu denken - Peire Vidal ist beispielsweise bis nach Ungarn gekommen! Der deutsche Minnesang hat von Anfang an neben seiner höfischen Komponente, der hohen Minne, auch eine Variante, die die Ungleichheit zwischen der Dame und ihrem Verehrer weniger stark betont und in der niederen Minne auch das frouwelin als gleichberechtigtere Partnerin auftreten lässt. Insgesamt gilt wohl, dass die Weiterentwicklung der Liebesauffassung im deutschen Bereich am weistesten gediehen ist und dass trotz der Gleichartigkeit der Ausgangspunkte und der schließlichen Abhängigkeit vom provenzalischen Vorbild das Anstreben einer eins-zu-eins- Gleichung kaum möglich ist. Trotz der großen Zahl provenzalischer Troubadours, die in Italien geboren sind, war doch auf lange Sicht die Wahl einer fremden Sprache für 298 Einführung eine bestimmte Art der Dichtung nicht zukunftsweisend. In Süditalien begann der Versuch, die eigene Sprache zu verwenden, und dieser Versuch, der den eigentlichen Beginn der italienischen Kunstdichtung markiert (Elwert, 1997, 205), hängt mit dem Hof von Palermo zusammen, an dem Friedrich von Hohenstaufen (1194-1250, Kaiser seit 1220), der auch selbst dichterisch tätig war, eine Gruppe von Dichtern (die sogenannte Sizilianische Dichterschule) um sich versammelte, zu der hohe Staatsbeamte wie Giacomo da Lentini, Pier della Vigna, Giacomino Pugliese und Guido delle Colonne gehörten. Kurz nach Friedrichs Tod kam das Ende dieser scuola siciliana, die jedoch über Guido Cavalcanti und den dolce stil nuovo auf Dante eingewirkt hat und so eine Verbindung zwischen der provenzalischen Troubadourlyrik und der entstehenden literarischen Tradition Italiens hergestellt hat. Eine spanische Variante der Troubadourdichtung gibt es nicht. Der Weg war versperrt durch eine Übernahme, die an der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert aufkam und ihre Blütezeit zwischen 1240 und 1250 hatte: die sogenannte galicisch-portugiesische Dichtung. Dom Sancho I., der von 1185 bis 1211 portugiesischer König war, initiierte mit einer cantiga de amigo, also mit einem einer Frau in den Mund gelegten Lied über die Ferne des Geliebten, die Dichtungstradition, die zahlreiche Liebes- und Frauenlieder, aber auch Spottlieder (cantigas de escarnho), umfasst. Als Vertreter dieser Richtung sind Jo-o Garcia de Guilhade, Pero Garcia Burgalès und Airas Nunes zu nennen. Für den iberischen Raum entwickelte sich das Galicisch- Portugiesische zu einer lyrischen Genussprache, weswegen König Alfons X. mit dem Beinamen „der Weise”, der von 1252 bis 1284 auf dem kastilischen Thron saß und als der große Inspirator der mittelalterlichen Gelehrsamkeit und des Schrifttums in Spanien gilt, seine Cantigas de Santa Maria, 450 lyrische Gesänge zum Lob der Gottesmutter, in dieser Sprache abfasste. Die europäische Bedeutung der Troubadourdichtung kann man kaum zu hoch einschätzen: Sie reicht von der massiven Rolle für die Aufwertung der Stellung der Frau, die sich ja bis heute in Benimmregeln auswirkt, die Frauen den Vortritt lassen, bis zur Beeinflussung der poetischen Regel für die Lyrik - der Reim, die Strophe, auch das Sonett sind ohne die Troubadours und ihre Nachahmer in anderen Sprachen nicht denkbar. Einführung 299 Europäische Verbreitung der troubadouresken Lyrik Quelle: nach Bogin, 1976, 62. Giacomo da Lentini 301 1. Italien: Giacomo da Lentini (vor 1200-1250) Die Art der Troubadourdichtung wurde in Italien in zweierlei Art rezipiert: Zum einen gab es einige meist aus Norditalien stammende Dichter (Bonifacio Calvo, Sordel, Bartolomeo Zorzi), die die Dichtungsformen, aber auch die Sprache übernahmen und also zusammen mit den aus Südfrankreich oder aus Katalonien stammenden Dichtern betrachtet werden müssen. Zum anderen gab es Versuche, eine Literarisierung der eigenen Sprache in den Dienst poetischer Versuche nach provenzalischem Modell zu stellen. In diesen Zusammenhang ist die „Sizilianische Dichterschule” (scuola siciliana) zu sehen, die sich am Hofe des selbst dichterisch tätigen Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) und seines Sohnes Manfred (1232- 1266) herausbildet. Die dort herrschende gebildete und kunstbeflissene Atmosphäre formte den geeigneten Nährboden für eine aristokratische Liebeslyrik, die ihre Inspirationen im Vorbild der Troubadours fand. Die Dichter der scuola siciliana, neben Friedrich II. sein Großkanzler Pier della Vigna, Cielo d’Alcamo, Guido delle Colonne, Jacopo Mostacci und vor allem der von allen poeti siciliani respektvoll genannte Giacomo da Lentini, schufen auf der Basis eines von Regionalismen weitgehend befreiten Sizilianisch eine erste überregional akzeptierte Dichtersprache, die die Grundlage für die spätere Literatursprache bildete. Diese kam in der Toskana über die Dichter des dolce stil novo in den Werken von Dante, Petrarca und Boccaccio zum Durchbruch. Giacomo da Lentini war Notar am Hofe von Kaiser Friedrich. Dante hebt den Notaro (Purg. 24, 56), ohne seinen Namen zu nennen, als einen Vertreter der sizilianischen Schule hervor, der sich „gepflegt” (polite) ausdrückte und „höfische Ausdrücke” (vocabula curialiora) in seine Dichtungen einbrachte (Vulg. Eloq. I 12, 8). Von Giacomo da Lentini sind uns etwa 40 Gedichte erhalten, und in einigen Tenzonen tritt er, z.B. in der Tenzone sulla natura d’amore, als ausschlaggebender Gesprächspartner auf. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er der Erfinder des Sonetts. Literatur: Bertoni, Giulio: I trovatori d’Italia, Modena (Orlandini) 1915 [Nachdruck: Roma (Società multigrafica) 1967]. Contini, Gianfranco: Letteratura italiana delle origini, Firenze (Sansoni) 1970. Panvini, Bruno: La scuola poetica siciliana, Firenze (Olschki) 1955. 302 Giacomo da Lentini 1.1 Io m’aggio posto in core a Dio servire (I) Io m’aggio posto in core a Dio servire, 1 com’io potesse gire in paradiso, al santo loco ch’aggio audito dire, u’si mantien sollazzo, gioco e riso. 4 (II) Sanza mia donna non vi voría gire, quella c’ha blonda testa e claro viso 2 , ché sanza lei non potería gaudere, estando da la mia donna diviso. 8 (III) Ma non lo dico a tale intendimento perch’io peccato ci volesse fare 3 ; se non veder lo suo bel portamento, (IV) e lo bel viso e’l morbido sguardare; 12 ché lo mi tería in gran consolamento veggendo la mia donna in ghiora stare 4 . 1 Der Text ist der Ausgabe von Contini, 1970, 48 entnommen. 2 Das klare Gesicht ist das Resultat der alles überstrahlenden Schönheit. 3 Das Ziel ist nicht die sinnliche Liebe. 4 Mit in ghiora wird auf in paradiso (Vers 2) zurückverwiesen. Das Paradies ist für den Dichter nur erstrebenswert, wenn er sich dort zusammen mit seiner Dame aufhalten kann. Io m’aggio posto in core a Dio servire 303 Ich habe mir ins Herz gelegt, Gott zu dienen (I) Ich habe mir ins Herz gelegt, Gott zu dienen, damit ich ins Paradies kommen könnte, zum heiligen Ort, von dem ich habe sagen hören, wo Freude, Spiel und Lachen immer anhält. 4 (II) Ohne meine Dame möchte ich nicht dorthin gehen, diejenige, die einen blonden Kopf und einen klares Gesicht hat, denn ohne sie könnte ich keine Freude empfinden, getrennt von meiner Dame. 8 (III) Ich sage das aber nicht in der Absicht, weil ich damit auf eine Sünde aus wäre, sondern um ihr schönes Auftreten zu sehen (IV) und ihr schönes Gesicht und ihren sanften Blick; 12 denn es würde mir ein großer Trost sein, meine Dame im Ruhm zu sehen. 304 Alfonso X el Sabio 2. Spanien: Alfonso X el Sabio (1221-1284) Alfons X. von Kastilien und León, der schon zu Lebzeiten als der Weise bezeichnet wurde, war politisch und militärisch einer der erfolglosesten spanischen Könige: Nach seiner Thronbesteigung hatte er mit vielfacher Opposition seiner Familienangehörigen und mit Adelsrevolten zu ringen, er kämpfte mit wenig Erfolg gegen die Mauren, bewarb sich erfolglos um die deutscher Kaiserkrone und starb schließlich, von seinem Sohn Sancho abgesetzt, in Sevilla, der letzten ihm ergebenen Stadt. Hingegen war Alfons ein begnadeter Wissenschafts- und Literaturorganisator, der eine Renaissance der Bildung im 13. Jahrhundert einleitete. Am Hofe von Toledo wurden neben der lateinisch-romanischen Schriftkultur auch die arabische und hebräische Literatur gepflegt; Übersetzungen sicherten den Werken eine Verbreitung außerhalb ihres Ursprungsgebietes. Alfons war der Initiator einer umfangreichen volkssprachlichen Literatur. Er ist der Begründer einer „nationalen” Geschichtsschreibung (Primera Crónica General de España), aber auch einer monumentalen - und unvollendet gebliebenen - Weltgeschichte (General Estoria). Darüber hinaus ließ er astrologische und geographische Werke schreiben und verfasste selbst weltliche sowie vor allem geistliche Lyrik. Die Cantigas de Santa María sind zwischen 1257 und 1279 entstanden. Diese 62 Gedichte de loor de Santa María, zum Lobe der Heiligen Maria, die in der Tradition der zeitgenössischen Marienwunder stehen, sind in der dem Portugiesischen nahestehenden Sprache der galicischen Spielleute verfasst, die die Dichtungsart der provenzalischen Troubadours übernommen und den lokalen Bedingungen Galiciens angepasst haben. In diesem Zusammenhang sind einige Genera besonders in den Vordergrund getreten, beispielsweise die Spottlieder (cantigas de escarnio) und die Mädchenlieder, die sich nach ihren Freunden sehnenden Frauen in den Mund gelegt wurden (cantigas de amigo), besonders aber die religiösen Marienlieder, in denen prinzipiell die Jungfrau Maria die Stellung der idealisierten Minnedame einnimmt. Das folgende Gedicht steht am Anfang der Gedichtsammlung. Es geht von der Metapher der Jungfrau Maria als schönster Blume aus, die auf die Marienlitanei zurückgeht. Die Eigenschaften der geliebten (idealisierten, aber jedenfalls menschlichen) Dame der Troubadours (beldad, parecer) verschmelzen mit religiösen Marienattributen (alegría, prazer), und die Verehrung dieser erhabendsten Dame bringt den trobador (Vers 22) dazu, alle anderen Damen zu vergessen. Alfonso X el Sabio 305 Literatur: Mettmann, Walter (ed.): Alfonso X. o Sabio: Cantigas de santa Maria. 2 Bände, Vigo (Xerais de Galicia) 1981. Fidalgo, Elvira / Muíña, Milagros / Magán Abelleira, Fernando / Botana Villar, María Xesús: As Cantigas de Loor de Santa María (edición e comentario), Santiago de Compostela (Xunta de Galicia) 2003, 70-79. 306 Alfonso X el Sabio 2.1 Rosa das rosas et Fror das frores Esta é de loor de Santa Maria, com’é fremosa et bõa, et á gran poder. (I) Rosa das rosas et Fror das frores, 1 Dona das donas, Sennor das sennores. (II) Rosa de beldad’e de parecer, 2 et fror d’alegría et de prazer, 4 Dona en mui pïadosa seer 3 , Sennor en toller coitas et doores. 4 (III) Rosa das rosas et Fror das frores, Dona das donas, Sennor das sennores. 8 (IV) Atal Sennor dev’ome muit’amar que de todo mal o pode guardar, e pode-ll’os peccados perdõar, que faz no mundo per máos sabores 5 . 12 (V) Rosa das rosas et Fror das frores, Dona das donas, Sennor das sennores. (VI) Devemo-la muit’amar e servir, ca punna de nos guardar de falir; 6 16 des i dos errors nos faz repentir que nos fazemos come pecadores. (VII) Rosa das rosas et Fror das frores, Dona das donas, Sennor das sennores. 20 (VIII) Esta Dona que tenno por Sennor e de que quero seer trobador, se eu per ren poss’aver seu amor, dou ao demo os outros amores. 7 24 (IX) Rosa das rosas et Fror das frores, Dona das donas, Sennor das sennores. 1 Der Text entstammt der Ausgabe vom Mettmann, 1981, Bd. 1, 133. 2 beldad bezieht sich auf die äußere und innere Schönheit, während parecer nur die äußere Erscheinungsform der Dame meint. 3 seer < lat. sedere meint das gesellschaftliche Auftreten. 4 señor wird - wie don im Provenzalischen - auch auf Frauen bezogen. 5 sabor ist das geschmackliche Wohlbefinden, das vom Vergnügen verursacht wird. Alfons bezieht sich hier auf die marianische Fähigkeit zur Vergebung der Sünden. 6 puñar < lat. pugnare heißt ‚kämpfen, sich einsetzen’. 7 demo < lat. daemon meint die üblen Geister der Hölle, die espíritos impuros. Rosa das rosas et Fror das frores 307 Rose der Rosen und Blüte der Blüten Dieses Gedicht dient dem Lob der Heiligen Maria, wie sie schön und gut ist und große Macht hat. (I) Rose der Rosen und Blüte der Blüten, Dame der Damen, Herrin der Herrinnen. (II) Rose der Schönheit und des Aussehens, und Blüte der Freude und des Vergnügens; 4 Dame von sehr frommem Auftreten, Herrin im Wegnehmen der Sorgen und Schmerzen. (III) Rose der Rosen und Blüte der Blüten, Dame der Damen, Herrin der Herrinnen. 8 (IV) Eine solche Herrin muss man sehr lieben, denn sie kann vor allem Übel bewahren, und sie kann alle Sünden vergeben, die auf der Welt durch üble Vergnügungen entstehen. 12 (V) Rose der Rosen und Blüte der Blüten, Dame der Damen, Herrin der Herrinnen. (VI) Wir müssen sie sehr lieben und ihr dienen, denn sie setzt sich dafür ein, uns vor Sünden zu bewahren; 16 diese und alle Verfehlungen lässt sie uns bereuen, die wir als Sünder begehen. (VII) Rose der Rosen und Blüte der Blüten, Dame der Damen, Herrin der Herrinnen. 20 (VIII) Jene Frau, die ich für die Herrin halte und deren Sänger ich sein will - wenn ich um irgendeinen Preis ihre Liebe erwerben kann, schicke ich jede andere Liebe zum Teufel. 24 (IX) Rose der Rosen und Blüte der Blüten, Dame der Damen, Herrin der Herrinnen. 308 Oswald von Wolkenstein 3. Deutschland: Oswald von Wolkenstein (1377-1445) Oswald von Wolkenstein, oft als der letzte Minnesänger bezeichnet, lebte mehr als zwei Jahrhunderte nach der Blüte der provenzalischen Dichtkunst. Er entstammt einer Tiroler Adelsfamilie, die sich nach Schloss Wolkenstein im Grödnertal benannte. Dort hat Oswald sich zeitweise aufgehalten. Er verließ sein Elternhaus mit zehn Jahren und bereiste die Welt, von England bis Persien, von Russland bis Spanien und Portugal, von Marokko bis Ungarn. Oswald von Wolkenstein beteiligte sich an Kreuzzügen gegen die Slaven und gegen die Mauren und nahm wahrscheinlich am Italienfeldzug König Ruprechts teil. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts unternahm er eine Pilgerreise ins Heilige Land. Ab 1415 setzte ihn König Sigismund in seinen Auseinandersetzungen mit Herzog Friedrich IV. als Verbindungsmann zum Tiroler Adel ein. 1421 bis 1423 war er Gefangener Friedrichs. In seiner Jugend hatte Oswald eine Dame besungen, die er gelegentlich Hausmannin nennt. Nach seiner Heirat mit der attraktiven Adligen Margarete von Schwangau (Do fraig amors, Verse 41 und 5) richten sich einige seiner Liebesgedichte an die eigene Frau (eine im provenzalischen Kontext undenkbare Wendung! ), ohne dass er den Blick für die Reize anderer Damen verloren hätte. 1445 ist Oswald, der im Alter nur noch geistliche Lieder verfasste, in Meran gestorben. Wir haben Oswald von Wolkenstein unter den zahlreichen deutschen Dichtern, die in der Tradition der provenzalischen Poesie stehen, ausgewählt, weil er der einzige deutsche Autor ist, der an die Vorgabe der mehrsprachigen Gedichte anknüpfte und dabei romanisches Sprachmaterial verwendete (vgl. Spitzer, 1920; Plangg, 1963; Wachinger, 1977; Kuen, 1991). Im Folgenden wird ein Gedicht wiedergegeben, in dem Oswald, der sich auf seine Reisen durch die damals bekannte Welt sichtlich viel zu Gute hielt, sieben Sprachen verwendet hat, nämlich deutsch, lateinisch, flämisch, ungarisch, windisch (= slovenisch), französisch und welsch (= grödnerisch und italienisch). Ein großes Kunstwerk ist das Gedicht nicht: Oswald von Wolkenstein ist stolz auf seine (nicht sehr tiefgehende) Sprachkenntnis und kombiniert, oft mit der Brechstange, die sprachlichen Versatzstücke zu einem inhaltlich banalen Zusammenhang. In der Handschrift steht über der Zeile jeweils eine Sprachangabe, und es gibt eine neben den Text gesetzte deutsche Übersetzung. Der folgende Textabdruck, der auf Spalten verteilt ist, folgt den Vorgaben der Edition von Heinrich Kuen (1991, 123f.). Oswald von Wolkenstein 309 Literatur: Klein, Karl Kurt: Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, Tübingen (Niemeyer) 1987. Kuen, Heinrich: „Rätoromanisches bei Oswald von Wolkenstein”, in: Kuen, Heinrich: Beiträge zum Rätoromanischen, Innsbruck (Romanistisches Seminar) 1991, 120-143. Plangg, Guntram: „Romanisches in der Dichtung Oswalds von Wolkenstein”, in: Plangg, Guntram / Tiefenthaler, Eberhard (edd.): Weltoffene Romanistik. Festschrift für Alwin Kuhn, Innsbruck (Romanistisches Seminar) 1963, 51-66. Spitzer, Leo: „Romanisches bei Oswald von Wolkenstein”, in: Neuphilologische Mitteilungen 21, 1920, 72-77. Wachinger, Burghardt: „Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein”, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 106, 1977, 277- 296. 310 Oswald von Wolkenstein 3.1 Do fraig amors (I) Do frayg amorß 1 , Ach wars mein lieb, franczoß adiuva me! hilf mir! latinisch Ma loat 2 , Mein pherd, ungrisch, min orß 3 , mein ross, flemmsch 4 nay moy serce 4 , darczu mein hercz windisch rennt mit gedankh, rennt mit gedankh, tewczsch fraw, pur ä ti 5 . fraw, newr zu dir. welsch Eck lopp, eck slapp 6 , Ich louff, ich slaff, flemmsch 8 vel quo vado, oder wo ich ker, lateinsch wesegg 7 wërlich ungrisch mein kraph mein kraph tewczsch ne dirs dobro 8 . der halt nicht vast. windisch Jw sglaff ee frankh 9 Ich aigen und frey welsch 12 merschy voys gri 10 . dir denklich schry. franczoß Repeticio Tewczsch, welchisch [mach, franczoisch lach, ungrischen wach, 16 brot windisch bach, flemming, so krach, latein di sybend [sprach. (II) Mille schenna 11 , Zart liebstes weip windisch 20 yme 12 , see hin, ungrisch man gür 13 mein hercz, franczoß per omnia überall lateinsch 1 Frz. de vrai amours. 2 Ungar. maga lovat (? ). 3 Altfläm. mijn (h)ors. 4 Slov. naj mój srcé. 5 Grödn. pur a ti. 6 Fläm. ik loop, ik slaap. 7 Ungar. vészek. 8 Slov. ne drži dobro. 9 Altgrödn. iu sclaf e franch. 10 Frz. merci (pikardisch merchi) vous crie. 11 Slov. mila žêna. 12 Ungar. ime. 13 Frz. mon cœur. Do fraig amors 311 meins leibes spür. meins leibes spür. tewczsch 24 Cenza befiw 14 An allen spot welsch met schoner war 15 mit schönem werd flemmisch dutt serviray 16 , ich din dir gancz, welsch pur tschätti gaiß, newr was du wilt, windisch 28 nem tudem 17 , und waiß nit, ungrisch fray 18 , für war, franczoß kain falsche raiß. kain falsche raiß. tewczsch Got wet wol, twyw Got waiß wol, wie flemmisch 32 eck de 19 ich dich amar. lieb hab. lateinsch Repeticio Tewczsch, welchisch [mach, franczoisch lach, 36 ungrischen wach, brot windisch bach, flemming, so krach, latein di sybend [sprach. (III) 40 De mit mundesch 20 , Newr was du wilt, ungrisch Margrita well 21 , mein schöne Gret, welsch ex profundes awß ganczen gründen latein das tün ich snell. d[a]z tün ich snell. tewczsch 44 Dat loff 22 , D[a]z glawb, flemmsch draga Griet 23 , liebe Gret, windisch per ma foy 24 ! awf mein trew! franczoß In recomnisso 25 In dein pefelhnuß lateinisch 48 dyors ee not 26 tag und nacht franczoß mi ty conmando 27 , mich dir enphilch, welsch 14 Grödn. zënza befi 15 Fläm. met schone waarde. 16 Altgrödn. dut servirai. 17 Ungar. nem tudom. 18 Frz. vrai. 19 Fläm. God weet wel, toe ik di 20 Ungar. de mit mondes. 21 Grödn. bel(a). 22 Fläm. dat geloof. 23 Slov. drága. 24 Frz. par ma foi. 25 Lies in recommisso. 26 Es muss frz. jour et nuit gemeint sein, aber es dürfte eine Dialektform zugrunde liegen. 312 Oswald von Wolkenstein wo ich trott. wo ich trott. tewczsch Jambre 28 , Liebe, ungrisch twoya 29 , newr dein, windisch 52 all opp mi troy 30 . all awf dein 31 trew. flemmisch Repeticio Tewczsch, welchisch [mach, franczoisch lach, ungrischen wach, 56 brot windisch bach, flemming, so krach, latein di sybend [sprach. 27 It. mi ti commando. 28 Ungar. jámbor. 29 Slov. tvója. 30 Fläm. al op mi(nen) trouw(en). 31 Man muss wohl zu mein konjizieren. Conon de Béthune 314 4. Frankreich: Les trouvères 4.1 Conon de Béthune (1150-1220) Conon de Béthune stammte aus einer bedeutenden pikardischen Adelsfamilie. Er scheint am dritten Kreuzzug (1189-1193) teilgenommen zu haben, kehrte von ihm allerdings verfrüht zurück. Im vierten Kreuzzug (1202- 1204) spielte er eine wichtige Rolle: Der Geschichtsschreiber Geoffroy de Villehardouin berichtet über seine Verhandlungen mit den byzantinischen Kaisern Alexius III. und IV. Im lateinischen Kaiserreich, das nach der Einnahme Konstantinopels durch die Kreuzfahrer errichtet wurde, machte er Karriere: Er wurde 1217 Seneschall und 1219 Reichsregent. Unter dem Namen Conon (Rektusform: Cuenes, auch Quenes) sind 14 Dichtungen im pikardischen Dialekt des Altfranzösischen erhalten, von denen ihm aber nur zehn mit Sicherheit zugeschrieben werden können. Einen besonderen Bekanntheitsgrad erlangte er durch die beiden unter seinem Namen laufenden Kreuzzugslieder, von denen vor allem das 1188 verfasste, zum dritten Kreuzzug aufrufende Ahi, Amours! com dure departie eine verbreitete Überzeugung ausdrückte: Der Körper begibt sich in Aufbruchbegeisterung ins heilige Land, die Seele aber bleibt bei der Geliebten. Die religiöse Pflicht erfordert es, Gott nicht im Stich zu lassen und für ihn den Kriegsdienst zu verrichten, aber für die Tapferkeit gebührt dem Kämpfer auch die ungeteilte Liebe der Dame, deren höfische Ehre ihr die Treue zum edelsten Ritter, der für Gott im Heiligen Land kämpft, zur Herzenspflicht macht. Die eigentlichen Liebesdichtungen von Conon de Béthune sind nach konventionellen Mustern abgefasst, verraten aber durchaus einen eigenständigen Umgang mit den Gegebenheiten der Gattung und zeigen Ansätze eines gewissen Humors. Das folgende Dialoglied (débat) zwischen einer Dame, die, als sie noch jung und ansehnlich war, den um sie werbenden Dichter abgewiesen hatte und ihm im fortgeschrittenen Alter alle Wünsche erfüllen will, und dem Ritter, der diesen verspäteten Versuch mit wenig schmeichelhaften Worten zurückweist, denn eine Dame wird nicht wegen ihres hohen Ranges verehrt, sondern weil sie schön, höfisch und klug ist. Während die Dame bei den provenzalischen Dichtern im Allgemeinen zeitlos-jung ist, ist bei Conon der Gedanke an den körperlichen Verfall bemerkenswert, der unweigerlich einsetzt, wenn der rechte Augenblick für die hohe Liebe verstrichen ist. Auffällig ist, dass bei der Dame der Moment der Jugendblüte thematisiert wird, während das Alter des Ritters offenbar keine Rolle zu spielen scheint. Conon de Béthune 315 Literatur: Rieger, Dietmar (ed.): Mittelalterliche Lyrik Frankreichs II: Lieder der Trouvères. Stuttgart (Reclam) 1983. Rosenberg, Samuel N. / Tischler, Hans (edd.): Chansons des trouvères, Paris (Librairie Générale Française) 1995, 368-379. Wallensköld, Axel: Les chansons de Conon de Béthune, Paris (Champion) 1921. 316 Conon de Béthune 4.1.1 Ahi, Amours! com dure departie (I) Ahi, Amours! com dure departie 1 me convendra faire de la meillour qui onques fust amee ne servie! Deus me ramaint a li par sa douçour 4 si voirement que m’en part a dolour. Las! qu’ai je dit? Ja ne m’en part je mie! Se li cors vait servir nostre Seignour, li cuers remaint du tout en sa baillie. 8 (II) Pour li m’en vois souspirant en Surie 2 , quar je ne doi faillir mon Creatour. Qui li faudra a cest besoing d’aïe, sachiez que il li faudra a greignour; 12 et sachent bien li grant et li menour que la doit on faire chevalerie u on conquiert paradis et honour et pris et los et l’amour de s’amie. 16 (III) Qui ci ne veut avoir vie anuieuse si voist pour Dieu morir liez et joieus, que cele mors est douce et savereuse dont on conquiert le regne precïeus; 20 ne ja de mort nen i morra uns seus, ainz naistront tuit en vie glorïeuse; et sachiez bien: qui ne fust amereus, mout fust la voie et bone et deliteuse. 24 1 Der Text folgt der Ausgabe von Rosenberg/ Tischler, 1995, 368-371. 2 Unter Syrien verstand man die ganze östliche Mittelmeerküste und das Hinterland. Ahi, Amours! com dure departie 317 Weh, Liebe! Welch’ harten Abschied (I) Weh, Liebe! Welch harten Abschied muss ich nehmen von der Besten, der je Liebe und Dienst gewährt wurde! Gott möge mich in seiner Güte zu ihr zurückbringen, 4 genauso wahrhaftig, wie ich sie jetzt in Schmerz verlasse. Ach, was habe ich gesagt? Ich verlasse sie ja gar nicht! Wenn der Leib unserem Herrn dienen wird, so bleibt das Herz ganz in ihrer Macht. 8 (II) Wegen ihr gehe ich seufzend nach Syrien, denn ich darf meinen Schöpfer nicht im Stich lassen. Wer ihm in dieser Not seine Hilfe versagt, wisset, dem wird er in größerer Not fehlen; 12 die Hohen und die Niedrigen sollen wissen, dass man sich da als Ritter bewähren muss, wo man das Paradies und die Ehre erobert, die Wertschätzung, den Ruhm und die Liebe seiner Freundin. 16 (III) Wer hier kein mühseliges Leben verbringen will, der soll für Gott freudig und vergnügt sterben, denn ein derartiger Tod ist süß und reizvoll, mit dem man sich das wertvolle Königreich erobert; 20 und in Wahrheit erleidet ja kein einziger den Tod, sondern alle werden zum ruhmreichen Leben geboren; und wisset wohl: für den, der nicht verliebt wäre, wäre der Weg sehr gut und erfreulich. 24 318 Conon de Béthune (IV) Deus! tant avom esté preu par huiseuse! Or i parra qui a certes iert preus; s’irom vengier la honte dolereuse dont chascuns doit estre iriez et honteus, 28 quar a no tanz est perduz li sains lieus u Dieus soufri pour nous mort angoisseuse; s’or i laissom nos anemis morteus, a tous jours maiz iert no vie honteuse. 32 (V) Dieus est assis en son saint hiretage; or i parra com cil le secourront cui il jeta de la prison ombrage quant il fu mors en la crois que Turc ont 1 . 36 Sachiez, cil sunt trop honi qui n’iront, s’il n’ont poverte u vieillece u malage; et cil qui sain et joene et riche sunt ne pueënt pas demorer sanz hontage. 40 (VI) Touz li clergiez et li home d’aage qui en aumosne et en bienfais manront partiront tuit a cest pelerinage - et les dames qui chastement vivront 44 et loiauté portent ceus qui iront 2 ; et s’eles font par mal conseill folage, a lasches gens mauvaises le feront, quar tuit li bon iront en cest voiage. 48 (VII) Las! je m’en vois plorant des euz du front la ou Deus veut amender mon corage, et sachiez bien qu’a la meillour du mont penserai plus que ne faz au voiage. 52 1 Unter Saladins Führung hatten die Seldschuken, hier als Turcs bezeichnet, 1187 Jerusalem erobert, das die Kreuzfahrer 1099 im ersten Kreuzzug erstürmt hatten. Der dritte Kreuzzug sollte der Wiedereroberung der Stadt dienen. 2 Alle Waffenfähigen müssen am Kreuzzug teilnehmen, sonst würden sie der Schande verfallen. Wer nicht waffenfähig ist, gilt als Kreuzzugsteilnehmer, solange er ehrenvoll in der Heimat seine christlichen Pflichten erfüllt. Diese Regelung wird auch auf die Damen ausgedehnt, wenn sie keusch und ehrbar auf die Rückkehr der Kreuzzugsteilnehmer warten. Ahi, Amours! com dure departie 319 (IV) Gott! So oft sind wir tapfer im Müßiggang gewesen! Jetzt wird es deutlich, was Tapferkeit in Wahrheit ist; wir werden jetzt die schmachvolle Schande rächen, über die jeder erzürnt und beschämt sein muss, 28 denn in unserer Zeit ist der heilige Ort verloren, an dem Gott für uns die Todesnot ausgestanden hat; wenn wir unsere Todfeinde dort belassen, wird für ewig unser Leben von Schande bedeckt sein. 32 (V) Gott wird belagert in seinem heiligen Erbe; jetzt wird es sich zeigen, wie die ihm zur Hilfe kommen werden, die er aus dem dunklen Gefängnis befreite, als er am Kreuze starb, das jetzt die Türken erobert haben. 36 Wisset, voll der Schande sind die, die nicht losziehen werden, ohne dass sie arm oder alt oder krank sind; denn diejenigen, die gesund, jung und reich sind, können nicht ohne Schande hier bleiben. 40 (VI) Alle Kleriker und alle Betagten, die bleiben werden und dabei Wohltaten und gute Werke tun, werden dennoch an dieser Pilgerreise teilnehmen - und die Damen, die keusch leben 44 und denen, die gehen werden, ihre Treue bewahren werden. Und wenn sie, schlecht beraten, doch eine Torheit begehen, dann werden sie das mit schlechten Leuten tun, denn alle guten Leute werden an dieser Reise teilnehmen. 48 (VII) Ach! Ich ziehe los und weine mir die Augen aus dem Kopf, dorthin, wo Gott mein Herz besser machen will, und wisset wohl, dass ich an die Beste der Welt mehr denken werde als an die Reise. 52 320 Conon de Béthune 4.1.2 Ce fut l’autrier en un autre païs (I) Ce 1 fut l’autrier en un autre païs 2 q’uns chevaliers ot une dame amee. Tant com la dame fu en son bon pris, li a s’amor escondite et veee, 4 jusqu’a un jor qu’ele li dist: «Amis, mené vous ai par parole mains dis; ore est l’amour coneüe et donee: Des or mes sui tout a vostre devis.» 8 (II) Li chevaliers la regarda el vis, si la vit mult pale et descoloree. «Par Dieu, dame, mort sui et entrepris quant des l’autrier ne soi ceste pensee. 12 Li vostre vis, qui senbloit flor de lis, m’est si torné du tout de mal en pis, ce m’est avis que me soiez enblee. A tart avez, dame, cest conseil pris.» 16 (III) Quant la dame s’oï si ramponer, grant duel en ot, si dist par felonnie: «Danz chevaliers, on vous doit bien gaber. Cuidiez vous donc qu’a certes le vous die? 20 Nenil, certes, onc ne l’oi en penser! Voulez vous donc dame de pris amer? Nenil, certes, ainz avrïez envie d’un biau vallet besier et acoler. 3 » 24 1 Der Text folgt der Ausgabe von Rosenberg/ Tischler, 1995, 376-379. 2 Die sehr ungefähre zeitliche und räumliche Angabe erhebt die Geschichte zu einem allgemeingültigen Exempel. 3 Der Vorwurf der Homosexualität mit einem untergebenen Knappen ist für den standesbewussten Ritter eine grobe Beleidigung. Ce fut l’autrier en un autre païs 321 Es war vor einiger Zeit in einem anderen Land (I) Es war vor einiger Zeit in einem anderen Land, da hat ein Ritter eine Dame geliebt. So lange die Dame noch gut beisammen war, hat sie ihm ihre Liebe verweigert und ihn zurückgewiesen, 4 bis sie ihm eines Tages sagte: «Mein Freund, ich habe euch mit Worten viele Tage umgarnt; jetzt wird meine Liebe bekannt und gegeben: Von jetzt an übergebe ich mich ganz euerem Willen». 8 (II) Der Ritter schaute ihr ins Gesicht, und sah sie ganz bleich und ohne Farbe. «Bei Gott, meine Dame, ich bin tot und krank, weil ich diesen Gedanken vor einiger Zeit noch nicht gekannt habe. 12 Euer Gesicht, das eine Lilienblüte zu sein schien, hat sich mir völlig zum Schlechteren verändert. Ich bin der Ansicht, dass ihr mir gestohlen worden seid. Sehr spät habt ihr, meine Dame, diese Entscheidung gefasst.» 16 (III) Als die Dame hörte, dass sie so verspottet wurde, empfand sie darüber großen Schmerz, und sagte voller Bosheit: «Herr Ritter, man muss sich über euch sehr lustig machen. Habt ihr denn gedacht, dass ich euch die Wahrheit sagte? 20 Ganz und gar nicht, das ist mir wahrlich nie in den Sinn gekommen. Wollen sie also eine Dame von Wert lieben? Ganz und gar nicht, wahrlich hättet ihr eher Lust darauf, einen schönen Jüngling zu küssen und zu umarmen. 24 322 Conon de Béthune (IV) «Dame», fet il, «j’ai bien oï parler de vostre pris, mes ce n’est ore mie; et de Troie ai je oï conter 1 qu’ele fu ja de mult grant seignorie: 28 or n’i puet on fors les places trouver. Par tel reson vous lo a escuser que cil soient reté de l’yresie qui des or mes ne vous voudront amer. 2 » 32 (V) «Danz chevaliers, mar i avez gardé quant vous avez reprouvé mon aage. Se j’avoie tout mon jouvent usé, si sui je tant bele et de haut parage 36 qu’on m’ameroit a mult pou de biauté, qu’oncor n’a pas, ce cuit, un mois passé que li Marchis m’envoia son mesage et li Barrois a pour m’amor ploré. 3 » 40 (VI) «Dame», fait il, «ce vous a molt grevé que vous fiez en vostre seignorage; mes tel set ont ja pour vouz sospiré, se vous estiés fille au roi de Cartage 4 , 44 qui ja mes jour n’en aront volonté. On n’aimme paz dame pour parenté, maiz quant ele est bele et cortoise et sage. Vouz en savroiz par tanz la verité.» 48 1 Die unwiderbringliche Größe der Stadt Troja wird mit der Wertschätzung der vergangenen Schönheit der Dame verglichen: Man weiß noch, wo die Stadt stand (les places) und welches heute unansehnliche Gesicht einst schön war (Vers 13f.), aber der Moment der Blüte ist vorbei. 2 Wer seine Liebe nicht der vollendeten Schönheit zuwendet, begeht eine hérésie gegen die Forderungen der höfischen Liebe. Folglich liegt keine solche hérésie vor, wenn die Schönheit nicht (mehr) vorhanden ist. 3 Es werden fiktive Verehrer ins Feld geführt. 4 Die hohe Abkunft (parenté) einer Prinzessin des (antiken! ) Karthago würde ihr keine höfische Verehrung schenken, wenn keine (ans Alter gebundene) Schönheit dazu käme. Ce fut l’autrier en un autre païs 323 (IV) «Meine Dame», sagt er, «ich habe wirklich reden gehört von eurem Wert, aber davon ist heute keine Rede mehr; auch von Troja habe ich erzählen hören, dass es vor langer Zeit eine große Macht war: 28 Jetzt kann man außer dem Platz nichts mehr davon finden. Aus diesem Grund rate ich euch, zu vermeiden, dass wegen Ketzerei angeklagt werden diejenigen, die euch von jetzt an nicht mehr lieben wollen.» 32 (V) «Herr Ritter, ihr habt schlecht geredet, als ihr mir mein Alter vorgeworfen habt. Wenn ich auch meine Jugend schon hinter mir habe, so bin ich doch so schön und von so guter Abkunft, 36 dass man mich auch bei wenig Schönheit lieben würde, denn es ist, glaube ich, noch nicht einmal ein Monat vergangen, dass der Marquis eine Botschaft geschickt hat und der Herr von Bar um meiner Liebe willen geweint hat.» 40 (VI) «Meine Dame», sagt er, «es hat euch sehr geschadet, dass ihr auf euere Abkunft vertraut; aber es haben schon so viele wegen euch geseufzt, dass sie, wenn ihr die Tochter des Königs von Karthago wärt, 44 diesen Wunsch nicht mehr haben werden. Man liebt keine Dame wegen ihrer Abkunft, sondern weil sie schön und höfisch und klug ist. Ihr werdet diese Wahrheit noch erfahren.» 48 Thibaut IV de Champagne 325 4.2 Thibaut IV de Champagne, König von Navarra (1201-1253) Thibaut IV de Champagne war der bedeutendste trouvère des 13. Jahrhunderts. Er spielte eine wichtige Rolle im politischen Leben seiner Zeit: Thibaut folgte Ludwig VIII. auf dessen Feldzügen gegen England und nahm auch an der Belagerung von Avignon teil, trennte sich jedoch von den Belagerern und wurde verdächtigt, er habe den König mit Gift getötet, zumal ihm eine Zuneigung zur Königinnenwitwe Blanche de Castille nachgesagt wurde, die mit der Dame seiner Liebeslieder gleichgesetzt wurde. 1234 wurde Thibaut als Nachfolger seines Onkels Sancho König von Navarra; 1239 zog er ins Heilige Land, kehrte allerdings nach zahllosen Querelen schon 1240 nach Pamplona zurück, wo er 1253 starb. Seine Dichtung umfasst 61 Werke: darunter 35 Liebeslieder, vier Mariendichtungen, neun jeux-partis mit anderen Dichtern, drei Kreuzzugslieder und zwei pastourelles. Letztere folgen beide einem einfachen Handlungsschema: Der Dichter reitet einsam durch die Landschaft und begegnet zufällig einer schönen jungen Hirtin, die er durch gepflegte Rhetorik und kostbare Geschenke zu verführen trachtet. Die Hirtin misstraut den höfischen Schmeicheleien und will ihrem ländlichen Freund treu bleiben, woraufhin der Ritter das Mädchen vergewaltigen will, aber vom herbeieilenden Landvolk vertrieben wird - er flieht, denn, so sagt er in der Pastourelle J’alloie l’autrier errant, „mit solchem Gesindel will ich nichts zu tun haben” (n’oi cure de tel gent). Der aus volkstümlichen Liedern, die bei ländlichen Festen vorgetragen wurden, zu erklärende burleske Charakter der pastourelle wird in Thibauts Dichtungen deutlich sichtbar, aber die aristokratische Überarbeitung ist ebenfalls greifbar: Die sprachliche Gestalt bewegt sich auf den Höhe der Dichtung, der Versbau ist untadelig (Reimschema: a - b - a - b - b - c - d - b - b - d). Der sanfte Spott über den Missbrauch der höfischen Sprache als Verführungsmittel gegenüber unhöfischen Mädchen, der an Raimbaut de Vaqueiras erinnert, und die Feigheit gegenüber roher Landvolkgewalt war sicher geeignet, eine abendliche Runde am Hofe zu erheitern. Literatur: Rieger, Dietmar (ed.): Mittelalterliche Lyrik Frankreichs II: Lieder der Trouvères. Stuttgart (Reclam) 1983. Rosenberg, Samuel N. / Tischler, Hans (edd.): Chansons des trouvères, Paris (Librairie Générale Française) 1995, 578-617. Wallensköld, Axel: Les chansons de Thibaut de Champagne, roi de Navarre, Paris (Champion) 1925. 326 Thibaut IV de Champagne 4.2.1 L’autrier par la matinee (I) L’autrier par la matinee 1 entre un bois et un vergier, une pastore ai trovee chantant por soi envoisier, 4 et disoit en son premier: «Ci me tient li maus d’amours.» Tantost cele part me tor que je l’oï desresnier, 8 si li dis sans delaier: «Bele, Deus vos doint bon jor.» (II) Mon salu sanz demoree me rendi et sanz targier; 12 mult ert fresche, coloree, si mi plot a acointier. «Bele, vostre amor vos quier, s’avrez de moi riche ator.» 16 Ele respont: «Tricheor sont mes trop li chevalier; melz aim Perrin mon bergier que riche honme menteor.» 20 (III) «Bele, ce ne dites mie. Chevalier sont trop vaillant. Qui set donc avoir amie ne servir a sont talent 24 fors chevalier et tel gent? Mais l’amor d’un bergeron certes ne vaut un bouton. Partez vos en a itant 28 et m’amez; je vos creant, de moi avrés riche don». 1 Der Text folgt der Ausgabe von Rosenberg/ Tischler, 1995, 608-613. L’autrier par la matinee 327 Vor einiger Zeit am Morgen (I) Vor einiger Zeit am Morgen habe ich zwischen einem Wald und einem Obstgarten eine Hirtin getroffen, die sang, um sich zu unterhalten, 4 und sie sagte in ihrem ersten Lied: «Hier hält mich das Liebesleid». Sogleich wende ich mich in die Richtung, wo ich sie singen höre, 8 und ich sage ihr ohne Zögern: «Schöne, Gott schenke euch einen guten Tag! » (II) Meinen Gruß erwiderte sie ohne Aufenthalt und ohne Verzug; 12 sie war sehr frisch und von gesunder Farbe, und es gefiel mir, sie kennen zu lernen. «Schöne, euere Liebe begehre ich, dann werdet ihr von mir reichen Schmuck bekommen.» 16 Sie antwortet: «Betrüger sind die Ritter nur allzu sehr; ich liebe weit mehr meinen Hirten Perrin als einen reichen Mann, der lügt». 20 (III) «Schöne, sprecht nicht so! Die Ritter sind sehr heldenmütig. Wer kann schon eine Freundin haben und ihren Anwandlungen dienen 24 außer den Rittern und Leuten ihrer Art? Aber die Liebe eines kleinen Hirten ist jedenfalls keinen Heller wert! Verlasst ihn sofort 28 und liebt mich; ich verspreche euch, von mir werdet ihr ein reiches Geschenk haben. 328 Thibaut IV de Champagne (IV) «Sire, par sainte Marie, vos en parlés por noient. 32 Mainte dame avront trichie cil chevalier soudoiant; trop sont faus et mal pensant, pis valent que Guenelon 1 . 36 Je m’en revois en maison, car Perrinés qui m’attent m’aime de cuer loiaument. Abaisiés vostre raison.» 40 (V) G’entendi bien la bergiere, qu’ele me veut eschaper; mult li fis longue priere, mais n’i poi riens conquester. 44 Lors la pris a acoler et ele gete un haut cri: «Perrinet, traï! traï! » Dou bois prenent a huper, 48 je la lez sans demorer, seur mon cheval m’en parti. (VI) Quant ele m’en vit aler, ele dist par ranponer: 52 «Chevalier sont trop hardi. 2 » 1 Ganelon, Rolands Stiefvater, verriet die fränkische Nachhut an den Sarazenenkönig Marsilie und gilt seit dem Rolandslied als Inbegriff des Verräters: Guenes li quens ki la traïsun fist. 2 Hierbei handelt es sich um eine spöttische Wiederaufnahme des Verses 22. L’autrier par la matinee 329 (IV) «Herr, bei der heiligen Maria, ihr redet vergeblich. 32 Manche Damen wurden betrogen durch die verführerischen Ritter; sie sind Lügner und voll übler Absichten, sie sind weniger wert als Ganelon. 36 Ich kehre nach Hause zurück, denn mein Perrin, der mich erwartet, liebt mich aufrichtig von ganzem Herzen. So lasst euer Gerede sein! ” 40 (V) Ich verstand sehr wohl, dass die Hirtin vor mir entfliehen wollte; ich trug ihr eine lange Bitte vor, aber ich konnte nichts damit erreichen. 44 Dann nahm ich sie, um sie zu umarmen, und sie stößt einen lauten Schrei aus: «Mein Perrin, Verrat! Verrat! » Vom Wald her beginnen sie zu schreien. 48 Ich ließ sie ohne zu zögern los, bin auf meinem Pferd davongeritten. (VI) Als sie mich davoneilen sah, hat sie spöttisch gesagt: 52 «Die Ritter sind sehr heldenhaft». Anhang 332 Anhang 1. Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 1.1 DIE FORMEN DES ARTIKELS Der bestimmte Artikel Das Lateinische kannte keinen bestimmten Artikel. Der Artikel der romanischen Sprachen geht deshalb in der Mehrzahl der Fälle auf das lateinische Demonstrativpronomen ille zurück, also ille canis ‚jener Hund’ > le cans ‚der Hund’. Im Altprovenzalischen kann man noch Überreste eines älteren Systems erkennen, in dem beim maskulinen Artikel der Unterschied zwischen Rektus (Nominativ, frz. cas sujet) und Obliquus (Nicht-Nominativ, frz. cas régime) noch deutlich hervortritt: Singular Plural m. f. m. f. Rektus le la li las Obliquus lo la los las In der Sprachentwicklung ist dieses Zwei-Kasus-System schließlich abgebaut worden, indem die Obliquus-Formen die Rektus-Formen ersetzt haben: Singular Plural m. f. m. f. Rektus Obliquus lo la los las In den meisten Troubadourtexten treffen wir Übergangsphasen zwischen beiden Systemen an: Im Rektus Maskulinum des Singulars treten das seltenere le (sowie eine Kurzform li) und das häufigere lo noch nebeneinander auf, im Rektus und Obliquus Maskulinum des Plurals ist das Zwei- Kasus-System in weitem Umfang erhalten geblieben, im Rektus Femininum des Singulars ist gelegentlich aus dem Maskulinum li eingetreten. Man kann also folgendes Schema erstellen: Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 333 Singular Plural m. f. m. f. Rektus lo selten: le, li la selten: li li las Obliquus lo la los las Der bestimmte Artikel kann in proklitischer und enklitischer Stellung auftreten. Vor vokalischem Anlaut des folgenden Nomens wird der Vokal des Artikels elidiert (l’amic ‚der Freund’, l’amiga ‚die Freundin’), nachvokalisch tritt eine Kurzform ein (que·l = que lo, que·ls = que los). Enklitische Formen sind auch für die Entstehung der artikulierten Präpositionen verantwortlich: del, al, el (= en le), per (= per le), sul (= sus el). Der unbestimmte Artikel Der unbestimmte Artikel, der vor allem im Plural nur selten verwendet wird, kommt vom lateinischen Zahlwort unus. Singular Plural m. f. m. f. Rektus u(n)s una u(n) unas Obliquus u(n) una u(n)s unas 334 Anhang 1.2 DIE DEKLINATION DER SUBSTANTIVE Das Altprovenzalische setzt die lateinische Flexion der Substantiva fort, allerdings mit den Einschränkungen, die das spätantike Vulgärlatein Galliens aufwies. Dazu gehören prinzipiell: 1) die Reduktion von fünf auf drei Deklinationstypen: a-Deklination (amica ‚Freundin’) oder 1. Deklination, o-Deklination (amicus ‚Freund’) oder 2. Deklination, konsonantische Deklination (imperator ‚Kaiser’) oder 3. Deklination. Die u-Deklination oder 4. Deklination (cantus ‚Gesang’) ist in der 2. Deklination aufgegangen, die e-Deklination oder 5. Deklination (dies ‚Tag’) hat sich meistens der 1. Deklination angeschlossen. 2) die Reduktion der drei Genera auf zwei, Maskulinum und Femininum. Die Neutra sind meistens zu Maskulina, in einigen Fällen (ausgehend von der Pluralform auf -a) auch zu Feminina geworden. 3) die Reduktion der fünf (mit Vokativ sechs) Kasus auf zwei Kasus, Rektus (frz. cas sujet) und Obliquus (frz. cas régime) genannt. Der Rektus setzt den lateinischen Nominativ fort, der Obliquus kommt formal vom Akkusativ, setzt aber die Funktion aller nicht-nominativischen Kasus des Lateinischen fort. Im Altprovenzalischen ist also prinzipiell von drei Deklinationen auszugehen. Bei der 1. Deklination sind Rektus und Obliquus zusammengefallen, oder, anders gesagt, es gibt keine morphologisch ins Auge fallende Kasusflexion mehr. Bei der 2. und der 3. Deklination sind in den meisten Fällen jeweils Rektus und Obliquus zu unterscheiden. In vielen Fällen kann man die Form (Rektus oder Obliquus, Singular oder Plural) danach bestimmen, ob ein Schluss-s gesetzt wird oder nicht. Prinzipiell gilt, dass sich das lateinische Schluss-s im Provenzalischen erhalten hat: lat. murus ‚Mauer’ ergibt also murs, muros wird entsprechend zu murs, aber murum tritt als mur und muri ebenfalls als mur auf. Hierbei sind einige Schreibregeln zu beachten: c+ s > cs = x (amics = amix) t + s > ts = tz = z (vertuts = vertutz = vertuz) p + s, f + s > ps, fs > s (temps = tems, serfs = sers). Außerdem ist zu beachten, dass das Auslaut-n instabil war, d.h. in der Aussprache wegbleiben konnte: bo und bon, bos und bons ‚gut’ konnten miteinander wechseln. Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 335 1. Deklination Zur 1. Deklination gehören zunächst die Feminina der lateinischen 1. oder a-Deklination. Bei der 1. Deklination gibt es keinen Unterschied nach Rektus oder Obliquus; man unterscheidet also nur Singular und Plural. Singular amiga ‚Freundin’ domna ‚Dame’ femna ‚Frau’ gola ‚Kehle’ Plural amigas domnas femnas golas Dieser Deklination haben sich auch die Feminina der lateinischen 3. Deklination angeschlossen, die im Singular auf einen Vokal ausgehen: Singular maire ‚Meister’ Plural maires 2. Deklination Zur 2. Deklination gehören die Maskulina, die auf die Maskulina (und die daran angeglichenen Neutra) der lateinischen 2. oder o-Deklination zurückgehen. Bei der 2. Deklination zeichnet ein -s den Rektus Singular (< lat. -us) und den Obliquus Plural (< lat. -os) aus, während das Flexions-s im Obliquus Singular (< lat. -um) und im Rektus Plural (< lat. -i) fehlt. Es folgen die provenzalischen Fortsetzer von amicus, murus, caballus, collum. Rektus Singular amix ‚Freund’ murs ‚Mauer’ cavals ‚Pferd’ cols ‚Hals’ Rektus Plural amic mur caval col Obliquus Singular amic mur caval col Obliquus Plural amix murs cavals cols Dieser Gruppe haben sich analogisch die Maskulina angeschlossen, die auf lateinische Maskulina der konsonantischen Deklination zurückgehen, welche nicht ungleichsilbig flektiert wurden (z. B. canis) oder analogisch der gleichsilbigen Flexion zugeordnet wurden (z. B. leo > *leonis). Rektus Singular cans ‚Hund’ leons ‚Löwe’ Rektus Plural can leon Obliquus Singular can leon Obliquus Plural cans leons 336 Anhang Die lateinischen Maskulina der 2. Deklination auf -er (liber) und die analogisch in dieselbe Klasse eingeordneten Maskulina der 3. Deklination (pater) sowie die Neutra auf -aticum (> prov. -atge) werden meistens genauso behandelt. Daneben gibt es aber auch die (nach den Lautgesetzen folgerichtige) Variante, in der im Rektus Singular das Flexions-s fehlt. Rektus Singular libre(s) paire(s) paratge(s) Rektus Plural libre paire paratge Obliquus Singular libre paire paratge Obliquus Plural libres paires paratges Die provenzalischen Feminina auf Konsonant, die normalerweise auf der gleichsilbigen Flexion angehörige (navis) oder durch Analogie in diese eingepasste (dolor > *doloris, flos > *floris, virtus > *virtutis) Feminina der lateinischen 3. oder konsonantischen Deklination zurückgehen, werden im Singular wie die Maskulina der 2. Deklination behandelt, weisen aber im Plural auch im Rektus ein -s auf. Typologisch könnte man sagen, dass diese Feminina sich im Singular nach der 2. Deklination, im Plural nach der 3. Deklination verhalten: Rektus Singular naus flors dolors vertutz Rektus Plural naus flors dolors vertutz Obliquus Singular nau flor dolor vertut Obliquus Plural naus flors dolors vertutz Die Wörter, die auf -s (bzw. -z oder -x) auslauten (z. B. os < ossum, palais < palatium, bratz < bracchium), können kein zusätzliches Flexions-s annehmen und erscheinen deswegen als Indeklinabilia: Rektus Singular os palais bratz Rektus Plural os palais bratz Obliquus Singular os palais bratz Obliquus Plural os palais bratz Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 337 3. Deklination Zur 3. Deklination gehören in erster Linie die Maskulina, die im Lateinischen zur 3. Deklination zählten und ungleichsilbig (d. h. der Nominativ hat eine Silbe weniger als die anderen Kasus) flektiert wurden (z. B. homohominis, comes-comitis, nepos-nepotis, infans-infantis, imperator-imperatoris, senior-senioris, latro-latronis, baro-baronis). Im folgenden Schema ist die betonte Silbe der Wörter (entgegen der üblichen Schreibweise) durch einen Akzent angedeutet. Rektus Singular hom coms neps énfas emperàire sénher làire bar Rektus Plural home comte nebót enfàn emperadór senhór lairón barón Obliquus Singular home comte nebót enfàn emperadór senhór lairón barón Obliquus Plural homes comtes nebótz enfànz emperadórs senhórs lairóns baróns Es gibt außerdem Analogie-Formen, die (nach dem Vorbild der 2. Deklination) im Rektus Singular ein -s aufweisen: homs, emperaires, laires. Zwei Feminina, die im Lateinischen ebenfalls der Konsonatischen Deklination angehörten und ungleichsilbig flektiert wurden (sóror-soróris und múlier-muliéris), gehören auch im Altprovenzalischen zur 3. Deklination. Sie weisen allerdings im Rektus Plural das lauthistorisch zu erwartende -s (serórs < lat. soróres) und nicht die Null-Endung der Maskulina, die sich aus Analogie zu den Formen des 2. Deklination erklärt, auf: Rektus Singular sor mólher Rektus Plural serórs molhérs Obliquus Singular serór molhér Obliquus Plural serórs molhérs 338 Anhang Zusammenfassung Im folgenden Schema sei versucht, die Deklination der Substantive im Altprovenzalischen übersichtlich zusammenzufassen. 1. Deklination: Feminina auf -a und auf -e 2. Deklination: Maskulina auf Konsonant und -e sowie Feminina auf Konsonant, die die Tonstelle bei der Flexion beibehalten 3. Deklination: Maskulina und Feminina auf Konsonant, die die Tonstelle bei der Flexion verändern (Rektus Singular stammbetont, alle anderen Kasus endungsbetont) Singular 1. Dekl. 2. Dekl. 3. Dekl. f. m. f. m. f. Rektus -a -e -s -e(s) -s ´ ˘ ´ ˘ Obliquus -a -e -Ø -e -Ø ˘ ´ ˘ ´ Plural 1. Dekl. 2. Dekl. 3. Dekl. f. m. f. m. f. Rektus -as -es -Ø -e -s ˘ ´ ˘ ´ -s Obliquus -as -es -s -es -s ˘ ´ -s ˘ ´ -s Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 339 1.3 DIE DEKLINATION DER ADJEKTIVE Im Lateinischen wurden die meisten Adjektive im Maskulinum und Neutrum nach der 2. Deklination, im Femininum nach der 1. Deklination flektiert: bonus, bonum, bona. Nach dem Wegfall des Neutrums gab es nur noch die 2. Deklination für die Maskulina und die 1. Deklination für die Feminina. Daneben gab es Adjektive, die nach der 3. Deklination behandelt wurden, wobei von Ausnahmen abgesehen kein Unterschied zwischen der maskulinen und der femininen Form auftrat (valens). Im Altprovenzalischen hat sich diese historische Ausgangslage in der Herausbildung zweier Adjektivklassen niedergeschlagen: 1) Die erste, bei weitem zahlreichste, Gruppe kennt eine Unterscheidung zwischen Maskulinum und Femininum, die je nach dem Genus des Bezugssubstantivs eingesetzt werden. Diese Adjektive werden im Maskulinum nach der 2. Deklination (natürlich mit Rektus-Obliquus-Unterscheidung), im Femininum nach der 1. Deklination (ohne Rektus-Obliquus-Unterscheidung) gebildet. Aufgrund der lautlichen Gesetzmäßigkeit, derzufolge ein in den Auslaut tretender stimmhafter Konsonant stimmlos wird, können die maskuline und die feminine Form unterschiedlich aussehen, z. B. amatz-amat / amada. 2) Die zweite Gruppe der Adjektive kennt nur eine einzige Form für Maskulinum und Femininum, aber selbstverständlich die Unterscheidung zwischen Rektus- und Obliquus-Formen (z.B. leusleu ‚leicht’ < lat. levis). Zur zweiten Gruppe der Adjektive gehören auch die synthetischen Komparative, die auf Bildungen mit dem lateinischen Suffix -ior zurückgehen. Diese Komparative sind: melher-melhor ‚besser’ (< lat. melior), pèier-peiór ‚schlechter’(< lat. peior), màier-maior ‚größer’ (< lat. maior), mènre-menor ‚kleiner’ (< lat. minor), sordéiersordeiór ‚schlechter’ (< lat. sordidior), génser-gensór ‚edler’ (< lat. *genitior), belàire-belazór ‚schöner’ (< lat. *bellatior). Normalerweise wird der Komparativ aber analytisch ausgedrückt, durch Hinzufügung von plus vor dem Adjektiv (wie im Neufranzösischen): plus bel(s), plus bela ‚schöner’. Der Superlativ weist dieselbe Form mit vorangestelltem Artikel auf: lo plus bels hom, la plus bela femna. In der folgenden Tabelle stellt sich die Flexion der Adjektive mit einer Form für das Maskulinum und einer Form für das Femininum dar: 340 Anhang Singular Plural m. f. m. f. Rektus bels mals vestitz nutz bela mala vestida nuda bel mal vestit nut belas malas, vestidas nudas Obliquus bel mal vestit nut bela mala vestida nuda bels mals vestitz nutz belas malas vestidas nudas Die Adjektive, die nur eine einzige Form für das Maskulinum und das Femininum haben, werden folgendermaßen dekliniert: Singular Plural m./ f. m. f. Rektus leials melher fortz leial melhor fort leials melhors fortz Obliquus leial melhor fort leials melhors fortz leials melhors fortz Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 341 1.4 DIE DEKLINATION DER PRONOMINA Die Pronomina sind in den altprovenzalischen Schriftzeugnissen in einer auf den ersten Blick überwältigenden Vielfalt vorzufinden. Dies hängt damit zusammen, dass sie in betonter bzw. unverbundener Stellung (frz. pronoms absolus) und in unbetonter bzw. pro- oder enklitischer Stellung (frz. pronoms conjoints) vorkommen. Im Folgenden soll versucht werden, eine Übersicht über die Basisformen zu geben. Die Personalpronomina Ursprünglich kannten die Personalpronomina wie in den meisten romanischen Sprachen einen Nominativ, einen Dativ und einen Akkusativ. Aufgrund der Tatsache, dass bei den Nomina nur noch nach Rektus und Obliquus unterschieden wurde, setzte auch bei den Pronomina ein Abbau der Unterscheidung zwischen Dativ und Akkusativ ein. Anders gesagt: Man kann einen Prozess der Herausbildung einer Obliquus-Form beobachten, die sich die alten Dativ- und Akkusativformen zunutze macht. Unsere Überlieferung zeigt bei den betonten Formen eine Austauschbarkeit von Dativ und Akkusativ, während bei den unbetonten Formen (hier fett gedruckt) in der 3. Person der Unterschied zwischen beiden Kasus durchweg beachtet wird. Die folgende Tabelle stellt die am häufigsten auftretenden Formen der Personalpronomina dar. In der Dativ-Akkusativ-Spalte sind die Formen, die historisch begründet sind, jeweils an erster Stelle genannt, die analogisch eingedrungenen Formen an zweiter Stelle. Es muss aber betont werden, dass dieser Unterschied zur Zeit der Abfassung der Troubadourdichtungen nicht mehr bewusst war, d.h. me und mi waren austauschbare Rektus-Formen. Die Angaben in Klammern stellen mögliche phonetische Varianten dar: So kann l(i)ei(s) als lei, liei, leis oder lieis auftreten. 1. Person 2. Person 3. Person m. f. Singular Nom. (i)eu tu el(h) ela, ilh Singular Dat. mi, me ti, te lui, el(h) li l(i)ei(s), ela li Singular Akk. me, mi te, ti el(h), lui lo ela, l(i)ei(s) la Plural Nom. nos vos il(h) elas Plural Dat. nos vos lor, el(h)s lor lor, elas lor Plural Akk. nos vos el(h)s, lor los elas, lor las Das Reflexivum tritt in zwei Formen, si < lat. sibi und se < lat. se, auf. Beide Formen werden unterschiedslos gebraucht. Die Adverbien ne oder en(t) < 342 Anhang lat. inde können in Genitivfunktion eingesetzt werden, manchmal kann i < lat. ibi ein Pronomen im Dativ ersetzen. Zwei Formen setzen das lateinische Neutrum fort: lo < lat. illum = illud und o < lat. hoc. Hinzuweisen ist noch auf die proklitischen und die enklitischen Formen: In proklitischer Stellung verlieren vor vokalischem Anlaut des nächsten Wortes me, mi, te, ti, se, si, lo, la, ne und manchmal li ihren Vokal. In der modernen Schreibung wird dies durch einen Apostroph angezeigt. In enklitischer Stellung verlieren me, mi, nos, te, ti, se, si, el(h), il(h), lo, la, los, las, ne ihren Vokal, statt vos tritt us ein, und li wird zu lh, lor manchmal zu lur. In der modernen Schreibung wird das enklitische Pronomen durch einen Hochpunkt vom vorangehenden Vokal abgetrennt. Die Possessivpronomina Bei den Possessivpronomina, die sich wie in den romanischen Sprachen üblich in ihrer Form nach ihrem Beziehungssubstantiv richten müssen, gibt es betonte und unbetonte Formen. Die betonten Formen (auf Französisch meistens als adjectifs possessifs bezeichnet) haben, wenn sie einem Nomen vorangehen, den Artikel bei sich (lo mieus cavals ‚mein Pferd’). Ohne Artikel können sie in attributiver Funktion verwendet werden (lo cavals és mieus ‚das Pferd ist das meinige’). Die unbetonten Formen (auf Französisch pronoms possessifs im engeren Sinne) gehen ihrem Bezugsnomen ohne Artikel voran: mos cavals ‚mein Pferd’. Im Singular gibt es (abgesehen vom Rektus Plural der Maskulina) spezielle Formen für den unbetonten Gebrauch, die in der folgenden Tabelle fett gedruckt sind. In den anderen Fällen lauten die betonte und die unbetonte Form gleich (li nostre caval oder nostre caval). 1. Person Singular Singular Plural m. f. m. f. Rektus m(i)eus mos mi(eu)a ma m(i)ei mi(eu)as mas Obliquus m(i)eu mo(n) mi(eu)a ma m(i)eus mos mi(eu)as mas 2. Person Singular Singular Plural m. f. m. f. Rektus t(i)eus tos tieua, toa ta t(i)ei, toi tieuas, toas tas Obliquus t(i)eu to(n) tieua, toa ta t(i)eus tos tieuas, toas tas Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 343 3. Person Singular Singular Plural m. f. m. f. Rektus s(i)eus sos sieua, soa sa s(i)ei, soi sieuas,soas sas Obliquus s(i)eu so(n) sieua, soa sa s(i)eus sos sieuas,soas sas 1. Person Plural Singular Plural m. f. m. f. Rektus nostre(s) nostra nostre nostras Obliquus nostre nostra nostres nostras 2. Person Plural Singular Plural m. f. m. f. Rektus vostre(s) vostra vostre vostras Obliquus vostre vostra vostres vostras 3. Person Plural: lor (oder lur), unveränderlich für alle Kasus und alle Personen. Die Demonstrativpronomina Die Demonstrativpronomina treten in den Texten in überwältigender Vielfalt auf. Im Grunde handelt es sich aber nur um ein zweistufiges System, das zwischen ‚dieser’, d. h. Formen, die in letzter Analyse auf lat. iste zurückgehen, und ‚jener’, d. h. Formen, die auf lat. ille zurückzuführen sind, unterscheidet. Singular Plural m. f. m. f. Rektus cest, cel cesta, cela cist, cil cestas, celas Obliquus cest, cel cesta, cesta cestz, cels cestas, celas Statt cest kommen auch vor: aquest, aicest, sest. Im Rektus kann statt des e auch ein i eintreten. Statt cel kommen auch vor: aquel, aicel, aissel, sel. Statt des Auslaut-l kann auch -lh stehen. Im Rektus Singular des Femininums kommt auch cilh vor. Neben diesen Formen kommt in neutraler Funktion ein Pronomen vor, das auf lat. hoc zurückgeht: o, erweitert zu aquo, aco, aisso, aizo, so, zo. 344 Anhang Die Relativpronomina Es gibt zwei Relativpronomina: das eine geht auf qualis zurück, das andere auf qui. Dabei kennen die Formen keine Genusunterscheidung. Im Regelfall lautet bei qui der Rektus qui, der Obliquus que (< lat. quem), aber beide Formen sind austauschbar. Daneben gibt es noch eine Genitiv-Dativ-Form: cui (lat. cui). Das Schema für qual, dem immer ein Artikel vorangehen muss, sieht folgendermaßen aus: Singular Plural m. f. m. f. Rektus lo quals la quals li qual las quals Obliquus lo qual la qual los quals las quals Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 345 1.5 DIE KONJUGATION DER VERBEN Die Infinitive Die Infinitive der vier Konjugationen des Lateinischen (1. oder a-Konjugation; 2. oder e-Konjugation; 3. oder konsonantische Konjugation; 4. oder i- Konjugation) setzen sich im Altprovenzalischen fort. Dabei entstehen fünf Infinitiv-Typen, weil in der 3. Konjugation statt der unbetonten Endung -er je nach vorangehender Endung des Verbstammes auch unbetontes -re auftritt. In der 4. Konjugation gibt es zwar nur die eine Infinitiv-Endung -ír, aber wegen der Variation im Präsensstamm (s.u.) sind zwei Beispiele angeführt. Im folgenden Schema wird die Betonung mit einem Akzent angegeben; der Verbstamm wird mit einem — angedeutet. lat. Inf. prov. Inf. Bildungstyp 1. Konj. cantare cantar — + -ár 2. Konj. timere temér — + -ér 3. Konj. Typ a) Typ b) plangere vendere plánher vèndre —´ + -er —´ + -re 4. Konj. Typ a) Typ b) partire florire partír florír — + ír Der Indikativ Präsens und der Konjunktiv Präsens Es gibt im Altprovenzalischen drei regelmäßige Arten der Präsensbildung: die erste Gruppe umfasst die Verben der 1. Konjugation, die zweite Gruppe umfasst die Verben der 2. und der 3. Konjugation sowie den Typ a) der 4. Konjugation, die dritte Gruppe weist außer in der 1. und 2. Person Plural des Indikativs eine -is(c)-Erweiterung auf. Die folgende Tabelle erfasst die regelmäßigen Formen des Indikativs und des Konjunktivs. Daneben gibt es relativ viele abweichende Formen, die meist der Analogie zu verdanken sind. So treten im Indikativ der 3. Person Plural neben dem regelmäßigen cántan (< lat. cantant) auch cánten (vom Konjunktiv beeinflusst) und cánton (von der 2. 3. 4a. Konjugation beeinflusst) sowie cánto (phonetisch bedingter Wegfall des Schluss-n) auf. 346 Anhang 1. Konjug. 2.3.4a. Konjug. 4b. Konjug. Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv 1.Ps.Sg. cant cant tem planh ven part téma plánha vénda párta florís(c) florísca 2.Ps.Sg. cántas cantz tems planhs vens partz témas plánhas véndas pártas florís(ses) floríscas 3.Ps.Sg. cánta cant(e) tem planh ven part téma plánha vénda párta florís florísca 1.Ps.Pl. cantám cantém temém planhém vendém partém temám planhám vendám partám florém floriscám 2.Ps.Pl. cantátz cantètz temètz planhètz vendètz partètz temátz planhàtz vendàtz partàtz florètz floriscátz 3.Ps.Pl. cántan cánten témon plánhon véndon párton téman plánhan véndan pártan florísson floríscan Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 347 Der Imperativ Präsens Der Imperativ entspricht formal im Präsens dem Indikativ der 3. Person Singular und im Plural dem Indikativ der 2. Person Plural. Tabellarisch dargestellt ergibt sich also folgendes Bild: 1. Konjugation 2.3.4a.Konjug. 4b. Konjugation Singular cánta tem planh ven part florís Plural cantátz temètz planhètz vendètz parètz florètz Der Indikativ Imperfekt Im Indikativ Imperfekt gibt es zwei Bildungsmöglichkeiten: Die Verben der 1. Konjugation fügen zwischen dem Stamm des Verbs und der Personalendung die Silbe -avein, bei den Verben der anderen Konjugationen ist es -i-. Es ergibt sich folgendes Schema: 1. Konjugation 2. 3. 4. Konjugation 1. Person Singular cantáva Stamm + -áva temia Stamm + -ía planhía vendía partía floría 2. Person Singular cantávas Stamm + -ávas temías Stamm + -ías planhías vendías partías florías 348 Anhang 1. Konjugation 2. 3. 4. Konjugation 3. Person Singular cantáva Stamm + -áva temía Stamm + -ía planhía vendía partía floría 1. Person Plural cantavám Stamm + -avám temiám Stamm + -iám planhiám vendiám partíam floríam 2. Person Plural cantavátz Stamm + -avátz teniátz Stamm + -iátz planhiátz vendiátz partiátz floriátz 3. Person Plural cantávan Stamm + -ávan tenían Stamm + -ían planhían vendían partían florían Das Futur und der Konditional I Das Futur und das Konditional I, das u.a. dazu dient, eine von der Vergangenheit aus gesehene Zukunft auszudrücken, werden gebildet, indem an den Infinitiv des Verbs die Präsensbzw. Imperfektformen von aver, gekürzt um die Anfangssilbe av-, angehängt werden. Der historische Ausgangspunkt dieser Formen ist für das Futur cantare habeo, für das Konditional I cantare habebam. Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 349 Futur Konditional I 1. Person Singular cantarái Infinitiv + -ái temerái planherái vend(e)rái partirái florirái cantaría Infinitiv + -ía temería planhería vend(e)ría partiría floriría 2. Person Singular cantarás Infinitiv + -ás temerás planherás vend(e)rás partirás florirás cantarías Infinitiv + -ías temerías planherías vend(e)rías partirías florirías 3. Person Singular cantará Infinitiv + -á temerá planherá vend(e)rá partirá florirá cantaría Infinitiv + -ía temería planhería vend(e)ría partiría floriría 1. Person Plural cantarém Infinitiv + -ém temerém planherém vend(e)rém partirém florirém cantariám Infin. + -iám temeriám planheriám vend(e)riám partiriám floririám 2. Person Plural cantarètz Infinitiv + -ètz temerètz planherètz vend(e)rètz partirètz florirètz cantariátz Infin. + -iátz temeriátz planheriátz vend(e)riátz partiriátz floririátz 350 Anhang Futur Konditional I 3. Person Plural cantarán Infinitiv + -án temerán planherán vend(e)rán partirán florirán cantarían Infin. + -ían temerían planherían vend(e)rían partirían florirían Das Perfekt Es gibt zwei Typen des Perfekts, das schwache Perfekt (frz. parfait faible) und das starke Perfekt (frz. parfait fort). Das schwache Perfekt, das im allgemeinen vom Präsensstamm aus gebildet wird und den Ton auf der Endung trägt, wird von den Verben der 1. oder a-Konjugation und von den Verben der 4. oder i-Konjugation gebildet. Außerdem haben sich einige Verben der 3. Konjugation angeschlossen. Das starke Perfekt, das alle Verben der 2. oder e-Konjugation und die meisten Verben der 3. Konjugation erfasst, wird vom einem (in der Bildung unregelmäßigen) Perfektstamm aus gebildet, der auf den lateinischen Perfektstamm zurückgeht. Es gibt Perfektstämme, die in der 1. Person Singular auf -s, andere, die auf -c, und wieder andere, die auf -up ausgehen, zudem vokalische Endungen. Es gibt, wie gesagt, auf der synchronen Ebene keine leicht erfassbaren „Faustregeln“ für die Bildung des Perfektstammes, so dass es sich empfiehlt, sich bei den starken Verben den Perfektstamm neben dem Präsensstamm einzuprägen. Das folgende Schema gibt die regelmäßigen Formen wieder. In der 3. Person Singular der 4. Konjugation tritt oft - in Analogie zur 1. Konjugation - ein Endungs-t auf (partít, florít), und in der 1. wie der 4. Konjugation kann das -t durch ein -c ersetzt werden (cantèc statt cantèt, partìc statt partìt statt partì). In der 3. Konjugation kommt ein -i-Einschub vor der Endung vor, also vendièi, vendièst, vendièt statt vendèi, vendèst, vendèt. Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 351 Schwaches Perfekt 1. Konjugation (+ 3.) 4. Konjugation 1. Person Singular cantèi Pr.-Stamm + èi vendèi partí Pr.-Stamm + í florí 2. Person Singular cantèst Pr.-Stamm + -ést vendèst partìst Pr.-Stamm + íst florìst 3. Person Singular cantèt Pr.-Stamm + -èt vendèt partí Pr.-Stamm + í florí 1. Person Plural cantém Pr.-Stamm + -ém vendém partím Pr.-Stamm + -ím florím 2. Person Plural cantètz Pr.-Stamm + -ètz vendètz partítz Pr.-Stamm + -ítz florítz 3. Person Plural cantéron Pr.-Stamm vendéron + -éron partíron Pr.-Stamm floríron + -íron Das folgende Schema verdeutlicht die Bildung des starken Perfekts. Die 1. Person Singular und die 3. Person Singular repräsentiert den Perfektstamm, der in diesen beiden Personen und in der 3. Person Plural betont ist. Es gibt Umlauterscheinungen, die ein -edes Stammes in -iumwandeln können (mis, misíst statt mes, mesíst). In der 3. Person Plural taucht statt der -sdr-Verbindung oft eine Umformung zu -irauf (méiron statt mésdron). Es kommt außerdem nicht selten vor, dass eigentlich starke Verben ganz oder teilweise wie schwache Verben konjugiert werden. Starkes Perfekt Perfektstamm auf -s Perfektstamm auf -c Perfektstamm auf -up Perfektstamm auf Vokal 1. Ps. Sg. -Ø mes dec saup vi 2. Ps. Sg. -íst mesíst deguíst saubíst vist 3. Ps. Sg. -Ø mes dec saup vi 1. Ps. Sg. -ém mesém deguém saubém vim 2. Ps. Sg. -étz mesétz deguétz saubétz vitz 3. Ps. Sg. -ron mésdron dégron sáubron víron 352 Anhang Der Konjunktiv Imperfekt Der Konjunktiv Imperfekt des Provenzalischen geht nicht vom lateinischen Konjunktiv Imperfekt, sondern vom lateinischen Konjunktiv Plusquamperfekt aus (es liegt also nicht etwa die Form cantarem, sondern die Form cantavissem, in volkssprachlicher Kürzung cantassem, zu Grunde). So erklärt es sich, dass man für den provenzalischen Konjunktiv Imperfekt auf die Perfektformen zurückgreifen muss. schwaches Perfekt (1. Konjugation) schwaches Perfekt (4. Konjugation) starkes Perfekt (2. und 3. Konj.) 1. Ps. Sg. cantès partìs mesés degués saubés vis 2. Ps. Sg. cantèsses partìsses mesésses deguésses saubésses vísses 3. Ps. Sg. cantès partìs mesés degués saubés vis 1. Ps. Pl. cantessém partissém mesessém deguessém saubessém vissém 2. Ps. Pl. cantessétz partissétz mesessétz deguessétz saubessétz vissétz 3. Ps. Pl. cantèssen partìssen meséssen deguéssen saubéssen vissen Kurzüberblick über die Grammatik des Altprovenzalischen 353 Der Konditional II Neben dem Konditional I gibt es im Provenzalischen einen Konditional II, das sich in der Bedeutung nach allem, was wir wissen, nicht vom Konditional I unterscheidet. Der Konditional II geht auf den lateinischen Indikativ des Plusquamperfekts zurück (cantaveram > cantaram). Bei den starken Verben des Provenzalischen wird also der Perfektstamm zugrundegelegt. schwaches Perfekt (1. Konjugation) schwaches Perfekt (4. Konjugation) starkes Perfekt (2. und 3. Konj.) 1. Ps. Sg. cantèra partíra méira dégra sáubra víra 2. Ps. Sg. cantèras partíras méiras dégras sáubras víras 3. Ps. Sg. cantèra partíra méira dégra sáubra vira 1. Ps. Pl. canterám partirám meirám degrám saubrám virám 2. Ps. Pl. canterátz partirátz meirátz degrátz saubrátz virátz 3. Ps. Pl. cantèran partíran méiran dégran sàubran víran Bibliographie 355 2. Bibliographie 2.1 Textausgaben und Übersetzungen 2.1.1 Anthologien Anglade, Joseph: Anthologie des Troubadours, Paris (Boccard) 1927. Appel, Carl: Provenzalische Chrestomathie mit Abriss der Formenlehre und Glossar, Leipzig (Reisland) 6 1930. Bartsch, Karl: Chrestomathie provençale, accompagnée d’une grammaire et d’un glossaire. 6e éd. entièrement refondue par Eduard Koschwitz, Marburg (Elwert) 1904. Bec, Pierre: Nouvelle anthologie de la lyrique occitane du Moyen Âge. Textes avec traductions, une introduction et des notes, Toulouse (Aubanel) 1970. Bec, Pierre: Anthologie des troubadours. Edition bilingue, Paris (Union générale d’éditions) 1975. Bogin, Meg: The Women Troubadours, London/ New York (Paddington) 1976 [französisch: Paris (Denoël / Gonthier) 1978; katalanisch: Barcelona (Horsori) 2006]. Boşca, Teodor: Poezia trubadurilor provensali, italieni, portughezi, a truverilor şi a minnesängerilor în versiune originală şi in traducerea, Cluj-Napoca (Dacia) 1980. Fernandez de la Cuesta, Ismael: Las cançons dels trobadors, Tolosa (Institut d’Estudis Occitans) 1980. Frank, István: Trouvères et Minnesänger, Saarbrücken (West-Ost-Verlag) 1952. Gennrich, Friedrich: Lo Gai Saber. Fünfzig ausgewählte Troubadourlieder. Melodie, Text, Kommentar, Formenlehre und Glossar, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1959. Hamlin, Frank R. / Ricketts, Peter T. / Hathaway, John: Introduction à l’étude de l’ancien provençal. Textes d’études, Genève (Droz) 1967. Hill, Raymond Thompson / Bergin, Thomas Goddard: Anthology of the Provençal Troubadours, New Haven / London (Yale University Press) 2 1973. Jeanroy, Alfred: Anthologie des troubadours, Paris (Nizet) 1974. Kasten, Ingrid: Frauenlieder des Mittelalters. Zweisprachig, Stuttgart (Reclam) 1990. Kolsen, Adolf: Dichtungen der Troubadours, Halle (Niemeyer) 1916-1919. Kolsen, Adolf: Trobadorgedichte. Dreißig Stücke altprovenzalischer Lyrik, Halle (Niemeyer) 1925. Liborio, Mariantonia / Gianetti, Andrea: Letteratura provenzale medievale, Roma (Carocci) 2004. Lommatzsch, Erhard: Provenzalisches Liederbuch, Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1917. Lommatzsch, Erhard: Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours, I: Minnelieder, Berlin (Akademie-Verlag) 1957. Lommatzsch, Erhard: Leben und Lieder der provenzalischen Troubadours, II: Lieder verschiedener Gattung, Berlin (Akademie-Verlag) 1959. Mahn, Carl A. F.: Die Werke der Troubadours in provenzalischer Sprache, 4 Bände, Berlin (Dümmler) 1846-1886 [Nachdruck: Genève (Slatkine) 1977]. Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus, Tübingen (Niemeyer) 1991. 356 Anhang Rieger, Dietmar: „Die altprovenzalische Lyrik“, in: Bergner, Hans: Lyrik des Mittelalters I, Stuttgart (Reclam) 1983, 197-390. Riquer, Martín de: Los trovadores. Historia literaria y textos, 3 Bände, Barcelona (Editorial Planeta) 1975 (mit spanischer Übersetzung). Riquer, Martín de: Vidas y retratos de Trovadores. Textos y miniaturas del siglo XIII, Barcelona (Galaxia Gutenberg) 1995. Roubaud, Jacques: Les troubadours. Anthologie bilingue, Paris (Seghers) 1971. Schultz-Gora, Oskar: Die provenzalischen Dichterinnen, Leipzig (Fock) 1888. Serra-Baldó, Alfons: Els trobadors. Text provençal i versió catalana, Barcelona (Barcino) 1934. Tuchel, Hans-Gerd: Die Trobadors, Bremen (Schünemann) 1966. 2.1.2 Textausgaben zu einzelnen Troubadours Arnaut Daniel: Pertugi, Maurizio: Le canzoni di Arnaut Daniel, Milano / Napoli (Ricciardi) 1978. Toja, Gianluigi: Arnaut Daniel: Canzoni, Firenze (Sansoni) 1960. Wilhelm, James J.: The poetry of Arnaut Daniel, New York (Garland) 1981. Bernard de Ventadour: Appel, Carl: Bernart von Ventadorn: Seine Lieder mit Einleitung und Glossar, Halle (Niemeyer) 1915. Appel, Carl: Bernart von Ventadorn. Ausgewählte Lieder, Halle (Niemeyer) 1926. Billet, Léon: Bernard de Ventadour. Troubadour du XII e siècle. Tulle (Orfeuil) 1974. Lazar, Moshé: Bernard de Ventadour. Chansons d’amour. Paris (Klincksieck) 1966. Mancini, Mario: Bernart de Ventadorn: Canzoni, Roma (Carocci) 2003. Bertran de Born: Appel, Carl: Die Lieder Bertrans von Born, Halle (Niemeyer) 1932. Gouiran, Gérard: L’amour et la guerre. L’œuvre de Bertran de Born, Aix-en-Provence (Université) 1985. Stimmig, Albert: Bertran de Born: Sein Leben und seine Werke, Halle (Niemeyer) 2 1913. Castelloza: Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus, Tübingen (Niemeyer) 1991, 518-569. Cercamon: Jeanroy, Alfred: Les poésies de Cercamon, Paris (Champion) 1922. Tortoreto, Valeria: Il trovatore Cercamon. Edizione critica, Modena (Mucchi) 1981. Wolf, George / Rosenstein, Roy: The poetry of Cercamon and Jaufre Rudel, New York (Garland) 1983. Cerveri de Girona: Cluzel, Irénée: „Trois «unica» du troubadour catalan Cerveri (dit de Girona)”, in: Romania 77, 1956, 66-77. Coromines, Joan: Cerverí de Girona, Lírica. 2 Bände, Barcelona (Curial) 1988. Bibliographie 357 Riquer, Martín de: Obras completas del trovador Cerverí de Girona, Barcelona (Instituto Español de Estudios Mediterráneos) 1947. Comtessa de Dia: Kussler-Ratyé, Gabrielle: „Les chansons de la comtesse Béatrix de Die”, in: Archivum Romanicum 1, 1917, 161-182. Rieger, Angelica: Trobairitz: der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus, Tübingen (Niemeyer) 1991, 585-627. Folquet de Marselha: Squillacioti, Paolo: Folquet de Marselha: Poesie, Roma (Carocci) 2003. Stroński, Stanisław: Le troubadour Folquet de Marseille, Cracovie (Académie des Sciences) 1910 [= Genève (Slatkine) 1968]. Giraut de Bornelh: Kolsen, Adolf: Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh, Halle (Niemeyer) 1910. Guiraut Riquier: Mölk, Ulrich: Guiraut Riquier. Las Cansos, Heidelberg (Winter) 1962. Jaufre Rudel: Chiarini, Giorgio: Il canzoniere di Jaufre Rudel. Edizione critica, con introduzione, note e glossario, L’Aquila / Roma (Sapadre) 1985. Jeanroy, Alfred: Les chansons de Jaufré Rudel, Paris (Champion) 1924. Marcabru: Déjeanne, Jean-Marie-Lucien: Les poésies complètes du troubadour Marcabru, Toulouse (Privat) 1909 [Nachdruck: New York (Johnson) 1971)]. Peire Cardenal: Lavaud, René: Poésies complètes du troubadour Peire Cardenal (1180-1278), Toulouse (Privat) 1957. Peire d’Alvernhe: Monte, Alberto del: Peire d’Alvernha. Liriche. Torino (Loescher) 1955. Zenker, Rudolf: Peire d’Auvergne, Die Lieder, Erlangen (Junge) 1900 (= Romanische Forschungen 12, 1900, 653-924). Peire Vidal: Anglade, Joseph: Les poésies de Peire Vidal, Paris (Champion) 1923. Avalle, D’Arco Silvio: Peire Vidal: Poesie, Milano / Napoli (Ricciardi) 1960. Bartsch, Karl: Peire Vidal’s Lieder, Berlin (Dümmler) 1857. Hoepffner, Ernest: Le troubadour Peire Vidal: sa vie et son œuvre, Paris (Les Belles Lettres) 1961. 358 Anhang Raimbaut d’Aurenga: Appel, Carl: Raïmbaut von Orange, Berlin (Weidmann) 1928 (Nachdruck Genève 1973). Pattison, Walter T.: The life and works of the Troubadour Raimbaut d’Orange, Minneapolis (University of Minnesota) 1952. Raimbaut de Vaqueiras: Bergin, Thomas G.: Rambaldo di Vaqueiras. Liriche, Firenze (Sansoni) 1956. Linskill, Joseph: The poems of the troubadour Raimbaut de Vaqueiras, La Haye (Mouton) 1964. Sordel: Boni, Marco: Sordello, Le poesie. Nuova edizione critica con studio introduttivo, traduzioni, note e glossario, Bologna (Libreria antiquaria Palmaverde) 1954. Wilhelm von Aquitanien: Dürrson, Werner: Wilhelm von Aquitanien: Gesammelte Lieder, Zürich (Arche) 1969. Jeanroy, Alfred: Les chansons de Guillaume IX, Duc d’Aquitaine (1071-1127), Paris (Champion) 2 1927. Pasero, Nicolò: Guglielmo IX: Poesie, Modena (S.T.E.M.-Mucchi) 1973. 2.2 Sekundärliteratur Alvar, Carlos: La poesía trovadoresca en España y Portugal, Madrid (Cupsa) 1977. Anglade, Joseph: Le troubadour Guiraut Riquier. Etude sur la décadence de la poésie provençale, Bordeaux (Feret) 1905. Anglade, Joseph: Histoire sommaire de la littérature méridionale au Moyen Âge, Paris (De Boccard) 1921. Appel, Carl: „Zu Marcabru”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 43, 1923, 403-469. Auerbach, Erich: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter, Bern (Francke) 1958. Avalle, D’Arco Silvio: La letteratura medievale in lingua d’oc nella sua tradizione manoscritta. Problemi di critica testuale, Torino (Giappichelli) 1961. Axhausen, Käte: Die Theorien über den Ursprung der provenzalischen Lyrik, Düsseldorf (Nolte) 1937. Baehr, Rudolf (ed.): Der provenzalische Minnesang. Ein Querschnitt durch die neuere Forschungsdiskussion, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1967. Banniard, Michel: „Latin tardif et langue d’oc: de quelques témoignages sociolinguistiques”, in: Perspectives médiévales 22, 1997, Suppl. 33-46. Bartsch, Karl: Grundriss zur Geschichte der provenzalischen Literatur, Elberfeld (Friderichs) 1872. Bec, Pierre: La langue occitane, Paris (Presse universitaire de France) 1963. Bec, Pierre: Écrits sur les troubadours et la lyrique médiévale, Caen (Paradigme) 1992. Bertoni, Giulio: I trovatori d’Italia, Modena (Orlandini) 1915 [Nachdruck: Roma (Società multigrafica) 1967]. Bezzola, Reto R.: Les origines et la formation de la littérature courtoise en Occident (500- 1200), 4 Bände, Paris (Bibliothèque de l’École des Hautes Études) 1958-1963. Bibliographie 359 Brunel, Clovis: Bibliographie des manuscrits littéraires en ancien provençal, Genève (Droz) 1935 [Nachdruck: Genève (Slatkine) 1973]. Camproux, Charles: Histoire de la littérature occitane, Paris (Payot) 1953. Camproux, Charles: Écrits sur les troubadours et la civilisation occitane du Moyen Age, 2 Bände, Castelnau-Le-Lez (Occitania) 1984-1985. Chailley, Jacques: „Les premiers troubadours et les versus de l’école d’Aquitaine”, in: Romania 76, 1955, 212-239. Cnyrim, Eugen: Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten und Sentenzen bei den provenzalischen Lyrikern, Marburg (Elwert) 1888. Contini, Gianfranco: Letteratura italiana delle origini, Firenze (Sansoni) 1970. Crescini, Vincenzo: Manuale per l’avviamento agli studi provenzali, Milano (Hoepli) 1926. Cropp, Glynnis M.: Le vocabulaire courtois des troubadours de l’époque classique, Genève (Droz) 1975. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern / München (Francke) 1965. DHLF, vgl. Rey, Alain DI, vgl. Schweickard, Wolfgang Diez, Friedrich: Leben und Werke der Troubadours. Ein Beitrag zur näheren Kenntnis des Mittelalters, Leipzig (Barth) 1882 [Nachdruck: Hildesheim (Olms) 1965]. Diez, Friedrich: Poesie der Troubadours, Leipzig (Barth) 1883 [Nachdruck: Hildesheim (Olms) 1966]. Diez, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (EWRS), Bonn (Adolph Marcus) 5 1887. Di Girolamo, Costanzo: Elementi di versificazione provenzale, Napoli 1979. EWRS, vgl. Diez, Friedrich, 5 1887 Elwert, Wilhelm Theodor: Italienische Dichtung, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1997. Fassbinder, Klara M.: „Der Trobador Raimbaut von Vaqueiras”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 47, 1927, 619-643. FEW, vgl. Wartburg, Walther von Fidalgo, Elvira / Muíña, Milagros / Magán Abelleira, Fernando / Botana Villar, Maria Xesús: As Cantigas de Loor de Santa María (edición e comentario), Santiago de Compostela (Xunta de Galicia) 2003. Frank, István: Répertoire métrique de la poésie des troubadours, 2 Bände, Paris (Champion) 1953 / 1957. Gaunt, Simon / Kay, Sarah: The Troubadours. An Introduction, Cambridge (University Press) 1999. Gennrich, Friedrich: Der musikalische Nachlass der Troubadours, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1960. Gröber, Gustav: „Die Liedersammlungen der Troubadours”, in: Romanische Studien 2, 1877, 337-670. Gruber, Jörn: Die Dialektik des Trobar. Untersuchungen zur Struktur und Entwicklung des occitanischen und französischen Minnesangs des 12. Jahrhunderts, Tübingen (Niemeyer) 1983. Gruber, Jörn: „Singen und Schreiben, Hören und Lesen als Parameter der (Re)Produktion und Rezeption des occitanischen Minnesangs des 12. Jahrhunderts”, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 57-58, 1985, 35-51. 360 Anhang Heger, Klaus: Die bisher veröffentlichten Harğas und ihre Deutungen, Tübingen (Niemeyer) 1960. Heintze, Michael / Schöning, Udo / Seemann, Frank: Troubadourlyrik in deutscher Übersetzung. Ein bibliographisches Repertorium (1749-2001), Tübingen (Niemeyer) 2004. Hoepffner, Ernest: Les troubadours dans leur vie et dans leurs œuvres, Paris (Colin) 1955. Jeanroy, Alfred: Histoire sommaire de la poésie occitane des origines à la fin du XVIII e siècle, Toulouse (Privat) 1945. Jensen, Frede: The Old Provençal Noun and Adjective Declension, Odense (University Press) 1976. Jensen, Frede: The Syntax of Medieval Occitan, Tübingen (Niemeyer) 1985. Klein, Karl Kurt: Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, Tübingen (Niemeyer) 1987. Köhler, Erich: Troubadourlyrik und höfischer Roman. Aufsätze zur französischen und provenzalischen Literatur des Mittelalters, Berlin (Rütten & Loening) 1962. Köhler, Erich: „Sens et fonction du terme «jeunesse» dans la poésie des troubadours”, in: Pierre Gallais / Yves-Jean Riou: Mélanges offerts à René Crozet I, Poitiers (Société d’Études Médiévales) 1996, 569-583. Kramer, Johannes: „Die Lexikographie des Provenzalischen, Rätoromanischen, Sardischen und Dalmatischen”, in: Hausmann, Franz Joseph / Reichmann, Oskar / Wiegand, Herbert Ernst / Zgusta, Ladislav (edd.): Wörterbücher 2, Berlin / New York (de Gruyter) 1990, 1891-1905. Kramer, Johannes: Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen, Berlin (Erich Schmidt) 1998. Krülls-Hepermann, Claudia: Trobador-Liedkunst. Literaturwissenschaft und Musikgeschichte im Kontext, Frankfurt (Peter Lang) 2000. Kuen, Heinrich: „Rätoromanisches bei Oswald von Wolkenstein”, in: Kuen, Heinrich: Beiträge zum Rätoromanischen, Innsbruck (Romanistisches Seminar) 1991, 120-143. Lafitte-Houssat, Jacques: Troubadours et Cours d’Amour, Paris (Presses Universitaires de France) 1966. Lafont, Robert: Histoire et anthologie de la littérature occitane. Band I: L’âge classique 1000-1520, Montpellier (Université) 1977. Lazar, Moshé: Amour courtois et fin’amors dans la littérature du XIIe siècle, Paris (Klincksieck) 1964. Lazzerini, Lucia: Letteratura medievale in lingua d’oc, Modena 2001. Lefrèvre, Yves: „L’amors de terra lonhdana dans les chansons de Jaufré Rudel”, in: Mélanges offerts à Rita Lejeune, Band 1, Gembloux (Duculot) 1969, 185-196. Leube-Fey, Christiane: Bild und Funktion der dompna in der Lyrik der Trobadors, Heidelberg (Winter) 1971. Lewent, Kurt: „Beiträge zum Verständnis der Lieder Marcabrus”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 37, 1913, 313-451. Mancini, Mario: Il punto su: I trovatori, Roma / Bari (Laterza) 1991. Marrou, Henri-Irénée: Les troubadours, Paris (Éditions du Seuil) 1971. Meneghetti, Maria Luisa: Il pubblico dei trovatori, Torino (Einaudi) 1992. Mölk, Ulrich: Trobar clus, trobar leu. Studien zur Dichtungstheorie der Trobadors, München (Fink) 1968. Mölk, Ulrich: Trobadorlyrik. Eine Einführung, München (Fink) 1982. Bibliographie 361 Moos, Peter von / Lavardin, Hildebert von: Humanitas an der Schwelle des höfischen Zeitalters, Stuttgart (Hiersemann) 1965. Morf, Heinrich: „Vom Ursprung der altprovenzalischen Schriftsprache”, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften 2, 1912, 1014-1035. Müller, Bodo: „Langue d’oc, Languedoc, Occitan”, in: Stimm, Helmut / Wilhelm, Julius: Verba et Vocabula. Ernst Gamillscheg zum 80. Geburtstag, München (Fink) 1968, 323-342. Nelli, René: L’érotique des troubadours, Toulouse (Privat) 1963. Neumeister, Sebastian: Das Spiel mit der höfischen Liebe. Das altprovenzalische Partimen, München (Fink) 1969. Panvini, Bruno: La scuola poetica siciliana, Firenze (Olschki) 1955. Paris, Gaston: Mélanges linguistiques, Paris (Champion) 1909. Paterson, Linda M.: The World of the Troubadours, Cambridge (University Press) 1993. Payen, Jean-Charles: Le Prince d’Aquitaine. Essai sur Guillaume IX, son œuvre et son érotique, Paris (Champion) 1980. Pfister, Max: „Die Anfänge der altprovenzalischen Schriftsprache”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 86, 1970, 305-323. Pfister, Max: „La langue de Guilhem IX, comte de Poitiers”, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 19, 1976, 91-113 = „Die Sprache von Guilhem IX, Graf von Poitiers”, in: Colón, Germán / Kopp, R. (edd.): Mélanges de langues et de littérature romanes offerts à Carl Theodor Gossen, Band 2, Bern / Liège (Francke) 1976, 715-735. Pfister, Max / Lupis, Antonio: Introduzione all’etimologia romanza, Catanzaro (Rubbettino) 2001. Pillet, Alfred: Zum Ursprung der altprovenzalischen Lyrik, Halle (Niemeyer) 1928 [Nachdruck: New York (Franklin) 1968]. Pillet, Alfred / Carstens, Henry: Bibliographie der Troubadours, Halle (Niemeyer) 1933. Pirot, François: „Bibliographie commentée du troubadour Marcabru”, in: Le Moyen Âge 73, 1967, 87-126. Plangg, Guntram: „Romanisches in der Dichtung Oswalds von Wolkenstein”, in: Plangg, Guntram / Tiefenthaler, Eberhard (edd.): Weltoffene Romanistik. Festschrift für Alwin Kuhn, Innsbruck (Romanistisches Seminar) 1963, 51-66. Rey, Alain: Dictionnaire historique de la langue française (DHLF), Paris (Le Robert) 1992. Rieger, Dietmar: Gattungen und Gattungsbezeichnungen der Trobadorlyrik. Untersuchungen zum altprovenzalischen Sirventes, Tübingen (Niemeyer) 1976. Rieger, Dietmar (ed.): Mittelalterliche Lyrik Frankreichs II: Lieder der Trouvères. Stuttgart (Reclam) 1983. Römer, Ludwig: Die volkstümlichen Dichtungsarten der altprovenzalischen Lyrik, Marburg (Elwert) 1884. Rosenberg, Samuel N. / Tischler, Hans (edd.): Chansons des trouvères, Paris (Librairie Générale Française) 1995. Scheludko, Dimitri: „Ovid und die Troubadours“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 54, 1934, 129-174. Scheludko, Dimitri: „Über die Theorien der Liebe bei den Troubadours“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 60, 1940, 191-234. Schlegel, August Wilhelm von: Observations sur la langue et la littérature provençales, Paris (Librairie Grecque-Latine-Allemande) 1818 [Neudruck mit Vorwort von Gunter Narr, Tübingen (Narr) 1971. 362 Anhang Schlieben-Lange, Brigitte: „Das Gattungssystem der altokzitanischen Lyrik”, in: Frank, Barbara / Haye, Thomas / Tophinke, Doris (edd.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit, Tübingen (Narr) 1997, 81-99. Schrötter, Wilibald: Ovid und die Troubadours, Halle (Niemeyer) 1908. Schuchardt, Hugo: „Romanische Etymologien II: Franz. trouver, prov. trovar, ital. trovare ‚finden’, graub.-lad. truvar ‚richten’ < lat. turbare”, in: Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften 141 (III), Wien (Gerold) 1899, 54-186. Schulz-Gora, Oscar: „Eine weitere Anspielung auf Valensa“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 24, 1900, 122. Schweickard, Cristine: «Sobre·l vieill trobar e·l novel». Zwei Jahrhunderte Trobadorlyrik: Thematische Schwerpunkte und Schlüsselbegriffe, Frankfurt (Haag und Herchen) 1984. Schweickard, Wolfgang: Deonomasticon Italicum (DI) 1, Tübingen (Niemeyer) 2002. Schweickard, Wolfgang: Deonomasticon Italicum (DI) 2, Tübingen (Niemeyer) 2006. Selig, Maria: „Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Bereich der trobadoresken Lieddichtung”, in: Röcke, Werner (ed.): Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel, Tübingen (Narr) 1996. Spitzer, Leo: „Romanisches bei Oswald von Wolkenstein”, in: Neuphilologische Mitteilungen 21, 1920, 72-77. Spitzer, Leo: „trouver”, in: Romania 66, 1940, 1-11. Spitzer, Leo: „L’amour lointain de Jaufré Rudel et le sens de la poésie des troubadours”, in: Spitzer, Leo: Romanische Literaturstudien, Tübingen (Niemeyer) 1959, 363-417. Spoerri, Theophil: „Wilhelm von Poitiers und die Anfänge der abendländischen Poesie”, in: Baehr, Rudolf: Der provenzalische Minnesang, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1967, 175-197. Stern, Samuel Miklos: Les chansons mozarabes. Les vers finaux (kharjas) en espagnol dans les «muwashshahs» arabes et hébreux, Palermo (Istituto di Filologia Romanza) 1953. Swiggers, Pierre: „Les premières grammaires occitanes: Les «Razos de trobar» de Raimon Vidal et le «Donatz Proensals» d’Uc (Faidit)”, in: Zeitschrift für romanische Philologie 105, 1989, 134-147. Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull I: Die kleinen Gedichte (1-60), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1984. Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull II: Die großen Gedichte (61-68), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1990. Syndikus, Hans Peter: Kommentar zu Catull III: Die Epigramme (69-116), Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1987. Toja, Gianluigi: „La lingua di Arnaut Daniel“, in: Cultura Neolatina 29, 1969, 58-83. Wachinger, Burghardt: „Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein”, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 106, 1977, 277-296. Wallensköld, Axel: Les chansons de Conon de Béthune, Paris (Champion) 1921. Wallensköld, Axel: Les chansons de Thibaut de Champagne, roi de Navarre, Paris (Champion) 1925. Wartburg, Walther von: Französisches Etymologisches Wörterbuch (FEW), 25 Bände, Basel (Zbinden) 1922-2002. Winter-Hosman, Mieke de: „La naissance d’une terminologie de genres chez les premiers troubadours”, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 30, 1990, 139-149. Bibliographie 363 Wolfzettel, Friedrich: „Die mittelalterliche Lyrik Nordfrankreichs”, in: Lyrik des Mittelalters I, Stuttgart (Reclam)1983, 391-578. Wunderli, Peter: „Réflexions sur le système des genres lyriques en ancien occitan”, in: Mélanges de langue et littérature occitanes en hommage à Pierre Bec par ses amis, ses collègues, ses élèves, Poitiers (Université) 1991, 599-615. Zufferey, François: Recherches linguistiques sur les chansonniers provençaux, Genève (Droz) 1987. 2.3 Wörterbücher und Grammatiken 2.3.1 Wörterbücher Levy, Emil: Provenzalisches Supplementwörterbuch, 8 Bände, Leipzig 1894-1924 [Nachdruck: Heidelberg (Carl Winter) 1973]. Levy, Emil: Petit dictionnaire provençal-français, Heidelberg (Carl Winter) 6 1973. Raynouard, François-Juste-Marie: Lexique roman ou Dictionnaire de la langue des troubadours, 6 Bände, Paris (Firmin Didot) 1836-1845. 2.3.2 Grammatiken Anglade, Joseph: Grammaire de l’Ancien Provençal, Paris (Klincksieck) 1921. Mok, Quirinus Ignatius Maria: Manuel pratique de morphologie de l’ancien occitan, Muiderberg (Coutinho) 1977. Raynouard, François-Juste-Marie: Grammaire comparée des langues de l’Europe latine, Paris (Firmin Didot) 1821. Roncaglia, Aurelio: La lingua dei trovatori, Roma (Edizioni dell’Ateneo) 1965. Schulz-Gora, Oskar: Altprovenzalisches Elementarbuch, Heidelberg (Carl Winter) 6 1973.