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Konkurrierende Zugehörigkeit(en)

2010
978-3-8649-6248-6
UVK Verlag 
Christof Rolker
Gabriela Signori

Von Adams Benennungen im Paradies bis zu den selbstgewählten Nutzer-Namen in virtuellen Räumen sind es Namen, mit denen Menschen sich und andere auf bestimmte Identitäten festlegen oder festzulegen versuchen. Der vorliegende Sammelband widmet sich den vielfältigen Namenspraktiken im spätmittelalterlichen Europa von Irland bis in die Toskana, in Städten wie Florenz, Brügge und Köln ebenso wie auf den Höfen und in den Dörfern des Urner Landes. Männer und Frauen, Christen und Juden, Ratsherren, Handwerker und Bauern hatten jeweils ihre eigenen Arten und Weisen, mit Namen umzugehen - weit kreativer, als es ihnen die ältere Forschung zugestehen wollte.

Spätmittelalterstudien herausgegeben von Gadi Algazi (Tel Aviv) · David J. Collins (Washington) Christian Hesse (Bern) · Nikolas Jaspert (Bochum) Hermann Kamp (Paderborn)· Martin Kintzinger (Münster) Pierre Mo nnet (Paris / Saarbrücken )· Joseph Morsel (Paris) Eva Schlotheuber (Münster)· Hans-Joachim Schmid t (Fribourg) Sigrid Schmitt (Trier)· Gabriela Signori (Konstanz)· Birgit Studt (Freiburg i. Br.)· Simon Teuscher· (Zürich) Band 2 Christo f Rolker, Gabriela Signori (Hg.) Konkurrierende Zugehörigkeit(en) Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich UVK Verlagsgesellschaft mbH Gedruckt mit Fördermitteln des Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1868-7490 ISBN 978-3-86496-248-6 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 201 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: Stadtarchiv Konstanz, A IV 6, fol. 1 r. Satz und Layout: Amelie Rösinger, Konstanz Druck: Bookstation GmbH, Sipplingen UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de 1 Zugehörigkeiten Einleitung: Zugehörigkeiten - Identitäten 7 Namensspender C HRISTOF R OLKER Patenschaft und Namengebung im späten Mittelalter 17 A NDREAS K RASS Im Namen der Mutter. Symbolische Geschlechterordnung 39 in der Melusine Thürings von Ringoltingen (1456) G ABRIELA S IGNORI „Im Namen des Vaters“: Illegitimität im Spiegel der 53 spätmittelalterlichen Namenspraxis Orte M ARC VON DER H ÖH Name und Verwandtschaftsgruppe. Zur Frühgeschichte 73 der Kölner Geschlechter im 13. Jahrhundert K ARIN C ZAJA Dez namen sol er schreiben in ein puch. Namenslisten im 99 spätmittelalterlichen Nürnberg P ETER S TABEL Personal and collective identity: naming practices in a 109 guild milieu. Bruges in the fifteenth and early sixteenth century S PARKY B OOKER Ashamed of their very English names? Identity and the use 131 of Irish names by the English of late medieval Ireland Gruppen L ILACH A SSAF The language of names. Jewish onomastics in late 149 medieval Germany, identity and acculturation C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER Künstlernamen und künstliche Verwandtschaftsformen 161 in der Renaissance G ABRIELA S IGNORI Namen, Menschen und Orte. Ländliche Praktiken der 179 Namengebung aus der Perspektive dreier spätmittelalterlicher Grundherrschaften C HRISTOF R OLKER „Man ruft dich mit einem neuen Namen ...“. 195 Monastische Namenspraktiken im Mittelalter Ortsregister 215 Autorenverzeichnis 219 Einleitung: Zugehörigkeiten - Identitäten Von Adams Benennungen im Paradies (Gen 2, 19-20) bis hin zu den selbst gewählten User-Namen in virtuellen Räumen - es sind zunächst und vor allen anderen Dingen die Namen, mit denen Menschen sich und andere auf eine bestimmte Zugehörigkeit festlegen oder, zuweilen auch gewaltsam, festzulegen versuchen. 1 Längere Zeit galt das Augenmerk der Mittelalterforschung der im Namen sichtbar gemachten ethnischen Zugehörigkeit: so etwa das von der DFG geförderte Großprojekt „Nomen et gens“ 2 oder die Vielzahl der Studien, die sich mit den gentilen Differenzen in der Namengebung von Normannen und Angelsachsen befassen. 3 Im späteren Mittelalter trat diese ethnische Dimension - so sie je die Bedeutung hatte, die ihr das 19. und 20. Jahrhundert zuschrieben - allerdings immer mehr in den Hintergrund zugunsten anderer Referenz- und Wertesysteme. Immer mehr Menschen begannen zunächst Beidann immer häu- 7 1 Le nom dans les sociétés occidentales contemporaines, hrsg. von A GNÈS F INE und F RANÇOISE -R OMAINE Q UELLETTE (Les anthropologiques), Toulouse 2005; B ARBARA B O - DENHORN und G ABRIELE VOM B RUCK , “Entangled in histories”: an introduction to the anthropology of names and naming, in: The anthropology of names and naming, hrsg. von DENS ., Cambridge 2006, S. 1-28; Namen, hrsg. von U LRIKE K RAMPL und G ABRIELA S IGNORI (L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 20. Jg. Heft 1), Köln und Wien 2009. 2 Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuches des Frühmittelalters, hrsg. von D IETER G EUENICH , W OLFGANG H AUBRICHS und J ÖRG J ARNUT (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 32), Berlin und New York 2002; Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger, hrsg. von D IETER G EUENICH (Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlichen Grundlagen 2), Hildesheim u. a. 2006; Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen, hrsg. von A LBRECHT G REULE und M ATTHIAS S PRINGER (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 66), Berlin und New York 2009. Vgl. die Kritik von H ANS -W ER - NER G OETZ , Gentes in der Wahrnehmung frühmittelalterlicher Autoren und moderner Ethnogeneseforschung: Zur Problematik einer gentilen Zuordnung von Personennamen, in: Person und Name (wie oben), S. 204-20, sowie DERS ., Probleme, Wege und Irrwege bei der Erforschung gentiler Namengebung, in: Name und Gesellschaft (wie oben), S. 319-35. 3 Vgl. den Überblick von J ANET L. N ELSON und F RANCESCA T INTI , The aims and objects of the prosopography of Anglo-Saxon England: 1066 and all that? , in: Name und Gesellschaft (wie Anm. 2), S. 241-58. figer auch feste Nachnamen zu führen. Gerne wird die Entwicklung auf den wachsenden Einfluß des modernen Staates bzw. ,moderner’ Verwaltungsapparate zurückgeführt. 4 Doch dies ist eine eigentümliche Verkürzung eines an sich bemerkenswert vielschichtigen Sachverhaltes, der nicht in der Verwaltung, sondern in der Kultur verankert ist. Mit dem Taufnamen gleichermaßen wie mit den Bei- oder Nachnamen wurden - um mit der Primärbeziehung der Verwandtschaft zu beginnen - Filiationen (bzw. Stammbäume) nicht abgebildet, sondern häufig erst erschaffen. 5 Söhne trugen den Namen ihrer Väter oder Großväter und Töchter den Namen ihrer Mütter oder Großmütter. Was für die ehelichen Kinder zutraf, galt auch für die ‚natürlichen’ Kinder, ebenso für die Paten- und die Adoptivkinder. 6 Im Falle der ‚natürlichen’, also illegitimen Kinder brachten die Namen auch zusammen, was von Rechtswegen nicht zusammengehören sollte. Die im Namen dokumentierten Verwandtschaftsbezüge sind allerdings nicht immer eindeutig. Ein und derselbe Name konnte auf verschiedene Träger zurückgehen. So konnte ein Taufname zugleich auf den 4 J AMES C. S COTT , J OHN T EHRANIAN und J EREMY M ATHIAS , The production of legal identities proper to state. The case of the permanent family surname, in: Comparative Studies in Society and History 44 (2002), S. 4-44. Die Autoren machen die These stark, die Praxis, einen festen Nachnamen zu führen, sei ein Produkt moderner Staatlichkeit; so neben vielen anderen auch C LAIRE J UDDE DE L ARIVIÈRE , Du sceau au passeport. Genése des pratiques médiévales de l’identification, in: L’identification. Genése d’un travail d’État, hrsg. von G ÉRARD N OIRIEL , Paris 2007, S. 57-78. Aus der deutschen Forschung siehe zuletzt etwa R UDOLF S CHÜTZEICHEL , Einführung in die Familienkunde, in: M AX G OTTSCHALD , Deutsche Namenkunde, hrsg. von R UDOLF S CHÜTZEICHEL , Berlin 6 2006, S. 13-76, bes. S. 47: „Die historischen Bedingungen für das Aufkommen der Familiennamen werden am ehesten in den praktischen Bedürfnissen städtischer oder ähnlicher Verwaltungen zu suchen sein. Hier mußte bei den wachsenden Einwohnerzahlen und den wachsenden Verwaltungsaufgaben am ehesten das Bedürfnis zu klarer Unterscheidung und Bezeichnung der Personen entstehen.“ 5 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , La maison et le nom. Stratégies et rituels dans l’Italie de la Renaissance (Civilisations et sociétés 81), Paris 1990; DIES ., L’arbre des ancêtres. Essai sur l’imaginaire médiéval de la parenté (L’esprit de la cité), Paris 2000; DIES ., L’arbre des familles, Paris 2003. 6 K LAPISCH -Z UBER , La maison (wie Anm. 5); Liens de famille. Vivre et choisir sa parenté (Médiévales 19), Condé-sur-Noireau 1990; G ABRIELA S IGNORI , ‘Family traditions’. Moral economy and memorial ‘gift exchange’ in the urban world of the late fifteenth century, in: Negotiating the gift. Pre-modern figurations of exchange, hrsg. von G ADI A LGAZI , V ALENTIN G ROEBNER und B ERNHARD J USSEN (Veröffentlichungen des Max- Planck-Instituts für Geschichte 188), Göttingen 2003, S. 295-328. Zu den Patenkindern vgl. den Überblick von C HRISTOF R OLKER in diesem Band (S. 17-37). 8 Vater und das Patrozinium der Taufkirche oder auf eine Patin und die Großmutter verweisen. Mit den Namen wurden aber nicht nur Verwandtschaftsbezüge konstruiert. Über Ruf- und Familiennamen konnten sich die Menschen auch in vielfältiger Weise in ihren Lebensraum einschreiben - in die Region, die Stadt oder das Kirchspiel, in denen sie lebten und denen sie sich auf die eine oder andere Weise zugehörig fühlten. Solche Zugehörigkeiten konnten mit ,lokalen’ Namen wie Sebald in Nürnberg oder Afra in Augsburg zur Schau gestellt werden. Aber auch mit Hilfe von Beinamen verbanden sich Menschen mit Orten und Räumen, in denen sie sich bewegten: Besonders in Gebieten mit Streusiedlung standen Namen und Orte in regem Austausch, trugen Menschen die Orte, an denen sie lebten, im Namen oder gaben, umgekehrt, den Orten ihren Namen. 7 In anderen Regionen erhob sich das Haus bzw. der Hof, der einem gehörte, zum Namensträger oder Namensspender. Dasselbe galt für das Haus in der Stadt. 8 Schon kurzfristige Aufenthalte fern der Heimat konnten zu Umbenennungen führen, weil die ,Übersetzung’ von Namen anders als in der Moderne weithin gebräuchlich war, so dass ein Giovanni di Nicolao Arnolfini (ca. 1400 - nach 1452) zum Jean Arnoulphin wurde, wenn er von Lucca nach Brügge überwechselte. 9 Stabiler als diese ephemeren Namensformen waren hingegen die Beinamen von Migranten, die sich über den Ort auswiesen, von dem sie herkamen. 10 Solche Namen ersetzten vorhandene Beinamen, häufiger aber noch traten sie neben die alten und trugen so zu der für die spätmittelalterlichen Stadt charakteristischen Mehrnamigkeit als Spiegel konkurrierender Zugehörigkeiten bei. 11 7 F RANÇOIS M ENANT , Die Namen der Landbevölkerung im Mittelalter (Oberitalien und Südfrankreich), in: Personennamen und Identität. Namengebung und Namengebrauch als Anzeiger individueller Bestimmung und gruppenbezogener Zuordnung, hrsg. von R EINHARD H ÄRTEL (Grazer grundwissenschaftliche Forschungen 3), Graz 1997, S. 423-40, hier S. 431. 8 Vgl. Häuser, Namen, Identitäten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, hrsg. von K ARIN C ZAJA und G ABRIELA S IGNORI (Spätmittelalterstudien 1), Konstanz 2009. Das Phänomen war bzw. ist nicht allein in den süddeutschen Städten verbreitet, für viele andere Regionen aber noch gänzlich unerforscht. 9 Das Beispiel nach A RNOLD E SCH , Viele Loyalitäten, eine Identität. Italienische Kaufmannskolonien im spätmittelalterlichen Europa, in: Historische Zeitschrift 254 (1992), S. 581-608. 10 Anthroponymie et déplacements. Migrations, réseaux, métissage dans la chrétienté médiévale, hrsg. von M ONIQUE B OURIN and P ASCUAL M ARTÍNEZ S OPENA , Paris 2009. 11 Dieser Befund stellt aus Sicht der prosopographischen Forschung vor allem ein heuristisches Problem dar, siehe etwa H EINRICH R ÜTHING , Der Wechsel von Personenna- 9 Nicht allein in den Städten finden sich solche Namen, sondern auch Mönche und Studenten trugen den Ort, von dem sie herkamen, im Namen mit sich. Johannes Butzbach (1477-1516) hieß in Miltenberg noch nach dem Heimatort des Vaters, eben Butzbach. Als Abt von Laach hieß er Johannes von Miltenberg bzw. Piemontanus. Bei den Scholaren waren Namen, die auf ihre Herkunft verwiesen, schon im 12. und 13. Jahrhundert gang und gäbe - man denke nur an Petrus Lombardus (alias Novariensis) in Paris oder Johannes Teutonicus in Bologna. Das Phänomen ist bekannt, und dementsprechend häufig werden Namen als Indikatoren für das Einzugsgebiet einer Stadt, eines Konvents oder einer Universität genutzt, trotz der damit verbundenen methodischen Schwierigkeiten. Andere knüpften, wenn sie ihren Kindern Namen verliehen oder den eigenen verändern wollten, an Vorbilder aus Geschichte und Literatur an; wiederum andere entschieden sich für prominente Heilige. 12 men in einer spätmittelalterlichen Stadt. Zum Problem der Identifizierung von Personen und zum sozialen Status von Stadtbewohnern mit wechselnden und/ oder unvollständigen Namen, in: Medieval lives and the historian. Studies in medieval prosopography, hrsg. von N EITHARD B ULST und J EAN -P HILIPPE G ENET , Kalamazoo, Mich. 1986, S. 215-26 und die in der nächsten Anm. genannte Literatur. Für die ältere Litera-tur siehe A DOLF B ACH , Deutsche Namenkunde, Bd. 1: Die deutschen Personennamen (Grundriß der germanischen Philologie 18), Berlin 1943, § 347. Aus der neueren prosopographischen Forschung seien stellvertretend genannt: T HOMAS E RTL , Ihr irrt viel umher, Ihr jungen Leute. Der mittelalterliche Franziskanerorden zwischen europäischer Entgrenzung und regionaler Beschränkung, in: Vita communis und ethnische Vielfalt. Multinational zusammengesetzte Klöster im Mittelalter, hrsg. von U WE I SRAEL (Vita regularis 29), Berlin 2006, S. 1-34; R AINER C HRISTOPH S CHWINGES , Die Herkunft der Neubürger. Migrationsräume im Reich des späten Mittelalters, in: Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250-1550), hrsg. von DEMS . (Zeitschrift für historische Forschung. Beihefte 30), Berlin 2002, S. 371-408; DERS ., Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches, Stuttgart 1986, S. 222-30 sowie R AINER C HRISTOPH S CHWINGES und R OLAND G ERBER , Einleitung, in: Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392-1521 (Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erffordensis existencium), hrsg. von DENS . (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen. Große Reihe 3), Jena und Stuttgart 1995, S. XI-LXV, hier S. XVIII-XXII zu wechselnden Namen und Namensformen. 12 Der Siegeszug der christlichen Namen ist insbesondere von der französischen Forschung schon vielfach beschrieben worden, vgl. Le prénom, mode et histoire. Entretiens de Malher 1980, hrsg. von J ACQUES D UPÂQUIER , A LAIN B IDEAU und M ARIE - É LIZABETH D UCREUX , Paris 1989; L OUIS P EROUAS , B ERNADETTE B ARRIÈRE , J EAN B OUTIER , J EAN -C LAUDE P EYRONNET und J EAN T RICARD , Léonard, Marie, Jean et les autres. Les 10 Höfische Vorlieben sind erkennbar, wenn Kinder Lanzelot hießen, während der Name Alexander, wo immer er im Mittelalter auftaucht, den Anspruch auf Weltherrschaft impliziert - im Übrigen auch bei den Päpsten. 13 Äneas oder Lukretia hingegen sind als humanistisches Bekenntnis zu lesen, zugleich stehen Namen wie Lukretia aber auch für ein neues Frauenbild, also ein verändertes Wertesystem. 14 Einige andere schließlich stellten im Namen ihrer Söhne und Töchter ihre politische Gesinnung zur Schau, wenn sie sie Friedrich, Maximilian, Karl oder Charles tauften. 15 Auch an den Nachnamen wurde gearbeitet, wenn aus Konrad Pickel Conradus Celtes Protucius (1454-1508) oder aus Rudolf Bauer Rudolfus Agricola Wasserburgensis (1490- 1521) wurde. 16 Die Palette an Möglichkeiten, sich und seinen Kindern mit Hilfe der Namen ein besonderes Profil zu verleihen, war demnach breit. Die Wahl selbst, wie gesagt, aber selten eindeutig. Häufig verschmolzen Familientradition und Lokalgeschichte, Frömmigkeit und Pragmatismus, Politik und Gewohnheit usw. Um dieses Spiel der Zugehörigkeiten und Bekenntnisse begrifflich zu fassen, schien uns das Identitätskonzept sozusagen frei nach Herbert Marcuse zu eindimensional. 17 Im Vergleich zur Identität mögen konkurrierende Zugehörigkeiten schlicht und farblos daherkommen, jedoch passt der Begriff besser zu unserem Anliegen. Es geht nämlich primär prénoms en Limousin depuis un millénaire, Paris 1984; J EAN -G ABRIELA O FFROY , Le choix du prénom, Paris 1993. 13 Zu Papstnamen siehe B ERND -U LRICH H ERGEMÖLLER , Die Geschichte der Papstnamen, Münster 1980. 14 Speziell zu den Frauen vgl. O LIVIER G UYOTJEANNIN , Les filles, les femmes, le lignage, in: L’anthroponymie. Document de l’histoire sociale des mondes méditerranéens médiévaux, hrsg. von M ONIQUE B OURIN , J EAN -M ARIE M ARTIN und F RANÇOIS M ENANT (Collections de l’École française de Rome 226), Rom 1996, S. 383-400; P ATRICIA S KINNER , „And her name was ...? “ Gender and naming in medieval Southern Italy, in: Medieval Prosopography 20 (1999), S. 23-49; J OSEPH M ORSEL , Personal naming and representations of feminine identity in Franconia in the later Middle Ages, in: Personal names studies of medieval Europe. Social identity and familial structures, hrsg. von G EORGE T. B EECH , M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE (Studies in Medieval Culture 43), Kalamazoo 2002, S. 157-80. 15 J OSEPH M ORSEL , De l’usage politique et social des prénoms en Franconie à la fin du Moyen Âge, in: Commerce, finances et société (XI e -XVI e siècles). Recueil de travaux d’histoire médiévale offert à M. le Professeur Henri Dubois, hrsg. von P HILIPPE C ONTA - MINE , T HIERRY D UTOUR und B ERTRAND S CHNERB (Cultures et civilisations médiévales 9), Paris 1993, S. 379-93. 16 B ACH , Deutsche Namenkunde (wie Anm. 12), § 373, S. 442-4. 17 Zum Konzept vgl. H ERBERT M ARCUSE , Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (Schriften 7), Frankfurt 1989. 11 darum, zu zeigen, dass es im Spätmittelalter für fast alle möglich war, bei der Namengebung oder beim Namenswechsel zwischen mehreren Bezugssystemen zu wählen und mit den verschiedenen Bedeutungen zu spielen bzw. zu operieren. Um diese Wahlmöglichkeit der Namen im Spiel- und manchmal auch im Spannungsfeld unterschiedlicher Zugehörigkeiten kreist schließlich auch vorliegender Sammelband, der in drei Blöcke unterteilt ist. Im ersten Teil steht die Namengebung durch Eltern und Elternfiguren im Zentrum der Aufmerksamkeit, im zweiten geht es um den erweiterten Kreis von Freundschaft und Verwandtschaft. Im dritten Teil sind Studien zusammengefügt, die jenseits von Familie und Verwandtschaft die orts- und gruppenspezifischen Namenspraktiken fokussieren. Die ,Elternschaften’, um die es in den Beiträgen des ersten Teils geht, sind ganz unterschiedlicher Art. Vor allen anderen Verwandten waren es leibliche und geistliche Eltern, also Mütter und Väter sowie Patinnen und Paten, die den Namen eines Neugeborenen bestimmten. Häufig, aber keineswegs immer, gaben sie dabei ihre eigenen Namen weiter, wie Christof Rolker im europäischen Vergleich zeigt. Sein Interesse gilt besonders dem eigenartigen Widerspruch zwischen der prominenten Rolle der Paten bei der Namengebung und ihrer ,Unsichtbarkeit’ in vielen anderen Zusammenhängen. Andreas Kraß analysiert das Zeichensystem Namen in den spätmittelalterlichen Melusine-Romanen und seine Rolle für die Ordnung der Geschlechter. Er versteht den Begriff Geschlecht sowohl im Sinne von gender als auch von ,Familienverband’. Nicht um literarische, sondern um höchst reale, allerdings illegitime Elternschaft geht es anschließend im Beitrag von Gabriela Signori, die im Spiegel der Namengebung den Beziehungen zwischen den Vätern und ihren ,natürlichen’ Kindern nachgeht. Waren die Rufnamen in diesem Sinne zunächst einmal Familien- oder besser gesagt Verwandtensache, verbanden ausgerechnet die sogenannten ,Familiennamen’ in der Vormoderne den oder die Einzelne keineswegs nur mit der Herkunftsfamilie und gegebenenfalls Heiratsverwandtschaft, sondern auch mit anderen Gesellschaftsgruppen: Mit ,künstlichen’ Verwandtschaften wie im Fall der Renaissance-Künstler, mit denen sich Christiane Klapisch-Zuber befasst, oder der Kölner und Nürnberger Ratsherren-Familien, die Marc von der Höh bzw. Karin Czaja in den Blick nehmen. Nicht die Zugehörigkeit zu agnatischen Verbänden bestimmte den ,Familiennamen’, sondern die Künstler-Dynastien und ratsfähigen Geschlechter konstituierten sich erst um die Namen herum. Zugleich banden Namen aller Art den Einzelnen immer auch in Gruppen ein, die weit größer waren als ,natürliche’ oder ,künstliche’ Familienvebände. Peter Stabel zeigt anhand der Handwerker-Zünfte im spätmittelalterlichen Brügge, wie sich Muster 12 sozialer und räumlicher Mobilität in der Namengebung niederschlagen konnten, wenn Eingesessene und Zugezogene, Meistersöhne und Aufsteiger, Angehöriger dieser oder jener Zunft ihr Verhältnis zueinander bestimmten. Noch größeren Verbänden widmet sich Sparky Bookers Beitrag zu den Engländern im spätmittelalterlichen Irland. Die markanten Unterschiede zwischen gälischen und englischen Namen wurden einerseits sowohl von Zeitgenossen als auch späteren Historikern immer wieder als Basis ethnischer Zuordnungen verwendet. Zugleich schlug sich, allen diesbezüglichen Verboten zum Trotz, in den neuen Namensformen aber auch der rege Austausch zwischen den englischen und den irisch-gälischen Bevölkerungsgruppen nieder. Ebenfalls um Differenz und gleichzeitiger Interaktion geht es in Lilach Assafs Beitrag, der sich mit den Namenspraktiken im aschkenasischen Judentum auseinandersetzt. So faszinierend die Unterschiede zwischen jüdischer und christlicher Namengebung auch sein mögen, etwa in der dem Christentum fremden Differenzierung zwischen heiligem und profanen Namen (shem kodesh bzw. shem chol), weist die Entwicklung der jüdischen Namenspraktiken im 13. und 14. Jahrhundert dennoch auch auf ein hohes Maß von Interaktion mit ihrer christlichen Umwelt hin. Egal wie groß die durch Namen konstituierten Gruppen, von der Kernfamilie bis zu ,nationalen’ und religiösen Gemeinschaften, auch immer sein mochten, so gut wie nie erscheint die Namengebung als eine explizit regulierte oder institutionalisierte soziale Praxis. 18 Das gilt auch für den im gesamten Mittelalter seltenen ,Ordensnamen’, für den sich bestimmte Muster allenfalls lokal herausbildeten, wie Christof Rolker zeigt. Nur allmählich, im Widerstreit der Konfessionen, bildete sich eine entsprechende Praxis heraus, die erst im Rückblick als etablierte Tradition erscheinen konnte. Andere Formen von Zugehörigkeit nimmt Gabriela Signori in ihrem Vergleich dreier Dorfgemeinschaften in den Blick. Namenspraktiken - Nennen und Benanntwerden - variieren hier auf engstem Raum. Immer wieder anders gestaltet sich das Wechselspiel zwischen Land und Leuten, Männern und Frauen, Herrschaft und Genossenschaft. Konstanz, 2010 Christof Rolker und Gabriela Signori 13 18 Siehe auch K ARIN C ZAJA und G ABRIELA S IGNORI , Editorial, in: Häuser, Namen, Identitäten (wie Anm. 8), S. 7-10, hier 7-8. Namensspender Patenschaft und Namengebung im späten Mittelalter Mittelalterliche Namen waren Taufnamen: So trivial diese Feststellung sein mag, so wenig kann die Bedeutung unterschätzt werden, die der Verknüpfung des christlichen Initiationsrituals mit der sozialen Geburt, die die Namengebung ist, zukommt. Angesichts der hohen Bedeutung der Namengebung für alle Formen der Vergesellschaftung ist die Frage nach der Ausgestaltung dieser Verbindung immer auch eine Frage nach Verwandtschaftsstrukturen. 1 Für das Mittelalter ist es dabei insbesondere die Benennung durch und nach Taufpaten, die einerseits für die ,Christianisierung’ der Namengebung steht, andererseits Auskunft über das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Initiationsriten, dem religiösen und dem familiaren, geben kann. Empirische Untersuchungen gestalten sich aber als ausgesprochen schwierig, selbst wenn man sich auf die einfache Frage beschränkt, wie häufig Täuflinge im Mittelalter den gleichen Namen wie ihre Paten trugen. Kirchenbücher, die eine Überprüfung erlaubten, wurden im Mittelalter nur selten angelegt und haben sich noch seltener erhalten. 2 Entsprechend zurückhaltend ist die Forschung mit allgemeinen Aussagen über die Nachbenennung nach Taufpaten. 3 Dort, wo Hypothesen gewagt werden, fallen diese allerdings höchst unterschiedlich aus: Einerseits findet sich die Position, dass die Nachbenennung nach Paten, da seit der Antike belegt und in der Neuzeit sehr weit verbreitet, auch im Mit- 1 J OHN B OSSY , Godparenthood. The fortunes of a social institution in early modern Christianity, in: Religion and society in early modern Europe, 1500-1800, hrsg. von K AS - PAR VON G REYERZ , London 1984, S. 194-201; C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls. Une approche comparée de la France, l’Angleterre et l’Italie médiévales, in: Medieval Prosopography 6 (1985), S. 51-77; J OSEPH H. L YNCH , Godparents and kinsin early medieval Europe, Princeton 1986; B ERNHARD J USSEN , Patenschaft und Adoption im frühen Mittelalter. Künstliche Verwandtschaft als soziale Praxis (Veröffentlichungen des MPI Geschichte 98), Göttingen 1991. 2 H UBERT J EDIN , Das Konzil von Trient und die Anfänge der Kirchenmatrikeln, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 32 (1943), S. 419-94; H EINRICH B ÖRSTING , Geschichte der Matrikeln von der Frühkirche bis zur Gegenwart, Freiburg 1959; M ATTHIAS S IMON , Zur Geschichte der Kirchenbücher, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 29 (1960), S. 1-24 (scharfe Kritik an B ÖR - STING ). 3 A DOLF B ACH , Deutsche Namenkunde, 3 in 5 Bde., Heidelberg 1952-56, Bd. 2/ II, S. 220; M ICHAEL M ITTERAUER , Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993 s.v. Nachbenennung nach Paten. 17 C HRISTOF R OLKER telalter mehr oder minder die Regel gewesen sei. Zumindest für Gallien bzw. Frankreich hat Bernhard Jussen die Vermutung geäußert, dass Paten durch das gesamte Mittelalter hindurch regelmäßig eine namengebende Rolle gespielt hätten. 4 Am anderen Ende des Spektrums steht die skeptische bis ablehnende Haltung von Teilen der genealogischen Forschung. Josef Heinzelmann etwa, der sich ansonsten nicht scheut, ,Gesetze’ zur Erklärung der mittelalterlichen Namengebung zu benennen, hält kategorisch fest: 5 „Eine Nachbennung nach Paten darf nicht angenommen werden.“ Unbestritten ist dabei, dass im Christentum eine sehr lange Tradition der Nachbenennung nach geistlichen Verwandten existiert. Aus der Spätantike wie dem Frühmittelalter gibt es zahlreiche, wenn auch anekdotische Belege für die Annahme eines neuen bzw. zusätzlichen Namens bei Konversion, Eintritt in das Katechumenat, der Taufe selbst oder anlässlich der Firmung; oft spielen Paten, Lehrer oder vergleichbare Personen eine Rolle bei der Wahl des neuen Namens. 6 Ein frühes und bekanntes Beispiel ist der heilige Cyprian († 258), der sich nach dem ihn bekehrenden Lehrer Caecilius zubenannte. Die Berichte Gregors von Tours († 594) lassen erkennen, dass im fränkischen Gallien die Namengebung auch bei Kindertaufen nichts Ungewöhnliches war; mehrfach schildert er, dass die Paten dabei den Namen bestimmten, allerdings nicht, dass sie ihren eigenen Namen weitergaben. 7 Bei den Tauf- und Firmpatenschaften, die Kaiser, Könige und Päpste im Zusammenhang von ,Unterwerfungstaufen’ übernahmen, spielen Namensfragen teilweise eine prominente Rolle. 8 Der Übergang zur Kinderbzw. Säuglingstaufe führte vollends dazu, dass Taufe und Namengebung im Allgemeinen in eins fielen. Langfristig immer häufiger gaben die Paten dabei C HRISTOF R OLKER 4 J USSEN , Patenschaft und Adoption (wie Anm. 1), S. 240-1 und DERS ., Le parrainage à la fin du Moyen Âge. Savoir public, attentes théologiques et usages sociaux, in: Annales (1992), S. 467-502, hier S. 484. Etwas zurückhaltender L YNCH , Godparents and kinship (wie Anm. 1), S. 172. 5 J OSEF H EINZELMANN , Nachbenennung, Namensgesetze, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 2 (1998), S. 86-8, hier S. 87. 6 M ITTERAUER , Ahnen und Heilige (wie Anm. 3), S. 114-22; J OSEPH H. L YNCH , Christianizing kinship. Ritual sponsorship in Anglo-Saxon England, Ithaca 1998, S. 56-80 (Katechumenat). 7 J USSEN , Patenschaft und Adoption, S. 238-42, L YNCH , Godparents and kinship, S. 172 (beide wie Anm. 1) und P ATRICE B ECK , Discours littéraires sur l’anthroponymie (VI e - XVI e siècles), in: Discours sur le nom. Normes, usages, imaginaire (VI e -XVI e siècles), hrsg. von DERS . (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 4), Tours 1997, S. 121-61, hier S. 124-6. 8 A RNOLD A NGENENDT , Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte, Berlin 1984; G ER - 18 ihre eigenen Namen an ihre Patenkinder weiter und verdrängen in diesem Sinne teilweise die Verwandtschaft. Schon die deutliche Aufwertung der Paten gegenüber den Eltern in der Taufliturgie deutet in diese Richtung, und auch die kirchliche Parallelisierung zwischen geistlicher und leiblicher Verwandtschaft macht eine Nachbenennung nach den ,geistlichen Eltern’ plausibel. Für das frühe und hohe Mittelalter ist man, abgesehen von Einzelbelegen zumeist aus adeligen Familien, beinahe vollständig auf solche und ähnliche Plausibilitätsargumente angewiesen. Die liturgischen Quellen geben hier ebenso wenig Auskunft wie die sie kommentierende Literatur. Auch das Kirchenrecht bietet wenig Anhaltspunkte für die soziale Praxis; die Namengebung ist im Mittelalter kaum Gegenstand kirchlicher Normierungsversuche. Angesichts dieser Quellenlage und der Vielfalt der Praktiken, die sich aus den bisherigen Forschungen dennoch erkennen lässt, ist es daher Konsens, von erheblichen zeitlichen, räumlichen und sozialen Differenzen auszugehen. Erst aus dem späten Mittelalter haben sich hinreichend viele Quellen erhalten, die es erlauben, die Praxis der Patenwahl und der Nachbenennung für größere Gruppen empirisch zu überprüfen. Im Folgenden sollen in Anschluss an die Synthese, die Christiane Klapisch-Zuber 1985 vorgelegt hat, 9 die unterschiedlichen Modelle von Patenschaft und Namengebung, wie sie im 15. Jahrhunderten in verschiedenen Teilen Lateineuropas jeweils vorherrschten, herausgestellt werden - insbesondere auch für den deutschen Sprachraum, für den empirische Untersuchungen bislang fast völlig fehlen. Um die Rolle der Paten bei der Namengebung im spätmittelalterlichen England zu rekonstruieren, können die in der Forschung als ‘proofs of age’ bezeichneten Untersuchungen herangezogen werden. 10 Bei diesen wurde das Alter der präsumtiven Erben regelmäßig von deren Paten erfragt. Sowohl die quantitative als auch die qualitative Auswertung weist darauf hin, dass die Nachbenennung nach Paten ausgesprochen weit verbreitet war; sie kann in etwa neun von zehn Fällen angenommen werden. Wie sehr dieser Brauch normativ wirkte, zeigen auch die unaufgeforderten Erklärungen, die die Zeugen wiederholt dann abgaben, wenn einmal ein Kind nicht den Namen eines Paten trug; ein Streit zwischen den Paten etwa habe dazu geführt, dass das Kind nach keinem der beiden benannt worden sei. Dass TRUD T HOMA , Namensänderungen in Herrscherfamilien des mittelalterlichen Europa, Kallmünz 1985, S. 27-88. 9 K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls (wie Anm. 1). 10 Das folgende nach M ICHAEL B ENNETT , Spiritual kinship and the baptismal name in traditional European society, in: Principalities, powers and estates. Studies in medieval and early modern government and society, hrsg. von L EIGHTON O. F RAPPELL , Adelaide 19 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG hinter einer ,falschen’ Taufnamengebung ganz erhebliche Spannungen und Konflikte liegen konnten, bekam auch der Schreiber zu spüren, der Sir Ralph Besset, den Paten eines John, auf die unterschiedlichen Rufnamen ansprach; seine Nachfrage wurde mit Faustschlägen beantwortet. Aus den gleichen Quellen erfahren wir auch, dass Eltern die Paten gezielt danach auswählten, ob diese den gewünschten Namen trugen. Eine Dienstmagd Joan etwa erinnerte sich, wie sie eigens zur Taufe der Tochter ihrer Dienstherren herbeigerufen wurde, weil diese ihr Kind Joan nennen wollten und die Magd deshalb als Patin wählten. Umgekehrt konnte bei einer Nottaufe auch ein zufällig als Pate herangezogener Dritter seinen Namen an das Kind weitergeben. Dass dieses Modell auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals vorherrschte, lässt sich für das 15. Jahrhundert anhand von Taufregistern aus der Bretagne belegen, zu deren ältesten die von Roz-Landrieux (ab 1451), Paramé (ab 1454) und Lanloup (ab 1467) gehören. 11 Auch das Kirchenbuch der kleinen Ortschaft Bloville in der Normandie, wenngleich erst 1511 angelegt, sowie das 1478 einsetzende Register von Châteaudun können hier herangezogen werden. 12 Alle genannten Register stimmen in zwei entscheidenden Punkten überein: Erstens sind jeweils drei Paten notiert, ein Mann und zwei Frauen bei weiblichen, zwei Männer und eine Frau bei männlichen Täuflingen; zweitens teilt sich der Täufling seinen Rufnamen so gut wie immer mit einem Paten. Familiengeschichtliche Aufzeichnungen wie die des Jean Jouvenel († 1431), Jean Le Houdoyer († 1480) oder Philippe de Vignuelles († 1527/ 8) legen nahe, dass dieses Modell im Norden des heutigen Frankreichs allgemein üblich war. 13 Aus Arras sind allerdings auch 20 C HRISTOF R OLKER 1979, S. 1-13 und P HILIP N ILES , Baptism and the naming of children in late medieval England, in: Medieval Prosopography 12 (1982), S. 95-107. 11 H ENRI B OURDE DE LA R OGERIE , Registre des baptêmes de Roz-Landrieux de 1451 à 1529, in: Bulletin de la Société archéologique d’Ille-et-Vilain 48 (1921), S. 79-88; M ICHEL N AS - SIET , Dévotions et prénomination dans la noblesse bretonne aux 15 e et 16 e siècles in: Enquêtes et documents (Nantes) 27 (2000), S. 115-32, hier S. 116 (Paramé) bzw. http: / / lanloup.over-blog.com/ categorie-1183661.html; vgl. B ÖRSTING , Geschichte der Matrikeln (wie Anm. 2), S. 57. 12 N. N., Un registre paroissial du temps de François I er , in: Bibliothèque de l’École des chartes 59 (1898), S. 661-4; L UCIEN M ERLET , Actes de l’état civil au XV e siècle, in: Mémoires de la société archéologique d’Eure-et-Loir 1 (1858), S. 219-36. 13 L OUIS B ATIFFOL , Jean Jouvenel, prévôt des marchands de la ville de Paris (1360-1431), Paris 1894, S. 317-24; L OUIS C AROLUS -B ARRÉ , Notes autobiographiques de Jean Le Houdoyer, de Saint-Just en Beauvaisis (1426-1480), in: Bibliothèque de l’École des chartes größere Patenzahlen bekannt. 14 Sehr gut informiert sind wir über die namengebende Rolle der Paten im spätmittelalterlichen Pruntrut. 15 Die im Schweizer Jura gelegene Reichsstadt gehörte kirchlich zum Bistum Basel und wurde später, nachdem Bischof Johann von Venningen († 1478) auch die weltliche Herrschaft zurück gewonnen hatte, zur bischöflichen Residenz ausgebaut. Vielleicht war es diese spürbare Nähe des Diözesans, die dazu führte, dass hier die Vorschriften zur Führung von Taufregistern umgesetzt wurden; von 1482 bis 1500 verzeichnet das Kirchenbuch jedenfalls alle in Pruntrut vollzogenen Taufen und die Paten, jeweils einen Mann und eine Frau. Die Rufnamen der Täuflinge stimmen dabei so gut wie ausnahmslos mit denen des jeweils gleichgeschlechtlichen Paten überein. Weitere Belege für das Modell des ,Patenpaars’ finden sich auch südlich und westlich von Pruntrut, so in den Taufregister von Montarcher (1469ff.), 16 in Familienbüchern aus dem Limousin, 17 zwei Kinderverzeichnissen aus dem Gévaudan, 18 und einem Taufregister aus Marseille. 19 Das Modell könnte bis in die Champagne üblich gewesen sein, 20 im Gebiet der 105 (1944), S. 180-5, hier S. 184; Gedenkbuch des Metzer Bürgers Philippe von Vigneulles aus den Jahren 1471 bis 1522, hrsg. von H EINRICH M ICHELANT , Stuttgart 1852. Die Kinder Philippes de Vigneulles hießen allerdings zumeist nicht wie ihre Paten. 14 Siehe B ERNARD D ELMAIRE , Le livre de famille des Le Borgne (Arras, 1347-1538), in: Revue de Nord 65 (1983), S. 301-26. 15 Das folgende nach P IERRE P EGEOT , Un exemple de parenté baptismale à la fin du Moyen Age: Porrentruy 1482-1500, in: Les entrées dans la vie. Initiations et apprentissages, Nancy 1982, S. 53-70. 16 Siehe die Reproduktion in Musée des archives départementales, 2 Bde., Paris 1879, Planche L. 17 J EAN T RICARD , Mariage, „commérages“, parrainage. La sociabilité dans les livres de raison limousins au XV e siècle, in: Croyances, pouvoirs et société des Limousins aux Français. Études offertes à Louis Pérouas, hrsg. von M ICHEL C ASSAN , Aix-en-Provence 1988, S. 129-42. Für zahlreiche weitere Beispiele siehe die folgenden Editionen: Livres de raison, registres de famille et journaux individuels limousins et marchois, hrsg. von L OUIS G UIBERT , Limoges und Paris 1888 und Nouveau recueil de registres domestiques limousins et marchois, 2 Bde., hrsg. von DEMS ., Paris und Limoges 1895/ 1903. 18 P HILIPE M AURICE , L’état civil des notaires du Gévaudan à la fin du Moyen Age. Choix des parrains, choix des noms, in: Discours sur le nom (wie Anm. 7), S. 179-209 (mit Edition). 19 C HRISTIAN M AUREL , Prénomination et parenté batismale du moyen âge à la Contre- Réforme. Modèle religieux et logiques familiales, in: Revue de l’histoire des religions 209 (1992), S. 393-412, hier S. 407. 20 Siehe das Kinderverzeichnis bei L OUIS -M ARIE M ICHON , Un livre de raison de la famille Mole, in: Bibliothèque de l’École des chartes 102 (1941), S. 306-12, hier S. 308. 21 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG heutigen Schweiz war es teilweise ebenfalls verbreitet. Aus der Provence sind umgekehrt auch Beispiele für größere Patenzahlen bekannt. 21 In allen Fällen waren je ein Mann und eine Frau gemeinsam Paten des Kindes, das zumeist den Namen des jeweils gleichgeschlechtlichen Paten erhielt. Gegen die Verallgemeinerbarkeit dieser Befunde sprechen allerdings die Studien zur Patenschaft in der Toskana, die Christiane Klapisch-Zuber vorgelegt hat. 22 Paten spielten hier gerade nicht die entscheidende Rolle bei der Namengebung, die sich stattdessen an den Namen der Vorfahren orientierte; die Namen lebender Verwandter waren tabu, hingegen wurden die verstorbener Familienmitglieder immer wieder neu vergeben. Ähnliches gilt für das Veneto. 23 Auch die Zahl der Paten und ihre Verteilung nach Geschlechtern schwankte in Italien wesentlich stärker als in Nordeuropa: Oft zwei oder drei Männer, häufig aber auch sieben oder mehr wurden gemeinsam Pate, Frauen dagegen waren, wenn überhaupt, dann in geringerer Zahl beteiligt. Obwohl im Durchschnitt etwa zwei bis drei Personen Pate standen, ist das in Frankreich so häufige ,Patenpaar’ eine Ausnahme. Die italienischen Taufregister schließlich belegen die geringe Bedeutung der Paten für die Namengebung auf ihre Weise, indem sie zwar neben dem Rufnamen des Täuflings auch den des Vaters und gegebenenfalls weiterer Agnaten nennen, aber oft weder die Mutter noch die Paten namentlich nennen. 24 Da zumindest bei männlichen Täuflingen die Nachbenennung insbesondere nach Großvätern (Simone di Andreani di Simone) deutlich ist, bestätigt sich auch hier das Muster der auf Agnaten bezogenen Nachbenennung. Gemeinsam ist den norditalienischen Städten im Unterschied zu Nordwesteuropa, dass die Zahl der Paten von Taufe zu Taufe stark schwankte, 22 C HRISTOF R OLKER 21 M ARIE R OSE B ONNET , Livres de raison et de comptes en Provence, fin du XIV e siècle- début du XVI e siècle, Aix-en-Provence 1995, S. 41-63 (Edition). Während die schwankende Patenzahl und das Übergewicht männlicher Paten an italienische Praktiken erinnern, ähnelt die Wahl von Nahverwandten als Paten und die Nachbenennung nach Paten dem nordeuropäischen Modell. 22 K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls (wie Anm. 1); DIES ., Parenti, amici, vicini, in: Quaderni storici N.S. 33 (1976), S. 953-82; DIES ., Au péril des commères. L’alliance spirituelle par les femmes à Florence, in: Femmes - mariages - lignages, XII e -XIV e siècles. Mélanges offerts à Georges Duby, hrsg. von R ITA L EJEUNE P IERRE T OUBERT , J EAN D U - FOURNET , A NDRÉ J ORIS und M ADELEINE T YSSENS (Bibliothèque du Moyen Âge 1), Brüssel 1992, S. 215-32. 23 J AMES S. G RUBB , Provincial families of the Renaissance. Private and public life in the Veneto, Baltimore und London 1996, hier S. 42-50. 24 J EDIN , Kirchenmatrikeln (wie Anm. 2), S. 460-4. Patenschaften vor allem von Männern übernommen wurden und innerfamiliäre Nachbenennungen dominierten. War die Patenzahl in Nordeuropa sehr homogen, schwankte sie in Italien sowohl regional als auch abhängig von der sozialen Stellung der Eltern; Taufen mit zwanzig und mehr Paten, wie sie etwa aus Florenz, Parma und Venedig bekannt sind, waren ein auf die Oberschichten begrenztes Phänomen. Als Klapisch-Zuber 1985 ihre große Synthese vorlegte, 25 lagen zu den Verhältnissen in den deutschsprachigen Ländern keine empirischen Arbeiten vor; seitdem hat sich die Forschungslage in dieser Hinsicht kaum verändert. Schon die Anzahl und das Geschlecht der Paten zählt Jussen daher zu jenen „zeitlich, regional und sozial variierenden Details“, 26 über die sich kaum generelle Aussagen treffen lassen. Nur sehr vorsichtig hat etwa jüngst Guido Alfani die Vermutung gewagt, dass in Süddeutschland eher das italienische Modell, in Norddeutschland hingegen das nordeuropäische Dreiermodell vorgeherrscht haben könnte. 27 Die Rolle der Paten bei der Namengebung im deutschen Sprachraum ist noch schlechter untersucht. Im Folgenden sollen daher eine Reihe unterschiedlicher Quellen kombiniert werden, um sowohl die Zahl und das Geschlecht der Paten festzustellen als auch ihre Rolle bei der Namengebung zu untersuchen. Dazu werden zunächst narrative Quellen aus dem oberdeutschen Raum (und Köln) zusammengestellt, dann zweitens das Taufregister von St. Theodor in Kleinbasel und drittens die Dispense vom Ehehindernis der geistlichen Verwandtschaft analysiert. Berichte über Taufen und Patenschaften finden sich in den verschiedensten spätmittelalterlichen Quellen, besonders viel Material bieten aber vor allem autobiographische und familiengeschichtliche Aufzeichnungen, wie sie ab Ende des 15. Jahrhunderts zunehmend dichter überliefert sind. Der 1499 in Gundenlingen bei Luzern geborene Rudolph Am Bühl alias Collin hatte nach Auskunft seiner selbstverfassten Vita einen Paten und eine Patin. 28 Auch Hans Vogler d. Ä. († 1518), Ammann im St. Galler Rheintal und der Zürcher Chronist Gerold Edlibach († 1530) gaben ihren Kindern je 25 K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls (wie Anm. 1). 26 B ERNHARD J USSEN , Art. Patenschaft, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Sp. 1779. 27 G UIDO A LFANI , Geistige Allianzen. Patenschaften als Instrument sozialer Beziehungen in Italien und Europa (15.-20. Jahrhundert), in: Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und Recht, hrsg. von M ARGARETH L ANZINGER und E DITH S AURER , Göttingen 2007, S. 25-54. 28 Vita Rodolphi Collini, hrsg. von J OHANN J AKOB U LRICH in: Miscellanea Tigurina edita, inedita, vetera et nova, 3 Bde., Zürich 1722-24, Bd. 1 (1722), S. 1-29, hier S. 3. 23 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG einen Paten und eine Patin. 29 Ungefähr zeitgleich legte Konrad Beck († 1511) aus Mengen im Allgäu ebenfalls eine Kinderliste an; er nennt jeweils drei Paten. 30 Ein altgläubiger Zeitzeuge der Reformation berichtet eine Generation später aus Biberach ebenfalls von einem Dreiermodell. 31 Zwei Kinderverzeichnisse aus Bern geben teils zwei, teils drei Paten an. 32 In der Stadt Basel scheint es im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert üblich gewesen zu sein, Knaben zwei Männer und eine Frau, Mädchen hingegen zwei Frauen und einen Mann als Paten zu geben. 33 Dies war wohl auch im Elsass der Fall, wie aus dem Chronicon des 1478 in Rufach geborenen Konrad Pellikan († 1556) hervorgeht. 34 Unter den Frankfurter Patrizierfamilien waren teils drei Paten, teils nur einer üblich. 35 24 C HRISTOF R OLKER 29 Das Familienbuch Hans Voglers des Älteren und des Jüngeren aus dem St. Galler Rheintal, hrsg. von A LEXA R ENGGLI , Basel 2009 bzw. Gerold Edlibach’s Chronik, hrsg. von J OHANN M ARTIN U STERI , Zürich 1847, S. XII-XIV. 30 H ARTMANN J OSEF Z EIBIG , Die Familien-Chronik der Beck von Leopoldsdorf, in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 8 (1852), S. 209-29, hier S. 213-8. 31 Siehe den wohl von Joachim von Pflummern verfassten Bericht, hrsg. von A[ NDREAS ] S CHILLING , Die religiösen und kirchlichen Zustände der ehemaligen Reichsstadt Biberach unmittelbar vor Einführung der Reformation. Geschildert von einem Zeitgenossen, in: Freiburger Diözesan-Archiv 19 (1887), S. 1-191, hier S. 162. M.E. handelt es sich bei den ,vertauschten’ Zahlenverhältnissen um einen Irrtum des Autors (oder des Herausgebers). 32 Das Familienbuch des Hans Frisching (1458-1535) und das Kinderverzeichnis Kaspars von Mülinens (1500-1524) sind ediert bei U RS M. Z AHND , Die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig von Diesbachs. Studien zur spätmittelalterlichen Selbstdarstellung im oberdeutschen und schweizerischen Raume (Schriften der Berner Burgerbibliothek 17), Bern 1986, S. 421-7 bzw. 430-1. Siehe S IMON T EUSCHER , Bekannte - Klienten - Verwandte. Soziabilitätsformen in der bernischen Gesellschaft und Politik um 1500 (Norm und Struktur 9), Köln u.a. 1998, S. 122-4. 33 Die Aufzeichnungen Heinrich und Konrad Iselins und eines Unbekannten, 1364-1452, in: Basler Chroniken VII, hrsg. von A UGUST B ERNOULLI , Leipzig 1915, S. 1-17; Die Offenburgische Familienchronik, in: Basler Chroniken V, hrsg. von A UGUST B ERNOULLI , Leipzig 1895, S. 304-16. 34 Das Chronikon des Konrad Pellikan, hrsg. von B ERNHARD R IGGENBACH , Basel 1877, S. 3 (vgl. Anm. 53). 35 Drei Paten werden im Melem’schen Hausbuch genannt, so K ERSTIN S EIDEL , Freunde und Verwandte. Soziale Beziehungen in einer spätmittelalterlichen Stadt (Campus Historische Studien 49), Frankfurt 2009, S. 270-2; nur einer hingegen in der Stirps Rohrbach, in: Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen des Mittelalters, hrsg. von R ICHARD F RONING , Frankfurt 1884, S. 156-80 und in Job Rohrbach’s Tagebuch, ebd., S. 237-313. Zahlreiche zeitgenössische Quellen belegen das Dreier-Schema auch für Köln als üblich. 36 Zwei ansonsten unbekannte Eheleute aus dem Bistum Augsburg, Konrad Tumerlin und Anna Urbenin, erklären 1467 in einer Supplik, dass es in ihrer Heimat Brauch sei, dass jeder Täufling drei Paten habe, und zwar zwei des eigenen und einen des entgegengesetzten Geschlechts. 37 Burkhard Zink († 1475) hingegen gab zur gleichen Zeit den Kindern, die er mit seiner dritten Frau Dorothea Münsterlerin hatte, jeweils einen Mann und eine Frau als Paten. 38 In München wiederum haben die Töchter des Marx Beck († 1555) zwei Frauen und einen Mann, die Söhne zwei Männer und eine Frau als Paten. 39 Im Vergleich zu diesen Berichten erscheinen die Quellen aus Eichstätt, 40 vor allem aber die zahlreichen Nürnberger Familienchroniken des 15. Jahrhunderts als deutliche Ausnahme, indem sie immer nur einen Paten erwähnen. 41 Hier haben offensichtlich die einschlägigen synodalen, 42 vor allem aber die städtischen Statuten Wirkung gezeigt. 43 36 Siehe jetzt S EIDEL , Freunde und Verwandte (wie Anm. 36), v.a. S. 137-8 und S. 268-74. 37 RPG (wie Anm. 60), Bd. 5, Nr. 2022: quod cum sit consuetudo patrie, ut cum aliquis infans baptizatur, tres tantum compatres seu commatres et non plures efficiantur, duo scilicet viri et una mulier, si infans baptizandus sit masculus et due commatres et unus vir si sit femella [sic]. 38 Chroniken der schwäbischen Städte, Band 2: Augsburg (Chroniken der deutschen Städte 5), Leipzig 1866, S. 122-43, hier S. 140-1. Für früheren Kinder sind keine Paten erwähnt. 39 Z EIBIG , Beck von Leopoldsdorf (wie Anm. 31), S. 218-23. 40 F RANZ H AUG , Eine alte Hauschronik. Die familiengeschichtlichen Aufzeichnungen der Familie Wirsich in Eichstätt und Neumarkt 1451-1592, in: Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 13 (1935), S. 33-42. 41 Siehe z.B. „Familienbüchlein Spengler“ [1469-1570], ediert von G UDRUN L ITZ in B ERNDT H AMM , Lazarus Spengler (1479-1534). Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube (Spätmittelalter und Reformation N.R. 25), Tübingen 2004, S. 349-402 oder die sog. ,Familienchronik’ in Albrecht Dürer, Schriftlicher Nachlaß I. Autobiographische Schriften [...], hrsg. von H ANS R UPPRICH , Berlin 1956, S. 28-31. 42 E DUARD O. K EHRBERGER , Provinzial- und Synodalstatuten des Spätmittelalters. Eine quellenkritische Untersuchung der Mainzer Provinzialgesetze des 14. und 15. Jahrhunderts und der Synodalstatuten der Diözesen Bamberg, Eichstätt und Konstanz, Stuttgart 1938, S. 65 und 73. 43 Der Text bei J OHANN C HRISTIAN S IEBENKEES , Materialien zur Nürnbergischen Geschichte. Erster Band, Nürnberg 1792, Bd. 1, S. 48. - Regelungen der Gästezahl und der Geschenke bei Taufen waren in den Städten nicht selten; die Patenzahl wurde aber nur selten beschränkt, vgl. R AINER D RIEVER , Obrigkeitliche Normierung sozialer Wirklichkeit. Die städtischen Statuten des 14. und 15. Jahrhunderts in Südniedersachsen und Nordhessen, Bielefeld 2000, S. 89. 25 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG Während die mehrfach als allgemein üblich bezeichnete Dreizahl der Paten insgesamt als häufigster Fall erscheint und so gut wie immer Männer wie Frauen gleichermaßen vertreten sind, fällt es hinsichtlich der Namen schwerer, ein klares Bild zu gewinnen. Die Kinderverzeichnisse und verwandte Aufzeichnungen zählen zwar teilweise sehr viele Geburten auf und nennen oft auch die Taufpaten; aber gerade dank dieser relativ großen Aufmerksamkeit, die den Paten geschenkt wird, wird umso deutlicher, dass die Nachbenennung nach diesen keineswegs eine feste Regel war: Von den Kindern des Gerold Edlibach heißen fünf wie ihre Paten, fünf hingegen anders, bei den anderen fehlen die Namen der Paten. Die familiengeschichtlichen Notizen aus Bern lassen Nachbenennungen nach Paten noch seltener erscheinen: Von den zusammen 19 Kindern Hans Frischings und Caspars von Mülinen tragen nur fünf den Namen eines ihrer Paten. 44 In den Aufzeichnungen des Konrad Iselin wiederum fehlen zwar die Rufnamen einiger Paten, aber bei immerhin der Hälfte seiner Kinder ist dennoch erkennbar, dass sie den gleichen Namen wie ein Pate bzw. eine Patin erhielten. 45 Die Kinder und Enkel des Konrad Beck hießen teilweise wie ihre Paten, etwas häufiger aber nicht. 46 Bei den 22 Taufen, die Job Rorbach für die Jahre 1496 bis 1499 notierte, erhielten 13 Kinder die Namen ihrer Paten und sieben den eines Elternteils, wobei in vier Fällen beides der Fall war. 47 Die sehr reiche Nürnberger Überlieferung kann an dieser Stelle nicht vollständig ausgewertet werden; offenbar war es aber von Familie zu Familie unterschiedlich, ob man seine Kinder nach Paten benannte oder nicht. Stephan Bayr, 1488 selbst nach seinem Paten Stephan Wolfram benannt, gab seinen Kindern durchweg die Namen der Paten. 48 Bei Georg Spengler hingegen dominiert die innerfamiliäre Nachbenennung. 49 Der häufigste Fall dürfte die Kombination beider Arten der Nachbenennung gewesen sein, wie etwa bei Albrecht Dürer d. Ä., der je eines seiner 18 Kinder nach seiner Frau und sich selbst nennen ließ, während zehn andere Kinder die Namen ihrer Patinnen bzw. Paten erhielten. 50 26 C HRISTOF R OLKER 44 T EUSCHER , Bekannte (wie Anm. 32), S. 302-4. 45 Aufzeichnungen Iselins (wie Anm. 33). 46 Z EIBIG , Beck von Leopoldsdorf (wie Anm. 30), S. 213-23. 47 Tagebuch (wie Anm. 35), S. 262-96. 48 M ATHIAS B EER , Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen. Familienleben in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung Nürnbergs (1400-1550) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 44), Nürnberg 1990, S. 234-5. 49 Familienbüchlein (wie Anm. 41). 50 Familienchronik (wie Anm. 41). Ergänzend lassen die autobiographischen und familiengeschichtlichen Aufzeichnungen auch Selbstdeutungen der Beteiligten erkennen. Die Namengebung erfolgte grundsätzlich durch die Paten, wobei viele Formulierungen erkennen lassen, dass die Väter ebenfalls ein Mitspracherecht hatten, ihr begere formulierten. 51 Aufschlussreich ist der Bericht von Konrad Pellikan über einen Streit zwischen seinen Paten. Der eine war Hospitaliermeister, dessen Name Pellikan aber nicht mehr wusste, der andere ein Priester namens Christoph und die dritte eine gewisse Kunigunde Bentz. Nach dem Wunsch des Hospitaliermeister hätte Konrad den Namen Daniel erhalten sollen, der Priester aber plädierte für Konrad und damit die Fortsetzung der Familientradition, hatten doch bereits Konrads Vater und Vatersvater so geheissen. 52 Das Buch Weinsberg schließlich ist unter den zitierten Berichten zwar einer der jüngsten, aber auch der ausführlichste. 53 Nicht nur schildert Herman Weinsberg den liturgischen Aufwand, die Taufgeschenke, das üppige Essen und andere Belege dafür, wie seine Taufe mit pompen gefeiert wurde. Er präzisiert auch, dass er seinen Rufnamen zugleich von einem seiner Paten, seinem Großonkel Herman Windeck, und auf Bitten seiner als Patin fungierenden Großmutter mütterlicherseits nach deren Mann Herman Korth erhielt. 54 Für die zur Tauffeier geladenen Freunde und Verwandten bot der Name Gesprächsstoff, wie Weinsberg aus Erzählungen wusste. Unter den ausgesprochen wenigen mittelalterlichen Kirchenbüchern nimmt das Taufregister von St. Theodor in Kleinbasel eine besondere Stellung ein. 55 Nicht nur ist es das einzige erhaltene mittelalterliche Taufbuch- 51 Georg Spengler (Familienbüchlein [wie Anm. 42], S. 361) schreibt z.B. wie ein Sohn von dem offtgenannten Hannsen Immhof dem allten zu der tauff versprochen und nach meiner begere Paulus genennt wurde. 52 Chronikon (wie Anm. 34), S. 3: nona ferme die Januarii sacro fonte initiatus Christo, patrinis duobus honestis sacerdotibus, Magistro ordinis sancti Spiritus, cujus nomen nunc non succurrit, et Domino Christophoro [sic] cappellano ecclesiae parrochialis, quorum prior me Danielem vocari voluit, sed posterior Conradum ex patris nomine cognominandum praevaluit. Matrina etat honestissima virgo, adhuc dicta Kunigunden Bentzin. 53 Alle Zitate nach www.weinsberg.uni-bonn.de/ Weinsberg.htm (letzter Zugriff 22.12.2009). 54 Buch Weinsberg (wie Anm. 53): Johan Keppel, mines fatters ohem, und Herman Windeck, sin swager, waren mine beide patten und Margreit Baichman, sin swegerfrau, ware min gode; haben mich uff der taufen gehaben, mir einen christlichen namen gegeben und Herman genant, nach Herman Windeck, und geschach auch uis beger miner freuwen, miner goden, minem hergin Herman Korth zu ehren. 55 London, BL Egerton 1927; Photokopie im Basler Staatsarchiv, Kirchenarchiv St. Theodor CC 11a. 27 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG aus dem deutschsprachigen Raum; in seiner wenn auch nicht ganz kontinuierlichen Weiternutzung bis ins 17. Jahrhundert darf es als in ganz Europa einmalig gelten. Angelegt wurde der Großfolioband 1490 von Johannes Surgant († 1503) für seine Gemeinde St. Theodor, die dem Bistum Konstanz zugehörte, zugleich aber dem Basler Domkapitel inkorporiert war. 56 Im Bistum Konstanz hatten die Diözesansynoden seit 1435 und damit früher als in allen anderen deutschsprachigen Bistümern die Anlage solcher Bücher verlangt und diese Forderung bis Ende des Jahrhunderts auch mehrmals wiederholt. 57 Regelmäßig geführt hat Surgant sein Register allerdings nur zwischen 1491 und 1497, und selbst in dieser Zeit sind die Einträge nicht immer ganz vollständig. Während die erzählenden Quellen überwiegend von den Paten wohlhabender und/ oder gebildeter Männer berichten, ist das Taufregister wenig selektiv und eine umso wertvollere Ergänzung, als St. Theodor eine von Arbeitsmigration geprägte, im Vergleich zu den Kirchen auf der anderen Rheinseite eher arme Kirchgemeinde war. 58 Hinsichtlich der Patenzahl und dem Geschlecht der Paten ist der Befund vollkommen eindeutig. So gut wie immer haben die Täuflinge drei Paten, die wenigen Ausnahmen scheinen eher der nicht ganz sorgfältigen Führung des Taufregisters geschuldet. In mehreren Fällen fehlt der Name der Mutter, einige Male auch der des Kindes, aber nur sehr selten werden weniger (und nie mehr) als drei Paten genannt, wobei immer zwei Paten dem Geschlecht des Täuflings angehören und einer dem anderen. Wie sieht es mit den Rufnamen aus? Nicht weniger als 129 Kinder oder rund 45 Prozent erhalten den Rufnamen eines ihrer Paten, in 17 Fällen teilt sich das Kind seinen Namen mit zwei homonymen Paten. Deutlich weniger, nämlich nur 25 Kinder, erhalten den Rufnamen eines Elternteils. Trotz des leichten Überwiegens der Väter gegenüber den Müttern (14: 11) scheint dabei die Nachbenennung der Töchter nach den Müttern ähnlich häufig wie die der Söhne nach den Vätern. Andere Motive der Namengebung lassen sich aus dem Taufregister nur in wenigen Fällen erkennen. Fünf Theodor und eine Theodora sind aber ein Indiz dafür, dass das Pfarrpatrozinium zu- 28 C HRISTOF R OLKER 56 Siehe allgemein J ÜRGEN K ONZILI , Studien über Johann Ulrich Surgant (ca. 1450-1503), in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 69 (1975), S. 265-309 und 70 (1976), S. 107-67 und 308-88. 57 K ARL B REHM , Zur Geschichte der Konstanzer Diözesansynoden während des Mittelalters, in: Diözesanarchiv von Schwaben 22 (1904), S. 17-26, 44-8, 93-6 und 141-4, hier S. 22-3. 58 Zur Sozialstruktur der Basler Vorstädte siehe K ATHERINA S IMON -M USCHEID , Basler Handwerkszünfte im Spätmittelalter. Zunftinterne Strukturen und innerstädtische Konflikte, Bern 1988, S. 197-220. mindest gelegentlich eine Rolle spielte, zumal wenn einer der Knaben am Tag des Heiligen getauft wurde. Diesen Fall eingerechnet, erhielten immerhin 18 Kinder, Jungen und Mädchen gleichermaßen, den Namen eines Heiligen, an oder kurz nach dessen Festtag sie getauft wurden. Einen weiteren Beleg für das Vorherrschen dieses Modells im Reich kann auch eine Analyse der römischen Pönitentiarieakten beisteuern. 59 Diese überliefern Hunderte von Dispensen für Ehen zwischen Partnern, von denen einer von einem Elternteil des anderen aus der Taufe gehoben war. Einen solchen Dispens erhielten zwischen 1458 und 1492 insgesamt 574 Paare aus dem Reich. Auch wenn in den Dispensen selbst immer nur von der einen, das Ehehindernis begründenden Patenbeziehung die Rede ist, können die Pönitentiarieakten dennoch Aufschluss über das vorherrschende Patenmodell geben, wenn man die Verteilung der Geschlechter auswertet: In jeweils 188 Fällen hatte der Vater der Braut bzw. die Mutter des Bräutigams den jeweils anderen Partner aus der Taufe gehoben, in 94 bzw. 104 Fällen waren es die Mutter der Braut bzw. der Vater des Bräutigams. In 65,5 Prozent oder ziemlich genau zwei Drittel der Fälle geht es also darum, dass ein Pate ein Kind des gleichen Geschlechts aus der Taufe gehoben hatte, nur halb so häufig wird berichtet, dass er oder sie einen Täufling des jeweils anderen Geschlechts als Patenkind hatte. Wenn die Häufigkeit der Nennungen hauptsächlich von der tatsächlichen Häufigkeit solcher Patenschaften abhängt, und nichts spricht gegen diese Annahme, bedeutet dies, dass es für einen Täufling genau doppelt so wahrscheinlich war, einen Paten des eigenen Geschlechts zu erhalten, wie den des entgegengesetzten. Rein rechnerisch wäre dies mit vielen Modellen von Patenschaften zu vereinbaren, auch mit dem Vorherrschen von unterschiedlichen Modellen in verschiedenen Gruppen. Wenn man allerdings eine allzu große Heterogenität annimmt, muss man zugleich behaupten, dass die erstaunlich regelmäßige Verteilung der unterschiedlichen Konstellationen letztlich auf Zufall beruht. Plausibler scheint es, die annähernd exakte 2: 1-Verteilung zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Patenschaften als Ausdruck einer unter den im Supplikanten vertretenen Bevölkerungsgruppen relativ homogenen Praxis der Patenwahl zu sehen. Mit anderen Worten herrschte im Reich nördlich der Alpen zumindest in jenen Kreisen, die um Ehedispense nachsuchten, der Brauch vor, Jungen doppelt 59 Repertorium poenitentiariae Germanicum. Verzeichnis der in den Supplikenregistern der Pönitentiarie [...] vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, Text bearb. von L UDWIG S CHMUGGE , Indices bearb. von H ILDEGARD S CHNEIDER - S CHMUGGE und L UDWIG S CHMUGGE , bislang 7 Bde., Tübingen 1996ff.; im folgenden zitiert als „RPG“ mit Bandzahl und Nummer. 29 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG so häufig männliche Paten wie weibliche zu geben, umgekehrt Mädchen doppelt so häufig von Frauen aus der Taufe heben zu lassen wie von Männern. Von allen Konstellationen, die aus anderen Quellen bekannt sind, erfüllt nur das nordwesteuropäische Dreiermodell der Patenschaft diese Kriterien. Damit ist dieses Modell nicht nur anhand der extrem seltenen Taufbücher und der immer noch kleinen Zahl der Selbstzeugnisse und Familienchroniken, sondern anhand der Pönitentiarieakten auch für einen größeren Raum als vorherrschend anzunehmen. Da die meisten Suppliken aus den rheinischen und oberdeutschen Bistümern stammen, ist der Befund dabei für den Süden und Westen des Reiches deutlich besser gesichert als für den Norden und Osten. Wenden wir uns der zweiten Frage zu, der Nachbenennung nach den Paten. Da die Namen der Mütter so gut wie immer fehlen, kann nur die Namensgleichheit männlicher Täuflinge und ihrer Paten untersucht werden. Von den 188 Dispensen nennen 69 den Namen des Paten. Während in 39 Fällen die Namen eindeutig verschieden sind, tragen 30 Petenten den gleichen Rufnamen wie ihr Pate und Schwiegervater. Ist dieser Anteil hoch oder niedrig zu nennen? Auch bei einer durchgehenden Nachbenennung nach genau einem der beiden männlichen Paten wäre keine sehr viel häufigere Übereinstimmung als in der Hälfte der Fälle zu erwarten. Wenn also in 30 der 69 Fälle, in denen die Namensgleichheit überprüft werden kann, eine solche besteht, muss dies als ausgesprochen hoher Anteil gelten, der eine fast durchgehende Benennung von Täuflingen nach einem ihrer Paten vermuten lassen könnte. Während die Pönitentiarieakten hinsichtlich der Zahl der Paten und der Verteilung der Geschlechter unter diesen die Befunde aus Taufregistern und narrativen Quellen bestätigen, scheint hier also eine deutliche Abweichung vorzuliegen, auf die später zurückzukommen sein wird. Insgesamt legen die unterschiedlichen Quellen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts nahe, dass die Patenschaft in den oberdeutschen und rheinischen Städten und Landschaften formal recht ähnlich gestaltet war. Das Modell war in Zeit und Raum sowie sozialen Gruppen weitgehend homogen: Drei Paten, davon zwei vom Geschlechts des Kindes, waren die Regel. Ob die Paten, wie dies in der Forschung angenommen wird, 60 fast ausschließlich exogam gewählt werden, kann hier nicht entschieden werden. Die Verschiedenheit der Familiennamen ist jedenfalls kein sicherer Indikator für exogame Patenwahl: Jean Jouvenel z.B. hat 14 der 38 Paten seiner 30 C HRISTOF R OLKER 60 B ENNETT , Spiritual kinship (wie Anm. 10), S. 6; P EGEOT , Parenté baptismale (wie Anm. 15), S. 65; J USSEN , Parrainage (wie Anm. 4), S. 280. Kinder aus der näheren Verwandtschaft gewählt, aber nur zwei dieser Verwandten hießen Jouvenel. 61 Die Nachbenennung nach Paten schließlich ist im gesamten deutschsprachigen Raum durchaus üblich, aber keineswegs zwingend. Ungefähr in der Hälfte der Fälle teilte sich das Kind den Namen mit einem der Paten. Andere Nachbenennungen, insbesondere nach Kalenderheiligen, dem Pfarrpatrozinium oder auch Stadt- oder Bistumsheiligen, stehen im Vergleich zu Nachbenennungen nach leiblichen wie geistlichen Verwandten weit zurück. Paten waren im Mittelalter die wichtigste Gruppe, nach denen Kinder nachbenannt wurden. Selbst wo, wie in weiten Teilen Deutschlands um 1500, ,nur’ etwa die Hälfte der Täuflinge den Namen eines Paten erhielt, waren solche Benennungen immer noch häufiger als die nach Eltern oder Großeltern. Was hat dies für geistliche Verwandtschaft als soziale Praxis im ausgehenden Mittelalter zu bedeuten? Bei drei Paten pro Taufe konnte die geistliche Verwandtschaft ähnlich groß werden wie Bluts- und Schwiegerverwandtschaft; man erwarb „Vertraute in allen Gassen“. 62 Auch diese Verwandtengruppe bestand (jedenfalls in Nordeuropa) gleichermaßen aus Männern und aus Frauen, und wo sie sich mit der Blutsverwandtschaft überlappte, ist oft eine Gleichgewichtung der Verwandten beider Seiten festzustellen. Prosopographische Bemühungen laufen allerdings oft genug ins Leere - was auch dadurch zu erklären ist, dass manche Paten ad hoc benannt wurden oder aber eine ursprünglich vielleicht engere Beziehung irgendwann abbrach. Rudolph Am Bühl etwa, der von den jährlichen Patengeschenken seitens seiner Patin berichtet, macht damit implizit deutlich, dass sein anderer Pate solche Geschenke nicht oder nicht mehr machte. Auch in den Suppliken, die nach Rom gingen, ist immer wieder erkennbar, dass Patenschaften teils sehr ungeplant übernommen wurden, zwischen verschiedenen Paten große soziale Unterschiede bestanden und mancher Pate sich später nicht mehr so richtig an die Taufe erinnern konnte. 63 Oft ist von Nottaufen die Rede, oder Taufgottesdiensten, an denen man zwar teilgenommen haben mag, ohne sich aber zu den ,richtigen’ Paten zu zählen. 64 61 B ATIFFOL , Jean Jouvenel (wie Anm. 13). 62 Vgl. T EUSCHER , Bekannte (wie Anm. 32), S. 115-34. 63 Siehe z.B. RPG (wie Anm. 59), Bd. 7, Nr. 2533: Die Petentin hatte quendam filium vel quadam filiam [...] in quadam ecclecsia per quendam presbiterum rebaptizatum, vel rebaptizatam, de sacro fonte gehoben. 64 Man habe teilgenommen ad associandum non ad contrahendum compaternitatem aut commaternitatem, heisst es beispielweise in RPG (wie Anm. 59), Bd. 5, Nr. 20229. 31 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG Dass diese offensichtlich heterogene Gruppe der Paten dennoch fest in die ansonsten beinahe ausschließlich der Bluts- und Heiratsverwandtschaft vorbehaltene Praxis der Namengebung einbezogen war, näherte beide Gruppen in einem wichtigen Punkt einander an. Fast alle Namengebungen waren Nachbenennungen, sei es nach geistlichen oder leiblichen Verwandten. Wie sehr Nachbenennung und Verwandtschaft verbunden waren, belegt auch das Negativbeispiel Florenz: Trotz der großen Verbreitung bestimmter Rufnamen trugen Pate und Täufling dort so selten den gleichen Namen, dass Klapisch-Zuber hier zu Recht eine bewusste Vermeidung vermutet hat. Gerade weil Paten in Florenz nicht aus der Verwandtschaft gewählt wurden und meist auch später nicht in engere Beziehung zu den Eltern traten, wurden Paten mit dem gewünschten Rufnamen des Kindes gezielt vermieden, um selbst den Eindruck einer Nachbenennung und damit den der Verwandtschaft zu vermeiden. 65 In diesem Sinne erweitern geistliche Verwandtschaften in Nordeuropa die große und diffuse Gruppe der fründe noch einmal um die ebenfalls große und nicht minder diffuse Gruppe der Gevattern. Die Einbeziehung in die Namengebung bedeutet aber keinesfalls, dass geistliche Verwandte auch sonst elterngleiche Funktionen einnahmen. Dass Paten den ihnen von kirchlicher Seite immer wieder zugesprochenen Erziehungsaufgaben nachkamen, ist empirisch nicht nachzuweisen. Zwar hatte sich die Nachbenennung nach Paten sicher auch aus Vorstellungen entwickelt, dass Namensgleichheit die Vermittlung charakterlicher Eigenschaften fördere. 66 Verschiedene Formen der außerhäuslichen Erziehung waren in allen Teilen der mittelalterlichen Gesellschaft üblich und wurden z.B. in den zitierten Selbstzeugnissen regelmäßig thematisiert; gerade Paten werden hier aber nie erwähnt. Die oft vermutete Versorgungsfunktion im Todesfall der Eltern nahmen Paten im 15. Jahrhundert ebenfalls nicht wahr. Starb ein Elternteil, war es vielmehr die Wiederverheiratung, durch die das Elternpaar in neuer Konfiguration ,wiederhergestellt’ wurde: Beim Tod beider Eltern waren es vor allem deren Geschwister und andere Nahverwandte, die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben übernahmen. Vormünder und Vögte rekrutierten sich normalerweise nicht aus dem Kreis der Paten. Dass geistliche Verwandte in 32 C HRISTOF R OLKER 65 K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls (wie Anm. 1), S. 57-9. 66 D IDIER L ETT , L’„expression du visage paternel“. La ressemblance entre le père et le fils à la fin du Moyen Âge: un mode d’appropriation symbolique, in: Être père à la fin du Moyen Âge, hrsg. von DEMS . (Cahiers de recherches médiévales 4), Paris 1997; online unter http: / / crm.revues.org/ index972.html. Zu namengebenden ,geistlichen Vätern’ siehe auch meinen Beitrag im vorliegenden Band, v.a. S. 197-203. spätmittelalterlichen Testamenten nur sehr selten als Empfänger von Legaten vorkommen, spricht ebenfalls gegen ihre Einbeziehung in Verwandtschaft als System der Weitergabe materieller Güter. Sowohl in Testamenten wie in Selbstzeugnissen werden allgemein sehr viele Personen genannt, die in der einen oder anderen Weise die Elternstelle vertraten (Stiefeltern, Ammen, Lehrer, Pfarrer, Dienstherren ...), aber so gut wie nie die eigenen Paten. Die Funktionen von Paten scheinen im 15. Jahrhundert also gerade nicht in der Wahrnehmung der Elternrollen ,Erziehung’ und ,Versorgung’ gelegen zu haben, wie schon Klapisch-Zuber für Florenz gezeigt hat. 67 Nicht als ,geistliche Eltern’, sondern vielmehr als Gevattern waren sie gefragt. Selbst das kirchliche Recht, das geistliche und leibliche Verwandtschaft in vielen Punkten gleich behandelte, machte einige wichtige Unterschiede. Die leiblichen Geschwister des eigenen Patenkindes durfte man ebenso heiraten wie die Personen, mit denen man gemeinsam Pate eines Kindes wurde. 68 Selbst die eigentlich verbotene Verbindung mit den leiblichen Kindern des eigenen Paten war in der Praxis dank regelmäßig ausgestellter Dispense möglich. Anders als bei sexuellen Beziehungen zwischen nahen Blutsverwandten scheint hinsichtlich der Heirat von ,geistlichen Geschwistern’ kein entsprechendes Tabu existiert zu haben. Nicht nur war die wechselseitige Ausschließlichkeit von geistlicher und leiblicher Verwandtschaft in der Praxis eingeschränkt, Taufen konnten ausdrücklich zur Eheanbahnung genutzt werden. 69 Wenn die Namengebung im Spätmittelalter nicht (mehr) mit der ,elterngleichen’ Funktion der Paten zusammenhing, welche Rolle spielte sie dann für die geistliche Verwandtschaft als soziale Praxis? Vor allem war die Möglichkeit, den eigenen Namen an ein Kind weiterzugeben, aus Sicht des jeweiligen Paten bzw. Gevattern eine Auszeichnung. Nachbenennungen sind Benennungen ,zu Ehren’ des älteren Namensträgers, wie es in den Familienchroniken immer wieder heißt. So wie Heilige die Nachbenennung nach ihnen als Gegenleistung für erwiesene Hilfe fordern konnten, waren auch Menschen daran interessiert, ihren eigenen Namen weitergeben zu dürfen. Unter den Paten konnte dies zu längeren Diskussionen führen wie im Fall des Konrad Pellikan, oder auch zu handfesten Streitereien, wie sie in den englischen Quellen erwähnt wurden. Die Benennung geschah zwar durch 67 Siehe zuletzt ihren Beitrag im vorliegenden Band, v.a. S. 166-72. 68 F RANZ G ILLMANN , Das Ehehindernis der gegenseitigen geistlichen Verwandtschaft der Paten? , in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 86 (1906), S. 688-714. 69 B OSSY , Godparenthood (wie Anm. 1), S. 198; T RICARD , Mariage, commérages, parrainage (wie Anm. 17), S. 137; S EIDEL , Freunde und Verwandte (wie Anm. 35), S. 134-5. 33 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG und oft nach den Paten, aber auch die Eltern waren an der Namenswahl beteiligt, sowohl indirekt (durch Bestimmung der Paten) als auch direkter durch Einwirkung auf diese, wie sie in Formulierungen wie „und ließ mir das Kind … nennen“ in den familiengeschichtlichen Aufzeichnungen deutlich ist. Die Nachbenennung war damit für die Eltern eine Möglichkeit, innerhalb der geistlichen Verwandtschaft zu unterscheiden und zu gewichten. Nicht zu allen Gevattern konnte man enge Beziehungen unterhalten, wohl aber zu jenen, die ihren Namen an das Kind weitergeben durften. Der Name war in diesen Fällen der vielleicht wichtigste Teil jenes Gabentausches, der die Taufe auch sonst in Form von freigiebigen Feiern, Taufgeschenken und jährlichen Patengeschenken umgab und auf lange Zeit immer wieder aktualisieren half. 70 An dieser Stelle lohnt es sich, auf die ungewöhnlich häufigen Nachbenennungen, die scheinbar aus den Dispensen von der geistlichen Verwandtschaft herauszulesen waren, zurückzukommen. Anders als das Taufregister von St. Theodor, aber auch die narrativen Quellen aus dem Reich, legte die Auswertung der Dispense eine fast durchgehende Nachbenennung nach Paten nahe. Dieser für Deutschland ungewöhnliche Befund bezoge sich aber auf keine zufällige Stichprobe. Vielmehr handelt es sich ausschließlich um Personen, die alle ein leibliches Kind eines ihrer Paten geheiratet hatten oder im Begriff waren, dies zu tun. Möglicherweise hängen beide, die ungewöhnlich häufige Namensgleichheit und das Konnubium, miteinander zusammen. Gevattern stammten, soweit es sich um Nichtverwandte handelte, zumeist aus jenen Kreisen, mit denen man sich prinzipiell auch durch Heirat verband: Freunde, Nachbarn, Zunftgenossen. Wenn nun die namengebenden Paten den Familien der Täuflinge näher standen als die übrigen Gevattern, könnte mit dieser größeren sozialen Nähe auch eine höhere Heiratswahrscheinlichkeit in der nächsten Generation verbunden gewesen sein. Von den bei einer Nottaufe zufällig zu Paten gewordenen Nachbarn über die große Schar an lose mit der Familie verbundenen Gevattern bis hin zum gut bekannten ,Patenonkel’ reicht das Spektrum dessen, was kirchenrechtlich über den einen Kamm der cognatio spiritualis geschoren wurde. In der Praxis konnte es sich um Nahverwandte oder künftige Schwiegerverwandte, um vertraute Nachbarn, Bedienstete oder gänzlich Unbekannte handeln. Die Einbeziehung dieser großen und heterogenen Gruppe in die Namengebung und die teilweise Überlappung mit der Gruppe der fründe sind Indizien für die relative Schwäche patrilinearer Verwandtschaftskonzepte in Nordeuropa, aber nicht für eine elterngleiche Funktion der geistli- 34 C HRISTOF R OLKER 70 Vgl. K LAPISCH -Z UBER , Au péril des commères (wie Anm. 22), S. 222-4. chen Verwandten. Diese waren als Gevattern gefragt, zu denen unterschiedlich enge Beziehungen von der völligen Indifferenz bis zur Eheanbahnung bestehen konnten. Zugleich erlaubte die Wahl von Gevattern aus der Verwandtschaft und vor allem die gezielte Vergabe des Privilegs der Nachbenennung, innerhalb der sehr großen Gruppe agnatischer, kognatischer und geistlicher Verwandter in jedem Einzelfall wieder zu differenzieren, indem Beziehungen zu einzelnen Mitgliedern symbolisch herausgehoben wurden. Dass man nach Paten nachbenennen konnte, aber nicht musste, und Verwandte wie Nichtverwandte Paten werden konnten, machte ,Verwandtschaft’ zu einer flexiblen Kategorie, innerhalb derer viele Abstufungen von sozialer Nähe existierten. Namensfragen waren Teil dieser Differenzierungen: Gerade weil die Gruppe der potentiellen Namengeber groß war, aber jedem Kind immer nur ein Name gegeben wurde, war die Namengebung eine Möglichkeit, innerhalb der Gevattern und fründe exklusivere Beziehungen zu konstituieren. Die Namensgleichheit implizierte keine konkreten sozialen Verpflichtungen, aber sie war eine Verbindung, die nicht ohne weiteres gekappt oder geleugnet werden konnte. 35 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG 36 C HRISTOF R OLKER Legende England 1 England: Proofs of age (14.-16. Jh.) Frankreich 2 Lanloup: Taufregister 1467ff. 3 Paramé: Taufregister 1454ff. 4 Roz-Landrieux: Taufregister 1451ff 5 Châteaudun: Taufregister 1478/ 79 ff. 6 Paris: Kinderverzeichnis bei Jean Jouvenel 7 Beauvais: Jean Le Houdoyer 8 Bloville: Taufregister 1511ff 9 Arras: Familienchronik 10 Metz: Philippe de Vignuelles 11 Troyes: Familienchronik 12 Bourg-en-Bresse: Taufregister 1506ff. 13 Montarcher: Taufregister 1469ff. 14 Limousin: Zahlreiche Familienbücher 15 Gévaudan: Zwei Kinderverzeichnisse 16/ 17 Marseille: Taufregister und Kinderverzeichnis Italien 18 Treviso: Taufregister 19 Venedig: Taufregister 20 Vincenza: Ricordanze 21 Verona: Ricordanze 22 Parma: Taufregister 23 Florenz: Ricordanze und Taufregister 24 Pisa: Taufregister 25 Siena: Taufregister Karte: Patenschaft im spätmittelalterlichen Europa Detaillierte Nachweise siehe: http: / / tiny.cc/ Patenschaft-um-1500 P ATENSCHAFT UND N AMENGEBUNG Dreiermodell (2: 1) 3-5 Paten (2: 1 oder 3: 2) Patenzahl variabel, z.T. sehr hoch Patenpaar (1: 1) Nur ein Pate bzw. eine Patin 37 Im Namen der Mutter. Symbolische Geschlechterordnung in der Melusine Thürings von Ringoltingen (1456) Der folgende Beitrag befasst sich mit dem Zeichensystem der Namen in den mittelalterlichen Melusine-Romanen. Im Mittelpunkt steht der im Jahr 1456 in Bern entstandene Prosaroman Thürings von Ringoltingen. 1 Thüring bearbeitet eine französische Vorlage, den um 1400 entstandenen Versroman eines Dichters namens Couldrette. 2 Diesem geht wiederum ein Prosaroman voraus, den der französische Dichter Jean d’Arras verfasste. 3 Meine These lautet, dass der onomatologische Code die symbolischen Geschlechterordnungen der Melusine-Romane markiert. 1. Der onomatologische Code Roland Barthes entwickelte in seinem Buch Système de la mode das Konzept eines vestimentären Codes, der sich an den linguistischen Kategorien der Syntax und der Semantik orientiert. 4 Nach dem Muster einer Sprache beschreibt er die Kleidung als Zeichensystem mit eigener Grammatik und eigenem Vokabular. Wollte man nach diesem Vorbild einen onomatologischen Code, das heißt eine Zeichensprache der Namen konzipieren, so wären ebenfalls eine syntaktische und eine semantische Seite zu unterscheiden. Dies gilt umso mehr, als sich das System der Namen im Unterschied zum System der Mode nicht nur wie eine Sprache organisiert, sondern selbst Teil der eigentlichen Sprache ist. 1 T HÜRING VON R INGOLTINGEN , Melusine, in: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten hrsg. von J AN -D IRK M ÜLLER (Bibliothek der Frühen Neuzeit 1), Frankfurt 1990, S. 9-176 (Text), S. 1012-87 (Kommentar) und S. 1436-8 (Literaturverzeichnis); vgl. auch: T HÜRING VON R INGOLTINGEN , Melusine. In der Fassung des Buchs der Liebe (1587) mit 22 Holzschnitten hrsg. von H ANS - G ERT R OLOFF , Stuttgart 2000. 2 Le Roman de Mélusine ou Histoire de Lusignan par Coudrette, hrsg. von E LEANOR R OACH (Bibliothèque Française et Romane 18), Paris 1982. 3 Mélusine. Roman du XIV e siècle par Jean d’Arras, hrsg. von L OUIS S TOUFF (Publications de l’Université de Dijon 5), Dijon 1932. 4 R OLAND B ARTHES , Die Sprache der Mode, Frankfurt 7 2007 (frz. Erstausgabe Paris 1967), vgl. A NDREAS K RASS , Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel (Bibliotheca Germanica 50), Tübingen 2006. A NDREAS K RASS 39 In syntaktischer Hinsicht wäre nach der Zusammensetzung der Namen zu fragen, wie zum Beispiel nach den Elementen, aus denen sich ein Name wie Reymund bildet. Er hat germanische Wurzeln, die sich an gotischen und althochdeutschen Belegen ablesen lassen. Der erste Teil entspricht dem gotischen Wort ragin (,Rat’ ,Beschluss’), der zweite Teil dem althochdeutschen Wort munt (,Schutz’). 5 Die syntaktische Qualität - es handelt sich um ein Kompositum zweier Nomina - verweist zugleich auf die semantische Qualität. Es handelt sich ursprünglich um einen sprechenden Namen, der die Begriffe ,Rat’ und ,Schutz’ miteinander verknüpft. Weitere Beispiele dieser Gruppe sind Reynhart (Reinhard), gebildet aus ragin und hart (ahd. für ,hart’, ,streng’); Dietrich, gebildet aus diet (ahd. für ,Volk’) und rihhi (ahd. für ,reich’, ,mächtig’, ,glücklich’); Geffroy (Gottfried), gebildet aus got (ahd. für ,Gott’) und fridu (ahd. für ,Friede’, ,Schutz’); Freymund (Freimund), gebildet aus frî (ahd. für ,frei’) und munt; Bertram, gebildet aus beraht (ahd. für ,hell’, ,glänzend’) und raben (ahd. für ,Rabe’). Beispiel für einen einteiligen Namen althochdeutscher Provenienz ist Gys, abgeleitet von gîsal (ahd. für ,Geisel’, vgl. den zusammengesetzten Vornamen Gisbert). Eine weitere syntaktische Qualität wäre das Genus des Wortes, sein Geschlecht. Im Falle von Reymund kann man vom zweiten Namensteil auf das männliche Geschlecht des Namensträgers schließen, denn Verbindungen mit munt finden sich nur bei männlichen Namen wie beispielsweise auch Freymund. Eine andere Markierung des Geschlechts ist die dem syntaktischen System zuzurechnende Endung ,a’ im Falle solcher Vornamen, die aus dem Lateinischen stammen und der a-Deklination folgen; ein Beispiel hierfür wäre Cristina (Christina). Cristina ist die weibliche Form zu Christian, dem männlichen Vornamen, der sich direkt aus dem Lateinischen (christianus: der Christ) und indirekt aus dem Griechischen (christos: der Gesalbte) ableitet. In der Melusine, die im Zentrum meines Beitrags steht, tragen fast alle weiblichen Namen diese Markierung, neben Cristina auch Melusina, Presina, Meliora, Palentina und Hermina. Eine weitere Distinktion, die für den onomatologischen Code konstitutiv ist, betrifft die sprachliche Provenienz und die sprachliche Variante. Hinsichtlich des ersten Kriteriums ist zu unterscheiden zwischen Namen deutscher Herkunft wie die eingangs besprochenen althochdeutschen Komposita und Namen lateinischer Herkunft wie Antonius. Hinsichtlich der sprachlichen Varianten gibt es vielfach den Fall, dass althochdeutsche 5 Vgl. R OBERT S CHÜTZEICHEL , Althochdeutsches Wörterbuch, Tübingen 6 2006; F ERDINAND H OLTHAUSEN , Gotisches etymologisches Wörterbuch. Mit Einschluß der Eigennamen und der gotischen Lehnwörter im Romanischen, Heidelberg 1934. A NDREAS K RASS 40 Namen ins Altfranzösische übertragen werden wie Raymond aus Reymund, Geoffroy aus Gottfried und Bertrans aus Bertram. Hierher gehören auch romanisierte Formen einteiliger Namen wie bei Couldrette Guiot (Thüring: Gyot), abgeleitet von witu (ahd. für ,Holz’, wie in Witold; w romanisiert zu gu wie in Wilhelm/ Guillaume); Oedes, abgeleitet von Odo, einem Namen, der auf ôt (ahd. für ,Reichtum’) zurückgeht. Im Falle der deutschen Melusine werden die in den französischen Vorlagen zahlreich vorhandenen romanisierten Formen althochdeutscher Namen entweder wieder in die deutsche Herkunftsform zurückgeführt oder aber ohne Verständnis für die ursprünglich deutsche Herkunft eingedeutscht. Namen verweisen nicht nur auf ihre volkssprachliche Herkunft, sondern auch auf die religiöse Kultur, der sie entstammen. Dies ist den Namen in der Regel nicht unmittelbar anzusehen, außer in Fällen wie Cristina, einem Namen, der die Christin bezeichnet. In den meisten Fällen verdankt sich die Verknüpfung von Name und Religion dem kulturellen Wissen. In christlich geprägten Ländern ist die Namengebung mit dem sakramentalen (und somit semiotischen) Initiationsritus der Taufe verknüpft. Wer den christlichen Glauben annimmt, empfängt den Namen eines Patrons oder einer Patronin, die ihn als Schutzheilige begleiten sollen. In diesen Fällen tritt die Vita des Heiligen vor die ursprüngliche Semantik des Wortes. Die kulturellen Bedeutungen der Namen verdanken sich ferner auch den Charakteren berühmter literarischer Stoffkreise. So verknüpft sich beispielsweise der Name Dietrich mit der Dietrichsepik, deren Protagonist sich von Theoderich dem Großen herleitet, oder der Name Uriens mit der Artusepik, die einen Ritter namens Urien kennt, der auf einen gleichnamigen König der Völkerwanderungszeit (Urien von Rheged, 6. Jh.) zurückgeht. Eine weitere Kategorie bilden die sprechenden Namen. Sprechend waren die germanischen und althochdeutschen Namen zu ihrer Zeit; doch schon im Hochmittelalter dürften sie aufgrund der lautlichen Verschiebungen vom Altzum Mittelhochdeutschen vielfach kaum mehr verstanden worden sein. Immerhin haben sie das Merkmal der deutschen Provenienz weiter getragen. So ist Dietrich bis heute als genuin deutscher Name erkennbar, auch wenn die Wurzeln nicht mehr geläufig sind. Auch französische Namen wie Florye und Esglantine gehören hierher. Florye stammt vom lateinischen flos (frz. fleur) und bedeutet ,Blume’; Esglantine stammt vom lateinischen aculeatus (frz. églantine) und meint ,Wildrose’. Beide Namen entstammen dem floralen Wortfeld und sind entsprechend der kulturellen Tradition, Frauen als Blumen zu metaphorisieren, weiblich kodiert. Einen Sonderfall bildet der männliche Kunstname Horribel, der auf dem französischen Adjektiv horrible bzw. dem lateinischen Adjektiv horribilis beruht und soviel wie ,schrecklich’ bedeutet. In den mittelalterlichen Melusine-Ro- I M N AMEN DER M UTTER 41 manen heißt so der siebte Sohn der Melusina, der bereits im Kindesalter getötet wird, weil er dazu bestimmt ist, Schreckliches in die Welt zu bringen. Wie die angeführten Beispiele zeigen, tragen die Namen zur Charakterisierung der benannten Figuren bei. Roland Barthes führt in seiner Studie S/ Z fünf narratologische Codes an, die den literarischen Text konstituieren: den hermeneutischen Code (die Stimme der Wahrheit), den semantischen Code (die Stimme der Person), den symbolischen Code (die Stimme des Symbols), den proairetischen Code (die Stimme der Empirie) und den kulturellen Code (die Stimme der Wissenschaft). 6 Es handelt sich nicht um solche Codes, die auf konkrete Zeichensysteme wie Kleidung, Nahrung oder eben auch Namen bezogen sind, sondern um semiotische Dimensionen des Erzähltextes. Man könnte die Zeichenebene der Namen unter diesen Gesichtspunkten ausfächern und zeigen, dass der onomatologische Code mit jenen fünf Stimmen spricht, die Barthes anführt. Was den Zusammenhang von Namen und Identität betrifft, ist vor allem der semantische Code, die Stimme der Person relevant. Wie Barthes ausführt, wirkt der Name einer literarischen Figur wie ein Magnet, der im Prozess der Textlektüre jene Seme an sich zieht, die ihm zugeschrieben werden. Die akkumulierten Bedeutungen vervollständigt der Rezipient gemäß empirischen Erwartungsmustern zu einem imaginären Gesamtbild. Indem er die fiktive Figur, letztlich nichts anderes als eine Konfiguration von Zeichen, nach dem Ebenbild einer realen Person imaginiert, haucht er ihr sozusagen Leben ein. Der Name verhält sich metonymisch zur Figur, die er bezeichnet und konstituiert. Die Seme, die sich im Namen der Figur versammeln, erzeugen den kombinatorischen Effekt einer geschlechtlich, sozial, kulturell, religiös und national bestimmten Identität. Hinzu kommen symbolische Wertigkeiten, wenn es sich um sprechende Namen handelt, und kulturelle Konnotationen, wenn die Namen auf bestimmte Mythen, Legenden und Dichtungen anspielt. 2. Der Name der Mutter Eine weitere semantische Option des onomatologischen Codes ist die Namensetymologie, die in der antiken Rhetorik als topos a nomine bezeichnet wird. Gemeint ist damit die allegorische Deutung eines Namens auf das Schicksal oder die geschichtliche Bedeutung des Namensträgers hin. So wurde, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, der Name Caesar von caedere abgeleitet und als Vorausdeutung seiner Ermordung gelesen. Ein schö- 6 R OLAND B ARTHES , S/ Z, Frankfurt 5 2007. A NDREAS K RASS 42 nes Beispiel, das die Sensibilität des Mittelalters für semantische Wortspiele bestätigt, bietet Gottfried von Straßburg. Als Isolde einmal von ihrem Geliebten gefragt wird, was sie bedrücke, antwortet sie rätselhaft mit einem dreifachen l’ameir (v. 11964-96). 7 Tristan überdenkt die möglichen Bedeutungen dieses Wortes und gelangt zu drei Lesarten: minnen (,die Liebe’, nfr. l’amour), bitter (,das Bittere’, nfr. l´amer) und mer (,das Meer’, nfr. la mer). Eine vierte denkbare Variante kommt ihm nicht in den Sinn: ,die Mutter’ (la mère). Eine Namensetymologie bietet auch die Titelfigur der mittelalterlichen Melusine-Romane. Bei Thüring von Ringoltingen heißt sie Melusina, bei Jean d’Arras und Couldrette Melusigne. 8 Auch bei den übrigen Figuren die verschiedenen Namensformen zu berücksichtigen, die in den altfranzösischen und mittelhochdeutschen Fassungen anzutreffen sind. Aufgrund ihrer jeweiligen linguistischen und kulturellen Eigenart prägen verschiedene Sprachen verschiedene Sinnsysteme aus. So mögen die Namensetymologien, die sich mit Melusina verbinden, im Französischen nahe liegen; im Deutschen bedürfen sie eines vermittelnden Kommentars, wenn die sprachliche Barriere ihre Evokation blockiert. Couldrette deutet den Namen als ,Wunder, das nie versagt’: ,Melusigne' autant dire vault / Com merveille qui ja ne fault. 9 Während diese Deutung auf die Wundertätigkeit der Fee abzielt, die Burgen, Schlösser und Klöster aus dem Nichts erschafft, zielt eine andere Namensdeutung auf die Rolle, die sie als Urahnin eines Herrschergeschlechts spielt. In dieser Lesart meint der Name Melusigne soviel wie mêre Lusignan: ,Mutter der Lusignan’. 10 Couldrette und, ihm folgend, Thüring legen den Bezug zwischen Melusigne und Lusignan nahe, indem sie unmittelbar vor der Nennung ihres Namens auf die Burg Lusignan hinweisen, die sie erbaut und nach sich selbst benannt habe: Et quant basti fut le chasteau, / Melusigne, qui le vit beau, / De son droit nom le baptiza. / Partie de son nom prins a, / Lusignen lui donna en nom. / Encore en est partout le nom / Dont maint portent du fort le cry. 11 7 G OTTFRIED VON S TRASSBURG , Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort versehen von R ÜDIGER K ROHN , 3 Bände, Stuttgart 1986. 8 In den Handschriften der Fassung Couldrettes steht ,Mellusigne’. 9 C OUDRETTE , Mélusine (wie Anm. 2), Verse 1343f. 10 Vgl. M ÜLLER , Romane, S. 1041f. bzw. R OLOFF , Melusine, S. 160f. (beide wie Anm. 1). 11 C OUDRETTE , Mélusine (wie Anm. 2), Verse 1331-7. I M N AMEN DER M UTTER 43 Als nun das schloß zů aller were starck vnd veste zůgericht was / do nampte es Melusina ze teÿl nach irem tauffnamen / vnd sprach Diß schloß sol vnd můß Lusinia geheissen vnd genennet werden / den selben namen noch vil volcks auff ertreich in irer losung vnd geschreÿ jn streÿten vnd gef ( chten brauchen vnd F ben. 12 Ausdrücklich wird betont, dass die Burg Lusignan (Lusinia) ihren Namen von Melusigne (Melusina) erhielt; dasselbe gilt für diejenigen, die den Namen der Burg als Schlachtruf führen, womit das ritterliche Geschlecht von Lusignan gemeint ist. In der etymologischen Deutung des Namens als ,Mutter der Lusignan’ hat die namensetymologische Ableitung ihre Richtung gewechselt: „Melusine erhält ihren Namen vom Geschlecht, nicht umgekehrt“. 13 Auf diese Vertauschung kommt es freilich nicht allzu sehr an. Der entscheidende Sachverhalt, nämlich die genealogische Herleitung von der wundertätigen Fee Melusigne, lässt sich etymologisch in beide Richtungen ausbuchstabieren. Wenn sich ein Herrschergeschlecht auf eine Urahnin beruft, die eine Meerfee gewesen sein soll, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich einen matriarchalischen Ursprung zuschreibt. Dies ist bei der Stammmutter Melusina mit Einschränkungen der Fall. Zwar verhilft sie ihrem Ehemann, einem verarmten Adeligen namens Reymund, auf wunderbare Weise zu Herrschaft, Burgen und Söhnen und begründet so mit ihm ein patrilineares Geschlecht. Sie selbst aber entstammt einer matrilinear organisierten Familie. Ihre Mutter Presina und ihre Schwestern Meliora und Palentina sind Feen wie sie selbst. Helmas, Melusinas Vater, ist ein menschlicher Mann. Melusina wiederholt somit das Schicksal ihrer Mutter, wenn sie sich auf die Verbindung mit einem Sterblichen einlässt. Das Erzählmuster solcher Verbindungen ist dasjenige der ,gestörten Mahrtenehe’. 14 Gemeint ist die scheiternde Liebe zwischen einer Fee (Mahrte) und einem Menschen. Grund des Scheiterns ist ein gebrochenes Tabu. Die Eheschließung erfolgt unter der Bedingung, dass der Mann ein Verbot respektiert, das ihm die Fee auferlegt. Im Falle Presinas wird ihm verboten, sie im Wochenbett zu besuchen; im Falle Melusinas wird ihm untersagt, sie samstags im Bad zu besuchen. In beiden Fällen markiert das Tabu einen vom Mann zu achtenden Bezirk 12 M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1), S. 46 (Kap. 16). 13 M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1), S. 1041. 14 Zum Motiv der gestörten Mahrtenehe vgl. zuletzt A RMIN S CHULZ : Spaltungsphantasmen. Erzählen von der „gestörten Mahrtene“, in: Wolfram-Studien 18 (2004), S. 233- 62. A NDREAS K RASS 44 weiblicher Intimität. An das Bad knüpft sich das Geheimnis der weiblichen Sexualität, an das Kindbett das Geheimnis der weiblichen Schwangerschaft. Die an Bad und Bett geknüpften Rätsel verweisen auf jenes Mysterium, das - jedenfalls im Zeitalter vor der Erfindung des Gentests - die Reproduktion in den Augen des Mannes darstellen muss, der sich nie sicher sein kann, ob er leiblicher Vater des Kindes ist: pater semper incertus est. Für eine Adelsgesellschaft, die in der Weitergabe des Namens vom Vater an den Sohn eines ihrer Fundamente sieht, resultiert aus dieser Frage ein bedrohlicher Mangel an genealogischer Sicherheit, eine Gefährdung der genealogischen Integrität. In beiden Fällen wird das Tabu gebrochen. Reymund beobachtet Melusina im Bad, die sich daraufhin von ihm trennt; Helmas besucht Presina im Kindbett und wird verbannt. Wie die Sanktionierung im Einzelnen vonstatten geht, ist, auch aus psychoanalytischer Perspektive betrachtet, spektakulär. Im Falle von Helmas handelt sich um eine Inversion des ödipalen Dramas. Nach Lacan impliziert der Name des Vaters (le nom du père) ein Verbot (le non du père), das vorderhand dem Begehren des Kindes nach der Mutter gilt. 15 Doch leistet das väterliche ,Nein’ mehr als die Stiftung und Wahrung des Inzesttabus; es strukturiert die symbolische Ordnung des Patriarchats, die auf der Trinität von Vater, Gesetz und Sprache beruht. Die ödipalen Rollenfächer sind in der Melusine umbesetzt. Zunächst ist festzuhalten, dass der Vater nicht Urheber, sondern Adressat des Tabus ist. Dieses reguliert den angemessenen Umgang des Vaters mit der Mutter und stützt somit eine symbolische Ordnung, die nicht auf dem väterlichen, sondern dem mütterlichen Prinzip basiert. Kein Wunder, das diese Ordnung als eine imaginiert wird, die nicht von dieser Welt ist, sondern dem fabulösen Reich der Feen entstammt. Das Nein der Mutter gilt aber auch den Töchtern, und dies ist der entscheidende Aspekt der matriarchalischen Ursprungsgeschichte. Nachdem Helmas das Tabu verletzt hat, wird er durchaus nicht sogleich bestraft. Presina zieht sich mit ihren Töchtern zurück, lässt dem Treulosen ansonsten aber den Vertrauensbruch durchgehen. Erst die Schwestern erwiesen sich Jahre später als unnachsichtige Rächerinnen des Vergehens. Auf Anstiften Melusinas verbannen sie den Vater in das Innere eines Berges. Diesem Szenario eignet eine inzestuöse Dimension an; sie bildet ein Pendant zu jenen Vätern, die ihre Töchter in einen Turm einsperren, weil sie sie nicht an einen anderen Mann verlieren wollen. Hier sind es die Töchter, die ihren Vater einsperren, wobei der Berg im Unter- I M N AMEN DER M UTTER 45 15 J ACQUES L ACAN , Namen-des-Vaters, Wien 2006 (frz. Erstausgaben Paris 2005). schied zum Turm nicht als phallisches, sondern als Symbol des Uterus zu deuten wäre. In der Bestrafung des Vaters, die zugleich als symbolische Tötung lesbar ist, zeichnet sich das paradoxe Begehren der Töchter ab, Mütter ihres Erzeugers zu sein. Die Mutter spricht das zweite ,Nein’, wenn sie ihre Töchter dafür bestraft, dass diese ihren Vater bestraft haben. Das Skandalon besteht darin, dass sie ein Gesetz etabliert, das, aus dem Blickwinkel einer Rechtsordnung, die die Bestrafung des Täters verlangt, illegitim ist. Denn nicht der Täter wird sanktioniert, sondern seine Rächerinnen; und es ist das Opfer, das die Strafe gegen sie verhängt. Es handelt sich um spiegelnde Strafen. Meliora und Palentina werden mit einer Buße belegt, die ihnen die Möglichkeit verwehrt, jemals einen männlichen Partner zu finden. Sie sühnen für ihre Tat, indem sie nie Geliebte, Gattin und Mutter werden können. Die mütterliche Genealogie ist gekappt, sie kann nur von Melusina fortgesetzt werden, die zur Strafe für die Verbannung des Vaters fortan einen Schlangenschwanz tragen muss. Dieser zeichnet sie als phallische Frau aus. In der Tat wird sie es sein, die ihrem Ehemann sämtliche kulturellen Attribute der Männlichkeit vermittelt: Herrschaft, Burgen und Söhne. Wenn Reimund das ihm auferlegte Tabu bricht und Melusina im Bad beobachtet, so sieht er nicht das, was er zu sehen fürchtete, nämlich dass seine Frau ihn mit einem anderen Mann betrügt, sondern, schlimmer noch, dass seine Frau einen Schwanz hat, dass sie also im Besitz des väterlichen Signifikanten ist. Ohne Melusina wäre er nichts; mit ihr ist er alles, was ihn als Vater, Herrscher und Mann ausmacht. Mit Lacan gesprochen sieht er, dass die Frau der Phallus ist, den er hat. 16 So verkörpert Melusina eine genealogische Position, die den Umschlag vom Matriarchat ins Patriarchat markiert. Im Versuch, durch die Sanktionierung des Vaters die mütterliche Ordnung wiederherzustellen, hat sie diese zerstört. Sie begeht den Sündenfall, der eine patriarchalische Wende einleitet. Auf der Schwelle des mütterlichen Paradieses, aus dem sie vertrieben wird, ist sie Frau und Schlange zugleich. 17 16 J ACQUES L ACAN : Die Bedeutung des Phallus, in: DERS ., Schriften II., ausgewählt und hrsg. von N ORBERT H AAS , Olten und Freiburg, S. 119-32. 17 Diesen Zusammenhang stellt Gervasius von Tilbury her, der den Plot der Melusine- Geschichte in einem Kapitel seines Buches Otia imperialia (13. Jh.) überliefert, das die Überschrift trägt: „Warum ihnen nach dem Sündenfall die Augen aufgingen“. In diesem Zusammenhang führt Gervasius aus: „Der Teufel wählte nämlich eine Schlangenart, die das Gesicht einer Frau hatte denn gleich und gleich gesellt sich gern, und brachte ihre Zunge zum Sprechen. Hinsichtlich der Schlangen überliefert der Volksglaube, das seien Frauen, die sich in Schlangen verwandeln“. Vgl. G ERVASIUS VON T IL - A NDREAS K RASS 46 3. Die patriarchalische Wende Der Roman erzählt die Geschichte dreier Generationen. In chronologischer Folge sind dies erstens Presina und Helmas mit ihren drei Töchtern Melusina, Meliora und Palentina, zweitens Melusina und Reimund mit ihren zehn Söhnen Uriens, Gedes, Gyot, Anthoni, Reinhart, Geffroy, Fraymund, Horribel, Ditterich und Reymund, drittens die Gruppe derjenigen Söhne, die sich ihrerseits verheiraten und Kinder haben. Die Erzählung invertiert die chronologische Reihe. Sie richtet sich nicht nach dem ordo naturalis der Generationenfolge, sondern entwirft einen ordo artificialis, der die Vorgeschichte im zweiten Teil nachreicht. Protagonist des ersten Teils ist Reymund, Protagonist des zweiten Teils der unverheiratete Sohn Geffroy, der die Geheimnisse der mütterlichen Herkunft entdeckt. Diese Disposition ermöglicht eine Erzählweise, die das matriarchalische Prinzip, das dem patriarchalischen Prinzip genealogisch vorausgeht, diesem nachordnet. So beginnt der Roman mit einem Rätsel; die Begegnung mit der Fee scheint sich zunächst der historischen Zeit zu entziehen, bis sie sich retrospektiv als zentrales Ereignis auf dem Weg von der ersten zur zweiten Generation einordnet. Insofern handelt es sich um eine Geschichte im doppelten Sinne: eine Geschichte erstens, die eine epochale Wende vom Matriarchat zum Patriarchat rekonstruiert; eine Geschichte zweitens, die sich ihres ästhetischen Charakters bewusst ist, wenn sie die historische Wende als Wechsel vom Mythos zur Geschichte, von der Fiktion in die Realität inszeniert. Dieses Arrangement erweist sich als effizientes Erzählmuster für einen Roman, der die historische Legitimität eines Herrschergeschlechts mit seiner mythologischen Herkunft begründet. Der onomatologische Code spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Namen der Feen markieren ihre fabulöse Existenz; sie begegnen nicht in der historischen Welt und sind durch gemeinsame Endungen (Melusina, Presina, Palentina) bzw. durch gemeinsame Anfänge (Melusina, Meliora) aufeinander bezogen. Auch die Namen von Melusinas Mutter und Schwestern sind sprechend. Meliora verheißt mehr als Gutes (lat. melior, frz. melieur: ,besser’). 18 Palentina verweist, jedenfalls in der fran- BURY , Kaiserliche Mußestunden. Otia imperialia, eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von H EINZ E RICH S TIENE , Erster Halbband (Bibliothek der Mittellateinischen Literatur 6), Stuttgart 2009, S. 54. 18 M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1), S. 1082: „Roach (Mélusine, S. 58) vermutet einen Zusammenhang des Namens mit melier, der franz. Form von armenisch mleh ‚Befehlshaber‘. Nähere Beziehungen zur armenischen Geschichte bleiben jedoch spekulativ.“ I M N AMEN DER M UTTER 47 zösischen Namensform Palestine, auf Palästina, das Heilige Land. 19 Die Bedeutung des mütterlichen Namens Presina bleibt unklar, vielleicht markiert er das Vorzeitliche der Ahnin (lat. prae, frz. pre). Die Namen der Väter und Söhne sind, mit wenigen Ausnahmen, solche, die in der empirischen Welt des Mittelalters geläufig sind. Wie bereits dargelegt, handelt es sich größtenteils um romanisierte deutsche Namen, die von Thüring teilweise in eine deutsche Form zurückgeführt (Reymund/ Raymond[in], Dietrich/ Thierry, Reynhart/ Regnault, Freymunt/ Fromont), teilweise beibehalten (Geffroy/ Geoffroy; Gyot/ Guiot) oder modifiziert (Gedes, vgl. Oudes/ Eudes) wurden. Drei männliche Vornamen weichen von diesem Muster ab. Der ursprünglich britische Name Uriens verweist auf die Artussage. Der ursprünglich lateinische Name Antonius ist im Französischen ebenso geläufig wie im Deutschen. Der lateinisch anmutende Name Horribel ist, wie bereits ausgeführt, ein allegorischer Kunstname. Der Name des Protagonisten der zweiten Romanhälfte, Geffroy (Geffroy mit dem zan), verdankt sich einer historischen Person des 13. Jahrhunderts: Geoffroy à la Grand Dent, Sohn des Grafen Geoffroy von Lusignan. 20 Hier nimmt der Roman auf Daten der tatsächlichen Familiengeschichte Bezug; auch das historische Vorbild des fiktiven Geffroy ließ ein Kloster niederbrennen. 21 Melusinas zehn Söhne lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe umfasst die fünf ältesten Söhne. Sie zeichnen sich bei aller Wohlgestalt durch eine monströse Physiognomie aus, die ihre Verwandtschaft mit der Fee verrät: Uriens hat ein Hundegesicht mit Schlappohren und ver- 19 Palentina heißt bei Couldrette Palestine und verweist auf Palästina und die Kreuzzüge, Rückeroberung Jerusalems. M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1), S. 1083: „Die Namensform Palestine (Jean d’Arras, S. 11; Couldrette, v. 6222 u. ö.) verweist auf die Aufgabe, das Heilige Land zurückzuerobern. Soll der Fluch ,erklären’, warum die Lusignan dort nicht länger Fuß fassten (Roach, Mélusine, S. 62) oder deutet die unabgeschlossene Episode nicht eher ein Versprechen für die Zukunft an? Zumal nach dem missglückten Kreuzzugsabenteuer des französischen Adels in Nikopolis (1396) ist der Appell an eine Dynastie mit großer Vergangenheit, den Versuch zu wiederholen, gut denkbar“. 20 M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1): „eine gewalttätige Persönlichkeit aus der ersten Hälfte des 13. Jhs.; er tat sich vor allem als Vorkämpfer für die Freiheiten des Poitou gegenüber der königlichen Zentralgewalt hervor. 1232 ließ er das Benediktiner-Kloster Maillezais niederbrennen“. 21 M ÜLLER , Romane (wie Anm. 1): „Der Vorfall erinnert an den Rechtsstreit, den Geoffrey von Lusignan mit dem Kloster um Herrschaftsrechte ausfocht. Der Abt führte gegen seine Übergriffe Klage beim hl. Stuhl. Aus Rache brannte Geoffroy das Kloster A NDREAS K RASS 48 schiedenfarbigen Augen, Gedes Gesicht ist puterrot, Gyots Augen stehen nicht auf einer Höhe, Anthoni trägt ein Muttermal in Form einer Löwenpranke, und Reinhart ist einäugig. Sie erwerben allesamt in kriegerischen Abenteuern die Hand einer Königstochter und somit ein Herrschaftsgebiet. Ihre Geschichten werden in Paaren erzählt. Uriens und Gyot werden Könige von Zypern und Armenien, Anthoni und Reynhart Könige von Luxemburg und Böhmen. Gedes tritt in der Erzählung zurück; er heiratet die Tochter des Grafen von der Mark. Die Namen der Ehefrauen werden im Falle der Brüderpaare erwähnt: Uriens heiratet Hermina, Gyot Florye, Anthoni Cristina, Reynhart Esglantine. Die Frauennamen bilden zwei Paare, die die Brüderpaare überkreuzen: Hermina und Cristina einerseits, Florie und Esglantine andererseits. Denn Hermina und Cristina sind in ihrem jeweiligen Heimatland geläufige Namen griechischer Provenienz, die zyprische Königstochter Hermina ist nach dem Gott Hermes benannt, die luxemburgische Königstochter Christina trägt einen christlichen Namen. Florie und Esglantina hingegen tragen metaphorische Namen, die auf Blumen verweisen; die armenische Prinzessin Florye ist die Blühende, die böhmische Prinzessin Esglantine die Wildrose. Aus den Ehen gehen jeweils Kinder hervor, die zum Teil benannt sind. Bertram und Loyres heißen die Söhne Anthonis und Cristinas; Gys heißt der Sohn Gyots und Floryes, der ein eigenes Abenteuer erlebt. Entscheidend ist, dass die fünf ältesten Söhne parallele Lebensläufe aufweisen. Sie weiten das Herrschaftsgebiet ihrer Familie aus, bedienen sich dabei aber anderer Mittel als ihr Vater. Sie heiraten nicht Feen, die ihnen durch List und Wunder ein Land verschaffen, sondern Königstöchter, mit deren Hand sie auch ein Land erwerben. Sie folgen somit einem Muster des Landerwerbs, das in der historischen Wirklichkeit vorgeprägt ist und auch in zahlreichen Ritterromanen auf diese Weise erzählt wird. Ein Teil der genannten Länder waren tatsächlich im Besitz der Lusignan; dies gilt für Zypern, Armenien, Böhmen und die Mark (La Marche). Die zweite Gruppe umfasst drei Brüder, die ebenfalls physiognomisch als Feensöhne gezeichnet sind. Geffroy ragt ein Eberzahn aus dem Mund, Fraymund ziert ein haariger Fleck auf der Wolfsnase, Horribel besitzt drei Augen. Im Unterschied zu ihren älteren Brüdern bleiben sie allesamt unverheiratet. Ihre Lebensläufe sind nicht konventionell, sondern von Mord und Totschlag geprägt. Horribel wird auf Geheiß seiner Mutter schon als Kind getötet, weil er das Böse verkörpert; er ist gewissermaßen der Sündenbock, der das Monströse der Mutter stellvertretend abbüßt. Freymund hingegen verkörpert das Gute; er tritt in ein Kloster ein und zieht dafür den Zorn Geffroys auf sich, der nicht dulden will, dass sich ein Ritter als Mönch vergeudet. Geffroy brennt aus Rache das Kloster nieder und verursacht I M N AMEN DER M UTTER 49 dabei den Tod seines Bruders. Später leistet er Buße, indem er das Kloster größer und schöner als je zuvor wiedererrichten lässt. Die Brüder der zweiten Gruppe erweitern das typologische Repertoire ritterlicher Lebensläufe. Während die ältesten Brüder ordentliche Karrieren absolvieren, verweisen die jüngeren Brüder auf die genealogisch unfruchtbaren Typen des frommen Mönchs (Freymund), des bösen Teufels (Horribel) und des ruhelosen Abenteurers (Geffroy), der den Gegensatz von Gut und Böse, den seine toten Brüder in plakativer Weise repräsentieren, als Ambivalenz in sich trägt. Dabei ist er, wie gesagt, der einzige unter den Brüdern, der ein historisches Vorbild gleichen Namens hat und somit die Brücke von der Fiktion zur Geschichte schlägt. Die dritte Gruppe vereint Dietrich und Reymund, die, im Unterschied zu den älteren Brüdern, keine körperlichen Eigenarten mehr aufweisen. Als jüngste Sprösslinge scheinen sie am wenigsten unter dem Einfluss der Fee zu stehen, vielleicht auch aufgrund der Opferung Horribels, des Sündenbocks der Familie. Das Mythologische ist in ihnen bereinigt, sie weisen auf zwei Orte, die mit dem Roman in besonderer Verbindung stehen. Dietrich erbt den Besitz seines Bruders Geffroy und wird Herr von Portenach, das heißt des westlich von Poitiers gelegenen Parthenay. Parthenay ist der Sitz der Auftraggeber Couldrettes. 22 Auch Thüring weiß zu berichten, dass die Herren von Parthenay von herren Ditterichs geschlechte stammen und den französischen Roman in Auftrag gaben. 23 Hier schließt sich ein weiterer Kreis zwischen Geschichte und Dichtung. Die Herren von Parthenay führen sich auf Melusine zurück; sie stehen in enger Verbindung mit dem Adelsgeschlecht der Lusignan, deren Stammsitz die im Roman als Bauwerk Melusinas erwähnte, in der Nähe von Poitiers gelegene, gleichnamige Burg war. Jan-Dirk Müller fasst zusammen: „Der Ahnherr der Auftraggeber Couldrettes erhält seine Herrschaften auf dem gewöhnlichen Weg der Erbfolge. Mit ihm, der kein Mal der Fee mehr trägt, lenkt die Erzählung am deutlichsten in die Bahnen dynastischer Geschichte zurück“. 24 Einen dynastischen Ringschluss bewirkt auch der jüngste Sohn Reymund, der den Namen seines Vaters trägt. Er wird der neue Graf vom Forst und tritt damit ein väterliches Erbe an. Der ältere Reymund entstammt dem nieder, ließ einige Mönche enthaupten und versuchte vergeblich, sich des Abtes zu bemächtigen. Er wurde exkommuniziert und musste sich beim Papst persönlich um Absolution bemühen, die er am 15. 7. 1233 in Spoleto erhielt.“ 22 Ebd., Romane (wie Anm. 1), S. 1055. Es handelt sich um Guillaume VII. Larchevêque († 1401) und seinen Sohn Jean II., Seigneur de Mathefelon († 1427). 23 Ebd., Romane (wie Anm. 1), S. 173 (Kap. 66). 24 Ebd., S. 1079. A NDREAS K RASS 50 verarmten Geschlecht des Grafen von Forst; von dort aus gelangt er mit Melusines Hilfe an eigenes Land aus dem Besitz seines Onkels und Pflegevaters Emerich von Poitiers, den er bei einem Jagdunfall tötet. Doch bleibt ein mythologischer Rest. Zwar trifft es zu, dass die jüngsten Söhne im Unterschied zu ihrer Mutter und ihren älteren Brüdern kein Zeichen der wunderbaren Herkunft mehr an sich tragen. Doch kehrt einer ihrer Neffen noch einmal in die Welt der Feen zurück. Gys, Sohn von Gyot und Florye, Herrscher von Armenien, wird sich an jenem Abenteuer versuchen, das sich an seine Großtante Meliora knüpft, und daran scheitern. Meliora wurde von Presina dazu verurteilt, Hüterin eines Sperbers zu sein. Nur derjenige Ritter kann sie erlösen, der den Sperber drei Tage lang bewacht; wenn es ihm gelingt, darf er alles fordern außer Meliora selbst. Gys bricht dieses Tabu und macht sich so eines inzestuösen Wunsches schuldig. Dafür wird er hart bestraft; nach seiner Rückkehr ist er glücklos und verliert die Herrschaft über Armenien. Dies ist eine Warnung, die Fehler der Ahnen zu wiederholen, die an ihrer Liebe zu den Feen scheiterten. Als Ergebnis sei festgehalten: Der Roman von Melusina erzählt die teils fabulöse, teils auf reale Personen und Ereignisse bezogene Geschichte eines historischen Adelsgeschlechts, mit dem der Auftraggeber seiner Romanvorlage in Verbindung stand. Der Berner Dichter Thüring von Ringoltingen dürfte aufgrund der fehlenden Rückbindung seiner Gönner an die französischen Häuser von Lusignan und Parthenay weniger die dynastische Geschichte im Besonderen als die exemplarische Herleitung aristokratischer Herrschaft aus mythologischen Ursprüngen im Sinn gehabt haben. Das Spektakuläre des Romans besteht darin, dass diese Herleitung sich nicht nur als Generationenfolge, sondern auch als Wende vom Matriarchat zum Patriarchat präsentiert. Die Namen der Haupt- und Nebenfiguren spielen in dieser Konstellation eine signifikante Rolle. I M N AMEN DER M UTTER 51 Namensformen in den mittelalterlichen Melusine-Romanen A NDREAS K RASS 52 Thüring Couldrette Jean d´Arras Feen Meliora Melusina Palentina Presina Melior Mellusigne, Melusine, Mellusine, Meluzine Palestine, Palatine, Palastine, Palenstine Presine, Presnye Persine Melior Melusigne Palestine Presine Ehemänner Helmas Reymund, Reymond Helinas, Helnyas, Helienas, Helinans Raymond, Remon, Remond Elinas Remond, Raymond, Remondin Söhne Anthoni, Anthonius Dietrich, Ditterich Freymund Gedes Geffroy Gyot Horribel Reymund Reynhart Uriens Anthoine Thierry Froymont, Fromont Oedes Gieffroy, Geuffroy, Geuffray, Gieuffroy, Geosfroy, Geffroy Guiot Orrible Raimon, Raimonnet Regnault Urien Antoine, Anthoine Thierry Fromont, Frommont Eudes, Œudes, Œudon Geoffroy, Gieffroy Guion, Guyon Orrible Remond, Remonnet Renaud, Regnault Urian, Uriens, Uriien, Uriiens Schwiegertöchter Enkel Cristina Esglantine Florye Hermina, Hermyn Betram Greiff Gys Loyres Crestienne Esglentine, Erglentine, Englentine Florie, Fleurie, Flourie Hermine, Armyne Bertrans Griffon - Lohier Chretienne, Crestienne Aiglentine, Aiglente, Esglentine Florie Hermine, Ermine Bertrand, Bertran Griffon - Lohier, Lohiers „Im Namen des Vaters“: Illegitimität im Spiegel der spätmittelalterlichen Namenspraxis 1. Schrecklicher als der Tod sei es, den Menschen ihr väterliches Erbe zu entziehen, meinte zu Beginn des 13. Jahrhunderts der Tristan-Übersetzer Gottfried von Straßburg († 1215). Denn mit dem Verlust des Vermögens schwinde Ehre und gesellschaftliches Ansehen. 1 Erbrechtliche Sanktionen sind über die Jahrhunderte hinweg ein probates Instrument der häuslichen Sozialdisziplinierung. 2 So erfand die Kirche, als sie gegen Ende des 12. Jahrhunderts dazu überging, vor- und außerehelich erzeugte Kinder als erbrechtliche Sondergruppe zu taxieren, 3 mit Sicherheit nichts, was das Römische Recht nicht schon vorgedacht und vorformuliert hätte. 4 Der Son- 1 G OTTFRIED VON S TRASSBURG , Tristan, Bd. 1: Text, Verse 1-9982, Stuttgart 11 2006, S. 95. Zum Themenfeld Illegitmität allgemein vgl. Bastardy and its comparative history. Studies in the history of illegitimacy and marital nonconformism in Britain, France, Germany, Sweden, North America, Jamaica and Japan, hrsg. von P ETER L ASLETT , K ARLA O OSTEREEN und R ICHARD M. S MITH , London 1980; M ICHAEL M ITTERAUER , Ledige Mütter. Zur Geschichte unehelicher Geburten in Europa, München 1983; D AVID I.K ERTZER , Sacrificed for honor. Italian infant abondonment and the politics of reproductive control, Boston 1993. 2 G ABRIELA S IGNORI , Absolon und die anderen ... Ein Beitrag zum erzieherischen Gehalt letztwilliger Verfügungen, in: Disziplinierung im Alltag des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 17), Wien 1999, S. 99-119. 3 H ORST H ERRMANN , Die Stellung unehelicher Kinder nach kanonischem Recht (Kanonistische Studien und Texte 26), Amsterdam 1971, S. 107-9; A NKE L EINEWEBER , Die rechtliche Beziehung des nichtehelichen Kindes zu seinem Erzeuger in der Geschichte des Privatrechts (Beiträge zur Neueren Privatrechtsgeschichte) Königstein 1978, S. 45- 69; L AURENT M AYALI , Note on the legitimization by subsequent marriage from Alexander III to Innocent III, in: The two laws. Studies in medieval legal history dedicated to Stephan Kuttner (Studies in medieval and early modern canon law 1), Washington 1990, S. 55-75; M ARGARET C LUNIES R OSS , Concubinage in Anglo-Saxon England, in: Anglo-Saxon history. Basic readings, hrsg. von D AVID A. E. P ELTERET , New York/ London 2000, S. 251-87. 4 H ERRMANN , Die Stellung unehelicher Kinder, S. 44-9; L EINEWEBER , Die rechtliche Beziehung des nichtehelichen Kindes, S. 19-29 (beide wie Anm. 3); L ISE A RENDS O LSEN , La femme et l’enfant dans les unions illégitimes à Rome. L’évolution du droit ju qu’au G ABRIELA S IGNORI 53 derstatus bestand zunächst darin, dass außerehelich gezeugte Kinder von der ,natürlichen’ Erbfolge ausgeschlossen werden, qua Geburt also das Recht auf das väterliche Erbe verlieren sollten. 5 Alsbald wurden dieselben Disziplinierungsmaßnahmen auch auf andere Gruppen ausgedehnt. So erklärte Innozenz III. (1198-1216) 1215 auch die Kinder, die aus Ehen hervorgingen, welche die neuen kirchlichen Heiratsbeschränkungen mißachteten, ihrerseits zu ,unehelichen Kindern’ (soboles de tali coniunctione suscepta prorsus illegitima censeatur). 6 Damit meinte er nichts anderes, als dass auch sie ihren Anspruch, ihre Väter bzw. Eltern zu beerben, verwirkt hätten. Die „Unwissenheit der Eltern“ schütze die Kinder nicht vor Strafe, präzisiert der Papst. 7 Theologen wie Ivo von Chartres († 1115) mochten zwar darauf bestehen, dass die Sünde der Eltern den Kindern nicht zur Last gelegt werden dürfe (parentum peccatum non obstet ipsis natis); 8 genau dies hatte sich bei den illegitimen Kindern jedoch eingebürgert. 9 Dennoch fällt es längere Zeit ausgesprochen schwer, Entwicklungslinien in die eine oder andere Richtung zu erkennen. So rekurrieren die Statuten, die Bischof Richard Poore († 1237) für die Diözese Salisbury erließ, in dieser wie auch in manch début de l’Empire, Bern u. a. 1999. - In der griechischen Polis erfolgte der Ausschluß über den Rechtsstatus bzw. das Bürgerrecht vgl. M ARY E BBOTT , Imagining Illegitimacy in Classical Greek Literature, Lanham u. a. 2003, S. 110f.; andere Sicht: D ANIEL O GDEN , Greek bastardy in the classical Hellenistic periods, Oxford 1996, S. 91-8. 5 Auch der Zugang zu geistlichen und anderen Ämtern sollte ihnen verwehrt bleiben, vgl. B ERNHARD S CHIMMELPFENNIG , Zölibat und Lage der ,Priestersöhne’ vom 11. bis 14. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 237 (1978), S. 1-44; L AURA W ERTHEIMER , Continuity and Change in Constructs of Illegitimacy between the Second and Eight Centuries, in: Historical Reflections 33 (1997), S. 363-93. 6 Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2: Konzilien des Mittelalters. Vom ersten Laterankonzil (1123) bis zum fünften Laterankonzil (1512-1517), hrsg. von J OSEF W OHL - MUTH , Paderborn u. a. 2000, S. 258. 7 Um so großzügiger war Innozenz III., wenn es darum ging, Dispensen zu verteilen, vgl. C ONSTANCE M. R OUSSEAU , Innocent III. Defender of the innocents and the law: children and papal policy (1198-1216), in: Archivum historiae pontificiae 32 (1994), S. 31-42. 8 H ERRMANN , Die Stellung unehelicher Kinder (wie Anm. 3), S. 41-4; S CHIMMELPFENNIG , Zölibat und Lage der ,Priestersöhne’ (wie Anm. 5), S. 18. 9 Trotz unterschiedlicher Einschätzung vgl. P ETER -J OHANNES S CHULER , Illegitime Klerikerkinder im Bistum Konstanz, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 144 (1986), S. 183-214, und M. E. VAN DEN H EUVEL , De verdediging van bastaarden door Olivier de la Marche, een vijftiende-eeuwse Bourgondische hoveling, in: Handelingen der Maatschappij voor Geschiedenis en Oudheidkunde te Gent 45 (1949), S. 33- 68. G ABRIELA S IGNORI 54 anderer Hinsicht auf die Dekrete des Vierten Laterankonzils. 10 Und es wird statuiert, dass nur Kinder aus legitimen Ehen würdig seien, Ämter in Kirche und Welt zu bekleiden, 11 während der Dominikaner Johannes Teutonicus († 1252) etwa zur selben Zeit den Eintritt ins Kloster noch als Ausweg aus der Irregularität begriff. 12 Und so sollte es längere Zeit auch bleiben. Die Anzeichen, dass die rechtliche Diskriminierung in eine soziale umschlägt, häufen sich erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts: Fortan wurde illegitimen Kindern immer öfter der Zugang zu kirchlichen Einrichtungen sowie der Zutritt zu Zünften oder Bruderschaften verwehrt. 13 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts verlangten Zunft und Stadtrat bei Eintritt oder Ortswechsel immer häufiger Beglaubigungsschreiben, die dem Inhaber eine eheliche Geburt attestierten. 14 Und schließlich gereichte der Vorwurf, ein ,Bastard’ zu sein, dem Beschimpften fortan immer häufiger zum Nachteil, auch losgelöst 10 Councils & synods with other documents relating to the English Church, Bd. 2: A.D. 1205-1313, Part I: 1205-1265, Oxford 1964, S. 57-96. Zu Poore vgl. B RIAN K EMP , God’s and the king’s good servant Richard Poore, bishop of Salisbury, 1217-28, in: Peritia 12 (1998), S. 359-78. 11 Councils & synods (wie Anm. 10), S. 87. 12 Vgl. K LAUS S CHREINER , „Defectus natalium“. Geburt aus einem unrechtmäßigen Schoss als Problem klösterlicher Gemeinschaftsbildung, in: Illegitimität im Spätmittelalter, hrsg. von L UDWIG S CHMUGGE und B ÉATRICE W IGGENHAUSER (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 29), München 1994, S. 85-114. 13 R OLF S PRANDEL , Die Diskriminierung der unehelichen Kinder im Mittelalter, in: Zur Sozialgeschichte der Kindheit, hrsg. von J OCHEN M ARTIN und A UGUST N ITSCHKE , Freiburg 1986, S. 487-502; S CHULER , Illegitime Klerikerkinder im Bistum Konstanz (wie Anm. 9), S. 183-214; K NUT S CHULZ , Die Norm der Ehelichkeit im Zunft- und Bürgerrecht spätmittelalterlicher Städte, in: Illegitimität im Spätmittelalter (wie Anm. 12), S. 67-83; B IRGIT N OODT , Illegitime Geburt im 14. Jahrhundert.: Uneheliche Kinder und ihre Mütter in Lübecker Quellen des 14. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 81 (2001), S. 77-103. 14 Heinrich Geßler, Nuw practicirt rhetoric vnd brieff formulary, Johannes Preuß: Straßburg 1493, Das .lxxvj. plat: Forma der kuntschaft einem, das er vß der statt eelich erborn syg: Wir burgermeister vnd rate der statt .O. thůn kundt menglichem mit disem brieff / das vf hut datum fur vns vnd gmeinen vnsern rat komen ist Hanns Wernower, Niclausen Wernowers, vnsers burgers sůn, offnet, wie das jm mangelt jn etlichen landen vnd stetten zů furdrung seiner diensten vrkund, das er eelich erboren syg / begert vnd batt als vß vnser statt vnd von vnsern burger erboren jne damit zů versehen nach seiner eren vnd wesens notdirft, haben wir erkent, das sollichen billicher beger die verwilligung nit zů verzyhen ist. Vnd wen vns von gmeinem lumden jn vnser statt kundt ist / das Niclaus Wernower vnnd Agnes Holbeiny, vnser burger all jr tag bey vns fur eelich lut vnd ouch eelich vater vnnd můter des benanten Hannsen Wernowers / vnd er jr beider eelicher sůn / vnnd sie all fur eelich gehalten vnnd ge- 55 „I M N AMEN DES V ATERS “ von der Erbschaftsfrage, von der wir hier ausgegangen sind. 15 Zeitgleich wuchs die Zahl der in Rom eingereichten Dispensgesuche vom ,Makel der unehelichen Geburt’ kontinuierlich an. 16 Die Praktiken bedingen sich allesamt gegenseitig. 2. Illegimität hat verschiedene Gesichter, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, und ebenso verschiedene Hintergründe. Denn was mag ein hochadeliger ,Bastard’ wie Antoine von Burgund († 1421-1504) mit einem Findelkind im Florentiner Waisenhaus gemein haben außer ebendieser unehelichen Geburt? 17 In der spätmittelalterlichen Stadt, die hier im Mittelpunkt des Interesses steht, ist Illegitimität zunächst ein schichtenübergreifendes Mobilitätsproblem. 18 Der Zuzug in die Stadt war groß; ohne Neuankömmlinge hätten die Städte aus rein demographischen Erwägungen nicht zu beachtet gewesen vnd noch seint von vns vnd menglichem so sie bekennen darumb geben wir des dem selben Hannsen Wernower vrkund mit diesem vnserm offen versigelten brieff vff etc. 15 Der Oberhof zu Neustadt an der Weinstrasse, hrsg. von A DALBERT E RLER , Frankfurt am Main 1868, Bd. 1, Nr. 101 (1450). 16 L UDWIG S CHMUGGE , Schleichwege zu Pfründe und Altar. Päpstliche Dispense vom Geburtsmakel 1449-1533, in: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 615-645; DERS ., Kirche, Kinder, Karrieren. Päpstliche Dispense von der unehelichen Geburt im Spätmittelalter, Zürich 1995. 17 Vgl. C HRISTIANE VAN DEN B ERGEN -P ANTENS , Antoine, Grand Bâtard de Bourgogne, bibliophile, in: L’Ordre de la Toison d’Or, de Philippe le Bon à Philipppe le Beau (1430- 1505). Idéal ou reflet d’une société-? , hrsg. von P IERRE C OCKSHAW und C HRISTINE VAN DEN B ERGEN -Pantens, Turnhout 1996, S. 198-200, sowie J EAN T HIBAULT , Un prince territorial au XV e siècle: Dunois, bâtard d’Orléans, in: Bulletin de la société archéologique et historique de l’Orléanais 116 (1997), S. 3-46,- und J EAN -M ARIE C AUCHIES , Badouin de Bourgogne (v. 1446-1508), bâtard militaire et diplomatique. Une carrière exemplaire-? , in: Revue du Nord 310 (1995), S. 257-81. 18 Darauf hat vor Jahren Jérôme Hayez hingewiesen, allerdings beschränkt sich seine Untersuchung auf die italienischen Fernhandelskreise vgl. J ÉRÔME H AYEZ , Migration et stratégies familiales. Autour de la condamnation de Lorenzo di Messer Tommaso Soderini, bâtard et faussaire malchanceux (1405), in: Medievales 19 (1990), S. 43-57, vgl. auch S HANNON M C S HEFFREY , Love & marriage in late medieval London, Kalamazoo 1995, S. 14-25; N OODT , Illegitime Geburt im 14. Jahrhundert (wie Anm. 13), S. 95- 98; C AROL L ANSING , Concubines, lovers, prostitutes. Infamy and female identity in medieval Bologna, in: Beyond Florence. The contours of medieval and early modern Italy, hrsg. von P AULA F INDLEN , M ICHELLE M. F ONTAINE und D UANE J. O SHEIM , Staford 2003, S. 85-100; P HILIPPA M ADDERN , Moving households: geographical mobility and serial monogamy in England, 1350-1500, in: Parergon 24 (2007), S. 69-92. G ABRIELA S IGNORI 56 stehen vermocht. 19 Von der Stadt angezogen wurden Frauen gleichermaßen wie Männer. Manche blieben, andere zogen später wieder fort. Die, die blieben, wählten verschiedene Formen des Zusammenlebens: Die einen heirateten, während die anderen in zeitgenössischer Begrifflichkeit die Unehe - wir würden heute sagen eine ,Ehe ohne Trauschein’ - vorzogen. 20 1448 klagte der Rat der Stadt Basel, „viele Leute säßen unehelich beieinander, auch etliche Männer bei der Frau eines anderen und etliche Frauen bei dem Mann einer anderen“. 21 Das sei ihnen (den Ratsherren) „ganz unleidlich“. Heiraten sollten die Betreffenden, „Liebe und Leid miteinander teilen“ und nicht fremdgehen („das Fremde lassen“). 22 Wer sich nicht beuge, „den wollten sie nicht in ihrer Stadt dulden.“ 23 Konkubinat und Ehebruch sind in den Augen der Obrigkeit dasselbe. 24 19 Vgl. Migration in die Städte. Ausschluß - Assimilierung - Integration - Multikulturalität, hrsg. von H ANS -J ÖRG G ILOMEN u.a. (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), Zürich 2000; Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reichs (1250-1550), hrsg. von R AINER C HRISTOPH S CHWINGES (Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte 30), Berlin 2002. 20 Rechtsquellen von Basel. Stadt und Land, hrsg. von J OHANNES S CHNELL , Teil 1, Basel 1856, Nr. 138, S. 130: So ist ouch unser herren fúrkommen, daz vil lutes unelich by einander sitzen, ouch ettlich man by eins andern elich wib, ettlich fr > wen by einer andern elichen manne sitzen, daz inen ganz unlidlich sin wil. darumb wer damitte beladen ist und daran schulde hat, sol gedenken sich ze bessern und yeklichs daz sin ze nemende und by dem liebe und leit ze habende und daz fr = mde ze lassende. denn wer s = lichs nit entůt, den wellent sy in ir statt nit wissen, besunder die personen, an der der breste ist oder sinde wirt, da wissent úch nach ze haltende. Mit ähnlichem Wortlaut: Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter, hrsg. von A RMIN W OLF , Frankfurt am Main 1969, S. 358 (1468). Auf dem Konzil von Winchester (1226) hieß es noch bemerkenswert nachsichtig: Männer und Frauen, die ohne ,Trauschein’ zusammen lebten (erkennbar sei dies, wenn sie gemeinsame Kinder hätten), müsste der Priester regelmäßig ermahnen zu heiraten. Gedroht wird hier aber nicht mit einer Kirchenstrafe, sondern mit Bußgeld, das den individuellen Vermögensverhältnissen der Heiratsunwilligen zu entsprechen habe (§ 58). Vgl. Councils & synods (wie Anm. 10), S. 125-37. 21 Rechtsquellen von Basel (wie Anm. 20), Nr. 138 S. 130: daz vil lutes unelich by einander sitzen, ouch ettlich man by eins andern elich wib, ettlich fr > wen by einer andern elichen manne sitzen. 22 Ebd.: darumb wer damitte beladen ist und daran schulde hat, sol gedenken sich ze bessern und yeklichs daz sin ze nemende und by dem liebe und leit ze habende und daz fro e mde ze lassende. 23 Ebd.: den wellent sy in ir statt nit wissen, besunder die personen, an der der breste ist oder sinde wirt, da wissent úch nach ze haltende. 24 Das Ratsmandat steht in direkter Verbindung mit den Reformbeschlüssen des Basler 57 „I M N AMEN DES V ATERS “ Die Effizienz der Sittenmandate ist schwer einzuschätzen. 25 Die Basler Urfehdenbücher auf jeden Fall erwecken nicht den Eindruck einer verschärften Sozialkontrolle von Bürgern und Einwohnern infolge der Erlasse. 26 Anders verhält es sich mit den Klerikerkonkubinen. Unmittelbar auf das Mandat von 1448 folgten in ihrem Fall die ersten Stadtverweise. 27 Dieselben Maßnahmen hatte, berichtet der Chronist Diebold Schilling († 1486), der Berner Rat schon drei Jahre zuvor gegen die Klerikerkonkubinen ergriffen. 28 Die Städte machten ernst mit dem auf dem Konzil von Basel verabschiedeten Reformpaket, in dessen Zentrum der Kampf gegen das Priesterkonkubinat stand. 29 Die geistlichen Gerichte hingegen scheinen sich nicht weiter eingemischt zu haben. 30 Sie interessierten sich nur insoweit für die Unehe, als nicht eingelöste Eheversprechen zur Diskussion standen. 31 So Konzils, das die Bekämpfung des Klerikerkonkubinats auf seine Fahnen geschrieben hatte 25 Vgl. R AINER D RIEVER , Obrigkeitliche Normierung sozialer Wirklichkeit (Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte 2), Bielefeld 1999. 26 Aus dem spätmittelalterlichen Spanien sind beispielsweise spezielle auch Konkubinatverträge erhalten vgl. E UKENE L ACARRA L ANZ , Changing boundaries of licit and illicit Unions: concubinage and prostitution, in: Marriage and sexuality in medieval and early modern iberia, hrsg. von DERS ., New York und London 2002, S. 158-194; L ANSING , Concubines, lovers, prostitutes (wie Anm. 18), S. 85-100. 27 R UDOLF W ACKERNAGEL , Geschichte der Stadt Basel, Bd. 1, Basel 1907, S. 515f. 28 Die Schweiz im Mittelalter in Diebold Schillings Spiezer Chronik, hrsg. von H ANS H AEBERLI , Luzern 1991, S. 365: Do man zalt von gotteß gebúrt mccccv jar, warent vil pfaffendirnen im lande. Nů hetten die von Bernn die gernn von inen getan. Do meinten die priester, man hette ir dirnen nit ze straffen noch von inen ze wisen. Do gebutten die von Bernn den pfaffendirnen allen, von inen ze gan by einer pene [Geldstrafe]. Do wichen si etwaß ziteß von inen, und hielten daß nit lang. Do hieß man die selben alle vachen [fangen], und wurden in die kefien geleit, do nů der Zitglockenturn ist. Ze stund kamen etlich priester und verbúrgeten die iren uß. Die aber nit uß kamen, denen erging eß, alß harnach stat. 29 M ARTIN B OELENS , Klerikerehe in der kirchlichen Gesetzgebung zwischen den Konzilien von Basel und Trient, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 38 (1969), S. 62-81. 30 Schon früher wiederholt Versuche gestartet, gegen das Klerikerkonkubinat vorzugehen, aber in Konjunkturen: B RIGITTE R ATH , De sacramentis, concubinatu et ludo taxillorum. Über ein böhmisches Visitationsprotokoll aus dem 14. Jahrhundert. In: Menschen und ihre Zeichen. Sozialhistorische Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur Neuzeit, hrsg. von I NGRID M ATSCHINEGG , B RIGITTE R ATH und B ARBARA S CHUH , Bielefeld 1990, S. 41-59. 31 Vgl. u. a. R ICHARD H. H ELMHOLZ , Marriage Litigation in Medieval England, Cambridge 1974; R UDOLF W EIGAND , Liebe und Ehe im Mittelalter (Bibliotheca Eruditorum 7), Goldbach 1993; C HRISTIAN S CHWAB , Das Augsburger Offizialatsregister (1348-1352). Ein Dokument geistlicher Diözesangerichtsbarkeit. Edition und Untersuchung (For- G ABRIELA S IGNORI 58 auch im Falle des Augsburger Chronisten Burkhard Zink († 1474/ 75), dem Vater zweier illegitimer Kinder. Seine Augsburger Chronik gewährt Einblick in die verschiedenen, ehelichen und unehelichen Lebensformen, die in fast jeder spätmittelalterlichen Stadt anzutreffen existierten. Zink war im Verlauf seines Lebens drei Ehen eingegangen, die erste mit einer Elisabeth Störklerin († 1440), der Magd seines Herrn, die zweite mit der Witwe Dorothea Külinbeckin († 1449) und die dritte mit der Krämerstochter Dorothea Münstlerin († 1459). Nach dem Tod seiner zweiten Frau zögerte er, gleich wieder zu heiraten: „da blieb ich darnach ein Witwer für viereinhalb Jahre“. Die Zeit beschreibt er als ellenclich, nicht weil er alleine, auf sich selbst gestellt gewesen wäre, sondern weil er sich mit einem torenden freulin, einem „törichten Fräulein“ namens Margreth Segesserin zusammengetan hatte. Heiraten wollte er die Frau, mit der er zwei Kinder gezeugt hatte, aber nicht: vielmehr wollte er sie nach den besagten viereinhalb Jahren wieder loswerden, denn „das Fräulein sei ihm gar gefährlich gewesen und habe ihn bestohlen“. Das Fräulein aber wollte nicht gehen und klagte ihn vor dem Chorgericht an, er habe ihr die Ehe versprochen. Das Gericht ergriff trotz der gemeinsamen Kinder für ihn Partei. 32 Das 1453 geborene Töchterchen Hildegard starb am Tag nach der Geburt. Seinen 1452 geborenen Sohn Jörg nahm Burkhard Zink zu sich. Er habe ihn zur Schule geschickt und im Alter von zehn Jahren dem Schulmeister von Kaufbeuren in die Lehre gegeben. Danach hören bzw. lesen wir von Jörg nichts mehr. Wie die Segesserin scheinen im 15. Jahrhundert viele Mütter unehelicher Kinder ledig geblieben zu sein, umso häufiger, je näher wir dem ausgehenden 15. Jahrhundert rücken. Ihren Platz in der spätmittelalterlichen Gesellschaft zu bestimmen, fällt trotzdem schwer, denn ,ledige Mütter’ waren noch kein Thema sozialpolitischer Disziplinierungsdiskurse. 33 3. Die autobiographischen Notizen Burckhard Zinks zeigen, dass im Werdegang unehelicher Kinder meist nicht die Mutter, sondern der Vater die Hauptperson war. Seine Pflicht war es, die Kinder zu sich zu nehmen, sie aufzuziehen bzw. zu erziehen und für eine angemessene Ausbildung zu schungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 25), Köln u.a. 2001, S. 733-88; C HARLES D ONAHUE , Jr., Law, marriage, and society in the later Middle Ages. Arguments about marriage in five courts, Cambridge 2007. 32 S CHWAB , Das Augsburger Offizialatsregister (wie Anm. 31), S. 753-70. 33 Vgl. auch S USANNA B URGHARTZ , Zeiten der Reinheit. Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn u.a. 1999, S. 266-73. 59 „I M N AMEN DES V ATERS “ sorgen. Die Vaterschaftsfrage stand gewöhnlich nicht zur Diskussion. Vielerorts nutzten die Frauen die Öffentlichkeit der Taufe, um den Namen des Vaters publik zu machen. Damit stoße man die Leute vor den Kopf (scandalizare), heißt es 1470 in den Synodalstatuten von Passau, und verborgene Sünden würden auf diese Weise öffentlich gemacht. 34 Das war unerwünscht. Ein feierlicher Schwur, dieser oder jener sei der Vater des Kindes, war diskreter, erfüllte aber durchaus denselben Zweck. 35 Da mochten werdende Väter wie der Kölner Hermann Weinsberg (1518-1604) murren und knurren, wie sie wollten - es nutzte nichts. Im Alter von 28 Jahren hatte der noch ledige Hermann Weinsberg Gretchen, die Dienstmagd seiner Mutter, geschwängert. Schon längere Zeit vor der Geburt seiner Tochter am 6. November 1546 hatte er, wie er in seinem Buch Weinsberg schreibt, die Beziehung abgebrochen. Er zweifelte daran, der Vater des Kindes zu sein, und weicht in seiner Darstellung dementsprechend auf den Konjunktiv aus, vnd ich sol des Kindes fatter sin, wie die motter sagt. 36 Als Gretchens Schwangerschaft ,ruchbar’ geworden war, hatte ihn seine Mutter - nicht etwa sein Vater - sogleich zur Rede gestellt. 37 Vater Weinsberg meinte hingegen lakonisch, er solle künftig klüger handeln und sich fortan nicht mehr um die Magd kümmern. Der alte Weinsberg sprach aus Erfahrung. Das gab dem Jungen neuen Mut und Antrieb, sich über die Leichtfertigkeit der Magd auszulassen. Um Gretchen die Zweifel an seiner Vaterschaft anzumelden, passte er sie in der Kirche ab. Die Magd aber beschwor, nichts als die Wahrheit zu sagen. Dem Schwur musste er sich beugen. Am Tag, als seine Tochter Anna zur Welt kam, schickte Mutter Weinsberg - wieder die Mutter - nach dem Kinde und ließ es in der Pfarrkirche Klein St. Martin taufen. Die Patenschaft übernahm das Hausgesinde der Weinsbergs. Als Name wählte man Anna, nach Anna zur Löwenkuhle, der Magd von Weinsbergs Schwester. Nach der Taufe ließ Mutter Weinsberg das Kind nach Ichendorf bringen, wo ihre Schwester lebte, und diese übergab es einer fremden Frau am Ort. Weinsberg murrte abermals, vornehm- 34 Concilia Germaniae, hrsg. von J OAN . F RIDERIC . S CHANNAT und J OSEPHUS H ARTZHEIM , Bd. 5: ab anno mcccc ad md, Köln 1763, S. 483. 35 Vgl. U LRICH S CHMITZ , Der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen seinen Erzeuger. Die rechtsgeschichtliche und dogmatische Entwicklung im deutschen Recht, Diss. Mainz 2000, S. 40f. 36 Das Buch Weinsberg, Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 3), Bd. 1, Leipzig 1886, S. 257f. 37 Ebd. S. 258: Denselben tag gab sei der magt vrlob vnd war im mai, vnd schalt mich vbel, wie ich verdenet hatte. G ABRIELA S IGNORI 60 lich wegen des Unterhalts, den er für Mutter und Tochter bezahlen musste. 38 Danach hören wir mehrere Jahre nichts mehr von Anna. Im Januar 1554 - inzwischen hatte Weinsberg eine Frau geheiratet, die viel älter war als er (er meinte nämlich, seine Konstitution sei viel zu schwach, um weitere Kinder zu zeugen) - ließ seine Gattin das achtjährige Mädchen wieder nach Köln holen und übergab es Peter von Aich, einem Scheidenmacher, und seiner Frau Gret, Weinsbergs unehelicher Schwester. Das Mädchen soll sich in einem erbärmlichen Zustand befunden haben. 39 Am 27. Juni 1568, also mit 22 Jahren, legte Anna von Weinsberg dann die Profess in St. Maria zu Bethlehem ab, bei der die ganze Familie Weinsberg zugegen war. Damit endet die Geschichte auf eine genauso kanonische Weise, wie sie begonnen hatte. Das Kloster war für alle Beteiligten die bequemste Lösung, und eine honorige dazu. Anna sollte später die Führung des Konvents übertragen werden. 4. In der städtischen Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters beschränkte sich das Vatersein keineswegs auf die rein materielle Frage der Unterhaltszahlung. 40 Überraschend viele Väter nahmen ihre unehelichen Kinder bei sich im Haus auf und kümmerten sich später auch um deren Ausbildung. 41 Und alle diese Kinder trugen, wie Anna Weinsberg, den Familiennamen des Vaters. Der gemeinsame Name festigte für beide Seiten das Zusammengehörigkeitsgefühl, ein diffuses Gefühl allerdings, das uns primär auf die 38 Ebd.: Alle kramkosten hab ich moissen geben vnd ander vnterhalt der motter vnd jahrlichs vom kinde 16 gulden zu zehen, vnd hab darzu noch irtumb vnd schaden van der moder moissen erwarten, wie folgen wirt. 39 Ebd., S. 49: vnd es war vngestalt van leif vnd van kleidung, der boech was im vffgeswemt wie der ferken. 40 I LSEMARIE S CHICKENBERG , Die Stellung der unechten und unehelichen Kinder in deutschen Rechten des Mittelalters: ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zur Erneuerung des Unehelichenrechts, Diss. Frankfurt, Gelnhausen 1941; G ERHARD B ÜCKLING , Die Rechtstellung der unehelichen Kinder im Mittelalter und in der heutigen Reformbewegung (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 129), Breslau 1920, S. 68- 72; H ERMANN W INTERER , Die rechtliche Stellung der Bastarde in Spanien im Mittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 31), München 1981, S. 89f.; S CHMITZ , Der Unterhaltsanspruch (wie Anm. 35), S. 34-40. 41 Das war vielerorts ihre rechtlich fixierte Pflicht. Im Florentiner catasto (Steuererhebung) von 1427 lebten rund achtzig Prozent aller Bastarde in Haushalten mit einem Vermögen über 400 Florentiner, vgl. D AVID H ERLIHY und C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Les toscans et leurs familles. Une étude du catasto florentin de 1427, Paris 1978, S. 434. 61 „I M N AMEN DES V ATERS “ Praktiken zurückverweist, von denen wir ausgegangen sind. Verstärkt wurde dieses Gefühl, wenn sich zum gemeinsamen Familiennamen ein gemeinsamer Vorname gesellte. 42 Die Beispiele sind insgesamt überraschend zahlreich. Darunter findet sich auch allerlei Prominenz: etwa der berühmte Legist am französischen Königshof Raoul Presle, 43 der ebenso berühmte französische Kardinal Guillaume Fillastre († 1428) 44 oder der in der Eidgenossenschaft berüchtigte St. Galler Reformabt Ulrich Rösch († 1491). 45 Ich beschränke mich im Folgenden auf die mir aus anderen Zusammenhängen besser vertraute Stadt Basel. 46 Meine Quellenbasis liefern die in den Fertigungsbüchern des Schöffengerichts festgehaltenen Verträge (Testamente, Erbeinsetzungen und Schenkungen bzw. Vergabungen). Nach dem Vater, dem Schlosser Martin Vierobent, hieß der natürliche Sohn, nach der Mutter, Margaretha Langen Örly, Martins natürliche Tochter Gredlin. Allen dreien vermachte der Vater im Oktober 1450 sein Haus zur Eiche in der St.-Alban-Vorstadt. 47 Dort wird 25 Jahre später der Sohn zusammen mit seiner Mutter wohnen. 48 Strikte Gleichbehandlung von Töchtern und Söhnen ist eine Partikularität, die das Basler Stadtrecht mit 42 Die Praxis tritt in der Geschichte des Abendlandes in Wellen in Erscheinung, vgl. M I - CHAEL M ITTERAUER , Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993, oder im frühneuzeitlichen Neuengland G LORIA L. M AIN , Naming children in early New England, in: Journal of Interdisciplinary History 27 (1996), S. 1-27. 43 F RANÇOISE A UTRAND , Naissance illégitime et service de l’État: les enfants naturels dans le milieu de robe parisien XIV e -XV e siècle, in: Revue historique 542 (1982), S. 289-303, hier 292, weitere Beispiele S. 296, 298 und 301, teilweise derselbe Personenkreis D A - NIELLE C OURTEMANCHE , Famille de droit ou droits à la chair-? Stratégies familiales au tournant du XV e siècle, in: ebd. 601 (1997), S. 41-56. 44 M ALTE P RIETZEL , Guillaume Fillastre der Jüngere (1400/ 07). Kirchenfürst und herzoglich-burgundischer Rat, Stuttgart 2001. Vgl. P AUL L EYNEN , Wettingen van Bastaarden in Brabant (1460-1500), in: Eigen schoon en de Brabander 63 (1980), S. 55-77, hier 59-71 (Liste mit zahlreichen Beispielen). 45 S CHULER , Illegitime Klerikerkinder im Bistum Konstanz (wie Anm. 9), S. 212 sowie weitere Beispiele ebd., S. 209); N OODT , Illegitime Geburt im 14. Jh. (wie Anm. 13), S. 87, 90, 93, 98. 46 G ABRIELA S IGNORI , Vorsorgen - Vererben - Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 160), Göttingen 2001, S. 188-216. 47 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B (= Fertigungsbücher), Bd. 5, fol. 195 r . 48 In der Kopfsteuerliste aus dem Jahr 1454 wird notiert, siehe G USTAV S CHÖNBERG , Finanzverhältnisse der Stadt Basel im XIV. und XV. Jahrhundert, Tübingen 1879, S. 722, in ,Martin Feyrabents’ Haus sei niemand; 1475 finden wir dort dann Martin Fiobent G ABRIELA S IGNORI 62 den meisten anderen Stadtrechten teilt. 49 Gerade den Vätern illegitimer Kinder bot das Vertragsrecht allerdings die Möglichkeit, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Und das nutzten einige auch, darunter der Weinmann Hans Volrat. 50 Am 29. November 1473 setzte er gerichtlich seinen natürlichen Sohn Hans als seinen Leibeserben ein. 51 Für seine natürliche Tochter sah er bescheidene hundert Gulden Aussteuer vor. 52 Sieben Jahre später war der Sohn gestorben, und der Vater gezwungen, einen anderen Vertrag aufzusetzen. Nun rückte Agnes an die Stelle ihres Bruders, musste die Erbschaft aber mit den Kindern von Volrats Schwester teilen. 53 Lienhard, der natürliche Sohn des Meisters Lienhard Herliberg sollte, so wollte es der Vater, nicht nur seinen Vornamen tragen, sondern darüber hinaus auch seinen Beruf ergreifen. Und so schenkte er ihm im März 1451 vor dem Basler Schöffengericht Werkzeug und Werkgeschirr, die er zur Ausübung seines Handwerks brauchte, sowie zwanzig Gulden Startkapital. 54 1454 versteuerte derselbe Meister Lienhard Armbruster ein Vermögen von knapp 700 Pfund. 55 16 Jahre später erscheint auf der Steuerliste in demselben Straßenzug abermals ein Lienhard Herliberg, nun sogar mit einem und seine Mutter (Staatsarchiv Basel-Stadt, Steuern B (= Steuerbücher des 14. und 15. Jahrhunderts), Bd. 19 (= Margzal- und Schillingsteuer 1475-1481, St. Alban), S. 3. Die beiden hatten nichts zu versteuern. 49 G ERHARD D ILCHER , „Hell, verständig, für die Gegenwart sorgend, die Zukunft bedenkend“. Zur Stellung und Rolle der mittelalterlichen deutschen Stadtrechte in einer europäischen Rechtsgeschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung A 106 (1989), S. 12-45. 50 Vgl. M ARIE -T HÉRÈSE L ORCIN , Le clergé de l’archidiocèse de Lyon d’après les testaments des XIV e et XV e siècles, in: Cahiers d’histoire 2 (1982), S. 125-62. Eine massive Bevorzugung des männlichen Geschlechts beobachtet R ICHARD C. T REXLER , The foundlings of Florence 1395-1455, in: History of Childhood Quarterly 1 (1973), S. 259-84, in den Florentiner Findelhäusern. Nördlich der Alpen hat die Praxis aber noch keine Entsprechung. 51 Die Erblasser sprechen gewöhnlich von ,natürlichen Kindern’; der Begriff ,Bastard’ hingegen wird in den mittelhochdeutschen Quellen primär als Schimpfwort oder als Kampfbegriff benutzt, vgl. Berthold von Regensburg, hrsg. von K URT R UHE , Bd. 1, Berlin 1965, S. 178. 52 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B (= Fertigungsbücher), Bd. 9, S. 386f.: Dannachin satzt, ordnet vnd macht er, Hannsen Volraten, sinem naturlichen sún, alles ander sin ubrig verlassen gůt, es sye ligends, varendes, rent, zinß, untz, gulten, huß, husrat <aber>, bet vnd vederwät, silber, silber geschirr vnd bargelt, wz er nach tod verlat, nuntzit ußgenommen. 53 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 10, S. 497. 54 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 6, S. 19. 55 S CHÖNBERG , Finanzverhältnisse der Stadt Basel (wie Anm. 48), Nr. 1186. In der Kopfsteuerliste ist er nicht aufgeführt. 63 „I M N AMEN DES V ATERS “ Vermögen von tausend Gulden. 56 Dieser Lienhard, der mit einer Agnes Sidelberstin verheiratet war, hielt über Jahre hinweg das Amt des Schultheißen inne und muss zwischen 1477 und 1480 gestorben sein. 57 Offenkundig hatte sich der Sohn dem Wunsch des Vaters widersetzt und eine andere Laufbahn eingeschlagen. Sein Vermögen aber, das ihm erlaubte, ein städtisches Amt zu bekleiden, hatte er mit Sicherheit von niemand anderem als von seinem Vater geerbt. Die treibende Kraft bei der Namenswahl scheinen in diesen Fällen im Übrigen weniger die Mütter, als vielmehr die Väter gewesen zu sein. Mathis Eberler († 1502), ein Geldwechsler, hatte in jungen Jahren eine rund zwanzig Jahre ältere Frau namens Barbara Schaler († 1491) geheiratet und sich von ihrem Geld in Hiltalingen, unweit der Stadt Basel, ein kleines Weiherschlösschen erworben. 58 Dort vergnügte er sich über die Jahre hinweg mit einem nicht namentlich bekannten ,Fräulein’, das ihm nacheinander vier Söhne gebar. 59 Den ältesten Sohn ließ er auf den Namen Mathis taufen. Und diesem Mathis vermachte er im Juli 1485 auch 500 Gulden Startkapital, mit der Begründung, dass er sich bisher stets „gehorsam“ und „untertänig“ erwiesen habe. 60 Der Betrag setzte sich zu einem Großteil aus seiner (das heißt Mathis senior) Morgengabe zusammen, die er erhalten hatte, weil er als Jüngling eine Witwe geheiratet hatte. Auf Mathis folgten später, offenbar von derselben Frau, drei weitere natürliche Söhne namens Simon, Jörg und Bartholomäus. Die drei wählte er im Dezember 1499 dann auch zu seinen Universalerben. 61 1501 heiratete der alte Eberler die adlige Margaretha von Geroldseck. An seinem letzten Willen aber änderte dies nichts im Jahr darauf starb er. 56 Staatsarchiv Basel-Stadt, Steuern B, Bd. 17 (= Margzal-, Schilling- und Weinsteuer 1470-1472, St. Leonhard 1470), S. 26. 57 Den Gerichtsbüchern zufolge von 1458 bis 1473. 58 S IGNORI , Vorsorgen - Vererben - Erinnern (wie Anm. 46), S. 122-43; D IES ., Ein „ungleiches Paar“ - Reflexionen zu den schwankhaften Zügen der spätmittelalterlichen Gerichtsrealität, in: Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, hrsg. von A NDREAS B LAUERT und G ERD S CHWERHOFF (Konflikt und Kultur 1), Konstanz 2000, S. 289-314. 59 Eberlers Frau, Barbara Schaler, sprach aber nicht von ,Fräulein’, sondern benutzte das Wort snůren (,Hure’), vgl. Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv O (= Diversa), Bd. 5 (= Prozeß Ulmer contra Brand: 25. Oktober 1482), fol. 20 v . 60 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 11, S. 420: sich noch biß har so gehorsamlichen vnd vnderteniglich gehalten, daz er sunder neigung zů im gew = nnen vnd darvmm in willen komen etwas sins zytlichen gůtz zů uermachen. 61 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 14, fol. 210 v . G ABRIELA S IGNORI 64 Auch Magdalena von Canstatt, die Frau des Basler Küfers Engelhard Widmann, entschied sich Ende September 1489 dazu, ihre natürliche Tochter Magdalena zu ihrer Universalerbin einzusetzen. Ein Teil der Erbschaft umfasste ein Drittel der Einkünfte aus dem Haus zum roten Krebs im Kirchspiel St. Leonhard, in dem die drei lebten. 62 Vor dem Schöffengericht begründete die Mutter ihren Schritt mit ähnlichen Worten wie vier Jahre zuvor Mathis Eberler. Die Rede ist von ,Gehorsam’ und ,Dienstbarkeit’, wie in vielen anderen Verträgen, in denen Kinder oder Pflegekinder bedacht werden. 63 Namensübereinstimmungen zwischen Vater und Sohn beobachten wir nicht nur in Handels- und Handwerkskreisen, sondern auch in den Reihen der Geistlichkeit. 64 So ließ beispielsweise Johannes Ner († 1463), der langjährige Probst des Basler Kollegiatstifts St. Peter, 65 seinen Sohn, der wie der Vater eine Laufbahn als Geistlicher einschlagen sollte, auf seinen Namen taufen. 66 Die Ners bildeten eine regelrechte Klerikerdynastie: 67 Schon der Vater war Sohn eines Geistlichen gewesen. 68 Ner senior, der in Basel eine 62 Staatsarchiv Basel-Stadt, Fremde Staaten, Deutschland, Steuerbücher B, Bd. 6, 2 (= Reichspfenning 1497), fol. 10 v . 63 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv O 4, fol. 17 r -18 r : wie sy ein naturliche tochter hette, Magdalena Degenen genannt, die sich von iugent vff / gegen ir/ gehorsamkeitt, dienstlich bewißt vnnd erzoigt, in maßen sy geneigten willen zu ir solichs zu widerlegen [...] nemlichen sy zů irem rechten erben zesetzen, zeordnen vnnd zemachen, begertt einer frag, ob sy das zetünd hette, vnnd getůn mochte. Dwile nü der vermelt Engelhartt zů nachvolgenden dingen gunst vnnd willen geben / ouch die genant/ Magdalena weder vatter, můtter noch sust eeliche kinder nit enhatt, als sy dann furgab, da so ward nach miner vmfrag einhelliklich erteilt, daz sy solichs woltuen mocht vnnd zetund macht hette. In der Reichssteuer von 1497 (wie Anm. 62), fol. 10 v , sind die drei (bzw. vier) im Kirchspiel St. Leonhard aufgeführt. 64 Für sie galt die gleiche Unterhaltspflicht wie für Laien S CHIMMELPFENNIG , Zölibat und Lage der „Priestersöhne“ (wie Anm. 5), S. 28-32. 65 G UY P. M ARCHAL , Die Statuten des weltlichen Kollegiatstifts St. Peter in Basel. Beiträge zur Geschichte der Kollegiatstifte im Spätmittelalter mit kritischer Edition des Statutenbuchs und der verfassungsgeschichtlichen Quellen, 1219-1529 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 4), Basel 1972, S. 312f. 66 Ebd., S. 350. Johannes Ner iunior hatte 1461 das Gesuch auf Dispens vom Makel der unehelichen Geburt gestellt (Schmugge Nr. 3909). Mit bestem Dank an Ludwig Schmugge für die Überlassung seiner Daten. 67 Genauso dies hatte die Kirche seit dem frühen Mittelalter eigentlich immer zu vermeiden versucht, S CHIMMELPFENNIG , Zölibat und Lage der „Priestersöhne“ (wie Anm. 5), S. 10, 16. 68 Eine vergleichbare Basler Klerikerdynastie bildeten die Schlewitzer, Vater Konrad, Münsterkaplan, Kind eines Klerikers (Schmugge Nr. 36968), verlieh seinem Sohn den 65 „I M N AMEN DES V ATERS “ fulminante Karriere durchlaufen hatte, vermachte Ner junior im Mai 1460 übrigens jenes Weiherschlösschen, das dieser später dem Mathis Eberler verkaufen sollte, dazu seinen Garten auf der bischöflichen Pfalz sowie alle Fahrhabe aus seinem Propsthof. 69 Eigentümliche Anklänge an den Namen des Vaters finden sich auch bei Michael, dem Sohn des Basler Chorherren Lienhard Michaelis, wenngleich in diesem Fall keine Homonymie im strengeren Sinn des Wortes vorliegt, sondern ein für Raum und Zeit eher ungewöhnliches Patronym. 70 Michaels Schwester ließ der Vater auf den Namen Maria taufen. Ihre Mutter hieß Anna - eine nahezu vollständige ,heilige Familie’. Anna war zwei Jahre zuvor wegen Konkubinats aus der Stadt Basel verwiesen worden. 71 Mit den Namen - den Vornamen gleichermaßen wie den Nachnamen - stärkten die Väter nicht nur das Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern entwarfen damit auch Genealogien, die bei den Geistlichen in dieser Form eigentlich nicht erwünscht waren. Diese Genealogien als ,künstliche’ oder ,fiktive’ zu begreifen, wäre allerdings widersinnig. Denn gerade bei den ,natürlichen Kindern’ sind die Grenzen, die Natur und Kultur voneinander trennen, auf den Kopf gestellt. Jenseits der Homonymien fällt es schwer zu erkennen, weshalb dieses Kind diesen und jenes jenen Vornamen trägt. 72 Das einzige sichtbare Verbindungsstück bleibt der gemeinsame Nachname, verbunden mit dem Wunsch, den betroffenen Kindern seinen Besitz oder zumindest einen Teil seines Besitzes zu übertragen. Nur ausnahmsweise gelingt es, bei den unehelichen Kindern etwas mehr Licht in die Namensfrage zu bringen: Kurz nach dem ihr Vater gestorben war, setzte die Basler Achtburgerin Adelheid verheißungsvollen Namen Christian (Schmugge Nr. 5961). Seine letztwillige Verfügung datiert aus dem Jahr 1470 (Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 10, S. 13f.): Damals setzte er Agnes Löwlin, seine ,natürliche Tochter’, Frau des Lienhard Löwen, und deren beider Kinder, zu seinen Leibeserben ein. Christian Schlewitzer, seinem ,natürlichen Sohn’, vermachte er hundert Gulden und das Haus zum Hirzen beim Eptingerbrunnen, worin derzeit Jungfrau Cilien, seine Magd, wohne. Dieses Haus solle er ihr ir leptag in lypding wyse verlihen [und sie darin] och ir leptag blyben lassen. Sterbe Christian ohne Erben gehe das Haus an seine Tochter Agnes. 69 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 8, fol. 59 r . 70 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 5, fol. 206 v . 71 M ARCHAL , Die Statuten des weltlichen Kollegiatstifts (wieAnm. 65), S. 187. 72 S CHMUGGE , Kirche, Kinder, Karrieren (wie Anm. 16), S. 273-275 und 490-493, stellt eine Liste der in den Akten der Pönitentiarie am häufigsten verwendeten Vornamen zusammen, die in dieser Form aber wenig aussagt. G ABRIELA S IGNORI 66 von Laufen († 1482) am 23. April 1473 ihr Testament auf. 73 Darin bedachte sie neben anderen auch die beiden vorehelich gezeugten Kinder ihres 1462 verstorbenen Ehemannes Hans Waltenheim. 74 Die Kinder trugen den Familiennamen des Vaters, waren Waltenheims, wie er. Auf welche Weise aber waren sie zu ihren Vornamen, Antonius und Elisabeth, gekommen? Der Rufname Elisabeth bzw. die Kurzform Elsi war um die Mitte des 15. Jahrhunderts der in Basel am weitesten verbreitete Vorname von Frauen (darauf folgen Anna bzw. Enneli und Margaretha bzw. Gred oder Gredli). 75 Anders verhält es sich mit dem Namen Antonius. Einer der wenigen damaligen Namensträger war Adelheids Bruder, Antonius von Laufen. Es scheint also, als habe dieser Antonius die Patenschaft für den illegitimen Sohn seines Schwagers übernommen und ihm mit der Patenschaft zugleich seinen Namen verliehen. Stichhaltig beweisen lässt sich dies allerdings nicht. Auf dieselbe Weise dürfte auch Bartholomäus, der natürliche Sohn von Mathis Eberler, zu seinem Vornamen gekommen sein. 76 So nämlich hieß Eberlers Schwager, also der Mann seiner älteren Schwester Agnes. Bärberli von Bondorf, eine ledige Hintersasse, setzte in ihrem Testament aus dem Jahr 1485 ihre fünf natürlichen Kinder als Erben ein. Diese trugen für die Zeit bemerkenswert klangvolle Namen, die humanistische Gelehrsamkeit konnotieren: Dorothea, Hieronymus, Pamphilus, Lucretia und Adam. 77 Wer mochte wohl deren Vater sein? Fünf Jahre zuvor hatte Johannes (Mathias) Gengenbach († 1486), Universitätsprofessor und Chorherr am Basler St. Petersstift, 78 seine unehelichen Kinder als Erben eingesetzt. Als Vogt vertrat ihn im Übrigen Mathis Eberler vor Gericht. 79 In seinem letzten Willen präzisierte Gengenbach, diskreterweise ohne Namen zu nennen, alle seine natürlichen Kinder als seine Erben einsetzen zu wollen, auch die, die er künftig noch zeugen werde. 80 Dreißig Jahre später gab es nur einen ein- 73 Ihr erstes Testament hatte sie aufgesetzt, nachdem sie 1471 ihre Tochter Margaretha verloren hatte. 74 S IGNORI , Vorsorgen - vererben - erinnern (wie Anm. 46), S. 202. 75 M ITTERAUER , Ahnen und Heilige (wie Anm. 42), S. 330-67. 76 S IGNORI , Vorsorgen - vererben - erinnern (wie Anm. 46), S. 125. 77 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 11, S. 411f. 78 M ARCHAL , Die Statuten des weltlichen Kollegiatstifts (wie Anm. 65), S. 89; E DGAR B ON - JOUR , Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1460-1960, Basel 2 1971, S. 88 und 95. 79 Wie Frauen wurden auch Geistliche vor Gericht von einem Vogt vertreten vgl. G A - BRIELA S IGNORI , Geschlechtsvormundschaft und Gesellschaft. Die Basler ,Fertigungen’ (1450 bis 1500), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilungen 116 (1999), S. 119-51. 80 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gerichtsarchiv B, Bd. 10, S. 501f. 67 „I M N AMEN DES V ATERS “ zigen Pamphilus in Basel, und dieser hieß Pamphilus Gengenbach. Pamphilus Gengenbach gilt als einer der ersten deutschen Dramatiker. Berühmt gemacht hatten ihn vor allen anderen Schriften seine Fasnachtsspiele und politisch-religiösen Satiren, allen voran diejenigen, die gegen dieselbe Geistlichkeit gerichtet sind, der auch sein Vater angehört haben dürfte. 81 5. Obwohl das aktuelle Namensrecht den Frauen - den ledigen wie den verheirateten gleichermaßen - verschiedene Möglichkeiten bereitstellt, die Namensfrage ihrer Kinder zu beantworten, entscheiden sich nach wie vor sehr viele für den Nachnamen des Vaters. Unterhaltsfragen spielen keine signifikante Rolle, zumindest bei den verheirateten Frauen nicht. Ihre Wahl begründen sie damit, dass der Name Vaterschaftsgefühle festigen könne, so wie Schwangerschaft und Geburt Mutterschaft konstituierten und konsolidierten. 82 Der sozialen Bindekraft des Namens wird demnach über die Jahrhunderte hinweg eine herausragende Bedeutung beigemessen. Ja, diese Bindekraft scheint dem Namen geradezu eingeschrieben zu sein. Vor Jahren hat der amerikanische Rechtshistoriker Thomas Kuehn allerdings zu bedenken gegeben, dass es im spätmittelalterlichen Florenz, seinem Untersuchungsgegenstand, den Vätern deutlich leichter gefallen sei, ihren unehelichen Kindern Namen und Wappen zu verleihen als ihren Besitz. 83 Über Kuehns Beweisführung ließe sich diskutieren; aber immerhin ist er einer der wenigen Mediävisten, denen es überhaupt aufgefallen ist, dass uneheliche Kinder im Spätmittelalter gewöhnlich den Namen ihrer Väter trugen. Die Väter und Mütter, die im spätmittelalterlichen Basel vor dem Schöffengericht erschienen, um ihren letzten Willen aufzusetzen, waren, wie wir gesehen haben, jedenfalls bedeutend weniger zurückhaltend, ihre natürli- 81 K ERSTIN P RIETZEL , Pamphilus Gegenbach, Drucker zu Basel (um 1480-1525), Frankfurta am Main 1999. 82 D ENISE L EMINEUX , Nommer le premier enfant. Disscours et pratiques de parents québécois dans un contexte de changements familiaux et juridiques, in: Le nom dans les sociétés occidentales contemporaines, hrsg. von A GNÈS F INE und F RANÇOISE -R OMAINE Q UELLETTE (Les anthropologiques), Toulouse 2005, S. 163-98, sowie J OSIANE L E G ALL und D EIRDRE M EINTEL , Pratiques de nomination dans les unions mixtes à Montréal. L’Affichage des multiples appartenances de l’enfant, in-: ebd., S. 191-212. 83 T HOMAS K UEHN , Reading between the patrilines. Leon Battista Alberti’s Della Famiglia in Light of His Illegitimacy, in: I Tatti Studies. Essays in the Renaissance 1 (1985), S. 161-87. G ABRIELA S IGNORI 68 chen Söhne und Töchter letztwillig zu bedenken. 84 Mehr noch, die meisten wählten sie sogar zu ihren Universalerben und übergingen damit kurzerhand das geltende Stadtrecht. 85 Gedinge (Vertrag) bricht Recht, lautet das zeitgenössische Sprichwort. Und dies gilt, wie wir gesehen haben, auch für die unehelichen Kinder. Die, die in den ,Besitz’ von Name und Erbschaft gelangten, mögen insgesamt zwar eine privilegierte Gruppe gebildet haben. Aber in der von Kuehn formulierten Schärfe lassen sich Name und Besitz nicht auseinanderhalten. War der Name nicht ein genauso wertvolles Kapital wie das väterliche oder mütterliche Vermögen? Ein Kapital, das sich letztlich auch nicht mit Geld aufwiegen ließ? 84 Dasselbe gilt für Lübeck und andere Städte vgl. N OODT , Illegitime Geburt im 14. Jh. (wie Anm. 13), S. 90-103. 85 Bei 37 der 61 letztwilligen Verfügungen zugunsten unehelicher Kinder (aus den Jahren 1450-1500) handelt es sich um Erbeinsetzungen. 69 „I M N AMEN DES V ATERS “ Orte Name und Verwandtschaftsgruppe. Zur Frühgeschichte der Kölner Geschlechter im 13. Jahrhundert Joseph Morsel hat auf der Grundlage seiner Forschungen zum fränkischen Niederadel den untrennbaren Zusammenhang von Name und Geschlecht postuliert: „Das geschlecht tritt […] um einen Namen organisiert auf.“ 1 Name und Geschlecht sind somit im fränkischen Niederadel des Spätmittelalters eng aufeinander bezogen. 2 Für das spätmittelalterliche Köln, das bis 1396 von einer Gruppen von Familienverbänden dominiert wurde, die sich selbst als Geschlechter bezeichneten, ist das Verhältnis von Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörigkeit und Namensführung bislang nicht thematisiert worden, obwohl die angenommene Korrelation zwischen sozialer Struktur und Namenspraxis bislang die Basis aller Untersuchungen zur politischen Führungsschicht der Stadt bildet. Die Erforschung des Verhältnisses von Name und Geschlecht steht zusätzlich vor dem Problem, dass eine dem heutigen Stand der Verwandtschafts- und Soziabilitätsforschung angemessene Auseinandersetzung mit der Frage, was man im Kölner Mittelalter unter einem Geschlecht verstand, bislang ebenfalls nicht vorliegt. 3 1 J OSEF M ORSEL , Geschlecht und Repräsentation. Beobachtungen zur Verwandtschaftskonstruktion im fränkischen Adel des Mittelalters, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte - Bilder - Objekte, hrsg. von O TTO G ERHARD O EXLE und A NDREAS VON H ÜLSEN -E SCH (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 141) Göttingen 1998, S. 259-325, hier S. 267. 2 ‚Geschlecht’ und ‚Name’ können dabei in der Quellensprache sogar synonym gebraucht werden, vgl. die tabellarische Übersicht über das Wortfeld bei M ORSEL , Geschlecht (wie Anm. 1), S. 264. 3 Vgl. zur Geschichte der Geschlechter bislang F RIEDRICH L AU , Das Kölner Patriziat bis zum Jahre 1325, Teil I/ II, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 9 (1894), S. 65-89 und 358-81; DERS ., Beiträge zur Verfassungsgeschichte der Stadt Köln, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 14 (1895), S. 172-95 und 315-43, hier 318-43; DERS ., Das Kölner Patriziat bis zum Jahre 1325, Teil III, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 10 (1896), S. 103-58; DERS ., Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln bis zum Jahre 1396, Bonn 1898, S. 121-36; R ICHARD K OEBNER , Die Anfänge des Gemeinwesens der Stadt Köln. Zur Entstehung und ältesten Geschichte des deutschen Städtewesens, Bonn 1922, vor allem S. 217-24 und 469-76 (allerdings in seinen Thesen oft nicht fundiert); L UISE VON W INTERFELD : Handel, Kapital und Patriziat in Köln bis 1400 (Pfingstblätter des hansischen Ge- 73 M ARC VON DER H ÖH Die begriffsgeschichtliche Dimension des Themas bereitet dabei noch vergleichsweise wenig Probleme, lässt sich doch analysieren, wie der Begriff in den Kölner Quellen der Zeit Verwendung findet. Hierdurch lässt sich jedoch nur zum Teil bestimmen, welche sozialen Phänomene mit dem Begriff bezeichnet wurden. Zudem steht außer Frage, dass es die später als Geschlechter bezeichneten, auf Verwandtschaft gründenden Gruppierungen innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht Kölns lange vor der ersten Verwendung des Begriffs ,Geschlecht’ bzw. seines lateinischen Pendants genus in den Quellen gegeben hat. Wie jedoch lassen sich diese Verwandtschaftsgruppen rekonstruieren? Ist ein Zugang zur Geschichte der Kölner Geschlechter avant la lettre überhaupt möglich? Ein Weg könnte in der Rekonstruktion konkreter sozialer Praktiken bestehen, etwa der Analyse der Besetzung der zentralen kommu nalen Institutionen bzw. des politischen Handelns insgesamt, wie sie Manschichtsvereins 16), Lübeck 1925; H ANS P LANITZ , Zur Geschichte des städtischen Meliorats, in: Altständisches Bürgertum. Teilband 2, hrsg. von H EINZ S TOOB (Wege der Forschung 417), Darmstadt 1978, S. 120-53; DERS ., Die deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen, Graz u.a. 1954, S. 256-75; F RANZ S TEIN - BACH , Zur Sozialgeschichte von Köln im Mittelalter, in: Spiegel der Geschichte. Festgabe für M. Braubach, Münster 1964, S. 171-97; E DITH E NNEN , Kölner Wirtschaft im Früh- und Hochmittelalter, in: Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, hrsg. von H ER - MANN K ELLENBENZ , Köln 1975, Bd. 1, S. 87-216, hier S. 126-9; F RANZ I RSIGLER , Kölner Wirtschaft im Spätmittelalter, in: ebd. S. 217-320, hier S. 227-9; B RIGITTE B ERTHOLD , Sozialökonomische Differenzierung und innerstädtische Auseinandersetzungen in Köln im 13. Jahrhundert, in: Stadt und Stadtbürgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts, hrsg. von B ERNHARD T ÖPFER (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 24), Berlin 1976, S. 229-87; W OLFGANG H ERBORN , Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100), Bonn 1977; K LAUS M ILITZER , Ursachen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 36) Köln 1980, vor allem S. 109-15; M ANFRED G ROTEN , Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung (Städteforschung Reihe A, Darstellungen 36), Köln u.a. 1995. Als Überblick über die aktuelle Verwandtschaftsforschung A NDREAS H OLZEM und I NES W EBER , Ehe - Familie - Verwandtschaft. Eine Geschichte der Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt. Einführung, in: Ehe - Familie - Verwandtschaft. Eine Geschichte der Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, hrsg. von DENS ., Paderborn u.a. 2008, S. 9-64; B ERNHARD J USSEN , Perspektiven der Verwandtschaftsforschung fünfundzwanzig Jahre nach Jack Goodys „Entwicklung von Ehe und Familie in Europa“, in: Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, hrsg. von K ARL -H EINZ S PIESS (Vorträge und Forschungen 71), Ostfildern 2009, S. 275-324. 74 M ARC VON DER H ÖH fred Groten für das 13. Jahrhundert oder Wolfgang Herborn für das 14. Jahrhundert vorgelegt haben. 4 Angesichts des fragmentarischen Charakters der Überlieferung lässt sich auf diese Weise jedoch das Geschlecht als eine in synchroner und diachroner Dimension abgrenzbare Verwandtschaftsgruppe nur schwer dingfest machen. 5 Einen alternativen Zugang bietet die Analyse der symbolischen Repräsentationen der einzelnen Verwandtschaftsgruppen. Hier ist in erster Linie an die Geschlechtsbzw. Familiennamen und die entsprechenden Wappen zu denken, aber auch an die Ausbildung symbolischer Zentren, etwa gemeinsamer Grablegen oder Familienaltäre, tatsächlicher oder imaginierter Stammsitze usw. Die folgenden Ausführungen werden sich auf diesen zweiten Zugang konzentrieren, wobei die Entstehung und die Funktion der Geschlechtsnamen seit dem 12. Jahrhundert im Mittelpunkt stehen werden und nur punktuell die Brücke zu anderen Repräsentationsformen geschlagen wird. Die Untersuchung wird dabei in zwei Schritten erfolgen. Nach einem knappen Überblick über die Verwendung des Begriffs ‚Geschlecht’ in den Kölner Quellen wird zunächst die Entstehung der Geschlechtsnamen im 12. und 13. Jahrhundert untersucht. Danach können auf der Grundlage der Namenspraxis erste Erkenntnisse über die Struktur dieser Familiengruppen gewonnen werden. Der Begriff ,Geschlecht’ bzw. seine lateinische Entsprechung genus erscheint in den Kölner Quellen erstmals 1252 in einer Urkunde, die den Kölner Pfarrgenossen die exklusive Nutzung der ihrem genus vorbehaltenen Grablegen bestätigt. 6 Wenig später wird er in der zwischen 1259 und 1261 entstandenen lateinischen Kölner Reimchronik für die Weisen von der 4 G ROTEN , Köln; H ERBORN , Führungsschicht (beide wie Anm. 3). 5 Entsprechend gehen weder Groten noch Herborn explizit auf die Frage ein, was unter einem Geschlecht bzw. einer Familie der städtischen Führungsschicht verstanden werden soll. In vielfacher Weise symptomatisch für den Fokus der älteren Forschung ist der Definitionsversuch von E DITH E NNEN , Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 4 1987, S. 176: „‚Geschlechter’ nennen sich im 13. Jahrhundert die Kölner Patrizier. Man gehört diesem Kreis kraft Herkunft - auch aber keineswegs ausschließlich ministerialischer - und Reichtum an. Zugehörigkeit zum Schöffenkolleg des Hochgerichts und zum Geschlechterverband der Richerzeche sind unerlässliche Kriterien. Aufstieg aus den Gewandschneidern (= Tuchhändlern) und Goldschmieden ist möglich, aus keinem anderen Gewerbe. Also eine nicht absolut, aber relativ geschlossene Schicht von etwa 40 Familien, die in der Richerzeche institutionalisiert ist. Daher spreche ich von ‚Patriziat’.“ 6 Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bde. 1-6, hrsg. von L EONARD E NNEN und G OTT - FRIED E CKERTZ , Köln 1860-79, hier Bd. 2, Nr. 316 (19. Dezember 1252). Auf diese Grab- 75 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Mühlengasse verwendet, eine Gruppe der politischen Führungsschicht, in deren Umfeld der Text entstand. 7 Der volkssprachliche Begriff findet dann erstmals 1263 in den Außenbürgerverträgen mit dem Grafen Wilhelm von Jülich, seinem Bruder Walram und dem Herzog Walram von Limburg Verwendung. 8 Er steht hier in einem militärischen Kontext und verweist auf die ritterliche Kampfweise der Angehörigen der Geschlechter. 9 Zentrale Bedeutung kommt dem Begriff gesleichte in der 1270/ 71 entstandenen Reimchronik Gottfried Hagens zu, 10 in der er ausschließlich für die politische Führungsschicht der Stadt und den Hochadel des Kölner Umlandes verwendet wird. 11 Zwei Aspekte des Begriffsverwendung bei Hagen müssen hervorgehoben werden: Zum einen ist ,Geschlecht’ eng mit der Abstammung verbunden, also synonym mit einer durch Abstammung konstituierten Gruppe; vor allem fällt aber auf, dass ,Geschlecht’ hier (wie auch in der Historiographie des 14. Jahrhunderts) 12 nahezu ausschließlich in der legen mag sich auch Gottfried Hagen beziehen, wenn er von den gefallenen Angehörigen der Geschlechter berichtet (Hagen, Reimchronik [wie Anm. 10], Vv. 1170f.): De doden bestaden si mit eren / zo der erden, as it weren landheren. 7 Chronicon rhythmicum Coloniense, hrsg. von G EORG W AITZ , in: Chronica regia Coloniensis, (MGH SS rer. Germ. in usum scholarum 18), Hannover 1880, S. 303-15, hier Fragment III, Vers 26. Zur Datierung G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 220, zum Autor, der mit dem Doktor des Kirchenrechts Ludwig von der Mühlengasse identifiziert werden kann, ebd. S. 220-3. 8 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 2, Nr. 449, 7. Mai 1263 (Wilhelm von Jülich), ebd. Nr. 450, 7. Mai 1263 (Walram von Jülich), ebd. Nr. 456, 11. Juni 1263 (Walram von Limburg). 9 In allen drei Vertragsurkunden sichert die Stadt den zukünftigen Edelbürgern militärische Hilfe zu, und zwar mit vůnfinzvenzich mannin gewapint van geslehten in kolne mit overdeckdin orsin, Quellen (wie Anm. 6), Bd. 2, Nr. 449, S. 466. Vgl. zur ritterlichen Lebensführung bei Angehörigen der Geschlechter H ORST W ENZEL , Aristokratisches Selbstverständnis im städtischen Patriziat von Köln, dargestellt an der Kölner Chronik Gottfried Hagens, in: Literatur - Publikum - historischer Kontext, hrsg. von J OA - CHIM B UMKE , T HOMAS C RAMER , G ERT K AISER und H ORST W ENZEL (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 1), Bern u. a. 1977 sowie G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 82ff. und 279ff. 10 Zur Datierung Gottfried Hagen, Reimchronik der Stadt Köln, hrsg. von K URT G ÄRT - NER , A NDREA R APP und D ÉSIRÉE W ELTER unter Mitarbeit von M ANFRED G ROTEN . Historischer Kommentar von T HOMAS B OHN (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 74), Düsseldorf 2008, S. XVIIIf. 11 Eine ausführliche Analyse der Begriffsverwendung bei Hagen kann an dieser Stellen nicht erfolgen. Vgl. zunächst G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 254-57. 12 Vgl. etwa noch bei G ERLACH VAM H AUWE , Dat nuwe boich, in: Die Chroniken der deutschen Städte Bd. 12, hrsg. von C ARL H EGEL , Leipzig 1875, S. 265-309, hier S. 272 die ghene, die die geslechte hiessen bzw. die sich noement van den geslechten. 76 M ARC VON DER H ÖH Pluralform verwendet wird und so die Gesamtheit der führenden Familien bezeichnet. 13 Gerade letzteres verhindert, dass das einzelne Geschlecht und seine Struktur in Hagens Reimchronik in den Blick geraten. Dass die Geschlechter konkrete soziale Konstellationen darstellten, zeigt die Begriffsverwendung des 14. Jahrhunderts. So basierte die Kooptation der Ratsherren des engen Rates seit dem Eidbuch von 1341 auf der Gliederung der Führungsschicht in Geschlechter. 14 Und auch die seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachzuweisende Vorstellung von 15 Ratsgeschlechtern unterstützt diese Annahme. 15 Die klassische Reihe dieser Ratsgeschlechter wird angegeben mit Overstolz (I), Scherfgin, vom Horne, Quattermart, von der Aducht, vom Spiegel, Jude, Hardevust, Lyskirchen, Gir, Grin, Birkelin, Hirtzelin, Overstolz (II) 16 und Kleingedank. 17 Die Be- 13 So in Hagen, Reimchronik (wie Anm. 10) Vv. 1446, 3559, 3663, 3673, 3683, 5998. 14 Vgl. den entsprechenden Passus: Ever as dat jair umbe komen is, so solin die vůnfzene heren kesin andere vůnfzene up den reichten kuredach van ge[s]leichten, irre eclich eynen van sime gesleichte, of he in haven mach, de nutze si, in rade zů sitzen. Inde mach he den neit hain, so sal he eynen anderin beirven man kesin. Inde as man kůist, so wanne as eyn genůympt hait eynen beirven man vam sime gesleichte, da he inne af sitzt, of man den haven mach, so sal he usgain, up dat die anderen den of eynen anderin beirven man van sime gesleichte in sine stat kesin mit deme meystin parte. Inde of man des neit hain mach, so sal man eynen beirven man kesin in des stat van gesleichte., Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, hrsg. von W ALTHER S TEIN (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 10), Bonn 1893-95, Bd. 1, S. 29. Das älteste Eidbuch von 1320 enthält interessanterweise noch keinen Hinweis auf die Geschlechtszugehörigkeit der Ratsherren, vgl. ebd. Bd. 1, S. 12. 15 Explizit wird diese Zahl erstmals im nuwen boich genannt. In einer später gestrichenen ersten Fassung der Einleitung ist von 15 Geschlechtern die Rede, ohne dass jedoch die Namen dieser Geschlechtern genannt würden: Dyt sind alle alsulge sachen und geschichte, as sich dese nyeste 36 jair her enbynnen der stat van Coelne oevermitz die 15 geslechte eyne mit den scheffen und den ghenen, die mit yn zo engen und wijden raide gesessen haint, ergangen haint, G ERLACH VAM H AUWE , Dat nuwe boich (wie Anm. 12), S. 273. Die Handschrift stammt aus der Zeit unmittelbar nach der Entmachtung der Geschlechter 1396. 16 Auffällig ist, dass zwei Geschlechter genannt werden, die den Namen Overstolz tragen. Ob sich hier in der Praxis der Ratsbesetzung eine Aufteilung dieses Geschlechts niederschlägt oder ob das Geschlecht Overstolz zwei Ratsherren stellen durfte, bedarf noch der Aufklärung. 17 In dieser Reihenfolge stehen die Ratsgeschlechter in den Ratslisten von 1395 und 1396 sowie in der Koelhoffschen Chronik von 1499, Die cronica van der hilliger stat van Coellen, in: Die Chroniken der deutschen Städte Bd. 13/ 14, hrsg. von C ARL H EGEL , Leipzig 1876/ 77, hier Bd. 14, S. 324ff. 77 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE deutung dieser kanonischen Gruppe von Geschlechtern ist, da sie nicht mit den Namen der jeweils amtierenden Ratsherren übereinstimmt, bislang nicht zu erkennen. 18 Einen ersten Beitrag zur Lösung dieses Problems wollen auch die folgenden Ausführungen leisten, indem am Beispiel der Namenspraxis die Vorgeschichte dieser 15 Geschlechter in den Blick genommen wird. Die Namen der meisten der späteren 15 Kölner Ratsgeschlechter sind erstmals zwischen der Mitte des 12. und der Wende zum 13. Jahrhundert nachzuweisen. 19 Insbesondere bei den früh nachzuweisenden Namen ist jedoch zu berücksichtigen, dass mögliche Quellen für die Beinamen der Stadtbewohner erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in nennenswertem Maße zur Verfügung stehen. 20 Ersterwähnung und Entstehung bzw. Durchsetzung des Namens müssen daher in diesen Fällen nicht übereinstimmen. Anders ist das bei den später in den Quellen auftauchenden Beinamen: Die Vorfahren der späteren Namensträger sind zwar oft schon länger in der Überlieferung fassbar, allerdings ohne den sich später durchsetzenden Beinamen. Hiermit ist ein wichtiger Punkt angesprochen, den die ältere Forschung außer Acht gelassen hatte: Die Genealogien, die Friedrich Lau auf der Grundlage der Schreinsüberlieferung rekonstruiert hat, führen die Geschlechter in agnatischer Linie teilweise mehrere Generationen hinter den Erstnachweis des Geschlechtsnamens zurück. 21 Parallel hierzu hat Lau letztere in die frühere Zeit zurückprojiziert, so dass man in jedem einzelnen Fall überprüfen muss, ob der Beiname in den Quellen belegt ist oder aufgrund von Abstammungsverhältnissen zugeschrieben worden ist. 22 Dieses 18 Man vergleicht etwa die Liste von 1381/ 82 in Quellen (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 78. 19 Einen ersten Versuch, das Entstehen der ,Familiennamen’ des Kölner Meliorats zu datieren unternahm P LANITZ , Zur Geschichte (wie Anm.3), S. 124f. und 135-143. Für eine sozialhistorische Perspektive ist leider nicht ergiebig: S TEN H AGSTRÖM , Kölner Beinamen des 12. und 13. Jahrhunderts, Uppsala 1949. Vgl. aber die von ihm angeführten möglichen Gründe für die Ausbildung eines Familiennamens ebd. S. 43f. 20 Vgl. zur Übersicht über die Schreinsüberlieferung H ERMANN K EUSSEN , Verzeichnis der Schreinskarten und Schreinsbücher, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 32 (1904), S. 1-158. 21 L AU , Patriziat I-III (wie Anm. 3). 22 Dieses methodische Problem hat P LANITZ , Zur Geschichte (wie Anm. 3), S. 124f nicht erkannt, wenn er etwa den Namen der von Lyskirchen schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts zu finden glaubt. Planitz geht bei seinen Datierungen nicht vom ältesten Nachweis des Namens aus, sondern vom ältesten rekonstruierbaren Spitzenahn der Agnatio. Zudem unterliefen ihm in einigen Fällen weitere Fehler: Der Name Quattermart ist nicht von dem später belegten Toponym abgeleitet (ebd. S. 139), sondern 78 M ARC VON DER H ÖH Vorgehen Laus ist möglicherweise auch dafür verantwortlich, dass bislang nicht nach der Bedeutung des Namens für die Konstituierung der Verwandtschaftsgruppe gefragt worden ist. Dass man historisch fassbare Verwandtschaftsgruppen durch genealogische Untersuchungen weiter zurückverfolgen kann, bedeutete nicht automatisch, dass diese aus der biologischen Abstammung resultierenden genealogischen Beziehungen Teil der Geschichte der später sozial und politisch relevanten Verwandtschaftsgruppen sind. Perspektivisch richten sich die folgenden Ausführungen so auf die Frage, ob das Führen gemeinsamer Beibzw. Geschlechtsnamen das durch Verwandtschaft konstituierte soziale Geflecht der Geschlechter verändert hat bzw. welche Funktion der gemeinsame Name für die Konstituierung der Verwandtschaftsgruppen hatte. Pointiert könnte man formulieren, dass die später ‚Geschlecht’ genannten Gruppen erst durch das Führen eines gemeinsamen Namens entstanden, da der von Generation zu Generation weitergegebene Name ihnen eine historische Tiefe verlieh, die Kern der Begriffsverwendung in den Kölner Quellen war. Für die folgende Übersicht über die Namensführung wurde vor allem die frühe Schreinsüberlieferung herangezogen, 23 die in einigen Fällen durch weitere urkundliche Überlieferung ergänzt wurde. Die Schreinsüberlieferung stellt für die hier verfolgte Fragestellung eine ideale Grundlage dar, da sie Namensmaterial in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellt und die Rekonstruktion der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Namensträgern ermöglicht. Berücksichtigen muss man jedoch, dass deren Funktion die Fixierung von Immobilientransaktionen innerhalb der einzelnen Schreinsbezirke war. Entsprechend sollten mit der Aufzeichnung der Beinamen nicht primär verwandtschaftliche Beziehungen oder gar die Familie als soziale Gruppe abgebildet werden, sondern die an den Rechtsgeschäften beteiligten Personen möglichst eindeutig identifiziert werden. Zudem kann nicht zweifelsfrei entschieden werden, ob die Benennung auf den Benannten zurückgeht - denkbar wäre die mündliche Angabe des Beinamens durch die entsprechende Person - oder ob es sich dabei um Fremdzuschreibungen handelt. 24 Solange Quellen fehlen, die man im weitesten umgekehrt das Toponym vom Geschlechtsnamen, vgl. P ETER G LASNER , Die Lesbarkeit der Stadt. Kulturgeschichte der mittelalterlichen Straßennamen Kölns, Köln 2002, S. 161ff. Der Name Spiegel bezieht sich nicht auf einen Gegenstand (S. 140), sondern ist von einem Hausnamen abgeleitet. 23 Kölner Schreinsurkunden (wie Anm. 25). 24 Zum Problem zuletzt C HRISTOF R OLKER , Haus- und Familiennamen im spätmittelalterlichen Konstanz. Inklusion und Exklusion über Namen, in: Häuser, Namen, Identi- 79 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Sinne als Selbstzeugnisse verstehen kann, wird man die frühe Namensführung als Ergebnis eines nicht genauer rekonstruierbaren prozesshaften Wechselspiels von Selbst- und Fremddefinition betrachten müssen. Insofern besteht für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Namenspraxis und Struktur der Geschlechter ein entscheidender Unterschied zwischen dem „Ich, Werner Overstolz“ eines Familienbuches des 15. Jahrhunderts und der Nennung des Namens zur Lokalisierung eines Verkaufstisches in den Schreinsbüchern proxime mense Hermanni Schervechins. 25 Das Namensmaterial kann zeitlich in drei Phasen unterteilt werden. Eine erste Phase bilden Namen, die vor 1190 nachweisbar sind. Die zweite Phase umfasst diejenigen, die zwischen den 1190er Jahren und der Mitte des 13. Jahrhunderts auftauchen. Die Schlussgruppe schließlich umfasst Namen, die erst nach der Jahrhundertmitte fassbar sind. Zur ältesten Phase gehören Hardevust, Grin, Birkelin, Gir, Quattermart, Spiegel, Scherfgin, Kleingedank und Jude. 26 Schon in der ältesten Schreinskarte von St. Martin (1135- 1142) wird ein Adelbero qui cognominatur Hartfust genannt. 27 In Martin 2, I, 17 und 20, angelegt zwischen 1142 und 1156 erscheint dieser, der als Mitglied der Richerzeche nachgewiesen ist, 28 dann als Albero Hardevust. Mit Ausnahme der Schreinseintragung Martin 1, II, 41 (wo der Beiname fehlt) wird täten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, hrsg. von K ARIN C ZAJA und G ABRIELA S IGNORI (Spätmittelalterstudien 1), Konstanz 2009, S. 65-80. Die Analyse wird noch dadurch erschwert, dass der Beiname in vielen Fällen nachträglich - vermutlich aber zeitnah - über oder neben den fertigen Schreinseintrag nachgetragen wurde. Hier Sicherheit zu erlangen ist zurzeit aufgrund der Unzugänglichkeit der Originalüberlieferung nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln nicht möglich. Vgl. als Überblick über die Kölner Schreinsüberlieferung (mit Verweis auf die ältere Literatur) jetzt K LAUS M ILITZER , Die Kölner Schreinsbücher, in: Geschichte in Köln 56 (2009), S. 39-53. 25 Kölner Schreinsurkunden des 12. Jahrhunderts. Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Köln, hrsg. von R OBERT H OENIGER (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 1), 3 Bde., Bonn 1884-94, Scab. 2, XIV, 4 (1214-20). In den folgenden Verweisen auf die Schreinskarten werden die bei Hoeniger verwendeten Abkürzungen der Schreinsbezirke benutzt: Mart. = Martin, Laur. = Laurenz, Brig. = Brigida, Col. = Columba, Scab. = Scabinorum/ Schöffenschrein. Hinter der Stellenangabe des betreffenden Schreinsfußes wird der erschlossene Entstehungszeitraum in runden Klammern angegeben. 26 Die Schreibung der Namen außerhalb der wörtlichen Übernahmen orientiert sich an der von H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3) gewählten normalisierten Form. 27 Mart. 1, II, 10 (1135-42). 28 M ANFRED G ROTEN , Die Kölner Richerzeche im 12. Jahrhundert. Mit einer Bürgermeisterliste, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 48 (1984), S. 34-85, hier S. 73, Nr. 3. 80 M ARC VON DER H ÖH dieser Albero durchgehend mit dem Beinamen Hardevust 29 genannt. 30 Schon sehr rasch wird dieser ursprünglich persönliche Beiname von den Söhnen Alberos übernommen. 31 In die gleiche Zeit führt der Beiname Grin. Ein Ludolfus Grin wird schon in einer Urkunde für die Kölner Ziechenweber-Zunft von 1149 unter den Zeugen genannt. 32 Der Beiname Kleingedank, der in der älteren Schreinsüberlieferung zu den häufigsten Beinamen gehört, wird erstmals in der so genannten ,Großbürgerliste 1’, entstanden zwischen 1135 und 1180, genannt: Everhelm Clenegedanc. 33 Sicher datiert ist die Nennung in einer Urkunde von 1168. 34 Auch der Name Birkelin taucht früh in der Schreinsüberlieferung auf, erstmals in Laurenz 2, I, 5 (1135-1165), in der ein Herimannus Birkelin erwähnt wird. Etwas später ist die erste Nennung des Namens Gir zu datieren. Er findet sich als Beiname erstmals in Columba 1, X, 11 (1170- 1190), Heinrich Gir, bzw. ebenso in Columba 1, XV, 3-4 (1170-1190). Erstmals in den 70er Jahren des 12. Jahrhunderts wird der Beiname Quattermart (so die spätere Form) in der Schreinsüberlieferung genannt. 1171/ 72 erscheint im Martinsschrein ein Rudolfus Quattermarc. 35 Es folgt in Brigida 2 III, 25 (1170-1185) Wolbero de Speculo, die bis ins zweite Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts vorherrschende lateinische Form des Geschlechtsnamens vom Spiegel. Da sich dieser Name eindeutig von einem Hausnamen ableitet, 36 bleibt unsicher, seit wann man von einem Beibzw. Familiennamen sprechen kann. 37 1178 werden in einer Urkunde unter den Schöffenbrüdern gleich drei Scherfgin genannt: Godefridus Scheruechen, Hermann Scheruegen und Gerard Scherfwin. 38 In der Schreinsüberlieferung erscheint der 29 So ab Mart. 2, I, 17 und 20 (1142-56): Alberonis Hardevust. 30 Eine Ausnahme innerhalb des hier untersuchten Samples ist die präpositionale Bildung in Mart. 9, I, 18 (1175-78) Alberonis a Hardevust. 31 Vgl. die entsprechenden Nachweise in Kölner Schreinsurkunden (wie Anm. 25), Bd. 2/ 2, S. 236. 32 Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Kölner Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, hrsg. von H EINRICH VON L OESCH , Bonn 1907, Bd. 1, Nr. 10, S. 25-6, Beleg auf S. 26. Die Belege in der älteren Schreinsüberlieferung in: Kölner Schreinsurkunden (wie Anm. 25), Bd. 2/ 2, S. 235. 33 Kölner Schreinsurkunden (wie Anm. 25), Bd. 2/ 2: BL 1, IV, Nr. 92, S. 18. 34 VON W INTERFELD , Handel (wie Anm. 3), S. 31. 35 Zur Etymologie G LASNER , Lesbarkeit (wie Anm. 22), S. 163f. 36 L AU , Patriziat III (wie Anm. 3), S. 148. 37 Zum Verhältnis von Beinamen und Hausnamen H AGSTRÖM , Kölner Beinamen (wie Anm. 19), S. 19f. 38 Quellen (wie Anm. 6), Bd. I, Nr. 9. 81 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Name allerdings erst seit den 1180er Jahren. 39 Gegen 1190 schließlich erscheint erstmals der Name Jude. Durchgehend in lateinischer Form wird die Erstnennung Daniel Judeus dann nach der Jahrhundertwende durch die Form Daniel, Judeus cognomine abgelöst. 40 Der Name Overstolz gehört schon der zweiten Phase an. 41 Obwohl der Spitzenahn Gottschalk († vor 1214) schon seit den 1170er Jahren in der Schreinsüberlieferung nachzuweisen ist, 42 wird er erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts mit einem Beinamen bezeichnet. Dessen frühester Nachweis ist in Brigida 3, I, 18 zu finden - datierbar in die Zeit zwischen 1197 und 1215, wo Gottschalk erstmals Ovirstoth genannt wird. 43 Etwa gleichzeitig erscheint sein Sohn als Gunterus Overstolz, filius Godescalci in einer auf 1200 datierten Urkunde Erzbischof Adolfs I. 44 Der verstorbene Gottschalk und seine Kinder werden bald danach durchgehend mit dem Namen Overstolz benannt. 45 Noch später erscheint der Beiname des Geschlechts Hirzelin, der erst zwischen 1220 und 1230 in der Schreinsüberlieferung Verwendung findet. 46 Allerdings spricht einiges dafür, dass die Hirzelin erst in dieser Zeit nach Köln eingewandert sind. 47 Anders ist das im Falle der de Aqueductu/ von der Aducht. Deren Spitzenahn Waltelm kann seit 1182/ 86 im Martinsschrein nachgewiesen werden, ohne dass er durch den späteren Geschlechtsnamen gekennzeichnet ist. 48 Erster Träger des Beinamens ist sein 39 Mart. 10, I, 8 (1182-84). 40 Mart. 12, VI, 2 und 8 (1189-90), Scab. 2, IV, 2-3 (1198-1212) , Scab. 2, VI, 1-2 und 5 (1205-14), Scab. 2, VIII, 1-9 (1205-14), Sab. 2, XII, 7 (1205-14). 41 Allgemein zur Geschichte des Geschlechts H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3), S. 136-60. 42 Mart. 7, IV, 13 (1171/ 72), Mart. 7, I, 19 (1171/ 72), Mart. 9, I, 11 (1175-78), Mart. 11, II, 10 (1182-86), Mart. 12, I, 21 (1189), Mart. 13, I, 6 (1190-93), Mart. 13, III, 13 (1191-93). 43 Vgl. zu dieser Schreibweise des Namens H AGSTRÖM , Kölner Beinamen (wie Anm. 19), S. 198. 44 Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. Bd. 2: 1100-1205, bearb. von R I - CHARD K NIPPING (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bonn 1901, Nr. 1589, S. 326; Quellen (wie Anm. 6), Bd. 2, Nr. 1 (1200), S. 2. 45 Scab. 2, XIII, 1-12 (1205-14). 46 L AU , Patriziat III (wie Anm. 3), S. 111. 47 G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 200, vermutet, dass die Hirzelin erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts nach Köln eingewandert sind und daher noch nicht in die städtische Führungsschicht integriert waren. Dies würde das späte Auftauchen des Namens in der Schreinsüberlieferung erklären. 48 Mart. 7, V, 7 (1171/ 72), Mart. 11, II, 18-9 (1182-86), Mart. 12, I, 3 (1187/ 88). 82 M ARC VON DER H ÖH gleichnamiger Sohn, der 1228 verstorben ist. 49 Wie schon bei den de Speculo/ vom Spiegel liegt dem Geschlechtsnamen auch bei den von der Aducht ein Hausname zugrunde. Dieses Stammhaus wurde vom älteren Waltelm 1171/ 72 erworben. 50 Der Hausname fand somit erst in der Folgegeneration als Beiname Verwendung. Komplizierter wird die Situation bei den Geschlechtsnamen, die erst nach 1250 belegt sind bzw. der älteren Forschung zufolge erst zu diesem Zeitpunkt vom späteren Geschlecht geführt wurden: Den vom Horne und den von Lyskirchen. Bislang herrschte Einigkeit darüber, dass das Geschlecht de Cornu/ vom Horne eine Seitenlinie des Geschlechts Birkelin war. 51 Dies wurde damit begründet, dass der Spitzenahn des vermeintlichen Zweiges, Franko vom Horne († 1273), Sohn des Schöffen Hermann Birkelin war. Franko habe sich nach dem von ihm erworbenen Haus Horne am Altermarkt benannt. 52 Hier tritt eine in der Forschung weit verbreitete implizite Annahme über die verwandtschaftliche Struktur der Geschlechter zutage, die als agnatische Abstammungsgemeinschaft verstanden werden. 53 Dass die agnatische Weitergabe des Namens zwar die Regel ist, aber eine ganze Reihe von Fällen nachweisbar ist, in denen der Name der Ehefrau/ des Schwiegervaters oder der Mutter übernommen wurde, 54 wird unten noch gezeigt werden. Man wird so für Köln nicht von einer starren agnatischen Namensführung sprechen können. Eine Reihe von Indizien machen wahrscheinlich, dass Franko den Beinamen vom Horne aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu der schon zuvor in den Quellen nachweisbaren Verwandtschaftsgruppe vom 49 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 2, Nr. 72 (1222), S. 85: walthelmo de aduth et uxori sue methildi. 50 L AU , Patriziat II (wie Anm. 3), S. 358. 51 L AU , Kommunale Verwaltung (wie Anm. 3), S. 104, Anm. 5: „Da die Birklin und Vom Horn eigentlich nur Linien desselben Geschlechts waren“; vgl. auch L AU , Patriziat II (wie Anm. 3), S. 363; H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3), passim. 52 L AU , Patriziat II (wie Anm. 3), S. 363 und 364. 53 Schon hier sei jedoch darauf hingewiesen, dass dieses agnatische Prinzip von Lau in seinen Genealogien selbst schon teilweise aufgebrochen wird, wenn er den Zweig der Overstolz von der Rheingasse oder einen der Quattermart-Zweige, die den Geschlechtsnamen über die weibliche Linie übernommen hatten, den jeweiligen Geschlechtern zuordnete. Wieso im Falle der Birkelin vom Horne das agnatische Prinzip starr angewendet wird, erschließt sich nicht. 54 Frauen tragen in den Kölner Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts in der Regel keinen Beinamen bzw. werden durch ihren Ehemann oder Vater näher gekennzeichnet (etwa Blithildis filia Godescalci), vgl. H AGSTRÖM , Kölner Beinamen (wie Anm. 19), S. 29-33. 83 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Horne angenommen hat. Dieser Name ist schon seit Beginn des 13. Jahrhunderts nachzuweisen. 1240 wird ein Gerardus, filius Franconis de Cornu et Hadewigis erwähnt. 55 Dieser ältere Franko de Cornu/ vom Horne erscheint 1205/ 06 in einer Zeugenliste unmittelbar nach Hermann Birkelin - dem Vater des jüngeren Franko vom Horne. 56 Die Gleichheit der Vornamen legt schon eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den beiden Frankos nahe, zumal der Name Franko ansonsten bei den Birkelin nicht vorkommt. 57 Einen weiteren Hinweis auf ein Verwandtschaftsverhältnis gibt ein Schreinseintrag von 1197/ 1215, in dem festgehalten wird, dass Hermann Birkelin und seine Frau Offizia - die Eltern des jüngeren Franko vom Horne - die Hälfte des Hauses Zum Horne als Pfand für ein Darlehen eingesetzt haben. 58 Wenngleich über diese Offizia nichts weiter bekannt ist, kann man die Hypothese formulieren, dass sie aus der Familie vom Horne stammte, die Hälfte des Stammhauses so im Erbgang an die Eheleute Hermann und Offizia gekommen ist. 59 Sollte diese Zuordnung stimmen, könnte der jüngere Franko ein Enkel des älteren Franko vom Horne sein, was auch zur Gleichheit der Rufnamen passen würde. Zusammen mit dem Haus Zum Horne hätte er auch den mütterlichen Beinamen übernommen. 55 Gerhard vom Horne lebt noch 1286, Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 269, S. 236. H ER - MANN K EUSSEN , Topographie der Stadt Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 2) Köln 1910-18, Bd. 1, S. 316, Anm.12 erwähnt zu 1264 einen Phil[ippus] fil[ius] Franconis de Cornu. Dieser wird ebd. zu 1304 als verstorben erwähnt. Möglicherweise handelt es sich bei diesem um einen weiteren Sohn des älteren Franko vom Horne. 56 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 2, Nr. 29, vgl. auch ebd. Nr. 49 (1215), S. 58: Franco ad cornu. 57 L AU , Patriziat II (wie Anm. 3), S. 364. 58 Brig. 3, VII, 14. 59 Vgl. allgemein zum Kölner Erbrecht G ÜNTER A DERS , Das Testamentsrecht der Stadt Köln im Mittelalter, Köln 1932, S. 76; M ARGRET W ENSKY , Die Stellung der Frau in der stadtkölnischen Wirtschaft im Spätmittelalter (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. N.F. 26), Köln u.a. 1981, S. 21-5; B RIGITTE K LOSTERBERG , Zur Ehre Gottes und zum Wohl der Familie. Kölner Testamente von Laien und Klerikern im Spätmittelalter (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 22), Köln 1995, S. 216-9. 84 M ARC VON DER H ÖH Graphik 1 Da das Kriterium der agnatischen Abstammung für die Geschlechtszugehörigkeit durch die Quellen bislang nicht zu belegen ist, gibt es zunächst keinen Grund anzuzweifeln, dass der jüngere Franko vom Horne zum Geschlecht vom Horne gehörte - was das konkret bedeuten könnte, wird sich später zeigen. Gegen die Vorstellung, die späteren Ratsgeschlechter Birkelin und vom Horne bildeten ,eigentlich’ nur Zweige desselben Geschlechtes, 60 lässt sich zudem anführen, dass auf der Ebene sozialer Interaktion an keiner Stelle eine besondere Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern nachweisbar ist. 61 Gleichwohl bleibt die nicht-agnatische Namensführung bzw. das Ablegen des seit etwa hundert Jahren von der Verwandtschaftsgruppe geführ- 60 Vgl. die in Anm. 50 zitierte Einschätzung von Lau. Hiervon scheint auch noch auszugehen H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3), der bei seiner Auszählung der Vertreter der jeweiligen Geschlechter in engem Rat, Schöffenkollegium und Richerzeche die Birkelin und vom Horne zusammenfasst, besonders deutlich ebd. S. 214. 61 Interessant ist jedoch, dass die vom Horne und die Birkelin das gleiche Wappenbild führten, einen steigenden Bären. Gleiche Wappenbilder führten jedoch auch die Geschlechter Quattermart, Lyskirchen und Overstolz. Auch an dieser Stelle erhält man so einen Hinweis auf Unterschiede hinsichtlich der Weitergabe von Wappen und Namen, wie sie unten noch im Fall des Werner Overstolz zu beobachten sein werden. Vgl. unten Anm. 78. 85 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE (Birkelin) Franko vom Horne (d.Ä.) Herrmann Birkelin Offizia Hildeger Birkelin Franko vom Horne (d.J.) (vom Horne) ten Namens Birkelin signifikant. Ein Grund ist sicher die Übernahme des namengebenden Stammhauses, das man in seiner Bedeutung für die Frühzeit der Kölner Geschlechter wohl nicht überschätzen kann. Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass der Einfluss der Verwandtschaftsgruppe der Birkelin - aus der später noch ein anderer Fall des Namenswechsels untersucht werden wird - zur Zeit des Namenswechsels innerhalb der politischen Führungsgruppe zurückging. 62 Anders stellt sich der nicht weniger ungewöhnliche Fall des späteren Geschlechts von Lyskirchen dar, das sich in männlicher Linie bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. 63 Schon 1225 stellt ein Angehöriger der Familiengruppe einen der beiden Bürgermeister. Dieser nannte sich aber noch nach seinem Wohnort Konstantin von der Rheingasse. 64 Dieser Beiname - der möglicherweise auch als bloße Wohnortsbezeichnung zu verstehen ist - wird von seinen Söhnen Gottschalk und Konstantin jedoch nicht weitergeführt. Diese sind beide mit dem Übernamen Crop belegt. 65 Die Nachfahren des 1272 gestorbenen Gottschalk Crop führen diesen Beinamen bis ins 14. Jahrhundert hinein weiter. Dessen Bruder Konstantin beginnt hingegen seit 1276, sich zusätzlich oder alternativ zum Beinamen Crop 66 auch nach seinem Wohnort „von“ oder „bei Lyskirchen“ zu nennen. 67 Seit etwa 1290 wird die Bezeichnung des Wohnortes dann eindeutig zum Beinamen, der dann von seinen Nachfahren weitergeführt wird. 68 62 G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 167. 63 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 82ff. 64 Kölner Zunfturkunden (wie Anm. 32), Bd. 1, Nr. 37, S. 106f., hier S. 107; G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 134; W OLFGANG H ERBORN , Zur Rekonstruktion und Edition der Kölner Bürgermeisterliste bis zum Ende des Ancien Régime, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 36 (1972), S. 89-183, hier S. 121. 65 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 82ff. Ob der Beiname auf einen Übernamen zurückgeht und dem Ansedel der Familie in der Rheingasse seinen Namen gab (K EUSSEN , Topographie [wie Anm. 55], Bd. 1, S. 66, a1: [zum Jahr 1359] dom[us] zome Croppe in plate[a] Reni) oder ob umgekehrt das Haus den Namen des einstigen Besitzers beigelegt bekam (ebd. [zum Jahr1303] dom[us] […] que quond[am] fuit mansio Constantini Crop) ist bislang nicht zu klären. 66 Ausschließlich Crop in Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 109 (1275), S. 8; Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 193 (1280), S. 158 und 160. 67 Erstmals 1276: Constantinus ante ecclesiam Lisolfi, Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 140 (1276), S. 115, zwischendurch benutzt er auch beide Namen nebeneinander: Constantinus Crop apud Lisolfischirgin, Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 155 (1277), S. 130. 68 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 313 (1289), S. 286: C. dicto Lysolskirgen, ebd. Nr. 346 (1290), S. 310 C. dictum de Lysolskirgen, ebd. Nr. 366 (1292), S. 325: C. dictum de Lysols- 86 M ARC VON DER H ÖH Graphik 2 Der ältere Beiname Crop wird nach Konstantin in diesem Zweig nicht mehr verwendet. Im Falle der von Lyskirchen liegt somit eine sehr späte Bildung des Geschlechtsnamens vor, zugleich verbunden mit einer durch den Namen markierten Abgrenzung von einem anderen Zweig. Die Frage nach Motiven und Bedeutung der Annahme und Durchsetzung eines gemeinsamen Familien- oder Geschlechtsnamens ist bislang nur sehr vage zu beantworten. Dies gilt vor allem für diejenigen Beinamen, die schon mit Beginn der schriftlichen Überlieferung von mehreren Angehörigen der Verwandtschaftsgruppe geführt werden. Die Umstände der Ausbildung des gemeinsamen Namens sind in diesen Fällen nicht mehr nachzuvollziehen. Anders ist das bei den späteren Namensbildungen. Die Namen vom Horne und von Lyskirchen - weniger deutlich von der Aducht und vom Spiegel - belegen die Rolle des Hauses bzw. Wohnortes für die Ausbildung des Beinamens und verweisen auf die Bedeutung der gemeinsamen Wohnstätte als soziales, wirtschaftliches und symbolisches Zentrum der sich ausbildenden Geschlechter. Dabei ist bemerkenswert, dass sowohl der jüngere Franko vom Horne als auch die Kinder des Konstantin von Lyskirchen den angestammten Beinamen zugunsten des neuen Namens aufgeben. Daneben scheinen für die Prägung des Geschlechtsnamens besonders exponierte Angehörige der Verwandtschaftsgruppe von Bedeutung gewesen zu sein. Dies trifft in der Frühzeit sicher für den älteren Albero Hardevust zu, der als erster den späteren Geschlechtsnamen trägt. Für das 13. Jahrhundert ist dies offensichtlich im Fall des Geschlechts von Lyskirchen. Kon- 87 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Konstantin von der Rheingasse Gottschalk Crop Konstantin Crop von Lyskirchen Crop von Lyskirchen stantin Crop von Lyskirchen war als Bürgermeister, 69 Greve von Airsburg 70 und einer der „reichsten Kölner Bürger seiner Zeit“ 71 der erste, der den dann von seinen Nachkommen ausschließlich benutzten Beinamen führte. Gleiches gilt sicherlich für die Overstolz. Gottschalk Overstolz war nicht nur der erste, der den Beinamen führte, sondern er war es auch, der durch seine wirtschaftlichen Aktivitäten den Weg seiner Familie in die politische Führungsschicht der Stadt vorbereitete. 72 Interessanterweise konnte bislang kein Fall nachgewiesen werden, in dem ein sich in einem Zweig der agnatischen Verwandtschaftsgruppe ausbildender Geschlechtsname von den übrigen Zweigen übernommen wurde. Die Geschlechtsnamen scheinen ausschließlich in absteigender Linie weitergegeben worden zu sein. Diese Beobachtung ist für die Frage nach Kriterien der Zugehörigkeit zu den später als ,Geschlechter’ bezeichneten Verwandtschaftsgruppen von großer Bedeutung. Die bisherige Forschung ist davon ausgegangen, dass die Zuordnung zu einem bestimmten Geschlecht durch den Beinamen markiert wurde. Sollte dies stimmen, würde die Analyse des Namensmaterials Hinweise auf die Gruppenstruktur der Geschlechter geben. Implizit ging man bisher davon aus, dass die Geschlechtszugehörigkeit durch agnatische Abstammung hinreichend begründet war, dass dieses eine agnatische Abstammungsgemeinschaft mit gemeinsamem Geschlechtsnamen war. Schon das Beispiel Birkelin-vom Horne zeigt, dass von einer agnatischen Namenspraxis nicht die Rede sein kann. Das lässt sich an weiteren Fällen genauer untersuchen. Eines der frühesten Beispiele nicht-agnatischer Weitergabe des Beinamens findet sich bei den Overstolz. Der im Teilungsvertrag über die Hinterlassenschaft des Gottschalk Overstolz genannte Werner Overstolz ist einer der Spitzenahnen des späteren Geschlechts. Schon der Teilungsvertrag lässt allerdings erkennen, dass Werner Gottschalks Schwiegersohn war. Vermerkt wird hier, dass Werner und seine Frau auf jeden Anteil am Erbe verzichten. 73 Offensichtlich wurden beide schon zuvor aus der Erbmasse kirgen, Nr. 403 (1294), S. 387: C. de Lisekirche, Nr. 420 (1295), S. 403: C. dicto de ecclesia Lysolphi. 69 H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3), S. 618. 70 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 84. 71 Zu Konstantin zusammenfassend H AGEN , Reimchronik (wie Anm. 10), S. 348f. zu Vers 5041, das Zitat ebd. S. 348. 72 H ERBORN , Führungsschicht (wie Anm. 3), S. 136-40. 73 Scab. 2, XIII, 9 (1205-14): Sciendum quod Wernerus Overstolz et uxor eius Blithildis totius hereditatis prescripte penitus effestucaverunt. Zur Interpretation L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 72. 88 M ARC VON DER H ÖH abgefunden. Schon Lau hat diese Abschichtung im Zusammenhang der Eheschließung der Blithildis verortet, deren Mitgift mit ihrem Anteil am Erbe verrechnet worden ist, wie es in Köln üblich war. 74 Dass Werner Gottschalks Schwiegersohn war, legt auch ein Schreinsbucheintrag nahe, der die Übertragung des späteren Stammhauses der Linie Overstolz-Quattermart festhält. 75 Werner wird dieses Haus in der Rheingasse 1189 von seiner Mutter Gertrud und ihrem zweiten Mann übertragen. 76 Somit ist ausgeschlossen, dass Werner ein Sohn Gottschalks war. Werner hat so den Beinamen seines Schwiegervaters (bzw. seiner Ehefrau 77 ) angenommen und gibt ihn in der Folge an seine Nachkommen weiter. Schon die bloße Übernahme des Beinamens des Schwiegervaters ist erklärungsbedürftig, 78 nicht zuletzt, da sie nicht in das Muster passt, dass vielen späteren Namenswechseln zugrunde lag: Werners Schwiegervater Gottschalk Overstolz hatte insgesamt fünf Söhne, so dass ausgeschlossen werden kann, dass durch den Wechsel der Name des nur noch in der weiblichen Linie bestehenden Geschlechts gesichert werden sollte. 79 Auch die Übernahme des eng mit dem Beinamen verbundenen Hauses kann man als Grund für die Übernahme des Namens ausschließen, da das Stammhaus dem Teilungsvertrag zufolge gemeinschaftlich Gottschalks Söhnen zuge- 74 Zur rechtlichen Grundlage der Anrechnung der Mitgift der Tochter auf deren Erbteil A DERS , Testamentsrecht, S. 76f.; W ENSKY , Stellung, S. 23; K LOSTERBERG , Ehre, S. 217f. (alle wie Anm. 59) 75 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 72. Dieses Haus wird noch 1278 in einer Schreinseintragung erwähnt: Gerardus dictus Quattermart, Enkel Werners, erhält aus dem Erbe seiner Eltern domum cum area sitam in platea Reni prope capellam Sancti Nicolai, que fuit mansio parentum suorum predictorum, subtus et superius cum domo adjacente, que quondam fuit coquina Werneri Overstolz, avi sui, versus Goltgassen. Die Kölner Schreinsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts, hrsg. von H ANS P LANITZ und T HEA B UYKEN (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 46), Weimar 1937, Nr. 1641, S. 441. 76 Mart. 12, I, 16 (1189): Ludewicus et Gerdrudis (uxor eius) disposuerunt […] et remiserunt filio suo Wernero et uxori eius Blithildi domum subtus et superius que sita est iuxta capellam S. Nicolai (et fabricam ante sitam). Aus dem folgenden Schreinseintrag geht hervor, dass Ludwig der zweite Ehemann der Gertrud und nicht Werners Vater war. 77 Die Namensführung der Frauen des Kölner Meliorats ist noch nicht untersucht. In den hier herangezogenen Schreinseintragungen sind weibliche Beinamen nicht nachweisbar. So auch H AGSTRÖM , Kölner Beinamen (wie Anm. 19), S. 29-33. 78 Interessanterweise benutzt Werner in seinem Siegel nicht das gleiche Wappen wie seine Schwager, das spätere Geschlechtswappen: G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 86. 79 Dies lässt sich für das 14. Jahrhundert etwa im Falle der Familie de Pavone/ von der Poe nachweisen. 89 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE sprochen wurde. 80 Das von Werner und Blithildis bewohnte Haus 81 stammte hingegen nicht aus dem Besitz Gottschalks, sondern aus dem seiner Mutter. 82 Es lag zwar in unmittelbarer Nähe des von seinen Schwagern gemeinschaftlich bewohnten Gebäudes, Werner und seine Frau sind jedoch nicht in die Haushaltsgemeinschaft der Overstolz eingetreten. 83 Dass Werner den Beinamen Overstolz übernimmt, gewinnt besondere Brisanz, wenn man berücksichtigt, wer seine Eltern waren. Über seine Mutter Gertrud weiß man nicht viel mehr, als dass sie Tochter eines Bruno und einer Blithildis 84 war und ihr das oben schon erwähnte Haus in der Rheingasse von ihrem Vater übertragen wurde. 85 Gertruds erster Ehemann und damit Werners Vater, Albero identifiziert Groten mit dem jüngeren Albero Hardevust. 86 Die Hardevust sind seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in Köln nachzuweisen, waren vor allem in St. Martin begütert 87 und bildeten, wie oben gezeigt, schon sehr früh den späteren Geschlechtsnamen aus. An politischem Einfluss übertreffen die Hardevust die Overstolz in dieser Zeit noch deutlich. Werners Großvater väterlicherseits war der Richerzechenamtmann Albero Hardevust, 88 Werners Bruder Heinrich ist 1204-18 Angehöriger des Amtleutekollegiums und Vogt im Niederich und seit 1230 Schöffenbruder. 89 Ginge es bei der Namensführung um die Aktivierung des 80 Scab. 2, XIII, 5-8. Interessanterweise wird bei allen vier Teilen vermerkt, dass diese nicht durch Zwischenwände abgetrennt werden dürfen: quartam partem domus cum curte mansionis patris suis Godeschalci non dividendam aliquo edificio quod dicitur undir lag (ebd. S. 6). 81 Werner wohnte in einem Haus in der Rheingasse: dom[us] Werneri Overstolz in qua manet: Scab. 2, VII, 1 (1205-14). Erwähnt noch 1278 in Kölner Schreinsbücher (wie Anm. 75), Nr. 441 (zitiert oben Anm. 75). 82 Mart. 12, I, 16 (1189). 83 Vgl. die entsprechende Interpretation eines vergleichbaren Falles für Nürnberg bei G ERHARD F OUQUET , „Freundschaft“ und „Feindschaft“. Stadtadlige Verwandtschaftsfamilien in deutschen Städten des Spätmittelalters, in: Familie in der Gesellschaft des Mittelalters (wie Anm. 3), S. 107-135, hier S. 123. 84 Mart. 4, VI, 15 (1165-72). 85 Mart. 11, V, 4-5 (1186-88). 86 G ROTEN , Köln (wie Anm. 3) , S. 86. Grotens These lässt sich noch weiter untermauern: Albero überträgt seiner Frau Gertrud - wohl im Zusammenhang mit der Eheschließung - eine weitere Haushälfte in der Rheingasse, Mart. 4, VI, 14 (1165-72). Martin 7, I, 36 (1170/ 71) zufolge hat Albero eben eine solche Haushälfte in der Rheingasse von seinem Vater Albero Hardevust geerbt. 87 Vgl. die Belege in Kölner Schreinsurkunden (wie Anm. 25), Bd. 2/ 2, S. 236. 88 G ROTEN , Richerzeche (wie Anm. 28), S. 73, Nr. 3. 89 Ausführlich zu diesem G ROTEN , Köln (wie Anm. 3), S. 95f. 90 M ARC VON DER H ÖH symbolischen Kapitals der namensführenden Verwandtschaftsgruppe, so hätte Werner wie seine Brüder den prestigereicheren Namen Hardevust geführt. Werners Abstammung von den Hardevust ist im aktuellen Kontext auchdeshalb von Interesse, weil damit die oben angedachte räumliche Nähe zu den Overstolz als Grund für die Übernahme des Beinamens ausfällt, da auch die Hardevust - ebenso wie die Familie der Mutter Werners - in der Rheingasse begütert waren. 90 Das Wohnhaus bzw. Ansedel von Werners Vater Albero lag ebenfalls inder Rheingasse. 91 Graphik 3 Man wird jedoch im vorliegenden Fall gar nicht angestrengt nach Gründen für den Namenswechsel suchen müssen, da Werner nach Ausweis der Quellen niemals den Beinamen Hardevust führte. Auch sein Vater Albero führte ihn nur einmal und das erst nach dem Tod des älteren Albero Hardevust († 1171/ 72) Ende der 80er Jahre des 12. Jahrhunderts. 92 Hinzu kommt, dass die Eheschließung zwischen Werner und Blithildis kurz vor 1189 93 und damit nach dem Tod seines Vaters Albero erfolgte. 94 Nachdem 90 Vgl. etwa Mart 7, I, 36 (1170/ 71). 91 Explizit erwähnt in Mart. 9, IV, 6 (1178-83): domum suam, in qua ipse manet. 92 Als Albero Hardevust in Mart. 9, III, 21 (1178-83). Bei allen anderen Belegen fehlt der Beiname: Mart. 4, VI, 14-15 (1165-72), Mart. 7, I, 36 (1170/ 71), Mart. 9, I, 18 (1175-78), Mart. 9, IV, 6-7 (1178-83), Mart. 11, V, 4-5 (1186-88) und schließlich Mart. 13, VI, 8 (1192/ 93). 93 Mart. 12, I, 16 (1189). Der Kontext des Eintrags lässt vermuten, dass er anlässlich der Eheschließung der beiden vorgenommen wurde. 94 In Mart. 12, I, 16 (1189) tritt Werners Mutter schon mit ihrem zweiten Mann auf. 91 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Albero Hardevust Gottschalk Overstolz Albero Gertrud Gunther Gottschalk Heinrich Richolf Gerhard Blithildis Werner Overstolz er Ende der 1180er Jahre in der Schreinsüberlieferung ohne Beinamen erscheint, 95 hat Werner vermutlich um die Jahrhundertwende den Beinamen seines Schwiegervaters angenommen. Die Bedeutung dieser Namenswahl ist bislang unklar. Für die Zeitgenossen gab es jedoch keinen Widerspruch zwischen der Namensführung und Werners Abstammung. Die Annahme des Namens kann an dieser Stelle zunächst als symbolischer Ausdruck der Zugehörigkeit Werners zur Verwandtschaftsgruppe der Overstolz gedeutet werden. Was genau sich hinter dieser Zugehörigkeit verbirgt, muss weiter untersucht werden. Interessanterweise kann man in der von Werner abstammenden Linie der Overstolz zwei Generationen später wiederum die Weitergabe des Beinamens in weiblicher Linie beobachten, wobei es sich in diesem Fall um einen wirklichen Namenswechsel handelt. Werners gleichnamiger Sohn († 1257/ 59) heiratet Gertrud Quattermart († 1278) 96 aus einer in St. Martin begüterten Familie. 97 Deren Sohn Gerhard nennt sich nicht mehr Overstolz, sondern den Namen seiner Mutter aufgreifend Quattermart und gibt diesen Namen an seine Nachkommen weiter. 98 Auch hier lässt sich zunächst keine Erklärung für den Namenswechsel finden: Gertrud Quattermarts Bruder Gerhard führte die agnatische Linie weiter, so dass auch hier nicht von der kompletten Übernahme des großväterlichen Erbes ausgegangen werden kann. Gleichfalls auszuschließen ist, dass der Beiname Overstolz in dieser nicht-agnatischen Linie nur ein Intermezzo war, da Gerhards Onkel Johannes und dessen Nachfahren sich weiterhin Overstolz nannten. 99 Die schon herausgestrichene Bedeutung des Hauses kann ebenfalls nicht zur Erklärung herangezogen werden: Gerhard (Overstolz)-Quattermart bewohnte das schon erwähnte Haus in der Rheingasse, das über die Mutter des ersten Werner Overstolz in den Besitz der Familie gekommen war. 100 Gerhard wechselt so weder in das Haus der Quattermart, noch gibt er die räumliche Nähe zu den in der Rheingasse sitzenden Overstolz auf. Einen Erklärungs- 95 Mart. 12, I, 16 (1189). 96 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 80. 97 Ebd. 98 Eindeutig wird der von Lau schon bemerkte Namenswechsel durch einen Schreinsbucheintrag von 1278 belegt. Gerardus dictus Quattermart, filius Werneri dicti Overstolz et Gertrudis erhält nach dem Tod seiner Eltern deren Ansedel (domum […] in platea Reni prope capellam Sancti Nicholai, que fuit mansio parentum suorum), Kölner Schreinsbücher (wie Anm. 75), Nr. 1641, S. 441. 99 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 79 100 Ebd., S. 72; vgl. Anm. 75. 92 M ARC VON DER H ÖH ansatz für den Namenswechsel mag man darin sehen, dass Gerhards Vater Werner Overstolz zum Zeitpunkt der Namensführung im Gegensatz zu seiner Mutter Gertrud Quattermart schon verstorben war. 101 In der Verwandtschaftsgruppe der Quattermart findet sich ein weiterer Fall nicht-agnatischer Namensweitergabe. Elisabeth, die Schwester der zuvor genannten Gertrud Quattermart, heiratete Hildeger Birkelin, Sohn des Schöffen Hermann Birkelin aus dem schon oben erwähnten späteren Ratsgeschlecht (übrigens der Bruder des schon erwähnten jüngeren Franko vom Horne). 102 Auch dessen Sohn Gottfried († 1287) nennt sich nach der Linie seiner Mutter Gottfried Quattermart. 103 Hier kann man wiederum eine Motivation des Namenswechsels durch die Übernahme eines Hauses ausschließen, da das später so genannte Haus Quattermart an der Sandkuhle im Kirchspiel St. Alban 1259 durch den zuvor erwähnten Gottfried Quattermart erworben wurde, während die agnatische Linie ihren Sitz in St. Martin hatte. 104 Vielmehr ist im Falle der Birkelin-Quattermart wie auch der Overstolz-Quattermart die Anziehungskraft des großen Reichtums des älteren Gerhard Quattermart (des Vaters der beiden den Namen vermittelnden Frauen) in Erwägung zu ziehen. 105 Graphik 4 (die Nachnamen Overstolz und Quattermart sind abgekürzt) 101 L AU , Patriziat I (wie Anm. 3), S. 80. Leider lässt sich nicht ermitteln, seit wann Gerhard [Overstolz-]Quattermart den Beinamen Quattermart führte bzw. ob er sich zuvo Overstolz nannte. 102 L AU , Patriziat II (wie Anm. 3), S. 364. 103 L AU , Patriziat III (wie Anm. 3), S. 135 104 W INTERFELD , Handel (wie Anm. 3), S. 21f. 105 Ebd., S. 22. 93 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE Blithildis Werner Overstolz Gerhard Quattermart Hermann Birkelin Johannes O. Werner O. Gertrud Q. Gerhard Q. Elisabeth Q. Hildeger Birkelin Gerhard Q. Heinrich Q. Gottfried Q. Graphik 5 (die Nachnamen Overstolz und Quattermart sind abgekürzt) Es ließen sich viele weitere Namenswechsel innerhalb einer agnatischen Linie analysieren, deutlich dürfte aber bereits geworden sein, dass die Weitergabe des (Geschlechts-)Namens in Köln im 13. Jahrhundert (und auch noch zu Beginn des 14.) keineswegs ausschließlich in agnatischer Linie erfolgte. Versteht man Geschlecht als Gesamtheit der Träger des Geschlechtsnamens, wofür es in Ermangelung anderer Kriterien für das 13. Jahrhundert gute Gründe gibt, so ist dies nicht mit einer agnatischen Abstammungsgemeinschaft gleichzusetzen. Die vorgeführten Beispiele öffnen zudem den Blick auf die Konstitutionsmechanismen dieser Verwandtschaftsgruppen: Zwar sind die Gründe, die für die Namensführung ausschlaggebend waren, bislang nur vage zu erkennen, sicher ist jedoch, dass das Geschlecht keine sich automatisch aus genealogischen Beziehungen ergebende soziale Formation ist. Was die aktuelle Forschung zu Verwandtschafts- und Familienformen herausgearbeitet hat, gilt so (natürlich) auch für das hoch- und spätmittelalterliche Köln. 106 Worin besteht neben den symbolischen Repräsentationsformen Geschlechtsname und -wappen 107 der Kern der Verwandtschaftsgruppen, die seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von den Kölner Quellen als 94 M ARC VON DER H ÖH 106 Vgl. die entsprechende Bestimmung des Forschungsgegenstandes der Verwandtschaftsforschung bei J USSEN , Perspektiven (wie Anm. 3), S. 303: „Verwandtschaft ist (a) ein begriffliches Ordnungssystem zur Definition sozialer Beziehungen, das seine Terminologie aus dem Wortfeld der biologischen Reproduktion bezieht, dessen Bezug zu Zeugung und biologischer Reproduktion aber weder notwendige noch zureichende Bedingung für Verwandtschaft in sozialwissenschaftlichem Sinn ist, und (b) die mit diesem terminologischen Regulativ organisierte soziale Praxis“. 107 Die Geschlechtswappen wurden hier komplett beiseite gelassen, da sie eine eigenständige Untersuchung erfordern und ihre Untersuchung den aktuellen Rahmen gesprengt hätte. Blithildis Werner Overstolz Gerhard Quattermart Hermann Birkelin Johannes O. Werner O. Gertrud Q. Gerhard Q. Elisabeth Q. Hildeger Birkelin Gerhard Q. Heinrich Q. Gottfried Q. Philipp Q. ‚Geschlechter’ bezeichnet werden? Das gemeinsame Haus wurde schon als möglicher Kristallisationspunkt der Verwandtschaftsgruppe in die Untersuchung einbezogen. Gerade die Fälle der nicht-agnatischen Weitergabe des Geschlechtsnamens haben jedoch gezeigt, dass das Haus zumindest in diesen Fällen nicht immer von Bedeutung war. Ein weiteres denkbares Element wäre die gemeinsame Memoria, also gemeinschaftliche Grablegen und Totengedächtnisformen, die für das 13. und 14. Jahrhundert jedoch bislang noch nicht systematisch untersucht worden sind. Die Konzentration der älteren Forschung auf die politische Rolle und die kulturelle Orientierung der Kölner Geschlechter hat den Blick auf eine möglichen weiteren Interpretation dieser Familiengruppen verstellt. Luise von Winterfeld hat in ihrer wirtschaftshistorischen Untersuchung der Kölner Geschlechter auf die Bedeutung von Handelsbeziehungen für das patrizische Konnubium hingewiesen. Eheverbindungen seien nicht nur an den zu erwartenden Mitgiften - und man würde ergänzen: an dem sich aus der Verbindung ergebenden sozialen und symbolischen Kapital - ausgerichtet gewesen, sondern die Eheschließung habe „in der Regel den Eintritt in verwandtschaftlich organisierte Handelsgemeinschaften“ bedeutet. 108 Die Selbststilisierung der Geschlechter als ritterlich lebende, quasi-stadtadelige Familien könnte den Blick auf derartige ‚profane’ Deutungen der Geschlechter verstellen. Waren die Frühformen der Geschlechter also vor allem wirtschaftliche Interessenverbünde, die ein gemeinsamer Name verband? Mit einem solchen Ansatz lassen sich möglicherweise die oben vorgestellten Namenswechsel Birkelin- und Overstolz-Quattermart erklären. In einer Urkunde vom 26. Juli 1275 tauchen in direkter Reihung drei Quattermart auf. Die Urkunde hält fest, dass die Stadt Köln 1.530 Mark Kapital aufnimmt von ihren Bürgern 109 […] Daniele dicto Judeo, Brunone dicto Hardevůst, Mathia de Speculo, Cunone de Cornu, Francone fratre suo, Theoderico de Cerva, Gerardo dicto Quattermart, Heinrico Quattermart et Philippo Quattermart. Könnte man zunächst noch an eine zufällige Reihung der drei Quattermart denken, wird der Wortlaut der entsprechenden Urkunde wenig später deutlicher: ad Gerardum, Heinricum et Philippum dictos Quattermart octava pars pertinet. 110 Innerhalb des Gesamtkonsortiums bildeten die drei Quattermart 108 W INTERFELD , Handel (wie Anm. 3), S. 45. 109 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 109 (26. Juli 1272), S. 80-2. 110 Ebd. S. 81. 95 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE eine Untergruppe, die gemeinsam ein Achtel der Gesamtsumme beisteuerte. Im Oktober des gleichen Jahres erscheinen die drei Quattermart mit ihren Partnern wiederum als Geldgeber der Stadt, die ihnen gegen eine Barsumme auf vier Jahre den städtischen Braupfennig überließ: Gerardo dicto Quattermart, Henrico et Philippo dictis Quattermart. Auch hier stellten die drei gemeinsam ein Achtel der Summe: ad Gerardum, Henricum et Philippum dictos Quattermart octava pars pertinet. 111 Zunächst kann man nichts Ungewöhnliches erkennen: Drei Angehörige einer Verwandtschaftsgruppe treten gemeinsam als Geldgeber der Stadt auf, wie auch zwischen anderen Mitgliedern des Konsortiums verwandtschaftliche Beziehungen bestehen. Für dioe untersuchte Fragestellung ist diese Dreiergruppe jedoch von großem Interesse, da Gerhard Quattermart niemand anderes als der Sohn des Werner Overstolz und der Gertrud Quattermart ist, mithin der erste aus dieser Linie, der den Namen Quattermart angenommen hat. Heinrich Quattermart lässt sich mit dem 1304 verstorbenen Angehörigen der agnatischen Quattermart-Linie identifizieren, 112 Philipp Quattermart schließlich ist der Enkel Elisabeth Quattermarts und Hildeger Birkelins, 113 gehört also zur (Birkelin-)Quattermart-Linie (unterstrichen die in der Urkunde genannten Personen): In einer etwa zeitgleichen Urkunde (Juli 1275), in der die Stadt dem Erzbischof verspricht, ihn von der Bürgschaft zu befreien, die er bei der gleichen Gruppe von Bürgern für sie geleistet hatte, tauchen dann nicht mehr alle drei Quattermart auf, sondern nur noch Heinrich Quattermart aus dem agnatischen Zweig: 114 […] a fideiussione, qua pro nobis fiedeiussit apud Danielem dictum Judeum, Brunonem dictum Hardevůst, Mathiam de Speculo, Th. de Cervo, Cononem de Cornu, Henricum Quattermart et eorum socios. Auch der Bruder des Cuno von Horne, der mit diesem ein Viertel der Gesamtsumme aufgenommen hatte, fehlt in dieser Liste. Vermuten kann man daher, dass sich hinter den genannten Namen die gleiche Gruppe von Geldgebern verbirgt, dass hier jedoch nur noch die Hauptvertreter der einzelnen Teilkonsortien genannt werden. Innerhalb der Gruppe der drei Quattermart kam Heinrich vermutlich ein besonderer Vorrang zu, der vielleicht mit seinem agnatischen Verhältnis zur Quattermart-Gruppe erklärbar ist. 111 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 113, S. 89-91 (2. Oktober 1275), Zitate S. 90. 112 L AU , Patriziat III (wie Anm. 3), S. 135 Henricus Qu. 7 . 113 L AU , Patriziat III (wie Anm. 3), S. 135 Philippus Qu. 59 . 114 Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 110, S. 82. Desgleichen in Quellen (wie Anm. 6), Bd. 3, Nr. 118 (7. Dezember 1275). 96 M ARC VON DER H ÖH Für die Frage nach der Funktion der Geschlechtsverbände sind die drei hier nur kurz erwähnten Urkunden ebenso aufschlussreich wie für die nach dem Verhältnis von Name und Geschlecht. Belegt ist hier das gemeinschaftliche Handeln von drei Angehörigen der Namens- und Verwandtschaftsgruppe der Quattermart. Bemerkenswert ist dabei, dass diese nicht nahe Verwandte, etwa Geschwister, waren, sondern Angehörige unterschiedlicher Zweige (vgl. Graphik 5). Versteht man ,Geschlecht’ als eine durch gemeinsamen Beinamen markierte Verwandtschaftsgruppe, so zeigt sich hier, dass dieses zumindest in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert durchaus von sozialer bzw. hier konkret wirtschaftlicher Relevanz war. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Geschlecht und Name gewendet lässt sich ein Erklärungsansatz für den Namenswechsel Birkelin-Quattermart bzw. Overstolz-Quattermart formulieren. Der Wechsel bzw. die nicht-agnatische Übernahme des Namens markiert in diesem Fall den Eintritt der entsprechenden Personen bzw. Familien in eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft, die auch zu konkretem gemeinsamem Handeln in der Lage war. 115 Diese als Hypothese zu verstehende Interpretation der Namenswechsel in der Namensgruppe der Quattermart weist den Weg für weitere Forschungen, die nach dem Verhältnis von Namenspraxis, Gruppenstruktur und Geschlechtskonzeption zu fragen haben. Deutlich zeichnet sich bislang ab, dass die Zuordnung von Name, agnatischer Abstammungsgemeinschaft und Geschlecht nicht so einfach ist, wie die ältere Forschung angenommen hat. Da die Geschlechter im 14. Jahrhundert als Strukturelement der Ratsverfassung von Bedeutung waren, verspricht die Erforschung dieser bislang als Verwandtschaftsgruppen konzeptualisierten Gliederungseinheiten der städtischen Führungsschicht einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der politischen Entwicklung Kölns bis weit in das 15. Jahrhundert hinein zu liefern. 97 N AME UND V ERWANDSCHAFTSGRUPPE 115 Anders für das spätmittelalterliche Bern etwa S IMON T EUSCHER : Bekannte - Kliente- Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500 (Norm und Struktur 9), Köln u.a. 1998, S. 80-1. Dez namen sol er schreiben in ein puch. Namenslisten im spätmittelalterlichen Nürnberg Ich Ulman Stromair schreib hernach all erberg leut, die pey meinen zeitten tod sein und die ich erkant hab, aber ich hab ir gar vil vergessen, der ich in meiner jugent nit gemerckt hab. 1 Mit diesen Worten leitete Ulman Stromer († 1407) in seinem Püchel einen Abschnitt ein, in dem er ehrbare Leute auflistet, die er persönlich kennengelernt hatte und die noch während seiner Lebzeiten verstorben waren. Vollständigkeit strebte er mit dieser Liste nicht an: zum einen beschränkte er sich auf Männer, zum anderen war ihm bewusst, dass er sich nicht an alle erinnern würde. 2 Stromer bediente sich mit der Namensliste einer Aufzeichnungsform, die im spätmittelalterlichen Nürnberg allgegenwärtig war. 3 Aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist eine Aufforderung des Rates an den Ratsherrn Pignot Weigel überliefert, Namenslisten der Bettelberechtigten zu führen, an die er Almosenmarken ausgab: und wen der Pignot Weigel ein zeichen gibt, dez namen sol er schreiben in ein puch. 4 Die Marke als Erkennungszeichen allein genügte dem Rat nicht. Ähnliche Versuche, bestimmte Gruppen mittels Listen zu registrieren und sie dadurch besser kontrollieren zu können, gab es auch in anderen Bereichen. Sie begegnen gerade im Umfeld der städtischen Verwaltung in großem Umfang, nicht nur im Hinblick auf die städtische Armenpolitik: Die Stadtschreiber verzeichneten Neubürger je nach der von ihnen geleisteten Auf- 1 Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, Teil II, fol. 17 r ; siehe auch Ulman Stromer’s ‚Püchel von meim geslechet und von abentewr’ 1349 bis 1407, hrsg. von K ARL H EGEL , in: Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 1: Nürnberg, Leipzig 1862, ND Göttingen 1961, S. 23-106. Der Abschnitt lautet dort: Anno 90, ich Ulamn Stromeir schreib hernach alle erberg lewt, di ich erkant hab, die bey mein zeiten tod sein, den got genedi sey; aber ir wirt vil vergessen, di niht geschriben werden. Ebd., S. 83. 2 In der edierten Fassung (wie Anm. 1) bezieht sich die Stelle hingegen nicht auf die mögliche Vergesslichkeit des Verfassers persönlich, sondern auf den bekannten Topos, dass allein die schriftliche Fixierung vor dem Vergessen bewahre. 3 Zur gesellschaftlichen Struktur, vor allem zur Oberschicht Nürnbergs siehe zuletzt C ARLA M EYER , Die Stadt als Thema. Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 (Mittelalter-Forschungen 26), Ostfildern 2009 und P ETER F LEISCHMANN , Rat und Patriziat in Nürnberg (Nürnberger Forschungen 31), Nürnberg 2008. 4 Mittelalterliches Almosenwesen. Die Almosenordnungen der Reichsstadt Nürnberg, hrsg. von W ILLI R ÜGER , Nürnberg 1932, S. 69. Rüger vermutet die Ursprünge der Ordnung bereits Anfang des 14. Jahrhunderts. K ARIN C ZAJA 99 nahmegebühr, die wiederum von ihrem Besitz abhing, in papierenen oder pergamentenen Bürgerlisten, deren Überlieferung bis an den Beginn des 14. Jahrhundert zurückreicht. Nicht nur diejenigen, die in das Bürgerrecht Aufnahme fanden, auch Personen, die es wieder aufgaben, wurden namentlich festgehalten. 5 Wer zeitweise oder für immer der Stadt verwiesen wurde, den erfassten die Schreiber in so genannten ,Achtbüchern’. 6 Nach Berufen gegliedert registrierte die Stadt in zwei Listen Handwerksmeister für die Zeiträume 1363-70 und 1370-1429. Der genaue Zweck der Meisterlisten ist allerdings unklar. 7 Sie dürften Stromer als langjährigem Ratsmitglied bekannt gewesen sein, betrafen ihn persönlich allerdings nicht, im Gegensatz zu anderen Namensverzeichnissen wie den Losungsbüchern. In diesen verzeichnete der Ratsausschuss der Losunger sämtliche steuerpflichtigen Einwohner nach Stadtteilen gegliedert. 8 Außerdem wurden die Mitglieder des Kleinen Rates selbst, wie in anderen Städten auch, jährlich in Listen, den so genannten ,Ratsgängen’, festgehalten. 9 5 Zu den Nürnberger Bürgeraufnahmen siehe: Die Nürnberger Bürgerbücher I. Die pergamentenen Neubürgerlisten 1302-1448, Nürnberg 1974, darin neben der Edition der pergamentenen auch die Beschreibung der papierenen Listen mit Bürgerrechtsaufgaben, vgl. S. 67*. Allgemein zu Bürgerbüchern und -listen: R AINER C HRISTOPH S CHWIN - GES , Neubürger und Bürgerbücher im Reich des späten Mittelalters, in: Neubürger im späten Mittelalter, hrsg. von DEMS . (ZHF Beihefte 30), Berlin 2002. 6 Zu den Stadtverweisen siehe W ERNER S CHULTHEISS , Die Acht-, Verbots- und Fehdebücher Nürnbergs von 1285-1400. Mit einer Einführung in die Rechts- und Sozialgeschichte und das Kanzlei- und Urkundenwesen Nürnbergs im 13. und 14. Jahrhundert, Nürnberg 1960. 7 Es werden sowohl Zusammenhänge mit dem Erlass von Gewerbeordnungen Ende der 1350er wie auch mit Waffenlieferungen an Karl IV. 1363 vermutet. Die jüngere Liste der Handwerksmeister ist gemeinsam mit der papierenen Bürgerliste von 1382 bis 1429 überliefert. Die in der Bürgerliste enthaltenen Berufsangaben zeigen, dass die Meister zur selben sozialen Gruppe wie die dort Eingetragenen gehörten, wenn sie auch am oberen Rand angesiedelt waren. Beschreibung in Neubürgerlisten 1302-1448 (wie Anm. 5), S. 64*-69*. Ausgewertet wurden die Handwerksmeisterlisten in onomastischer Hinsicht von C HARLOTTE S CHEFFLER -E RHARD , Alt-Nürnberger Namenbuch (Nürnberger Forschungen 5), Nürnberg 1959 . 8 Ulman Stromer war 1371 erstmals Mitglied des Rates, zuletzt gehörte er dem Rat 1406 an, siehe F LEISCHMANN , Rat und Patriziat (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 971. Die Losung wurde bis Mitte des 15. Jahrhunderts unregelmäßig erhoben. Die Losungsbüchern sind abgesehen von einem Fragment erst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts erhalten. Zu den Losungern vgl. ebd., S. 45-9. 9 Ediert in ebd., Bd. 3: Ratsgänge 100 K ARIN C ZAJA Zusammenstellungen von Namen finden sich auch im kirchlichen Umfeld. Pfarrgemeinden legten im späten Mittelalter häufig Anniversarbücher an, welche die Jahrtage nach dem Ablauf des Kirchenjahres geordnet auflisteten. Aus Nürnberg hat sich ein Jahrzeitbuch erst für die Zeit von 1516 bis 1518 erhalten, dessen Zweck nur indirekt die liturgische Memoria war; zunächst einmal sollte es den zuständigen Kirchenmeistern helfen, die Jahrtage bestimmungsgemäß auszurichten. 10 Seit dem 15. Jahrhundert hielten die Kirchenmeister ebenso die Namen der Personen fest, zu deren Tod die Glocken von St. Sebald oder St. Lorenz geläutet worden waren, da dies mit Einnahmen für die Pfarrei verbunden war. 11 Im Kontext der städtischen wie auch der kirchlichen Verwaltungspraxis muss die Registrierung von Einzelpersonen und Personengruppen in Namenslisten für die Bewohner der Stadt Nürnberg eine alltägliche Praxis gewesen sein. 12 Die Listen waren mehr als nur eine Aneinanderreihung von Namen, sie klassifizierten, je nach Zweck, nach Beruf oder Wohnort oder taxierten das finanzielle Leistungsvermögen der Einwohner und entwarfen somit soziale Ordnungsmodelle. Ulman Stromers Personenliste steht nicht mit Verwaltungsakten irgendeiner Art in Verbindung, sondern entstammt der privaten Schriftlichkeit: sie ist in die vielzitierte Schrift von seinem geslechet und abentewr eingebunden, mit deren Abfassung er bereits 1360 begonnen haben will. 13 Es ver- 10 Zur Handschrift GNMB Merkel-Hs. 879 vgl. die Beschreibung bei M ARTIAL S TAUB , Les paroisses et la cité. Nuremberg du XIII e siècle à la Réforme, Paris 2003, S. 86. 11 Das Totengeläut ist ab 1439 für St. Sebald und ab 1454 für St. Lorenz in eigenen Büchern erfasst worden. Siehe H ELENE B URGER , Nürnberger Totengeläutbücher, Neustadt a. d. Aisch, 1961/ 67. 12 Dem Bedürfnis der Verwaltung, Personen möglichst eindeutig zu identifizieren, ist häufig ein entscheidender Einfluss bei der Durchsetzung fester Familiennamen zugeschrieben worden. Vgl. hierzu D IETER G EUENICH , Artikel „Personennamen, -forschung“ in: Lexikon des Mittelalters Bd. 6, München 1993, Sp. 1904/ 5 und V ALENTIN G ROEBNER , Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters, München 2004, S. 51, den vor allem die Registrierung von Personen im strafrechtlichen Kontext interessiert. Die in den Listen aufgeführten Namen lassen noch keinen Rückschluss darauf zu, ob sich die Fremdbezeichnung durch die Verwaltung mit der Eigenbezeichnung der aufgeführten Personen deckten. Vgl. dazu C HRISTOF R OLKER , „Ich Anna Hartzerin, genannt von Maegelsperg ...“. Namensführung und weibliche Identität in der spätmittelalterlichen Stadt, in: Namen, hrsg. von U LRIKE K RAMPL und G ABRIELA S IGNORI (L’Homme 20,1), Köln u. a. 2009, S. 17-35. 13 Zur Nutzung des Begriffs ,privat’ vgl. P ETER VON M OOS , Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus, in: Das Öffentliche und 101 N AMENSLISTEN bindet Berichte über seine Familie mit solchen zu städtischen Themen und eben auch Personenlisten, in denen er einerseits seine Verwandten auflistete, andererseits in dem erwähnten Katalog die Nürnberger Ehrbaren. Von seinem Püchel haben sich verschiedene mittelalterliche und frühneuzeitliche Abschriften erhalten, von denen diejenige, die Michel Behaim 1490 anfertigte, im Folgenden im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen soll. 14 Zu Beginn der Auflistung steht Ulman Stromers eigene Familie, wobei nicht die Stromer, sondern die Waldstromer zuerst genannt werden. An anderer Stelle der Schrift erklärt der Verfasser, sein Geschlecht habe den Namen von eben diesen Waldstromern übernommen. Womöglich liegt hierin der Grund, sie der eigenen Familie voranzustellen. 15 Die Stromer selbst werden wie folgt eingeführt: 16 die Stromair mein eltern Cunrat Stromair mein anher het ein Eszlerin und ein Lauffenholtzerin Heinrich Stromair mein vater selig het ein Glatznepffin und ein Geudsm : din Dem Namen des Geschlechts folgen die einzelnen Vertreter, die dem Geschlecht zugeordnet werden. Insgesamt werden 124 Familien genannt, wobei jede Familie einen eigenen, durch eine Überschrift eingeleiteten Abschnitt erhält: die Pfintzing, die Ebner... 17 Während anfangs für jedes Geschlecht eine größere Anzahl von Mitgliedern aufgeführt wurde, treten andere gegen Ende des Katalogs mit nur einem Vertreter in Erscheinung. Unter der Überschrift die Grasser findet sich beispielsweise als einziger Ein- Private in der Vormoderne, hrsg. von DEMS . und G ERT M ELVILLE (Norm und Struktur 10), Köln u. a. 1998, S. 3-83. Als Gegensatz wird hier der Begriff ,obrigkeitlich’ genutzt, der einer der von von Moos angesprochenen Teilöffentlichkeiten entsprach. 14 Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, Teil II. In der Edition von 1862 fand diese Handschrift keine Beachtung. Auf Grund des generell problematischen Vorgehens bei der Edition erscheint es allerdings sinnvoll, eine konkrete Handschrift in den Mittelpunkt zu stellen. Zu den für die Edition verwandten Handschriften siehe Ulman Stromers Püchel (wie Anm. 1), S. 12-20. Zur Scheurl-Abschrift vgl. neuerdings M EYER , Stadt als Thema (wie Anm. 3), S. 115-22. 15 Zur Ansiedlung der Stromer in Nürnberg und ihrer Verwandtschaft mit der Familie Waldstromer siehe F LEISCHMANN , Rat und Patriziat (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 1069. 16 Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, Teil II, fol. 17 r . 17 Ebd., fol. 19 r-v . 102 K ARIN C ZAJA trag Cunrat Grasser, der allt. 18 Die Aufgelisteten gehören zu einem Namen, der immer im Plural steht, unabhängig davon, ob sich darunter ein Eintrag oder 25 finden. Entscheidend für die Zuordnung war nicht das Todesdatum oder der Wohnsitz, sondern der Verwandtschaftsverband. Wie jedoch kam die Reihenfolge der Familien in der Liste zustande? Ein denkbares Ordnungsschema wäre eine Rangfolge, basierend auf politischem Einfluss, Anciennität oder Verwandtschaft zum Verfasser: Unter den ersten fünfzig Familien finden sich tatsächlich beinahe ausschließlich solche, die im 14. Jahrhundert im Kleinen Rat der Stadt vertreten waren, während im letzten Drittel der Liste keine Ratsfamilien mehr vorkommen. Insgesamt stellten 62 der verzeichneten Familien mindestens ein Mitglied im Rat. 19 Unter den zuerst genannten Geschlechtern finden sich mehrere, denen eine lange Geschichte in der Stadt zugesprochen wird, wie die Pfintzing, Ebner oder Holzschuher, während die Tucher, welche sich erst im 14. Jahrhundert fassen lassen, im mittleren Teil der Liste vermerkt sind. Die frühe Nennung der Familie Haiden, die nur in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts im kleinen Rat vertreten waren, passt jedoch nicht in dieses Bild. Verwandtschaftliche Beziehungen, durch Heirat oder Patenschaften entstanden, verbanden Ulman Stromer mit vielen der angeführten Familien. Allerdings lässt sich hieraus die Reihenfolge ebensowenig ableiten: So fehlt die Familie seiner ersten Frau und auch die seiner Mutter ganz in der Aufzählung. Die Beteiligung an der Ratsherrschaft sowie das Alter der Familien scheinen zumindest für die Anordnung in der ersten Kataloghälfte entscheidend gewesen zu sein. Die von Ulman Stromer entworfene Reihenfolge lässt sich aus diesem Verzeichnis nicht ablesen. Die Abschrift fertigte Michel Behaim (1459-1511) im Jahr 1490, über achtzig Jahre nach Stromers Tod, an. Seine Vorlage hatte er von Hans Haller erhalten: 20 Anno 1490 iar do schrib ich Michel Beheim diesz puchlein ab von des alten Ulman Stromairsz seligen puchlein, das le : h mir Hans Haller am kirchoff Sebaldi. Von Stromers Schrift existieren mehrere Abschriften, die an einigen Stellen von der bei Hegel auf Grundlage des vermeintlichen Autographen publi- 18 Ebd., fol. 28 r . 19 Vgl. F LEISCHMANN , Rat und Patriziat (wie Anm. 3), Bd. 2. 20 Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, Teil II, fol. 1 r . 103 N AMENSLISTEN zierten Fassung abweichen. 21 Nur einige Unterschiede seien genannt: der von Hegel edierte Katalog enthält weniger, 108 anstelle von 124 Familiennamen, die Liste beginnt mit den Stromer, während die Familie Haiden ihren Platz nicht unter den ersten zwanzig Familien findet. Auch die Informationen zu den einzelnen Personen sind teilweise unterschiedlich: Während in der Abschrift Michel Beheims häufiger die Familiennamen der Ehefrauen zur weiteren Beschreibung der Männer mit angegeben sind, finden sich in der bei Hegel veröffentlichten Variante vermehrt Todesdaten. 22 Interessanterweise ändern sich auch die Überschriften der einzelnen Abschnitte. Zum einen sind in der von Hegel als besonders nah am Verfasser angesiedelten Fassung die Familiennamen im Singular wiedergegeben. Zum anderen verzeichnete der Schreiber nur die ersten 32 Familiengruppen unter einer Überschrift. Möglicherweise standen bei Stromer zumindest gegen Ende der Liste tatsächlich eher Einzelpersonen im Fokus, die von späteren Kopisten in ein einheitliches Schema gebracht wurden. Es kursierten also mehrere Versionen der Namensliste in der Nürnberger Führungsschicht des 15. Jahrhunderts. Für Hans Haller und Michel Behaim hatten sie keine Funktion als persönliche Gedächtnisstütze mehr, ein Motiv, die Aufzeichnungen zu kopieren, dürfte für sie die Suche nach Informationen zu ihren eigenen Vorfahren gewesen sein. Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt an Familienbüchern zu ihren Geschlechtern. 23 Allerdings kopierte Michel Beheim das ganze Stromerbüchlein, nicht nur Passagen, die seine Familie betrafen. Auch scheint er den Rang seiner Vorfahren in der Liste nicht verbessert zu haben. 24 Der Namenskatalog besaß einen Wert an sich, bereits die Nennung des eigenen Namens zeugte von Zugehörigkeit. Im Jahre 1519 heiratete Christoph Scheurl (1481-1542) Katharina Fütterer den Ablauf der Feierlichkeiten beschrieb er später ausführlich. 25 In jedem einzelnen Schritt des über mehrere Wochen andauernden Akts der 21 Vgl. Ulman Stromers Püchel (wie Anm. 1). 22 Während es bei Michel Behaim heißt Erhart Stromair, mein pruder, het ein Volkmarin (Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, Teil II, fol. 17 v ), ist der gleiche Bruder in der Vorlage, die Hegel nutzte, so verzeichnet: Erhart Stromer mein bruder starb 1353, vgl. Ulman Stromers Püchel (wie Anm. 1), S. 84. 23 Zu Hans Haller vgl. M EYER , Stadt als Thema (wie Anm. 3), S. 110. 24 In der edierten Version bei Hegel werden die Behaim früher erwähnt als in der von Michel Behaim angefertigten Abschrift. 25 Pfinzing-Löffelholzschem Stammbuch, hrsg. von E UGEN L ÖFFELHOLZ VON K OLBERG , Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharina Füttererin am 29. August 1519, in: Mitteilungen des Vereins der Geschichte der Stadt Nürnberg 3 (1881), S. 155-68. Zur Person Christoph Scheurls vgl. M EYER , Stadt als Thema (wie Anm. 3), S. 90-102. 104 K ARIN C ZAJA Eheschließung kennzeichnete er diejenigen, die zugegen waren, namentlich. Waren sonst zwei bis drei Bürgen als Zeugen des Bräutigams sowie der Braut bei der Heiratsberedung üblich, kann Christoph Scheurl allein neun Bürgen vorweisen. 26 Hatten diese ein Amt inne, wie der Losunger Antoni Tucher oder der Probst zu St. Sebald Melchior Pfinzing, nahm er dieses in seinen Katalog auf. Die Anzahl der Anwesenden wuchs von Akt zu Akt: Zur öffentlichen Verkündigung standen Scheurl bereits 26 Männer zur Seite. Zum Kirchgang nennt er schließlich fast 170 Personen, Frauen und Männer, die er in verschiedenen Kategorien zusammenfasst: die Inhaber von Ratsämtern, beginnend bei den Älteren Herren, über die Älteren zu den Jüngeren Bürgermeistern, die Doktoren des Rechts, Ärzte, die Genannten im Kleinen und schließlich die im Größeren Rat sowie alle anderen anwesenden Bürger. 27 Nicht der Familienverband, sondern der Name der Einzelpersonen und ihre Position in der städtischen Gesellschaft sind entscheidende Kriterien, nach denen Christoph Scheurl klassifizierte: Träger des Namens Holzschuher finden sich sowohl unter den Älteren Herren wie auch unter den Genannten des Kleineren und des Größeren Rates. Es sind diejenigen, in deren Umfeld Scheurl sich bewegte - ihm, dem Juristen, war der Weg in den Rat versperrt, aber seine Verbindungen in die entsprechenden Kreise stellte er mit den Aufzählungen eindrucksvoll heraus. Der Namenskatalog Scheurls zeigt Parallelen zu einem etwa zeitgleichen Dokument, dem sogenannten ,Tanzstatut’ von 1521, welches häufig als Beleg des endgültigen Abschlusses der Nürnberger Geschlechter gegenüber neuen Familien gilt. 28 Als Vorlage dienten die Ladezettel, die zuvor für einzelne Feste erstellt worden waren. Ein solcher Ladezettel könnte auch den Listen in Christoph Scheurls Heiratsbericht zugrunde gelegen haben. In mehrere Kategorien untergliedert hielt das Tanzstatut die Namen derjenigen fest, die das Recht hatten, bei Festen im Rathaus zugegen zu sein, sowie auch einzelne Namen von Personen, denen es explizit verboten war. Zugelassen zum Tanz wurden zum einen diejenigen Familien, die im Rathswahlbuchlein verzeichnet waren, aber auch Männer, deren Mütter oder Ehefrauen aus einem der alten Geschlechter stammten und sie somit besserten. Es 26 Im Heiratsbrief Peter Rieters und Clara Grundherrs vom 27. August 1418 hieß es beispielsweise des obgenanten Ulrich Gruntherren zuschacze weren purgen worden herr Ulrich Stromeir zu der Rosen Herman und Michel die Gruntherren,so weren fur des vorgenanten Peter Rieters zuschecze purgen worden herr Peter der elter und Peter der junger die Haller und Hans Rieter (Stadtarchiv Nürnberg, D14, B5, fol. 28 r-v ). 27 L ÖFFELHOLZ VON K OLBERG , Scheurls Hochzeit (wie Anm. 25), S. 159-61. 28 Das Statut ist ediert bei T HEODOR A IGN , Die Ketzel. Ein Nürnberger Handelsherren- und Jerusalempilgergeschlecht, Neustadt a. d. Aisch 1961, S. 106-13. Vgl. dazu bei F LEISCHMANN , Rat und Patriziat (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 222-5. 105 N AMENSLISTEN ist auffällig, dass analog zur Namensliste Ulman Stromers im Tanzstatut zunächst Familien als Verband und dann Einzelpersonen aufgeführt sind. Im Gegensatz zu den Personenlisten Stromers und Scheurls war es beim Tanzstatut der Rat als Obrigkeit, der die Liste erstellte. Zugehörigkeiten, die lange Zeit über ,private’ Namenslisten tradiert worden waren, wurden hier Teil einer obrigkeitlichen Regulierung. In beiden Kontexten kam es entscheidend auf den Namen als symbolisches Gut an. Die ,richtigen’ Familiennamen verbürgten Ansprüche auf Zugehörigkeit, auch und gerade wenn sie nicht immer entlang der agnatischen Abstammungsreihe weitergegeben wurden. Entscheidend war ferner nicht nur, welchen Namen man trug, sondern auch die räumliche Anordnung der Namen im Dokument: Die Reihenfolge konnte, vor allem im Tanzstatut, als soziale Rangfolge gelesen werden; die Nähe verschiedener Namen zueinander war Ausdruck einer sozialen Nähe der Träger dieser Namen. Namenslisten als ,Instrumente sozialer Standespolitik’ treten auch in adeligen Turnier- und Wappenbüchern in Erscheinung, beispielsweise zur Verzeichnung von Siegern und Verlierern. 29 Die Verbindung zu Wappen erscheint nicht zufällig: Beide Zeichensysteme zusammen stellten in der Vormoderne die wichtigste Form dar, familiare Identität und Zugehörigkeit auszudrücken. 30 Im Stadtbild Nürnbergs waren Wappen an vielen Stellen wie in Kirchenfenstern und auf Grablegen präsent; mit ihrer Hilfe schrieben sich die Familien in den städtischen Raum ein. 31 Die hier vorgestellten Nürnberger Namenskataloge des 15. Jahrhunderts kamen allerdings noch fast ohne Wappen aus. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts mehren sich die Versuche, die wichtigen Geschlechter durch ihre Wappen zu repräsentieren, wie im Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm von 1527 dokumentiert ist. 32 29 Siehe A NDREAS R ANFT , Adlige Wappen-, Turnier-, Haus- und Familienbücher. Zur Notationspraxis von Wappen und Namenslisten, in: Adlige Welt und familiäre Beziehung. Aspekte der ,privaten Welt’ des Adels in böhmischen, polnischen und deutschen Beispielen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, hrsg. von H EINZ -D IETER H EIMANN , Potsdam 2000, S. 115-39. 30 Neben älteren heraldischen Abhandlungen vgl. bezüglich der Wappen vor allem W ERNER P ARAVICINI , Gruppe und Person. Repräsentation durch Wappen im späteren Mittelalter, in: Die Repräsentation der Gruppen, hrsg. von O TTO G ERHARD O EXLE und A NDREA VON H ÜLSEN E SCH , Göttingen 1998, S. 327-89. 31 Vgl. zu den Wappen an Fenstern und anderen Stiftungen im sakralen Umfeld beispielsweise G ERHARD W EILANDT , Die Sebalduskirche in Nürnberg, Petersberg 2007. 32 Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm, bearb. von J ÜRGEN A RNDT (Wapenbücher des Mittelalters 1), Neustadt a. d. Aisch 1984. - Im 14. und 15. Jahrhun- 106 K ARIN C ZAJA Namen erhalten ihre Bedeutung im Gebrauch. In dichten städtischen Gesellschaften des späten Mittelalters wie der Nürnberger markierten Namen den Einzelnen, banden ihn aber zugleich an das Geschlecht zurück. 33 Namenverzeichnisse zu erstellen war eine weitverbreitete Praxis, die sich sowohl im fiskalischen, als auch im herrschaftlichen Kontext findet. Aber auch jenseits der obrigkeitlichen Erfassung in Listen gab es eine private Nutzung. Innerhalb der einzelnen Familien führte man im Nürnberg des 14. und 15. Jahrhunderts Buch über Vorfahren und Nachkommen sowie die Verbindungen zu den anderen Geschlechtern, sei es durch Heiraten oder Patenschaften. Angehörige der Oberschicht sammelten Namen in Listen, die in Reihen- und Rangfolgen gebracht, weitergegeben und verändert wurden. Diese Listen abzuschreiben und zu besitzen war den Geschlechtern ein Anliegen; es diente der Dokumentation ihrer politischen und gesellschaftlichen Integration: Die Schriften stellten also Prestigeobjekte dar. Adressat der Abschriften war zunächst der innere Familienkreis, darüberhinaus fand aber ein reger Austausch mit den anderen Geschlechtern statt. Die zahlreichen Abschriften, die leihweise bzw. kopial innerhalb der vielfach miteinander verbundenen Familien der Nürnberger Oberschicht kursierten, belegen damit nicht nur das starke Interesse, sondern auch den relativ großen Adressatenkreis dieser scheinbar ,privaten’ Aufzeichnungen. Der Name im Buch war die Versicherung, dazu zugehören. Die Listenführung war nicht einfach eine Nachahmung der Verwaltungspraxis, vielmehr scheinen die privaten Praktiken auf die obrigkeitlichen zurückgewirkt zu haben. dert führten Familien wie die Stromer und Nützel sogar das gleiche Wappen. Vgl. die Wiedergabe bei Ulman Stromer: Stadtarchiv Nürnberg E 17/ I 848, fol. 15 r-v . 33 Vgl. allgemein zum Thema den Sammelband Personennamen und Identität Namengebung und Namengebrauch als Anzeiger individueller Bestimmung und gruppenbezogener Zuordnung, hrsg. von R EINHARD H ÄRTEL (Schriftenreihe der Akademie Friesach 2), Graz 1997. Ältere Forschungen zu Nürnberger Namen gingen weniger auf den Gebrauch ein, sondern konzentrierten sich auf die onomastischen Aspekte. Vgl. etwa S CHEFFLER -E RHARD , Alt-Nürnberger Namenbuch (wie Anm. 7), die sich mit der Bedeutung und den Quellenbelegen der Nürnberger Namen bis 1400 befasst, oder F RIEDRICH B OCK , Nürnberger Spitznamen von 1200 bis 1800. Ein Verzeichnis mit Einführung, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg 45 (1954), S. 1-147. 107 N AMENSLISTEN Personal and collective identity: naming practices in a guild milieu. Bruges in the fifteenth and early sixteenth century Introduction In these past decades research has paid more and more attention to group identities in late medieval urban societies. Studies on guild life and urban corporate bodies have boomed dramatically. 1 Researchers have tried to identify how guilds moulded social and political agency, economic opportunity and cultural identity. Belonging to one or the other association defined a person’s ability to function socially and to get access to particular economic and political circuits. 2 Although research is still very much preoccupied with specific corporations - often focusing on craft guilds alone, or on chambers of rhetoricians, religious fraternities, shooting guilds and the like without addressing the interaction and synergies in the corporate fabric - recently some historians have argued for a very dynamic and lay- * I am very grateful to the participants of the workshop „Namen und Identitäten im Mittelalter/ Noms et identités au moyen âge“ in Konstanz, 13 December 2009 for their comments and suggestions. 1 A recent survey on craft guilds can be found in Craft guilds in the early modern Low Countries. Work, power and representation, ed. M AARTEN P RAK , C ATHARINA L IS , J AN L UCASSEN and H UGO S OLY , London, 2006. See also on apprentices: Learning on the shop floor: historical perspectives on apprenticeship, ed. B ERT DE M UNCK , S TEVEN L. K APLAN and H UGO S OLY (International studies in social history 12, New York, 2007). On late medieval Flanders: P ETER S TABEL , ‘Guilds in the late medieval Low Countries: Myth and reality of guild life in an export-oriented enxironment’, Journal for Medieval History, 30 (2004), p. 187-212. In the same region A NNE -L AURE V AN B RUAENE , Om beters wille. Rederijkerskamers en de stedelijke cultuur in de Zuidelijke Nederlanden (1400-1650) (Amsterdam, 2007) deals with the rhetoricians, P ETER A RNADE , Realms of ritual. Burgundian ceremony and civic life in late medieval Ghent (Ithaca NY, 1996) with shooting guilds, P AUL T RIO , Volksreligie als spiegel van een stedelijke samenleving. De broederschappen te Gent in de late middeleeuwen (Symbolae. Facultatis litterarum et philosophiae Lovaniensis series B vol. 11, Leuven, 1993) with fraternities and B ART R AMAKERS , Spelen en Figuren. Toneelkunst en processiecultuur in Oudenaarde tussen Middeleeuwen en Moderne Tijd (Amsterdam, 1996) with public ritual. 2 G ERVASE R OSSER , ‘Crafts, guilds, and the negotiation of work in the medieval town’, Past and Present 154 (1997), p. 3-31. 109 P ETER S TABEL ered approach of identity construction. In the context of research into the dynamics of democracies and associational life in the wake of scholars from de Tocqueville to Putnam, 3 mediaevalists too have pointed at how the coexistence of various associations (guilds, fraternities and the like) was able to enhance society’s efficiency and the involvement of various groups into polity and civil society. 4 But of course guilds, fraternities and other associations not only allowed individuals to organise and structure their social agency. They also influenced to no small degree the identity of their members. It is at this stage still very difficult to assess how these processes functioned. Obviously, they are linked to particular patterns of inclusion and exclusion (gender, age, skill, juridical status, marriage etc.). Sometimes corporate identity is expressed through a wide variety of urban and guild rituals: from massive publicly staged pageants to the closed and exclusive intimacy of guild banquets. Members sometimes dressed according to specific codes, or they adopted specific patterns of ‘decent’ behaviour, while other types of behaviour were banned or severely restricted (drunkenness, adultery, whoring etc.). 5 This very complex cocktail of social and cultural behaviour, of course, got even more complicated as many townsmen were members of various corporate bodies or combined diverse economic (occupations), juridical (citizenship), political (elites) and cultural (religious status) status. These different affiliations could lead to converging patterns of identity construction, but they could also lead to conflicting patterns, whereby particu- 3 A LEXIS DE T OCQUEVILLE , De la démocratie en Amérique, (Paris, 1835/ 1840), R OBERT D. P UTNAM , Making democracy work. Civic traditions in modern Italy (Princeton, 1993) and S TEPHAN -L UDWIG H OFFMAN , ‘Democracy and associations in the long nineteenth century. Toward a transnational perspective’, Journal of Modern History 75 (2003), p. 69-106. 4 R OSSER , ‘Craft guilds’ (note 2), p. 30-1 and P ETER S TABEL , ‘Reflections on citizenship, economic regulation and subsidiary authority in late medieval cities’, [forthcoming]. 5 For Flanders see M YRIAM C ARLIER and P ETER S TABEL , ‘Questions de moralité dans les villes de la Flandre au bas moyen âge: sexualité et activité législative urbaine (bans échevinaux et statuts de métiers)’, in“Faire Banz, edictz et statuts”: légiférer dans la ville médiévale, ed. J EAN -M ARIE C AUCHIES and ÉRIC B OUSMAR (Brussels, 2002) p. 241- 62. Compare also X AVIER R OUSSEAUX , ‘‘Sozialdisziplinierung’, civilisation des mœurs et monopolisation du pouvoir. Eléments pour une histoire du controle social dans les Pays-Bas méridionaux 1500-1815’, in Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa / Institutions, instruments and agents of social control and discipline in Early Modern Europe, ed. H EINZ S CHILLING and L ARS B EHRISCH (Frankfurt, 1999), p. 251-74 and M ARTIN I NGRAM , ‘His- 110 P ETER S TABEL lar codes of behaviour could be desirable and expected within particular contexts (or associations in this corporately organised society), but undesirable and even not tolerated in others, but still frequented by the same individuals or groups. This study does not aim at giving a comprehensive survey of all possible identity markers, it wants to explore one of the relatively unknown identity markers in late medieval urban society: the given name. It wants to assess whether name-giving is influenced by affiliation to a particular group in urban society. Is membership to a particular guild influencing the choice of names? Or, vice versa, can names be indicative for the social or cultural pro file of particular groups? Name-giving is indeed one of the few identity markers by which individuals could take up specific social positions for their offspring. Names, thus linguists state, express not only social and cultural conventions and traditions, they are also carrier of intimate social messages of identity and belonging. For Pierre Bourdieu, names were even instruments in the unification of the self, and through the fixation of names in the course of history the name became a ‘désignateur rigide’, a medium that allowed unambiguous identification of the self in often very different ‘social fields’ (champs sociaux). The process of fixation is for Bourdieu, therefore, paradoxically the result of an ‘imposition arbitraire’ by bourgeois society. 6 Medieval names and their meaning Late medieval names, however, did not function in the context of the modern bourgeois nation-states, although in some regions, and Flanders was among them, the process of fixation of the surname had started at a comparatively early stage. As a rule, names consisted, not unlike the system of the tria nomina in Roman antiquity (praenomen, nomen gentilis, cognomen), of three parts: the first name as an individual marker (forename, Christian name), the patronym as a link to the generation of the parents (name of the father - mother’s names were no longer used in late medieval Flanders) and the surname, if stabilised, as a permanent marker of (male) lineage and a sigtory of sin or history of crime? The regulation of personal morality in England, 1450- 1750’, ibid., p. 87-104. 6 P IERRE B OURDIEU , ‘L’illusion biographique’, Actes de la recherche en sciences sociales 62/ 63 (1986), p. 69-72, here at p. 70, as cited by C HRISTOF R OLKER , ‘Viele Namen, eine Identität? Namenwechsel und “biographische Illusion” in der Vormoderne’, paper delivered at the workshop „Namen und Identitäten im Mittelalter / Noms et identités au moyen âge“ (note 1). 111 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY nifier of continuity and the connection between past and future. The strict division between the various functions of the name parts is, however, less outspoken in premodern society. The only part of the individual’s name left open to (a broadly defined) ‘choice’ was, therefore, the given name. They were baptismal names, and as such fixed through an individual’s life, but in fact, here as well, individuals could receive various names at birth and not necessarily the first of these names was used throughout the life span. Moreover, as medieval townsmen tended to be mobile, people moved from one region to another and in this region of language frontier from one language to another. Names (wether given names, patronyms or surnames) were adapted in the course of this of migration process. In Bruges they were almost systematically changed to a Flemish (Dutch) version: hence the French Nicolas became Claeis, the Italian Giovanni or the French Jehan became Jan, etc. 7 Given names were bestowed according to specific patterns. As demonstrated in Christof Rolker’s contribution on godparents and naming, in general terms the name of the godfather (or godmother) was important in the name-giving process, especially so in North-western Europe as compared to Italy. 8 The names of grandparents had an important role, too. In the Bruges painter’s guild, master Peter (Petrus) Christus, who had a Holland origin and was, after the generation of Jan Van Eyck, among the leading painters in the city, had a son, Bastiaen (Sebastian), who became also a master in the guild of St Luke in 1476. In 1500 Bastiaen’s (oldest? ) son also became a master painter. He carried the name of his illustrious grandfather and was called Peter. In this way, as we shall demonstrate further on, he carried a name that was also very common among master’s children in the painter’s guild, but he could at the same time capitalize on the symbolic capital of his well-known grandfather. At the same time, however, Peter II Christus was also conforming to the traditional pattern of family continuity in name-giving. Although the phenomenon is less well documented in Western Europe, the name of parents and grand-parents as an element of continuity in the family lineage can also be noticed in the phenomenon of 7 M AGDA D EVOS , ‘Naamkunde’, in Hoe schrijf ik de geschiedenis van mijn gemeente. Deel 3b Hulpwetenschappen, ed. J AN A RT (Ghent, 1987), p. 215-77, here at p. 226ff. See also P ETER S TABEL , ‘De gewenste vreemdeling. Italiaanse kooplieden en stedelijke maatschappij in het laat-middeleeuws Brugge’, Jaarboek voor Middeleeuwse Geschiedenis 4 (2001), p. 189-221. 8 C HRISTOF R OLKER ‘Patenschaft und Namengebung im späten Mittelalter’, in this volume. 112 P ETER S TABEL the nom refait, whereby children get the name of a deceased parent (father or mother, brother or sister etc.). 9 In this period of high and, during murderous epidemics, even extremely high child mortality, such a phenomenon strengthened the presence of a very limited stock of names; at the same time, however, the practice of the nom refait made an automatic preponderance of specific names being given to the older children impossible. 10 In late medieval Flanders surnames were gradually stabilised in the course of the thirteenth and early fourteenth centuries and although surnames could still be changed relatively easily throughout the Early Modern Period - surnames were not formally fixed until the introduction of civil registeres in the wake of the French Revolution -, such changes became increasingly rare, usually in the context of ennoblement (when a the toponym of a seigniory could replace the traditional surname) or when a cognomen (nickname or epithet) replaced a more traditional (occupational, origin) or socially undesirable surname. 11 In Flanders names were fixed relatively early as compared to the northern Low Countries (Holland), where the system of patronyms without a surname was widespread well into the Early Modern Period. This late fixation of surnames was probably linked to a tradition in the bishopric of Utrecht. In the northern parts of late medieval Flanders that were formally part of the bishopric of Utrecht (more or less the actual region of Zeeuws-Vlaanderen in the province of Zeeland in the Netherlands), patronyms without a surname were still very much present in this period. 12 In most other parts of medieval Flanders (belonging to the dioceses of Cambrai, Tournai and Thérouanne), however, patronyms (in combination with surnames) tended to gradually disappear from particular contexts (the guild matriculation lists used in this contribution are such a 9 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , ‘Le nom “refait”. La transmission des prénoms à Florence (XIV e -XVI e siècles)’, L’homme. Revue française d’anthropologie 20 (1980), p. 77-104. 10 On mortality rates in the cities of the Low Countries: P ETER S TABEL , De kleine stad in Vlaanderen. Bevolkingsdynamiek en economische functies van de kleine en secundaire stedelijke centra in het Gentse kwartier (14de-16de eeuw) (Brussels, 1995) and E RIK T HOEN , Landbouwekonomie en bevolking in Vlaanderen gedurende de late middeleeuwen en het begin van de moderne tijd (Gent, 1988). 11 D EVOS , ‘Naamkunde’ (note 7). For example, the names of prostitutes G UY D UPONT , ‘Eene gheheeten Zwarte Mine bi den Rooden Hond. Naamgeving en identificatie in het Brugse prostitutiemilieu tijdens de late Middeleeuwen’, Taal en Tongval (Themanummer 17: Taalvariatie en groepsidentiteit, Gent, 2004), p. 30-63. 12 P ETER S TABEL , ‘Van schepenen en ontvangers. Politieke elite en stadsfinanciën in Axel en Hulst’, Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 18 (1992), p. 1-21 for the region of the Four Offices (towns of Axel and Hulst). 113 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY context), but were very tenacious in others (official deeds, parish registers etc.). To complicate matters even further, in some regions patronyms adopted the status of surnames and became fixed: independent from the name of the father, people were called Janszoon (Janssens), Peeterszoon (Peeters) etc. This was true in most regions of the Low Countries, but particularly so in the duchy of Brabant. 13 Since a couple of decades and the works by amongst others Jacques Dupâquier and Monique Bourin for France, Michael Bennet and John Postles for England and Christiane Klapisch-Zuber for Tuscany, 14 there is little doubt as to whether late medieval forenames are good indicators for the complex and long-term processes of the construction and reproduction of cultural, economic, social and political identities. This is also the case in one of the most densely urbanized parts of Europe, the core principalities of the Low Countries (Flanders, Brabant and Holland). Although research is still in its infancy and the studies that make up the bulk of anthroponomical research are linguistic, rather than historical, some clear development can already be noticed. Anthroponomical research has been used to trace high medieval migration patterns across the medieval regions of the Low Countries. As surnames were fixed at different stages in Flanders (12 th -13 th centuries), Brabant (13 th -14 th centuries) and Holland (as late as the Early Modern Period) names of origin and occupational surnames still indicate in these transitional periods shifts in both migration and economic patterns, more so because clear regional preferences for names of origin exist in some regions (Brabant, Interior Flanders) and not in others (Coastal Flanders). 15 Studies about naming practices are scarcer and tend to focus on earlier periods in the early and high Middle Ages. 16 They have pointed at the grow- 13 D EVOS , ‘Naamkunde’ (note 7), p. 251-2. 14 M ICHAEL B ENETT , ‘Spiritual kinship and the baptismal name in traditional European societies’, in Principalities, power and state, ed. L EIGHTON O. F RAPPEL (Adelaide, 1979), p. 1-13; C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , ‘Constitution et variations temporelles de stocks de prénoms’, in Le prénom. Mode et histoire. Entretiens de Malher 1980, ed. A LAIN B IDEAU , M ARIE - ELISABETH D UCREUX and J AQUES D UPÂQUIER (Recherches d’histoire et de sciences sociales 10, Paris, 1984); EADEM , ‘Parrains et filleuls. Etudes comparatives’, Medieval Prosopography 6 (1985), p. 51-77; and EADEM , La maison et le nom. Stratégies et rituels dans l’Italie de la Renaissance (EHESS, Civilisations et sociétés 81, Paris, 1990). 15 D EVOS , ‘Naamkunde’ (note 7), p. 235-6 16 R ÉGINE L E J AN , ‘Personal names and the transformation of kinship’, in Personal names studies of medieval Europe: social identity and family structures, ed. G EORGE B EECH 114 P ETER S TABEL ing importance of religion - and even of a centralized Christian ideology - affecting the popularity of forenames that were dominant before the twelfth and thirteenth centuries. Hence in this period Germanic forenames and the names of local saints start to disappear and make place for mainstream Christian saints (for example names of the Apostles for boys). The latter will remain dominant well into the twentieth century. The impact of the mendicant orders can probably be considered as the main catalyst for this process in this very urban society. Hence the very wide range of mostly Germanic but also of Latin, French and Greek forenames disappeared or their importance sharply declined and town dwellers increasingly limited the names to a relatively small stock of forenames. 17 Recently an exemplary research on thirteenth-century Flanders by historian Annelies Somers has dramatically improved our knowledge on this key period. She could point at specific patterns whereby religious and political variables influenced this dramatic change. Hence the dominance of particular saint’s names starts of in this period (John, Peter, Mary), but other patterns also emerge: that of political leadership (the names of famous crusaders in noble circles or the names of ruling princes), the periodical popularity of particular saints (oriental saints in the crusading era), the influence of new literary genres like the chansons de geste. But most of all clear social differences according to status, wealth and juridical position are already apparent (clergy - nobility - farmers) by the twelfth century, as do patterns of emulation and appropriation (wealthy farmers and townsman adopt a ‘noble’ pattern). 18 From the fourteenth-century onwards, our knowledge of name-giving becomes scattered and less consistent. It is only after the Council of Trent when parish registers become widespread, that historians have again paid attention to the phenomenon. Scholars agree that the dominance of mainstream saints becomes overwhelming in exactly this period and that a great and M ONIQUE B OURIN (Kalamazoo, 2002), p. 31-49; M AURICE G YSSELING and F RANS D E - BRABA DERE , ‘Vroegmiddeleeuwse persoonsnamen’, Naamkunde 31 (1999), p. 87-137; O DO L EYS , De persoonsnamen in de Westvlaamse oorkonden tot 1225 (unpublished Phd thesis, Leuven, 1954). 17 C ÉCILE T AVERNIER -V EREECKEN , Gentse naamkunde van circa 1000 tot 1253: een bijdrge tot de kennis van het oudste Middelnederlands (Bouwstoffen en studieën voor de geschiedenis en de lexicografie van het Nederlands 11, Brussels, 1968). See also M ARIE - T HÉRÈS M ORLET , Etude d’anthroponymie picarde. Les noms de personne en Haute Picardie aux XII e , XIII e , XIV e et XV e siècles (Paris, 1967). 18 A NNELIES S OMERS , ‘Voornaamgeving in het graafschap Vlaanderen in de twaalfde eeuw. Bevindingen van een ontmoeting tussen onomastiek en sociale geschiedenis’, Jaarboek voor Middeleeuwse Geschiedenis 10 (2007), p. 47-100. 115 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY continuity in forename-giving gradually becomes omnipresent across the social layers, yet few empirical studies have seized the minutiae of this gen eral pattern. 19 Amongst others, Christiane Klapisch-Zuber pointed at the impact of the mortality crises of the later Middle Ages, starting with the Black Death, which strengthened the continuity of forenames in particular families. Children received the names of their deceased family members as a symbolic guarantee of continuity and survival. More surprising is that despite a keen interest in the mostly political and cultural aspects of guild life, a survey of name-giving in the context of the urban corporate fabric is still missing, a small-scale study on the fifteenthcentury guilds of Ghent by Inge Schoups and Marc Boone in 1996 being the only exception. 20 In general most anthroponomical studies on the Low Countries focus on the social elites (noblemen and urban patriciate). This limited survey wants to bring forward new evidence on late medieval guildsmen in Bruges, more in particular on new guild masters. The Bruges data: a general survey This is not the place to elaborate on the essential structures of guilds in late medieval Bruges. 21 Let it suffice that guilds played a crucial role in the late medieval economy of Bruges. The city’s economy relied heavily on trade, industrial specialisation (luxury industries) and transport, and, in order to remain competitive, guilds were essential instruments of these economic processes. But guilds not only differed fundamentally from one city to another, even within the same city there were often staggering differences. The few examples that are documented of guild careers in urban manufac- 19 W ILFRIED B EELE , Bijdrage tot de studie van persoonsnamen uit het Ieperse in de XIII e en XIV e eeuw (Leuven, 1959); F RANS D EBRABANDERE , Kortrijkse persoonsnamen omstreeks 1400 (Leuven, 1958); IDEM , ‘Persoonsnamen in de Kortrijkse baljuwsrekeningen 1385-1400’, Handelingen van de Koninklijke Commissie voor Toponymie en dialectologie 72 (2000), p. 203-412; M AURICE G YSSELING and F RANS D EBRABANDERE , ‘Persoonsnamen in de Vier Ambachten 14de en 15de eeuw’, Handelingen van de koninklijke commissie voor toponymie en dialectologie 71 (1999), p. 295-588 and IDEM , ‘Vroegmiddeleeuwse persoonsnamen’, Naamkunde 31 (1999), p. 87-134. 20 M ARC B OONE and I NGE S CHOUPS , ‘Jan, Johan en alleman: voornaamgeving bij de Gentse ambachtslieden (14de-15de eeuw), symptoom van een groepsbewustzijn? ’, in Qui valet ingenio. Liber amicorum aangeboden aan dr. Johan Decavele, ed. J ORIS D E Z UT - TER , L EEN C HARLES and A NDRÉ C APITEYN (Ghent, 1996), p. 39-62, with an elaborate introduction on the state of our knowledge. 21 For more details: S TABEL , ‘Guilds’ (note 2), p. 187-212. 116 P ETER S TABEL ture and commercial exchange in the late medieval cities of the Low Countries clearly point to the fact that the guild system was not a monolithic system. Differences could result from economic organisation, political power, social polarisation and cultural prestige. Guild organised economies were capable of very flexible systems of production and exchange, a flexibility that was required by an international market and by the impact of mercantile capitalism. Guilds, therefore, were for a long time open institutions. Numbers of entries were relatively high, and entry fees relatively low. In an international economy, dominated by mercantile capitalism, which wanted to increase competition to keep production costs and wages low, such a system had to remain open. High geographical mobility further enhanced this very dynamic pattern of fragmentation. A lot of masters (and undoubtedly also many apprentices and journeymen) were coming from outside the city, and only a minority of newcomers in the guild (mostly master’s sons and people trained by close relatives) could rely on already established social networks to develop their economic and political strategies. Therefore, internal hierarchy and different social, economic and cultural backgrounds formed not only the essence of urban society as a whole, but also the backbone of the so-called closely knit social fabric within the guilds. For this survey, the surviving registers of matriculation of guild masters (usually preserved in the guild accounts) have been used. 22 These have been systematically preserved for the painter’s guild, the coopers, the bowyers and shoemakers and, if only fragmentary, for a few other guilds (weavers, goldsmiths, shoemakers etc.). Currently, most of these guild masters are being assembled in databases and the given names have been analysed. It should be noted that the databases do not allow any linguistic analysis: the names have been standardized at a very early stage and linguistic differences have been lost: so for the name of John all variations such as Hannekin (the diminutive usually pointing at a relatively young age), 23 Hannes, Johannes, etc. have all been listed as ‘Jan’. This does, however, not interfere with the historical analysis in this contribution. Names were not yet fixed 22 Stadsarchief Brugge and Rijksarchief Brugge, fonds Ambachten. 23 G UY D UPONT , ‘Van Copkin over Coppin naar Jacob. De relatie tussen de voornaamsvorm en de leeftijd van de naamdrager in het Middelnederlands op basis van administratieve bronnen voor het graafschap Vlaanderen, einde 14de-midden 16de eeuw’, Naamkunde 33 (2001), p. 111-220 and the discussion that followed with Wilfried Beele: W ILFRIED B EELE , ‘Nog eens van Copkin over Coppin naar Jacob’, Naamkunde 35 (2003), p. 213-24 and G UY D UPONT , ‘Een antwoord op Wilfried Beele of waarom er nog wetenschap mogelijk is na 1975’, Naamkunde 35 (2003-2004), p. 225-31. 117 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY administratively and the same individual could almost at random be addressed by different forms of the same name. At the moment about 3,800 names of new guild masters have been entered. 24 These are all male, as no women were found to be admitted directly as master in the Bruges industrial guilds. Women’s presence as guild members seems to be limited to retailing activities, while as a widow they could enter the guild as entrepreneur taking over the business of their deceased husbands. For comparative purpose I have analysed in this contribution the new masters in the guilds of the coopers and the painters separately. Both guilds performed a crucial role in the economic organisation of the city. Coopers were, of course, crucial to a mercantile city, because of the packaging requirements in a centre of regional and international trade. Moreover, Bruges performed a crucial role as a distributor for imported wine and beer in the Low Countries. 25 The painters, or rather the guild of St Luke, was a very heterogeneous cluster of luxury industries grouping together the panel painters, the canvas painters, mirror makers, glass makers, printers and saddle makers. 26 They had in common that they focused on niche markets for a wealthy clientele in both Bruges and Flanders itself, and abroad (Italy, Hanse, England etc.). They can easily represent a host of crafts that made up the luxury industry of Bruges which was geared towards export of fashion (dress, sleeves, purses, belts, hats, shoes, etc.) and arts and crafts (illuminated books, furniture, statues, bronze memorial slabs etc.). Therefore, the comparison between painters and coopers also allows bringing in social hierarchy, a guild with luxury specialists and one manufacturing mass produced commodities (barrels, casks, tubs). 24 When all matriculation lists of new masters in fifteenth-century Bruges will be included the stock of names will amount to ca. 7,000. 25 On the coopers: J EAN P IERRE S OSSON , ‘La structure sociale de la corporation médiévale. L’exemple des tonneliers de Bruges de 1350 à 1500’, Revue belge de Philologie et d’Histoire 44 (1966), p. 457-78. 26 J EAN P IERRE S OSSON , ‘Une approche des structures économiques d’un atelier d’art: la corporation des peintres et selliers de Bruges XV e -XVI e siècles’, Revue des Archéologues et Historiens de l’Art de Louvain 3 (1970), p. 91-100; IDEM , ‘A propos des aspects socio-économiques des métiers d’art aux anciens Pays-Bas méridionaux XIV e -XV e siècles’, Revue belge d’archéologie et d’histoire de l’Art 51 (1982), p. 17-25; P ETER S TABEL , Selling paintings in Late Medieval Bruges. Marketing customs and Guild Regulation compared, in Mapping markets for paintings in Europe, 1450-1750, ed. N EIL D E M ARCHI , M ARC B OONE and H ANS J. V AN M IEGROET (Turnhout, 2006), p. 90- 106 and IDEM , ‘Organisation corporative et production d’œuvres d’art à Bruges à la fin du Moyen Age et au début des Temps Modernes’, Le Moyen Age. Revue d’histoire et de philologie 113 (2007), p. 91-134. 118 P ETER S TABEL The preliminary data in the database allow assessing the popularity of specific forenames. 27 Very unsurprisingly the names of ‘generic’ saints appear most prominently, above all John with 21% of all Bruges guild masters. This comes as no surprise. The phenomenon is general all over Europe and even stronger in places with a special veneration for either John the Evangelist or John the Baptist. Bruges was such a city: the most important and wealthiest religious institution in town was undoubtedly St John’s hospital. But it was not a leading religious institution (parish church). The data on Ghent guilds collected by Marc Boone and Inge Schoups (more than 7,000 names, although assembled in a less homogenous database) reveal that John made up almost one third of all guild names. The main parish church in the city of almost 65,000 inhabitants was dedicated to St John. 28 The other popular first names in late medieval Bruges guilds follow already at a distance. Peter and James fluctuate around 8 and 9%, Cornelius, Anthony and William each only represent between 3 and 4% of the total stock. Hence the concentration is, exception made for the three first names John, Peter and James, relatively limited and we see a wide dispersion of a limited number of names. In the Ghent corpus, concentration is even higher as the names between second and seventh position fluctuate between 5% (William and Joseph) and 7-10% (Peter, Lieven, James and Giles); despite its size, the number of names in the Ghent database is equal to that in the smaller Bruges database. A stock of names from the Antwerp real estate and annuity transactions in the early 1490s reveals a similar pattern (only the men were counted in order to allow comparison with the Bruges and Ghent data): John (almost 29%) is followed only at a distance by a range of 27 In this contribution standardized English names have been used in the presentation of the data whenever possible. Dutch names without clear and known English equivalent were put in italics. The names most frequently used were: Jan (Jehan, Hannes, Joannes etc.) = John; Pieter (Petrus, Peeter etc.) = Peter; Jacob (Jacop, Coppin etc.) = James; Corneel (Cornelis, Nelis) = Cornelius; Antonis (Anthuenis, Theunis, Theun, etc.) = Anthony; Willem (Wim, Guilhem etc.) = William; Gillis = Giles; Adriaen = Adrian; Clais (Nicolas, Clasin, etc.) = Nicholas; Joris (Joorkin etc.) = George; Joos (Joseph, Jooskin etc.) = Joseph; Hendrik (Henderic, Henricus) = Henry; Michiel (Machiel) = Michael, Laureins (Lauwer, Lauwereins, Laurent etc.) = Laurence; Matheeus (Mathijs, Theeus, Thijs etc.) = Matthew; Andries (Dries) = Andrew; Geraerd (Geraert, Geraldus etc.) = Gerald; Pauwel (Paul) = Paul; Fransoys (Franck) = Francis; Arnoud(Arnout, Arent, Arnoldus) = Arnold; Diederik (Dieric) = Dirk. The other names are explained at first occurence. (Arnout, Arent, Arnoldus) = Arnold; Diederik (Dieric) = Dirk. The other names are explained at first occurence. 28 B OONE and S CHOUPS , ‘Jan, Johan en alleman’ (note 20), p. 51-3. 119 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY names between 5 and 9%. Although the database is constructed in a different way (it is not a list of unique names) and the list is more heterogeneous as it does not limit itself to guild masters, there are striking differences as to the stock of names in this rising Brabantine city (but only at a distance of 70 kilometers from Bruges and 45 from Ghent). As in the Flemish cities, Peter (8%), Cornelius (4.7%), William (4.6%), Nicholas (3.0%) and Adrian (3.4%) appear prominently, other names cone to the forefront (Henry 5.2%), while some generic Flemish names are clearly less popular in Antwerp (James, George etc.). 29 There are also substantial differences between the stock of names in Bruges and Ghent (which, need it be stressed, are only 35 kilometers apart). In Bruges no statistically important link between given names and urban patron saints can be made. The most important parishes in Bruges are either dedicated to Our Lady and Christ Saviour or they have generic saints (St James). The smaller parish churches are dedicated to either local female saints (Walburga) or to generic male saints (Donatian and Giles). In the 120 P ETER S TABEL 29 My gratitude goes to Tim Bisschops and the bachelor students of the department of history in Antwerp for this information. The database contains more than 15,000 (male) persons carrying in total some 300 different given names. forenames in the craft guilds of Bruges and Ghent The 20 most popular forenames in Bruges (late 14th-early 16th century) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 john peter james cornelius anthony william giles adrian nicholas george joseph henry michael laurence matthew andrew gerald paul francis arnold % Bruges Ghent ranking of names Giles is only seventh (in Ghent fifth) and the central place of James in name-giving is apparent all over the Low Countries. Ghent names on the other hand are clearly defined by the city’s religious, and according to Boone and Schoups even by the city’s political-religious framework. Hence the prominent place of Lieven (Livinius), one of the patron saints of the city and subject of an important and clearly politically inspired pilgrimage to the village of Sint-Lievens-Houtem in Ghent’s hinterland, is clearly influenced by a local pattern. Joseph (Joos) was an important name in some of the city’s prestigious guilds (in the first place the butchers). But, paradoxically, instead of the city’s particularism, the name became symbolic for the butcher’s guild’s, and by extension for the city’s loyalty to the rightful prince, the duke of Burgundy. 30 In Bruges no such analogy can be maintained. The most prestigious church in the city was undoubtedly the collegiate church of St Donatian (which was closely linked to comital power, the provost had been the county’s chancellor in the high middle ages). Yet in the Bruges database Donatian (Naes, Donaes) only takes up 0.6% of all masters (with a very weak concentration among the painter’s guild). We can safely conclude, therefore, that Bruges 30 B OONE and S CHOUPS , ‘Jan, Johan en alleman’ (note 20), p. 52-3 for Lieven and p. 50-1 for Joos. 121 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY forenames in the craft guilds of Bruges and Ghent The 20 most popular forenames in Bruges (late 14th-early 16th century) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 john peter james cornelius anthony william giles adrian nicholas george joseph henry michael laurence matthew andrew gerald paul francis arnold % Bruges Ghent names are more generic, they are more numerous and more evenly dispersed than in Ghent. If an ideological, either local religious or local political-religious filter is defining name-giving in Ghent, for Bruges this cannot be maintained at all. While little is known about the immigration in Ghent, it is likely that immigration to Bruges, an international commercial gateway of about 40,000 inhabitants and therefore smaller than the industrial city of Ghent in this period (65,000), is both more diversified and more highly skilled. Bruges immigrants are, therefore, probably coming from a wider immigration zone. 31 This can explain the more diversified pattern of names of skilled artisans and the weaker concentration of the most popular names. The distinction between painters (or rather the occupations organised in the guild of St Luke) and coopers correspond to the two extremes in the database. The first names of the painters (92 first names in a sample of 455 masters) are clearly more diverse and less concentrated than those of the coopers (89 names in a sample of almost 700 masters). The dominance of John is clearly less outspoken with 15%, compared to 25% among the coopers and there is a slight preference for exotic or foreign names. Surprisingly this does not correspond with the proportion of non-Bruges trained (immigrant) masters. These were even more numerous among the coopers than among the painters: more than 50% of all coopers were apprenticed outside the city of Bruges; among the painters, although figures are less definitive, this was only slightly more than one quarter. But in contrast to the coopers, foreign master painters were coming from further away and the proportion of masters coming from outside the county of Flanders was substantially higher. Hence a more diversified pattern of first names and a substantially lesser concentration can be explained by the migration pattern of both artisanal groups. 31 E RIK T HOEN , ‘Immigration to Bruges during the late middle ages’, in Le migrazioni in Europa secc. XIII-XVIII. Atti della venticinquesima settimana di studi, 3-8 maggio 1993, ed. S IMONETTA C AVACIOCCHI (Istituto internazionale di storia economica F. Datini Prato, Pubblicazioni. Serie 2: Atti delle settimane di studio e altri convegni 25, Florence, 1994), p. 453-91, P ETER S TABEL , Dwarfs among giants. The Flemish urban network in the late Middle Ages (Leuven, 1997), p. 127-34 and M ARC B OONE and P ETER S TABEL , ‘New burghers in the late medieval towns of Flanders and Brabant: conditions of entry, rules, reality’, in Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250-1550), ed. R AINER C HRISTOPH S CHWINGES (Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte 30, Berlin, 2002), p. 317-32. 122 P ETER S TABEL As was the case in the Ghent guilds (except for the hereditary butchers), no clear relation exists between the first name of guild masters and the guild’s patron saint. The painters have not substantially more Lukes in their ranks and no particular pattern can be traced for the Bruges coopers, who had a devotion to Our Lady in St James’s Church. Traditional patron saints of coopers in the cities of the Low Countries, like Joseph, John and Barnaby, are either generic names throughout the city (Joseph and John) or do almost not appear at all (Barnaby). 32 Not even among the master’s children who follow the footsteps of their father, a preference of the names of the patron saint could be traced. Guilds (and their religious dimension) as such were, therefore, no real providers of this type of associational identity markers. In the end, it is on the one hand the guild’s attraction to new immigrant masters that probably is responsible for the differences and on the other hand the economic and social status of the occupation that defines the economic and social status of its members. More highly skilled and middle class artisans in the painter’s guild carry different names from the poorer and less skilled coopers. The former are more attracted to the ‘exotic’ and are open to new first names that start to appear in the late fifteenth century, amongst 123 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY 32 J EAN -J ACQUES H EIRWEGH and J EAN -L OUIS V AN B ELLE , Les saints patrons des métiers en Belgique (Brussels, 1991). See also A NDREW B ROWN , Civic ceremony and religion in Bruges, c. 1300-1520 (Cambridge, [forthcoming]) The most popular Bruges names in the guilds of St.Luke and the coopers (late 14th-early 16th century) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 john peter james cornelius anthony william giles adrian nicholas george joseph % painters coopers others under the influence of ‘civic humanis’, the latter are much more conforming to the normal stock of names (John! ) and adopt innovation more hesitantly and at a much slower rate. The Bruges data: guildsmen, foreigners and masters’ children Because of differential entry fees, the Bruges matriculation lists of new masters allow to make a distinction between master’s sons, masters who had been apprenticed in Bruges (and which mostly had a Bruges background) and masters apprenticed elsewhere (who most of the time were immigrants who arrived in Bruges either as a journeyman in order to become master afterwards or, most often, came to Bruges to become master in a guild). 33 Hence second and sometimes even third generation masters could be identified. In the painter’s guild surprising differences between these three categories appear. The masters coming from the city itself (24.3% of all masters with 35% unknown) seem to conform more to the general trends in Bruges (corporate) society. The name of John is much more widespread (22% of all masters), but surprisingly James appears much less frequently (despite James being one of the main patron saints in the city, notably in the relatively well-off St James’s quarter where many of the painters lived), while Giles, Cornelius, Joos and William are clearly more popular. Among the sons of masters (16.6% of all masters), John takes up only 15% of all names, a percentage very similar to the ‘foreigners’ in the guild (23.5% of all masters). In particular Peter, James and Anthony were very popular among masters’ sons, as was Francis (a name that is otherwise uncommon). Giles and Joseph, relatively popular names in Bruges, do not appear at all among masters’ sons and Cornelius, another popular name, is very uncommon. The differences between the master’s sons and the masters apprenticed in Bruges are, therefore, remarkably clear. Where Bruges masters conform to the city’s profile of given names, the painters’ masters’ sons are clearly distinct from this pattern. The occupational profile has, therefore, become an identity marker within the profession (but not the obvious patron saint’s name). Of course, the names that appear in the list are subject to coincidence as mortality rates among children in late medieval cities tended to be high and succession to the business was not always the prerogative of the oldest son. 124 P ETER S TABEL 33 P ETER S TABEL , ‘Social mobility and apprenticeship in late medieval Flanders’, in Learning on the shop floor (note 1), p. 158-78. If the data for the painter’s guild are not always clear as to the origin of the master, those for the coopers guild allow much better a differentiation between masters’ sons, foreigners and Bruges apprenticed masters. In the coopers guild 23.9% were apprenticed in Bruges, 22.9% were masters’ sons, while 53.1% were apprenticed elsewhere. Differences between the three categories are much less outspoken than for the painters. John is clearly dominant in all three groups, with a slight preference among masters’ sons (27.3%). The Bruges apprenticed masters conform, therefore (as they did in the painters guild) very well to the general dispersion of names, with a slight preference for Peter and Anthony. What is striking about this group is that the names cluster much more than the other two groups around the traditional limited stock of first names. Very few first names stand out. The sons of masters follow a similar pattern, although very few Peters, Williams and Josephs are listed, while George, Giles and above all Cornelius were more popular than average. The pattern among immigrant masters - more than half of the total group - is, in contrast to the painters guild, very much like the general Bruges pattern. Some first names are more popular: among these very prominently William, a name that was very common among immigrants from Holland and many of these were cooper. Other frequent names, popular among immigrant coopers, were Govert (Holland), Charles and Philip (France? ). First names are not stable through time. Even in the late Middle Ages clear shifts occurred. In the painter’s guild, the dominance of John was still very outspoken in the third quarter of the fifteenth century, and it gradually diminishes across time to a mere 13% after 1500. The same goes for other ‘medieval’ names: Cornelius, George, Michael, William and Henry almost disappear from the list of masters in the course of the late fifteenth and early sixteenth centuries. Other names demonstrate a more cyclical pattern: James, Adrian and Louis (Lodewijk, Loy, Loys). But there are also clear winners. Peter even competes with John in the first quarter of the sixteenth century and names like Anthony, Charles (the name of the ruling prince in this period), Gerald, Dirk, Francis and Arnold become more numerous. Sometimes, a name, that had been popular a long time ago returns: Arnold had been very numerous in the thirteenth century. Striking among the painters is also the appearance of ‘humanistic’ names in the late fifteenth century and onwards (Ambrosius from the Italian Ambrogio, Lanseloot, Maximilian etc.), a phenomenon that is very rare among other occupational groups. In the coopers guild the same pattern of popularity of names appears. Again John loses across time. It was dominant in Bruges, in the way it was in industrial Ghent, in the late fourteenth century and early fifteenth centuries (more than 30%! ), but throughout the fifteenth century its importance 125 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY decreases to a mere 16%, even less than among the painters. Here as well ‘medieval’ names start to lose their appeal: George drops from almost 9% around 1400 to 1% around 1500 and both new and disappeared old names become more popular in the course of the century. But these names are not the same as in the painters guild: Cornelius wins in the coopers guild while it almost disappears among the painters. As a whole, apart from the lesser importance of John, the coopers represent a much more stable pattern in the long run, however with marked cyclical developments. Peter is the best example. Among the painters this first name gained ground and almost competed around 1500 with John. Nothing of the kind among coopers, where Peter starts its ascent towards the 1470s, but the popularity of the name crumbles down in the last part of the 15 th century. It is striking also that modern ‘humanistic’ names seldom appear among coopers, although occasionally some names in the late fifteenth century were those of Old Testament-heroes (e.g. Salomon). 34 126 P ETER S TABEL 34 For the relationship between family and Humanism, see J OANNE M. F ERRARO , ‘Family and clan in the Renaissance world’, in A companion to the worlds of the Renaissance, ed. G UIDO R UGGIERO (Malden and Oxford, 2007), p. 173-87 and the literature cited there. forenames in the guild of Saint Luke (middle 15th - early 16th century) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 john peter james cornelius adrian anthony william giles joseph francis dirk % total apprentices master's sons foreigners 127 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY These chronological changes can be further documented through a scrutiny of disappearing names within the guild. The name of a master’s son can be compared with the status of his father (foreign, Bruges apprenticed or son of a master himself). We have already demonstrated that the stock of names depends upon status, but this analysis was general rather than family-specific. Looking at trajectories of families may help to clarify which names disappear across generations and which remain. It is, of course, the less popular first names that are likely to disappear. Among the painters from non-Bruges origin it is mostly the foreign names which are not continued. Albert, Simon, Arnold, Martin, Walter, Gilbert, Hugh and even Charles and Louis were uncommon names in Bruges and master painter’s sons rarely carry such a name. The same holds true for the sons of foreign coopers in the coopers guild. The case of William has already been mentioned. These were often immigrant coopers from Holland-Zeeland. The second generation, however, rarely takes over this name and conforms much more to the traditional Bruges stock of names. The same applies to Henry (English or French? ), Joseph, Thomas, Mathew etc. Second generation coopers are much more likely to be called John, Peter and James. . forenames in the coopers' guild (1375-1500) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 john james peter anthony cornelius nicholas william giles george joseph adrian % total apprentices master's sons foreigners Although only indicative because of various methodological problems, second generation coopers from foreign origin are likely to change their stock of names. Continuity only happens when the immigrant already has a first name that is common in Bruges: of the fifteen cases where a son carries his father’s name, in more than half the cases the name was John. When the original foreign name was abandoned in the second generation, one quarter took on the name of John and another quarter was called James. A similar exercise for masters’ sons reveals a very different pattern: continuity was stronger (the local second generation coopers more often carried their fathers’ name) but the dominance of John was less and, when there was a change, it was often a less common name that was taken on (Cornelius, Anthony and even the Dutch sounding name of William). It is very likely, although at this stage still needing additional empirical evidence, that foreigners tried to conform to Bruges society whenever they could and that sons of established masters were socially less required to do so. They could stand out, because in contrast to newcomer’s sons their social and symbolic capital was already well rooted in Bruges society. 128 P ETER S TABEL frequency of cooper's forenames 1375-1500 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 john james george giles peter wiliam niholas joseph cornelius anthony adrian 1375-1400 1401-1425 1426-1450 1451-1475 1476-1500 129 P ERSONAL AND COLLECTIVE IDENTITY disappearing forenames (among second generation masters): Saint Luke 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 arnold simon albert stephen martin robert wouter ghelaude gilbert hugh christian roger vincent baltesar colin charles lodewijk % of total stock of namesl disappearing forenames (coopers) 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 william joseph henry thomas matthew arnold victor zegher francis philip colin stephen charles govaert oliver amand casin gilbert herman lodewijk robert triestram % Conclusions Any conclusions from this exercise must at this stage of research still be very cautious. The given names of guild masters in late medieval Bruges nonetheless point at specific patterns of name-giving, which involve processes of social and occupational distinction, but also address the specific social position both of newcomers to urban society and urban labour markets and people already well established in the social, economic and cultural networks of the city. Identity construction, as it appears through patterns of name-giving, is a layered and complex social and cultural process. Patterns seem to be influenced only very partially by obvious identity markers linked to guild life. The names of patron saints do not appear at all or are only of marginal importance even for second and third generation masters in the same guild. This does not mean, however, that name-giving was not influenced at all by the corporate organisation of the city. But this influence seems to be linked to both the social status of the guild involved (prestige and skill, innovative and intellectual scope, luxury or massproduced goods) and perhaps most of all to the social and geographic origin of masters. Foreign masters or masters apprenticed in Bruges and even masters’ sons displayed distinct naming patterns. Moreover, once established, second or third generation immigrants tried to conform to the traditional name-stock in the guild and the city. Local sons of masters, on the contrary, were able to diverge more from this traditional name-stock, certainly in those guilds linked to high added value like the crafts assembled in the guild of St Luke. 130 P ETER S TABEL Ashamed of their very English names? Identity and the use of Irish names by the English of late medieval Ireland The English invasion of Ireland in the late twelfth century led to the creation of a community of English settlers which, within a few generations, extended over much of the east and south of the island, as well as into parts of Ulster and Connacht. Many of these were descendants of the original invading force, although there were occasional influxes of new settlers from Britain, particularly in the thirteenth century. By the late Middle Ages these settlers had been in the country for centuries, and had begun to forge their own unique identity, shaped by their English ancestry but also by their relationship with the Gaelic Irish and their position as a frontier community. 1 The English of late medieval Ireland contended with the many challenges that often face colonial societies: they strove to maintain a strong cultural link with their mother country and, at the same time, keep their distance from the native Irish society which surrounded them. However, their position, at least in the fifteenth century, an isolated community largely neglected by the English crown, necessitated some level of accommodation with the native Gaelic Irish population. Practices such as intermarriage and fosterage, an Irish custom in which allied families brought each other’s children into their households and raised them, accelerated this assimilation. The Gaelic Irish were likewise affected by their proximity to, and interaction with, the English. The cultural exchange between the two communities is evident in language, literary forms, clothing, and even hairstyles, as well as a myriad of other areas. Personal names are one of the most striking of these areas, and each culture borrowed the other’s names and naming customs, although not to the same extent. Although recent scholarship has addressed the use of English names by the native Irish, 2 the parallel phenomenon that S PARKY B OOKER 1 See J AMES L YDON , ‘The Middle Nation’, in The English in medieval Ireland: proceedings of the first joint meeting of the Royal Irish Academy and the British Academy (Dublin, 1982), p. 1-26, and A RT C OSGROVE , ‘Hiberniores ipsis hibernis’, in Studies in Irish history, ed. A RT C OSGROVE and D ONAL M C C ARTNEY (Dublin, 1979), p. 1-14. 2 See particularly B RIAN Ó C ÚIV , ‘Personal names as an indicator of relations between native Irish and settlers in the Viking period’, in Settlement and society in medieval Ireland: Studies presented to F.X. Martin, ed. J OHN B RADLEY (Kilkenny, 1988), 79-88 and F REYA V ERSTRATEN , ‘Naming practices among the Irish secular nobility in the high middle ages’, Journal of Medieval History, 32 (2006), 43-53. 131 occurred among the English of Ireland has been less fully explored. In the early seventeenth century Sir John Davies wrote that the English of Ireland ‘did not onely forget the English language and scorn the use thereof, but grew to be ashamed of their very English names […] and took Irish Sirnames and Nick-names’. 3 However, more recent commentators have argued the opposite. William Smyth writes that ‘these descendants of the Anglo-Normans may have borrowed freely when it came to matters of poetry, song, music and indeed language; they certainly yielded very little symbolic territory in their use of Christian first names’. 4 Brian Ó Cúiv and Freya Verstraten have both asserted that the English of Ireland largely rejected Irish names, to a suprising extent, Ó Cúiv argues, given the level of interaction between the two peoples. 5 However, while the Irish did undoubtedly display a greater willingness to use the names of their purported enemies, the English, it was not by any means a one-way street. Even in the area of the colony most firmly under English control, there was consistently a small subset of the English population that used Gaelic Irish nicknames, given names, and even surnames. Names are, as famously posited by Pierre Bordieu, ‘symbolic capital’. 6 They are markers of familial, communal and even ethnic belonging, and as such are highly charged with symbolic power. In his discussion of names in Ireland in the seventeenth century, William Smyth has noted that ‘names are more than neutral markers in the landscape-they are made and held by people so as to order their world and create a symbolic universe.’ 7 It is, then, very intriguing that the English of Ireland and their fellow islanders, the native Irish, were willing to use the names of their avowed enemies. This chapter will explore the use of Irish names among the English of Ireland, 3 J OHN D AVIES , A Discovery of the True Causes why Ireland was never entirely subdued (1612), ed. J OHN B ARRY (Dublin, 1969), here at p. 182. 4 W ILLIAM J. S MYTH , ‘Excavating, mapping and interrogating ancestral terrains: towards a cultural geography of first names and second names in Ireland’, in Surveying Ireland’s past: multidisciplinary essays in honour of Anngret Simms, ed. H OWARD B. C LARKE , J ACINTA P RUNTY and M ARK H ENNESSY (Dublin, 2004), p. 243-80, here at p. 247. 5 Ó C ÚIV , ‘Personal names’ (note 2), p. 86. 6 Bordieu’s theories have been influential in the study of medieval names. He rejects the idea that names are simply a way to designate individuals and rather argues that names have deep symbolic meaning and significance. P IERRE B ORDIEU , Language and symbolic power, trans. G INO R AYMOND and M ATTHEW A DAMSON (Cambridge, 1991), esp. p. 105. 7 S MYTH , ‘Excavating’ (note 4), p. 244. 132 S PARKY B OOKER and assess the frequency and nature of this practice in the Anglicised area of counties Dublin, Meath, Kildare and Louth in the fifteenth century. This region, which late in the century came to be called ‘the Pale’, remained largely under the control of the English crown and its representatives in Ireland, and displays less evidence of Gaelicisation --that is, the adoption of Gaelic Irish customs, language and culture - than other parts of the colony. Any study of medieval names presents a variety of methodological challenges and the case of Ireland is no different. 8 Names were inconsistently spelled and ethnic identification can be very uncertain. In this paper I will be identifying surnames as either Norman/ English or Gaelic Irish, as it is the dynamic between these groups with which I am concerned, and in any case, they comprised the vast majority of the population. However, there were certainly other types of names present in the naming stock of late medieval Ireland. Many of these were native Welsh names, as there was a significant Welsh presence in late medieval Ireland, but there were also some Jewish or Dutch names, found in Dublin, and likely belonging to merchants. Most notably, there was a small but significant minority of Norse surnames which appear in the sources, such as Thunder, Sparks, and Woder, which are all found in Dublin city records. 9 It is likely that those bearing these Norse surnames had in any case assimilated into the either the Irish or English population in Ireland, and had by the fifteenth century long since ceased to comprise a distinct community. Although Irish names often bore the recognisable ‘Mac’ prefix, meaning ‘son of’, or ‘O’, from the Gaelic Ua, meaning grandson or descendant of, this 8 Matthew Hammond’s critique that ‘the practice of using personal names as evidence of ethnicity does not hold up to close scrutiny’ is not entirely accurate; in any case, in practice, he applies this critique only to given names. When discussing ethnicity, names, surnames in particular, are often the best evidence we have. Still, it is useful to bear in mind that personal names are not always neatly correlated to ethnicity, as, for example, many bearing English surnames may have had Irish mothers. See M ATTHEW H AMMOND , A prosopographical analysis of society in east central Scotland, circa 1100 to 1260, with special reference to ethnicity (unpublished Ph.D thesis, University of Glasgow, 2005). 9 There were also Norse names which bore the influence of Gaelic naming forms, like the prominent Dublin family the MacTurcaills, whose family name combines the Irish ‘Mac’ patronymic with a Norse given name. This evidence of cultural exchange between the Norse and the native Irish provides an interesting parallel to the later process of assimilation between the second wave of invaders, the English, and the Gaelic Irish. 133 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? was not always the case. Moreover, some surnames, such as Logan 10 , Dunn 11 and Nolan 12 , all of which appear regularly in the sources from the period, have both Irish and English or Norman provenance. Determining the ethnicity of an individual bearing such a surname is accordingly very difficult in the absence of additional information or contextual evidence. The situation can be further confused by the fact that individuals did not always use the same name and might have various nicknames or forms of their name. Some of these variations are usefully preserved in the sources, as with one Richard Kyardy alias McYnkyare mentioned as a witness in a deposition about the marriage of a county Louth couple in 1492. 13 In this instance we can see the loss of the Gaelic patronymic ‘M[a]c’ prefix from the surname; it is a graphic illustration of how some Irish names were Anglicised and also how unstable the spelling of names could be. Surnames are naturally more useful than given names in determining ethnicity, as they are routinely passed down generation by generation through families. It is clear that it is not only our ignorance or the limitations presented by the surviving sources that render some surnames difficult to securely identify; the English of Ireland contended with precisely the same problem. An inquisition in Drogheda in 1384 was convened to decide whether Adam Nores was of the Irish or English nation. Thirteen men were required to clear up the issue and they decided in Adam’s favour; that is, they determined he was of English blood. 14 In Trim in 1465 Richard Kevenok, vicar of 10 This name spelling is used for both ‘Ó Leocháin’ a Westmeath family and for de Logan, an Anglo-Norman name in existence by the twelfth century which perhaps was used for those associated with Logan in Scotland. The Irish version tends often to keep the ‘h’, thus Loghan, while the Norman is generally Logan, but given the inconsistency of scribal spelling this is not a reliable indicator of ethnicity. E DWARD M ACLYSAGHT , The surnames of Ireland (Shannon, 1969), p. 197. 11 This can be the Irish Ó Duinn or the English Dunn, both meaning ‘brown’. See M AC - LYSAGHT , Surnames (note 10), p. 93 and P ATRICK H ANKS and F LAVIA H ODGES , A dictionary of surnames (Oxford, 1988), p. 157. 12 Nolan can be Ó Nualláin, the name of a Carlow Irish family or de Nolan, a Norman name still current among French Canadians: M ACLYSAGHT , Surnames (note 10), p. 237. 13 The register of Octavian de Palatio, Archbishop of Armagh 1478-1513, ed. M ARIO A L - BERTO S UGHI (Dublin, 1999), p. 129. 14 Dowdall deeds, ed. C HARLES M ACNEILL and J.A. O TWAY -R UTHVEN (Dublin, 1960), p. 290. This is probably le Norreys or Norreys, a surname which Seán Duffy has argued is a locational English name referring to an individual from Norwich. It was found in the Louth and Dublin area from at least the early fourteenth century as one Richard Norreys was a witness to a land transaction in Dublin in 1313. See S EÁN D UFFY , ‘Henry 134 S PARKY B OOKER Lusk, encountered similar difficulty, when he was accused of being Irish. 15 His name sounds similar to the Gaelic names ‘Kavanagh’ from Caomhánach or Keavany from Ó Géibheannaigh ,which may be one reason he was thought to be Irish. 16 However, whether correctly or incorrectly, he was eventually found to be of English blood. Another such deposition is included in the register of Octavian del Palatio, Archbishop of Armagh, in 1516 and it dealt very explicitly with the contemporary confusion about the origin of certain surnames. It found that ‘Richard Lynane, rector of Mychelistown’ was the son of ‘William Lynam, and not Lynnane nor Leannane or Leannachan’ and was thus an Englishman. 17 The scribe of del Palatio’s register, who, from his spelling of these Gaelic names seems to be well acquainted with the Irish language, seems to have three distinct Irish names in mind, all of which sound something like Lynane. ‘Lynnane’ is probably Ó Linneáin, Leannane, Ó Leannáin, from which the modern surname Lennon comes, and ‘Leannachan’ is very close in spelling to Ó Leannacháin, modern Lenihan. These three inquests into the ethnicity of these individuals demonstrate how deeply the English of Ireland cared about their English identity and descent, and about the legal status it bestowed; even after centuries of living in Ireland, they were willing to undertake court cases in order to prove their ancestry. 18 Despite these various difficulties, a study of naming can be illuminating. Given a large enough sample of names, it is possible to discern trends in naming practices, and cultural exchange is very evident. A single, or even II and England’s insular neighbours’, in Henry II: new interpretation, ed. Christopher H ARPER -B ILL and N ICHOLAS V INCENT (Woodbridge, Suffolk, 2007), p. 129-53. 15 Statute Rolls of Ireland: Edward IV, ed. H ENRY F. B ERRY (2 vols., Dublin, 1914), vol. 1, p. 1377. 16 M ACLYSAGHT , Surnames (note 10), p. 170 and 172. 17 Register of Octavian de Palatio (note 13), p. 31. Lyneham is, according to H ANKS / H ODGES , Dictionary (note 11), p. 337, a habitation name from Southern England, and if Richard Lynane was indeed English, this is likely his true surname. 18 The belief in the importance of ancestry and blood permeates colonial sources in this period. There was, in the late middle ages, a growing focus on national identity and character which may have coloured English ideas about the Irish. A comment about one Laurence Obogan, sub-constable of Ballymore (Ballymore Eustace, co. Kildare) found in the legislation of the Irish parliament in 1467 illustrates this mindset. It states that ‘Laurence Obogan […]-an Irishmen and of the Irish nation, on the side of his father and mother, who by the nature of blood betrays the secrets of Englishmen’ must be removed from his post and replaced by an Englishman. Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 1, p. 585. 135 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? several mistakenly identified names, would not negate the study´s larger conclusions. Hopefully, such mistakes can be avoided as much as possible by using corroborating evidence from the sources and obvious contextual indicators to help interpret these occasionally cryptic names. By the fifteenth century, legislation had been passed against Irish names being adopted by the English. This was part and parcel of a larger program to prevent colonists from acculturating, and enactments were passed against the English of Ireland wearing Irish-style clothing and moustaches in 1447, 19 or riding in the Irish fashion, without saddles, in 1498. 20 In 1366 the Irish Parliament alleged that ‘many English of the said land, forsaking the English language, manners, mode of riding, laws and usages, live and govern themselves according to the manners, fashion, and language of the Irish enemies’. To combat this, they ordained that ‘every English man do use the English language, and be named by an English name, leaving off entirely the manner of naming used by the Irish’, 21 thus singling out naming as one major aspect of the campaign to protect English culture in Ireland. 22 The English of Ireland and Irish Nicknames This legislation was presented as a response to Englishmen taking Irish names, and clearly this practice did exist in the fourteenth century, but if anything, it increased rather than decreased in the century and half after 1366. It was always a minority practice, but it can nevertheless be found in many documents throughout the century. The adoption of Irish nicknames was the most widespread way in which Englishmen used Irish naming customs. Significantly, all of the nicknames mentioned below appear in governmental and ecclesiastical records generated in the English colony rather than in Gaelic sources, implying that these nicknames were used in English circles and most likely by the individuals themselves. ‘Walter Ryagh Cruys’, ‘Remon Carragh Cruys’ and ‘Shan Boy Sprynghan’ were included among a 19 Statute Rolls of Ireland: Henry VI, ed. H ENRY F. B ERRY (London, 1910), p. 89. 20 D AVID B. Q UINN , ‘The bills and statutes of the Irish Parliaments of Henry VII and Henry VIII’, Analecta Hibernica 10 (1941), p. 71-169, here at p. 96. 21 Statute Rolls of the Parliaments of Ireland: King John to Henry V, ed. J AMES F. M OR - RISEY (Dublin, 1939), p. 435. 22 For more on Gaelicisation and the identity of the English of Ireland in this period, see the influential work by L YDON , ‘Middle Nation’ (note 1), passim. See also the work of S TEVEN E LLIS , particularly ‘More Irish than the Irish themselves’: the “Anglo-Irish” in Tudor Ireland’, History Ireland 7.1 (1999), p. 22-6. 136 S PARKY B OOKER list of lawbreakers from Meath published by the Irish Parliament in 1447. 23 These display the use of a Gaelic descriptive nickname placed in between the first and surname, as was the Irish custom, paired with English surnames. The Cruise or Cruys family were a North Dublin English family; Ryagh is likely a spelling of the Irish word riabhach meaning ‘swarthy’, and Carragh is carrach meaning ‘scabby’. Sprynghan is probably a spelling of the English name Springham and Boy is buadh, a common Irish nickname meaning ‘yellow’ or ‘blond’. Sprynghan also bears the given name Seán, which is a Gaelicised version of the English/ European name John. The nickname Carragh appears again in 1465 when ‘Thomas Carragh Ketyng’ features on a list of wrongdoers directed by the Irish Parliament to surrender at Dublin castle. 24 ‘Ketyng’ is Keating, a family who were ‘one of the earliest of the hibernicised Anglo-Norman families, whose name was Gaelicised Céitinn’. 25 ‘Thomas Ballagh Hammond’ is also on this list, as the brother of one Morice Hamond, who was asked to account for his crimes. This nickname is ballach and was also common among the Irish, meaning pockmarked or spotted. Hammond is a name which had long existed in Dublin as a Norse given name, as with Hamund Mac Torcaill, whose land in Dublin was granted to the cathedral of the holy Trinity in 1174. 26 As a surname however, evidence suggests it was more commonly an English name, though ultimately from the same Norse root. 27 Also on this list were ‘Richard McShan Bermyngham, gentleman’ and ‘Meiler McHenry Ketyng’, two Englishmen who bore the patronymic nicknames or middle names, rather than the more usual descriptive ones. McShan comes from Mac Sheáin, meaning ‘son of John’ and McHenry means ‘son of Henry’. The use of third names, or middle names, in this form can be treated as largely an adopted Irish custom, as it was far more common among the Irish than the English. These patronymics are, moreover, expressed with the Gaelic ‘Mc’ patronymic form. 23 Statute Rolls: Henry VI (note 19), p. 103. 24 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 1, p. 287. 25 M ACLYSAGHT , Surnames (note 10), p. 171. Although it is more commonly thought to be an English name, and I believe it is here, H ANKS / H ODGES , Dictionary (note 11), p. 291, suggest Keating could also be the Anglicisation of the Irish name Ó Céatfhadha. 26 M YLES V. R ONAN , ‘St. Patrick’s staff and Christ Church’, in Medieval Dublin: the living city, ed. H OWARD C LARKE (Dublin, 1990), p. 121-9, p. 127. 27 Walter Hamund and John Hamund, for example, are witnesses to a ca. 1260 Dublin charter in the predominantly English witness lists found in The Register of the Hospital of St. John the Baptist, ed. E RIC S T . J OHN B ROOKS (Dublin, 1936), p. 157. 137 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? The Cruise family appears again in 1465, in the person of ‘Jak Bane Cruys’, whose heir, Walter Cruys of Morgallion was forgiven his treason in that year, and his attainder retracted. 28 This epithet means white, from the Irish bán. In 1472 ‘Gerrot Bakagh Shanesson’, ‘Thomas Ballaghe Feypow of Hosknestown (Hiskinstown, Westmeath)’, ‘Morice Oge [Fitzgerald]’, and ‘William oge [Fitzgerald]’ were all accused of crimes by the Parliament held that year in Naas. 29 These men were members of the large and influential Fitzgerald family, whose head was the earl of Kildare. The earl was at that time the lord deputy of Ireland, the English king’s representative in the colony. Their shared nickname ‘oge’ from the Irish Óg meaning ‘young’ or ‘junior’, was extremely prevalent among the Gaelic Irish. Feypow’s nickname was the previously noted ballach and his surname is that of an English family, long established and very influential in the Meath area. 30 ‘Gerrot Bakagh Shanesson’ is the most interesting of these names. The given name Gerrot is a form of ‘Gerald’ used in Ireland, often by the aforementioned Fitzgerald family, a cadet branch of which this individual was probably a member. The Irish nickname ‘Bakagh’ is probably bacach meaning ‘lame’, another descriptive epithet, while the surname combines the English/ Irish hybrid Seán with the English patronymic form ‘-son’. The Norman form of this name would be FitzJohn. Each part of this mixed, hybrid name bears the marks of Gaelic influence on English naming conventions. A member of the Dalton family, a famously Gaelicised Westmeath lineage, used this bacach nickname early in the century. Richard Dalton must have died by 1402-3, at which point William Darditz was given leave to marry his widow, a Gaelic Irish woman named Matilda. The spelling of Dalton’s nickname is irregular, as is much of the spelling of names in this period, but he is described as both Richard Batagh Dalton and Richard Bagagh Dalton both suggest the bacach moniker. 31 Gerald Bacagh, son to Shane FitzThomas also bears this same, popular nickname bacach in a 1475-6 Par- 28 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 1, p. 411. 29 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 2, p. 125. 30 The founder of the Irish branch of this family was Adam de Feypo, a supporter of Hugh de Lacy, who came to Ireland in the late twelfth century. See A RLENE H OGAN , The Priory of Llanthony Prima and Secunda in Ireland, 1172-1541 (Dublin, 2008), p. 51. 31 This instance highlights the possible connection between marriage and cultural exchange in late medieval Ireland, as it is likely that in many cases, such inter-ethnic marriages went hand in hand with the adoption of Gaelic customs. See Rotulorum patentium et clausarum cancellariae Hiberniae calendarium, ed. E DWARD T RESHAM (Dublin, 1828), p. 167 and 172. 138 S PARKY B OOKER liament record when he is called to answer for his misdeeds in Meath. 32 This FitzThomas appears in a list of misbehaving FitzGeralds, and so he is probably one of the FitzThomases of that family, and part of that lineage to which the earls of Desmond belonged. According to the great Irish surnames expert, Edward MacLysaght, this name was used occasionally as a last name among some branches of the FitzGeralds, but it never achieved permanence as a surname. 33 Morice Oge, another FitzThomas, and James oge Gernon also appear on this 1475-6 list with the moniker meaning ‘young’. The Gernons were a long established settler family whose ancestors had come to Ireland soon after the initial English invasion, likely in the company of the powerful magnate Hugh de Lacy, and settled in county Louth. 34 ‘Shane Ballowe McGerrot, idlemen’ is also on this list, with a Gaelicised given name, the previously mentioned nickname ballach meaning spotted or pockmarked, and a patronymic in an Irish form. The English form of this surname would be FitzGerald. The English of Ireland and Irish Surnames The adoption of Irish given names and surnames by the English of Ireland ws less common. This is readily understandable; surnames do of course change, but they do so with less readiness or frequency than first or nicknames as they are generally passed down through the generations. The English of late medieval Ireland were moreover a very historically aware group, deeply proud of their ancestors who had affected the initial conquest of Ireland. 35 Most of them would be unlikely to jettison names with prestigious familial associations. 36 This was all the more unappealing an option in the face of growing English prejudice against the Irish in the fourteenth and fifteenth centuries - an English name, especially an aristocratic and ancient 32 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 2, p. 261. 33 M ACLYSAGHT , Surnames (note 10), p. 285. 34 B RENDAN S MITH , Colonisation and conquest in medieval Ireland: the English in Louth, 1170-1330 (Cambridge, 1999), p. 48. 35 Several historians have noted this attachment of the English of Ireland to their history. See R OBIN F RAME , ‘“Les Engleys nées en Irlande”: the English political identity in medieval Ireland’, Transactions of the Royal Historical Society, sixth series, 3 (1993), p. 83-104, 101. 36 Many of the names borne by the English of Ireland were noble ones, making them all the more unlikely to abandon them in favour of names not associated with English/ Norman nobility. 139 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? one, was an important weapon in the battle against the scorn of the English of England. 37 Legislation of the Irish parliament displays a concern within the community to maintain its Englishness in many aspects, naming not least among them. All of these factors ensured that few of the English of Ireland in the four counties under discussion took Irish surnames or surname forms; a handful, however, did so. It is necessary to note here that many surnames with an Irish appearance that were used by the English of Ireland were toponymics derived from the names of areas or settlements in English Ireland. Those common in the ‘four counties’ study area include Currach, taken from the Curragh in Kildare, Drumgoole from Drumgoolan in County Louth, and Rathcoole, which is probably derived from Rathcool in Meath. Because these are derived from fossilised place names, they do not indicate the use of Irish language among their bearers, as nicknames do. Moreover they are apt to arise organically and be used in conjunction with the original surname that they later come to replace. This occurred among the Russell family of Crumlin, a royal manor near Dublin, who by the late thirteenth century came to be called both de Crumlin or Crumlin and Russell interchangeably. 38 These names present an interesting problem of interpretation. These names were sometimes Irish in appearance, in the sense that they are ultimately derived from the Gaelic language, but they referred to land holdings under English control, and did not bear the recognisable ‘Mac’ prefix. 39 The use of toponymic surnames was more common among the English the names London, Birmingham, and Verdun are all examples of this, and these and other toponymics were used by Englishmen in medieval Ireland. The Irish adhered closely to the use of patronymics with only few exceptions. For these reasons, these toponymic surnames were probably not regarded as Irish style names, but rather as surnames fitting into the English convention. They are 37 The inclusion of the ‘Irish’ (meaning both the English and Irish of the island) in the Aliens Tax of 1440-3, prohibitions against the ‘Irish’ in the Inns of court in the 1430s, and exclusion of Irish merchants in Bristol’s corporation in 1439 all evince this waxing discrimination. See Irish Historical Studies 32 (2000), particularly J.L B OLTON , ‘Irish Migration to England in the late Middle Ages: the evidence of 1394 and 1440’, ibid., p. 1-21. 38 For more on the names of the Russell family see the upcoming Ph.D thesis of Aine Foley, Trinity College Dublin. 39 The tendency to form new surnames using the ‘O’ prefix, meaning ‘grandson of’ was declining rapidly by the time of the English invasion of Ireland in 1169. Thus Anglo- Irish people who Gaelicised their names used ‘Mac’ exclusively, not ‘O’. 140 S PARKY B OOKER consequently not as relevant to the current discussion as adopted ‘Mac’ surnames. They may well indicate a willingness to identify with the land of Ireland, but reveal little about English interactions with its native people. The FitzGeralds were one family which did occasionally use ‘Mac’ with their last name. They were, at least in some branches, significantly Gaelicised. As seen above several members of this lineage bore Irish epithets, and in 1472, Gerrot McGerrot (FitzGerald) of Allon was called to answer for his misdeeds, while three years later, the same was asked of the aforementioned Shane Ballowe McGerrot. 40 It might do to mention here that while the Geraldine clan was notoriously unruly, they were not as wholly ungovernable as their treatment in this paper would suggest. Lists of men summoned to Dublin castle by the Irish parliament to answer for various illegal actions are among the lengthiest and richest sources of names in the legislation and indeed in any relevant type of source. Thus, many of the names discussed here are drawn from that pool. This gives the mistaken impression that a very high proportion of Englishmen bearing Irish names were involved in outlawed activities. This is not entirely accurate, but it is possible that there is some real correlation between Gaelic name adoption and participation in illegal behaviour, even adjusting for the bias of the sources. After all, the use of Irish names by the English of Ireland was itself banned by the Irish parliament, as explained above. Although the individuals mentioned here were accused by the Parliament of robbery, arson and other such offences, rather than name-related offences, it is possible that the use of Irish names may have indicated a greater willingness on the part of these men to break with English law and tradition in a variety of ways. William McMilez appears on a criminal list in 1447 and Geoffrey Leynagh, whose surname, from the Irish Laighneach, means ‘from Leinster’, in 1465, which furthers this argument. 41 However, it was not a complete correlation, as the MacCostello family appears regularly in sources in more law abiding context, usually as members of the clergy. 42 ‘Thomas Maccostelba alias Nongal’ was in pos- 40 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 1, p. 125 and vol. 2, p. 261. 41 Statute Rolls: Henry VI (note 19), p. 95. Leynagh is a surname drawn from the Irish for ‘Leinsterman’, and was used by a Meath/ Kildare family who appear often in various records and seem to have been English by heritage. See S EÁN D UFFY , ‘The problem of degeneracy’, in Law and disorder in thirteenth-century Ireland: the Dublin Parliament of 1297, ed. J AMES L YDON (Dublin, 1997), p. 87-106 for more on this name. According to D UFFY (quoting K.W. N ICHOLLS ), the Pale area Leynaghs are a branch of the de Bermingham family. 42 See D UFFY , ‘Degeneracy’ (note 42) for more on the MacCostellos. 141 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? session of the vicarage of Lea in Kildare in the 1420’s 43 , ‘William Macchostalwa alias Nogyl’ was a clerk in the diocese of Kildare in 1482, 44 and ‘Thomas Macchostelwa alias Noygill’ was the perpetual vicar of Leix, county Kildare in the same year. 45 By the early sixteenth century Thomas MacCostelloe, perhaps the same individual who was vicar of Leix in 1482, was abbot of Monsterevin. The MacCostello family were, according Edward MacLysaght, the first Norman family to take an Irish name, and their interaction with Gaelic Irish people and their customs was well established by this period, as they had married into the O Neill family in the thirteenth century. 46 They were formerly de Nangle, and the memory of this original name is preserved, as seen above. This was perhaps a way to have one foot in each world, Irish and English, and an appropriate name for each. Only some branches of the family were known as MacCostello, and the Nangle surname can be found in several fifteenth century sources, mostly dealing with Kildare, suggesting some parts of the family were more Gaelicised than others. 47 Both Nangle and MacCostello demonstrate the vast variety in spelling which surnames displayed, and in the sixteenth century, Mac- Costello even appears as ‘Coskely alias Nangle’ in document contained in the Christ Church Deeds. 48 Nicholas McThomas, a recipient of a bequest from Patrick Lawless of Tallaght, outside Dublin, in 1474 bears an interesting surname. It may be a Gaelicised version of FitzThomas, a surname discussed above. As the FitzThomas previously mentioned bore an Irish nickname, this is not unlikely, as this suggests they may have been a fairly Gaelicised part of the larger FitzGerald lineage. The aforementioned Leynagh family were also found in non-criminal records. This surname is drawn from the Irish word meaning from Leinster. Ralph Leynagh was the bailiff of Drogheda in 1366, indicating he was 43 Calendar of entries in the papal letters relating to Britain and Ireland, vol. VIII, ed. J ESSIE A LFRED T REMLOW (London, 1909), p. 112. 44 Calendar of entries in the papal letters relating to Britain and Ireland, vol. XIII, ed. J ESSIE A LFRED T REMLOW (London, 1955), p. 111. 45 Calendar vol. XIII (note 45), p. 754. 46 Aedh O Neill married the daughter of Miles McCostello in 1263. See K ATHARINE S IMMS , ‘The O’Hanlons, the O’Neills and the Anglo-Normans in thirteenth century Armagh’, Seanchas Ardmhacha, 9 (1978), p. 70-94. 47 See Calendar vol. VIII (note 44), p. 154, which states that John Nangle, a priest of Kildare, is to have the vicarage of Tanelach in Dublin. 48 Christ Church deeds, ed. M.J. M CENERY and R AYMOND R EFAUSSE (Dublin, 2001), p. 226. 142 S PARKY B OOKER a prominent, or at least, trusted citizen of the town. 49 William Leynagh was a parish clerk of the Dublin county parish of St. Magnan (modern Kilmainham). 50 Henry Moynagh was another of the clerks of this parish; his name is the Munster equivalent of Leynagh, Muimhneach, meaning ‘Munsterman’. The two clerks, both bearing these names derived from the Irish tongue, were witnesses to the will of Joan Stevyn of Crumlin (County Dublin). It may be that these names, although ending in the Irish sounding ‘-agh’, may not have been as clearly Irish in origin to the English of Ireland as those possessing the obvious ‘Mc’ patronymic prefix. Unfortunately it is difficult to know for sure. Interestingly, Stevyn’s other witness was Finola Walshe, a woman with a widespread settler surname, Welsh, and a common Gaelic given name. 51 Walsh, meaning ‘Welsh’ was used by some of those participants in the English invasion of Ireland who hailed from Wales and by their descendants. Perhaps Crumlin, where this will originated, was a particularly Gaelicised area of Dublin county; its position as a royal manor may have meant that there was a slightly different societal makeup in Crumlin than the rest of Dublin county. In any case, it is very unusual for all of the witnesses to a Dublin will to have some Gaelic element in their name. Irish Given Names In the fifteenth century, two men bearing English last names appear with the give name Dermot in the franchise rolls a very unusual use of an Irish given name in the English community of the four counties. 52 The first was Dermot Lange, a smith and freeman of the city in 1489, who bore this Irish given name with the English surname Lange, taken from the Old English 49 Calendar of the Gormanston Register, ed. J AMES M ILLS and M.J. M CENERY (Dublin, 1916), p. 62. 50 Register of wills and inventories of the diocese of Dublin in the time of Archbishops Tregury and Walton, ed. H ENRY F. B ERRY (Dublin, 1898), p. 159. 51 Finola is the anglicised version of ‘Finnguala’, meaning ‘fair-shouldered’, a very popular Gaelic given name in the late middle ages: D ONNACHADH Ó C ORRÁIN and F IDELMA M AGUIRE , Gaelic personal names (Dublin, 1981), p. 103. 52 The majority of given names used in Ireland in the fifteenth century can be said to be Irish or English in ethnicity, and as many families were conservative in their choice of personal names, these often appear very frequently within families. However, there were certainly outside influences as well, as was the case with Launcelot FitzRichard, whose personal name was taken from Arthurian romances. 143 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? lang, signifying a tall person. 53 The second case was Dermot Cornell, a tanner who received the freedom of the city in 1472. 54 This example is slightly less certain; although the name Cornell is widely believed to be a Norman name from the word either ‘horn’ or perhaps ‘crow’, it could also be a variant of the English names Cornhill or Cornwell 55 , or even a garbled version of the Irish Ó Conaill. However, Cornell is a common name in the fifteenth century Dublin Franchise Roll, as Jenet Cornell appears in 1469, William and Hugh Cornell in 1472 and Thomas Cornell in 1475. 56 One Christopher Cornell can be found in the Christ Church Deeds, receiving land in Ship- Street, just outside the Dublin city walls. 57 In all these cases, Cornell appears in the same basic form, and never with an ‘O’, suggesting that this particular Cornell family is in fact originally Norman in origin. Laghlyn Lawles, a labourer who was given the freedom of the city in 1491, may also be an example of this first-name adoption. The name Lawless is said by MacLysaght to be from the Old-English ‘laghles’ for outlaw, and he states that it was introduced after the Anglo-Norman invasion, but there is some thought that it may be a Norse name, from the same root and also meaning outlaw. 58 There is no general consensus on the name however, though most historians treat the Dublin Lawlesses as an English family. The frequent appearances of the Lawlesses in the English records and the attempts to govern them as subjects of the crown suggest, albeit not conclusively, that they are indeed English. 59 If we accept it as an English name, we can include Thomas Lawless Carragh 60 and William Gilgorne Laweles 61 among our list of those Englishmen with Irish nicknames. Thomas’ nickname, meaning scabby, is unusually written after his first name and surname, rather than between 53 The Dublin city franchise roll, 1468-1512, ed. C OLM L ENNON and J AMES M URRAY (Dublin, 1998), p. 25 and G ORDON J ARVIE , Scottish names (Edinburgh, 1992), p. 75. 54 Franchise roll (note 53), p. 6. 55 H ANKS / H ODGES , Dictionary (note 11), p. 123. 56 Franchise roll (note 53), p. 2, 6 and 12. 57 Christ Church Deeds (note 48), p. 219. 58 E DWARD M ACLYSAGHT , Irish families (Dublin, 1991), p. 194. 59 MacLysaght and Nicholls, two of the most respected historians of Irish onomastics and family history, both argue for an Anglo-Norman origin for the Lawless lineage. See K ENNETH W. N ICHOLLS , Gaelic and Gaelicised Ireland in the Middle Ages (Dublin, 2003), p. 205. 60 Statute Rolls: Edward IV (note 15), vol. 1, p. 883. 61 Irish Exchequer payments 1270-1447, ed. P HILOMENA C ONNOLLY (Dublin, 1998), p. 545. Laweles was paid for the safe rule of Ireland in 1386-8. 144 S PARKY B OOKER them. Gilgorne is an uncommon nickname which may be a transliteration of the Irish, an gilla gorm, meaning ‘the blue fellow’. Conclusion So what conclusions can we draw from these examples of Irish names being used by the English of Ireland in the four loyal shires? They are indicative of a significant level of interaction between the Irish and English of Ireland and a strong level of Gaelic influence even in this most English of areas. The nicknames especially suggest that Irish was spoken by some of the English inhabitants of these counties, perhaps even as their first language. These names were not confined to one social stratum and were used by urban and rural people, labourers and craftsmen, and even by members of noble and influential families such as the Fitzgeralds. It does seem that there was greater Gaelic name adoption among those who engaged in illegal activities, but the nature of the sources makes it difficult to be sure. However, as the use of Gaelic names and the Irish language was outlawed by statute and subject to various penalties, such a correlation would not be surprising. It must be remembered that this was always a minority practice in this area, never as common as it was in areas such as Connacht, where the powerful English De Burgh, or Burke, family generally favoured Irish names over English ones. Nevertheless, it is certainly significant and the current historiography greatly underestimates its prevalence. As naming is a symbolic act, one closely connected to ideas of identity and community, it is more revealing than the practical or pragmatic types of interaction between the two peoples of Ireland, such as military alliances or even marriages. It suggests that some of the English of Ireland were not only living alongside the Irish, but actually identifying with them and in a certain sense, entering into a hybrid community with them. Although the colonial community as a whole strove to maintain its connections to England and assert its ‘Englishness’, there were those, even in the most anglicised part of the colony, who departed from English norms and aligned themselves, at least partially, with Irish ones. It is difficult to gain insight into the mental world of medieval people; the sources do not usually provide direct information about how they saw themselves, how they imagined their identity and where they felt they belonged. These names are one way in which we might get a clue as to how to answer these difficult questions. If these English men and women were willing to be called by Irish names and nicknames, to be defined using the Irish language, does it mean that they, perhaps, felt themselves to be at least somewhat ‘Irish’? 145 A SHAMED OF THEIR VERY ENGLISH NAMES ? Gruppen The language of names. Jewish onomastics in late medieval Germany, identity and acculturation Already in antiquity, Jews developed a magical understanding of personal names endowing them with a unique role within their world-view. Some of those beliefs are prefigured in the Hebrew Bible, where many passages suggest a deep symbolical and spiritual meaning of names for their bearers. In the Bible, figures are often named after the circumstances of their birth, which made the forenames involved unique. This practice is portrayed as a tradition beginning with the first man, whom God formed from dust of ground, afar min ha’adama (Gen. 2: 7) and was hence called Adam. As in Abraham’s case or more dramatically in Jacob’s, not only could names indicate important events in a person’s life; a change of fate required a change of name. Central Jewish beliefs suggested, furthermore, that the relation between a person and his name was far more than simply symbolical, since a name could be identified with one’s soul. 1 Such beliefs, taken up by medieval Ashkenazi Jews, implied that the name was not just ‘a badge of identity’, but rather an essential part of that identity. The core of one’s personality - the soul - and one’s name were perceived as a unity. Nevertheless, there were no special religious injunctions regarding naming practices. 2 Throughout history, Jews have had a wide range of possibilities within the onomastic field. In the late medieval period, both Jews and Christians perceived themselves as belonging to a range of social and cultural circles defined by fam ily, locality, occupation and religion; their identities were thus multi-focal, * I would like to thank my supervisors, Gabriela Signori and Gadi Algazi, for reading and commentating on the text and encouraging its publication. My gratitude is extended as well to my friend Maayan Liebrecht and my partner, Andreas Frick, for invaluable contributions to the present article. I would like to dedicate this article to my beloved mother, Tamar Levy, who gave me my name and much more than that. 1 J ACOB L AUTERBACH , ‘The naming of children in Jewish folklore, ritual and practice’, Studies in Jewish law, custom and folklore (New York, 1970), p. 30-74; J OSHUA T RA - CHTENBERG , ‘In the name of…’, Jewish magic and superstition (Philadelphia, 2004), p. 78-103. 2 The Talmud does mention a few restrictions in this respect. These refer to names of Israel’s enemies and negative-charged names. See: R AFAEL W EINBERGER , Toldot Shem: On the meaning of forenames in the Bible (Jerusalem, 2003), p. 172-3 [Hebrew]. 149 L ILACH A SSAF 150 L ILACH A SSAF irreducible to religious affiliation alone. This is well demonstrated by the rich and colourful naming repertoire in use, 3 part of which was suppressed in modern times with the development of institutionalised mechanisms for creating names and regulating their use. 4 Such mechanisms were absent in medieval Europe in both Christian and Jewish communities. Nevertheless, while in the Christian case - in Europe in general and Germany in particular - the repertoire of names was significantly reduced from the thirteenth century onward, a clear dominance of saints names now emerging, 5 the Jewish corpus of names expanded considerably and displayed a marked tendency toward the adoption of German names rather than Hebrew ones and the proliferation of more ‘secular’ names, that is, names neither alluding to figures in Jewish religious history nor having any recognizable religious content. If we consider onomastic trends in late medieval Christian Europe as indicating a stronger attachment not only between individuals and their family traditions, but also between individuals and a collective (often mythical) past, 6 what was reflected in the shift in naming practices within the various German Jewish communities? Did it emerge from a growing interest in and 3 On Christian communities, see, for example: S TEPHEN W ILSON , The means of naming: a social and cultural history of personal naming in Western Europe (London, 1998), p. 115-49; R OSA K OHLHEIM , ‘Die Beinamenführung bei Frauen im spätmittelalterlichen Regensburg’, Blätter für oberdeutsche Namenforschung 22 (1985), p. 45-68. On German Jewish communities, see M ARTHA K EIL , ‘Petachja, genannt Zecherl’: Namen und Beinamen von Juden im deutschen Sprachraum des Spätmittelalters’, in Personennamen und Identität: Namengebung und Namengebrauch als Anzeiger individueller Bestimmung und gruppenbezogener Zuordnung: Akten der Akademie Friesach “Stadt und Kultur im Mittelalter” Friesach (Kärnten), 25. bis 29. September 1995, ed. R EINHARD H ÄRTEL (Grazer grundwissenschaftliche Forschungen 3 / Schriftenreihe der Akademie Friesach 2, Graz, 1997), p. 119-46. On other Jewish communities, see S IMON S EROR , ‘Les noms des femmes juives en Angleterre au Moyan Age’, Revue des études juives 154 (1995), p. 295-325; S. D. G OITEIN , A Mediterranean Society, vol. III: the family (Berkeley, Cal., 1978), p. 6-14 and p. 314-8. 4 See, for example, Reinhard Härtel’s citation from the’ Schriften des Waldschulmeisters’ by Peter Rosegger: H ÄRTEL , ‘Personennamen und Identität: Historische und Quellenkundliche Probleme. Eine Einführung’, in Personennamen und Identität (note 3), p. 3-16, here at p. 8-9. 5 M ICHAEL M ITTERAUER , Ahnen und Heilige: Namengebung in der europäischen Geschichte (Munich, 1993), p. 241-403; D AVID H ERLIHY , ‘Tuscan names 1200-1530’, Renaissance Quarterly 41 (1988), p. 561-82, esp. p. 575-6. 6 H ERLIHY , ‘Tuscan names’ (note 5), 582; H ÄRTEL , ‘Personennamen und Identität eine Einführung’ (note 4), p. 4-5. 151 T HE LANGUAGE OF NAMES even bond with the surrounding local culture? Was it an expression of a non-religious dimension of Jewish culture and identity - of Jews’ growing involvement in secular urban culture? More broadly, if forenames can function as a significant tool for self-fashioning and the construction of personal and collective identity, 7 what does this suggest regarding medieval Jewish identities? And what might the increase of German names among Jews teach us about Jewish-Christian relations - was this development the direct result, for instance, of processes of cultural borrowing? And what are we to do with the marked differences between naming practices for men and women? I do not intend to offer answers to all such questions in this article. Rather, I will present some basic data regarding naming practices and suggest initial answers to some of the questions, seeking to bring out unexploited heuristic potential for pursuing the questions further. Throughout their history, Jewish communities in different regions have appropriated onomastic elements from the majority cultures - through either adopting specific names or borrowing onomastic models. 8 Nevertheless, there is a famous Talmudic comment saying that one of the virtues thanks to which the Israelites were redeemed from Egypt is that they had not changed their names. 9 This, however, is considered to be a polemic argument directed against Hellenistic Jews; the Talmudic sages were not criticizing the name-changing practice itself but rather the attempt to conceal Jewish identity through it. 10 Although choosing a name and its language can mean choosing between competing cultural options, these options do not have to be mutually exclusive. Hence the development of a doublename model among Jews enabled them to relate simultaneously to both the Hebrew and vernacular culture. In this way a broader name repertoire could express a more complex cultural identity. In the central and later Middle Ages, this model was common among Jewish men. Every Jewish male child was given a ‘sacred name’ (shem 7 J OSEPH M ORSEL , ‘Personal naming and representations of feminine identity in Franconia in the later Middle Ages’, in Personal names studies of medieval Europe: social identity and familial structures, ed. G EORGE B EECH , M ONIQUE B OURIN and P ASCAL C HAREILLE (Kalamazoo, Michigan, 2002), p. 157-80. 8 M ORITZ G ÜDEMANN , Geschichte des Erziehungswesens und der Cultur der abendländischen Juden während des 14. und 15. Jahrhunderts (Amsterdam, 1966) p. 106-8; S EROR , ‘Les noms des femmes juives’ (note 3), p. 295; K EIL , ‘Petachja genannt Zecherl’ (note 3), p. 132. 9 Lauterbach, ‘Naming of children’ (note 1), p. 48. 10 Ibid.; A MOS F UNKENSTEIN , ‘The dialectics of assimilation’, Zmanim 55 (1996), p. 64-71 [Hebrew]; for an English version, see Jewish Social Studies 1 (1995), p. 1-14. 152 L ILACH A SSAF kodesh) at his circumcision on the eighth day after birth. This was a Hebrew name, normally drawn from the Bible, which was to be used in Jewish rituals. For example, at the age of thirteen, at the occasion of a boy’s bar mitzvah, 11 he would be called by his sacred name to perform a public reading of the Torah in the synagogue. The sacred name was also the one to appear in Hebrew documents such as marriage or divorce contracts and on gravestones. 12 Beside the sacred name, a child was given an everyday name (shem chol) in the vernacular, this could be connected to his Hebrew name but was not necessarily so. 13 Jewish women, generally excluded from playing important roles in sacred rituals, had no sacred names. Women thus usually carried only one forename - either Hebrew or in the vernacular. 14 From the thirteenth century onward, a change in the relation between these two name types becomes evident. Name lists from the Memorbuch of Nuremberg show that, whereas at the end of the eleventh century almost 40% of the 268 recorded women bore non-Hebrew names, two centuries later around 70% of 348 women had such names. In this period, there were, to be sure, interesting changes in male naming practices as well. Mostly compiled during the thirteenth century, the Nuremberg Memorbuch consists of a martyrology, which is the main part, followed by two Nuremberg necrologies. 15 The martyrology contains over 4,000 names of Jews from different German regions from the eleventh to the fourteenth century. The names are recorded according to the date and place of the events referred to, starting with the pogroms which occurred during the first crusade in 1096 and ending with the violent attacks on Jews during the Black Death in the middle of the fourteenth century. Produced by Jewish scribes for a Jewish audience, the Memorbuch is the only medieval source providing evidence on such a scale of German Jewish names in the Hebrew language. The following analysis is based on 4,042 names in the Martyrologium and 11 On the bar mitzvah rite, see: I VAN G. M ARCUS , The Jewish life cycle: Rites of passage from Biblical to modern times (University of Washington Press, Washington, 2004), p. 82-91. 12 K EIL , ‘Petachja genannt Zecherl’ (note 3), p. 120. 13 L EOPOLD Z UNZ , Namen der Juden (Hildesheim, 1971), p. 48-51. 14 Ibid., 70; G ÜDEMANN , Geschichte des Erziehungswesens (note 8), p. 104. 15 Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches, ed. S IGMUND S ALFELD (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland 3, Berlin, 1898); on the Memorbuch, see the introduction by Sigmund Salfeld to the Memorbuch and A UBREY P OMERANCE , ‘“Bekannt in den Toren”: Name und Nachruf in Memorbüchern’, in Erinnerung als Gegenwart: Jüdische Gedenkkulturen, ed. S ABINE H ÖDL and E LEONORE L APPIN (Berlin and Vienna, 2000), p. 33-53. focuses on the years 1096, 1298 and 1348-49, which provide most of the materials in this precious source. The earliest lists, from 1096, record 704 names of pogrom victims, 436 of whom are men. Around 5% of the men are listed with non-Hebrew names, while the rest of the recorded male population had Hebrew, mostly biblical, names. Throughout the discussed period, one can observe a slow increase in male vernacular names. In 1298, 12% of 1079 men had such names, in 1348, 15% of 331 men. Names also became more widely and evenly distributed: whereas in 1096, half of the men carried one of 7 leading names, in both 1298 and 1348, 10 names were needed to cover the same proportion of the recorded male population. In addition, we find a decrease in the concentration on only a few names. In 1096, Samuel, the leading male name, covered almost 13% of the men in that year, in 1298, the most popular name, Isaac, covered 9.5%, and in 1348, the leading name Joseph covered just 8% of the male population. Furthermore, the ratio of men to names declined from 7 in 1096 to only 4 in 1348. We thus find the stock of male names displaying a growing tendency toward individualisation as fewer men shared the same name. The stock of female names displays some different patterns. As with the male name-stock, we find an increased use of vernacular names, but these are considerably more prevalent. Whereas in 1096, 38% of the women carried vernacular names, in 1298 68% did so and the figure reaches 74% in 1348. In 1096, relative distribution of names among women was even narrower than among men, with 5 female names covering half the women. However, the tendency toward wider distribution is evident in the later period: both in 1298 and 1348, 10 names covered half the recorded population. In 1298, the leading name Hanna covered 8% of the women, whereas Bela in 1096 and Guta in 1348 covered each about 11-13% of the female population. The ratio of persons to names among women was 6.7 in 1096, rising to 10 in 1298. Yet by the end of the period, the female name-stock displayed a tendency similar to that observed among males, the ratio declining to just 4.5 women to a name. Among men, although the sacred Hebrew name was considered one’s ‘main’ name 16 to be used in Hebrew documents, we do encounter German male names in the Memorbuch. There is no evidence that only Hebrew names were meant to be used in such memorial lists. What 16 R. M OSES B. I SAAC M INTZ , She’elot uTshuvot Rabbenu Moshe Mintz (Maharam Mintz), ed. J ONATHAN S HRAGA D OMB , (2 vols., Jerusalem, 1991), no. 37 [Hebrew]; for the online version, see http: / / www.responsa.co.il/ default.aspx. 153 T HE LANGUAGE OF NAMES 154 L ILACH A SSAF was, in fact, the relation between Hebrew and vernacular names among Jewish men between the eleventh and the fourteenth centuries? In The Names of the Jews (1837), Leopold Zunz sketched various possible relations between sacred and everyday Jewish names in the Middle Ages. In some cases, they were related symbolically, as in the case of the namepair Benjamin-Wolf, alluding to the biblical images used in Jacob’s blessing (Gen. 49: 27). Zunz also mentions everyday names formed as a vernacular translation of Hebrew names, and names alluding more broadly to semantic meaning or sound. Treating names as symbols or linguistic units, Zunz concluded that the relationship between medieval name-pairs was mostly arbitrary. 17 Following Zunz, other scholars have mainly likewise considered forenames as semantic and linguistic entities, seeking to identify semantic or symbolic links and hardly treating naming as a social practice. 18 A customary naming practice among medieval German Jews was to give the firstborn male grandson the name of his paternal grandfather. While Spanish as well as Mediterranean Jews have tended to name after the living, 19 Ashkenazi Jews avoided doing so. 20 The identification of the name with one’s soul enhanced the importance of name giving. Embodying past relations, the personal name left the mark of its former bearer on the new one. Consequently, all the parties concerned had to be closely considered. The wish to provide children with ,’successful’ names that would link them to honourable figures and bear a positive message, was balanced by belief in possible passage of the dead forefather’s soul into the body of offspring bearing his name. In other words, there was a fear that the soul of a person would follow his or her name, which meant death for the living and interruption of the heavenly rest of the dead. 21 Such beliefs had practical implications. In his compilation Sefer Chassidim (Book of the Pious), Judah the Pious of Regensburg notes that superstitions harm only those believing in them and 17 Z UNZ , Namen der Juden (note 13), p. 51. 18 G ÜDEMANN , Geschichte des Erziehungswesens (note 8), p. 106-9; K EIL , ‘Hendl, Suessel, Putzlein: Name und Geschlecht am Beispiel des österreichischen Judentums im Spätmittelalter’, L’Homme: Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 20 (2009), p. 35-52, esp. p. 38-9; R OBERT C HAZAN , ‘Names: Middle Ages’, in Encyclopaedia Judaica (22 vols., Detroit, 2007), vol. 14, l.768. 19 On Mediterranean Jewry, see: G OITEIN , ‘Mediterranean society’ (note 3), p. 6-8; on the difference between Ashkenazi and Spanish Jewries, see: L AUTERBACH , ‘Naming of children’ (note 1), p. 49-51. 20 L AUTERBACH , ‘Naming of children’ (note 1), p. 51-5. 21 T RACHTENBERG , ‘In the name of…’ (note 1), p. 78. that, while Christians name their children after the living without causing them any harm, Jews avoid doing so. But whereas Jews do not name their children after the living, they do give them names of the deceased. 22 Interestingly, in his will Judah himself took a radical stand, prohibiting his offspring from re-use either his own name or that of his father, Samuel. 23 This was, however, an exceptional case, the custom being to bestow ancestors’ names on male children. Traces of this practice can be detected in the name lists contained in the Memorbuch. We encounter a few dozen cases of homonymy between a grandson and his grandfather, mostly the paternal grandfather. 24 When the available material makes it possible to reconstruct genealogies, we can also observe women transmitting family traditions through name giving. A clear case is that of the family of Dolce of Heilbronn, who was killed, along with her relatives, during the Rindfleisch persecutions of 1298 in Southern Germany. We have incomplete name lists for five generations. Four daughters are recorded for Dolce, three of whom are named together with their own daughters. Remarkably, each one of the three passed the name Dolce to one of her daughters. No less notable is the fact that this was done while Dolce of Heilbronn was still among the living, a practice atypical for medieval Ashkenazi Jews. 25 Within late medieval Ashkenazi responsa literature, one of the most detailed discussions of naming practices concerns the proper manner of writing a person’s name in divorce documents. 26 Not only should the names of the man and woman appear in full, but also the names of their respective fathers. Any deviation from these strict requirements could invalidate the divorce act (get) and consequently have severe implications for the legal and social status of the woman and her children from future marriages. In one of his responsa, Maharam Mintz (1415-1483) deals with such a case, 27 discussing the names carried by a divorcee’s father, R. Semel Epstein. The man had a long series of names: Meshulam Epstein Ha-Levi called Salman called 22 L AUTERBACH , ‘Naming children’ (note 1), p. 51. 23 Ibid., p. 54-5. 24 The names listed in the Memorbuch appear in family “blocks”, thus enabling us to link some naming practices with family structures. 25 We should not exclude the possibility that the family might have been of Sephardic origin. Although it is not a single case of naming after the living within the Memorbuch, it is only one of few examples that appear in it. 26 The Gittin literature expands considerably in the later medieval period. On this topic, see I SRAEL Y UVAL , ‘An appeal against the proliferation of divorce in fifteenth-century Germany’, Zion 48 (1983), p. 177-215 [Hebrew]. 27 M AHARAM M INTZ , She’elot uTshuvot (note 16), no. 37. 155 T HE LANGUAGE OF NAMES 156 L ILACH A SSAF Semel. As Maharam Mintz informs us, Meshulam was the sacred name, which a father gives his son at the boy’s circumcision. Salman was his everyday name, bestowed in the synagogue by his father and mother a few weeks after his birth, 28 and Semel, meaning ‘clean and white like fine flour’, was the nickname given him later on for his beauty. According to Maharam Mintz, in his community Semel was mostly referred to by his nickname. But in legal documents, his signing Meshulam Semel without including the name Salman would have been inadequate. One reason for this, we read, is that when reading Meshulam Semel instead of Meshulam Salman, a person acquainted with the Epstein family (sic), might mistake that person for someone else. A source for such possible confusion, explains Maharam Mintz, is that everyone acquainted with the Epstein family knows that a Meshulam in that family is usually called Salman as an everyday name. This is a crucial piece of evidence that there existed medieval Ashkenazi family traditions linking sacred Hebrew names with vernacular ones that were perhaps passed down for generations. This suggests two things: first, the link between a sacred and an everyday name was not necessarily semantic or symbolic; it could emerge historically pointing to family traditions. If we were unaware of such traditions, we might be tempted to assume with Zunz that a given vernacular name was the outcome of arbitrary choice. Second, it appears that naming patterns among Jewish men consisted of a compound tradition, one not restricted to the Hebrew language alone but involving combined use of elements of heterogeneous origin. Tradition could also be expressed in the vernacular, in this case, related to the Hebrew. Let us now return to the Memorbuch and take a closer look at the repertoire of Jewish names. Between the eleventh and fourteenth century, a significant change occurs in the number and character of these names. Among women, we observe increased variation: while in 1096, 40 different women’s names are recorded, two centuries later, the female name-stock comprised 107 names - 29 a marked expansion that cannot be explained by the relatively larger sample alone, since a similar tendency is evident in 1348 as well, with 28 On this ritual called Holle Kreisch, see E LISHEVA B AUMGARTEN , Mothers and children: Jewish family in medieval Europe (Princeton, 2004), p. 93-6. 29 Slightly varying names such as Guta and Gutlin or Bella and Bellete, are counted as a single name. However, while for instance Rachel and Rechelin are are treated in that manner, Rachel and Rechilgolt are considered distinct names. Although the first part of this name Rechil is derived from the Hebrew name Rachel, the rest of the name golt is a German addition. We are thus here dealing with a new Jewish female name. 78 different women’s names in the lists. The expansion at work here is related to the introduction of many new female names, especially in the thirteenth century. During the eleventh and twelfth centuries, the repertoire of female names was mainly biblical, the most popular of these being names such as Hanna or those of the three mothers: Rachel, Sarah and Rivka (Rebecca), and names of the biblical heroines Judith and Esther. The vernacular name-stock included mostly names of Latin origin such as Bella, Bona, Matrona, Jenta (from Gentil), and Bonfilia. The few German names recorded for Jewish women at this time are Guta, Golda, Guthilde, Fromut, Genana, Bruna and Minna. In the beginning of the thirteenth century, German women’s names such as Richza, Sussa, Adelheit and Jutta make their appearance. Jutta even quickly pushes aside Judith, the Hebrew version of that name; by the end of the century it becomes one of the most popular Jewish female names. Names now emerged referring to flowers and precious stones such as Rosa, Blume, Perla and Gima, or to beauty such as Schonwip, Schona and Schonfrau. In the name lists for 1298, out of 107 female names, 88 are vernacular; 62 names appear in the Memorbuch for the first time, 58 of these new names being vernacular. Clearly, in this period, onomastic innovation was associated with the practice of giving vernacular names. Toward the end of the century we encounter new names like Liebe, Geila, Jachenet, Hizlin, Gotrat, Mija, Fro[h]kint, Adelkint, Seligkeit, Glück and Ella. While some of those names, such as Adelheit, Ella, Jutta and Guta, have Christian counterparts, others such as Adelkint, Fro[h]kint, Sussa and Jachenet are distinctive for Jewish women. 30 Throughout the period, the male repertoire of names is broader than the female one. In 1096, 63 different names cover a population of 436 males. Unlike its female counterpart, the male name-corpus is dominated by biblical names such as Samuel, Isaac, Jacob, Joseph, Abraham, Moses and Judah. In the eleventh century, besides biblical names, we find the Greek names Kalonymos (especially common among Italian Jews) and Alexander, both of which had served as Jewish sacred name. 31 Names like Peter and Vital appear as well, although seldom. In the thirteenth century other Hebrew names became visible, for instance Yechiel, Meir and Asher. And at the end of that century, German male names make an appearance. 30 On the etymology and origin of the names, see A LEXANDER B EIDER , A dictionary of Ashkenazic given names (Bergenfield, New Jersey, 2001). 31 Z UNZ , Namen der Juden (note 13), p. 48-9. 157 T HE LANGUAGE OF NAMES 158 L ILACH A SSAF Statistically, these names are of little importance, but they have weight for our understanding of the medieval Jewish repertoire of names and its development. At the beginning of the thirteenth century, German male names such as Friedrich, Gotschalk, Schonman and Selkman occured, though rarely. At the end of the century, as the repertoire widened to include 138 names, 40 out of 66 new names were vernacular, for instance Fro[h]kint, Fro[h]man, Lieberman, Liebrich, Minman, Süsskind and Sussman. In the documentation regarding the middle of the fourteenth century, the variety of German male names declined, although new names such as Kaufman, Liebertraut and Fromult did emerge. These names are striking evidence of onomastic creativity and innovation. In the later medieval period, through the use of old Germanic mechanisms for generating names, new male names such as Bärman, Widman and Liebertraut emerged. A large stock of new names could be generated by taking everyday German words and putting two linguistic units together, thus fashioning both an individual name and a complex meaning. 32 Many of the emerging names include a gender marker, often the ending ‘-man’. Such constructions allowed a coining of parallel male and female names; this was a cultural option that had not existed within the Hebrew language. We thus come across names such as Schonman and Schonfrau or Schona, Sussman and Sussa, Minman and Minna. This may indicate the participation by men in vernacular culture, challenging the simple dichotomy between one culture that was male, Hebrew and universal and another that was female, vernacular and local. 33 Furthermore, in many cases the new male and female names have a secular character. Hence, at the end of the thirteenth century some of the most popular women names are Guta, Minna and Golda, the male counterparts including Minman, Lieberman and Süsslin. A statistical analysis show that while in 1096, 23% of the male and 55% of the female names seem to belong to this category, in 1348, the figure was 39% male and 77% female. Focusing on 1298 alone, we see that 59% of the new male names and 87% of the new female names were secular. The higher rate of vernacular names for Jewish women in the period in question has been explained by the fact that they carried no sacred name, fewer restraints thus being present when it came to names girls received. 34 32 On the Germanic onomastic model, see W ILSON , The means of naming (note 3), p. 70- 2. 33 We also find such a sharp dichotomy in an onomastic context as well by G OITEIN in Mediterranean society (note 3), p. 314. 34 See, for example, Z UNZ , Namen der Juden (note 13), 70. But as indicated, between the eleventh and fourteenth century such practices changed significantly. It was in fact by no means ‘natural’ for Jewish women to carry vernacular names. Tracing the relation between vernacular names among men and women is not easy, mainly because a source such as the Memorbuch for the most part documents men’s sacred names. However, this changed starting at the end of thirteenth century, perhaps as a result of changes in recording practices. At that time we encounter not only more male vernacular forenames but also vernacular by-names (such as toponyms) and nicknames. This might suggest that members of Jewish communities were remembered differently in later medieval times - that is, more men were commemorated with their vernacular names rather than with their sacred names. This might be further evidence of men’s participation in vernacular culture. In current scholarship, the creation of new vernacular Jewish names in this period is widely seen as a result of translating Hebrew names or adopting existing non-Jewish names; but the Ashkenazi case exemplifies a different model: the coining of German-Jewish names. In many cases, a unique German-Jewish construction appears to be at work here, perhaps unparalleled in Jewish communities elsewhere. 35 Coining new names is a clear case of cultural borrowing - a process presupposing competence to select, adapt, and use the required tools and cultural models for a new synthesis. 36 It is precisely names coined with borrowed tools that often distinguished medieval German Jews from their Christians neighbours. The names marked the Jews as Jewish, but often in a language - in the wide sense of the term - which Christians could understand. This is a good example of crossing boundaries and affirming them at the same time, and of the dialectics of cultural contacts, in which borrowing and distinguishing oneself are sometimes one, the same process. 37 It is often argued that in the midand later medieval period German Jewish communities moved to shut themselves off from surrounding non-Jewish culture, and that among Ashkenazi Jewry the focus of innovation was 35 Dov Goitein refers to the creation of unique female names among Mediterranean Jews. There is no evidence of a similar practice among Jewish men in these communities. On this point, see G OITEIN , Mediterranean society (note 3), p. 314-7. 36 On borrowing of cultural models, see R INA D RORY , Models and contacts: Arabic literature and its impact on medieval Jewish culture (Leiden, 2000). 37 F UNKENSTEIN , ‘The Dialectics of assimilation’ (note 10), p. 64-71. 159 T HE LANGUAGE OF NAMES 160 L ILACH A SSAF religious jurisprudence (Halakha) rather than culture at large. 38 However, the development of Jewish onomastics in the late Middle Ages suggests a certain degree of cultural assimilation - not as a passive process of submergence in a dominant culture, but as an active process of appropriation, of innovatively borrowing tools and procedures to redefine identity. 38 On Ashkenazi halakhic uniqueness, see for example, H AYM S OLOVEITCHIK , ‘Halakhah, hermeneutics, and martyrdom in medieval Ashkenaz (Part I of II)’, The Jewish Quarterly Review 94 (2004), p. 77-108; IDEM , ‘Religious law and change: the medieval Ashkenazic example’, AJS Review 12 (1987), p. 205-21. Künstlernamen und künstliche Verwandtschaftsformen in der Renaissance In der Renaissance entstanden Künstlerdynastien, die ihren inneren Zusammenhalt der Tatsache verdankten, dass die einzelnen Glieder fast alle auf die eine oder andere Art und Weise miteinander verwandt waren. Zusammengeschweißt hatte sie die gemeinsame Arbeit in der bottega genauso wie die Weitergabe von Arbeitsmaterialien (Zeichnungen und Werkzeug), Arbeitstechniken und ikonographischen Traditionen, die innerhalb einer Künstlerfamilie von einer Generation auf die nächste übergingen. Ja, wie jede andere Verwandtschaftsgruppe fanden schließlich auch die Künstlerdynastien symbolisch unter dem Dach eines allen gemeinsamen Namens zusammen. 1 An dieser Stelle möchte ich mich jedoch weniger mit den leiblichen Verwandtschaftsformen unter den norditalienischen Künstlergeschlechtern befassen, sondern einen Verwandtschaftstypus beleuchten, den man in Analogie zu ähnlichen Phänomenen als ,spirituelle’ Verwandtschaft oder als ,Wahlverwandtschaft’ bezeichnen könnte. Gleich wie die leibliche lässt sich auch die geistliche Verwandtschaft am Namen erkennen. Zu präzisieren wäre in diesem Fall jedoch, vor allem an den Namensformen, die von den zeit- und ortsüblichen Praktiken der Namengebung abweichen. Die bei weitem wertvollsten Informationen zur Praxis der Namengebung bei den Renaissance-Künstlern finden sich in Giorgio Vasaris (1511-1574) monumentalen Vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti, die 1550 bei Lorenzo Torrentino in Florenz erschienen. 2 Vasaris Interesse galt dabei in erster Linie der Weitergabe von Konzepten, Stilen und Arbeitstechniken unter Künstlern. In dieser Weitergabe sah er das Fundament, auf dem der künstlerische Fortschritt von Cimabue bis Michelangelo aufbaute. 3 Die Vitensammlung basiert auf zwei Kerngedanken: Zum einen geht Vasari von der 1 Neben vielen anderen seien hier Lorenzo di Bicci und seine Nachfahren genannt, die Della Robbia, Da Maiano, Maso Finiguerra und seine Brüder und Neffen, Scheggia und seine Nachkommenschaft etc. Vgl. Maestri e botteghe. Pittura a Firenze alla fine del Quattrocento, hrsg. von M INA G REGORI , A NTONIO P AOLUCCI und C RISTINA A CCIDINI L UCHINAT , Florenz 1993, S. 91-124, sowie M ARGARET H AINES , Artisan family strategies. Proposals for research on the families of Florentine artists, in: Art, memory, and family in Renaissance Florence, hrsg. von G IOVANNI C IAPPELLI und P ATRICIA L. R UBIN , Cambridge 2000, S. 163-75. 2 Eine stark erweiterte Neuauflage erfolgte 1568 abermals in Florenz beim Verlagshaus Giunti. 3 P AUL B AROLSKY , Michelangelo’s nose: a myth and its maker, University Park (Pa.) 1990; DERS ., Why Mona Lisa smiles and other tales by Vasari, University Park (Pa.)und Lon- 161 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER Idee aus, dass die Künstler eine große, in Eintracht, das heißt in Freundschaft und gegenseitiger Hilfe vereinte Familie bildeten, und zum anderen setzt er voraus, dass diese umfassende Künstlerfamilie wie ein Stammbaum strukturiert sei, der in der Person Giottos eine allen gemeinsame Wurzel habe. Auf Giotto nämlich seien seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert, so Vasari, sämtliche künstlerische Neuerungen zurückzuführen. Der Einfluss Vasaris auf die spätere Kunstgeschichte war, wie sich denken lässt, gewaltig. Im Namen des Vaters Nun, was sagen uns diese anthroponymen Besonderheiten über die ,Natur’ der Filiationen zwischen den Renaissance-Künstlern? Vorab zu präzisieren ist, dass ich unter dem Begriff ,Name’ ein Ensemble von Bezeichnungen begreife, die mit einer Person verbunden sind: Die einen stehen mit dem Akt der Taufe in Verbindung und bezeichnen mit dem Vor- oder dem Taufnamen ein bestimmtes Individuum (der italienische nome); die anderen geben die Reihenfolge innerhalb einer bestimmten Abstammungslinie vor (das Patronym); noch andere schließlich verweisen auf die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem agnatischen Verwandtschaftsverband (der Familienname, der cognome). 4 Viele Geschichten aus Vasaris Vite kreisen um diesen aus drei Teilen zusammengesetzten Namenskomplex. In seinem Bemühen, Filiationen zu bestimmen und festzulegen, setzt er sich auch wiederholt mit den jeweiligen Künstlernamen auseinander. Das Resultat ist zwar häufig etwas abwegig und schwerfällig, dennoch zeigt sich gerade in seinen Analysen, welch hohen heuristischen Stellenwert er dem Namen beimaß. Bei Brunelleschi beispielsweise beteuert er, sich an die Praktiken der Vornamensgebung zu halten, die im 14. und 15. Jahrhundert vorherrschend gewesen seien. Andernorts kommentiert er Veränderungen, die sich auf der Ebene des cognome ergeben hätten. 5 Wiederum andere Beobachtungen, die ,abwegige’ bzw. bemerkenswerte Patronyme betreffen, beziehen sich ganz speziell auf das unter Künstlern weit verbreitete Lehrer-Schüler-Verhältnis. don 1991; DERS ., Giottos father and the family of Vasari’s “Lives”, University Park (Pa.) 1992. Vgl. auch P ATRICIA L. R UBIN , Giorgio Vasari. Art and history, New Haven 1995. 4 Vgl. C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Das Haus, der Name, die Person, in: D IES ., Das Haus, der Name, der Brautschatz, Frankfurt am Main 1995, S. 24-51. 5 Mit wenigen Ausnahmen zitiere ich aus der italienischen Gesamtausgabe von M AU - RIZIO M ARINI (Rom, 1997), die keinen kritischen Apparat aufweist, in gekürzter Form als Le vite (hier S. 328, 341 und 349). - Für eine deutsche Übersetzung sei auf die lauf- 162 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER An letzteren lässt sich besonders deutlich erkennen, wie genau diese ,Wahlverwandtschaften’ unter Künstlern beschaffen war. Ein Beispiel unter anderen ist der Florentiner Maler Piero di Cosimo (um 1465-nach 1515) und die künstlerische Nachkommenschaft des Cosimo Rosselli (1439-1507). Die beiden Künstler selbst trennte ein Altersunterschied von rund einem Vierteljahrhundert. Unter Cosimos Schülern zählte Piero zu denen, die, so Vasari, der Meister besonders geschätzt, ja sogar verhätschelt hätte. Als Cosimo den Auftrag erhielt, an den Fresken der Sixtinischen Kapelle weiterzuarbeiten, folgte ihm Piero von Florenz nach Rom. Später soll Cosimo ihn dann „bei sich behalten haben, und man habe ihn immer als den Piero von Cosimo bezeichnet“. 6 Obwohl mit dem Patronym di Cosimo ausgestattet, war Piero tatsächlich jedoch Sohn eines Goldschmieds namens Lorenzo di Piero di Antonio Chimenti. Aber „man nannte ihn nie anders als Piero di Cosimo“. 7 Seinem Meister sei man schließlich ebenso eng verbunden wie seinem leiblichen Vater, erklärt Vasari den Namenwechsel. Ja, eigentlich müsse man allein den als Vater anerkennen, der einem die virtù, die Befähigung verleihe, sich schöpferisch zu betätigen, und der einem helfe, sich im Leben richtig zu verhalten, und weniger den, der einen erzeugt bzw. einem einfach das Leben geschenkt habe. 8 Für Vasari war die Erziehung des Menschen ganz offenkundig wichtiger als seine Geburt - Kultur wichtiger als Natur. In der Öffentlichkeit bekannt war Piero unter dem Patronym di Cosimo, und genau so blieb er auch der Nachwelt in Erinnerung. Demnach konkurrierten um denselben Schüler häufig grundlegend verschiedene Vaterschaftskonzeptionen: Die leibliche Vaterschaft war schnell vergessen, die künstlerische bzw. künstliche entstand aus den Verpflichtungen heraus, die der Schüler dem Lehrer gegenüber einging. Dies lässt sich unter anderem bei Andrea di Cosimo Feltrini, einem weiteren Cosimo-Schüler, beobachten. In Andreas’ Fall maß Vasari der Namensfrage aber nicht dieselbe herausragende Bedeutung bei wie bei Piero di Cosimo. Auch Andrea di Cosimo erhielt sein Patronym, wie unschwer zu erkennen, von seinem Meister. Hierbei ging es aber weniger, wie Vasari an anderer Stelle ausführt, ende Neuausgabe des Wagenbach-Verlages (Berlin) hingewiesen (Anm. d. Ü.). Vita di Cosimo Rosselli, in: Le Vite, S. 463: avendo in sua compagnia quel Piero che fu sempre chiamato Piero di Cosimo, suo discepolo. 7 Ebd., S. 576: Piero, figliuolo d’un Lorenzo orafo et allievo di Cosimo Rosselli, e però chiamato sempre, e non altrimenti inteso, che per Piero di Cosimo. 8 Ebd., S. 576: poiché invero non meno si ha obligo e si debbe riputare per vero padre quel che c’insegna la virtù e ci dà il bene essere, che quello che ci genera e dà l’essere semplicemente. 163 K ÜNSTLERNAMEN um konkurrierende Vaterschaftsauffassungen, als vielmehr um Fragen der Verpflichtung und der Anerkennung. Nachdem Andrea di Cosimo den Künstler Morto da Feltre - der, wie Vasari schreibt, „genauso starb wie im Namen vorgezeichnet“ 9 - kennengelernt und von ihm die Kunst erlernt hatte, Grotesken zu malen, hieß Andrea alsbald del Morto. 10 Schließlich wäre in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass Cosimo Rosselli einen natürlichen (illegitimen) Sohn hatte, „ein passabler Maurer und Architekt“, kommentiert Vasari, der - allerdings in anderen Dokumenten als der Vita di Cosimo Rosselli - trotz seiner unehelichen Geburt als Giuliano di Cosimo bezeichnet wird. 11 Durch Piero di Cosimo schließlich sollte sich Cosimos künstlerische Nachkommenschaft bis ins ausgehende 16. Jahrhundert weiter fortpflanzen. Piero hatte zuerst Andrea del Sarto zum Schüler, dann für kurze Zeit auch Pontormo, der wenig später seinerseits im Atelier von Andrea del Sarto arbeiten sollte. Der von Cosimo abstammende Künstlerzweig setzte sich über Bronzino, einen Schüler Pontormos, vermittelt, in zwei Allori-Generationen fort. Sehr früh habe sich, so die Kunsthistorikerin Elizabeth Pilliod, eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen Bronzino und seinen Mündeln, den Allori-Waisenkindern, entwickelt. 12 Nachdem die Allori-Kinder Jahre lang unter Bronzinos Dach gelebt hatten, erbten sie später auch das Haus ihres Vormunds. Ferner ließen sie sich ein Gemeinschaftsgrab errichten, auf dem Allori di Bronzino geschrieben stand, ein Familienpatronym, das die Allori auch in ihrem Wappen fortbzw. festschrieben. Auf diese Art setzten die hundert Jahre nach Cosimo Roselli und seinen Schülern die Filiation fort, die Ausbildung und Liebe zwischen den Künstlergenerationen zu erschaffen vermochte. Der (leibliche) Vater Pieros di Cosimo, ein Handwerker, gehörte nach Vasari zu den ,guten Vätern’, die die wahre Berufung ihres Sohns erkannten und auch bereit waren, ihn dafür einem Künstler in die Lehre zu geben. Auch Giottos Vater sei von seiner Vaterschaft sozusagen zurückgetreten und habe seinen Sohn an Cimabue abgetreten. Vasaris Vite enthalten viele ähnliche Geschichten von Kindern, gewöhnlich aus einfachen Verhältnissen, deren Väter einsahen, dass sie ihren Söhnen nur auf diese Art und 9 Vita del Morto da Feltro pittore e di Andrea di Cosimo Feltrini, in: Le Vite, S. 773: e combattendo in quella baruffa, rimase morto, come nel nome era stato sempre. 10 Ebd., S. 773-74-: Seguitò nella professione delle grottesche in Fiorenza Andrea Feltrini detto di Cosimo, perché fu discepolo di Cosimo Rossegli per le figure, che le faceva acconciamente. 11 Vita di Cosimo Rosselli, in: Le Vite, S. 464. 12 E LIZABETH P ILLIOD ,-„Bronzino’s household“, in: Burlington Magazine 134 (1992), S. 92- 100; DIES ., Pontormo, Bronzino, Allori. A genealogy of Florentine art, New Haven 2001. 164 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER Weise helfen konnten, ihrer wahren Berufung nachzugehen. Wie Cimabue dem jungen Giotto, seinem creato, gegenüber, verband auch Cosimo Rosselli die beiden primären Funktionen eines Vaters als Ernährer und Erzieher, nicht nur weil er Piero liebte „wie ein Sohn und ihn immer als solchen gesehen hatte“, sondern auch weil er ihm alles das beibrachte, was er ihm beibringen konnte, und so erst die Voraussetzung dafür schuf, dass Piero später seine eigenen künstlerischen Wege gehen konnte und seinen ,Ziehvater’ schließlich an künstlerischem Können auch weit übertraf. Vasaris Vite sind voller komplementärer, ja häufig sogar antithetischer Porträts von bald schlechten, bald guten Vätern und Lehrmeistern. Dazu gesellt sich die Figur des Gönners (Patrons), der an die Stelle des Vaters tritt, weil er die Aufgabe übernimmt, den jungen Mann materiell bzw. finanziell zu unterstützen und ihm gegebenenfalls auch einen geeigneten Lehrmeister sucht, der seine virtù als Künstler zu erkennen vermag. So etwa der Vasari-Freund Francesco Salviati, der unter dem Familiennamen seines Gönners, des Kardinals Salviati, bekannt war und nicht unter dem Namen Rossi, dem Namen seiner Herkunftsfamilie. 13 Domenico Beccafumi übernahm den Namen des Sieneser Hofbesitzers, für den sein Vater arbeitete und der ihn in seinen Ambitionen, ein Künstler zu werden, von Anfang an ermutigte und ihn auch finanziell unterstützte. Das Vokabular der Patronage steht dem der Taufverwandtschaft sehr nahe. Poliziano, ein Günstling der Medici, verstand sich als eine Person, die „von ihrem Vater geboren worden war, von Cosimo de Medici aber wiedergeboren ward.“ 14 Eine solche Formulierung schöpft aus der Wort- und Bilderwelt der spirituellen Verwandtschaft: der Patron, der Polizianos Wiedergeburt ermöglichte, ist eine Vermittlerfigur, die zur Aufnahme des Jugendlichen in die Künstlerfamilie genauso unentbehrlich ist wie der Tauf- 13 Vita di Francesco detto de’ Salviati,-in: Le Vite, S. 1153: E perché Francesco stava, come s’é detto, col cardinale Salviati et era conosciuto per suo creato, cominciando a essere chiamato e non conosciuto per altro che Cecchino Salviati, ha avuto insino alla morte questo cognome. Sein Schüler, Giuseppe Porta da Castel Nuovo de Garfagnagna, fu chiamato anch’egli [Giuseppe Salviati] per rispetto del suo maestro (Le Vite, S. 1167). Zu dem Themenkomplex vgl. jüngst R OBERT G. L A F RANCE , Bachiacca artist of the Medici court, Florenz 2008, S. 125. La France gelangt zum Schluss, dass auf ein Ensemble von 309 am Hof der Medici tätigen Künstlern zehn Prozent ihren Übernamen von ihren Patronen, Lehrmeistern oder deren Produktionsbereichen („type or genre of production“) übernommen hätten. 14 Zitiert nach G ERHART B. L ADNER , Vegetation symbolism and the concept of Renaissance, in: De Artibus opuscula XL. Essays in honor of E. Panofsky, hrsg. von M ILLARD M EISS , New York 1961, S. 307 (Anm. 30). 165 K ÜNSTLERNAMEN pate, der das Neugeborene in die spirituelle Familie der Christenheit einführt. 15 In den Fällen, in denen Vasaris Biographien keinen Patron als Vermittler kennen bzw. nennen, übernimmt der Lehrmeister diese Funktion persönlich, in dem er den Schüler in die erhabene Gemeinschaft der Künstler initiiert. Um das Besondere der Künstlerfiliationen zu verstehen, die das 16. Jahrhundert erschuf, sollte man also immer auch nach den Vorstellungen fragen, die sich die Gesellschaft von den Aufgaben eines Vaters, eines Nähr- oder Adoptivvaters und eines Taufpaten machte. In diesem Fall spielen, wie wir gesehen haben, auch die Namensbestandteile eine überaus zentrale Rolle. Die Stellvertreter-Väter Die mittelalterlichen Gesellschaften denken sich als riesige Verwandtschaftsnetze. 16 Die Verwandtschaft ist in ihnen sozusagen allgegenwärtig, und mit Hilfe ihrer Sprache bzw. ihrer Begrifflichkeit werden gesellschaftliche Bezüge der unterschiedlichsten Ordnung bezeichnet oder aber erst erschaffen. Auch der spirituelle Verwandtschaftsbezug zwischen Mensch und Gott wird in den Mustern der leiblichen Verwandtschaft gedacht, als Filiation, Allianz oder Bruderschaft, obwohl schon die Evangelien verlangen, dass wer nach Perfektion strebt, sich von Vater und Mutter abwenden müsse (Matth. 19, 29). Die geistige Verwandtschaft erst erlaubt es, spirituelle Güter bzw. das persönliche Seelenheil zu erlangen, während die leibliche Verwandtschaft auf materiellen oder symbolischen Gütern gründet und die mit diesen Gütern verbundene soziale Identität erschafft. In einem christlichen Wertegefüge steht die geistige stets über der leiblichen Verwandtschaft. Jede Gesellschaft neigt dazu, diesem hierarchischen Verhältnis zwischen leiblicher und spiritueller Verwandtschaft ihre je eigenen Vorstellungen 15 Filippo Villani spricht vom Arzt Taddeo als „wiedergeborenes Kind“-(come un fanciullo rinato bzw. et quasi renatus puer), als dieser mit dreißig Jahren zu studieren begann: Philippi Villani, De origine civitatis Florentie et de eiusdem famosis civibus, hrsg. von G IULIANO T ANTURLI , Pavia 1997, S. 127. 16 J ÉRÔME B ASCHET , Le sein du Père. Abraham et la paternité dans l’Occident médiéval, Paris 2000; La parenté spirituelle, hrsg. von F RANÇOISE H ÉRITIER -A UGÉ und É LISABETH C OPET -R OUGIER , Paris und Basel 1995; A NITA G UERREAU -J ALABERT , La Vierge, l’Arbre de Jessé et l’ordre chrétien de la parenté, in: Marie, Le culte de la Vierge dans la société médiévale, hrsg. von D OMINIQUE I OGNA -P RAT , E RIC P ALAZZO und D ANIEL R USSO , Paris 1996, S. 137-170. 166 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER und Bedürfnisse aufzuprägen. 17 Florenz ist mit Sicherheit keine Ausnahme, wenn zum Beispiel Dino Compagni von einer alle Bürger vereinenden Bruderschaft spricht, die dadurch entstehe, dass ausnahmslos jeder Florentiner im Baptisterium San Giovanni getauft werde. 18 Aber die Florentiner Gesellschaft verändert die Idee der spirituellen Verwandtschaft auch, indem sie den Nutzen bzw. die Freundschaft, die das Taufritual hervorbringen oder stärken kann, über den spirituellen Bezug zwischen Paten und Täufling hebt. 19 Darin bleibt sie der Abstammungsidee verpflichtet, der casa, das heißt der Verwandtschaftsgruppe, die dem Individuum einen gewichtigen Teil seiner sozialen Identität überträgt. Die logische Konsequenz all dieser Vorstellungen und Praktiken ist es, dass der leiblichen Verwandtschaft letztlich allein die Rolle des Erziehers vorbehalten bleibt. Der Kirche zufolge setzt sich die Aufgabe des Paten, der den Täufling zunächst in die christliche Gemeinde einführen muss, im späteren Verlauf darin fort, dass dem Paten die religiöse Erziehung des Täuflings obliegt. Nach Thomas von Aquin handelt es sich dabei um eine überaus große Verantwortung, aber weniger um eine reale Last. Genauso definieren die Florentiner den Aufgabenbereich des Paten, das heißt vor allem den Aufgabenbereich der Patin. 20 Faktisch aber bekundeten die Taufpaten - die Überlieferung spricht Bände - nach Beendigung der eigentlichen Taufzeremonie an pädagogischen Fragen wenig Interesse. Dafür pflegten sie mit den Vätern ihrer Patenkindern umso intensivere Freundschaften und tauschten mit ihnen eifrig gegenseitig ,Dienste’ aus. Die Erziehung der potentiellen Leibeserben und der Töchter, die in andere case einheiraten sollten, oblag den Verwandten in väterlicher Linie, gelegentlich auch der Heiratsverwandtschaft, aber nie den Paten. Kurz, in Bezug auf den Täufling wird die spirituelle Verwandtschaft als etwas Transitorisches begriffen, während für 17 Vgl. B ERNHARD J USSEN , Patenschaft und Adoption im frühen Mittelalter: künstliche Verwandtschaft als soziale Praxis (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 98), Göttingen 1991; G UIDO A LFANI , Fathers and godfathers: spiritual kinship in early modern Italy, Farnham 2009. 18 Dino Compagni, Cronica, hrsg. von G INO L UZZATTO , Turin 1968, Kap. VIII, S. 77: Cari e valenti cittadini, i quali comunemente tutti prendesti il sacro baptesmo di questo fonte, la ragione vi sforza e strigne ad amarvi come cari frategli. 19 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER ,-Parrains et filleuls. Étude comparative, in: DIES ., La maison et le nom. Stratégies et rituels dans l’Italie de la Renaissance, Paris 1990, S. 109- 22; DIES ., Compérage et clientélisme, in: ebd., S. 123-33. 20 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER ,- Au péril des commères. L’alliance spirituelle par les femmes à Florence, in: Femmes-mariages-lignages. XII e -XIV e siècle. Mélanges offerts à Georges Duby, Brüssel 1992, S. 214-32. 167 K ÜNSTLERNAMEN die Erzeuger Nützlichkeitserwägungen im Vordergrund stehen, die die Patenschaft als eine Einrichtung erscheinen lassen, die dem Klientelwesen nahesteht. Die Marginalität der spirituellen Verwandtschaftsbande zeigt sich sehr anschaulich bei den Vornamen. Anders als zahlreiche andere europäische Gesellschaften des späten Mittelalters gab der Taufpate in Florenz dem Täufling kaum seinen eigenen Vornamen weiter. Den passenden Vornamen suchten die Eltern bzw. der Vater allein in der Lebenswelt der eigenen casa. Am wichtigsten war es zunächst, das Kind mit Hilfe des Vornamens in die väterliche oder mütterliche Abstammungslinie einzureihen, erst in einem zweiten Schritt galt es, das Kind unter den Schutz eines Heiligen zu stellen. Vor 1500 war es in Florenz noch ausgesprochen selten, dass bei der Wahl der zwei oder drei Vornamen, die man den Kindern gewöhnlich gab, den Paten ein Ehrenplatz zugestanden wurde. Kurz, genauso wie die Erziehung gehörte also auch die Wahl des Vornamens ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der leiblichen Verwandtschaft. In der Toskana erhielt das Individuum gewöhnlich einen patronymen Vornamen oder einer Serie von Patronymen, die auf den Abstammungsverband, die casa, zurückverwiesen. Das Patronym haftete sozusagen an den Vornamen der Kinder in Wendungen wie Filippo di ser Brunellesco di Lippo (Lapi). Besaß das Individuum einen cognome oder einen kollektiven Familiennamen, was gewöhnlich nur in den städtischen Oberschichten der Fall war, so wurde dieser Namensteil vor allem im politischen Leben, im Handel oder in Gerichtsangelegenheiten als Ausweis seiner Herkunft benutzt. Demgegenüber war jeder, der ein Patronym im Namen trug, in den Augen der städtischen Öffentlichkeit Sohn seines Vaters, eventuell auch Abkömmling und Mitglied der großen Schar männlicher Nachfahren aus dem Geschlecht seines Vaters. Hier entsteht und bezeichnet sich die Verwandtschaft also durch patrilineare Filiationen. Wenn nun Vasari einen Wechsel im Patronym dieses oder jenes Künstlers anführt - Piero di Cosimo an Stelle von Piero di Lorenzo d’Antonio, oder Domenico di Michelino an Stelle von Domenico di Francesco 21 - durchbricht er die natürliche Filiation und löst 21 Vgl. Giorgo Vasari, Le Vite de’ più eccelenti piitori, scultori ed architetti ... con nuove annotazioni e commenti di G AETANO M ILANESI , Florenz 1878-1885, Bd. 2, S. 522, Anm. 1: Michele oder Michelino di Benedetto forzerinaio (Kästchenmacher) hat Domenico di Francesco chiamato di Michelino zum Schüler. Die alte Milanesi-Edition der Vite ist wegen ihres kritischen Apparats, der Arbeitsverträge enthält und die Künstler in ihr soziales Umfeld einbetet, weiterhin nützlich. Milanesi stellte auch ein umfangreiches Quellencorpus speziell zu den in den Vite genannten Sieneser Künstler zusammen (Documenti per la storia dell’arte senese, Siena 1854). 168 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER den Einzelnen aus der eigenen Ahnenreihe heraus. Er unterzieht ihn damit sozusagen einer zweifachen Wiedergeburt, indem er ihn in den Schoss der allumfassenden künstlichen Bruderschaft der Künstler aufnimmt und ihn zugleich in die ideale, aber ebenso künstlichen Nachfolge eines herausgehobenen Bruderschaftsmitglieds einreiht. Auch andere Praktiken erzeugten in Italien verwandtschaftsgleiche Bindungen, Praktiken, die man kennen sollte, wenn es darum geht, den spezifischen Bezug zwischen Lehrmeister und Schüler zu verstehen. An erster Stelle steht die Rechtsfigur der Adoption, präziser formuliert, die Rechtspraktiken, die im späten Mittelalter an die Stelle der römisch-rechtlichen Adoption traten. 22 Die klassische Adoption erlaubt es, sich bei Bedarf einen leiblichen Erben zu verschaffen. In Florenz bevorzugte man, die Adoptivkinder unter den leiblichen Verwandten zu wählen, selbst wenn sie mit einem nur entfernt verwandt waren. Die gebräuchlichste Art, sich auf diese Art und Weise einen Erben zu machen bestand darin, seine natürlichen Kinder oder Bastarde anzuerkennen, um ihnen auf diese Weise zu ermöglichen, Erbansprüche, gegebenenfalls auch zum Nachteil der legitimen Kinder, zu erheben. 23 Die zweite Möglichkeit, im spätmittelalterlichen Florenz an Adoptivkinder zu gelangen, war das städtische Waisenhaus, das die Findlinge (trovatelli) gewöhnlich an Familien übergab, die für ihre alten Tage eine Handreichung oder einfach Bedienstete brauchten. 24 Die Platzierung eines Findlings, zuweilen auch als filius adoptivus bezeichnet, erhob ihn aber nicht automatisch in den Status eines Erbberechtigten. Bestenfalls versprachen die Familien, dem Kind oder dem Jugendlichen, das bzw. den sie bei sich aufgenommen und großgezogen hatten, dem Knaben eine Berufsausbildung oder dem Mädchen eine Mitgift, zuweilen auch kleinere Legate, dies aber stets ohne Namen- oder Statuswechsel. Diese Art ,Adoption’ steht der geistlichen Verwandtschaft insofern nahe, als beide auf Barmherzigkeit gründen und frei von erbrechtlichen Konsequenzen sind. Auch die temporäre Überantwortung der väterlichen Verpflichtungen an einen Patron oder einen Lehrmeister wurde von den Zeitgenossen Giottos oder Rossellis gerne als ,Adoption’ bezeichnet. In seinen ricordanze (persönlichen Aufzeichnungen) notiert beispielsweise der Maler Neri di Bicci, 22 Zu den verschiedenen Adoptionsarten vgl. Adoptions. Ethnologie des parentés choisies, hrsg. von A GNÈS F INE , Paris 1998. 23 T HOMAS K UEHN , L’adoption à Florence à la fin du Moyen Âge, in: Médiévales 35 (1998), S. 69-81. 24 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER ,-L’adoption impossible dans l’Italie de la fin du Moyen Âge, in: -Adoption et „fosterage“, hrsg. von M IREILLE C ORBIER , Paris 1999, S. 321-37. 169 K ÜNSTLERNAMEN 1473 habe er bei sich ein Kind aufgenommen, dessen Vater, ein Müller, gestorben sei. Die Mutter habe es ihm „aus freien Stücken zum Sohn gegeben und überantwortet“, und er habe ihr versprochen, es wie sein Patenkind groß zu ziehen. 25 Neri di Bicci sagt nicht, er habe das Kind, das damals erst sieben Jahre alt war, als Lehrling oder als Schüler bei sich aufgenommen. Nichts deutet auch in den späteren Einträgen seiner ricordanze darauf hin, dass der Müllersohn, den er bei sich aufgenommen hatte, jemals sein Schüler geworden wäre. Trotzdem zeigt das Beispiel, wie eng die verschiedenen geistigen Verwandtschaftsformen miteinander verwoben sind. Genauso wenig wie aus den lokalen Adoptionspraktiken entstanden aus der Patenschaft automatisch Filiationen. Das heißt, sie zog keinen Namenwechsel nach sich und machte aus dem Patenkind auch keinen Erben. Im Gegensatz zu den Adoptionspraktiken, bei denen die ,Ernährung’ (im traditionellen Wortsinn) eines Kindes oder eines Jugendlichen im Vordergrund stand und die auf beiden Seiten Rechte, Pflichten und Affekte schaffen konnte, die denen ähnlich waren, die die leiblichen Eltern mit ihren Kindern verbanden, zog die Patenschaft keinerlei Verpflichtungen nach sich. So unterschiedlich die Praktiken im Einzelnen auch gewesen waren, sie erschufen doch alle symbolischen Verwandtschaftsformen, die im Fall der Patenschaft von der Kirche streng kontrolliert und reglementiert wurden. Etwas weniger streng war die Kontrolle bei den Findelkindern. Dieselben Zweideutigkeiten und funktionellen Überschneidungen finden sich im Status der Lehrlinge wieder. Die Ausbildung hatte zum Ziel, immaterielle Güter vom Meister auf den Schüler zu übertragen. Es ging darum, die für einen Beruf spezifischen Fähigkeiten, manchmal auch Sachgüter, wenn der Meister dem Lehrling seine Arbeitsgeräte vererbte, vor allem aber die soziale Position und soziale Identität, die mit dem erlernten Beruf zusammenhing, an die nächste Generation weiterzugeben. Die Erziehungsverantwortung des Meisters implizierte aber in keiner Weise, dass der leibliche Vater von seiner patria potestas zurücktrat. Im Alltag allerdings delegierte letzterer nicht nur seine Erziehungsgewalt, sondern auch die Pflicht, für den Lehrling zu sorgen, ihm ein Dach über dem Kopf bereitzustellen und ihn zu ernähren. Zuweilen übernahm der Lehrling später die Werkstatt des Meisters, und mit der Werkstatt erbte er auch den Namen oder den cognome des Meisters. 25 Neri Di Bicci, Le Ricordanze (10 marzo 1453-24 aprile 1475), hrsg. von B RUNO S ANTI , Pisa 1976, S. 419: mi donò e concedé liberamente per figliuolo, per mio ispirituale-figlio, vgl. Gaetano Milanesis Kommentar zum Leben des Lorenzo de Bicci in seiner Edition der Vite (wie Anm. 21), S. 90. 170 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER Auch in Kaufmannskreisen war es nicht unüblich, dass der Leiter einer Faktorei, der von seinem Meister testamentarisch bedacht worden war, sich im Gegenzug engagieren musste, das Unternehmen im Sinne und im Namen des Firmengründers fortzusetzen. Ähnliche Fälle sind aus dem Datini-Archiv bekannt, wie mir Jérôme Hayez freundlicherweise mitgeteilt hat, in denen Legatsempfänger oder Erben den cognome des Testators in ihrem Namen weitertragen. So wurde aus Agostino di Giovanni Barucci alias Dinozzi, dem Nachfolger des Kaufmanns Dinozzi, des Gründers einer Florentiner Handelsgesellschaft, später einfach Agostino Dinozi (1431-1432). Die Ausbildung der jungen Künstler glich in vielem derjenigen eines Handwerkers. Je mehr der Schüler sein Können perfektionierte und seine Arbeit sich für den Meister rechnete, desto eher konnte ihm der Handwerksmeister auch einen Lohn zahlen. Der natürliche Vater von Piero di Cosimo, Lorenzo di Piero di Antonio Chimenti, präzisierte 1480 in seiner Steuererklärung, dass sein 18-jähriger Sohn Piero bislang kein Geld von seinem Meister Cosimo erhalten habe. 26 Gerade in Bezug auf die Lohnfrage ist die Sicht, die Vasari auf die Künstlerausbildung hat, viel zu idealistisch. Trotz Adoption und geistiger Vaterschaft konnte die Situation des Lehrlings manchmal sehr hart sein. Francesco Squarcione, Mantegnas Lehrmeister, von dem er sich nur schwer zu lösen vermochte, hatte in den Jahren zwischen 1455 und 1466 mehrfach Schüler adoptiert, darunter eben auch Mantegna. Von Squarcione sind zwei Verträge erhalten, die beide zeigen, in welcher Weise der Meister seine Schüler an sich band. Unter dem Deckmantel der Adoption nämlich versprach er ihnen all sein Hab und Gut, vorausgesetzt, der Lehrling begehe keinen Fehler, der dem Ruf des Meisters schaden könne. Kein Schüler hielt bis zum Schluss durch. Mantegna selbst, den Squarcione und die Zunft der Maler in den Quellen wiederholt als sein ,Sohn’ bezeichnen (Vasari hingegen stellt ihn als Squarciones Adoptivsohn vor), wurde vermutlich unter ähnlichen Bedingungen adoptiert wie die anderen Schüler. Einen Vertrag hat man in seinem Fall bislang nicht gefunden. Mantegna musste am Schluss vor Gericht ziehen, um sich von Squarcione freizumachen. 27 Mit solchen Verträgen unterwarfen sich die Lehrlinge vorbehaltlos ihren Meistern, die auf diese Weise nicht gezwungen waren, für deren Ar- 26 Zitiert von A LAIN J OUFFROY , Piero di Cosimo ou la Forêt sacrilège, Paris 1982, S. 6: Piero suo figlio ista al dipintoro e non à salaro. Riparasi in bottegha di Cosimo a Santa Maria in Campo. 27 Le Vite, S. 508: il quale Iacopo [Squarcione] se lo tirò in casa e poco appresso, conosciutolo di bello ingegno, se lo fece figliuolo adottivo. Vgl. I NGEBORG W ALTER , Andrea Mantegnas „Darbringung Jesu im Tempel“. Ein Bild der Befreiung und des Aufbruchs, in: Städel- Jahrbuch, N. F. 12 (1989), S. 59-70. 171 K ÜNSTLERNAMEN beit Lohn zu zahlen. Die Schüler aber verloren alles, wollten sie den Lehrmeister vor dessen Ableben verlassen. Es gab also viele verschiedene Wege, Verwandtschaft zu kreieren und diese mit Hilfe der Namen kenntlich zu machen. Aber nirgendwo sonst waren die künstlichen Verwandtschaftsformen derart eng mit der Wahl des Patronyms verwoben wie bei den Künstlern. Kehren wir also abermals zu Vasari zurück, um besser zu verstehen, was uns der Name des Meisters, der als Patronym im Namen des Schülers weitergetragen wird, über den inneren Zusammenhalt der Florentiner Künstlergemeinschaft zu erzählen vermag. Vasari im Durcheinander der Namen Auf der Grundlage von Zuweisungen und Datierungen, die heute höchst umstritten sind, konstruierte Vasari künstlerische Filiationen, die später ihrerseits größtenteils widerlegt wurden. So scheint es absurd, dass Vasari beispielsweise aus Jacopo da Casentino (eingereiht in die direkte Nachfolge von Giotto, weil er ein Schüler von Taddeo Gaddi war, oder, wie er wenig später meinte, ein Schüler von Agnolo Gaddi) den Lehrmeister von Spinello Aretino machte, wo Jacopo doch 1349 oder 1350 starb, Spinello ungefähr zu dieser Zeit aber erst geboren wurde. Vasari setzt dieses chronologische Durcheinander fort, indem er dem Spinello wiederum Bernardo Daddi zum Schüler gab, der etwa zur gleichen Zeit verstarb wie Jacopo, nämlich im Jahr 1348. 28 Mehr noch, als er seine Ahnengalerien entwarf, stützte sich Vasari sehr häufig auf Indizien, die auf die eine oder andere Weise mit den Namen der Künstler in Verbindung stehen (unter dem Begriff ,Name’ ist hier, wie ich schon in der Einleitung präzisiert habe, ein Ensemble von Bezeichnungen ein und derselben Person zusammengefasst, wie der Vorname, das Patronym, der Übername und der cognome). So erschuf er zuweilen trotz der Existenz eines gemeinsamen Vornamens und Patronyms von einander unabhängige Künstlerdynastien, während er in anderen Fällen Personen zu Verwandten erklärte, die einander völlig fremd waren. So etwa fügte er Taddeo di Bartolo, Bartolo di Fredi und Domenico di Bartolo zu einer einzigen Bartoli-Familie zusammen. 29 Bewusst oder nicht, Vasari 28 Vita di Jacopo di Casentino, in: Le Vite, S. 238f. 29 Zu diesen künstlichen Rekonstruktionen, vgl. die Kommentare des Herausgebers unter der Vie de Taddeo Bartoli, in: Giorgio Vasari, Les Vies des meilleurs peintres, scupteurs et architectes, hrsg. von A NDRÉ C HASTEL (Paris 1983-89) (in gekürzter Form als: Les Vies), Bd. 2, S. 355. 172 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER manipulierte die Namen und glitt kommentarlos vom Bereich der gemeinsamen Handwerkstechniken und Malstile in den Bereich der Verwandtschaft hinüber, indem er den zweiten vom ersten, die Namen also von Technik und Stil ableitete. Auf diese Art werden Simone Martini, vielleicht bewusst durch eine falsche Lesart, Memmi genannt, und Lippo Memmi, Simones Schwager, zu Brüdern, weil ihr Stil für Vasari so ähnlich war, dass sie einfach mit einander verwandt sein mussten. Umgekehrt übersieht Vasari den realen Verwandtschaftsbezug zwischen Ambrogio Lorenzetti und seinem Bruder Pietro, dem er den Namen Laurati verlieh. Hie und da erkennt Vasari, dass das Patronym anzeigt, dass es sich um Vater und Sohn handeln muss, häufig aber bezweifelt er echte Filiationen, um aus einem Sohn einen Schüler zu machen. Andrea Tafi zum Beispiel hatte einen Schüler namens Antonio d’Andrea Tafi, zu dessen Person Vasari bemerkt, vielleicht handle es sich um Andreas Sohn. Das Patronym kann also sowohl die ideale als auch die leibliche Filiation zwischen zwei Künstlern herstellen bzw. markieren. Und so degradiert Vasari „Francesco genannt di Maestro Giotto“, der realiter Giottos Sohn war, zu dessen Schüler, weil er glaubt, dieser habe das Patronym, wie es unter Künstlern Brauch sei, lediglich geerbt, nicht von Anfang an besessen. 30 Besonders erhellend ist Vasaris Präsentation der Künstlerpersönlichkeit mit Namen Giottino. Im Gegensatz zu den meisten Quellen, mit denen Vasari arbeitet, glaubte er nicht - und in dem Punkt hatte er recht - dass dieser Giottino der Sohn Giottos sei. Vielmehr ging er davon aus, dass Giottinos reale Identität Maso (= Tommaso) di Stefano und er Sohn eines Stefano, eines Lieblingsschülers von Giotto gewesen sei. So betrachtet, würde sich der Vorname Giottino auf einen gemeinsamen Künstlerahnen beziehen, entsprechend dem Florentiner Vornamensystem, das die Weitergabe des Vornamens vom Großvater auf den Enkel präferiert. Indem Vasari dasselbe System auf den Bereich der Ausbildung überträgt, erschafft er eine vermeintlich reale Kontinuität zwischen Giotto und Giottino, der aber eine weitgehend fiktive Figur bleibt, in der drei verschiedene Künstlerpersönlichkeiten zusammenfließen: Die von André Chastel geleitete Edition der Vite kommentiert, Vasari habe die Künstler „Maso di Banco, Giotto, den Sohn von maestro Stefano, [der] der richtige Giottino [war] - den [aber] Vasari als Vater von Giottino-vorstellt-- und Tommaso di Stefano, einen Bildhauer, verwechselt und zu einer einzigen Person erklärt.“ 31 Dieser neu 30 Vita di Giotto, in Le Vite, S. 161: Nel vecchio libro della Compagnia de’ Dipintori si trova essere stato discepolo del medesimo un Francesco detto di maestro Giotto, del quale non so altro ragionare. 31 Vgl. Les Vies, hrsg. von C HASTEL (wie Anm. 29), Bd. 2, S. 253. 173 K ÜNSTLERNAMEN erschaffene Giottino „habe zwar von seinem Vater [Stefano] die Grundlagen der Malerei erlernt, doch noch ganz jung den Entschluss gefasst, so gut wie nur möglich und mit großem Eifer Giottos Stil und nicht den seines Vaters zu imitieren.“ 32 Der Übername Giottino, den dieser Tommaso erhielt und der seinen wirklichen Namen vollständig verdrängte, zeigt, dass er in den Augen der Zeitgenossen, die ihn für einen leiblichen Sohn hielten, Giottos maniera nicht nur perpetuiert, sondern sogar übertroffen hatte. 33 Weil Giottino mit so viel Eifer Giotto imitierte, „sagte man, sei Giottos Geist auf ihn übergegangen.“ 34 Diese Idee liegt wohl auch anderen irrigen genealogischen Rekonstruktionen Vasaris zugrunde. Dass bei den Künstlern Patronyme miteinander in Konkurrenz traten oder austauschbar waren, war nur insofern möglich, als sich in der Person des Meisters Nährvater und geistiger Vater vereinten. In seiner Vita di Lorenzo Ghiberti wagt es Vasari nicht, Partei für die eine oder andere Bezeichnung zu ergreifen. So nennt er den Künstler „Lorenzo di Cione oder di Bartoluccio Ghiberti“. Faktisch war Ghiberti der natürliche Sohn eines fragwürdigen Subjekts namens Cione Ghiberti, aber seine Mutter heiratete in zweiter Ehe einen Goldschmied, einen Bartolo di Michele, der Lorenzo groß zog und ihm sein Handwerk lehrte. 35 Allein die Möglichkeit, ein wichtiges städtisches Amt zu bekleiden, habe ihn gezwungen einzugestehen, dass dieser Bezug illegal sei. Später änderte er seinen Namen und nannte sich fortan Lorenzo di Cione Ghiberti. So hießen dann auch seine eigenen Nachfahren. Vasari wägt ab und nennt beide Patronyme, „di Cione oder di Bartolo“, später aber entscheidet er sich für eine einzige Person namens Bartoluccio, worin der natürliche Vater, der Adoptivvater und der Lehrmeister, der lange Zeit über 32 Vita di Tommaso fiorentino pittore detto Giottino, in: Le Vite, S. 219-22: dopo l’avere imparato da suo padre i primi principii della pittura, si resolvé, essendo ancor giovanetto, volere, in quanto potesse con assiduo studio, essere immitatore della maniera di Giotto più tosto che di quella di Stefano suo padre.- 33 Vita di Tommaso Fiorentino pittore detto Giottino, in: Le Vite, S. 220: ne cavò, oltre alla maniera, che fu molto più bella di quella del suo maestro, il sopranome di Giottino, che non gli cascò mai: anzi fu parere de molti, et per la maniera e per lo nome, i quali però furono in grandissimo errore, che fusse figliuolo di Giotto; ma in vero non è così, essendo cosa certa, o per dir meglio credenza (non potendosi così fatte cose affermare da ognuno), che fu figliuolo di Stefano pittore fiorentino. 34 Vita di Tommaso Fiorentino pittore detto Giottino, in: Le Vite, S. 220: Mediante queste opere, avendosi acquistato tanto buon nome Giottino, imitanto nel disegno e nelle invenzione, come si è detto, il suo maestro, si diceva essere in lui lo spirito d’esso Giotto.- 35 Le Vite, S. 301. 174 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER den beruflichen Werdegang seines Schülers bzw. Sohnes gewacht habe, zusammenfließen. 36 Im Lehrmeister vereint sind - und dies auf unauflösbare Weise - verschiedene Funktionen und Zuständigkeiten: die Funktion des Ernährers und des Beschützers, aber auch die des Erziehers und des Lehrers. Der Begriff des creato, den Vasari sehr häufig verwendet, um den Schüler eines Künstlers zu bezeichnen, hebt die materielle und pädagogische Abhängigkeit des jungen Mannes hervor, der von seinem Meister zugleich ernährt und ausgebildet wurde. Bartoluccio ist in diesem Sinne zugleich Vater und Lehrmeister. Vasaris Namensschöpfung Lorenzo-di Bartoluccio Ghiberti signalisiert der Nachwelt diese komplexe Filiation bzw. Erbschaft viel nuancierter als es bei der Namensschöpfung Piero di Cosimo der Fall war, in der der Name des Vaters einfach getilgt wird. Für Vasari stehen die Weitergabe der künstlerischen Fertigkeiten und die Förderung des individuellen Talents weit über der materiellen und weltlichen Erbschaft der leiblichen Verwandtschaft oder der Adoptiveltern. Wenn er Agnolo Gaddi mit dessen Bruder verwechselte und ihm eine abenteuerliche Kaufmannskarriere zuschrieb, tat er dies alleine, um auf diese Art kritisieren zu können, dass Agnolo den auf Giotto zurückgehenden Künstlerstammbaum durchbrach, weil es ihm wichtiger war, reich zu werden, als seine Gabe oder die seiner Söhne zu fördern. 37 Er sei in die Banalität der Kaufmannswelt zurückgefallen und sei die Mauer, die das Weltliche vom Spirituellen trennt und die zu überschreiten ihm seine Ausbildung eigentlich ermögliche, in umgekehrter Richtung wieder hinuntergestiegen. Die Gnade durch die Kunst Ebenso wenig wie die Florentiner Paten ihren Patenkindern gaben auch die Florentiner Künstler ihren Schülern nicht den eigenen Taufnamen weiter. Die ihn umgebende Gesellschaft aber sprach den Lehrmeistern eine höhere Vaterschaft zu, indem sie den Schüler mit Hilfe des Patronyms an den zurückband, der ihm in der Kunst ein neues Leben schenkte. Vasaris Perspektive ist eine christliche. Die geistige Filiation, die der Bezug zwischen Lehrer und Schüler erschafft, erhebt den Lehrer zu einem dem Paten ver- 36 Am Ende von Lorenzos Vita (Le Vite, S. 310) übernimmt Vasari die doppelte Abstammung ohne jede weitere Diskussion: Il suo ritratto è nella porta principale di bronzo […] in un uomo calvo et a lato a lui è Bartoluccio suo padre, et appresso a loro si leggono queste parole: ,Laurentii Cionis de Ghibertis mira arte fabricatum’? 37 Le Vite, S. 225 und 227. 175 K ÜNSTLERNAMEN gleichbaren Gnadenspender. Wie der Pate vermittelnd interveniert, damit die göttliche Gnade sich über den Täufling ergießt und sich ihm der Weg zum Seelenheil öffnet, so fördert der Meister die grazia des Künstlergenies zu Tage, das in dem auserwählten Kind schlummert. Der Meister ist ein spiritueller Vater im Sinne Cennino Cenninis, weil er den Schüler zu der Kunst hinführt (venire all’arte) und ihm ermöglicht, handwerkliche Fertigkeit und fantasia, die dem Künstler vorbehalten ist, zu vereinen, so dass er fähig ist, „Dinge zu finden, die noch niemand gesehen hat, […] und Dinge sichtbar zu machen, die keine Seienden sind.“ 38 Der Wechsel im Patronym ist als Metapher für einen tief greifenden inneren Wandel zu verstehen, für eine Art Selbstoffenbarung, die das Wertvollste zu Tage fördert, was man besitzt. Die Verwandtschaft unter Künstlern ist eine Wahlverwandtschaft. Sie unterscheidet sich insofern von der Patenschaft als der Schüler seinen Lehrmeister ebenso auswählt, wie der Meister seinen Schüler, ähnlich wie in den Bruderschaften oder bei den in vielen Gesellschaften nachweisbaren Blutsbrüdern. 39 Den Paten aber wählt der Vater aus, weder der Pate das Kind, noch das Patenkind den Paten. In diesem Wahlmoment der Schüler-Lehrer-Beziehung eignet sich der Schüler also entgegen allen ortsüblichen Gepflogenheiten der Namengebung ein Stück der sozialen Identität des Meisters an, wenn er dessen Vorname zum Patronym wählt und seine Wahl zugleich publik macht. Wenn also Vasari und seine Zeit den Bezug zwischen Lehrer und Schüler zu einer Vaterschaft verklären, die über der natürlichen steht, wollen sie nicht, dass dieser Bezug mit materiellen Dingen belastet wird, wie dies bei der leiblichen Vaterschaft oder bei einem Patronatsverhältnis der Fall wäre; auch das transitorische Moment, das der Patenschaft eigen ist, wird im Lehrer-Schüler-Verhältnis außer Kraft gesetzt. Die Namensänderung ist demnach das sichtbare Zeichen nicht nur für eine physische Veränderung der pädagogischen und der materiellen Verantwortung, sondern eine tief greifende und anhaltende Bewegung, durch die Techniken, Handgriffe, Werkzeug und andere Einrichtungsgegenstände des Ateliers genauso wie Ideen, Konzepte, moralische Ideale, Haltungen der Natur gegenüber oder Verhaltensmuster den anderen Künstlern ge- 38 C ENNINO C ENNINI , Il Libro dell’arte, kommentiert von F RANCO B RUNELLO , Einleitung von L ISCISCO M AGAGNATO , Vicenza 1982, S. 3-4: e quest’é un’arte che si chiama dipignere, che conviene avere fantasia e operazione di mano, di trovare cose non vedute, cacciandosi sotto ombra di naturali, e fermarle con la mano, dando a dimonstrare quello che non è, sia. 39 Vgl. A GNÈS F INE , Parrains, marraines. La parenté spirituelle en Europe, Paris 1994, S. 139-41. 176 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER genüber vom Lehrer auf den Schüler übergehen. Diese Güter- und Ideenzirkulation gleicht einem Versprechen, das auf die Zukunft eines Künstlergeschlechts vorausgereift, 40 um im sozialen Raum schließlich die Gemeinschaft aller Künstler zu erfassen, die in Freundschaft vereint die Konzepte teilen, die ihnen ihre Lehrmeister vererbt haben. Jeder Künstler, der einen Schüler bei sich aufnimmt, wird für Vasari zum Garanten künstlerischer Kontinuität und Weiterentwicklung. Indem er an die nächste Generation all das weitergibt, was er weiß, erschafft er zugleich seinen eigenen idealen Stammbaum. 41 Dieser genealogischen Sichtweise der Renaissancekunst verpflichtet ist auch Cennino Cenninis Libro dell’arte. Durch die Schrift will er sein Können an seine Schüler weiterreichen, auch „zu Ehren von Giotto di Taddeo d’Agnolo, seines Meisters“. 42 Es ist eine wunderliche Genealogie, auf- und absteigend zugleich, die ihn an das Ende einer hierarchischen Reihe von Künstlern setzt, eine ideale Genealogie, deren Validität eben das Patronym garantiert, das auf den Meister zurückweist. 40 So die Formulierung von Antonio Billi, Il Libro di Antonio Billi, hrsg. von F ABIO B E - NEDETTUCCI , Rom 1991, S. 113: Di costui [Giotto] uscirno mirabili pittori. 41 Im Arabischen entspricht dies dem Begriff isned, ,Garantenkette’, vgl. dazu J ACQUELINE S UBLET , La Prosopographie arabe, Paris 1970; DIES .,-Nom en expansion, nom à l’étroit: l’exemple d’Ibn al-Fuwati, in: L’écriture du nom propre, hrsg. von A NNE -M ARIE C HRIS - TIN , Paris 1998, S. 117-34; DIES ., Le voile du nom: essai sur le nom propre arabe, Paris, 1991. 42 C ENNINI , Libro dell’arte (wie Anm. 38), S. 3: a riverenza di Giotto di Taddeo d’Agnolo maestro di Cennino. 177 K ÜNSTLERNAMEN Namen, Menschen und Orte. Ländliche Praktiken der Namengebung aus der Perspektive dreier spätmittelalterlicher Grundherrschaften In face to face-Gesellschaften - so ist bei Soziologen gleichermaßen wie bei Historikern zu lesen - sei es, weil jeder jeden kenne, unnötig, über den Rufnamen hinaus im alltäglichen Miteinander einen individualisierenden Bei- oder Nachnamen zu führen. 1 Ja, in Italien, präzisiert François Menant in seinem 1997 erschienenen Forschungsüberblick, gäbe es sogar ländliche Regionen, in denen sich feste Nachnamen bis weit in die Neuzeit hinein nicht durchzusetzen vermochten. 2 Das aber gilt in Italien auch für viele Stadtbewohner. 3 Allenfalls um Träger desselben Vornamens auseinander zu halten sei die Landbevölkerung auf Beinamen - vor allem Patronyme, Toponyme seien selten - ausgewichen. 4 Auf feste, das heißt immer auch über die Generationen hinweg vererbte Familiennamen treffe man vorzugsweise beiwohlhabenderen Bauern. 5 Sowohl bei den Hörigen, als auch bei den bäuerlichen Unterschichten reiche der Vorname gemeinhin aus, während In- 1 Vgl. den programmatischen Entwurf von J AMES C. S COTT , J OHN T EHRANIAN und J E - REMY M ATHIAS , The production of legal identities proper to state. The case of the permanent family surname, in: Comparative Studies in Society and History 44 (2002), S. 4-44. Die Autoren machen die These stark, die Praxis einen festen Nachnamen zu führen, sei ein Produkt moderner Staatlichkeit sei, so neben vielen anderen auch C LAIRE J UDDE DE L ARIVIÈRE , Du sceau au passeport. Genése des pratiques médiévales de l’identification, in: L’identification. Genése d’un travail d’État, hrsg. von G ÉRARD N OIRIEL , Paris 2007, S. 57-78. 2 F RANÇOIS M ENANT , Die Namen der Landbevölkerung im Mittelalter (Oberitalien und Südfrankreich), in: Personennamen und Identität. Namengebung und Namengebrauch als Anzeiger individueller Bestimmung und gruppenbezogener Zuordnung, hrsg. von R EINHARD H ÄRTEL (Grazer grundwissenschaftliche Forschungen 3), Graz 1997, S. 423-40, speziell S. 427: „Für die gesamte bäuerliche Welt außerhalb Frankreichs […] ist eine gewisse Verzögerung bei der Annahme eines cognomen feststellbar. Dieser Prozess erstreckt sich manchmal über mehrere Jahrhunderte.“ 3 D AVID H ERLIHY und C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Les toscans et leurs familles. Une étude du catasto florentin de 1427, Paris 1978, S. 537-43. 4 M ENANT , Namen der Landbevölkerung (wie Anm. 2), S. 429-31. 5 Ebd., S. 434. Zu ähnlichen Ergebnisse gelangt E LMAR N EUSS , Rheinische Personennamen aus Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), S. 256-89. 179 G ABRIELA S IGNORI stabilität die Namenspraktiken der ländlichen gleichermaßen wie der städtischen Randgruppen auszeichnete. 6 Insgesamt aber, resümiert Menant, erwiesen sich die Namenspraktiken auf dem Land als ebenso heterogen wie die soziale Zusammensetzung der Landbevölkerung. Die Entstehung und Ausbreitung der Nachnamen - ein Phänomen, das die französische Geschichtsforschung als eine ,Revolution’ begreift - erfolgte im europäischen Vergleich phasenverschoben, im Süden, wie es scheint, etwas schneller als im Norden. 7 Diese je nach Region verschieden schnelle und verschieden geartete Entstehungsgeschichte der modernen Namensführung steht im Fokus des von Monique Bourin geleiteten europäischen Großprojektes „Genèse de l’anthroponymie moderne“. 8 Vergleichsstudien zu Deutschland suchen wir in den von Monique Bourin und Pascal Chareille herausgegebenen Sammelbänden indessen vergeblich. An- 6 M ENANT , Namen der Landbevölkerung (wie Anm. 2), S. 435f. 7 M ONIQUE B OURIN , France du Midi et France du nord: deux systèmes anthroponymiques, in: L’anthroponymie. Document de l’histoire sociale des mondes méditerranéens médiévaux, hrsg. von M ONIQUE B OURIN , F RANÇOIS M ENANT und J EAN -M ARIE M ARTIN (Collections de l’École française de Rome 226), Rom 1996, S. 179-202. Vgl. auch D AVID A. P OSTLES , Personal naming patterns of peasants and burgesses in late medieval England, in: Medieval Prosopography 12 (1991), S. 29-56; DERS ., Notions of the family, lordship and the evolution of naming processes in medieval English rural society: a regional example, in: Continuity and Change 10 (1995), S. 169-98; DERS ., Cultures of peasant naming in twelfth-century England, in: Medieval Prosopography 18 (1997), S. 25-54; Naming, society and regional identity, hrsg. von D AVID P OSTLES , Oxford 2002. 8 Études d’anthroponymie médiévale. I e et II e rencontres, Azay-le-Ferron 1986 et 1987, hrsg. von M ONIQUE B OURIN (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 1), Tours 1990; Persistances du nom unique. Part 1: Le cas de la Bretagne. L’anthroponyme des clercs, hrsg. von M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 2/ 1), Tours 1992; Persistances du nom unique. Part 2: Désignation et anthroponymie des femmes. Méthodes statistiques pour l’anthroponymie, hrsg. von M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 2/ 2), Tours 1992; Genèse médiévale de l’anthoponymie moderne: l’espace italien (Mélanges de l’École française de Rome 106/ 2 und 107/ 2), 2 Bde., Rom 1994/ 95; Enquêtes généalogiques et données prosopographiques, hrsg. von M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 3), Tours 1995; L’anthroponymie. Document de l’histoire sociale des mondes méditerranéens médiévaux (wie Anm. 7); Discours sur le nom: normes, usages, imaginaire (VI e - XVI e siècles), hrsg. von P ATRICE B ECK (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 4), Tours 1997; M ONIQUE B OURIN , Eine vergleichende Betrachtung der Personenbenennungen in Urkunden und Inschriften am Beispiel des Languedoc, in: Personen- 180 G ABRIELA S IGNORI ders als in Frankreich und Italien galt die Aufmerksamkeit der deutschen Mediävistik vornehmlich den frühmittelalterlichen Namenspraktiken 9 und der gentilen Zuordnung der Namensträger. 10 Die regionalen Unterschiede sind allenthalben beachtlich, was jede über die jeweilige Region hinausreichende Verallgemeinerung erschwert, wenn vielleicht nicht sogar verbietet. 11 Zumindest in Teilen scheinen die regionalen Divergenzen aber auch darin begründet zu sein, dass die Forschung je nach Region mit anderen Quellengruppen arbeitet. Auf der einen Seite stehen Steuerlisten wie der berühmte Florentiner catasto von 1427, der sozusagen den herrschaftlich-administrativen Zugriff der Stadt auf ihre Untertanen dokumentiert, 12 auf der anderen Seite die in ganz Europa verbreiteten Kartulare, mit denen die Forschergruppe um Monique Bourin gearbei- N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 181 namen und Identität (wie Anm. 2), S. 237-52; P ATRICE B ECK , M ONIQUE B OURIN und P AS - CAL C HAREILLE , Nommer au Moyen Age: du surnom au patronym, in: Le patronyme. Histoire, anthropologie, société, hrsg. von G UY B RUNET , P IERRE D ARLU und G IANNA Z EI , Paris 2001, S. 13-38; Personal names studies of medieval Europe. Social identity and familial structures, hrsg. von G EORGE T. B EECH , M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HA - REILLE (Studies in medieval culture 43), Kalamazoo 2002; Intégration et exclusion sociale: lectures anthroponymiques. Serfs et dépendants au Moyen Âge, hrsg. von M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 5), Tours 2002. 9 Von wenigen Ausnahmen abgesehen wie M ICHAEL G OCKEL , Zum Aufkommen und Festwerden der Familiennamen auf dem Lande. Beobachtungen am Beispiel des südhessischen Dorfes Trebur, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 51 (2001), S. 1-58. 10 Vgl. mit weiterführender Literatur die beiden jüngeren Sammelbände: Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger, hrsg. von D IETER G EUENICH (Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlichen Grundlagen 2), Hildesheim u.a. 2006; Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen, hrsg. von A LBRECHT G REULE und M ATTHIAS S PRINGER (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 66), Berlin - New York 2009. 11 So sieht es auch O LIVIER G UYOTJEANNIN , Les filles, les femmes, le lignage, in: L’anthroponymie (wie Anm. 7), S. 383-400, wenn er von „regionalen Divergenzen“ spricht, die „rebelles à toute uniformisation“ seien (S. 394). Erst im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts verringern sich die regionalen Unterschiede tendenziell wie es scheint in ganz Europa, vgl. P ATRICE B ECK , Personal naming among the rural populations in France at the end of the Middle Ages, in: Personal names studies (wie Anm. 8), S. 143- 56. 12 H ERLIHY und K LAPISCH -Z UBER , Les toscans et leurs familles (wie Anm. 3). tet hat. 13 Als dritte und namenkundlich ebenso wertvolle Quellengruppe wären die ihrerseits in ganz Europe verbreiteten grundherrschaftlichen Zinsregister (Urbare) zu nennen, 14 die bald nach Orten, bald nach Personen geordnet, und in diesem Sinn als Gattung selbst bemerkenswert heterogen sind. Die verschiedenen administrativen Ordnungssysteme weisen auf unterschiedliche Kommunikationsbzw. Interaktionsformen zwischen Grundholden und Grundherren bzw. deren Vertretung vor Ort hin. 15 Mit den unterschiedlichen Interaktionsformen wiederum korrelieren - zumindest partiell - verschiedene Praktiken, ,Landleute’ zu bezeichnen. 16 Im Folgenden möchte ich etwas näher auf drei ausgewählte Zinsregister aus dem 14. Jahrhundert eingehen, die aus dem Raum stammen, der die heutige Schweiz und den Süden Deutschlands umfasst. Ziel meiner kleinen Studie ist es, im mikrogeschichtlichen Vergleich Unterschiede und gegebenenfalls Gemeinsamkeiten der auf dem Land vorherrschenden Praktiken der Namengebung sichtbar zu machen. 17 Meine Aufmerksamkeit gilt zu- 13 Vgl. M ONIQUE B OURIN , Les formes anthroponymiques et leur évolution d’après les données du cartulaire du chapitre cathédrale d’Adge (X e siècle-1250), in: Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne (wie Anm. 8), S. 151-86. 14 Zu den hochmittelalterlichen Vorläufern vgl. E NNO B ÜNZ , Urbare und verwandte Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in: Aufriss der Historischen Wissenschaften, Bd. 4: Quellen, hrsg. von M ICHAEL M AURER , Stuttgart 2002, S. 168-75; DERS ., Probleme der hochmittelalterlichen Urbarüberlieferung, in: Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter, hrsg. von W ERNER R ÖSENER , Göttingen 1995, S. 31-75. 15 Zu den kommunikativen Dimensionen vgl. H UGO O TT , Das Urbar als Quelle für die Weistumsforschung, in: Deutsche ländliche Rechtsquellen. Probleme und Wege der Weistumsforschung, hrsg. von P ETER B LICKLE , Stuttgart 1977, S. 103-15; A LBRECHT G REULE , Urbare als Kanzleiprodukte und Sprachquellen, in: Aufgaben einer künftigen Kanzlei sprachen forschung, hrsg. von J ÖRG M EIER und A RNE Z IEGLER (Beiträge zur Kanzleisprachenforschung 3), s. l. 2003, S. 57-67. 16 Zu den verschiedenen Logiken, die die Texte auf unterschiedliche Weise strukturieren, vgl. E MMANUEL G RÉLOIS , Loco et tempore competenti: les temps, les lieux et les agents intermédiaires dans l’économie seigneuriale en Basse-Auvergne (XIII e -XIV e siècle), in: Pour une anthropologie du prélèvement seigneurial dans les campagnes médiévales (XI e -XIV e siècles). Les mots, les temps, les lieux, hrsg. von M ONQIUE B OU - RIN und P ASCUAL M ARTÍNEZ S OPENA , Paris 2007, S. 363-92. 17 Eine der wenigen Studien, die sich mit den Namenspraktiken der spätmittelalterlichen Landbevölkerung im Süden Deutschlands befasst, ist die Untersuchung von J U - LIANE K ÜMMELL , Städtische Verwaltung und Landbevölkerung im Spätmittelalter - ein Personenrödel als Quelle zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 136 (1988), S. 129-51. 182 G ABRIELA S IGNORI nächst der kleinen, um die dreißig Häuser umfassenden Dorfgemeinschaft Schattdorf (Schachdorf) im Urner Bergland. 18 Ausgewählt habe ich den Ort, weil er besser dokumentiert ist als die meisten anderen Dörfern, die bis 1524 zur Grundherrschaft des Zürcher Frauenmünsters gehörten. In einem zweiten Schritt werde ich die zu Schattdorf gewonnenen Ergebnisse mit zwei weniger entlegenen Dörfer aus den Grundherrschhaften der Abtei Ellwangen und des Stifts Beromünster vergleichen. Konzentrieren werde ich mich in allen drei Fällen auf das 14. Jahrhundert. 1. Schattdorf im Urner Land (1321, 1358/ 59 und 1370) Aufgeteilt war das Land Uri, der pagellus Uroniae, wie die ältesten Zinsrodel des Zürcher Frauenmünsters zeigen, seit Mitte des 13. Jahrhunderts in die drei Meierämter Bürglen, Erstfeld und Silenen. 19 Als Siedlungsform herrschten Streusiedlungen vor: kleinere Dörfer, vor allem aber verstreute Weiler, die an Flussläufen gelegen waren. 20 Aus einer solchen Siedlung in Flussnähe entwickelte sich auch Schattdorf, das bis ins 15. Jahrhundert dem Meieramt und der Pfarrei Bürglen zugehörte. 21 Ab 1270 verfügte der Ort über eine eigene Filialkirche, was den Dorfcharakter des Ortes zusätzlich bestärkte, 22 sowie seit 1248 über einen Turm, der als Sitz des Ammannes fungierte. 23 Das Zinsregister (1424) und das Jahrzeitbuch (1518) deuten auf eine weitreichende ,Autonomie’ der Kirche. Den Status einer unabhängigen Pfarrei aber sollte Schattdorf erst 1537 erlangen. 24 N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 183 18 Das Urner Land gehörte von 853 bis 1524 zur Grundherrschaft des Zürcher Frauenmünsters, vgl. P AUL K LÄUI , Bildung und Auflösung der Grundherrschaft im Lande Uri, in: Historisches Neujahrsblatt Uri. N. F. 12-13 (1957/ 58), S. 40-89. 19 P AUL K LÄUI , Die Meierämter der Fraumünsterabtei in Uri, in: Historisches Neujahrsblatt Uri. N. F. 10-11 (1955/ 56), S. 7-34. 20 H ANS S TADLER -P FLANZER , Siedlungsgeschichte, in: Die Bauernhäuser des Kantons Uri, hrsg. von B ENNO F URRER , Basel 1985, S. 25-32, sowie W ERNER M EYER , Siedlung und Alltag. Die mittelalterliche Innerschweiz aus der Sicht des Archäologen, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft, Bd. 1: Gesellschaft, Alltag, Geschichtsbild, Olten 1990, S. 235-305. 21 K LÄUI , Meierämter (wie Anm. 19), S. 13f. und 32f. 22 A RNOLD N ÜSCHELER , Die Gotteshäuser der Schweiz. Historisch-antiquarische Forschungen. Bisthum Constanz. Archidiakonat Aargau (Dekanat Luzern), Vierte Abteilung C: Kanton Uri, in: Der Geschichtsfreund 47 (1892), S. 119-224, hier S. 130-2. 23 K LÄUI , Bildung und Auflösung der Grundherrschaft (wie Anm. 18), S. 48. 24 N ÜSCHELER , Gotteshäuser der Schweiz (wie Anm. 22), S. 131. Aber schon 1516 legte sich der Gemeindepriester ein eigenes Jahrzeitbuch an. Auf dem Zinsrodel der Frauenmünsterabtei von 1321 bildet Schattdorf noch keine eigene grundherrschaftliche Verwaltungseinheit, sondern ist dem Meieramt Bürglen untergeordnet. 25 Rund die Hälfte der 65 Zinspflichtigen verfügte 1321 über einen Vor- und einen festen Nachnamen, der von einer Generation auf die nächste weitergereicht wurde (24 Männer und 7 Frauen). 26 Die meisten Männer hießen Konrad (Chůni) oder Walther (Welti), während die Frauen häufiger Mechthild, Richenza (Richi) oder Ita hießen. Später kamen Margaretha und Katharina hinzu. Insgesamt sind es 1321 aber nur 18 Frauen. Bauern und Adelige tragen im Urner Land im Übrigen weitgehend dieselben Vornamen. 27 An Stelle von Nachnamen werden zuweilen feste Toponyme, der Gangbach - heute die Gand, ein Nebenfluss der Reuss, der durch Schattdorf fließt - das Baumgärtli, die Mühle, die Matte, die Straße oder andere Referenzpunkte inner- oder außerhalb des umzäunten Dorfbereichs benutzt (Karte). 28 Als Herkunftsangaben im engeren Sinn des Wortes erscheinen mehrfach andere Dörfer und Weiler der Region wie Ägeri und Stetten, Flüelen oder Hurrensellen. Wiederholt tragen die Zinspflichtigen schließlich auch den Vor- und Nachnamen ihres Vaters als Beinamen, was ihren Status als erbberechtigte Kinder hervorhebt, so Albrechts sune, Beli, Walther Zůkes kind, Mechthild des 25 K LÄUI , Meierämter (wie Anm. 19), S. 13f. Allgemein R OGER S ABLONIER , Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jahrhundert. Sozialstruktur und Wirtschaft, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft (wie Anm. 20), S. 9-233. 26 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abt. II: Urbare und Rödel bis zum Jahr 1400, Bd. 2: Urbare und Rödel von St. Blasien, Einsiedeln, Engelberg, Fraumünster in Zürich, der Herren von Hallwil und Hünenberg und des Bistums Konstanz, bearb. von P AUL K LÄUI , Aarau 1943, S. 258-65. 27 Zum Ortsadel vgl. P ETER H UBLER , Adel und führende Familien Uris im 13./ 14. Jahrhundert. Genealogische, güterrechtliche und politische Aspekte, Bern und Frankfurt am Main 1973. 28 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 260/ 19 , 260/ 26, 260/ 29, 260/ 32, 261/ 6, 261/ 21, 261/ 22, 261/ 23, 261/ 25, 261/ 26, 261/ 27, 262/ 2, 262/ 10, 262/ 18, 262/ 21: Chůnrad am Stalden, H. in dem B > ngarten (2 Mal), Beli in dem B > ngarten, Jacob an der Strassa, R. nit B F le, C. ab dem B F le, oder Walther in der Matta, Peter ze der m F le, Hemma ab dem Acker oder Hemma Ennentbachs [jenseits des Baches]. Nur ein bzw. eine einzige Adelige erscheint 1321 auf dem Urbar, min fr > we von Attinghusen, 1361 durch den von S é mpellen abgelöst, vgl. H UBLER , Adel und führende Familien (wie Anm. 26), S. 112f. 184 G ABRIELA S IGNORI Erben tochter, Mechthild, Cendelis tochter, Růdolfs kint ab Hurnseldon, H. kind Butez, H. Butez kind oder C. Butes kind. 29 Bei den Frauennamen fallen die für Zeit und Raum typischen deutsch-lateinischen Mischformen mit dem Suffix ‚-a’ auf: Ita Greifina, Mechthild Jannina, Mechthild Madina oder Richenza Seslerra. 30 Männernamen tragen hingegen das Suffix ‚-o’. 31 Das deutsche Suffix ‚-in’ (Ita Schapercussin) bildet vorderhand noch die Ausnahme. 32 In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird es die ‚a’-Endung ganz verdrängen. Die 18 zinspflichtigen Frauen werden nur zweimal als Ehefrauen ausgewiesen. Bei Beli Kesis könnte der Genetiv auf den Ehemann Keso verweisen, einer der wenigen zinspflichtigen Männer im Bürgler Meieramt mit einem eingliedrigen Namen. 33 Auch als ,Wirtin’ bzw. ,Witwe’ ohne eigenen Rufnamen wird nur eine einzige Frau bezeichnet: Johans seligen wirtin ab dem B F le bzw. Johans wirtin ab B F le. 34 Am 18. Juli 1359 übereigneten die Abteien Wettingen, Rathausen, Kappel und Frauenthal ihren Grundbesitz in Uri dem Zürcher Frauenmünster. 35 Kurz zuvor muss Beatrix von Wohlhusen (1358-1398), die Äbtissin des Frauenmünsters, bei ihrem Amtsantritt ein neues Verzeichnis der Urner Besitzungen angelegt haben. 36 Auf dem Zinsrodel, den der Herausgeber auf die Jahre 1358/ 59 datiert, bildet Schattdorf dann erstmals eine eigene Verwaltungseinheit. Die Zahl der Grundholden beläuft sich insgesamt auf 30. N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 185 29 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 261/ 4, 261/ 10, 261/ 18, 261/ 31, 262/ 15-17. 30 Ebd., S. 260/ 24, 261/ 1, 262/ 3, 262/ 8. So auch im Großen Urbar des Stifts Einsiedeln (1331), zum Beispiel das Dorf Freienbach im Kanton Schwyz, in: Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 123f.: Metzi Ottina, Tobellina, Dietrichina. Vgl. den exzellenten Überblick von O LIVIER G UYOTJE - ANNIN , Les filles, les femmes, le lignage (wie Anm. 11), S. 383-400, sowie weiterhin D AVID H ERLIHY , Land, Family and Women in continental Europe, 701-1200, in: Traditio 18 (1962), S. 89-120. 31 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 260/ 26, 260/ 31, 261/ 20, 262/ 1, 262/ 25: R. Blaso, Keso, H. Erbo, R F di Erbo, C. F é rsto. 32 Ebd., S. 261/ 9. 33 Ebd., S. 261/ 2 und 260/ 31. 34 Ebd., S. 262/ 18 und 21. 35 Vgl. H ANS S TADLER -P FLANZER , Geschichte des Landes Uri, Teil 1: Von den Anfängen bis zur Neuzeit, Schattdorf 1993, S. 280f. 36 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 269-75. Und wiederum trägt mehr als die Hälfte von ihnen einen festen Nachnamen. 37 Als Söhne und Töchter ausgewiesen werden 1358/ 59 insgesamt sieben Grundholden, was zeigt, wie eng auch im Urner Land die Namensfrage mit dem lokalen Erbrecht verbunden war. 38 Nur herrschte hier - gleich wie in der Stadt - Realerbteilung vor, und es wurde zwischen Söhnen und Töchtern nicht unterschieden. Die Familie Hasen wird, zeigen die Einträge zu ihren Kindern, in zwei Linien unterteilt, in die Hasen in dem Baumgarten und die Hasen von Breitenakker. 39 Auch bei der Familie Haldi wird zwischen denen in dem Baumgarten und denen in der Hohlengassen unterschieden. 40 Als Herkunftsbzw. Wohnorte (wahlweise ,ze’ oder ,von’) erscheinen Busti, Hurensellen und der oben genannte Fleck Breitenacker. Etwas häufiger als 1321 werden die zinspflichtigen Frauen 1358/ 1359 über ihre Männer vorgestellt (sechs von 14). 41 Mit eigenem Vor- und Nachnamen ist aber allein L ze Hurrensellen, Walthers Suters wirtin eingetragen. 42 Dennoch ist es nicht möglich, in dieser Hinsicht Entwicklungslinien zu erkennen wie der Vergleich mit dem Gesamtrodel aus dem Jahr 1370 zeigt. Wie schon elf Jahre zuvor sind auch 1370 weiterhin 14 der 31 zinspflichtigen Frauen, 43 also rund die Hälfte. L tka ze Hurrensellen erscheint nunmehr jedoch ohne ihren Mann auf dem Zinsrodel, während Ita an der Gand dieselbe Person ist wie Ita an dem Akker auf dem Rodel von 1359. 44 Ita dürfte, wie die Diminutive zeigen, mit denen ihr Besitz beschrieben wird, zu den ärmeren Gestalten des Dorfes gezählt haben. So heißt es 1359: Item Ita an 37 Es sind aber nur partiell die selben Namen wie 1321, weil das ältere Urbar ja das gesamte Meieramt Bürglen erfaßte. 38 Ebd., S. 274/ 1, 274/ 3, 274/ 4, 274/ 9, 274/ 11, 274/ 14, 274/ 39, 275/ 3: Greta, R F dis Cůno Tochter, Katharina, Wernhers Hasen tochter und L tka, Walthers tochter ze der M é li, sowie C., Cůnr. Hasen sun, in dem B > mgarten, C F nis Hasen sun in dem B > mgarten, H., C F nis Hasen sun, von Breitenakker, Jenni, Welti G = lschis sun. 39 Ebd., S. 274/ 3-14. 40 Ebd., S. 274/ 32. Bei Nesa und Walther im Baumgarten ist hingegen unklar, ob sie einer der beiden Familien zuzuordnen sind (ebd., S. 274/ 25 und 275/ 6). 41 Ebd., S. 274/ 29, 274/ 31, 274/ 36, 274/ 38, 275/ 4: Mechthild, Haldis Wirtin, Bercht, Burchkartz wirtin von Busten, Mecht., C. Schudiers wirtin, Mecht., Heinr. wirtin ze Hurrensellen, Richi, R F dis wirtin ze Hurrensellen. 42 Ebd., S. 274/ 25. 43 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 2 (wie Anm. 26), S. 283f. Dass die beiden Rodel von 1358/ 1359 und 1370 weitgehend identisch sind, lädt ein, die Datierungsfrage neu zu stellen. 44 Ebd., S. 284/ 19. 186 G ABRIELA S IGNORI dem Akker 4 ß aun [ohne] 1 ∂ von 2 ( kkerlin in der Gebreiten und 1 stuikkli [Stöckchen] in der hofstat, als es us gemarchsteinot ist. 45 Über ihre Väter benannt werden: Richi, Cůnrat Ferlis tochter und Heinrichs tochter ze Busten sowie Cůnrat Hasen sun im B > ngarten. 46 Als Ehefrauen eingetragen sind: Berchta, Peter Burglis wirtin, Katherina, Jost wirtin ze Hurrensellen, Mechthild, Heinr. wirtinne ze Hurrensellen und Mechthild, Haldis wirtinne. 47 Nur eine einzige zinspflichtige Ehefrau trägt keinen eigenen Vornamen (Cůnrat Schudiers wirtin). 48 Auch der Luitzlin fehlt ein solcher. 49 Sie verzinste 3 ß von dem Gut, das einem Brunner gehörte. 50 Ohne Vornamen vorgestellt wird auch der Stritler, der 6 ß von Karlen bodmen zinste. 51 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat sich der Kreis der Zinspflichtigen in dem Zeitraum von elf Jahren, der die beiden Urbare von einander trennt, kaum verändert. Verzeichnet sind mehr oder weniger dieselben Namen und Herkunftsbezeichnungen, die genauso fest mit ihren Trägern verwoben scheinen wie andere Nachnamensformen. Durch ihren umfangreichen Besitz stechen die Familien Buster, Hasen und Haldi hervor, vor allem aber Walther Kestener und sein Sohn C F ni, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts reichste zinspflichtige Mann im Dorf. Ihren Hof hatten die Kestener (zwischen 1321 und 1358) von Walther Widing übernommen. 52 Frühere Besitzer blieben der Gemeinschaft in Erinnerung, indem ihre Güter über den Tod hinaus ihre Namen weiter trugen, wie der Karlenbodmen, die Widings Gand, Pergisen aker, Helblings matten oder die Spilmans matten. 53 Die Zinspflichtigen wechselten insgesamt aber eher selten. Im Urbar von 1358/ 59 betrifft dies ausschließlich die beiden Einträge zu Welti und Ita Sigristen. An ihrer Statt verzinse, lautet der Nachtrag, nun Bela, die Frau des Peter Bürgli. 54 Fünf Wechsel sind es auf dem Rodel von 1370. Der Stritler wird durch Margret, meister Hasen tochter abgelöst und Jenni ze Hurensel- N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 187 45 Ebd., S. 275/ 1, vgl. ebd., S. 284/ 25: Item Ita an der Gand 4 ß ! n 2 ∂ von zwein akern an der Gebreiten und von eim st é klin in der hofstat. 46 Ebd., S. 283/ 19, 283/ 33, 283/ 39. 47 Ebd., S. 283/ 23, 283/ 37, 284/ 20, 284/ 23. 48 Ebd., S. 283/ 36. 49 Ebd., S. 283/ 38. In diesem Fall wissen wir jedoch nicht, ob es sich um eine Ehefrau, eine Witwe oder eine alleinstehende Frau handelt. 50 Ebd., S. 283/ 38. 51 Ebd., S. 284/ 29. 52 Ebd., S. 274/ 17: aber 3 ß von Kestener hofstat und wz Walther Widings. zu 1321 (S. 261/ 7) lautet der Eintrag: Walther Widing an 3 ∂ 7 ß von dem gůte an der Ganda unt von siner hofstat unt von der Gebreiton. 53 Ebd., S. 283/ 32/ , 283/ 39, 284/ 4, 284/ 20, 284/ 24, 284/ 29. 54 Ebd., S. 274/ 20-3. len durch Uetka Nawin, Beli im B > ngarten durch Berchta Haldin und Margaretha Koblin schließlich durch eine Margret, Peters Zimermans wip, mit dem Nachtrag das git nu Růd. des Nawen sun. 55 Innerhalb der Familie scheinen Heinrich Haso von Breitenacker und Ita Hasin eine Wiese getauscht zu haben. 56 Das Bild, das die Urbare des Zürcher Frauenmünsters von den Namenpraktiken der Urner Landbevölkerung im 14. Jahrhundert entwerfen, ist heterogen. Zum einen beschreiben die Zinsregister die Grundholden als eine fest in der lokalen Topographie verankerte Gesellschaft. Umgekehrt schrieben sich begüterte Familien in die Topographie ein, indem sie nicht nur den Höfen, sondern auch den Matten und Äckern über Generationen hinweg ihren Namen verliehen. Außerdem zeigen die Urbare, wie eng die Namensfrage mit dem örtlichen Erbrecht verbunden war. Genauso wie in der Stadt herrschte im Urner Land Realerbteilung. Die logische Folge davon war, dass rund die Hälfte der Grundholden Frauen waren, die ihren Zinsverpflichtungen unter ihrem eigenen Namen nachkamen. Ob diese Frauen verheiratet, verwitwet oder ledig waren, wissen wir letztlich nicht. 57 Stadt und Land sind, wie die Namenspraktiken zeigen, im späten Mittelalter eben längst nicht immer als gegensätzliche Rechtsräume zu begreifen. Das Urner Land ist in diesem Punkt keine Ausnahme wie unter anderem ein Vergleich mit den Zinsverzeichnissen des Stifts Beromünster zeigt. 55 Ebd., S. 284/ 27f., 284/ 29f., 284/ 32f. 56 Ebd., S. 284/ 22f. 57 All diese Eigenheiten verschwinden in der Steuerliste von 1426 (die Abtei hatten in diesem Jahr den Zehnten zu Bürglen, Schattdorf und Spiringen den Kirchgenossen verkauft, vgl. dazu C ARL P FAFF , Pfarrei und Pfarreileben. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Kirchengeschichte, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft [wie Anm. 20], S. 205-82). Von 86 Steuerzahlern sind nur noch 16 Frauen (das heißt rund 20 Prozent), von diesen 16 versteuern nur zehn „Haus und Hofstatt“, und von diesen zehn wird in drei Fällen im Diminutiv nur von einem „Häuslein“ gesprochen. Im Vergleich zum Urbar von 1370 sind es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mehrheitlich andere, neue Familien. Zu den alten Familien zählen: die Familien Zimmermann, Haldi und Hasen, die Ferli, Goeltschi, Busti, an der Gand und ze Hurrensellen, vgl. J OSEF M ÜLLER , Steuerrodel der Pfarrkirche Schattdorf vom Jahr 1426, in: Historisches Neujahrsblatt 15 (1909), S. 75- 94, sowie F RIEDRICH G ISLER , Der Adlergarten in Schattdorf und seine Besitzer, in: Historisches Neujahrsblatt 1963/ 64, S. 90-9. 188 G ABRIELA S IGNORI 2. Langnau im Wiggertal (1324 und 1346-1347) Im Kelleramtsurbar des Stifts Beromünster sind 1324 für das Dorf Langnau bei Reiden (im heutigen Kanton Luzern) 15 Personen verzeichnet, die Schupposen (schupposa), 58 das heißt kleinere landwirtschaftlich nutzbare Flächen im Besitz des Stifts bestellten (colere). 59 Pro Schuppose mussten die Bauern zwischen vier bis fünf Malter Weizen, ein Ferkel, ein Lamm oder gegebenenfalls ein Schwein im Wert von vier solidi pro Jahr verzinsen. Ferkel und Lämmer wurden auf verschiedene Chorherrenpfründen verteilt, die Schweine hingegen gingen an den Kellermeister. 60 Bei den zinspflichtigen Männern verzichtet der Schreiber gewöhnlich darauf, ihre Vornamen auszuschreiben. In einer Gesellschaft, in der fast alle Männer Heinrich, Johannes, Klaus oder Konrad hießen, war der Nachname wichtiger als der Taufname. Bei den Frauen hingegen wurden die Vornamen immer ausgeschrieben. Das Phänomen lässt sich auch in anderen Urbaren beobachten. Der erste und wohl auch wichtigste Eintrag bezieht sich auf den villicus, den Dorfmeier bzw. dessen Frau Katharina: Item, Katherina, die Frau des K lr. Villicus, bestellt zwei Schupposen, die mit acht Malter Weizen, zwei Ferkel und 2 Lämmer verzinst werden. Davon bestellt H., der Sohn des Jo. de Melsinkon eine Schopose. Item C. Linegger bestellt eine halbe Schuppose [...]. Item Hemma Sutoris abermals eine halbe Schuppose. 61 Elf der insgesamt 23 namentlich genannten, in Langnau ansässigen Personen sind Frauen. Zwei davon werden als Töchter vorgestellt, Adelheid filia N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 189 58 Vgl. P AUL M ÜNGER , Über die Schuppose. Studie zu Inhalt und Wandel eines Rechtswortes aus der Zeit des Verfalls der mittelalterlichen Agrarverfassung, Zürich 1967. 59 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abt. II: Urbare und Rödel bis zum Jahr 1400, Bd. 1: Urbare von Allerheiligen in Schaffhausen und von Beromünster, bearb. von P AUL K LÄUI , Aarau 1941, S. 78f. Zum Kelleramt vgl. M ATHIAS R IEDWEG , Geschichte des Kollegiatstiftes Beromünster, Luzern 1881, S. 196- 211, zum Dorf E DUARD H ÄFLIGER , Aus der Geschichte von Lagnau, in: Heimatkunde des Wiggertals 22 (1962), S. 58-63. 60 Einkünfte der Chorherrenpfründe, in: Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 1 (wie Anm. 59), S. 95 und 97-102. Zu den Chorherren vgl. H ELENE B ÜCHLER -M ATTMANN , Das Stift Beromünster im Spätmittelalter, 1313-1500. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte, Diss. Freiburg 1975, Beromünster 1976. 61 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 1 (wie Anm. 59), S. 78. Hemme Hůberrun und Hemma filia Sutoris. 62 Fast alle Frauen heißen im Langnau des 14. Jahrhunderts Adelheid (Hedi) oder Hemma. Hemma, wohl dieselbe Person wie im ersten Eintrag, bestellte ihre Schuppose zusammen mit einer Elli Landolfs. 63 Als Söhne verzeichnet sind H. filius Jo. de Melsikon, Jo. filius Jo. de Melsikon und H. filius Ite de Reiden. 64 Sowohl Töchter als auch Söhne werden demnach über ihre Väter oder ihre Mütter definiert. Ein bemerkenswerter Befund, der wiederum auf die Besitzverhältnisse bzw. das örtliche Erbrecht zurückverweisen dürfte. Als Ehefrau (uxor) kenntlich gemacht wird außer der Dorfmeierin sonst keine Frau. Rückschlüsse auf den Zivilstand der anderen Frauen zu ziehen erlauben die Einträge nicht. Übernamen wiederum werden, wie gewohnt, mit dem lateinischen Partizip dictus oder dicta eingeleitet, allerdings ohne dass dem Leser klar würde, weshalb der Schreiber die Formulierung hier benutzt, da nicht. 65 Dazu gesellen sich vereinzelte Toponymien C. in der Gassun und Hemma in der Rota, 66 sowie zu Nachnamen geronnene Herkunftsorte wie Mehlsecken (Melsikon), Reiden oder Unterwasser. 67 Das ,Kelleramtsurbar’ von 1346/ 47 entwirft ein etwas anderes Bild von den Herrschaftsverhältnissen in Langnau: 68 Als Schupposeninhaberinnen zurück bleiben nach rund zwanzig Jahren Katherina von Reiden, Hemma in der Rota (Rôth) und Hemma Sutoris. Am Ende der Liste wird vermerkt, dass Katherina von Reiden und Hemma in der Rôth neben den Schupposen auch eigene Güter besitzen, den Spielhof und das Gut, das Ulrich in der Rôth gehörte, dem Sohn der Ita in der Rôth. 69 Drei neue Schupposenbestellerinnen kommen hinzu: Verena Sigristina, Elsa, die Frau eines Wirtes, dessen Name 62 Ebd., S. 78/ 26 und 79/ 3. 63 Ebd. 64 Ebd., S. 78/ 16-17, 78/ 32 und 79/ 1. 65 Ebd., S. 79: H. ze Obrost, Petrus ze Oberost und H. dictus ze Obrost. Das Kelleramturbar von 1346-1347 benutzt das dictus nicht mehr ebd., S. 216f. 66 Ebd., S. 78/ 19 und 78/ 30. 67 Ebd., S. 78/ 17, 78/ 32, 79/ 1, 79/ 5, 79/ 7. 68 Ebd., S. 215-7. Vgl. G REGOR E GLOFF , Das Urbar als Werkzeug historischer Erinnerung und Legitimation. Güterverzeichnisse des Kollegiatstifts St. Michael in Beromünster vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, in: Wirtschaft und Herrschaft. Beiträge zur ländlichen Gesellschaft in der östlichen Schweiz (1200-1800), hrsg. von T HOMAS M EIER und R OGER S ABLONIER , Zürich 1999, S. 371-96, vgl. auch DERS ., Herr in Münster. Die Herrschaft des Kollegiatstifts St. Michael in Beromünster in der luzernischen Landvogtei Michelsamt am Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit (1420-1700), Basel 2003, S. 289-316. 69 Quellenwerke zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft II/ 1 (wie Anm. 59), S. 217/ 12-17. 190 G ABRIELA S IGNORI unleserlich ist, Ita de Hůbon, Landolfs, vielleicht die Tochter der Elli Landolfs. 70 In den Nachträgen tritt eine filia Arnoldi zum Steg an Verenas Stelle, und Anna, die Tochter des Müllers von Renzlingen, und Frau eines gewissen (dictus) Bergmann, der 1346/ 47 mehrere Schupposen bebaute, bestellte diejenige, die vor ihr R F . de Rentzlingen, wohl ihr Vater bebaut hatte. 71 Annas Mann Bergmann wird in den Nachträgen als Jo. Bergmann, servus ecclesie bezeichnet. 72 Als servi ecclesie eingetragen sind von späterer Hand auch acht weitere Personen (ausschließlich Männer). 73 3. Das schwäbische Unterkochen (1337) Schließlich seien noch kurz die Verhältnisse in Unterkochen gestreift, einem Dorf in der Nähe der Stadt Aalen in der Grundherrschaft der Benediktinerabtei Ellwangen. 74 Das älteste, 1337 angelegte Urbar unterteilt die Dorfgemeinschaft in drei bzw. vier Gruppen. Angelegt hatte es Abt Kuno von Gundelfingen (1332-1367), der vor seiner Wahl zum Abt das Amt des Cellerars bekleidet hatte: 75 An erster Stelle erscheint - also ähnlich gestaffelt wie in Langnau - der Dorfmeier, auf ihn folgen fünf Hubenbesitzer, 13 Lehen oder deren Inhaber und 17 Pächter kleiner Wirtschaftseinheiten, die das Ellwangener Urbar als selden bezeichnet. 76 Hinzukommen die Abgaben des Baders für die dörfliche Badestube, sowie diejenigen des Flurwächters und des Dorfhirten. 77 Amtsträger wie der Dorfmeier oder der Ammann tragen im Urbar keinen Namen, allenfalls einen Vornamen. Sie heißen einfach der Schaffner, der Mayer oder Eberlin der Amann. Ebenso namenlos er- N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 191 70 Ebd., S. 216/ 1, 216/ 7, 216/ 31f. 71 Ebd., S. 216/ 2 und 217/ 6-7. 72 Ebd., S. 215/ 44. 73 Ebd., S. 215/ 40, 215/ 44, 216/ 10f., 216/ 14, 216/ 19f., 216/ 26, 216/ 33f., 217/ 3f.: R. Goltpach, Heini im Wil, Burk. Kurtzenb F l, Jo. Snider, Ulr. Rietal, Heini von Reiden, Hentz Bergmann und Hentz ze Obrist. 74 Das älteste Urbar der Abtei des gotzhuses zu Ellwangen von 1337, bearb. von H UBERT H ÄFELE (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A: Quellen 52), Stuttgart 2008. Zu Unterkochen vgl. H UGO T HEURER , Geschichtliches von Dorf und Burg, in: Unterkochen in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Heimatbuch, Aalen 1954, S. 47-71. 75 H UBERT H ÄFELE , Ellwangen - Niedergang und Aufstieg des geistlichen Fürstentums im 13. und 14. Jahrhundert, in: Ellwanger Jahrbuch 41 (2006-2007), S. 507-39, hier 517- 36. 76 Das älteste Urbar (wie Anm. 74), S. 251-3. Vgl. T HEURER , Geschichtliches von Dorf und Burg (wie Anm. 74), 54f. 77 Das älteste Urbar (wie Anm. 74), S. 253-4. scheint das Dorfhandwerk im Ellwangener Urbar. Bei den Handwerkern zählte allein ihre Tätigkeit bzw. Funktion. An diese Funktion waren auch die jeweils unterschiedlich hohen Abgaben an den Grundherren gebunden: der Bader, der Flurwächter, der Hirte, der Jäger, der Schmied, der Schneider, der Wächter, der Wagner etc. 78 Das Dorf war zu Beginn des 14. Jahrhunderts offenkundig mit allem ausgestattet, was man zum Leben brauchte. Die Unterkochener Hubenbesitzer sind die einzigen, die das Urbar mehrheitlich mit Vornamen und Nachnamen ausweist. 79 Bei den Lehensinhabern ist dies nur drei Mal der Fall. 80 Vier Mal fungiert das Lehen selbst als Namensträger 81 , in vier weiteren Fällen werden die Lehensträger mit ihren Übernamen angesprochen: der Molle, Kappuntantz, der Strenge und der Gebůr, also „der Bauer“. 82 Zu den Lehnsinhabern (nicht zu den selden-Inhabern) gehörte im Übrigen auch der Dorfschmied. 83 Fazit Selbst wenn wir uns wie im vorliegenden Fall auf Grundherrschaften im süddeutsch-schweizerischen Raum und zeitlich auf das 14. Jahrhundert beschränkt haben, bleiben, alles in allem, die regionalen Unterschiede selbst auf kleinstem Raum bemerkenswert. Das hatte offenbar auch formale Gründe. Jede Grundherrschaft entwickelte je ihre eigene Modalitäten, ihre Einnahmen zu verzeichnen. Bald gehen die Schreiber von den Orten bzw. Gütern aus, bald von den Menschen bzw. den Namen. Die einen suchen die Zinspflichtigen vor Ort auf, die anderen arbeiten mit schriftlichen Vorlagen. Die Sichtweise der grundherrschaftlichen Güterverwaltung kann sicher nicht in allen Fällen vorbehaltlos mit den Namenspraktiken der zinspflichtigen Landbevölkerung gleichgesetzt werden. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die Verwaltungspraxis auf die Selbstbezeichnung der Landleute zurückwirkte, et vice versa. Wie dem auch sei, die Urbare öffnen den Blick auf eine Vielzahl von Praktiken ländlicher Namengebung, die, wenngleich auf unterschiedliche 78 Vermutlich sind auch der schopper (Schiffbauer), der růmer (Räumer), der r F ter (virgulator nach Grimm) ,Berufsbezeichnungen’. Ob mit der geisser der Ziegenhirte gemeint ist, ließ sich nicht in Erfahrung bringen, scheint mir aber wahrscheinlich. 79 Ebd., S. 251: Walther Keller, Sitze Eppelein und Fritze Epplin. 80 Ebd., S. 252: Hainrich Koch, Haintze Reinhart und Cůntze Giger. 81 Ebd., S. 252f.: Kramers lehen, Meggelers lehen, des Růfen lehen, das lehen, daz min herre apt Kůn von Gůndelfingen genant. 82 Ebd., S. 252. 83 Ebd. 192 G ABRIELA S IGNORI Art und Weise, so doch überall sehr eng mit dem örtlichen Besitzverhältnissen und damit eben auch mit dem Erbrecht verwoben sind. Es gibt Orte wie Langnau, wo die Realerbteilung dazu führt, dass zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte des Dorfes Grundbesitz mehrheitlich in Frauenhänden lag. Auch in Schattdorf waren, wir erinnern uns, fast die Hälfte der Zinspflichtigen Frauen. Und es gibt Orte wie das schwäbische Unterkochen, wo die Anlage des Urbars Frauen fast völlig unsichtbar macht. Auf die Namenspraktiken bezogen lässt sich schließen, dass es Orte gibt, wo fast jeder einen Vor- und Nachnamen trägt, und Orte, wo - wohl nicht nur aus der Verwaltungsperspektive - Amt oder Tätigkeit wichtiger sind als die Namensfrage. Noch andere Orte wie Schattdorf öffnen den Blick auf eine ländliche Gesellschaft, die tief in ihrer Umwelt verwurzelt ist, Orte im Nachnamen trägt oder Orte mit dem eigenen Nachnamen auszeichnet. N AMEN , M ENSCHEN UND O RTE 193 Das Urner Land, Karte aus: M AX O ECHSLIN , Die Wald-und Wirtschaftsverhältnisse im Kanton Uri, Bern 1927. 194 G ABRIELA S IGNORI „ Man ruft dich mit einem neuen Namen ...“: Monastische Namenspraktiken im Mittelalter Damit die Sklaverei noch augenfälliger sei, vertauschen sie das Kleid, das ihnen die Eltern gaben, und nach dem antiken Beispiel jener, die damals als Sklaven verkauft wurden, vertauschen sie den Namen, den sie in der Taufe empfangen haben; anstatt Peter oder Hans nennen sie sie Franciscus oder Domenicus oder Thomas. 1 Im Dialog Virgo μισογαμος lässt Erasmus von Rotterdam die Figur des Eubulos in einem Atemzug über zwei Zeichen des Mönchstandes spotten, den Habit und den Ordensnamen. Was Eubulos als Zeichen der Sklaverei apostrophiert (auch die Tonsur hätte er hier nennen können), ist seinem Gegenüber Katherina Ausdruck der Hingabe und damit von höchstem ethischem Wert. Einig sind sich beide aber darin, dass der Tausch von Kleid und Name gleichermaßen Ausdruck des Übergangs von der ,Welt’ ins Kloster sei. So parallel beide Zeichensysteme in den Colloquia familiaria behandelt werden, und so ähnlich die Symbolik von Habit und Ordensnamen dem heutigen Leser erscheinen mag, so unterschiedlich gut sind wir über die korrespondierenden Praktiken und Diskussionen aus dem Mittelalter informiert. Kleiderfragen spielen im mittelalterlichen Klosterleben, oder jedenfalls im ,Kloster als Imaginaire’ (Sonntag) eine prominente Rolle, auch wenn man für die Praxis nicht annehmen darf, dass jeder Mönch die ,richtige’ Tracht trug. 2 Die Einkleidung eines Mönches war synonym für den Eintritt ins Kloster, so sehr, dass Sprichwörter mahnten, dass der Habit allein noch nicht den Mönch mache (Vestimentum non facit monachum). Wäh- * Wiederholt verwendete Abkürzungen: MGH - Monumenta Germaniae Historica; Epp. - Epistulae; SS - Scriptores. 1 Virgo, μισογαμος in: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami III/ 1, Amsterdam 1972, S. 287-97, hier S. 295: Quoque sit evidentior servitus, commutant vestem, quam dedere parentes, et ad exemplum priscum eorum, qui olim servos essent mercati, commutant nomen in baptismo inditum; ac pro Petro sive Ioanne, vocant Franciscum aut Dominicum, aut Thomam. 2 G ABRIELA S IGNORI , Vom Ziegenfell zur Ordenstracht. Zum Bedeutungswandel des Ordenshabit in der Geschichte des mittelalterlichen Mönchtums, in: Das Kleid der Bilder. Bildspezifische Sinndimensionen von Kleidung in der Vormoderne, hrsg. von D AVID G ANZ und M ARIUS R IMMELE (Textile studies 3) [im Druck]. 195 C HRISTOF R OLKER rend diese Themen der Mediävistik wohlvertraut sind, wird der Ordensname von den Forschungen zu Oblation, Noviziat und Profess nicht in den Blick genommen. 3 Der Hauptgrund liegt darin, dass der Name des Mönches --anders als sein Kleid - nie vom Normierungswillen der Regeln, der Ordensgründer oder späterer Reformer erfasst wurde. 4 Entsprechend schwierig gestalten sich Datierungsfragen: Während manche Historiker auf die frühesten Belege im 6. Jahrhundert, 5 andere auf byzantinische Beispiele vor allem des 9. Jahrhunderts verweisen, 6 sehen viele Ordensnamen jedenfalls in Nordeuropa eher als ein Phänomen des 16. Jahrhunderts an. 7 Wie die quantitativ orientierte onomastische Forschung wiederholt gezeigt hat, wichen die Rufnamen der meisten Ordensleute und Kleriker nicht von denen ihrer laikalen Umwelt ab. 8 Wo dies doch der Fall ist, sind die Historiker sehr 3 G ILES C ONSTABLE , The ceremonies and symbolism of entering religious life and taking the monastic habit, from the fourth to the twelfth century, in: Segni e riti nella chiesa altomedievale occidentale (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 33), 2 Bde., Spoleto 1987, Bd. 2, S. 771-834; H UBERTUS L UTTERBACH , Monachus factus est. Die Mönchwerdung im frühen Mittelalter (Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinertums 44), Münster 1995; M AYKE DE J ONG , In Samuel’s image. Child oblation in the early medieval West, Turnhout 2002; J ÖRG S ONNTAG , Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit (Vita regularis 35), Berlin und Münster 2008; M IRKO B REITENSTEIN , Das Noviziat im hohen Mittelalter. Zur Organisation des Eintrittes bei den Cluniazensern, Cisterziensern und Franziskanern (Vita regularis 38), Berlin und Münster 2008. 4 J OHANN T OMASCHEK , Wandlungen in der Benennung von Ordensangehörigen österreichischer Benediktinerklöster im Mittelalter, in: Personennamen und Identität. Namengebung und Namengebrauch als Anzeiger individueller Bestimmung und gruppenbezogener Zuordnung, hrsg. von R EINHARD H ÄRTEL (Grazer grundwissenschaftliche Forschungen 3 / Schriftenreihe der Akademie Friesach 2), Graz 1997, S. 183-212. 5 V ALENTINO M ACCA , Nome di religione, in: Dizionario degli Istituti di Perfezione, Bd. 6, Rom 1980, Sp. 321-25. 6 M ICHAEL M ITTERAUER , Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993, v.a. S. 150-1. 7 Siehe z.B. die Einschätzung von J OSEF H EMMERLE , Die Benediktinerabtei Benediktbeuern (Germania Sacra N.F. 28), Göttingen 1991, S. 164-5. 8 M ONIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE , Conclusion: Les mêmes noms mais un système de désignation different, in: Persistances du nom unique. Part 1: Le case de la Bretagne. L’anthroponymie des clercs, hrsg. von DENS . (Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne 2/ 1, Tours 1992, 147-57, v.a. S. 148. 196 C HRISTOF R OLKER zurückhaltend darin, Umbenennungen anzunehmen. 9 Andererseits ist der Ordensname eine genuin mittelalterliche Erfindung; im frühen Mönchtum waren Namenswechsel als Teil der Mönchwerdung völlig unbekannt, während sie um 1500 als vertraute Zeichen des Mönchtums zitiert und gegebenenfalls, wie in der eingangs zitierten Passage, verspottet werden konnten. 1. Die Söhne Benedikts: Monastische Namen im Frühmittelalter Zu ,Söhnen Benedikts’, so mahnte Beda Venerabilis († 735) die Mönche von Jarrow, könnten sie nur werden, indem sie beständig die Tugenden des Klostergründers Benet Biscop († 689/ 690) nachahmten. 10 Damit aber werden sie auch ,geistliche Söhne’ des ,Vaters aller Mönche’ Benedikt von Nursia. Geistliche Lehrer und Vorbilder apostrophierten die mittelalterlichen Erziehungslehren als ,Väter’, deren ,Söhne’ ihnen innerlich wie äußerlich ähnlich sein sollten. Diese Ähnlichkeit war ebenso in der Physiognomie wie auch in Zeichen wie Wappen und eben Namen zu suchen. 11 Was nütze ein großer Name, fragte Guibert von Nogent († 1124), 12 wenn er nicht als Ansporn zur Nachahmung diente? Die äußerliche Ähnlichkeit ging der innerlichen hier voraus. 13 Dieses pädagogische Element verbindet die Nachbenennung nach Verwandten und Heiligen mit jener nach bzw. durch Lehrer und Erzieher. 14 Dies gilt nach hochmittelalterlichen Vorstellungen insbesondere für die Paten als ,geistliche Eltern’. Idealiter, so ist es den literarischen Quellen zu entnehmen, gaben diese dem Kind seinen Namen, sorgten für seine geistliche Erziehung und machte es sich ,ähnlich’. 15 9 Siehe z.B. S ANTE B ORTOLAMI , Die Personennamen als Zeugnis für die Geschichte der Spiritualität im europäischen Mittelalter, in: Personennamen und Identität (wie Anm. 4), S. 147-82, hier S. 165; ähnlich T OMASCHEK , Wandlungen (wie Anm. 4), S. 207-8. 10 Bedae homiliae I, 13 (CCSL 122, S. 88-94, hier S. 93). 11 D IDIER L ETT , L’expression du visage paternel. La ressemblance entre le père et le fils à la fin du Moyen Âge: un mode d’appropriation symbolique, in: Être père à la fin du Moyen Âge, hrsg. von D IDIER L ETT (Cahiers de recherches médiévales 4), Paris 1997; online unter http: / / crm.revues.org/ index972.html. 12 De vita sua / Autobiographie, hrsg. und übers. von E DMOND -R ENÉ L ABANDE (Les classiques de l’histoire de France au Moyen Age 34), Paris 1981, hier S. 16. 13 M ITTERAUER , Ahnen und Heilige (wie Anm. 6), S. 332-5. 14 Ebd., S. 115-8. 15 L ETT , Visage (wie Anm. 11): „La ressemblance avec le parrain ou la marraine est toujours vivement souhaitée. Elle se perçoit essentiellement dans le domaine psychologique. La parenté spirituelle, dégagée de tous liens charnels, laisse surtout son empreinte sur l’âme ; si des ressemblances physiques existent entre parrain et filleul, c’est uniquement parce que le corps est le miroir de l’âme“ 197 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN Analog zur cognatio spiritualis sind auch die Beziehungen in der Welt des Klosters zu verstehen. Nachbenennungen waren auch hier oft auf konkrete, als Rollenmodell dienende Personen ausgerichtet; Vaterfiguren können der umbenennende Abt als Vater oder Benedikt als ,Vater aller Mönche’ sein. Im Falle des erwähnten Benet Biscop ist zwar nicht überliefert, wie er zu seinem Namen kam; an eine zufällige Namensgleichheit zu glauben, fällt aber schwer. Mit der Einführung seiner erkennbar an der Regula Benedicti orientierten Mönchsregeln und der Gründung der Klöster Wearmouth-Jarrow ahmte Benedict Bishop sein namensgleiches Vorbild jedenfalls tatkräftig nach. Die Möglichkeit, dass dieser Wahlverwandtschaft auch ein selbst gewählter Name entsprach, wird umso attraktiver, wenn man die bekannten Namenswechsel anderer Klostergründer und -reformer des frühen Mittelalters betrachtet. Willibrod/ Clemens († 657/ 658) und Winfried/ Bonifaz († 754) erhielten ihre neuen Namen jeweils in Rom im Zusammenhang mit ihren Missionen. Ihre neuen Namen sind also nicht im engeren Sinne ,Klosternamen’, wie dies später etwa bei Bruno von Querfurt († 1009) der Fall ist, der seinerseits den Namen Bonifaz annimmt. 16 Bei Witiza/ Benedikt von Aniane († 821) hingegen ist der programmatische Anspruch des Namens unübersehbar; als ,alter Benedictus’ sorgte er wie kein Zweiter für die Verbreitung der Benediktsregel und einheitlicher consuetudines im fränkischen Reich. 17 Auch Hrabanus Maurus († 856) muss in diese Reihe gezählt werden: Wenn Alkuin ihn als sancti Benedicti puer Maurus anredete, 18 war dies eine ostentative Nachbenennung nach dem Lieblingsschüler Benedikts. Alle diese Umbenennungen sind keine Ordensnamen im modernen Wortsinn; eine Verbindung zwischen Namensänderung und Klostereintritt bzw. Profess ist in keinem Fall nachweisbar. Dennoch sind es spezifisch monastische Namenswechsel. Die neuen Namen sind teilweise Heiligennamen, die zugleich ,sprechende’ Namen sind (clementia, bona facere), bei den Klostergründern und -reformern aber vor allem Nachbenennungen nach Benedikt von Nursia und seinen Gefährten. Diese kommen für die Nachbenennung weniger aufgrund ihrer kultischen Verehrung in Betracht; als solche fielen sie völlig aus dem Rahmen der Namenspraktiken ihrer Zeit. 19 16 G ERTRUD T HOMA , Namensänderungen in Herrscherfamilien des mittelalterlichen Europa (Münchener historische Studien. Abteilung Mittelalterliche Geschichte 3), Kallmünz 1985, hier S. 257. 17 MGH SS 15, S. 201; MGH SS 1, S. 301. 18 MGH Epp. 4, S. 223. 19 F ELICE L IFSHITZ , The name of the saint. The martyrology of Jerome and access to the sacred in Francia, 627-827, Notre Dame, Ind. 2006, S. 3, nennt Willibrord/ Clemens, 198 C HRISTOF R OLKER Vielmehr ist es ihre Rolle als ,Söhne Benedikts’, die sie auch individuell den Namen des ,Vaters aller Mönche’ annehmen lässt. Häufig waren solche Namensänderungen nicht; zu wichtig war die durch Rufnamen hergestellte Bindung an die Herkunftsfamilie. Es ist daher auch kein Zufall, dass die zitierten Namensänderungen überwiegend in der Fremde bzw. nach einem Bruch mit der Herkunftsfamilie stattfanden. 20 Das aber bestärkt gerade ihren Charakter als monastische Namen, indem sie eine radikale Trennung von der Welt darstellen. Der erste ausführlichere Bericht über die Praxis des so verstandenen ,Ordensnamens’ im lateinischen Westen ist der des unter seinen beiden Namen bekannten Chronisten Ordericus Vitalis († ca. 1142). Orderic kam 1075 als ältester Sohn des Klerikers Odelerius von Orléans, der mit den Montgomery in die Nähe von Shrewsbury gekommen war, und einer namentlich nicht bekannten Mutter auf die Welt. Sein markanter angelsächsischer Name, die Selbstbezeichnung als angligena, vor allem seine Unvertrautheit mit dem Französischen lassen vermuten, dass seine Mutter angelsächsischer Herkunft war. 21 Von seinen beiden jüngeren Brüdern erhielt der eine den normannischen Namen Everard, der andere wurde Benedikt genannt. Letzerer wurde mit fünf Jahren als Oblate in das gleiche Kloster gegeben, in das zugleich auch sein Vater eintrat, während Everard in der Welt blieb. 22 Schon hier ist die Rolle der Namen im Zusammenhang mit der vorgesehenen monastischen bzw. weltlichen Laufbahn erkennbar. Noch aufschlussreicher aber sind die Namen des Erstgeborenen. Orderic wurde zunächst zu Hause, dann vom Priester Siward erzogen, ehe er mit zehn Jahren ins Kloster St. Évroul gegeben wurde. Von den drei Brüdern war er mit Abstand am aufwendigsten ausgebildet worden, und die Wahl des Vaters mochte auch deshalb auf die berühmte normannische Abtei gefallen sein, die seinem Erstgeborenen den Weg ins Paradies und vorderhand zu einer erstklassigen Bildung erleichtern sollte. 23 Welche Absichten auch immer überwogen, der Abschied war tränenreich und, wie Orderic rückblickend be- Winfried/ Bonifaz und Witiza/ Benedikt „virtually the only known examples from the early medieval Latin West of naming or renaming after a saint“. 20 So auch K LAUS W ALTER L ITTGER , Studien zum Auftreten der Heiligennamen im Rheinland (Münstersche Mittelalter-Schriften 20), München 1975, S. 257. 21 Vgl. M ARJORIE C HIBNALL , The world of Orderic Vitalis, Oxford 1984. 22 Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica V, 14, in: The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, hrsg. und übers. M ARJORIE C HIBNALL , 6 Bde., (Oxford Medieval Texts), Oxford, 1969-80, hier Bd. 4, S. 142-6. 23 Historia ecclesiastica V, 14 und VIII, Epilog, hrsg. von C HIBNALL (wie Anm. 22), Bd. 4, S. 142-6 bzw. Bd. 6, S. 552. 199 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN richtet, endgültig. 24 Auch wenn über fünfzig Jahre bis zur Niederschrift vergangen waren und Orderic die Dankbarkeit für ein erfülltes Mönchsleben in den Vordergrund stellte, war ihm die Brutalität des Abschiedes immer noch präsent: 25 Also, großer Gott, der Du Abraham aus seinem Vaterland und dem Haus seines Vaters und von seiner Verwandtschaft zu ziehen befahlst, hast Du meinem Vater Odelerius eingegeben, dass er mich von sich ganz und gar losspreche und in Deine Gewalt gebe. [...] So also querte ich als Zehnjähriger den Kanal und gelangte als Fremder in die Normandie, wo ich allen unbekannt war und niemanden kannte. Wie Joseph in Ägypten hörte ich eine Sprache, die ich nicht verstand. Dank Deiner Gnade aber fand ich unter den Fremden nur Freundlichkeit und Vertraulichkeit. Vom ehrwürdigen Abt Mainerius wurde ich im elften Jahr meines Lebens in das Kloster St. Évroul als Mönch aufgenommen, und empfing am Sonntag, den 21. September, nach Klerikerart meine Tonsur. Anstelle meines englischen Namen, den die Normannen misstönend fanden, erhielt ich den Namen Vitalis nach einem der Begleiter des hl. Märtyrers Mauritius, dessen Heiligentag gerade gefeiert wurde. Die Bildsprache ist ambivalent: Der Abschied von England wird mit dem Zug nach Kanaan verglichen, aber auch wie Joseph in Ägypten fühlte sich der angligena in der Normandie. Der Namenswechsel, in einem Atemzug mit der Tonsur genannt, stellt dabei vielfache Bezüge her. Er ist zum einen Teil des Übergangs eines Kindes von der Familie, die ihm seinen Taufnamen gegeben hatte, an das Kloster und den ,geistlichen Vater’ Meinard. War der alte Name eine Verbindung vor allem zu seinen Vorfahren mütterli- 24 Historia ecclesiastica VIII, Epilog, hrsg. von C HIBNALL (wie Anm. 22), Bd. 6, S. 552: [...] plorans plorantem me tradidit, et pro amore tuo in exilium destinavit, nec me unquam postea vidit. 25 Ebd., S. 554: Iccirco gloriose Deus qui Abraham de terra patrisque domo et cognatione egredi iussit [vgl. Gen. 12, 1], Odelerium patrem meum aspirasti ut me sibi penitus abdicaret, et tibi omnimodis subiugaret. […] Decennis itaque Britannicum mare transfretavi, exul in Normanniam veni, cunctis ignotus neminem cognovi. Linguam ut Ioseph in Aegypto quam non noveram audivi. Suffragante tamen gratia tua inter exteros omnem mansuetudinem et familiaritatem repperi. A venerabili Mainerio abbate in monasterio Uticensi undecimo aetatis meae anno ad monachatum susceptus sum, undecimasque kalendas Octobris dominico clericali ritu tonsuratus sum. Nomen quoque Vitalis pro anglico vocamine quod Normannis absonum censebatur michi impositum est, quod ab uno sodalium sancti Mauricii martiris cuius tunc martirium celebrabatur mutuatum est. 200 C HRISTOF R OLKER cherseits, ist der neue ein (kontinentaler) Heiligenname, der nach Orderics Bericht durch das Datum der Tonsur motiviert war. Ebenfalls zu beachten ist der Kontext, den der zitierte Bibelvers herstellt: Mit der Aufforderung Gottes an Abram „aus seinem Vaterland und von seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Haus auszuziehen“ (Gen. 12, 1) ruft Orderic dem Leser auch die unmittelbar anschließende Verheißung ins Gedächtnis: „Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen“ (Gen. 12, 2). Diese Verheißung wird im Ewigen Bund bekräftigt, in dem Gott Abrams Namen in Abraham (,Vater vieler Völker’) ändert. Die religiöse Konnotation des Namenswechsels und auch die etymologische Lesbarkeit von Eigennamen werden damit noch einmal unterstrichen; der neue Name Vitalis ist Ausdruck der Berufung zum monastischen Leben, seine Semantik („lebensspendend“) verweist auf das ewige Leben. Zur religiösen Überhöhung seines Namenswechsels hätten Orderic indes zahlreiche biblische Exempla zur Verfügung gestanden, etwa Jacob/ Israel oder der sprichwörtliche des Saulus/ Paulus. 26 Aber während diese vor allem Konversionserlebnisse ausdrücken, kann Orderic mit der Berufung auf Abram/ Abraham das Erlebnis der Trennung von Heimat und Elternhaus in den Vordergrund stellen. Dazu passt auch die wiederholte Apostrophierung der Normandie als ,Exil’, ,Fremde’ und ,Ägypten’ sowie die Selbstbezeichnung als angligena, ,Fremdling’ und ,Barbar’. 27 Die Bedeutung von Namen für die Verhandlung von Eigenem und Fremdem, wie auch die Verbindung von Namens- und Ortswechsel waren in Orderics Umwelt ein wichtiges Thema, wie verschiedene Beispiele aus der Zeit vor und nach 1066 zeigen. Bekannt sind etwa die Namenswechsel der Königinnen Emma/ Ælfgifu († 1052) und Edith/ Mathilda († 1118), die ihre Namen aufgaben, nachdem sie ihre normannische bzw. schottische Heimat verlassen hatten. 28 Im vorliegenden Kontext jedoch ist die Frage viel wichtiger, ob die Namensänderung als Annahme eines ,Ordensnamens’ eher als singulärer Fall oder aber als etablierte Praxis zu verstehen ist. In seiner Hi- 26 Die Mehrheit der mittelalterlichen Theologen nahm an, Saulus habe auf der Straße nach Damaskus den neuen Namen Paulus erhalten, siehe z.B. die in Abaelards Sic et non q. 98 zitierten Autoritäten: Peter Abailard, Sic et non. A critical edition, hrsg. von B LANCHE B EATRICE B OYER und R ICHARD P ETER M C K EON , ChicagoLondon 1977, S. 328- 30. 27 Belege bei C ECILY C LARK , Words, names and history, Cambridge 1995, hier S. 118. 28 T HOMA , Namensänderungen (wie Anm. 16), S. 191-3; P AULINE S TAFFORD , Queen Emma and Queen Edith. Queenship and women’s power in eleventh-century England, Oxford 2004. 201 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN storia ecclesiastica stellt Orderic eine ganze Reihe seiner Mitmönche aus St. Évroul mit zwei Rufnamen vor. Allein im zweiten Buch der Historia erwähnt er Willelmus cognomento Gregorius, Bernardus cognomento Matheus, Rainaldus cognominatus Benedictus, Bernardus cognomento Michahel und Wilelmus Cadomensis qui Alexander est cognominatus. 29 Während cognomina bei Orderics meist Beinamen bezeichnen (Robert Kurzhose, Harald Schönhaar usw.), handelt es sich bei den ,Doppelnamen’ der Mönche jeweils um eine Benennung mit einem zweiten Rufnamen, und zwar in der Art, dass dieser und nur dieser aufgrund seiner religiösen Konnotation ein ,christlicher’ Name war: Während Wilhelm, Bernhard und Reinald nicht als Heiligennamen wahrgenommen wurden, 30 waren die übrigen als Namen von Aposteln, Engeln oder Heiligen bekannt. 31 Schon dieser Umstand legt nahe, dass die Reihenfolge der Namen der zeitlichen Folge ihrer Vergabe entspricht und im Zusammenhang mit der geistlichen Laufbahn des Trägers steht, zumal Orderic solche Namen ausschließlich für Mönche erwähnt. In zwei Fällen erfahren wir mehr darüber, wie solche Namen vergeben wurden. Bei Rainald/ Benedikt handelte es sich um einen Oblaten, der St. Évroul im Alter von fünf Jahren übergeben wurde und erst dort vom Abt seinen zweiten Namen „aufgrund seines angenehmen Wesens“ erhielt. 32 Auch der mehrfach erwähnte Schreiber Willhelm/ Gregor war als Oblate ins Kloster gekommen und hatte dort seinen Heiligennamen erhalten, dessen er sich allerdings erst noch würdig erweisen musste: 33 Der erwähnte Wido […] sprach seinen Sohn Wilhelm, der damals kaum neun Jahre alt war, sich und der Welt los und übergab ihn am Allerheiligenfest Gott unter das mönchische Joch zu St. Évroul. […] 29 Alle Beispiele aus dem zweiten Band der Edition (wie Anm. 22), und zwar S. 84/ 86 (Wilhelm/ Gregor), S. 108 (Bernhard/ Matthias), S. 126 (Rainald/ Benedikt) und S. 154 (Bernhard/ Michael und Wilhelm/ Alexander). 30 Siehe M ITTERAUER , Ahnen und Heilige (wie Anm. 6) s.v. Wilhelm, Bernhard und Rainald. 31 Dies gilt sicher für Gregor, Benedikt, Matthäus und Michael, auch bei Alexander könnte der Märtyrer dieses Namens, von dem Eusebius im Zusammenhang mit den Verfolgungen von Lyon berichtet, die entscheidende Konnotation gewesen sein. 32 Historia ecclesiastica III, 28, hrsg. von C HIBNALL (wie Anm. 22), Bd. 2, S. 126: Rainaldus autem minimus filiorum Ernaldi tribus mensibus ante patris obitum Osberno abbati traditus est, et in Uticensi aecclesia sub regulari disciplina diligenter educatus est, et a praefato abbate Benedictus dulcedinis gratia cognominatus est. 33 Ebd., S. 84/ 86: Praefatus Wido […] Willelmum filium suum qui tunc ferme novem annorum erat mundo sibique abdicavit, Deoque sub monachilii iugo in aecclesia Uticensi serviturum in die festivitatis omnium Sanctorum tradidit. […] Gratia Dei Willelmum puerum bonis mori- 202 C HRISTOF R OLKER Die Gnade Gottes schmückte den Knaben Wilhelm mit gutem Charakter und machte ihn zu einem aufgeweckten Schüler; daher verdiente er es, von seinen Oberen Gregor genannt zu werden. Es sind pueri oblati wie Orderic selbst, die unmittelbar bei oder nach ihrem Eintritt ins Kloster einen neuen, christlichen Namen erhalten, und diese sind Teil eines Erziehungsprogramms, das nicht zuletzt auf spezifisch monastische Rollenvorbilder setzt. Neben dem offensichtlichen Fall Benedikts trifft dies auch für den zuletzt erwähnten Gregor zu; Gregor der Große, nicht als Papst, sondern als gelehrter Mönch war dem Novizen als Vorbild zugedacht worden. Was im Kloster bei der Erziehung der milites Christi genutzt wird, findet sich unter anderen Vorzeichen auch bei der ritterlichen Erziehung, und auch hier gegebenenfalls in Verbindung mit Namenswechseln. Die Umbenennung des späteren Kreuzfahrerhelden Bohemunds von Antiochien († 1111), von der Orderic ebenfalls berichtet, kann die Parallele verdeutlichen: Der in der Historia ecclesiastica zunächst als Marcus Buamundus vorgestellte Kreuzfahrer hatte den Apostelnamen als Taufnamen erhalten, Bohemund dagegen war ein vom Vater vergebener Spitzname nach einem Riesen aus der Fabel. 34 Nicht jeder Benedikt wurde ein frommer Mönch, und nicht jeder Träger eines Heldennamens erfolgreicher Kreuzfahrer, aber eindeutig geht es hier doch immer um Rollenvorbilder, die über die Namengebung vermittelt wurden. Offenbar bestand in den Klöstern wie St. Évroul um 1100 ein Nebeneinander zwischen Mönchen, die ihre weltlichen Namen behielten, solchen, bei denen schon die Taufnamen mit Blick auf den Klostereintritt gewählt worden waren, und solchen, die als Oblaten umbenannt wurden. Orderics Vater Odelerius, sein Bruder Benedikt und er selbst können für das Nebeneinander aller drei Möglichkeiten in einer Familie stehen. Die meisten Mönche behielten ihren Taufnamen bei, während die Annahme eines neuen Namens sowohl mit dem Gegensatz ,geistlich/ weltlich’ als auch der Fremdheitserfahrung der von Heimat und Familie getrennten Oblaten zu tun hatte. Wie entwickelte sich diese Praxis im Verlauf des 12. Jahrhunderts? Trotz einer deutlich ansteigenden Überlieferung nimmt die Zahl der Belege für einen Namenswechsel bei Ordenseintritt keineswegs zu, sondern eher ab. bus adornavit, et in bonis studiis vigilantem effecit; unde a praelatis suis Gregorius cognominari meruit. 34 Historia ecclesiastica VII, 2 und XI, 11, hrsg. von C HIBNALL (wie Anm. 22), Bd. 6, S. 70 bzw. Bd. 4, S. 16. 203 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN Dieser Negativbefund erhält dadurch umso größeres Gewicht, dass die liturgischen Quellen, die consuetudines und die ansteigende Brief- und Traktatliteratur gerade dieser Zeit detaillierte Einblicke in die Vorstellungen von der Mönchswerdung erlauben. 35 In Cluny wurde die Profess zu einer Zeremonie von nie zuvor gekannten rituellem Aufwand ausgebaut, andere Klostergemeinschaften thematisierten die Mönchwerdung gerade in Absetzung von Cluny. Dabei kamen, oft polemisch, sehr viele Riten und Zeremonien zur Sprache; Namensfragen spielten dabei aber keine Rolle, auch nicht in den Diskussionen darüber, ob die Profess als ,zweite Taufe’ anzusehen sei. 36 Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Richtungen des Mönchtums führte zu einer erhöhten Sensibilisierung für die feinen Unterschiede in der Ausgestaltung der monastischen Lebensweise, zu Ordensnamen aber schweigen die Quellen fast vollständig. Eine der Ursachen für dieses auffällige Schweigen ist sicher, dass die Praxis der Oblation, mit der die Umbenennungen in engem Zusammenhang standen, zunehmend in die Kritik geriet. Auch externe Entwicklungen können erklären, warum Umbenennungen wie die des Orderic/ Vitalis selbst eher seltener wurden. In Gesellschaften, die noch nicht lange christianisiert waren und in denen Umbenennungen im Zusammenhang mit Konversionen und Unterwerfungstaufen sehr präsent waren, hatte auch die Umbenennung bei Klostereintritt und die Vergabe spezifisch monastischer Namen eine besonders starke Symbolkraft. Nicht die Unterscheidung zwischen Kloster und Welt, wohl aber die Dramatik der Umbenennungen dürfte sich im Übergang vom Hochzum Spätmittelalter damit eher abgeschwächt haben. Auch die rein quantitative Ausbreitung der Klöster und Kirchen, der berühmte ,weiße Mantel der Kirchen’ (Raoul Glaber), machte den radikalen Bruch, wie ihn der Eintritt in ein fernes Kloster für den jungen Orderic bedeutet hatte, seltener. Auch wenn die Trennung von der ,weltlichen’ Familie und Neugründungen ,in der Wildnis’ für das Selbstverständnis des Mönchtums wichtig blieben, bedeutete der Klostereintritt doch tendenziell immer seltener, „aus seinem Vaterland und von seiner Verwandtschaft auszuziehen“. Desweiteren verwischte die allmähliche ,Christianisierung’ der Rufnamen die im Frühmittelalter ausgebildete Codierung von geistlichen im Gegensatz zu weltlichen Namen. Eventuelle Umbenennungen beim Eintritt ins Kloster bzw. auch anlässlich der Profess sind damit aus heutiger Sicht 35 Siehe die in Anm. 3 genannte Literatur. 36 Dazu C ONSTABLE , Ceremonies, S. 799-802 und L UTTERBACH , Monachus factus est, S. 148-54. (beide wie Anm. 3) 204 C HRISTOF R OLKER oft nicht mehr ohne weiteres zu erkennen. Wie der Vergleich mit den noch zu erörternden benediktinischen Namenspraktiken des ausgehenden Mittelalters zeigt, mussten gleiche Namen keineswegs immer das gleiche bedeuten. 2. Mendikanten Während aus dem benediktinischen Mönchtum bei zunehmend dichter Überlieferung eher weniger denn mehr Namenswechsel berichtet werden, findet sich ab dem 13. Jahrhundert im Umkreis der Bettelorden wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit für Namensfragen, und zugleich nicht wenige Namenswechsel. Franz von Assisi, Antonius von Padua, Bonaventura, Salimbene - sie alle tragen berühmte Namen, die eines gemeinsam haben: es sind eben nicht ihre Taufnamen. Die Welt, in der sie lebten, war in vielerlei Hinsicht eine andere als die des Orderic Vitalis, auch und gerade in Bezug auf Namenspraktiken. Heiligennamen verbreiteten sich im 13. Jahrhundert zunehmend, zugleich spielte in Italien die Semantik von Namen eine ganz andere Rolle als in Nordeuropa: Während dort die Bedeutungen der germanischen Namen schon früh opak geworden waren, gab es im spätmittelalterlichen Italien eine lebendige Tradition sprechender Namen; die Semantik lateinischer Namen, im Norden nur einer kleinen Bildungselite transparent, war in der Romania leichter zugänglich. Auch in Bezug auf die Geschlechter-Codierung von Namen bestanden deutliche Unterschiede; während in den germanischen Sprachen Männer- und Frauennamen in aller Regel deutlich unterschieden sind, werden die sprechenden Namen in den romanischen Sprachen für beide Geschlechter analog gebildet (Bello/ Bella, Venuto/ Venuta), und auch semantisch opake Männernamen konnten moviert als Frauennamen fungieren (Bartolomea, Jacopa, Simona). 37 Welche Rolle spielten Umbenennungen bei den Franziskanern? Das erste in dieser Tradition wichtige Beispiel steht zeitlich ganz am Anfang oder vielmehr noch vor Beginn ihrer Ordensgeschichte: Franziskus († 1226), so berichten es die Viten, 38 war in Abwesenheit seines Vaters auf die Welt ge- 37 Vgl. dazu C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Constitution et variations temporelles des stock des prénoms, in: Le prénom - mode et histoire, hrsg. von J ACQUES D UPÂQUIER u.a., Paris 1984, S. 37-47, hier S. 43. 38 Vita secunda, cap. 3, in: Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi, hrsg. und übers. von E NGELBERT G RAU (Franziskanische Quellenschriften 5), Werl 5 1994, S. 226-28; Dreigefährtenlegende, I, 2, in: Die Dreigefährtenlegende des heiligen Franzis- 205 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN kommen und hatte den Namen Giovanni erhalten - offenbar, wie so viele Heilige, von seiner Mutter, die in der Überlieferung teilweise sehr deutlich nach dem Typus der Elisabeth dargestellt wird. 39 Bei seiner Rückkehr aber benannte der Vater ihn in Anspielung auf das Land, in dem er sich aufgehalten hatte, in einen ,Franzosen’ (Francesco) um. Der neue Name ist hier also gerade nicht spezifisch religiös konnotiert; im Gegenteil ersetzt der Vater den von der Mutter gegebenen Heiligennamen durch einen völlig weltlichen Namen. Etwas anders liegt der Fall bei Antonius von Padua († 1231). Dieser war auf den Namen Fernando getauft worden und behielt diesen Namen bei, als er Augustiner-Chorherr wurde. Erst als er 1220 bei den Franziskanern in Olivare eintrat, änderte er seinen Namen in den des Klosterpatrons, des Mönchsvaters Antonius Eremita. Was damals noch ein sehr seltener Name war, sollte durch die früh einsetzende Verehrung Antonius’ in seiner Heimatstadt zu einem der populärsten männlichen Rufnamen werden: In der Jahrhundertmitte hießen nur wenige erwachsene Bürger von Padua so, aber schon zwanzig Jahre später war Antonio (nach Giovanni) der zweithäufigste Männername überhaupt. 40 Der als Bonaventura († 1274) bekannte Schüler des Franziskus hatte wie dieser in der Taufe den Namen Giovanni erhalten. Seine Umbenennung verknüpft sich mit einem Heilungswunder: Mit den Worten O buon aventura soll der sterbende Franziskus das zu ihm gebrachte Kind gesegnet und damit von seiner schweren Krankheit geheilt haben. Der sprechende Name war eine Verheißung für seinen Träger; ein Ordensname ist er aber gerade nicht. Weder wird er beim Ordenseintritt vergeben, noch unterscheidet er sich sichtbar von im 13. Jahrhundert in Italien üblichen augurativen Taufnamen; in Pistoia war Bonaventura im Jahre 1219 sogar der nach Benvenuto zweithäufigste Namen dieser Art. 41 Über den oder vielmehr die Namen Salimbenes († 1288/ 89) sind wir dank seines eigenen Berichts sehr detailliert im Bilde. 42 Sein Taufname lautete Baliano nach seinem Paten, was für Italien durchaus als ungewöhnlich kus von Assisi, hrsg. und übers. von E NGELBERT G RAU (Franziskanische Quellenschriften 8), Werl 2 1993, S. 83. 39 Vita secunda, cap. 3 (wie Anm. 38); teilweise auch in der Überlieferung der Dreigefährtenlegende, vgl. den Apparat der Edition (wie Anm. 38), S. 81, Anm. 2. 40 B ORTOLAMI , Personennamen (wie Anm. 9), S. 177. 41 D AVID H ERLIHY , Tuscan names, 1200-1530, in: Renaissance Quarterly 41 (1988), S. 561- 82, hier S. 566. 42 MGH SS 32, S. 38-9: Et in seculo dicebar ab aliquibus Baliánus de Sagitta - id est de Sydone volebant dicere - occasione supradicti domini qui me de sacro fonte levavit. A sociis vero et a 206 zu gelten hat. 43 Er selbst bevorzugte den Namen Dionysius nach dem Tagesheiligen seiner Geburt, seine Familie hingegen nannte ihn Ognibene, ein nicht ungewöhnlicher augurativer Name. So hieß er zunächst auch nach seinem (gegen den Willen des Vaters erfolgten) Eintritt bei den Franziskanern, bis er dort den letzten noch lebenden Gefährten des Ordensgründers traf. Dieser benannte ihn um mit der Begründung, kein Mensch sei durch und durch gut, doch er sei gut genug ,aufgestiegen’ (bene salisti), um sich Salimbene zu nennen. 44 Dass sein ,weltlicher’ Name geändert wurde, erscheint bei Salimbene nicht allzu ungewöhnlich; zu diesem Eindruck trägt auch die Beiläufigkeit bei, mit der er berichtet, Bruder Elias († 1253) habe erst nach Ordenseintritt so, ,in der Welt’ aber Bonusbaro geheißen. 45 Auch unter den Schülerinnen Klaras von Assisi († 1253) scheinen Umbenennungen im Zusammenhang mit dem Eintritt in den geistlichen Stand nicht selten gewesen zu sein; aus Ginevra wurde eine Schwester Benedetta, aus Grazia Illuminata und aus Mathilde Jacopa. 46 Soweit sich dies erkennen lässt, funktionieren die weiblichen Ordensnamen nach einer ähnlichen Logik wie die der Männer. Alle drei Namen sind christlich konnotiert, im Falle von Benedetta auch spezifisch monastisch; der augurative Gehalt, den sie zugleich haben, unterscheidet sie hingegen nicht unbedingt von den alten Namen wie Grazia. Auffällig ist die Vergabe movierter männlicher Namen an Frauen, wie dies sicher bei Jacopa und vermutlich auch bei Benedetta der Fall ist; die umgekehrte Benennung von Männern nach weiblichen Heiligen beschränkte sich im Mittelalter auf die zudem erst im 15. Jahrhundert aufkommende Vergabe von Maria als zweitem Taufnamen. Mit der Ausbreitung des Ordens wurden Namen auch im Zusammenhang mit der Begegnung von Franziskanern aus verschiedenen Ländern refamilia dicebar Omne-bonum. Quo nomine vocatus fui in ordine per totum annum. [...] Hic fuit ultimus frater, quem beatus Franciscus et unduit et recepit ad ordinem, ut retulit michi. Hic audiens, quod vocabar Omne-bonum, obstupuit et dixit michi: „Fili, nemo bonus nisi solus Deus. Decetero nomen tuum sit frater Samlimbene, quia tu bene salisti bonam religionam intrando.“ Et gavisus fui cognoscens, quod rationabiliter movebatur, et videns, quod a tam sancto viro michi nomen imponebatur. Verumtamen nomen, quod michi amabile erst, non habui. Volebam enim, ut nomen michi esset Dyonisius, non solum propter reverentiam illius doctoris eximii, qui ut discipulus apostoli Pauli, verum etiam quia in suo festo natus sum mundo. 43 Siehe C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Parrains et filleuls. Une approche comparée de la France, l’Angleterre et l’Italie médiévales, in: Medieval Prosopography 6 (1985), S. 51- 77 sowie meinen eigenen Beitrag im vorliegenden Band. 44 MGH SS 32, S. 39. 45 Ebd., S. 96. 46 B ORTOLAMI , Personennamen (wie Anm. 6), S. 166. 207 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN levant. Als etwa im Jahre 1221 die ersten Fratres in Würzburg ankamen, nahmen sie dort einen jungen Mann namens Harthmut auf. Sein Name, so Jordan von Giano († nach 1262), war für die italienischen Mitbrüder so fremd, dass sie ihn kurzerhand nach dem Tagesheiligen seines Klostereintritts in Andreas umbenannten. 47 Neben dem religiösen Aspekt hatten die Ordensnamen in ,internationalen’ Gemeinschaften auch die Funktion, eine gemeinsame Identität zu schaffen, die die kulturellen und sprachlichen Unterschiede überwand. Die vormals ,Fremden’ werden einander zu Vertrauten, aber damit zugleich der bisherigen Heimat und Familie fremd. Davon berichtet am deutlichsten Jacques de Guise († 1399): 48 Nach seiner Erzählung erkannte der Herr von Materne in einem Franziskaner namens Jean le Natier seinen lang verschollenen Onkel Josse wieder; nach anfänglichem Leugnen gab dieser schließlich zu, der Gemeinte zu sein und erzählte, wie er und seine Begleiter mit Graf Balduin zum Kreuzzug aufgebrochen, aber in heidnische Gefangenschaft geraten waren. Nach einer wundersamen Befreiung schließlich seien sie in Lissabon in den Franzsikanerorden eingetreten, „und mit der Änderung unseres Lebenswandels und des Kleides änderten wir auch unsere Namen“. 49 Hier scheint es vor allem um das Ablegen der alten Namen zu gehen; der Welt sterben, hieß für die ehemaligen Kreuzfahrer, ihre Namen ,in der Welt zurückzulassen’. 50 Das Moment der persönlichen Konversion, das bei den umbenannten pueri oblati der benediktinischen Abteien keine besondere Rolle spielte, steht hier wieder stärker im Mittelpunkt. Es war eine Sache, Kindern als Adressaten eines Erziehungsprogrammes bestimmte Namen zu geben und diese gegebenenfalls auch wieder anzupassen, aber eine ganz andere, wenn Erwachsene - zudem Adelige, bei denen die Bekanntheit des Namens nach Isidor von Sevilla als Standesmerkmal verstanden werden konnte 51 - ihren bisherigen Namen aufgeben. Wie häufig solche Namenswechsel bei Ordenseintritt waren, lässt sich kaum abschätzen, zumal sich ,weltliche’ und ,geistliche’ Namen phänomenologisch nicht unterscheiden. Josse de Materne benennt sich in Jean um, während der auf den Namen Giovanni getaufte Bonaventura diesen Namen 47 MGH SS 28, S. 207-9. 48 MGH SS 30, S. 282-90. 49 Ebd., S. 285-6: In conversacione et habitus mutacione nomina nostra mutavimus in dicto conventu Ulixbone. 50 Ebd., S. 290: Mortui sumus mundo, nomina nostra propter Deum in terris perdere et dereliquere decrevimus. 51 Isidor, Etymologiae X, 184 definiert: Nobilis non vilis, cuius et nomen et genus scitur. 208 C HRISTOF R OLKER ablegt; der letztgenannte Name unterscheidet sich in nichts außer den Umständen seiner Vergabe von üblichen ,weltlichen’ Rufnamen. Die sich daraus ergebende heuristische Schwierigkeit wird noch verstärkt durch die Polyvalenz der einzelnen Namen. Nicht nur heute, aus dem Abstand mehrerer Jahrhunderte, ist eine ,eindeutige’ Bestimmung schwierig; auch unter den Zeitgenossen muss mit sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen gerechnet werden. Bei Franziskus selbst etwa gibt es nicht nur eine Spannung zwischen der mütterlichen Namengebung und der väterlichen Umbenennung, auch zwischen den Motivationen der Eltern einerseits und den Deutungen des Vitenautors andererseits bestehen deutliche Unterschiede. Während die Vita secunda betont, dass der Heilige seinen Namenspatron nicht vergessen habe und Johannes dem Täufer Zeit seines Lebens besondere Verehrung entgegengebracht habe, 52 kommt die Ähnlichkeit zum Namen der Mutter Giovana nur als Ehrung für diese, nicht als die doch zu vermutende Motivation für den Namen Giovanni vor. 53 Auch der vom Vater vergebene, keinerlei religiösen Bezug aufweisende Namen Francesco wird in der hagiographischen Tradition, die Namen der Heiligen als praesagium zu lesen, umgedeutet. 54 Noch deutlicher ist die vielfältige Deutung von Namen im Fall der hl. Katherina von Siena († 1380), die als Kind auch den Namen Euphrosina trug. 55 Man könnte den Namen als augurativen Namen ansehen, dessen semantischer Gehalt im Gegensatz zu ähnlichen Namen wie Laetitia, Iocunda oder Felicitas allerdings nicht jedem Zeitgenossen transparent war. Katherina selbst verstand hingegen die Namensgleichheit zur hl. Euphronsina als Aufforderung zur imitatio, 56 eine interessante Absetzung von der ja gleich- 52 Vita secunda, cap. 3 (wie Anm. 38): Ioannis proinde nomen ad opus ministerii pertinet quod suscepit, Francisci vero ad dilatationem famae suae, quae de ipso, iam plene ad Deum converso, ubique cito pervenit. Celeberrimum ideo supra omnium festa sanctorum festum Ioannis Baptistae ducebat, cuius dignitas nominis mysticae virtutis impressit sibi vestigium. 53 Ebd.: Quae mulier, totius honestatis amica, quoddam virtutis insigne praeferebat in moribus, sanctae illius Elisabeth, tam impositione nominis ad filium quam et spiritu prophetali, aliquo similitudinis privilegio gaudens. 54 Ebd. 55 Legenda maior, cap. 27, ed. J ÖRG J UNGMAYR , Die Leganda Maior (Vita Catherinae Senensis) des Raimund von Capua. Edition nach der Nürnberger Handschrift Cent. IV, 75, Übersetzung und Kommentar. Band 1: Einleitung und Text, Berlin 2004, hier S. 40. 56 Legenda maior, cap. 38, ed. J UNGMAYR (wie Anm. 55), S. 54: cogitavit frequentius, ut ipsa michi confessa est, beatam Eufrosinam, cujus nomen a casu fuerat sibi olim impositum [...] imitari. 209 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN maßen möglichen Identifizierung mit der hl. Katherina von Alexandrien. Raimund von Capua († 1399) wiederum, der von Katherina übrigens Johannes genannt wurde, 57 entschied sich gegen beide Möglichkeiten und deutet den Namen als das, was die moderne Forschung einen ,Lallnamen’ nennt; die „kindlichen Laute“, die Katherina hervorgebracht habe, hätten wohl so ähnlich wie Euphrosina geklungen. 58 Stattdessen lieferte er in seinem Prolog noch eine ausführliche gelehrte Auslegung des Namen Katherina, den er mit catena (Kette) in Beziehung setzte. 59 Namengeber, Namensträger und spätere Biographen hatten also jeweils ganz verschiedene Erklärungen parat. Gerade diese Widersprüche, die vor allen vorschnellen Deutungen warnen müssen, machen deutlich, dass die Symbolik von Namen und Umbenennungen sowohl im weltlichen wie im geistlichen Bereich eine große Rolle spielte. Umdeutungen von Namen sind in diesem Sinne ebenso aufschlussreich wie Namenswechsel; gleichzeitig sind sie in den meisten Fällen ,unsichtbar’, weil die Namen selbst dieselben bleiben. So vielfältig die Namenspraktiken von den spektakulären Umbenennungen bis hin zu subtilen Umdeutungen von Namen im Umkreis der Mendikanten des 13. und 14. Jahrhunderts waren, muss zugleich festgehalten werden, dass auch hier keine Institutionalisierung des ,Ordensnamens’ stattfand. Kleidung und Haartracht standen weiter im Vordergrund: Als Franziskus in seiner dramatischen Lossagung vom Vater auch das von diesem empfangene Kleid ablegt, behält er dennoch den Namen, den dieser ihm beigelegt hatte, und nennt sich nicht etwa wieder bei seinem Taufnamen. Später sollte er selbst der hl. Klara von Assisi die Haare scheren und ihr ein neues, ärmliches Gewand geben; den von den Eltern gegebenen Namen aber behielt auch sie. Der Namenswechsel bei Ordenseintritt mag, gerade bei Konflikten mit den Eltern und in der ,Fremde’, im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts häufiger geworden sein, fester Bestandteil des Aufnahmeritus wurde er nicht. 57 Legenda maior, Prolog 1, ed. J UNGMAYR (wie Anm. 55), S. 10: ego, Raymundus nomine usitato, ab ipsa tamen sacra uirgine uocatus ab euentu Iohannes, propter secreta michi relevata, ut existimo. 58 Legenda maior, cap. 27, ed. J UNGMAYR (wie Anm. 55), S. 40: Ego autem puto, quod infans hec in suis locucionibus infantilibus utebatur quandoque quibusquam uocabulis, que appropinquabant uel concordabant cum hoc uocabulo Eufrosina, et idcirco quasi eius uerbula repetens ipsam sic nominabant. 59 Legenda maior, Prolog 1, ed. J UNGMAYR (wie Anm. 55), S. 16, 18 und 22. 210 C HRISTOF R OLKER 3. Lokale Institutionalisierung im 15. Jahrhundert Eine solche Entwicklung hin zu Ordensnamen im modernen Sinn lässt sich nicht vor dem 15. Jahrhundert, und auch dann nur für einzelne Häuser, nachweisen. Wie Sharon Strocchia zeigen konnte, bildete sich in einigen Florentiner Benediktinerinnen-Abteien ab etwa 1450 eine deutliche Regelhaftigkeit bei den Namensänderungen heraus. 60 Auch hier unterschieden sich ,weltliche’ Namen und Ordensnamen nicht grundsätzlich; erstere waren oft Heiligennamen, letztere auch Namen wie Elena, Sibilla oder Ippolita. Wichtiger als die Frage, welche Namen im Kloster geführt werden, ist zunächst einmal, dass die Namen bei Eintritt in die Gemeinschaft angenommen wurden, die dadurch eine eigene Gruppenidentität ausbilden konnte. 61 Dabei griffen die Konvente auf eine Namenspraxis zurück, die auch in den Herkunftsfamilien der Nonnen üblich war: den nom refait, 62 dass heißt die Neuvergabe der Namen verstorbener Mitglieder. Die Erinnerung an vorige Trägerinnen eines Namens konnte dazu führen, dass dieser als besonders ehrenvoll angesehen oder umgekehrt als ,belasteter’ Name tabuisiert wurde. 63 Ganz ähnliche Praktiken konnte Johann Tomaschek für benediktinische Klöster in der Steiermark und in Kärnten im späten 15. Jahrhundert nachweisen. 64 Die Namen, die diese Mönche bei der Profess annahmen, sind dabei wieder der monastischen und speziell der benediktinischen Tradition entnommen; Antonius ist vertreten, mehrfach begegnet Benedikt, einmal auch wieder Maurus. Diese gesamtbenediktinische Namenswelt kann regional und lokal variieren, indem etwa die Namen von Bistumspatronen oder Klostergründern als Ordensnamen vergeben werden. Auch hier bilden sich lokale Traditionen aus, die eine Neuvergabe eines Namens erst nach Tod des vorigen Trägers erlauben oder jedenfalls die Erinnerung an ,Namensvorgänger’ an bestimmte Ordensnamen binden. 60 S HARON T. S TROCCHIA , Naming a nun. Spiritual exemplars and corporate identity in Florentine convents, 1450-1530, in: Society and individual in Renaissance Florence, hrsg. von W ILLIAM J. C ONNELL , Berkeley 2002, S. 215-40. 61 Ebd., S. 226: „Naming offered nuns one of several strategies for fashioning the collective identitiy of the community [...] to articulate their own set of values, models, and practices [...] to tell their own stories about themselves.“ 62 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Le nom „refait“. La transmission des prénoms à Florence (XIV e -XVI e siècles), in: L’Homme: Revue Française d’Anthropologie 20 (1980), S. 77- 104. 63 S TROCCHIA , Naming a nun (wie Anm. 58), S. 236-8. 64 T OMASCHEK , Wandlungen (wie Anm. 4). 211 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN Im Vordergrund steht bei diesen Praktiken die Ausbildung einer sehr lokalen Gruppenidentität, aber auch die symbolische Trennung von der Herkunftsfamilie. Dennoch mussten Ordensnamen nicht immer in dieser Weise wirken, wie das Fall der beiden Charitas Pirckheimer († 1532 bzw. nach 1553) zeigt. 65 Für die erste, bekanntere Namensträgerin ersetzte der christliche Tugendname ihren Taufnamen Barbara, den sie nach ihrer Mutter erhalten hatte. Bei der jüngeren Charitas Pirckheimer, ihrer Nichte, lag der Fall etwas anders. 66 Als sie 1503 geboren wurde, erhielt sie den Ordensnamen ihrer Tante, die im gleichen Jahr zur Äbtissin gewählt wurde, als Taufnamen; diesen führte sie auch weiter, als sie in das gleiche Kloster St. Klara wie ihre Tante eintrat. 67 Der scheinbar bestechend deutliche Gegensatz von ,weltlicher’ und ,geistlicher’ Verwandtschaft, die durch jeweils separate Namenspraktiken modelliert werden, war in der Praxis also keineswegs immer gegeben. Die ,Bedeutung’ der Namen ist den Zeichen selbst nicht anzusehen. Wichtig waren vielmehr der Akt der Umbenennung und das lokal vorhandene, für den Historiker aber oft nur schwer rekonstruierbare Wissen darum, nach wem ein Mönch oder eine Nonne nachbenannt worden war. Wo keine Professurkunden oder ähnliche Quellen vorhanden sind, bleiben Anmerkungen wie die Hermans Weinsberg († 1597), dass vil monch auch in cloister ihre Namen geändert hätten, schwer überprüfbar. 68 Nur mit Vorsicht können bestimmte Muster als Indizen für lokale Namenstraditionen und Umbenennungen herangezogen werden. Dazu gehört etwa die auffällige Häufung bestimmter Namen im gleichen Amt; so heißen die ersten Äbtissinnen der 1490 gegründeten Benediktinerinnenabtei Santa Maria sopra Claro (dioc. Mailand) Scolastica (1490-1510), Scolastica (1510-9), Hieronima (1519-42), Maria Marta (1544-7), Hieronima (1547-1551), Maria Clara (1551- 65 E RNST H ERMANN J OSEPH M ÜNCH , Charitas Pirckheimer, ihre Schwestern und Nichten, Biographie und Nachlass, Nürnberg 1826; S USANNE K NACKMUSS , „Meine Schwestern sind im Kloster ...“. Geschwisterbeziehungen des Nürnberger Patriziergeschlechtes Pirckheimer zwischen Klausur und Welt, Humanismus und Reformation, in: Historical Social Research 30 (2005), S. 80-93. 66 J OHANNES K IST , Charitas Pirckheimer. Ein Frauenleben im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, Bamberg 1948, S. 3-8. 67 K NACKMUSS , Meine Schwestern (wie Anm. 65), S. 86. 68 Diese in der bisherigen Edition fehlende Passage ist ediert bei W ALTER H OFFMANN , Hermann Weinsberg als Namenforscher? , in: Hermann Weinsberg 1518-1597, Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk, hrsg. von M ANFRED G ROTEN (Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 1), Köln 2005, S. 275-92 und S. 283-5. 212 C HRISTOF R OLKER 4) und wieder Hieronima (1557-63). 69 Im deutschsprachigen Raum sind jedenfalls derartig auffällige Häufungen meist erst aus dem 17. Jahrhundert überliefert, wenn etwa die Äbtissinen von Hermetschwil seit 1615, die in Samen ab 1620 und von Münsterlingen seit 1625 ausschließlich Maria heißen. 70 Mit Unterschieden zwischen den Orden und vor allem von Haus zu Haus ist allerdings zu rechnen; die Priorinnen der benediktinischen Abtei Fahr heißen seit 1589, die Zisterzienserinnen in Gnadenthal im Aargau schon seit 1550 jeweils durchweg Maria. 71 4. Erasmus, Luther und die Folgen Insgesamt muss der Ordensname als eine im 16. Jahrhundert noch recht neue und gerade nördlich der Alpen seltene Praxis angesehen werden. Dass sich dies nach dem Konzil von Trient und vor allem im 17. Jahrhundert ändern sollten, war das Ergebnis einer konfessionellen Aufladung des Themas. Erst wenige Jahre vor seinem Tod, in seinen Genesis-Vorlesungen wetterte Martin Luther (†-1546) gegen Namensänderungen bei Eintritt ins Kloster: 72 „Was könnte schändlicher sein oder ein größeres Sakrileg, als aufgrund der Annahme des Habits den Taufnamen wegzuwerfen? “ Dass er selbst im Kloster den Namen Augustin geführt hatte, erwähnt er in diesem Kontext ebenfalls - ein sonst kaum bekannter Umstand. Als junger Augustinermönch hatte Martin Luder sich um seinen Ordensnamen nicht viel gekümmert; weder hatte er ihn genutzt, noch an ihm Anstoß genommen. Seine Aufmerksamkeit für Namensfragen galt anderen Bezeichnungen: Anstatt als Fr. Martinus, Martinus Lutherus oder Martin Luder unterzeichnet er seine Briefe zwischen November 1517 und 1519 als Martinus Eleutherius und lässt sich auch so anreden. 73 Diesen Beinamen gebrauchte er zwar nur kurzzeitig, aber seinen Familiennamen wollte er seit dieser Zeit unter Berufung auf seine ‚Freiheit’ ( ελευθερία ) mit ‚th’ geschrieben sehen. 74 Erst in den 1540er Jahren, und auch dann nicht an sehr prominenter Stelle, erinnert er sich wieder an seinen Ordensnamen. Seine Polemik ist 69 Helvetia Sacra Abt. III/ 1, Bern 1981, hier S. 1694-5. 70 Ebd., S. 1837-45, 1752-9 und 1878-81 (in Münsterlingen mit Ausnahme der Theresia von Barquer, 1688-1702). 71 Ebd., S. 1775-86 und 1809-12. 72 Genesisvorlesung (Weimarer Ausgabe 44), Weimar 1915, hier S. 213: Quid possit fieri turpius aut magis sacrilegum, quam abiicere nomen Baptismi propter indutum cucullum? 73 Martin Luthers Briefe (Weimarer Ausgabe. Briefwechsel 1), Weimar 1930. 74 Siehe dazu die Biographie von V OLKER L EPPIN , Martin Luther, Darmstadt 2006, die diesen Wechsel der Selbstbezeichnung konsequent übernimmt. 213 M ONASTISCHE N AMENSPRAKTIKEN damit primär anti-monastisch und keineswegs (wie die Wortwahl sacrilegum vermuten lassen könnte) theologisch motiviert. Der Taufname war weder nach altgläubigem noch nach Luthers Verständnis in irgendeinem Sinne heilig; anders als der shem kodesh in der jüdischen Tradition war er gerade kein speziell kultischer Name. 75 Obwohl Namengebung und Taufe im frühen Mittelalter faktisch miteinander verschmolzen waren, blieben die liturgischen, theologischen und kirchenrechtlichen Quellen des Mittelalters Namensfragen gegenüber daher auch weitgehend indifferent. 76 Es ging also um anti-monastische Polemik, wenn Erasmus und Luther den in der Praxis noch seltenen Ordensnamen als Thema entdecken. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts kam es zu einer Konfessionalisierung in dem Sinne, dass Protestanten gewohnheitsgemäß die Heiligkeit des Taufnamens gegen die unbiblische Praxis des Ordensnamen ausspielten, während auf katholischer Seite nun erstmals eine systematische Praxis der Umbenennung von Mönchen und Nonnen erkennbar wurde. In der konfessionalisierten Sicht des 17. und 18. Jahrhunderts veränderte sich auch die Wahrnehmung des Mittelalters und der Reformationszeit noch einmal in markanter Weise. Deutlich ist etwa der Unterschied zwischen der von Luther zu seiner Zeit als Mönch gepflegten Indifferenz zu seinem Ordensnamen und der Darstellung seines Klostereintritts bei Johann Quodvultdeus Bürger (1680-1742). Dieser leitet das entsprechende Kapitel seiner Biographie wie folgt ein: 77 „Das erste, was man mit Luthero vorgenommen, da er ins Kloster getreten, war die Veränderung seines Namens, denn da er in der Tauffe den Namen Martinus bekommen, [...] so erhielt er hernach den Ordens- Namen Augustinus.“ Anschließend stellt Bürger diese Praxis in einen Zusammenhang mit dem päpstlichen Amtsnamen und dem „jüdischen Aberglauben“ der Namensänderung bei schweren Krankheiten. 78 Die Botschaft ist deutlich: Namensänderungen sind katholisch oder jüdisch, ein guter Lutheraner aber bewahrte seinen Taufnamen. Mit mittelalterlichen Namenspraktiken oder auch nur jenen zu Luthers Lebzeiten haben diese Darstellungen allerdings nichts mehr zu tun. 75 Siehe den Beitrag von Lilach Assaf im vorliegenden Band. 76 Vgl. meinen eigenen Beitrag. 77 J OHANN Q UODVULTDEUS B ÜRGER , Historische Nachricht von des seligen Herrn d. Martini Lutheri Munchs Stand, Leipzig 1719, hier S. 137. 78 Zu dieser Praxis siehe den Beitrag von Lilach Assaf im vorliegenden Band, S. 149. 214 C HRISTOF R OLKER Ortsregister Aalen 191 Aargau 213 Ägeri 184 Ägypten 151, 200, 201 Allgäu 24 Allon 141 Antwerpen 120 Armagh 135 Armenien 49, 51 Arras 20, 36-7 Assisi 205, 207 Augsburg Bistum 25 Stadt 9, 25, 59 Basel (Bistum) 21 Basel (Stadt) 24, 28, 57, 58, 62-8 St. Alban-Vorstadt 62 Kleinbasel 23, 27-29 Beauvais 21, 36-7 Bern 24, 26, 39 Beromünster 183, 189 Biberach 24 Bloville 20, 36-7 Böhmen 49 Bologna 10 Bourg-en-Bresse 36-7 Brabant 114 Breitenacker 186 Bretagne 20 Britannien 131 Brügge 9, 13, 109-30, 118 Bürglen 183, 184 Burgund (Hzg.) 121 Busti 186 Butzbach 10 Cambrai 113 Champagne 22 Châteaudun 20, 36-7 Cluny 204 Connacht 131, 145 Crumlin 140, 143 Curragh 140 Deutschland (dt. Sprachraum) 19, 23, 118, 150, 152, 155, 180, 182-94 Drogheda 134, 142 Drumgoolan 140 Dublin 133, 137, 140- 2, 144 Dublin (County) 143 Eichstätt Bistum u. Stadt 25 Ellwangen 183, 191 Elsass 24 England 19-20, 36-37, 114, 118, 145, 163, 201 Erstfeld 183 Fahr 213 Flandern 113-15, 118, 122 Florenz 23, 32, 33, 56, 68, 161, 163, 167, 168, 171, 175, 181, 211 Flüelen 184 Franken 73 Frankfurt 24 Frankreich 18, 20-2, 36-7, 62, 114, 125, 181, 206 Frauenthal 185 215 Gallien 18 Gent 116, 119-23, 125 Gévaudan 21, 36-7 Gnadenthal 213 Gundenlingen 23 Heilbronn 155 Hermetschwil 213 Hiltalingen 64 Holland 112-14, 125, 127 Hurrensellen 184, 186 Ichendorf 60 Irland 13, 131-45 Italien 22-3, 36-7, 112, 118, 161-77, 169, 179, 181, 205-10 Jarrow 198 Kappel 185 Kärnten 211 Kaufbeuren 59 Kildare (Stadt) 133, 140 Kildare (Bistum) 141 Kilmainham 142 Kleinbasel - siehe Basel Köln 12, 23, 25, 60, 61, 73-92 Konstanz (Bistum) 28, 54 La Marche 49 Laach 10 Langnau im Wiggertal 189-91, 193 Lanloup 20, 36-7 Lea in Kildare 141 Leinster 141 Leix 141-42 Limousin 21, 36-7 Lissabon 208 Louth 133, 140 Lucca 9 Lusignan (Burg) 44, 50 Lusk 134 Luzern 23, 189 Mailand (Bistum) 212 Maillezais 48 Marseille 21, 36-7 Meath 133, 140 Mengen 24 Metz 21, 36-7 Miltenberg 10 Mittelmeerraum 154 Monsterevin 142 Montarcher 21, 36-7 München 25 Münsterlingen 213 Naas 138 Niederlande 113, 114, 117, 118, 121 Normandie 20, 199-203 Nürnberg 9, 12, 25, 26, 99-107, 152- 58, 212 Olivare 206 Padua 206 Palästina 48 The Pale - siehe Irland Paramé 20, 36-7 Paris 10, 20, 36-7 Parma 23, 36-7 Parthenay 50 Passau (Bistum) 60 Pisa 36-7 Pistoia 206 Poitiers 50 Poitou 48 216 Provence 22 Pruntrut 21 Rathausen 185 Rathcool 140 Regensburg 154 Reiden 189 Rom 31, 56, 163, 198 Roz-Landrieux 20, 36-7 Rufach 24 Salisbury (Bistum) 54 Samen 213 Schattdorf 183-88, 193 Schottland 201 Schweiz 21-2, 62, 182-94 Shrewsbury 199 Siena 36-7, 165, 209 Silenen 183 Sint-Lievens-Houtem 121 Spanien 154 St. Evroul 199-203 St. Gallen 23, 62 Steiermark 211 Stetten 184 Thérouanne 113 Toskana 22, 114, 168 Tournai 113 Treviso 36-7 Trim 134 Troyes 36-7 Ulster 131 Unterkochen 191-92, 193 Uri 185 Urner Bergland 183 Utrecht (Bistum) 113 Venedig 23, 36-7 Veneto 22 Verona 36-7 Vincenza 36-7 Wearmouth-Jarrow 198 Wettingen 185 Würzburg 208 Zeeland 113, 127 Zeeuws-Vlaanderen 113 Zürich 24, 183, 185, 188 Zypern 49 217 Autorinnen und Autoren Lilach Assaf, M.A. (geb. 1976), Studium der Philosophie und der Geschichte an den Universitäten Tel-Aviv und Konstanz, seit 2008 wissenschaftliche Angestellte im Rahmen des Exzellenz-Clusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“; Arbeitstitel des Promotionsvorhabens: „German Jews in late medieval towns: names, identities, and integrations“. Sparky Booker, M.A. (geb. 1983), Studium der Geschichte und derzeit Promotionsstudium (bei Seán Duffy) am Trinity College Dublin; Irish Research Council for History and the Humanities (IRCHSS) Postgraduate Scholar. Forschungsschwerpunkt: Gälizisierung der Engländer in Irland während des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Karin Czaja, M.A. (geb. 1982), Studium der mittelalterlichen Geschichte an den Universitäten Münster und Complutense de Madrid, seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz; Promotionsprojekt zu spätmittelalterlichen Familienbüchern aus Nürnberg. Dr. Marc von der Höh (geb. 1970), Studium der Geschichte, Germanistik und Historischen Hilfswissenschaften in Köln; 2004 Promotion an der Universität Halle-Wittenberg mit einer Arbeit zu „Erinnerungskultur und frühe Kommune. Formen und Funktionen des Umgangs mit der Vergangenheit im hochmittelalterlichen Pisa (1050-1150)“. Seit 2006 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für die Geschichte des Spätmittelalters in Bochum; derzeit Fellow des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz. Prof. em. Dr. Christiane Klapisch-Zuber (geb. 1936), 1966 Promotion an der Sorbonne, seit 1962 Chef de travaux, Maître-Assistante bzw. Maîtresse de conférences an der École Pratique des Hautes Etudes, VI e Section / École des hautes études en sciences sociales (Paris), seit 1981 Directrice d’études EHESS. Zahlreiche Arbeiten zur Sozialgeschichte der italienischen Renais- 219 sance; in deutscher Übersetzung erschien zuletzt Stammbäume. „Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde“ (München: Knesebeck Verlag 2004). Prof. Dr. Andreas Kraß (geb. 1963), 1994 Promotion, 2003 Habilitation am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München; seit 2004 Professor für Ältere Deutsche Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine jüngste Monographie (Frankfurt: Fischer Verlag 2010) ist „Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe“ gewidmet. Dr. Christof Rolker (geb. 1979), Studium in Konstanz und Oxford, Promotion in Cambridge mit einer Arbeit zu Ivo von Chartres; seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz, 2008/ 09 Fellow des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz. Teilprojektleiter „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung“ im Rahmen des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Prof. Dr. Gabriela Signori (geb. 1960), von 2001 bis 2006 Professorin für Geschichte des Spätmittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Münster, seit 2006 Inhaberin des Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz und Teilprojektleiterin „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung“ im Rahmen des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“; zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte des späten Mittelalters. Prof. Dr. Peter Stabel lehrt und forscht an der Universität Antwerpen. In zahlreichen Publikationen hat er sich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der flandrischen Städte im 15. und 16. Jahrhundert gewidmet. Seit Ende 2009 leitet er u.a. das Forschungskonzept „Heirs, kinship ties and urban associations. City dwellers and their networks in 15 th and 16 th century Mechelen“. 220