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Studia Socratica

2012
978-3-8233-7579-1
Gunter Narr Verlag 
Andreas Patzer

Wer war Sokrates? Die Frage ist nicht so einfach, wie sie klingt. Von diesem berühmten griechischen Denker gibt es kaum verlässliche Spuren, da die zeitgenössische Überlieferung so widersprüchlich ist wie nirgends sonst. Mit philologischem Rüstzeug und nachgerade kriminalistischer Akribie begibt sich der renommierte Sokrates-Forscher Andreas Patzer auf die Suche nach der historischen Gestalt und fördert dabei als sichere Erkenntnis zutage, dass Sokrates der erste Philosoph gewesen ist, der das Gute als Problem erkannt und so das Postulat einer wissenschaftlichen Ethik aufgestellt hat, das die Philosophie bis heute nicht eingelöst hat.

STVDIA SOCRATICA 076612 Class. Mona. 39 - Patzer_076612 Class. Mona. 39 - Patzer Titelei 06.09.12 13: 50 Seite 1 CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 39 · 2012 076612 Class. Mona. 39 - Patzer_076612 Class. Mona. 39 - Patzer Titelei 06.09.12 13: 50 Seite 2 Andreas Patzer STVDIA SOCRATICA Zwölf Abhandlungen über den historischen Sokrates 076612 Class. Mona. 39 - Patzer_076612 Class. Mona. 39 - Patzer Titelei 06.09.12 13: 50 Seite 3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-6579-2 076612 Class. Mona. 39 - Patzer_076612 Class. Mona. 39 - Patzer Titelei 06.09.12 13: 50 Seite 4 PARENTIVM MANIBVS S. 076612 Class. Mona. 39 - Patzer_076612 Class. Mona. 39 - Patzer Titelei 06.09.12 13: 50 Seite 5 Inhalt Vorwort ............................................................................................................... 1 Einleitung .......................................................................................................... 3 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute ................................................... 8 1. Sokrates als Problem ........................................................................... 8 2. Das Problem des Sokrates ................................................................ 18 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophie- geschichtliches Dokument .............................................................. 32 1. Die zwei Fassungen des Stückes ..................................................... 34 2. Die drei Perspektiven der Sokratesgestalt …................................. 35 3. Die Forschung .................................................................................... 41 4. Spaßphilosophie ................................................................................ 43 5. Historisches im Fiktionalen ............................................................. 44 Rückblick und Ausblick ............................................................................ 52 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes ....................................................................................... 54 1. Die Vögel ............................................................................................ 54 2. Die Frösche ......................................................................................... 59 Nachbemerkung: Nietzsches Sokrates .................................................... 62 4. Sokrates in den Fragmenten der Attischen Komödie ............. 64 1. Diogenes Laertius und die vita Elmsleiana des Euripides .......... 65 2. Telekleides .......................................................................................... 66 3. Kallias .................................................................................................. 71 4. Aristophanes ...................................................................................... 73 Inhalt viii 5. Ameipsias ........................................................................................... 76 6. Eupolis ................................................................................................ 84 7. Adespota et incerta ............................................................................ 95 Resümee ..................................................................................................... 102 5. Sokrates in der Tragödie ............................................................... 103 1. Die antike Überlieferung ................................................................ 103 2. Moderne Hypothesen ..................................................................... 110 6. Die Platonische Apologie als philosophisches Meisterwerk ...................................................................................... 118 1. Der historische Sokrates in Platonischer Fiktion ........................ 118 2. Die Platonische Apologie als Ausdruck philosophischer Rhetorik ............................................................................................. 121 3. Die interpretatio Platonica des Sokratischen Philosophierens 126 4. Die Philosophie des Sokrates ......................................................... 131 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker ........................ 135 1. Xenophon als Sokratiker ................................................................ 135 2. Der Begriff der Dialektik in den Apomnemoneumata .............. 140 2.1. Definition .......................................................................................... 141 2.2. Hypothesis ........................................................................................ 151 2.3. Dihairesis .......................................................................................... 157 3. Die Befreiung von Xenophon ........................................................ 161 8. Sokrates und Archelaos ................................................................. 163 1. Historische Zeugnisse über Sokrates ............................................ 163 2. Ion aus Chios ................................................................................... 164 3. Aristophanes und Platon ................................................................ 169 4. Aristoteles und der Peripatos ........................................................ 179 5. Theophrast ........................................................................................ 180 6. Aristoxenos ....................................................................................... 186 7. Resümee ............................................................................................ 199 8. Nachlese ............................................................................................ 200 Inhalt ix 9. Sokrates als Soldat. Geschichtlichkeit und Fiktion in der Sokratesüberlieferung .................................................................... 203 1. Die Kriegszüge des Sokrates in der antiken Überlieferung ...... 203 2. Potidaia ............................................................................................. 205 3. Das Delion ........................................................................................ 215 4. Amphipolis ....................................................................................... 236 5. Historizität ........................................................................................ 238 10. Sokrates und Iphikrates ................................................................. 248 1. Iphikrates und Glaukonides .......................................................... 248 2. Die Iphikratesparänese ................................................................... 248 3. Das Glaukonidesdictum ................................................................. 258 4. Nachspiel: Quasi una fantasia ....................................................... 263 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys ...... 266 1. Die Schwurpraxis des Sokrates ..................................................... 267 2. Die Schwurpraxis vor Sokrates ..................................................... 270 3. Der Rhadamanthische Eid ............................................................. 270 4. Sokrates‘ Rhadamanthische Eide im Horizont der Ironie ......... 272 5. Sokrates' Rhadamanthische Eide im Horizont der Anklage ..... 274 6. Polykrates als Ankläger .................................................................. 278 12. Sokrates und die Dreißig .............................................................. 283 1. Die Personen .................................................................................... 283 2. Platon ................................................................................................ 284 3. Xenophon .......................................................................................... 291 4. Polykrates ......................................................................................... 304 5. Aischines ........................................................................................... 308 6. Antisthenes ....................................................................................... 309 7. Sokrates und Theramenes .............................................................. 312 8. Nachlese ............................................................................................ 315 Inhalt x Nachwort .................................................................................................... 318 Bibliographie ............................................................................................. 319 Register der Namen und Sachen ........................................................... 333 — ὡ ς ἀ ε ὶ τα ὐ τ ὰ λέγεις, ὦ Σώκρατες. — ο ὐ µόνον γε, ὦ Καλλίκλεις, ἀ λλ ὰ κα ὶ ̟ερ ὶ τ ῶ ν α ὐ τ ῶ ν. Platon Gorg. p. 490 e Vorwort Der vorliegende Sammelband enthält zwölf eigenständige Abhandlungen. Zehn dieser Abhandlungen hat der Verfasser in den Jahren von 1985 bis 2006, teilweise an entlegener Stelle, veröffentlicht; zwei Beiträge (Nr. 3 & 12) wurden in den Jahren 2008 und 2009 eigens für diesen Band geschrieben. Allen Arbeiten ist gemeinsam, daß sie sich mit dem Themenkomplex der Sokratik auseinandersetzen, zu dem nicht nur Sokrates und die Sokratiker gerechnet werden, sondern die gesamte Sokratestradition, die mit der Attischen Komödie beginnt und erst mit den Sokratesbiographien der Suda endet. Die Sokratestradition ist von Anfang an und also auch bis zum Ende in der Hauptsache literarisch bzw. fiktional ausgerichtet: Die Texte über Sokrates, auf die wir allein angewiesen sind, da Sokrates selbst den Horizont der Oralität nie überschritten hat, wollen Sokrates in aller Regel gar nicht so darstellen, wie er wirklich gewesen ist, sondern — um eine Formulierung des Aristoteles aufzugreifen —, wie er hätte sein können. Dieser grundlegende Sachverhalt, den heute niemand mehr bestreitet oder doch nicht bestreiten sollte, evoziert die vielberühmte Sokratische Frage: Wie läßt sich der fiktionalen Überlieferung über Sokrates der historische Sokrates abgewinnen, dem sie sich doch zuerst und zuletzt verdankt? Die vorliegenden Beiträge versuchen, auf je und je verschiedene Art und Weise, auf diese eine Frage eine Antwort zu geben, so daß sie, bei aller Verschiedenheit der Thematik und der Methode, schließlich dennoch eine Einheit bilden: Es sind, recht betrachtet, Fragmente einer kritischen Gesamtdarstellung des historischen Sokrates. Das Fragmentarische dieses Unterfangens, zu dem sich der Verfasser offen bekennt, rührt daher, daß eine kritische Aufarbeitung der gesamten Sokratesüberlieferung, die durchaus ein Desiderat wäre, eine so gewaltige Aufgabe ist, daß sie, wie der Verfasser überzeugt ist, eines Menschen Kraft wohl übersteigt. Der Verfasser jedenfalls hat pro uirili portione nicht mehr zu geben vermocht, als er hier vorlegt — gerechtfertigt oder vielmehr getröstet durch das Wort des Properz: in magnis et uoluisse sat est. Der Verfasser hat sich redlich bemüht, die einzelnen Beiträge formal und inhaltlich gründlich zu überarbeiten, um so ein einheitliches Buch 2 herzustellen, das auf dem neuesten Stand der Forschung ist. Wenn bisweilen dennoch dasselbe mehrfach gesagt wird, so hofft der Verfasser, daß er an solchen Stellen, die er nicht immer unterdrücken konnte oder wollte, dem Sokrateswort, das als Motto dem Buche voransteht, Genüge getan hat. Die Anordnung der Abhandlungen erfolgt, soweit möglich, nach inhaltlich-systematischen Gesichtspunkten. Am Anfang steht, wie billig, eine Untersuchung über die Philosophie des historischen Sokrates (Abh. 1). Die folgenden Abhandlungen bilden zwei größere Gruppen, deren erste jene Untersuchungen umfaßt, die in der literarischen Fiktion eines Werkes bzw. einer Werkgruppe jeweils den historischen Sokrates aufzuspüren versucht (Abh. 2-7); die zweite Gruppe legt demgegenüber das Gewicht stärker auf die gesamte literarische Tradition, um einzelnen Aspekten des Sokratischen Lebens und Lehrens historisches Detail abzugewinnen (Abh. 8-12). In der ersten Gruppe finden sich zwei Studien über Aristophanes (Abh. 2 & 3), gefolgt von einer Studie über die fragmentarischen Komiker (Abh. 4) und einer Studie über Sokrates und die Tragödie (Abh. 5). Es folgen zwei Abhandlungen, die den erhaltenen Sokratikern gelten: Die erste gilt der Platonischen Apologie (Abh. 6); die folgende Studie ist Xenophon gewidmet und untersucht die Dialektik des Xenophontischen Sokrates (Abh. 7). Die zweite Gruppe eröffnet eine Untersuchung über Sokrates und den frühgriechischen Philosophen Archelaos (Abh. 8). Es folgt eine Abhandlung über Sokrates´ Rolle als Soldaten während des Peloponnesischen Krieges (Abh. 9). Zwei weitere Studien untersuchen Sokrates´ Verhältnis zu dem athenischen Strategen Iphikrates (Abh. 10) sowie das merkwürdige Schwurverhalten des Sokrates (Abh. 11). Eine Abhandlung über Sokrates´ Verhalten während der Terrorherrschaft der Dreißig (Abh. 12) bildet den Schluß der zweiten Gruppe und der Sammlung überhaupt. An dieser Stelle gilt es Dank zu sagen: Dank zuerst und vor allem an meinen Freund und Kollegen Martin Hose für Anregung zu diesem Buch, für die Aufnahme des Bandes in die Reihe Classica Monacensia, für förderliche Kritik im allgemeinen und für großzügige redaktionelle Hilfe im besonderen; Dank auch an meinen Schüler Eric Danay M.A., der das Druckmanuskript eingerichtet hat; Dank schließlich auch an die Verlage, die jeweils nach dem Titel der Abhandlung zusammen mit dem bibliographischen Hinweis auf die Erstveröffentlichung genannt werden, für die Erlaubnis des Wiederabdrucks. München, im Herbst 2011 Andreas Patzer Einleitung Die vorstehenden Abhandlungen verfolgen, so verschieden sie nach Inhalt und Methode auch sein mögen, ein einziges Ziel: Erkenntnis und Kunde zu erlangen über den historischen Sokrates. Der Weg zu diesem Ziel — auch davon legen jene Abhandlungen Zeugnis ab — ist mühsam und dornenvoll. Da Sokrates selbst zu uns nicht spricht, sind wir auf die Aussagen angewiesen, die andere über ihn getan haben. Diese Aussagen stehen reichlich, ja im Überfluß zu Gebote; sie folgen jedoch in den allermeisten Fällen nicht historischen Zwecken, sondern stellen Sokrates in literarisch-fiktionaler Verfremdung dar, die sich, schon und gerade bei den Zeitgenossen, unterschiedlicher genera bedient, als da sind: die Komödie, die zuerst auf Sokrates aufmerksam wird; der Sokratische Dialog und die Sokrates-Memoiren, zwei neue literarische Prosaformen, die, offenbar erst nach Sokrates´ Tod, von den Sokratikern erfunden wurden, um die Gestalt des Sokrates in idealem oder — was dasselbe ist — in fiktionalem Horizont darzustellen; schließlich die Gerichtsrede, die sich die causa Socratis als Demonstrationsobjekt nicht entgehen läßt, um die Macht bzw. die Ohnmacht der Rhetorik dem Publikum jeweils möglichst eindrucksvoll und paradigmatisch vorzuführen. Daß Mißliche für den späteren Betrachter liegt nun darin, daß keine dieser zeitgenössischen Manifestationen auch nur im Traume die Absicht verfolgt, historische Kunde von Sokrates zu geben, sondern sehr verschiedenen literarischen, poetischen, philosophischen oder rhetorischen: kurz fiktionalen Zwecken dient, die sich zwar je und je an der historischen Gestalt entzündet haben, aber dergestalt, daß wir zwar den Rauch oder auch Weihrauch sehen und schmecken, das Feuer aber, das ihn verursacht, kaum mehr zu erkennen vermögen, so hell es auch einmal gebrannt haben muß. Unmetaphorisch gesprochen: Der historische Sokrates ist von der fiktionalen Literatur so sehr vereinnahmt worden, daß die Bedeutung der historischen Person sich am sichersten nicht aus den überlieferten Texten erschließen läßt, sondern aus der Intensität der Verfremdung, in der jene Texte die historische Person jeweils erscheinen lassen. Hierbei ist zu konstatieren, daß die Fiktionalität sich nicht nur des philosophischen Denkens bemächtigt hat, dessen eigentümliche Offenheit ja nachgerade dazu aufforderte, es mit Gehalt — eigenem Gehalt — zu erfüllen; sondern auch und gerade die Biographie der historischen Person hat auf die fiktionale Tendenz der zeitgenössischen Sokrates-Literatur offenbar einen so unwiderstehlichen Reiz ausgeübt, daß auch das Leben dieses Mannes in jenem aus Erfindung und historischer Erinnerung gemischtem Halbdunkel verbleibt, das, zur Verzweiflung der Philosophie- E inleitung 4 historiker, auch sein Denken umhüllt. — Dies soll an einem besonders lehrreichen Paradigma hier in Kürze dargetan werden. Es geht um den Strafantrag, den Sokrates während des Prozesses gestellt hat — ein konkretes Detail, das, wie man denken sollte, da im hellen Lichte der Historie liegend, eindeutig und unzweifelhaft überliefert sein sollte. Das Gegenteil aber ist der Fall. Der Platonische Sokrates beantragt in der Apologie (p. 35 d-37 b) als Strafmaß zunächst Speisung im Prytaneion; sodann bietet er, einlenkend, sein ganzes Vermögen — eine Mine Silber — als Geldstrafe an; welche Summe er schließlich auf zehn Minen erhöht, für die einige seiner Gefährten bürgen würden. Diese Erzählung ist schon an sich sonderbar genug. Die ungeheuerliche Provokation des ersten Antrags - Speisung im Prytaneion — wird durch den zweiten Antrag auf Geldstrafe zwar zurückgenommen, aber auch dieser Antrag wirkt aufgrund der geringen Summe — eine Mine Silber — seinerseits wiederum provokativ; erst mit dem dritten Antrag — zehn Minen, verbürgt durch Freunde — findet Sokrates zu gerichtsüblicher Praxis zurück, die er vorher derart ironisiert, strapaziert und negiert hat, wie es in Wirklichkeit kein Gericht der Welt würde hingenommen haben, geschweige denn das souveräne athenische Volksgericht, bestehend aus 501 gewählten Richtern, deren Urteil inappellabel war. Wenn die Platonische Erzählung an und für sich schon schwerlich Historizität beanspruchen kann, so wird der historische Sachverhalt vollends zum Rätsel, wenn wir in der Xenophontischen Apologie (23) lesen, daß Sokrates gar keinen Strafantrag gestellt habe und auch die Gefährten gehindert habe, einen solchen zu stellen, da er der Meinung gewesen sei, mit einem solchen Antrag gestehe er ein, Unrecht getan zu haben. Das ist nun platterdings das Gegenteil dessen, was Platon erzählt. Mehr noch: Die Geschichte, die Xenophon erzählt, ist in sich viel einfacher und plausibler als Platons Erzählung, die statt keinem mit drei verschiedenen Strafanträgen aufwartet. Aber nichts wäre verfehlter, als diesen Befund dahingehend zu interpretieren, daß Platon erfinde, Xenophon hingegen der historischen Wahrheit die Ehre gebe. Wenn der frühe Platon über ein so vergleichsweise einfaches, wenn auch wichtiges historisches Detail so reden konnte, wie er redet, und wenn der späte Xenophon, der womöglich seinerseits früherer sokratischer Überlieferung folgt, darüber so anders reden konnte, wie er tut, wenn also in diesem einen konkreten Punkte zwischen zwei Sokratikern ein solcher diametraler Dissens möglich war, dann war in der Tat alles möglich, will sagen: Das historische Detail stand als solches gar nicht zur Debatte, weder bei den Autoren noch auch offenbar bei den Lesern, die keinen Anstoß daran genommen zu haben scheinen, daß das Detail ad libitum literarisch verwendet wurde. — Die folgenden Abhandlungen werden diesen Sachverhalt, der die Frage nach dem historischen Sokrates E inleitung 5 recht eigentlich evoziert und die Antwort so sehr verkompliziert hat, immer wieder bestätigen. Der vorliegende Sachverhalt wird indes noch komplizierter, wenn man nicht nur die zeitgenössische Sokrates-Literatur ins Auge faßt, sondern auch die anonyme spätere Sokrates-Tradition, die die Forschung bisher durchaus noch nicht gebührend ad notam genommen hat. So unzweifelhaft diese späte Tradition viel Irrtum und eigene, oft törichte Erfindung produziert hat, so unzweifelhaft schöpft sie auch immer wieder aus dem großen Reservoir der zeitgenössischen Sokrates-Literatur, die uns nicht oder doch nur höchst fragmentarisch erhalten ist wie die Komödie, die Sokratischen Dialoge des Aischines, Antisthenes, Eukleides und Phaidon und die Sokrates-Reden des Polykrates und des Lysias. Der Zufall will es, daß sich beides — eigene Erfindung und altsokratisches Gut — in der späteren Überlieferung über Sokrates´ Strafantrag nachweisen läßt und so das Paradigma gewissermaßen paradigmatisch ergänzt. Im 14. Sokratikerbrief (SSR VI A 152) unterrichtet ein ungenannter Sokratiker (Aischines? ) Xenophon über jene Vorgänge, die sich bei Prozeß und Tod ereignet haben. Meletos, so heißt es, habe die Rede, die Polykrates für ihn geschrieben habe, stümperhaft vorgetragen und sodann das Podium verlassen (§ 3). Sokrates seinerseits habe keinerlei Interesse gehabt, sich auf einen solchen dikanischen Wettkampf einzulassen und habe, seiner Art «bedrohlich lächelnd» (µειδιάσας βλοσυρόν), gesagt, was ihm — Xenophon — die Söhne geschrieben hätten. Was das war, errät der gebildete Leser sofort, der weniger gebildete kann es sich denken, wenn es wenig später heißt, die Richter hätten gesagt, Sokrates möge «dennoch» ( ὅ µως) einen Strafantrag stellen: Sokrates hatte sich demnach zuerst geweigert, einen solchen Antrag zu stellen, denkt aber nun um und fordert als Strafe Speisung im Prytaneion und verteidigt sich im folgenden, ohne weiter Rücksicht auf die gerichtsübliche Rhetorik und Praxis zu nehmen (§ 4 sq.). Die literarische Kombination bzw. Kompilation, auf die die Erwähnung der Rede des Polykrates auch naiv verweist, ist unschwer zu durchschauen: Sokrates´ Weigerung, eine Strafe zu beantragen, verdankt sich der Xenophontischen Apologie, der folgenden Antrag auf Speisung im Prytaneion geht auf die Platonische Apologie zurück, die folgenden Auslassungen des Sokrates sind — worauf hier nicht näher eingegangen werden soll — ein mixtum compositum aus jenen beiden apologetischen Schriften Nicht immer aber und sehr viel seltener, als man vermuten würde, führt Quellenkritik zu so einfachen und beruhigenden Ergebnissen. So stellt Diogenes Laertius in seiner Sokratesbiographie (2.41 sq. = SSR I D 1 [41 sq.]) Sokrates´ Verteidigung folgendermaßen dar: Nach dem Schuldspruch habe Sokrates als Strafe 25 Drachmen angeboten — Eubu- E inleitung 6 lides aber sage, er habe sich zu 100 Drachmen verstanden —, und als die Richter aus Empörung lärmten, habe er wegen seiner Taten Speisung im Prytaneion beantragt. Wie üblich zitiert Diogenes hier nicht die Hauptquelle, der er folgt, sondern nur die abweichende Nebenquelle: Eubulides (SSR II B 14) — vielleicht der Schüler des Eukleides, vielleicht aber auch nicht — verzeichnet 100 Drachmen als Strafsumme und bekennt sich so zum zweiten Strafantrag der Platonischen Apologie; denn 100 Drachmen zählen eine Mine. Anders die Hauptquelle, die nur 25 Drachmen als Strafe nennt und so die ohnehin provokatorisch niedrige Summe, die Platon nennt, um nicht weniger als 75 % unterbietet. Anders als bei Platon tut die niedrige Summe, die hier, wieder anders als bei Platon, an erster Stelle steht, Wirkung: Die Richter bekunden durch Lärmen ihr Mißfallen über die Impertinenz, die sich Sokrates mit seinem Strafantrag gegenüber dem Gericht erlaubt. Sokrates aber steigert sein impertinentes Verhalten noch und verlangt nun wegen seiner Taten Speisung im Prytaneion. Jener hochprovokative Antrag, den Platon an erster Stelle nennt, rückt hier an die zweite, so daß er numehr als Folge des ersten Antrags verstanden werden muß — gewissermaßen eine Trotzhandlung des Sokrates, mit der er die Empörung des Gerichtes quittiert. Diese Geschichte hat nun nicht das Ansehen, als handele es sich um eine späte Erfindung, derjenigen vergleichbar, die der 14. Sokratikerbrief bietet. Im Gegenteil: Während Platon die drei Anträge, die Sokrates vorbringt, unverbunden nebeneinanderstellt, den hochprovokatorischen Antrag — Speisung im Prytaneion — an den Anfang, den provokatorischen Antrag — 1 Mine — in die Mitte, den gerichtsadäquaten Antrag — Bürgschaft der Freunde für 10 Minen — ans Ende und so eine Antiklimax herstellt, die namentlich das Skandalon des zweiten Antrags gar nicht mehr fühlbar werden läßt, bringt der Anonymus die beiden Anträge, der er nennt, in ein Kausalverhältnis, so daß nun die provokatorische Absicht des ersten Antrags — 25 Drachmen — voll zum Tragen kommt und die hochprovokatorische Tendenz des zweiten Antrags — Speisung im Prytaneion — als Steigerung der vorangegangenen Provokation in aller Deutlichkeit und Kraßheit so eindrucksvoll hervortritt, daß von einem dritten, versöhnenden Antrag nunmehr nicht die Rede sein kann. — Alles recht erwogen, geht man schwerlich fehl, wenn man diese Geschichte einer altsokratischen Quelle zuweist, einem Sokratischen Dialog vermutlich, in dem Sokrates´ Strafantrag anders dargestellt wurde als bei Platon und bei Xenophon, der den Sachverhalt seinerseits ja wiederum ganz anders darstellt als Platon und der Anonymus. Ein solcher Befund wirkt beunruhigend, insofern als eine kritische Betrachtung der Überlieferung die Sache nicht vereinfacht, sondern komplizierter macht. So haben wir es jetzt in betreff des Strafantrags, den Sokra- E inleitung 7 tes vor Gericht gestellt haben soll, nicht nur mit zwei, sondern mit drei zeitgenössischen Varianten zu tun, die alle drei miteinander nicht kompatibel sind. Historische Kritik steht hier auf verlorenem Posten. Sie könnte allenfalls das einigermaßen erstaunliche Urteil wagen, daß die Erzählvariante Platons, lebens- und gerichtstechnisch betrachtet, am allerwenigsten historische Glaubwürdigkeit verdient, während die beiden anderen Varianten jeweils gleich große innere Wahrscheinlichkeit aufweisen. Woraus folgt, daß wir schlechthin nicht wissen können, wie sich Sokrates vor Gericht verhalten hat. Wie denn auch, wenn es den zeitgenössischen Texten und also auch den zeitgenössischen Lesern gar nicht um historische Information zu tun gewesen ist und die Produzenten wie die Rezipienten stattdessen literarische Erfindung vorzogen — auch und gerade in betreff eines biographischen Details, von dem moderne Ästhetik nicht annehmen würde, daß es fiktionaler Verfremdung Anreiz bieten würde? Die folgenden Abhandlungen werden solche beunruhigenden Befunde immer wieder und in Fülle zutage fördern. Was zur Folge hat, daß der Gegenstand, um den es dem Verfasser eigentlich zu tun war — der historische Sokrates — immer mehr in jenes Halbdunkel entschwindet, wie es fiktionale Verfremdung zu erzeugen liebt. Keiner bedauert dieses Entschwinden der historischen Gestalt ins Fiktionale mehr als der Verfasser, aber er mußte der Überlieferung die Ehre geben und dem Gebote διασώιζειν τ ὰ φαινόµενα auch. Es ist nun aber gleichwohl nicht so, daß vom historischen Sokrates fürderhin gar keine Rede mehr sein könnte und nicht auch im folgenden wäre. Im Gegenteil: Je mehr man den Blick dafür schärft, in welchem Maße die literarische Fiktion sich der historischen Gestalt bemächtigt hat, desto mehr ist man dagegen gefeit, vorschnelle und scheinplausible Schlüsse zu ziehen, wie sie in der Geschichte der Sokratesforschung Legion sind. So vorgewarnt und geschützt, schärft sich auch der Blick für das allenfalls Mögliche: jenseits aller Dekonstruktion der Sokrates-Überlieferung, wie ihr hier das Wort geredet wird, wenigstens eine Rekonstruktion des Sokratischen Denkens — wenigstens in den Grundzügen und im Kern — dennoch zu gewährleisten. Ob dem Verfasser eine solche Rekonstruktion gelungen ist, mögen andere entscheiden. Sicher ist, daß wir, allen hermeneutischen Schwierigkeiten zum Trotz, nicht ablassen dürfen, uns um ein Verständnis der Philosophie des historischen Sokrates zu bemühen: Verschwände auch sie so im Nebel und Halbdunkel der Überlieferung, wie es die Person tut, so bliebe stricte sic dictum die Entwicklung der griechischen Philosophiegeschichte, die doch Sokrates als ihr epochalstes Ereignis feiert, ein Rätsel — eine geistesgeschichtliche malaise, ja Katastrophe, die abzuwenden der Verfasser in den folgenden Beiträge sich redlich und so gut er konnte bemüht hat. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute ∗ Socrates' Skepsis in Betreff alles Wissens um die Moral ist noch immer das größte Ereigniß — man hat es sich aus dem Sinne geschlagen. Nietzsche Sokrates ist schon den Zeitgenossen ein Rätsel gewesen. Platon (Theaet. p. 149 a) berichtet, die Leute hätten gesagt, Sokrates sei ein «grundsonderbarer Mensch» ( ἀ το̟ώτατος), der seine Umwelt in Ratlosigkeit versetze. Die Modernen sind nicht viel klüger. Denn obwohl sich die Wissenschaft seit mehr als zweihundert Jahren um Aufklärung bemüht, herrscht immer noch Ratlosigkeit darüber, wer Sokrates gewesen ist und was er gelehrt hat. Sokrates ist und bleibt eine der rätselhaftesten und umstrittensten Gestalten der antiken Philosophiegeschichte. Dieser Tatsache muß jeder Versuch einer Darstellung Rechnung tragen. Es gilt zunächst, die eigentümlichen Schwierigkeiten aufzuzeigen, die sich der historisch-kritischen Forschung entgegenstellen, wenn sie sich Sokrates zu nähern versucht; erst dann kann der Versuch gewagt werden, diese Schwierigkeiten zu überwinden, um so das philosophische Grundproblem zu verstehen, das das Sokratische Denken bestimmt hat. 1. Sokrates als Problem Sokrates hat nichts geschrieben; sein philosophisches Wirken beschränkte sich ausschließlich auf die mündliche Rede. Demnach verdanken wir alles, was wir über Sokrates wissen, anderen; er selbst schweigt für die Nachwelt. Die antike Überlieferung über Sokrates, die uns demnach allein Auskunft zu geben vermag, ist ungewöhnlich umfangreich. Über keinen Menschen des fünften Jahrhunderts haben sich so viele Zeitgenossen so ausführlich geäußert wie über Sokrates, und da das Interesse an Sokrates auch in späterer Zeit nicht schwindet, so reichen unsere Nachrichten durch die Jahrhunderte bis zum Ende der Spätantike. So günstig dieser Sachverhalt auf den ersten Blick erscheinen mag, so trügerisch erweist er sich bei näherem Hinsehen. Denn so umfangreich ∗ Erstveröffentlichung in: Grundprobleme der großen Philosophen, 1. Bd.: Philosophie des Altertums und des Mittelalters, 4. Aufl., hrsg. von J. Speck (UTB 1246) [Verlag Vandenhoeck & Ruprecht] Göttingen 1990, 9-37. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 9 die antike Literatur über Sokrates auch ist, sie zeichnet nirgends ein einheitliches, in sich geschlossenes Gesamtbild der Persönlichkeit, sondern liefert statt dessen eine Vielzahl von Einzelbildern, die beträchtlich voneinander abweichen und nicht selten sogar einander widersprechen. Und je näher man hinsieht, desto verschiedener und widersprüchlicher erscheinen die einzelnen Sokratesdarstellungen, so daß man zuletzt kaum noch zu begreifen vermag, wie über ein und denselben Menschen so unterschiedlich hat geurteilt werden können. Das früheste Zeugnis über Sokrates, das wir besitzen, sind die Wolken des Aristophanes, die im Jahre 423 aufgeführt wurden. Sokrates erscheint in dieser Komödie, die uns nur in Form einer Überarbeitung kenntlich ist, als bettelhafter Schwätzer und Hungerleider, der als pythagoreisch-orphischer Mysterienpriester mit seinen Schülern in abgesonderter Denkerklause sein Wesen treibt, zugleich aber auch als Naturphilosoph über Kosmologie, Meteorologie, Geologie, Biologie und Physiologie lehrhaft zu reden weiß und außerdem in den sophistischen Künsten wie Grammatik, Metrik und vor allem in Rhetorik gegen Bezahlung Unterricht erteilt. All dies läßt die Person nicht nur in komischem, sondern auch und vor allem in fragwürdigem Lichte erscheinen: Das pythagoreisierende Tun verrät die Neigung zu irrationalem Dunkelmännertum und Geheimbündelei, das naturphilosophische Spekulieren führt zu Irreligiosität und Atheismus, und die sophistische Wortverdrehungskunst, die sich anheischig macht, der schlechteren Sache zum Siege über die bessere zu verhelfen, wirft auf die Gestalt auch noch den Verdacht betrügerischer Machenschaften. So erscheint Sokrates als höchst anstößige, ja anrüchige Person, der schließlich unter göttlichem Beifall völlig zu Recht das Haus über dem Kopfe angezündet wird. So sehr der Aristophanische Sokrates als Bühnenfigur beeindruckt, so wenig kann zweifelhaft sein, daß es ein solches mixtum compositum aus Pythagoreertum, Naturphilosophie und Sophistik nie gegeben hat. Dies wäre auch dann gewiß, wenn Aristophanes nicht auf Schritt und Tritt erkennen ließe, daß, was Sokrates als eigene Weisheit lächerlich verkündet, in Wahrheit Naturphilosophen wie Demokrit, Diogenes aus Apollonia und Hippon oder Sophisten wie Hippias, Prodikos und Protagoras verdankt wird. Wollte man dies alles auch für den historischen Sokrates in Anspruch nehmen, so müßte er einer der kühnsten oder besser einer der bedenkenlosesten Eklektiker gewesen sein, den die Philosophiegeschichte kennt. In Wahrheit ist der Aristophanische Sokrates eine Kunstfigur, in der sich die unterschiedlichsten Denkrichtungen zu einer poetischen bzw. fiktionalen Einheit zusammenfinden, so daß Sokrates geradezu als Repräsentant der gesamten intellekuellen Bildung seiner Zeit erscheint. Und diese Bildung ist es vor allem, die Aristophanes verspotten will, wenn er, die 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 10 Lizenzen komischer Verfremdung nutzend, Sokrates als Pythagoreer, Naturphilosophen und Sophisten dem Spott des Theaters preisgibt. Wiewohl im wesentlichen poetisch und fiktional, hat die Aristophanische Sokratesauffassung, die bei den fragmentarischen Komikern (Ameipsias, Eupolis, Kallias und Telekleides), die Sokrates als bettelhaften Schwätzer zeigen, in den Grundzügen wiederkehrt, langfristig Wirkung getan. Jedenfalls wiederholt die Anklageschrift (SSR I D 1 [40]), deren Wortlaut wir kennen, noch fast ein Vierteljahrhundert später Vorwürfe, die schon bei Aristophanes zu finden waren: Sokrates glaube nicht an die Götter der Stadt und verderbe die Jugend. Wie denn auch — horribile dictu — der pythagoreische Feuertod, den Sokrates am Schluß der Wolken erleidet, die tatsächliche Hinrichtung vorwegnimmt, die im Jahre 399 an Sokrates durch Gift vollzogen wurde. Es wäre indes voreilig, aus solchen Übereinstimmungen historische Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn unmittelbar nach Sokrates' Tod beginnen die Sokratiker übereinstimmend alles zu bestreiten, was Aristophanes und die Anklage behauptet hatten: Sokrates habe niemals für Geld Unterricht erteilt und weder in sophistischer Rhetorik noch gar in der Naturphilosophie Kenntnisse besessen; der Vorwurf der Gottlosigkeit und der Jugendverführung sei demnach erlogen und die Hinrichtung als Justizmord zu werten. Die vehemente Verteidigung, die dem toten Sokrates seitens der Sokratiker zu Teil wurde, muß in der athenischen Öffentlichkeit großen Eindruck gemacht haben. So kann der athenische Rhetor Polykrates bereits gegen Ende der neunziger Jahre eine fiktive Anklagerede gegen Sokrates (OA 2 p. 222) verfassen, um werbewirksam zu demonstrieren, wie man einen aussichtslosen Fall rhetorisch erfolgreich zu behandeln habe. Soweit wir sehen, ließ Polykrates zu diesem Zweck den Ankläger Anytos als Redner auftreten und, aufgrund von Sokrateszitaten der Sokratiker, ungefähr folgendermaßen plädieren: Sokrates sei ein gemeingefährlicher Volksverführer, der besonders die Jugend zur Mißachtung der Sitten und Gesetze und zum Umsturz der Verfassung anhalte, und müsse als Lehrer sowohl des Alkibiades wie des Kritias für die Niederlage Athens und für die darauffolgende Gewaltherrschaft der Dreißig haftbar gemacht werden. Der Redner Lysias wiederum schrieb eine Verteidigungsrede des Sokrates (fr. 271-276 Carey), von der ausdrücklich bemerkt wird, daß sie gegen die Anklage des Polykrates gerichtet gewesen sei. Woraus folgt, daß auch die Lysianische Rede eine rhetorisch-fiktive Werberede gewesen ist, dazu bestimmt, durch Widerlegung der Argumente des Konkurrenten die eigene rhetorische Geschicklichkeit ins bessere Licht zu setzen. Anders als die Komiker und die Redner haben sich die Sokratiker, um Sokrates darzustellen, eine eigene Literaturgattung geschaffen. Aristoteles (Poet. p. 1446 b 11; Rhet. 1 p. 1417 a 21; fr. 72 Rose = SSR I B 1-3) bezeichnet 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 11 den philosophischen Prosadialog der Sokratiker als «Sokratische Prosaschrift» (λόγος Σωκρατικός) bzw. «Sokratisches Gespräch» (διάλογος Σωκρατικός) und vergleicht ihn mit den Prosa-Mimen des Sophron und Xenarch. Allein dieser Vergleich hätte davor warnen müssen, die mannigfachen Dialoge der Sokratiker, in denen sich Sokrates als Hauptunterredner und Gesprächsführer jeweils mit einem oder mehreren Gesprächspartnern über philosophische Probleme unterhält, als wortgetreue Wiedergabe wirklicher Sokratesgespräche aufzufassen. In der Tat würden sich aus einer solchen Auffassung so erhebliche chronologische, ästhetische, psychologische und gedankliche Schwierigkeiten und Ungereimtheiten ergeben, daß gar keine andere Wahl bleibt, als den Sokratischen Dialog als eine fiktionale Literaturform zu begreifen, die sich der historischen Realität nur bedient, um sie frei nach eigenem Ermessen zu gestalten. Hierüber belehrt nichts gründlicher als ein Vergleich zwischen Platon und Xenophon, deren Sokratische Schriften wir, da erhalten, noch vollständig überblicken können. Platon und Xenophon repräsentieren zwei verschiedene Grundformen des Sokratischen Dialogs. Während Platon als Erzähler und als Dialogfigur gar nicht in Erscheinung tritt, konzipiert Xenophon seine Sokratesgespräche in der Form persönlicher Erinnerungen (Memoiren) und zögert nicht, sich auch selbst als Mitunterredner des Sokrates auftreten zu lassen (Mem. 1.3,8-13). So kann nicht Wunder nehmen, daß auch der Platonische Sokrates ein ganz anderer ist als der Xenophontische: Der Platonische Sokrates ist eine schlechthin geniale Persönlichkeit, ein Ironiker und Erotiker von hohen Graden und als solcher ein tiefgründiger Philosoph, der fragend und suchend die sich ihm jeweils stellenden Probleme denkerisch zu lösen unablässig bemüht ist; der Xenophontische Sokrates erscheint dagegen als biederer attischer Durchschnittsbürger, ein Popularphilosoph allenfalls, der als praktischer Ratgeber und schulmeisterlicher Mahner unablässig zu Selbstbescheidung und Wohlanständigkeit aufruft. Es kommt hinzu, daß der Platonische Sokrates keine in sich geschlossene, einheitliche Philosophie vertritt; er entwirft vielmehr philosophierend je und je verschiedene Denkansätze und Denkmodelle, so daß man, aufs Ganze gesehen, nicht von einem philosophischen System, sondern vielmehr von einer philosophischen Denkbewegung reden muß, die sich ihrem Gegenstande immer wieder aufs Neue umspielend zu nähern versucht, ohne jemals eine fertige Lösung vorweisen zu können oder zu wollen. Es ist der Platonforschung des 19. Jahrhunderts gelungen, diese fließende Denkbewegung wenigstens in großen Zügen chronologisch zu fixieren. Die Sprachstatistik hat außer Zweifel gestellt, daß sich die Platoni- 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 12 schen Schriften chronologisch in drei Gruppen einteilen lassen: die Frühschriften, die vor Platons erste Reise nach Sizilien fallen: Apologie, Kriton, Hippias min., Ion, Protagoras, Laches, Charmides, Lysis, Hippias mai., Euthyphron, Gorgias, Menexenos, Euthydem, Menon; die Schriften der Reifezeit, die zwischen der ersten und der zweiten sizilischen Reise anzusetzen sind: Phaidon, Symposion, Politeia; schließlich die Spätschriften, die nach der zweiten Reise entstanden sein dürften: Kratylos, Theätet, Parmenides, Politikos, Sophistes, Philebos, Phaidros, Timaios, Kritias, Nomoi. Diese drei Schriftgruppen, deren Chronologie nach rein philologischen Kriterien gewonnen wurde, repräsentieren zugleich — sehr beweisend — auch drei unterschiedliche philosophische Denkansätze: Die Frühschriften exponieren das Problem der Wesensbestimmung der Tugend bzw. der Tugenden, ohne eine Lösung anzubieten; die Schriften der Reifezeit suchen diese Antwort durch das ontologische Modell der Ideenlehre zu geben; in den Spätschriften wird dieses Denkmodell seinerseits wiederum in Zweifel gezogen und durch die Methode der «Dihairesis» (διαίρεσις) neu begründet, um schließlich im Zahlprinzip von «Eins» und «Unbestimmter Zwei» ( ἕ ν— ἀ όριστος δυάς) ein — auch wieder vorläufiges — Ende zu finden. Gleichviel, ob man diese gewaltige Denkbewegung als Dokument einer biographischen Entwicklung auffaßt oder als planmäßig angelegte Einführung und Anleitung ins wahre Philosophieren — da es im wesentlichen der Platonische Sokrates ist, der das Ganze im wesentlichen trägt und vertritt, so ist die Frage zu stellen, wie das Sokratische vom Platonischen zu trennen sei. Nichts ist bezeichnender für die Fiktionalität der Platonischen Sokratesdarstellung, als daß Platon selbst jedenfalls keinen expliziten Hinweis gibt, wie diese Frage zu beantworten sei. Wer Aristoteles nicht glaubt, daß die Ideenlehre Platonischen Ursprungs ist, der kann, wie die Schottische Platonschule es getan hat, die gesamte Platonische Denkbewegung, sofern sie für Sokrates in Anspruch genommen wird, für den historischen Sokrates reklamieren und diesen also als Ontologen und Erfinder der Ideenlehre interpretieren. Aber auch wenn man, wie die Mehrzahl der Forscher, das Zeugnis des Aristoteles für glaubwürdig hält und folglich nur die Platonischen Frühschriften als sokratisch gelten läßt, so geben auch diese immer noch einen fiktionalen Sokrates wieder, der unterschiedliche Interpretationen zuläßt, je nachdem, ob man alle Frühschriften als glaubhafte Quelle gelten läßt oder lediglich eine Auswahl. Daß die Forschung auch in dieser Frage zerstritten ist, beweist zum mindesten, daß bislang ein hinreichendes Kriterium fehlt, bei Platon Platonisches von Sokratischem zu scheiden. Anders als Platon behauptet Xenophon in den Memorabilien wie auch im Oikonomikos, im Symposion und in der Apologie, er stelle Sokrates aufgrund persönlicher Erinnerung dar. Die Xenophonforschung hat jedoch 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 13 außer Zweifel gestellt, daß die vielfachen Authentizitätsbezeugungen, die Xenophon seinen Sokratika vorauszuschicken bzw. einzufügen liebt, nichts anderes sind als quasihistorisches Kolorit, das Xenophon aufzulegen für nötig befand, um seine fiktionalen Sokratesgespräche von den Sokratischen Dialogen der anderen Sokratiker, die ihm bereits vorlagen, literarisch wirksam abzuheben. Dies zeigt sich besonders schlagend im Falle des Symposions, an dem Xenophon teilgenommen haben will, obwohl er im Jahre 422, da das Gespräch anläßlich des Pankration-Sieges des Autolykos stattgefunden haben soll, kaum acht Jahre alt gewesen sein kann und sich folgerichtig auch gar nicht unter den Gesprächsteilnehmern nennt. Wie es denn auch psychologisch ganz und gar unglaublich ist, daß jemand im Stande sein könnte, eine solche Unzahl kurzer und kürzester Gespräche, wie sie der Xenophontische Sokrates führt, nach Jahren und nach Jahrzehnten aus dem Gedächtnis zu reproduzieren. Es kommt hinzu, daß sich der Xenophontische Sokrates besonders auf agrarischem, ökonomisch-finanzpolitischem und strategisch-kavalleristischem Gebiet beschlagen zeigt. Das aber sind Lieblingsthemen Xenophons, und man würde auch dann vermuten, daß er, als Reiterführer und Gutsbesitzer, Sokrates dergleichen lediglich in den Mund gelegt hat, wenn er nicht auch in eigenem Namen über dieselben Themen auf ganz dieselbe Weise sich literarisch vernehmen ließe, wie er es Sokrates tun läßt. Mehr noch. Es steht heute außer Frage, daß Xenophon Sokrates zum wenigsten aus Eigenem selbständig gestaltet hat, sondern vielmehr weitgehend auf vorgeprägtes Gedankengut aus dem Umkreis der Sokratik zurückgegriffen hat. Und eben diese unselbständige, exzerpierende und kompilierende Arbeitsweise ist offenbar der Grund für die geringe geistige und literarische Qualität, wie sie die Xenophontischen Sokratika zeigen. Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen darzulegen, wie Xenophon das vorgefundene literarische Material jeweils umgebildet und verwandelt hat. Nur soviel sei bemerkt, daß die dialektischen Begriffsbestimmungen, zu denen sich der Xenophontische Sokrates bisweilen versteigt, auf halbverstandene Platonische Denkansätze zurückgehen; dagegen verdankt sich die Autarkie- und Selbstbescheidungsethik, die der Xenophontische Sokrates zu predigen nicht müde wird, dem Sokratiker Antisthenes, der sie allerdings ungleich schärfer und radikaler zu formulieren und zu begründen gewußt hat als Xenophon. Im übrigen hat es den Anschein, daß sich Xenophon, der seine Sokratika wohl erst in den sechziger Jahren des vierten Jahrhunderts verfaßt hat, des literarisch-fiktionalen Charakters der Sokratesliteratur, die er zu Rate zog, nicht mehr bewußt gewesen ist. So verteidigt er — um nur ein besonders lehrreiches Beispiel zu nennen — zu Beginn der Memorabilien Sokrates gegen die Beschuldigung der Anklage ganz so, als habe er 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 14 nicht gewußt, daß jene Anklagerede, gegen die er polemisiert, nicht die Rede des historischen Anytos gewesen sei, sondern eine literarische Kunstrede, die der Rhetor Polykrates in den neunziger Jahren als Exempel paradoxographischer Argumentationstechnik auf den Namen des Anytos gestellt hat So erweist sich bei näherem Hinsehen der Xenophontische Sokrates als ein mixtum compositum aus vorgeprägter sokratischer Literatur, die Xenophon kompilierend und exzerpierend umgebildet und mit eigenen Gedanken und Meinungen versetzt hat. Daß dieser Sokrates aus zweiter Hand wenig geeignet ist, die historische Gestalt zu erhellen, liegt auf der Hand. Wie Platon, aber anders als Xenophon, haben auch die übrigen Sokratiker, deren Werke durch die Ungunst der Zeiten nur fragmentarisch überliefert sind, Sokrates nicht in der Form fiktionaler Memoiren, sondern zu allermeist in der fiktionalen Form des Sokratischen Dialoges literarisch dargestellt — ausgenommen den einen Aristipp, der jedenfalls keine Sokratischen Dialoge und womöglich gar nichts geschrieben hat. Es kann daher nicht verwundern, wenn auch die fragmentarischen Sokratiker jeweils ganz eigene Sokratesinterpretationen vorlegen, die weder untereinander noch auch mit Platon oder Xenophon übereinstimmen. Aischines (SSR VI A), dessen Dialoge wir noch am besten überblicken können, stellt Sokrates vor allem als genialen Pädagogen dar, der durch geschickte Gesprächsführung seine Unterredner sittlich zu bessern weiß. Antisthenes (SSR V A) wiederum, von dessen umfangreichen Schriften nur wenig erhalten ist, sieht in Sokrates das Ideal einer ganz auf Bedürfnislosigkeit ausgerichteten Ethik verkörpert und verbindet dieses Autarkieideal mit einer ebenso rigorosen Dialektik, die eine strenge Wort-Ding- Relation stipuliert und so Widerspruch, ja Irrtum für unmöglich erachtet. Aristipp (SSR IV A) dagegen statuiert die Lust als oberstes Gut, weil sie allein keiner Begründung bedürfe, sondern als Wert unmittelbar einsichtig sei. Eukleides (SSR II A) wiederum lehrt die Einheit des Guten und leugnet aufgrund einer stark eristisch getönten Dialektik, die den Analogieschluß verwirft und nicht die Prämissen, sondern den Schlußsatz widerlegt, daß das Gegenteil des Guten nicht existiere; woraus folgt, daß er, ähnlich wie Platon, das Gute mit dem Einen Sein identifiziert haben muß. Über Phaidon (SSR III A) ist so gut wie nichts bekannt, aber es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß auch er in der Darstellung des Sokrates wiederum andere Wege eingeschlagen hat, als es die anderen Sokratiker getan haben. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß auch unter den Namen von Glaukon, Kebes, Kriton, Simmias und Simon eine größere Anzahl Dialoge in Umlauf waren, die in der Hauptsache Sokratisch gewesen sein dürften (SSR VI B). Indes ist die Unechtheit dieser Produkte bereits in 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 15 der Antike durchschaut worden, und ihr Verlust wiegt leicht, da diese Pseudosokratiker, denen auch noch die Verfasser der pseudepigraphischen Platonischen Dialoge zuzurechnen sind, anders als die fragmentarischen Sokratiker, denen ihrerseits ebenfalls pseudepigaphische Schriften zugeschrieben worden sind, keine originäre Sokratesinterpretation zu geben im Stande gewesen sein können. Von den Späteren, die Sokrates nicht mehr persönlich gekannt haben, verdient Aristoteles (SSR I B 1-40) besondere Beachtung, weil er, offenbar als letzter, eine eigenständige Sokratesinterpretation vorgelegt hat. Allerdings hält es schwer, diese Interpretation zu beurteilen, weil Aristoteles seine Informationen über Sokrates über das ganze Werk verstreut hat und in der Regel nicht vermerkt, ob er den historischen Sokrates im Auge hat oder lediglich eine literarische Quelle zitiert. Der Gebrauch des Artikels schafft hier nicht jene Klarheit, die man sich erhoffte. Aristoteles zitiert in der Rhetorik (1 p. 1367 b 7-9 bzw. 3 p. 1415 b 30-32 = SSR 1 B 18) ausdrücklich den Platonischen Sokrates, ohne den Artikel zu setzen, nachdem er dasselbe Zitat, ohne Verweis auf Platon, vorher mit Artikel angeführt hat: Der Artikel signalisiert offenbar nicht, wann Aristoteles auf den Platonischen Sokrates anspielt und wann nicht und also auch nicht, wann vom historischen Sokrates die Rede ist und wann nicht. Gleichwohl darf man voraussetzen, daß Aristoteles in den Grundzügen die Lehre des historischen Sokrates wiederzugeben beabsichtigt hat, wenn er in den Ethiken und besonders in der Metaphysik behauptet, Sokrates habe sich ausschließlich mit ethischen Problemen befaßt, er habe sich der syllogistischen Methode von Induktion und Definition bedient, um ethische Allgemeinbegriffe aufzustellen, und habe diese Begriffe als Formen von Erkenntnis bestimmt und folgerichig behauptet, man könnte nicht wissentlich Unrecht tun. Aber die Frage ist zu stellen, worauf Aristoteles dieses Urteil gegründet hat. Da er nirgends erkennen läßt, daß ihm über Sokrates authentische Kunde zugekommen sei, so liegt der Verdacht nahe, daß der Aristotelische Sokrates eine gelehrte Rekonstruktion bzw. Hypothese ist, die sich literarischen Quellen verdankt. Eine solche Rekonstruktion kann aber nur so glaubwürdig sein, wie die Quellen glaubwürdig sind, auf die sie rekurriert. Aristoteles ist der erste und wahrscheinlich auch der letzte antike Autor, der sich um ein Verständnis des historischen Sokrates bemüht hat. Das Interesse für Sokrates aber vermacht er seinen Schülern, die die spätere Sokratesüberlieferung nachhaltig beeinflußt haben. So verfaßte Theodektes eine Apologie des Sokrates (OA 2 p. 247), die ebenso fiktional ausgerichtet gewesen sein dürfte wie die gleichnamige Rede des Peripatetikers Demetrios aus Phaleron (4 fr. 91-98 Wehrli) — Dokumente des offenbar unwiderstehlichen Reizes, den die causa Socratis auf die Rhetorik ausübte. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 16 Von anderer Art und wichtiger für die Sokratesüberlieferung ist die Sokratesbiographie des Peripatetikers Aristoxenos (2 fr. 51-60 Wehrli). Aristoxenos stellte Sokrates hier in denkbar schlechtem Lichte als Analphabeten, Choleriker, Erotomanen und Wucherer dar. Wie er denn auch Platon als Tyrannenfreund und Plagiator denunziert hat. Die offensichtliche Häme in der Beurteilung beider Männer, die in perfider Interpretation literarischer Quellen gründet, befemdet bei einem Schüler des Aristoteles nicht wenig; sie verdankt sich offenbar der schrankenlosen Bewunderung, die Aristoxenos Pythagoras und den Pythagoreern (Archytas) entgegengebracht hat. Die Schriften der Peripatetiker, denen noch die Sokratiker-Monographie des Phainias aus Eresos (9 fr. 30 sq. Wehrli) hinzuzufügen ist, sind nur fragmentarisch erhalten. Dasselbe gilt für die weitverzweigte Sokratesliteratur, die sich, im Anschluß an das peripatetische Schrifttum, im Hellenismus entwickelt hat: Die Werke der großen Alexandrinischen Biographen (Hermipp, Satyros und Sotion), die Sokrates im Rahmen größerer Sammelwerke behandelten, sind ebenso verloren wie die besonders wichtige antisokratische Streitschrift Gegen den Sokratesliebhaber des Pergamenischen Grammatikers Herodikos aus Babylon (frg. 1-5 Düring). Verloren ist desgleichen das entsprechende kaiserzeitliche Schrifttum über Sokrates, das mit den Vorgaben der hellenistischen Epoche mehr oder weniger frei wirtschaftet. Was wir von alledem etwa dennoch wissen, verdanken wir so gut wie ausschließlich dem spätantiken Philosophenbuch des Diogenes Laertius, dessen Sokratesbiographie (2.18-46) ergänzt wird durch die Sokratesbiographien der byzantinischen Suda (s.u. Σωκράτης 829 sq.), mit denen die Sokratesüberlieferung endet. Trotz so großer Verluste haben sich dennoch einige monographische Werke über Sokrates aus späterer Zeit erhalten. So vor allem die wahrscheinlich frühkaiserzeitlichen Briefe des Sokrates und der Sokratiker, die Lehre, Leben und Tod des Sokrates aufgrund literarischer Quellen als Briefroman darstellen; so weiter die Abhandlungen des Plutarch und des Apuleius über das Sokratische Daimonion — ein Thema, das der dämonengläubigen Epoche der Autoren gelegen kam; so schließlich die beiden Sokratesreden Apologie des Sokrates und Über das Schweigen des Sokrates des spätantiken Rhetors Libanios (decl. 1 & 2), in denen 750 Jahre nach Sokrates' Tod noch einmal die Problematik des Sokratesprozesses literarisch durchgespielt wird. Alles in allem ist die nacharistotelische Sokrates-Tradition ein literar- und kulturgeschichtliches Phänomen, das eindrucksvoll davon kündet, wie mächtig Sokrates durch die Jahrhunderte gewirkt hat. Aber die Wirkung, die sich hier zeigt, verdankt sich nicht der historischen Person, sondern jener fiktionalen Literatur, in der die Zeitgenossen die Person dargestellt haben: Das Äußerste, was eine kritische Interpretation der späteren Sokrates-Literatur zur leisten vermag, ist eine Rekonstruktion der 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 17 verlorenen zeitgenössischen Literatur über Sokrates. Mehr nicht. Aber selbst dies Wenige ist schon viel, insofern einmal mehr in aller Deutlichkeit zutage tritt, in welchem Maße schon die Zeitgenossen den historischen Sokrates literarisch bzw. fiktional verfremdet haben. Die Sokratesforschung hat in den letzten zweihundert Jahren große Anstrengungen unternommen, um aus der so vielfältigen und widersprüchlichen Sokratesliteratur den historischen Sokrates kritisch zu rekonstruieren (A. Patzer 1987, 5-40; K. Döring 1998, 141 f.). Nachgerade jede denkbare Hypothese wurde erprobt: Bald sollte eine einzige Quelle als historisch glaubwürdig gelten: Aristophanes (Kierkegaard 1841; Sorel 1889; Roeck 1903 & 1911) oder Xenophon (Brucker 1767; Hegel 1833; A. Döring 1895 & 1891-92; von Arnim 1923; Schmid 1940) oder der frühe Platon (Natorp 1894; H. Patzer 1965; K. Döring 1987) oder Aristoteles (Joel 1893-1901 & 1895-96; Th. Gomperz 1896) oder gar die pseudoplatonischen Dialoge (Tarrant 1931-32 & 1938); bald traf man eine Auswahl aus mehreren Quellen: Aristophanes und Platon in toto (Burnet 1911 & 1915-16; Taylor 1911 & 1932) oder der frühe Platon und die fragmentarischen Sokratiker (Maier 1913) oder die fragmentarischen Komiker und Antisthenes (H. Gomperz 1924 bis & 1936) oder Aristophanes und die Platonische Apologie (Havelock 1934) oder Aischines und die Platonische Apologie (K. Döring 1984) oder schließlich der frühe Platon und Xenophon und Aristoteles (Schleiermacher 1818 und die communis opinio). Je nachdem, für welche Quelle bzw. Quellenauswahl man sich entschied, ergaben sich, wie nicht anders zu erwarten, ganz unterschiedliche Sokratesauffassungen, ja die Quellentrias Platon-Xenophon-Aristoteles, die sich der größten Beliebtheit erfreute, zeitigte ihrerseits wieder sehr verschiedene Sokratesinterpretationen, je nachdem, ob man das Schwergewicht auf Platon legte oder auf Xenophon oder auf Aristoteles — nicht gerechnet, daß manche auch noch Aristophanes hinzuzogen, um das Sokratische Denken entwicklungsgeschichtlich zu interpretieren (Boeckh 1838; Chiapelli 1891; Heiberg 1913; Busse 1919). Überzeugen konnte auf die Dauer keiner dieser Entwürfe, und da mit der Zeit der literarisch-fiktionale Charakter der Sokratesüberlieferung immer deutlicher zutage trat, so ist es wohl verständlich, wenn immer mehr die Überzeugung Platz griff, der historische Sokrates entziehe sich grundsätzlich philosophiegeschichtlicher Erkenntnis (Dupréel 1920-21 & 1922; Gigon 1947). Ob dem so ist, kann allein die kritische Literaturwissenschaft entscheiden, nicht historische Kritik, die deswegen gescheitert ist und scheitern mußte, weil sie die Qualität der Texte über Sokrates verkannte und fiktionale Literatur als historische Quelle ansehen zu können vermeinte. Rebus sic stantibus wird es immer ein Wagnis sein, aus der Fülle der literarischen Fiktionen die historische Gestalt des Sokrates auch nur in den 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 18 Grundzügen und annäherungsweise kritisch zu rekonstruieren zu versuchen. Gleichwohl muß ein solcher Versuch immer wieder gewagt werden. Denn wenn es richtig ist, was die antike wie die moderne Philosophiegeschichtsschreibung voraussetzen, wenn sie das griechische Denken in eine vor- und eine nachsokratische Epoche gliedern: daß Sokrates ein oder vielmehr das entscheidende Ereignis in der Entwicklung der griechischen Philosophie gewesen sei; dann steht es ohne Verständnis des Sokratischen Philosophierens schlecht um das Verständnis der griechischen Philosophiegeschichte in toto. Die Platonische Philosophie jedenfalls läßt sich nach Gehalt und Entwicklung nicht einmal abschätzen, wenn man nicht wenigstens einen Vorbegriff davon hat, was das philosophische Grundproblem des historischen Sokrates gewesen ist. 2. Das Problem des Sokrates Wie kontrovers und divergierend die Ansichten über die Philosophie des historischen Sokrates auch sind, so hat sich im Laufe der letzten zweihundert Jahre doch eine Auffassung herausgebildet, die von so vielen maßgeblichen Autoritäten geteilt wird, daß sie als communis opinio der Sokratesforschung angesehen werden darf. Diese Auffassung lautet dahingehend, daß Sokrates der Begründer der Begriffsphilosophie gewesen sei, da er als erster das Wesen ethischer Sachverhalte zu definieren unternommen habe. Daß sich gerade diese Auffassung weitgehend durchsetzen konnte, kommt nicht von ungefähr. Aristoteles berichtet expressis uerbis, Sokrates habe als erster die Wesensfrage (τ ὸ τί ἐ στι) gestellt, um auf dem Gebiete der Ethik Definitionen aufzustellen: Da sowohl der Platonische wie auch der Xenophontische Sokrates ebenso fragen und antworten, so erschien es dreifach verbürgt und mehr als wohlbegründet, wenn man die Wesensfrage als Kern und Hauptstück des Sokratischen Philosophierens aufzufassen geneigt war. Und doch hält diese Auffassung, so wohlverbürgt sie auf den ersten Blick zu sein scheint, kritischer Nachprüfung nicht Stand. Der Zufall will es, daß die Kritik der communis opinio zugleich auch erhellt, welches in Wahrheit das Grundproblem gewesen ist, das das Sokratische Philosophieren bestimmt hat. Aristoteles führt im zwölften Buch der Metaphysik (12 p. 1078 b 17-29 = SSR I B 26) aus, Sokrates habe als erster aufgrund syllogistischer Verfahrensweise das Wesen (τ ὸ τί ἐ στι) zu bestimmen sich unterfangen: «Zweierlei nämlich ist es, was man Sokrates wohl zu Recht zuschreiben kann: die induktiven Schlüsse und die Allgemeindefinitionen» (δύο γάρ ἐ στι ἅ τις ἂ ν ἀ ̟οδώιη Σωκράτει δικαίως— τούς τ ᾽ ἐ ̟ακτικο ὺ ς λόγους κα ὶ τ ὸ ὁ ρίζεσθαι καθόλου). 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 19 Es ist dies die einzige Stelle im corpus Aristotelicum, an der Aristoteles unzweifelhaft den historischen Sokrates im Auge hat. Um so mehr fällt ins Auge, wie überaus vorsichtig er gerade hier formuliert. Die Aussage steht im Potentialis ( ἂ ν ἀ ̟οδώιη) und läßt so erkennen, daß sich Aristoteles seiner Sache durchaus nicht sicher gewesen ist; und wenn er hinzufügt, man dürfe Sokrates Induktion und Definition wohl «zu Recht» (δικαίως) zuschreiben, so zeigt diese Zusatzbemerkung vollends, daß Aristoteles andere, wenn auch weniger plausible Ansichten über Sokrates kannte oder wenigstens für möglich hielt. Aus alledem folgt zwingend, daß Aristoteles keineswegs authentische Kunde über den historischen Sokrates besessen hat, wie sie ihm aus dem Kreise der Akademie womöglich hätte mündlich zukommen können. Vielmehr muß die Aristotelische Sokratesauffassung, die im ersten Buch der Metaphysik (1 p. 987 b 1-6 = SSR I B 24; vgl. auch 12 p. 1086 b 2-5 = SSR I B 25) noch einmal kürzer und weniger vorsichtig formuliert wird, als gelehrte Hypothese angesehen werden — die älteste Hypothese zwar, die wir kennen, und auch rezeptionsgeschichtlich die bedeutendste, aber gleichwohl eine Hypothese doch nur, die grundsätzlich keine größere Glaubwürdigkeit beanspruchen kann als die zahllosen Hypothesen der Modernen. Oder anders: Wenn Aristoteles behauptet, Sokrates habe vermittels Induktion und Definition die Wesensfrage gestellt, so ist diese Behauptung genauso glaubwürdig, wie die literarischen Zeugnisse glaubwürdig sind, aufgrund derer sich Aristoteles sein hypothetisches Urteil über Sokrates hat bilden können. Solche Zeugnisse aber finden sich sowohl bei Platon wie bei Xenophon. Xenophon versichert im ersten und im vierten Buch der Memorabilien (1.1,16 & 4.6,1) ausdrücklich, daß Sokrates die Wesensfrage gestellt hat. Allerdings macht Sokrates selbst in den zahllosen Kurzdialogen, die Xenophon reportiert, von dieser Frage nicht den geringsten Gebrauch. Dieser Befund ist überaus merkwürdig und legt den Verdacht nahe, Xenophon habe, wie so oft, so auch und gerade hier fremdes Gedankengut übernommen und so jene Frage, die laut Aristoteles im Mittelpunkt des Sokratischen Denkens gestanden haben soll, rein äußerlich für Sokrates in Anspruch genommen, ohne ihre philosophischen Implikationen zu durchschauen. Dieser Verdacht wird zur Gewißheit, wenn man die einschlägigen Stellen bei Xenophon näher ins Auge faßt. Xenophon berichtet im ersten Buch der Memorabilien (1.1,16), Sokrates habe sich «über die den Menschen betreffenden Sachverhalte» (̟ερ ὶ τ ῶ ν ἀ νθρω̟είων) unterhalten und hierbei vor allem untersucht, «was ist fromm, was unfromm, was schön, was häßlich, was gerecht, was ungerecht, was ist Besonnenheit, was Wahnsinn, was Tapferkeit, was Feigheit, was ist der Staat, was der Staatsmann, was ist Herrschaft über die Menschen, was ein Herrscher 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 20 über die Menschen» (τ ί ε ὐ σεβ έ ς, τ ί ἀ σεβ έ ς, τ ί καλ ό ν, τ ί α ἰ σχρ ό ν, τ ί δ ί καιον, τ ί ἄ δικον, τ ί σωφροσ ύ νη, τ ί µαν ί α, τ ί ἀ νδρε ί α, τ ί δειλ ί α, τ ί ̟ ό λις, τ ί ̟ολιτικ ό ς, τ ί ἀ ρχ ὴ ἀ νθρ ώ ̟ων, τ ί ἀ ρχικ ὸ ς ἀ νθρ ώ ̟ων). Diese Aufzählung zerfällt, gedanklich wenig stringent, in zwei unterschiedliche Teile: Zuerst werden verschiedene Einzeltugenden samt ihrem jeweiligen Gegenteil aufgeführt, sodann ist vom Staat und vom Staatsmann bzw. vom Herrschen und dem Herrscher über die Menschen die Rede. In der Aufzählung der Einzeltugenden beobachtet Xenophon einen auffälligen Sprachgebrauch: Von Tapferkeit und Besonnenheit ist substantivisch die Rede, während Frömmigkeit, Schönheit und Gerechtigkeit adjektivisch wiedergegeben werden. Dieser Sprachgebrauch aber ist Platonisch. So fragt der Platonische Sokrates im Laches und im Charmides substantivisch nach Tapferkeit bzw. Besonnenheit, während im Euthyphron, im Hippias maior und im ersten Buch des Staates, das ursprünglich wahrscheinlich als eigenständiger Dialog geplant gewesen ist, adjektivisch von dem Frommen, dem Schönen und dem Gerechten die Rede ist. Die Übereinstimmung in der Terminologie setzt außer Zweifel, daß Xenophon rein äußerlich eine Platonische Begrifflichkeit übernommen hat, die im Rahmen der Platonischen Frühdialoge einen höchst wichtigen Gedankenfortschritt markiert und diese zugleich datiert. So kann auch nicht zweifelhaft sein, daß Xenophon die folgende Thematik Platon verdankt: Staat und Herrschaft sind Thema der Politeia, Staatsmann und Herrscher werden im Politikos abgehandelt. Xenophon hat diese beiden Themen zunächst im Hinblick auf das Platonische Vorbild formuliert und dann noch einmal mit eigenen Worten wiederholt, weil er vermeiden wollte, daß der zweite Teil der Aufzählung gegenüber dem ersten zu wenig Gewicht erhielte. Mehr noch als diese gedanklich überflüssige rhetorische Begriffsverdoppelung verrät die Formulierung der Wesensfrage, wie wenig Xenophon die philosophischen Implikationen, die dieses Problem bei Platon besitzt, verstanden hat. Denn Formulierungen von der Art τ ί ε ὐ σεβ έ ς, τ ί καλ ό ν oder τ ί δ ί καιον, wie Xenophon sie gebraucht, fragen gar nicht nach dem Wesen, sondern bloß nach den Merkmalen oder Einzelbestimmungen, während die Wesensfrage korrekt nur in der Form τ ί τ ὸ ε ὐ σεβ έ ς, τ ί τ ὸ καλ ό ν oder τ ί τ ὸ δ ί καιον gestellt werden kann und auch bei Platon nie anders gestellt wird. So erweist sich die ganze Stelle bei näherem Hinsehen als nichts anderes denn als flüchtige, ja banale Platonreminiszenz. Im vierten Buch der Memorabilien (4.6,1) berichtet Xenophon, Sokrates sei nicht müde geworden zu untersuchen, «was jegliches der Seienden sei» (τί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων). Faßt man diese Aussage so philosophisch anspruchsvoll auf, wie sie formuliert ist, so besagt sie, daß Sokrates die Wesensfrage auf die gesamte 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 21 Ontologie bezogen hat. Das ist mehr, als Xenophon im ersten Buch behauptet, und mehr auch, als Aristoteles bezeugt, die Sokrates beide lediglich als Ethiker kennen. Erst der spätplatonische Sokrates stellt die Wesensfrage ontologisch, namentlich in den dihäretischen Spätdialogen Sophistes, Politikos und Phaidros. Nichts wäre jedoch verfehlter, als aus dieser Übereinstimmung den Schluß zu ziehen, der historische Sokrates sei Ontologe gewesen. Vielmehr ist zu fragen, ob Xenophon nicht auch hier Platonisches Gedankengut übernommen hat, ohne sich dessen philosophischer Implikationen bewußt zu sein. Diese Frage läßt sich mit Entschiedenheit bejahen. Xenophon führt an genannter Stelle im vierten Buch der Memorabilien aus, Sokrates habe behauptet, wer wisse, «was jegliches der Seienden sei» (τί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων), der könne auch andere belehren, während der Unwissende sich täuschen lasse und andere täusche. Hierzu vergleiche man eine Stelle aus dem Platonischen Phaidros (p. 262 b): Sokrates erklärt dort, wer nicht wisse, «was jegliches der Seienden sei» ( ὃ ἔ στιν ἕ καστον τ ῶ ν ὄ ντων), sei nicht in der Lage, sich vor Täuschung zu schützen und andere zu täuschen. Die engen Berührungen im Wortlaut bezeugen hinreichend, daß Xenophon sich hier einen Platonischen Gedanken angeeignet und für seine Zwecke leicht umgebildet hat. Wen diese Parallele nicht überzeugt, der blicke auf die unmittelbar vorhergehenden Sätze bei Xenophon (Mem. 4.5,12). Dort heißt es, Sokrates habe «die Dialektik» (τ ὸ διαλ έ γεσθαι) definiert als «gemeinschaftliche Beratung über das Trennen nach Gattungen» ( ἐ κ το ῦ συνι ό ντας κοιν ῆ ι βουλε ύ εσθαι διαλ έ γοντας κατ ὰ γ έ νη τ ὰ ̟ρ ά γµατα). Diese Begrifflichkeit ist für Xenophon ganz singulär und begegnet nur hier; dagegen hat sie einen festen terminologischen Ort in den dihäretischen Spätdialogen Platons. So heißt es (um nur dieses eine Beispiel anzuführen) im Sophistes (p. 253 d) ausdrücklich: «Das Trennen nach Gattungen [...] wollen wir nicht sagen, daß es Sache der Dialektik sei? » (τ ὸ κατ ὰ γένη διαιρε ῖ σθαι […] µ ῶ ν ο ὐ τ ῆ ς διαλεκτικ ῆ ς φήσοµεν ἐ ̟ιστήµης ε ἶ ναι; ). Kein Zweifel demnach, daß Xenophon auch hier aus Platon geschöpft hat. Schließlich der Gesamtzusammenhang. Xenophon will beweisen, daß Sokrates durch «Trennen nach Gattungen» (διαλ έ γοντας κατ ὰ γ έ νη) sowie durch Bestimmung, «was jegliches der Seienden sei» (τί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων), versucht habe, «die Anwesenden dialektischer zu machen» (διαλεκτικωτ έ ρους ἐ ̟ο ί ει το ὺ ς συν ό ντας). Das liest sich nachgerade wie ein Exzerpt aus dem platonischen Politikos (p. 285 c sqq.), wo es heißt, man veranstalte die Untersuchung nach dem Wesen des Politikers nicht als Selbstzweck, sondern «um überhaupt dialektischer zu werden» ( ἕ νεκα [...] το ῦ ̟ερ ὶ ̟άντα διαλεκτικωτ έ ρους γίνεσθαι); dabei sei vor allem «die Methode der Trennung nach Gattungen zu beachten» (τ ὴ ν µέθοδον α ὐ τ ὴ ν τιµ ᾶ ν το ῦ κατ ᾽ ε ἴ δη 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 22 δυνατ ὸ ν ε ἶ ναι διαιρε ῖ ν), und wenn einer die Länge der Untersuchung tadle, so müsse er aufzeigen, daß auch der kürzere Weg «die Anwesenden dialektischer mache» (το ὺ ς συν ό ντας ἀ ̟ηργάζετο διαλεκτικωτ έ ρους). So erweist sich auch hier, daß Xenophon Platonreminiszenzen vorbringt, wenn er Sokrates die Wesensfrage zuschreibt. Und auch hier hat er die philosophischen Implikationen des Platonischen Vorbildes nicht verstanden. Denn im Anschluß an die Ausführungen über den ontologischen Gebrauch der Wesensfrage führt Xenophon eine Reihe von Beispielen auf, die, wie er ausdrücklich bemerkt, die Sokratische Methode besonders lehrreich illustrieren. In dieser Aufzählung (Mem. 4.6,2-12) aber führt Xenophon den ontologischen Aspekt der Wesensfrage, den er soeben expliziert hat, gar nicht aus, sondern beschränkt sich darauf, jene rein ethischen Fragen zu beantworten, die er im ersten Buch der Memorabilien gestellt hatte. Woraus erhellt, daß Xenophon, was er aus philosophisch anspruchsvoller literarischer Quelle übernommen hat, gedanklich zu bewältigen nicht im Stande ist. Mehr noch. Die Beispiele Sokratischer Methode, die Xenophon anführt, erreichen nirgends das Niveau einer Definition, sondern verharren überall in der bloßen Aufzählung äußerlicher Merkmale und Einzelbestimmungen und verraten so, was allein schon die mangelhafte Formulierung der Wesensfrage erkennen ließ: daß die ganze Xenophontische Dialektik nichts anderes ist als ein banaler Reflex auf Platonische Denkansätze und als Zeugnis für den historischen Sokrates keinesfalls in Betracht kommt. Aristoteles expliziert in der Metaphysik (1 p. 987 a 29-b 14 & 12 p. 1078 b 7-32 = SSR I B 24 & 26) seine Sokrateshypothese in engem Zusammenhang mit der Platonischen Ideenlehre: Platon habe die Allgemeindefinitionen, die Sokrates entdeckt habe, als selbständige Wesenheiten neben und über die Wahrnehmungswelt gesetzt. «Sokrates jedoch ließ das Allgemeine und die Definitionen nicht getrennt existieren» ( ἀ λλ ᾽ ὁ Σωκράτης τ ὰ καθόλου ο ὐ χωριστ ὰ ἐ ̟οίει ο ὐ δ ὲ το ὺ ς ὁ ρισµούς). Aus diesem Argumentationszusammenhang ergibt sich zwingend, was ohnehin als wahrscheinlich anzusehen wäre: daß nicht Xenophon Quelle für Aristoteles gewesen ist, sondern Platon; genauer: der frühe Platon, der die Ideenlehre noch nicht expliziert und in den sogenannten Definitionsdialogen Charmides, Euthyphron, Hippias maior, Laches, Lysis, Menon und Protagoras Sokrates die Frage nach dem Wesen der Tugend ( ἀ ρετή) bzw. der Tugenden ( ἀ ρεταί) stellen läßt. Die frühplatonischen Definitionsdialoge sind demnach das einzige selbständige Zeugnis, auf das man sich stützen kann, wenn man voraussetzt, daß Sokrates das Wesen ethischer Sachverhalte zu bestimmen unternommen habe. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 23 Nicht anders als die Platonischen Schriften insgesamt weisen auch die Definitionsdialoge, die im Rahmen der Platonischen Frühschriften eine in sich geschlossene Gruppe bilden, eine eigene Denkbewegung auf. Den Anfang macht der Protagoras, an dessen Ende die Frage nach dem Wesen der Tugend zum ersten Mal formuliert wird. Es folgen Laches und Charmides, die die Einzeltugenden Tapferkeit bzw. Besonnenheit als seelische Eigenschaften zu erfassen trachten, während Lysis, Hippias maior und Euthyphron das Liebe bzw. das Schöne und das Fromme schlechthin als Gegenstände der Erkenntnis zu definieren versuchen. Am Schluß steht Menon, der die Frage nach dem Wesen der Gesamttugend und ihrer Teile wieder aufnimmt und durch die Einführung der Lehre von der Anamnesis der Ideenlehre präludiert, die in den folgenden Dialogen der Reifezeit dann explizit dargestellt wird. Überblickt man diese in sich geschlossene und offenbar planvoll angelegte Denkbewegung, so zeigt sich, daß Platon hier nicht eine Sokratische Position repetiert, sondern vielmehr einen eigenen Denkansatz expliziert hat. Wie namentlich der Menon lehrt, läßt sich die Wesensfrage, wie sie die Definitionsdialoge entwickeln, gedanklich keineswegs von der Ideenlehre trennen, sondern setzt diese vielmehr als Antwort voraus. Dementsprechend finden sich auch in den Definitionsdialogen immer wieder mehr oder weniger versteckte Hinweise auf die Ideenlehre, und im Euthyphron (p. 5 d & 6 d) ist bereits mehrfach ausdrücklich von der «Grundgestalt» (ε ἶ δος, ἰ δέα) die Rede, auf die man hinblicken müsse, um das Wesen des Frommen richtig zu bestimmen. Mit anderen Worten: Die Wesensfrage impliziert als Frage bereits die Ideenlehre als Antwort. Wenn diese Platonischen Ursprungs ist, wie Aristoteles außer Zweifel stellt, so auch jene Frage, die Aristoteles, wenn auch nur zögernd, dem historischen Sokrates zuschreiben zu dürfen geglaubt hat. Es ist dies nicht die einzige gelehrte Hypothese des Aristoteles, die den Blick auf die Entwicklung der Philosophiegeschichte eher verstellt als erhellt. Daß die Wesensfrage nicht Sokratischen, sondern Platonischen Ursprungs ist, beweist im übrigen auch ein Blick auf den Sokratiker Antisthenes. Antisthenes (SSR V A 150) lehrte ausdrücklich, «daß es nicht möglich ist, das Wesen zu definieren» ( ὅ τι ο ὐ κ ἔ στι τ ὸ τί ἐ στι ὁ ρίσασθαι). Wer, wie Aristoteles, die Wesensfrage für Sokratisch hält, muß annehmen, daß Antisthenes in diesem zentralen Punkte gegen Sokrates polemisiert habe. Aber Antisthenes war kein Antisokratiker, und seine Polemik gilt nicht Sokrates, sondern Platon. Dokument dieser Platonpolemik ist der Antisthenische Dialog Sathon (SSR V A 147-159), dem wir die Nachricht zuschreiben dürfen, Antisthenes habe, um zu beweisen, daß Gattung und Spezies «in bloßer Einbildung» ( ἐ ν ψιλα ῖ ς ἐ ̟ινοίαις) bestünden, gegenü- 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 24 ber Platon geäußert: «Das Pferd sehe ich, die Pferdheit sehe ich nicht» ( ἵ ̟̟ον µ ὲ ν ὁ ρ ῶ , ἱ ̟̟ότητα δ ὲ ο ὐ χ ὁ ρ ῶ ). Es gibt im Rahmen der Platonischen Frühschriften eine Schriftengruppe, repräsentiert durch Apologie, Kriton, Ion und Hippias minor, die sich von der Gruppe der Definitionsdialoge gedanklich auf das deutlichste abhebt, weil Sokrates hier die Wesensfrage nicht stellt, sondern ein ganz anderes philosophisches Frageverfahren befolgt. Wenn es richtig ist, daß die Definitionsdialoge, indem sie die Wesensfrage stellen, die Platonische Philosophie exponieren, so spricht alles dafür, daß diese kleine, aber hochbedeutsame Schriftengruppe, die nach überwiegender Ansicht auch die frühesten Werke Platons umfaßt, die vielgesuchte Sokratische Periode im Denken Platons markiert, wenn anders von einer solchen Periode überhaupt die Rede sein kann. Daß diese Annahme richtig ist, lehrt ein Blick auf die Platonische Apologie, in der Platon nichts Geringeres als einen Überblick über die Entwicklung des Sokratischen Philosophierens gibt. Die Apologie, die womöglich Platons Erstlingswerk gewesen ist, nimmt im Rahmen des Platonischen Gesamtwerkes eine einzigartige Stellung ein, weil sie, als einzige aller Schriften, nicht in Form eines Dialogs, sondern als Rede konzipiert ist. Da das Formale bei Platon niemals Selbstzweck ist, sondern stets als Hinweis auf Gedankliches verstanden werden will, so darf man unterstellen, daß der Sokrates der Apologie ein anderer ist als jener, den die späteren Dialoge zeigen. Ersichtlich hat Platon hier die Form der Rede gewählt, um Sokrates einmal — dieses eine Mal — Gelegenheit zu geben, in eigenem Namen zusammenhängend über sich selbst zu sprechen. So entsteht gewissermaßen ein reines Sokratesbild, das von keiner dialogischen Gegenrede getrübt wird. Das aber bedeutet, ins Gedankliche übersetzt: Platon beabsichtigt hier, eine Darstellung der historischen Sokratesgestalt zu geben, die ihm später in den Dialogen Gefäß und Symbol für andere, eigene Gedankeninhalte wird. Wenn diese Darstellung auch ihrerseits wieder fraglos eine Platonische Interpretation ist, so ist die Apologie gleichwohl dasjenige Zeugnis, das den historischen Sokrates am glaubwürdigsten darstellt oder doch jedenfalls am getreuesten widerspiegelt. Wenn irgendwo, so darf man hoffen, hier dem Grundproblem Sokratischen Philosophierens wenigstens nahezukommen. Sokrates gibt in der Apologie (p. 20 c-24 b) eine eingehende rückschauende Übersicht über seine «hauptsächliche Tätigkeit» (̟ρ ᾶ γµα). Beunruhigt durch das Chairephonorakel, das ihn, den Unwissenden, als weisesten aller Menschen bezeichnet habe, habe er zu prüfen begonnen, wie es mit der Weisheit der Menschen bestellt sei; hierbei habe sich herausgestellt, daß weder die Politiker noch die Dichter oder die Handwerker, die gemeinhin für die kenntnisreichsten gehalten würden, jenes Wissen, das zu besitzen sie allesamt vorgäben, wirklich besäßen, so daß er 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 25 in der Tat offenbar als der weiseste gelten müsse, da er wenigstens wisse, daß er nichts wisse; von da an habe er es als Auftrag des Gottes angesehen, die Menschen davon zu überzeugen, daß sie nicht wüßten, was sie zu wissen vermeinten, und aus dieser gottesdienstlichen Tätigkeit sei ihm im Laufe der Zeit viel unberechtigter Haß erwachsen seitens derer, deren Scheinwissen er aufgedeckt habe. Um das eigentümliche Ausfrage- und Menschenprüfungsverfahren zu kennzeichnen, das im Mittelpunkt seines philosophischen Wirkens steht, verwendet Sokrates wechselweise die Verben ἐ ξετάζειν (p. 22 e & 23 c) und ἐ λέγχειν (p. 21 c, 22 a, 23 a). Der letztgenannte Begriff ist prägnanter, da er nicht nur das bloße Prüfen bezeichnet, sondern ein kritisches Prüfen, das gerne den Nebensinn des Tadelns, ja des Bloßstellens annimmt (vgl. z. B. Aesch. Ag. 1324; Aristoph. Plut. 574; Plat. Soph. p. 259 a; Xen. Mem. 1.2,47). Hiernach empfiehlt sich, von Sokratischer Elenktik zu reden, wenn man jene Methode des Philosophierens bezeichnen will, die die Platonische Apologie als Sokratisch kennzeichnet. Platon führt in der Apologie, sehr kunstvoll, zwei Beispiele Sokratischer Elenktik vor: das Gespräch zwischen Sokrates und dem reichen Sophistenfreund Kallias (p. 20 a-c), das Sokrates wiedererzählt, sowie das Verhör des Anklägers Meletos (p. 24 a-28 a), das förmlich als Dialog gestaltet ist, wobei ausdrücklich versichert wird, Sokrates spreche hier «in der gewohnten Weise» ( ἐ ν τ ῶ ι ε ἰ θότι τρό̟ωι). Beide Gespräche lassen, in verschiedener Brechung, ein und dieselbe scharfbestimmte Fragetechnik erkennen: Sokrates nimmt seinen Mitunterredner zunächst «beim Wort» und führt ihn dann, vor allem durch gemeinverständliche Analogieschlüsse, zu immer neuen Zugeständnissen, bis dieser endlich, zu seiner eigenen Überraschung, ja Erschütterung, seine Unkenntnis selbst einzugestehen gezwungen ist. Dieses Frageverfahren, das Platon in der Apologie als typisch Sokratisch kennzeichnet und in nuce vorführt, wird in den Dialogen Kriton, Ion und Hippias minor ausführlich vorgeführt. So kann nicht verwundern, daß in keinem dieser Dialoge die Wesensfrage auch nur in den Blick kommt. Denn die Sokratische Elenktik, wie sie die Apologie expliziert, ist im wesentlichen praktisch-pädagogisch ausgerichtet und zielt so auf die Widerlegung und Destruktion von Fehlmeinungen ab, während die Wesensfrage, die Kernfrage der Platonischen Dialektik, nach positiver und methodisch begründeter Erkenntnis trachtet; folglich ist das Ergebnis des elenktischen Prozesses die Aporie, am Ende der dialektischen Untersuchung steht dagegen die Definition. Hiernach stellt sich die Frage, wie die Platonische Dialektik aus Sokratischer Elenktik entstehen konnte. Hierzu eine Hypothese. Im Verlaufe des elenktischen Gesprächs geschieht es nicht selten, daß der Unterredner unklar wird. Diese Unklarheit muß beseitigt werden, damit das Gespräch argumentativ-rational seinen Fortgang nehmen kann. Dies geschieht in 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 26 der Regel so, daß Sokrates seinen Dialogpartner fragt: «Wie meinst du das? » (τί λέγεις σύ; ). An dieser Stelle kann es schon im elenktischen Gespräch beiläufig zu einer mehr oder weniger genauen Bestimmung von Wesensmerkmalen kommen. Diese Vorform der Wesensfrage, für die Sokrates bezeichnenderweise schon bei Aristophanes (Nub. 1174) verspottet wird, hat Platon offenbar aufgegriffen und philosophisch so vertieft, daß die Frage nach dem Wesen, die bei Sokrates nur beiläufig gestellt wurde, um den praktisch-pädagogischen Zwecken der Elenktik zu dienen, nun methodisch-wissenschaftlich begründete Erkenntnis hervorzubringen geeignet ist. Die Bedeutung dieses Denkschrittes ist für die Entwicklung der Platonischen Philosophie so fundamental, daß es geraten oder vielmehr geboten erscheint, die traditionelle Dreigliederung des Platonischen Gesamtwerkes zugunsten einer Gliederung in vier Perioden aufzugeben, dergestalt, daß bei den Frühschriften streng zwischen einer sokratischelenktischen und einer platonisch-dialektischen Periode zu unterscheiden ist. Verbindungsglied ist der Protagoras, an dessen Ende (p. 360 e-361 d) erstmals die Notwendigkeit einer Wesensbestimmung der Tugend aufgezeigt wird, nachdem der großangelegte Versuch, durch elenktisches Prüfen einzelner Merkmale zum Ziele zu gelangen, gescheitert ist. Im übrigen behält Platon auch später in allen Dialogen ein Stück Elenktik bei, besonders in den Definitionsdialogen, die, wiewohl sie die Wesensfrage kennen und von der Ideenlehre als Antwort wissen, gleichwohl offenbar aus didaktischen Gründen die aporetische Grundstruktur des elenktischen Gespräches bewahren. Aporie und Elenktik stehen dann noch einmal und wiederum im Vordergrund in den beiden engverwandten Dialogen Kratylos und Theätet, die die Reihe der Spätdialoge eröffnen und den dihäretischen Schriften präludieren — ein Befund, der kaum zufällig ist: Es will vielmehr scheinen, als ob Platon wie vor der Begründung der Ideenlehre so auch noch einmal vor ihrer Neubegründung deutlich darauf hinweisen wollte, daß sein dialektisches Denken seinen Ausgang genommen hat vom elenktisch-aporetischen Gespräch, wie es Sokrates inauguriert hat. Sokrates kommt im Verlauf der Apologie immer wieder auf die Gegenstände zu sprechen, denen seine elenktische Methode gilt. So gleich eingangs, wo er von seiner ersten elenktischen «Irrfahrt» (̟λάνη) erzählt, die er als ein zweiter Odysseus zu bestehen hatte, um den Sinn des Chairephonorakels zu ergründen (p. 22 b-23 c): Er habe festgestellt, daß die Politiker gar nichts taugten «in Hinblick auf das vernunftgemäße Verhalten» (̟ρ ὸ ς τ ὸ φρονίµως ἔ χειν) und daß die Handwerker sich bloß einbildeten, über «die größten Dinge» (τ ὰ µέγιστα) Bescheid zu wissen. Diese indirekten Äußerungen weisen darauf hin, daß die Sokratische Elenktik das zentrale Problem des richtigen menschlichen Verhaltens zum Gegenstand hat. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 27 Dementsprechend sagt Sokrates später (p. 36 c), er suche jeden einzelnen Athener davon zu überzeugen, «daß er sich um keinen seiner Belange kümmern solle, bevor er sich um sich selbst gekümmert habe, daß er möglichst gut und vernünftig sei» (µήτε τ ῶ ν ἑ αυτο ῦ µηδεν ὸ ς ἐ ̟ιµελε ῖ σθαι ̟ρ ὶ ν ἑ αυτο ῦ ἐ ̟ιµεληθε ί η ὅ ̟ως ὡ ς β έ λτιστος κα ὶ φρονιµ ώ τατος ἔ σοιτο); oder, ganz ähnlich (p. 30 ab): er suche die Athener zu überzeugen, «sich nicht um den Körper oder das Geld eher oder so sehr zu kümmern wie um die Seele, daß sie möglichst gut sei» (µ ή τε σωµ ά των ἐ ̟ιµελε ῖ σθαι µ ή τε χρηµ ά των ̟ρ ό τερον µηδ ὲ ο ὕ τω σφ ό δρα ὡ ς τ ῆ ς ψυχ ῆ ς ὅ ̟ως ὡ ς ἀ ρ ί στη ἔ σται); und noch einmal, an einen fingierten athenischen Mitbürger gewandt (p.29 de): « [...] schämst du dich nicht, dich um Geld zu kümmern, daß es möglichst viel wird, und um Ruhm und Ehre, um Vernunft aber und um Wahrheit und um die Seele, daß sie möglichst gut ist, kümmerst du dich nicht und sorgst nicht dafür? » (χρηµ ά των µ ὲ ν ο ὐ κ α ἰ σχ ύ νηι ἐ ̟ιµελο ύ µενος ὅ ̟ως σοι ἔ σται ὡ ς ̟λε ῖ στα, κα ὶ δ ό ξης κα ὶ τιµ ῆ ς, φρον ή σεως δ ὲ κα ὶ ἀ ληθε ί ας κα ὶ τ ῆ ς ψυχ ῆ ς ὅ ̟ως ὡ ς βελτ ί στη ἔ σται ο ὐ κ ἐ ̟ιµελ ῆ ι ο ὐ δ ὲ φροντ ί ζεις; ). Der in diesen Äußerungen immer wieder umspielte Begriff des «besten Zustandes der Seele» ist nun nichts anderes als das, was die Griechen als ἀ ρετή bezeichnen — ein Kern- und Schlüsselbegriff der griechischen Philosophie, der sich im Deutschen nur vergleichsweise matt durch den Begriff «Vortrefflichkeit» übersetzen läßt. In der Tat spricht Sokrates in der Apologie auch immer wieder davon, daß es die «Vortrefflichkeit» zu suchen und zu befolgen gelte. So etwa in der ersten Rede (p. 31 b): Er habe sein ganzes Leben nichts anderes getan, als die Athener zu überzeugen, «sich um die Vortrefflichkeit zu kümmern» ( ἐ ̟ιµελε ῖ σθαι ἀ ρετ ῆ ς); oder, am Ende der zweiten Rede (p. 38 a): es sei das höchste Gut für den Menschen, «jeden Tag über die Vortrefflichkeit zu diskutieren» ( ἑ κ ά στης ἡ µ έ ρας ̟ερ ὶ ἀ ρετ ῆ ς το ὺ ς λ ό γους ̟οιε ῖ σθαι); oder schließlich, noch prononcierter, am Ende der dritten Rede (p. 41 e): die Athener sollten seine Söhne nach seinem Tode tadeln und bestrafen, «wenn sie sich euch um Geld oder irgendetwas anderes mehr zu kümmern scheinen als um die Vortrefflichkeit» ( ἐὰ ν ὑ µ ῖ ν δοκ ῶ σιν ἢ χρηµ ά των ἢ ἄ λλου του ̟ρ ό τερον ἐ ̟ιµελε ῖ σθαι ἢ ἀ ρετ ῆ ς). Aus alledem ergibt sich, daß die Sokratische Elenktik keineswegs beliebige Gegenstände im Auge hat, sondern streng auf die menschliche «Vortrefflichkeit» ( ἀ ρετή) ausgerichtet ist und so im letzten Grund danach trachtet, das Gute zu erkennen, das Vorbedingung und Voraussetzung alles richtigen und vernünftigen Handelns unter den Menschen ist. Die Apologie läßt im übrigen keinen Zweifel daran, daß Sokrates der Ansicht gewesen ist, es müsse von jenem Guten, das Gegenstand seiner elenktischen Bemühungen gewesen ist, ein Wissen geben. Dies erhellt wiederum die elenktische «Irrfahrt», in deren Verlauf die Politiker mehr getadelt werden als die Dichter und die Dichter mehr als die Handwer- 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 28 ker: Erstere wissen gar nichts, jene handeln nicht «aus Weisheit» (σοφίαι), sondern «aufgrund einer gewissen Naturanlage» (φύσει τινί), während die Handwerker tatsächlich über ein Wissen verfügen, nur daß dieses Wissen als Teil- und Spezialwissen nicht dem Guten gilt. Hiernach muß man sich das geforderte Wissen vom Guten, der ursprünglichen Bedeutung des Wortes σοφία entsprechend, durchaus als eine Kenntnis des richtigen Handelns vorstellen, die sich in Wort und Tat genau so bewähren müsse, wie das handwerkliche Spezialwissen sich bewährt. Wieweit diese Auffassung durch biographische Erfahrungen des Handwerkersohnes geprägt ist, bleibe dahingestellt. Sicher ist, daß die zahllosen Vergleiche und Analogieschlüsse aus dem Bereich des Handwerks, die der Platonische und der Xenophontische Sokrates vorbringen, hier ebenso ihren Ursprung haben wie der berühmte Sokratische Satz, daß niemand wissentlich Unrecht tue. Dieser Satz, den die Apologie (p. 37 ab) als Sokratisch voraussetzt, ergibt sich zwingend aus dem Sokratischen Postulat von der Erkennbarkeit des Guten und kann nur dann als Paradox mißverstanden werden, wenn man jenes Postulat nicht anerkennt. Auch dies stellt die Apologie schließlich außer Frage, daß Sokrates jenes Wissen vom Guten, das zu ergründen er sein ganzes Leben lang unermüdlich und mit aller Kraft getrachtet hat, nicht gefunden hat. So erklärt er zu Beginn seiner «Irrfahrt» (p. 21 b): «Ich bin mir bewußt, daß ich gar nichts weiß» ( ἐ γ ὼ γ ὰ ρ δ ὴ ο ὔ τε σµικρ ὸ ν σ ύ νοιδα ἐ µαυτ ῶ ι σοφ ὸ ς ὤ ν). Und nachdem er bei Politikern, Dichtern und Handwerkern überall vergebens Belehrung über das Gute gesucht hat, resümiert er als Quintessenz des Götterspruches (p. 23 b): «Derjenige von euch, ihr Menschen, ist der weiseste, der wie Sokrates erkannt hat, daß er in Wahrheit nichts wert ist in Hinsicht auf die Weisheit» (ο ὗ τος ὑ µ ῶ ν, ὦ ἄ νθρω̟οι, σοφ ώ τατ ό ς ἐ στιν, ὅ στις ὥ σ̟ερ Σωκρ ά της ἔ γνωκεν ὅ τι ο ὐ δεν ὸ ς ἄ ξι ό ς ἐ στι τ ῆ ι ἀ ληθε ί αι ̟ρ ὸ ς σοφ ί αν). Aus diesem Wissen des Nichtwissens entspringt die vielberufene Sokratische Ironie, von der auch die Apologie (p. 38 a) weiß: Sokrates vermag wohl das Scheinwissen der Menschen aufzudecken, aber da diese Fähigkeit im Bewußtsein des eigenen Nichtwissens geübt wird, führt sie nicht zur Prätention der eigenen Leistung, wie sie die platonischen Sophisten üben, sondern vielmehr zu Zurücknahme und Verhüllung dieser Leistung, so daß als eine für Sokrates kennzeichnende Grundhaltung Ironie entsteht, die Theophrast (Char. 1.1) sehr richtig als eine «erworbene Haltung in Hinblick auf das Verkleinern von Taten und Worten» (̟ροσ̟οίησις ἐ ̟ ὶ τ ὸ χε ῖ ρον ̟ράξεων κα ὶ λόγων) definiert. Im übrigen ist die durch Ironie immer wieder bewußt gemachte, stark skeptisch getönte Beurteilung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die in Sokrates' Worten über den Tod (p. 29 b) wiederkehrt, ganz unplatonisch und bestätigt so noch einmal, daß Platon in der Apologie eine Interpretation des historischen Sokrates hat geben wollen. 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 29 Zusammenfassend läßt sich die interpretatio Platonica des historischen Sokrates wie folgt resümieren: Sokrates verfügt über ein ihm eigentümliches Ausfrage- und Prüfungsverfahren, die Elenktik; Gegenstand dieses elenktischen Frageverfahrens ist das Gute, von dem ein praktisches Wissen vorausgesetzt wird. Die elenktische Untersuchung erweist immer wieder, daß jenes praktische Wissen vom Guten, das alle zu besitzen vermeinen, nicht vorhanden ist, und so erscheint das Wissen des Nichtwissens als angemessene philosophische Grundhaltung und das prüfende Suchen nach dem Sinn des Guten als angemessene philosophische Tätigkeit. Die philosophische Leistung des Sokrates läßt sich demnach dahingehend bestimmen, daß er als erster erkannt und gefordert hat, die Philosophie müsse eine wissenschaftliche Ethik begründen, damit sinnvolles Handeln und richtiges Leben möglich werde. Es spricht alles dafür, daß diese Platonische Interpretation des Sokratischen Philosophierens im wesentlichen historische Glaubwürdigkeit beanspruchen kann. Jedenfalls vermag sie — sehr beweisend — besser als jede andere die mannigfachen biographischen, überlieferungs- und philosophiegeschichtlichen Probleme zu lösen, die mit Sokrates' Namen seit jeher verknüpft sind. Zunächst leuchtet unmittelbar ein, daß Sokrates sein philosophisches Anliegen nicht anders als mündlich vorbringen konnte. Denn das Wissen des Nichtwissens ist ein so stark skeptisch orientierter Standpunkt des Denkens, daß er sich jeder schriftlichen Fixierung entzieht und allein im philosophischen Gespräch je und je seine Richtigkeit aufzuzeigen und seine Wirksamkeit zu bewähren vermag. Die eigentümliche Offenheit des Sokratischen Denkens, die in der Mündlichkeit ihren sinnfälligen Ausdruck findet, ist auch die Ursache für die Widersprüchlichkeit der antiken Sokratesinterpretationen. Man mußte nur die strenge Ausrichtung der Sokratischen Elenktik auf das Gute übersehen oder übersehen wollen, wie dies, jeder auf seine Weise, Aristophanes, die Ankläger und Polykrates getan haben, und Sokrates erschien unfehlbar als müßiger Schwätzer und unverantwortlicher Worteverdreher, der der Jugend den Glauben an die staatstragenden Werte und Autoritäten nahm und so als mitschuldig angesehen werden konnte am Desaster der athenischen Politik. Wenn man andererseits, wie die Sokratiker, die Frage nach dem Guten, die Sokrates offengelassen hatte, beantworten zu können glaubte, so erschien das Sokratische Philosophieren jeweils in ganz anderem Licht, je nachdem, wie die Antwort ausfiel. So hat Antisthenes, dem sich Xenophon anschloß, die Autarkie als oberstes Gut angenommen und dieses Reduktionsideal durch eine ebenso restriktive Verengung der Sokratischen Elenktik zu befestigen versucht, indem er 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 30 eine so enge Wort-Ding-Relation statuierte, daß Wesensbestimmung, Widerspruch und Irrtum als unmöglich erscheinen mußten. Aristipp wiederum bestimmte als oberstes Gut die Lust und war so, auf die Selbstevidenz dieses Gutes pochend, einer Um- und Weiterentwicklung der Sokratischen Elenktik überhoben; weshalb es kein Zufall ist, daß er, als einziger aller Sokratiker, nicht die Form des Sokratischen Dialoges gewählt hat, um Sokrates poetisch-fiktional darzustellen; möglicherweise schrieb er überhaupt nicht, sondern verharrte, wie Sokrates, im Horizont der Oralität. Eukleides wiederum identifiziert das Gute mit dem Einen Sein und und leugnet die Idee des Gegenteils; begründet wurde diese anspruchsvolle Hypothese, die in manchem an Platon erinnert, durch eine stark eristisch getönte Umbildung der Sokratischen Elenktik, von der wir nichts weiter wissen, als daß der Analogieschluß verworfen und die Widerlegung nicht von den Prämissen, sondern vom Schlußsatz aus vorgenommen wurde Platon schließlich, der philosophiegeschichtlich bedeutendste Sokratiker, formt die Sokratische Elenktik zur Dialektik um und entdeckt als Antwort auf die Wesensfrage die Idee als reines Sein, das er aufgrund seiner Reinheit als das Gute interpretiert, so daß er die Idee der Ideen als Idee des Guten bezeichnen kann und jener Vortrag, in dem er die Ideen auf die Grundprinzipien von ἕ ν und ἀ όριστος δυάς zurückführte, unter dem Titel «Über das Gute» (Περ ὶ ἀ γαθο ῦ ) firmierte — ein Zeichen, daß die ganze Platonische Ontologie, auch noch in ihrer äußersten Abstraktion, im letzten Grunde nichts anderes ist als eine Antwort auf die Sokratische Frage nach dem Guten. Anders als alle anderen Sokratiker scheint der Sokratiker Aischines auf eine Um- und Weiterbildung des Sokratischen Philosophierens verzichtet zu haben. Er stellt Sokrates offenbar als reinen Elenktiker dar, der die Menschen davon überzeugt, daß sie nicht wissen, was das Gute sei. Dies zeigt besonders schön ein Exzerpt aus dem Aischineischen Alkibiades (SSR VI A 47): «Auch Alkibiades [...] soll geweint haben, als Sokrates, da er sich für glückselig hielt, mit ihm ein Gespräch führte und ihm nachwies, wie erbärmlich er sei, da er unwissend sei. Für ihn war demnach die Unwissenheit Ursache für jene nützliche und erwünschte Traurigkeit, aufgrund derer der Mensch bedauert zu sein, wie er nicht sein soll.» (Nam et Alcibiadem ferunt [...] cum sibi beatus videretur, Socrate disputante et ei quam miser esset, quoniam stultus esset, demonstrante flevisse. huic ergo stultitia fuit causa etiam huius utilis optandaeque tristitiae, qua homo esse se dolet, quod esse non debet). So bezeugt Aischines, dessen Sokratesdarstellung in der Antike als besonders wahrheitsgetreu gerühmt wurde, daß die Philosophiegeschichtsschreibung nicht in die Irre geht, wenn sie der Platonischen Interpretation des historischen Sokrates Glauben schenkt und Sokrates, wie die Apologie lehrt, als denjenigen Philosophen rühmt, der als erster entdeckt hat, daß 1. Sokrates als Philosoph: Das Gute 31 die Menschen jenes Wissen des Guten, das allein richtiges Handeln verbürgt, nicht besitzen. Man geht nicht zu weit, sondern nur gerade weit genug, wenn man behauptet, daß, wenn über Sokrates nichts anderes überliefert wäre als die Platonische Apologie und die Sokratischen Dialoge des Aischines, es gar keine Sokratische Frage gegeben hätte. Es ist eine historisch verbürgte Tatsache, daß die athenische Polis gegen Sokrates einen Prozeß geführt hat, der mit seiner Hinrichtung endete. Ein solch intransigentes Vorgehen gegen einen immerhin weitbekannten und loyalen Mitbürger, der bereits das Greisenalter erreicht hatte, ist in der athenischen Geschichte ohne Beispiel. Ursache hierfür ist nichts anderes als die Ausrichtung der sokratischen Elenktik auf das Gute. Kein Staat, auch nicht der freieste, kann darauf verzichten, daß bestimmte Grundwerte, auf denen seine Institutionen gründen, als unzweifelhaft gültig hingenommen werden. Bedenkt man, daß Sokrates seine elenktische Kritik an diesen Grundwerten über Jahrzehnte hinweg in unzähligen Gesprächen immer wieder durchschlagend geübt hat, noch dazu in einem vergleichsweise überschaubaren Gemeinwesen, das sein politisches Leben in der Hauptsache mündlich zu regeln pflegte, so wird man sich eher darüber wundern, daß Sokrates in Athen so spät politisch anstößig wurde, als daß es überhaupt zu einem Konflikt kam. Es ehrt die alte athenische Demokratie und zeigt zugleich ihre innere Stärke, daß sie, obwohl sie sich beinahe dreißig Jahre lang in einem tödlichen Kampf mit Sparta befand, niemals den Versuch gemacht hat, Sokrates zum Schweigen zu bringen. Daß die Dreißig diesen Versuch wagten, kennzeichnet den tyrannischen Charakter ihrer Herrschaft ebenso, wie es ein untrügliches Zeichen innerer Schwäche und Unsicherheit ist, daß die restaurierte Demokratie die Sokratische Kritik politisch nicht mehr ertragen konnte, sondern gegen Sokrates einen Prozeß anstrengte, den er hätte gewinnen, und dann die Hinrichtung verfügte, der er hätte entgehen können. Allein, man hatte sich verrechnet. Sokrates verschmähte prozessuales Taktieren und Finassieren ebenso wie das Angebot einer unehrenhaften und ungesetzlichen Flucht. Was er gewann, indem er als erster Mensch für seine philosophische Überzeugung den Tod auf sich nahm, war nichts Geringeres, als daß er der Nachwelt jenes gewaltige Problem als Erbe und Aufgabe hinterließ, das er entdeckt hatte: die Frage nach dem Guten. Auf eine Antwort wartet man bis heute. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument ∗ Das geheimnisvolle Nichts, welches im Leben des Sokrates eigentlich die Pointe ausmacht, suchte Plato dadurch auszufüllen, daß er ihm die Idee gab, Xenophon aber durch die Weitläufigkeiten des Nützlichen. Aristophanes hat nun dieses Nichts erfaßt, nicht als die ironische Freiheit, in welcher Sokrates es genoß, aber so, daß er immer nur auf die Leere hinweist, die darin liegt. Kierkegaard Wie so viele Lebensäußerungen des frühen Griechentums, ist uns auch die Philosophie am frühesten durch die Alte Attische Komödie bezeugt. Das freut den Philosophiehistoriker; denn da von der Vorplatonischen Philosophie (um diesen Ausdruck Nietzsches zu gebrauchen) nur geringe Reste auf uns gekommen sind, so muß jedes frühe oder gar zeitgenössische Zeugnis doppelt willkommen sein. Andererseits sind die Äußerungen der Komiker über die Vorplatonischen Philosophen auch wieder eine Verlegenheit für den Philosophiehistoriker. Denn die komische Rede pflegt das Tatsächliche ja nicht einfach und schlechthin wiederzugeben, sondern zu verfremden, so daß eine Scheinrealität entsteht, die zu durchschauen das Lachen erzeugt. Ein Beispiel (Aristoph. Nub. 825-830): Sagt einer: — Nicht Zeus herrscht, sondern der Wirbel! Fragt der andere: — Wer sagt das? Die Antwort: — Sokrates aus Melos! Um diesen kurzen Dialog verstehen zu können, muß man eine Menge wissen: daß Sokrates Athener gewesen ist; daß Diagoras aus Melos als Atheist berüchtigt war; daß der Begriff des Wirbels ein Leitbegriff im kosmologischen Denken des Philosophen Demokrit gewesen ist. Nur wer über alle diese Informationen verfügt, kann den Hintersinn der Rede verstehen: daß Sokrates als Naturphilosoph den Glauben an die alten Götter verloren hat und so des Atheismus verdächtig ist. Fehlen diese Informationen, so verfehlt man nicht nur Witz und Sinn des komischen Textes, sondern läuft auch Gefahr, die verfremdete Rede als historisch dahingehend mißzuverstehen, daß Sokrates tatsächlich ein Melier gewesen sei, Kosmologie getrieben habe und atheistischer Tendenzen verdächtigt werden müsse. ∗ Erstveröffentlichung in: Motiv und Motivation. Klassische Sprachen und Literaturen, 27. Bd., hrsg. von P. Neukam [Bayerischer Schulbuchverlag] München 1993, 72-93. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 33 Die Sokrates-Überlieferung ist voll von solchen Mißdeutungen komischer Redeweise, und auch die moderne Philosophiegeschichtsschreibung ist keineswegs gefeit dagegen, scheinbzw. quasireale Aussagen der Komödie als real mißzuverstehen. Solche Mißverständnisse zu vermeiden, muß das oberste Gebot jeder philosophiegeschichtlichen Interpretation komischer Texte sein — eine äußerst schwierige Aufgabe, da uns häufig das Hintergrundwissen, das der Dichter bei seinen Hörern unbedenklich voraussetzen konnte, nicht mehr selbstverständlich zu Gebote steht, sondern durch historische Kritik erst mühsam wiedergewonnen werden muß. Aber anders erschließt sich weder der Sinn der komischen Rede noch auch die philosophiegeschichtliche Faktizität, die dieser Rede jeweils verfremdet zugrunde liegt. Die vorgezeichnete hermeneutische Problematik kulminiert in besonderer Weise im Falle des Sokrates, der öfter als alle anderen Vorplatonischen Philosophen Ziel komischen Witzes ist und in den Wolken des Aristophanes sogar — ein ganz exzeptioneller Fall — als Hauptfigur auf der komischen Bühne erscheint. Während es bei allen anderen Vorplatonischen Philosophen der Mangel an nicht- und außerkomischen Zeugnissen ist, der das Verständnis des Komödienspottes so sehr erschwert, ist es bei Sokrates deren Fülle, genauer: die Widersprüchlichkeit der zahlreichen literarischen Texte, die von Sokrates erzählen. Denn allein schon der Platonische und der Xenophontische Entwurf von Lehre und Persönlichkeit des Sokrates divergieren erheblich, und wenn man noch die fragmentarischen Sokratiker — Aischines, Antisthenes, Aristipp, Eukleides und Phaidon — hinzuzieht und die ebenfalls nur fragmentarisch erhaltenen Sokratesreden der zeitgenössischen Rhetoren — Polykrates und Lysias —, so weiß man nicht mehr, wie man das Disparate auf eine Formel bringen kann — Aristoteles noch gar nicht gerechnet, der die überaus reichhaltige postume Sokratesüberlieferung eröffnet, deren kritische Sichtung und Erforschung erst in den Anfängen steht. Wie nun die unerhörte Divergenz dieser Überlieferung, die (um dies hier nur anzudeuten) in der spezifischen Offenheit des Sokratischen Denkens ebenso ihren Ursprung hat wie in der Fiktionalität der literarischen Quellen, es der historischen Kritik so verzweiflungsvoll schwer macht, hinter dem Fiktionalen das Historische zu erkennen, so weiß man erst recht nicht, wie man die komische Interpretation des Sokrates historisch zu deuten habe. Denn namentlich der Aristophanische Sokrates (auf den es schließlich immer hinauslaufen wird) fügt sich am allerwenigsten in die ohnehin disparate Überlieferung. So ist es kein kleines Wagnis, eine philosophiegeschichtliche Deutung der Wolken zu versuchen. Und doch wird man einen solchen Versuch immer wieder wagen müssen. Denn die Aristophanischen Wolken sind das früheste und umfangreichste zeitgenössisches Zeugnis über Sokrates, 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 34 das aus Sokrates´ Lebzeiten datiert und also noch unberührt ist vom Streit der Parteien, der nach Sokrates´ Prozeß und Tod die Überlieferung so maßgeblich bestimmt. Hiernach liegt viel daran, daß die Sokratesforschung mit diesem exzeptionellen Text kritisch ins Reine kommt, wenn sie über die philosophiegeschichtliche Stellung des historischen Sokrates ein überzeugendes Urteil gewinnen will. 1. Die zwei Fassungen des Stückes Jede Interpretation der Aristophanischen Wolken muß der Tatsache Rechnung tragen, daß der Text, der uns überliefert ist, nicht jener Text ist, den Aristophanes an den Dionysien des Jahres 423 auf die Bühne brachte, sondern eine Neubearbeitung, an der Aristophanes, wie aus poetischen und politischen Anspielungen der Parabase (Nub. 549-559) ersichtlich, mindestens bis zum Jahre 420 gearbeitet hat, die Sache dann aber offenbar unfertig liegen ließ. Die Hypothesis A 7 der Wolken (PCG 3.2 test. ii p. 214 sq.) berichtet, Aristophanes habe an allen Teilen des Stückes Auslassungen, Hinzufügungen und Änderungen vorgenommen und die Parabase (Nub. 510-626), den Agon zwischen dem gerechten und dem ungerechten Logos (Nub. 889-1104) und den Brand von Sokrates' Denkgehäuse (Nub. 1476-1511) gänzlich neu gedichtet. Wie diese ebenso gelehrte wie instruktive Notiz zeigt, griff die Überarbeitung tief in die Substanz des ursprünglichen Textes ein, und so kann nicht wundernehmen, daß es der Forschung, trotz größter Anstrengungen, bis heute nicht gelungen ist, die Urfassung überzeugend zu rekonstruieren. Selbst wenn es gelänge (aber es gelingt nicht), das Neue überall reinlich vom Älteren zu scheiden, so besäße man immer noch nicht das ursprüngliche Stück, sondern allenfalls einen Torso dieses Stückes, den zu poetischer Einheit zu fügen vergebliche Mühe wäre. Indes darf diese verwickelte Frage, die eine eigene Untersuchung erforderte, hier außer Betracht bleiben, da nicht eine poetologische Analyse des dramatischen Textes beabsichtigt ist, sondern die philosophiegeschichtliche Interpretation der komischen Sokratesgestalt. Denn daß die poetische Überarbeitung des Textes die philosophiegeschichtliche Perspektive des Stückes grundlegend verschoben habe, wie mehrfach behauptet, ist ganz unwahrscheinlich; aber selbst wenn dem so gewesen wäre, so könnten wir jene Mutation nicht erkennen, da der ursprüngliche Text für uns unwiederbringlich verloren ist. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 35 2. Die drei Perspektiven der Sokratesgestalt Dies zugestanden, ist für eine philosophiegeschichtliche Interpretation der Wolken viel gewonnen, wenn man genauer in den Betracht zieht, wie Aristophanes die Gestalt des Sokrates poetisch geformt hat. Lehrreich sind in diesem Zusammenhang gleich die ersten Worte, die über Sokrates fallen. Strepsiades weist seinen Sohn Pheidippides auf ein Häuschen hin und erklärt (Nub. 94-99): ψυχ ῶ ν σοφ ῶ ν το ῦ τ’ ἐ στ ὶ φροντιστήριον. ἐ ντα ῦ θ’ ἐ νοικο ῦ σ’ ἄ νδρες, ο ἳ τ ὸ ν ο ὐ ραν ὸ ν λέγοντες ἀ να̟είθουσιν ὡ ς ἔ στιν ̟νιγεύς, ο ὗ τοι διδάσκουσ’, ἀ ργύριον ἤ ν τις διδ ῶ ι, λέγοντα νικ ᾶ ν κα ὶ δίκαια κ ἄ δικα. In diesem kurzen Bericht konfundiert Strepsiades drei verschiedene Denkmodelle, die sich, trotz aller komischen Verfremdung, unschwer verifizieren lassen. Wenn behauptet wird, Sokrates und die Seinen seien «Seelen», die in separatem Lokal ihr Wesen treiben, so verweist dies auf die Pythagoreer, die, wie auch die Orphiker, von der Seelenwanderung überzeugt waren und, als esoterischer Zirkel, ein von ihrer sozialen Umwelt abgesondertes Eigenleben führten. Heißt es weiter, die Sokratiker lehrten, daß der Himmel ein gewölbter Deckel sei wie jener, mit dem man glühende Kohlen zu ersticken pflegte — dies die eigentliche Bedeutung des Wortes ̟νιγεύς (die vielfach gebrauchte Übersetzung «Ofen» trifft nicht das Richtige) —, so liegt hier unverkennbar eine Anspielung auf die kosmologischen Spekulationen der Naturphilosophen vor, die sich gerne solch kühner Paradigmata bedienten, um ihre Denkmodelle anschaulich zu machen. Und wenn schließlich gesagt wird, man könne bei Sokrates gegen Bezahlung lernen, wie man in der Rede der gerechten und der ungerechten Sache zum Siege verhelfe, so bezieht sich diese Bemerkung ebenso unverkennbar auf die Sophisten, deren notorisch kostspieliges Lehrangebot ja vor allem in Aussicht stellte, den Probanden durch eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung in der Rhetorik in den Stand zu setzen, seine politischen Absichten in jedem Falle — namentlich also auch im fragwürdigen Falle — erfolgreich durchzusetzen. Orphisch-pythagoreische Mystik also, naturphilosophische Spekulation und sophistische Rhetorik werden bei Sokrates im Denkgehäuse getrieben, — wenn man Strepsiades glauben darf. Daß man ihm glauben darf, lehrt die weitere Handlung des Stückes, in deren Verlauf alle diese drei Denkmodelle als ein genuiner Ausdruck Sokratischen Philosophierens immer wieder in Erscheinung treten. Dies gilt es im einzelnen nachzuverfolgen. Anspielungen auf orphisch-pythagoreische Mystik finden sich vor allem am Beginn des Stückes. So weist der Schüler Strepsiades 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 36 eingangs gleich zweimal darauf hin, daß das philosophische Tun des Sokrates Geheimnischarakter habe (Nub. 140 & 143): ἀ λλ’ ο ὐ θέµις ̟λ ὴ ν το ῖ ς µαθητα ῖ σιν λέγειν [...] νοµίσαι δ ὲ τα ῦ τα χρ ὴ µυστήρια. Deuten diese Bemerkungen bereits auf Pythagoras hin, dessen Lehre ja bis auf Philolaos im Kreise der engsten Schüler als ein esoterisches Geheimwissen nur mündlich überliefert worden ist, so wird die Anspielung wenig später vollends deutlich, als der Schüler, von Strepsiades befragt, wer denn jene seltsame Person im Hängekorb sei, die berühmte pythagoreische Argumentationsformel α ὐ τ ὸ ς ἔ φα variierend, antwortet (Nub. 219): α ὐ τ ό ς. Sokrates selbst redet denn auch Strepsiades im folgenden ganz als ein in übermenschliche Sphären entrückter zweiter Pythagoras an (Nub. 223): [...] τί µε καλε ῖ ς ὦ φήµερε; Es folgt die feierliche Aufnahme des neuen Schülers in den esoterischen Geheimbund, die Sokrates, jetzt ganz Mysterienpriester, mit fachkundiger Routine vornimmt: Strepsiades muß sich auf den heiligen Schemel setzen (Nub. 254), erhält einen Kranz (Nub. 255 sq.) und wird mit Mehl bestäubt (Nub. 262); wie ihm die Sache unheimlich wird, erhält er von Sokrates die Belehrung, das halte man mit allen Mysten so (Nub. 258 sq.): [...] ἀ λλ ὰ τα ῦ τα ̟άντα το ὺ ς τελουµένους ἡ µε ῖ ς ̟οιο ῦ µεν. Nachdem die Rituale der Inthronisation, der Bekränzung und der Taufe vollzogen sind, stimmt Sokrates eine regelrechte hymnische Epiklese der Wolken an (Nub. 263-266; 269-274; 291 sq.; 296 sq.), der die Wolken alsbald durch ihre Epiphanie entsprechen (Nub. 275 sqq.). Und noch einmal ist ein Ritual zu absolvieren: Bevor Strepsiades das Denkgehäuse betreten darf, bedarf, muß er seinen Mantel ablegen und wird, als er zögert, noch einmal von Sokrates darauf hingewiesen, daß diese Handlung als religiöser Brauch zu gelten habe (Nub. 498): [...] ἀ λλ ὰ γυµνο ὺ ς ε ἰ σιέναι νοµίζεται. Die pythagoreisch-mystische Perspektive, die zu Beginn des Stückes vorwaltet, tritt im weiteren Verlauf der Handlung zurück, wird aber nicht vergessen, sondern erscheint, sehr kunstvoll, noch einmal am Schlusse des Stückes wieder, als Strepsiades das Denkgehäuse in Flammen setzt (Nub. 1476-1511). Jeder, der sich an das mystisch-pythagoreisierende Gehabe erinnerte, das Sokrates zu Beginn des Stückes an den Tag gelegt hatte, mußte hier an die Verbrennung des Versammlungslokales der Pythagoreer in Kroton denken, in der sich um das Jahr 450 die Volkswut gegen die elitären, aristokratisch gesinnten und politisierenden Philoso- 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 37 phen furchtbar entlud. Als Oberhaupt eines pythagoreischen Geheimbundes findet Sokrates samt den Seinen jetzt dasselbe Ende. Das ist Komödienschluß, der, bei aller Bühnenwirksamkeit, den Betrachter zum mindesten in der Rückschau betroffen macht. Denn Aristophanes antizipiert nicht nur den gewaltsamen Tod des Sokrates, sondern der gewaltsame Tod, den der Dichter Sokrates in poetischer Fiktion erleiden läßt, ist auch noch weit grausamer als jener, den die athenische Polis ein Vierteljahrhundert später tatsächlich gegen Sokrates verfügt hat, wobei die Anklage sich ähnlicher Vorwürfe bediente, wie sie schon die Aristophanische Komödie vorgebracht hatte — Komödienspott kann eine ernste Sache sein. Noch bevor Strepsiades Sokrates selber zu Gesicht bekommt, erhält er einen Einblick in die naturphilosophischen Aktivitäten, denen die Sokratiker im Denkgehäuse obliegen. Der Schüler erzählt, wie Sokrates und Chairephon ausgemessen haben, wieviel Fuß weit ein Floh springe (Nub. 144-152); wie Sokrates das Problem gelöst hat, ob das Summen der Mücke durch das Maul oder den After erfolge (Nub. 156-164); wie Sokrates bei der Beobachtung der Mondbahn durch eine kotende Eidechse gestört worden sei (Nub. 169-174); wie Sokrates bei Gelegenheit einer geometrischen Demonstration mit dem Zirkel einen Mantel entwendet habe (Nub. 175-179). Werden hier Probleme der Geometrie, der Akustik und der Astronomie, wie sie die Naturphilosophen beschäftigten, komisch-verfremdet wiedererzählt, so sieht Strepsiades, nachdem er Einlaß gefunden hat, mit eigenen Augen, wie die Schüler sich auf groteske Weise bückend, geo- und astronomische Forschung auf einmal betreiben, ja er bekommt — eine Herausforderung für jeden Bühnenbildner — Astronomie und Geometrie samt einer Erdkarte sogar leibhaftig zu Gesicht (Nub. 184-218). Auch Sokrates selber, im Hängekorb schwebend, erweist sich gleich mit seinen ersten Worten als Astronom (Nub. 225): ἀ εροβατ ῶ κα ὶ ̟εριφρον ῶ τ ὸ ν ἥ λιον. Nach den Gründen für dieses seltsame Gebaren befragt, weiß Sokrates sogleich mit einer erkenntnistheoretischen Erklärung aufzuwarten: Erkenntnis der meteorologischen Probleme sei nur möglich, wenn man, von der Erde entrückt, den Geist mit der artverwandten Luft vermische; auf dem Boden dagegen würde die Erde die Feuchtigkeit des Gedankens, ganz wie bei der Brunnenkresse, gewaltsam an sich ziehen (Nub. 228-234). Wie sich denn Sokrates auch in der folgenden Parodos als ein gewaltiger Meteorologe ausweist, der über die Phänomene des Regens (Nub. 369- 371), des Donners (Nub. 375-393) und des Blitzes (Nub. 395-407) detailliert Auskunft zu geben versteht, auch wenn seine Gelehrsamkeit überall ins Komisch-Abstruse verfremdet wird. Wie das Pythagoreische eng mit dem Mystizismus verbunden ist, so das Naturphilosophische mit dem Atheismus. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 38 Gleich eingangs wird Strepsiades von Sokrates belehrt, daß die alten Götter obsolet sind (Nub. 247 sq.): [...] ̟ρ ῶ τον γ ὰ ρ θεο ὶ ἡ µ ῖ ν νόµισµ’ ο ὐ κ ἔ στι. Dies zugestanden, bietet Sokrates Belehrung über das wahre Wesen des Göttlichen an (Nub. 250 sq.): βούλει τ ὰ θε ῖ α ̟ράγµατ’ ε ἰ δέναι σαφ ῶ ς ἅ ττ’ ἐ στ ὶ ν ὀ ρθ ῶ ς; Es stellt sich heraus, daß die neuen Götter Wesenheiten von meteorologisch-luftartiger Beschaffenheit sind. In der Epiklese betet Sokrates zu diesem neuen Pantheon, dem außer den Wolken auch noch die beiden Luftschichten Aer und Aither angehören (Nub. 264 sq.): ὦ δέσ̟οτ’ ἄ ναξ ἀ µέτρητ’ Ἀ ήρ, ὃ ς ἔ χεις τ ὴ ν γ ῆ ν µετέωρον, λαµ̟ρός τ’ Α ἰ θ ὴ ρ σεµναί τε θεα ὶ Νεφέλαι βροντησικέραυνοι Allein diese Götter, namentlich die Wolken, sind existent; alles andere ist Unsinn (Nub. 365): α ὗ ται γάρ τοι µόναι ε ἰ σ ὶ θεαί, τ ἄ λλα δ ὲ ̟άντ’ ἐ στ ὶ φλύαρος. Strepsiades kann es nicht fassen: Zeus, der Olympier, kein Gott? Sokrates, ungehalten (Nub. 367): ̟ο ῖ ος Ζεύς; ο ὐ µ ὴ ληρήσεις· ο ὐ δ’ ἔ στι Ζεύς. Und wer donnert? Nicht Zeus? Keineswegs, so Sokrates, sondern eine neue meteorologische Wesenheit, der luftige Wirbel (Nub. 380): ἥ κιστ’ ἀ λλ’ α ἰ θέριος ∆ ῖ νος. Nachdenklich resümiert Strepsiades diese neue Theologie, die nicht Zeus, sondern den Wirbel als Herrn der Wettergewalten stipuliert (Nub. 380 sq.): [...] ∆ ῖ νος; τουτί µ’ ἐ λελήθειν, ὁ Ζε ὺ ς ο ὐ κ ὤ ν, ἀ λλ’ ἀ ντ’ α ὐ το ῦ ∆ ῖ νος νυν ὶ βασιλεύων. Am Schluß seiner Belehrung, die die ganze Parodos durchzieht, versichert sich Sokrates noch einmal fragend, ob Strepsiades auch die neue Theologie begriffen habe, daß außer den Wolken, denen jetzt auch noch das Chaos und die Zunge als luftige Wesenheiten zugesellt werden, keinerlei andere Götter Glauben verdienen (Nub. 423 sq.): ἄ λλο τι δ ῆ τ’ ο ὖ ν νοµιε ῖ ς ἤ δη θε ὸ ν ο ὐ δένα ̟λ ὴ ν ἅ ̟ερ ἡ µε ῖ ς, τ ὸ Χάος τουτ ὶ κα ὶ τ ὰ ς Νεφέλας κα ὶ τ ὴ ν γλ ῶ τταν, τρία ταυτί; Nachdem sich Strepsiades begeistert zu dieser neuen Lehre bekannt hat, kann das Stück seinen Fortgang nehmen. Wie die pythagoreisch-mystische, so tritt auch die naturphilosophischatheistische Perspektive der Sokratesgestalt im weiteren Verlauf der 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 39 Handlung in den Hintergrund, wird aber nicht vergessen, sondern anspielungsweise immer wieder in Erinnerung gebracht. So konfrontiert Sokrates Strepsiades beim Unterricht unvermittelt mit einem meteorologischen Problem (Nub. 489 sq.), und Strepsiades seinerseits tut dies, als ein gelehriger Schüler, später mit Amynias, der sich nach der Ursache des Regens (Nub. 1277-1286) und der Ozeanographie (Nub. 1289-1296) befragt sieht. Und wenn Sokrates den «Atem» ( Ἀ να̟νοή), das «Chaos» (Χάος) und die «Luft» ( Ἀ ήρ) als Götter anruft (Nub. 627), so respondiert Strepsiades, indem er den «Dunst» ( Ὁ µίχλη) (Nub. 814) und den «Betrug» ( Ἀ ̟αιολή) (Nub. 1150) als neue luftartige Götter erfindet. Wie denn Strepsiades auch gelehrig den Wirbel als Obergottheit anerkennt (Nub. 828), worin ihm später Pheidippides ebenso gelehrig folgt (Nub. 1471). Und wenn Strepsiades Sokrates als Melier bezeichnet (Nub. 830), so erweist er sich selber als gelernter Atheist, wenn er gegenüber Pasias den Glauben an die traditionellen Götter für lächerlich erklärt (Nub. 1232- 1241). Der gesamte Gedankenkomplex tritt dann noch einmal in der Schlußszene in den Vordergrund, als Strepsiades, zur Besinnung gelangt, das Denkgehäuse verbrennt und den jammernden Sokratikern die Quittung für ihr gottloses naturphilosophisches Spekulieren präsentiert (Nub. 1506 sq.): τί γ ὰ ρ µαθόντες το ὺ ς θεο ὺ ς ὑ βρίζετε, κα ὶ τ ῆ ς σελήνης ἐ σκο̟ε ῖ σθε τ ὴ ν ἕ δραν; Und noch seine letzten Worte an den Sklaven Xanthias gelten dem Atheismus der Sokratiker (Nub. 1508 sq.): δίωκε βάλλε ̟α ῖ ε, ̟ολλ ῶ ν ο ὕ νεκα, µάλιστα δ’ ε ἰ δ ὼ ς το ὺ ς θεο ὺ ς ὡ ς ἠ δίκουν. Es fehlt übrigens nicht viel, und Aristophanes hätte in dieser Szene nicht nur den gewaltsamen Tod des Sokrates antizipiert, sondern auch den Asebieprozeß, der diesen Tod herbeigeführt hat. Denn als Strepsiades endlich zur Besinnung gekommen ist über das gottlose Treiben der Sokratiker, erwägt er zunächst, einen Prozeß anzustrengen (Nub. 1481 sq.): [...] ε ἴ τ’ α ὐ το ὺ ς γραφ ὴ ν διωκάθω γραψάµενος ε ἴ θ’ ὅ τι σοι δοκε ῖ . Dieser Plan wird fallengelassen, weil kein Geringerer als der Gott Hermes, an den diese Worte gerichtet sind, die Verbrennung der Sokratiker als die bessere Alternative nennt. Gleichwohl ist erstaunlich und auch erschreckend, wie Prozeß und Tod des Sokrates, die später im Verhältnis von Ursache und Wirkung tatsächlich erfolgt sind, hier in poetischer Fiktion als Alternativen bedacht werden. Die Dichtung erahnt, was geschehen könnte, und trägt so dazu bei, daß das Erahnte Wirklichkeit werden 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 40 kann. Platon jedenfalls hat so empfunden, wenn er in der Apologie (p. 18 b-e & 19 c) Aristophanes ausdrücklich unter jenen «ersten» oder «früheren» Anklägern erwähnt, deren haltlose Verleumdungen, bedenkenlos ausgesprochen und ebenso bedenkenlos geglaubt und durch die Jahre hin immer wiederholt, die eigentliche Anklage überhaupt erst möglich gemacht hätten . . . Es bleibt schließlich die dritte, die sophistische Perspektive, die durchaus vorwaltet und den meisten Raum einnimmt, weil das, was Strepsiades bei Sokrates sucht, um sich von den Schulden seines Sohnes zu befreien, die Redekunst, jene Fertigkeit ist, die notorisch die Sophisten lehren zu können behaupten. Gleich eingangs weist Strepsiades Pheidippides nachdrücklich darauf hin, daß bei Sokrates rhetorische Kenntnisse zu erwerben sind (Nub. 112- 115): ε ἶ ναι ̟αρ’ α ὐ το ῖ ς φασιν ἄ µφω τ ὼ λόγω, τ ὸ ν κρείττον’, ὅ στις ἐ στί, κα ὶ τ ὸ ν ἥ ττονα. τούτοιν τ ὸ ν ἕ τερον το ῖ ν λόγοιν, τ ὸ ν ἥ ττονα, νικ ᾶ ν λέγοντά φασι τ ἀ δικώτερα. Es erweist sich denn auch alsbald, daß Strepsiades mit seinem Begehren vor die rechte Schmiede gekommen ist. Die Wolken nämlich erweisen sich, wie Sokrates ausführt, als rechte Patroninnen der Redekunst (Nub. 317 sq.): α ἵ ̟ερ γνώµην κα ὶ διάλεξιν κα ὶ νο ῦ ν ἡ µ ῖ ν ̟αρέχουσιν κα ὶ τερατείαν κα ὶ ̟ερίλεξιν κα ὶ κρο ῦ σιν κα ὶ κατάληψιν. Kein Wunder, daß die Sophisten ihnen ihren Broterwerb verdanken (Nub. 331): [...] ̟λείστους α ὗ ται βόσκουσι σοφιστάς. Sokrates seinerseits wird von den Wolken feierlich als Hoherpriester sophistischer Wortverdrehungskünste begrüßt (Nub. 358 sq.): χα ῖ ρ’ ὦ ̟ρεσβ ῦ τα ̟αλαιογεν ὲ ς θηρατ ὰ λόγων φιλοµούσων, σύ τε λε̟τοτάτων λήρων ἱ ερε ῦ [...] Unmittelbar anschließend bezeichnen die Wolken, das Sophistische mit dem Naturphilosophischen witzig verquickend, Sokrates als «Meteorosophisten» dem sie nicht weniger gewogen seien als dem Sophisten Prodikos (Nub. 360 sq.): ο ὐ γ ὰ ρ ἂ ν ἄ λλωι γ’ ὑ ̟ακούσαιµεν τ ῶ ν ν ῦ ν µετεωροσοφιστ ῶ ν ̟λ ὴ ν ἢ Προδίκωι [...] Nachdem die Wolken Strepsiades versprochen haben, er werde das Gewünschte bei Sokrates lernen, geht es an den Unterricht, den Sokrates mit 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 41 einer Art Vorgespräch eröffnet, um sich zu vergewissern, ob der neue Schüler auch über ein gutes Gedächtnis verfügt (Nub. 483) und lernfähig ist (Nub. 486). Der eigentliche Unterricht nun gilt überraschenderweise nicht der Rhetorik; Sokrates doziert vielmehr über Metrik (Nub. 639-645), über Rhythmik (Nub. 647-654) und über Wortbildung (Nub. 658-693). Als Strepsiades protestiert und nach der versprochenen Redekunst verlangt, bedeutet ihm Sokrates unmißverständlich, daß dergleichen Studien als Propädeutik der Rhetorik unerläßlich seien (Nub. 658): ἀ λλ’ ἕ τερα δε ῖ σε ̟ρότερα τούτου µανθάνειν. So wird deutlich, daß die metrischen, rhythmischen und sprachwissenschaftlichen Studien, wie sie zuerst von den Sophisten betrieben worden sind, im Dienst der Rhetorik stehen, die so recht eigentlich als Mutter der Grammatik (das Wort im weitesten Sinne genommen) gelten darf. Nachdem der weitere Unterricht an der gewitzten Lernunfähigkeit des Strepsiades scheitert, wird Pheidippides Schüler bei Sokrates. Der große Agon zwischen dem gerechten und dem ungerechten Logos (Nub. 889- 1104) demonstriert ihm und dem Zuschauer ad oculos, wie man durch rhetorische Kunstgriffe der ungerechten Sache zum Siege verhelfen kann, und bestätigt so, was Strepsiades mehrfach vermutet hatte (Nub. 116, 434, 657): daß die Rhetorik des Sokrates, insofern sie dem Unrecht zum Siege verhilft, im Grunde eine kriminelle Sache ist, die die bürgerliche Sittlichkeit ebenso untergräbt, wie der Sokratische Atheismus die Religiosität ruiniert. Nach dieser rhetorischen Demonstration wird der Schüler dem Lehrer übergeben, und Sokrates verspricht dem Vater, er werde den Sohn zu einem perfekten Sophisten ausbilden (Nub. 1111): ἀ µέλει κοµιε ῖ το ῦ τον σοφιστ ὴ ν δεξιόν. Wie dann der Sohn, anders als der Vater, seine Lektion so vortrefflich lernt, daß er, rhetorisch argumentierend, begründen kann, es sei recht, den eigenen Vater zu verprügeln und die Mutter auch, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Es ist dieses Erlebnis, das Strepsiades zur Einsicht bringt, so daß er, göttlichem Rate folgend, beschließt, das Denkgehäuse samt seinen gemeingefährlichen Insassen zu verbrennen. 3. Die Forschung Soweit der Überblick über jene drei Perspektiven, in denen Aristophanes die Gestalt des Sokrates gesehen hat. Es war hiervon mit Bedacht ausführlicher die Rede. Denn die Forschung hat die merkwürdige Optik des Aristophanischen Blickes bisher noch keineswegs gebührend zur Kenntnis genommen oder für die philosophiegeschichtliche Interpretation der Sokratesgestalt fruchtbar gemacht. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 42 Die sophistische Perspektive, wiewohl durchaus vorwaltend und gar nicht zu übersehen, bleibt nachgerade ganz außer Betracht; die Betrachtung der naturphilosophischen und der pythagoreischen Perspektive zeitigt, je nachdem, welche Perspektive in den Blick genommen wird, jeweils höchst unterschiedliche Ergebnisse. Die communis opinio, die August Böckh (1838) begründet hat, deutet die naturphilosophische Perspektive entwicklungsgeschichtlich, um zu beweisen, daß es im Denken des Sokrates eine frühe naturphilosophische Phase gegeben habe, von der auch der autobiographische Exkurs des Platonischen Phaidon (p. 96 c sqq.) und die peripatetische Tradition über den Naturphilosophen Archelaos (VS A 1-3, 5, 7) Kunde gäben. Im Gegensatz hierzu rekurriert die Schottische Platonschule, repräsentiert vor allem durch John Burnet (1911, 1914, 1915-16) und Alfred E. Taylor (1911 & 1932) auf die pythagoreische Perspektive, um zu beweisen, daß die Ideenlehre, die der Platonische Sokrates in den Dialogen Phaidon, Symposion und Politeia im Rückgriff auf pythagoreische Denkansätze entwickele, nicht Platonischen, sondern Sokratischen Ursprungs sei. Es leidet indes keinen Zweifel, daß diese beiden noch heute einflußreichen Hypothesen weder Aristophanes noch auch Sokrates gerecht zu werden vermögen. Durch nichts nämlich läßt Aristophanes erkennen, daß er — was ästhetisch auch ein fragwürdiges Unterfangen gewesen wäre — eine jener drei Perspektiven, in denen er Sokrates sieht, als historisch verstanden wissen will. Und so berechtigt es ist, durch philosophiegeschichtliche Kritik aufzulösen, was Aristophanes poetisch kunstvoll verknüpft hat, so wenig steht außer Zweifel, daß der Aristophanische Sokrates als eine poetische Einheit verstanden werden will, wenn anders man nicht die Intention des Dichters und also auch die philosophiegeschichtliche Interpretation des Dichtwerkes verfehlen will. Mit anderen Worten: Entweder sind alle Perspektiven, in denen der Aristophanische Sokrates erscheint, letzten Endes historisch — oder aber keine; entweder ist Sokrates tatsächlich ein pythagoreisierender Mystiker gewesen, der naturphilosophische Spekulation mit sophistischer Rhetorik verband, oder er ist eine poetischfiktionale Kunstfigur, deren Existenz sich allein dem Witz der komischen Bühne verdankt. In der Tat hat es nicht an Versuchen gefehlt, den Aristophanischen Sokrates in toto als eine — wenn auch komisch verfremdete — philosophiegeschichtlich glaubhafte Darstellung der historischen Person zu interpretieren. Doch ist, was wir von der allgemeinen Entwicklung der griechischen Philosophie wissen, einer solchen Interpretation, wie sie vor allem Sören Kierkegaard (1841), Georges Sorel (1889) und Hubert Roeck (1903 & 1911) vorgetragen haben, nicht günstig: Pythagoreischer Mysterienglaube hat ja nur sehr bedingt etwas mit den kosmologischen und kosmogonischen Spekulationen der Naturphilosophie zu tun, und das ganz auf den Menschen und seine Stellung in der Gesellschaft ausgerich- 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 43 tete Denken der Sophistik hat seinerseits wiederum nur wenig mit naturphilosophischer Spekulation gemein und gar nichts mit pythagoreischer Mystik. Aus drei so heterogenen Denkansätzen läßt sich schwerlich ein sinnvolles Ganzes formen, das den Namen Philosophie verdiente, sondern viel eher ein künstliches Konglomerat, dessen Inkohärenz dann als komische Parodie auf das Bemühen nach philosophischer Stringenz interpretiert werden müßte. 4. Spaßphilosophie In der Tat erweist sich das philosophische Denken des Aristophanischen Sokrates denn auch bei näherem Hinsehen durchaus als ein buntes Sammelsurium der verschiedensten Philosopheme, die ad hoc herangezogen und ad libitum wieder fallengelassen werden, ohne daß auch nur der Versuch gemacht würde, gedankliche Kohärenz oder Stringenz aufscheinen zu lassen. Der eigentümlichen Präzision Aristophanischer Verfremdung verdanken wir es, daß wir in der Lage sind, trotz der trümmerhaften Überlieferung der Vorplatonischen Philosophie, die historische Herkunft der allermeisten Philosopheme, deren sich der Aristophanische Sokrates bedient, noch nachweisen zu können. Von der esoterischen Seelenwanderungslehre des Pythagoras war bereits ebenso die Rede wie vom Atheismus des Diagoras. Des weiteren wäre von dem Sophisten Prodikos zu reden, der als einziger Philosoph neben Sokrates namentlich genannt wird (Nub. 361): Die sprachwissenschaftlichen Kenntnisse, die Sokrates an den Tag legt, sind sein gedankliches Eigentum (VS 84 A 9, 11-19); die metrischen und rhythmischen Kenntnisse dagegen verdankt Sokrates dem Sophisten Hippias (VS 86 A 2, 11 sq.; B 20), und das berühmte rhetorische Schlagwort τ ὸ ν ἥ ττω λόγον κρείττω ̟οιε ῖ ν geht auf den Sophisten Protagoras zurück (VS 80 A 21). Die Luftlehre wiederum, der sich wohl auch die Erfindung des Wolkenchores verdankt, ist Eigentum des Naturphilosophen Diogenes aus Apollonia, dessen Erkenntnistheorie Sokrates fast wörtlich referiert (VS 64 A 19; vgl. C 1); der Wirbel spielt eine zentrale Rolle in der Kosmologie der Atomisten Leukipp (VS 67 A 24) und Demokrit (VS 68 A 67; B 167). Schließlich sind wir berichtet, daß bereits der Komiker Kratinos (PCG 4 fr. 167) das Paradigma vom Erstickungsdeckel und den Kohlen verwendet hat, um die Physik des Naturphilosophen Hippon (VS 38 A 2) zu verspotten — was Aristophanes nicht gehindert hat, dasselbe Paradigma auf Sokrates anzuwenden und später noch einmal auf den Astronomen Meton (Au. 1001 sqq.). Namentlich das letztgenannte Beispiel belehrt gründlich darüber, wie wenig es Aristophanes bei alledem um historische Korrektheit zu tun 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 44 gewesen ist. Und in der Tat: Nähme man die Philosophie des Aristophanischen Sokrates für historisch, so müßte der historische Sokrates einer der seltsamsten Eklektiker gewesen sein, von dem die Philosophiegeschichte weiß. Er hätte nicht nur die Denkansätze des Pythagoreismus, der Naturphilosophie und der Sophistik vereinigt, sondern diese Denkansätze jeweils auch durch einzelne Philosopheme aus Demokrit, Diagoras, Diogenes aus Apollonia, Hippias, Hippon, Prodikos, Protagoras und Pythagoras angereichert und ausgeschmückt und dies alles, bunt gemischt und unverbunden, als seine eigene Philosophie ausgegeben. Aber ein so heterogenes und inkohärentes Gedankenkonglomerat hat es in Wirklichkeit nie gegeben, und schon gar nicht kann ein solches Konstrukt Ursache gewesen sein für jene gedankliche Revolution und Neuorientierung, die die antike und die moderne Philosophiegeschichtsschreibung an den Namen Sokrates knüpfen. Was Aristophanes hier bietet, ist (um einen Ausdruck Arthur Schopenhauers aufzunehmen) recht eigentlich eine Spaßphilosophie, die ihre Existenz allein dem freien Spiel komischer Fiktion und Verfremdung verdankt: Alles, was an Denktraditionen und neuen und älteren Denkansätzen damals im Schwange war, so verschieden es sein mochte, wird unbekümmert zusammengeworfen, damit das Ganze desto wirkungsvoller dem Gelächter preisgegeben werden kann. Das aber heißt nichts anderes, als daß Sokrates nichts von alledem gelehrt hat, was er bei Aristophanes lehrt. Der Aristophanische Sokrates personifiziert vielmehr als ein Stellvertreter oder Generalrepräsentant die gesamte intellektuelle (philosophische) Bildung seiner Zeit, die als Moderne kritisch gegen die gute alte Zeit ausgespielt wird, in der die Sitte das Denken ersetzte. Insofern ist der Aristophanische Sokrates das rechte Gegenstück zum Aristophanischen Euripides. Wie Sokrates in den Wolken als personifizierter Repräsentant der modernen intellektuellen Bildung erscheint, ist Euripides später in den Fröschen Repräsentant der modernen Poesie und Ästhetik. So ist es kein Zufall, wenn ein Fragment der ersten, verlorenen Fassung der Wolken (PCG 3.2 fr. 392 = SSR I A 3) erzählt, daß Sokrates der Verfasser der Euripideischen Tragödien sei: Ε ὐ ρι̟ίδηι δ ᾽ ὁ τ ὰ ς τραγωιδίας ̟οι ῶ ν τ ὰ ς ̟εριλαλούσας ο ὗ τός ἐ στι, τ ὰ ς σοφ ά ς. 5. Historisches im Fiktionalen Es bleibt zu fragen, weshalb Aristophanes, wenn er das moderne Denken personifiziert auf die Bühne bringen wollte, auf Sokrates verfiel. Die Gesetze der Alten Komödie verlangen, daß sich der komische Spott in der 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 45 Hauptsache gegen athenische Bürger richten muß. Im Jahre 423 aber gab es keinen namhaften Philosophen in Athen — außer Sokrates, der damals bereits — um die sechsundvierzig Jahre alt — eine stadtbekannte Persönlichkeit gewesen sein muß. Und wie sehr kam nicht gerade dieser Mann den Intentionen des Dichters entgegen! Sokrates wirkte ja ausschließlich in mündlichem Gespräch, und es gab wohl schon damals kaum einen Athener, dem er durch sein bohrendes Fragen nicht lästig gefallen wäre. Aristophanes erkannte mit genialem Blick, daß sich dieses rein mündliche Philosophieren, das sich der Einsicht in die eigene Unwissenheit verdankt, ungleich leichter mit fremdem Gedankengut verbinden und anreichern ließ als die dogmatisch fixierten und in Buchform publizierten Denkmodelle der anderen Vorplatonischen Philosophen. Wenn Aristophanes so das mündliche Philosophieren des Sokrates mit eigenem Geist erfüllte, so tat er im Grunde nichts anderes, als die Sokratiker später auch getan haben — mit dem Unterschied allerdings, daß die Sokratiker, jeder auf seine Weise, ein ungelöstes philosophisches Problem, das ihnen Sokrates hinterlassen hatte — das Problem des Guten — philosophisch zu lösen versuchten, während Aristophanes, mit dem Recht des komischen Dichters, Sokrates eine Spaßphilosophie imputiert hat, die mit Sokrates nur insofern etwas zu tun hat, als sie, auf ihre Weise, Zeugnis ablegt von der spezifischen Offenheit und Unfestgestelltheit, die das mündliche Philosophieren des Sokrates kennzeichnen. Damit nicht genug. Aristophanes wäre kein Dichter, wenn er Sokrates lediglich als Typus aufgefaßt hätte und nicht auch als Individuum. Man wird solcher individueller Züge am ehesten gewahr, wenn man von der pythagoreischen, naturphilosophischen und sophistischen Perspektive und den dazugehörigen Philosophemen, die den typischen Intellektuellen kennzeichnen sollen, absieht und jene Aspekte näher ins Auge faßt, die diesen Intentionen nicht gehorchen. Sind solche Aspekte auch noch anderweitig in sokratischer Überlieferung bezeugt, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß die literarische Fiktion und die komische Verfremdung hier historische Realität im Blick haben. Besonders lehrreich sind in diesem Zusammenhang jene zwei Verse, in denen die Wolken gleich nach ihrer Epiphanie erklären, weshalb sie besonders an Sokrates ein solches Wohlgefallen haben (Nub. 362 sq.): ὅ τι βρενθύει τ’ ἐ ν τα ῖ σιν ὁ δο ῖ ς κα ὶ τ ὠ φθαλµ ὼ ̟αραβάλλεις, κ ἀ νυ̟όδητος κακ ὰ ̟όλλ’ ἀ νέχει κ ἀ φ’ ἡ µ ῖ ν σεµνο̟ροσω̟ε ῖ ς. Diese Verse beschreiben keinen Typus, sondern ein Individuum. Der erste Vers kennzeichnet das selbstbewußte Auftreten, das Sokrates in der Öffentlichkeit an den Tag legt. Daß diese Art des Auftretens, die sich besonders im Blick äußert, wohl der historischen Wirklichkeit entsprochen hat, erhellt daraus, daß der platonische Alkibiades im Symposion (p. 221 b) 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 46 diesen Vers zitiert, um das respekteinflößende Verhalten des Sokrates während der Schlacht beim Delion zu charakterisieren. Mehr noch: Auch der eigentümliche Blick des Sokrates, den Aristophanes durch den Ausdruck τ ὠ φθαλµ ὼ ̟αραβάλλειν umschreibt, kehrt bei Platon wieder, wenn im Phaidon (p. 117 b) beschrieben wird, wie Sokrates den Gefängniswärter, der ihm den Schierlingsbecher brachte, angesehen habe: ὥ σ̟ερ ε ἰ ώθει ταυρηδ ὸ ν ὑ ̟οβλέψας. Zwar blickt der Platonische Sokrates — situationsbedingt — von unten nach oben, der Aristophanische richtet die Augen seitwärts; aber das Wesen dieses Blickes, gewissermaßen ein stereoskopisches Schauen, wie es in der Tat dem Stiere eigentümlich ist, ist offenbar hier wie dort dasselbe und darf als historisch gelten, zumal Xenophon (Symp. 5.5) dasselbe erzählt, wenn er Sokrates sagen läßt, er besitze hervorquellende Augen, die auch nach der Seite blickten könnten: ο ἱ δ ὲ ἐ µο ὶ (sc. ὀ φθαλµοί) κα ὶ τ ὸ ἐ κ ̟λαγίου (sc. ὁ ρ ῶ σιν) δι ὰ τ ὸ ἐ ̟ι̟όλαιοι ε ἶ ναι. Es steht zu vermuten, daß der so auffällige Stierblick des Sokrates bei Aristophanes durch die Maske hervorgehoben wurde; später haben sich die Bildhauer, durch literarische Hinweise belehrt, auf ihre Weise bemüht, den spezifisch Sokratischen Blick wiederzugeben (Kékulé von Stradonitz 1908; Scheibler 1989; Zanker 1995). Wie denn Sokrates überhaupt der erste Grieche ist, dessen Physiognomie die Literatur detailliert beschreibt. Der zweite Vers weist durch die Erwähnung des Barfußgehens auf die kärglichen Lebensumstände hin, in denen sich Sokrates befindet; und wenn es weiter heißt, daß Sokrates viel Übles erdulde, so will das besagen, daß er die Beschwerlichkeiten und Unzuträglichkeiten dieser Lebensweise gern und klaglos hingenommen hat. Anders als das selbstbewußte Gebaren des Sokrates, das vielleicht nicht nur durch die Maske, sondern auch durch die Gestik immer wieder in Erinnerung gerufen wurde, wird auf die Ärmlichkeit Sokratischer Lebensführung während des ganzen Stückes expressis uerbis hingewiesen. So geben die Wolken kurz nach ihrer Epiphanie Strepsiades eine detaillierte Belehrung darüber, unter welch reduzierten Bedingungen der rechte Sokratiker leben muß (Nub. 414—417): ε ἰ µνήµων ε ἶ κα ὶ φροντιστ ὴ ς κα ὶ τ ὸ ταλαί̟ωρον ἔ νεστιν ἐ ν τ ῆ ι ψυχ ῆ ι, κα ὶ µ ὴ κάµνεις µήθ’ ἑ στ ὼ ς µήτε βαδίζων, µήτε ῥ ιγ ῶ ν ἄ χθει λίαν µήτ’ ἀ ριστ ᾶ ν ἐ ̟ιθυµε ῖ ς, ο ἴ νου τ’ ἀ ̟έχει κα ὶ γυµνασίων κα ὶ τ ῶ ν ἄ λλων ἀ νοήτων. Sokrates lebt samt den Seinen denn auch nach den Vorschriften dieses Reduktionsideals: Er ist blaß (Nub. 103, 120, 186, 1112, 1117), geht ohne Schuhe (Nub. 103, 363), schneidet sich nicht die Haare, salbt sich nicht und geht niemals ins Bad (Nub. 835 sqq.); daß bei solchen hygienischen Verhältnissen Wanzen und Flöhe nicht ausbleiben, versteht sich von selbst und wird dennoch mehrfach betont (Nub. 146 sq., 634, 710, 725). Und da 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 47 nach der populären Logik der Komödie, wer arm ist, auch stiehlt, erscheint Sokrates schließlich auch als Dieb: Er entwendet bei einer geometrischen Demonstration einen Mantel (Nub. 175-179), und auch Strepsiades büßt schließlich seinen Mantel ein, den ihm Sokrates unter rituellem Vorwand abgenommen hat (Nub. 497, 856, 1498). Stellt man bei alledem, wie billig, die komische Verfremdung und Übertreibung in Rechnung, so ergibt sich, daß Sokrates offenbar einen höchst bescheidenen, ja ärmlichen Lebensstil geführt, wenn nicht prätendiert hat und gegenüber seiner äußeren Erscheinung und äußeren Gütern von einer so betonten Gleichgültigkeit gewesen ist, daß es selbst unter den in der Regel ja höchst bescheiden lebenden athenischen Bürgern auffällig, ja anstößig wirkte. Diese Lebensweise aber ist weder für die Sophisten typisch noch für die Naturphilosophen und auch nicht für die Pythagoreer; denn der Typus des pythagoreisierenden Bettelphilosophen, als dessen frühesten Vertreter wir Diodoros aus Aspendos (RE 6.1, 705 [Nr. 4]) kennen, ist kynisch beeinflußt und gehört erst der Alexanderzeit an. Hiernach dürfte man die ärmliche Lebensweise, die der Aristophanische Sokrates befolgt, auch dann für historisch halten, wenn sie nicht auch durch die Sokratiker verbürgt wäre. Vor allem der Xenophontische Sokrates wird nicht müde, jenes Autarkieideal, das Aristophanes verspottet, sowohl zu leben wie auch namentlich zu lehren. Xenophon berührt sich hier auf das engste mit Antisthenes, der ausdrücklich bekennt, jenes Ideal (dem später im Kynismus und Stoizismus noch eine große Zukunft beschieden sein sollte) dem biographischen Vorbild des Sokrates zu verdanken, wenn er sagt, die Vortrefflichkeit sei selbstgenügend im Hinblick auf die Glückseligkeit, sie bedürfe allerdings «Sokratischer Kraft und Stärke» (SSR V A 134): α ὐ τάρκη δ ὲ τ ὴ ν ἀ ρετ ὴ ν ̟ρ ὸ ς ε ὐ δαιµονίαν µηδεν ὸ ς ̟ροσδεοµένην ὅ τι µ ὴ Σωκρατικ ῆ ς ἰ σχύος. Auch der Platonische Sokrates läßt Züge einer selbstgenügsam-autarken Lebensführung erkennen, auch wenn Platon diese Seite Sokratischen Wesens diskret im Hintergrund zu belassen pflegt. So notiert Platon beispielsweise im Symposion (p. 174 a) ausdrücklich, daß Sokrates gebadet und Sandalen angelegt habe, und fügt zugleich beiläufig hinzu, daß dergleichen selten vorgekommen sei: ἃ ἐ κε ῖ νος ὀ λιγάκις ἐ ̟οίει. Weitere Beispiele aufzuführen erübrigt sich, da sich auch der Platonische Sokrates in der Apologie (p. 23 b) ganz offen über die «unendliche Armut» ausspricht, in der er wegen seines philosophischen Dienstes am Gotte leben müsse: κα ὶ ὑ ̟ ὸ ταύτης τ ῆ ς ἀ σχολίας ο ὔ τε τι τ ῶ ν τ ῆ ς ̟όλεως ̟ρ ᾶ ξαί µοι σχολ ὴ γέγονεν ἄ ξιον λόγου ο ὔ τε τ ῶ ν ο ἰ κείων, ἀ λλ’ ἐ ν ̟ενία ι µυρίαι ε ἰ µ ὶ δι ὰ τ ὴ ν το ῦ θεο ῦ λατρείαν. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 48 Ein äußerliches Detail bleibt nachzutragen. Während der mystischen Einweihungszeremonie wird Strepsiades von Sokrates genötigt, auf einem σκίµ̟ους Platz zu nehmen (Nub. 254): κάθιζε τοίνυν ἐ ̟ ὶ τ ὸ ν ἱ ερ ὸ ν σκίµ̟οδα. Dieses Möbel heißt «heilig» nur, weil es ein komischer Ersatz ist für das sakrale Sitzmöbel (θρόνος), auf dem der Myste initiiert wurde; hier aber handelt es sich, wie der Name zeigt, um eine Art Klappmöbel oder Feldbett, wie es die armen Leute benutzten und die Soldaten. Dieses Klappmöbel spielt im weiteren Verlauf des Stückes eine Rolle: Strepsiades muß es nach der Parabase auf die Bühne schleppen (Nub. 633), woraus folgt, daß er es vorher weggetragen haben muß (cf. Nub. 509); auf diesem Möbel sitzend wird Strepsiades dann von Sokrates katechisiert, nicht ohne das verwanzte Ding noch einmal ausdrücklich zu erwähnen (Nub. 709 sq.): [...] ἐ κ το ῦ σκίµ̟οδoς δάκνουσί µ’ ἐ ξέρ̟οντες ο ἱ Κορίνθιοι. Das Insistieren auf diesem Detail legt die Vermutung nahe, daß es sich auch hier um eine historische Reminiszenz handelt. So nimmt nicht wunder, daß dieses Klappbett, für das Sokrates in der Stadt ebenso berüchtigt gewesen zu sein scheint wie für sein Barfußgehen, auch bei Platon erwähnt wird. Sokrates erzählt im Protagoras (p. 310 c), wie der junge Hippokrates in aller Frühe zu ihm gekommen sei, um ihm die Ankunft des Protagoras zu melden; Sokrates liegt noch im Bett, und dieses Bett ist ein σκίµ̟ους, nach dem Hippokrates, da es noch dunkel ist, tasten muß, um sich an das Fußende setzen zu können: κα ὶ ἅ µα ἐ ̟ιψηλαφήσας το ῦ σκίµ̟οδος ἐ καθέζετο ̟αρ ὰ το ὺ ς ̟όδας µου. Im übrigen hat sich noch der Kyniker Diogenes aus Sinope (SSR V B 256) an dieses Möbel erinnert: Er rechnet den σκίµ̟ους unter jene Luxusgüter, auf deren Gebrauch Sokrates noch nicht habe verzichten können, da er das Lebensideal der Autarkie nicht radikal genug aufgefaßt habe. Den Übergang vom äußerlichen Detail zum philosophischen Denken gewährleistet die Gestalt des Chairephon. Chairephon ist der einzige Schüler, den Aristophanes namentlich erwähnt, und die Junktur «Sokrates und Chairephon» bezeichnet die Sokratiker schlechthin (Nub. 104, 1465). So eng beide zusammengehören, so ist Sokrates doch durchaus der Führende: Er bezeichnet Chairephon ausdrücklich als seinen Schüler (Nub. 501- 504), und in dem gelehrten Diskurs über den Flohsprung (Nub. 144-152) und das Mückensummen (Nub. 156-164), das ein Schüler referiert, ist er es, nicht Chairephon, der die Lösung weiß. Demgegenüber will nicht viel besagen, wenn Pheidippides einmal Sokrates und Chairephon seine Lehrer nennt (Nub. 1467): Aus der Froschperspektive des frischgebackenen Schülers erscheint des Lehrers Hauptschüler leicht ebenfalls als Lehrer. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 49 Das konkrete Lehrer-Schüler-Verhältnis als komische Übertreibung beiseite gesetzt, darf man unbedenklich als historisch verbürgt ansehen, daß Chairephon ein besonders enger Freund und Anhänger des Sokrates gewesen ist — womöglich der einzige, den man damals namentlich kannte; die bekannten Sokratiker sind ja allesamt zu jung, als daß bei Aristophanes von ihnen bereits die Rede sein könnte. Was sich aus Aristophanes erschließen läßt, bestätigen die Sokratiker, die Chairephon, der vor Sokrates starb, ein ehrendes Andenken bewahrt haben. Sowohl Platon (Apol. p. 20 e-21 a) wie Xenophon (Apol. 14) verknüpfen mit seinem Namen den Spruch des Delphischen Orakels über Sokrates, der das Sokratische Philosophieren recht eigentlich begründet habe. Und wie ein Nachruf klingt es, was der Platonische Sokrates in der Apologie (p. 21 a) über seine lebenslange Freundschaft zu Chairephon sagt: ο ὗ τος ἐ µός τε ἑ τα ῖ ρος ἦ ν ἐ κ νέου. Bedeutsamer als diese Züge des äußeren Lebens sind Hinweise auf das eigentümliche Philosophieren des Sokrates. Auch diese Hinweise erschließen sich am ehesten, wenn man näher ins Auge faßt, was nicht der pythagoreischen, naturphilosophischen oder sophistischen Perspektive zugehört, die Aristophanes Sokrates imputiert hat. Nachdem Strepsiades (wie in der Antike üblich) mit dem Fuß an Sokrates' Haustür getreten hat, um Einlaß zu erhalten, bemerkt der Schüler tadelnd (Nub. 136 sq.): ἀ ̟εριµερίµνως τ ὴ ν θύραν λελάκτικας κα ὶ φροντίδ’ ἐ ξήµβλωκας ἐ ξηυρηµένην. Diese Bemerkung wirkte witzig, weil jedermann wußte, daß der, der im Denkgehäuse soeben eine gedankliche Fehlgeburt produziert hatte, der Sohn einer Hebamme war. Noch witziger allerdings mußte dieser Einfall wirken, wenn auch allbekannt war, daß Sokrates mit Vorliebe Ausdrücke aus dem mütterlichen Tätigkeitsbereich der Hebammenkunst verwendete, um sein eigenes Philosophieren zu umschreiben. Ebendies aber geschieht im Platonischen Theätet (p. 150 a-151 d), wo Sokrates sein fragendes Philosophieren als «Hebammenkunst» (µαιευτική) beschreibt, und es ist viel eher eine historische Reminiszenz als ein Aristophaneszitat, wenn Sokrates in diesem Zusammenhang (p. 150 c) von jenen, die sich zu früh der Philosophie entziehen, sagt, sie würden fürderhin nur «Fehlgeburten» tun: τά τε λοι̟ ὰ ἐ ξήµβλωσαν. Dergleichen Metaphern müssen bei den Sokratikern häufiger vorgekommen sein, als uns überliefert wird; anders hätte der Platonschüler Menedemos aus Pyrrha (RE 15.1, 788 [Nr. 8]) schwerlich behaupten können, Sokrates sei nicht müde geworden, von seinem Vater als Steinmetzen und von seiner Mutter als Hebamme zu sprechen (SSR I B 41). Maieutik heißt die Methode Sokratischen Philosophierens, insofern sie darauf abzielt, durch fragendes Gespräch den Partner zu eigener frucht- 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 50 barer Denktätigkeit zu veranlassen. Damit ein solches Gespräch statthaben kann, muß der Gesprächspartner vorher durch fragendes Verhör von seinem Scheinwissen befreit und zum Eingeständnis seiner eigenen Unwissenheit gebracht werden: Sokrates nimmt den Unterredner zunächst «beim Wort», führt ihn dann, vor allem durch Analogieschlüsse, Schritt für Schritt zu immer neuen Zugeständnissen, bis er schließlich zu seiner eigenen Verblüffung, ja Erschütterung eingestehen muß, daß er von dem, was er zu wissen glaubte, nichts weiß. Diese eigentümliche Methode des Philosophierens sollte man nach dem Verbum ἐ λέγχειν, das Sokrates in der Platonischen Apologie (p. 21 c, 23 a, 29 e, 39 cd) mit Vorliebe gebraucht, als Elenktik bezeichnen. Das elenktische Ausfrageverfahren aber, an das sich, falls der Unterredner die Chance der Aporie nutzt, ein maieutisches Gespräch anschließen kann, darf als die eigentliche Methode Sokratischen Philosophierens gelten und wird daher von den Sokratikern immer und immer wieder dargestellt. Auch bei Aristophanes finden sich Spuren dieser Methode, die ihre Herkunft aus der Gerichtspraxis nicht verleugnen kann — nicht von ungefähr ist die Platonische Apologie, in der die Entstehung dieser Methode expliziert wird, in der Form einer Gerichtsrede gehalten, und nicht von ungefähr ist das Paradigma dieser Methode, das dort vorgeführt wird (cf. p. 26 ab), das Verhör, das Sokrates mit dem Ankläger Meletos anstellt. Gleich eingangs, als Sokrates das Wesen der Wolken erklärt, verwikkelt er Strepsiades in ein elenktisches Gespräch, das, wie üblich, mit der Aufforderung beginnt, sich antwortend den vorgelegten Fragen zu stellen (Nub. 345): ἀ ̟όκριναί νυν ἅ ττ’ ἂ ν ἔ ρωµαι. Im Rahmen dieses Gesprächs greift Sokrates alsbald auch zu den üblichen Analogieschlüssen. So heißt es bei der Erklärung des Regens (Nub. 369): [...] µεγάλοις δέ σ’ ἐ γ ὼ σηµείοις α ὐ τ ὸ διδάξω. Und bei der Erklärung des Donners heißt es (Nub. 385): [...] ἀ ̟ ὸ σαυτο ῦ ’γώ σε διδάξω. Bevor der eigentliche Unterricht beginnt, muß sich Strepsiades einer Vorprüfung unterziehen (Nub. 478-496): Sokrates erkundigt sich nach der «intellektuellen Fassungskraft» (τρό̟ος) des neuen Schülers, namentlich ob er «gedächtnisstark» (µνηµονικός) ist und «lernfähig» (µανθάνειν). Dieses Prüfungsgespräch für Sokrates zu reklamieren, wäre entschieden ein Fehlgriff. Jedenfalls versichert sich Sokrates bei den Sokratikern niemals im voraus des intellektuellen Niveaus seiner Gesprächspartner; es ist vielmehr kennzeichnend für das elenktische Gespräch, daß es jederzeit und überall mit jedermann geführt werden kann und sofort «zur Sache» kommt, von der sich erst später erweisen wird, wie gut oder schlecht ihr der Unterredner jeweils gewachsen ist. Was Aristophanes hier komisch verfremdet darstellt, ist offenbar etwas anderes: ein Vorprü- 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 51 fungs- oder Einführungsgespräch, wie es die Sophisten übten, um die intellektuelle Fassungskraft ihres Probanden festzustellen und den folgenden Unterricht demnach zu gestalten. Was in die Irre führen könnte und auch geführt hat, ist die Eröffnung dieses Gesprächs, in der Sokrates darauf dringt, der Schüler möge sich beim Antworten kurz fassen (Nub. 482): [...] ἀ λλ ὰ βραχέα σου ̟υθέσθαι βούλοµαι. Dieses Dringen auf Kürze ist nun unzweifelhaft Sokratisch und unterscheidet das elenktische Gespräch fundamental von der Langrede, wie sie die Rhetoren und Sophisten pflegten, die Sokrates bei den Sokratikern immer wieder zur Kürze mahnen muß. Der locus classicus findet sich im Platonischen Gorgias (p. 449 b), wo Sokrates Gorgias folgendermaßen zur Kurzrede anhält: ἆ ρ’ ο ὖ ν ἐ θελήσαις ἄ ν, ὦ Γοργία, ὥ σ̟ερ ν ῦ ν διαλεγόµεθα, διατελέσαι τ ὸ µ ὲ ν ἐ ρωτ ῶ ν, τ ὸ δ’ ἀ ̟οκρινόµενος, τ ὸ δ ὲ µ ῆ κος τ ῶ ν λόγων το ῦ το, ο ἷ ον κα ὶ Π ῶ λος ἤ ρξατο, ε ἰ ς α ὖ θις ἀ ̟οθέσθαι; ἀ λλ’ ὅ ̟ερ ὑ ̟ισχν ῆ ι, µ ὴ ψεύσηι, ἀ λλ ὰ ἐ θέλησον κατ ὰ βραχ ὺ τ ὸ ἐ ρωτώµενον ἀ ̟οκρίνεσθαι. Wie das Vorgespräch, so verläuft auch der eigentliche Unterricht zunächst ganz in sophistischen Bahnen: Strepsiades wird von Sokrates über Metrik (Nub. 639-645), über Rhythmik (Nub. 647-654) und über Sprachwissenschaft (Nub. 658-693) belehrt. Sobald jedoch Strepsiades' eigenes Anliegen in den Blick kommt, ändert sich die Methode des Unterrichts dahingehend, daß Sokrates den Schüler nun, ganz im Sinne des elenktischen Gesprächs, auf sich selbst als Quelle der Einsicht verweist. So fordert Sokrates gleich zu Beginn (Nub. 695): ἐ κφρόντισόν τι τ ῶ ν σεαυτο ῦ ̟ραγµάτων. Und als Strepsiades um ein Thema bittet, wiederholt Sokrates (Nub. 737): α ὐ τ ὸ ς ὅ τι βούλει ̟ρ ῶ τος ἐ ξευρ ὼ ν λέγε. Und nachdem Strepsiades sein Anliegen endlich formuliert hat, verweist ihn Sokrates zum dritten Male auf sich selber (Nub. 741 sq.) : [...] ̟εριφρόνει τ ὰ ̟ράγµατα, ὀ ρθ ῶ ς διαιρ ῶ ν κα ὶ σκο̟ ῶ ν. Strepsiades ist hilflos, worauf ihm Sokrates folgenden Rat erteilt (Nub. 743-745): [...] κ ἂ ν ἀ ̟ορ ῆ ις τι τ ῶ ν νοηµάτων, ἀ φε ὶ ς ἄ ̟ελθε, κα ὶ κατ ὰ τ ὴ ν γνώµην ̟άλιν κίνησον α ὖ θις α ὐ τ ὸ κα ὶ ζυγώθρισον. Wie Sokratisch auch diese Stelle! Es erscheint der Begriff der Aporie, den auch die Sokratiker immer wieder als das — vorläufige — Ziel und Ende des elenktischen Gesprächs kennen, wenn der Unterredner sich seines Nichtwissens unvermutet bewußt wird und nun keinen Ausweg mehr weiß. Aber Sokratisch ist auch die Mahnung, nicht zu resignieren, sondern die Aporie als Angebot und Ansporn zum Weiterdenken zu nutzen, 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 52 um vielleicht doch noch zu ergründen, was man zu wissen glaubte, nun aber nicht zu wissen überzeugt ist. Und richtig läßt auch der Aristophanische Sokrates Strepsiades nicht in der Aporie stecken, sondern versucht, durch gezieltes Fragen ihn zum Weiterdenken zu bewegen, bis schließlich die gewitzte Denkunfähigkeit des Schülers (die wiederum komisches Kolorit ist) dem Gespräch ein Ende setzt. Schließlich verdient noch ein Detail besondere Aufmerksamkeit. Nachdem Pheidippides den Unterricht bei Sokrates absolviert hat, begrüßt Strepsiades ihn jubelnd als perfekten Sokratiker (Nub. 1172-1174): ν ῦ ν µέν γ’ ἰ δε ῖ ν ε ἶ ̟ρ ῶ τον ἐ ξαρνητικ ὸ ς κ ἀ ντιλογικός, κα ὶ το ῦ το το ὐ ̟ιχώριον ἀ τεχν ῶ ς ἐ ̟ανθε ῖ , τ ὸ τί λέγεις σύ; Wer dächte bei diesen Worten nicht an die τί ἐ στι-Frage, die im Zentrum der Platonischen Definitionsdialoge steht, um dann in den Dialogen der Reifezeit durch das ontologische Denkmodell der Ideenlehre beantwortet zu werden? Solche weitläufigen Spekulationen liegen Aristophanes fern. Wenn er das Beiwort «landesüblich» ( ἐ ̟ιχώριος) verwendet, so besagt das, daß er hier nichts anderes im Auge hat als eine façon de parler, die besonders im Attischen heimisch war. Und doch: Die Frage τί λέγεις gehört wesentlich auch zum elenktischen Gespräch und erfolgt immer dann, wenn der Unterredner unklar wird und also zur Klarheit gebracht werden muß, damit das Gespräch einen rationalen Fortgang nehmen kann. So ist wenigstens die Frage zu stellen, ob hier nicht ein Hinweis zu finden ist, der erklären könnte, wie aus der Sokratischen Elenktik Platons ontologische Dialektik entstanden ist . . . Rückblick und Ausblick Rückblickend läßt sich folgendes konstatieren: Aristophanes hat die äußere Erscheinung des Sokrates, seine äußeren Verhältnisse und auch die Methode seines Philosophierens im wesentlichen so erfaßt, wie sie auch die Sokratiker erfaßt haben; andererseits hat er Inhalt und Gegenstand dieses Philosophierens in Perspektiven dargestellt, die Sokrates entschieden fremd sind. Dies hat Folgen. Indem Aristophanes dem Denken des Sokrates, um komische Wirkung zu erzielen, eine Fülle fremder Inhalte imputiert, gerät notwendigerweise auch die Methode ins Lächerliche: Sie ist in der Tat nichts anderes als ἀ λαζονεία (Nub. 102 & 1492) und ἀ δολεσχία (Nub. 1480 & 1485), «großtuerische Belanglosigkeit» und «weitschweifiges Gerede», wie es jene lächerlichen Konfusionsstifter üben, denen Platon im Euthydem in Gestalt der Eristiker Euthydem und Dionysodor ein Denkmal gesetzt hat. 2. Die Wolken des Aristophanes als philosophiegeschichtliches Dokument 53 Ob Aristophanes Sokrates wirklich so gesehen hat, wie er ihn darstellt, oder ob er geahnt hat, daß der Offenheit des Sokratischen Denkens, die ihm Gelegenheit bot zu so großartigen poetischen Fiktionen, ein Problem zugrunde lag von solcher Tragweite, daß eine neue Epoche der Philosophie von daher ihren Ausgang nahm, das zu entscheiden wird niemand wagen. Wagt man aber ein ästhetisches Urteil, so muß man bekennen, daß die poetische Fiktion im Grunde verfehlt ist, weil das Fremde das Eigentliche so sehr überwältigt, daß das Wesentliche nicht mehr sichtbar ist. Eine spätüberlieferte, aber vielleicht altsokratische Anekdote (SSR I A 29) formuliert diesen Sachverhalt so: Sokrates sei während der Aufführung der Wolken aufgestanden, damit man genauer erkennen könne, wer er sei. Und die Athener haben dieser Komödie denn auch nur den dritten Preis zuerkannt — ein Mißerfolg, der den jungen, erfolgverwöhnten Dichter, wie er in der Parabase (Nub. 518-562) sagt, empfindlich getroffen hat. Aber auch Aristophanes selbst scheint gespürt zu haben, daß seine komische Konzeption der Sokratesgestalt im Grunde poetisch mißglückt ist; er hätte anders die Überarbeitung des Stückes kaum unvollendet beiseite gelegt. Doch gehören diese Fragen in die Poetologie; die Philosophiegeschichte muß zufrieden sein, auch in komischer Verfremdung noch etwas von der Methode Sokratischen Philosophierens, wie sie die Sokratiker kennen, wiederzuerkennen. Will man aber wissen, woher die ungeheure Sprengkraft des Sokratischen Denkens resultiert, über die die Athener, die Sokrates hinrichteten, ebenso wenig im Zweifel waren, wie es die Philosophiegeschichte ist, die ihre Epochen nach Sokrates benennt, so müßte man wissen, was Gegenstand und Ziel jener eigentümlichen Methode gewesen ist, die wir Sokratische Elenktik nennen. Aristophanes (soviel ist sicher) gibt auf diese Frage keine Antwort; sie bei den Sokratikern zu suchen bleibt die kardinale Aufgabe, die sich der Sokratesforschung stellt. 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes ∗ 1. Die Vögel Die Vögel des Aristophanes wurden an den Dionysien des Jahres 414 aufgeführt, neun Jahre nach den Wolken. So lange hat Aristophanes gewartet, bis er Sokrates wieder, diesmal allerdings eher en passant, komischer Verspottung gewürdigt hat. Der Herold berichtet Pisthetairos von der wundersamen Veränderung, die nach der Gründung der Vogelstadt Nephelokokkygia mit den Menschen auf der Erde vorgegangen ist (Au. 1280-1285 = SSR I A 5): ̟ρ ὶ ν µ ὲ ν γ ὰ ρ ο ἰ κίσαι σε τήνδε τ ὴ ν ̟όλιν, ἐ λακωνοµάνουν ἅ ̟αντες ἄ νθρω̟οι τότε, ἐ κόµων ἐ ̟είνων ἐ ρρύ̟ων ἐ σωκράτων (-ουν uar. lect.) σκυτάλι’ ἐ φόρουν, νυν ὶ δ’ ὑ ̟οστρέψαντες α ὖ ὀ ρνιθοµανο ῦ σι, ̟άντα δ’ ὑ ̟ ὸ τ ῆ ς ἡ δον ῆ ς ̟οιο ῦ σιν ἅ ̟ερ ὄ ρνιθες ἐ κµιµούµενοι. Wie die Menschen nun einmal sind, fallen sie von einer Manie in die andere: Der Lakomanie folgt die Ornithomanie auf dem Fuße. Was diese betrifft, so erweist sich im folgenden sehr witzig, daß die neue Mode die Menschen nicht daran hindert, sich wie echte Athener zu benehmen, denen nichts mehr am Herzen liegt, als, in Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte, Gesetze, Anklageschriften und Volksbeschlüsse zu produzieren (Au. 1286-1789). Wie die neue Mode der Ornithomanie, so bezeichnet Aristophanes auch die vorhergehende ältere Mode durch ein eigens geschaffenes Witzwort als λακοµανε ῖ ν — eine komische Verballhornung des umgangssprachlichen Verbums λακονίζειν (Pape 2, 9; LSJ 1025). Und auch das gehört zu komischen Übertreibung, daß Aristophanes behauptet, «alle» ( ἅ ̟αντες) seien dieser Mode gefolgt. Die sogenannten Lakonisten gab es nur in demokratisch regierten Poleis, in denen sie eine kleine Gruppe meist adliger Bürger bildeten, die oligarchisch gesonnen waren und ihr politischen Vorbild in Sparta sahen, dessen konservativ-argarische Struktur sie auch gerne bei sich zu Hause eingeführt hätten. Solche Männer, deren Existenz besonders für Athen ∗ Originalbeitrag. 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 55 bezeugt ist, dachten nicht nur prospartanisch, sondern gaben sich auch äußerlich als Spartaner: Sie ließen Haar und Bart ungeschoren, vermieden übertriebene Körperpflege, trugen einen kurzen Mantel, einfache Schuhe und einen keulenförmigen Stab, ernährten sich kärglich, legten grundsätzlich eine finstere Miene an den Tag und oblagen dem Faustkampf; was ihnen den Spottnamen «Die mit den zerschlagenen Ohren» (ο ἱ τ ὰ ὦ τα κατεαγότες) eintrug (Fundstellen: Plat. com. PCG 7 fr. 123; Plat. philos. Prot. p. 342 b sq., Gorg. p. 515 c; Xen. Resp. Lac. 7; Dem. Or. 54.34. - RE 12.1, 528). Aus der Fülle dieser Merkmale hat Aristophanes vier als besonders kennzeichnend hervorgehoben: das lange Haar, die karge Ernährung, die mangelhafte Körperpflege und den Gebrauch des spartanischen Keulenstabes; als fünftes Merkmal kommt noch das «Sokrateln» (Droysen) hinzu, das näherer Betrachtung bedarf. Aristophanes schrieb ECOKPATON, was der cod. Ravennas in die Form ἐ σωκρ ά των translitteriert, während die übrigen Handschriften die Form ἐ σωκρ ά τουν bieten. Richtig ist allein die Version des Ravennas; denn alle Verben des Verses 1282 zeigen die Verbalendung auf -ων, und es würde den bewußt schwerfällig gehaltenen Duktus dieses Verses empfindlich stören, wenn er anders und lautlich auch noch schwächer ausliefe, als er begonnen hat. Es kommt hinzu, dass die uerba contracta auf -αω mit Vorliebe eine Krankheit (ein krankhaftes Begehren oder eine krankhafte Gemütserregung) bezeichnen (Belege bei Debrunner 1917, 91 f.; vgl. Stark 1953, 78). Genau dieser Sinn ist auch hier, wo es sich um die Beschreibung des quasipathologischen Phänomens des «Lakonistenwahns» (λακωµανία) handelt, vorauszusetzen. Das Verbum σωκρατ ᾶ ν, das ebenso als komischer Neologismus des Aristophanes gelten muß wie das Verbum λακωµανε ῖ ν, bedeutet demnach nicht so sehr «Sokrateln» als vielmehr «die Sokrateskrankheit haben» bzw. «sich so krankhaft benehmen wie Sokrates». Worin diese Krankheit bestand, wird klar, wenn man die Stellung des Verbums σωκρατ ᾶ ν im Kontext betrachtet. Es steht pointiert am Ende des Verses und resümiert so jene Merkmale, die vorher aufgezählt wurden: An der Sokrateskrankheit leiden heißt, die Haare wachsen lassen, der Hungerleiderei obliegen und auf Körperpflege verzichten. In der Tat finden sich denn auch, sehr beweisend, alle jene Merkmale in den Wolken des Aristophanes als Merkmale des Sokrates und der Sokratiker wieder: Man schneidet sich nicht die Haare (Nub. 836), verzichtet auf Körperpflege (Nub. 836 sq.), hungert, ja stiehlt sogar aus Hunger (Nub. 175-179, 416). Es liegt auf der Hand, daß diese äußeren Merkmale (deren in den Wolken noch weitere genannt werden) in komisch verfremdeter Übertreibung die ärmliche und karge Lebensweise des Sokrates kennzeichnen sollen; nirgends aber wird angedeutet, daß diese Lebensweise, wie sie 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 56 fraglos dem historischen Sokrates eigentümlich gewesen ist, sich lakonistischen Tendenzen verdankt. Nicht anders meint es Aristophanes auch in den Vögeln, wenn er das äußere Gehabe der Lakonisten resümierend mit dem Neologismus σωκρατ ᾶ ν beschreibt: Langes Haar, Hunger und Schmutz allein machen noch nicht den Lakonisten; den macht erst der spartanische «Keulstab» (σκυτ ά λιον), den Aristophanes bezeichnenderweise erst in Vers 1783 nennt, nachdem er von der Sokrateskrankheit gesprochen hat, durch die Reihenfolge der Merkmale unmißverständlich andeutend, wie die Stelle zu verstehen ist: Nicht, daß Sokrates Lakonist sei, wird gesagt, sondern, ungleich witziger, daß die Lakonisten im Grunde Sokratiker seien. Aristophanes kommt in den Vögeln noch einmal auf Sokrates zu sprechen in einem Lied, das der Vogelchor singt, bevor die Verhandlungen des Pisthetairos mit den Abgesandten der Götter wegen Herausgabe der Basileia beginnen (Au. 1553-1564 = SSR I A 6): ̟ρ ὸ ς δ ὲ το ῖ ς Σκιά̟οσιν λί- µνη τις ἔ στ’ ἄ λουτος ο ὗ ψυχαγωγε ῖ Σωκράτης· ἔ νθα κα ὶ Πείσανδρος ἦ λθε δεόµενος ψυχ ὴ ν ἰ δε ῖ ν ἣ ζ ῶ ντ’ ἐ κε ῖ νον ̟ρο ὔ λι̟ε, σφάγι’ ἔ χων κάµηλον ἀ - µνόν τιν’, ἧ ς λαιµο ὺ ς τεµ ὼ ν ὥ σ- ̟ερ ⟨ποθ’⟩ ο ὑ δυσσε ὺ ς ἀ ̟ ῆ λθε, κ ἆ ιτ’ ἀ ν ῆ λθ’ α ὐ τ ῶ ι κάτωθεν ̟ρ ὸ ς τ ὸ λα ῖ τµα τ ῆ ς καµήλου Χαιρεφ ῶ ν ἡ νυκτερίς. Will man diesen voraussetzungenreichen Text recht verstehen, muß man in den Betracht ziehen, daß Aristophanes hier eine Szene aus den Psychagogoi des Aischylos (TrGF 3 fr. 273-276) parodiert hat. Der Titel des Stückes bezeichnet den Chor, der aus den Einwohnern eines Sees mit Zugang zur Unterwelt bestand, die als «Seelenführer» über die rituellen Maßnahmen Bescheid wußten, vermittels derer man in die Unterwelt gelangen konnte. An diesen See, der der Averner See in Kampanien bzw. der Stymphalische See in Arkadien oder auch der Acherusische See in Thesprotien gewesen sein kann (TrGF 3 fr. 273 adn.), gelangt Odysseus, um die Seele des Teiresias zu beschwören, wie er es auch im elften Buch der Odyssee tut. Er wird vom Chor unterwiesen, welches Ritual er vorzunehmen hat: Er soll die Kehle des Opfertieres — vermutlich ein Schaf (Od. 11.5, 20, 35) — durchschneiden und das Blut in den See rinnen lassen als Getränk für die Toten (TrGF 3 fr. 273 a). Teiresias erscheint und prophezeit Odysseus — wohl unter anderem —, wie er sterben wird (TGrF 3 fr. 275). 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 57 Aristophanes hat diese Beschwörungsszene, auf die die Nennung des Odysseus (Au. 1561) ausdrücklich hinweist, parodiert oder vielmehr ins Groteske verfremdet: Der Unterweltsee wird in das Fabelland der «Schattenfüßler» (σκι ά ̟οδες) verlegt; als «Seelenführer» (ψυχαγωγοί) fungieren nicht die Anwohner, sondern Sokrates; es erscheint auch nicht Odysseus zur Totenbeschwörung, sondern der notorische Feigling Peisandros, der seine eigene Seele wiederfinden will, die — aus Angst — seinen Körper verlassen hat; als Opfertier schlachtet Peisandros kein Schaf, sondern — passend zum Lokal — ein Kamelkalb; nach dem Blute des Opfertieres dürstend erscheint nicht die Seele des Peisandros, sondern der Sokratesschüler Chairephon. — Diese groteske Parodie steckt, recht betrachtet, voller Anspielungen und Assoziationen. Das gilt sogleich für das Fabelland der «Schattenfüßler», das die Überlieferung teils im heißen Süden Afrikas oder im ebenso heißen Indien ansiedelt, wo sie, um der Hitze zu entgehen, sich mit ihren Riesenfüßen Schatten verschaffen, indem sie sich auf den Rücken legen (Dunbar 1995, 710 f.). Wo anders soll man sich das Schattenreich der Toten imaginieren und wo besser als in jenem Land, dessen Einwohner sich so ingeniös Schatten zu verschaffen wußten? Sokrates fühlt sich zu diesen Fabelwesen hingezogen, weil auch er als notorischer Geheimniskrämer den Schatten liebt: Blässe ist denn auch in den Wolken (Nub. 103, 129, 186, 112-117) ein typisches Kennzeichen für Sokrates und die Sokratiker. Auch daß jene Fabelwesen unmöglich Schuhe getragen haben können, muß den notorischen Barfußgänger Sokrates (Nub. 103 & 363) sympathisch angemutet haben. Der See im Lande der Schattenfüßler, an dessen Ufer Sokrates sein dunkles Wesen treibt, wird von Aristophanes als «ungewaschen» ( ἄ λουτος) bezeichnet. Daß dieses Adjektiv grammatisch auf den See und nicht etwa auf Sokrates zu beziehen ist, erhellt daraus, dass Aischylos das Wasser des Unterweltsees, als «zur rituellen Handwaschung ungeeignet» ( ἀ χ έ ρνι̟τος) (TrGF 3 fr. 273 a 12) bezeichnet hat. Rituelle Handwäsche ist hier nicht möglich, weil der See Stygisches Wasser führt; der See bei den Schattenfüßlern dagegen ist offenbar «zum Waschen ungeeignet», weil er schmutzig ist. Dieser Schmutz zieht Sokrates als notorischen Schmutzfinken an: Er kann hier seinem Abscheu vor Waschen und Baden, von dem auch in den Wolken (Nub. 837) die Rede ist, nach Herzenslust frönen, da er nicht weniger schmutzig ist als der See, den er sich aus Sympathie zum Aufenthaltsort erwählt hat. Die Tätigkeit, die Sokrates an den Ufern des Sees ausübt, bezeichnet Aristophanes als «Seelenführung» (ψυχαγωγε ῖ ν). Dieses Verbum verdankt sich dem Titel des Aischyleischen Stückes, der das Substantiv (ψυχαγωγο ί ) verwendet. Substantiv und Verb haben jeweils denselben konkreten Sinn, insofern sie auf die magische Praxis reflektieren, die Seelen der Toten aus dem Hades in die Oberwelt heraufzubeschwören (Phryn. 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 58 Praep. soph. p. 127 von Borries). Während diese Praxis im Stücke des Aischylos gelingt und Teiresias erscheint (TrGF fr. 275), mißlingt sie im Falle des Sokrates, insofern statt der Seele des Peisandros der Sokratesschüler Chairephon aus der Unterwelt emporsteigt. Sokrates, so zeigt sich, ist ein miserabler Seelenbeschwörer. Das Verbum ψυχαγωγε ῖ ν und seine Derivate werden indes auch in übertragenem Sinne gebraucht und kennzeichnen so die seelenlenkende Kraft des Wortes, sei es auf dem Gebiete der Poesie (Isocr. Euag. 10) oder im Bereich der Rhetorik (Plat. Phaedr. p. 261 a). Gerne nimmt dieser übertragene Wortgebrauch einen peiorativen Nebensinn an und bezeichnet dann die Kraft des Wortes, die Menschen zum Schlechten zu verführen (Isocr. Nicocl. 49; Plat. Legg. 10 p. 909 b; Dem. Or. 44. 63 & 59. 55; Lycurg. Leocr. 33). Es leidet keinen Zweifel, daß dieser übertragen-peiorative Wortgebrauch, der sprachlich am häufigsten nachweisbar ist, auch für Aristophanes vorauszusetzen ist: Wenn Sokrates in komischer Verfremdung als veritabler Psychagoge erscheint, so will die Verfremdung besagen, daß Sokrates das Wort mißbraucht hat, um die Menschen zum Schlechten zu verführen. Nichts anderes hat Aristophanes hier im Auge als das eigentümliche elenktische Frageverfahren, das er in den Wolken so genau dargestellt hat. Wurde die Sokratische Elenktik in den Wolken (Nub. l02, 1492 & 1480, 1485) als «überflüssiges Geschwätz» ( ἀ δολεσχ ί α) und «betrügerische Prahlerei» ( ἀ λαζονε ί α) verspottet, so erscheint sie hier als unterweltliche Magie — eine Metapher, die das Fragwürdige und das Wirkungsmächtige zugleich ausdrückt und so treffend den bedenklichen Eindruck kennzeichnet, den die Art und Weise der Sokratischen Gesprächsführung auf die Zeitgenossen gemacht hat. Wie die Platonische Apologie (p. 17 ab) vermeldet, hielten es noch die Ankläger des Sokrates für nötig, die Richter zu warnen, daß Sokrates «gewaltig im Reden» (δειν ὸ ς λ έ γειν) sei. Die Einführung des Peisandros (Dunbar 1995, 712 f.), der an Stelle des Odysseus tritt, bewirkt, daß das Szenario nicht bloß Sokrates gilt, sondern gewissermaßen ein politisches Ansehen annimmt. Aber der Spott über Peisandros fällt doch auch wieder auf Sokrates zurück: Ein stadtbekannter, ja sprichwörtlicher Feigling ist es, der Hilfe bei Sokrates sucht; rechtschaffene Athener, so der Umkehrschluß, den der Zuschauer ziehen soll und muß, würden sich niemals dazu bereit finden, bei diesem anrüchigen Dunkelmann Hilfe zu suchen. Die groteske Erfindung, daß Peisandros seine eigene Seele sucht, die offenbar aus Angst aus seinem Körper entwichen ist, wird noch übertroffen von der noch groteskeren Erfindung, daß statt der Seele des Peisandros Chairephon (Dunbar 1995, 642 f. & 715) erscheint, der in den Wolken (Nub. 104, 144 sq., 503, 831, 1465) als einziger Sokratesanhänger mit Namen genannt wird. Schlimmer hätte sich Sokrates nicht blamieren können: Seine psychagogischen Fähigkeiten reichen nur soweit, daß er 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 59 einen seiner Anhänger aus dem Hades heraufbeschwören kann, der — Gipfel der Groteske — noch am Leben ist. Wie kann der lebendige Chairephon in die Unterwelt geraten? Aufschluß hierüber gibt zunächst der Spottname, den Chairephon hier erhält: «Nachtvogel» (νυκτερ ί ς). Dieser Spottname, der schon vorher im Stücke (Au. 1296) für Chairephon in Anspruch genommen wurde, verweist auf die Unterwelt: Auch die Seelen der toten Freier werden mit «Nachtvögeln», will sagen: Fledermäusen verglichen, die zirpend auffliegen (Hom. Od. 24.6-9). Ganz in diesem Sinne nennt Aristophanes in den Horen (PCG 3.2 fr. 584) Chairephon «ein Kind der Nacht» (νυκτ ὸ ς ̟α ῖ δα). Noch deutlicher wird der Bezug zur Unterwelt, wenn Aristophanes Chairephon in den Wolken (Nub. 502 sq.) als «halbtot» ( ἡ µιθν ή ς) verspottet. Anlaß hierzu gab die offenbar blasse und leibarme Erscheinung des Chairephon, die Kratinos (PCG 4 fr. 215), Eupolis (PCG 5 fr. 253) und auch Aristophanes (Vesp. 1412-1414) verspotten: Wer so aussieht, erweist sich schon im Leben als rechter Kandidat für die Unterwelt. Alles recht erwogen, spielen die Vögel auf Sokrates' ungepflegte äußere Erscheinung an und auf sein in dunkler Sphäre beheimate gefährliche Kunst der menschenverführenden Rede. Das ist in Abbreviatur dasselbe Bild noch einmal, wie es die Wolken ausführlich ausgemalt haben. Wie dort, so verdankt sich auch hier die komische Verfremdung der Schlichtheit der Sokratischen Lebensführung und der Eigentümlichkeit des Sokratischen Frageverfahrens (Elenktik). Beides als historisch anzusehen sind wir wohl berechtigt. 2. Die Frösche Sein letztes Wort über Sokrates hat Aristophanes in den Fröschen gesprochen, die im Jahre 405 aufgeführt wurden. Es ist ein bedeutsames und folgenreiches Wort, das alle Aufmerksamkeit verdient. Dionysos hat im Reiche Plutons für Aischylos und gegen Euripides votiert. Der Froschchor kommentiert diese Entscheidung mit einem Lied, dessen erste Strophe (Ran. 1482-1490) Aischylos gilt: µακάριός γ’ ἀ ν ὴ ρ ἔ χων ξύνεσιν ἠ κριβωµένην. ̟άρα δ ὲ ̟ολλο ῖ σιν µαθε ῖ ν. ὅ δε γ ὰ ρ ε ὖ φρονε ῖ ν δοκήσας ̟άλιν ἄ ̟εισιν ο ἴ καδ’ α ὖ , ἐ ̟’ ἀ γαθ ῶ ι µ ὲ ν το ῖ ς ̟ολίταις, ἐ ̟’ ἀ γαθ ῶ ι δ ὲ το ῖ ς ἑ αυτο ῦ ξυγγενέσι τε κα ὶ φίλοισι ⟨ν⟩ , δι ὰ τ ὸ συνετ ὸ ς ε ἶ ναι. 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 60 Die Antistrophe (Ran. 1491-1499 = SSR I A 7) gilt dem unterlegenen Euripides: χαρίεν ο ὖ ν µ ὴ Σωκράτει ̟αρακαθήµενον λαλε ῖ ν, ἀ ̟οβαλόντα µουσικ ὴ ν τά τε µέγιστα ̟αραλι̟όντα τ ῆ ς τραγωιδικ ῆ ς τέχνης. τ ὸ δ’ ἐ ̟ ὶ σεµνο ῖ σιν λόγοισι κα ὶ σκαριφησµο ῖ σι λήρων διατριβ ὴ ν ἀ ργ ὸ ν ̟οιε ῖ σθαι, ̟αραφρονο ῦ ντος ἀ νδρός. Strophe und Antistrophe verhalten sich zueinander wie Bild und Gegenbild: Aischylos erfüllt all das glänzend, was Euripides kläglich schuldig bleibt. «Glückselig» (µακ ά ριος) ist demnach, wer ist wie Aischylos, und «freudebringend» (χαρ ί εν) verhält sich, wer sich nicht verhält wie Euripides. Aischylos nämlich «denkt ersichtlich das Rechte» (ε ὖ φρονε ῖ ν δοκ ή σας) und ist «verständig» (συνετός); Euripides dagegen zeigt alle Anzeichen eines «unsinnigen Mannes» (̟αραφρονο ῦ ντος ἀ νδρ ό ς). Folglich darf Aischylos zurück in die Oberwelt, um dort als tragischer Dichter «zum Nutzen der Bürger und der Angehörigen» ( ἐ ̟' ἀ γαθ ῶ ι µ ὲ ν το ῖ ς ̟ολ ί ταις, ἐ ̟' ἀ γαθ ῶ ι δ ὲ το ῖ ς ἑ αυτο ῦ ) zu wirken, während Euripides «eine fruchtlose Tätigkeit» (διατριβ ὴ ν ἀ ργ ό ν) ausübt und so «die Musenkunst von sich wirft» ( ἀ ̟οβαλ ό ντα µουσικ ή ν) und «die Hauptsache der tragischen Kunst aufgibt» (τ ά τε µ έ γιστα ̟αραλι̟ ό ντα τ ῆ ς τραγωιδικ ῆ ς τ έ χνης). Wer aber ist schuld an dieser desaströsen Fehlentwicklung des Euripides? Kein anderer als Sokrates! Bei ihm nämlich hockt Euripides und lernt, was die Tragödie ruiniert: «das Schwätzen» (λαλε ῖ ν) und «den Umgang mit anmaßender Rede und mit skizzenhaften Schwätzereien» ( ἐ ̟ ὶ σεµνο ῖ σιν λ ό γοισι κα ὶ σκαριφησµο ῖ σι λ ή ρων). Dem Stoiker Panaitios (fr. 134 van Straaten = SSR I A 23) kamen diese Äußerungen des Aristophanes über Sokrates so unglaublich vor, daß er, um den Anstoß zu beseitigen, eigens einen Tragiker gleichen Namens stipulierte; den habe Aristophanes gemeint, nicht den Philosophen: ὅ λα τα ῦ τα ̟ερ ὶ ἑ τ έ ρου Σωκρ ά τους [...] λ έ γεσθαι, τ ῶ ν ̟ερ ὶ σκην ὰ ς φλυαρ ῶ ν, ὥ σ̟ερ Ε ὐ ρι̟ ί δης. In Wahrheit aber sagt Aristophanes hier mit anderen Worten dasselbe, was er bereits in der ersten Fassung der Wolken (PCG 3.2 fr. 393 = SSR I A 3) gesagt hatte, in der Sokrates als Verfasser der Euripideischen Tragödien geoutet wird: Ἐ υρι̟ ί δηι δ ᾽ ὁ τ ὰ ς τραγωιδ ί ας ̟οι ῶ ν τ ὰ ς ̟εριλαλο ύ σας ο ὗ τ ό ς ἐ στι τ ὰ ς σοφ ά ς. 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 61 Es ist kein Zufall, daß an beiden Stellen das Verbum λαλε ῖ ν begegnet. Aristophanes (Equ. 348, Eccl. 16; cf. Ach. 761, Nub. 931, Equ. 1381, Ran. 91 & 1069, Thesm. 393) verwendet dieses Verbum und seine Derivate mit Vorliebe in peiorativem Sinne, um ein weitschweifiges und unkontrolliertes Geschwätz zu bezeichnen. So fungiert das Wort hier als poetische Chiffre, die einerseits die intellektuelle Diskursivität des Euripideischen Dialogs spottweise kennzeichnen soll, andererseits die argumentierende Intensität der Sokratischen Elenktik. Die Ähnlichkeit beider Phänomene (die Aristophanes nicht zu Unrecht konstatiert) gibt der komischen Logizität hinreichend Anlaß, das eine aus dem anderen abzuleiten und so den älteren Euripides als Schüler des jüngeren Sokrates erscheinen zu lassen oder — noch drastischer — Sokrates als Verfasser der Euripideischen Tragödien. Wenn man die Tendenz der Komödie, ad malam partem zu reden, in Rechnung stellt, so muß man sagen, dass das bohrende und tiefschürfende Argumentieren der Sokratischen Elenktik durch den Ausdruck σεµνο ὶ λ ό γοι ebenso treffend wiedergegeben ist wie das abbrechend-fragmentarische aporetische Ergebnis des elenktischen Gesprächs, das im Wissen um das Nichtwissen begründet ist, durch den aus der Malerei entlehnten Ausdruck «Skizzen» (σκαριφησµο ί ). So daß sich in den Fröschen noch einmal zeigt, was sich auch in den Wolken zeigte: daß Aristophanes die Methode des Sokratischen Philosophierens genau erfaßt hat; über ihren Gegenstand aber schweigt er auch hier. Es wurde bereits erwähnt, daß der komische Topos von Sokrates als dem spiritus rector des Euripides im Horizont des komischen Spottes etwas Wahres ausdrückt. Denn daß zwischen der diskursiv-argumentierenden und rhetorisch geschulten Dialogführung der Euripideischen Tragödie und der logisch und psychologisch argumentierenden elenktischen Verhörtechnik des Sokrates, daß zwischen der riskanten Stoffwahl der Euripideischen Tragödie und den nicht minder riskierten Thesen des Sokratischen Gesprächs Gemeinsamkeiten zu konstatieren sind, läßt sich nicht wohl bestreiten. Eine spätüberlieferte, aber womöglich altsokratische Tradition (Aelian. Var. hist. 2.13 = SSR I A 29) drückt dasselbe folgendermaßen aus: Sokrates sei selten ins Theater gegangen, wenn aber doch, dann nur, wenn eine neue Tragödie des Euripides aufgeführt wurde: ἔ χαιρε γ ὰ ρ τ ῶ ι ἀ νδρ ὶ δι ά τε τ ὴ ν σοφ ί αν α ὐ το ῦ κα ὶ τ ὴ ν ἐ ν το ῖ ς µ έ τροις ἀ ρετ ή ν. Wenn nun aber Aristophanes das neue Dichten des Euripides und das neue Denken des Sokrates als intellektuelle Schwätzerei kennzeichnet, so nimmt er das Recht des komischen Dichters in Anspruch, durch die Schärfe der spottenden Rede gerade das Bedeutende als unbedeutend erscheinen zu lassen. Und was für Aristophanes gilt, gilt auch für die Komiker Telekleides (PCG 7 fr. 41 sq. = SSR I A 1) und Kallias (PCG 4 fr. 15 = SSR I A 2), die bereits vor Aristophanes so etwas wie eine geistige 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 62 Gemeinsamkeit zwischen Sokrates und Euripides konstatierten und diese Gemeinsamkeit, jeder auf seine Weise, in eine Art von Lehrer- Schüler- Verhältnis umdeuteten. Daß Aristophanes diese komische Idee übernahm, beweist nicht, daß er plagiierte, sondern nur — dies aber um so einsdrucksvoller —, welch überwältigende Plausibilität diese Idee für das komische Denken und Dichten besaß. Nachbemerkung: Nietzsches Sokrates Dieser komischen Idee verdankt sich im übrigen auch eine hochbedeutsame moderne Sokratesinterpretation: Friedrich Nietzsche (Geburt der Tragödie 1872 = KSA 1, 81-92 & Götzendämmerung 1889 = KSA 6, 67-73) hat seine suggestive und hochriskierte Sokratesinterpretation, die man lesen muß wie einen Panegyrikos mit umgekehrten Vorzeichen, in unmittelbarem Rückgriff auf die Sokratesdarstellung der Attischen Komödie formuliert. Wenn Nietzsche Sokrates als den ersten theoretischen Menschen betrachtet, der es, da seiner Instinkte nicht mehr sicher, nötig hatte, das Leben vernünftig zu regeln und zu hinterfragen und so den Ruin der tragischen Kultur der Hellenen herbeiführte, deren instinktsichere Kraft eigentlich auf etwas anderes angelegt war als auf das schwachbrüstige Gelehrten- und Artistentum des Alexandrinischen Zeitalters, dem Sokrates präludierte, so läßt sich diese fulminante Kritik nachgerade als ein Kommentar jenes Liedes verstehen, das der Chor in den Aristophanischen Fröschen über Sokrates singt. So tief sind Nietzsches philosophische Denkentwürfe im Philologischen verwurzelt, und so fruchtbar hat die komische Idee von Sokrates als dem spiritus rector des Euripides rezeptionsgeschichtlich gewirkt. Ein Zitat aus der Geburt der Tragödie (KSA 1, 88 f.), in der Nietzsche seine Interpretation begründet hat, mag diese Nachbemerkung beschließen: «Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu Euripides habe, entging dem gleichzeitigen Alterthume nicht; und der beredteste Ausdruck für diesen glücklichen Spürsinn ist jene in Athen umlaufende Sage, Sokrates pflege dem Euripides im Dichten zu helfen. Beide Namen wurden von den Anhängern der guten alten Zeit in einem Atem genannt, wenn es galt, die Volksverführer der Gegenwart aufzuzählen: von deren Einflusse es herrühre, dass die alte marathonische vierschrötige Tüchtigkeit an Leib und Seele immer mehr einer zweifelhaften Aufklärung, bei fortschreitender Verkümmerung der leiblichen und seelischen Kräfte, zum Opfer falle.» Und in Hinblick auf Aristophanes heißt es weiter: «In dieser Tonart, halb mit Entrüstung, halb mit Verachtung, pflegt die aristophanische Komödie von jenen Männern zu reden, zum Schrecken der Neueren, welche zwar Euripides gerne preisgeben, aber sich nicht genug darüber wundern können, daß Sokrates als der erste und oberste Sophist, 3. Sokrates in den Vögeln und in den Fröschen des Aristophanes 63 als der Spiegel und Inbegriff aller sophistischen Bestrebungen bei Aristophanes erscheine: wobei es einzig einen Trost gewährt, den Aristophanes selbst als einen lüderlich lügenhaften Alcibiades an den Pranger zu stellen. Ohne an dieser Stelle die tieferen Instincte des Aristophanes gegen solche Angriffe in Schutz zu nehmen, fahre ich fort, die enge Zusammengehörigkeit des Sokrates und des Euripides aus der antiken Empfindung heraus zu erweisen; in welchem Sinne namentlich daran zu erinnern ist, dass Sokrates als Gegner der tragischen Kunst sich des Besuchs der Tragödie enthielt, und nur, wenn ein neues Stück des Euripides aufgeführt wurde, sich unter den Zuschauern einstellte. Am berühmtesten aber ist die nahe Zusammenstellung beider Namen in dem delphischen Orakelspruche, welcher Sokrates als den Weisesten unter den Menschen bezeichnet, zugleich aber das Urtheil abgab, dass dem Euripides der zweite Preis im Wettkampfe der Weisheit gebühre.» 4. Sokrates in den Fragmenten der Attischen Komödie ∗ Für Hellmut Flashar zum 65. Geburtstag Die Sokratesforschung hat den Fragmenten der Attischen Komödie nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Es wiederholt sich hier im Kleinen, was sich auch im Großen konstatieren läßt: daß man, durch die Fülle und Bedeutsamkeit des Erhaltenen gleichsam geblendet, das Fragmentarische kaum oder gar nicht in den Blick nimmt. So wie die Forschung lange Zeit nur Platon, Xenophon und Aristoteles in den Betracht gezogen hat, ohne sich um die fragmentarischen Sokratiker und die weitverstreute spätere anonyme Sokratesüberlieferung näher zu kümmern, so haben auch die Wolken des Aristophanes als einzige vollständig erhaltene Sokrateskomödie das Interesse der Forschung so sehr auf sich gezogen, daß für die Interpretation der Komikerfragmente kaum noch Raum blieb. Sehr zu Unrecht, hier wie dort. Denn wie die Rekonstruktion und Interpretation der fragmentarischen Sokratiker, die wiederum auch eine Analyse der späteren Sokratesüberlieferung voraussetzt, die literarische und philosophische Eigentümlichkeit Platons und Xenophons besser verständlich macht, ja diese als Sokratiker recht eigentlich erst erschließt, so können auch die fragmentarischen Äußerungen der Komiker zu einem besseren Verständnis der Aristophanischen Wolken beitragen, insofern sie deren Sokratesdarstellung bestätigen, ergänzen oder, wofern sie widersprechen, relativieren. Erst wenn eine solche vergleichende Betrachtung der gesamten Überlieferung vorliegt, läßt sich die Frage stellen, ob und inwiefern der so und so literarisch und gedanklich geformten Sokratesinterpretation, wie sie die Überlieferung bietet, eine historische Faktizität zugrunde liegt, an der sich jene Interpretation je und je entzündet hat. In diesem Sinne soll im folgenden versucht werden, die fragmentarischen Äußerungen der Komiker über Sokrates möglichst genau zu rekonstruieren und mit ständiger Rücksicht auf die Wolken des Aristophanes zu interpretieren: Ohne eine gründliche Rekonstruktion des Fragmentarischen, wie mühsam sie auch sei und wie hypothetisch sie auch oft ausfallen mag, keine vergleichende Interpretation des komischen Sokra- ∗ Erstveröffentlichung in: Orchestra. Drama - Mythos - Bühne, hrsg. von A. Bierl und P. von Möllendorff [Verlag B.G. Teubner] Stuttgart/ Leipzig 1994, 50-81. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 65 tesbildes; und ohne eine solche vergleichende Interpretation, die jeweils auf die eigentümliche Verfremdung Rücksicht zu nehmen hat, die die komische Rede dem Realen angedeihen läßt, auch kein Rückgriff auf jene Realität, der auch der komischen Rede verpflichtet ist. 1. Diogenes Laertius und die uita Elmsleiana des Euripides Diogenes Laertius (2.18 = SSR I D 1 [18]) führt in seiner Biographie des Sokrates vier Komikerzitate an, die beweisen sollen, daß Sokrates Euripides beim Dichten geholfen habe: Die beiden ersten Zitate werden ohne Nennung eines Titels einem Mnesilochos zugeschrieben; die beiden folgenden Zitate stammen aus den Πεδ ῆ ται des Kallias und aus den Νεφέλαι des Aristophanes. Diogenes hat diese Textpassage zwischen die Nachrichten über Sokrates´ Herkunft und über Sokrates´ Lehrer eingeschoben, und diese willkürliche Einfügung stellt außer Zweifel, daß der in sich kohärente Text über Sokrates als poetischen Helfer des Euripides ursprünglich in einem anderen Zusammenhang gestanden hat, als er bei Diogenes steht. Der ursprüngliche Zusammenhang ist gewahrt in der sogenannten uita Elmsleiana des Euripides (TGrF 5.1 p. 45-48), die, nachdem sie die Lehrer des Euripides aufgezählt hat, folgende Plagiatvorwürfe formuliert (§ 3): Sokrates und Mnesilochos hätten Euripides beim Dichten geholfen und Kephisophon bzw. Timokrates hätten für ihn die lyrischen Texte geschrieben. Ersterer Vorwurf wird durch ein Zitat des Komikers Telekleides belegt, das denselben Text bietet, den das erste Zitat des Diogenes Mnesilochos zuschreibt. Beide Texte stimmen demnach darin überein, daß sie den Plagiatsvorwurf gegen Euripides durch ein und dasselbe Komikerzitat begründen; eine Abweichung findet dagegen statt in betreff des Dichternamens, insofern Diogenes Mnesilochos, die uita Elmsleiana dagegen Telekleides als Verfasser des Zitates nennt. Der Konsens und die Differenz (die vorderhand auf sich beruhen sollen) beweisen, daß Diogenes und die uita Elmsleiana gemeinsam, aber unabhängig voneinander, aus ein und derselben Quelle geschöpft haben. Diese Quelle war eine Euripidesvita aus vermutlich hellenistischer Zeit, in der verschiedene Plagiatsvorwürfe gegen Euripides jeweils durch eine Reihe von Komikerzitaten belegt wurden. Die Anordnung dieser Zitate erfolgte jeweils offenbar nach chronologischen Gesichtspunkten. Telekleides jedenfalls und Kallias sind älter als Aristophanes; sie gehören, wie die überlieferten bzw. erschlossenen didaskalischen Daten zeigen, derselben Generation an wie Krates und Kratinos, deren Wirken in der Hauptsache noch in die Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg fällt (Geissler 1925, 81 f.). Es spricht demnach alles dafür, die Anordnung der Zitate, die Dioge- 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 66 nes vorgibt, beizubehalten und die Fragmente des Telekleides und des Kallias als die mutmaßlich frühesten namentlichen Erwähnungen des Sokrates eher zu behandeln als das Fragment des Aristophanes, das offenbar aus der verlorenen Erstfassung der Wolken stammt, die 423 aufgeführt wurde. 2. Telekleides Diogenes Laertius (2.18 = SSR I D 1 [18]) beginnt jene Aufzählung der Komikerzitate, die beweisen sollen, daß Sokrates Euripides beim Dichten geholfen habe, folgendermaßen: ἐ δόκει (sc. Socrates) δ ὲ συµ̟οιε ῖ ν Ε ὐ ρι- ̟ίδηι ὅ θεν Μνησίλοχος ο ὕ τω φησί· Φρύγες ἐ στ ὶ καιν ὸ ν δρ ᾶ µα το ῦ τ ᾽ Ε ὐ ρι- ̟ίδου (Ε ὐ ρι̟ίδηι siue fin. cum compend. uar. lect.) ὧ ι κα ὶ Σωκράτης τ ὰ φρύγανα ὑ ̟οτίθησιν. Der Paralleltext der uita Elmsleiana (§ 2) lautet: δοκε ῖ δ ὲ α ὐ τ ῶ ι (sc. Euripidi) κα ὶ Σωκράτης ὁ φιλόσοφος κα ὶ Μνησίλοχος συµ̟ε̟οιηκέναι τινά, ὥ ς φησι Τηλεκλείδης. Μνησίλοχος (Μνησίλογος siue Μνησοχός uar. lect.) δ ὲ ἐ κε ῖ νος φρύγειόν τι δρ ᾶ µα καιν ὸ ν Ε ὐ ρι̟ίδου (Ε ὐ ρι̟ίδηι uar. lect.) κα ὶ Σωκράτης (Σωκράτου uar. lect.) τ ὰ φρύγανα ὑ ̟οτίθησιν. Wie unzweifelhaft ist, daß diese beiden Texte auf eine gemeinsame Quelle rekurrieren, so ist auch unzweifelhaft, daß der Text dieser Quelle sowohl bei Diogenes wie in der uita korrupt überliefert ist. Nicht nur, daß der Name des Dichters jeweils verschieden angegeben wird; auch die Verse dieses Dichters können so, wie sie jeweils zitiert werden, den Wortlaut des Originals unmöglich richtig wiedergeben, da sie weder den Erfordernissen der Metrik genügen noch auch denen der Grammatik. Zwei namhafte Emendationsversuche sind zu notieren. W. Dindorf (1829, 23) empfiehlt folgenden Text: Μνησίλοχός ἐ στ ᾽ ἐ κε ῖ νος, ὃ ς φρύγει τι δρ ᾶ µα καιν ὸ ν Ε ὐ ρι̟ίδηι, κα ὶ Σωκράτης τ ὰ φρύγαν ᾽ ὑ ̟οτίθησιν. Anders F.V. Fritzsche (1852, 4): ὁ Μνησίλοχος δ ᾽ ἐ κεινοσ ὶ φρύγοντι (siue φρύγουσι) δρ ᾶ µα [καιν ὸ ν Ε ὐ ρι̟ίδηι κα ὶ Σωκράτει τ ὰ φρύγαν ᾽ ὑ ̟οτίθησι. Gemeinsam ist diesen beiden so unterschiedlichen Emendationen, deren erste vielfach rezipiert und kopiert worden ist (cf. e.g. FCG 2.1 fr. ii; PCG 7 fr. 41), daß sie im wesentlichen dem Text der uita Elmsleiana folgen und die Worte Μνησίλοχος δ ὲ ἐ κε ῖ νος als Beginn des Telekleideszitates ansehen. Das ist schwerlich richtig. Daß Diogenes irrt, wenn er Mnesilochos in einer Reihe mit Kallias und Aristophanes als Dichter aufführt, sollte un- 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 67 strittig sein. Die Literaturgeschichte weiß von keinem Komiker namens Mnesilochos. Es hat daher nicht an Versuchen gefehlt, die überlieferte Namensform zu beseitigen und durch den Namen eines bekannten komischen Dichters zu ersetzen. Aeg. Menagius (Huebner 1830, 329) plädierte für Μνησίµαχος, P. Elmsley (1821, 194) für Τηλεκλείδης. Indes der eine Vorschlag ist so unwahrscheinlich wie der andere. Denn der Text der uita Elmsleiana, der den Namen des Mnesilochos an derselben Stelle überliefert, an der er auch bei Diogenes steht, stellt außer Frage, daß der Name auch bei Diogenes korrekt überliefert ist. Dieser Name ist im übrigen wohlbekannt: Mnesilochos heißen sowohl der Sohn des Euripides (PA 10330; RE 15.2, 2277 [Nr. 2]) wie auch der Schwiegervater (PA 10329; RE 15.2., 2276 f. [Nr. 1]), und letzterer, der auch in den Thesmophoriazusen des Aristophanes auftritt, dürfte auch bei Diogenes und in der uita gemeint sein. Woraus folgt, daß Diogenes eine dramatis persona mit dem Dichter verwechselt hat. Eine solche Verwechslung war aber nur möglich, wenn in der Quelle des Diogenes außer dem Dichter (Telekleides) auch der Sprecher (Mnesilochos) genannt wurde. Daß dies der Fall war, lehrt der Text der uita, die beide Namen nennt. Zugleich erhellt aus dem Irrtum des Diogenes, daß die uita mit den Worten Μνησίλοχος δ ὲ ἐ κε ῖ νος nicht den Anfang des Zitates markiert, sondern in dem kurzgefaßten Stil, der solchen Gebrauchstexten eigentümlich ist, vielmehr auf den Sprecher der folgenden Verse verweist, wobei das Pronomen ἐ κε ῖ νος auf den kurz zuvor schon einmal genannten Namen erklärend zurückverweist. Daß diese Interpretation richtig ist, erhellt aus der Tatsache, daß Diogenes auf die Erwähnung des Mnesilochos einen metrisch und grammatisch tadellos gebauten jambischenTrimeter folgen läßt: Φρύγες ἐ στ ὶ καιν ὸ ν δρ ᾶ µα το ῦ τ ᾽ Ε ὐ ρι̟ίδου. Der entsprechende Text der uita dagegen ist metrisch und grammatisch unzweifelhaft korrupt überliefert: φρύγειόν τι δρ ᾶ µα καιν ὸ ν Ε ὐ ρι̟ίδου. Den korrupten Text der uita anders zu emendieren, als Diogenes vorgibt, geht nicht wohl an; wenn anders man nicht einen tadelfrei überlieferten Vers aufgrund einer unzweifelhaft korrupten Überlieferung als korrupt anzusehen geneigt ist. Gibt aber Diogenes die korrekte Überlieferung des Verses (woran im Ernst kein Zweifel sein kann), so ist diese Überlieferung auch für die uita vorauszusetzen. Dies zugestanden, ergibt sich, daß die communis opinio irrt, wenn sie den Text der uita dahingehend interpretiert, daß Mnesilochos als Subjekt der Versaussage erscheint; es ergibt sich weiter, daß auch Diogenes irrt, wenn er Mnesilochos, als ob er der Dichter jenes Verses gewesen sei, in einem Zusammenhang mit Kallias und Aristophanes nennt. Vielmehr stellt der Text der uita außer Zweifel, daß der Dichter des Verses Telekleides gewesen ist und Mnesilochos sein Sprecher. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 68 Diogenes führt das Verszitat des Telekleides folgendermaßen fort: ὧ ι κα ὶ Σωκράτης τ ὰ φρύγανα ὑ ̟οτίθησιν. Da dieser Text mit drei langen Silben anhebt, läßt er sich als jambisch nur interpretieren, wenn man, wie Th. Kock (CAF 1 fr. 38 p. 218 sq.) getan hat, zu Beginn eine Lücke voraussetzt und die überlieferten Worte ans Ende des Verses verweist. Daß diese Restitution des Textes schwerlich richtig ist, lehrt ein Blick auf den entsprechenden Text der uita, der nichts von einer Lücke weiß, wohl aber das sprachlich ohnehin schwerfällige Relativpronomen wegläßt, um dann ebenso fortzufahren wie Diogenes: κα ὶ Σωκράτης τ ὰ φρύγανα ὑ ̟οτίθησιν. Diese Wörter formieren, wenn man den Hiat beseitigt, einen jambischen Trimeter, dessen Katalexe gewiß nicht als Ausdruck lyrischen Versbaus zu interpretieren ist, sondern durch die Ökonomie des Zitates hervorgerufen ist, dessen letzte Silbe, als für den Beweiszweck nicht mehr von Belang, weggelassen worden ist. Nichts liegt demnach näher, als den Text, den die uita bietet, auch für Diogenes in Anspruch zu nehmen. Alles recht erwogen, stellt sich der Sachverhalt so dar, daß Mnesilochos, der Schwiegervater des Euripides, in einer Komödie des Telekleides, deren Titel wir nicht kennen und auch nicht erraten können, folgende Verse sprach: Φρύγες ἐ στ ὶ καιν ὸ ν δρ ᾶ µα το ῦ τ ᾽ Ε ὐ ρι̟ίδου κα ὶ Σωκράτης τ ὰ φρύγανα ὑ ̟οτίθησιν [...]. Mnesilochos befand sich demnach auf der Bühne und erklärte dem Zuschauer bzw. einem Mitspieler, was dort geschah. Wie das Demonstrativpronomen το ῦ τo verrät, war ein Euripideisches Drama in effigie zu sehen. Näheren Aufschluß gibt der Titel Φρύγες. Dieser Titel klingt Euripideisch; denn Euripides liebt es, seine Tragödien nach der geographischen Herkunft des Chores zu benennen; die Überlieferung (TrGF 5.1 p. 149 sq.) verzeichnet nicht weniger als sechs derartige Titel: Κρ ῆ σσαι, Κρ ῆ τες, Μυσοί, Σκύριοι, Τρωιάδες, Φοίνισσαι. Den Titel Φρύγες allerdings wird man in der Überlieferung allerdings vergeblich suchen; er verdankt sich allein dem Wortwitz der Komödie: Das neue Stück des Euripides heißt nur deshalb Φρύγες, damit Sokrates tun kann, was er tut: τ ὰ φρύγαν ᾽ ὑ ̟οτίθησιν. Sokrates also, den man sich offenbar als dramatis persona auf der Bühne befindlich vorstellen muß, schleppt Feuerholz (Reisig) herbei, um die neue Tragödie des Euripides zu rösten, und die Resolution der vierten longa des jambischen Trimeters illustriert sinnfällig, wie emsig er dabei zu Werke geht. Das konkrete Handeln des Sokrates läßt darauf schließen, daß man sich auch die Euripideische Tragödie, der dieses Handeln gilt, konkret vorzustellen hat. Versteht man den Titel ohne Hintersinn, so waren auf der Bühne tatsächlich Phryger zu erblicken, die auf einem Rost lagen, um alsbald von Sokrates geröstet zu werden — ein groteskes Szenario, das 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 69 der Alten Komödie aber um so eher zuzutrauen ist, als es poetischen Sinn macht, insofern sowohl die Kraßheit und Exzentrizität der Euripideischen Poesie wie auch die moralische Fragwürdigkeit Sokratischen Tuns sinnfällig genug in Erscheinung träte. Es ist indes aber auch sehr wohl möglich, daß der Titel der Tragödie einen komischen Hinter- und Doppelsinn in sich birgt. So heißt es in den Vögeln des Aristophanes (Au. 762 sq.): ε ἰ δ ὲ τυγχάνει τις ὢ ν Φρ ὺ ξ µηδ ὲ ν ἧ ττον Σ̟ινθάρου φρυγίλος ὄ ρνις ἐ νθάδ ᾽ ἔ σται, το ῦ Φιλήµονος γένους. Aus dieser Stelle geht hervor, daß man den Völkernamen Φρύξ (Phryger) und den Vogelnamen φρυγίλος (Fink oder, wahrscheinlicher, Reiher; vgl. Keller, 2, 1913, 86-90 & 202-207; Benton 1961, 46; Dunbar 1995, 471) als sprachverwandt empfand. Gesetzt, daß auch Telekleides diese Sprachverwandtschaft komischen Zwecken dienstbar machte, so könnten es kleine Phryger — also Vögel — gewesen sein, auf die der Tragödientitel anspielte. Demnach müßte man sich Euripides als Verfasser einer Vogeltragödie imaginieren und Sokrates als Vogelröster — auch dies ein durchaus plausibles Komödienszenario, insofern sowohl die poetische Tendenz des Euripides zu untragischer Darstellung des Alltäglichen verspottet würde wie auch das unaristokratische oder besser unbürgerliche Benehmen, das Sokrates im täglichen Leben zur Schau zu tragen pflegte. Gleichviel, welche konkrete Anschauung auch den Worten des Mnesilochos zugrunde gelegen haben mag, so kann über den Sinn jener Szene, die sie beschreiben, nicht der geringste Zweifel sein: Die Mahlzeit, die Euripides dem Publikum mit seinen Tragödien vorsetzt, hat Sokrates ausgekocht, oder anders: Sokrates ist der wahre spiritus rector der Euripideischen Tragödie, oder (um schließlich die Quintessenz der komischen Rede zu formulieren): Nur aus dem verqueren Denken und Reden des Sokrates konnte ein ästhetisch so verqueres Gebilde entstehen, wie die Euripideische Tragödie ist. Dieser Gedanke, über dessen tieferen Sinn noch zu reden sein wird, war für die komische Logik von solcher Plausibilität, daß sie ihn, wenn auch in anderer Form, mehrfach wiederholt hat. Diogenes Laertius (2.18 = SSR I D 1 [18]) fährt im Anschluß an das obengenannte Zitat folgendermaßen fort: κα ὶ ̟άλιν Ε ὐ ρι̟ίδης (fin. cum compend. uar. lect.) σωκρατογόµφους. Um diese Bemerkung richtig interpretieren zu können, müßte man zunächst wissen, wie das Zitat vom Kontext abzugrenzen ist. Die communis opinio setzt als selbstverständlich voraus, daß die Erwähnung des Euripides bereits zum Zitat gehört. Aber diese Voraussetzung ist keineswegs selbstverständlich. Es ist durchaus möglich, daß die Erwähnung des Euripides noch Teil des Kontextes ist: Diogenes hätte dann auch hier, wie oben im Falle des Mnesilochos, den Sprecher notiert, der in der 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 70 Komödie des Telekleides auftrat: κα ὶ ̟άλιν Ε ὐ ρι̟ίδης— σωκρατογόµφους. Daß das Zitat in diesem Falle grammatisch nicht konstruiert werden kann, ist kein Einwand. Denn auch, wenn man die Erwähnung des Euripides als Teil des Zitates begreift und das gesamte Zitat also als einen Ausspruch des Mnesilochos ansieht, stellt sich grammatisch kein befriedigender Textzusammenhang her: κα ὶ ̟άλιν——Ε ὐ ρι̟ίδης σωκρατογόµφους. Diese Textinterpretation ist ihrerseits Gegenstand mannigfacher Konjekturen geworden. I. Casaubonus (Huebner 1830, 13): Ε ὐ ρι̟ίδης σωκρατόγοµφος; C.G. Cobet (1850, 37) Ε ὐ ρι̟ίδας σωκρατογόµφους; F.V. Fritzsche (1852, 6): (γνώµας) ε ὐ ρι̟ίδοσωκρατογόµφους; A. Nauck (1854, XIV adn. 15): ε ὐ ρι̟ίδοσωκρατοκόµ̟ους; G. Kaibel (PCG 7 fr. 42 p. 684): Ε ὐ ρι̟ίδας το ὺ ς σωκρατογόµφους; J.M. Edmonds (FAC 1 fr. 40 p. 142): Ε ὐ ρι̟ίδας τε σωκρατογόµφους. Zu überzeugen vermag keine dieser Konjekturen. Wie denn auch? Wenn in einem Testimonium von nicht mehr als vier Wörtern nicht einmal die Abgrenzung zwischen Kontext und Zitat sicher ist, so müht sich konjekturaler Scharfsinn vergebens. Nicht mehr ist der Stelle zu entnehmen, als daß Telekleides im Hinblick auf Euripides das Adjektiv σωκρατόγοµφος verwendet hat. Dieses Adjektiv, das, wenn es in einem jambischen Trimeter gestanden hat, nur zu Versbeginn seinen Platz gehabt haben kann, da nur dort die choriambische Anaklase statthaft ist, ist ein komischer Neologismus, der die Sprache der hohen Dichtung parodiert. Denn adjektivische Wortbildungen, denen das Substantiv γόµφος zugrunde liegt, finden sich vor Telekleides ausschließlich in der Sprache des Epos, der Chorlyrik und der Tragödie und werden mit Vorliebe vom Schiffsbau verwendet, in dem der größere (meist hölzerne) Pflock vor allem Verwendung fand (Hes. Op. 660; Ibyc. fr. 282 a 18 PMG; Simonid. fr. 543.10 PMG; Aeschyl. Pers. 71). Metaphorisch wird das Substantiv γόµφος von Aischylos (Suppl. 945) und von Empedokles (VS 31 B 87) gebraucht, und diesen metaphorischen Wortgebrauch hat Telekleides, die hohe Sprache noch einmal parodierend, auf das von ihm neugeprägte komische Adjektiv σωκρατόγοµφος übertragen: Wie ein Schiff nur hält, wenn es durch Pflöcke fest verfugt ist, so kann ein Mann wie Euripides nur bestehen, wenn ihm ein Mann wie Sokrates Halt, Haft und Stabilität verleiht. So wiederholt die Metapher, was die vorher beschriebene Szene in ganz anderer Weise sinnfällig zum Ausdruck gebracht hat: daß ein ästhetisch so fragwürdiger Dichter wie Euripides nur denkbar ist auf dem Hintergrund des nicht minder fragwürdigen Sokratischen Philosophierens. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 71 3. Kallias Auf die beiden Zitate des Telekleides läßt Diogenes Laertius (2.18 = SSR I D 1 [18]) ein Zitat des Komikers Kallias folgen, das ebenfalls beweisen soll, daß Sokrates Euripides beim Dichten geholfen habe: κα ὶ Καλλίας Πεδήταις— — ἤ δη σ ὺ σεµν ὴ κα ὶ φρονε ῖ ς ο ὕ τω µέγα. — ἔ ξεστι γάρ µοι— Σωκράτης γ ὰ ρ α ἴ τιος. Diogenes nennt hier den Titel der Komödie, den er im Falle des Telekleides ebenso unterdrückt hat wie den Namen des Dichters. Indes hilft die Erwähnung des Titels nicht viel weiter. Denn die wenigen Fragmente der Πεδ ῆ ται (PCG 4 fr. 14-23) erlauben keinen Einblick in das Thema oder gar den Handlungsverlauf dieser Komödie; und auch die Chronologie läßt sich nur ungefähr bestimmen, insofern die Erwähnungen der Zeitgenossen Melanthios (fr. 14), Akestor (fr. 17) und Lampon (fr. 20), denen vielleicht auch Perikles und Aspasia (fr. 21) hinzuzufügen sind, auf eine Abfassungszeit kurz vor oder nicht lange nach dem Beginn des Peloponnesischen Krieges verweisen (Geissler 1925, 27). Der erste Vers des Zitates redet ein Du an, dem im zweiten Vers ein Ich antwortet. Das antwortende Ich muß Euripides gewesen sein; denn nur so beweisen die beiden Verse, was sie beweisen sollen: daß Sokrates Euripides beim Dichten unterstützt hat. Wer der Sprecher des ersten Verses war, läßt sich nicht einmal erraten. M. Runkel (1827, 76) hat den ersten Vers als Frage aufgefaßt und vorgeschlagen, das überlieferte Adverb ἤ δη durch den interrogativen Pronominalausdruck τί δή zu ersetzen. Diese Emendation formuliert einen plausiblen und glatten Text und ist daher auch in alle Editionen der Komikerfragmente aufgenommen worden (FCG 23.2 fr. ii; CAF 1 fr. 12; FAC 1 fr. 12; PCG 4 fr. 12) Indes verbürgt plausible Glätte selten den originalen Wortlaut. So ist auch hier kein zwingender Grund, in die Textüberlieferung berichtigend einzugreifen. Denn die Sprache, namentlich die gesprochene Sprache, der der komische Trimeter so nahe steht, hat immer die Möglichkeit, einem Satz durch den bloßen Tonfall einen interrogativen Sinn zu verleihen; so daß der Vers auch dann als Frage verstanden werden kann, wenn man das überlieferte Adverb ἤ δη beibehält. Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, daß es sich hier überhaupt um eine Frage handelt. Der Vers kann ebenso (verwundernd) konstatierend oder auch als Ausruf verstanden werden. Im ersten Falle würde sich der Verbalausdruck ε ἶ δή als paläographisch naheliegende Emendation empfehlen; im zweiten Falle läge es nahe, die bei Diogenes überlieferte Buchstabenfolge Η∆Η durch die Interjektion ἦ δή aufzulösen. Aber auch jene Lesart, die die Handschriften des Diogenes bieten, ist grammatisch 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 72 unanstößig: daß wir die inhaltliche Bedeutung des Adverbs ἤ δη nicht recht durchschauen, ist keine Gegeninstanz, da auch der Bedeutungszusammenhang, dem das Zitat verpflichtet war, für uns nicht mehr durchschaubar ist. Merkwürdig ist, daß der (unbekannte) Sprecher des ersten Verses Euripides im Femininum anredet: σ ὺ σεµνή. Auch diesen Anstoß hat man konjektural zu beseitigen getrachtet. Aeg. Menagius (Huebner 1830, 329) erwog die Emendation σεµν ῆ ι; J. Toupius (1790, 153 sq.) σεµνύνηι; W. Dindorf (1829, 21) σεµνο ῖ ; F.V. Fritzsche (1852, 10) σεµν ῆ ς καταφρονε ῖ ς. Aber auch diese Konjekturen sind überflüssig. Denn die merkwürdige Anrede läßt sich erklären, wenn man, wie G. Hermann (1830, 23) vorgeschlagen hat, voraussetzt, daß nicht Euripides selbst, sondern die Euripideische Tragödie in persona auf der Bühne erschien. Noch plausibler ist indes eine Hypothese, die J.M. Edmonds (FAC 1 fr. 12 p. 174) vorgeschlagen hat: daß Euripides, wie in den Thesmophoriazusen des Aristophanes, so auch hier in Frauenkleidern aufgetreten ist. Dies vorausgesetzt, ließe sich das Adverb ἤ δη dahingehend interpretieren, daß Sokrates kurz zuvor an der Verkleidung des Euripides mitgewirkt hat, und daß Euripides, als Mann vorher niedergeschlagen und kleinmütig, durch Sokrates' Eingreifen «nunmehr» als Frau Stolz und Selbstbewußtsein an den Tag legt. Wie auch immer man sich jenes Szenario, das den Versen zugrunde liegt, vorzustellen hat, sicher ist, daß es keine gute Eigenschaft ist, die Euripides dem Einfluß des Sokrates verdankt. Denn die Begriffe σεµνός und µέγα φρονε ῖ ν werden namentlich in tragischer und komischer Sprache gerne mit peiorativem Nebensinn gebraucht, um ein eingebildetes und arrogantes Gebaren zu kennzeichnen (cf. Soph. Ai. 1107; Eurip. Alc. 773, Hipp. 93 sq.; Aristoph. Ach. 988, Vesp. 1174, Ran. 178, Plut. 275). So auch hier; und so wie hier Kallias die σεµνότης des Sokrates verspottet, so kennzeichnet Aristophanes in den Wolken (Nub. 363) den Gesichtsausdruck des Sokrates durch einen komischen Neologismus spöttisch als σεµνο̟ροσω̟ε ῖ ν. Und wenn derselbe Aristophanes in den Fröschen (Ran. 1496) von den σεµνο ὶ λόγοι des Sokrates spricht, denen sich Euripides zum Schaden der tragischen Kunst anvertraut habe, so sagt er im Grunde dasselbe aus, was auch Kallias aussagen will: daß Sokrates und Euripides darin ähnlich sind, daß sie unnachsichtig auf den Ernst der Rede dringen. Daß diese Ernsthaftigkeit als Einbildung gedeutet und die Ähnlichkeit in Abhängigkeit umgedeutet wird, ist, wie sich noch genauer zeigen wird, eine Folge der eigentümlichen Logik der Komödie, die, was sie erkannt hat, nicht anders als ad malam partem verzerrt auszudrücken vermag. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 73 4. Aristophanes Um zu beweisen, daß Sokrates Euripides beim Dichten geholfen habe, führt Diogenes Laertius (2.18 = SSR I D 1 [18]) schließlich das Zitat eines dritten Komikers an. Der überlieferte Text lautet folgendermaßen: Ἀ ριστοφάνης Νεφέλαις— Ε ὐ ρι̟ίδης (Ε ὐ ρι̟είδης uar. lect.) δ ᾽ὁ τ ὰ ς τραγωιδίας ̟οι ῶ ν τ ὰ ς ̟εριλαλούσας (̟ερ ὶ ἄ λλους ἃ ς uar. lect.) ο ὗ τός (ο ὕ τως uar. lect.) ἐ στι τ ὰ ς σοφάς. Wie im Falle des Kallias nennt Diogenes auch hier den Namen des Dichters und den Titel der Komödie, dem er das Zitat verdankt: Es handelt sich um ein Zitat aus den Wolken des Aristophanes. Da sich die Verse in der uns überlieferten zweiten Textfassung der Wolken nicht finden, so müssen sie der verlorenen Erstfassung angehört haben, die an den Großen Dionysien des Jahres 423 aufgeführt wurde (PCG 3.2 test. i & vi). Es ist dies das einzige Fragment dieser Komödie, in dem Sokrates namentlich erwähnt wird, und somit das früheste sicher datierte Zeugnis über Sokrates überhaupt, das wir besitzen. Die Handschriften des Diogenes überliefern den Namen des Euripides übereinstimmend im Nominativ. Wenn aber Euripides Subjekt der Aristophanischen Verse ist, so sagen sie nicht aus, was sie laut Diogenes aussagen sollen: daß Sokrates Euripides beim Dichten geholfen habe. Es verschlägt auch nichts, wenn man, um einen Bezug zu Sokrates herzustellen, das weiter oben genannte zweite Zitat des Telekleides (σωκρατογόµφους) in den Text des Aristophanes hineinzieht, wie W. Dindorf (1829, 23) und G. Hermann (1830, XIX) erwogen haben: Dindorf schlug vor, das Partizip ̟εριλαλούσας durch das Adjektiv σωκρατογόµφους zu ersetzen; Hermann wollte dasselbe Adjektiv, analog zu den vorhergehenden adjektivischen Ausdrücken ̟εριλαλούσας und σοφάς durch den Artikel ergänzen und die Wendung τ ὰ ς σωκρατογόµφους als Beginn eines neuen (dritten) Verses verstanden wissen. Aber solch kühne Konjekturalkritik konstituiert noch keinen plausiblen Text. Denn wenn Euripides Subjekt der Aristophanischen Verse ist, so muß er, wie das Demonstrativpronomen ο ὗ τος außer Zweifel stellt, als Schauspieler auf der Bühne anwesend gewesen sein. Das aber geht nicht an. Denn die sehr gelehrte Hypothesis 7 A der Wolken (PCG 3.2 test. ii p. 214 sq.), die die Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Fassung des Stückes detailliert verzeichnet, weiß lediglich davon zu berichten, daß es im Detail Wechsel und Vertauschung (διαλλαγή) der Schauspieler gegeben habe; wäre es auch zur Streichung ganzer Rollen gekommen, so wäre dies notiert worden. Es war daher nur konsequent, wenn Dindorf und Hermann, um ihre Konjekturen zu retten, das gesamte 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 74 Zitat Aristophanes absprachen und für Telekleides in Anspruch nahmen. Indes verweist diese Konsequenz nur auf die Willkür der vorgeschlagenen konjekturalen Eingriffe, zu denen sich heute schwerlich noch jemand verstehen wird. Weniger gewaltsam und ungleich eleganter ist demgegenüber jene Emendation, die L.C. Valckenaer (1767, 14) vorgeschlagen hat: den Nominativ Ε ὐ ρι̟ίδης durch den Genitiv Ε ὐ ρι̟ίδου zu ersetzen. Ganz ähnlich hat C.G. Cobet (1850, 37) erwogen, den Nominativ durch den Dativ Ε ὐ ρι̟ίδηι zu ersetzen, und diese Konjektur, die paläographisch noch plausibler ist als jene und grammatisch noch unbedenklicher, löst in der Tat auf einen Schlag alle interpretatorischen Probleme, die der überlieferte Text stellt. Denn nun ist es Sokrates, der auf der Bühne anwesend ist, und von Sokrates wird gesagt, was Diogenes behauptet: daß er Euripides beim Dichten geholfen habe. Mehr noch: Sokrates erscheint förmlich als Verfasser der Euripideischen Tragödien: Ε ὐ ρι̟ίδηι δ ᾽ ὁ τ ὰ ς τραγωιδίας ̟οι ῶ ν τ ὰ ς ̟εριλαλούσας ο ὗ τός ἐ στι, τ ὰ ς σοφάς. Ist diese Restitution des Textes, die auch in die neueste Edition der Komikerfragmente (PCG 3.2 fr. 392) aufgenommen worden ist, richtig, so stellt sich die Frage, wer der Sprecher war und in welchem Kontext diese Verse gesprochen wurden. Will man diese Frage beantworten, so muß man in den Betracht ziehen, daß die Verse des Aristophanes nicht nur voraussetzen, daß Sokrates als dramatis persona auf der Bühne anwesend gewesen ist, sondern auch, daß er als Dichter der Euripideischen Tragödien eingeführt und vorgestellt wurde. Sucht man im plot der zweiten Wolken nach einer Stelle, an der eine solche überraschende Präsentation der Figur stattgehabt haben kann, so bietet sich wie von selbst die erste Begegnung zwischen Sokrates und Strepsiades an. Nachdem Strepsiades unter der kundigen Führung des Schülers das Denkgehäuse inspiziert hat, erblickt er schließlich einen Mann, der «auf dem Hänger» ( ἐ ̟ ὶ τ ῆ ς κρεµάθρας) über der Bühne schwebt. Auf die erstaunte Frage nach der Identität jener seltsamen Erscheinung erhält Strepsiades die änigmatische Antwort: α ὐ τός. Er versteht nicht: τίς α ὐ τός; Jetzt erst lüftet der Schüler das Geheimnis: Σωκράτης (Nub. 218). So witzig das enthüllende Spiel mit der Pythagoreischen Formel α ὐ τ ὸ ς ἔ φα auch ist, so steht es doch in keinem sinnfälligen Zusammenhang mit der Bühnensituation. Anders, wenn der Schüler in der ersten Fassung der Wolken mit jenen Versen antwortete, in denen der wahre Verfasser der Euripideischen Tragödien vorgestellt wurde. Auch hier bedurfte es erst der Enthüllung, daß dieser Verfasser Sokrates ist. Aber vor dieser Enthüllung, die man sich auch hier witzig genug vorstellen darf: Wie sinnfällig 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 75 der Zusammenhang zwischen Bühnensituation und Präsentation der Figur! Sokrates, der sogleich als Verfasser der Euripideischen Tragödien enthüllt werden wird, präsentiert sich auf dem Bühnenkran und benutzt so ein theatralisches Instrument (µηχανή), das der wirkliche Euripides in seinen Tragödien notorisch oft und mit Vorliebe verwendet hat. Aristophanes kennzeichnet die pseudoeuripideischen Sokratestragödien durch die beiden Attribute ̟εριλαλούσας und σοφάς. Das seltene Verb ̟εριλαλε ῖ ν, das Aristophanes noch einmal in den Ekklesiazusen (Eccl. 230) gebraucht hat, bezeichnet wie das ebenfalls seltene sinnverwandte Verb ̟εριλέγειν, das der Komiker Hermipp (PCG 5 fr. 86) einmal verwendet, das überflüssige und weitschweifige «Herumreden» um eine Sache; wenn der Aristophanische Euripides (Ran. 839) Aischylos ἀ ̟εριλάλητος nennt, so verweist er kritisch auf die unargumentative lakonische Kürze der Aischyleischen Diktion. Die negative Bedeutung des ersten Attributs verleiht auch dem zweiten einen ironisch-peiorativen Sinn: Was «übergeschwätzig» ist, kann nicht «klug» sein oder weise, sondern ist «überklug» oder «scheinklug». Exakt in diesem Sinne, der auch dem berühmten Euripideswort (Bacch. 395) τ ὸ σοφ ὸ ν δ ᾽ ο ὐ σοφία zugrunde liegt, will das Adjektiv σοφός hier verstanden werden: Wie die Euripideischen Tragödien überflüssigen Geschwätzes voll sind, so sind sie auch voll angemaßter Scheinklugheit; beides ist das Werk des Sokrates. Sokrates könnte solche Tragödien nicht schreiben, und Euripides würde diese Tragödien nicht als die seinen ausgeben, wenn beide nicht auch selber scheinkluge Schwätzer wären. Daß dem so ist, darüber herrscht Konsens in der Aristophanischen Komödie, und dieser Konsens tritt nirgends deutlicher zutage als im letzten Chorlied der Frösche (Ran. 1491-1499), in dem Aristophanes — achtzehn Jahre nach den Wolken — noch einmal von dem ruinösen Einfluß spricht, den das Sokratische «Schwätzen» (λαλε ῖ ν), Sokrates' «anmaßende Reden» (σεµνο ὶ λόγοι) und seine «skizzenhaften Redereien» (σκαριφησµο ὶ λήρων) auf die Euripideische Tragödie gehabt haben. Die Übereinstimmung zwischen diesem Chorlied und den fragmentarisch erhaltenen Versen aus den ersten Wolken reicht bis in die Wortwahl hinein und demonstriert eindrucksvoll, in welchem Maße Aristophanes Sokrates und Euripides gemeinsam unter einer Optik gesehen hat und gesehen wissen will. Die Optik des komischen Dichters aber pflegt, was sie wahrnimmt, ad malam partem zu verfremden. Zur komischen Verfremdung gehört aber nicht nur, daß Sokrates und Euripides gemeinsam als intellektuelle Schwätzer erscheinen, sondern auch und ganz besonders, daß diese Gemeinsamkeit in ein Abhängigkeitsverhältnis umgedeutet wird, dergestalt, daß der Jüngere (Sokrates) als spiritus rector des Älteren (Euripides) erscheint. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 76 Die verfremdete Redeweise der Komödie in Rechnung gestellt, sagt Aristophanes nicht mehr, als daß zwischen Sokrates und Euripides eine Art von Geistesverwandtschaft bestanden hat. Wenn Sokrates in den Wolken als ein Philosoph erscheint, dessen zersetzende Reden und Thesen den moralischen Ruin einer athenischen Familie herbeiführen, so erscheint Euripides in den Fröschen als ein Dichter, dessen nicht minder zersetzende Rede und fragwürdige Stoffwahl den moralischen Ruin der athenischen Polis gefördert hat: Es ist die unbedingte Kraft und die unheimliche Faszination der argumentierenden Rede, die auch das Herkömmliche und unbefragt Geglaubte in Frage stellt, die Sokrates und Euripides in den Augen des Aristophanes als Brüder im Geiste erscheinen läßt. 5. Ameipsias Diogenes Laertius (2.27 sq. = SSR I D 1 [27 sq.]) rekurriert in seiner Sokratesbiographie noch einmal auf die Komödie: Sokrates, so heißt es, habe es verstanden, über Spott und Kritik hinwegzusehen, und habe sich auf seine selbstgenügsame Lebensführung etwas zu gute gehalten: ἦ ν ἱ καν ὸ ς κα ὶ τ ῶ ν σκω̟τόντων α ὐ τ ὸ ν ὑ ̟ερορ ᾶ ν κα ὶ ἐ σεµνύνετο ἐ ̟ ὶ τ ῆ ι ε ὐ τελείαι. Letzteres könne man auch den Komikern entnehmen, die Sokrates, ohne es selber zu merken, lobten, wenn sie ihn zu verspotten meinten. Folgt zum Beweis ein Zitat aus den Wolken des Aristophanes (Nub. 412-417) und ein Zitat aus einer Komödie des Ameipsias. Den Beschluß der Passage bildet ein weiteres Zitat aus den Aristophanischen Wolken (Nub. 362 sq.), das die erstgenannte Fähigkeit des Sokrates beweisen soll, Spott und Kritik souverän zu ertragen. Anders als die Komikerzitate über Sokrates und Euripides, die Diogenes einer Euripidesvita entnommen hat, gehören diese Zitate zweifellos ursprünglich einer Sokratesvita an, deren sorgfältig komponierten Text Diogenes in toto übernommen hat. Das Zitat des Ameipsias, das Sokrates' selbstgenügsamen Lebenswandel bezeugen soll, lautet folgendermaßen: Ἀ µειψίας δ ᾽ἐ ν τρίβωνι ̟αράγων α ὐ τ ὸ ν (sc. Socratem) φησ ὶ ν ο ὕ τως— — Σώκρατες ἀ νδρ ῶ ν βέλτιστ ᾽ ὀ λίγων, ̟ολλ ῶ ν δ ὲ µαταιόταθ ᾽ , [ ἥ κεις κα ὶ σ ὺ ̟ρ ὸ ς ἡ µ ᾶ ς καρτερικός τ ᾽ ε ἶ — ̟όθεν ἄ ν σοι χλα ῖ να [γένοιτο; — τουτ ὶ τ ὸ κακ ὸ ν τ ῶ ν σκυτοτόµων κατ ᾽ ἐ ̟ήρειαν (κατ ᾽ ἐ ̟ήρειαν [τ ῶ ν σκυτοτόµων uar. lect.) γεγένηται. — ο ὗ τος (ο ὕ τως uar. lect.) µέντοι ̟ειν ῶ ν ο ὕ τως ο ὐ ̟ώ̟οτ ᾽ ἔ τλη [κολακε ῦ σαι. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 77 Die Selbstgenügsamkeit des Sokrates bekundet sich zunächst darin, daß Ameipsias, wie Diogenes notiert, Sokrates im «Kratzgewand» ( ἐ ν τρίβωνι) auf der Bühne erscheinen läßt. Der volkstümliche Name dieses Kleidungsstückes verweist auf seine Qualität: Es handelt sich um einen grobwollenen Mantel, der auf bloßer Haut getragen wurde. Solche Mäntel trugen die ärmeren Athener, die sich die übliche Kleidung, bestehend aus einem Untergewand (χιτών) und einem mantelartigen Obergewand (χλα ῖ να), das ad libitum angelegt wurde, finanziell nicht leisten konnten. Daß Sokrates dieses Kleidungsstück, das auch die athenischen Lakonisten trugen, bevorzugte, bezeugen Platon (Prot. p. 335 d; Symp. p. 219 b) und Xenophon (Mem. 1.6,2) übereinstimmend. Aristophanes allerdings, der Sokrates' ärmlichen Lebensstil so genau nachgezeichnet hat, erwähnt dieses Detail nicht ausdrücklich; aber wenn er Sokrates in den Wolken (Nub. 177-179, 497-500, cf. 856, 1498) gleich zweimal als Manteldieb vorführt, so weist er deutlich genug darauf hin, daß Sokrates auch in betreff der Kleidung Mangel litt, und es ist sehr wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Sokrates bei Aristophanes ebenso im τρίβων auf der Bühne erschien, wie er es bei Ameipsias getan hat. Beiläufig bemerkt: Was bei Sokrates Ausdruck individueller Lebensführung ist, wird später in einigen Philosophenschulen verpflichtender usus. So war der Sokratiker Antisthenes, der aus der Selbstgenügsamkeit der Sokratischen Lebensführung ein ethisches Programm machte, ein notorischer τρίβων-Träger. Wie sehr diese Kleidung bereits als eine Art bewußter Kostümierung, ja Uniformierung empfunden wurde, lehrt die mehrfach überlieferte Anekdote (Aelian. Var. hist. 9.35 = SSR V A 15; Diog. Laert. 2.36 = SSR V A 15), daß Sokrates Antisthenes getadelt habe, weil dieser einen Riß in seinem τρίβων absichtlich zur Schau gestellt habe. Von da an ist der grobe Wollmantel zunächst für den Antisthenesschüler Diogenes und die späteren Kyniker das verbindliche Kleidungsstück; sodann wird er es auch für die Stoiker. Dieser usus hält sich in beiden Philosophenschulen bis in die spätere Kaiserzeit und wirkt fort in der Kleidung der christlichen Anachoreten, deren härenes Gewand eine letzte Erinnerung daran ist, daß Sokrates einmal den τρίβων getragen hat (RE [A 2] 6.2, 2415-2419). Zurück zu den Versen des Ameipsias, die die Interpretation vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Das Metrum, das man immer zuerst ins Auge fassen muß, ist der katalektische anapästische Tetrameter, ein Sprechvers, den die antiken Grammatiker, da er mit Vorliebe von Aristophanes verwendet wurde, auch als uersus Aristophaneus bezeichnen. Aristophanes verwendet dieses Versmaß gerne in der Parabase und im Agon, aber auch in einer Vielzahl anderer szenischer Konstellationen und Konfigurationen, die sich typologischer Einordnung entziehen. Mithin sieht sich die Interpretation des Zitates ganz auf den Wortlaut der Verse angewiesen. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 78 Sokrates, im τρίβων auf der Bühne erscheinend, wird begrüßt, und da diese Begrüßung in der ersten Person Plural erfolgt (̟ρ ὸ ς ἡ µ ᾶ ς), muß eine Mehrzahl von Personen bereits auf der Bühne anwesend sein. Wenn diese Gruppe konstatiert, daß jetzt «auch» Sokrates gekommen sei ( ἥ κεις κα ὶ σύ), so liegt darin, daß vor Sokrates andere auftraten, die von der Gruppe ebenfalls begrüßt worden sein dürften. Wer das war, bleibt vorderhand ebenso im Dunkel wie die Identität der Gruppe und der Zweck ihres Zusammentreffens. Die Begrüßung des Sokrates fällt im übrigen spöttisch genug aus; denn wenn Sokrates «von wenigen Männern der Beste, von vielen aber der Törichteste» ( ἀ νδρ ῶ ν βέλτιστ ᾽ ὀ λίγων, ̟ολλ ῶ ν δ ὲ µαταιότατε) genannt wird, so besagt diese komisch verkomplizierte Redeweise, daß Sokrates als einer der Allertörichtsten gelten muß. Zugleich aber wird in ironischem Lob festgestellt, daß Sokrates «selbstgenügsam» (καρτερικός) sei. Diese Selbstgenügsamkeit, die für jene, die vor Sokrates auf die Bühne kamen, offenbar nicht galt, manifestiert sich im Kostüm, auf das auch die spöttische Frage abzielt, die folgt: «Woher solltest du auch ein Obergewand haben? » (̟όθεν ἄ ν σοι χλα ῖ να γένοιτο; ). Der τρίβων, in dem Sokrates auftrat, ist also ein komisches Zeichen, das auf die notorische Ärmlichkeit der Person hinweisen soll. In demselben Kontext steht auch der folgende (dritte) Vers, der auf Sokrates' nicht minder notorisches Barfußgehen anspielt. Der Übergang von einem Thema zum anderen ist außerordentlich hart und unvermittelt. Daher hat bereits A. Ferrarius (1654, 182 f.) den Verdacht geäußert, der Text sei lückenhaft überliefert. Andere sind dieser Ansicht gefolgt, besonders G. Kaibel (PCG 2 fr. 9 p. 202), der in der Lücke eine Antwort des Sokrates auf die Frage nach dem Obergewand vermutete. Aber der unvermittelte Übergang läßt sich auch — und zwangloser — erklären, wenn man, wie G. Hermann (1830, XXXVI) vorgeschlagen hat, voraussetzt, daß innerhalb der Gruppe Sprecherwechsel stattfand: Nachdem einer von dem ärmlichen Mantel des Sokrates gesprochen hat, verweist nun ein anderer auf Sokrates' fehlendes Schuhwerk. Der neue Sprecher tut dies, indem er auf ein «Übel» (κακόν) hinweist, das, wie das Demonstrativpronomen τουτί anzeigt, auf der Bühne sichtbar gewesen ist. Was dieser Ausdruck besagt, erhellt aus den Worten, mit denen Pisthetairos in den Aristophanischen Vögeln (Au. 931) den Auftritt eines schlechten Poeten in der neugegründeten Vogelstadt kommentiert: τουτ ὶ ̟αρέξει τ ὸ κακ ὸ ν ἡ µ ῖ ν ̟ράγµατα. Wie Aristophanes durch die Worte τουτ ὶ τ ὸ κακόν auf die Person des soeben aufgetretenen Poeten spöttisch hinweist, so verweisen dieselben Worte des Ameipsias, nicht minder spöttisch, auf die Person des soeben aufgetretenen Sokrates. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 79 Das Übel Sokrates, so heißt es weiter, «ist entstanden in Hinblick auf die Verachtung der Schuster» (τ ῶ ν σκυτοτόµων κατ ᾽ ἐ ̟ήρειαν γεγένηται). Indem so die Verachtung der Schuster als Zweck und Inhalt der Sokratischen Existenz bezeichnet wird, verweist die wiederum komisch verkomplizierte Redeweise, die sich spätestens jetzt als Parodie auf die spezifisch philosophische Sprache erweist, spottweise auf das notorische Barfußgehen des Sokrates, das auch Aristophanes (Nub. 103, 363), Platon (Symp. p. 174 a; Phaedr. p. 229 a) und Xenophon (Mem. 1.6,2) erwähnen. Wie der grobe Wollmantel, in dem Sokrates auftrat, so fungiert auch das Barfußgehen, das dem Zuschauer fraglos auch ad oculos demonstriert wurde, als eine poetische Chiffre, die auf den ärmlichen Lebensstil hinweist, den Sokrates pflegte. Auch der folgende (vierte) Vers wechselt so unvermittelt das Thema, daß G. Kaibel (PCG 2 fr. 9 p. 202) auch hier eine Lücke voraussetzen zu müssen glaubte. Aber auch hier empfiehlt sich als einfachere und zwanglosere Lösung, wiederum einen Wechsel des Sprechers anzunehmen. Ob dieser Sprecherwechsel, den zuerst F.V. Fritzsche (1835, 250) erwogen hat, so zu verstehen ist, daß nunmehr eine neue dritte Person zu Worte kam, oder dieselbe Person wieder das Wort ergriff, die auch die beiden ersten Verse gesprochen hatte, muß vorderhand dahingestellt bleiben. Jedenfalls verweist der Sprecher auch hier durch das Demonstrativpronomen ο ὗ τος gleichsam mit dem Finger auf den soeben erschienenen Sokrates, um ihn nunmehr als «Hungerleider» (̟ειν ῶ ν) zu verspotten. Der Vorwurf der Hungerleiderei, den auch Aristophanes (Nub. 175; cf. 416) und Eupolis (PCG 5 fr. 386 = SSR I C 12) erhoben haben, ist die dritte poetische Chiffre, die auf die ärmlichen Lebensumstände hinweisen soll, in denen sich Sokrates befunden hat. Allein, so heißt es weiter, wiewohl ein Hungerleider, hat sich Sokrates doch «noch niemals dazu hergegeben, sich als Schmarotzer zu betätigen» (ο ὐ ̟ώ̟οτ ᾽ ἔ τλη κολακε ῦ σαι). Das ist nun wieder lobend gesagt, so wie vorher lobend gesagt wurde, daß Sokrates selbstgenügsam sei. Auch hier darf man voraussetzen, daß die Ablehnung von Liebedienerei um des Vorteils willen, die für Sokrates kennzeichnend ist, nicht kennzeichnend gewesen ist für diejenigen, die vorher auf die Gruppe der Sprecher trafen. Wie denn die ganze Begrüßungsrede eher gutmütigen Spott als aggressive Schärfe spüren läßt: Sokrates ist ein wunderlicher Bettelmann, aber doch kein schlechter Kerl. Die Interpretation läßt sich vertiefen, wenn man voraussetzt, daß das Sokratesfragment im Konnos des Ameipsias gestanden hat. Diese Hypothese, die zuerst Aeg. Menagius (Huebner 1830, 343) erwogen hat, ist in der Tat höchst plausibel und hat daher zu Recht fast einhellig Zustimmung gefunden. Denn da sowohl Platon (Menex. p. 235 e; Euthyd. p. 272 c & 295 d) wie auch die spätere Sokratesüberlieferung (Cic. Ad fam. 9.22,3; Val. Max. 8.7 ext. 8; Max. Tyr. Diss. 38.4) von einer Verbindung zwischen 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 80 Sokrates und Konnos wissen, so spricht alles dafür, daß das Sokratesfragment in jener Komödie des Ameipsias gestanden hat, die den Namen des Konnos als Titel führte (PCG 2 fr. 7-11). Dies als wahrscheinlich vorausgesetzt, läßt sich das Sokratesfragment zunächst datieren. Die Hypothesis A 6 der Wolken (PCG 3.2 test. i p. 214) überliefert, daß der Konnos des Ameipsias unter dem Archontat des Isarchos (also im Jahre 423) hinter der Pytine des Kratinos und vor den Wolken des Aristophanes den zweiten Preis errang. In Übereinstimmung hiermit berichtet Athenaios (5 p. 218 c = PCG 2 test. ii p. 200), daß der Konnos des Ameipsias zwei Jahre früher aufgeführt worden sei als die Kolakes des Eupolis, die in das Archontat des Alkaios (also in das Jahr 421) zu datieren sind. Derselbe Athenaios notiert in demselben Zusammenhang, daß Protagoras in den Kolakes auf der Bühne erscheine, während er im Konnos im Chor der Denker nicht aufgezählt werde: Ἀ µειψίας δ ᾽ἐ ν τ ῶ ι Κόννωι (corr. Casaubonus; κοιν ῶ ι cod.) [...] ο ὐ καταριθµε ῖ α ὐ τ ὸ ν (sc. Protagoram) ἐ ν τ ῶ ι τ ῶ ν φροντιστ ῶ ν χορ ῶ ι. Diese literarhistorische Notiz, die Athenaios der antisokratischen Streitschrift Πρ ὸ ς τ ὸ ν Φιλοσωκράτην des Kratesschülers Herodikos aus Babylon (fr. 2 p. 23 Düring) entnommen hat, gewährt einen erwünschten Einblick in die poetische Behandlung des Chores. Wenn Herodikos meldet, der Chor des Konnos habe aus φροντισταί bestanden, so zitiert er einen originalen Ausdruck des Ameipsias. Denn das Substantiv φροντιστής ist ein Neologismus, der in der älteren Sprache ausschließlich in der Komödie (Aristoph. Nub. 266, 414, 456, 1039; cf. 101) oder in Hinblick auf die Komödie (Plat. Apol. p. 18 b; Xen. Mem. 4.7,6, Symp. 6.6 & 7.2) Verwendung findet, um den Denker scherzhaft als «Grübler» zu bezeichnen, insofern der Aspekt des sorgenden Bedachtseins, der dem Verbum φροντίζειν und seinen Derivaten eignet, auf den Denkenden schlechthin übertragen wird. Wenn Herodikos des weiteren berichtet, daß Ameipsias im Chore der «Grübler» Protagoras nicht aufgezählt habe, so liegt darin, daß die anderen Mitglieder des Chores namentlich genannt wurden; denn anders hätte Herodikos das Fehlen des Protagoras nicht als auffällig notieren können. Der Chor des Konnos bestand demnach aus vierundzwanzig namentlich genannten und also auch individuell charakterisierten Personen, die sich, da irgendwie um das Geistige bemüht, spottweise als «Grübler» zusammenfassen ließen. B.B. Rogers (1916, XXXV) empfand diese Vorstellung als so abweichend vom poetischen usus der Alten Komödie, daß er vorschlug, das Wort χορός bei Herodikos nicht als theatralischen terminus technicus zu verstehen, sondern übertragen im Sinne von «Gruppe», «Kollektiv» oder «Zirkel» (cf. Plat. Prot. p. 315 b, Theaet. p. 173 b). 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 81 Aber in einem theatergeschichtlichen Kontext einen theaterwissenschaftlichen Fachbegriff übertragen aufzufassen, ist mißlich; und der Sachverhalt selbst ist auch so unerhört nicht, daß er ein solches übertragenes Wortverständnis zwingend voraussetzte: Aristophanes hat in den Vögeln einen Chor individuell gekennzeichneter Vögel auftreten lassen, Eupolis in den Poleis einen Chor ebenso individuell gekennzeichneter Städte, und für eine gar nicht so geringe Anzahl anderer verlorener Komödien läßt sich die Existenz eines solchen Individualchores erschließen (Wilson 1977, 278 & 283). Aristophanes (Au. 260-304) und Eupolis (PCG 5 fr. 245-247) lassen auch erkennen, wie der Auftritt eines solchen Chores poetisch ins Werk gesetzt wurde: Ein kundiger Schauspieler beschreibt einem unkundigen Schauspieler (und damit zugleich auch dem Publikum), welche Person durch welches individuelle Kostüm jeweils dargestellt wird. Aristophanes zählt auf diese Weise exakt vierundzwanzig verschiedene Vogelgestalten auf, und bei Eupolis kann es nicht anders gewesen sein, auch wenn die fragmentarische Überlieferung nur noch die Aufzählung dreier verschiedener Städte aufbewahrt hat. Eben diese Art der poetischen Präsentation eines Individualchores hat offenbar auch Herodikos im Auge, wenn er sagt, Ameipsias habe Protagoras im Chor der Grübler nicht «aufgezählt» (καταριθµε ῖ ): So konnte nur reden, wer eine namentliche Nennung aller Mitglieder des Grüblerchores vor Augen hatte. Eine solche Aufzählung von vierundzwanzig Individuen stellte denn auch durchaus keine unüberwindliche Schwierigkeit dar, wenn Ameipsias — und das ist wahrscheinlich — den Begriff φροντιστής nicht auf die eigentlichen Philosophen beschränkte, sondern so weit faßte, wie die Komödie den sinnverwandten Begriff σοφιστής gefaßt hat: Der Komiker Platon (PCG 7 fr. 149) nennt so den opuntischen Auleten Bakchylides; Phrynichos (PCG 7 fr. 74) den Musiker Lampros; Eupolis (PCG 5 fr. 483) verwendet den Begriff für die Rhapsoden und Kratinos (PCG 4 fr. 2) für die Dichter insgesamt. Dies alles recht erwogen, muß die Frage nach der szenischen Einordnung des Sokratesfragments noch einmal gestellt werden. Einigkeit besteht in der Forschung darin, daß es der Chor der «Grübler» gewesen sei, der Sokrates spöttisch begrüßt habe. Strittig ist dagegen die Rolle des Sokrates: G. Kaibel (PCG 2 fr. 9 p. 202; cf. FCG 2.1 fr. 1 p. 703) war der Ansicht, Sokrates sei als Schauspieler aufgetreten; A.M. Wilson (1977, 282f.; cf. FAC 1 fr. 9 p. 480 sq.) betrachtet Sokrates als ein Mitglied des Grüblerchores. Keine der beiden Alternativen findet jedoch in der poetischen Praxis der Alten Komödie eine Stütze: Daß einzelne Mitglieder des Chores in Wechselrede einen Schauspieler oder gar einen der Ihren ansprechen, ist jedenfalls in der Aristophanischen Komödie ohne Beispiel. Dergleichen poetische Innovationen für Ameipsias vorauszusetzen wird man sich um 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 82 so mehr hüten, als der Interpretation zwei andere Alternativen offenstehen, die dem usus der Aristophanischen Poetik entsprechen: daß Sokrates ein Mitglied des Chores gewesen sei und von Schauspielern begrüßt wurde oder daß Sokrates als Schauspieler auftrat und von Schauspielern begrüßt wurde. Beide Alternativen bedürfen gesonderter Betrachtung. Gesetzt, Sokrates wäre ein Mitglied des Chores gewesen und von Schauspielern (deren Identität vorderhand noch ungeklärt bleiben muß) begrüßt worden, so entspräche diese Szene exakt den oben erwähnten Szenen der Vögel und der Poleis, in denen Schauspieler einander und also auch dem Publikum die unterschiedlichen Individuen vorstellen, aus denen der Chor zusammengesetzt ist. So wie dort die einzelnen Vogelarten und die einzelnen Städte charakterisierend «aufgezählt» wurden, so wären hier die einzelnen «Grübler» aufgezählt worden, wobei Sokrates gegenüber denen, die vor ihm und wahrscheinlich auch nach ihm erschienen, als besonders ärmlich und selbstgenügsam hervorgehoben worden wäre. Und auch, daß Sokrates schweigt, ließe sich erklären; denn als einzelnes Mitglied des Chores muß er nach den Gesetzen der komischen Poetik stumm bleiben. So plausibel dieses Szenario auf den ersten Blick erscheint, so gibt es doch gewichtige Gründe, die für die andere Alternative sprechen: daß Sokrates als Schauspieler von Schauspielern begrüßt wurde. Das Verbum ̟αράγειν, das Diogenes Laertius für den Auftritt des Sokrates verwendet, bezeichnet als theatralischer terminus technicus ausnahmslos das Auftreten (in der Regel das erste Auftreten) eines Schauspielers (cf. Aristot. EE 3 p. 1230 b 19; weitere Belege FCG 1 p. 536). Daß dieses Wortverständnis auch für Diogenes vorauszusetzen ist, ist eo ipso wahrscheinlich und wird überdies durch die Sokratesüberlieferung bestätigt, die, recht betrachtet, kaum einen Zweifel daran läßt, daß Sokrates im Konnos des Ameipsias als Schauspieler auf der Bühne erschienen ist. Der Platonische Sokrates erklärt im Menexenos (p. 235 e), er habe zwei Lehrer: Aspasia unterweise ihn in der Rhetorik, Konnos, der Sohn des Metrobios, in der Musik; demnach sei es kein Wunder, wenn er trefflich reden könne; aber selbst, wer schlechtere Lehrer habe als diese, etwa Lampros in der Musik oder Antiphon in der Rhetorik, der könne leicht die Athener vor den Athenern loben. Um die Ironie dieser Stelle zu verstehen, muß man wissen, was Platon beim zeitgenössischen Leser als selbstverständlich voraussetzen durfte: daß Lampros (RE 12.1, 587 [Nr. 2]) und Antiphon (PA 1304; RE 1.2, 2527- 2529 [14]; PoP p. 32-34) die größten musikalischen bzw. rhetorischen Kapazitäten ihrer Zeit gewesen sind. Dies in Betracht gezogen, erweist sich das Lob, das Sokrates Konnos und Aspasia zollt, als eine ironische Verkehrung der Realität: Weder ist Aspasia eine professionelle Lehrerin der Rhetorik, noch taugt Konnos besonders viel als Lehrer der Musik. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 83 Letzteres wird bestätigt durch das, was die antike Gelehrsamkeit über Konnos zu berichten weiß: daß er ein stimmloser Kitharode gewesen sei, der billig zu haben war, da er, nachdem er sein väterliches Erbe verschleudert hatte, in Armut geraten sei; daß das Sprichwort Κόννου ψ ῆ φος (dessen Herkunft man bereits in der Antike nicht mehr kannte) verwendet wurde, um anzuzeigen, daß etwas wertlos sei; daß das Adjektiv «konnossinnig» (κοννόφρων) als Synonym galt für «unsinnig» ( ἄ φρων) (Sommerstein 1983, 488 f.) Bei einem solchen Lehrer also geht Sokrates in die Schule, um Musik zu lernen. Wie sich der Unterricht hier gestaltete, berichtet der Platonische Euthydem (p. 272 c): Sokrates wird «auch jetzt noch» ( ἔ τι κα ὶ ν ῦ ν) von Konnos im Kitharaspielen unterrichtet; weswegen ihn seine Mitschüler, alle im Knabenalter, verspotten und den Konnos einen «Greisenlehrer» (γεροντοδιδάσκαλος) nennen. Und später heißt es (p. 295 d), Sokrates sei im Unterricht immer folgsam; denn andernfalls werde Konnos böse und schenke ihm, da er «ungelehrig» ( ἀ µαθής) sei, keine Beachtung mehr. Woher hat Platon diese Informationen? Wenn er sie nicht erfunden hat (aber dazu sind sie zu präzise) und wenn er nicht aus eigener Anschauung schöpft (aber dazu liegt das Ereignis zu weit zurück), so verdankt er sie einer literarischen Quelle: Er zitiert ironisch den Konnos des Ameipsias. Und in der Tat: Sokrates, der, höchst untalentiert und begriffsstutzig, auch in höherem Alter noch zum Unterricht im Kitharaspielen gehen muß und deswegen von seinen jüngeren Mitschülern samt dem offenbar ebenfalls unfähigen Lehrer verspottet wird und im Unterricht ängstlich bemüht ist, Gehorsam zu zeigen, um beim Lehrer nicht wegen Lernunfähigkeit in Mißkredit zu geraten — das ist ja, recht betrachtet, eine veritable Komödienszene, die spiegelbildlich jener Szene in den Aristophanischen Wolken (Nub. 627-803) entspricht, in der Sokrates Strepsiades Unterricht erteilt: Wie Sokrates bei Aristophanes als komischer Lehrer seine krausen philosophischen Unterrichtskünste erfolglos an einem komischen Alten erprobt, so erprobte bei Ameipsias offenbar Konnos als komischer Lehrer seine nicht minder seltsamen Unterrichtskünste ebenso erfolglos an dem alten Sokrates, dessen komische Lernunfähigkeit in musicis nicht geringer gewesen sein dürfte als die Lernunfähigkeit des Strepsiades in philosophicis, die schließlich den Abbruch des Unterrichts erzwingt. So spricht alles dafür, daß Sokrates bei Ameipsias als Schauspieler aufgetreten ist; und die, die Sokrates bei seinem ersten Auftreten mit gutmütigem Spott begrüßten, dürften jene Knaben gewesen sein, mit denen zusammen der Alte lächerlicherweise zu Konnos in die Schule ging, um sich im Kitharaspielen unterweisen zu lassen — Schauspieler auch sie, wenn anders der Chor aus «Grüblern» zusammengesetzt gewesen ist. Dieses Szenario hindert im übrigen nicht, daß Sokrates seinerseits ebenfalls als «Grübler» gekennzeichnet wurde: Wie der Wiedehopf in den 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 84 Vögeln des Aristophanes (Au. 260-326) als Schauspieler dem Chor der Vögel gegenübersteht, in dem sich sogar noch einmal ein Wiedehopf befindet (Au. 279-86), so konnte auch der «Grübler» Sokrates ohne weiteres einem Chor von «Grüblern» gegenübertreten. Daß dies der Fall gewesen ist, würde man auch dann als wahrscheinlich voraussetzen dürfen, wenn Aristophanes in den Wolken (Nub. 266; cf. 101, 414) den komischen Neologismus φροντιστής nicht ausdrücklich auch auf Sokrates angewandt hätte. Abschließend ein Blick auf die spätere Sokratesüberlieferung. Cicero (Ad fam. 9.22,3 = SSR I C 114), Maximus Tyrius (Diss. 38.4 = SSR I C 117) und der 14. Sokratikerbrief (2) wissen über das Verhältnis zwischen Sokrates und Konnos nicht mehr zu berichten, als bei Platon berichtet wird. Anders Stobaios (2.29,68 = SSR I C 279), der folgende Anekdote überliefert: ⟨ Σωκράτης ⟩ ἐ ν γήραι κιθαρίζων ̟αρ ὰ Κόννωι τ ῶ ι κιθαρωιδ ῶ ι καί τινος ε ἰ ̟όντος— κιθαρίζεις τηλικο ῦ τος ὤ ν; κρε ῖ ττον ε ἶ ̟εν ὀ ψιµαθ ῆ ε ἶ ναι ἢ ἀ µαθ ῆ . Eine genauere Version dieser Anekdote, die schon Valerius Maximus (8.7 ext. 8 = SSR I C 114) gekannt hat, gibt die Suda (s. u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2 p. 223): ἐ µάνθανε δ ὲ κα ὶ κιθαρίζειν ̟αρ ὰ Κόννωι γέρων ἤ δη ὤ ν— σκωφθε ὶ ς δ ὲ ὑ ̟ ὸ Σόλωνος ὀ ψιµαθ ὴ ς ε ἶ ̟ε µ ᾶ λλον ἢ ἀ µαθής. Ein verblüffendes Testimonium. Denn jener Solon, der Sokrates verspottet, kann, wie die Dinge liegen, kein anderer gewesen sein als der berühmte athenische Gesetzgeber. Jedenfalls sind jene beiden Σόλωνες (PA 12804 & 12807), die wir aus Grabinschriften des späteren fünften Jahrhunderts kennen, viel zu obskur, als daß wir sie mit Sokrates in Verbindung bringen könnten. Wer aber erweckte den großen Solon von den Toten, so daß er Sokrates verspotten konnte, weil der noch im Alter zu Konnos in die Schule gehe, um das Kitharaspielen zu lernen? Kein anderer doch als Ameipsias, der im Konnos offenbar von dem genuinen Recht der Komödie Gebrauch machte, Tote wieder zu poetischem Leben auf der Bühne zu erwecken. War dem so, so muß auch Solon als Schauspieler aufgetreten sein; denn anders hätte er Sokrates nicht expressis uerbis verspotten können. Daß Ameipsias außer Solon noch andere Weise der alten Zeit auf die Bühne zitierte und diese alten Weisen als σοφοί dem neumodischen Denkertyp des φροντιστής gegenüberstellte, wie ihn sowohl Sokrates wie auch der Chor verkörperte, würde man gerne vermuten. Aber die Kargheit der Überlieferung verbietet diese und alle weiteren Spekulationen. 6. Eupolis Daß Eupolis, ähnlich wie Aristophanes, Sokrates auf die Bühne gebracht hat, um ihn dem Spott der Menge auszusetzen, bezeugt der Lukianische 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 85 Diogenes (Pisc. 25 = SSR I A 21), wenn er die Athener in der Rückschau folgendermaßen tadelt: [...] κα ὶ ̟άλιν ἔ χαιρον Ἀ ριστοφάνει κα ὶ Ε ὐ ̟όλιδι Σωκράτη τουτον ὶ ἐ ̟ ὶ χλεύηι ̟αράγουσιν ἐ ̟ ὶ τ ὴ ν σκην ὴ ν κα ὶ κωµωιδο ῦ σιν ἀ λλοκότους τιν ὰ ς ̟ερ ὶ α ὐ το ῦ κωµωιδίας. Einschränkend und ergänzend hierzu notieren die Scholien zu Vers 96 der Aristophanischen Wolken (p. 31 Holwerda = SSR I A 22): Ε ὔ ̟ολις, ε ἰ κα ὶ δι ᾽ ὀ λίγων ἐ µνήσθη Σωκράτους, µ ᾶ λλον ἢ Ἀ ριστοφάνης ἐ ν ὅ λαις τα ῖ ς Νεφέλαις α ὐ το ῦ καθήψατο. Die beiden Testimonien lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß Eupolis Sokrates zwar auf der Bühne auftreten ließ, aber nur in kurzen Szenen, nicht als Hauptfigur, wie es Aristophanes getan hat; wo Sokrates auftrat oder erwähnt wurde, war dagegen der Eupolideische Spott schärfer als der Aristophanische. Beide Behauptungen werden durch die überlieferten Fragmente auf das wünschenswerteste bestätigt. Die Scholien zu Vers 96 der Wolken (p. 259 Holwerda) führen ein Beispiel an, das die Schärfe des Eupolideischen Spottes über Sokrates illustrieren soll: ο ὐ δ ὲ ν δ ὲ χε ῖ ρον ὑ ̟οµνησθ ῆ ναι τ ῶ ν Ευ̟όλιδος— δεξάµενος δ ὲ Σωκράτης τ ὴ ν ἐ ̟ίδειξιν Στησιχόρου ο ἰ νοχόην ἔ κλεψεν. Will man diesen Text richtig beurteilen, so muß man hinzuziehen, was die Scholien zu Vers 179 der Wolken (p. 49 Holwerda) überliefern: ὅ µοιον το ῦ το (sc. Socratem pallium furatum esse) τ ῶ ι ὑ ̟ ὸ Ε ὐ ̟όλιδος ῥ ηθέντι ̟ερ ὶ Σωκράτους— Στησιχόρου ̟ρ ὸ ς τ ὴ ν λύραν ο ἰ νοχόην ἔ κλεψεν. Vergleicht man diese beiden Zitate, so zeigt sich, daß Schol. Nub. 179 nur die zweite Hälfte jenes Textes bietet, den Schol. Nub. 96 überliefert. Gleichwohl ist der Teiltext ausführlicher als das Gesamtzitat, insofern sich dort der präpositionale Ausdruck ̟ρ ὸ ς τ ὴ ν λύραν findet, der hier fehlt. Daß diese Ergänzung zum originalen Text des Eupolis gehört, ist nicht wohl zu bezweifeln und wird durch das Metrum bestätigt: Der Text, den Schol. Nub. 179 überliefert, bildet einen regelrecht gebauten katalektischen choriambischen Tetrameter oder uersus Priapeus. Daraus folgt, daß der vorausgehende Vers, den allein Schol. Nub. 96 bietet, nicht einwandfrei überliefert sein kann. Denn dieser Vers ist kein korrekt gebildeter Priapeus, sondern verkürzt den abschließenden Baccheus um die beiden letzten (langen) Silben. Diese metrisch indizierte Lücke, die zuerst G. Hermann (1830, XXVI) konstatierte, hat zur Folge, daß der Text auch grammatisch unverständlich ist, insofern sich die präpositionale Ergänzung ̟ρ ὸ ς τ ὴ ν λύραν als Adverbiale sinnvoll weder auf das Prädikat ἔ κλεψεν im zweiten noch auch auf das Partizip δεξάµενος im ersten Vers beziehen läßt. Beide Anstöße, der metrische wie der grammatische, fallen dahin, wenn man eine Emendation akzeptiert, die seinerzeit A. Meineke (FCG 2.1 fr. 9 p. 552) vorgeschlagen hat: daß am Ende des ersten Verses das Partizip ἄ ιδων in den Text einzufügen sei. Diese Textergänzung gewährleistet, anders als die pronominale Ergänzung α ὐ το ῦ , die Th. Bergk (1838, 353), und anders auch als die substantivische Ergänzung ὠ ιδ ῆ ς, die J. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 86 Toeppel (1846, 66) vorgeschlagen hat, eine grammatisch sinnvolle Konstruktion des Präpositionalausdruckes; denn die Junktur ἄ ιδειν ̟ρ ὸ ς λύραν ist der terminus technicus für den monodischen Vortrag eines Liedes, das von der Lyra begleitet wird (cf.. Arist. Probl. 19 p. 918 a 23 & 922 a 2). Des weiteren gewährleistet das Partizip ἄ ιδων auch, anders als die partizipialen Ergänzungen ἐ κ̟ιών bzw. ἄ ιξας, die F.V. Fritzsche (1835, 219; cf. FAC 1 fr. 361) bzw. J.M. Edmonds (FAC 1 fr. 361 p. 434 sq.) vorgeschlagen haben, das rechte Verständnis des Genitivs Στησιχόρου. Der (defekte) Text des Schol. Nub. 96 suggeriert, daß dieser Genitiv als Attribut des Akkusativobjektes τ ὴ ν ἐ ̟ίδειξιν aufzufassen sei — eine Auffassung, die grammatisch zwar möglich ist, jedoch (hiervon sogleich) erhebliche inhaltliche und auch textuale Probleme aufwirft. Anders, wenn der Genitiv vom Partizip ἄ ιδων abhängig gedacht wird. W.S. Teuffel (1887, 69) glaubte, ein solches Abhängigkeitsverhältnis sei nicht anders herzustellen, als daß nach dem Namen des Stesichoros im zweiten Vers als Objekt des Partizips das Pronomen τι eingefügt, und (um das Metrum zu gewährleisten) der Artikel des Präpositionalausdrukkes getilgt würde. Daß eine solche Emendation unnötig ist, lehrt ein Blick auf eine Stelle der Aristophanischen Wespen (268 sq.), wo der Chor folgendes über Bdelykleon äußert: [...] ἀ λλ ὰ ̟ρ ῶ τος ἡ µ ῶ ν ἡ γε ῖ τ ᾽ ἂ ν ἄ ιδων Φρυνίχου. Aus dieser Stelle erhellt, daß man, wenn man sagen wollte, man singe das Lied eines Dichters, das Objekt (µέλος oder ἆ ισµα) als selbstverständlich wegließ und den verkürzten Ausdruck ἄ ιδειν ̟οιητο ῦ τινος wählte. Ebendieser Sprachgebrauch ist auch für das Fragment des Eupolis vorauszusetzen. Es bleibt noch ein lexikalischer Anstoß im ersten Vers zu konstatieren. Der Text von Schol. Nub. 96 läßt von dem Partizip δεξάµενος als Akkusativobjekt das Substantiv ἐ ̟ίδειξιν abhängen. Dieses Substantiv bezeichnet, gleichviel, ob konkret oder übertragen gebraucht, jeden Vorgang, in dem ein Sachverhalt vorgezeigt, zur Schau gestellt oder aufgewiesen wird; als Fachterminus bezeichnet das Substantiv wie sein lateinisches Äquivalent demonstratio namentlich die rhetorische Darlegung eines Sachverhaltes (cf. Thuc. 3.42,3; Plat. Gorg. p. 447 c, Crat. p. 384 b; Isocr. 4.17 & 5.17; Dem. 18.280). Diese Wortbedeutung, die mit Vorliebe durch absoluten Wortgebrauch annonciert wird, paßt nicht für den Text des Eupolis. Denn was Sokrates «aufgenommen» hat, um es durch ein Lied des Stesichoros fortzusetzen, kann unmöglich eine rhetorische Epideixis gewesen sein, sondern war der lyrische Vortrag eines poetischen Textes, wie er besonders beim Symposion gebräuchlich gewesen ist. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 87 Dieser lexikalische Anstoß gewinnt an Bedeutung, wenn man die Sekundärüberlieferung näher ins Auge faßt. Hesych (Lex. τ 796) überliefert folgende Notiz: τ ὴ ν ἐ ̟ιδειξι ᾶ · τ ὸ ̟εριέφερον ἐ ν το ῖ ς συµ̟οσίοις ἐ ̟ ὶ δεξι ὰ τ ὸ ̟άλαι κιθάραν, ε ἶ τα µυρρίνην, ̟ρ ὸ ς ἣ ν ἦ ιδον. M. Musurus (Schmidt 1867, 4, 153) hat das fraglos korrupt überlieferte Lemma wie folgt geändert: τ ὴ ν ἐ ̟ιδεξιάν; R. Reitzenstein (1893, 31 adn. 1) erwog die Emendation τ ὴ ν ἐ ̟ιδέξια; das Richtige hat G. Kaibel (PCG 5 fr. 395 p. 516) gesehen, wenn er die Lesart τ ὴ ν ἐ ̟ιδέξι ᾽ ἄ ιδων vorschlägt. In der Tat läßt sich paläographisch unschwer erklären, wie die Buchstabenfolge ε̟ιδεξιαιδων in ε̟ιδεξιατο verschrieben werden konnte: Man mußte nur die Elision verkennen und den Buchstaben α — naheliegenderweise — als Schlußbuchstaben des Adverbs auffassen, und um das Verständnis des Partizips und also des ganzen Ausdrucks war es geschehen. Daß tatsächlich ein solches Mißverständnis vorliegt, beweist die Erklärung des Lemmas, insofern sie den Zusatz ̟ρ ὸ ς ἣ ν ἦ ιδον aufweist; denn dieser Zusatz wäre überflüssig gewesen, wenn im Lemma nicht das Partizip ἄ ιδων gestanden hätte. Sind diese Überlegungen richtig, so ist das Lemma des Hesych nichts anderes als ein Zitat jenes Eupolisverses, den auch die Aristophanesscholien zu Nub. 96 zitieren. Dies erkannt, wird nicht nur die partizipiale Ergänzung ἄ ιδων, die A. Meineke (FCG 2.1 fr. 9 p. 552) vorgeschlagen hatte, ohne auf Hesych zu rekurrieren, glänzend bestätigt, sondern wir sind auch berechtigt, ja, gemäß der Regel in dubio lectio difficilior, sogar verpflichtet, der lexikalisch ohnedies problematischen Lesart der Scholien ( ἐ ̟ίδεξιν) die für Hesych textkritisch zu erschließende anspruchsvollere Lesart ( ἐ ̟ιδέξι ᾽ ) vorzuziehen. Alles recht erwogen, ist der Text des Eupolisfragmemes folgendermaßen zu restituieren: δεξάµενος δ ὲ Σωκράτης τ ὴ ν ἐ ̟ιδέξι ᾽ ἄ ιδων Στησιχόρου ̟ρ ὸ ς τ ὴ ν λύραν ο ἰ νοχόην ἔ κλεψεν. Daß diese Restitution des Textes, für die zuerst C.G. Cobet (1858, 105) plädiert hat, und die jetzt auch in die neue Ausgabe der Komikerfragmente (PCG 5 fr. 395) Eingang gefunden hat, richtig ist, beweist nicht zuletzt auch die klare grammatische Struktur der Verse, die sich darin ausdrückt, daß jeder Verbalbegriff ein eigenes Objekt regiert: Das Partizip δεξάµενος regiert das Objekt τ ὴ ν ἐ ̟ιδέξι(α), das Partizip ἄ ιδων das (defekte) Objekt Στησιχόρου, das noch durch das Adverbiale ̟ρ ὸ ς τ ὴ ν λύραν ergänzt wird; das Prädikat ἔ κλεψεν regiert schließlich das Objekt ο ἰ νοχόην. Nicht minder klar als die grammatische Struktur ist der inhaltliche Sinn der Verse, wenn man in den Betracht zieht, daß es eine sympotische Situation ist, in die der Dichter Sokrates hier versetzt hat. Man ließ beim Symposion den Becher mit Vorliebe rechtsherum ( ἐ ̟ ὶ δεξιά) kreisen (Crit. VS 88 B 1, 6, 33; Plat. Symp. p. 214 b, 222 e, 223 c, Resp. 4 p. 420 e; 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 88 Anaxandrid. PCG 2 fr. 1). Nach diesem usus hieß der Becher selbst auch ἡ ἐ ̟ιδέξια — ein sympotischer Fachterminus, den Eupolis (PCG 5 fr. 354) auch an anderer Stelle noch einmal verwendet hat (vgl. außerdem Martin 1931; Murray 1990; Murray & Tecusan 1995). War mit der Darreichung des Bechers die Verpflichtung verknüpft, sich gesanglich hören zu lassen, so nannte man den Becher auch ὠ ιδός (Antiph. PCG 2 fr. 85); das Singen zum Becher hieß ἐ ̟ ὶ τ ῆ ι κύλικι ἄ ιδειν (Plat. Symp. p. 214 b). Ebendies geschieht hier. Denn, nachdem Sokrates den rechtsherum kreisenden Becher in Empfang genommen und (wie man unbedenklich ergänzen darf) getrunken hat, stimmt er einen Gesang an; genauer: Er singt zur Lyra ein Lied des Stesichoros. Daß die Wahl des Dichters besonders originell gewesen wäre, läßt sich nicht behaupten. Stesichoros war, wiewohl ursprünglich Chorlyriker, längst auch für den monodischen Vortrag beim Symposion vereinnahmt worden — so sehr, daß man, wenn man einen besonders ungebildeten Menschen charakterisieren wollte, sprichwörtlich sagte: ο ὐ δ ὲ τρία τ ῶ ν Στησιχόρου γινώσκεις (Crusius 1888, 1-22). Diesen Dichter immerhin beherrscht Sokrates, und er beherrscht auch, was zum Vortrag dieses Dichters unabdingbar ist: das akkompagnierende Spiel auf der Lyra. In beidem erweist sich Sokrates als ein Vertreter der alten musischen ἀ γωγή, die während des Archidamischen Krieges immer mehr aus der Mode kam, insofern man den klassischen älteren Lyrikern moderne Dichter vorzog und deren Poesie auch nicht mehr zur Lyra sang, sondern «zum Myrtenzweig» ( ἐ ̟ ὶ µυρρίνης) rezitierte (Aristoph. Nub. 1353-1378; Eupol. PCG 5 fr. 148 & fr. 398; Hesych. Lex. τ 796). Ganz ähnlich wie Eupolis weiß im übrigen auch Ammianus Marcellinus (Res gest. 28.4,15) von einer Vorliebe des Sokrates für Stesichoros: destinatum poenae Socratem coniectumque in carcerem rogasse quendam scite lyrici carmen Stesichori modulantem, ut doceretur id agere, dum liceret. Diese wenig beachtete Geschichte ist viel zu merkwürdig, als daß Ammian sie erfunden haben könnte; er zitiert vielmehr (worauf hier nicht näher eingegangen werden kann) einen altsokratischen Dialog, in dem Sokrates' letzte Tage und sein Tod anders dargestellt wurden, als es im Platonischen Kriton und im Phaidon der Fall ist (Rossetti 1975). Die Geschichte, daß Sokrates noch im Gefängnis ein Lied des Stesichoros habe lernen wollen, ist offenbar eine Parallel- und Konkurrenzgeschichte zu jener Geschichte des Platonischen Phaidon (p. 60 c-61 c), in der erzählt wird, daß Sokrates, durch einen Traum gemahnt, im Gefängnis Äsopische Fabeln und ein Prooimion auf Apollon gedichtet habe. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß jener unbekannte Sokratiker, der von Sokrates und Stesichoros erzählte, als er die Geschichte erfand, sich daran erinnerte, daß Sokrates schon bei Eupolis ein Lied des Stesichoros singt. Wie denn die Komödie gar nicht selten den Anstoß gegeben hat für literarische Erfindungen der Sokratiker. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 89 Nach Trank und Gesang tut der Eupolideische Sokrates ein Drittes, das nun gar nicht dem sympotischen Komment entspricht und also die eigentliche Pointe der Verse ausmacht: Er stiehlt den «Weingießer» (ο ἰ νοχόη), jenes Gefäß also, vermittels dessen der Wein aus dem großen «Mischkrug» (κρατήρ) in die «Trinkschale» (κύλιξ) dekantiert wurde. Dieses Geschäft besorgte in der Regel ein junger Sklave (̟α ῖ ς) (Crit. VS 88 B 1 & 33; Plat. Symp. p. 214 a). Dieser usus ist hier jedoch nicht vorauszusetzen; denn man sieht nicht, wie Sokrates den Diebstahl der Weinkanne hätte bewerkstelligen können, wenn es ein Sklave war, der einschenkte. Vielmehr war die Sache offenbar die, daß Sokrates nach seiner musikalischen Darbietung seinem Nachbarn zur Rechten die Schale weiterreichte und das Ein- oder Nachschenken selbst besorgte. So (und nur so) war es ihm ein Leichtes, das Dekantiergefäß heimlich verschwinden zu lassen. Daß Sokrates hier als Dieb erscheint, ist im übrigen nichts anderes als eine komische Chiffre für seine Armut: Wer arm ist, der ist auch ein Dieb — so schließt die eigentümliche Logik der Komödie, der auch Aristophanes folgt, wenn er Sokrates in den Wolken (Nub. 177-179, 497-500, 856, 1498) gleich mehrfach als Manteldieb darstellt. Die Kernstelle (Nub. 177- 179), derentwegen die Aristophanesscholien die Eupolisverse zitieren, lautet folgendermaßen: κατ ὰ τ ῆ ς τρα̟έζης κατα̟άσας λε̟τ ὴ ν τέφραν κάµψας ὀ βελίσκον ε ἶ τα διαβήτην λαβ ὼ ν ἐ κ τ ῆ ς ̟αλαίστρας θο ἰ µάτιον ὑ φείλετο. Die Scholien taten sehr recht, diese beiden Stellen miteinander zu vergleichen; denn nicht nur der grammatische Duktus, sondern auch die Pointe ist bei Aristophanes und Eupolis dieselbe, insofern Sokrates jedesmal eine Probe seiner (mathematischen bzw. musischen) Bildung vorführt, um einen Diebstahl zu bewerkstelligen. Erscheint Sokrates bei Aristophanes aber als listig, so ist er bei Eupolis entschieden dumm. Denn der Diebstahl der ο ἰ νοχόη , die die Scholien zu Nub. 96 (p. 259 Holwerda) zu Recht als das «am meisten in die Augen fallende Gefäß» (τ ὸ ἐ ν φανερ ῶ ι µάλιστα σκε ῦ ος) bezeichnen, mußte ja alsbald ans Licht kommen, spätestens dann, wenn der nächste Gast, nachdem er getrunken und sein Lied beendet hatte, nunmehr seinem Nachbarn zur Rechten Wein einschenken wollte. So bestätigt sich, was die Scholien zu Nub. 96 (p. 31 Holwerda) behaupten: daß der Spott des Eupolis über Sokrates schärfer gewesen sei als der des Aristophanes (µ ᾶ λλον ἢ Ἀ ριστοφάνης [...] α ὐ το ῦ καθήψατο). Zugleich läßt sich vermuten, daß die schärfer und pointierter formulierten Spottverse des Eupolis später verfaßt worden sind als die entsprechenden Verse des Aristophanes, denen sie nach Form und Inhalt so sehr gleichen. Die Scholien zu Nub. 96 (p. 259 Holwerda) sind der Ansicht, daß man, was Eupolis beschreibt, auch auf der Bühne habe sehen können: ο ἷ ον [δ ᾽ ] 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 90 ἦ ν ὁ ρ ᾶ ν τ ὸ ν φιλόσοφον τ ὸ ἐ ν φανερ ῶ ι µάλιστα σκε ῦ ος κατακείµενον κλέ̟τοντα κα ὶ ὑ φαιρούµενον. Hier irrt die antike Gelehrsamkeit. Denn da das Prädikat der Eupolisverse ( ἔ κλεψεν) im Präteritum steht, so kann jener Vorgang, den sie beschreiben, nicht dramatisch auf der Bühne zu sehen gewesen sein; vielmehr handelt es sich um die Erzählung eines Vorganges, den der Sprecher früher gesehen oder gehört hat und nun einem Mitspieler oder auch dem Publikum zur Kenntnis bringt. Wer der Sprecher war und zu wem er in welcher Situation sprach, läßt sich näher bestimmen, wenn man in den Betracht zieht, welchem Stück die Sokratesverse des Eupolis angehört haben können. Th. Bergk (1838, 352 f.) hat als erster die Vermutung geäußert, daß die Verse über Sokrates aus den Κόλακες des Eupolis stammten. Diese Vermutung ist so plausibel, daß ihr seitdem ernsthaft nicht widersprochen worden ist. In der Tat sieht man nicht, in welchem Stück des Eupolis eher von Sokrates die Rede gewesen sein soll als in den Κόλακες, die an den Großen Dionysien des Jahres 421 aufgeführt wurden (PCG 5 test. i ). Der plot dieses Stückes läßt sich aus den Fragmenten und Testimonien (PCG 5 p. 380-399) wenigstens in groben Zügen noch rekonstruieren: Kallias hat das riesige Vermögen seines jüngst verstorbenen Vaters Hipponikos geerbt und bringt es nun durch unsinnigen Luxus und Verschwendung durch, wobei die parasitären Existenzen aus Kunst und Wissenschaft, die er eingeladen hat, ihm nach Kräften behilflich sind. Die Szenerie dieses Stückes erinnert, wie bereits Herodikos aus Babylon (fr. 2 p. 23 & fr. 4 p. 34 Düring) bemerkt hat, entschieden an die Szenerie des Platonischen Protagoras; und dies um so mehr, als auch bei Eupolis (PCG 5 fr. 157 sq.) Protagoras als eine Hauptfigur fungierte, und auch Alkibiades (PCG 5 fr. 171) auf der Bühne aufgetreten zu sein scheint. Wenn wir des weiteren erfahren, daß auch Chairephon (PCG 5 fr. 180) als κόλαξ erwähnt wurde, so schwindet vollends jeder Zweifel, daß in diesem Stücke auch von Sokrates die Rede gewesen ist. Dies zugestanden, läßt sich der Ort, den das Sokratesfragment im Rahmen des Stückes einnahm, noch näher bestimmen. Wir besitzen ein größeres Fragment der Κόλακες (PCG 5 fr. 172), in dem der Chor (von dem das Stück seinen Titel hat) den Zuschauern die Annehmlichkeiten des Parasitenlebens schildert. Dieses Fragment, das dem Epirrhema oder dem Antepirrhema der Parabase angehört haben muß, ist nun metrisch in denselben Priapeen gehalten, wie sie auch das Sokratesfragment aufweist. Dieses priapeische Metrum aber ist in der Komödie so selten (Eupol. PCG 5 fr. 42; Aristoph. PCG 3.2 fr. 30), daß wir unbedenklich einen engen Zusammenhang zwischen dem Sokrates- und dem Parasitenfragment voraussetzen dürfen. Auch das Sokratesfragment gehörte demnach in das Epirrhema oder Antepirrhema der Parabase. Und wenn das Parasitenfragment damit endet, daß erzählt wird, wie der Tragiker Akestor (RE 1.1. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 91 1166 f. [Nr. 4]) zur Tür hinausbefördert wurde, weil er sich beim Mahle einen «unverschämten Witz» (σκ ῶ µµα ἀ σελγές) hatte zuschulden kommen lassen (TrGF 1.25 T 4), so läßt sich unschwer denken, daß in der Folge auch von dem ebenso dreisten wie dummen Diebstahl des Sokrates die Rede gewesen ist. In der Reihe der exempla parasitischen Fehlverhaltens mag dann auch von Chairephon (PCG 5 fr. 180) als einem Schüler des Sokrates in der Parasitenkunst die Rede gewesen sein. Wir besitzen ein weiteres Fragment, in dem sich Eupolis über Sokrates äußert. Dieses Fragment wird in zwei voneinander nicht unerheblich abweichenden Varianten überliefert, die wir beide neuplatonischen Kommentatoren verdanken. Eine Variante gibt Olympiodor in seinem Kommentar zum Platonischen Phaidon (p. 137 Westerink): ὁ γ ὰ ρ Ε ὔ ̟ολίς φησιν ̟ερ ὶ το ῦ Σωκράτους— τί δ ῆ τα ἐ κε ῖ νον τ ὸ ν ἀ δολέσχην κα ὶ ̟τωχόν, ὃ ς τ ἆ λλα µ ὲ ν ̟εφρόντικεν, ὁ ̟όθεν καταφαγε ῖ ν ἔ χοι, τούτου κατηµέληκεν. Die andere Variante liefert Asklepios in seinem Kommentar zur Aristotelischen Metaphysik (CAG 6.2 p. 135): κα ὶ ̟άλιν ὅ φησιν ὁ Αριστοφάνης (Nub. 144-152, 831) διαβάλλων ̟ρ ὸ ς το ὺ ς φιλοσοφο ῦ ντας, ὅ τι σ̟εύδουσιν ἴ χνη ψυλλ ῶ ν µετρε ῖ ν, τ ῶ ν δ ὲ ἄ λλων καταφρονο ῦ σι— µισ ῶ δ ὲ κα ὶ Σωκράτη τ ὸ ν ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην, ὃ ς τ ῶ ν ἄ λλων µ ὲ ν ̟εφρόντικε, ̟όθεν δ ὲ φάγηι, τούτου κατηµέληκεν, ὡ ς τ ῶ ν ἐ ν τ ῶ ι βίωι ὄ ντων µειζόνων. Der Text des Asklepios wird, zum mindesten teilweise, durch Proklos (p. 656 Cousin) bestätigt: τί ἂ ν ε ἴ ̟οιµεν α ὐ τ ὸ ν µ ὲ ν τ ὸ ν Σωκράτη ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην καλούντων τ ῶ ν κωµωιδο̟οι ῶ ν κα ὶ το ὺ ς ἄ λλους δ ὲ ἁ ̟αξά̟αντας κα ὶ το ὺ ς ὑ ̟οδυοµένους ε ἶ ναι διαλεκτικο ὺ ς ὡ σαύτως ὀ νοµαζόντων; µισ ῶ δ ὲ κα ὶ Σωκράτην τ ὸ ν ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην. Während Proklos über den Dichter schweigt, bestätigt das sogenannte Etymologicum genuinum bzw. die Paralleltexte des Etymologicum magnum und das Etymologicum Symeonis s.u. ἀ δολεσχία (1 p. 71-73 Lasserre-Livadaras) nicht nur, wenn auch wiederum nur teilweise, den Text des Asklepios und des Proklos, sondern auch die Autorschaft des Eupolis, die Olympiodor verbürgt, während Asklepios Aristophanes als Autor vorauszusetzen scheint: δι ὸ κα ὶ ἀ δολέσχας το ὺ ς φυσικο ὺ ς ἐ κάλουν, ο ἷ ον (om. Sym.) λέγω δ ᾽ ὦ ρον (uerba sana esse atque Eupolidi adsignanda falso arbitrati sunt Lasserre-Livadaras; λέγει δ ᾽ Ὠ ρίων coni. Sylburg, prob. multi; ὀ λιγωρ ῶ ν Mondrup. PCG 5, 511; λοιδορ ῶ ν malim) κα ὶ Σωκράτην ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην ἔ φη Ε ὔ ̟ολις (om. Et. gen.; κα ὶ Ε ὔ ̟ολις Sym.). Die Restitution des Textes muß von der Metrik ausgehen, die unzweifelhaft jambisches Gepräge aufweist. Demnach verdient die Variante τ ὸ ν ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην (Askl., Prokl., Etym.), die einen tadellosen katalektischen jambischen Dimeter bildet, wie er auch in den beiden letzten Worten des Textes wiederkehrt, den Vorzug vor der Variante τ ὸ ν ἀ δολέσχην κα ὶ ̟τωχόν (Olymp.), die keiner erkennbaren metrischen Gesetzmäßigkeit folgt; desgleichen ist die Lesart τ ἆ λλα (Olymp.) als metrisch ein- 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 92 wandfrei der Lesart τ ῶ ν ἄ λλων (Askl.) vorzuziehen, die metrisch anstößig ist; schließlich ist auch die Variante ὁ ̟όθεν καταφαγε ῖ ν ἔ χοι (Olymp.) metrisch plausibler als die Variante ̟όθεν δ ὲ φάγηι (Askl.), von der man nur die Adversativpartikel δέ entlehnen muß, die das Korrelat µέν ohnedies grammatisch zwingend erfordert, um einen metrisch einwandfrei gebauten jambischen Dimeter zu erhalten. So überzeugend diese Restitution des Textes, die zuerst Th. Bergk (1838, 353) erwogen hat, auch ausfällt, so problematisch bleiben die Anfangsworte des Textes. Denn sowohl die Variante τί δ ῆ τα ἐ κε ῖ νον (Olymp.) wie auch die Variante µισ ῶ δ ὲ κα ὶ Σωκράτη (Askl., Prokl.) sind nicht nur beide metrisch anstößig, sondern weichen auch im Text so stark voneinander ab, daß sie weder als Zitierfehler noch gar als paläographische Verschreibung interpretiert werden können. Weshalb auch die zahlreichen, teilweise höchst scharfsinnigen Versuche (Dokumentation: PCG 5 fr. 386 p. 511 adn.), aus diesen Varianten einen einheitlichen Text zu rekonstruieren, als gescheitert gelten müssen: Sie sind entweder so kompliziert, daß sie textkritischer Plausibilität ermangeln, oder sie bevorzugen einseitig eine der beiden Überlieferungsvarianten, ohne die Entstehung der anderen zu erklären. Will man das Rätsel lösen, so muß man zuvörderst in den Betracht ziehen, daß Olympiodor bzw. seine Quelle das Eupoliszitat nicht so eingeleitet hätten, wie es eingeleitet wird ( ὁ γ ὰ ρ Ε ὔ ̟ολίς φησιν ̟ερ ὶ το ῦ Σωκράτους), wenn in den folgenden Versen der Name des Sokrates erwähnt worden wäre. Woraus folgt, daß der Name des Sokrates, der in der Textvariante des Asklepios und des Proklos erscheint, als ein Glossem zu tilgen ist. Erkennt man die Notwendigkeit dieser Athetese, die zuerst A. Meineke (FCG 2.1 fr. 10 p. 553) erwogen hat, an, so spricht alles dafür, daß nicht Olympiodor, sondern Proklos und Asklepios den ursprünglichen Text bewahrt haben, da ihr Text (was für die Richtigkeit der Athetese sehr beweisend ist) nunmehr metrisch unanstößig ist, insofern die Worte µισ ῶ δ ὲ καί ein regelrechtes jambisches Metrum bilden, während der Text des Olympiodor sich auch dann nicht metrisch interpretieren läßt, wenn man, wie billig, den Hiat beseitigt, insofern die Worte τί δ ῆ τ ᾽ ἐ κε ῖ νον eine Silbe zuviel aufweisen, um sich an den folgenden jambischen Dimeter jambisch anschließen zu lassen. Bleibt die Frage, wie der Text des Olympiodor entstanden ist. Die Antwort kann nur lauten, daß auch bei Olympiodor ein Glossem in den Text eingedrungen ist. So wie in den Text, auf den Proklos und Asklepios rekurrieren, das Interpretament Σωκράτη eindrang, das über die Person, von der die Rede ist, Auskunft geben sollte, so drang in den Text des Olympiodor ein, was ein kritischer Abschreiber oder Kommentator (es gibt ja Olympiodorscholien) in Prosa an den Rand geschrieben hatte, um seinem Zweifel Ausdruck zu geben, daß jener, den Eupolis als «Bettler- 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 93 Schwätzer» bezeichnete, tatsächlich jener Sokrates gewesen sei, auf den Olympiodor die Verse bezogen hatte: τί δ ῆ τα ἐ κε ῖ νον (sc. Socratem) τ ὸ ν ἀ δολέσχην κα ὶ ̟τωχόν (sc. dixit Eupolis). Nachdem dieses kritische Interpretament, das neben oder über den Worten ὁ γ ὰ ρ Ε ὔ ̟ολίς φησιν ̟ερ ὶ το ῦ Σωκράτους gestanden haben dürfte, in den Text des Olympiodor eingedrungen war, konnte es unschwer als Zitat des Eupolis mißverstanden werden und verdrängte das ursprüngliche Zitat um so leichter, als es, wenigstens in der zweiten Hälfte, ganz ähnlich lautete wie dieses (τ ὸ ν ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην ≈ τ ὸ ν ἀ δολέσχην κα ὶ ̟τωχόν). Was schließlich die Kolometrie der Verse betrifft, so ist es seit Th. Bergk (1838, 353) üblich, zwei (katalektische) jambische Tetrameter zu statuieren, zwischen die ein (akatalektischer) jambischer Dimeter zu stehen kommt. Jedoch ist diese Konstruktion einigermaßen künstlich; ungleich naheliegender ist es, den gesamten Text in jambische Dimeter zu gliedern, wie dies zuerst A. Meineke (1814, 61; cf.PCG 5 fr. 386 p. 511 sq.) vorgeschlagen hat. Alles recht erwogen, ist das Fragment des Eupolis folgendermaßen zu restituieren: [...] µισ ῶ δ ὲ κα ὶ τ ὸ ν ̟τωχ ὸ ν ἀ δολέσχην, ὃ ς τ ἆ λλα µ ὲ ν ̟εφρόντικεν, ὁ ̟όθεν δ ὲ καταφαγε ῖ ν ἔ χοι, τούτου κατηµέληκεν. Fragt man nach dem Sprecher dieser Verse, so ist zu konstatieren, daß jambische Systeme, in denen sich katalektische und akatalektische Dimeter zu kurzen Strophen formen, mit Vorliebe vom Chor vorgetragen werden. So findet sich (um nur dieses eine Beispiel zu nennen) in den Aristophanischen Fröschen (Ran. 386-390 & 391-395) ein Chorlied, das aus vier akatalektischen jambischen Dimetern aufgebaut ist, denen ein katalektischer Dimeter folgt. Ganz ähnlich ist die Antode der Parabase der Eupolideischen ∆ ῆ µοι (PCG 5 fr. 99.1-22) aufgebaut; ja in dieser Antode finden sich sogar zwei Strophen (l. c. 5-10 & 15-20), die metrisch ebenso aufgebaut sind wie das obengenannte Fragment des Eupolis, insofern auch hier auf zwei akatalektische jambische Dimeter ein katalektischer Dimeter folgt. Mehr noch: Die Antode der Parabase der ∆ ῆ µοι enthält eine skoptische Aufzählung einzelner Personen (Peisandros, Pauson, Theogenes, Kallias, Nikeratos); in ganz ähnlichem Zusammenhang muß aber auch das Sokratesfragment gestanden haben, insofern der Ausdruck δ ὲ καί voraussetzt, daß zum mindesten noch von einer anderen Person als von Sokrates die Rede gewesen ist. Diese Ähnlichkeiten in Betracht gezogen, darf man die Vermutung wagen, daß auch das Sokratesfragment in der Ode oder Antode einer Parabase gestanden hat. An die Parabase der ∆ ῆ µοι freilich ist nicht wohl 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 94 zu denken; denn hier werden reiche Prasser verspottet, die in der Notzeit der Sizilischen Expedition dem einfachen Athener die Nahrung vorenthalten, während an Sokrates gerade das Gegenteil getadelt wird: daß er ein Hungerleider sei, der nicht wisse, woher er das Essen nehmen solle. So wenig aber der Vorwurf der Hungerleiderei zu den ∆ ῆ µοι des Eupolis paßt, so gut paßt er, wie zuerst Th. Bergk (1838, 353) gesehen hat, zu den Κόλακες, in deren Parabase Sokrates ja auch als diebischer und zugleich dummer Parasit verspottet worden zu sein scheint. So spricht alles dafür, daß nicht nur im Epirrhema bzw. im Antepirrhema der Parabase, sondern auch in der Ode bzw. in der Antode der Κόλακες skoptisch von Sokrates die Rede gewesen ist. Daß es Sokrates gewesen ist, von dem die Verse des Eupolis sprechen, würde man auch dann vermuten, wenn es die Sekundärüberlieferung nicht ausdrücklich bezeugte. Auf keinen anderen nämlich passen die Verse besser als auf ihn, der «Bettler-Schwätzer» (̟τωχ ὸ ς ἀ δολέσχης) genannt werden konnte, weil nach den Gesetzen der komischen Logik, wer notorisch arm ist, auch bettelt und, wer im mündlichen Gespräch die Wahrheit zu ergründen sucht, ein notorischer Schwätzer ist. Beide Aspekte werden im folgenden näher ausgeführt, wobei sich herausstellt, daß der eine durch den anderen bedingt ist: Sokrates hat alles andere «sorgend bedacht» (̟εφρόντικεν) und dabei vergessen, sich um das Nächstliegende zu kümmern: Woher er etwas zum «Fressen» (dies die genaue Wortbedeutung von κατεσθίειν; cf. Hom. Il. 2.314, 17.542, 21.24; Od. 1.8; Herod. Hist. 3.38; Eur. Cycl. 341; Aristoph. Ran. 560) bekommen könne. Alle diese Aspekte, die Bettelei ausgenommen, sind in der komischen Tradition über Sokrates fest verwurzelt: So nennt Aristophanes in den Wolken (Nub. 1485; cf. 1480) die Sokratiker «Schwätzer» ( ἀ δολέσχαι) und benutzt das Verbum φροντίζειν (Nub. 695, 697, 700. 724 sq., 735, 857, 1345), um das Denken des Sokrates als fruchtlose «Grübelei» zu verspotten. Derselbe Aristophanes (Nub. 175-179) kennzeichnet Sokrates auch als Hungerleider, und Ameipsias (PCG 2 fr. 9 = SSR I A 10) stimmt darin mit ihm überein — beide derselben komischen Logik folgend, der auch Eupolis gefolgt ist. Abschließend ist noch auf ein drittes Fragment des Eupolis zu verweisen, das im Etymologicum magnum und im Etymologicum Symeonis (1 p. 72 sq. Lasserre-Livadaras) im Anschluß an das vorgenannte Zitat des Eupolis zitiert wird: [...] ἔ φη Ε ὔ ̟ολις—κα ὶ ( ἔ φη κα ὶ Ε ὔ ̟ολις Sym.) ἐ ν ἄ λλοις (om. Sym.)— ἀ λλ ᾽ (om. Et. mag.) ἀ δολεσχε ῖ ν α ὐ τ ὸ ν ἐ δίδαξον, ὦ σοφιστά. Es spricht alles dafür, daß dieses Zitat ebenfalls Sokrates gegolten hat: Sowohl die Situation, die der (katalektische) jambische Tetrameter voraussetzt, wie auch die Aussage, die er formuliert, passen auf niemanden besser als auf Sokrates. Der Sprecher (dessen Identität wir nicht einmal 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 95 erraten können) wendet sich an Sokrates (der sich demnach auf der Bühne befindet), um einen Dritten (dessen Identität wir ebenfalls nicht kennen) als Schüler zu empfehlen. Diese Situation ähnelt verblüffend einer Situation, die sich in den Aristophanischen Wolken (Nub. 866-888) findet: Strepsiades empfiehlt Sokrates seinen Sohn Pheidippides als Schüler. Mehr noch: Wie der Aristophanische Pheidippides, so soll auch der Eupolideische ignotus bei Sokrates Rhetorik lernen. Wie Aristophanes (Nub. 1480, cf. 1485) die Sokratische Rhetorik als «Schwätzerei» ( ἀ δολεσχία) bezeichnet, so wird sie hier als «Schwätzen» ( ἀ δολεσχε ῖ ν) bezeichnet — die hauptsächliche Tätigkeit jenes Mannes, den Eupolis an anderer Stelle (PCG 5 fr. 386 = SSR I A 12) als «Bettler-Schwätzer» (̟τωχ ὸ ς ἀ δολέσχης) charakterisiert hatte; und wie bei Aristophanes (Nub. 331, 360), so wird Sokrates auch bei Eupolis als «Sophist» (σοφιστής) bezeichnet. Aus diesen Ähnlichkeiten erhellt deutlich genug, daß auch Eupolis Sokrates als fragwürdigen Rhetoriklehrer auf die Bühne gebracht hat, weil, der komischen Logik zufolge, wer vor allem im mündlichen Gespräch philosophisch zu überzeugen trachtet, auch ein Redelehrer sein muß und also auch gleich ein Sophist genannt zu werden verdient. Man wüßte gerne, in welchem Stück des Eupolis dieser Auftritt des Sokrates stattgefunden hat. G. Kaibel (PCG 5 fr. 386 p. 512) dachte an die Κόλακες. Aber wenn es richtig ist, daß Sokrates in der Parabase dieses Stückes als κωµωιδούµενος fungierte, so ist es ganz unwahrscheinlich, daß er in demselben Stücke auch als Schauspieler auftrat. Die Überlieferung scheint hiervon auch noch eine Erinnerung aufbewahrt zu haben, insofern das Etymologicum magnum dieses Zitat vom vorhergehenden (das sich den Κόλακες zuweisen ließ) durch die Bemerkung ἐ ν ἄ λλοις absetzt, die zu athetieren keinerlei Grund ist. Th. Bergk (1838, 334) wollte das Sophistenfragment den Eupolideischen Α ἶ γες (PCG 5 fr. 1-34) zuweisen, in deren plot jedoch, soweit ersichtlich, für Sokrates kein Platz gewesen zu sein scheint. Will man raten, so wird man am ehesten auf den im Jahre 420 aufgeführten Α ὐ τόλυκος (PCG 5 fr. 192-217) raten, der Xenophon die Szenerie für sein Symposion geliefert hat, so wie die Κόλακες dies für den Platonischen Protagoras getan haben. 7. Adespota et incerta In einem Exzerpt jener Sprichwörtersammlung, die der Grammatiker Zenobios aus Lukillos aus Tarrha und Didymos kompiliert hat, finden sich die beiden folgenden jambischen Trimeter (Miller 1868 p. 363): κε ῖ ται δ ᾽ ὁ (δ ὲ ὁ cod.) τλήµων τ ὸ στόµα ̟αρεστραµµένος, ὃ τ ὸ ν δίµορφον Σωκράτην ἀ ̟ώλεσεν. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 96 Th. Kock (CAF 3 fr. adesp. 386 p. 481) hat vorgeschlagen, den metrisch anstößigen Text des ersten Verses durch Wortumstellung zu emendieren: κε ῖ ται ̟αρεστραµµένος ὁ τλήµων τ ὸ στόµα. Indes ist diese Emendation, die J.M. Edmonds (FAC 3 fr. adesp. 386) übernommen hat, überflüssig. Denn die metrische Anomalität, daß im ersten Vers die ultima des zweiten Metrums durch zwei Kürzen gebildet wird, zwischen denen Worttrennung stattfindet, ist offenbar poetisch gewollt, insofern das holperige Metrum sinnfällig zu Gehör bringt, was der Text inhaltlich aussagt: daß der, von dem die Rede ist, der Sprache nicht mehr mächtig ist. Im übrigen stellen diese Verse, die, wie die Dinge liegen, nur einer Komödie entstammen können, die Interpretation vor erhebliche Schwierigkeiten. Weder der Name des Dichters noch der Titel des Stückes lassen sich erraten, und auch die Identität des Sprechers bleibt dunkel. Mehr Licht fällt auf die Person jenes «Heimgesuchten» (τλήµων), über den gesprochen wird. Wenn es heißt, daß sein Mund «Sokrates zugrunde gerichtet hat» (Σωκράτην ἀ ̟ώλεσεν), so rät man gewiß nicht falsch, wenn man auf einen der Ankläger rät, die den Prozeß gegen Sokrates angestrengt haben. In erster Linie kommt Meletos in den Betracht, dem als Hauptankläger auch die Hauptverantwortung für die Verurteilung des Sokrates zufiel; aber auch an Anytos und sogar an Lykon läßt sich denken, da diese beiden, wiewohl nur als Nebenkläger auftretend, politisch die spiritus rectores des Sokratesprozesses gewesen sind. Von einem dieser drei also wurde ausgesagt, daß er «verdrehten Mundes daliegt» (κε ῖ ται [...] τ ὸ στόµα ̟αρεστραµµένος) — eine Aussage, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Liegt der Mann in persona auf der Bühne, oder wird davon nur erzählt? Ist er gefallen und hat sich dabei den Mund verrenkt? Oder fiel er, weil ein anderer ihn auf den Mund geschlagen hat? Und wenn ja, wer tat das und warum? Oder haben wir gar einen Toten vor uns? Und wenn ja, wie und warum ist er gestorben? In der Tat weiß die spätere Überlieferung allerlei über einen gewaltsamen Tod der Sokratesankläger zu berichten: Die Ankläger seien sozialer Ächtung verfallen und hätten sich erhängt (Plut. De inu. et odio 6 p. 538 a = SSR I C 154); oder: Meletos und Anytos seien von den Athenern wegen Asebie zum Tode verurteilt worden (Epist. Socr. 17.2 = SSR I C 155); oder: Meletos und Anytos seien ohne Urteil getötet worden (Diodor 14.37,7 = SSR I C 155); oder: Meletos sei zum Tode verurteilt, Anytos und Lykon jedoch verbannt worden, aber die Herakleoten hätten Anytos aus der Stadt verwiesen und anschließend aus Empörung über den Tod des Sokrates gesteinigt (Diog. Laert. 2.43 & 6.9 = SSR I D 1 [43] & V A 21; Themist. Or. 20 p. 329 c). Besonders der letztgenannte Lynchmord an Anytos würde nicht übel zu der Aussage der Komödienverse passen. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 97 Gleichwohl muß man sich hüten, aus den Komödienversen eine historische Bestätigung über den Tod der Sokratesankläger herauszulesen, wie dies J.M. Edmonds (FAC 3 p. 416) getan hat. Denn wenn die Athener tatsächlich aus Reue über die Hinrichtung des Sokrates politisch so massiv gegen die Sokratesankläger vorgegangen wären, wie die spätere Überlieferung, die ihrerseits höchst Widersprüchliches berichtet, behauptet, so würden so namhafte athenische Redner wie Hypereides (Adu. Autocl. fr. 55 Jensen) und Aischines (Adu. Timarch. 173 = SSR I C 110) nur wenige Jahrzehnte nach Sokrates' Tod in öffentlichen Reden nicht mit solcher Gelassenheit, ja Kälte über den Prozeß und die Hinrichtung des Sokrates reden, wie sie es tun. Wenn man bei so unsicherer Quellenlage überhaupt einen Schluß wagen darf, so wird man eher von der Komödie auf die spätere Überlieferung schließen als umgekehrt, dergestalt, daß eine (wie auch immer geartete) Exekution eines der Sokratesankläger, die (wohl bald nach Sokrates' Tod) auf der komischen Bühne vorgeführt oder erzählt wurde, den Späteren Anlaß gegeben hat, das Ende der Sokratesankläger möglichst spektakulär und romanhaft auszugestalten, um sich so post festum wenigstens literarisch an jenen Männern zu rächen, die für den Tod des nunmehr weltberühmten Weisen politisch nicht zur Verantwortung gezogen worden waren. Ein weiteres Rätsel, das die anonym überlieferten Komödienverse stellen, ist das Adjektiv δίµορφος durch das die Person des Sokrates näher gekennzeichnet wird. M.E. Miller (1868 p. 363, cf. 344) schlug vor, die überlieferte Lesart δίµορφον in δύσµορφον zu ändern. Aber dieser Emendationsvorschlag kann schon deswegen nicht richtig sein, weil er das Metrum zerstört. J.M. Edmonds (FAC 3.1 fr. 386 p. 416 adn.) hat demgegenüber zu Recht am überlieferten Wortlaut festgehalten und versucht, die Bedeutung des strittigen Adjektivs durch einen Hinweis auf Platon zu erklären, der im Symposion (p. 215 ab; cf. p. 221 d) Sokrates mit einer jener Silensfiguren vergleicht, die, nachdem man sie «nach zwei Seiten hin» (διχάδε) geöffnet hat, im Innern ein Götterbild enthalten. Faßt man diesen Vergleich als Metapher auf, so läßt sich tatsächlich sagen, daß Sokrates ein «zwiegestaltiges» Wesen gewesen ist. Indes ist es kaum glaublich, daß die Komödie ihre Kennzeichnung des Sokrates Platon verdankt. Abgesehen von chronologischen Erwägungen, müsste man voraussetzen, daß die Komödie eine rein literarische Reminiszenz aufgenommen habe, die allein dem Platonkenner verständlich gewesen wäre; denn daß das Bild vom Silen, der ein Götterbild in sich birgt, eine allgemein bekannte Charakterisierung des Sokrates gewesen wäre, die Platon seinerseits aufgegriffen hätte, ist ganz unwahrscheinlich. Sucht man nach einem anderen Verständnis des rätselhaften Wortes, so ist zu konstatieren, daß das vergleichsweise seltene griechische Adjektiv δίµορφος nicht anders als sein ungleich häufiger gebrauchtes lateini- 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 98 sches Aquivalent biformis, entweder von zwiegestaltigen Wesen des Mythos gebraucht wird wie von Erechtheus (Lycophr. Alex. 111) oder vom Triton (ibid. 892) oder aber einen Menschen bezeichnet, der als Hermaphrodit zweierlei Geschlechtsmerkmale aufweist (Diodor 32.10,12). Solche Doppelwesen empfand der antike Schönheitssinn bekanntlich als Monstrositäten. Will man für diesen Sachverhalt wörtliche Belege beibringen, so muß man sich nicht an die spärliche griechische, sondern an die reichere lateinische Lexik halten: So heißt nicht nur der Vater der Skylla (Typhon? ) monstrum biforme (Ps.-Verg. Cir. 67), sondern auch der Minotaurus (Ovid. Met. 8.156), und auch die Giganten werden als biformia monstra bezeichnet (Paneg. Lat. 2.4,3, & 3.3,4). Gesetzt aber, daß alles Doppelgestaltige zugleich auch immer als monströs empfunden wurde, so hindert nichts, das Adjektiv δίµορφος metonymisch als ein abstractum pro concreto aufzufassen, das nicht nur die spezifisch zweigestaltige, sondern jedwede Art von Monstrosität auszudrücken vermag. So verstanden würde das Adjektiv allgemein die notorische Häßlichkeit des Sokrates signalisieren und erhielte auch so erst jene skoptische Konnotation, die für die komische Rede typisch ist. Denn so viel ist bei aller Unsicherheit der Interpretation doch sicher: daß jene anonymen Komödienverse durchaus nicht die Absicht haben, Sokrates zu loben, sondern vielmehr denjenigen tadeln wollen, der für Sokrates' Tod verantwortlich gewesen ist. In einer anonym überlieferten Vita des Isokrates (1 p. XXXIV Mathieu- Brémond) findet sich folgende Notiz: ε ἰ ώθασι γ ὰ ρ ο ἱ κωµικο ὶ τ ὰ µεγάλα ̟ρόσω̟α σκώ̟τειν δι ὰ γέλωτα, ὡ ς Σωκράτην ε ἰ σάγουσιν ἐ ρ ῶ ντα νέων. Eine kurze, aber bedeutsame Notiz. Bedeutsam deswegen, weil nirgends anders bezeugt wird, daß Sokrates in der Komödie als Knabenliebhaber aufgetreten ist. Dieser Befund ist um so merkwürdiger, als der Vorwurf der Päderastie ja ein Haupt- und Lieblingsthema komischer Skoptik ist. In welcher Komödie welchen Dichters dieser Vorwurf gegen Sokrates erhoben wurde, können wir, da die Überlieferung schweigt, nicht einmal erraten. Aber die bloße Tatsache, daß Sokrates bereits in der Komödie als ̟αιδεραστής charakterisiert worden ist, bleibt bedeutsam genug, insofern hier zum ersten Mal ein Thema skoptisch angeschlagen wird, das später in der Sokratik wiederaufgenommen und ganz anderen Zwecken dienstbar gemacht wird. Platon namentlich hat ja die Knabenliebe ganz in den Mittelpunkt des Sokratischen Lebens gestellt als einen mächtigen Trieb zum pädagogischen Philosophieren; wie Platon scheint auch Aischines geurteilt zu haben, dessen Alkibiades (SSR VI A 41-54) sich als eine erotisch getönte Mahnrede zum Philosophieren interpretieren läßt; Xenophon wiederum hat diesen Aspekt Sokratischen Wirkens nach Kräften unterdrückt — darin fraglos eher seinem Biedersinn folgend als der historischen Wahrheit. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 99 Achilleus Tatios (Isag. in Arat. 1 p. 27 Maass = SSR I A 8) zitiert aus einer unbekannten Komödie des Aristophanes (PCG 3.2 fr. 691) folgenden Text: ὃ ς τ ἀ φαν ῆ (τ ὸ ν ἀ φαν ῆ uar. lect.) µεριµν ᾶ ι, τ ὰ δ ὲ χαµ ᾶ θεν (χαµάθεν uel. χαµόθεν codd.) ἐ σθίει. Dieser Text ist so, wie er überliefert wird, metrisch nicht haltbar. Th. Bergk (FCG 2.2 fr. 61 p. 1190) restituierte einen trochäischen Tetrameter: ὃ ς τ ὰ µ ὲ ν ἀ φαν ῆ µεριµν ᾶ ι, τ ὰ δ ὲ χαµ ᾶ θεν ἐ σθίει. F.H.M. Blaydes (1885, 297) plädierte für jambische Trimeter: [...] ὃ ς τ ἀ φαν ῆ ἀ ε ὶ (uel ̟ράγµατα) µεριµν ᾶ ι, τ ὰ δ ὲ χαµ ᾶ θεν ἐ σθίει. Eine sichere Entscheidung ist nicht möglich; man wird jedoch schließlich der Emendation Bergks den Vorzug geben, weil sie durch die Einfügung der korrespondierenden Partikel µέν den Text nicht nur metrisch, sondern auch grammatisch regelrecht restitutiert. Bergk hat im übrigen Recht auch darin, wenn er vermutet, daß der Spott des Aristophanes einem Philosophen gegolten hat. Der Text formuliert ja den Topos vom weltfremden Denker, der vor lauter Spekulation über das Übersinnliche für seine Notdurft zu sorgen vergißt. Eupolis hat denselben Topos gleich zweimal verwendet. So heißt es einmal von Sokrates (PCG 5 fr. 386 = SSR I A 12): ὃ ς τ ἆ λλα µ ὲ ν ̟εφρόντικεν, ὁ ̟όθεν δ ὲ καταφαγε ῖ ν ἔ χοι, τούτου κατηµέληκεν. Und über Protagoras bemerkt derselbe Eupolis (PCG 5 fr. 157): ὃ ς ἀ λαζονεύεται µ ὲ ν ἁ λιτήριος ̟ερ ὶ τ ῶ ν µετεώρων, τ ὰ δ ὲ χαµ ᾶ θεν ἐ σθίει. Die Ähnlichkeiten zwischen diesen drei Stellen sind so groß, daß man unbedenklich annehmen kann, daß auch Aristophanes einen jener beiden Personen im Auge gehabt hat, die Eupolis nennt. Für Protagoras spricht die Junktur τ ὰ µ ὲ ν χαµ ᾶ θεν έσθίει, die wörtlich bei Eupolis wiederkehrt, so daß der Gedanke naheliegt, der eine Dichter nehme auf den anderen poetisch Bezug. Für Sokrates wiederum spricht das Verbum µεριµν ᾶ ν, das Aristophanes in den Wolken (Nub. 420, 953, 1404; cf. 101, 136), ganz ähnlich wie das sinnverwandte Verbum φροντίζειν, verwendet, um das Sokratische Philosophieren als «sorgendes Grübeln» zu verspotten. Man wird bei dieser Lage der Dinge keine endgültige Entscheidung darüber treffen können, wem der Spott des Aristophanes gegolten hat. Galt er Sokrates, so dürfte er in der ersten Fassung der Wolken geäußert worden sein. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 100 Der Papyrus Cairensis 43227 überliefert drei Fragmente aus den ∆ ῆ µοι des Eupolis. Am Ende des dritten Fragments kritisiert der von den Toten wiederauferstandene Aristeides einen (offenbar noch lebenden) Politiker namens Diognetos (PA 3863; RE 6.1, 785 [Nr. 8]; PoP p.126-129). A. Körte (1912, 291 = SSR I A 11) las diese Passage folgendermaßen (lectio incerta durch Unterstreichung gekennzeichnet): ἐ µ [εµφ]όµην δ ᾽ ἂ ν κα ὶ ∆ιόγ[νητ]ον κα[κ ῶ ς, τ ὸ ν [ ἱ ε]ρόσυλον, ὅ ς ̟οτ ᾽ η ... νενδ... τούτων ̟ανούργων .. ι τ ῶ ν νεωτέρων τ ὸ ν σωκρατί[ζοντ], ὁ ̟όταν ε ὖ τ ὸ σ ῶ µ ᾽ ἔ χ[ηι. Wäre diese Lesung richtig, so wäre das Verbum σωκρατίζειν, das bisher nur bei Alkiphron (Epist. 4.17,3) und in der Hypothesis A 4 der Wolken (p. 2 Holwerda) bezeugt ist, als komischer Neologismus aufzufassen, vergleichbar mit dem Verbum σωκρατ ᾶ ν, das Aristophanes (Au. 1282) neu gebildet hat, um den quasilakonistischen Lebensstil des Sokrates zu charakterisieren. Körtes Entzifferung hat jedoch keinen Bestand gehabt. Chr. Jensen (1916, 333), der den Text des Papyrus noch einmal gründlich revidiert hat, bietet eine andere, ungleich überzeugendere Entzifferung dieser Passage, die jetzt auch in die neue Edition der Komikerfragmente (PCG 5 fr. 99.114- 117 p. 351) Eingang gefunden hat: ἐ [βου]όµην δ ᾽ ἂ ν κα ὶ ∆ιόγνητον λ[αβε ῖ ν τ ὸ ν ἱ ερόσυλον, ὅ ς ̟οτ ᾽ ἦ ν τ ῶ ν ἕ νδε[κα, ὃ ς τ ῶ ν ̟ανούργων ἐ [σ]τ ὶ τ ῶ ν νεωτ[έρων ̟ολλ ῶ ι κράτιστος, ὁ ̟όταν ε ὖ τ ὸ σ ῶ µ ᾽ ἔ χ[ηι. Mithin ist das Verbum σωκρατίζειν aus der Lexik der komischen Dichtung zu streichen. Phrynichos (Praep. soph. p. 116 von Borries) gibt zu dem Lemma Ὑ ̟ερθεµιστοκλ ῆ ς folgende Erklärung: καινοτάτη ἡ φωνή. σηµαίνει ο ἷ ον ὑ ̟ ὲ ρ Θεµιστοκλέα τ ῆ ι σοφίαι. ὅ µοιον Ὑ ̟ερ̟ερικλ ῆ ς κα ὶ Ὑ ̟ερσωκράτης κα ὶ ε ἴ τι τοιο ῦ τον. ἀ λλ ὰ κ ἀ ̟ ὶ το ὐ ναντίου Ὑ ̟ερευρύβατος ὁ ὑ ̟ερβάλλων Ε ὐ ρύβατον ̟ονηρίαι. Th. Kock (CAF 3 fr. adesp. 1176—1179) und J.M. Edmonds (FAC 3 fr. adesp. 1176—1179) reklamieren das Lemma sowie die erklärenden Substantive für die Komödie. Schwerlich zu Recht. Denn wenn Phrynichos bemerkt, der Ausdruck Ὑ ̟ερθεµιστοκλ ῆ ς sei eine «neumodische Vokabel» (καινοτάτη φωνή), so werden die analog gebildeten Beispiele ebenfalls der neueren Sprache angehören. Der Zusatz κα ὶ ε ἴ τι τοιο ῦ τον läßt sogar darauf schließen, daß Phrynichos gar nicht zitiert, sondern Beispiele aus eigener Erfindung gebildet hat. 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 101 Th. Kock (CAF 3 fr. adesp. 1221sq. = SSR A I 16) hat aus dem 7. Hetärenbrief des Alkiphron (Epist. 4.7,4, 6 sq.) folgende Komödienverse zu restituieren versucht: ο ἴ ει δ ᾽ ἑ ταίρας τ ὸ ν σοφιστ ὴ ν διαφέρειν; ̟αιδεύοµεν δ ᾽ ο ὐ χε ῖ ρον ἡ µε ῖ ς το ὺ ς νέους. σύγκρινον, ὦ τάν, Ἀ σ̟ασίαν κα ὶ Σωκράτην— τ ῆ ς µ ὲ ν γ ὰ ρ ὄ ψει Περικλέα, Κριτίαν δ ὲ το ῦ ἑ τέρου µαθητήν. Man muß indes nur den Text des Alkiphron vergleichend heranziehen, um zu erkennen, daß diese Rekonstruktion keinen Bestand haben kann: ο ἴ ει δ ὲ διαφέρειν ἑ ταίρας σοφιστήν; ̟αιδεύοµεν δ ὲ ο ὐ χε ῖ ρον ἡ µε ῖ ς το ὺ ς νέους. ἐ ̟ε ὶ σύγκρινον, ε ἰ βούλει, Ἀ σ̟ασίαν τ ὴ ν ἑ ταίραν κα ὶ Σωκράτην τ ὸ ν σοφιστ ὴ ν [...] τ ῆ ς µ ὲ ν γ ὰ ρ ὄ ψει µαθητ ὴ ν Περικλέα, το ῦ δ ὲ Κριτίαν. Wenn so zahlreiche und so gewaltsame Eingriffe in die Überlieferung statthaft wären, wie sie hier vorgenommen werden, so ließe sich nachgerade jeder literarische Prosatext in komische Trimeter umformen. Wie denn auch die allermeisten jener Komödienfragmente, die Th. Kock späteren Prosaautoren ablauschen zu können vermeinte (1886, 372-410 & 1888, 29-59) und dem dritten Bande seiner Edition der Komikerfragmente (CAF 3 fr. 1203-1581) einverleibt hat, sich bei kritischer Nachprüfung als Erfindungen erweisen dürften. Schließlich sei der Vollständigkeit halber noch auf ein Komödienfragment hingewiesen, das nicht Sokrates, sondern den Sokratikern gilt. Eustathios (Comm. in Il. 2. 217 p. 260, 28) notiert aus dem attizistischen Lexikon des Pausanias (p. 168 Erbse), daß man die Sokratiker βλε̟εδαίµονες genannt habe; der Attizist Pollux (Onom. 1.21) wiederum notiert, daß das Wort βλε̟εδαίµων aus dem Sprachgebrauch der Komödie stamme: Beide Notizen führen darauf, daß die Sokratiker in einer Komödie (PCG 8 fr. 749) als βλε̟εδαίµονες bezeichnet wurden. Über die Bedeutung dieses offenbar sehr seltenen Wortes war sich schon die antike Gelehrsamkeit nicht mehr im klaren. Pausanias bezieht das Wort auf den verzerrten Blick des von den Dämonen mit Wahnsinn Geschlagenen ( ὁ διεστραµµένος τ ὰ ς ὄ ψεις κα ὶ ο ἷ ον ὑ ̟ ὸ δαίµονος ̟ε̟ληγώς), Pollux auf den Abergläubischen (δεισιδαίµων), Hesych (Lex. β 99) auf einen, der von Krankheit ausgezehrt und durch dämonische Wirkung mißfarben geworden ist ( ὁ ὑ ̟ ὸ νόσου κατεσκληκ ὼ ς κα ὶ κακόχρους ὑ ̟ ὸ δαιµόνων). Während Pollux also das Wort aktivisch auffaßt («Dämonen sehen»), bevorzugen Pausanias und Hesych in jeweils verschiedener Einzeldeutung die passivische Interpretation («dämonisch anzusehen»). Sprachlich ist die eine Auffassung so gut möglich wie die andere, und da alle drei Deutungen auch inhaltlich gut zu den Sokratikern passen, so müßte man, um eine Entscheidung über den Sinn dieses Wortes treffen zu 4. Sokrates in den Fragmenten der attischen Komödie 102 können, den Kontext kennen, in dessen Rahmen von den Sokratikern in der Komödie als βλε̟εδαίµονες die Rede gewesen ist. Resümee Überblickt man die fragmentarischen Texte der Komödie über Sokrates, die mit einer Ausnahme allesamt aus der Zeit des Archidamischen Krieges datieren und, ohne daß ein besonderer Anlaß erkennbar wäre, im letzten Drittel der zwanziger Jahre kulminieren, so läßt sich konstatieren, daß sie in der Mehrzahl dem Äußeren der Person gelten. Sokrates, so ist zu erfahren, trägt einen einfachen Wollmantel und geht barfuß (Ameipsias); er leidet Hunger (Ameipsias, Eupolis), bettelt und stiehlt (Eupolis) — alles komische Chiffren für die offenbar historische Tatsache, daß Sokrates einen besonders bescheidenen Lebensstil pflegte, den der komische Spott, wenn er milder urteilte, ohne weiteres auch als selbstgenügsam charakterisieren konnte (Ameipsias). Hinzu kommt der Spott über Sokrates' notorische Häßlichkeit (anonym) und der Spott über seine ebenso notorische Neigung zur Knabenliebe (ebenfalls anonym). Das ist nicht eben viel an historischer Information. Aber die Hinweise der fragmentarischen Komiker auf Sokrates' geistige Tätigkeit, an der sich doch das Interesse für die Person entzündet haben muß, sind noch spärlicher. Wenn Sokrates als Schwätzer bezeichnet wird (Eupolis), so ist dies nichts anderes als eine komische Chiffre für sein mündliches Philosophieren, und nicht anders ist die Spottbehauptung zu interpretieren, Sokrates sei als sophistischer Lehrer tätig gewesen (Eupolis). Tiefer reicht der komische Einfall, Sokrates als poetischen spiritus rector des Euripides erscheinen zu lassen (Kallias, Telekleides, Aristophanes), insofern sich diese komische Verfremdung der Einsicht verdankt, daß zwischen der unbedingten Intellektualität der Euripideischen Dialoge und der nicht minder unbedingten Rationalität des Sokratischen Philosophierens tatsächlich eine Geistesverwandtschaft waltet — so verschieden die Art der Mitteilung und die Ergebnisse des Denkens im übrigen auch sein mögen. Den Spottvorwurf der Päderastie ausgenommen, findet sich in alledem nichts, was nicht auch in den Wolken des Aristophanes zu finden gewesen wäre. Umgekehrt geben die Wolken mehr, als die fragmentarischen Komikertexte geben und vielleicht auch geben können: ein in sich geschlossenes poetisches Bild des Sokrates, der nicht nur als unsauberer Bettelmann erscheint, sondern auch als pythagoreischer Mystiker, als atheistischer Naturphilosoph und als Sophist, der eine rechtsverdrehende Rhetorik lehrt. Auf die Interpretation dieses Bildes wird es schließlich immer hinauslaufen, wenn man zu erkennen versucht, was komische Verfremdung mit der ihr eigenen Logik aus der historischen Person des Sokrates gemacht hat. 5. Sokrates in der Tragödie ∗ Das ästhetische Empfinden der Griechen hat es nicht zugelassen, daß in der Tragödie zeitgenössische Ereignisse behandelt werden: Der Fall Milets und die Phoinissen des Phrynichos (TrGF 1 test. ii p. 69 & fr. 8-12) sowie die Perser des Aischylos sind jene Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Demnach steht nicht zu erwarten, daß Sokrates in einer Tragödie auftritt noch auch daß sein Name genannt wird: Allenfalls kann man hoffen, in den Texten der Tragiker solche Passagen ausfindig zu machen, in denen eine dramatis persona etwa anspielungsweise auf Sokrates verweist. Vor allem Euripides, der ja in seinen Tragödien dem zeitgenössischen Denken notorisch Platz eingeräumt hat, steht im Verdacht, dergleichen Anspielungen auf Sokrates vorgenommen zu haben. 1. Die antike Überlieferung Daß in den Tragödien des Euripides Sokratisches Gedankengut enthalten sei, wurde bereits in der Antike behauptet. An erster Stelle ist hier die Komödie zu nennen: Die Komiker Telekleides (PCG 7 fr. 41 sq. = SSR I A 1), Kallias (PCG 4 fr. 15 = SSR I A 2) und Aristophanes (PCG 3.2 fr. 393 = SSR I A 3 ) stellen es so dar, daß Sokrates der spiritus rector des Euripides, wo nicht gar Verfasser der Euripideischen Tragödien gewesen sei (Patzer 1994, 51-60 = Abh. 4, 66-76). Hierüber sei an dieser Stelle nur soviel wiederholt, daß sich die Komödie einer komischen Chiffre bedient, wenn sie Sokrates gewissermaßen als Geistführer des Euripides darstellt: Entziffert besagt diese Chiffre nichts anderes, als daß zwischen der riskierten Themenwahl und der hochgradig rhetorisch-argumentativen Dialogführung der Euripideischen Tragödie und zwischen den nicht minder riskierten Thesen und der logisch und psychologisch argumentierenden Gesprächsführung der Sokratischen Elenktik Gemeinsamkeiten bestehen, die es erlauben, beide, trotz aller Unterschiede in Form und Inhalt der Mitteilung, als Kinder einer Zeit und eines Geistes anzusehen, wie dies auch Aristophanes im letzten Chorlied der Frösche (Ran. 1482-1499) expressis uerbis getan hat. Wie die Entzifferung komischer Rede den modernen Interpreten nicht immer leicht fällt, so ist sie schon gar nicht die Sache der hellenistischen Biographie, welche die komische Rede vielmehr weniger als Chiffre, denn ∗ Erstveröffentlichung in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge [Kommissionsverlag Ferdinand Schönigh] Würzburg, 22 (1998) 33-45. 5. Sokrates in der Tragödie 104 als historischen Text auffaßt, dem sie Faktizitäten ablauschen zu können glaubt, durch die sie die karge Überlieferung auf wünschenswerteste Weise bereichern zu können vermeint. So hat denn auch die Euripidesbiographie (Vit. Elmsl. 4 sq; cf. Gell. Noct. Att. 15.20,4 = SSR I C 22; Suda s.u. Ε ὐ ρι̟ίδης) nicht verfehlt, in offenbarem Rückgriff auf die Komödie, Sokrates unter die Lehrer des Euripides einzureihen und im Werke des Euripides nach Anspielungen auf Sokrates zu fahnden, durch welche sich das prätendierte Schüler- Lehrer-Verhältnis etwa beweisen ließe. So und nicht anders verfährt auch der Peripatetiker Satyros in seiner Euripides-Biographie, von der sich nicht unbeträchtliche Teile auf Papyrus erhalten haben (Pap. Oxy. 1176. ed. princ. Hunt 1912; von Arnim 1913; Arrighetti 1964). Überraschenderweise ist diese Biographie in Form eines Dialoges gehalten: Ein Hauptunterredner — womöglich Satyros selbst — trägt die Sache more Aristotelico lehrhaft vor, während eine oder mehrere Nebenpersonen — Diodora Eukleia bzw. Diodoros und Eukleia — den Ausführungen des Hauptredners sekundieren. Von der Disposition des Textes sei hier nur soviel erwähnt, daß Satyros, nachdem er über die τέχνη des Euripides gehandelt hat, von fr. 8 col. ii 20 bis fr. 39 col. ix fin. über das ἦ θος des Euripides handelt (Leo 1912, 286). In diesem Rahmen diskutiert Satyros anhand ausgewählter Euripides- Zitate (TrGF 5.2 fr. 593 ex Pirithoo [Critiae]; TrGF 5.2 fr. inc. 912 sq. & 1039; Troad. 886) das Verhältnis zwischen Euripides und Anaxagoras, und zwar durchaus kontrovers, insofern nicht nur die Nähe des Euripides zur Anaxagoreischen Kosmologie zitathaft belegt wird, sondern auch Zweifel und Ablehnung notiert werden (fr. 37 col. i 22 bis fr. 38 col. i fin.). Es folgen weitere Euripides-Zitate (TrGF 5.2 fr. inc. 96o & fr. 1007), die nun aber nicht mehr kosmologisches, sondern ethisches Gepräge tragen, insofern sie die «Anstrengung» (̟όνος), die der «Tüchtigkeit» ( ἀ ρετή) gilt, loben, Reichtum und Gier nach Geld aber verwerfen (fr. 38 col. ii & iii). Die Änderung der Thematik verweist fraglos auf eine Veränderung in der Problematik: Nicht mehr das Verhältnis zwischen Euripides und Anaxagoras wird hier diskutiert, sondern das Verhältnis zwischen Euripides und Sokrates, den ja die Euripides-Biographie (Gellius und Suda) expressis uerbis als Lehrer des Euripides in ethicis bezeichnet. Daß nicht Reichtum und Luxus, sondern allein Anstrengung und Mühe geeignet sind, uns zu wahrer Tüchtigkeit zu führen — ein Gedanke, dem Euripides besonders im Herakles Ausdruck verliehen hat —, ließ sich unschwer als Ausfluß Sokratischer Weisheit interpretieren: Namentlich der Antisthenische Sokrates vertritt diese Lehre, und der Xenophontische hat sie ihm dann abgelauscht. Statt zahlloser Einzelbelege mag hier der Hinweis genügen, daß Antisthenes in seinen beiden Programmschriften Herakles 5. Sokrates in der Tragödie 105 (SSR V A 97) und Kyros (SSR V A 85) lehrte, «die Anstrengung sei ein Gut» ( ὅ τι ὁ ̟όνος ἀ γαθόν). Von der Übereinstimmung im Gedanklichen abgesehen, konnte das persönliche Bekenntnis, das der Chor im ersten der ethischen Zitate (TrGF 5.2 fr. inc. 960)) abgibt, von Satyros leicht als persönliche Anspielung auf Sokrates und als Bekenntnis zu seiner Lehre aufgefaßt werden: ὅ τ[ωι] ̟άρεστιν τ ὸ ̟ονε ῖ ν τ ῶ ν τ ᾽ ἀ γαθ ῶ ν κεκλ ῆ σθαι, φίλος ὢ ν ἐ µ[ ὸ ]ς λεγέσθω. Fraglos war es diese Stelle (fr. 38 col. ii 8-14), von der die gesamte Diskussion über das Verhältnis zwischen Euripides und Sokrates ihren Ausgang nahm, und sie war nicht schlecht gewählt — gesetzt, daß man das biographische Ausdeuten dramatischer Texte, wie es Satyros betreibt, als methodisch erlaubt betrachtet. Was sich bisher nur erschließen ließ, drückt der folgende Text (fr. 38 col. iv; fr. 39 col. i) expressis uerbis aus: daß Satyros das Verhältnis zwischen Euripides und Sokrates diskutiert. Die entscheidende Passage lautet folgendermaßen (Arrighetti 1964, 53 = SSR I C 23; lectiones incertae unterstrichen): µετ ῆ λθεν [δ] ὲ ̟ρ ὸ ς τ[ ὸ α ἰ ]σ- χ[ρ] ὸ ν ̟[αρ ὰ τ ῶ ι] ὄ [χ]λωι τ[ ῶ ι] θαυµά[ζει]ν τ ὸ ν Σω[κρά-] τη ̟ολ ὺ [µάλι-] [στ]α ὥ στ ᾽ ἀ ̟[ο-] [φα]ινόµενο[ς] [ ἐ ν] τ ῆ ι ∆ανάη[ι] [̟]ερ ὶ ̟λεονε- [ξί]ας µόνον [α ὐ ]τ ὸ ν ̟άν- [τ]ων ἐ ̟οιή- [σα]τ ᾽ ἐ ξαίρετον ]..[.]ε... Die Richtigkeit dieser Textrekonstruktion vorausgesetzt, führt Satyros folgendes aus: Euripides sei in den Augen der Menge zum Verwerflichen kondeszendiert dadurch, daß er Sokrates über alle Maßen bewundert habe — so sehr, daß er, als er in der Danae über die «Besitzgier» (̟λεονεξία) gesprochen habe, Sokrates als einzigen Menschen von diesem Laster ausgenommen habe. 5. Sokrates in der Tragödie 106 Es spricht alles dafür, daß jene Verse, die Satyros Anlaß zu seiner Deutung gegeben haben, erhalten sind (von Arnim 1913, 4). Stobaios (3.10,18) überliefert unter der Kapitelüberschrift Περ ὶ ἀ δικίας κα ὶ φιλαργυρίας κα ὶ ̟λεονεξίας aus der Danae des Euripides folgende zwei Verse (TrGF 5.1 fr. 325): κρείσσων γ ὰ ρ ο ὔ τις χρηµάτων ̟έφυκ ᾽ ἀ νήρ, ̟λ ὴ ν ε ἴ τις— ὅ στις δ ᾽ ο ὗ τός ἐ στιν ο ὐ χ ὁ ρ ῶ . Wir wissen nicht, wer diese Verse zu wem in welchem Zusammenhang gesprochen hat. Um so mehr gilt es, sich vor konjekturalen Eingriffen in den tadelfrei überlieferten Text zu hüten: Wer im zweiten Vers den Emendationsvorschlägen der modernen Konjekturalkritik folgen würde, bekäme folgenden Text zu lesen: ̟λ ὴ ν ε ἷ ς (Porson) τις— ὅ στις δ ᾽ ο ὗ τός ἐ στιν ο ὐ χ ἐ ρ ῶ (Badham). Aber wer solcher Textgestaltung folgt, der wandelt, unbewußt und ungewollt, interpretatorisch auf den Spuren des Satyros, insofern er die allgemein gehaltene Aussage des überlieferten Textes konjektural ins Persönliche und Konkrete umdeutet. Es ist aber gar nicht von einer konkreten Person die Rede, sondern jener quidam (τις), der als einziger nicht der Geldgier unterliegen soll, wird vom Sprecher durch die Aussage, daß er ihn nicht wahrnehme (ο ὐ χ ὁ ρ ῶ ), ins Reich der Fabel verwiesen. Oder anders: Der zweite Vers bestätigt die Aussage des ersten Verses dadurch, daß er eine mögliche Ausnahme benennt, um sie sogleich als unmöglich zu verwerfen. Eine solche poetische Form der Rede im Sinne einer persönlichen Anspielung mißzuverstehen kann nicht Sache moderner Textemendation sein — wie sehr auch immer dergleichen Mißverständnisse zur Hermeneutik der hellenistischen Biographie gehören. Diese biographische Hermeneutik zugestanden, war es für Satyros ein Leichtes, die oben genannten Verse aus der Euripideischen Danae auf Sokrates zu beziehen. Denn daß Sokrates nichts an Geld gelegen war, daß er vielmehr in selbstgewählter Armut zufrieden lebte, darüber gibt es in der gesamten Überlieferung nur eine Stimme. Der locus classicus, der eine Unzahl weiterer Belege ersetzen mag, findet sich in der Platonischen Apologie (p. 23 c), wo Sokrates erklärt, daß er es um seiner vom Gotte verordneten philosophischen Sendung willen weder öffentlich noch privat zu etwas gebracht habe: «Vielmehr lebe ich in tausendfältiger Armut wegen des Dienstes für den Gott» ( ἀ λλ ᾽ ἐ ν ̟εν ί αι µυρ ί αι ε ἰ µ ὶ δι ὰ τ ὴ ν το ῦ θεο ῦ λατρε ί αν). Auch der folgende Text (fr. 39 col. ii) diskutiert das Verhältnis zwischen Sokrates und Euripides. Allerdings verschiebt sich hier die Thematik: Nicht mehr von der Übereinstimmung beider in ethischen Fragen ist die Rede, sondern von ihrer Übereinstimmung in religiösen und politischen Fragen. Der Text lautet folgendermaßen (Arrighetti 1964, 52 sq. = SSR I C 23): 5. Sokrates in der Tragödie 107 ]ν […]δια ]α.[…]. ιον [τ]όνδ[ε τ] ὸ ν [τ]ρό̟ο[ν (a) λ]άθρα[ι] δ ὲ τού[τ]ων δρω- µένων τίνας φοβ ῆ ι; (b) το ὺ ς µείζονα βλ[έ-] ̟οντας ἀ [ν-] θρώ̟ων θεούς. (B) Ε ἴ η ἂ ν ἡ τοιαύ- τη ὑ ̟όνοια ̟ερ[ ὶ ] θε ῶ ν [Σω-] κρατική— τ ῶ ι γ ὰ ρ ὄ ντι τ ὰ [θ]νη- το ῖ ς ἀ όρατα το ῖ ς ἀ θανάτοις ε ὐ κάτο̟τα— (A) Κα ὶ µ ὴ ν κα ὶ τ ὸ [µισο]τυραννε ῖ ν [κα ὶ τ ὰ ̟λή]θη κα ὶ [τ ὰ ς δυναστ]είας [τ ῶ ν ὀ λίγ]ων[ Die Richtigkeit der Textrekonstruktion wiederum vorausgesetzt, beginnt die Diskussion dergestalt, daß der Hauptunterredner (A) zwei Verse aus einer unbekannten Tragödie des Euripides (TrGF 5.2 fr. inc. 1007 c) zitiert, in denen eine dramatis persona (b) einer anderen (a) erklärt, daß die Götter auch das sähen, was einer heimlich tue (l. 7-14). Worauf ein Nebenunterredner (B) konstatiert, daß man eine solche Auffassung der Götter für Sokratisch halten könne: In der Tat sei ja das, was für die Menschen unsichtbar sei, für die Götter wohldurchschaubar (l. 15-22). Auffällig ist bei diesem kurzen Dialog, daß zwar die religiösen Anschauungen des Euripides durch Zitat belegt werden, nicht aber jene des Sokrates. Daß die Vorstellung von der Allwissenheit der Götter auch Sokratisch sei, wird vom Nebenunterredner vielmehr durch einen Rekurs auf die Wirklichkeit bewiesen, ausgedrückt durch die Formel «in der Tat nämlich» (τ ῶ ι γ ὰ ρ ὄ ντι). Sokrates fungiert demnach in den Augen des Redners als der schlechthin Weise, der die Dinge so sieht, wie sie zu sehen sind. Hätte der Redner anders argumentiert und auch im Falle des Sokrates ein beweisendes Zitat angeführt, so hätte er, neben vielen anderen Äußerungen, vor allem Xenophon (Mem. 1.1,19; cf. 1.4,18) zitieren können, der die Sokratische Religiosität dem Volksglauben mit folgenden Worten gegenüberstellt: «Sokrates jedoch war der Ansicht, daß die Götter 5. Sokrates in der Tragödie 108 alles wüßten, das Gesagte, das Getane und das im Verschwiegenen Geplante» (Σωκρ ά της δ ὲ ̟ ά ντα µ ὲ ν ἡ γε ῖ το θεο ὺ ς ε ἰ δ έ ναι, τ ά τε λεγ ό µενα κα ὶ ̟ραττ ό µενα κα ὶ τ ὰ σιγ ῆ ι βουλευ ό µενα). Da die Nebenperson ausdrückt, was der Hauptunterredner hören bzw. sagen wollte: daß in der Vorstellung von der Allwissenheit der Götter Übereinstimmung bestehe zwischen Sokrates und Euripides, kann der Hauptunterredner ohne weiteres Verweilen zu einem neuen Thema übergehen: der Übereinstimmung zwischen Euripides und Sokrates in politicis (l. 23-27). Von dieser Diskussion ist nur der Anfang erhalten, der vom Haß auf die Tyrannen, von der Menge und von der Herrschaft der Wenigen spricht — zweifellos in dem Sinne, daß sowohl Euripides wie Sokrates tyrannische, ochlokratische und oligarchische Regierungsformen abgelehnt haben (Leo 1912, 280). Von dieser Diskussion läßt der folgende Text (fr. 39 col. iii 1-18 = SSR I C 23) noch soviel erkennen, daß Satyros offenbar wiederum ein Euripides-Zitat (TrGF 5.1 fr. 262 ex Plisthene? ) anführte, aufgrund dessen der Hauptunterredner das politische Credo des Euripides beschreibt, wie folgt: Man solle keinen Bürger über das Maß erhöhen, keinen Tyrannen schaffen und schlechten Bürgern keinen Zugang zu Ehrenstellen gewähren; denn der größte Schaden für eine Stadt sei ein übler Demagoge, der über seine Verdienste gefördert werde . . . Von Sokrates ist hier expressis uerbis nicht die Rede. Aber daß sich behaupten ließ, was in der Lücke des Textes höchstwahrscheinlich behauptet wurde: daß Sokrates dieses politische Credo geteilt habe, steht außer Frage. Daß in der Politik das Maß, will sagen: die Gerechtigkeit walten solle, ist Grundüberzeugung der gesamten Sokratik und bedarf keiner weiteren Belege. Nicht minder aber steht außer Frage, daß sich aus solcher Übereinstimmung nicht beweisen läßt, worauf es Satyros hier und im Vorhergehenden ankommt: daß Sokrates als Lehrer des Euripides in ethicis zu gelten habe. Dieselbe hermeneutische Methode, wie wir sie in der Euripides- Biographie des Satyros beobachten können, begegnet auch in der Sokrates-Biographie des Diogenes Laertius (2.44 = SSR I D 1 [44]), der zu erzählen weiß, daß die Athener nach dem Tode des Sokrates alsbald Reue erfaßt hätte: Ε ὐ ρι̟ ί δης δ ὲ κα ὶ ὀ νειδ ί ζει α ὐ το ῖ ς ἐ ν τ ῶ ι Παλαµ ή δει λ έ γων, ἐ κ ά νετ' ἐ κ ά νετε τ ὰ ν ̟ ά νσοφον, τ ὰ ν ο ὐ δ ὲ ν ἀ λγ ύ νουσαν ἀ ηδ ό να Μουσ ᾶ ν. Ausführlicher erzählt dieselbe Geschichte der unbekannte Verfasser der Hypothesis zum Busiris des Isokrates (1 p. 187 sq. Mathieu-Brémond): Aus Reue über den Tod des Sokrates hätten die Athener verboten, öffentlich — wie z.B. im Theater — über Sokrates zu reden: ἀ µέλει λέγεταί τι τοιο ῦ τον, ὡ ς ὅ τι Ε ὐ ρι̟ίδου βουλοµένου ε ἰ ̟ε ῖ ν ̟ερ ὶ α ὐ το ῦ κα ὶ δεδιότος ἀ να̟λάσασθαι Παλαµήδην, ἵ να δι ὰ τούτου σχοίη καιρ ὸ ν το ῦ α ἰ νίξασθαι 5. Sokrates in der Tragödie 109 ε ἰ ς τ ὸ ν Σωκράτη κα ὶ ε ἰ ς το ὺ ς Ἀ θηναίους— ἐ κ ά νετε, ἐ κ ά νετε τ ῶ ν Ἑ λλήνων τ ὸ ν ἄ ριστον ( ὅ ἐ στιν ἐ φονεύσατε)— κα ὶ νο ῆ σαν τ ὸ θέατρον ἅ ̟αν ἐ δάκρυσε, διότι ̟ερ ὶ Σωκράτους ἠ ινίττετο. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht das Zitat aus dem Palamedes des Euripides (TrGF 5.2 fr. 588), das Diogenes ungleich genauer wiedergibt als der Autor der Hypothesis. Indes lehrt ein Blick auf die Parallelüberlieferung bei Philostrat (Heroic. 34,7) und Tzetzes (Exeg. Il. p. 44, Comm. in Lycophr. 384), daß auch Diogenes nicht vollständig zitiert, insofern er den Vokativ ὦ ∆αναοί wegläßt, der auf den Imperativ ἐ κ ά νετε folgte. Das ist kein Versehen, sondern eine absichtliche Änderung des überlieferten Textes, die Diogenes fraglos bereits vorgefunden hat: Denn wenn die vokativische Anrede an die Danaer fehlt, wird noch plausibler oder vielmehr überhaupt erst plausibel, worauf es in der Geschichte ankommt: daß Euripides in den vorgenannten Versen des Palamedes über die Ermordung der klugen und friedlichen Nachtigall den Athenern einen Vorwurf über die Hinrichtung des Sokrates habe machen wollen. Womit diese Verse ein weiteres biographisches Dokument sind für das enge Freundschafts- und Lehrer-Schüler-Verhältnis, das zwischen Sokrates und Euripides bestanden haben soll. Die biographische Hermeneutik, die hier in Kraft tritt, setzt einen im Chronologischen entschieden unbelehrten Leser voraus: Daß der Palamedes im Jahre 415 aufgeführt wurde (Aelian. Var. hist. 2.8 = TrGF 5.2. test ii a p. 595), mußte nicht jeder wissen; aber auch wer das genaue Todesdatum des Euripides (406) nicht im Kopf hatte, wußte doch, daß Euripides erhebliche Zeit vor Sokrates gestorben war, dessen Tod nicht vor der Niederlage Athens im Peloponnesischen Kriege erfolgte, sondern danach (399). Schon in der Antike hat man denn auch nicht verfehlt, auf diesen groben Anachronismus hinzuweisen. Diogenes Laertius (2.44 = SSR I D 1 [44]) notiert im Anschluß an das Palamedes-Zitat folgendes: κα ὶ τ ά δε µ ὲ ν ὧ δε. Φιλ ό χορος δ έ φησι ̟ροτελευτ ῆ σαι τ ὸ ν Ε ὐ ρι̟ ί δην το ῦ Σωκρ ά τους. Kein Zweifel, daß Diogenes dieses Philochoros-Zitat (FGrHist 328 F 221) in demselben Kontext vorfand wie das Zitat aus dem Palamedes des Euripides: Philochoros bestritt demnach aus chronologischen Gründen, daß Euripides im Palamedes anspielend auf den Tod des Sokrates hingedeutet habe. Wer im übrigen glaubt, daß sich Philochoros grundsätzlich gegen das biographische Ausdeuten von Dichtertexten erklärt habe, sieht sich getäuscht. Denn derselbe Philochoros (FGrHist 328 F 217) war der Ansicht, daß man im Ixion des Euripides (TrGF 5.1 p. 456) eine Anspielung auf den Ertrinkungstod des Protagoras konstatieren könne. Dieser Befund ist von Belang; denn er lehrt, daß die hellenistische Biographie das biographische Ausdeuten von Dichtertexten nicht erfunden, sondern bereits vorgefunden hat: Die Methode als solche — wenn 5. Sokrates in der Tragödie 110 auch womöglich nicht ihre exzessive Anwendung — gehört in die literaturwissenschaftliche Diskussion des 4. Jahrhunderts, die ja vor allem im Kreise des Peripatos stattfand. Ob der Peripatos sich seinerseits auf eine volkstümliche, mündlich überlieferte Hermeneutik beziehen konnte, die in naivem Zugriff auf die Texte Informationen über das Leben der Autoren zu gewinnen trachtete, von denen in der Regel kaum etwas bekannt war, mag dahingestellt bleiben. Nur soviel sei abschließend bemerkt, daß das vergleichsweise hohe Alter dieser Hermeneutik durchaus nicht für die Plausibilität ihrer Ergebnisse spricht: Literarischen Texten biographische Faktizitäten abzulauschen bleibt ein schwieriges Unterfangen, selbst dann, wenn die biographische Äußerung offen zutage liegt; sind die biographischen Hinweise nun gar verdeckt und versteckt im Text enthalten, so ist doppelte Vorsicht geboten, wenn anders man hermeneutisch nicht denselben Schiffbruch erleiden will, wie ihn die antike Biographie und Grammatik erlitten hat in Betreff jener Anspielungen, durch die Euripides sich als Freund und Schüler des Sokrates bekannt haben soll. 2. Moderne Hypothesen Wie die antike, so hat auch die moderne Philologie eine Diskussion De Socraticae doctrinae uestigiis apud Euripidem geführt — dies der Titel einer älteren Dissertation (Feugère 1874), die ihrem Thema allerdings kaum gerecht wird, insofern sie aufgrund diffuser gedanklicher Gemeinsamkeiten zwischen Sokrates und Euripides zu dem ebenso diffusen Schluß gelangt, mentem Socraticam ubique impressam esse in Euripideis fabulis (80). Weniger diffus argumentiert eine neuere Hypothese, die das gedankliche Verhältnis zwischen Sokrates und Euripides anhand zweier prominenter Stellen der Medea und des Hippolytos zu erhellen können glaubt (Snell 1948; ders. 1964, 58-64 & 1971, 61-74). Im Mittelpunkt der Argumentation steht der Monolog der Phaidra im Euripideischen Hippolytos, genauer: der Anfang dieses Monologs, wo Phaidra sich folgendermaßen vernehmen läßt (375-383): ἤ δη ̟οτ' ἄ λλως νυκτ ὸ ς ἐ ν µακρ ῶ ι χρ ό νωι θνητ ῶ ν ἐ φρ ό ντισ' ἧ ι δι έ φθαρται β ί ος. κα ί µοι δοκο ῦ σιν ο ὐ κατ ὰ γν ώ µης φ ύ σιν ̟ρ ά σσειν κ ά κιον· ἔ στι γ ὰ ρ τ ό γ' ε ὖ φρονε ῖ νぉ ̟ολλο ῖ σιν— ἀ λλ ὰ τ ῆ ιδ' ἀ θρητ έ ον τάδε— τ ὰ χρ ή στ' ἐ ̟ιστ ά µεσθα κα ὶ γιγν ώ σκοµεν,ぉ ο ὐ κ ἐ κ̟ονο ῦ µεν δ', ο ἳ µ ὲ ν ἀ ργ ί ας ὕ ̟ο, ο ἳ δ' ἡ δον ὴ ν ̟ροθ έ ντες ἀ ντ ὶ το ῦ καλο ῦ ἄ λλην τιν'… 5. Sokrates in der Tragödie 111 In diesen Versen, so die Hypothese, setze sich Phaidra kritisch mit einer Lehre auseinander, die besage, daß aufgrund der Natur der Einsicht das rechte Denken auch zum rechten Handeln führe: Wer das Rechte wisse und erkenne, der tue es auch. Diese Lehre aber gehe, wie die Xenophontischen Memorabilien (bes. 3.9,4) und die Platonischen Frühdialoge (bes. Prot. p. 352 d) bewiesen, auf Sokrates zurück. Sokrates sei es, gegen den Euripides hier in Gestalt der Phaidra polemisiere, indem er den Primat der Erkenntnis in Betreff des Handelns bestreite: Nicht Erkenntnis leite unser Handeln, sondern vielmehr «Energielosigkeit» ( ἀ ργ ί α) oder die «Lust» ( ἡ δονή), die sich «an Stelle des Schönen und Guten» ( ἀ ντ ὶ το ῦ καλο ῦ ) als wirkungsmächtig erwiesen. Die Kritik der Phaidra an Sokrates, so die Hypothese weiter, erfolge aufgrund der Euripideischen Ansicht vom Primat des Affekts über die Erkenntnis — eine Ansicht, der Euripides zum ersten Mal in der Medea programmatisch Ausdruck verliehen habe, wenn er Medea sagen lasse (1077-1080): [...] νικ ῶ µαι κακο ῖ ς κα ὶ µανθ ά νω µ ὲ ν ο ἷ α δρ ᾶ ν µέλλω κακ ά , θυµ ὸ ς δ ὲ κρε ί σσων τ ῶ ν ἐ µ ῶ ν βουλευµ ά των, ὅ σ̟ερ µεγ ί στων α ἴ τιος κακ ῶ ν βροτο ῖ ς. Diese programmatischen Verse des Euripides seien es gewesen, die Sokrates zum Widerspruch veranlaßt hätten: Im Widerspruch gegen die Euripideische Auffassung vom Primat des Affekts über die Erkenntnis habe Sokrates seine Lehre vom Tugend-Wissen formuliert und entwikkelt; und da die Medea im Jahre 431 aufgeführt worden sei, der Hippolytos im Jahre 428, lasse sich die Erfindung der Sokratischen Ethik vergleichsweise exakt auf das Ende der dreißiger bzw. den Anfang der zwanziger Jahre des fünften Jahrhunderts datieren, und die vorgenannten Worte der Phaidra im Euripideischen Hippolytos hätten als das früheste Zeugnis über Sokrates zu gelten, das wir besäßen. Die Forschung hat diese Hypothese so gut wie einhellig verworfen (Barrett 1964, 227-230; Claus 1972; Moline 1975). Zu Recht: Die Hermeneutik, die der Beweisführung zugrunde liegt, überzeugt nicht, da sie zweimal Äußerungen einer dramatis persona als Äußerungen des Dichters in Anspruch nimmt — nicht anders im Grunde, als Satyros und die hellenistische Biographie getan haben. Aber eine solche Gleichsetzung zwischen dramatischer Person und Dichter geht prinzipiell nicht an: Die Meinung des Dichters entbirgt sich nicht in der Äußerung einer Person, sondern in der Gesamtheit der Äußerungen aller Personen und ihrer Handlungen, denen die Interpretation womöglich einen gemeinsamen Hintersinn ablauschen kann, welcher allenfalls als Meinung des Dichters gedeutet werden kann — obwohl selbst eine solche Gleichsetzung hermeneutisch nicht ohne Bedenklichkeiten ist. 5. Sokrates in der Tragödie 112 So sind auch die Äußerungen der Medea und der Phaidra über den Primat des Affekts über die Erkenntnis nicht als Ausdruck Euripideischer Weltanschauung zu interpretieren, sondern als Äußerungen dramatischer Personen, die eine Grundtatsache der condicio humana erleben und reflektieren: daß nämlich für den Handelnden nicht die Erkenntnis das stärkste Motiv ist, sondern der Affekt. Dementsprechend rekurrieren auch Medea und Phaidra auf die condicio humana: Medea, insofern sie bekennt, daß der Affekt «den Menschen» (βροτο ῖ ς) die größten Übel zufüge, Phaidra, indem sie bekennt, daß wir — als Menschen — «zwar das Rechte wissen und erkennen, es aber nicht ausführen» (τ ὰ χρ ή στ' ἐ ̟ιστ ά µεσθα κα ὶ γιγν ώσκοµεν, ο ὐ κ ἐ κ̟ονο ῦ µεν δ'[...]). Und wie Phaidra nicht die Sokratische Ethik kennen muß, um so reden zu können, wie sie redet, so mußte Sokrates nicht erst die Verse der Medea hören, um seine ethische Grundüberzeugung zu formulieren. Im Platonischen Protagoras (p. 352 d) formuliert Sokrates die Lehre vom Primat der Erkenntnis über die Affekte und bemerkt zu Protagoras, der dieser Lehre beigestimmt hat: ο ἶ σθα ο ὖ ν ὅ τι ο ἱ ̟ολλο ὶ τ ῶ ν ἀ νθρ ώ ̟ων ἐ µο ί τε κα ὶ σο ὶ ο ὐ ̟ε ί θονται, ἀ λλ ὰ ̟ολλο ύ ς φασι γιγν ώ σκοντας τ ὰ β έ λτιστα ο ὐ κ ἐ θ έ λειν ̟ρ ά ττειν, ἐ ξ ὸ ν α ὐ το ῖ ς, ἀ λλ ὰ ἄ λλα ̟ρ ά ττειν, κα ὶ ὅ σους δ ὴ ἐ γ ὼ ἠ ρ ό µην ὅ τι ̟οτε α ἴ τι ό ν ἐ στι το ύ του, ὑ ̟ ὸ ἡ δον ῆ ς φασιν ἡ ττωµ έ νους ἢ λ ύ ̟ης ἢ ὧ ν νυνδ ὴ ἐ γ ὼ ἔ λεγον ὑ ̟ ό τινος το ύ των κρατουµ έ νους τα ῦ τα ̟οιε ῖ ν το ὺ ς ̟οιο ῦ ντας. Es ist bezeichnend, daß sich die Hypothese gezwungen sieht, auch diese Worte des Sokrates als Rekurs auf die Rede der Phaidra im Hippolytos zu interpretieren (Snell 1948, 127; ders. 1964, 58 & 1971, 64). Davon kann im Ernst keine Rede sein: Sokrates beruft sich keineswegs auf Euripides, sondern rekurriert auf seine eigene elenktische «Erfahrung» ( ἠ ρ ό µην), die ihn gelehrt habe, daß die «Mehrzahl der Menschen» (ο ἱ ̟ολλο ὶ τ ῶ ν ἀ νθρ ώ ̟ων) vom Primat des Affektes über die Erkenntnis überzeugt sei. Gegen diese communis opinio der Menschen, die er, wie Medea und Phaidra, der unmittelbaren Lebenserfahrung abgelauscht hat, verwahrt sich Sokrates, indem er den Begriff der Erkenntnis und des Guten neu bestimmt und so vertieft, daß ihm das Erkennen des Guten in eins fällt mit dem Tun des Guten — ein durchaus neuer, ja revolutionärer Gedanke, der, wie alle wahrhaft philosophischen Denkansätze, die communis opinio nicht bestätigt, sondern ihr widerstreitet. Noch an einer anderen Stelle des Euripideischen Hippolytos hat man Polemik gegen Sokrates aufweisen zu können geglaubt (Carlini 1965; Snell 1971, 70). Die Amme äußert zu Phaidra (358 sq.): ο ἱ σ ώ φρονες γ ά ρ ο ὐ χ ἑ κ ό ντες, ἀ λλ ᾽ ὅ µως κακ ῶ ν ἐ ρ ῶ σι [...]. In diesen Worten äußere — so die Hypothese — Euripides Kritik an dem Grundsatz ο ὐ δε ὶ ς ἑ κ ὼ ν ἁ µαρτάνει, der durch Platon (Prot. p. 358 c, Gorg. 5. Sokrates in der Tragödie 113 p. 468 bc, Men. p. 77 b-78 b) und durch Xenophon (Mem. 3.9,4) als Sokratisch bezeugt sei. Was sich prinzipiell gegen die erste Hypothese einwenden ließ, gilt auch hier: daß es hermeneutisch nicht zulässig ist, die Äußerung einer dramatis persona als Äußerung des Dichters aufzufassen. Und wie Phaidra keine Kenntnis der Sokratischen Ethik benötigt, um so zu sprechen, wie sie spricht, so auch nicht die Amme: Daß auch der besonnene Mensch unfreiwillig und wie unter Zwang nach dem Schlechten strebt, ist ebenso eine Erkenntnis der Lebenserfahrung wie, daß der Affekt oft mächtiger ist als die Einsicht. Um solche communes opiniones zu formulieren, mußte Euripides ebensowenig auf die Sokratische Ethik zurückgreifen wie Sokrates auf die Euripideische Tragödie zurückgreifen mußte, um dagegen philosophischen Protest einzulegen im Namen einer erneuerten und vertieften Vorstellung dessen, was Erkenntnis sei und zu leisten habe. Eine letzte Stelle: In der Aulischen lphigenie, die nach dem Tode des Euripides im Jahre 406 aufgeführt wurde, singt der Chor, nachdem er die maßvolle Liebe gepriesen hat, folgendes Lied (558-573): δι ά φοροι δ ὲ φ ύ σεις βροτ ῶ ν, δι ά φοροι δ ὲ τρ ό ̟οι— τ ὸ δ ᾽ ὀ ρ- θ ῶ ς ἐ σθλ ὸ ν σαφ ὲ ς α ἰ ε ί · τροφα ί θ ᾽ α ἱ ̟αιδευ ό µεναι µ έ γα φ έ ρους ᾽ ἐ ς τ ὰ ν ἀ ρετ ά ν— τ ό τε γ ὰ ρ α ἰ δε ῖ σθαι σοφ ί α, τ ά ν τ ᾽ ἐ ξαλλ ά σσουσαν ἔ χει χ ά ριν ὑ ̟ ὸ γν ώ µας ἐ σορ ᾶ ν τ ὸ δ έ ον, ἔ νθα δ ό ξα φ έ ρει κλ έ ος ἀ γ ή ρατον βιοτ ᾶ ι. µ έ γα τι θηρε ύ ειν ἀ ρετ ά ν, γυναιξ ὶ µ ὲ ν κατ ὰ Κ ύ ̟ριν κρυ̟τ ά ν, ἐ ν ἀ νδρ ά σι δ ᾽ α ὖ κ ό σµος ἐ ν ὼ ν ὁ µυριο̟λη- θ ὴ ς µε ί ζω ̟ ό λιν α ὔ ξει. In diesem Liede nun, so eine dritte Hypothese, drücke Euripides bekenntnishaft Gedanken aus, die als Sokratisch zu gelten hätten (Webster 1967, 76; Snell 1971, 69): Sokratisch sei der Lobpreis der Erziehung, der Weisheit und der Tugend, der das Lied beherrsche; Sokratisch sei auch die Metapher von der «Jagd nach der Tugend» (θηρε ύ ειν ἀ ρετ ά ν), die namentlich der Platonische Sokrates liebe; Sokratisch aber sei schließlich vor allem die eingangs vom Chore geäußerte Vorstellung vom «wahrhaft Edlen» (τ ὸ δ ᾽ ὀ ρθ ῶ ς ἐ σθλόν), die an den Begriff des «in Wahrheit bzw. tatsächlich Guten» (τ ὸ ἀ ληθ ῶ ς siue ὄ ντως ἀ γαθόν) gemahne, den der Platonische Sokrates gegen den Relativismus der Sophisten geltend mache. 5. Sokrates in der Tragödie 114 Auch gegen diese Hypothese ist noch einmal einzuwenden, daß es prinzipiell methodisch unzulässig ist, die Äußerung einer dramatis persona als Äußerung des Dichters in Anspruch zu nehmen — auch und gerade im Falle des Chores, der, wiewohl oft in lockererem Verhältnis zur dramatischen Handlung stehend als die einzelnen Schauspieler, doch stets ein Teil des Dramas ist und nicht Sprachrohr des Dichters. So auch hier: Wenn der Chor davon singt, daß gute Erziehung zur Tugend führe und schamhafte Zurückhaltung ein Gebot der Klugheit sei, so artikuliert sich hier nicht die Anschauung des Euripides noch gar die des Sokrates, sondern jene der chalkidischen Mädchen, die kurz zuvor die Segnungen einer durch gemäßigten Eros bestimmten Ehe gepriesen haben. Aus ebendieser Perspektive des Mädchenchores ist auch das abschließende Resümee des Liedes zu verstehen: daß das ideale Wirken der Frau sich in verborgener Liebe, das des Mannes in politischem Erfolge erfülle. Eine derart konventionelle Auffassung von der Rolle der Geschlechter kann unmöglich Sache des Euripides gewesen sein, der die Frau als eigenständiges und dem Manne vielfach überlegenes Wesen ja recht eigentlich entdeckt und poetisch dargestellt hat; noch weniger aber kann eine solche Auffassung Sache des Sokrates gewesen sein, von dem Platon (Resp. 5 p. 454 d-456 a), Antisthenes (SSR V A 134) und Xenophon (Symp. 2.9) immerhin übereinstimmend erzählen, daß er die prinzipielle Gleichheit von Mann und Frau gelehrt habe. Auch die Metapher von der Jagd, deren sich der Platonische Sokrates so gerne bedient (Classen 1964), ist nicht Sokratischen Ursprungs. Der lexikalische Befund (Pape 2, 1022; LSJ 799) lehrt vielmehr auf den ersten Blick, daß die Metapher ihre sprachliche Heimat in der Tragödie hat: Euripides bedient sich demnach nicht einer typisch Sokratischen, sondern einer genuin tragischen Metapher, wenn er den Chor der chalkidischen Mädchen von der Jagd nach der Tugend singen läßt. Auch die Vorstellung vom wahrhaft Edlen ist durchaus nicht Sokratisch. Es beginnt damit, daß der Platonische Sokrates, anders als die Hypothese will, nirgends ein Adjektiv ethischen Inhalts mit dem Adverb ἀ ληθ ῶ ς bzw. ὄ ντως verbindet (Ast 1, 97 sq., 2, 454; Des Places 1, 28; 2, 348). An der einzigen Stelle, wo diese Redeweise begegnet, spricht nicht Sokrates, sondern Phaidros (Phaedr. p. 260 a), der bemerkt, daß es nach Meinung der Gerichtsredner nicht nötig sei, «das wahrhaft Gerechte» (τ ὰ ὄ ντως δίκαια) oder das «wahrhaft Gute oder Schöne» (τ ὰ ὄ ντως ἀ γαθ ὰ ἢ καλά) zu kennen, sondern allein, was als solches «erscheine» (τ ὰ δόξαντα). Aber nicht nur, daß diese Stelle mit dem Platonischen Sokrates nichts zu tun hat; der Gegensatz von Wahrheit und Schein, von dem bei Platon die Rede ist, ist bei Euripides auch gar nicht intendiert: Der Chor kontrastiert das wahrhaft Edle nicht mit dem scheinbar Edlen; vielmehr wird die unmittelbare Evidenz des Edlen in Kontrast gesetzt mit der durch Erfahrung vorgegebenen Tatsache, daß die natürlichen Anlagen der Menschen 5. Sokrates in der Tragödie 115 und ihr Charakter verschieden sind (διάφοροι δ ὲ φύσεις βροτ ῶ ν, δι άφοροι δ ὲ τρό̟οι— τ ὸ δ ᾽ ὀ ρθ ῶ ς ἐ σθλ ὸ ν σαφ ὲ ς α ἰ εί). Und zuletzt: Gibt es eine unsokratischere Aussage als jene, daß das wahrhaft Gute evident sei? Wäre Sokrates dieser Ansicht gewesen, so wäre er nicht der Entdecker des philosophischen Paradoxons geworden, daß keiner weiß, was das Gute ist, wiewohl alle glauben, es zu wissen . . . Aufs Ganze betrachtet liefern die drei Hypothesen ein starkes Beispiel dafür, daß sich mit einer verfehlten Hermeneutik alles beweisen läßt: Phaidra und die Amme im Hippolytos sollen sich antisokratisch vernehmen lassen, der Mädchenchor in der Aulischen lphigenie soll sich zu Sokrates bekennen. Wollte man aus diesen Prämissen einen Schluß ziehen, so müßte man annehmen, daß sich Euripides im Laufe der Zeit von einem Gegner des Sokrates zu einem Anhänger gewandelt habe. Das wäre immerhin ein Schluß, wenn auch ein falscher, da aus falschen Prämissen gezogen. Aber was liest man stattdessen? «Euripides ist . . . nicht auf eine bestimmte Lehrmeinung festzulegen . . . » (Snell 1971, 69). Hiermit ist das hermeneutische Chaos perfekt. Die Inkonsistenz der Meinungen, die für die dramatischen Personen selbstverständlich ist, wird zurückverlegt in die Person des Dichters, in der sie doch unmöglich Platz haben kann, wenn anders die Rede von der Einheit der dichterischen Persönlichkeit noch irgendwelchen Sinn haben soll. So läßt sich am allerwenigsten beweisen, daß Euripides in seinen Tragödien auf Sokrates angespielt habe. Auf andere Weise versucht eine neuere Dissertation (Yankow 1978) nachzuweisen, daß sich Euripides in den Tragödien Medea und Hippolytos mit der Sokratischen Lehre vom Tugendwissen auseinandergesetzt habe: Medea, Phaidra und Hippolytos beanspruchten jeweils, im Besitze von Erkenntnis zu sein; der dramatische Verlauf der beiden Stücke erweise diesen Anspruch jedoch als hinfällig; denn gerade aufgrund mangelnder Erkenntnis handeln die vorgenannten Personen so verfehlt, wie sie handeln, indem sie lügen, morden und die Götter beleidigen. So erweise sich hier die Richtigkeit des Sokratischen Satzes, daß allein, wer richtige Erkenntnis habe, auch richtig handele, und somit erweise sich auch, daß zwischen Sokrates und Euripides enge geistige Beziehungen bestanden hätten. Diese Interpretation hat den Vorteil, daß sie nicht isolierte Meinungsäußerungen einer dramatis persona herausgreift und als Sokratisch reklamiert, sondern vielmehr die Gesamtaussage eines Stückes jeweils als Sokratisch zu bestimmen sucht. Allein, was hier als Gesamtaussage der Medea und des Hippolytos in Anspruch genommen wird, ist so allgemein, daß es sich mit Fug und Recht auf jede Tragödie anwenden läßt: Jeder tragische Held glaubt sich subjektiv im Besitze richtiger Erkenntnis — er würde sonst nicht so han- 5. Sokrates in der Tragödie 116 deln, wie er handelt; desgleichen erweist sich die subjektive Erkenntnis jedes tragischen Helden als objektiv verfehlt — anders würde er nicht so scheitern, wie er scheitert. Wenn diese Grundtatsachen Sokratisch sind, so sind alle Tragödien Sokratisch und alle Tragiker im tiefsten Verstande Sokratiker — eine Hypothese, über die sich reden läßt, wenn auch nur auf höchst abstraktem Niveau und keinesfalls in dem Sinne, daß die Tragödie und Sokrates einander geistig beeinflußt hätten. Namentlich die seit der Antike beliebte Vorstellung, daß Sokrates Euripides geistig beeinflußt habe, muß man, recht beraten, dorthin verweisen, wohin sie recht eigentlich gehört: in die Komödie. 6. Die Platonische Apologie als philosophisches Meisterwerk ∗ Apologia Socratis, quam exhibuit Plato aut spuria est, aut tota ironice explicanda. Kierkegaard 1. Der historische Sokrates in Platonischer Fiktion Meisterwerke sind Platons Werke allesamt: Effulgurationen einer gewaltigen Denkkraft, gebändigt durch strenge literarische Form, so daß Philosophie und Poesie sich verbinden zu unauflöslicher Einheit. Das Poetische der Platonischen Prosa oder — modern gesprochen — ihre Literarizität bzw. Fiktionalität drückt sich vor allem darin aus, daß Platon niemals «Ich» sagt: Immer sind es andere, die philosophierend vorgeführt werden, nie erscheint der Autor selbst; er verbirgt sich so vollkommen hinter seinem Werk, daß nicht zu weit geht, sondern vielmehr nur gerade weit genug, wer behaupten wollte, daß das Platonische Werk die Platonische Philosophie mehr verberge denn enthülle. Was sich enthüllt, ist ein Universum philosophischer Denkansätze und Denkbewegungen, die, in jeweils verschiedener Optik und Perspektive, je und je verschiedene Probleme gedanklich umspielen und so nicht sowohl Kunde von einer Philosophie vermitteln als vielmehr Kunde von einem Philosophieren, in dem die Philosophie — die Platonische Philosophie — verborgen ist wie in der Muschel die Perle. Platon selbst drückt das im Siebten Brief (p. 341 cd) folgendermaßen aus: Über das, womit es ihm Ernst sei, gebe es keine Schrift, noch werde es je eine geben; denn es sei durchaus nicht aussagbar wie andere Lehrgegenstände, sondern aus häufigem gemeinsamem Bemühen um die Sache selbst und gemeinsamem Zusammenleben entstehe es plötzlich in der Seele wie ein Licht, das vom springenden Funken entzündet werde. Hieraus erhellt, daß das Verbergen der eigenen Person, daß die radikale Fiktionalität der Platonischen Prosa nichts anderes ist als der literarische Ausdruck einer philosophischen Grundüberzeugung, derzufolge die höchste Erkenntnis im tiefsten Grunde nicht dem sprachlichen Ausdruck ∗ Erstveröffentlichung in: Meisterwerke der antiken Literatur. Von Homer bis Boethius, hrsg. von M. Hose [Verlag C.H. Beck] München 2000, 54-75. 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 118 verfügbar ist, sondern — allen- und bestenfalls — im intensiven philosophischen Gespräch selbstevident zu werden vermag. Wenn also der angemessene Ort des Philosophierens nicht die Schrift ist, sondern das Gespräch, so will es viel besagen, daß Platons Schriften — mit einer bedeutsamen Ausnahme — als philosophische Gespräche konzipiert sind: Platons Dialoge sind nichts anderes als literarische Nachahmung jenes besonderen Philosophierens, von dem der Siebte Brief Kunde gibt. Aristoteles (Poetik p. 1447 a 28-b 13; fr. 72 Rose = SSR I B 1 sq.), der den Dialog, da er das Kriterium der «Nachahmung» (µίµησις) erfüllt, sehr zu Recht als poetische Prosagattung definiert, verwendet zur genaueren Kennzeichnung dieses literarischen genus die Termini «Sokratische Prosaschrift» (λόγος Σωκρατικός) und «Sokratischer Dialog» (διάλογος Σωκρατικός). Das differenzierende Adjektiv «Sokratisch» will nicht besagen, daß Sokrates als Erfinder der Gattung anzusehen ist, sondern als ihr hauptsächlicher Gegenstand: Sokrates ist wesentlicher Bestandteil des Dialogs, den die Sokratiker nach Sokrates' Tode erfunden haben, um das «dialogische» Philosophieren, wie es Sokrates in mündlichem Gespräch betrieb, literarisch angemessen darstellen zu können. So ist denn Sokrates auch in allen Platonischen Dialogen als Gesprächsteilnehmer anwesend und fungiert in der Mehrzahl der Fälle auch als Gesprächsführer — ausgenommen allein die postum erschienenen Nomoi, in denen sich der Sokratische Dialog zum philosophischen Dialog schlechthin wandelt: Das genus wird zur species. Die Omnipräsenz und Ubiquität des Sokrates in den Platonischen Dialogen ist nun alles andere als eine belanglose Äußerlichkeit; sie ist vielmehr ein literarisches Signal, und zwar ein starkes literarisches Signal, das anzeigt, daß das Platonische Philosophieren, wie es in den Dialogen seinen Gang nimmt, seinen Ausgang genommen hat vom Philosophieren des Sokrates und sich zuerst und zuletzt ihm verdankt — eine Tatsache, die die moderne Platonforschung, sehr zu ihrem Schaden, unter der Hand aus den Augen verloren zu haben scheint: Nirgends erfährt man — mirabile dictu — so wenig über Sokrates wie in der gelehrten Literatur über Platon. Wenn Platon literarisch so nachdrücklich signalisiert, daß sein Philosophieren von Sokrates ausgegangen ist, so stellt sich die Frage nach dem Philosophieren des Sokrates: Nur wenn man weiß, wie und warum Sokrates Philosophie trieb, läßt sich erkennen, wo und weshalb Platon zu philosophieren begann und weshalb seine Philosophie jene eigentümliche Form und Gestalt angenommen hat, von der die Dialoge künden. Nun ist die Frage nach Sokrates — nach dem historischen Sokrates — ein oder vielmehr das Problem der griechischen Philosophiegeschichte: Über die Philosophie, ja selbst über die Biographie des Sokrates gibt es im Grunde keine antike und auch keine moderne communis opinio. Namhafte 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 119 neuere Sokratesforscher sind daher der Meinung, daß dieses vielverhandelte Problem prinzipiell unlösbar sei. Der fiktionale Schleier, den zuerst die Komödie, sodann die Sokratischen Dialoge und die epideiktische Rede über Person und Denken des Sokrates geworfen haben, sei so undurchdringlich, daß sich die historische Gestalt nicht einmal mehr erahnen, geschweige denn erkennen lasse. Sokrates sei mithin aus der Geschichte der griechischen Philosophie zu streichen . . . Wäre diese agnostizistische Hypothese richtig, so wären die Folgen fatal: Denn wenn die Philosophie des Sokrates im Dunkel verbliebe, so breitete sich Nebel auch aus über die Platonische Philosophie, insofern nicht erkennbar wäre, wo Platon zu philosophieren anfing. In der Tat herrscht hierüber denn auch in der Forschung die größte Konfusion, oder — noch bedenklicher — die Frage nach Anfang und Ursprung des Platonischen Philosophierens wird gar nicht mehr gestellt. Wie einen Ausweg finden aus dieser hermeneutischen Aporie? Fassen wir das Nächstliegende ins Auge und stellen die Sache so: Wenn es richtig ist, daß Platon durch die Omnipräsenz der Sokratesgestalt ein starkes literarisches Signal gesetzt hat, demzufolge seine Philosophie in der Philosophie des Sokrates gründet, so steht zu erwarten, daß er in seinem Werk auch ein nicht minder starkes Signal gesetzt hat, um literarisch anzuzeigen, wo er das Sokratische Philosophieren in seiner reinsten Form dargestellt hat. Ein solches Signal findet sich in der Tat. Es war bereits davon die Rede, daß Platons Werke nicht ausnahmslos als Dialoge komponiert sind. Die Ausnahme, die die Regel bestätigt, ist die Apologie des Sokrates, die, wie der Titel anzeigt, nicht dialogisch, sondern in Form einer Rede gehalten ist. Daß Sokrates hier — ausnahmsweise — nicht im Gespräch mit anderen dargestellt wird, sondern als Redner, so daß er sich — ausnahmsweise — im Zusammenhang äußern kann, ohne von einem Gesprächspartner im Fluß der Gedanken unterbrochen zu werden, annonciert als literarisches Signal die größtmögliche Sokratesnähe der Darstellung — so wie die Nomoi, in denen Sokrates — wiederum ausnahmsweise — gar nicht mehr als Gesprächsperson anwesend ist, die größtmögliche Sokratesferne anzeigen. Wenn nun aber die Nomoi als Werk größtmöglicher Sokratesferne Platons spätestes Werk sind — ein opus postumum, von Schülerhand aus dem Nachlaß herausgegeben —, so ist auch der Umkehrschluß plausibel, wenn nicht gar zwingend: daß die Apologie als Werk größter Sokratesnähe Platons frühestes Werk gewesen ist. Wie die Nomoi literarisch die Konsequenz ziehen aus Platons zunehmender Entfernung von Sokrates, die in den Spätdialogen dadurch literarisch angezeigt wird, daß Sokrates immer weniger als Gesprächsführer, sondern nurmehr als Gesprächsteilnehmer fungiert, ja schließlich nur noch als bloßer Statist; so präludiert die Apologie der langen Reihe der Frühdialoge, die literarisch Sokratesnähe anzei- 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 120 gen, insofern Sokrates hier überall als Gesprächsführer erscheint, der seine Gesprächspartner jener Unwissenheit überführt, die er selber eingesteht. Die Dialoge der Reifezeit schließlich zeigen literarisch ein Janusgesicht. Sokrates erscheint hier zwar noch, wie in den Frühdialogen, als Gesprächsführer, aber als Gesprächsführer ist er jetzt nicht mehr ein Nichtwissender unter Nichtwissenden, sondern fungiert als Lehrer, der Unwissende in die Geheimnisse der Ideenphilosophie einführt. Aber bereits im Symposion tritt Diotima an seine Stelle als erste jener Gesprächspersonen, die in den Spätdialogen dann immer öfter die lehrhafte Rolle des Sokrates übernehmen. Wie das Symposion nach vorne blickt, so blickt der Phaidon, der die Reihe der Reifedialoge eröffnet, zurück zu den Anfängen. Zwischen Phaidon und Apologie nämlich walten Gemeinsamkeiten, wie sie so zwischen zwei Platonischen Schriften nicht noch einmal zu konstatieren sind (Patzer 1980). Wie die Schlußrede der Apologie als prophetische Verkündigung eines Sterbenden konzipiert ist, so ist das gedankliche Präludium der Unsterblichkeitsbeweise im Phaidon als Verteidigungsrede konzipiert, in der die Apologie sogar expressis uerbis zitiert wird (Phaed. p. 63 b & 69 e); des weiteren findet sowohl in Apologie und Phaidon jeweils ein großangelegter Rechenschaftsbericht über die Entwicklung des Sokratischen Philosophierens; am Ende der Apologie wie am Ende des Phaidon trägt Sokrates seine Ansichten über Tod und Jenseits vor; vor allem aber: Apologie und Phaidon sind die beiden einzigen Schriften, in denen Platon seinen eigenen Namen nennt — ein starkes literarisches Signal, das vollends außer Zweifel stellt, daß Apologie und Phaidon auf besondere Weise zusammengehören. Die Art der Zusammengehörigkeit aber offenbart sich darin, daß die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Schriften zugleich auch Gegensätze markieren: Die Apologie ist eine Rede, der Phaidon ein Dialog; der Rechenschaftsbericht der Apologie endet damit, daß Sokrates sein Nichtwissen, ja die prinzipielle Unmöglichkeit eines Wissens vom Guten konstatiert, im Phaidon entdeckt Sokrates schließlich die Ideen, die als Wesenheiten vollkommenen Seins auch die Erkenntnis des Guten zu gewährleisten versprechen; in der Apologie erklärt Sokrates, Todesfurcht sei angemaßtes Wissen über die Schicksale der Seele im Jenseits, im Phaidon entwirft Sokrates ein Panorama von der Topographie des Jenseits und dem Schicksal, das die Seelen dort erwartet; und in der Apologie erklärt Platon, daß er bei der Rede des Sokrates anwesend gewesen sei, während es im Phaidon (p. 59 b) heißt, daß er beim Tode des Sokrates abwesend gewesen sei: «Platon aber, glaube ich, war krank» (Πλάτων δ ὲ ο ἶ µαι ἠ ισθένει). Aus allen diesen gegenstrebigen Gemeinsamkeiten erhellt, daß der Phaidon dasselbe ist und will wie die Apologie, aber auf einem anderen gedanklichen Niveau. Wenn aber außer Frage steht, daß der Phaidon den 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 121 Denkhorizont des Platonischen Philosophierens enthüllt, der in den Frühdialogen nur verhüllt zum Ausdruck gekommen ist; so steht außer Frage, daß die Apologie den Denkhorizont des Sokratischen Philosophierens beschreibt, von dem das Platonische Denken seinen Ausgang genommen hat, um es zu überwinden. Weswegen ein tiefer Sinn darin liegt, daß Platon in der Apologie seine Anwesenheit, im Phaidon seine Abwesenheit konstatiert. Die beiden gegensätzlichen literarischen Signale, die historisch-biographisch zu interpretieren keine kleine Naivität ist, zeigen an, daß Platon in der Apologie persönlich Zeugnis ablegen will vom Philosophieren des wirklichen Sokrates; der Sokrates des Phaidon dagegen ist ein anderer als der wirkliche — nicht mehr der nichtwissende, sondern der lehrhafte Sokrates, der Platon gedanklich so nahe steht, daß er selbst nicht mehr als außenstehender Zeuge anwesend sein kann und darf. Daß diese literarische und philosophische Metamorphose der Sokratesgestalt von Platon mit dem Tonzeichen der Krankheit versehen wird, ließe sich, will man etwas riskieren, dahingehend verstehen, daß es ein schmerzlicher Prozeß war, bis der tote Sokrates als Platonischer Sokrates wiederauferstehen konnte; Kunde von diesem Prozeß gäben dann die Platonischen Frühdialoge . . . Wenn die literarischen Signale nicht trügen (und literarische Signale trügen bei Platon nie), so ist also die Apologie jenes Werk, in dem Platon das Philosophieren des Sokrates in reinster Form dargestellt hat: Die Singularität der literarischen Form, die größtmögliche Sokratesnähe signalisiert, drückt die Singularität des gedanklichen Horizonts aus, in dem sich die Rede bewegt — das Philosophieren des Sokrates so darzustellen, daß der Anfang des Platonischen Philosophierens, wie es die Dialoge zeigen, erkennbar und verstehbar wird. 2. Die Platonische Apologie als Ausdruck philosophischer Rhetorik Der äußeren Form nach ist die Platonische Apologie eine Gerichtsrede. Sie gibt sich als jene Verteidigungsrede, die der siebzigjährige Sokrates im Jahre 399 v. Chr. vor dem aus 501 gewählten athenischen Bürgern bestehenden Volksgericht (Heliaia) zu halten hatte, um sich gegen eine Anklage wegen Gottlosigkeit zu verteidigen, die der junge Tragiker Meletos auf Betreiben des namhaften Politikers Anytos, dem seinerseits der Redner Lykon sekundierte, bei der zuständigen Behörde (dem Archon Basileus) angestrengt hatte. Der Polyhistor Favorin (fr. 51 Mensching = SSR I D 1 [40]) hat das Anklageformular noch im frühen zweiten Jahrhundert n. Chr. im athenischen Staatsarchiv gesehen und überliefert den Wortlaut wie folgt: «Hiermit klagt an unter Schwur Meletos, der Sohn des Meletos aus dem Demos Pitthos, den Sokrates, den Sohn des Sophroniskos aus dem Demos 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 122 Alopeke: Sokrates begeht Unrecht, weil er nicht an die Götter glaubt, an die die Stadt glaubt, vielmehr andere neue göttliche Wesen einführt. Ferner begeht er Unrecht, weil er die jungen Menschen verdirbt. Strafmaß: der Tod.» (τάδε ἐ γράψατο κα ὶ ἀ ντωµόσατο Μέλητος Μελήτου Πιτθε ὺ ς Σωκράτει Σωφρονίσκωι Ἀ λω̟εκ ῆ θεν— ἀ δικε ῖ Σωκράτης ὃ ς µ ὲ ν ἡ ̟όλις νοµίζει θεο ὺ ς ο ὐ νοµίζων, ἕ τερα δ ὲ καιν ὰ δαιµόνια ε ἰ σηγούµενος— ἀ δικε ῖ δ ὲ κα ὶ το ὺ ς νέους διαφθείρων. τίµηµα θάνατος.) Aus dieser Gerichtsurkunde, deren Authentizität wir um so weniger zu bezweifeln Grund haben, als Platon (Apol. p. 24 bc) und Xenophon (Mem. 1.1,1; Apol. 10) den Wortlaut in der Hauptsache bestätigen, ohne daß — sehr beweisend — jeweils exakte Übereinstimmung im Wortlaut zu konstatieren wäre, geht hervor, daß die Anklage Sokrates in folgenden zwei Punkten ungerechtes Verhalten vorwarf: 1) Sokrates glaube nicht an die Götter, an die die Stadt glaube, sondern führe andere, neue gottähnliche (dämonische) Wesenheiten ein. 2) Sokrates verderbe die Jugend. Als Strafmaß für beide Vergehen beantragt die Anklage den Tod. Die causa Socratis war demnach ein sogenannter «Einschätzungsprozeß» ( ἀ γ ὼ ν τιµητός): Da eine gesetzliche Vorgabe für die Strafe fehlte, mußte der Ankläger zusammen mit der Anklage seine «Einschätzung» (τίµηµα) des Strafmaßes angeben, auf die der Beklagte, sofern er schuldig gesprochen wurde, mit einer «Gegenschätzung» ( ἀ ντιτίµησις) zu antworten hatte. Das Gericht hatte sodann zu entscheiden, welcher der beiden Vorschläge der Straftat angemessen sei (Lipsius 1908, 248-262). Diese juristischen formalia zum rechten Verständnis des Folgenden vorausgeschickt, ist zu konstatieren, daß die Platonische Apologie insgesamt aus drei Reden besteht: In der ersten umfangreichen Rede (18 Druckseiten in der Stephanus-Ausgabe) verteidigt sich Sokrates gegen die Anklage (p. 17 a-35 e); in der zweiten, erheblich kürzeren Rede (2,5 Druckseiten) benennt Sokrates das Strafmaß, das er für angemessen hält (p. 35 e-38 c); in der dritten, ebenso kurzen Rede spricht Sokrates ein Schlußwort an die Richter (p. 38 c-42 a). Das ist, aufs Ganze gesehen, ein merkwürdiger Befund. Daß die zweite Rede juristisch notwendig war, nachdem das Gericht Sokrates trotz oder vielmehr wegen seiner ersten Rede für schuldig befunden hatte, steht außer Frage. Anders die dritte Rede: Sie erfolgt nach dem Urteil und ist somit juristisch nichtig; denn gegen das Urteil des souveränen Volksgerichts konnte man keine Berufung einlegen — es wurde daher in der Regel auch umgehend vollstreckt. Ob bei solcher Lage der Dinge es dem Verurteilten überhaupt gestattet war, noch einmal das Wort zu ergreifen, ist historisch kaum glaublich und war für das Verfahren jedenfalls ohne Belang. Deshalb kennt keine wirkliche Gerichtsrede, die uns überliefert ist, ein solches Schlußwort. Wenn Platon indes Sokrates am Ende gleichwohl noch einmal extra und post causam sprechen läßt, so zeigt er litera- 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 123 risch an, daß die Apologie mehr ist und mehr sein will als eine Gerichtsrede im gerichtsüblichen Sinne. Was aber ist die Apologie dann? Rhetorische Theorie und rhetorische Praxis stimmen darin überein, daß der Hauptzweck der Gerichtsrede darin bestehe, den Richter dahingehend zu beeinflussen, daß er im Sinne dessen entscheidet, der redet. Alle rhetorischen Mittel, deren sich die Rede bedient, gelten keinem anderen Zweck, als das Eigeninteresse des Redners durch Überredung zu befördern. Weswegen Korax und Teisias (fr. 13 Radermacher), die als erste literarische Regeln für die Gerichtsrede aufgestellt haben, die Rhetorik treffend als «Produzentin von Überredung» (̟ειθο ῦ ς δηµιουργός) definiert haben. Wie anders die Apologie! Sokrates spricht hier durchaus nicht im eigenen Interesse, und es ist ihm auch wenig daran gelegen, die Richter durch Überredung günstig zu stimmen. Damit setzt Sokrates das Grundprinzip aller gerichtlichen Rhetorik außer Kraft. Was zur Folge hat, daß seine Rede vor Gericht als anstößig empfunden wird. Sokrates ist sich dessen auch sehr wohl bewußt. Die vielfach geäußerte Bitte (p. 17 d, 21 a, 30 c), das Gericht möge «Mißfallenskundgebungen unterlassen» (µ ὴ θορυβε ῖ ν), der mehrfach geäußerte Wunsch (p. 34 b, 37 a; 37 e; 32 a; 32 d), das Gericht möge nicht glauben, er spreche «selbstgefällig» (α ὐ θαδιζόµενος), «ironisch» (ε ἰ ρωνευόµενος) oder «lästig» (φορτικός) und «bäurisch» ( ἄ γροικος) bekunden zur Genüge, daß Sokrates weiß, daß er den Richtern Unzumutbares zumutet. Wer aber vor Gericht die unzumutbare Anstößigkeit seiner Rede so oft und so deutlich selbst bekundet, dem geht es im Grunde nicht um die Überredung der Richter und nicht um die Durchsetzung des Eigeninteresses: Eine solche Rede ist gar keine Rede im Sinne der forensischen Rhetorik, sie bedient sich nur der rhetorischen Mittel der Gerichtsrede, ohne den Zweck zu wollen, für den diese Mittel erfunden worden sind, um ihm zu dienen. Mit anderen Worten: Die Apologie ist keineswegs, wie namhafte Philologen geglaubt haben und wohl auch heute noch glauben, die tatsächliche Rede, die Sokrates vor Gericht gehalten hat; sie ist vielmehr die literarische Nachahmung einer solchen Rede, so wie die Sokratischen Dialoge literarische Nachahmungen Sokratischer Gespräche sind. Hier wie dort redet Sokrates, um eine Formulierung des Aristoteles (Poet. p. 1451 b 1-5) aufzugreifen, nicht so, wie er wirklich geredet hat, sondern, wie er hätte reden können. Wie stark literarische Nachahmung, wie stark also der Geist der Fiktionalität die Apologie beherrscht, zeigt sich besonders an jenen Stellen, an denen Sokrates so manifest gegen die Zwecke der Gerichtsrede verstößt, daß er seinem Eigeninteresse manifest schadet. Ein besonders eklatantes Beispiel muß für zahlreiche andere Beispiele ähnlicher Art aufkommen. In der zweiten Rede muß Sokrates begründen, welches Strafmaß er nach ergangenem Schuldspruch für angemessen halte. Wer sein Eigen- 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 124 interesse verfolgte, mußte hier besonders sorgfältig überlegen: Er mußte das Strafmaß niedriger halten, als die Anklage vorgeschlagen hatte, durfte es aber nicht so niedrig bemessen, daß der Schuldspruch des Gerichtes desavouiert wurde. Sokrates weiß denn auch genau, was von ihm erwartet wird — der Vorschlag einer Haftstrafe, einer Geldstrafe oder der Verbannung. Indes erwähnt Sokrates diese drei Alternativen nur, um sie für seine Person abzulehnen. Was er statt dessen fordert (p. 36 d-37 a), ist keine Bestrafung, sondern eine Belohnung und gleich auch noch die höchste Belohnung, die die Polis zu vergeben hatte: lebenslange Speisung im Prytaneion! Eine größere Provokation des Gerichtes läßt sich kaum denken. Denn der Antrag auf Speisung im Prytaneion hebt den soeben erfolgten Schuldspruch des Gerichtes ja auf und erklärt so das gesamte Verfahren für einen Justizirrtum, insofern Sokrates, der sich selbst als «Wohltäter» (ε ὐ εργετής) der Stadt bezeichnet (p. 36 d), gezwungen wird, Strafantrag gegen sich selbst zu stellen, statt gebührende Belohnung zu empfangen. Wer so redet, verhält sich nicht nur gerichtsunüblich, er riskiert vielmehr, den Prozeß durch Skandal zu sprengen. Aber daran ist Sokrates nicht gelegen, und so läßt er dem ersten provokativen Antrag einen zweiten folgen, der insofern gerichtsüblich ist, als er eine Geldstrafe benennt (p. 38 bc): Eine Mine Silber könne er, sagt Sokrates, trotz seiner Armut wohl aufbringen; einige seiner Gefährten — Platon, Kriton, Kritobulos und Apollodoros — indessen hätten sich erboten, für 30 Minen zu bürgen, und dahingehend laute denn seine Strafeinschätzung . . . Fraglos lenkt Sokrates mit diesem neuen Vorschlag ein. Er will keinen Justizskandal, sondern hält sich zuletzt noch im Rahmen der gesetzlichen Ordnung, die er achtet: «Dem Gesetz muß man gehorchen! » (τ ῶι νόµωι ̟ειστέον), heißt es an anderer Stelle (p. 19 a). Aber dieses Einlenken, durch das Sokrates der Norm Genüge tut, ist kein Schuldeingeständnis und soll und kann die Provokation des Gerichtes durch den ersten Antrag (der im übrigen auch gar nicht zurückgezogen wird) nicht ungeschehen machen. Wer aber das Gericht in solcher Weise provoziert, hat nicht sein Eigeninteresse im Auge, er setzt es vielmehr bewußt aufs Spiel und muß sich nicht beklagen, wenn das so schwer provozierte Gericht gegen ihn entscheidet. Sokrates beklagt sich denn auch gar nicht über das Todesurteil, sondern verkündet (p. 40 b), daß ihm damit etwas «Gutes» ( ἀ γαθόν) widerfahren sei . . . Es bedarf keiner weiteren Beispiele (wiewohl sie sich unschwer erbringen ließen), um zu beweisen, daß dieser Redner — Sokrates — anders ist als alle anderen Redner und daß seine Rede daher keine Rede ist, wie sie üblicherweise vor Gericht gehalten werden; ja daß sie gar nicht vor Gericht gehalten worden sein kann, weil kein Redner einem Gericht eine 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 125 solche Zumutung zumuten könnte wie Sokrates mit dem Antrag auf Speisung im Prytaneion. Welche Zwecke und Ziele verfolgt nun aber dieser merkwürdige Redner mit seiner merkwürdigen Rede? Zuverlässige Antwort auf diese Frage erhält man, wenn man näher in Betracht zieht, welche Kriterien Sokrates an Stelle von Eigeninteresse und Überredung für die Gerichtsrede aufstellt. Hierüber erhält der Hörer gleich zu Beginn der ersten Rede (p. 17 a-18 a) bündige Belehrung. Sokrates bekennt, er habe angesichts der Rede seiner Ankläger fast das Bewußtsein verloren, so «überredungsstark» (̟ιθαν ῶ ς) hätten sie gesprochen; «Wahres» ( ἀ ληθές) allerdings habe man von ihnen nicht zu hören bekommen. Von ihm dagegen werde man die ganze Wahrheit hören; freilich keine rhetorisch aufgeputzten und gedrechselten Formulierungen, wie sie die Ankläger gebraucht hätten, sondern einfachhin Gesagtes mit den Worten, wie sie sich gerade einstellten; denn er — Sokrates — vertraue darauf, daß «gerecht» (δίκαιον) sei, was er sage; daher möge ihm das Gericht seine gewohnte Weise zu reden verstatten und allein darauf das Augenmerk richten, ob gerecht sei, was er sage. Darin nämlich bestehe die Qualität des Richters; die des Redners aber liege darin, die Wahrheit zu sagen. Was Sokrates hier im Proömium der ersten Rede artikuliert, ist nichts Geringeres als der Entwurf einer neuen Rhetorik. Der alten gerichtsüblichen Rhetorik, deren Hauptinteresse darin lag, durch Überredung zu wirken, wird eine Rhetorik gegenübergestellt, die allein auf Wahrheit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Zwar weiß auch die traditionelle Rhetorik mit den Kategorien von Wahrheit und Gerechtigkeit zu wirtschaften, um bei Gericht zu reüssieren. Aber wenn Sokrates verkündet, er werde die «ganze Wahrheit» (̟ ᾶ σαν τ ὴ ν ἀ λήθειαν) sagen, denn darin liege die Qualität des Redners, so meint er es anders: Die Wahrheit steht nicht mehr im Dienste des Eigeninteresses, sondern Wahrheit und Gerechtigkeit sind Normen, die dem Eigeninteresse des Redners übergeordnet sind. An Stelle des subjektiven Interesses treten nunmehr die objektiven Normen von Wahrheit und Gerechtigkeit ins Zentrum der Rede, die nun auch nicht mehr auf die Überredung des Richters abzielt, sondern auf seine Belehrung. Womit sich, wie billig, auch der Stil der Rede ändert, insofern an Stelle der rhetorischen Kunstprosa die einfache Alltagssprache treten kann. Gesetzt, man läßt sich auf diese neue normative Rhetorik ein, so ändert sich nicht nur der Stil der Rede und mit dem Stil auch das Verhalten des Redners — Sokrates lehnt es im Epilog der ersten Rede (p. 34 b-35 d) ausdrücklich ab, die gerichtsüblichen theatralischen Rührszenen aufzuführen, da sie wider die Würde und wider die Gerechtigkeit seien —, sondern die gesamte Rede erscheint nun auch inhaltlich in anderem Lichte, insofern alles, was im Sinne der traditionellen Rhetorik als anstößig 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 126 und verfehlt erschien, unter der neuen normativen Optik von Wahrheit und Gerechtigkeit sich als sinnvoll erweist und als notwendig. So gewinnt namentlich auch der provokatorische Antrag auf Speisung im Prytaneion, der der causa Socratis so sehr geschadet hat, ein anderes Ansehen. Wenn jene unablässige Menschenprüfung, die Sokrates zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, etwas Gutes ist, da sie die Athener von angemaßtem Scheinwissen befreit, so wäre nach der Norm der Gerechtigkeit Unrecht, sich dafür Strafe zuzuerkennen statt jener höchsten Belohnung. Und exakt so drückt es Sokrates aus (p. 36 e-37 a): Wenn er sich «nach der Norm der Gerechtigkeit» (κατ ὰ τ ὸ δίκαιον) einschätzen solle, dann laute seine Einschätzung auf Speisung im Prytaneion. Und wie in diesem besonders eklatanten Falle wird man es auch in allen anderen Fällen finden: daß, was im Sinne der gerichtsüblichen Rhetorik als anstößig und verfehlt erscheint, im Sinne der normativen Rhetorik des Sokrates sinnvoll ist und angemessen. Alles recht erwogen, läßt sich nun genauer bestimmen, was die Apologie eigentlich ist — keine gerichtsübliche Verteidigungsrede, schon gar nicht die wirkliche Verteidigungsrede des Sokrates, sondern das fiktionale oder vielmehr ideale Paradigma einer Verteidigungsrede, wie sie sein müßte, wenn die objektiven Normen von Wahrheit und Gerechtigkeit Grundlage der Rhetorik wären und nicht das subjektive Eigeninteresse des Redners. 3. Die interpretatio Platonica des Sokratischen Philosophierens Die Anbindung der Rhetorik an die Normen von Wahrheit und Gerechtigkeit, für die die Apologie ein Paradigma liefert, ist nun fraglos ein philosophisches Konzept und ebenso fraglos ein Konzept nicht Sokratischen, sondern Platonischen Philosophierens. Platon hat dieses Thema in seinen Dialogen immer wieder aufgenommen, am ausführlichsten im Gorgias, am tiefgründigsten im Phaidros, demzufolge allein der dihäretisch geschulte Dialektiker als Redner gelten könne, da er allein die Dinge richtig zu bestimmen und zu verknüpfen im Stande sei . . . Demnach kann man die Apologie als eine Kundgebung Platonischen Philosophierens interpretieren, insofern sie die Platonische Theorie von der normativen Rhetorik paradigmatisch vor Augen führt. Wer die Apologie so interpretiert, verfehlt den Sinn des Textes weniger, als wer sie als traditionelle Gerichtsrede oder gar als die tatsächliche Verteidigungsrede des Sokrates interpretiert; er greift gleichwohl immer noch zu kurz, insofern er die Singularität der äußeren Form außer Acht läßt, die Platon hier gewählt hat. Die Singularität der Form signalisiert vielmehr, daß die Apologie sich nicht im paradigmatischen Aufweis einer Platonischen Theorie erschöpft, wie sie auch in den Dialogen gedanklich umspielt wird; sie 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 127 enthält auch Platons Interpretation des Sokratischen Philosophierens: Platon hat die singuläre Form der idealen Gerichtsrede geschaffen, um sich die singuläre Möglichkeit zu verschaffen, seine Interpretation des Sokratischen Philosophierens so darzustellen, daß sie, wiewohl in den Horizont seines eigenen Denkens gestellt, dennoch als eigenständiger Denkentwurf deutlich hervortritt. Hier liegt der eigentliche Sinn der Apologie verborgen, und wer diesen Sinn verkennt, verkennt den historischen Konnex zwischen Sokratischem und Platonischem Denken, dem Platon hier — und nur hier — ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Nun hält die Apologie als fiktionales Paradigma einer idealen Gerichtsrede durchaus an jenen Formen fest, wie sie die traditionelle Gerichtsrede entwickelt hat. Indes ist dieses Festhalten am Traditionellen rein äußerlich; fast könnte man es als ironisch bezeichnen. Wo aber Platon die vorgegebenen Formen nicht nur spielerisch zitiert, sondern sprengt und zerbricht — da vor allem läßt er Sokrates — seinen Sokrates — im hellen Lichte der Wirklichkeit erscheinen. Zum spielerischen Umgang mit der Form gehört vor allem, daß Platon der juristischen Seite der causa Socratis erstaunlich wenig Raum gewährt. Die Widerlegung der früheren Ankläger (p. 19 a-20 c), deren Verleumdungen, wenn man Sokrates glaubt, die konkrete Anklage überhaupt erst möglich gemacht haben, vollzieht sich nachgerade in rapidem Tempo (gut eine Druckseite); auch das Verhör des Meletos (p. 24 b-28 a) — immerhin das juristische Kernstück der ganzen ersten Rede — gestaltet sich kurz und bündig (vier Druckseiten). Sokrates am Ende des Verhörs (p. 28 b): Gegen Meletos bedürfe es keiner großen Verteidigung; was er vorgebracht habe, genüge. Nun steht es so, daß am Ende dieser beiden kurzen Beweisgänge jeweils eine fiktive Frage an Sokrates gestellt wird. Im ersten Falle (p. 20 cd) fragt einer nach der Tätigkeit des Sokrates; im zweiten (p. 28 b) gerät die Frage ausführlicher: Ob Sokrates sich denn nicht schäme, einer Beschäftigung nachzugehen, derentwegen er jetzt Gefahr laufe zu sterben? Zweimal also wird Sokrates an ähnlicher Stelle auf ähnliche Weise nach demselben gefragt, und zweimal fällt die Antwort (p. 20 d-24 b & 28 b-34 b) ausführlicher — erheblich ausführlicher — aus als die jeweils vorausgehende juristische Beweisführung. Eine solche Disposition aber sprengt die Form der traditionellen Gerichtsrede. Die «Erzählung» (διήγησις bzw. narratio), der in der Gerichtsrede als Teil der Beweisführung eine dienende Rolle zukommt, emanzipiert sich hier von dieser Rolle und wird zur Hauptsache, so daß die «Beweisführung » (̟ίστωσις bzw. argumentatio), in deren Diensten sie stehen müßte, zur Nebensache gerät. In dieser Sprengung der Form aber enthüllt sich literarisch die philosophische Absicht der Apologie: Rechenschaft abzulegen über das philosophische Tun des Sokrates. 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 128 Nirgends ist das Fiktionale dem Realen so nahe wie in jenen beiden erzählenden Textpassagen, in denen Sokrates sein Philosophieren in der Rückschau rechtfertigend darstellt. Wenn irgendwo, so erfahren wir hier, wie Sokrates in Wirklichkeit dachte und wie aus Sokratischem Denken die Platonische Philosophie entstehen konnte. Am Anfang des Sokratischen Philosophierens, so will es die interpretatio Platonica, steht das Chairephonorakel (p. 20 e-21 a) — das berühmte Chairephonorakel, demzufolge der Gott in Delphi Sokrates als weisesten aller Menschen bezeichnet habe. Das Philosophieren des Sokrates ist also zuletzt oder vielmehr zuerst göttlichen Ursprungs, so daß Sokrates (p. 23 c) sein philosophisches Tun, das die fiktiven Frager (p. 20 c & 28 b) neutral als «Tätigkeit» (̟ρ ᾶ γµα) oder «Beschäftigung» ( ἐ ̟ιτήδευµα) benennen, als «Dienst für den Gott» (θεο ῦ λατρεία) bezeichnen kann. Wie geht das an? Der Gott in Delphi, man weiß es, spricht in Rätselform. Im Falle des Sokrates besteht das Rätsel darin, daß Sokrates, vom Gott zum weisesten erklärt, sich selbst bewußt ist, keinerlei Weisheit zu besitzen. Wie diesen Widerspruch lösen? «Ich war in auswegloser Lage» ( ἠ ̟όρουν), bekennt Sokrates (p. 21 b). In seiner Not habe er sich schließlich «mit innerem Widerstreben» (µόγις) entschlossen, das Orakel zu widerlegen durch den offenkundigen Aufweis, daß ein anderer weiser sei als er (p. 21 bc). Zu diesem Behufe nun habe er das Gespräch mit einem Politiker gesucht (den Namen verschweigt Sokrates, so daß jedermann an Anytos denkt). Hierbei habe er die verblüffende Erfahrung gemacht, daß dieser Mann zwar allen anderen weise zu sein schien und vor allem sich selbst, es aber nicht war. Sokrates' Versuch, den Betroffenen über sein Scheinwissen zu belehren, habe ihm nichts als Haß zugezogen (p. 21 cd). Dieses Ergebnis bedenkend, sei Sokrates zu dem Schluß gekommen (p. 21 d), daß er tatsächlich weiser sei als jener Mann: Zwar wüßten sie beide «nichts Schönes noch Gutes» (ο ὐ δ ὲ ν καλ ὸ ν κ ἀ γαθόν), der andere bilde sich aber ein, etwas zu wissen, während Sokrates wisse, daß er nichts wisse, und «um diese Kleinigkeit» (τούτωι α ὐ τ ῶ ι τ ῶ ι σµικρ ῶ ι), daß er nicht zu wissen glaube, was er nicht wisse, sei er weiser. Eine zweite Probe (p. 21 de) bei einem noch bekannteren Politiker habe dasselbe Ergebnis gezeitigt und ihm noch größeren Haß zugezogen. Diese beiden Erlebnisse hätten nun Sokrates veranlaßt, die Sache des Gottes sich als seine Hauptsache angelegen sein zu lassen (p. 21 e-22 a): Im Sinne des Orakels müsse er alle Menschen aufsuchen, die etwas zu wissen vermeinten, um sie prüfend zu befragen. Hier nun habe sich Merkwürdiges ergeben. Diejenigen, die in besonderem Ruf standen, etwas zu wissen, erwiesen sich als besonders unwissend, während andere, die für weniger bedeutend galten, tüchtiger waren «in Hinblick auf vernünftiges Verhalten» (̟ρ ὸ ς τ ὸ φρονίµως ἔ χειν). 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 129 Um zu dieser Einsicht zu gelangen, habe Sokrates (p. 22 a), als ein zweiter Odysseus, eine mühevolle «Irrfahrt» (̟λάνη) durchführen müssen. Nach den Politikern nämlich sei er zu den Dichtern gegangen (p. 22 bc). Hier nun ergab sich, daß die Dichter weniger als alle anderen ein Wissen hatten von dem, was sie dichteten; das Dichten geschehe offenbar nicht aufgrund eines Wissens, sondern «durch Naturanlage und göttliche Begeisterung» (φύσει τιν ὶ κα ὶ ἐ νθουσιάζοντες); auch vermeinten die Dichter irrtümlicherweise wegen ihrer Dichtkunst «auch in betreff aller anderen Sachverhalte» (κα ὶ τ ἆ λλα)weise zu sein. Nach den Dichtern schließlich die Handwerker (p. 22 cd): Diese verfügten in der Tat, anders als die Dichter, über ein veritables handwerkliches Wissen; aber aufgrund dieses technischen Spezialwissens seien sie, ähnlich wie die Dichter, der Meinung gewesen, «auch in Betreff aller anderen und gerade der bedeutendsten Sachverhalte» (κα ὶ τ ἆ λλα τ ὰ µέγιστα) weise zu sein. Dieser Irrtum aber habe das Spezialwissen, das sie hatten, verdunkelt und zunichte gemacht. So habe das Orakel schließlich recht behalten (p. 22 de): Das Wissen des Nichtwissens, wie Sokrates es besitze, zeuge in der Tat von größerer Weisheit als die Wissensanmaßung aufgrund von Schein- oder Spezialwissen, wie sie bei den anderen Menschen gang und gäbe sei. Im übrigen irrten die Leute, wenn sie glaubten, daß Sokrates jedes Mal wisse, worin er andere des Nichtwissens überführe. In Wahrheit sei offenbar allein der Gott weise und habe sich Sokrates nur als Beispiel genommen, um den Menschen klarzumachen, daß derjenige von den Menschen der weiseste ist, der, wie Sokrates, erkannt hat, «daß er in Wahrheit nichts wert ist in Hinsicht auf das Wissen» ( ὅ τι ο ὐ δεν ὸ ς ἄ ξιός ἐ στιν τ ῆ ι ἀ ληθείαι ̟ρ ὸ ς σοφίαν). Im Auftrage des Gottes nun sorge Sokrates dafür, daß diese Erkenntnis überall Platz greife in der Gesellschaft (p. 23 bc): Immer, wenn er einen treffe, er sei Athener oder Fremder, prüfe er ihn und suche ihn davon zu überzeugen, daß bloß Scheinwissen sei, was er für Wissen halte. Daher der große Haß seiner Mitbürger, der nun zur Anklage geführt habe. Daher auch seine «unendliche Armut» (µυρία ̟ενία); denn wegen des philosophischen Dienstes für den Gott habe er sich weder um seine persönlichen Belange kümmern können und um öffentliche Politik schon gar nicht. Wer die so eindrucksvoll erzählte Geschichte von Sokrates' philosophischer Entwicklung aufmerksam liest, wird feststellen, daß sie in einem Punkte nur andeutungsweise Auskunft gewährt, und zwar in betreff des Gegenstandes, dem jenes von Sokrates gesuchte Wissen gilt, das offenbar überall als vorhanden vorausgesetzt wird, ohne daß sein Besitz sich nachweisen ließe. Einmal wird indirekt angedeutet, jenes Wissen sei etwas «Schönes und Gutes» und beziehe sich auf die «bedeutendsten Sachverhalte»; wenn diese Sachverhalte einmal als «vernunftgemäßes Verhal- 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 130 ten» benannt werden, so läßt sich vermuten, daß der Gegenstand des Wissens in jenem Bereich der Philosophie zu suchen ist, der seit Aristoteles als Ethik bezeichnet wird. Indes bedarf es solcher Vermutungen gar nicht. Denn in seiner zweiten Rechenschaftslegung kommt Sokrates — wie nicht anders zu erwarten — immer wieder darauf zu sprechen, was Zweck und Ziel seines philosophischen Tuns sei. Auf das fiktive Angebot (p. 29 c), man werde ihm Freispruch gewähren, wenn er von seiner Tätigkeit ablasse, antwortet Sokrates mit einem starken Bekenntnis (p. 29 d-30 c): Solange er atme, werde niemals aufhören zu philosophieren, sondern zu jedem Athener auch weiterhin so reden, wie er es gewohnt sei: Ob er sich nicht schäme, sich um Geld zu kümmern und um Ruhm und Ehre, «um Verstand aber und um die Wahrheit und um die Seele, daß sie möglichst gut sei, kümmerst du dich gar nicht? » (φρον ή σεως δ ὲ κα ὶ ἀ ληθε ί ας κα ὶ τ ῆ ς ψυχ ῆ ς ὅ ̟ως ὡ ς βελτ ί στη ἔ σται ο ὐ κ ἐ ̟ιµελ ῆ ι ο ὐ δ ὲ φροντ ί ζεις; ) Und wenn einer widerspreche und behaupte, er kümmere sich, so werde er ihn nicht sogleich loslassen, sondern werde ihn befragen, prüfen und verhören, und wenn er die «Vortrefflichkeit» ( ἀ ρετή) nicht zu besitzen scheine, werde er ihn rügen, daß er das Wertvollste für gering achte. Nichts anderes tue er, als die Menschen davon zu überzeugen, daß sie sich nicht um den Körper oder um Geld als vielmehr um die Seele kümmern sollten, «daß sie möglichst gut wird» ( ὅ ̟ως ὡ ς βελτίστη ἔ σται). Denn: Nicht aus Geld entstehe die Vortrefflichkeit, sondern aus der Vortrefflichkeit Geld und alle Güter für die Menschen sowohl in privatem wie im politischen Bereich. Und wenig später heißt es (p. 31 b): Wie schon zuvor, so werde sich Sokrates auch in Zukunft, ohne Rücksicht auf seine eigenen Interessen, wie ein Vater oder älterer Bruder an jeden Athener wenden, «um ihn zu überzeugen, daß er sich um die Vortrefflichkeit kümmern müsse» (̟είθοντα ἐ ̟ιµελε ῖ σθαι ἀ ρετ ῆ ς). Es bedarf keiner weiteren Zitate (wiewohl sie sich in Fülle erbringen ließen), um zu erkennen, was Gegenstand der Sokratischen Menschenprüfung ist. Es ist, was die Griechen mit dem Substantiv ἀ ρετή bezeichnen, das wir durch den vergleichsweise matten Begriff «Vortrefflichkeit» ausdrücken müssen, da das deutsche Äquivalent «Güte» anders konnotiert, der Begriff «Tugend» obsolet ist und Kunstworte wie «Gutheit» oder «Bestheit» (Schadewaldt) eher befremden. Jenes höchste Wissen also, das jedermann zu besitzen vermeint, ohne es zu besitzen, ist das Wissen vom Guten, das, wie zu hören war, auch als «Verstand», «Wahrheit» und «bester Zustand der Seele» bezeichnet wird, damit deutlich werde, daß es sich um ein seelisches Gut handelt, das der Erkenntnis zugänglich sein muß. Was Sokrates sucht und fordert, ist mithin, technisch gesprochen, nichts anderes als eine wissenschaftlich begründete Lehre vom seelischen Guten; kurz: eine Ethik. 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 131 4. Die Philosophie des Sokrates Die interpretatio Platonica des Sokratischen Philosophierens, formal komponiert als Rechenschaftslegung vor den Richtern, tut alles, um für den Hörer faßlich und verständlich zu bleiben, so daß der Eindruck entstehen könnte, das philosophische Tun des Sokrates sei so etwas wie praktische Weltweisheit, pädagogische Bemühung ums Gute und Rechte. Aber dieser Eindruck trügt. So wie sich in der Form einer idealen Gerichtsrede die interpretatio Platonica des Sokratischen Philosophierens verbirgt, so verbirgt sich hinter der kolloquialen Erzählform, deren sich diese Interpretation bedient, das strenge Konzept einer Philosophie, deren Methode ebenso neu und revolutionär ist wie der Gegenstand, dem sie gilt. Die Methode des Sokratischen Philosophierens liegt darin beschlossen, daß Sokrates, im Bewußtsein des eigenen Nichtwissens, Scheinwissen oder bloße Wissensvermeinung aufdeckt und zerstört. Eine solche Dekonstruktion von Scheinwissen ist aber je und je nicht anders möglich als im persönlichen Gespräch, und Sokrates betont denn auch ausdrücklich (p. 21 c), daß der erste Versuch, das Orakel zu wiederlegen, «gesprächsweise» (διαλεγόµενος) geschehen sei. Wie sehr das Gespräch überhaupt Grundlage des Sokratischen Philosophierens ist, wird literarisch dadurch signalisiert, daß die Apologie, wiewohl als Rede konzipiert, immer wieder die Neigung zeigt, ins Dialogische zu fallen. Äußeres Kennzeichen hierfür ist die auffällige Tatsache, daß Sokrates immer wieder sich selbst oder andere oder sich im Gespräch mit anderen in der Rede immer wieder in oratio recta sprechen läßt. So referiert er etwa einmal (p. 20 ab) ein Gespräch, das er mit dem Sophisten- Freund Kallias geführt haben will, in oratio recta; an anderer Stelle (p. 28 b-d) fingiert er ein Gespräch mit einem unbekannten Athener und fingiert in diesem fingierten Gespräch — wiederum in oratio recta — ein Gespräch zwischen Thetis und Achill. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß Sokrates zweimal (p. 37 a & 39 e) seine Rede an die Richter als «Gespräch» (διειλέγµεθα & διαλεχθείην) bezeichnet. Diese Tendenz zum Dialogischen, in der die dialogische Oralität Sokratischen Philosophierens auch in der Rede literarisch sinnfällig Ausdruck findet, kulminiert im Verhör des Meletos (p. 24 c-28 a), insofern hier die Rede ja tatsächlich dialogisch wird. Mit dem Verweis auf den usus der traditionellen Gerichtsrede ist dieser Bruch der Erzählform nur unzureichend erklärt; denn mitten im Verhör (p. 27 b) bemerkt Sokrates einmal unvermutet, er spreche mit Meletos «in der gewohnten Weise» ( ἐ ν τ ῶ ι ε ἰ ωθότι τρό̟ωι). Das ist ein literarisches Signal, das anzeigt, daß das Verhör des Meletos als Paradigma Sokratischen Fragens aufzufassen ist und daß also zwischen dem Sokratischen Gespräch und dem gerichtlichen Verhör Gemeinsamkeiten bestehen. Nicht von ungefähr wendet Sokrates, um die spezifische Art seiner Gesprächsführung zu kennzeichnen, mit 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 132 Vorliebe immer wieder die Ausdrücke «prüfen» ( ἐ ξετάζειν) und «widerlegen» ( ἐ λέγχειν) an, die an einer Stelle (p. 29 e) sogar nebeneinander stehen: Die Lexik (Pape 1 p. 794 & 879; LSJ p. 531 & 592) zeigt an, das beide Ausdrücke auch und nicht zuletzt der Gerichtssprache angehören. Hiernach läßt sich das Sokratische Gespräch treffend als philosophisches Verhör bezeichnen, als ein öffentliches Verhör vor dem Richtstuhl der Philosophie gewissermaßen, das mit den Mitteln der forensischen Ausfragetechnik, die sich Sokrates für seine Zwecke ad hoc dienstbar macht, die Wahrheit ans Licht bringen will: daß der Gesprächspartner, der «in Frage steht», nicht weiß, was zu wissen er vorgibt oder vermeint. Dieses spezifische Frageverfahren, das man, da es Sokrates eigentümlich ist, mit dem spezifisch Sokratischen Terminus als «Elenktik» (Widerlegungskunst) bezeichnen sollte, um es von der Platonischen Dialektik, die im Dienste der Ideenphilosophie steht, gehörig zu unterscheiden, dient nun nur einem einzigen Zwecke — die Menschen zu überzeugen, daß sie, anders als sie glauben, kein Wissen vom Guten haben. Diese Fixierung der Elenktik auf das Gute verleiht dem Sokratischen Philosophieren seine philosophische Bedeutung und seine soziale Sprengkraft. Aus dem Wissen des Guten allein fließt ja das richtige Handeln, und wenn Sokrates recht hat, so handeln die Menschen, ohne es zu wissen, allesamt falsch, blind und ohne Verstand — ausgenommen der eine Sokrates, der unablässig darauf hinweist, daß unser Wissen vom Guten Scheinwissen ist und bloße Einbildung. Solche Belehrung aber, immer wieder empfangen und nie widerlegt, geht zunächst an die Nerven und schließlich an die moralische Substanz, ja Existenz nicht nur des Einzelnen, sondern auch des Staates, der unmöglich ein Interesse daran haben kann, daß, was allgemeinem Konsens nach als gut und richtig anerkannt ist, vor dem Richtstuhle der Sokratischen Elenktik als fragwürdig, ja als unhaltbar zur Disposition gestellt wird. Es liegt daher eine große Konsequenz darin, daß die athenische Demokratie Sokrates schließlich zum Tode verurteilt hat. Sie begriff die Sache der Philosophie vom Guten, wie Sokrates sie begriff: als eine Sache auf Leben und Tod. Alles recht erwogen, hat Sokrates eine philosophische Großtat vollbracht, die ihresgleichen sucht. Er hat als erster die Frage nach dem Wesen des Guten gestellt und somit der Philosophie die Aufgabe gestellt, eine wissenschaftliche Ethik zu begründen — eine Aufgabe, an der die Philosophie schwer getragen hat und noch schwer trägt bis zum heutigen Tage. Keiner aber hat schwerer daran getragen als Sokrates selbst, insofern er die Überzeugung gewonnen hat, daß es dem Menschen gar nicht gegeben sei, die Frage nach dem Wesen des Guten zu beantworten. Wie spricht doch der Gott (p. 23 b)? «Derjenige, ihr Menschen, ist der Weiseste, der, wie Sokrates, erkannt hat, daß er in Wahrheit nichts wert ist in Hinblick auf das Wissen» (ο ὗ τος ὑ µ ῶ ν, ὦ ἄ νθρω̟οι, σοφ ώ τατ ό ς ἐ στιν, 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 133 ὅ στις ὥ σ̟ερ Σωκρ ά της ἔ γνωκεν ὅ τι ο ὐ δεν ὸ ς ἄ ξι ό ς ἐ στι τ ῆ ι ἀ ληθε ί αι ̟ρ ὸ ς σοφ ί αν). Nimmt man diesen Satz so ernst, wie er formuliert ist, so wird hier nichts Geringeres konstatiert als die prinzipielle Unmöglichkeit einer Wissenschaft vom Guten. Womit Sokrates, kaum daß er die Ethik erfunden und als lebensnotwendige Erkenntnis postuliert hat, ihr Ende präconisiert. Bei dieser agnostizistischen Erkenntnis, Ergebnis der durch das Orakel initiierten elenktischen Odyssee, hätte sich Sokrates beruhigen können. Das tat er nicht, sondern verbrachte sein ganzes weiteres Leben damit, die Menschen davon zu überzeugen, was er als einziger wußte: daß menschliches Wissen vom Guten ein Scheinwissen ist, wie sicher es sich auch dünke und wie notwendig es auch sei. Die Sokratische Elenktik, die ursprünglich nur im Dienste der Erkenntnis des Orakelrätsels gestanden hatte, gewinnt so ein pädagogisches, fast möchte man sagen, existentiales Ansehen, insofern sie nun dazu dient, den Menschen das Skandalon der condicio humana vor Augen zu führen: daß der Mensch nach dem Maßstab des Guten zu handeln gezwungen ist, ohne daß ihm die Erkenntnis des Guten gegeben wäre. Dieses tapfere und tätige Ausharren im Horizonte des als unerreichbar Erkannten ist keine geringere Großtat als die Erkenntnis von der Unerkennbarkeit des Guten. Sie hat Sokrates schließlich das Leben gekostet. Was freilich geworden wäre, wenn die pädagogische Elenktik des Sokrates Erfolg gehabt hätte, wenn Sokrates sich nicht den Todhaß der Athener zugezogen hätte, sondern ihren Beifall, so daß sie schließlich alle Sokratiker geworden wären, ist eine müßige Frage. Die Menschen sind in aller Regel nicht geneigt, die bittere Wahrheit der condicio humana tapfer auszuhalten; leichter und bequemer ist es, sich im Scheinwissen miteinander komfortabel einzurichten. Allerdings: Ganz erfolglos ist das philosophische Wirken des Sokrates nicht gewesen. Sokrates weist in der Apologie mehrfach darauf hin, daß nach ihm andere, Jüngere kommen würden, die sein elenktisches Tun noch energischer fortführen würden — klärlich ein uaticinium ex euentu, das auf die literarische und philosophische Tätigkeit der Sokratiker hinweisen soll, die offenbar unmittelbar nach Sokrates' Tod einsetzte. Auf einen dieser Sokratiker aber weist Sokrates gegen Ende seiner ersten Rede (p. 30 de) noch einmal besonders hin. Es könne sein, sagt Sokrates, daß die Athener ihn, der ihnen vom Gott gleichsam als Stechfliege beigegeben worden sei, um ihrer Lahmheit Beine zu machen, töten würden, so wie man eben im Schlafe nach einer Fliege schlage, um sodann ihr ganzes weiteres Leben im Schlafe zu verbringen, «wenn der Gott nicht einen anderen schickt, weil er sich um euch kümmert» (ε ἰ µ ή τινα ἄ λλον ὁ θε ὸ ς ὑ µ ῖ ν ἐ ̟ι̟ έ µψειεν κηδ ό µενος ὑ µ ῶ ν). Auch das ist ein uaticinium ex euentu. Und wem gilt es? Es gilt Platon. Platon und kein anderer ist der gottgesandte Nachfolger des Sokrates, sein legitimer Erbe, der das Vermächtnis des Sokrates erworben hat, um es zu besitzen. 6. Platons Apologie als philosophisches Meisterwerk 134 Das Erbe, das Platon von Sokrates erwarb, war die Erkenntnis, daß wir keine Erkenntnis vom Guten haben; in Besitz dieses Erbes setzte sich Platon, insofern er jene Erkenntnis, die Sokrates für unerreichbar hielt, durch die Kraft seines Denkens ans Licht förderte, «sich anstrengend, soweit menschenmöglich» (συντείνων ὅ τι µάλιστ ᾽ ε ἰ ς δύναµιν ἀ νθρω- ̟ίνην), wie es im Siebten Brief (p. 344 bc) heißt. Von dem einen redet die Apologie, vom anderen die Dialoge, die Kunde davon geben, daß die Frage nach dem Wesen des Guten sich nur beantworten lasse, wenn vorher die Frage nach dem Wesen des Seins beantwortet sei; daß also Ethik nur ontologisch begründet werden könne, da das Sein zuletzt im Guten gründe. Platon hat sich auf dieser gewaltigen Gedankenreise Lichtjahre von Sokrates entfernt; hat die Sokratische Elenktik in Dialektik verwandelt, um sich so ein Erkenntnismittel zu verschaffen jener Wesenheiten vollkommenen Seins, die er «Ideen» ( ἰ δέαι bzw. ε ἴ δη) nannte; hat, um diese Ideenphilosophie zu begründen und weiterzuentwickeln, sich eleatische Ontologie anverwandelt und pythagoreische Mathematik auch, um schließlich, als Quintessenz seines Denkens, die Fülle des Seins auf die Zahlen «Eins» ( ἕ ν) und «unbestimmte Zwei» ( ἀ όριστος δυάς) zu reduzieren. Aber wie lautete der Titel des akademischen Lehrvortrags, in dem er jene Lehre entwickelte, von der wir leider nur fragmentarische Kunde haben? «Über das Gute» (Περ ὶ τ ἀ γαθο ῦ ). Noch am Ende, auf den Firnen äußerster Abstraktion wandelnd, bekundet Platon so, daß sein ganzes Denken im tiefsten Grunde nach nichts anderem trachtet, als jenes Vermächtnis einzulösen, das Sokrates der Philosophie mitgegeben hat, indem er die Erkenntnis des Guten für den Menschen als unerreichbar stipulierte und als lebensnotwendig zugleich. Das Testament aber, in dem das Vermächtnis des Sokrates treulich aufbewahrt ist, ist die Platonische Apologie, die mit Fug und Recht als Schlüsseltext und Haupturkunde nicht nur des Sokratischen, sondern auch des Platonischen Denkens angesehen werden muß, weil sie — und nur sie! — Auskunft gibt darüber, wo und weshalb Platon zu philosophieren anfing. Wer immer sich die Sache der Philosophie angelegen sein läßt, kann und darf an diesem Meisterwerk, in dem sich das Philosophische in Form einer idealen Gerichtsrede entbirgt als Sorge um das richtige Leben, nicht vorbeigehen. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker ∗ Für Johannes Und wenn man dem Xenophon glaubt ... : so begreift man nicht, wie Sokrates in so vielen Jahren nicht den Markt und die Werkstätten, die Spaziergänge und die Gymnasien entvölkert durch die Furcht seiner Gegenwart, und wie sich in der naiven niederländischen Manier des Xenophon die Ermüdung der Unterredner nicht noch stärker ausspricht, als hie und da wirklich geschieht. Schleiermacher 1. Xenophon als Sokratiker Wie kontrovers man auch in Antike und Neuzeit über Sokrates geurteilt hat; daß das Philosophieren des Sokrates im Gespräch vonstatten ging, dergestalt, daß Sokrates einen Gesprächspartner fragte und die erfolgte Antwort nutzte zu erneuter Frage, so daß sich im Wechsel von Frage und Antwort jeweils ein eigenständiger denkerischer Prozess entwickelte, darüber herrscht Einigkeit. Diese Art der Gesprächsführung, die man dialektisch nennen kann, wenn man den Terminus Dialektik nicht im Platonischen Sinne als Methode der Ideenphilosophie versteht, sondern im ursprünglichen Sinne als «Kunst der Gesprächsführung» (διαλεκτικ ὴ τέχνη), war zu ihrer Zeit durchaus etwas Neues — eine Erfindung des Sokrates. Zwar verkündeten bereits die Sophisten in ihren Programmen, daß sie bereit seien, auf jede beliebige Frage, die man ihnen stelle, Antwort zu geben. Indes hat diese Fertigkeit mit der Sokratischen Dialektik nichts gemein, wie allein daraus zu ersehen ist, daß der Sophist der Antwortende ist, Sokrates aber stets und überall als der Fragende auftritt. Dieser signifikante Unterschied verweist darauf, daß das sophistische Gespräch mit dem Publikum nichts anderes ist als eine mögliche Spielart, einen allgemeinen Wissensanspruch zu demonstrieren: Bei Bedarf und auf Wunsch kann der Sophist diesen Wissensanspruch auch in Form einer ∗ Erstveröffentlichung in: Der fragende Sokrates (Colloquium Rauricum 6), hrsg. von K. Pestalozzi [Verlag B.G. Teubner] Stuttgart/ Leipzig 1999, 50-76. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 136 Langrede, also epideiktisch artikulieren (locus classicus: Plat. Prot. p. 329 b = VS 80 A 7). Im Gegensatz hierzu gründet die Sokratische Dialektik — auch das ist nicht strittig — im Bewußtsein des eigenen Nichtwissens: Nicht der Anspruch auf Wissen, sondern der Mangel an Wissen evoziert das Gespräch mit dem anderen, das also als Ausdruck einer geistigen, ja existentiellen Not zu einer notwendigen Form des Philosophierens wird, die durch nichts anderes ersetzt werden kann. Sokrates hat so dem Denken die Dimension des Sozialen hinzugewonnen; und es ist daher kein Wunder, daß nicht nur die Methode der Sokratischen Dialektik im Sozialen gründet, sondern auch ihr Gegenstand; denn der Gegenstand der Sokratischen Dialektik — auch das sollte nicht strittig sein — ist im letzten Grunde das Gute, aus dessen Erkenntnis allein das richtige Handeln der Menschen erfolgen kann, jene Erkenntnis also, die man seit Aristoteles mit dem philosophischen Terminus Ethik ( ἠ θική) zu bezeichnen pflegt. Die Sokratische Entdeckung des Ethischen ist schon in der Antike — zu Recht — als ein epochales Ereignis der griechischen Philosophiegeschichte empfunden worden und hat in dem vielzitierten Worte Ciceros (Tusc. disp. 5.4,10 = SSR I C 458), daß Sokrates die Philosophie vom Himmel herabgerufen und auf der Erde angesiedelt habe, gültigen Ausdruck gefunden. Und auch noch die moderne Philosophiegeschichtsschreibung salutiert der epochalen Bedeutung des Sokrates, wenn sie — fraglich, ob zu Recht — die frühgriechischen Philosophen als Vorsokratiker bezeichnet, um so die Natur- und Seinsphilosophie vor Sokrates als bloßes Vorspiel zu jener Philosophie des Ethischen zu kennzeichnen, die Sokrates entdeckt und begründet hat (Patzer 2006, 9-17). Insofern sich nun das Sokratische Philosophieren als Dialektik grundsätzlich im lebendigen Gespräch vermittels Frage und Antwort ereignet, ist es grundsätzlich mündlich. Das Mündliche aber oder — wie man neuerdings zu sagen pflegt: das Orale — ist nicht von Dauer, sondern verweht in dem Augenblick, wo es Ereignis geworden ist: So daß wir vom Philosophieren des Sokrates gar nichts wüßten, wenn uns nicht andere davon Kunde übermittelt hätten, unter anderen oder vielmehr vor allem enge Anhänger und Freunde des Sokrates, die schon die antike Philosophiegeschichtsschreibung als «Sokratiker» (Σωκρατικοί) bezeichnet hat (frühester Beleg: Phainias aus Eresos 9 fr. 30 sq. Wehrli = SSR IV A 1 & V A 172) . Mit der Kunde der Sokratiker über Sokrates hat es nun eine eigene Bewandtnis: Sie erfolgt in der Hauptsache in einem von den Sokratikern neugeschaffenen Medium, das Aristoteles (Poet. p. 1447 a 28-b 13; fr. 72 Rose; cf. Rhet. 3 p. 1417 a 18-21= SSR I B 1-3) als «Sokratische Prosaschrift» (λόγος Σωκρατικός) oder als «Sokratisches Gespräch» (διάλογος Σωκρατικός) bezeichnet und so ein literarisches Prosagenus benennt, in dem 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 137 dialektische Gespräche des Sokrates — Dialoge — dargestellt werden. Dieses Prosagenus rechnet Aristoteles zur Poesie, da in den Sokratischen Dialogen, nicht anders als in den Mimen des Sophron und des Xenarch, die Darstellung «vermittels Nachahmung» (δι ὰ µιµήσεως) geschehe. Das aber heißt, um noch einmal mit Aristoteles (Poet. p. 1451 a 36-b 7) zu reden: Die Sokratiker stellen in ihren Dialogen nicht dar, was Sokrates wirklich getan und gesagt hat (τ ὰ γενόµενα), sondern, was er hätte tun oder sagen können (ο ἷ α ἂ ν γένοιτο). Modern gesprochen aber heißt das nichts anderes, als daß Aristoteles die Sokratischen Dialoge als eine Gattung fiktionaler Prosaliteratur betrachtet. Hätte die moderne Sokratesforschung die Aussage des Aristoteles über den fiktionalen Charakter der Sokratischen Dialoge Ernst genommen, so hätte sie sich viel Mühe ersparen können: Denn der endlose Streit darüber, welcher Sokratiker in welchem Dialog oder in welchen Dialogen den wirklichen, den historischen Sokrates darstelle, erweist sich auf dem Hintergrund der literarhistorischen Aussage des Aristoteles als verfehlt und müßig, insofern kein Sokratiker auch nur die Absicht gehabt hat, den historischen Sokrates in einem Dialog darstellen zu wollen. Und ebendies: daß der historische Sokrates immer nur in der fiktionalen Optik der Sokratiker sichtbar ist, ist die crux und das Dilemna der Sokratesforschung, die gehalten ist, vermittels literarhistorischer Kritik das historische Substrat zu ermitteln, das den fiktionalen Sokratesinterpretationen je und je etwa zugrunde liegt — ein hermeneutisch ebenso mühsames wie vor allem schwieriges Geschäft, das methodische Besonnenheit erfordert und kritische Kühnheit auch. Daß die Auffassung des Aristoteles von der Fiktionalität der Sokratischen Dialoge richtig ist, bezeugt Platon durch ein literarisches Signal, insofern er selbst niemals in eigenem Namen spricht, sondern — in den sogenannten dihegematischen Dialogen — eine andere Person als Erzähler auftreten läßt (oft, aber durchaus nicht immer, Sokrates) oder aber — in den dramatischen Dialogen — überhaupt keinen Gewährsmann nennt: Stärker kann ein Autor nicht betonen und deutlicher nicht anzeigen, daß, was er darstellt, nicht als historischer Bericht verstanden werden soll, sondern als literarische Erfindung. Nicht der historische, sondern ein fiktionaler oder (aber das ist dasselbe) ein idealer Sokrates tritt in den Platonischen Dialogen auf und ergreift das Wort. Im übrigen spricht alles dafür, daß auch jene Sokratiker, deren Dialoge nur fragmentarisch überliefert sind, literarisch nicht anders verfahren sind als Platon: Von Aischines wissen wir, daß in allen seinen Dialogen Sokrates als Erzähler fungierte (Taylor 1934, 3-8); von Antisthenes, Eukleides und Phaidon ist zum mindesten wahrscheinlich, daß auch sie in ihren Dialogen die eigene Person ganz zurücktreten ließen. Ganz anders Xenophon: Er befolgt eine andere Erzähltechnik, die ihn offensichtlich von Platon und auch von den fragmentarischen Sokratikern 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 138 unterscheidet: Xenophon gibt die literarische Distanz zwischen Autor und Werk, die bei den anderen Sokratikern die Fiktionalität des Dargestellten signalisiert, auf und bekennt sich expressis uerbis als Gewährsmann dessen, was er als Autor über Sokrates erzählt. Die Xenophontischen Sokratika gewinnen so das Ansehen persönlicher Memoiren. Wie denn das Hauptwerk diese eigentümliche Form der Mitteilung bereits im Titel ankündigt: Ἀ ̟οµνηµονεύµατα — Memoiren. Aber auch die anderen Sokratika Xenophons, das Symposion, der Oikonomikos und die sogenannte Apologie des Sokrates (deren Echtheit allerdings bis heute umstritten ist), sind, formal gesehen, als Memoiren konzipiert, da Xenophon auch hier eingangs jeweils ausdrücklich versichert, er habe selbst gehört oder von anderen selbst erfahren, daß Sokrates so gesprochen habe, wie er im folgenden spreche. Es ist wohl verständlich, daß man den Authentizitätsbezeugungen, die Xenophon seinen Sokratika beigegeben hat, lange Zeit Glauben geschenkt hat. Schon in der Antike ging die Rede (Diog. Laert. 2.48 = SSR I C 96), Xenophon sei der erste gewesen, der das von Sokrates Gesagte heimlich aufnotiert und unter dem Titel Ἀ ̟οµνηµονεύµατα als Memoiren publiziert habe. Ähnlich hoch dachte auch die moderne Sokratesforschung lange Zeit vom Quellenwert der Xenophontischen Sokratika (z. B. Hegel 1833; Labriola 1871; Boutroux 1883; A. Doering 1895; von Arnim 1923; Schmid 1940): In den Memoiren des Historikers Xenophon spreche sich Sokrates in schlichter Lebenswirklichkeit authentisch aus, — authentischer namentlich als bei Platon, der Sokrates unverkennbar poetisch und philosophisch idealisiere . . . Die literarische Kritik hat mit dieser Vorstellung gründlich aufgeräumt und so ein starkes Beispiel dafür geliefert, daß das Plausible sehr wohl auch das Verkehrte sein kann (z. B. Joel 1893-1901 & 1895-96; Robin 1910; Gigon 1946, 1947, 1953, 1956). Locus classicus der Beweisführung ist und bleibt die Eingangsszene des Xenophontischen Symposion (1.1): Xenophon nennt hier als Anlaß für das Gespräch, an dem er persönlich teilgenommen haben will, den Sieg des jungen Autolykos im Pankration. Daß das chronologisch nicht wohl möglich ist, hat bereits der Pergamenische Philologe Herodikos aus Babylon (fr. 2 p. 20 Düring) konstatiert und aus urkundlichem Material völlig richtig erschlossen, daß Xenophon, als Autolykos im Pankration siegte (i. J. 422 v. Chr.), womöglich noch gar nicht geboren war oder allenfalls im Kindesalter gestanden habe (vgl. K.F. Hermann 1844-45 & 1845; Breitenbach 1966, 1571 f.). Und richtig nennt sich Xenophon auch gar nicht unter den Teilnehmern, ergreift auch kein einziges Mal das Wort: So daß wir, wenn wir Xenophon bei Worte nehmen, zu dem Schluß kommen, er habe das gesamte sympotische event als stummer Protokollant im Kindesalter miterlebt und post festum aus dem Gedächtnis aufgezeichnet. Die offensichtliche Absurdität dieser Vorstellung liegt auf der Hand und läßt nicht den 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 139 geringsten Zweifel daran, daß wir Xenophon in betreff seiner Authentizitätsbezeugung nicht beim Worte nehmen dürfen noch sollen. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß die Authentizitätsbezeugung ihrerseits nicht als historische Reminiszenz verstanden werden darf, sondern als Ausdruck literarischer Fiktion anzusehen ist. Was für das Symposion gilt, muß — selbstredend — auch für den Oikonomikos und für die Apomnemoneumata gelten — von der umstrittenen Apologie ganz zu schweigen. Auch hier erweisen sich Xenophons Authentizitätsbezeugungen als literarisch-fiktional: So ist Xenophon auch im Oikonomikos nur als steinerner Gast anwesend und spricht, wiewohl ausdrücklich als anwesend genannt (1.1), kein einziges Wort. Und was der Xenophontische Sokrates im Oikonomikos (3-6) über Haus- und Landwirtschaft an Kenntnissen an den Tag legt, was er alles über die militärischen und ökonomischen Verhältnisse des Perserreiches — die detaillierte Beschreibung des königlichen Parks in Sardeis eingeschlossen — weiß, das alles paßt zum historischen Sokrates ebenso wenig wie die Gespräche, die der Xenophontische Sokrates in den Apomnemoneumata (3.1-4) über Feldherrnkunst, die Pflichten und Eigenschaften eines Feldherrn und über die richtige Führung der Reiterei pflegt. So wenig indes alle diese Themen dem historischen Sokrates zu Gesicht stehen, so sehr artikulieren sie den Geist und die Interessen Xenophons, der sich ja in der Anabasis eindrucksvoll als Perserfreund, als Großgrundbesitzer und vor allem als Militär in Szene setzt. Kein Zweifel: Xenophon hat Sokrates hier überall eigene Erkenntnisse und Ansichten in den Mund gelegt — mit dem Rechte nicht des historischen Berichterstatters oder Memoiren-Schreibers, sondern vielmehr des fiktionalen Erzählers. Mit dem Rechte des fiktionalen Erzählers gibt Xenophon in den Apomnemoneumata (3.5) ein umfangreiches Gespräch zwischen Sokrates und dem jüngeren Perikles wieder, das exakt jene politischen Verhältnisse voraussetzt, wie sie sich in Hellas nach der Niederlage der Spartaner bei Leuktra im Jahre 371 v. Chr. hergestellt hatten. Woraus folgt, daß die Abfassungszeit der Apomnemoneumata (und von den übrigen Xenophontischen Sokratika wird dasselbe gelten) in die sechziger Jahre des vierten Jahrhunderts fällt, als Xenophon, zum zweiten Male verbannt, in Korinth lebte (Marschall 1928; Breitenbach 1966, 1769-1776). Aus alledem ergibt sich der Schluß, daß Xenophon keineswegs der erste Sokratiker gewesen ist, wie antike Gelehrsamkeit wissen will, sondern der letzte, der eine seit dreißig Jahren etablierte, weitverzweigte sokratische Literatur bereits vor Augen hatte. Diese fiktionale Sokratesliteratur der Sokratiker, auf die Xenophon bisweilen (Mem. 1.4,1 & 4.3,2; Apol. 1) auch ganz unbefangen rekurriert, indem er bemerkt, daß manche über Sokrates dies oder das geschrieben hätten, hat Xenophon als Spätling bereichert um eine neue Form des Ausdrucks: Er erfand die Sokratesmemoiren — ein 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 140 durchaus neues und originelles genus der Sokratesliteratur, das die Fiktionalität, die dem Sokratischen Dialog grundsätzlich eignet, noch einmal steigert, insofern der Autor die Authentizitätsbezeugung als Mittel fiktionaler Erzählung einsetzt — ein literarischer Kunstgriff nicht ohne Witz und Originalität. Wer diesen Kunstgriff verkennt, tut Xenophon als Sokratiker und als Literatem Unrecht — mehr Unrecht aber noch dem historischen Sokrates, der in dieser späten und hyperfiktionalen Erzählperspektive am allerwenigsten präsent ist. Im übrigen scheint die Memoiren-Form auch der einzige originale Einfall gewesen zu sein, den Xenophon bei der Abfassung seiner Sokratika gehabt hat. Davon abgesehen, erweist er sich als erstaunlich unselbständiger Kopf. Was er Sokrates mit dem Rechte des fiktionalen Erzählers an eigenen Kenntnissen und Erfahrungen imputiert — Strategisches, Ökonomisches und Perserdinge — ist noch das Beste, weil er hier aus der Sache redet. Anders steht es in betreff der Philosophie, wo er nur wenig zu sagen hat, und das Wenige, was er sagt, hat er ersichtlich aus zweiter Hand: Die Ethik verdankt er in der Hauptsache dem Sokratiker Antisthenes, dessen radikale, aus der Biographie des Sokrates ins Theoretische übersetzte Autarkielehre er ins Schickliche gemildert hat und so das Ideal des mustergültigen Weisen stipuliert, der Selbstgenügsamkeit, Besonnenheit und überhaupt eine wohlanständige bürgerliche Gesittung und Gesinnung an den Tag legt. Die Dialektik indessen verdankt Xenophon, sofern er sie als eigenständige Methode überhaupt ad notam nimmt, keinem Geringeren als Platon. Sehen wir also zu, wie sich das gedankliche Wunderwerk der Platonischen Dialektik in der Optik des Xenophontischen Sokrates darstellt! 2. Der Begriff der Dialektik in den Apo mnemoneumata Über die Sokratische Dialektik äußert sich Xenophon expressis uerbis nur in den Apomnemoneumata: einmal zu Anfang des ersten Buches (Mem. 1.1,16), sodann zweimal am Ende des vierten (Mem. 4.5,11 sq. & 4.6). An diesen drei Stellen werden drei verschiedene Aspekte der Dialektik behandelt, die sich folgendermaßen benennen lassen: Definition (Mem. 1.1,16; 4.6,1-12), Hypothesis (Mem. 4.6,13-15) und Dihairesis (Mem. 4.5,11 sq.). An diesen drei Grundbegriffen, die nicht von ungefähr eher an Platon gemahnen als an Xenophon, wird sich die folgende Untersuchung orientieren. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 141 2.1. Definition Im ersten Kapitel des ersten Buches der Apomnemoneumata nimmt Xenophon Sokrates gegen die Vorwürfe der Anklage in Schutz, die Sokrates der Gottlosigkeit bezichtigt hatte. Davon sei kein Wort wahr. Namentlich habe Sokrates mit der religiös so anstößigen Naturphilosophie nicht das Geringste zu schaffen gehabt; vielmehr habe er naturphilosophische Spekulation für Wahnsinn gehalten und für unnütz obendrein. Nach diesen negativen Einlassungen formuliert Xenophon nun positiv, was Kern und Substanz des Sokratischen Philosophierens gewesen sei (1.1,16): α ὐ τ ὸ ς (sc. Socrates) δ ὲ ̟ερ ὶ τ ῶ ν ἀ νθρω̟ε ί ων ἀ ε ὶ διελ έ γετο σκο̟ ῶ ν τ ί ε ὐ σεβ έ ς, τ ί ἀ σεβ έ ς, τ ί καλ ό ν, τ ί α ἰ σχρ ό ν, τ ί δ ί καιον, τ ί ἄ δικον, τ ί σωφροσ ύ νη, τ ί µαν ί α, τ ί ἀ νδρε ί α, τ ί δειλ ί α, τ ί ̟ ό λις, τ ί ̟ολιτικ ό ς, τ ί ἀ ρχ ὴ ἀ νθρ ώ- ̟ων, τ ί ἀ ρχικ ὸ ς ἀ νθρ ώ ̟ων, κα ὶ ̟ερ ὶ τ ῶ ν ἄ λλων, ἃ το ὺ ς µ ὲ ν ε ἰ δ ό τας ἡ γε ῖ το καλο ὺ ς κ ἀ γαθο ὺ ς ε ἶ ναι, το ὺ ς δ ᾽ ἀ γνοο ῦ ντας ἀ νδρα̟οδ ώ δεις ἂ ν δικα ί ως κεκλ ῆ σθαι. Es steht außer Frage, daß sich Xenophon an dieser Stelle große Mühe gegeben hat, darzulegen, wie die Sokratische Dialektik, auf die durch das Prädikat διελ έ γετο am Anfang des Satzes ausdrücklich verwiesen wird, aufzufassen sei: Gegenstand der Sokratischen Dialektik ist nicht die Natur, sondern «die menschlichen Dinge» (τ ὰ ἀ νθρώ̟εια); diese Gegenstände «zieht» Sokrates «in Betracht» (σκο̟ ῶ ν), indem er fragt, «was sie sind» (τ ί ἐ στιν); denn nur, wer davon ein Wissen habe, sei eine ethisch wertvolle Persönlichkeit, die Unwissenden heiße man zu Recht Sklavenseelen. Das ist, aufs Ganze gesehen, eine klare Darstellung, und zweifellos im Dienste dieser Klarheit hat Xenophon denn auch eine Reihe solcher Wasist-Fragen aufgezählt, wie sie Sokrates im dialektischen Gespräch stellte. Daß diese Aufzählung nur eine Auswahl ist, macht Xenophon dadurch deutlich, daß er am Ende der Aufzählung betont, Sokrates habe auch «über die anderen — menschlichen — Dinge» (̟ερ ὶ τ ῶ ν ἄ λλων) gesprochen. Trotzdem oder vielmehr gerade deswegen darf man die Auswahl an Fragen, die Xenophon getroffen hat, als typisch und exemplarisch ansehen — klassische Paradigmata Sokratischer Dialektik gewissermaßen und als solche genauerer Betrachtung wohl wert. Sieht man sich die Aufzählung der Paradigmata näher an, so schwindet allerdings die Klarheit der Darstellung und das Bild wird trübe. Xenophon verzeichnet insgesamt vierzehn Einzelfragen, die er in sieben Zweiergruppen paarweise anordnet. Diese strenge formale Ordnung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Xenophon hier höchst Heterogenes zusammengerafft hat. Es beginnt damit, daß die ersten fünf Frage-Paare so gebildet werden, daß die Einzelglieder zueinander im Gegensatz stehen: Fromm — unfromm; schön — häßlich; gerecht — ungerecht; Besonnenheit — Wahnsinn; Tapferkeit — Feigheit. Ganz anders die letzten beiden Frage-Paare: 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 142 Sie werden so gebildet, daß zunächst die Sache genannt wird und sodann der jeweiliger Träger der Sache: Polis — Politiker; Herrschaft über die Menschen — Herrscher über die Menschen. Während sich also in der ersten Hälfte der Aufzählung die Frage-Paare jeweils komplementär ergänzen, stehen die beiden letzten Paare zueinander jeweils im Verhältnis gedanklicher Über- und Unterordnung — ein höchst bemerkenswerter Unterschied, der im Formalen signalisiert, daß auch im Gedanklichen ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Die ersten fünf Frage-Paare nämlich gelten ethischen Problemen, die beiden folgenden Paare politischen Sachverhalten. Die gedankliche Inkonsequenz dieser Aufzählung, die durch die konsequente Beibehaltung der äußeren Form der Paarbildung nur um so deutlicher hervortritt, setzt sich auch innerhalb der beiden thematisch unterschiedlichen Hälften der Aufzählung fort: Wie die politischen Frage- Paare jeweils untereinander im Verhältnis von Über- und Unterordnung stehen, so stehen sie als Paare zueinander im Verhältnis von Unter- und Überordnung, insofern das erste Paar, indem es nach Polis und Politiker fragt, bloß einen Sonderfall des folgenden Paradigmenpaares artikuliert, das nach der Herrschaft bzw. nach dem Herrscher über die Menschen fragt. Aber auch in der ersten Hälfte der Aufzählung, in der die ethische Problematik vorwaltet, gibt es Merkwürdigkeiten: Die ersten drei Paradigmenpaare formulieren ihre Frage-Gegenstände adjektivisch (fromm — unfromm; schön — häßlich; gerecht — ungerecht); dagegen drücken die beiden folgenden Paare die Gegenstände ihrer Fragen substantivisch aus (Besonnenheit — Wahnsinn; Tapferkeit — Feigheit). Dieser auffällige Wechsel im Ausdruck steht nicht sowohl im Dienste stilistischer uariatio, sondern markiert einen gedanklichen Paradigmenwechsel. Denn es macht gedanklich einen großen Unterschied, ob man eine Was-ist-Frage substantivisch oder adjektivisch formuliert: Fragt man nach einem Substantiv, so fragt man nach einem Gegenstand und erwartet als Antwort eine zureichende Bestimmung seines Wesens; stellt man dieselbe Frage adjektivisch, so fragt man nach allen Gegenständen, denen diese eine adjektivische Bestimmung zukommt, so daß — stricte sic dictum — statt einer unzählige Antworten möglich sind. Oder anders: Die substantivisch formulierte Was-ist-Frage erfordert als Antwort die Definition des gefragen Gegenstandes; die adjektivische Formulierung der Frage erfordert als Antwort die induktive Aufzählung aller Gegenstände, denen die in Frage stehende Bestimmung zukommt. So erweist sich die Aufzählung der Paradigmata Sokratischen Fragens, die Xenophon im ersten Buch der Apomnemoneumata gegeben hat, bei genauerem Hinsehen als ein erstaunlich inkonsequentes und inkonsistentes Gedankengebilde, das eine Fülle widerstreitender Begriffe und Vorstellungen in sich birgt, die durch die Glätte und Uniformität des Aus- 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 143 drucks nicht verdeckt werden können, wenn auch womöglich verdeckt werden sollen, — gesetzt, daß der Autor sich bewußt gewesen ist, welche gedanklichen Heterogenitäten er hier stilistisch zu künstlicher Einheit geformt hat. Wie ist dieser beunruhigende Befund zu erklären? Daß Xenophon hier eine historisch glaubwürdige Darstellung der Sokratischen Dialektik geleistet hat, darf als ausgeschlossen gelten: Die philosophiegeschichtliche Wirkung und Valenz der Sokratischen Dialektik, die ihrerseits ein historisch unstrittiges Faktum ist, kann aus solcher Inkonsequenz der Gedanken, wie sie Xenophon bietet, unmöglich erwachsen sein. Es ist aber auch nicht wahrscheinlich, daß Xenophon auf eigene Hand zu einer solchen Darstellung der Sokratischen Dialektik gekommen ist. Dazu ist der stilistische Aufwand, den er hier an den Tag legt, zu groß und zu groß auch die gedanklichen Heterogenitäten, die er in Kauf nimmt. Dies erwogen, ist es das Wahrscheinlichste, daß Xenophon, wie so oft, so auch hier fremde Sokratesliteratur zu Rate gezogen und sich auf eigene Hand anverwandelt hat. In der Tat läßt sich denn auch beweisen, daß Xenophon die Paradigmata Sokratischer Dialektik, die er im ersten Buch der Apomnemoneumata vorführt, im Rückgriff auf die aporetischen Definitionsdialoge des frühen Platon aufgestellt hat. Die aporetischen Definitionsdialoge machen den größten Teil des Platonischen Frühwerks aus: Wir sehen hier überall, wie Sokrates sich im Gespräch bemüht, eine begriffliche Bestimmung der Tugend oder einer Einzeltugend zu erlangen und daran stets scheitert (Robinson 1941; H. Patzer 1965; Erbse 1968; Allen 1970; Erler 1987). Betrachtet man nun die Gruppe dieser Dialoge im einzelnen, so ergibt sich, wenn man die Formulierung der Wesensfrage zum Leitfaden nimmt, folgendes Bild: Am Anfang steht der Protagoras, der, ausgehend von der Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend, das Verhältnis der Gesamttugend zu den Einzeltugenden diskutiert und aus dem Scheitern dieser Diskussion am Ende den Schluß zieht, daß man die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend und dem Verhältnis ihrer Teile nur beantworten könne, wenn nun zuvor das Wesen der Tugend bestimmt habe (p. 360 e-361 d). Im Sinne dieses Programmes nun bemüht sich der Platonische Sokrates zunächst um eine Wesensbestimmung der Einzeltugenden. So stellt der Dialog Laches die Frage nach dem «Wesen der Tapferkeit» (τ ί ἐ στιν ἡ ἀ νδρε ί α), und der Charmides fragt nach dem «Wesen der Besonnenheit» (τ ί ἐ στιν ἡ σωφροσύνη). Es folgt das erste Buch der Politeia, das ebenfalls in Form eines aporetischen Definitionsdialoges konzipiert ist und nach Inhalt, Form und Sprache so sehr vom folgenden Text abweicht, daß alles dafür spricht, daß dieses Buch, das Platon (Resp. 2 p. 357 a) übrigens ausdrücklich als «Vorspiel» (̟ροοίµιον) bezeichnet, ursprünglich als selbständiger Dialog unter dem Titel Thrasymachos fungieren sollte (Dümmler 1895; von Arnim 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 144 1914). Hier nun stellt Sokrates eingangs die Frage nach dem «Wesen der Gerechtigkeit» (τ ί ἐ στιν ἡ δικαιοσύνη); sobald indes Thrasymachos in das Gespräch eingreift (Resp. 1 p. 336 b-d) wird diese Frage umformuliert, insofern nun nicht mehr nach dem Wesen der Gerechtigkeit gefragt wird, sondern nach dem «Wesen des Gerechten» (τ ί ἐ στι τ ὸ δίκαιον), und diese Formulierung des Gerechtigkeitsbegriffs vermittels des substantivierten Adjektivs bleibt dann während des ganzen weiteren Gesprächs vorherrschend. Mehr noch: Auch die folgenden Definitionsdialoge formulieren den Gegenstand der Wesenfrage ausnahmslos durch substantivierte Adjektive. So fragt der Dialog Lysis nach dem «Wesen des Lieben» (τ ί ἐ στι τ ὸ φίλον), der Größere Hippias nach dem «Wesen des Schönen» (τ ί ἐ στι τ ὸ καλόν) und der Euthyphron nach dem «Wesen des Frommen» (τ ί ἐ στι τ ὸ ε ὐ σεβές). Der Menon schließlich, der die Reihe der Definitionsdialoge beendet, nimmt die Frage nach dem Wesen der Gesamttugend und ihrer Lehrbarkeit, die zuerst der Protagoras gestellt hatte, wieder auf und verweist durch die Einführung des Denkmodells der Anamnesis andeutend darauf hin, daß eine Antwort auf diese Frage nicht anders zu erlangen sei als durch die Lehre von den Ideen. Wie die Analyse lehrt, formuliert Platon die Wesensfrage in betreff der Einzeltugenden auf zweierlei Weise: Entweder erscheint das Gefragte als Substantiv oder als substantiviertes Adjektiv: Tapferkeit und Besonnenheit erscheinen substantivisch als ἀ νδρε ί α und σωφροσύνη; die Liebe, die Schönheit und die Frömmigkeit werden dagegen durch substantivierte Adjektive als das Liebe — τ ὸ φίλον—, das Schöne — τ ὸ καλόν — und das Fromme — τ ὸ ε ὐ σεβές — ausgedrückt. Eine Mittelstellung oder besser eine vermittelnde Stellung nimmt das erste Buch der Politeia ein, insofern hier zunächst substantivisch nach der Gerechtigkeit als δικαιοσύνη gefragt wird, wofür aber sehr bald das substantivierte Adjektiv τ ὸ δίκαιον eintritt, so daß bis zum Schluß nicht mehr von Gerechtigkeit, sondern nur noch vom Gerechten die Rede ist — ein Befund, der noch einmal schlagend beweist, daß das erste Buch der Politeia ursprünglich tatsächlich als eigenständiger Definitionsdialog konzipiert worden ist: In der Politeia ist Platon über jene Problematik, die sich im Wechsel der Formulierung artikuliert, gedanklich längst hinaus. In der Tat ist der Wechsel in der Formulierung der Wesensfrage innerhalb der Definitionsdialoge gedanklich von hohem Belang: Das Substantiv nämlich bezeichnet ein Bestimmtes als Einheit; das substantivierte Adjektiv dagegen, jenes Zaubermittel der griechischen Philosophie, bezeichnet eine bestimmte Einheit in ihrer größten denkbaren Allgemeinheit — ein gedanklicher Fortschritt von erheblicher Bedeutung. In der Neuformulierung der Wesensfrage vermittels des substantivierten Adjektivs entbirgt sich erstmals etwas von jenem Geheimnis, das den Definitionsdialogen allesamt zugrunde liegt: Daß die Antwort auf die Wesenfrage 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 145 nur zu erlangen sei, wenn man ein Allgemeines voraussetzt, auf das hinblickend das Einzelne überhaupt erst bestimmt werden kann: die Grundgestalt ( ἰ δέα bzw. ε ἶ δος), die dem Einzelnen Sein und Wesen verleiht. Wenn dem so ist, so läßt sich auch die relative Chronologie der Definitionsdialoge genauer bestimmen: Laches und Charmides sind früher als der sogenannte Thrasymachos konzipiert, Lysis, Größerer Hippias und Euthyphron später. Und da der Laches Sokrates neu vorstellt als Mitglied der athenischen Adelswelt, der auch Platon angehörte, so expliziert er den Beginn des Platonischen Philosophierens und ist früher als der Charmides; die Reihenfolge der späteren Definitionsdialoge wiederum läßt sich danach bestimmen, in welchem Maße sich in ihnen das Geheimnis der Ideenlehre, auf das die Neuformulierung der Wesensfrage im sogenannten Thrasymachos zuerst andeutend hinweist, mehr oder weniger deutlich entbirgt: Der Lysis ist demnach früher konzipiert als der Größere Hippias und dieser wiederum früher als der Euthyphron. Wenn man nun jene Fragen, mit denen der Platonische Sokrates in den Definitionsdialogen nach dem Wesen der Einzeltugenden fragt, mit jenen Frage-Paradigmata vergleicht, durch die Xenophon die Sokratische Dialektik kennzeichnet, so erlebt man eine Überraschung: Die Gegenstände der Sokratischen Dialektik sind bei Platon und Xenophon dieselben — ausgenommen das φίλον, das bei Xenophon fehlt. Diese Übereinstimmung aber ist entschieden merkwürdig: Xenophon betont ja ausdrücklich, daß er nur eine Auswahl jener Gegenstände gibt, denen das Sokratische Fragen gegolten habe, und wenn diese Auswahl von Gegenständen sich so gut wie vollständig mit jenen Gegenständen deckt, die Platon in den Definitionsdialogen behandelt, so kann hier schwerlich Zufall walten. Denkbar wäre, daß Platon und Xenophon gemeinsam, aber unabhängig voneinander die Hauptgegenstände jenes dialektischen Fragens genannt hätten, wie es der historische Sokrates betrieben hat. Daß dem nicht so ist; daß vielmehr zwischen Platon und Xenophon ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis besteht, lehrt ein Blick auf die Formulierung der Fragen. Auch hier zeigt sich wieder eine verblüffende Übereinstimmung: Sowohl Platon wie Xenophon fragen nach Tapferkeit und Besonnenheit vermittels eines Substantivs; die Frage nach Schönheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit wird dagegen durch Adjektive artikuliert. Diese Übereinstimmung aber kann nun unmöglich auf Zufall beruhen. Sie kann auch nicht auf den historischen Sokrates zurückgehen; denn der Wechsel in der Formulierung markiert bei Platon einen gedanklichen Fortschritt im Hinblick auf die Ideenlehre, die der historische Sokrates nicht gekannt hat. Hiernach steht außer Zweifel, daß die beiden Entwürfe der Sokratischen Dialektik, die Platon in den Definitionsdialogen und Xenophon zu Beginn 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 146 der Apomnemoneumata gegeben haben, nicht unabhängig voneinander entstanden sein können. Wo die Prioritäten liegen, kann nicht zweifelhaft sein. Allein die Chronologie spricht entschieden zu Platons Gunsten: Die Platonischen Definitionsdialoge wurden in den neunziger und womöglich auch in den frühen achtziger Jahren des vierten Jahrhunderts verfaßt; die Abfassung der Xenophontischen Apomnemoneumata aber fällt erst in die sechziger Jahre desselben Jahrhunderts. Aber selbst wenn die Chronologie strittig wäre und jene Recht hätten, die die ersten beiden Kapitel der Apomnemoneumata als eigenständige Schutzschrift in Anspruch nehmen und in die neunziger Jahre datieren (Birt 1891; dagegen Erbse 1961), so kann gleichwohl nicht der geringste Zweifel daran aufkommen, daß Platon Priorität gebührt vor Xenophon. Platon und Xenophon stimmen darin überein, daß sie dieselben Einzeltugenden jeweils durch Substantive oder durch Adjektive ausdrücken. Die Formulierungen unterscheiden sich jedoch voneinander, je nachdem, ob sie einen Artikel tragen oder nicht. Insofern der Gegenstand der Wasist-Frage ein Substantiv ist, ist diese Differenz ohne Belang. Denn da das Substantiv an und für sich eine bestimmte Einheit ausdrückt, kann der Artikel durchaus fehlen, ohne daß die Frage nach dem Wesen des Gefragten unklar würde. So formuliert der Platonische Sokrates (um nur ein Beispiel zu nennen) zu Beginn des Laches (p. 190 b & d) die Frage nach dem «Wesen der Tugend» und die Frage nach dem «Wesen der Tapferkeit», ohne den Artikel zu setzen: ὅ τι ̟οτ ᾽ ἔ στιν ἀ ρετή bzw. τί ἐ στιν ἀ νδρεία. Ebenso formuliert der Xenophontische Sokrates die Frage nach dem Wesen der Tapferkeit und läßt auch bei der Frage nach dem Wesen der Besonnenheit ohne Schaden für das Verständnis den Artikel fort: τί σωφροσύνη. Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn die Was-ist-Frage durch ein Adjektiv formuliert wird. In diesen Falle läßt Platon den Artikel niemals fort — mit Recht und voller Absicht: Denn allein der Artikel erhebt das Adjektiv zum substantivischen Begriff, zu einem bestimmten Gegenstand von höchster Allgemeinheit, und die Frage, was ein solcher Gegenstand sei, fragt nach dem Wesen der in Frage stehenden adjektivischen Bestimmung, die nun gedanklich dieselbe oder vielmehr eine höhere Valenz erlangt als ein Substantiv, nach dessen Wesen gefragt wird. Im Gegensatz zu Platon läßt nun Xenophon auch in allen Fällen, in denen die Was-ist-Frage adjektivisch formuliert wird, den Artikel weg. Das hat Folgen. Denn anders als das Substantiv bezeichnet das Adjektiv an und für sich nicht einen bestimmten Gegenstand, sondern vielmehr eine Bestimmung von Gegenständen; so daß, wer die Was-ist-Frage adjektivisch formuliert, ohne den Artikel zu setzen, nicht nach dem Wesen einer adjektivischen Bestimmung fragt, sondern nach allen Gegenständen, die dieser Bestimmung genügen. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 147 Wie ist dieser gedanklich so belangvolle Wechsel in den Frage- Paradigmata, durch den sich Xenophon von Platon toto coelo unterscheidet, zu erklären? Nehmen wir Xenophon beim Wort und setzen voraus, daß er den Paradigmenwechsel bewußt vorgenommen habe, um aufzuzeigen, daß Sokrates im dialektischen Gespräch zwei unterschiedliche Grundfragen zu stellen pflegte: die definitorische Frage nach dem Wesen eines Gegenstandes und die induktive Frage nach den Gegenständen, die einer Bestimmung genügen, so ließe sich behaupten, daß Xenophon eine differenziertere Beschreibung der Sokratischen Dialektik gegeben habe als Platon, der die Sokratische Dialektik simplifiziere und vergröbere, insofern er sie allein auf die Wesensfrage beschränke. Weshalb denn auch die Palme der Priorität Xenophon gebühre und nicht Platon. Aber wer so argumentiert, irrt gründlich. Denn er übersieht, daß bei Platon der Wechsel in der Formulierung der Wesensfrage im Dienste eines philosophischen Konzeptes steht, das in der Enthüllung der Ideenlehre gipfelt. Ein solch einheitliches Konzept aber kann sich unmöglich jener heterogenen Aufzählung Sokratischer Frage-Paradigmata verdanken, wie sie Xenophon bietet: Daß Platon die induktiven Was-ist-Fragen durch Hinzufügung des Artikels in definitorische verwandelt habe und ausgerechnet diesen definitorischen Was-ist-Fragen eine gedanklich herausragende Stellung im Gesamtkonzept der Definitionsdialoge zugewiesen habe, ist eine nachgerade absurde Vorstellung: Es führt gedanklich kein Weg von Xenophon zu Platon. Wohl aber führt ein Weg von Platon zu Xenophon: Xenophon mußte jene Was-ist-Fragen, die er in den frühplatonischen Definitionsdialogen vorfand, nur dergestalt zitieren, daß er überall den Artikel wegließ, und es ergab sich, was wir lesen: eine Aufzählung induktiver und definitorischer Fragen, deren Abfolge dadurch vorgegeben war, daß der Frömmigkeit in den Augen des frommen Autors der erste Platz gebührte. Daß diese Aufzählung ihrerseits ein philosophisches Konzept enthält, dergestalt, daß Xenophon die einseitige Ausrichtung des Platonischen Sokrates auf das Definitorische durch Hinzufügung des Induktiven habe korrigieren wollen, ist ganz unwahrscheinlich. Xenophon hätte in diesem Falle den Paradigmenwechsel deutlich markieren müssen, während er ihn jetzt nachgerade verhüllt, insofern auch bei den definitorischen Was-ist-Fragen den Artikel fortläßt. Aber derlei philosophische Absichten darf man Xenophon gar nicht unterstellen. Vielmehr hat er jene Fragen, die er in den frühplatonischen Definitionsdialogen vorfand, flüchtig aufgerafft und ebenso flüchtig wiedergegeben, ohne gewahr zu werden, welche gedanklichen Folgen die Weglassung des Artikels bei der adjektivischen Formulierung der Wasist-Frage zeitigen kann, hierin geistig dem Platonischen Hippias (Hipp. mai. p. 287 de) verwandt, dem Sokrates erst den gedanklichen Unterschied einschärfen muß, der sich ergibt, je nachdem, ob man die adjekti- 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 148 visch formulierte Was-ist-Frage mit dem Artikel versieht oder nicht: ἐ ρωτ ᾶ ι σε ο ὐ τί ἐ στι καλόν, ἀ λλ' ὅ τι ἐ στ ὶ τ ὸ καλόν. Nachdem Xenophon bei der Formulierung der ethischen Paradigmata der Sokratischen Dialektik offenkundig auf Platon rekurriert, stellt sich die Frage, ob er nicht auch die politischen Paradigmata, die er in Anschluß an die ethischen nennt, Platon verdankt. Das ist höchstwahrscheinlich. Denn die Polis ist Thema in der Platonischen Politeia, und daß in diesem Hauptwerk aus Platons Reifezeit — dem umfangreichsten Sokratischen Dialog, den wir kennen — gar nicht nach dem Wesen der Polis gefragt wird, sondern nach dem Wesen des Gerechten und Guten, das an der Polis als einem vergrößerten Abbild der Seele demonstriert wird, dürfte Xenophon um so weniger gekümmert haben, als in Platons Spätdialog Politikos (p. 258 b) die Frage nach dem Wesen des Politikers expressis uerbis gestellt wird. Da in diesen beiden Platonischen Dialogen vielfach auch von den verschiedenen Formen der Herrschaft und ihren Trägern die Rede ist, ergab sich für Xenophon das folgende Paradigmen-Paar — die Frage nach dem Wesen der Herrschaft und des Herrschers — von selbst als ein auch stilistisch erwünschter Zuwachs. Denn indem Xenophon noch einmal das genus jenes Sachverhaltes ausdrückt, den er soeben in specie formuliert hat, verdoppelt er ohne großen gedanklichen Aufwand die Anzahl der politischen Paradigmata und verringert so das zahlenmäßige Ungleichgewicht, das zwischen den politischen und den ethischen Frage- Paradigmen herrscht. Auch die zweifache Setzung des Genitivs ἀ νθρ ώ- ̟ων dient offenbar stilistischen Zwecken: Das letzte Paradigmen-Paar erhält auf diese Weise größeren Umfang und größeres Gewicht, so daß das Ungleichgewicht zwischen den ethischen und den politischen Frage- Paradigmen noch weniger fühlbar wird. Das Vorwalten des Stilistischen, das sich auch in der uniformen Formulierung der Was-ist-Fragen zeigte, kennzeichnet den ganzen Text, der, wiewohl er sich philosophisch gibt, doch mehr den Belangen der Rhetorik verpflichtet ist als jenen der Philosophie. Im sechsten Kapitel des vierten Buches der Apomnemoneumata verspricht Xenophon, er wolle erklären, wie Xenophon jene, die mit ihm Umgang hatten, dialektischer gemacht habe (Mem. 4.6,1): ὡ ς δ ὲ κα ὶ διαλεκτικωτ έ ρους ἐ ̟ο ί ει το ὺ ς συν ό ντας, ̟ειρ ά σοµαι κα ὶ το ῦ το λ έ γειν. Folgt die Erklärung: Σωκρ ά της γ ὰ ρ το ὺ ς µ ὲ ν ε ἰ δ ό τας τ ί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων ἐ ν ό µιζε κα ὶ το ῖ ς ἄ λλοις ἂ ν ἐ ξηγε ῖ σθαι δ ύ νασθαι· το ὺ ς δ ὲ µ ὴ ε ἰ δ ό τας ο ὐ δ ὲ ν ἔ φη θαυµαστ ὸ ν ε ἶ ναι α ὐ το ύ ς τε σφ ά λλεσθαι κα ὶ ἄ λλους σφ ά λλειν· ὧ ν ἕ νεκα σκο̟ ῶ ν σ ὺ ν το ῖ ς συνο ῦ σι, τ ί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων, ο ὐ δ έ ̟οτ ᾽ ἔ ληγε. Xenophon wiederholt hier, was er im ersten Kapitel des ersten Buches der Apomnemoneumata (1.1,16) schon einmal gesagt hat: daß Sokrates der Ansicht gewesen sei, daß allein die Dialektik im Stande sei, ethisch wert- 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 149 volle Menschen zu bilden. Die beiden Texte entsprechen einander entweder wörtlich (σκο̟ ῶ ν/ ε ἰ δ ό τας) oder stehen sich im Wortlaut so nahe (διαλεκτικωτ έ ρους - διελ έ γετο, µ ὴ ε ἰ δ ό τας - ἀ γνοο ῦ ντας), daß kein Zweifel sein kann, daß Xenophon hier bewußt auf den früheren Text anspielt. Jene Frage-Paradigmata indes, die Xenophon dort im einzelnen aufzählt, werden hier durch eine allgemeine Frage ersetzt, die besagt, Sokrates habe im dialektischen Gespräch gefragt, «was jegliches der seienden Dinge sei» (τ ί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων). Diese Frage aber, die Xenophon mit ersichtlicher Freude am hohen philosophischen Ton, gleich zweimal anführt, erlaubt als Antwort allein die Wesensbestimmung des gefragten Gegenstandes: Es ist die klassische Formulierung, mit der nach der Definition gefragt wird. Wenn Xenophon aber diese definitorische Formel benutzt, um die Sokratische Dialektik zu kennzeichnen, so bekennt er nachträglich selbst, was die Analyse des früheren Textes ergab: daß die Formulierung der induktiven Was-ist-Fragen sich nicht einem philosophischen Konzept verdankt, sondern einem gedanklich mißglückten Rückgriff auf einen frühplatonischen Denkansatz. Daß Xenophon die Was-ist-Frage ausschließlich in definitorischen Sinne verstanden hat und ausschließlich so verstanden wissen will, lehrt im übrigen auch der folgende Text, in dem Xenophon expressis uerbis erklärt, daß er typische Beispiele Sokratischer Definitionskunst geben wolle (Mem. 4.6,1): ̟ ά ντα µ ὲ ν ο ὖ ν ἧ ι διωρ ί ζετο ̟ολ ὺ ἔ ργον ἂ ν ε ἴ η διεξελθε ῖ ν· ἐ ν ὅ σοις δ ὲ τ ὸ ν τρ ό ̟ον τ ῆ ς ἐ ̟ισκ έ ψεως δηλ ώ σειν ο ἶ µαι, τοσα ῦ τα λ έ ξω. Richtig folgt denn auch eine Reihe kurzer Gespräche zwischen Sokrates und Euthydemos, an deren Ende jeweils eine Definition steht, die durch die konsekutive Partikel ἄ ρα jeweils als solche hervorgehoben wird. Thema dieser definitorischen Kurzdialoge sind ausschließlich ethische Sachverhalte: «Frömmigkeit» (ε ὐ σέβεια), «das Gerechte» (τ ὸ νόµιµον bzw. τ ὸ δίκαιον), «Weisheit» (σοφία), «das Gute» (τ ὸ ἀ γαθόν), «das Schöne» (τ ὸ καλόν) und «Tapferkeit» ( ἀ νδρεία). Das sind im wesentlichen dieselben Themen, die Xenophon auch im ersten Buch der Apomnemoneumata als Paradigmata Sokratischer Dialektik genannt hat, nur daß hier die Besonnenheit fehlt und stattdessen Weisheit und das Gute aufgenommen werden. Ersichtlich hat Xenophon die Absicht, hier jene ethischen Fragen zu beantworten, die er dort gestellt hatte. Wie denn Xenophon (Mem. 4.6,12) auch im Anschluß an jene sechs kurzen Dialoge, die um die Definition ethischer Begriffe bemüht sind, noch fünf kurze Definitionen politischer Herrschaftsformen (Königtum, Tyrannis, Aristokratie, Plutokratie und Demokratie) folgen läßt, so daß hier schließlich auch noch eine Antwort auf jene politischen Frage- Paradigmata erfolgt, die im ersten Buch der Apomnemoneumata ebenfalls im Anschluß an die ethischen Paradigmen gestellt werden. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 150 Faßt man die Xenophontischen Definitionen näher ins Auge, so fällt auf, daß Xenophon in vier jener exemplarischen Kurzgespräche zwischen Sokrates und Euthydemos (Mem. 4.6,2-4,5-6,7,10-11) nicht die Sache definiert, von der das Gespräch ausgeht, sondern stets die Person, die Träger der Sache ist, und so ein Verfahren favorisiert, von dem der frühplatonische Sokrates seine Mitunterredner abzubringen bemüht ist, insofern er überall darauf dringt, nicht die Person, sondern die Sache als Gegenstand definitorischen Bemühens ins Auge zu fassen. Verrät die Xenophontische Manier, statt der Sache den Träger der Sache zu definieren, schon wenig philosophischen Sinn, so erst recht jene beiden definitorischen Gespräche (Mem. 4.6,8 & 9), in denen er bei der Sache bleibt: Hier verwechselt er das definiendum mit dem definitum und gibt so, statt einer Bestimmung des Guten und des Schönen, eine Bestimmung des «Nützlichen» (τ ὸ ὠ φέλιµον) und des «Brauchbaren» (τ ὸ χρήσιµον), dergestalt daß jenes gut, dieses schön sei — eine Verwechslung, die fatal an jene Verwechslung von induktiver und definitorischer Formulierung der Was-ist-Frage erinnert, von der die Untersuchung den Ausgang genommen hat. Daß diese Verwechslung nicht philosophischer Absicht, sondern gedanklicher Sorglosigkeit — um nicht zu sagen Gedankenlosigkeit — entsprungen ist, legt Xenophon hier noch einmal an den Tag, wenn er das Schöne, das er im ersten Buch der Apomnemoneumata als induktive Frage formuliert hat, im vierten Buch — wie unvollkommen auch immer — definitorisch zu beantworten versucht und daher hier auch dem definiendum hinzufügt, was er dort fortgelassen hat: den Artikel Im übrigen ist zu konstatieren, daß Xenophons Beweisführung in betreff des Schönen nichts anderes ist als ein verkürztes Exzerpt aus dem Platonischen Hippias maior (p. 295 b-296 d): Sokrates stellt hier versuchsweise die These auf, daß schön sei, was brauchbar sei (p. 295 c): το ῦ το γ ὰ ρ ἔ στω ἡ µ ῖ ν καλόν, ὃ ἂ ν χρήσιµον ἦ ι. Das Brauchbare nämlich sei schön in allen seinen Relationen (p. 295 de): τ ὸ µ ὲ ν χρήσιµον κα ὶ ᾗ χρήσιµον κα ὶ ̟ρ ὸ ς ὃ χρήσιµον κα ὶ ὁ ̟ότε χρήσιµον καλόν φαµεν ε ἶ ναι. Und nun die Schlußfolgerung: Das Brauchbare ist schön (p. 295 e): ὀ ρθ ῶ ς ἄ ρα ν ῦ ν λέγοµεν ὅ τι τυγχάνει ̟αντ ὸ ς ὂ ν µ ᾶ λλον καλ ὸ ν τ ὸ χρήσιµον. Noch in Xenophons exzerpierender Verkürzung schimmert der Platonische Wortlaut wörtlich durch (Mem. 4.6,9): τ ὸ χρ ή σιµον ἄ ρα καλ ό ν ἐ στι ̟ρ ὸ ς ὃ ἂ ν ἦ ι χρ ή σιµον. Wie im Falle der Was-ist-Fragen hat sich Xenophon auch hier einen Platonischen Denkansatz angeeignet, und wie dort so greift er auch hier gedanklich zu kurz: Was der Platonische Sokrates als Hypothese äußert, wird ja im folgenden durch denselben Sokrates alsbald ad absurdum geführt (p. 296 d): ο ὐ κ ἄ ρα [...] τ ὸ χρ ή σιµον ἡ µ ῖ ν, ὡ ς ἔ οικεν, ἐ στι τ ὸ καλόν. Xenophon hat das nicht ad notam genommen, sondern jenen passageren Denkeinfall als absolute Aussage mißverstanden, so daß nun der 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 151 Xenophontische Sokrates in einem exemplarischen Gespräch eine Definition des Schönen vertritt, die der Platonische Sokrates als unzulänglich verworfen hat. Mit diesem einen Beispiel soll es hier sein Bewenden haben: Eine Analyse aller Definitionen, die Xenophon im vierten Buch der Apomnemoneumata vorführt, wäre Sache eines eingehenden Kommentars, auf den die Sokratesforschung leider immer noch wartet. Indes würde ein solcher Kommentar, der auch jene Definitionen zu berücksichtigen hätte, die Xenophon im dritten Buch der Apomnemoneumata (3.9) aufstellt, ganz ähnliche Ergebnisse zeitigen wie die exemplarische Analyse der Definition des Schönen: Xenophon macht sich überall frühplatonische Denkansätze zu eigen, ohne zu bedenken, daß, was Sokrates hier in der lebendigen Bewegung des dialektischen Gesprächs je und je äußert, nicht als feststehende Ansicht aufgefaßt werden darf, wenn anders man nicht den Platonischen Sokrates gründlich mißverstehen will — und den historischen auch. 2. 2. Hypothesis Nachdem Xenophon die Sokratische Dialektik als eine Kunst des Definierens festgestellt und in typischen Beispielen dargestellt hat, beschreibt er anschließend, wie sich die Sokratische Dialektik gestaltete, wenn Sokrates in betreff der ethischen Qualifikation einer Person unbegründeten Widerspruch erfuhr (Mem. 4.6,13-14). Kam ein solcher Dissens auf, so führte Sokrates den ganzen Diskurs auf seine Grundvoraussetzung zurück (Mem. 4.6,13): ε ἰ δ έ τις α ὐ τ ῶ ι (sc. Socrati) ̟ερ ί του ἀ ντιλ έ γοι µηδ ὲ ν ἔ χων σαφ ὲ ς λ έ γειν, ἀ λλ ᾽ ἄ νευ ἀ ̟οδε ί ξεως ἤ τοι σοφ ώ τερον φ ά σκων ε ἶ ναι ὃ ν α ὐ τ ὸ ς λ έ γοι ἢ ̟ολιτικ ώ τερον ἢ ἀ νδρειό τερον ἢ ἄ λλο τι τ ῶ ν τοιο ύ των, ἐ ̟ ὶ τ ὴ ν ὑ ̟ ό θεσιν ἐ ̟αν ῆ γεν ἂ ν ̟ ά ντα τ ὸ ν λ ό γον. Es folgt ein Beispiel für dieses Verfahren, das wiederum in Form eines kurzen Gespräches gehalten ist: Es besteht Dissens zwischen Sokrates und einem (ungenannten) Gesprächspartner darüber, welcher von zwei Bürgern ethisch höher zu qualifizieren ist. Sokrates einigt sich zunächst mit seinem Unterredner darauf, die Was-ist-Frage nach der Tätigkeit eines guten Bürgers zu stellen (Mem. 4.6,14): τ ί ἐ στιν ἔ ργον ἀ γαθο ῦ ̟ολ ίτου; sodann läßt sich Sokrates auf seine Fragen hin vom Unterredner bestätigen, daß (im Vergleich) obsiege, wer durch die Verwaltung der Finanzen die Stadt reicher mache, wer sie im Kriege den Gegnern überlegen mache, wer bei einer Gesandtschaft unter Feinden Freundschaft stifte und wer in der Volksversammlung Streit schlichte und Eintracht bewirke. Hier bricht das Gespräch ab; denn Xenophon kann darauf vertrauen, daß sich der Leser den weiteren Fortgang des Gesprächs selbst ergänzen 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 152 kann: daß derjenige, der jene überlegenen politischen Eigenschaften besitzt, kein anderer ist als jener, den Sokrates für den besseren Bürger hält. So kann Xenophon resümieren: Indem der Diskurs solcherart jeweils (auf seine Grundvoraussetzungen) zurückgeführt worden sei, habe sich auch selbst denen, die widersprachen, die Wahrheit offenbart (Mem. 4.6,14): ο ὕ τω δ ὲ τ ῶ ν λ ό γων ἐ ̟αναγοµ έ νων κα ὶ το ῖ ς ἀ ντιλ έ γουσιν α ὐ το ῖ ς φανερ ὸ ν ἐ γ ί γνετο τ ἀ ληθ έ ς. Das dialektische Verfahren, das Sokrates hier anwendet, ist ein anderes als das zuvor beschriebene, weil die Gesprächsvoraussetzungen andere sind: Sokrates führt kein Lehrgespräch, in dem der Unterredner widerspruchslos seinen Gedanken folgt, er muß vielmehr einem Unterredner, der grundlos widerspricht, die Verfehltheit seiner Ansichten demonstrieren. Zu diesem Behufe greift Sokrates auf die «Grundvoraussetzung» ( ὑ ̟όθεσις) zurück, die dem vorliegenden Dissens zugrunde liegt. Dieser Rückgriff geschieht dergestalt, daß Sokrates eine Was-ist-Frage stellt, die hier, da ein Dissens besteht über die ethische Qualifikation zweier Bürger, der Tätigkeit des guten Bürgers gilt: τ ί ἐ στιν ἔ ργον ἀ γαθο ῦ ̟ολ ί του. Diese Frage nun kann auf zweierlei Weise verstanden werden, da das Fragepronomen τ ί hier, anders als an allen vergleichbaren Stellen bei Xenophon, sowohl substantivisch wie auch adjektivisch verstanden werden kann, weil das in Frage stehende Substantiv neutri generis ist. Daß hier die adjektivische Auffassung vorschwebt, zeigen die folgenden Fragen, die die Was-ist-Frage explizieren und als Antwort eine Aufzählung jener Sachverhalte geben, die auf den in Frage stehenden Gegenstand zutreffen: Nicht was die Tätigkeit eines guten Bürgers ist, wird also gefragt, sondern welche Tätigkeit für ihn kennzeichnend ist. Oder anders: Xenophon stellt hier die induktive Was-ist-Frage, die er im ersten Buch der Apomnemoneumata irrtümlich mit der definitorischen verwechselt hat, — und hier mit vollem Recht: Denn nicht auf eine Definition will die Sokratische Dialektik hier hinaus, sondern auf die Grundvoraussetzung des Diskurses, die Xenophon mit einem ursprünglich mathematischen terminus technicus als Hypothesis bezeichnet. Was dieser Terminus besagt, muß man erschließen, da Xenophon jenes Gespräch, das exemplarische Erhellung verspricht, vor der Zeit abbricht, so daß unausgesprochen bleibt, wie die Hypothesis lautet, die die Was-ist-Frage formuliert. Sieht man jedoch die Aufzählung der Merkmale an, vermittels derer offenbar beschrieben wird, was die Hypothesis meint, so kommt man unschwer zu dem Schluß, daß sie etwa dahingehend gelautet haben muß, daß die Tätigkeit eines guten Bürgers darin bestehe, daß er der Polis nütze. Sokrates ist gezwungen, den Diskurs auf diese (unausgesprochene) Hypothesis zurückzuführen, weil der Unterredner grundlos widerspricht. Liegt ein solcher Widerspruch nicht vor, so entfällt ein solcher Rekurs, 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 153 den Xenophon zweimal durch das Verbum ἐ ̟ανάγειν ausdrückt, dem offenbar auch die Qualität eines terminus technicus zukommt. Wie Sokrates dialektisch vorging, wenn kein (unbegründeter) Widerspruch vorlag, lehrt der folgende Text. Wenn Sokrates selbst ein Thema durchging, habe er den Weg (der Untersuchung) an jenen Sachverhalten orientiert, über die der größte Konsens herrschte; denn er sei der Ansicht gewesen, daß sich so die Unfehlbarkeit des Diskurses herstellen lasse (Mem. 4.6,15): ὁ ̟ ό τε δ ὲ α ὐ τ ό ς (sc. Socrates) τι τ ῶ ι λ ό γωι διεξ ί οι, δι ὰ τ ῶ ν µ ά λιστα ὁ µολογουµ έ νων ἐ ̟ορε ύ ετο, νοµ ί ζων τα ύ την τ ὴ ν ἀ σφ ά λειαν ε ἶ ναι λ ό γου. Folgt ein Selbstbekenntnis Xenophons: Er kenne niemanden, der, wenn er sprach, unter den Zuhörern so großen Konsens hergestellt habe wie Sokrates. Den Schluß bildet ein Sokrateswort über Homer, der Odysseus deshalb als unfehlbaren Redner beschrieben habe, weil er imstande gewesen sei, seine Reden daran zu orientieren, was den Menschen plausibel erscheine: ἔ φη (sc. Socrates) δ ὲ κα ὶ Ὅ µηρον τ ῶ ι Ὀ δυσσε ῖ ἀ ναθε ῖ ναι τ ὸ ἀ σφαλ ῆ ῥή τορα ε ἶ ναι, ὡ ς ἱ καν ὸ ν α ὐ τ ὸ ν ὄ ντα δι ὰ τ ῶ ν δοκο ύ ντων το ῖ ς ἀ νθρ ώ ̟οις ἄ γειν το ὺ ς λ ό γους. Xenophon beschreibt hier, wie die Sokratische Dialektik sich darstellte, falls Sokrates sein Thema ohne störenden Widerspruch eines Unterredners «selbständig» (α ὐ τ ό ς) durchsprechen konnte: In diesem Falle stellt Sokrates «vemittels möglichst konsensfähiger Argumente» (δι ὰ τ ῶ ν µ άλιστα ὁ µολογουµ έ νων) und «allgemein anerkannter Plausibilitäten» (δι ὰ τ ῶ ν δοκο ύ ντων το ῖ ς ἀ νθρ ώ ̟οις) die «unfehlbare Richtigkeit des Diskurses» (τ ὴ ν ἀ σφ ά λειαν λ ό γου) her. In sich ist diese Beschreibung wohlverständlich, nicht aber im Kontext der vorausgehenden Passage: Die Aufzählung der Merkmale des guten Bürgers, durch die dort der widersprechende Unterredner Einsicht in die Wahrheit erlangt, geschieht ja vermittels solcher konsensfähiger Plausibilitäten, wie sie hier für den Sokratischen Diskurs in Anspruch genommen werden, der nicht im Horizont eines unbegründeten Widerspruchs erfolgte. Wenn es also nicht das Argumentieren mit Plausibilitäten ist, wodurch sich die Sokratische Dialektik unterschied, je nachdem, ob sie auf Widerspruch reagieren mußte oder eigenständig ihren Lauf nehmen konnte, was war es dann? Wieder muß man Xenophons verkürzte Darstellung aus dem Zusammenhang ergänzen: Wenn Sokrates ein Thema eigenständig durchnehmen konnte, dann mußte er den Diskurs nicht, wie im Falle unbegründeten Widerspruchs, auf die Hypothesis zurückführen, sondern konnte sogleich von der Hypothesis ausgehen und deren Richtigkeit durch plausible Argumente zur Evidenz bringen. Daß diese Interpretation richtig ist, lehrt das Gespräch über den Landbau, das Ischomachos mit Sokrates im Oikonomikos (15-21) führt. Ischomachos erklärt eingangs, die Technik des Landbaus habe unter anderem auch den Vorzug, daß sie sehr leicht zu erlernen sei (Oec. 15.4): 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 154 ἔ τι ̟ρ ὸ ς το ύ τοις κα ὶ ῥά ιστην ε ἶ ναι µαθε ῖ ν (sc. agri culturam) [...]. Nachdem nun Ischomachos Sokrates in einem Lehrgespräch über die verschiedenen Aspekte des Landbaus unterrichtet hat, bemerkt Sokrates am Ende (Oec. 21.1): ἀ τ ὰ ρ ἐ ννο ῶ γε, ἔ φην, ὦ Ἰ σχ ό µαχε, ὡ ς ε ὖ τ ῆ ι ὑ ̟οθ έ σει ὅ λον τ ὸ ν λ ό γον βοηθο ῦ ντα ̟αρ έ σχησαι· ὑ ̟ έ θου γ ὰ ρ τ ὴ ν γεωργικ ὴ ν τ έ χνην ̟ασ ῶ ν ε ἶ ναι ε ὐ µαθεστ ά την, κα ὶ ν ῦ ν ἐ γ ὼ ἐ κ ̟ ά ντων ὧ ν ε ἴ ρηκας το ῦ θ ᾽ ο ὕ τως ἔ χειν ̟αντ ά ̟ασιν ὑ ̟ ὸ σο ῦ ἀ να̟ έ ̟εισµαι. Sieht man davon ab, daß hier — ironischerweise — Ischomachos als Gesprächsführer fungiert und nicht Sokrates, so erfüllt dieses Gespräch exakt jene Bedingungen, die die Interpretation vorausgesetzt hat: Der Gesprächsführer stellt eingangs eine Hypothesis auf (Landbau ist die leichteste τέχνη) und demonstriert sodann durch einen «helfenden» Diskurs (λ ό γον βοηθο ῦ ντα) die Richtigkeit der Hypothesis, so daß der Unterredner sich schließlich «aufgrund aller vorgebrachten Argumente» ( ἐ κ ̟ ά ντων ὧ ν ε ἴ ρηκας) «vollkommen überzeugt» zeigt (̟αντ ά ̟ασιν ἀ να̟ έ- ̟εισµαι). Recht verstanden unterscheidet Xenophon im vierten Buch der Apomnemoneumata zwei Formen hypothetischer Dialektik: Die eine geht von einer Hypothesis aus und führt durch eine Reihe konsensfähiger Plausibilitäten zur Einsicht in die Richtigkeit des als richtig Vorausgesetzten; die andere führt eine Fehlthese vermittels konsensfähiger Plausibilitäten auf ihre Hypothesis zurück und beweist so die Verfehltheit der Ausgangsthese. Übersetzt man diesen theoretischen Befund ins Literarische, so ergeben sich zwei Typen des Sokratischen Dialogs: das Lehrgespräch, in dem ein Gesprächsführer — in der Regel Sokrates — einen Unterredner argumentativ überzeugt, ohne daß dieser maßgeblichen Widerspruch vorbringt; anders der widerlegende oder besser elenktische Dialog: Hier demonstriert der Gesprächsführer — Sokrates — dem Unterredner gegen dessen heftigen Widerspruch argumentativ, daß er nicht meinen kann, was er zu meinen glaubt, wenn er nur die Voraussetzungen seiner Meinung gründlich bedenke. Beide Gesprächstypen sind uns wohlbekannt, — merkwürdiger- oder vielmehr bezeichnenderweise weniger aus Xenophon als aus Platon: Xenophon kennt im Grunde nur das Sokratische Lehrgespräch; Platon hingegen pflegt beide Gesprächstypen: Klassisches Muster eines Sokratischen Lehrgesprächs ist die Politeia, klassisches Muster eines elenktischen Dialoges der Gorgias. Nach alledem wäre es merkwürdig, wenn Xenophon nicht auch den Begriff der Hypothesis Platon verdankte. Die Methode der Hypothesis spielt in der Platonischen Dialektik eine bedeutsame Rolle und ist aufs engste mit der Explikation der Ideenlehre verknüpft, wie sie der Platonische Sokrates in den Dialogen der Reifezeit vornimmt: Nach einem Vorspiel im Menon (p. 96 a-87 b) erläutert Sokrates 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 155 die hypothetische Methode ausführlicher im Phaidon (p. 100 ab, 101 de) und noch ausführlicher in der Politeia (6 p. 511 a-d, 7 p. 532 a-533 d) (Stahl 1956; Rosenmeyer 1960; Rose 1961). Die Hypothesis, so erweist sich, ist eine Denkmethode sowohl der Mathematik wie der Dialektik. Während die Mathematik aber bei den Hypothesen haltmacht und diese also gewissermaßen als Prinzipien betrachtet, übersteigt die Dialektik die Hypothesen und gelangt durch ihre Aufhebung zum voraussetzungslosen Prinzip des Seins (Resp. 7 p. 533 cd): ἡ διαλεκτικ ὴ µέθοδος µόνη ταύτηι ̟ορεύεται, τ ὰ ς ὑ ̟οθέσεις ἀ ναιρο ῦ σα, ἐ ̟’ α ὐ τ ὴ ν τ ὴ ν ἀ ρχ ὴ ν ἵ να βεβαιώσηται [...]. Vergleicht man, was Platon und was Xenophon über die hypothetische Methode der Sokratischen Dialektik äußern, so kann der Unterschied nicht größer sein: Bei Platon kulminiert die hypothetische Methode darin, daß sie sich selbst aufhebt, insofern die Hypothesis der Ideen Erfüllung und Begründung findet in der nicht-hypothetischen Vorstellung der Idee des Guten; bei Xenophon hingegen erscheint die Hypothesis selbst als Erfüllung des dialektischen Prozesses, insofern sie, durch Konsens und Plausibilitäten begründet, Einsicht und Wahrheit verbürgt. Wie soll man nun diesen Befund deuten? Da beide Denkmodelle einander widersprechen, könnte man annehmen, daß sie unabhängig voneinander entstanden seien. Woraus sich des weiteren folgern ließe, daß Xenophon die Ansicht des historischen Sokrates wiedergebe, welche Platon der Ideenlehre dienstbar gemacht und so in ihr Gegenteil verkehrt habe. Indes ist es nicht wohl wahrscheinlich, daß die Sokratische Dialektik (um von der Platonischen zu schweigen) tatsächlich auf einer so schlichten Voraussetzung gegründet haben könnte, wie die Xenophontische Hypothesis ist, derzufolge Sokrates ja im Grunde nichts anderes tue, als eine einmal aufgestellte Behauptung dem Unterredner plausibel zu machen. So verfährt der Xenophontische Sokrates in der Tat, und Xenophon kann sich daher zu der Äußerung versteigen, er habe keinen Menschen gesehen, der bei seinen Zuhörern so viel an Zustimmung gefunden habe wie Sokrates (Mem. 4.6,15): τοιγαρο ῦ ν ̟ολ ὺ µ ά λιστα ὧ ν ἐ γ ὼ ο ἶ δα, ὅ τε λ έ γοι, το ὺ ς ἀ κο ύ οντας ὁ µολογο ῦ ντας ̟αρε ῖ χεν (sc. Socrates). Wäre dem wirklich so gewesen, so bliebe unerfindlich, wie das Sokratische Philosophieren jene Sprengkraft entwickeln konnte, die es entwickelt hat, und unerfindlich auch, wie die Athener einen solchen Mann, der offenbar nur aussprach, was jeder dachte, mit dem Tode bestraft hätten. Wie als ausgeschlossen gelten muß, daß Xenophon seinen Begriff der Hypothesis dem historischen Sokrates verdankt, so darf als ausgeschlossen gelten, daß Xenophon jenen Begriff auf eigene Hand aufgebracht und seinem Sokrates imputiert habe; denn dann bliebe unerfindlich, wieso Xenophon einen philosophisch so anspruchsvollen Ausdruck gewählt 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 156 hätte, um einen gedanklich so anspruchslosen Sachverhalt zu formulieren. Alles recht erwogen ist das Wahrscheinlichste, daß Xenophon wie im Falle der Definition auch im Falle der Hypothesis einen Platonischen Denkansatz übernommen und im Zuge der Übernahme gedanklich verflacht habe (Maier 1913, 61). Wie das geschah, läßt sich unschwer erraten: Xenophon mußte nur übersehen oder überlesen, daß der Begriff der Hypothesis bei Platon mit der Ideenlehre verknüpft ist, die ihm ohnedies fremd war, und er fand für seine Auffassung Belege genug. So sagt etwa der Platonische Sokrates im Phaidon (p. 100 a): κα ὶ ὑ ̟οθ έ µενος ἑ κ ά στοτε λ ό γον, ὃ ν ἂ ν κρ ί νω ἐ ρρωµεν έ στατον ε ἶ ναι, ἃ µ ὲ ν ἄ ν µοι δοκ ῆ ι το ύ τωι συµφωνε ῖ ν, τ ί θηµι ὡ ς ἀ ληθ ῆ ὄ ντα [...]. Diese Äußerung könnte ebenso auch bei Xenophon stehen wie jene, die der Platonische Sokrates in demselben Zusammenhang wenig später tut (Phaed. p. 101 d): σ ὺ δ ὲ δεδι ὼ ς ἄ ν [...] τ ὴ ν σαυτο ῦ σκι ὰ ν κα ὶ τ ὴ ν ἀ ̟ειρ ί αν, ἐ χ ό µενος ἐ κε ί νου το ῦ ἀ σφαλο ῦ ς τ ῆ ς ὑ ̟οθ έ σεως, ο ὕ τως ἀ ̟οκρ ί ναιο ἄ ν. Wie denn hier auch die Wendung τ ὸ ἀ σφαλ ὲ ς τ ῆ ς ὑ ̟οθ έ σεως an jene ἀ σφ ά λεια λ ό γου erinnert, die laut Xenophon (Mem. 4.6,15) Kennzeichen des hypothetischen Diskurses ist. Auch in der Politeia lassen sich unschwer entsprechende Stellen finden. So etwa im sechsten Buch, wo Sokrates sagt (p. 511 b): [...] α ὐ τ ὸ ς ὁ λ ό γος ἅ ̟τεται τ ῆ ι το ῦ διαλ έ γεσθαι δυν ά µει, τ ὰ ς ὑ ̟οθ έ σεις ̟οιο ύ µενος ο ὐ κ ἀ ρχ ὰ ς ἀ λλ ὰ τ ῶ ι ὄ ντι ὑ ̟οθ έ σεις [...]. Und im siebten Buch (p. 532 bc) spricht Sokrates von der διαλεκτικ ὴ ̟ορεία und von der ἐ ̟αναγωγή der Seele und verwendet so zwei Substantive, die bei Xenophon (Mem. 4.6,13-15) als Verben wiederbegegnen, wobei das seltene Substantiv ἐ ̟αναγωγή gleich zweimal durch das in übertragenem Gebrauch nicht weniger seltene Verb ἐ ̟ανάγειν aufgenommen wird. Es kann nach alledem nicht wohl zweifelhaft sein, daß Xenophon den Begriff der Hypothesis im Rückgriff auf Denkansätze gewonnen hat, wie sie die Platonischen Dialoge der Reifezeit boten, so daß sich hier mutatis mutandis dasselbe wiederholt, was sich bereits in betreff der definitorischen Was-ist-Frage konstatieren ließ. Mehr noch: Wie dort, so greift Xenophon auch hier zu kurz und verkehrt den Platonischen Begriff der Hypothesis, indem er ihn von den Ideen trennt, in sein Gegenteil, insofern die Hypothesis nun nicht mehr als zu überwindende Voraussetzung des dialektischen Diskurses betrachtet wird, sondern als seine Erfüllung. Mit dem historischen Sokrates hat dieser mißglückte Rekurs auf Platon nicht das Geringste zu tun. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 157 2.3. Dihairesis Im fünften Kapitel des vierten Buches der Apomneumoneumata führt Sokrates mit dem jungen Euthydemos ein Gespräch über die Selbstbeherrschung ( ἐ γκράτεια). Sokrates wiederholt in diesem Gespräch Gedanken, die er bereits früher an anderer Stelle über dasselbe Thema geäußert hat (Mem. 1.5; 2.1). Sokrates' Schlußworte allerdings lassen aufhorchen; denn sie bringen einen neuen Gedanken, insofern sie das «Trennen nach Gattungen» in den Mittelpunkt der Sokratischen Dialektik rücken (Mem. 4.5,11): ἀ λλ ὰ το ῖ ς ἐ γκρατ έ σι µ ό νοις ἔ ξεστι σκο̟ε ῖ ν τ ὰ κρ ά τιστα τ ῶ ν ̟ραγµ ά των, κα ὶ λ ό γωι κα ὶ ἔ ργωι διαλ έ γοντας κατ ὰ γ έ νη τ ὰ µ ὲ ν ἀ γαθ ὰ ̟ροαιρε ῖ σθαι, τ ῶ ν δ ὲ κακ ῶ ν ἀ ̟ έ χεσθαι. Was Sokrates hier sagt, bestätigt Xenophon im folgenden noch einmal selbst (Mem. 4.5,11): Sokrates sei der Ansicht gewesen, daß auf solche Weise — durch Trennen der Dinge nach Gattungen im Zustande der Besonnenheit — die besten, glücklichsten und dialektisch befähigtsten Männer entstünden. Die Dialektik aber habe Sokrates als «gemeinsame Beratung über das Trennen nach Gattungen bestimmt»: ἔ φη (sc. Socrates) δ ὲ κα ὶ τ ὸ διαλ έ γεσθαι ὀ νοµασθ ῆ ναι ἐ κ το ῦ συνι ό ντας κοιν ῆ ι βουλε ύ εσθαι διαλ έ γοντας κατ ὰ γ έ νη τ ὰ ̟ρ ά γµατα. Darauf — auf das Trennen nach Gattungen — müsse jeder seinen Sinn richten; denn daraus — wird noch einmal eingeschärft — entstünden die besten, führungsstärksten und dialektisch befähigtsten Männer. Was Xenophon hier über die Sokratische Dialektik ausführt, ist nicht nur neu, sondern auch dunkel, insofern unerklärt bleibt, was die philosophisch anspruchsvoll formulierte Junktur διαλ έ γειν κατ ὰ γ έ νη τ ὰ ̟ρ ά γµατα besagen will. Anders als im Falle der Definition und der Hypothesis fehlt ein Beispiel, das den Leser darüber aufklären könnte, was der Sinn jener Formulierung sei, die hier, gleichsam aus dem Nichts auftretend, gleich zweimal erscheint, ohne daß man hier oder anderswo Auskunft erhielte, welcher Sachverhalt sich hinter dem Ausdruck «Trennen nach Gattungen» verbirgt. Wieder hilft ein Blick auf Platon (Maier 1913, 57-61). Denn was bei Xenophon als unerklärter Einzelbegriff erscheint, hat gedanklich und sprachlich seinen festen Ort in den spätplatonischen Dihairesis-Dialogen, zu denen der Sophistes und der Politikos zählen sowie namentlich auch der Phaidros (Stenzel 1917; Regenbogen 1950; Koller 1960; Philip 1966). Über die Platonische Dihairesis sei an dieser Stelle nur soviel bemerkt, daß es sich um ein Verfahren handelt, einen allgemeinen Gegenstand vermittels Zweiteilung solange nach Gattungen zu zerlegen, bis der (gesuchte) Einzelgegenstand an der Basis der Gegenstandspyramide erscheint. 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 158 Platon verwendet für diese dichotomische Methode der Gegenstandsauffindung vermittels Dihärese verschiedene Formulierungen, insofern er den actus des Trennens bald durch das Verbum διακρίνειν (Soph. p. 253 e) bezeichnet, bald durch die Verba τέµνειν (Phaedr. p. 227 b) bzw. διατέµνειν (ibid. p. 265 e) oder durch die Verba διαιρε ῖ ν (Soph. p. 253 e; Pol. p. 286 d) bzw. διαιρε ῖ σθαι (Soph. p. 253 d; Phaedr. p. 273 c); der modus des Trennens wird entweder durch die Formel κατ ᾽ ε ἴ δη (Pol. p. 286 d; Phaedr. p. 265 e, 273 c, 277 b) ausgedrückt oder durch die Formel κατ ὰ γ έ νη (Soph. 253 d) bzw. κατ ὰ γ έ νος (ibid. p. 253 e). Die Flüssigkeit der Platonischen Nomenklatur, die sich hier wie überall der Absicht verdankt, das Gedachte nicht in einer terminologisch fixierten Fachsprache erstarren zu lassen, erlaubt eine genauere Bestimmung jener Stelle, die Xenophon vor Augen oder im Ohre hatte, als er sich die Begrifflichkeit der dihäretischen Dialoge Platons zunutze machte, um die Sokratische Dialektik zu beschreiben. Da Xenophon die (häufigere) Platonische Formel κατ ᾽ ε ἴ δη vermeidet und stattdessen die (seltenere) Formel κατ ὰ γ έ νη bevorzugt, so war es eine Stelle aus dem Platonischen Sophistes (p. 253 d), die ihm bei der Formulierung vorschwebte: τ ὸ κατ ὰ γένη διαιρε ῖ σθαι [...] µ ῶ ν ο ὐ τ ῆ ς διαλεκτικ ῆ ς φήσοµεν ἐ ̟ιστήµης ε ἶ ναι; Platon beschreibt an dieser Stelle nicht nur die dihäretische Methode, sondern erklärt auch, daß diese Methode ein wesentlicher Bestandteil der dialektischen Erkenntnis sei. Auch diese Vorstellung hat Xenophon übernommen, insofern er den Begriff Dialektik auf die dihäretische Methode zurückführt (Mem. 4.5,12): τ ὸ διαλ έ γεσθαι ὀ νοµασθ ῆ ναι ἐ κ το ῦ [...] διαλ έγοντας κατ ὰ γ έ νη τ ὰ ̟ρ ά γµατα. Die Etymologie allerdings, die dieser Begriffsbestimmung zugrunde liegt, fand Xenophon nicht bei Platon, und da nicht abzusehen ist, bei welchem anderen Sokratiker von einer Trennung der Dinge κατ ὰ γ έ νη die Rede gewesen sein könnte, so wird es sich um einen Einfall Xenophons handeln, den er als Sokrateszitat larviert hat. Dieser Einfall brachte es mit sich, daß Xenophon für den actus des Trennens keines der von Platon gebrauchten Verba übernehmen konnte, sondern auf das Verbum διαλέγειν zurückgriff, das im genus actiuum in attischer Prosa höchst selten in Gebrauch ist und in übertragener Bedeutung vor Xenophon überhaupt nicht vorkommt (Belege: Pape 1 p. 476, LSJ p. 400). Die unzweifelhaft nichtplatonische Herkunft dieser Etymologie hat als Beweis dafür gelten sollen, daß Xenophon seine Darstellung der Sokratischen Dialektik nicht Platon verdanke (Jaeger 1915, 382). Will man diese Auffassung widerlegen, muß man das Ende und den Anfang der beiden dialektischen Kapitel des vierten Buches der Apomnemoneumata noch einmal ins Auge fassen: Am Ende des fünfen Kapitels bemerkt Xenophon, Sokrates sei der Ansicht gewesen, daß durch die dihäretische Methode «höchst dialektische» Männer entstünden (Mem. 4.5,12): ἐ κ το ύ του γ ὰ ρ γ ί γνεσθαι ἄ νδρας [...] διαλεκτικωτ ά τους; eingangs 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 159 des folgenden Kapitels, in dem die definitorische Dialektik des Sokrates expliziert wird, erklärt Xenophon, er wolle zeigen, daß Sokrates seine Gefährten auch «dialektischer» gemacht habe (Mem. 4.6,1): ὡ ς δ ὲ κα ὶ διαλεκτικωτ έ ρους ἐ ̟ο ί ει (sc. Socrates) το ὺ ς συν ό ντας, ̟ειρ ά σοµαι κα ὶ το ῦ το λ έ γειν. Um die Wirkung sowohl der dihäretischen wie der definitorischen Dialektik zu kennzeichnen, verwendet Xenophon zweimal das Adjektiv διαλεκτικός. Dieser doppelte Wortgebrauch ist um so auffälliger, als Xenophon das Adjektiv διαλεκτικός sonst nirgends verwendet. Nun ist uns die Genese dieses Adjektivs wohlbekannt: Es handelt sich um ein Kunstwort, das Platon geschaffen hat, um jenes methodische Verfahren zu kennzeichnen, das zur Erschließung der Ideenphilosophie geeignet ist (Müri 1944; Sichirollo 1961). Indem sich Xenophon dieses Kunstwort zu eigen macht, bekundet er, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß er die dihäretische Dialektik ebenso Platon verdankt wie die definitorische. Und wie sich diese unfreiwillige Bekundung im Falle der definitorischen Dialektik bündig beweisen ließ, so auch im Falle der dihäretischen. Die vergleichsweise originelle Etymologie des Begriffes Dialektik kommt gegen diesen Befund nicht auf: Sie beweist — um einen Vergleich zu gebrauchen — ebensowenig die Originalität der Xenophontischen Auffassung der dihäretischen Dialektik wie die vergleichsweise originelle Form der Xenophontischen Sokratika, daß ihr Inhalt originell ist. Daß dem so war, beweist schließlich auch eine Passage aus dem Platonischen Politikos, in der, was Xenophon über die dihäretische Dialektik und namentlich über den Übergang von der dihäretischen Dialektik zur definitorischen sagt, nachgerade wörtlich vorweggenommen wird. Es heißt dort, man frage nach dem Wesen des Politikers, um insgesamt dialektischer zu werden (p. 285 d): τί δ’ α ὖ ν ῦ ν ἡ µ ῖ ν ἡ ̟ερ ὶ το ῦ ̟ολιτικο ῦ ζήτησις; ἕ νεκα α ὐ το ῦ τούτου ̟ροβέβληται µ ᾶ λλον ἢ το ῦ ̟ερ ὶ ̟άντα διαλεκτικωτέροις γίγνεσθαι. Hierbei nun gelte es vor allem, die Methode selbst zu beachten, die befähige, nach Gattungen zu trennen (p. 286 d): ̟ολ ὺ δ ὲ µ ά λιστα κα ὶ ̟ρ ῶ τον τ ὴ ν µ έ θοδον α ὐ τ ὴ ν τιµ ᾶ ν το ῦ κατ' ε ἴ δη δυνατ ὸ ν ε ἶ ναι διαιρε ῖ ν. Und wenn einer die Länge der Untersuchung tadele, so müsse er beweisen, daß auch das Kürzere die Gefährten dialektischer mache (p. 287 a): κα ὶ ̟ροσα̟οφα ί νειν ο ἴ εσθαι δε ῖ ν ὡ ς βραχ ύ τερα ἂ ν γεν ό µενα το ὺ ς συν ό ντας ἀ ̟ηργ ά ζετο διαλεκτικωτ έ ρους. Der Schluß dieser Passage ist deswegen von besonderem Interesse, weil Xenophon, was Platon über die Wirkung der dihäretischen Methode sagt, bis auf das Prädikat ἀ ̟ηργ ά ζετο, das er durch das blassere ἐ ̟οίει ersetzt, wörtlich übernommen hat, um die definitorische Dialektik des Sokrates einzuleiten. Hiermit deutet sich an, daß Xenophon bei der Explikation der definitorischen Dialektik nicht nur auf frühplatonische Dialoge zurückgegriffen, sondern auch spätplatonisches Gedankengut verwendet 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 160 hat: Wenn Xenophon (Mem. 4.6,1) etwa ausführt, nur wer wisse, «was jegliches der Dinge sei» (τ ί ἕ καστον ε ἴ η τ ῶ ν ὄ ντων bis) könne andere belehren, der Nichtwissende aber täusche sich selbst und andere, so heißt es im Platonischen Phaidros (p. 262 b), die Kunst, andere zu täuschen und sich selbst vor Täuschung zu bewahren, besitze allein derjenige, der nicht in Unkenntnis darüber sei, «was jegliches der Dinge sei» ( ὃ ἔ στι ἕ καστον τ ῶ ν ὄ ντων) . . . Noch mehr als im Falle der Definition und der Hypothesis hat Xenophon im Falle der Dihairesis die Platonischen Denkansätze, die er sich aneignete, um sie seinem Sokrates zu imputieren, mißverstanden und verflacht. Es beginnt damit, daß, was Xenophon aus den spätplatonischen Dialogen Sophistes und Politikos aufgerafft und als sokratisch ausgegeben hat, ja gar nicht vom Platonischen Sokrates geäußert wird, sondern vom Fremden aus Elea, der in beiden Dialogen an Stelle des Sokrates als Gesprächsführer fungiert. Indes steht Xenophon mit dieser kühnen Hermeneutik nicht allein: Der Rhetor Polykrates etwa nahm in seiner fiktiven Anklagerede gegen Sokrates alle Äußerungen, die er in Sokratischen Dialogen fand, für Sokrates in Anspruch (Gebhardt 1957, 17-35). Xenophon wiederum scheint die fingierte Rede des Polykrates, mit der er sich zu Beginn der Apomnemoneumata (Mem. 1.2) eingehend auseinandersetzt, für die echte Anklagerede des Anytos gehalten zu haben: Das genaue Lesen fiktionaler Texte war noch nicht erfunden (Rösler 1980); und daß namentlich Xenophon kein genauer Leser und also auch kein genauer Denker gewesen ist, hat sich bereits im Falle der Definition und der Hypothesis erwiesen und erweist sich auch hier. Denn auch wenn man Xenophon die hermeneutische Methode, der er folgt, zugibt, so hat er auch hier, was der Eleatische Fremde ausführt, gedanklich nicht zureichend erfaßt: Er schränkt die Dihairesis-Methode, die beim späten Platon als ein universales Denkmodell entworfen ist, vermöge dessen sich die Gesamtheit des Seins ordnen läßt, auf das Ethische ein, so daß das «Trennen nach Gattungen» für den Xenophontischen Sokrates schließlich nichts anderes bedeutet als eine praktische Anweisung zum ethisch richtigen Handeln (Mem. 4.5,11): κα ὶ λ ό γωι κα ὶ ἔ ργωι διαλ έ γοντας κατ ὰ γ έ νη τ ὰ µ ὲ ν ἀ γαθ ὰ ̟ροαιρε ῖ σθαι, τ ῶ ν δ ὲ κακ ῶ ν ἀ ̟ έ χεσθαι. Diese Fixierung auf das Ethische trübte bereits Xenophons Blick auf die aporetischen Definitionsdialoge des frühen Platon; sie verzerrt hier den Blick auf die Dihairesis nicht weniger, als sie den Blick auf die Hypothesis verzerren mußte, die, wie die Dihairesis und wie auch schon die Definition, als Denkmethode nur sinnvoll ist im Horizont des ontologischen Konzeptes der Ideenphilosophie. Indem Xenophon dies nicht sah oder nicht sehen wollte, mußten alle seine Rückgriffe auf Platon scheitern und ebenso sein Entwurf der Sokratischen Dialektik, der in allen Stücken auf 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 161 Platon gründet. So gesehen ist die Dialektik des Xenophontischen Sokrates ein interessantes Dokument für eine frühe, wenn auch mißglückte Platonrezeption; als Dokument für Sokrates — den historischen Sokrates — kommt sie nicht in Betracht. 3. Die Befreiung von Xenophon Wie sich Xenophon das Zusammenspiel von Definition, Hypothesis und Dihairesis im dialektischen Diskurs des Sokrates vorgestellt hat, ist eine müßige Frage. Xenophon hat sie sich selbst nicht gestellt. Wie denn auch? Was Xenophon an Platonischen Denkansätzen aufgerafft hat, stammt ja aus ganz verschiedenen Epochen des Platonischen Denkens und läßt sich nimmermehr zu einer bündigen Vorstellung von Dialektik zusammenfügen. Daher rührt der auffällige Widerspruch, daß Xenophon sich über die Sokratische Dialektik ganz anders äußert, als er Sokrates im Gespräch dialektisch verfahren läßt. In den zahllosen Gesprächen, die der Xenophontische Sokrates in den Apomnemoneumata, im Oikonomikos, im Symposion und auch in der sogenannten Apologie führt, ist nirgends die Rede von Definition und noch weniger von gattungsspezifischer Dihärese. Allein die Hypothesis steht in Flor, insofern Sokrates überall eine Meinung äußert und diese Meinung dann durch konsensfähige Plausibilitäten als wahr erweist. Aber Xenophon hätte für ein so schlichtes Verfahren kein so hohes Wort entlehnen müssen: Es ist ganz einfach so, daß der Xenophontische Sokrates, als ein vollkommener Weiser, weiß, was zu denken ist, und auch weiß, wie man dieses Denken anderen vermittelt, auf daß sie gleicher Meinung seien. Philosophisch ist das nicht, und wäre der historische Sokrates so verfahren, wie Xenophon es darstellt, so wäre die epochale philosophische Wirkung, die er ausgeübt hat, ganz unerklärlich. Fazit: Wir müssen Xenophon als genuine Quelle für die Philosophie des historischen Sokrates preisgeben. Die Befreiung von Xenophon, der hier das Wort geredet wurde in betreff der Sokratischen Dialektik, der sich aber auch sehr wohl in betreff der Sokratischen Ethik das Wort reden ließe, ist für die Sokratesforschung nichts Geringes: Denn nun erst wird der Blick frei auf Platon und auf die fragmentarischen Sokratiker. Platon, so zeigte es sich, stellt in seinen Frühdialogen die Wesensfrage in den Mittelpunkt der Sokratischen Dialektik. Das tut kein fragmentarischer Sokratiker; das kann kein fragmentarischer Sokratiker tun, da die Wesensfrage im tiefsten Grunde die Ideenlehre als Antwort bereits voraussetzt, so daß sie offenbar nicht den Kern des Sokratischen, sondern den Anfang des Platonischen Philosophierens markiert. Wozu paßt, daß der Sokratiker Antisthenes (SSR V A 150), nächst Platon philosophisch der bedeutendste Kopf unter den Sokratikern, expressis uerbis erklärt hat, es sei unmöglich, das Was ist? zu definieren: ο ὐ κ ἔ στι τ ὸ 7. Der Xenophontische Sokrates als Dialektiker 162 τ ί ἐ στι ὁ ρίσασθαι. Ein strikter Widerspruch eines Sokratikers gegen einen anderen Sokratiker — im Namen des Sokrates? Von der Beantwortung dieser Frage hängt viel, wenn nicht alles ab für das Verständnis des Sokratischen Philosophierens. Xenophon, soviel ist gewiß, ist der letzte, bei dem wir eine Antwort finden werden. 8. Sokrates und Archelaos ∗ Für Eva 1. Historische Zeugnisse über Sokrates Es steht heute außer Frage, daß der Großteil der zeitgenössischen Texte über Sokrates gar nicht die Absicht hat, Informationen über die historische Person des Sokrates zu vermitteln, sondern vielmehr jeweils eine literarische Interpretation der historischen Person intendiert, die nicht historische, sondern vielmehr komische, rhetorische und nicht zuletzt philosophische Interessen verfolgt: Die Wolken des Aristophanes und alle anderen einschlägigen Äußerungen der Komödie, die Sokratesreden des Polykrates und des Lysias, die Platonische Apologie sowie die Sokratischen Dialoge nicht nur Platons, sondern auch der fragmentarischen Sokratiker und namentlich auch die als persönliche Memoiren konzipierten Sokratischen Schriften Xenophons stellen Sokrates, um mit Aristoteles (Poet. p. 1451 b 3 sq.) zu reden, nicht so dar, ja wollen ihn nicht einmal so darstellen, wie er wirklich war, sondern so, «wie er hätte sein können» (ο ἷ ος ἂ ν γένοιτο). Solche Texte nennt die antike Literaturwissenschaft poetisch, die moderne fiktional. In der Fiktionalität der zeitgenössischen Sokratestexte, die zu verkennen der Grundirrtum der älteren Sokratesforschung gewesen ist, liegt die hermeneutische Schwierigkeit begründet, Kenntnis vom historischen Sokrates zu erlangen. Wie läßt sich dem Fiktionalen das Historische abgewinnen, an dem es sich doch je und je irgendwie (aber wie? ) entzündet hat. Das ist die Sokratische Frage, wie sie sich heute stellt — die bedeutsamste, aber auch die hermeneutisch schwierigste Frage, die die antike Philosophiegeschichte kennt. Wer an der Schwierigkeit dieser Aufgabe nicht verzweifeln will, tut gut, sich zu vergegenwärtigen, daß zwar die meisten, aber durchaus nicht alle zeitgenössischen Texte über Sokrates fiktionales Gepräge tragen: Es gibt sehr wohl auch zeitgenössische Texte über Sokrates, die nicht als fiktional, sondern sensu stricto als historisch anzusehen sind (De Strycker 1950). Diese Texte, wiewohl gering an Zahl und Umfang und heterogen nach Herkunft und Inhalt, sind, wie die Dinge liegen, gleichwohl von ∗ Erstveröffentlichung in: Sokrates im Gang der Zeiten (Sokrates-Studien 6), hrsg. von W. von der Weppen & B. Zimmermann [Narr Francke Attempto Verlag] Tübingen 2006, 9-56. 8. Sokrates und Archelaos 164 besonderer Bedeutung, insofern sie als historisches Korrektiv dienen können und so, wenigstens punktuell, einen Einblick erlauben, auf welche Art und Weise sich poetische Erfindung je und je der historischen Faktizität bemächtigt hat. Ließe sich hiernach so etwas wie ein Regelwerk der fiktionalen Verfremdung erstellen, so ließe sich der Anteil des Realen am Fiktionalen auch in jenen Fällen, in denen das Korrektiv historischer Texte nicht zur Verfügung steht, wenn nicht fixieren, so doch wenigstens plausibler abschätzen. Der Zufall will es, daß sich der methodisch so fruchtbare Kontrast und Konnex zwischen historischen und fiktionalen Texten besonders spektakulär und exemplarisch an einem Problem der Sokratesüberlieferung darstellen läßt, das biographisch sowohl wie philosophiegeschichtlich von besonderem Interesse ist: Was es nämlich mit dem Verhältnis auf sich habe, das zwischen dem jungen Sokrates und dem älteren Naturphilosophen Archelaos gewaltet haben soll — eine zuerst biographische Frage, in der jedoch die ungleich wichtigere philosophiegeschichtliche Frage beschlossen ist, wie Sokrates' Verhältnis zur Naturphilosophie zu beurteilen sei. Hierüber soll im folgenden ausführlicher und womöglich genauer die Rede sein, als es in der einschlägigen Forschung bisher der Fall gewesen ist (Boeckh 1838; Chiapelli 1891; Heiberg 1913; Busse 1919; Chroust 1952; Cappelletti 1960; Woodbury 1971; Fletcher 2007). 2. Ion aus Chios Ion aus Chios ist nach allem, was wir wissen, der erste Grieche, der Memoiren verfaßt hat. Wir verdanken diesem einzigartigem Buche, das mehrfach unter dem Titel Ἐ ̟ιδηµίαι (fr. 5 a, 8, 13 sq. Blumenthal) und einmal wohl auch unter dem Titel Ὑ ̟οµνήµατα (test. 3 Bl.) zitiert wird, fraglos auch jene Nachricht über Sokrates und Archelaos, die Diogenes Laertius (2.23 = SSR I D 1 [23]) in seiner Sokratesbiographie für Ion (fr. 10 Bl.) in Anspruch nimmt: daß nämlich Sokrates als junger Mann zusammen mit Archelaos nach Samos gereist sei. Ἴ ων δ ὲ ὁ Χ ῖ ος (sc. dicit) κα ὶ νέον ὄ ντα (sc. Socratem) ε ἰ ς Σάµον σ ὺ ν Ἀ ρχελάωι ἀ ̟οδηµ ῆ σαι. Es ist erstaunlich, wie viele Fehlinterpretationen dieser harmlose Satz hervorgerufen hat (Jacoby 1947, 9-11). Eine dieser Fehlinterpretationen, die hier nicht widerholt werden sollen, hat sogar nachgerade kanonische Geltung erlangt, da sie in die ihrerseits kanonische Ausgabe der Vorsokratiker-Fragmente von Diels-Kranz Eingang gefunden hat (VS 60 A 3 adn.): daß nämlich Sokrates' und Archelaos' Aufenthalt auf Samos, von dem Ion erzählt, während des Samischen Krieges stattgefunden habe, in den Ions Begegnung mit Sophokles auf Chios (fr. 8 Bl.) datiert. Das geht nicht wohl an. Denn da Sokrates um das Jahr 469 geboren wurde (Jacoby 1902, 284-289), war er während der Kriegsereignisse um 8. Sokrates und Archelaos 165 Samos, die in den Jahren 441-439 stattfanden (Thuc. Hist. 1.115-117), ungefähr dreißig Jahre alt. Einen dreißigjährigen Mann aber hätte Ion niemals expressis uerbis als «jung» (νέος) bezeichnet, mag das Adjektiv im übrigen in seltenen Fällen auch noch auf Dreißigjährige angewendet werden (Forbes 1933, 2). Anderes kommt hinzu. So zunächst der Wortlaut. Das Verbum ἀ ̟οδηµε ῖ ν und seine Derivate (Pape 1, 242; LSJ 196) bezeichnen in aller Regel nur solche Reisen in die Fremde bzw. Aufenthalte in der Fremde, die aus privaten Gründen erfolgt sind; ausnahmslos findet sich diese Wortbedeutung in den Fällen, in denen, wie hier, das Verbum angewandt wird, ohne daß der Grund der actio uerbi eigens benannt würde. Hiernach kann, was Diogenes aus Ion zitiert oder referiert, nichts anderes bedeuten, als daß der junge Sokrates in Begleitung des Archelaos privatim nach Samos gereist ist. Daß diese Interpretation richtig ist, lehrt auch der Kontext, in dem Diogenes Laertius auf das Zeugnis Ions zu sprechen kommt. Diogenes (2.22 sq. = SSR I D 1 [22 sq.]) handelt hier von den Auslandsaufenthalten des Sokrates. Zunächst zählt er jene drei Militärexpeditionen auf, an denen Sokrates notorisch teilgenommen habe: Amphipolis, das Delion und Potidaia. Auf diese Auslandsaufenthalte, die zweimal durch das Verbum στρατεύεσθαι als militärisch begründet gekennzeichnet werden, folgen drei weitere Auslandsaufenthalte, die, da weniger bekannt als die Kriegszüge, jeweils mit einer Quellenangabe versehen werden: Ion verbürgt den Aufenthalt auf Samos, Aristoteles (fr. 2 Rose = SSR I B 10) jenen in Delphi und Favorin (fr. 2 Mensching = SSR I D 1 [23]) jenen am Isthmos. Daß es sich bei diesen drei zu einer Gruppe zusammengefaßten Auslandsaufenthalten des Sokrates um private Reisen handelt, lehren die Verba ἀ ̟οδηµε ῖ ν und ἔ ρχεσθαι, die hier ebenso sorgfältig gewählt sind, wie das Verbum στρατεύεσθαι im Falle der Kriegszüge. Alles recht erwogen, kann ernstlich keine Rede davon sein, daß Sokrates mit Archelaos zur Zeit des Samischen Krieges auf Samos gewesen ist. Diese Reise — eine Privatreise wohlgemerkt — muß sehr viel früher liegen als jene Militärexpedition. Wenn Ion Sokrates' Jugend eigens betont, so wird man mit der Datierung so weit heraufgehen müssen, wie das Adjektiv νέος nur immer erlaubt (Forbes 1933, 5). Hiernach stand Sokrates damals allenfalls im Ephebenalter, will sagen: Er war damals höchstens achtzehn Jahre alt. Das Ereignis, von dem Ion erzählt, kann demnach spätestens im Jahre 452 stattgefunden haben. Archelaos, den die Überlieferung als Schüler des Anaxagoras (VS 60 A 1-3, 5, 10) kennt sowie als Freund des Kimon (VS 60 B 1) und des Sophokles (VS 60 A 5 a), muß damals ein Mann in den Dreißigern gewesen sein; er war demnach ungefähr doppelt so alt wie Sokrates. Es wird nicht überliefert, ob Ion, was er über Sokrates und Archelaos erzählte, eigener Anschauung verdankte oder später durch Hörensagen 8. Sokrates und Archelaos 166 erfuhr, sei es durch Archelaos, sei es durch Sokrates oder gar durch einen Dritten. Aber es spricht alles dafür, daß Ion den Leser in seinen Memoiren nicht mit fremder Kunde aus zweiter oder dritter Hand abspeiste, sondern allein das erzählte, was er selbst persönlich gehört oder gesehen hatte. Im Falle des Kimon (fr. 2-4 Bl.), des Aischylos (fr. 5 Bl.) und des Sophokles (fr. 8 Bl.) ist dies nachweislich der Fall und im Falle des Perikles (fr. 6 sq.) mehr als wahrscheinlich. Mehr als wahrscheinlich ist daher auch, daß Ion persönlich erlebt hat, wie der junge Sokrates und Archelaos um das Jahr 452 auf Samos weilten. Wenn dem so war, so muß es Archelaos gewesen sein, der Ions Interesse weckte: Archelaos nämlich, ungefähr so alt wie Ion und wie dieser ein Freund des Kimon und des Sophokles, stand Ion ungleich näher und war für Ion auch ungleich interessanter als Sokrates, der als junger, noch unbewiesener Mann gegenüber dem älteren Archelaos, der sich als Naturphilosoph Anaxagoreischer Observanz offenbar bereits einen Namen gemacht hatte, gar nicht in Betracht kam. Woraus folgt, daß die schriftliche Fixierung dieses Ereignisses erheblich später erfolgt sein muß als das Ereignis selbst: Ions Blick auf den jungen Sokrates kann nur als ein Rückblick verstanden werden, der aus einer Zeit datiert, als Sokrates bereits älter und namentlich bereits auch so berühmt gewesen ist, daß sich die Aufzeichnung eines Ereignisses aus seinen Jugendtagen verlohnte, ja sich nachgerade aufdrängte. Eine stadtbekannte Persönlichkeit aber war Sokrates nach allem, was wir wissen, erst in den Jahren des Archidamischen Krieges: Die Wolken des Aristophanes, die im Jahre 423 aufgeführt wurden, setzen bereits voraus, daß Sokrates in Athen eine allbekannte Person gewesen ist. Ungefähr um diese Zeit dürften auch die Memoiren Ions erschienen sein — offenbar eine Art Lebensresümee dieses hochbegabten all-round-Schriftstellers, der im Jahre 421 bereits tot war (test. 2-4 Bl.). Ions Zeugnis über Sokrates ist demnach das früheste historische Zeugnis über Sokrates und womöglich das früheste Zeugnis über Sokrates überhaupt — ein höchst kostbares Testimonium also, das genauerer Betrachtung wohl wert ist. Wenn durch Autopsie und Augenschein historisch unzweifelhaft bezeugt ist, daß der junge Sokrates um das Jahr 452 mit dem älteren Naturphilosophen Archelaos privatim nach Samos gereist ist, so kann nicht historisch sein, was die personifizierten Gesetze im Platonischen Kriton (p. 52 b) über Sokrates' Reisen verkünden: daß Sokrates die Stadt niemals verlassen habe, weder um die Festspiele anzuschauen noch um sich irgendwo anders hin zu begeben, «es sei denn, um irgendwohin in den Krieg zu ziehen» (ε ἰ µή ̟οι στρατευσόµενος). Stärker kann man nicht betonen, daß Sokrates, außer durch Kriegsdienst gezwungen, freiwillig Athen niemals verlassen hat, um, wie alle anderen Menschen tun, eine Reise zu unternehmen. Je stärker aber die Betonung des Faktums, desto stärker auch der Widerspruch zur außerplatonischen Überlieferung, die, 8. Sokrates und Archelaos 167 wie Diogenes Laertius (2.23 = SSR I D 1 [23]) resümiert, von nicht weniger als drei privaten Reisen des Sokrates weiß, die nach Samos (laut Ion), nach Delphi (laut Aristoteles) und zum Isthmos (laut Favorin) geführt haben sollen. Dieser eklatante Widerspruch ist offenbar schon in der Antike so stark empfunden worden, daß man sich korrigierend in den Platontext einzugreifen genötigt sah: Der codex Venetus nämlich, der die Handschriftenklasse T repräsentiert, ergänzt Platons Aussage, daß Sokrates niemals zur Schau der großen Feste gegangen sei, durch die einschränkende Bemerkung ὅ τι µ ὴ ἅ ̟αξ ε ἰ ς Ἰ σθµόν — eine Zusatzbemerkung, die den gedanklichen Duktus des Satzes empfindlich stört, so daß man sie auch dann als ein späteres Interpretament verdächtigen würde, wenn sie nicht in den Handschriftenklassen β und δ fehlte (edd. Oxonienses 1 [1995] p. 80). Diese Zusatzbemerkung wurde eingefügt, um wenigstens Sokrates' Reise zum Isthmos, deren Kenntnis Favorin (fr. 2 Mensching = SSR I D 1 [23]), wenn er sie nicht in seinem Platontext vorfand, fraglos einem anderen Sokratiker verdankt, auch für Platon in Anspruch nehmen zu können, um so einen auffälligen Widerspruch innerhalb der Sokratik zu beseitigen. Aber gesetzt selbst, die einschränkende Bemerkung über Sokrates' Reise zum Isthmos, die Athenaios (5 p. 216 b), wenn nicht gar schon Herodikos (fr. 1 p. 19 Düring = SSR I C 39) im Platontext vorfand, sei kein späterer Zusatz, sondern ginge auf Platon selbst zurück, so wäre, aufs Ganze gesehen, nicht viel gewonnen, da die außerplatonische Überlieferung, außer der Reise zum Isthmos, noch zwei weitere Privatreisen des Sokrates namhaft macht, die zu der dezidierten Aussage der Platonischen Gesetze im Kriton nach wie vor in grundsätzlichem Widerspruch stehen. Eine dieser beiden Reisen, jene nach Delphi, bezeugt Aristoteles (fr. 2 Rose = SSR I B 10). Derselbe Aristoteles (fr. 1 Rose = SSR I B 11) bezeugt auch, daß die berühmte Delphische Tempelinschrift Γν ῶ θι σαυτόν Sokrates zuerst in «Zweifel» ( ἀ ̟ορία) gestürzt habe, wer er denn sei, um ihn sodann zu veranlassen, eine «Untersuchung» (ζήτησις) darüber anzustellen, was der Mensch sei. Es ist kaum ein Zweifel möglich, daß jene beiden Aussagen des Aristoteles zusammengehören und Teil ein und derselben Geschichte sind, derzufolge Sokrates während einer Reise nach Delphi durch den Delphischen Tempelspruch über die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis zu seinem spezifischen Philosophieren gefunden habe, in dessen Mittelpunkt nicht mehr die Natur, sondern der Mensch steht. Aristoteles nun hat diese Geschichte fraglos nicht selber erfunden, sondern bereits vorgefunden, und zwar bei einem Sokratiker, der Sokrates' Erweckung zur Philosophie anders, wenn auch ähnlich darstellte als Platon, der sie an das Chairephonorakel knüpft (Apol. p. 20 e-21 a). Die Varianten der Geschichte weisen im übrigen unmißverständlich darauf hin, daß, was wir über Anlaß und Beginn des Sokratischen Philosophierens erfahren, keine Historizität 8. Sokrates und Archelaos 168 beanspruchen kann, sondern als Ausdruck poetischer Erfindung und mithin als fiktional verstanden werden muß. Nicht fiktional, sondern sensu strictu historisch ist indes die Reise des Sokrates nach Samos, deren Kenntnis wir Ion aus Chios (fr. 11 Bl. = SSR I D 1 [23]) verdanken. Anders als die Sokratiker spricht Ion aus eigener Erfahrung und seine Aussage allein stellt außer Zweifel, daß die strikte Aussage der Platonischen Gesetze, Sokrates habe allein zu Kriegszwecken Athen verlassen, ihrerseits nicht als historisch, sondern als fiktional angesehen werden muß: Die Platonischen Gesetze — fiktionale Geschöpfe im übrigen, die in einem ohnehin fiktionalen Gespräch zu Worte kommen — müssen so reden, wie sie reden, damit die Fixierung des Sokrates auf Athen, die in ihrer Argumentation eine entscheidende Rolle spielt, besonders spektakulär zur Geltung komme. Alles in allem könnte der überlieferungsgeschichtliche Befund nicht lehrreicher sein, als er ist: Wir konstatieren Widersprüche nicht nur zwischen verschiedenen Sokratischen Texten, sondern auch zwischen einem Sokratischen Text und zwischen einer zweifelsfrei historischen Information. Das Fiktionale deckt sich also nicht mit dem Fiktionalen und mit dem Historischen auch nicht — ein Befund, den man sich zu Herzen nehmen muß. Hätten wir keine andere Kunde über Sokrates' Reisen als die apodiktische Aussage der Gesetze in Platons Kriton, so dürften wir diese Aussage nicht anders beurteilen, als wir sie auf dem Hintergrund der außerplatonischen Überlieferung beurteilen müssen: als eine au fond fiktionale Aussage über Sokrates, die allein im Horizont der Platonischen Interpretation der Sokratesgestalt Gültigkeit hat, der hier alles daran gelegen ist, Sokrates als unbedingten Athener vorzuführen. Daß diese Aussage historisch irrig ist, lehren nicht so sehr die abweichenden Aussagen anderer Sokratiker, insofern diese ihrerseits ja wieder im Horizont des Fiktionalen erfolgen, als vielmehr die Aussage des Ion aus Chios, die sich eigener Anschauung verdankt — ein heller Fleck in jenem Halbdunkel, in das die Sokratiker, mit dem Recht der poetischen Erfindung, wie so viele Ereignisse aus dem Leben des Sokrates, so auch die Reisen des Sokrates getaucht haben. Wieviel historische und hermeneutische Belehrung dieses kostbare Zeugnis über Sokrates und Archelaos auch bietet, so würde man inhaltlich doch gerne mehr und Genaueres erfahren, als das karge Exzerpt des Diogenes vermittelt. Namentlich wüßte man gerne,wie man sich das Verhältnis des jungen Sokrates zu dem älteren Naturphilosophen Archelaos vorzustellen habe und was Sinn und Zweck jener Reise gewesen ist, die beide um das Jahr 452 nach Samos unternahmen. Über letztere Frage schweigt die spätere Überlieferung vollkommen, so daß uns eine Antwort versagt bleibt; die erstgenannte Frage beantwortet die spätere Überlieferung dahingehend, daß zwischen Archelaos und Sokrates ein erotisch getöntes Lehrer-Schüler-Verhältnis gewaltet habe, 8. Sokrates und Archelaos 169 dergestalt, daß Archelaos als Liebhaber seinem Liebling Sokrates den Weg zur Philosophie gewiesen habe. Es bleibt zu prüfen, was an dieser Überlieferung historisch ist und was davon etwa auf Ion zurückzuführen ist, der ja in seinen Memoiren mehr über Sokrates und Archelaos gesagt haben muß, als das dürre Exzerpt des Diogenes enthält. 3. Aristophanes und Platon Auf der Suche nach späteren Texten, die über Sokrates' und Archelaos Auskunft geben, erlebt man eine Überraschung: Die fiktionalen Texte der Zeitgenossen erwähnen jenes Ereignis, das für Sokrates doch biographisch und philosophisch von Belang gewesen sein muß, mit keinem Wort. Dieses Schweigen ist um so merkwürdiger, als es zum mindesten zweimal nahegelegen hätte, es zu brechen: einmal in den Wolken des Aristophanes, in denen Sokrates auch als Naturphilosoph auf der Bühne erscheint, und im Phaidon, in dem der Platonische Sokrates rückblickend eine großangelegte Entwicklungsgeschichte seines Denkens entwirft. Beide Texte verlangen nähere Betrachtung. Der Aristophanische Sokrates, wie ihn die Wolken zeigen, erweist sich, recht betrachtet, als ein mixtum compositum aus Naturphilosoph, Sophist und orphischem Mysterienpriester: Aristophanes hat offenbar alle Denkrichtungen, die zu seiner Zeit en vogue waren, in der einen Person des Sokrates vereinigt, um das Ganze um so gründlicher dem Spott preisgeben zu können. Daß dieses Konstrukt ein Produkt komischer Erfindung ist, hätte niemals zweifelhaft sein dürfen. Auch geht es nicht an, einen Bestandteil der komischen Mixtur herauszugreifen und für den historischen Sokrates in Anspruch zu nehmen, das übrige aber als poetische Erfindung preiszugeben: Entweder ist das Konstrukt in toto historisch; wofern nicht, so kann man dem historischen Sokrates auch keinen Teil vindizieren, aus dem das Konstrukt zusammengesetzt ist. Allein soviel läßt sich erschließen, daß die Philosophie des Sokrates nicht dogmatisch fixiert, sondern gewissermaßen offen gewesen sein muß; denn allein einem offenen Denken konnte Aristophanes, ohne die Belange der Fiktionalität zu überschreiten, all jene positiven Lehrmeinungen imputieren, wie er sie hier auf Sokrates versammelt, poetisch die einmalige Gelegenheit nutzend, daß Sokrates — der historische Sokrates — offenbar gar keine positive Lehre vortrug, sondern die Dekonstruktion der Fehlmeinungen anderer in betreff des Guten als seine philosophische Aufgabe ansah (Patzer 1993 = Abh. 2). Dies vorausgesetzt, bleibt es verwunderlich, daß Aristophanes, um Sokrates als Naturphilosophen darzustellen, nicht auf Archelaos zurückgegriffen hat, der als Athener, früher Mentor, wo nicht gar Liebhaber des 8. Sokrates und Archelaos 170 jungen Sokrates, nicht weniger, sondern mehr Gelegenheit zum komischen Spott bot als alle anderen Naturphilosophen, auf die Aristophanes im Stück explizit oder implizit zurückgreift, um Sokrates eine naturphilosophische Aura zu verleihen, in deren diffusem Licht auch der Vorwurf des Atheismus poetisch glaubwürdig wirkt. Wenn Aristophanes diese poetische Chance, die die frühe Verbindung zwischen Sokrates und Archelaos zweifellos bot, nicht wahrnahm, so war das Ereignis, das immerhin mehr als ein Vierteljahrhundert zurücklag, offenbar nicht so bekannt, daß sich ihm komische Effekte angewinnen ließen. Woraus weiter folgt, daß vom Verhältnis zwischen dem jungen Sokrates und Archelaos allein bei Ion die Rede war — oder daß nirgendwo davon geredet wurde, weil Ions Memoiren, als Aristophanes die Wolken dichtete, noch gar nicht erschienen waren. Auch die Sokratik bewahrt über Sokrates und Archelaos, soweit wir sehen, tiefes Schweigen. Was daran liegen mag, daß die Sokratiker an Sokrates' Jugend notorisch wenig interessiert sind, sondern Sokrates in aller Regel als den älteren Mann darstellen, den sie kannten. Auch paßte eine frühe Begegnung des Sokrates mit einem Naturphilosophen nicht in die Generalkonzeption der Sokratiker, derzufolge zwischen Sokrates einerseits und den Naturphilosophen und den Sophisten andererseits eine tiefe Kluft besteht. Haupturkunde für diese interpretatio Socratica ist die Platonische Apologie (p. 19 a-20 c), in der Sokrates anläßlich der Widerlegung der ersten Anklage dezidiert verkündet, das er von der sophistischen Pädagogik nichts verstehe und mit naturphilosophischer Spekulation «nicht das Geringste zu schaffen habe» ( ἀ λλ ὰ γ ὰ ρ το ύ των ἐ µο ὶ [.. .] ο ὐ δ ὲ ν µ έ τεστιν). Sehr anders spricht der Platonische Sokrates im Phaidon (p. 96 a-102 a) über sein Verhältnis zur Naturphilosophie: Als «junger Mann» (νέος ὤ ν) habe er sich höchlich für die «Erforschung der Natur» (̟ερ ὶ φύσεως ἱ στορία) interessiert, doch hätten ihn die Erklärungsversuche über Entstehen und Vergehen der Lebewesen oder des Denkens und über die Veränderungen am Himmel und auf der Erde, die er vorgefunden habe, ganz blind gemacht, so daß er schließlich nicht einmal mehr zu wissen glaubte, was er vorher gewußt habe. Da sei er auf Anaxagoras gestoßen, der den «Geist» (νο ῦ ς) als ordnende Kraft der Weltwerdung eingeführt habe. Voller Hoffnung habe er hier bessere Belehrung zu finden geglaubt. Allein, bei näherem Hinsehen habe Anaxagoras vom ordnenden Geist gar keinen Gebrauch gemacht, sondern statt der wahren Ursachen für Werden, Vergehen und Sein der Dinge immer nur deren Voraussetzungen angeführt, mithin allein das Wie? , nicht aber das Warum? erklärt. Nach dieser neuerlichen Enttäuschung in betreff der Naturphilosophie habe er eine «zweite Fahrt» (δεύτερος ̟λο ῦ ς) riskiert: Nicht mehr die Dinge selbst habe er in die Betrachtung gezogen, sondern zu den «Gedanken» (λόγοι) seine Zuflucht genommen, um dort das wahre Wesen der Dinge 8. Sokrates und Archelaos 171 zu erkennen durch die «Voraussetzung» ( ὑ ̟όθεσις), daß es außer den Dingen vollkommene «Urbilder» (ε ἴ δη) der Dinge gebe, durch die allein die Einzeldinge vermittels «Teilhabe» (µέθεξις) ein, wenn auch unvollkommenes, Sein erlangten. An dieser «festen Voraussetzung» ( ὑ ̟όθεσις ἀ σφαλής) halte er unverbrüchlich fest, um die «Wahrheit über die Dinge» ( ἀ λήθεια τ ῶ ν ὄ ντων) zu ergründen. Platon entwirft in dieser berühmten Textpassage des Phaidon eine Entwicklungsgeschichte des Sokratischen Denkens. Es ist nicht der erste Entwurf dieser Art. Denn in der Apologie (p. 20 c-23 c) hat Platon schon einmal die Entstehungsgeschichte des Sokratischen Philosophierens dargestellt: Hier gelangt Sokrates durch die Prüfung des Chairephonorakels zu der Überzeugung, daß der Mensch kein Wissen über das Gute habe, wiewohl er es zu haben glaube; philosophieren heiße hiernach, den Menschen klarmachen, daß, was sie über das Gute zu wissen vermeinten, bloßes Scheinwissen sei, das kritischer Nachprüfung nicht standhalte; das Bewußtsein des Nichtwissens in betreff des Guten sei der einzig richtige philosophische Standpunkt, den es zu gewinnen gelte, um Klarheit über die condicio humana zu erlangen, die, wiewohl ihr ein Wissen vom Guten fehle, gleichwohl nach dem Maßstab des Guten zu handeln gezwungen sei. Wie anders im Phaidon! Hier geht Sokrates vom Ungenügen an der etablierten Naturphilosophie aus, die wahre Erkenntnis nicht vermittle, da sie immer nur erkläre, wie die Dinge seien, nicht aber, warum sie so seien, wie sie seien. Aus diesem Ungenügen heraus, das auch der Hoffnungsträger Anaxagoras nicht zu beheben vermag, sieht sich Sokrates zu einer anderen, grundstürzend neuen Betrachtungsweise genötigt, die die Wahrheit nicht mehr in den Dingen selbst, sondern im Denken über die Dinge zu ergründen trachtet, das sich seinerseits mit der felsenfesten Hypothese, daß es vollkommene Urbilder der Dinge gebe und daß die Einzeldinge allein durch Teilhabe an diesen Musterbildern vollkommenen Seins so würden, wie sie sind, ein festes Fundament schafft, auf dem die wahre Erkenntnis der Welt aufgebaut werden kann. Vergleicht man diese beiden entwicklungsgeschichtlich konzipierten Denkmodelle miteinander, so erhält man eine gründliche Belehrung darüber, in welchem Maße der Platonische Sokrates eine fiktionale Kunstfigur ist: Derselbe Sokrates, der vor Gericht es als der Weisheit letzten Schluß erklärt, sich des Nichtwissens in betreff des Guten bewußt zu sein, erklärt nach seiner Verurteilung kurz vor seinem Tode im Gefängnis, er verfüge über eine sichere Hypothese, die wahre Erkenntnis über alle Seinsphänomene und also auch über das Gute zu gewährleisten verspreche. Der Widerspruch könnte größer nicht sein, und daß er gewollt ist, lehrt ein zweiter, nicht minder eklatanter Widerspruch, der zwischen Apologie und Phaidon waltet: In der Apologie (p. 29 ab) erklärt Sokrates, daß man 8. Sokrates und Archelaos 172 kein Wissen über das Jenseits habe und daß hiernach Todesfurcht nichts anderes sei als angemaßtes Wissen; dementsprechend erwägt Sokrates in seiner Schlußrede (p. 40 c-41 c) zwei Alternativen möglicher Jenseitsspekulation und spielt die mythologische Variante ironisch durch. Im Phaidon (p. 107 c-115 a) dagegen, der gedanklich ganz und gar von der Unsterblichkeit der Seele durchdrungen ist, entwirft Sokrates am Ende eine großangelegte mythische Topographie der Unterwelt und kündet ernsthaft von den Schicksalen, die die Seelen der Toten dort erwartet. Will man diese auffälligen Widersprüche richtig deuten, so muß man sich vergegenwärtigen, daß Platon ein paar wohlbedachter und deutlich erkennbarer literarischer Signale gesetzt hat, um anzuzeigen, daß zwischen Apologie und Phaidon eine besondere Beziehung besteht (Patzer 1980). Wie die Schlußrede der Apologie (p. 39 c-e) auch als prophetische Verkündigung eines Sterbenden konzipiert ist, so ist das gedankliche Präludium der Unsterblichkeitsbeweise im Phaidon (p. 63 b-69 e) als Verteidigungsrede konzipiert, in der die Apologie sogar zweimal expressis uerbis erwähnt wird (p. 63 b & 69 e), damit der literarische Rekurs möglichst deutlich werde. Und weiter, und vor allem: Apologie (p. 34 a & 38 b) und Phaidon (p. 59 b) sind die beiden einzigen Werke Platons, in denen Platon seinen eigenen Namen nennt — ein besonders starkes literarisches Signal, das die Zusammengehörigkeit von Apologie und Phaidon in aller nur wünschenswerten Deutlichkeit unterstreicht. Wie diese beiden Schriften zusammengehören, zeigen die literarischen Signale ebenfalls an, insofern sie nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Gegensätze markieren: Die Apologie ist eine Rede, der Phaidon ein Dialog; in der Apologie bekundet Platon seine Anwesenheit, im Phaidon bekennt er sich als abwesend. Die literarischen Signale wiederholen demnach, was auch im Gedanklichen zu konstatieren war, insofern die geistige Rechenschaftsablegung und die Jenseitsspekulationen, die Apologie und Phaidon gemeinsam sind, jeweils gegensätzliche Antworten finden. Gedanklich wie literarisch waltet zwischen Apologie und Phaidon, um ein Wort Heraklits (VS 22 B 51) aufzunehmen, ein Verhältnis «gegenstrebiger Gemeinsamkeit» (̟αλίντρο̟ος ἁ ρµονίη). Dieser Befund läßt keine andere Deutung zu, als daß Apologie und Phaidon dasselbe sind und dasselbe wollen, aber in einem anderen denkerischen Horizont, dergestalt, daß der Phaidon die Antwort verheißt auf jene Frage, die die Apologie als ungelöst dargestellt hatte: Die Ideenlehre, die der Phaidon zuerst explicite formuliert, ist jenes Denkmodell, das allein jenes Wissen vom Guten gewährleisten kann, das die Apologie als ungelöstes Problem in den Mittelpunkt des Philosophierens gestellt hatte. Was Sokrates betrifft, so erfährt seine Gestalt einen Paradigmenwechsel, durch den sich die obengenannten Widersprüche aufheben, die sich ja als solche nur konstatieren ließen unter der Annahme der Identität der Person. Diese Annahme aber erweist sich nunmehr als irrig; vielmehr ist 8. Sokrates und Archelaos 173 der Sokrates der Apologie ein wesentlich anderer als jener des Phaidon. Will man eine Formel, so stellt die Apologie den Sokratischen Sokrates dar, der Phaidon aber den Platonischen. Daß dem in der Tat so ist, hat Platon unvergleichlich schön sinnfällig gemacht durch jenes literarische Zeichen, das allein die Apologie (p. 34 a & 38 b) und der Phaidon (p. 59 b) aufweisen: die Nennung des eigenen Namens. Wie dieses Zeichen sinnfällig macht, daß beide Schriften gedanklich zusammengehören, so markiert es auch den Paradigmenwechsel, den die Gestalt des Sokrates erfährt, insofern Platon in der Apologie erklärt, er sei anwesend gewesen, als Sokrates sich vor Gericht verteidigte, im Phaidon dagegen betont, er sei abwesend gewesen, als Sokrates starb. Diese Äußerungen biographisch zu deuten, ist hermeneutisch eine Naivität. Vielmehr will Platon in der Apologie als fiktionaler Gewährsmann deutlich machen, daß hier der Sokratische Sokrates spricht; dementsprechend wollte, ja mußte sich Platon im Phaidon als fiktionalen Gewährsmann expressis uerbis zurücknehmen, da hier statt des Sokratischen Sokrates erstmals der Platonische Sokrates das Wort ergreift, der Platon gedanklich so nahe steht, daß er selbst nicht mehr als außenstehender Zeuge anwesend sein darf und kann. Äußeres Kennzeichen dieser grundlegenden literarischen und philosophischen Metamorphose ist die Tatsache, daß Sokrates im Phaidon nicht mehr der Nichtwissende ist, als, den ihn die Apologie gezeigt hat, daß er auch nicht mehr als Nichtwissender zu Nichtwissenden spricht, wie Frühdialoge fingieren, wiewohl in ihren Aporien, wenn auch verhüllt, mehr und mehr die Ideenlehre als Lösung angedeutet wird, sondern daß Sokrates jetzt, da die Ideenlehre erstmals offen formuliert wird, als Wissender Unwissende belehrt, so daß der Dialog nunmehr das Ansehen eines lebendigen Gesprächs immer mehr verliert und zum Lehrgespräch mutiert. Die Rede vom Sokratischen und Platonischen Sokrates will vor der Annahme warnen, daß in der Apologie der historische Sokrates zu Worte komme, im Phaidon Platon selber. Eine solche Annahme wäre irrig: Apologie wie Phaidon stehen gemeinsam im Horizont der Fiktionalität. Allerdings öffnet sich dieser Horizont in gegenstrebiger Richtung, insofern in der Apologie eine Tendenz zum Sokratischen vorwaltend ist, im Phaidon eine Tendenz zum Platonischen. Wie die Apologie eine literarische Interpretation der geistigen Entwicklung des Sokrates gibt, so gibt der Phaidon eine literarische Interpretation der geistigen Entwicklung Platons. Insofern aber hier wie dort jeweils literarische Interpretationen vorliegen, findet sich in der Apologie, wiewohl sie den geistigen Standpunkt des Sokrates am Historischen orientiert, zum mindesten auch ein unzweifelhaft fiktionales Versatzstück: das Chairephonorakel, dessen Ahistorizität, von seiner immanenten Widersprüchlichkeit abgesehen, dadurch erwiesen wird, daß es eine sokratische Konkurrenzgeschichte gab, die Sokrates' Erweckung 8. Sokrates und Archelaos 174 zur Philosophie an den Delphischem Tempelspruch Γν ῶ θι σαυτόν knüpfte (Aristoteles fr. 1 sq. Rose = SSR I B 10 sq.). Hiernach stellt sich die Frage, ob Platon nicht in der geistigen Standortbestimmung seines eigenen Philosophierens, die der Phaidon hochfiktionalerweise für Sokrates in Anspruch nimmt, Züge des historischen Sokrates bewahrt und beibehalten hat, um die gegenstrebige Gemeinsamkeit mit der Apologie noch einmal und einmal mehr sinnfällig hervortreten zu lassen. Anders gefragt: Findet sich in der geistigen Standortbestimmung des Phaidon ein Hinweis auf den Naturphilosophen Archelaos, der auf ein spezifisches Verhältnis zwischen Archelaos und Sokrates schließen ließe, wie es Ion bezeugt? Die geistige Entwicklungsgeschichte des Platonischen Sokrates, wie sie der Phaidon (p. 96 a-102 a) konzipiert, weist zwei deutlich voneinander geschiedene Phasen auf: In der ersten Phase (p. 96 a-99 c) artikuliert Sokrates seine Enttäuschung über die Welterklärungsmodelle der Naturphilosophie; in der zweiten Phase (p. 99 c-102 a), die durch die Formulierung δεύτερος ̟λο ῦ ς expressis uerbis als solche gekennzeichnet wird, verlegt Sokrates die Erkenntnis von den Dingen ins Denken und verleiht ihr durch die Hypothese von Wesenheiten vollkommenen Seins ein festes Fundament. Diese zweite Phase nun hat mit Sokrates und Archelaos ersichtlich nicht das Geringste zu tun, insofern sie eine radikale Abkehr von der naturphilosophischen Denkweise verkündet und durch die Einführung der sogenannten Ideenlehre ein oder vielmehr das Kernstück Platonischen Philosophierens vorführt, das hier zum ersten Male explicite formuliert wird, nachdem in den Frühdialogen, namentlich in den sogenannten Definitionsdialogen (Protagoras, Laches, Charmides, Lysis, Größerer Hippias, Euthyphron und Menon) immer wieder und so oft anspielungsweise und verhüllt davon die Rede war, daß Sokrates im Phaidon (p. 100 b) die Ideen nachgerade als «notorisch bekannte Phänomene» (̟ολυθρύλητα) bezeichnen kann. Wie die ganze Entwicklungsgeschichte, so ist auch ihre erste Phase, die Sokrates' Ungenügen an der Naturphilosophie dartut, in zwei Teile geteilt: Der erste Teil (p. 96 a-97 b) schildert Sokrates' Enttäuschung über die Naturphilosophie im allgemeinen; der zweite (p. 97 b-99 c) seine Enttäuschung speziell über Anaxagoras. Daß Sokrates Anaxagoras als letzten und hoffnungsreichsten naturphilosophischen Denker den anderen Vorsokratischen Philosophen gegenüberstellt, ist nun fraglos wieder eine Platonische Erfindung: Platon hat mit sicherem philosophiegeschichtlichen Blick erkannt, daß Anaxagoras durch Einführung des weltordnenden «Geistes» (νο ῦ ς) im Rahmen des naturphilosophischen Denkens einen grundsätzlich neuen Denkschritt vollzogen hat, insofern nun nicht mehr nur nach dem Wie? , sondern auch nach dem Warum? der Weltphänomene gefragt werden kann, — wenn 8. Sokrates und Archelaos 175 denn Anaxagoras diese neue denkerische Chance nicht dadurch vertan hätte, daß er den Geist als wirkendes Prinzip der Weltwerdung gar nicht in Kraft setzte. Gleichwohl ist und bleibt die Hypothese eines allgemeinen geistigen Ordnungsprinzips eine denkerische Großtat ersten Ranges. Aristoteles (Metaph. 1 p. 984 b 15-20 = VS 59 A 58) hat denn auch Platons Urteil übernommen, wenn er sagt, Anaxagoras nehme sich durch die Entdeckung des Geistes gegenüber den früheren Denkern «wie ein nüchterner Mensch» (ο ἷ ον νήφων) aus. Womit gesetzt ist, daß die früheren Denker geredet haben wie Betrunkene, weil sie die Zweckursache nicht kannten. Alles recht erwogen, kann kein Zweifel sein, daß es philosophiegeschichtliche Gründe gewesen sind und nicht etwa biographische, die das geistige Verhältnis zwischen Sokrates und Anaxagoras, wie es sich im Phaidon ausspricht, bestimmen. Wie denn auch anders? Allein Anaxagoras ließ sich als Hoch- und Wendepunkt des Vorsokratischen Denkens dergestalt feiern, daß er als ernstzunehmender, wenn auch gescheiterter Vorläufer der Platonischen Ideenlehre in Betracht kam. Die unselbständige postanaxagoreische Physik des Archelaos kommt dagegen gar nicht in Betracht, und folglich verliert der Platonische Sokrates an dieser entscheidenden Stelle auch über Archelaos kein Wort. So sieht sich die Interpretation auf den ersten Teil der ersten Phase verwiesen, in dem der Platonische Sokrates sein geistiges Unbehagen im allgemeinen artikuliert. Sokrates beschreibt hier im Detail, wie es ihm damals mit der Naturphilosophie gegangen sei: Oft habe er erwogen, ob die Lebewesen sich bildeten, wenn das Warme und das Kalte einem Gärungsprozeß unterlägen; oder ob es das Blut sei, womit wir dächten, oder das Feuer oder die Luft oder ob es nicht vielmehr das Gehirn sei, das die Sinnesempfindungen gewährleiste, aus denen Erinnerung und Vorstellung hervorgingen, woraus schließlich, wenn Ruhe einträte, Erkenntnis erwachse. Wie er aber nun auch noch die Vergehensprozesse dieser Phänomene betrachtet habe und die Veränderungen am Himmel und auf der Erde, da sei es ihm schließlich vorgekommen, daß er für dergleichen Untersuchungen so ungeeignet sei «wie nichts auf der Welt» ( ὡ ς ο ὐ δ ὲ ν χρ ῆ µα). Was Sokrates hier vorträgt, ist nicht sowohl ein systematischer Überblick über das Vorsokratische Denken, sondern vielmehr eine bewußt locker gehaltene tour d'horizon, die einige Aspekte dieses Denkens ad libitum herausgreift und sie, wiederum ad libitum, mehr oder weniger ausführlich expliziert. So werden eingangs zwei Probleme namhaft gemacht, die nur so viel miteinander gemeinsam haben, daß sie sich dem Bereich des Werdens (γένεσις) zuordnen lassen: die «Entstehung der Lebewesen» (τ ὰ ζ ῶ ια συντρέφεται) und die «Entstehung des Denkens» ( ὧ ι φρονο ῦ µεν). Beiden Problemen werden zur näheren Erläuterung Lösungsversuche beigegeben, die sich jeweils der denkerischen Tradition 8. Sokrates und Archelaos 176 der Vorsokratiker verdanken; jedoch erhält das erstgenannte biologische Problem nur einen solchen Hinweis, der von «gewissen Denkern» (τινες) vertreten wurde (Gärungsprozeß des Warmen und des Kalten), während das zweite erkenntnistheoretische Problem gleich vier Hinweise erhält, die offenbar jeweils von einem anderen Denker herrühren (Blut, Feuer, Luft, Gehirn). Daß diese Inkonzinnität der Darstellung Absicht ist, lehrt der folgende Text. In krassem Gegensatz zu der ausführlichen Behandlung der beiden paradigmatisch herausgegriffenen Aspekte des Werdens, werden die «Prozesse des Vergehens» (φθοραί) einfach als solche benannt, ohne daß irgendein erklärender Zusatz beigefügt würde. Der abschließende Satz, der nicht mehr dem Bereich von Werden und Vergehen gilt, sondern dem Bereich der «Veränderung» ( ἀ λλοίωσις), verfährt wiederum anders, insofern hier zwar wieder, wie im Falle des Werdens, ein Problemfeld namhaft gemacht wird, das aber nun nicht ad libitum herausgegriffen wird, sondern ein zentrales Anliegen des Vorsokratischen Denkens markiert: Die «Veränderungsprozesse am Himmel und auf der Erde» (τ ὰ ̟ερ ὶ τ ὸ ν ο ὐ ρανόν τε κα ὶ τ ὴ ν γ ῆ ν ̟άθη). Überflüssig zu sagen, daß hier, wie im Falle des Vergehens, der Hinweis auf einen Lösungsversuch des Vorsokratischen Denkens fehlt. Die bewußt und kunstvoll hergestellte eklektische Inkonzinnität und Inkonsistenz, die diese Textpassage bestimmen, verfolgen den einen Zweck, mit wenigen, aber kräftigen Strichen ein Panorama der Vorsokratischen Philosophie zu entwerfen, das Sokrates' denkerische Verwirrung sichtbar und sinnfällig erfahrbar macht. Daß sich der Sinn dieses Textes darin erschöpft, lehrt der Fortgang der Darstellung (p. 96 c-97 b): Sokrates legt hier in concreto dar, wie sehr ihn die Vorsokratische Philosophie verwirrt habe und nennt, um diese Verwirrung paradigmatisch zu schildern, nicht etwa eines jener Probleme, die er soeben expliziert hatte, sondern rekurriert auf zwei neue Probleme, von denen bisher noch gar nicht die Rede gewesen ist, wie nämlich der Mensch wachse und wie aus der Eins die Zwei werden könne. Alles recht erwogen, steht außer Frage, daß jene tour d'horizon über das Vorsokratische Denken, mit der der Platonische Sokrates seine Darstellung eröffnet, in toto als eine Platonische Erfindung gelten muß. Aber: Wenn der Text als ganzer auch ein fiktionales Panorama des Vorsokratischen Denkens entwirft, so wäre gleichwohl immer noch möglich, daß sich in dem konkreten Detail, dessen er sich bedient, eine Anspielung auf Archelaos versteckt wäre, die man womöglich auf den historischen Sokrates würde beziehen können. Die Namen jener vier Vorsokratischen Philosophen, deren Lösungsversuche referiert werden, um das zweite Problem aus dem Bereich des Werdens, die Entstehung des Denkens, zu explizieren, sind schnell und leicht identifiziert: Daß das Blut das Denken gewährleiste, lehrt Empe- 8. Sokrates und Archelaos 177 dokles; Diogenes aus Apollonia und vielleicht schon Anaximenes führen stattdessen die Luft an, Heraklit das Feuer, und daß das Gehirn als Organ des Denkens anzusehen sei, ist Lehrmeinung des Alkmaion aus Kroton (Burnet 1911, 101; Rowe 1993, 231 f. ; cf. VS 24 A 11 adn.). Von Archelaos fehlt hier jede Spur. Das ist anders im Falle des ersten Problems aus dem Bereich des Werdens, das der Entstehung der Lebewesen gilt. Anders als im zweiten Falle wird hier lediglich ein Lösungsvorschlag herangezogen, demzufolge die Lebewesen entstehen, wenn das Warme und das Kalte einem Fäulnisprozeß unterliegen. Hierzu vergleiche man, was die doxographische Überlieferung über die Zoogonie des Archelaos (VS 60 A 4) zu berichten weiß: Bei der Erwärmung der Erde seien zunächst in der Tiefe, wo sich das Warme und das Kalte mischten, Lebewesen, auch Menschen erschienen, die sich vom Schlamme ernährten, der als eine Art Milch aus der Erde emporquoll; die Lebenszeit dieser Geschöpfe sei nur kurz gewesen; später dann sei die zweigeschlechtliche Zeugung aufgekommen und mit ihr — so darf man ergänzen — das Vermögen, sich andere Nahrung zu verschaffen, die eine längere Lebensdauer ermöglichte. Es ist zuzugeben, daß sich, was PIaton referiert, in das zoogonische Konzept des Archelaos einfügen läßt, gesetzt nur, daß der nährende «Urschlamm» ( ἰ λύς) des Archelaos nichts anderes gewesen ist als das Produkt jenes «Fäulnisprozesses» (ση̟εδών), von dem Platon spricht, gesetzt weiterhin, daß man in Kauf nimmt, daß, was Archelaos von den ersten Lebewesen sagt, Platon für alle Anspruch zu nehmen scheint. Beides zugegeben, stellt sich die Frage, ob wir hier endlich jene lang gesuchte Anspielung fassen, die als eine historische Reminiszenz auf ein frühes Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos hindeutet. Die Frage ist entschieden zu verneinen. Zwar steht die Anspielung am Anfang der ganzen Textpassage, aber nichts deutet darauf hin, daß diese bevorzugte Stellung der Anspielung ein besonderes Gewicht geben solle, das sie gegenüber den folgenden Anspielungen heraushöbe. Im Gegenteil: Die bevorzugte Anfangsstellung wird gewissermaßen sofort wieder zurückgenommen, insofern eine Bemerkung eingeschoben wird, die anzeigt, daß die Lehre von der Entstehung der Lebewesen aus dem Fäulnisprozeß des Warmen und des Kalten nicht von einem Vorsokratischen Philosophen allein, sondern von «mehreren» ( ὥ ς τινες ἔ λεγον) vertreten wurde. Daß dem in der Tat so war, lehrt eine doxographische Notiz bei Diogenes Laertius (9.22), die, wiewohl fraglos korrupt überliefert, immerhin doch noch so viel erkennen läßt, daß bereits Parmenides (VS 28 A 1 & DoxGr p. 482 sq. cum app. crit.) nicht nur das Warme und das Kalte als Prinzipien der Weltwerdung angesehen, sondern, in Verbindung damit, auch die anfängliche Entstehung, wenn nicht der Lebewesen, so doch der Menschen aus dem «Urschlamm» ( ἐ ξ ἰ λύος ed. Froben. et transl. Aldobr. edd. 8. Sokrates und Archelaos 178 post fere omnes; ἐ κ ̟ηλο ῦ coni. Ziegler; ἐ ξ ἡ λίου BPF perperam ut uidetur) gelehrt habe. Hiernach läßt sich kaum bezweifeln, daß Parmenides in betreff der Zoogonie nicht anders geurteilt hat als Archelaos, der sich hier einmal mehr als unselbständiger Eklektiker erweist. Kein Zweifel, daß Platons Anspielung vielmehr Parmenides gegolten hat als dem sekundären Archelaos, auf den der Plural des Indefinitpronomenes τινες eher beiläufig auch noch verweist. Alles recht erwogen, wird vollends unwahrscheinlich, daß die Anspielung des Platonischen Sokrates auf jene Urschlamm-Zoogonie als eine literarische Reminiszenz verstanden werden kann, die auf ein geistiges Verhältnis des jungen Sokrates zu Archelaos hinwiese. Den Rekurs auf Archelaos zugestanden, tritt er zurück hinter dem Rekurs auf Parmenides. Die Anspielung insgesamt wiederum ordnet sich bruchlos ein in die Reihe der anderen Anspielungen, die, zusammengenommen, nichts anderes bezwecken, als ein möglichst buntes Panorama über die Meinungsvielfalt der Vorsokratischen Denker herzustellen, damit die Ausnahmegestalt des Anaxagoras dagegen besonders eindrucksvoll kontrastiere. Weshalb denn Anaxagoras auch als einziger mit dem Namen genannt wird; die beliebigen anderen Denker bleiben anonym, und allein der philosophiegeschichtlich versierte Hörer oder Leser vermag zu erraten, wer jeweils gemeint ist. Aber wenn er es nicht errät oder gar falsch rät, so ist nichts verloren, insofern er auch so noch den Eindruck eines gedanklichen Vielerlei erhält, auf den allein alles ankommt, wenn anders die gesamte Betrachtung auf die Sonderstellung des Anaxagoras hinauslaufen soll, dessen neuer Gedanke vom Geist als ordnender Kraft der Weltwerdung erstmals die denkerische Chance eröffnete, genauer: hätte eröffnen können, nicht nur die Frage nach dem Wie? der Dinge, sondern auch nach dem Warum? und damit zugleich auch nach dem Wozu? zu stellen. So findet sich denn die Interpretation auf den ersten Satz der gesamten Passage zurückverwiesen, in dem der Platonische Sokrates erklärt, daß er in seiner Jugend wunders wie begierig nach der Wissenschaft über die Natur gewesen sei: νέος ὢ ν θαυµαστ ῶ ς ὡ ς ἐ ̟εθύµησα ταύτης τ ῆ ς σοφίας ἣ ν δ ὴ καλο ῦ σι ̟ερ ὶ φύσεως ἱ στορίαν. Wenn irgendwo, so fassen wir hier, und nur hier, in diesem einen Satz, eine Reminiszenz an den historischen Sokrates. Denn allein unter dieser Voraussetzung erhält die gesamte Passage ihren tieferen Sinn: Was endet als Explikation eines au fond Platonischen Denkentwurfs, muß beginnen mit der Reminiszenz an eine Sokratische Denkbemühung, damit sich der Kreis schließe und das Platonische Philosophieren noch einmal als Erfüllung Sokratischen Philosophierens erscheine. Wie es dazu kam, wird dargetan vermittels einer philosophiegeschichtlichen Interpretation und Konstruktion, die die denkerische Notwendigkeit der «zweiten Fahrt» begründet, im Rückgriff auf Anaxagoras, 8. Sokrates und Archelaos 179 dem deshalb eine so hervorragende Rolle zukommt, weil sein Gedanke eines sinn- und zweckstiftenden geistigen Prinzips der Weltwerdung jener Flucht in die Gedanken präludiert, der sich die Erfindung der Ideenlehre verdankt. Aus alledem erhellt, daß es hermeneutisch verlorene Mühe ist, den vorliegenden Text biographisch zu deuten: Weder wird der geistige Werdegang beschrieben, den Platon gegangen ist, noch gar jener des Sokrates; beschrieben wird vielmehr der geistige Werdegang des Platonischen Sokrates, der als Person ebenso fiktional ist, wie die geistige Biographie fiktional ist, von der er Kunde gibt. Weil aber das Fiktionale nichts aus dem Nichts schafft, so enthält jene Biographie nicht nur ein Kernstück Platonischer Philosophie, sondern erinnert auch an das Interesse, das der historische Sokrates in seiner Jugend der Naturphilosophie entgegengebracht hat. Woher Platon diese historische Kunde gekommen ist, steht dahin. Aber daß, was Platon im allgemeinen sagt, durch Ion aus Chios in concreto bestätigt wird, ist kaum ein Zufall, und unmöglich wäre es nicht, daß Platon über den jungen Sokrates nicht durch Sokrates, sondern durch Ion belehrt worden ist. 4. Aristoteles und der Peripatos Wie die Sokratik, so erwähnt auch Aristoteles Archelaos nicht nur nicht im Zusammenhang mit dem jungen Sokrates, sondern schlechthin nirgends. Das hochgradig eklektische Denkmodell des Archelaos erschien ihm offenbar belanglos im Hinblick auf die Entwicklung der griechischen Philosophie, die er als eine Selbstentfaltung des Denkens (λόγος) begreift. So wenig Aristoteles von Archelaos Notiz nimmt, so groß ist sein Interesse an Sokrates (Bokownew 1913; Deman 1942; Chroust 1952; Gigon 1959). Dieses Interesse rührt daher, daß Aristoteles (Metaph. 1 p. 987 b 1-4 & 12 p. 1078 b 17-31 = SSR I B 24 & 26; De part. anim. 1 p. 642 a 24-31 = SSR I B 27) Sokrates in der Geschichte des griechischen Denkens eine zentrale Stellung zuweist. Aristoteles übernimmt die communis opinio der Sokratiker, als deren Haupturkunde die Platonische Apologie gelten muß: daß Sokrates sich in keiner Weise um Naturphilosophie gekümmert habe, sondern ausschließlich an ethischen Problemen interessiert gewesen sei. Insofern Aristoteles diese apologetische Sokratesinterpretation der Sokratik in den Rang einer philosophiegeschichtlichen Tatsachenbehauptung erhebt, verleiht er Sokrates jene epochale Stellung in der Philosophiegeschichte, die er bis heute behauptet hat. Sokrates markiert den ersten großen Paradigmenwechsel in der Geschichte des griechischen Denkens: Die Naturphilosophie hört auf; die Philosophie kümmert sich fortan in der Hauptsache um Ethik und Politik — eine oder vielmehr die entscheidende Wende des Denkens, die die weitere Entwicklung der griechischen 8. Sokrates und Archelaos 180 Philosophie maßgeblich beeinflußt habe, insofern sich die Platonische Ideenlehre in der Hauptsache ihr verdanke. Der durchschlagende Erfolg, der dieser Aristotelischen Hypothese über die Entwicklung der griechischen Philosophie nicht nur in der antiken, sondern auch in der modernen Philosophiegeschichtsschreibung beschieden war, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich erhebliche Einwände dagegen ins Feld führen lassen: Die Wendung weg von der Naturphilosophie hin zu Ethik und Politik haben vor Sokrates schon die Sophisten vollzogen; die Naturphilosophie kulminiert in Demokrit, der unmittelbarer Zeitgenosse des Sokrates gewesen ist und ihn noch um eine ganze Generation überlebte — eine Tatsache, die der irreführende moderne Begriff Vorsokratiker noch mehr verdunkelt als das Aristotelische Epochenmodell, dem er sich verdankt, insofern er, anders als dieses, wertend urteilt, als ob die Philosophie vor Sokrates im wesentlichen nichts anderes gewesen sei als ein Präludium zur Sokratischen Philosophie, mit der die Philosophie gewissermaßen erst zu sich selbst komme. Wie falsch diese Optik ist, erhellt nicht zuletzt daraus, das Platons epochale Inthronisierung der Ontologie eingestandenermaßen im Rückgriff auf Parmenides, Pythagoras und auch Heraklit vollzogen wird und anders wohl auch gar nicht hätte vollzogen werden können (Patzer 2006, 9- 17). Wenn Aristoteles auch schweigt, so reden seine Schüler: Die Peripatetiker Theophrast und Aristoxenos nehmen, in sehr unterschiedlicher Weise, das Thema «Sokrates und Archelaos» wieder auf, das Ion aus Chios mehr als hundert Jahre früher angeschlagen hatte. In den Äußerungen des Theophrast und des Aristoxenos ist zugleich so gut wie alles beschlossen, was die Antike über dieses Thema nach Ion noch zu sagen hatte: Die einschlägigen Äußerungen späterer Autoren gehen allesamt auf Theophrast und Aristoxenos zurück — eine einzige Ausnahme (Diog. Laert. 2.19 = SSR I D 1 [19]; Suda s.u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2), die die Regel bestätigt, wie billig, ausgenommen. Um so genauer ist zu prüfen, was es mit der peripatetischen Überlieferung über Sokrates und Archelaos auf sich habe. 5. Theophrast Wie auf vielen Gebieten, so hat Theophrast auch auf dem Gebiet der Philosophiegeschichte weiter- und zuende geführt, was Aristoteles in den Grundzügen vorgegeben hatte. So hat Theophrast in einem monumentalen Standardwerk, das den Titel Φυσικ ῶ ν δόξαι bzw. Φυσικα ὶ δόξαι (cf. tit. 6 p. 278 sqq. Fortenbaugh et al.) führte und nicht weniger als sechzehn Bücher umfaßte, die Lehrmeinungen der älteren Naturphilosophen sy- 8. Sokrates und Archelaos 181 stematisch erfaßt und nach Aristotelischen Kategorien kritisch kommentiert. Dieses Werk, von dem es auch eine Ἐ ̟ιτοµή (cf. tit.7 p. 280 Fortenb.) in zwei Büchern gab, hat die antike Interpretation der Vorsokratischen Philosophie maßgeblich bestimmt bis hin zu dem Neuplatoniker Simplikios, der am Ende einer größeren Anzahl vor allem spätantiker Autoren steht, die in je und je verschiedenen Brechungen das Werk des Theophrast fortgeschrieben oder zitiert haben. Simplikios nun referiert in seinem Kommentar zur Physik des Aristoteles (CAG 9 p. 26 sq.) aus Theophrast, daß Anaxagoras in betreff der stofflichen Prinzipien nicht anders geurteilt habe als Anaximander. Nachdem Simplikios das Referat durch ein wörtliches Zitat aus Theophrast (fr. 228 A Fortenb.) untermauert hat, fügt er abschließend noch hinzu, daß auch Archelaos dieselben Prinzipien gelehrt habe wie Anaxagoras. Hierbei ist, überraschenderweise, auch von Archelaos und Sokrates die Rede: κα ὶ Ἀ ρχ έ λαος ὁ Ἀ θηνα ῖ ος, ὧ ι κα ὶ Σωκρ ά τη συγγεγον έ ναι φασ ί ν, Ἀ ναξαγ ό ρου γενοµ έ νωι µαθητ ῆ ι ἐ ν µ ὲ ν τ ῆ ι γεν έ σει το ῦ κ ό σµου κα ὶ το ῖ ς ἄ λλοις ̟ειρ ᾶ τα ί τι φ έ ρειν ἴ διον, τ ὰ ς ἀ ρχ ὰ ς δ ὲ τ ὰ ς α ὐ τ ὰ ς ἀ ̟οδ ί δωσιν ἅ ς ̟ερ Ἀ ναξαγ ό ρας. Daß diese abschließende Notiz nicht mehr zu dem unmittelbar vorausgehenden Zitat aus Theophrast gehört, ist ebenso erweislich wie die Theophrastische Herkunft auch dieser Notiz. Ersteres ergibt sich aus den biographischen Details, die die Notiz zu Archelaos anführt (Athener, Schüler des Anaxagoras, Lehrer des Sokrates). Dergleichen paßt nicht in die diskursive Beweisführung des Theophrastzitates, sondern gehört in einen anderen Zusammenhang, in dem Archelaos als Denker neu eingeführt wurde. Daß die Notiz inhaltlich auf Theophrast zurückgeht, lehrt die doxographische Überlieferung (DoxGr p. 139), repräsentiert durch Hippolytos (Refut.1.9) und Diogenes Laertius (2.16 = SSR I C 12), die nicht nur in biographicis mit der Simplikios-Notiz übereinstimmt, sondern namentlich auch die gedankliche Abhängigkeit des Archelaos von Anaxagoras in betreff der Prinzipienlehre wiederholt. Ob Simplikios Theophrast wörtlich zitiert oder nur inhaltlich referiert, muß dahingestellt bleiben. Bei Theophrast also stand zu lesen nicht nur, daß Archelaos Athener gewesen sei und Schüler des Anaxagoras, sondern auch, «daß Sokrates mit ihm Umgang gehabt haben solle» ( ὧ ι κα ὶ Σωκρ ά τη συγγεγον έ ναι φασ ί ν). Die auf Theophrast zurückgehende doxographische Überlieferung vor Simplikios, angefangen bei Cicero (Tusc. disp. 5.4,10 = SSR I C 19) über Diogenes Laertius (2.16 = SSR I C 12), Hippolytos (Refut.1.10) und Ps.-Galen (Hist. philos. 3 = SSR I H 8) bis hin zu Augustin (De ciu. dei 8.3 = SSR I G 97), drückt sich weniger zurückhaltend aus als Simplikios, insofern sie voraussetzt, daß zwischen Archelaos und Sokrates ein förmliches Lehrer-Schüler-Verhältnis gewaltet habe. Das stand wohl so schon bei Theophrast, aber auch wenn es nur eine Interpretation des Theophrasttextes wäre, so steht doch außer Frage, daß das Verbum συγγίγνεσθαι, das Simplikios verwendet, um das Verhältnis zwischen Archelaos und 8. Sokrates und Archelaos 182 Sokrates zu kennzeichnen, nicht anders als im geistig-pädagogischen Sinne verstanden werden kann. Allein eine solche philosophiegeschichtlich relevante Sachaussage paßt in den streng sachlich gehaltenen Kontext: Eine gedanklich folgenlose, rein persönliche Bekanntschaft zwischen beiden Männern würde Theophrast hier ebenso wenig erwähnt haben wie erst gar ein sexuell getöntes Verhältnis, wie es das Verbum, losgelöst vom Kontext, auch würde anzeigen können. Dies vorausgeschickt, ist als bedeutsam zu konstatieren, daß die Simplikios-Notiz das Verhältnis zwischen Archelaos und Sokrates nicht nur zurückhaltend formuliert, sondern auch noch unter den Vorbehalt des «Hörensagens» (φασιν) stellt, sehr im Unterschied zum Verhältnis zwischen Anaxagoras und Archelaos, das ohne jeden Vorbehalt als Tatsache referiert wird. Daß dieser Vorbehalt auf Theophrast zurückgeht, würde man auch dann vermuten, wenn er nicht auch bei Augustin (De ciu. dei 8.3 = SSR I G 97) zu finden wäre, den Simplikios gewißlich nicht benutzt haben kann: Sokrates, heißt es dort, soll der Schüler des Archelaos gewesen sein (discipulus fuisse perhibetur). Wenn demgegenüber alle anderen doxographischen Autoren (Cicero, Diogenes, Hippolytos, Ps.-Galen) Sokrates vorbehaltlos zum Schüler des Archelaos bzw. Archelaos zum Lehrer des Sokrates erklären, so liegt hier offenbar eine Vergröberung und Verflachung jener vorsichtigeren Ausdrucksweise vor, wie sie Theophrast beobachtete — ein Befund, wie er in der exzerpierenden Überlieferung doxographischer Texte häufig zu beobachten ist. Wenn sich aber nun Theophrast selbst so vorbehaltlich ausdrückte, wie er sich offenbar ausgedrückt hat, so folgt daraus nicht sowohl, daß er bezweifelte, daß zwischen Archelaos und Sokrates eine geistig-pädagogische Verbindung in Art eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses bestanden habe, als vielmehr, daß er jenes Verhältnis in der Überlieferung nur vergleichsweise schwach bezeugt vorgefunden hat. Dieser Befund aber entspricht so genau jenem überlieferungsgeschichtlichen Befund, wie auch wir ihn noch konstatieren, daß der Schluß naheliegt, ja nachgerade unausweichlich ist, Theophrast habe über Archelaos und Sokrates nicht mehr gewußt als das, was in den Memoiren des Ion aus Chios zu lesen stand. Wenn dem so war, so muß Ion zum mindesten angedeutet oder besser nahegelegt haben, daß zwischen Archelaos und Sokrates, vielleicht nicht nur, aber doch auch so etwas wie eine geistige Beziehung bestanden habe. Im übrigen ist wenig glaublich, daß Theophrast notierte, daß zwischen Archelaos und Sokrates so etwas wie ein Lehrer-Schüler-Verhältnis gewaltet habe, ohne den Versuch zu machen, dieses Verhältnis philosophiegeschichtlich genauer zu bestimmen. Wenn nicht alles täuscht, so läßt sich jener Erklärungsversuch, den Theophrast vortrug, in der Überlieferung noch aufweisen 8. Sokrates und Archelaos 183 Diogenes Laertius notiert in seiner Vita des Archelaos (2.16 = VS 60 A 1), man habe Archelaos den «Physiker» (Φυσικός) genannt, «weil mit ihm die Physik endete, da Sokrates die Ethik eingeführt habe» (̟αρ ὸ κα ὶ ἔ ληξεν ἐ ν α ὐ τ ῶ ι ἡ φυσικ ὴ φιλοσοφ ί α, Σωκρ ά τους τ ὴ ν ἠ θικ ὴ ν ε ἰ σαγαγ ό ντος). Das ist das philosophiegeschichtliche Denkmodell des Aristoteles, bis in die Wortwahl hinein (vgl. bes. Arist. De part. anim. 1 p. 642 a 24-31 = SSR I B 27: ἐ ̟ ὶ Σωκράτους δ ὲ το ῦ το µ ὲ ν η ὐ ξήθη, τ ὸ δ ὲ ζητε ῖ ν τ ὰ ̟ερ ὶ φύσεως ἔ ληξε κτλ.). Anders als bei Aristoteles, wird hier allerdings nicht nur Sokrates als Erfinder der Ethik namhaft gemacht, sondern auch Archelaos als der letzte Physiker. Diese Ergänzung aber geht fraglos auf Theophrast zurück, den wir nicht nur hier bemüht sehen, ein allgemeines philosophiegeschichtliches Schema, das Aristoteles vorgegeben hatte, durch historisch-biographisches Detail ergänzend zu erweitern. Im übrigen läßt sich unschwer erkennen, weshalb Theophrast ausgerechnet auf Archelaos verfiel, als es galt, den letzten Physiker namhaft zu machen: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Archelaos und Sokrates, das Theophrast zum mindesten ansatzweise bei Ion aus Chios bezeugt fand, verknüpfte ja den späteren Erfinder der Ethik mit einem Naturphilosophen, und dieser Naturphilosoph mußte, wenn man wie Theophrast dem Aristotelischen Denkmodell folgte, der letzte seiner Art gewesen sein. Damit nicht genug. Die philosophiegeschichtliche Verknüpfung des Archelaos mit Sokrates bot Theophrast die erwünschte Gelegenheit, eine Frage zu beantworten, die Aristoteles offenbar ebenso im Dunkeln gelassen hatte wie den Namen des letzten Physikers: Wie man sich nämlich den epochemachenden Paradigmenwechsel von der Physik zur Ethik entwicklungsgeschichtlich vorzustellen habe. Die Antwort, die Theophrast auf diese Frage gab, findet sich, wenn nicht alles täuscht, wieder bei Diogenes Laertius (2.16 = SSR I C 12), und zwar in unmittelbarem Anschluß an den oben zitierten Text. Dort heißt es, «auch Archelaos habe schon die Ethik berührt: Er habe nämlich über die Gesetze philosophiert und über das Gute und Gerechte; das habe Sokrates übernommen und bis zum Gipfel gesteigert, so daß er nun als Erfinder der Ethik gelte» ( ἔ οικεν δ ὲ κα ὶ ο ὗ τος ἅ ψασθαι τ ῆ ς ἠ θικ ῆ ς. κα ὶ γ ὰ ρ ̟ερ ὶ ν ό µων ̟εφιλοσ ό φηκε κα ὶ καλ ῶ ν κα ὶ δικα ί ων· ̟αρ ᾽ ο ὗ λαβ ὼ ν Σωκρ ά της τ ῶ ι α ὐ ξ ῆ σαι ε ἰ ς τ ὸ ἄ κρον [suppl. Diels] ε ὑ ρε ῖ ν ὑ ̟ελ ή φθη). Daß dieses Erklärungsmodell peripatetischer Herkunft ist, lehren die Aristotelischen termini technici ἅ ψασθαι (Bonitz 89 sq.) und α ὐ ξάνειν (Bonitz 122), die, auf die Entwicklung des Denkens bezogen, ausdrücken, daß eine erste gedankliche Berührung mit einem Sachverhalt stattfindet, die dann weiter gefördert wird, bis die volle Erkenntnis des Sachverhalts erreicht ist. Nicht von ungefähr finden sich diese termini, in denen sich das biologische Denkmodell der Entelechie geistesgeschichtlich artikuliert, beide wieder an einer Kernstelle, an der Aristoteles (De part. anim. 1 8. Sokrates und Archelaos 184 p. 642 a 24-31= SSR I B 27) den Paradigmenwechsel beschreibt, den das griechische Denken durch Sokrates' Entdeckung der Ethik erfahren hat. Wenn dieses Aristotelische Erklärungsmodell hier nun auf Archelaos und Sokrates angewendet wird, dergestalt, daß die Ethik, die in der Philosophie des Archelaos keimhaft angelegt war, von Sokrates zu voller Blüte gebracht wurde, so daß er nun — fraglos zu Recht — als ihr eigentlicher Erfinder gilt, so kann kaum zweifelhaft sein, daß Theophrast der Urheber dieses Erklärungsmodells gewesen ist, wenn anders er es denn gewesen ist, der Archelaos als letzten Physiker installiert hat, nachdem Aristoteles Sokrates als ersten Ethiker inthronisiert hatte. Theophrast also schreibt Archelaos eine rudimentäre Ethik zu, insofern er «über die Gesetze» (̟ερ ὶ νόµων) und «über das Gute und Gerechte» (̟ερ ὶ καλ ῶ ν κα ὶ δικαίων) philosophiert habe. Die doxographische Überlieferung, die ihrerseits wieder auf Theophrast zurückgeht, bestätigt und präzisiert beide Aussagen. Hippolytos (Refut. 1.9 = VS 60 A 4) referiert am Ende seines doxographischen Überblicks, Archelaos habe gelehrt, daß die Menschen sich durch den schnelleren Gebrauch der «Vernunft» (νο ῦ ς) von allen anderen Lebewesen unterschieden hätten und so in den Stand gesetzt worden seien, «Führer, Gesetze (NB.), Künste, Städte und andere kulturelle Errungenschaften einzurichten» (κα ὶ ἡ γεµόνας κα ὶ νόµους κα ὶ ̟όλεις κα ὶ τ ὰ ἄ λλα συνέστησαν). Daß Archelaos in demselben Kontext, in dem er über die Gesetze sprach, auch über die ethischen Normen des Guten und Gerechten handelte, bezeugt Diogenes Laertius (2.16 = SSR I C 12), wenn er, ebenfalls am Ende seines doxographischen Überblicks, notiert, daß Archelaos gelehrt habe, «das Gerechte und das Schlechte existiere nicht von Natur aus, sondern aufgrund menschlicher Vereinbarung» (τ ὸ δίκαιον ε ἶ ναι κα ὶ τ ὸ α ἰ σχρ ὸ ν ο ὐ φύσει, ἀ λλ ὰ νόµωι). Es hält nicht schwer, aus diesen drei zwar disparat überlieferten, gedanklich aber zusammengehörenden Notizen den ursprünglichen Gedankengang des Archelaos zu rekonstruieren. Archelaos kam auf die Gesetze zu sprechen im Zusammenhang mit seiner Kulturentstehungslehre, die, wie auch sonst die Regel, das Ende seines kosmologischen Denkmodells bildete. Hierbei konstatierte er, daß die Gesetze Teil jener soziokulturellen Errungenschaften sind, die die Menschen sich aufgrund ihres bevorzugten Gebrauchs der Vernunft selbst geschaffen haben, um so ihr Leben, anders als alle anderen Lebewesen, kulturell zu bemeistern. Dies vorausgesetzt, ließ sich schon von den Gesetzen sagen, was sich mit noch mehr Recht von den ethischen Normen des Gerechten und des Guten sagen ließ, die ja durch Gesetze — geschriebene und ungeschriebene — in Kraft gesetzt werden: daß sie nicht «von Natur aus» (φύσει) existieren, sondern ihre Existenz allein dem «Konsens der Menschen» (νόµωι) verdanken. 8. Sokrates und Archelaos 185 Das ist alles in allem ein philosophiegeschichtlich hochbedeutsames gedankliches Szenario, das in vielem an Denkansätze erinnert, wie sie sich auch bei dem Sophisten Protagoras (VS 80 B 8 a & C 1) finden. Die Frage der Priorität ist hier nicht zu erörtern. Aber soviel sei hier betont, daß Archelaos der Ethik offenbar nicht den Rang einer eigenständigen Wissenschaft verliehen hat, sondern sie in den Dienst seiner Kulturentstehungslehre nahm. Woraus folgt, daß die Antithese von νόµος und φύσις, die beiläufig auch für den Sophisten Hippias (VS 86 C 1) in Anspruch genommen wird, im Falle des Archelaos noch nicht jene gedankliche Sprengkraft besessen haben kann, wie dies bei dem Sophisten Antiphon (VS 87 B 44) und mehr noch bei dem Sophistenschüler Kallikles im Platonischen Gorgias (p. 482 c-486 d) der Fall ist, wo die Antithese dazu dient, eine Gewaltmoral gedanklich zu etablieren, wie sie radikaler nicht einmal Friedrich Nietzsche hat formulieren können (Heinimann 1945). Dergleichen radikal-ethische Denkentwürfe lagen Archelaos zweifellos fern. Er bediente sich jener Antithese allein, um den Unterschied darzutun, der zwischen natürlichen und kulturell vermittelten Phänomenen waltet — eine Unterscheidung, die ihn in den Stand setzte, die Verschiedenartigkeit sozialer Institutionen und Normen zu erklären, die die Ethnographie längst aktenkundig gemacht hatte. Alles recht erwogen, sieht man nicht ab, wie philosophiegeschichtlich ein Weg von Archelaos zu Sokrates führen könnte: Die rudimentäre Ethik des Archelaos, eingebunden in die Kulturentstehungslehre, wie sie ist, war nicht geeignet, in Sokrates jenen Paradigmenwechsel hervorzurufen, den ihm Theophrast und Aristoteles attestieren. Weder per affirmationem noch per negationem läßt sich aus den sozialethischen Denkansätzen des Archelaos jenes ethische Denkmodell herleiten, wie es die Platonische Apologie mit guten Gründen für Sokrates in Anspruch nimmt: daß eine kritische Prüfung im Gespräch (Elenktik) außer Zweifel stellt, daß die Menschen jenes Wissen vom Guten, ohne das alles Handeln blind ist und nur auf das Geratewohl erfolgt, nicht besitzen; wiewohl sie sich alle in seinem Besitz wähnen. Theophrast hätte denn auch die rudimentären ethischen Denkansätze des Archelaos schwerlich mit der Sokratischen Ethik in Verbindung gebracht, wenn ihm die Verbindung zwischen Sokrates und Archelaos nicht anderweitig vorgegeben gewesen wäre: Erst und allein das Zeugnis des Ion aus Chios, das zum mindesten so etwas wie eine geistig-pädagogische Verbindung zwischen Sokrates und Archelaos andeutete, gab Theophrast Anlaß zu seiner philosophiegeschichtlichen Hypothese, die sich nun, nach genauerer Prüfung, als ebenso ahistorische Konstruktion erweist wie das Aristotelische Epochenmodell, dem sie supplierend Sukkurs leistet. Was Theophrast an historisch gesicherter Information zu entnehmen ist, führt nicht über das hinaus, was bei Ion zu lesen stand. Der Rest ist gelehrtes Konstrukt. 8. Sokrates und Archelaos 186 6. Aristoxenos Der Peripatetiker Aristoxenos, ein Zeit- und Altersgenosse des Theophrast, ist nicht nur Begründer der antiken Musikwissenschaft, sondern auch Erfinder der antiken Biographie. Das biographische Interesse des Aristoxenos galt nicht nur Musikern und Dichtern, sondern auch den Philosophen: So verfaßte er Spezialbiographien des Pythagoras (2 fr. 11 b, 14, 25 Wehrli), des Pythagoreers Archytas (fr. 50 Wehrli) sowie des Sokrates (fr. 54 a & 60 Wehrli = SSR I B 44 & 51) und des Sokratesschülers Platon ( fr. 64-66 Wehrli). Die Auswahl der Personen verrät ein Programm, insofern jeweils der Archeget einer Denkrichtung (Pythagoras bzw. Sokrates) und ein namhafter Schüler (Archytas bzw. Platon) biographisch dergestalt vorgeführt werden, daß erstere jeweils in hellem Lichte erstrahlen, während letztere in dunklen Farben gemalt werden, so daß am Ende der Pythagoreismus, dem Aristoxenos auch eine Reihe sachlicher Monographien (fr. 11-41 Wehrli) gewidmet hat, die Sokratik triumphal überstrahlt und in den Schatten stellt. Diese Tendenz muß man kennen, wenn man die Biographien des Aristoxenos historisch angemessen beurteilen will. Ganz im Sinne dieser Tendenz also wird Sokrates denn auch von Aristoxenos gegenüber der Lichtgestalt Pythagoras dargestellt als Steineklopfer (fr. 51 Wehrli = SSR I B 41), Choleriker (fr. 54 & 56 Wehrli = SSR I B 44 sq. & 47), Wucherer (fr. 59 Wehrli = SSR I B 59), Erotomane (fr. 54 sq. & 58 Wehrli = SSR 44 sq. & 49), als halber Analphabet (fr. 55 Wehrli = SSR I B 46 & Porphyr. fr. 214 F Smith = SSR I C 10) und Halbphilosoph, dessen Denken von einem weisen Inder als unzulänglich verlacht werden kann (fr. 53 Wehrli = SSR I B 44). Im Rahmen dieses biographischen Panoramas, dessen tendenziöse Maledizenz auf der Hand liegt, ist nun auch von Sokrates und Archelaos die Rede. Wir besitzen zwei Testimonien, in denen referiert wird, was Aristoxenos (fr. 52 Wehrli = SSR I B 42) über Sokrates und Archelaos geäußert hat. Wiewohl beide Testimonien auf ein und denselben Kontext zurückgehen, liefern sie doch ganz verschiedene Informationen. Die Suda (s.u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2) berichtet, daß Sokrates zunächst Schüler des Anaxagoras gewesen sei, sodann bei Damon und schließlich bei Archelaos gehört habe. Aristoxenos (fr. 52 b Wehrli = SSR I B 42) aber behaupte, daß Sokrates zuerst Archelaos gehört habe: Ἀ ριστόξενος δ ὲ Ἀ ρχελάου ̟ρ ῶ τον α ὐ τ ὸ ν διακο ῦ σαι λέγει. Das Adverbiale ̟ρ ῶ τον darf man nicht für Aristoxenos in Anspruch nehmen, sondern muß man als Korrektiv zum vorhergehenden Satz verstehen, dergestalt, daß Aristoxenos nicht Anaxagoras, sondern vielmehr Archelaos als ersten Lehrer des Sokrates angesehen habe. Ob Aristoxenos behauptete, daß Sokrates nach Archelaos später noch andere Lehrer hatte, oder ob er — ungleich wahrscheinlicher — den ersten auch als den einzi- 8. Sokrates und Archelaos 187 gen Lehrer ansah, läßt das Referat offen. Außer Frage steht indes, daß Aristoxenos dasselbe behauptete, was auch Theophrast, allerdings vorsichtiger als Aristoxenos, getan zu haben scheint, behauptete: daß Sokrates der Schüler des Archelaos gewesen sei — eine Behauptung, die sich zuletzt Ion aus Chios verdankt, der, wie schon im Falle des Theophrast anzumerken war, zum mindesten angedeutet haben muß, daß zwischen Sokrates und Archelaos eine geistige Beziehung gewaltet habe, die sich von Späteren unschwer in ein Schüler-Lehrer-Verhältnis umdeuten ließ. Wie die Suda führt auch die Sokratesbiographie des Diogenes Laertius (2.19 = SSR I D 1 [19]) zunächst Anaxagoras, Damon und Archelaos als Lehrer des Sokrates an, um sodann auf Aristoxenos zu rekurrieren. Anders als die Suda rekurriert Diogenes jedoch nicht auf Aristoxenos (fr. 52 a Wehrli = SSR I B 42), um die vorausgehende Information zu korrigieren, sondern um sie zu supplieren, dergestalt, daß im Falle des Archelaos noch hinzugesetzt wird, daß Sokrates sein «Liebling» gewesen sei: ο ὗ κα ὶ ̟αιδικ ὰ γενέσθαι φησ ὶ ν Ἀ ριστόξενος. Von dieser einigermaßen sensationellen Information, derzufolge das Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos nicht nur geistig, sondern auch erotisch bestimmt gewesen ist, findet sich bei dem streng sachlich orientierten Theophrast, wie nicht anders zu erwarten, keine Spur, wohl aber finden sich Spuren davon in späterer Überlieferung, die auf Aristoxenos zurückzuführen wir allen Grund haben. Es handelt sich um die Φιλόσοφος ἱ στορία des Neuplatonikers und Plotin-Schülers Porphyrios (193 T 224 F Smith), in der die Geschichte der Philosophie von den Anfängen bis zu Platon in vier Büchern so dargestellt wurde, daß zunächst eine Biographie der einzelnen Denker gegeben wurde, sodann ein doxographischer Überblick über ihre Lehren. Die Biographie des Sokrates nun, die im dritten Buche (212 F Smith) ihren Platz hatte, kam dem Kirchenhistoriker Sokrates (Hist. eccl. 3.23,14 = SSR I B 41) so hämisch und abträglich vor, daß er Porpyhrios vorwarf, er habe über Sokrates Dinge gesagt, die nicht einmal die Ankläger Anytos und Meletos sich zu sagen getraut hätten. Dieser Eindruck mußte sich deswegen aufdrängen, weil Porphyrios seine Sokratesbiographie im wesentlichen an der Sokratesbiographie des Aristoxenos orientiert hat. Einmal zwar legt Porphyrios (213 F Smith = SSR I B 41) Protest ein gegen die Autorität des Aristoxenos: Daß Sokrates in seiner Jugend als Steineklopfer tätig gewesen sei, will er Aristoxenos (fr. 51 Wehrli = SSR I B 41) nicht glauben wegen der «Feindseligkeit» (δυσµένεια), die dieser gegen Sokrates an den Tag lege. Aber wie der Platoniker Menedemos aus Pyrrha (SSR I B 41), dem sich Porphyrios stattdessen anvertraut, dasselbe behauptet, was auch Aristoxenos behauptet hatte, so hat Porphyrios keinen Anstand genommen, die notorisch maledizente Sokratesbiographie des Aristoxenos immer wieder als maßgebliche Quelle heranzuziehen. 8. Sokrates und Archelaos 188 So rekurriert Porphyrios (211 F Smith) expressis uerbis und ohne jeden kritischen Vorbehalt auf die Sokratesbiographie des Aristoxenos (fr. 54 & 56 Wehrli = SSR I B 44 sq. & 47), um darzutun daß Sokrates ein schwerer Choleriker gewesen sei. Wofern Porphyrios seine Quelle nicht explizit anführt, erweist die unabhängige Parallelüberlieferung in nachgerade allen Fällen, daß Porphyrios auf Aristoxenos zurückgegriffen hat: Was Porphyrios (214 F Smith) über Sokrates' Unbildung sagt, bezeugt Plutarch für Aristoxenos (fr. 55 Wehrli = SSR I B 46); derselbe Plutarch bezeugt für Aristoxenos (fr. 55 Wehrli = SSR I B 46) auch, was Porphyrios (215 F Smith) über Sokrates' ausgeprägtes Sexualleben berichtet: daß es sich stets in legalen Bahnen bewegt habe; was Porphyrios (215 F Smith) als Beweis anführt, daß Sokrates nämlich zwei Frauen auf einmal gehabt habe, das nehmen Plutarch und Athenaios für Aristoxenos (fr. 57 sq. Wehrli = SSR I B 48 sq.) in Anspruch; wenn Porphyrios endlich das Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos nicht nur als pädagogisch, sondern namentlich auch erotisch darstellt, so bezeugen die Suda und Diogenes Laertius, daß er auch hier auf Aristoxenos (fr. 52 Wehrli = SSR I B 42) zurückgegriffen hat. Wenn Porphyrios (217 F Smith = SSR I C 424) schließlich behauptet, man habe Sokrates vorgeworfen, daß er sich mit dem Pöbel gemein gemacht und sich bei den Wechslertischen und den Hermen herumgetrieben habe, so läßt sich in diesem einen Falle zwar nicht ausdrücklich beweisen, daß er diese Nachricht Aristoxenos verdankt, aber der maledizente Ton der Nachricht paßt viel zu gut in die Gesamttendenz der Sokratesbiographie des Aristoxenos, um nicht auch sie unbedenklich für diesen in Anspruch nehmen zu können. Womit denn außer Frage steht daß die Sokratesbiographie des Aristoxenos die Hauptquelle für die Sokratesbiographie des Porphyrios gewesen ist. Nun steht es so, daß Porphyrios in der Regel erheblich mehr Informationen über Sokrates liefert, als die kurzen Referate aus Aristoxenos enthalten. Wie die Dinge liegen, beruht dieses Mehr an Information nicht sowohl auf Erfindung des Porphyrios, sondern darf vielmehr, wofern nicht triftige Gründe dagegen sprechen, in toto für Aristoxenos in Anspruch genommen werden. Dies vorausgesetzt, erscheint, was Aristoxenos über das Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos erzählte, in ungleich hellerem Lichte als bisher. Der Kirchenvater Theodoret (Gr. aff. cur. 4.1 sq. = SSR I C 51) resümiert, was Porphyrios über die Jugend des Sokrates erzählte: Sokrates habe, als er jung war, zur Zuchtlosigkeit geneigt, durch ernsthaftes Bemühen und durch Unterweisung diese Charakterzüge jedoch abgelegt und philosophische angenommen. Demselben Theodoret verdanken wir auch das wörtliche Zitat jenes Porphyriostextes (215 F Smith), aus dem er sein Resümee gewonnen hat. Sokrates soll hiernach «als Knabe» (̟α ῖ ς ὤ ν) nicht gut und ordentlich gelebt haben. Zunächst nämlich sei er unablässig seinem Vater ungehor- 8. Sokrates und Archelaos 189 sam gewesen: Wenn dieser ihm befohlen habe, die Handwerksgeräte aufzunehmen und sich irgendwo einzufinden, habe er den Befehl mißachtet und sich herumgetrieben, wo immer es ihm gefallen habe. Als er aber «schon um die siebzehn Jahre alt» ( ἤ δη δ ὲ ̟ερ ὶ τ ὰ ἑ ̟τακαίδεκα ἔ τη) gewesen sei, sei Archelaos, der Schüler des Anaxagoras, zu ihm gekommen. und habe erklärt, «er wolle sein Liebhaber sein» (φάσκοντα ἐ ραστ ὴ ν ε ἶ ναι); Sokrates habe dieses Ansinnen und den Umgang mit Archelaos nicht zurückgewiesen, sondern sei «viele Jahre lang» ( ἔ τη συχνά) bei ihm geblieben und so von Archelaos «zur Philosophie gebracht worden» (̟ροστρα̟ ῆ ναι ἐ ̟ ὶ τ ὰ φιλόσοφα). — Soweit die Paraphrase dieses erstaunlichen Porphyriostextes, den wir, wenn auch nicht im Wortlaut, so doch in seinem materiellen Gehalt für Aristoxenos in Anspruch zu nehmen wohl berechtigt sind. Will man diese Geschichte richtig interpretieren, so muß man sie mit einer wenig bekannten, aber hocheigentümlichen Konkurrenzgeschichte kontrastieren, die Plutarch in seinem anspruchsvoll komponierten Dialog Περ ὶ το ῦ Σωκράτους δαιµονίου (20 p. 589 de = SSR I C 412) erzählt oder besser von einem Gesprächsteilnehmer erzählen läßt: Dem Vater des Sokrates sei, «als Sokrates noch ein Knabe gewesen» ( ἔ τι ̟αιδ ὸ ς ὄ ντος α ὐτο ῦ ), ein Orakelspruch folgenden Inhalts gegeben worden: Er solle den Knaben tun lassen, was immer ihm in den Sinn käme, ihn nicht zwingen oder ablenken, sondern dem Drang des Knaben nachgeben und für ihn zu Zeus Agoraios und den Musen beten, im übrigen aber in betreff des Sokrates keine weitläufigen Anstalten treffen, da er fraglos einen Führer ins Leben in sich trage, der besser sei als zehntausend Lehrer und Pädagogen. Vergleicht man diese beiden Geschichten, so ist zunächst zu konstatieren, daß beide von ein und derselben Ausgangssituation ausgehen. Denn wenn dem Vater des Sokrates über den Knaben Sokrates ein Orakel gegeben wird, so muß der Vater das Orakel über den Sohn befragt haben; wenn weiter das Orakel antwortet, er solle den Knaben Sokrates in Ruhe lassen in seinem Drange und tun lassen, was er wolle, so impliziert diese Antwort, daß der Vater sich an das Orakel gewandt hat, weil er nicht wußte, was er mit dem offenbar ungebärdigen und schwer erziehbaren Kind anfangen solle. Kurz: Die Orakel-Geschichte, die Plutarch erzählt, setzt exakt jenes Szenario voraus, das auch Aristoxenos-Porphyrios vom ungeordneten Leben des Knaben Sokrates entworfen haben. Auch darin stimmen beide Geschichten überein, daß dem Knaben Sokrates Rettung winkt aus seinem ungeordneten Dasein, daß also sicher ist, daß er trotz unguter Anfänge zu einem ordentlichen Leben hinfinden wird. Darin allerdings unterscheiden sich beide Geschichten auch wieder, daß sie jeweils einen anderen Retter namhaft machen: Die Orakel-Geschichte verweist in der üblichen Rätselform offenbar auf das Daimonion, das als eine Art innerer Führer und Wegweiser Sokrates' zukünftige Lebensführung 8. Sokrates und Archelaos 190 besser zu regeln imstande sei als alle menschlichen Fachleute (Lehrer und Pädagogen); anders Aristoxenos-Porphyrios: Hier erscheint in Archelaos ein Retter in menschlicher Gestalt, der durch pädagogisch-erotische Einwirkung den chaotischen Charakter des Knaben Sokrates in zukömmlich philosophische Bahnen zu lenken vermag. Es kann nun kaum zweifelhaft sein, daß jene beiden Geschichten, vergleichbar, aber inkompatibel, wie sie sind, literarisch zusammenhängen, dergestalt, daß die eine nach dem Vorbild der anderen komponiert worden ist. Dies vorausgesetzt, kann auch nicht zweifelhaft sein, wo die Priorität liegt. Im Mittelpunkt der Orakel-Geschichte steht ja das Daimonion, und als Daimonion-Geschichte reiht sich die Orakel-Geschichte ein in eine Reihe weiterer Geschichten über das Wirken des Daimonions, die Plutarch in seinem Dialog erzählt bzw. erzählen läßt: Wie Sokrates, offenbar vom Daimonion gewarnt, den Gefährten das Desaster der Sizilischen Expedition vorausgesagt habe (11 p. 581 d = SSR I C 411); wie Sokrates und seine Gefährten auf der Flucht nach der Schlacht beim Delion durch das Daimonion gerettet worden seien (11 p. 581 de = SSR I C 411); wie Sokrates und seine Gefährten durch das Daimonion vor einer unliebsamen Begegnung mit einer schmutzigen Schweineherde bewahrt worden seien (11 p. 580 d-f = SSR I C 411). Zwei dieser drei Geschichten hat Plutarch nicht erfunden, sondern nachweislich aus älterer Tradition übernommen: Sokrates' Rettung durch das Daimonion anläßlich der Schlacht beim Delion kennen schon Cicero (De diuin. 1.54 = SSR I C 408) und der erste Sokratesbrief (§ 9 = SSR I F 1 [9]), und Sokrates' Prophezeiung der Sizilischen Katastrophe findet sich bereits im pseudoplatonischen Theages (p. 129 cd). Aber auch die kuriose Geschichte von Sokrates' Rettung vor der Schweineherde kann Plutarch nicht erfunden haben. Denn diese Geschichte enthält so viel ausgefallenes personales und vor allem lokales Detail (Euthyphron und der Aulet Charillos; das Symbolon, das Haus des Andokides, die Straße der Kistenmacher und die Straße der Bildhauer längs der Gerichte), daß sich jeder Gedanke an eine späte Erfindung verbietet. Alles recht erwogen, spricht alles dafür, daß auch die Orakel- Geschichte, in der auf das segensreiche Wirken des Daimonions für das künftige Leben des Sokrates prophezeiend hingewiesen wird, keine Erfindung Plutarchs ist. Vielmehr hat Plutarch alle vier Daimonion- Geschichten aus älterer Tradition übernommen, und diese Tradition führt schließlich auf die Sokratiker zurück, in deren Dialogen zu allererst und auch so ausführlich vom Sokratischen Daimonion die Rede gewesen ist, daß der Stoiker Antipater aus Tarsos (SVF 3 fr. 38 p. 249) eine umfangreiche Blütenlese daraus zusammenstellen konnte, die Plutarch, wofern er nicht auf die Originaltexte der Sokratiker zurückgriff, ebenso benutzt haben 8. Sokrates und Archelaos 191 könnte, wie sie Cicero (De diuin. 1.54 = SSR I C 408) eingestandenermaßen benutzt hat. Die Herkunft der Orakel-Geschichte aus altsokratischer Quelle als wahrscheinlich dargetan, läßt sich nun genauer über jene Geschichte urteilen, die Aristoxenos über Sokrates' Jugend erzählte. Was Aristoxenos erzählt, ist keine einfache Geschichte, sondern ein Konstrukt aus zwei verschiedenen Geschichten, denen allein gemeinsam war, daß sie von Sokrates' Jugend handelten. Die eine Geschichte, die von Sokrates' ungeordneten Knabenjahren handelte, fand Aristoxenos, wenn nicht alles täuscht, in einem Sokratischen Dialog; die zweite Geschichte, in der vom Verhältnis des jungen Sokrates zu Archelaos die Rede war, kann Aristoxenos, wie die Dinge liegen, nirgendwo anders gefunden haben als in den Memoiren des Ion aus Chios. In der Verbindung dieser beiden heterogenen Geschichten liegt nun die Erfindung des Aristoxenos, die eine ganz neue Geschichte zeitigt, insofern der Retter, der den Knaben Sokrates aus ungeordneten Lebensverhältnissen auf den rechten Weg führt, nicht mehr das Daimonion ist, sondern der pädagogische Liebhaber oder liebende Pädagoge Archelaos — eine neu erfundene Geschichte also, die aber, da sie auf zwei überlieferte Geschichten zurückgriff, gleichwohl den Anschein verbürgter Authentizität und Historizität für sich in Anspruch nehmen konnte und sollte. Aristoxenos hat dieses Kollagebzw. Montageverfahren, das so vortrefflich geeignet ist, jenes Halbdunkel zu erzeugen, auf das es ihm ankam, nicht nur hier verwendet, aber nirgendwo so raffiniert wie hier, wo er einen fiktionalen Text (die Orakel-Geschichte) mit einem unzweifelhaft historischen Text (die Begegnung des jungen Sokrates mit Archelaos) verbindet: Die Historizität des einen Textes war dazu angetan, die Fiktionalität des anderen Textes soweit in Vergessenheit geraten zu lassen, daß schließlich der ganze Text das trügerische Ansehen erhielt, als sei er historisch wohlverbürgt. Vorausgesetzt, was vorauszusetzen ist: daß Aristoxenos die Orakel- Geschichte dahingehend änderte, daß er statt des Daimonions Archelaos als Retter des Sokrates erscheinen ließ, lassen sich die Gründe für diesen kompositorischen Eingriff unschwer erraten: Die Orakel-Geschichte paßte als Ganzes nicht in die detraktatorische Tendenz, die in der Sokratesbiographie des Aristoxenos vorwaltet. Vortrefflich paßte der Anfang, insofern er von Sokrates' ungeordnetem Knabenalter Kunde gab. Anders der Ausgang: Wenn es das Daimonion ist, das den jungen Sokrates auf den rechten Weg weisen wird, so liegt darin ja nachgerade ein Lob und eine Auszeichnung, insofern Sokrates persönlich über ein göttliches Zeichen oder Signal verfügt, das ihm, wenn es sich meldet, unfehlbar den rechten Weg weist. So hat denn Aristoxenos den Anfang der Orakel- Geschichte dankbar übernommen, den Ausgang aber durch die Sokrates- Archelaos-Geschichte ersetzt, die das erwünschte biographische Halb- 8. Sokrates und Archelaos 192 dunkel hervorzurufen geeignet war, insofern die Rettung des Sokrates jetzt durch einen Menschen erfolgt, will sagen: durch einen älteren Mann, der als «Liebhaber» ( ἐ ραστής) den jungen Sokrates mit dessen Billigung zum «Liebling» (̟αιδικά) erwählt hatte. Dieser erotische Aspekt der Sokrates-Archelaos-Geschichte war es, auf den es Aristoxenos vor allem ankam; denn so und nur so nahm die ]ugendgeschichte des Sokrates jene fragwürdige Tönung an, die der Orakel-Geschichte, insofern sie auf das Daimonion rekurrierte, abging. Die Frage, die nunmehr zu stellen ist, geht dahin, ob Aristoxenos die Sokrates-Archelaos-Geschichte so, wie er sie erzählt, schon in den Memoiren des Ion vorgefunden hat oder ob er, was er dort vorfand, wiederum ad malam partem verfälscht hat in der Weise, wie er auch die Orakel- Geschichte insgesamt verfälscht hat. Oder anders: Es steht zu fragen, ob, was Aristoxenos über Sokrates und Archelaos aussagt, in toto als historisch glaubwürdig gelten darf oder ob das Historische nur Vorwand ist, die eigene maledizente Erfindung zu kaschieren. Will man diese schwierige Frage beantworten, so muß man näher in Betracht ziehen, welche Rolle Aristoxenos in seiner Sokratesbiographie dem Erotischen zugemessen hat, das ja auch im Mittelpunkt der Sokrates- Archelaos-Geschichte steht. Das Erotische ist ja seit jeher eine Domäne all jener, die eine Person in ein fragwürdiges Licht zu rücken die Absicht haben. Es kann daher nicht wunder nehmen, daß Aristoxenos sich nicht nur für die Erotik des jungen, sondern auch namentlich des älteren Sokrates angelegentlich interessiert hat. Aristoxenos (fr. 54 sq. Wehrli = SSR I B 44-46) behauptete also, daß Sokrates als erwachsener Mann «einem heftigen Sexualtrieb untergeben gewesen sei, diesen jedoch stets legal ausgelebt habe» (̟ρ ὸ ς δ ὲ τ ὴ ν τ ῶ ν ἀ φροδισίων χρ ῆ σιν σφοδρότερον µ ὲ ν ε ἶ ναι, ἀ δικίαν δ ὲ µ ὴ ̟ροσε ῖ ναι). Um diese Behauptung zu beweisen, erzählte Aristoxenos (fr. 54 & 57 sq. Wehrli = SSR I B 44 sq. & 48 sq.), daß Sokrates mit zwei Frauen zugleich Umgang gehabt habe: mit Xanthippe, die ihm den Lamprokles, und mit Myrto, der Enkelin des gerechten Aristeides, die ihm Sophroniskos und Menexenos geboren habe; mit dieser sei er «ehelich» (γάµωι) verbunden gewesen, die Xanthippe hingegen, eine athenische Bürgerin, die «gewissermaßen als Prostituierte lebte» (̟ολ ῖ τιν κα ὶ κοινοτέραν ̟ως), habe er sich als «Geliebte» (̟ερι̟λακε ῖ σαν) gehalten. Auch hier hat Aristoxenos im Sinne seines Kollage- oder Montageverfahrens wiederum auf zwei überlieferte Geschichten zurückgegriffen, um eine neue daraus zu machen, die seinen detrektatorischen Zwecken entsprach. Cicero (De fato 5.10 = SSR I C 49) erzählt, der Physiognom Zopyros habe Sokrates auf den Kopf zu gesagt, daß er «weibstoll» (mulierosus) sei. Daß diese Geschichte aus einem Sokratischen Dialog stammt, würde man 8. Sokrates und Archelaos 193 auch dann vermuten, wenn Cicero nicht hinzugesetzt hätte, daß Alkibiades nach dieser Einlassung des Zopyros in Lachen ausgebrochen sei. In diesem Dialog also, den wir dem Sokratiker Phaidon aus Elis zuschreiben dürfen, für den ein Dialog mit dem Titel Ζώ̟υρος (SSR III A 8-11) ausdrücklich bezeugt ist, fand Aristoxenos expressis uerbis ausgesprochen, was nachzusprechen er offenbar nicht verfehlte: daß Sokrates dem weiblichen Geschlecht gegenüber große sexuelle Gier an den Tag gelegt habe. Daß Aristoxenos in der Tat auf diese Stelle rekurrierte, erhellt auch daraus, daß er sie noch einmal verwendet hat. Denn Zopyros diagnostizierte nicht nur, daß Sokrates weibstoll gewesen sei, sondern auch «dumm» (stultus) und «einfältig» (bardus) — eine Charakterisierung, die Aristoxenos in seine Biographie (fr. 55 Wehrli & 214 F Smith = SSR I B 46 & I C 40 ) aufzunehmen ebenfalls keinen Anstand genommen hat: Sokrates sei «ungelehrig» ( ἀ µαθής) und «ungebildet» ( ἀ ̟αίδευτος) gewesen, nicht einmal das Alphabet habe er beherrscht, so daß er, wenn er etwas schreiben oder lesen mußte, gestammelt habe wie die Kinder. Cicero deutet im übrigen deutlich genug an, wie sich die Zopyros- Geschichte weiterentwickelte: Sokrates gab zu, alle jene Fehler, die ihm der Physiognom andiagnostiziert hatte, «als Naturanlage» (ex naturalibus causis) tatsächlich zu haben, sei ihrer jedoch durch «Willensanstrengung, eifriges Bemühen und Selbstzucht» (uoluntate studio disciplina) Herr geworden. Diesen Ausgang der Geschichte konnte Aristoxenos für seine maledizenten Zwecke ebenso wenig brauchen, wie er das Daimonion als Retter des jungen Sokrates nicht brauchen konnte. Anders als dort ersetzte er hier den unbeliebsamen Schluß der Erzählung nicht durch eine andere Erzählung, sondern ließ ihn schlankerhand weg: Gesetzt, einer hätte den Eingriff bemerkt, so hätte er immer noch sagen können, das Urteil des Zopyros über Sokrates sei richtig und von Sokrates ja auch als richtig eingestanden worden. Daß hiermit der eigentliche Sinn der Zopyros- Geschichte auf den Kopf gestellt wurde, kümmerte Aristoxenos offenbar ebensowenig, wie daß er eine fiktionale Erzählung biographischen Zwekken dienstbar machte. Aber welcher Leser wollte und konnte ihm das nachrechnen, namentlich wenn Aristoxenos, was wahrscheinlich ist, die Quelle, aus der er schöpfte, gar nicht eigens kenntlich machte? Auch die zweite Geschichte hat Aristoxenos nicht erfunden. Bereits Aristoteles wußte in seinem Dialog Περ ὶ ε ὐ γενείας (fr. 93 Rose = SSR I B 7) zu erzählen, daß Sokrates zwei Frauen «ehelich heimgeführt» habe ( ἀ γαγέσθαι): «zuerst» (̟ροτέραν) Xanthippe, die Mutter des Lamprokles, «sodann» (δευτέραν) Myrto, die Tochter des gerechten Aristeides, Mutter des Sophroniskos und Menexenos, die er «ohne Mitgift» ( ἄ ̟ροικον) genommen habe, «da sie wegen ihrer großen Armut keinen Mann fand» (χηρεύουσαν δι ὰ ̟ενίαν). Aristoteles (fr. 92 Rose = SSR I B 8) erzählte auch, weshalb Sokrates im Falle der Myrto so generös verfuhr: Er sei der Ansicht gewesen, aus guten Eltern entstünden auch edle Kinder; daher 8. Sokrates und Archelaos 194 sei wegen der Vortrefflichkeit des Aristeides auch seine Tochter als «edel» (γενναία) anzusehen. Über die Historizität dieser einigermaßen phantastischen Geschichte ist hier nur so viel zu bemerken, daß wir nicht wissen, woher Aristoteles seine Informationen hatte. Daß er sie einem Sokratischen Dialog verdankte, ist aber zum mindesten wahrscheinlich, und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, bleibt festzuhalten, daß auch der Aristotelische Dialog ein fiktionales genus ist, das der historischen Wahrheit ebenso wenig verpflichtet ist wie der Sokratische Dialog. Im übrigen erklärt Athenaios (13 p. 556 a = SSR I B 7) ausdrücklich, daß es Aristoteles gewesen sei, der den Späteren die «Handhabe» ( ἐ νδόσιµον) geboten habe, die Geschichte weiterzuverbreiten. Dieser weitläufige Tradierungsprozeß, in den außer Aristoxenos auch noch Kallisthenes (FGrHist 124 F 38 = SSR I B 57), Demetrios aus Phaleron (4 fr. 96 Wehrli = SSR I B 58), Hieronymos aus Rhodos (10 fr. 43 Wehrli = SSR I B 58), Satyros (fr. 10 Kumaniecki = SSR I B 58) und Panaitios (fr. 50 & 132 van Straaten = SSR I B 49) verwickelt sind, ist hier, wo es allein um Aristoxenos geht, nicht näher zu untersuchen (vgl. hierzu bes. Fitton 1970; Chroust 1972; Woodbury 1973). Was Aristoxenos betrifft, so lehrt der Vergleich mit Aristoteles, daß er sich hier, anders als im Falle der Zopyros-Geschichte, nicht damit begnügte, durch Weglassen der Pointe der überlieferten Geschichte einen neuen, abträglichen Sinn zu verleihen. Vielmehr änderte Aristoxenos hier den materiellen Gehalt der Geschichte, insofern er in betreff der beiden Frauen des Sokrates das Nacheinander in ein Zugleich verfälschte, um so die durch Aristoteles überlieferte ganz unanstößige Kunde, daß Sokrates zweimal verheiratet gewesen sei, in eine moralisch höchst anstößige Doppelbeziehung zu verkehren. Die Folge war, daß eine der beiden Frauen ihren Status als Ehefrau verlieren mußte, wenn anders Aristoxenos nicht durch die absurde Vorstellung einer Doppelehe die Glaubwürdigkeit seiner neuen Geschichte gefährden wollte, auf die es ihm ankam. Es traf Xanthippe, die jetzt, um als Kebsweib des Sokrates erscheinen zu können, als «öffentliche Person» gewissermaßen zur Prostituierten herabgewürdigt wurde. Myrto hingegen durfte ihren Stand als legitime Ehefrau beibehalten. Die generösen Gründe indes, die Sokrates laut Aristoteles bewogen haben, diese Ehe einzugehen, wird Aristoxenos verschwiegen haben, da sie der Gesamttendenz der neuen Geschichte widersprachen, derzufolge Sokrates als weibstoll dargestellt werden sollte. Schließlich mußte Myrto im Sinne der historischen Glaubwürdigkeit der neuen Geschichte als Enkelin des Gerechten Aristeides erscheinen, während sie Aristoteles bzw. der Sokratische Dialog, aus dem er schöpfte, als dessen Tochter bezeichnen und so noch einmal von der Fiktionalität dessen, was sie berichten, unverhohlen Kunde geben. 8. Sokrates und Archelaos 195 Alles in allem ist, was Aristoxenos über das erotische Verhalten des älteren Sokrates biographisch vorzubringen weiß, ein erstaunliches Konstrukt: Aristoxenos hat zwei fiktionale Geschichten, die ursprünglich nicht das Geringste miteinander zu tun hatten, in ein kausales Verhältnis zueinander gebracht, dergestalt, daß nun die Xanthippe-Myrto-Geschichte als konkretes Beweisstück für die Wahrheit der Zopyros-Geschichte fungiert — eine Junktur, die so nur möglich wurde dadurch, daß er jeder der beiden Geschichten durch Weglassen und Verändern einen ganz anderen Sinn imputierte, als sie ursprünglich jeweils besessen hatten. Man kann, ja man muß wohl den souveränen Umgang mit überlieferten Texten, wie ihn Aristoxenos hier — und nicht nur hier — an den Tag legt, als ingeniös bewundern, auch wenn man die Zwecke, der er damit verfolgt, abstoßend findet. Im Lichte dieser Überlegungen läßt sich nun auch genauer über die Sokrates-Archelaos-Geschichte urteilen, durch die Aristoxenos das erotische Verhalten nicht des älteren, sondern des jungen Sokrates gekennzeichnet hat. Auch die Sokrates-Archelaos-Geschichte ist Teil einer Montage, aber da sie, nach allem, was wir wissen, auf die Memoiren des Ion aus Chios zurückgeht, ist sie, anders als die Orakel-Geschichte, der sie imputiert worden ist, nicht als fiktional, sondern als historisch anzusehen, so daß die Frage nach der Historizität dessen, was Aristoxenos erzählt, hier mit ungleich größerer Berechtigung zu stellen ist als im Falle jener beiden fiktionalen Geschichten, aus denen Aristoxenos sein verleumderisches Konstrukt über das Sexualleben des älteren Sokrates gewonnen hat. Die Analyse dieses Konstrukts hat ergeben, daß Aristoxenos im Grunde nichts erfindet. Es gehört nachgerade zur kompositorischen Technik des Aristoxenos, daß er vorgefundene Geschichten nur insoweit verkürzt oder verändert, wie für die detraktatorischen Zwecke seiner Biographie unbedingt erforderlich war. Jede Übertreibung hätte diesen Zwecken geschadet, insofern die Glaubwürdigkeit der neuen Geschichte in dem Maße sinken mußte, als die vorgefundene Geschichte, die diese Glaubwürdigkeit unausgesprochen gewährleisten sollte, Veränderungen, namentlich Veränderungen in ihrem materialen Gehalt erfuhr. Dies recht erwogen, läßt sich mit großer Bestimmtheit vermuten, daß Aristoxenos nicht erfunden hat, daß zwischen dem jungen Sokrates und dem älteren Archelaos nicht nur ein pädagogisches, sondern auch ein erotisches Verhältnis bestanden habe: Beides stand bereits in den Memoiren des Ion aus Chios zu lesen, die Aristoxenos mithin ausführlicher benutzt hat als Theophrast, der den erotischen Aspekt des Verhältnisses verschweigt, weil allein der pädagogische Aspekt für die Sache der Philosophiegeschichte von Belang war, der sein doxographisches Monumentalwerk galt. Allein der biographischen Neugier des Aristoxenos verdan- 8. Sokrates und Archelaos 196 ken wir die bedeutsame historische Kunde, daß jene pädagogische Beziehung sich im Horizont des Erotischen entwickelt hat. Aristoxenos hätte denn auch seine detraktatorischen Zwecke gar nicht erreicht, wenn er Sokrates eine erotische Verbindung mit Archelaos aus eigenen Stücken angedichtet hätte. Eine reine Erfindung ohne jeden Anhalt in älterer Tradition hätte niemals jenen Anschein von Glaubwürdigkeit zu erlangen vermocht, wie ihn Aristoxenos so meisterhaft herzustellen wußte, indem er vorgegebene Texte dahingehend «interpretierte», daß sie seinen eigenen tendenziösen Zwecken dienstbar wurden. Gesetzt aber, Aristoxenos hätte auch die pure Erfindung riskiert, so war der vorliegende Fall durchaus ungeeignet, die Tendenz zu befördern, die Biographie des Sokrates in fragwürdigem Lichte erscheinen zulassen, insofern die Knabenliebe, in deren Horizont sich das erotische Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos darstellt, für die Griechen eine gänzlich unanstößige Sache war — eine soziale Tatsache, die dem modernen, christlich geprägten Empfinden so stark zuwider läuft, daß sie mißverstanden zu werden Gefahr läuft. Die griechische Knabenliebe, an deren Verständnis für das Verständnis der griechischen Kultur so viel gelegen ist, läßt sich mit modernen Begriffen wie Päderastie und Homosexualität nicht zureichend beschreiben, da diese und verwandte Begriffe ganz anderen sozialen und historischen Parametern verpflichtet sind, als bei den Griechen galten (Dover 1978; H. Patzer 1982). Bei den Griechen war die Knabenliebe gewissermaßen eine feste gesellschaftliche Einrichtung — die kultivierte und zivilisierte Form der Jünglingsinitiation, wie sie in historischer Zeit namentlich noch bei den Dorern im Schwange war. Wie alle gesellschaftlichen Institutionen, so unterlag auch die Knabenliebe strengen Regeln, die zu überschreiten erhebliche gesellschaftliche, wo nicht gar rechtliche Sanktionen zur Folge hatte. So mußte der «Liebhaber» ( ἐ ραστής) ein erwachsener Mann und vollgültiger Polisbürger sein; der «Geliebte» (̟αιδικά) hingegen, ein künftiger Polisbürger, durfte das Knabenalter nicht unter- und das Jünglingsalter nicht überschritten haben. Auch galt die Regel, daß der Liebhaber als der Ältere der aktive und werbende Teil war, während der Jüngere sich passiv, ja zunächst abweisend zu verhalten hatte. Willigte er endlich in das angestrebte Liebesverhältnis ein, so war das Äußerste, was er dem Liebhaber sexuell zugestehen durfte, der intercrurale Akt im Stehen: Alle weitergehenden sexuellen Praktiken waren ebenso verpönt wie die sexuelle Hingabe für Geld. Umgekehrt durfte der Liebhaber sexuell nur tun, was erlaubt war, wobei jede Art von Zwang oder Gewalt selbstredend untersagt war. Vielmehr hatte der Liebhaber die moralische Pflicht, den Geliebten, der ihm erotisch gefällig war, auch geistig und erzieherisch zu fördern. Nicht selten entwickelte sich aus einer solchen Beziehung ein lebenslanges Freundschaftsverhältnis: Nachdem der Knabe 8. Sokrates und Archelaos 197 zum Manne geworden war, trat an die Stelle des «Liebesverlangens» ( ἔ ρως) «wohlwollende Zuneigung» (φιλία). Diese Regeln mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt, schildern antike Vasenbilder die Knabenliebe ebenso unbefangen, wie die Literatur davon redet. Kein anderer als Ion aus Chios (fr. 8 Bl.) gibt dafür ein schönes Beispiel, wenn er aus eigener Anschauung erzählt, wie Sophokles, als er während des Samischen Krieges auf Chios Station machte, beim Symposion einem schönen Knaben, der den Weinschenk machte, vermittels einer strategischen List einen Kuß raubte. Und Platon, gewiß ein strenger Mann in betreff der Moral, erklärt noch in hohem Alter in jener herrlichen Elegie auf den Tod seines Freundes Dion (Diog. Laert. 2.58 = AnthGr 7.99) unverhohlen, wie sehr ihn einstmals der Eros zu Dion um den Verstand gebracht habe: ὦ ἐ µ ὸ ν ἐ κµήνας θυµ ὸ ν ἔ ρωτι ∆ίων. Platons Dialoge legen denn auch vollends Zeugnis davon ab, welch bedeutende Rolle die Knabenliebe damals in der athenischen Gesellschaft spielte: Nachgerade jeder erwachsene Mann ist hier gegen irgendeinen Knaben oder Jüngling erotisch entbrannt, namentlich auch immer wieder Sokrates, der jedoch — ironischerweise — im besonders bestrickenden Fall des Alkibiades die Rolle des Liebhabers verweigert. Mag an alledem so viel fiktional sein wie auch immer: Platon hätte solche Szenarien nicht fingiert und nicht fingieren können, wenn nicht die Knabenliebe ein selbstverständlicher und legitimer Aspekt des gesellschaftlichen Lebens gewesen wäre. Hiernach ist es kein Tadel und noch weniger üble Nachrede, sondern vielmehr ein hohes Lob, wenn es im Platonischen Parmenides (p. 127 b) heißt, der Eleate Zenon sei der «Liebling» (̟αιδικά) des Parmenides gewesen. So und nicht anders ist auch die Aussage Ions zu verstehen, derzufolge der junge Sokrates ein Liebling des älteren Archelaos gewesen sei. Selbst wenn Aristoxenos diese Aussage Ions nur wiederholte, konnte er sie für seine detraktatorischen Zwecke nicht verwenden; noch viel weniger indes wäre diesen Zwecken gedient gewesen, wenn er den Sachverhalt auf eigene Hand erfunden hätte. Nun beschränkt sich Aristoxenos nicht darauf, zu konstatieren, daß zwischen Sokrates und Archelaos eine erotische Beziehung stattgehabt habe, sondern weiß auch noch mit chronologischem Detail aufzuwarten. Dieses Detail aber verleiht der Sokrates-Archelaos-Geschichte jenen biographischen Hautgout, wie ihn Aristoxenos brauchte und liebte. Kein Zweifel hiernach, daß Aristoxenos jenes Detail erfunden hat, um die ganz unanstößige Geschichte, die er bei Ion vorfand, nach seiner Weise ad malam partem zu verändern. Aristoxenos erzählte, daß Sokrates, als sich Archelaos ihm erotisch näherte, «um die siebzehn Jahre» (̟ερ ὶ τ ὰ ἑ ̟τακαίδεκα ἔ τη) alt gewesen 8. Sokrates und Archelaos 198 sei. Diese Altersangabe, die auf den ersten Blick historisch durchaus glaubwürdig wirkt und glaubwürdig wirken soll, hat es, wenn man genauer hinsieht, in sich. Mit siebzehn Jahren nämlich steht der Jüngling kurz vor Erreichung des Mannesalters, welches dadurch gekennzeichnet ist, daß der Bartwuchs voll entwickelt ist. Von diesem Zeitpunkt an aber war die erotische Beziehung zu einem Manne tabu: Ein erotisches Verhältnis zwischen zwei erwachsenen Männern, die beide Polisbürger waren, war nicht mehr durch das Institut der Knabenliebe gedeckt, sondern galt als ein homosexuelles Verhältnis im modernen Sinne des Wortes. Mann-männliche Homosexualität aber war den Griechen ein Greuel und gesellschaftlich ebenso verpönt, wie die Knabenliebe statthaft, ja erwünscht war. Es liegt nun in der natura rerum, daß der Zeitpunkt für das Erreichen des Mannesalters nicht exakt bestimmbar war. Es ist aber gewiß kein Zufall, daß der Epigrammatiker Straton aus Sardes (RE [A 2] 4.1, 276-278 [Nr. 12]), ein Fachmann auf dem Gebiete der Knabenliebe, in einem Epigramm (AnthGr 12.4,5 sq.), in dem er die besonderen Reize beschreibt, die die Knaben in verschiedenem Alter je und je haben, mit zwölf Jahren beginnt und die obere Tabugrenze exakt bei siebzehn Jahren ansetzt: Einem Siebzehnjährigen nachzustellen, sagt er, Kallimachos (fr. 1.20 Pfeiffer) parodierend, sei seine Sache nicht mehr; das sei Sache des Zeus: [...] ἑ βδόµατον δέ κα ὶ δέκατον ζητε ῖ ς ο ὐ κ ἐ µόν, ἀ λλ ὰ ∆ιός. Wenn Aristoxenos also erklärt, Archelaos habe sich Sokrates erotisch genähert, als er siebzehn Jahre alt gewesen sei, so drängt sich zum mindesten der Verdacht auf, daß das erotische Verhältnis der beiden von Anfang an nicht so sehr im Zeichen der Knabenliebe als vielmehr im Zeichen mann-männlicher Homosexualität gestanden habe — ein Verdacht, den Aristoxenos denn auch mit Fleiß schürt, insofern er hinzusetzt, Sokrates sei damals «schon» ( ἤ δη) siebzehn Jahre alt gewesen und «zahlreiche Jahre» ( ἔ τη συχνά) bei Archelaos geblieben. Durch diese beiden Zusatzbemerkungen, durch die zweite noch mehr als durch die erste, gewinnt, was die bloße Altersangabe andeutungsweise insinuiert hatte, das Ansehen einer Tatsache: daß nämlich zwischen Sokrates nicht die gesellschaftlich unanstößige Knabenliebe, sondern die schwer verpönte mann-männliche Homosexualität gewaltet habe. Wenn nicht alles täuscht, so hat Aristoxenos es erreicht, durch Hinzufügung einiger harmlos aussehender chronologischer Details das ganz und gar Unanstößige, ja Lobende, was bei Ion zu lesen stand, als fragwürdig und anstößig erscheinen zu lassen — ein ebenso raffinierter wie abstoßender Kunstgriff, der Aristoxenos noch einmal und einmal mehr als großen Verleumder zeigt, dem die Philosophiegeschichtsschreibung zu mißtrauen allen Grund hat. 8. Sokrates und Archelaos 199 Man wüßte gerne, was der Grund für den im eigentlichen Sinne diabolischen Haß gewesen ist, mit dem Aristoxenos ja nicht nur Sokrates, sondern auch Platon verfolgt hat. Voreingenommenheit zugunsten der Pythagoreer allein kann schwerlich die einzige Ursache so tiefgreifenden Widerwillens gewesen sein. In jedem Falle hat die Philosophiegeschichtsschreibung allen Grund, die Sokrateswie auch die Platonbiographie des Aristoxenos mit äußerster Skepsis zu betrachten. 7. Resümee Gesetzt, daß die kritische Analyse der Texte das Richtige getroffen hat, so läßt sich der Befund dahingehend resümieren, daß Ion aus Chios in seinen Memoiren erzählte, daß zwischen dem älteren athenischen Naturphilosophen Archelaos und dem jungen Sokrates ein erotisch-pädagogisches Verhältnis im Sinne der Knabenliebe gewaltet habe und daß das in diesem Sinne verbundene Paar in den späteren fünfziger Jahren des Jahrhunderts gemeinsam eine Reise nach Samos unternommen habe. Soviel darf als historisch verbürgt gelten. Mehr nicht. So wissen wir nicht, was Anlaß, Sinn und Zweck der Samos-Reise gewesen ist. Falls Ion darüber gesprochen hat — was wahrscheinlich ist —, so ist davon nicht die geringste Kunde auf uns gekommen, und da sich auch keine plausible Vermutung anbietet, so bleibt kein anderer Ausweg, als das Faktum als Faktum zu konstatieren. Angesichts der wenigen gesicherten Fakten über Sokrates und namentlich über den jungen Sokrates ist selbst dieses Wenige nicht wenig. Schwerer wiegt, daß wir auch nicht wissen, was Sokrates der Beziehung zu Archelaos geistig verdankt hat. Ion hat hierüber offenbar geschwiegen; denn anders ist nicht zu erklären, daß Theophrast und Aristoxenos hierüber ganz verschieden urteilen: Theophrast dahingehend, daß Sokrates durch die Philosophie des Archelaos mit dem Problem der Ethik konfrontiert worden sei, das er dann in den Mittelpunkt seines eigenen Philosophierens gestellt habe; Aristoxenos dahingehend, daß Sokrates durch die Konfrontation mit der Philosophie des Archelaos zu einer philosophischen Lebensführung gefunden habe, die ihn in den Stand setzte, die chaotische Unordnung seiner Jugendjahre zu überwinden und zu einem ethisch verantworteten Leben zu finden. Diese Hypothesen zu wiederholen oder gar neue aufzustellen verschlägt nichts, wie verlockend der Anlaß auch sein mag: Die geistige, geschweige denn die seelische Biographie des jungen Sokrates läßt sich aus dem Wenigen, was wir sicher wissen, kritisch nicht rekonstruieren; sie bleibt ein Geheimnis, das zu lüften der Philosophiegeschichtsschreibung nicht vergönnt ist. 8. Sokrates und Archelaos 200 8. Nachlese Abschließend ist noch Nachlese zu halten, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zunächst ist eine Grammatiker-Information näher zu betrachten, derzufolge nicht nur Archelaos, sondern auch Anaxagoras Lehrer des Sokrates gewesen sei; sodann ist das Referat eines offenbar fiktionalen Textes in Augenschein zu nehmen, in dem erzählt wurde, daß nicht Archelaos, sondern Kriton dem jungen Sokrates entscheidende Förderung habe zukommen lassen. Die Suda (s.u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2) notiert, «daß Sokrates in philosophicis Schüler des Anaxagoras, sodann des Damon und schließlich des Archelaos gewesen sei» ([...] φιλοσοφήσας δι ὰ τ ὸ ἀ κο ῦ σαι Ἀ ναξαγόρου το ῦ Κλαζοµενίου, ε ἶ τα ∆άµωνος, ε ἶ τα Ἀ ρχελάου). Wie diese Information zu beurteilen ist, lehrt eine Notiz in der Sokratesbiographie des Diogenes Laertius (2.19 = SSR I D 1 [19]), die, anders als das Exzerpt der Suda, das sich ihr verdankt, auch Quellenautoren und historisches Detail anführt: Sokrates sei «einigen zufolge» (κατά τινας) Schüler des Anaxagoras gewesen — aber auch des Damon, «wie Alexander in seinen Sukzessionen vermelde» ( ὡ ς Ἀ λέξανδρος ἐ ν ∆ιαδοχα ῖ ς) —, um nach der Verurteilung des Anaxagoras Schüler des Archelaos zu werden. Diogenes hat hier, wie er es gerne tut, eine Hauptquelle, die er leider nicht namhaft macht, durch eine Nebenquelle, für die er Alexander Polyhistor (FGrHist 273 F 86) anführt, ergänzt, um so mit einem Minimum an Textaufwand ein Maximum an Information weitergeben zu können. Die Suda bzw. ihre Quelle hat diesen kondensierten Text beim Exzerpieren noch weiter kondensiert, so daß nun zwei eigenständige Informationen unterschiedlicher Herkunft irreführenderweise das Ansehen eines einheitlichen Testimoniums erlangen. Jene ungenannten Gewährsmänner, auf die sich Diogenes in der Hauptsache beruft, lassen sich namentlich nicht mehr identifizieren, aber man geht schwerlich fehl, wenn man sie im Kreise der Alexandrinischen Grammatik vermutet. Unschwer vermuten läßt sich auch, weshalb jene Grammatiker darauf verfielen, Sokrates mit Anaxagoras und Archelaos gleich zwei Lehrer zuzuschreiben. Daß Anaxagoras Lehrer des Sokrates gewesen sei, ließ sich aus jener autobiographischen Passage des Platonischen Phaidon (p. 97 b-98 b) herauslesen, in der Sokrates von der großen Hoffnung redet, die er in die Lehre des Anaxagoras gesetzt habe. Daß diese Hoffnung sogleich enttäuscht wird und Sokrates sich daher von Anaxagoras abwendet, um auf eigene Hand seine «zweite Fahrt» zu unternehmen, stand der biographischen Erfindung nicht im Wege: Daß Sokrates überhaupt Interesse für Anaxagoras bekundet hatte, genügte vollauf, Anaxagoras als Lehrer des 8. Sokrates und Archelaos 201 Sokrates erscheinen zu lassen. Ganz ähnlich hat die beifällige Erwähnung Damons in der Platonischen Politeia (3 p. 400 bc & 4 p. 424 c) der hellenistischen Biographie hinreichenden Anlaß gegeben, auch Damon zum Lehrer des Sokrates zu erklären. Auch diese Erfindung, die wir erst für Alexander Polyhistor namhaft machen können, gehört in den Umkreis der frühen hellenistischen Biographie, dem auch jene Anonymi zuzuordnen sind, die Anaxagoras zum Lehrer des Sokrates erklärten — gesetzt, daß sie diese biographische Erfindung nicht etwa schon vorfanden und ihrerseits nur Sorge dafür trugen, diese vorgefundene Erfindung mit abweichender Überlieferung in Einklang zu bringen. Denn die Erfindung, daß Anaxagoras Lehrer des Sokrates gewesen sei, stand in Widerspruch zu der von Aristoxenos in die Biographie und von Theophrast in die Doxographie eingeführten Annahme, daß Archelaos als Lehrer des Sokrates zu gelten habe. Den Alexandrinischen Grammatikern ist dieser Widerspruch nicht entgangen, aber sie wußten Abhilfe zu schaffen, insofern sie das Nebeneinander zweier Sokrates-Lehrer in ein Nacheinander verwandelten, dergestalt, daß sie den Anaxagoras-Prozeß heranzogen, um plausibel zu machen, daß Sokrates zunächst Schüler des Anaxagoras gewesen sei, um sodann, nachdem Anaxagoras verurteilt und aus Athen vertrieben worden sei, sich Archelaos zuzuwenden. Wie sich eine solche Annahme mit der nicht nur durch Aristoxenos, sondern vor allem auch durch Ion aus Chios verbürgten Tatsache in Einklang bringen läßt, daß Sokrates, als er des Archelaos Bekanntschaft machte, noch sehr jung gewesen sei, muß man gar nicht fragen, wenn anders man nicht irrigerweise als historisches Dokument ansehen will, was in Wahrheit nichts anderes ist als ein grammatisches Konstrukt, das zwei Überlieferungsvarianten kompatibel zu machen versucht, deren eine — Sokrates' Schülerschaft bei Anaxagoras — eine offenbare biographische Erfindung ist, die in dem Text, dem sie sich verdankt, keinerlei Anhalt findet. Dergleichen Erfindungen aufgrund von Erfindungen geben einen Einblick in die wenig skrupulöse Art und Weise, mit der die hellenistische Biographie sich ihre Informationen zu verschaffen pflegt, um ein Wissen vorzutäuschen anstatt ihr Nichtwissen zu bekennen; die Philosophiegeschichtsschreibung ihrerseits tut gut, dergleichen Erfindungen kritisch aufzudecken, um sie alsdann ad acta legen zu können. Tut sie das nicht, geht sie unfehlbar in die Irre. Ganz anders als Ion, Theophrast und Aristoxenos äußert sich Demetrios aus Byzanz (RE 4, 2841 f.) über Sokrates' Jugend. Demetrios, ein Peripatetiker, der zur Zeit der späten Republik lebte, verfaßte ein Werk mit dem Titel Περ ὶ ̟οιηµάτων, in dem auch von Pythagoras (ap. Athen. 10 p. 452 d) und Gorgias (ap. Athen. 12 p. 548 d) die Rede war. Aus ebendiesem Werke dürfte denn auch herrühren, was Diogenes Laertius (2.20 = SSR VI A 7) referiert: daß Kriton Sokrates aus der Werkstatt herausgeholt und erzogen habe, «weil er nach dem Liebreiz seiner Seele Verlangen getragen habe» (τ ῆ ς κατ ὰ ψυχ ὴ ν χάριτος ἐ ρασθέντα). 8. Sokrates und Archelaos 202 Selbstredend hat Demetrios diese Geschichte nicht erfunden, sondern vorgefunden. Die Quelle war, wenn nicht alles täuscht, der Dialog Κρίτων des Sokratikers Eukleides (SSR II A 10). Wenn dem so war, so kann die Erzählung, als Teil eines fiktionalen Werkes, keine historische Glaubwürdigkeit beanspruchen. In der Tat scheint die Kriton-Geschichte auch nichts anderes gewesen zu sein als eine Konkurrenzerfindung zur Archelaos-Geschichte, wie sie bei Ion aus Chios zu lesen stand: Kriton, der unverbrüchliche Freund und Altersgenosse des Sokrates, übernimmt gewissermaßen den Part des Archelaos, mit der Folge, daß das Verhältnis zwischen Sokrates und Kriton, anders als das Verhältnis zwischen Sokrates und Archelaos, nicht mehr im Horizont der Knabenliebe erscheint (welche zwischen Gleichaltrigen auch gar nicht statthaft gewesen wäre), sondern sich vielmehr allein seelischer Bewunderung verdankt und dazu führt, daß der junge Sokrates nicht in der väterlichen Werkstatt ein Handwerker-Leben verbringen muß, sondern eine Erziehung erhält, wie sie ihm ohne die freundschaftliche Hilfe Kritons, die eine finanzielle Unterstützung mit einschließt, nicht verstattet gewesen wäre. So wird, was bei Ion zu lesen stand, in zweifacher Hinsicht entschärft und aufgehoben: Der junge Sokrates wird nicht mehr mit der Knabenliebe konfrontiert, sondern erlangt die Möglichkeit zur Bildung allein durch seine seelischen Vorzüge; zugleich steht diese Bildung nicht mehr im Horizont der Naturphilosophie, sondern verbleibt im Allgemeinen, so daß sich der junge Sokrates ganz auf eigene Hand so entwickeln kann, wie es Demetrios im Anschluß an die Kriton-Geschichte erzählte: Nachdem Sokrates erkannt habe, daß uns die Betrachtung der Natur nichts angehe, habe er ethisch philosophiert bei den Werkstätten der Handwerker und auf der Agora . . . Gesetzt, diese Rekonstruktion geht nicht in die Irre, so erhalten wir ein weiteres starkes Beispiel dafür, in welchem Ausmaß der Sokratische Dialog der Erfindung Raum gewährte und dabei apologetische Tendenzen verfolgte. Eine apologetische Erfindung aber ist die Kriton-Geschichte allemal, auch wenn sie eine weniger würdige Herkunft haben sollte als einen Sokratischen Dialog des Eukleides. Daß wir wenigstens in diesem Punkte mit Zuversicht und Sicherheit urteilen können, verdanken wir den Memoiren des Ion aus Chios, die historisch außer Zweifel stellen, daß der junge Sokrates in einem erotisch-pädagogischen Verhältnis zu dem älteren athenischen Naturphilosophen Archelaos gestanden hat. 9. Sokrates als Soldat Geschichtlichkeit und Fiktion in der Sokratesüberlieferung ∗ Für Werner Suerbaum zum 65. Geburtstag in Freundschaft und Dankbarkeit 1. Die Kriegszüge des Sokrates in der antiken Überlieferung Drei verschiedene Kriegsschauplätze sind es, an denen sich Sokrates, antiker Überlieferung zufolge, als Soldat bewährt haben soll: Potidaia, dessen Belagerung, beginnend im Sommer 432, einer der Hauptanlässe für den Ausbruch des Peloponnesischen Krieges gewesen ist; das Delion, in dessen Nähe das athenische Landheer im Winter 424 eine vernichtende Niederlage gegen die Böoter erlitt; schließlich Amphipolis, vor dessen Mauern im Sommer 422 die beiden Hauptkriegsbefürworter Kleon und Brasidas den Tod fanden und so den Weg frei machten für den sogenannten Faulen Frieden des Nikias, der den Archidamischen Krieg beendete. Die historische Darstellung dieser drei Kriegsereignisse verdanken wir Thukydides. Der allerdings verliert über Sokrates kein Wort. Der Pergamenische Grammatiker Herodikos aus Babylon (fr. 1 p. 18 sq. Düring = SSR I C 39) war der Meinung, das Schweigen des Thukydides beweise, daß die Überlieferung über Sokrates' Kriegstaten unhistorisch sei. Aber nichts ist unzutreffender als dieser Schluß e silentio. Die σεµνότης der Thukydideischen Historiographie verbietet es nachgerade, die Taten eines einzelnen athenischen Soldaten zu erwähnen — und hieße er selbst Sokrates. Merkwürdiger als das Schweigen des Thukydides ist das der Komödie, die Sokrates ja vor allem während des Archidamischen Krieges verspottet hat. Gleichwohl ist von seinen militärischen Aktivitäten nirgends die Rede. Aber auch von Xanthippe und vom Daimonion ist ja in der Komödie nirgends die Rede — zwei Themen, die zu komischem Spott nicht weniger, sondern mehr Anreiz geboten hätten als Sokrates' Kriegstaten. Da die Historiographie schweigt und die Komödie auch, ist die früheste und schließlich auch einzige Quelle, die von Sokrates' Kriegstaten spricht, die Sokratik. ∗ Erstveröffentlichung in: Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens [Verlag W. de Gruyter. Berlin/ New York] 54 (1999) 1-35. 9. Sokrates als Soldat 204 Auch hier ist ein merkwürdiger Befund zu konstatieren. Der Sokratiker Xenophon, selbst ein großer Militär und daher eifrig bemüht, Sokrates die eigenen strategischen und namentlich kavalleristischen Kenntnisse zu imputieren (Mem. 3.1-4), verliert über dessen persönliche Kriegstaten kein Wort, wiewohl er sogar an einer Stelle (Mem. 3.5,2) die Schlacht beim Delion expressis uerbis erwähnt — ein starkes Beispiel dafür, in welchem Maße er die Gestalt des Sokrates enthistorisiert, um sie desto besser idealisieren zu können. Anders als Xenophon weiß Platon, der die konkrete Person des Sokrates niemals aus dem Auge verliert, Erhebliches über Sokrates' Militärdienst zu erzählen, und Platons Erzählungen, die als communis opinio in die antiken und die modernen Handbücher der Philosophiegeschichte Eingang gefunden haben, muß man zugrunde legen, wenn man über Sokrates als Soldaten sprechen will. Diese communis opinio allerdings bedarf der Korrektur durch die außerplatonische Überlieferung, die sich ihrerseits, mittelbar oder unmittelbar, ebenfalls sokratischen Quellen verdankt. Erst der kritische Überblick über die gesamte Tradition erlaubt womöglich ein Urteil über die Historizität dessen, was die Sokratiker in dem von ihnen neugeschaffenen literarischen genus des λόγος Σωκρατικός von Sokrates' Kriegstaten zu erzählen wußten. Der Platonische Sokrates erinnert sich in der Apologie (p. 28 e) der Feldzüge, an denen er teilgenommen hat: Unrecht wäre es gewesen, erklärt er den Richtern, wenn er vor Potidaia, vor Amphipolis und beim Delion unter Lebensgefahr die Stellung gehalten hätte, wie die Befehlshaber befahlen, dem Befehl des Gottes jedoch, philosophierend und menschenprüfend zu leben, aus Angst vor dem Tode nicht nachkommen würde. Wie man sieht, nennt Platon die Kriegsereignisse nicht in zeitlicher Reihenfolge; das war auch unnötig, denn die Leser waren über die chronologischen Verhältnisse ohnedies informiert, und chronologischer Pedantismus ist Platons Sache nicht. Mit geringerem Recht als Platon gestalten auch spätere Autoren die Aufzählung der drei Kriegsereignisse nach eigenem Gutdünken: Herodikos (fr. 1 p. 18 sq. Düring = SSR I C 39) zitiert zwar Platon, befolgt dann aber die Reihenfolge Amphipolis, Potidaia, Delion, für die sich auch die Suda (s.u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2) entscheidet; Älian (Var. hist. 3.17 = SSR I C 103) und Älius Aristides (Or. 46 De IV uiris 262 sq. = SSR I C 41) bieten die Anordnung Delion, Amphipolis, Potidaia; Diogenes Laertius (2.22 = SSR I D 1 [22] ) schließlich wählt die Abfolge Amphipolis, Delion, Potidaia. Bei solcher Inkonstanz der antiken Tradition ist der moderne Interpret frei, die Reihenfolge der Ereignisse nach eigenem Gutdünken zu bestimmen, und es wird die Chronologie sein, der er folgt, auch wenn ihr kein antiker Gewährsmann gefolgt ist. 9. Sokrates als Soldat 205 2. Potidaia Platon äußert sich zweimal ausführlich über Sokrates' Teilnahme an den Kriegsereignissen um Potidaia, einmal im Charmides und einmal im Symposion. Da das Symposion Ereignisse beschreibt, die zeitlich früher liegen als jene, von denen im Charmides die Rede ist, ist es rätlich, auch hier der Chronologie zu folgen und die Schilderung des Symposions jener des Charmides voranzustellen, auch wenn das Symposion notorisch später verfaßt wurde als der Charmides. Am Ende des Platonischen Symposions hält Alkibiades eine enkomiastische Rede auf Sokrates (p. 215 a-222 a); wiederum am Ende dieser Rede kommt er auf Sokrates' Verhalten im Kriege zu sprechen, genauer: auf das Verhalten, das dieser vor Potidaia und beim Delion an den Tag gelegt hat (p. 219 e-221c). Was nun die Ereignisse vor Potidaia betrifft (p. 219 e-220 de), so hat Alkibiades diesen Feldzug gemeinsam mit Sokrates unternommen und war im Felde sein Tischgenosse (p. 219 e). Aufgrund so enger Kameradschaft weiß er Bemerkenswertes zu berichten sowohl über Sokrates' Verhalten während der Belagerung (p. 219 e-220 d) als auch während der Schlacht (p. 220 de). Das Verhalten während der Belagerung schildert er zunächst im allgemeinen (p. 219 e-220 c) und erzählt sodann ein besonders eindrucksvolles Einzelereignis (p. 220 cd). Sokrates' Verhalten im allgemeinen zeichnet sich dadurch aus, daß er die Strapazen des Krieges besser bewältigte als alle anderen (p. 219 e). Hierfür führt Alkibiades zwei Beispiele an: Wenn die Soldaten einmal abgeschnitten wurden, wie dies im Kriege vorkommt, so ertrug Sokrates den Hunger weitaus leichter als die anderen (p. 219 e). Und zweitens: Im Ertragen der Winterkälte leistete Sokrates Erstaunliches; er trug seine übliche Kleidung und ging barfuß leichter über das Eis als die anderen, die Schuhe angezogen hatten (p. 220 ab). Zwischen jene beiden Beispiele schiebt Alkibiades die Bemerkung, daß Sokrates auch, wenn gefeiert wurde, als einziger richtig genießen konnte; namentlich wenn er zum Trinken genötigt wurde, besiegte er, wiewohl dem Trunke eigentlich abhold, alle anderen, ohne daß jemand ihn jemals betrunken gesehen hätte (p. 220 a). Soweit das allgemeine Verhalten des Sokrates während der Belagerung, dessen Schilderung Alkibiades mit der Formel κα ὶ τα ῦ τα µ ὲ ν δ ὴ τα ῦ τα abschließt (p. 220 c), um mit der Erzählung einer merkwürdigen Einzelbegebenheit fortzufahren, die sich damals zutrug: Sokrates hatte einen Gedanken gefaßt und stand vom Morgen an nachsinnend auf derselben Stelle, und da die Denkarbeit nicht voranging, ließ er nicht nach, sondern blieb suchend stehen; gegen Mittag wird die Sache publik; abends schließlich tragen einige Ionier ihre Schlafdecken heraus, um zu 9. Sokrates als Soldat 206 beobachten, ob Sokrates auch die Nacht über stehen bleiben werde; tatsächlich bleibt er unbewegt stehen, bis es Morgen wird; darauf verrichtet er sein Gebet an den Sonnengott und geht davon (p. 220 cd). Es folgt die Schilderung von Sokrates' Verhalten im Kampfe, die Alkibiades durch die Bemerkung ε ἰ δ ὲ βούλεσθε κα ὶ ἐ ν µάχαις (p. 220 d) eigens ankündigt und wiederum durch zwei Beispiele illustriert, deren erstes dem Kampf vor Potidaia gilt, während das zweite der Schlacht beim Delion gewidmet ist (p. 220 d-221 c). Über den Kampf vor Potidaia nun erzählt Alkibiades folgendes: Sokrates habe ihn in jenem Kampfe, als er verwundet wurde, samt seinen Waffen gerettet; er — Alkibiades — habe damals dafür plädiert, daß Sokrates die «Kampfauszeichnungen» (τ ἀ ριστε ῖ α) erhalten solle; als aber die Strategen in Rücksicht auf seinen politischen Einfluß geneigt gewesen seien, ihn selbst vorzuziehen, da habe sich Sokrates noch eifriger dafür verwandt als die Strategen, daß er — Alkibiades — den Preis erhalte (p. 220 de). Wie das Symposion von den Ereignisssen erzählt, die während der Belagerung Potidaias vorgefallen sind, so erzählt der Charmides (p. 153 a-c) von der Rückkehr aus Potidaia und den Ereignissen kurz davor. Erzähler ist diesmal der Platonische Sokrates: Am Abend zuvor sei er aus Potidaia vom Heerlager zurückgekommen und habe nun, nach langer Zeit, die gewohnte Tätigkeit an den gewohnten Plätzen wiederaufgenommen. In der Palaistra des Taureas angekommen, sei Chairephon aus der Mitte der Bekannten aufgesprungen, habe seine Hand gefaßt und gefragt, wie er aus dem Kampfe davongekommen sei. Es hatte nämlich kurz vor der Abfahrt vor Potidaia ein Kampf stattgefunden, von dem soeben die Kunde nach Athen gedrungen war. Sokrates antwortet, er sei so davongekommen, wie man sehe. Worauf Chairephon bemerkt, es sei nach Athen gemeldet worden, der Kampf sei sehr heftig gewesen und viele namhafte Männer seien gefallen. Ob Sokrates dabeigewesen sei? Sokrates bejaht und erzählt den Anwesenden die Ereignisse aus dem Heerlager, wonach ihn jeder fragte; jeder aber fragt nach etwas anderem. Soweit die Schilderung Platons über Sokrates' Teilnahme am Feldzug gegen Potidaia — der Grund- und Haupttext der Überlieferung. Die Überlieferung weiß jedoch auch noch von einem anderen, konkurrierenden Text, der auf den Sokratiker Antisthenes zurückgeht. Herodikos notiert in seiner antisokratischen Streitschrift Πρ ὸ ς τ ὸ ν Φιλοσωκράτην (fr. 1 p. 19 Düring = SSR I C 39), daß Antisthenes in betreff des Kampfpreises dasselbe erzähle wie Platon: Ἀ ντισθένης δ ᾽ ὁ Σωκρατικ ὸ ς ̟ερ ὶ τ ῶ ν ἀ ριστείων τ ὰ α ὐ τ ὰ τ ῶ ι Πλάτωνι ἱ στορε ῖ . Was Platon sagt, referiert Herodikos wenig später folgendermaßen: ὁ δ ὲ Πλάτωνος Σωκράτης ε ἰ ς Ποτίδαιαν λέγει ̟αρε ῖ ναι κα ὶ τ ῶ ν ἀ ριστείων Ἀ λκιβιάδηι ̟αρακεχωρηκέναι. 9. Sokrates als Soldat 207 Faßt man beide Aussagen zusammen, so liegt der Schluß nahe, daß auch Antisthenes erzählt hat, Sokrates habe Alkibiades vor Potidaia den Kampfpreis überlassen (Gigon 1947, 155). Doch ist hier Vorsicht geboten. Derselbe Herodikos referiert an genannter Stelle nicht nur Platon, sondern zitiert auch wörtlich die einschlägige Stelle des Antisthenes (SSR V A 200), dem er sein Wissen verdankt — das Bruchstück eines Gesprächs zwischen Sokrates und einem Fremden: — ἡ µε ῖ ς δ ὲ ἀ κούοµεν κ ἀ ν τ ῆ ι ̟ρ ὸ ς Βοιωτο ὺ ς µάχηι τ ὰ ἀ ριστε ῖ ά σε λαβε ῖ ν. — ε ὐ φήµει, ὦ ξένε, Ἀ λκιβιάδου τ ὸ γέρας, ο ὐ κ ἐ µόν. — σο ῦ γε δόντος, ὡ ς ἡ µε ῖ ς ἀ κούοµεν. Diesem kostbaren Fragment (von dem später noch ausführlicher die Rede sein soll) läßt sich zunächst zweifelsfrei entnehmen, daß Antisthenes die Geschichte von der Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades im Zusammenhang mit der Schlacht beim Delion erzählt hat, die umschreibend als «Schlacht gegen die Böoter» bezeichnet wird. Wenn es weiter heißt, Sokrates habe «auch» (κ ἀ ν) in der Schlacht gegen die Böoter einen Kampfpreis erhalten, so liegt darin ferner, daß Antisthenes voraussetzt, Sokrates habe schon einmal einen Kampfpreis erhalten, und zwar an einem anderen Orte als beim Delion. Dieser Ort aber kann nur Potidaia gewesen sein, wo Platon die Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades stattfinden läßt. Aber wenn Antisthenes voraussetzt, daß Sokrates zweimal einen Kampfpreis erhalten habe, vor Potidaia und beim Delion, so folgt daraus nicht, daß er auch vorausgesetzt hat, daß Sokrates diese Kampfpreise zweimal Alkibiades überlassen habe. Der Text des Antisthenes beweist vielmehr das Gegenteil. Denn allein das Faktum der Verleihung eines Kampfpreises wird durch das Adverbiale κ ἀ ν τ ῆ ι ̟ρ ὸ ς Βοιωτο ὺ ς µάχηι als schon einmal geschehen bezeichnet, nicht aber die folgende Schilderung der Begleitumstände: Indem diese Begleitumstände im Gespräch durchaus als etwas Neues erzählt werden, ist es nachgerade ausgeschlossen, daß Antisthenes die Geschichte von der Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades als schon einmal an anderem Orte als beim Delion geschehen vorausgesetzt oder gar erzählt haben kann. Und doch hat Herodikos recht, wenn er behauptet, Antisthenes erzähle «in Betreff der Kampfpreise» (̟ερ ὶ τ ῶ ν ἀ ριστείων) dasselbe wie Platon: Wie Platon, so erzählte auch Antisthenes, daß Sokrates vor Potidaia einen Kampfpreis erhalten habe; und wie Platon erzählte Antisthenes auch davon, daß Sokrates einen Kampfpreis Alkibiades überlassen habe. Anders als Platon läßt er aber diese Geschichte nicht in Potidaia, sondern beim Delion stattfinden, und so konnte Herodikos, der aus dem Schweigen des Thukydides auf die Unwahrheit beider Geschichten schloß, sehr wohl auch behaupten, daß Antisthenes der Platonischen Lügengeschichte noch eine andere hinzugefügt habe: ὁ γ ὰ ρ Ἀ ντισθένης κα ὶ ̟ροσε̟άγει τ ῆ ι ψευδολογίαι [...]. 9. Sokrates als Soldat 208 Lassen wir den Vorwurf der Lügenhaftigkeit zunächst auf sich beruhen und fragen statt dessen, was Antisthenes über Sokrates' Verhalten vor Potidaia erzählt hat, so läßt sich nicht leicht eine Antwort finden. Sicher ist, daß Antisthenes vorausgesetzt hat, daß Sokrates vor Potidaia einen Kampfpreis erhalten hat. Des weiteren darf als wahrscheinlich gelten, daß er auf dieses Faktum nicht nur mit der dürren Konjunktion καί hinwies, sondern dem Leser genauere Informationen gab, wie er es ja auch im Falle der Schlacht beim Delion getan hat. Was für Informationen das waren, bleibt indes ungewiß; gewiß ist allein, daß er nicht erzählte, daß Sokrates vor Potidaia seinen Kampfpreis Alkibiades überließ. Allerdings: Falls in der späteren anonymen Sokratestradition Informationen über Potidaia begegnen, die nicht auf Platon zurückgehen, so spricht viel dafür, daß diese Informationen auf Antisthenes zurückzuführen sind; denn daß außer Platon und Antisthenes noch ein dritter Sokratiker über das Thema «Sokrates vor Potidaia» geschrieben hätte, ist wenig glaublich, und wenn es der Fall wäre, so könnten wir es auch nicht erkennen. Der zeitlich nächstliegende Autor, der über das Thema «Sokrates vor Potidaia» spricht, ist der unbekannte Verfasser des dritten Sokratesbriefes (SSR I F 3): Μνήσων (corr. Hercher: Ἀ νήσων codd.) Ἀ µφι̟ολίτης ἐ ν Ποτιδαίαι µοι συνεστάθη. ο ὗ τος ν ῦ ν Ἀ θήναζε ἔ ρχεται ̟ρ ὸ ς τ ὸ ν δ ῆ µον, ἐ κ̟εσ ὼ ν ὑ ̟ ὸ τ ῶ ν ο ἴ κοι. τ ὰ γ ὰ ρ ἐ κε ῖ κεκίνηται µ ὲ ν ἤ δη, ο ὔ ̟ω δ ᾽ ἐ στι φανερά. ο ἶ µαι µέντοι ο ὐ ̟ολλο ῦ α ὐ τ ὰ δηλώσειν χρόνου. τούτωι συλλαβόµενος α ὐ τόν τε ἄ ξιον ὄ ντα ̟οιήσεις ε ὖ κα ὶ τ ὰ ς ̟όλεις ἀ µφοτέρας ὠ φελήσεις— τ ὴ ν µ ὲ ν τ ῶ ν Ἀ µφι̟ολιτ ῶ ν, ἵ να µ ὴ ἀ ̟οστ ᾶ σα ἀ νήκεστόν τι κινδυνεύσηι ̟αθε ῖ ν, τ ὴ ν δ ᾽ ἡ µετέραν, ὅ ̟ως µ ὴ κα ὶ ̟ερ ὶ ἐ κείνην ̟ράγµατα ἔ χοι, ὡ ς ν ῦ ν γε ̟ερ ὶ Ποτιδαίας µικρο ῦ δεοµένην (corr. Sykutris; δεοµένη ἢ codd.) ἀ ̟ειρηκέναι. Es ist ein Empfehlungsbrief, den Sokrates an einen ungenannten Adressaten aus Potidaia nach Athen sendet: Jener Ungenannte (über dessen Identität sich der Interpret ebenso wenig Gedanken machen sollte wie der Verfasser des Briefes) möge sich um den Amphipoliten Mneson kümmern, der, aus seiner Vaterstadt vertrieben, Hilfe beim athenischen Volke erbitte. Über das rein Persönliche hinaus sei die Sache auch von politischer Wichtigkeit: Amphipolis könne auf diese Weise womöglich vor dem Abfall bewahrt bleiben, so daß Athen nicht auch noch mit dieser Stadt ähnliche Schwierigkeiten bekäme «wie jetzt» ( ὡ ς ν ῦ ν γε) mit Potidaia. Die Absicht dieses fiktiven Elaborates liegt auf der Hand: Sokrates soll als Staatsmann gezeigt werden, der selbst im Felde durch seine persönlichen Verbindungen dafür Sorge trägt, daß die athenische Polis keinen Schaden erleidet. Um seinen Zweck zu erreichen, hat sich der Verfasser nicht gescheut, Sokrates vor Potidaia warnend auf jene politischen Entwicklungen hinweisen zu lassen, die zehn Jahre später in Amphipolis tatsächlich eintraten — ein Gebrauch des uaticinium ex euentu, wie er für fiktionale Literatur dieses genre kennzeichnend ist. 9. Sokrates als Soldat 209 Daß das ganze Konstrukt eine unhistorische Erfindung ist, unterliegt keinem Zweifel. Nicht so sicher ist, daß auch alle Einzelheiten Erfindung sind (Sykutris 1933, 27). Es ist durchaus nicht auszuschließen, daß von einem Zusammentreffen zwischen Sokrates und Mneson vor Potidaia bereits in altsokratischer Literatur die Rede gewesen ist. Daß der Verfasser des Sokratesbriefes ein solch konkretes Detail vorgefunden und seinen erzählerischen Zwecken dienstbar gemacht hat, ist sogar wahrscheinlicher, als daß er die Geschichte in toto frei erfunden hat: Pure Erfindung ist in pseudepigraphischer Literatur selten, und namentlich die teilweise sehr erlesenen Eigennamen, die in den Sokratikerbriefen begegnen, verdanken sich in aller Regel nicht eigener Erfindung, sondern gehen schließlich auf ältere sokratische Quellen zurück (Sykutris 1933, 115 f.). War dies auch hier der Fall, so war es höchstwahrscheinlich Antisthenes, der von einem Zusammentreffen des (anderweitig unbekannten) Mneson mit Sokrates vor Potidaia erzählte. Woraus dann weiter folgen würde, daß Antisthenes das Thema «Sokrates vor Potidaia» in der Tat nicht stillschweigend vorausgesetzt, sondern erzählerisch auch ausgestaltet hätte. Als nächster Autor ist Plutarch zu zitieren, der in seiner Alkibiadesbiographie (7.3-5 = SSR I C 38 ) über das Thema «Sokrates vor Potidaia» folgendes erzählt: ἔ τι δ ὲ µειράκιον ὢ ν ἐ στρατεύσατο (sc. Alcibiades) τ ὴ ν ε ἰ ς Ποτίδαιαν στρατείαν, κα ὶ Σωκράτη σύσκηνον ε ἶ χε κα ὶ ̟αραστάτην ἐ ν το ῖ ς ἀ γ ῶ σιν. ἰ σχυρ ᾶ ς δ ὲ γενοµένης µάχης ἠ ρίστευσαν µ ὲ ν ἀ µφότεροι, το ῦ δ ᾽ Ἀ λκιβιάδου τραύµατι ̟ερι̟εσόντος ὁ Σωκράτης ̟ροέστη κα ὶ ἤ µυνε κα ὶ µάλιστα δ ὴ ̟ροδήλως ἔ σωσεν α ὐ τ ὸ ν µετ ὰ τ ῶ ν ὅ ̟λων. ἐ γίνετο µ ὲ ν ο ὖ ν τ ῶ ι δικαιοτάτωι λόγωι Σωκράτους τ ὸ ἀ ριστε ῖ ον— ἐ ̟ε ὶ δ ᾽ ο ἱ στρατηγο ὶ δι ὰ τ ὸ ἀ ξίωµα τ ῶ ι Ἀ λκιβιάδηι σ̟ουδάζοντες ἐ φαίνοντο ̟εριθε ῖ ναι τ ὴ ν δόξαν, ὁ Σωκράτης βουλόµενος α ὔ ξεσθαι τ ὸ φιλότιµον ἐ ν το ῖ ς καλο ῖ ς α ὐ το ῦ ̟ρ ῶ τος ἐ µαρτύρει κα ὶ ̟αρεκάλει στεφανο ῦ ν ἐ κε ῖ νον κα ὶ διδόναι τ ὴ ν ̟ανο̟λίαν. Vergleicht man die Erzählung Plutarchs mit jener Platons, so ist zu konstatieren, daß Plutarch die Geschichte als Geschichte konsequenter erzählt als Platon: daß Sokrates und Alkibiades beide im Kampfe als Kameraden Höchstleistungen vollbrachten; daß Alkibiades im Zuge dieser Kampfleistung verwundet und von Sokrates gerettet wurde; daß der Kampfpreis demnach gerechterweise Sokrates gebührt hätte, daß dieser jedoch, als die Strategen den jungen Adligen bevorzugen wollten, aus freien Stücken auf den Preis verzichtete, um im Guten den Ehrgeiz des Jünglings zu fördern — alle diese motivischen Details, die für das rechte Verständis der Geschichte von Bedeutung sind, erzählt allein Plutarch; Platon erzählt sie nicht, sondern spart sie aus, voraussetzend, daß der Leser sie sich von sich aus ergänzen wird. Die Differenzen zwischen Platon und Plutarch mehren sich noch, wenn man das Augenmerk vom Motivischen auf das Konkrete richtet. Auch hier erwähnt Plutarch ausdrücklich zwei Details, die Platon wiederum beim Leser als bekannt voraussetzt: daß Alkibiades während des 9. Sokrates als Soldat 210 Feldzuges nach Potidaia noch ein «ganz junger Mann» (µειράκιον) gewesen sei und daß der Kampfpreis in einem Kranz und in einer «vollständigen Waffenrüstung» (̟ανο̟λία) bestanden habe. Rechnet man das motivische und das konkrete Mehr, das Plutarch Platon voraushat, zusammen, so liegt der Schluß nahe, daß er nicht Platon, sondern eine andere, womöglich ebenfalls altsokratische Quelle herangezogen haben könnte. Wie denn Plutarch in derselben Alkibiadesbiographie (Vit. Alc. 1.3 = SSR V A 200) nachweislich Antisthenes als Gewährsmann konsultiert hat. Die Plausibilität dieses Schlusses verringert sich indessen, wenn man in Betracht zieht, daß Plutarch das konkrete Detail, das er Platon voraushat, nicht einem Sokratiker verdankt, sondern dem Redner Isokrates. Dieser nämlich erwähnt in seiner Rede Über das Gespann (Or. 16.29) exakt jene beiden Fakten, die bei Platon fehlen: τοιο ῦ τος ἦ ν (sc. Alcibiades) ἐ ν το ῖ ς κινδ ύ νοις (sc. quos in Thracia subiit), ὥ στε στεφανωθ ῆ ναι κα ὶ ̟ανο̟λ ί αν λαβε ῖ ν [...] ἐ κε ῖ νος το ί νυν τ ῶ ν µ ὲ ν ν έ ος ὢ ν ἔ τυχε [...]. Selbst wenn Plutarch in seiner Alkibiadesbiographie (12.3) ebendiese Rede nicht ausdrücklich zitierte, würde man nicht daran zweifeln, daß er auch die Angaben über Alkibiades' Jugend während des Feldzuges nach Potidaia und über die Art des Siegespreises — Kranz und Panhoplie — Isokrates verdankt. Will man also entscheiden, ob Plutarch bei seiner Erzählung über Sokrates vor Potidaia Platon oder eine andere sokratische Quelle im Blick gehabt hat, so ist man allein auf das motivische Mehr angewiesen, das Plutarch gegenüber Platon bietet. Die Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, wie man Plutarch als Schriftsteller beurteilt. Sieht man in ihm einen mehr oder weniger unselbständigen Kompilator fremder Meinungen und Quellen, so wird man einen fragmentarischen Sokratiker als Quelle vermuten (Dittmar 1912, 85: Antisthenes). Hält man ihn dagegen für einen Autor, der die vorgegebene Tradition eigenständig herangezogen hat, um ein Werk von literarischem Anspruch daraus zu formen, so ist wahrscheinlich, daß er Platon im Blick gehabt hat: Das motivische Mehr wäre dann nicht fremdes Gut, sondern Plutarchs geistiges Eigentum, das er sich aus Platons andeutender Erzählung so ergänzt hätte, wie jeder Leser Platons tun mußte, der die Geschichte verstehen wollte (Düring 1941, 42 f.). Die zweite Alternative ist ungleich wahrscheinlicher als die erste: Plutarch war alles andere als ein unselbständiger Kompilator fremder Meinungen; namentlich in den Parallelbiographien erweist er sich überall als ein Schriftsteller von Rang, der sich das überlieferte Material souverän aneignet, um es ausdeutend seinen eigenen literarischen und auch philosophischen Interessen dienstbar zu machen (Ziegler 1951, 895-914; Dihle 1956, 88-103; Stadter 1992; Scardigli 1995). Wen diese Argumentation nicht überzeugt, der blicke auf den unmittelbar folgenden Text der Alkibiadesbiographie (7.6 = SSR I C 38): Plu- 9. Sokrates als Soldat 211 tarch erzählt hier über Sokrates' Verhalten während der Schlacht beim Delion und folgt hier nachweislich Platonischer Tradition. Wie denn auch die Zusammenstellung der Ereignisse vor Potidaia und beim Delion — in dieser Reihenfolge — deutlich genug auf das Platonische Symposion als Vorbild hinweist. Nächst Plutarch verdient Aulus Gellius (Noct. Att. 2.1,1-3 = SSR I C 48) nähere Betrachtung: inter labores uoluntarios et exercitia corporis ad fortuitas patientiae uices firmandi id quoque accepimus Socratem facere insueuisse: stare solitus Socrates dicitur pertinaci statu perdius atque pernox a summa lucis ortu ad solem alterum inconiuens, immobilis, isdem in uestigiis et ore atque oculis eundem in locum directis cogitabundus tamquam quodam secessu mentis atque animi facto a corpore, quam rem cum Fauorinus de fortitudine eius uiri ut pleraque disserens attigisset, ̟ολλ ά κις inquit ἐ ξ ἡ λ ί ου ε ἰ ς ἥ λιον ε ἱ στ ή κει ἀ στραβ έ στερος τ ῶ ν ̟ρ έ µνων. Daß Gellius, was er hier über Sokrates berichtet, aus Favorin (fr. 65 Mensching) geschöpft hat, liegt auf der Hand (Barigazzi 1966, 525). Favorin seinerseits erzählte in einem seiner häufigen Exkurse über Sokrates' Tapferkeit, dieser habe die Angewohnheit gehabt, wenn er über etwas nachdachte, einen Tag und eine Nacht lang «unerschütterlicher als die (Eichen-)stämme» stehen zu bleiben. Der Kontext der Erzählung (de fortitudine) sowie die präzise Zeitbestimmung des erzählten Vorgangs ( ἐ ξ ἡ λ ί ου ε ἰ ς ἥ λιον bzw. perdius atque pernox a summa lucis ortu ad solem alterum orientem) lassen keinen Zweifel, daß Favorin (oder seine Quelle) hier auf jene Stelle des Symposion rekurriert, in der Platon Sokrates' Verhalten vor Potidaia schildert. Platon (Symp. p. 220 c) sagt dort allerdings nicht mehr, als daß Sokrates «irgendwann einmal» (̟οτέ) in eine so spektakuläre Trance gefallen sei; er sagt nicht, was Favorin bzw. Gellius behaupten: daß Sokrates dies «oftmals» (̟ολλ ά κις) oder gar «regelmäßig» (solitus est) widerfahren sei. Diesen Aspekt verdankt Favorin (oder seine Quelle) einer anderen Stelle des Platonischen Symposion (p. 175 b), an der Aristodemos erklärt, daß Sokrates die Angewohnheit habe, sich bisweilen zu separieren und, wo es sich gerade treffe, stehen zu bleiben: ἔ θος γάρ τι το ῦ τ ᾽ ἔ χει ̟ολλ ά κις (sc. Socrates) ἐ νίοτε ἀ ̟οστάς, ὅ ̟οι ἂ ν τύχηι, ἕ στηκεν. Hier spricht Platon in der Tat von einer «Gewohnheit» ( ἔ θος), fügt jedoch einschränkend hinzu, daß Sokrates dieser Gewohnheit nur «bisweilen» ( ἐ νίοτε) nachgegeben habe. Diese einschränkende Bemerkung mußte man nur mißverstehen oder mißverstehen wollen, wie dies Favorin (der das Adverbiale ἐ νίοτε durch ̟ολλ ά κις ersetzt) und Gellius (der das Adverbiale ganz wegläßt) getan haben, und aus einem Verhalten, das Sokrates bisweilen (also eher selten als immer) an den Tag legte, wurde eine ständige Gewohnheit. Aus diesem Mißverständnis ergab sich ein weiteres: Das spektakuläre Vorkommnis vor Potidaia wurde nicht mehr, wie von Platon intendiert, als extreme Singularität interpretiert, sondern als typisches Beispiel. In- 9. Sokrates als Soldat 212 dem aber das Singuläre zur Regel wird, fällt auch die lokale Fixierung dahin, die ihm ursprünglich eigen war: Weder Favorin noch Gellius erwähnen Potidaia im Zusammenhang mit Sokrates' spektakulärer Absenz. Damit ist der Weg frei für ein erneutes Mißverständnis: Libanios (Apol. Socr. 131 = SSR I E 1 [131]) läßt den spektakulären Regelfall statt vor Potidaia vor Amphipolis geschehen — eine irrtümliche Relokalisierung, von der noch die Rede sein wird. Aussagekräftiger als der Text des Gellius, der lediglich ein — allerdings besonders lehrreiches — Beispiel dafür liefert, wie die altsokratische Überlieferung durch die spätere biographische Tradition verfälscht werden kann, ist der Bericht, den Diogenes Laertius in seiner Sokratesbiographie (2.23 = SSR I D 1 [23]) über das Thema «Sokrates vor Potidaia» gibt: ἐ στρατε ύ σατο (sc. Socrates) δ ὲ κα ὶ ε ἰ ς Ποτ ί δαιαν δι ὰ θαλ ά ττης· ̟εζ ῆ ι γ ὰ ρ ο ὐ κ ἐ ν ῆ ν το ῦ ̟ολ έ µου κωλ ύ οντος. ὅ τε κα ὶ µε ῖ ναι νυκτ ὸ ς ὅ λης ἐ φ' ἑ ν ὸ ς σχ ή µατος α ὐ τ ό ν φασι, κα ὶ ἀ ριστε ύ σαντα α ὐ τ ό θι ̟αραχωρ ῆ σαι Ἀ λκιβι ά δηι το ῦ ἀ ριστε ί ου. Die Geschichte von der Trance des Sokrates und der Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades, die Diogenes, wie das gemeinsame uerbum regens φασίν anzeigt, ein und derselben Quelle verdankt, geht offenbar schließlich auf das Platonische Symposion zurück — auch wenn die gedankliche Absenz des Sokrates bei Diogenes nur eine Nacht dauert, während sie bei Platon einen Tag und eine Nacht währt. Anders steht es um die einleitende Bemerkung des Diogenes, daß Sokrates auf dem Seewege nach Potidaia gelangt sei, nicht auf dem Landwege, der infolge des Krieges versperrt gewesen sei. Diese Bemerkung, die auch durch oratio recta von dem nachfolgenden Referat abgehoben wird, geht zweifellos auf eine nichtplatonische Tradition zurück; denn Platon verliert nirgends ein Wort darüber, wie Sokrates nach Potidaia gelangt sei. Über die Entstehung dieser Überlieferung gibt es eine gelehrte Hypothese (von Wilamowitz-Moellendorff 1905, 146): Der pseudoplatonische Dialog Sisyphos versetze Sokrates ins thessalische Pharsalos; diese Information habe die Sokratesbiographie aufgegriffen und mit Sokrates' Feldzug nach Potidaia in Verbindung gebracht; diese biographische Kontamination sei dann wiederum von späterer Kritik als unhistorisch widerlegt worden. Anknüpfend hieran greift eine weitere Hypothese (Gigon 1947, 153) auf jene biographische Überlieferung zurück, derzufolge thessalische Fürsten Sokrates an ihre Höfe eingeladen hätten; um eine Verbindung mit einem dieser Fürsten herstellen zu können, habe ein Sokratiker Sokrates auf dem Landwege nach Potidaia gelangen lassen; dagegen habe ein weiterer Sokratiker polemisiert und Sokrates auf dem Seewege nach Potidaia geschickt, um so die Ablehnung der Einladung zu begründen und Sokrates vom Verdacht der Tyrannenfreundschaft zu befreien. 9. Sokrates als Soldat 213 Beide Hypothesen sind überaus kompliziert und wenig plausibel (Müller 1975, 445-50). Was den pseudoplatonischen Sisyphos betrifft, so ist als Ort des Gesprächs eher Athen als Pharsalos vorauszusetzen; nimmt man hinzu, daß als Zeit des Gesprächs das Ende des fünften Jahrhunderts anzusetzen ist, so wird es vollends unwahrscheinlich, daß sich die hellenistische Biographie eines so marginalen Textes bemächtigt haben könnte, um Sokrates wider die topographischen und chronologischen Plausibilitäten und Evidenzen auf dem Landwege über Thessalien nach Potidaia gelangen zu lassen. Was für die hellenistische Biographie gilt, gilt erst recht für die Sokratik. Die antike Tradition (Diog. Laert. 2.25 = SSR I D 1 [25]; Liban. Apol. Socr. 165 = SSR I E 1 [165]) weiß allein davon, daß Sokrates die Einladungen des Skopas aus Krannon (RE [A 2] 3.1, 567-569) und des Eurylochos aus Larissa abgelehnt habe. In der Tat kann man sich auch Sokrates als Gast am Hofe eines thessalischen Fürsten ebenso wenig vorstellen wie als Gast des Makedonenkönigs Archelaos, dessen Einladung er ebenfalls abgelehnt haben soll. Die Ablehnung solch ehrenvoller Einladungen, die zweifellos auf sokratische Literatur zurückgeht, begründet jedesmal die antimonarchische bzw. prodemokratische und besonders proathenische Gesinnung des Sokrates, die die Sokratiker allesamt herauszuheben nicht müde werden, auch und gerade wenn sie an den realen Zuständen der athenischen Politik Kritik üben. Kaum glaublich, daß ein Sokratiker anders entschied und Sokrates als Gast am Hofe eines thessalischen Magnaten auftreten ließ. Wie denn auch? Der Verfasser hätte ja der einen Enormität eine weitere folgen lassen müssen, insofern er massiv gegen die Chronologie verstoßen mußte, wenn er Sokrates auf dem Weg nach Potidaia bei einem thessalischen Fürsten einkehren ließ. Eine so spektakuläre Einladung durch einen auswärtigen Herrscher setzt ja voraus, daß es Sokrates bereits zu panhellenischer Berühmtheit gebracht hatte. Davon aber konnte in den späten dreißiger Jahren des fünften Jahrhunderts als der Feldzug gegen Potidaia begann, durchaus nicht die Rede sein; zu dieser Zeit nimmt nicht einmal die Attische Komödie von Sokrates Notiz. Der panhellenische Ruhm des Sokrates datiert vielmehr erst aus dem letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts, und die Einladung des Makedonenkönigs Archelaos, der zu ebendieser Zeit regierte, ist dafür der eindrucksvollste Beleg. Ungefähr um dieselbe Zeit wie Archelaos muß auch Skopas aus Krannon geherrscht haben; denn es wird glaubhaft berichtet, daß er mit dem jüngeren Kyros befreundet gewesen sei (Aelian. Var. hist. 12.1). Dementsprechend wird auch die Herrschaft des Eurylochos aus Larissa in jene Zeit zu datieren sein, als der Ruhm des Sokrates in Hellas so groß war, daß er das Interesse auswärtiger Potentaten erweckte. Dies alles recht erwogen, wird man von der Vorstellung Abschied nehmen müssen, daß Sokrates während des Feldzugs nach Potidaia bei einem thessalischen Fürsten zu Gast gewesen ist. 9. Sokrates als Soldat 214 In einem allerdings hat die zweite Hypothese zweifellos mehr Recht als die erste: daß die Aussage des Diogenes über den Weg des Sokrates nach Potidaia im Kern nicht auf die hellenistische Biographie zurückzuführen ist, sondern auf eine sokratische Quelle. Denn allein, wenn an prominenter Stelle davon die Rede gewesen ist, wie Sokrates nach Potidaia gelangte, wird verständlich, daß die hellenistische Biographie dieses vergleichsweise belanglose Faktum ad notam genommen hat. Was aber stand in jener sokratischen Quelle, die Diogenes referiert? Das ist nicht leicht zu beantworten. Denn Diogenes referiert ja zwei Aussagen: daß Sokrates zur See nach Potidaia gefahren sei und daß er nicht zu Lande gereist sei, weil der Krieg es verhinderte. Unmöglich ist es nicht, daß beide Aussagen in einer Quelle zu finden waren, dergestalt, daß die zweite Aussage die erste erläuternd begründete. Allein man sieht nicht ab, weshalb die antike Biographie ein so belangloses Detail überhaupt zur Kenntnis genommen und auch noch so ausführlich referiert haben soll. Das Referat des Diogenes ist, wie beide Hypothesen richtig gesehen haben, plausibel nur dann, wenn zwei verschiedene Quellen zitiert werden, die einander widersprachen: Erst durch die Widersprüchlichkeit der Überlieferung wird das an und für sich belanglose Thema, wie Sokrates nach Potidaia gelangt sei, für die antike Biographie interessant. Demnach ergeben sich zwei Alternativen: Entweder referiert Diogenes die unterschiedlichen Aussagen zweier Sokratiker, deren einer Sokrates auf dem Landwege nach Potidaia gelangen ließ, während der andere sich für den Seeweg entschied; oder aber ein Sokratiker schickte Sokrates auf dem Landwege nach Potidaia, und spätere grammatische Kritik bestritt diese Aussage mit dem Hinweis, daß wegen der Kriegsereignisse nur der Seeweg in Betracht gezogen werden könne. Was die erste Alternative betrifft, so ist nicht wohl daran zu denken, daß ein Sokratiker wegen eines so belanglosen Faktums offen gegen einen anderen polemisiert hätte, sondern es dürfte, wie so oft in sokratischer Literatur, Aussage neben Aussage gestanden haben, ohne daß ihre Widersprüchlichkeit polemische Absicht intendierte; die antike Biographie hätte diese beiden widersprüchlichen Aussagen dann ad notam genommen und sich für eine der beiden — jene, die den Seeweg empfahl — als die historisch glaubwürdigere entschieden. Indes sieht man nicht ab, weshalb sich die antike Sokratesbiographie, die doch, wie Diogenes Laertius lehrt, noch ganz andere Widersprüche in den Quellen nebeneinander gelten läßt, ausgerechnet diesem unwichtigen Detail so gründlich hätte widmen sollen, daß sie sogar zu einem historisch begründeten kritischen Urteil gefunden hätte. Alles recht erwogen, spricht viel dafür, daß die Notiz des Diogenes dahingehend zu deuten ist, daß ein Sokratiker berichtete, Sokrates sei auf dem Landwege nach Potidaia gelangt; dagegen polemisierte ein späterer Grammatiker, der in Rücksicht auf die historischen Gegebenheiten für 9. Sokrates als Soldat 215 den Seeweg plädierte. Will man Namen, so könnte dieser Grammatiker Herodikos gewesen sein; die Exzerpte seiner Streitschrift Πρ ὸ ς τ ὸ ν Φιλοσωκράτην lassen jedenfalls noch erkennen, daß er auch die Feldzüge des Sokrates historischer Kritik unterzog (fr. 1 p. 18 sq. Düring = SSR I C 39). Der Sokratiker dürfte Antisthenes gewesen sein, der einzige Sokratiker außer Platon, von dem wir wissen, daß er Sokrates' Teilnahme am Feldzug gegen Potidaia erwähnt hat. Soweit die kritische Sichtung der antiken Tradition. Sie hat zu Tage gefördert, daß das Thema «Sokrates vor Potidaia» von zwei Sokratikern an drei Stellen behandelt worden ist: Von Platon in den Dialogen Charmides und Symposion und von Antisthenes in einem Dialog, dessen Titel wir nicht kennen. Während wir Platons Darstellung vollständig überschauen, ist uns, was Antisthenes berichtet, nur bruchstückhaft bekannt. Sicher ist nur, daß er behauptete, Sokrates habe vor Potidaia einen Kampfpreis erhalten; wahrscheinlich sprach er in diesem Zusammenhang auch davon, daß Sokrates auf dem Landwege nach Potidaia gelangt sei, und erwähnte womöglich auch, daß er dort die Bekanntschaft des Mneson aus Amphipolis gemacht habe. Vergleicht man diese kargen Notizen mit der so viel ausführlicheren Darstellung Platons, so erscheint, was Antisthenes nicht gesagt hat, nachgerade bedeutender als das, was er gesagt hat oder gesagt haben mag: Er erzählte nicht, daß Sokrates vor Potidaia den Siegespreis an Alkibiades abgetreten habe, sondern ließ dieses Ereignis, das Platon vor Potidaia geschehen läßt, im Zusammenhang mit der Schlacht beim Delion stattfinden. Dieser eklatante Widerspruch zwischen Platon und Antisthenes in Betreff eines für die Sokratesbiographie so wichtigen Faktums gibt von dem souveränen Umgang der Sokratiker mit der Historie eine starke Probe und stellt die historische, wenn auch nicht die literarische Kritik vor unlösbare Probleme. 3. Das Delion Auch über Sokrates' Teilnahme an der Schlacht beim Delion äußert sich Platon, dem auch hier die communis opinio der Philosophiegeschichtsschreibung folgt, zweimal ausführlich: einmal im Laches und dann wieder im Symposion. In der Einleitung des Laches (p. 176 a-181 c) stellt der athenische Feldherr Laches den beiden betagten Aristokraten Lysimachos und Melesias Sokrates als einen vortrefflichen Mann vor: Nicht nur seinem Vater mache Sokrates Ehre, sondern auch der Polis; denn bei der Flucht vom Delion sei Sokrates zusammen mit ihm — Laches — zurückgegangen, und wenn die 9. Sokrates als Soldat 216 anderen sich so gehalten hätten wie er, dann stünde die Stadt noch aufrecht und hätte nicht einen so tiefen Fall getan (p. 181 b). Ausführlicher als der Platonische Laches erzählt der Platonische Alkibiades dieselbe Geschichte in jener enkomiastischen Rede auf Sokrates am Ende des Symposions (p. 215 a-222 a), von der bereits die Rede war: Sehenswert sei Sokrates auch gewesen, als das Heer sich auf der Flucht vom Delion zurückgezogen habe. Er selbst sei zu Pferde dabeigewesen, Sokrates als Hoplit. Sokrates und Laches hätten sich zurückgezogen, als sich die anderen bereits zerstreut hätten. Wie er dazugekommen sei, habe er beiden Mut zugesprochen: er werde sie nicht verlassen. Damals habe er Sokrates noch besser beobachten können als vor Potidaia, da er, weil zu Pferde, weniger Furcht gehabt habe: Zuvörderst sei Sokrates viel besonnener gewesen als Laches; sodann habe er sich auf dem Schlachtfeld nicht anders bewegt als in Athen, «stolz sich gebärdend und die Augen seitwärts werfend», wie der anwesende Aristophanes sage, ruhig umherblikkend nach Freund und Feind, so daß auch ganz aus der Ferne erkennbar gewesen sei, daß, wenn einer diesen Mann anfasse, er sich kräftig wehren werde. Deswegen auch seien er und Laches sicher davongekommen; denn in der Regel lasse man sich im Kriege mit Männern von solcher Verfassung nicht ein, sondern verfolge die, die kopfüber die Flucht ergreifen (p. 220 e-221 c). Auch zu diesem Text gibt es eine zeitgenössische Parallel- und Konkurrenzdarstellung, die wiederum auf den Sokratiker Antisthenes zurückgeht. Das einschlägige Zitat, das wir Herodikos (fr. 1 p. 19 Düring = SSR V A 200) verdanken, sei noch einmal wörtlich ausgeschrieben: — ἡ µε ῖ ς δ ὲ ἀ κούοµεν κ ἀ ν τ ῆ ι ̟ρ ὸ ς Βοιωτο ὺ ς µάχηι τ ὰ ἀ ριστε ῖ ά σε λαβε ῖ ν. — ε ὐ φήµει, ὦ ξένε, Ἀ λκιβιάδου τ ὸ γέρας, ο ὐ κ ἐ µόν. — σο ῦ γε δόντος, ὡ ς ἡ µε ῖ ς ἀ κούοµεν. Wir wissen nicht, aus welchem Werk des Antisthenes dieses Zitat stammt; auf den Archelaos (Hirzel 1895, 125 Anm.) oder auf den Alkibiades (Dittmar 1912, 88 f.) zu raten, führt nicht weiter. Sicher ist hingegen wenigstens so viel, daß es aus einem Sokratischen Dialog herrührt, der in dramatischer Erzählform gehalten war, wie sie auch PIaton bevorzugt. Das Gespräch findet statt zwischen Sokrates und einem Fremden ( ὦ ξένε). Die Identität dieses Fremden läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wenn Sokrates diesen ignotus als Fremdling bezeichnet, so muß das Gespräch in Athen stattgefunden haben. Der Fremde spricht von sich in der ersten Person Plural ( ἀ κούοµεν bis); er kann mit dieser Redeweise entweder seine Polisgemeinschaft im allgemeinen meinen, oder aber — und das ist wahrscheinlicher — er war nicht allein, sondern Teil einer Gruppe von Ausländern, die nach Athen gekommen waren und hier ein Gespräch mit Sokrates führten. Da der Fremde die Kunde von den Ereignissen während der Schlacht beim Delion im Präsens referiert ( ἀ κούοµεν bis), kann die fiktive Zeit des Gesprächs nicht sehr viel später gelegen haben als die 9. Sokrates als Soldat 217 Ereignisse selbst; der Dialog spielte mithin im letzten Drittel der zwanziger Jahre des fünften Jahrhunderts. Was der Fremde zu erzählen weiß, weiß er vom Hörensagen ( ἀ κούοµεν bis): Sokrates habe auch im Kampfe gegen die Böoter (κ ἀ ν τ ῆ ι ̟ρ ὸ ς Βοιωτο ὺ ς µάχηι) einen Kampfpreis erhalten. Daß diese Äußerung voraussetzt, daß Sokrates auch vor Potidaia einen Kampfpreis erhalten habe, wurde bereits gesagt. Und auch davon war bereits die Rede, daß die folgende Bemerkung des Sokrates, der Kampfpreis sei nicht ihm, sondern Alkibiades zugesprochen worden, sowie die abschließende Erwiderung des Fremden, er sei eine Gabe des Sokrates gewesen, sich auch nicht auf die Ereignisse vor Potidaia beziehen können, sondern, da als Novitäten in die Rede eingeführt, allein der Schlacht beim Delion gelten können. So daß Antisthenes die Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades, die Platon vor Potidaia geschehen läßt, für die Schlacht beim Delion in Anspruch nimmt. Wenn dem so ist, so muß der Antisthenische Sokrates, um sich des Kampfpreises als würdig zu erweisen, im Kampfe eine herausragende Großtat vollbracht haben; aber auch der Antisthenische Alkibiades muß sich tapfer gehalten haben, wenn anders die Überlassung des Kampfpreises an ihn mehr sein sollte als eine bloße Farce. Beide Voraussetzungen zusammengenommen, spricht alles dafür, daß Anthisthenes im Rahmen der Schlacht beim Delion auch erzählte, was Platon als vor Potidaia geschehen erzählt: daß Sokrates den verwundeten Alkibiades aus der Schlacht rettete. Wenn nicht alles täuscht, so hat dieses Motiv, freilich larviert, in der Überlieferung noch Spuren hinterlassen; wovon später die Rede sein wird. Jenes Motiv allerdings, das Sokrates bewog, den Preis Alkibiades zu zedieren, dürfte von Antisthenes anders dargestellt worden sein als von Platon; denn wenn er sagt, Sokrates habe Alkibiades den Kampfpreis «gegeben» (δόντος), so bezeugt diese Formulierung, daß der Antisthenische Sokrates mehr Anteil an der Tat hatte als der Platonische, der ja nur bestätigt, was die Strategen aus politischer Rücksicht auf den jungen Aristokraten ohnehin beschließen wollten. Es bleibt zu fragen, ob diese erstaunliche und historisch höchst beunruhigende Geschichte, derzufolge beim Delion geschehen sein soll, was Platon als vor Potidaia geschehen erzählt, in der späteren Überlieferung Spuren hinterlassen hat. Zunächst ist hier noch einmal Herodikos (fr. 1 p. 18 Düring = SSR I C 39) anzuführen, der aus Platon referiert, daß Sokrates drei Feldzüge mitgemacht habe: nach Potidaia, nach Amphipolis und gegen das Delion. Und weiter heißt es: µηδεν ὸ ς δ ὲ τα ῦ θ´ ἱ στορηκ ό τος α ὐ τ ὸ ς (sc. Plato) κα ὶ ἀ ριστε ί ων φησ ὶ ν α ὐ τ ὸ ν (sc. Socratem) τετυχηκ έ ναι ̟ ά ντων Ἀ θηνα ί ων φυγ ό ντων, ̟ολλ ῶ ν δ ὲ κα ὶ ἀ ̟ολοµ έ νων. 9. Sokrates als Soldat 218 Wie dies? Platon hat niemals behauptet, daß Sokrates während der Schlacht beim Delion einen Kampfpreis erhalten habe. Herodikos kann aber auch nicht, was Platon von Potidaia erzählt, irrtümlich auf das Delion übertragen haben, da er an genannter Stelle wenig später und dann noch einmal am Ende (fr. 1 p. 19 Düring = SSR I C 39) seiner Ausführungen richtig notiert, daß der Platonische Sokrates Alkibiades den Kampfpreis vor Potidaia überlassen habe. Demnach konfundiert Herodikos an der obengenannten Stelle nicht zwei Platonische Erzählungen, sondern Platon und Antisthenes, der, wie er selbst durch Zitat belegt, Sokrates den Kampfpreis beim Delion gewinnen ließ. So bezeugt die Konfusion des Herodikos noch einmal jene erzählerische Version der Geschichte, die Antisthenes erzählte. Des weiteren erzählt Lukian (Ver. hist. 2.23 = SSR I C 43) ), wie tapfer sich Sokrates gehalten habe, als die Unterweltsfrevler die Insel der Seligen angriffen: ἠ ρ ί στευσε δ ὲ κα ὶ Σωκρ ά της ἐ ̟ ὶ τ ῶ ι δεξι ῶ ι ταχθε ί ς, ̟ολ ὺ µ ᾶ λλον ἢ ὅ τε ζ ῶ ν ἐ ̟ ὶ ∆ηλ ί ωι ἐ µ ά χετο. ̟ροσι ό ντων γ ὰ ρ τεττ ά ρων ̟ολεµ ί ων ο ὐ κ ἔ φυγε κα ὶ τ ὸ ̟ρ ό σω̟ον ἄ τρε̟τος ἦ ν· ἐ φ ᾽ ο ἷ ς κα ὶ ὕ στερον ἐ ξηιρ έ θη α ὐ τ ῶ ι ἀ ριστε ῖ ον, καλ ό ς τε κα ὶ µ έ γας ̟αρ ά δεισος ἐ ν τ ῶ ι ̟ροαστε ί ωι, ἔ νθα κα ὶ συγκαλ ῶ ν το ὺ ς ἑ τα ί ρους διελ έ γετο, Νεκρακαδηµ ί αν τ ὸ ν τ ό ̟ον ̟ροσαγορε ύ σας. Daß Lukian hier auf Platon anspielt, liegt auf der Hand; denn Sokrates nennt den Park, den er als Kampfpreis für seine Tapferkeit erhalten hat, «Totenakademie» (Νεκρακαδηµ ί α) im Hinblick auf die Platonische Akademie, der er gewissermaßen eine Konkurrenzgründung im Jenseits gegenüberstellt. Zugleich aber spielt Lukian auch auf Antisthenes an: Den Kampfpreis, den Sokrates ihm zufolge nach der Schlacht beim Delion Alkibiades überließ, erhält er diesmal in eigener Person, und diesmal offenbar mit größerem Rechte, da keine Flucht stattfand, sondern ein Sieg errungen wurde. Soweit die literarischen Anspielungen im allgemeinen, denen Lukian — höchst raffiniert — noch zwei Details hinzufügt, die den Text, auf den sie anspielen, jeweils parodisch korrigieren. Wenn er erzählt, Sokrates habe «unbewegten Gesichtes» (τ ὸ ̟ρ ό σω̟ον ἄ τρε̟τος) dem Angriff von vier Feinden getrotzt, so liegt darin eine steigernde Korrektur des Platonischen Textes (Symp. p. 221 b), demzufolge Sokrates, «ruhig an Freund und an Feind entlangblickend» ( ἐ ρέµα ̟αρασκο̟ ῶ ν κα ὶ το ὺ ς φίλους κα ὶ το ὺ ς ̟ολεµίους), derart respekteinflößend gewirkt habe, daß kein Feind sich Hand an ihn zu legen getraute. Aber noch ein parodisches Detail ist im Text versteckt. Lukian erzählt, Sokrates habe «auf dem rechten Flügel» ( ἐ ̟ ὶ τ ῶ ι δεξι ῶ ι) gekämpft. Um den Hintersinn dieser Ortsangabe zu verstehen, muß man in Betracht ziehen, daß derselbe Lukian (De parasit. 43 = SSR I C 44) — wie sich zeigen wird, ebenfalls in parodischer Absicht — erzählt, Sokrates sei auf der Flucht vom Delion «vom Parnes her» ( ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς Πάρνηθος) nach Athen 9. Sokrates als Soldat 219 gekommen. Man muß nun nicht Thukydides (4.96,7) konsultieren, um zu erkennen, daß, wenn ein athenisches Heer in der Nähe des Delion Front gegen die Böoter machte, diejenigen, für die die Flucht in Richtung auf den Parnes am nächsten lag, auf dem linken Flügel gestanden haben müssen. Nur wenn dieses Detail in sokratischer Literatur expressis uerbis erwähnt wurde, gewinnt die Ortsangabe Lukians Sinn: Beim Delion stand Sokrates auf dem linken Flügel, jetzt steht er auf dem rechten, und da die linke Seite Unglück bringt, ergriff er damals die Flucht, auf der glückbringenden rechten Seite aber siegt er jetzt im Jenseitskampf. Wo aber stand jene Ortsbestimmung zu lesen, die Lukian parodierend in ihr Gegenteil verkehrt? Bei Platon steht sie nicht; also stand sie bei Antisthenes, auf den die Verleihung des Kampfpreises deutlich genug hinweist. Weniger hintergründig, aber auch weniger aussagekräftig als der Text Lukians sind die Äußerungen des Maximus Tyrius (Diss. 18.5 = SSR I E 6) und der Lukianscholien (Parasit. 41 p. 216 Rabe), daß Sokrates in der Schlacht beim Delion eine Aristie ( ἀ ριστεία bzw. ἀ ριστεύων) vollbracht habe. Gleichwohl steht außer Frage, daß diese Äußerungen eher auf Antisthenes zutreffen als auf Platon; denn während Platon Sokrates nur als einen besonders besonnenen und tapferen Soldaten schildert, weist Antisthenes durch die Erwähnung des ἀ ριστε ῖ ον expressis uerbis darauf hin, daß Sokrates in der Schlacht beim Delion eine Aristie gehabt hat. Dies erwogen, läßt sich der biographischen Tradition noch eine analoge Anspielung auf Antisthenes abgewinnen. Diogenes Laertius (3.8) referiert in seiner Platonbiographie aus Aristoxenos (2 fr. 61 Wehrli), daß Platon an drei Feldzügen teilgenommen habe: κα ὶ α ὐ τ ό ν (sc. Platonem) φησιν Ἀ ριστ ό ξενος τρ ὶ ς ἐ στρατε ῦ σθαι, ἅ ̟αξ µ ὲ ν ε ἰ ς Τ ά ναγραν, δε ύ τερον δ ὲ ε ἰ ς Κ ό ρινθον, τρ ί τον ἐ ̟ ὶ ∆ηλ ί ωι· ἔ νθα κα ὶ ἀ ριστε ῦ σαι. Dieses Aristoxenosexzerpt, demzufolge Platon in der Schlacht beim Delion eine Aristie vollbracht habe, wird von Diogenes offenbar korrupt überliefert: Die Dreizahl der Feldzüge und die Aristie während der Schlacht beim Delion sind ein fester Bestandteil nicht sowohl der Platon-, als vielmehr der Sokratesüberlieferung, der auch Diogenes (2.22 = SSR I D 1 [22]) folgt, wenn er in seiner Sokratesbiographie Amphipolis, das Delion und Potidaia als jene drei Orte aufzählt, an denen sich Sokrates militärisch ausgezeichnet habe. Diese Sokratestradition hat Diogenes in seiner Platonbiographie irrtümlich mit einer auf Aristoxenos zurückgehenden Platontradition konfundiert. Läßt man die Dreizahl der Feldzüge und die Aristie beim Delion, die zur Sokratestradition gehören, beiseite, so erhält man, was bei Aristoxenos stand: daß Platon zweimal in den Krieg gezogen ist, einmal nach Tanagra und einmal nach Korinth. Ebendiese beiden Feldzüge Platons aber bezeugt Älian (Var. hist. 7.14 = SSR I C 40), nachdem er zuvor von den drei Feldzügen des Sokrates gesprochen hat: Σωκρ ά της δ ὲ ἐ στρατε ύ σατο τρ ί ς, Πλ ά των δ ὲ κα ὶ α ὐ τ ὸ ς ε ἰ ς Τ ά ναγραν κα ὶ ε ἰ ς Κ ό ρινθον. Kein Zweifel: Älian bietet ein unkontaminiertes Exzerpt jenes 9. Sokrates als Soldat 220 Aristoxenostextes, den Diogenes kontaminiert überliefert (von Wilamowitz-Moellendorff 1919, 4). Während die vorgenannten Zeugnisse auf Antisthenes hindeuten, insofern sie von einer Aristie des Sokrates während der Schlacht beim Delion berichten, bemerkt Simplikios (Comm. in Epict. Enchir. 32 p. 314 Hadot = SSR I C 45) expressis uerbis, daß Sokrates in der Schlacht beim Delion den Kampfpreis erhalten habe: Σωκρ ά της ἐ ν τ ῆ ι ἐ ̟ ὶ ∆ηλίωι µάχηι τ ὰ ἀ ριστε ῖ α ἔ λαβε. Das ist nicht sowohl ein lapsus memoriae als vielmehr eine Reminiszenz aus Antisthenes, dem Simplikios auch verdanken dürfte, was er anschließend über den Kampfesmut des Sokrates zu berichten weiß: κα ὶ δι ὰ τ ῶ ν ̟ολεµίων ἀ ναχωρο ῦ ντι µόνωι — φασίν — ο ὐ δε ὶ ς ἐ τόλµησεν ἐ ̟ελθε ῖ ν ̟άντων το ῦ ἀ νδρ ὸ ς κατα̟λαγέντων τ ὸ φρόνηµα. Im Lichte dieser Überlegungen gewinnt schließlich auch eine Notiz des Philoponos (CAG 15 p. 573 = SSR I C 47) ein eigenes Ansehen: δι ὸ κα ὶ Σωκρ ά της ἐ ν τ ῆ ι ἐ ̟ ὶ ∆ηλίωι µάχηι νυχθήµερον στ ὰ ς ο ὐ κ ἤ ισθετο τ ῆ ς στάσεως δι ὰ τ ὸ ἐ ννοε ῖ ν τι. Diese Notiz läßt sich eher als lapsus memoriae interpretieren als die des Simplikios, weil nirgends sonst überliefert wird, daß Sokrates während des Feldzuges gegen das Delion in eine vierundzwanzigstündige Gedankentrance gefallen sei. Zieht man jedoch in Betracht, daß Antisthenes die Überlassung des Kampfpreises an Alkibiades, die Platon vor Potidaia geschehen läßt, im Zusammenhang mit der Schlacht beim Delion erzählt, so ist zum mindesten nicht ausgeschlossen, daß Antisthenes auch die spektakuläre Gedankentrance des Sokrates, die Platon ebenfalls nach Potidaia verlegt, ebenfalls im Zusammenhang mit den Ereignissen beim Delion hätte stattfinden lassen; Philoponos hätte in diesem Fall nicht irrtümlich Platon zitiert, sondern, wie Simplikios, eine konkurrierende Erzählung des Antisthenes referiert. Indes mahnt das Schweigen der Überlieferung in diesem Punkte zu Zurückhaltung. Wie unterschiedlich Platon und Antisthenes auch Sokrates' Verhalten während der Schlacht beim Delion geschildert haben, so stimmen sie doch darin überein, daß Sokrates sich damals durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet habe. Eine spätere, aber wohlbezeugte Tradition verfolgt demgegenüber eine andere Tendenz: Nicht die persönliche Tapferkeit des Sokrates bringt Rettung auf der Flucht, sondern das Daimonion. Diese Tradition, die ihrerseits fraglos auf eine altsokratische Quelle zurückgeht, liegt uns in drei verschiedenen Brechungen vor. Unser frühester Gewährsmann für diese Tradition ist Cicero. Er läßt im ersten Buche seiner Abhandlung De diuinatione seinen Bruder Quintus das Daimonion des Sokrates als «göttliche Vorausahnung» (praesagatio diuina) interpretieren (1.54,122-124): Als Beweis für die Richtigkeit dieser Interpretation werden zwei Beispiele angeführt (De diuin. 1.54,123 = SSR I C 408): Kriton habe sich am Auge verletzt, weil er nicht auf die Warnung 9. Sokrates als Soldat 221 des Daimonions gehört habe; umgekehrt habe das Daimonion Sokrates und den anderen in der Schlacht beim Delion das Leben gerettet, weil man ihm vertraut habe: [...] Socrates, cum ad Delium male pugnatum esset Lachete praetore fugeretque cum ipso Lachete, ut uentum est in triuium, eadem qua ceteri fugere noluit. quaerentibus cur non eadem uia pergeret deterreri se a deo dixit; cum quidem ii qui alia uia fugerant in hostium equitatum inciderunt. Diese Erzählung hat mit dem, was Antisthenes erzählte, gar nichts gemein; mit dem, was Platon erzählt, stimmt sie nur in der Grundsituation überein: Sokrates ist nach der Schlacht beim Delion zusammen mit Laches auf der Flucht, und beide werden gerettet. Alles andere ist anders. Nicht nur daß Cicero, anders als Platon, Laches als «Strategen» (praetor) bezeichnet; anders als bei Platon ist es auch nicht die besonnene Tapferkeit des Sokrates, die Rettung bringt, sondern das Daimonion, das an einer «Wegkreuzung» (triuium) einen anderen Weg einzuschlagen anrät, als die anderen einschlagen, die — wovon Platon ebenfalls nichts weiß — auf die feindliche Reiterei treffen und — so darf man ergänzen — getötet werden. Daß Cicero diese Geschichte nicht erfunden hat, würde man aus den Abweichungen gegenüber Platon und mehr noch aus dem konkreten Detail des Erzählten auch dann erschließen, wenn er selber es nicht ausdrücklich versicherte. Quintus nämlich fährt, nachdem er die beiden Beispiele für das Wirken des Sokratischen Daimonions erzählt hat, folgendermaßen fort: permulta conlecta sunt ab Antipatro quae mirabiliter a Socrate diuinata sunt; quae praetermittam. Deutlicher kann Cicero nicht ausdrücken, wem er die Beispiele über das Daimonion des Sokrates verdankt: Quelle ist der Stoiker Antipater aus Tarsos (SVF 3 p. 244-258), der Lehrer des Panaitios, der eine Schrift Περ ὶ µαντικ ῆ ς verfaßte, die Cicero bei der Abfassung von De diuinatione (1.3,6, 20, 39, 84; 2.15,35, 70, 144) mehrfach zu Rate gezogen hat. Antipater also gab offenbar in diesem Buche eine reichhaltige Anthologie (permulta conlecta) von Geschichten, durch die das erfolgreiche Wirken des Daimonions dokumentiert wurde. Daraus hat Cicero jene beiden Exempel, die er referiert, exzerpiert, und zwar so, daß die Kritongeschichte (die im übrigen nur hier erwähnt wird) den Schaden demonstriert, den man hatte, wenn man nicht auf das Daimonion hörte, die Geschichte von der Schlacht beim Delion dagegen den Nutzen, den man hatte, wenn man ihm folgte. Woher aber hatte Antipater seinerseits diesen Stoff? Aus den Dialogen der Sokratiker — es sei denn, es hätte bereits vor Antipater eine einschlägige Anthologie über das Sokratische Daimonion gegeben, die er zu Rate zog. Aber das ist höchst unwahrscheinlich, und selbst wenn er eine solche ältere Anthologie vor Augen gehabt hätte, so würde für sie dasselbe gelten, was für seine Anthologie gilt: daß der Stoff, der hier gesammelt vorgelegt wurde, sich schließlich allein den Dialogen der Sokratiker ver- 9. Sokrates als Soldat 222 dankt. Nirgends anders nämlich als dort war so oft und so ausführlich vom Daimonion des Sokrates die Rede, daß daraus eine Blütenlese herzustellen war, die ein überzeugendes Dokument abgeben konnte für die Existenz eines von den Göttern verliehenen Vorauswissens der Zukunft. Ciceros Erzählung über die Schlacht beim Delion repräsentiert also nichts Geringeres als ein Stück altsokratischer Literatur, eine eigenständige erzählerische Variante und Konkurrenzgeschichte zu Platon und Antisthenes, verfaßt von einem Zeitgenossen, der ebenfalls Sokratiker gewesen ist. Anders als bei Platon und Antisthenes, aber ähnlich wie bei Cicero wird die Geschichte von Sokrates in der Schlacht beim Delion im ersten Sokratesbrief erzählt. Sokrates — so fingiert der anonyme Verfasser, der vermutlich in die frühe Kaiserzeit zu datieren ist — schreibt an einen König, der ihn an seinen Hof eingeladen hat (gemeint ist wahrscheinlich Archelaos von Makedonien; cf. Arist. Rhet. 2 p. 1398 a 24 = SSR I B 13). Unter den Gründen für die Ablehnung firmiert auch das Daimonion, über dessen Wirken in der Schlacht beim Delion der fingierte Sokrates folgende Geschichte erzählt (Epist. Socr. 1.9 = SSR I F 1 [9]): ̟αρ ῆ ν γ ὰ ρ τότε (corr. Orelli; ̟οτε codd.) τ ῆ ι στρατείαι κα ὶ συνεµαχόµην ̟ανδηµε ὶ τ ῆ ς ̟όλεως ἐ ξεληληθυίας— ἐ ν δ ὲ τ ῆ ι φυγ ῆ ι ἅ µα ̟ολλο ὶ ὑ ̟α̟ήειµεν, κα ὶ ὡ ς ἐ ̟ ὶ διαβάσεώς τινος ἐ γενόµεθα, συνέβη µοι τ ὸ ε ἰ ωθ ὸ ς σηµε ῖ ον. ἐ νέστην ο ὖ ν κα ὶ ε ἶ ̟ον— ἄ νδρες, ο ὔ µοι δοκε ῖ ταύτην ̟ορεύεσθαι— τ ὸ γ ὰ ρ δαιµόνιόν µοι ἡ φων ὴ γέγονεν. ο ἱ µ ὲ ν ο ὖ ν ̟λείους ̟ρ ὸ ς ὀ ργ ὴ ν κα ὶ ὡ σ̟ερε ὶ ̟αίζοντος ἐ µο ῦ ο ὐ κ ἐ ν ἐ ̟ιτηδείωι καιρ ῶ ι ὁ ρµήσαντες ε ὐ θείαν ἐ βάδιζον— ὀ λίγοι δέ τινες ἐ ̟είσθησαν κα ὶ τ ὴ ν ἐ ναντίαν ἐ µο ὶ συνα̟ετρά̟οντο— ὄ ικαδε ̟ορευόµενοι διεσώθηµεν. το ὺ ς δ ᾽ ἄ λλους ἥ κων τις ἐ ξ α ὐ τ ῶ ν ̟άντας ἔ φη ἀ ̟ολωλέναι— ε ἰ ς γ ὰ ρ το ὺ ς ἱ ̟̟έας ἐ µ̟εσε ῖ ν τ ῶ ν ̟ολεµίων ἐ ̟ανιόντας ἐ ̟ ὶ τ ῆ ς διώξεως— ̟ρ ὸ ς ο ὓ ς τ ὸ µ ὲ ν ̟ρ ῶ τον µάχεσθαι, ὕ στερον δ ὲ ̟ερικλειοµένους ὑ ̟ ᾽ α ὐ τ ῶ ν ̟λειόνων ὄ ντων κα ὶ ἐ κκλίναντας κα ὶ ̟ερικαταλή̟τους γενοµένους ̟άντας ἀ ̟ολέσθαι. α ὐ τ ὸ ς δ ὲ ὁ τα ῦ τα ἀ ̟αγγέλλων τραυµατίας ἀ φ ῖ κτο µόνην τ ὴ ν ἀ σ̟ίδα σώιζων. Daß der anonyme Verfasser des Briefes diesselbe Geschichte im Auge hat wie Cicero, läßt sich nicht wohl bezweifeln; denn hier wie dort ist es nicht die persönliche Tapferkeit des Sokrates, die Rettung bringt, sondern das Daimonion, das den rettenden Fluchtweg weist. Kein Zweifel kann auch sein, daß der Briefschreiber nicht aus Cicero geschöpft haben kann, sondern entweder, wie jener, auf Antipater zurückgeht oder — und das ist wahrscheinlicher — auf jene altsokratische Quelle, aus der auch Antipater (oder seine Quelle) geschöpft hat. Jedenfalls ist die Erzählung des Briefes ausführlicher als die Ciceronische. Zwar fehlt im Brief, dem es ersichtlich darum zu tun ist, die Gestalt des Sokrates zu enthistorisieren und so zugleich zu idealisieren, der Name des Laches, den Cicero nennt. Aber daß die Athener «mit dem ganzen 9. Sokrates als Soldat 223 Heerbann» (̟ανδηµεί) ausgezogen sind; daß die Soldaten unwillig waren, als sie vom Rat des Daimonions erfuhren; daß sie geradeaus gingen, Sokrates aber und die wenigen, die ihm folgten, in die entgegengesetzte Richtung; daß ein Verwundeter, der sich als einziger mit bloßem Schilde nach Athen retten konnte, erzählt, wie jene, die einen anderen Weg eingeschlagen hatten als Sokrates, von der feindlichen Reiterei umzingelt und nach längerer Gegenwehr getötet wurden — dies alles steht nicht bei Cicero, sondern ausschließlich im Sokratesbrief. Nichts aber von dem, was der Brief mehr erzählt, steht im Widerspruch zu dem, was auch Cicero erzählt. Auch wo der Brief anders erzählt als Cicero, liegt kein Widerspruch vor: Wenn der Brief das Daimonion als «das gewohnte Zeichen» (τ ὸ ε ἰ ωθ ὸ ς σηµε ῖ ον) und als «Stimme» (φωνή) bezeichnet, Cicero als «Gottheit» (deus), so bedienen sich beide einer Nomenklatur, die den Sokratikern gemeinsam ist; und wenn der Ort, an dem das Daimonion sich vernehmen läßt, im Briefe als «Furt» (διάβασις) bezeichnet wird, von Cicero aber als «Wegkreuzung» (triuium), so lassen sich beide Aussagen dahingehend in Einklang bringen, daß sich der Weg an einer Furt mit einem anderen kreuzte — ein geographisch besonders hervorgehobener Ort, über dessen Lage sich die Interpretation Gedanken machen muß. Alles zusammengenommen kann kein Zweifel sein, daß der Sokratesbrief und Cicero gemeinsam, aber unabhängig voneinander zwei Varianten derselben Geschichte bieten, die man zur Rekonstruktion gleichberechtigt heranziehen darf. Zunächst aber ist noch von einer dritten Variante der Geschichte zu reden. Plutarch läßt in seinem Dialog Περ ὶ το ῦ Σωκράτους δαιµονίου (c.11) Polymnis, den Vater des Erzählers Kaphisias, zwei beispielhafte Geschichten erzählen, die den hohen Rang und die Glaubwürdigkeit des Daimonions demonstrieren sollen: So habe Sokrates einigen seiner Gefährten das Debakel des athenischen Flottenunternehmens gegen Sizilien vorhergesagt; und schon vorher habe sich das Daimonion in der Schlacht beim Delion als wirksamer Mahner erwiesen (De gen. Socr. 11 p. 581 de = SSR I C 411): κα ὶ ̟ρ ό τερον ἔ τι το ύ των Πυριλ ά µ̟ης ὁ Ἀ ντιφ ῶ ντος ἁ λο ὺ ς ἐ ν τ ῆ ι δι ώ ξει ̟ερ ὶ ∆ ή λιον ὑ φ ᾽ ἡ µ ῶ ν δορατ ί ωι τετρωµ έ νος, ὡ ς ἤ κουσε τ ῶ ν ἐ ̟ ὶ τ ὰ ς σ̟ονδ ὰ ς ἀ φικοµ έ νων Ἀ θ ή νηθεν, ὅ τι Σωκρ ά της µετ ᾽ Ἀ λκιβι ά δου κα ὶ Λ ά χητος (corr. Turnebus; µάχητος siue ̟άχητος codd.) ἐ ̟ ὶ Ῥ ηγ ί στης (locum corruptum esse perperam suspicati sunt edd. fere omnes) καταβ ὰ ς ἀ ̟ονενοστ ή κοι, ̟ολλ ὰ µ ὲ ν το ῦ τον ἀ νεκαλ έ σατο, ̟ολλ ὰ δ ὲ φ ί λους τιν ὰ ς κα ὶ λοχ ί τας ο ἷ ς συν έ βη µετ ᾽ α ὐ το ῦ ̟αρ ὰ τ ὴ ν Π ά ρνηθα φε ύ γουσιν ὑ ̟ ὸ τ ῶ ν ἡ µετ έ ρων ἱ ̟̟ έ ων (corr. Duebner; ἵ ̟̟ων codd.) ἀ ̟οθανε ῖ ν, ὡ ς το ῦ Σωκρ ά τους δαιµον ί ου ̟αρακο ύ σαντας ἑ τ έ ραν ὁ δ ὸ ν ο ὐ χ ἣ ν ἐ κε ῖ νος ἦ γε τρε̟οµ έ νους ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς µ ά χης. 9. Sokrates als Soldat 224 Es kann nicht der geringste Zweifel sein, daß Plutarch hier dieselbe Geschichte erzählt wie Cicero und der Sokratesbrief: Sokrates wird in der Schlacht beim Delion durch das Daimonion gerettet. Und wie Cicero und der Brief, so geht auch Plutarch eigenständig auf seine Quelle zurück, gleichviel, ob er, wie Cicero, auf Antipater rekurriert, oder ob er, wie es wahrscheinlich der Brief tut, unmittelbar auf jene altsokratische Quelle zurückgegriffen hat, die auch Antipater benutzt hat. Ersteres ist im übrigen wahrscheinlicher, da Plutarch, wie auch Cicero, noch vor der Erzählung der Rettung aus der Schlacht beim Delion eine andere Daimoniongeschichte erzählt, die auch im pseudoplatonischen Theages (p. 129 d) Spuren hinterlassen hat: daß Sokrates das Desaster der Sizilischen Expedition vorausgesagt habe (cf. Plut. Vit. Nic. 13.8 = SSR I C 410). Die Eigenständigkeit Plutarchs gegenüber Cicero und dem Sokratesbrief zeigt sich darin, daß er mehr erzählt als die beiden anderen. Vor allem sind hier die Namen der Beteiligten zu nennen, die der Brief ganz verschweigt, während Cicero immerhin Laches erwähnt; Plutarch aber nennt nicht nur diesen, sondern auch Alkibiades und Pyrilampes und fügt diesen Personennamen noch zwei topographische nomina propria hinzu, die ebenfalls bei Cicero und im Brief fehlen: das Parnesgebirge und Rhegiste. Dies alles fügt sich so bruchlos zu jenen Varianten der Geschichte, die Cicero und der Sokratesbrief bieten, daß man sogleich mit der Rekonstruktion der ursprünglichen Geschichte beginnen könnte — wenn nicht zwischen dem, was Plutarch und der Brief erzählen, in einem Punkte ein Widerspruch zu konstatieren wäre: Der Verwundete — Plutarch nennt ihn Pyrilampes —, der vom Schicksal jener Athener berichtet, die, weil sie dem Daimonion nicht folgten, der böotischen Reiterei in die Hände fielen und umkamen, befindet sich, wenn man der Version des Sokratesbriefes folgt, in Athen, wohin er sich als einziger nur mit seinem Schilde gerettet hat, bei Plutarch dagegen als Gefangener in Theben, wo er von den athenischen Friedensunterhändlern von der Rettung des Sokrates und seiner Gefährten Kunde erhält. Würde man diese beiden einander widersprechenden Versionen als eigenständige Varianten ansehen, so würde folgen, daß die Geschichte, wie Sokrates durch das Daimonion aus der Schlacht beim Delion gerettet wurde, bereits in altsokratischer Tradition zweimal erzählt worden wäre. Aber das ist um so unwahrscheinlicher, als die gesamte Geschichte und namentlich auch der Bericht des Verwundeten, abgesehen vom Ort, an dem er sich befindet, jeweils in völliger Übereinstimmung referiert wird. Der Ortswechsel signalisiert demnach schwerlich eine authentische Überlieferung, sondern er wurde von einem der beiden Gewährsmänner aus erzähltechnischen Gründen auf eigene Hand vorgenommen. Faßt man aber die verschiedenen Erzählsituationen näher ins Auge, so hatte der Verfasser des Sokratesbriefes keinen Grund, den Bericht des verwundeten 9. Sokrates als Soldat 225 Pyrilampes von Theben nach Athen zu verlegen, wenn die ursprüngliche Geschichte das Ereignis in Theben hätte geschehen lassen; wohl aber mußte Plutarch dieses Ereignis von Athen nach Theben verlegen, wenn er, wie er es tut, dem Vater des Kaphisias in Theben authentische Kunde über das Daimonion des Sokrates in den Mund legen wollte. Plutarch also hat die ursprüngliche Geschichte umgestaltet, um sie seinen erzählerischen Zwecken dienstbar zu machen; der Brief dagegen gibt die originale Version der Geschichte wieder, an die sich die Rekonstruktion halten muß. Zuvor ist jedoch noch von einer einschlägigen Anspielung auf jene Geschichte zu reden, die sich an versteckter Stelle bei Lukian findet. Lukian (De parasit. 43 = SSR I C 44) läßt den Parasiten Simon folgendermaßen über Sokrates' militärische Aktivitäten urteilen: µ ό νος δ ὲ τολµ ή σας ἐ ξελθε ῖ ν ε ἰ ς τ ὴ ν ἐ ν τ ῆ ι ̟όλει µ ά χην (ε ἰ ς τ ὴ ν ἐ ̟ ὶ ∆ηλ ί ωι µ ά χην Palmerius Gesner plerique edd.; ε ἰ ς τ ὴ ν ἐ ν τ ῆ ι Ποτιδαίαι µ ά χην Belinus Heindorf Nesselrath; ε ἰ ς τ ὴ ν Ἀ µφι̟όλεως µ ά χην; ε ἰ ς τ ὴ ν Ἀ µφί̟ολιν Guyet; ε ἰ ς τ ὴ ν ἐ ν τ ῆ ι Ἀ µφι̟όλει µ ά χην malim, sed nihil mutandum) ὁ σοφ ὸ ς α ὐ τ ῶ ν (sc. philosophorum) Σωκρ ά της φε ύ γων ἐ κε ῖ θεν ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς Π ά ρνηθος ( ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς Π ά ρνηθος del. Heindorf Hirschig Nesselrath) ε ἰ ς τ ὴ ν Ταυρ έ ου ̟αλα ί στραν κατ έ φυγεν. ̟ολ ὺ γ ὰ ρ α ὐ τ ῶ ι ἀ στει ό τερον ἐ δ ό κει µετ ὰ τ ῶ ν µειρακυλλ ί ων καθεζ ό µενον ὀ αρ ί ζειν κα ὶ σοφισµ ά τια ̟ροβ ά λλειν το ῖ ς ἐ ντυγχ ά νουσιν ἢ ἀ νδρ ὶ Σ̟αρτι ά τηι µ ά χεσθαι. Das Verständnis dieses Textes erschließt sich am ehesten, wenn man ihn gegen die Eingriffe der modernen Konjekturalkritik in Schutz nimmt. Diese geht davon aus, daß die überlieferte Ortsbestimmung ἐ ν τ ῆ ι ̟όλει da nichtssagend, als korrupt anzusehen sei und daher durch Präzisierung emendiert werden müsse; als Emendationsvorschläge werden drei Ortsbestimmungen vorgeschlagen: ἐ ̟ ὶ ∆ηλ ί ωι, ἐ ν τ ῆ ι Ποτιδαίαι und ἐ ν τ ῆ ι Ἀ µφι̟όλει. Die beiden erstgenannten Vorschläge sind nun keine Emendationen, sondern vielmehr Nachdichtungen des Textes, da sie jeder paläographischen Plausibilität ermangeln und auch den weiteren Kontext nicht gehörig in den Betracht ziehen: Wenn es im zweiten Satz heißt, Sokrates plaudere lieber mit den Knaben im Gymnasion, als mit einem Spartaner zu kämpfen, so muß doch im vorhergehenden Satz, der von Sokrates' Feigheit im Felde handelt, eine Schlacht erwähnt worden sein, in der ein Spartaner die Feinde führte. Dies aber war allein vor Amphipolis der Fall, wo der Spartaner Brasidas den Oberbefehl hatte. Sachlich haben also jene Recht, die den Städtenamen Amphipolis konjektural restituieren wollen. Auch ist diese Konjektur paläographisch plausibel; denn wenn der Text ursprünglich ΕΝΤΗΙΑΜΦΙΠΟΛΕΙ lautete, so brauchte ein historisch unkundiger Abschreiber nur das Präfix ἀ µφιals Präposition zu mißdeuten, und um den Sinn der Junktur war es geschehen; denn nichts lag nun näher, als die vermeintliche Präposition 9. Sokrates als Soldat 226 ἀ µφιals Dublette zu der unmittelbar vorausgehenden Präposition ἐ ν aufzufassen und wegzulassen. Gleichwohl ist auch ein solcher konjekturaler Eingriff verfehlt; denn auch er verkennt, daß der Witz der Passage darin besteht, daß auf alle Feldzüge, an denen Sokrates notorisch teilgenommen hat, verhüllt angespielt wird, in der Absicht, das, was einmal geschah, nämlich die Flucht des Sokrates aus der Schlacht, unterschwellig auch für jene beiden anderen Kriegsereignisse in Anspruch zu nehmen, bei denen von einer Flucht des Sokrates nicht die Rede war. Die Flucht selbst, die gleich zweimal erwähnt wird (φεύγων & κατέφυγε), spielt auf die Schlacht beim Delion an; das Ziel jener Flucht, das Gymnasion des Taureas, spielt als Platonreminiszenz (Charm. p. 153 a) auf Sokrates' Rückkehr aus Potidaia an; und wie es Lukian hier dem Witz und der Bildung des Lesers überläßt, die Anspielung selbst zu erkennen, so vertraut er auch darauf, daß der Leser es verstehen werde, wenn er Sokrates statt nach Amphi-polis nur in «die» Polis ausrücken läßt. Wer diese Anspielung nicht sogleich verstand, dem half der folgende Satz weiter, der durch die (wiederum verhüllte) Erwähnung des Brasidas als eines Spartaners ebenso auf Amphipolis hindeutet, wie die Erwähnung von Sokrates' Knabengesprächen noch einmal die Eingangsszene des Platonischen Charmides wiederholt. Sind diese Überlegungen richtig, so muß sich auch hinter jener Ortsbestimmung, die anzeigt, von wo aus die Flucht des Sokrates den Anfang genommen hat, eine literarische Reminiszenz verstecken. Daß Sokrates «vom Parnes her» ( ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς Π ά ρνηθος) geflohen sei, steht nun allerdings nicht bei Platon; es stand fraglos in jener Geschichte, in der — laut Plutarch — erzählt wurde, daß jene, die nicht auf das Daimonion hörten, «längs des Parnes» (̟αρ ὰ τ ὴ ν Π ά ρνηθα) geflohen seien. Wenn die moderne Kritik die Ortsbestimmung ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς Π ά ρνηθος als vermeintliche Dublette zum Adverb ἐ κε ῖ θεν aus dem überlieferten Text streicht, so streicht sie ein literarisches Signal, das für den gebildeten Leser ebenso deutlich auf die Schlacht beim Delion hinweist wie die Erwähnung des Gymnasions des Taureas auf die Schlacht vor Potidaia. Wie die Erwähnung dieses Gymnasions Platon zitiert, so die Erwähnung des Parnesgebirges jenen Sokratiker, der erzählte, daß Sokrates auf der Flucht vom Delion durch das Daimonion gerettet worden sei. Wenn Lukian auf diese Geschichte durch ein kurzes literarisches Signal ebenso selbstverständlich hinweisen konnte wie auf den Platonischen Charmides, so muß die Schrift, in der diese Geschichte erzählt wurde, ebenso bekannt gewesen sein, und der Autor, der sie verfaßte, muß ebenso bekannt gewesen sein wie Platon. Es handelte sich demnach um einen bekannten Dialog eines namhaften Sokratikers. Bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Geschichte kommt man am besten weg, wenn man die Fassung des ersten Sokratesbriefes als die ausführlichste Darstellung zugrunde legt und suo loco jeweils einfügt, 9. Sokrates als Soldat 227 was Cicero und Plutarch darüber hinaus jeweils Neues hinzufügen; auch Lukian ist an einer Stelle ergänzend heranzuziehen. Hiernach ergibt sich folgendes Szenario: Sokrates nimmt teil an dem Feldzug gegen das Delion, für den die Athener den ganzen Heerbann aufgeboten haben; er nimmt teil auch an der folgenden Schlacht, die unter dem Kommando des Laches (Cic.) einen unglücklichen Ausgang nimmt. Auf der Flucht zieht sich eine größere Anzahl von Soldaten gemeinsam allmählich zurück und gelangt zu einer Furt, an der die Wege sich kreuzen (Cic.). Hier widerfährt Sokrates das gewohnte Zeichen. Er bleibt stehen und rät den Männern, nicht wie bisher weiterzumarschieren. Auf die Frage nach den Gründen antwortet Sokrates, er werde vom Gott abgehalten (Cic.): Das Daimonion, die Stimme, sei ihm zuteil geworden und rate ab. Die Mehrzahl der Soldaten, zornig darüber, daß Sokrates zur Unzeit scherze, geht den Weg geradeaus, der längs des Parnesgebirges führt (Plut.). Einige wenige, unter ihnen Laches (Cic., Plut.) und Alkibiades (Plut.), gehorchen dem Rat des Daimonions und gehen mit Sokrates den entgegengesetzten Weg in Richtung auf die Rhegiste (bzw. auf der Rhegiste) (Plut.). Während diese kleine Gruppe wohlbehalten vom Parnes her (Luc.) nach Hause gelangt, finden die anderen den Tod: Sie treffen auf die feindliche Reiterei, die im Zuge der Verfolgung zurückgekehrt ist, kämpfen zunächst gegen die Übermacht, werden dann aber zusammengedrückt und gehen allesamt zugrunde, außer Pyrilampes (Plut.), der sich, von einer Lanze (Plut.) verwundet, allein mit seinem Schilde nach Athen retten kann und dort vom Schicksal seiner Mitkämpfer erzählt (anders Plut., der Pyrilampes als Gefangenen nach Theben versetzt). Soweit der Inhalt der Geschichte, der sich aufgrund der günstigen Quellenlage mit einiger Sicherheit rekonstruieren läßt. Nicht ganz so zuversichtlich läßt sich über die Form urteilen. Zwar darf als sicher gelten, was bisher vorausgesetzt wurde: daß die Erzählung im Rahmen eines Sokratischen Dialoges erfolgte; wer indes in diesem Dialog als Erzähler auftrat, bleibt unsicher, auch wenn viel dafür spricht, daß es Sokrates selber gewesen ist, der von dem rettenden Eingreifen des Daimonions erzählte. Ob er in diesem Zusammenhang auch wiedererzählte, was Pyrilampes von dem desaströsen Schicksal jener erzählte, die dem Daimonion nicht gehorchten, muß vollends dahingestellt bleiben; ausgeschlossen jedenfalls ist es nicht, daß Pyrilampes, der Großonkel und Stiefvater Platons, dessen dieser (Charm. p.156 a; Gorg. p. 481 de; Parm. p. 126 b. - PoP p. 257-59) mehrfach gedenkt, in eigener Person auftrat und selber von dem schlimmen Los jener erzählte, die zusammen mit ihm geflohen waren. Gleichviel, in welcher Form der Inhalt der Geschichte im einzelnen erzählt wurde, sicher ist, daß als thematischer Mittelpunkt des Erzählten das erfolgreiche Wirken des Daimonions anzusehen ist; ja, man kann sagen, daß die Geschichte überhaupt nur erzählt wurde, um dem Leser das erfolgreiche Wirken des Daimonions ad oculos zu demonstrieren. 9. Sokrates als Soldat 228 Hierin unterscheidet sich der Autor von Platon und Xenophon, die beide das Daimonion nicht eigentlich im Rahmen einer großangelegten Erzählung vorführen, sondern eher nur en passant erwähnen. Daß andere Sokratiker in betreff des Daimonions anders verfuhren als Platon und Xenophon, lehrt nicht nur die vorliegende Geschichte, sondern auch der pseudoplatonische Theages (p. 128 d-130 e), der gleich einen ganzen Strauß von Geschichten über das Daimonion bietet, die so erlesenes Detail enthalten, daß sie der apokryphe Autor unmöglich erfunden haben kann; er verdankt sein Wissen vielmehr altsokratischen Quellen, die er für seine Zwecke ganz ähnlich exzerpiert, wie es später der Stoiker Antipater getan hat. Sowohl Antipater aber wie auch der anonyme Verfasser des Theages setzen voraus, daß es in altsokratischer Literatur zahlreiche Geschichten über das Wirken des Daimonions gegeben hat, von denen die hier näher betrachtete über das Wirken des Daimonions in der Schlacht beim Delion nur eine ist. Eine Analyse der gesamten einschlägigen Überlieferung — die vorzunehmen hier nicht der Ort ist — würde bedeutende Stücke altsokratischer Literatur zu Tage fördern, aus denen sich eine genauere Vorstellung über das Sokratische Daimonion gewinnen ließe, als die vergleichsweise kargen Hinweise bei Platon und Xenophon erlauben. Die Personen, an denen der Autor der Geschichte die Wirksamkeit des Daimonions demonstriert, erleiden ein unterschiedliches Schicksal, je nachdem, ob sie der göttlichen Stimme, die Sokrates zuteil wird, gehorchen oder nicht: Die Ungehorsamen, die die Mehrzahl der Flüchtenden bilden, fallen der böotischen Reiterei in die Hände und werden allesamt getötet — bis auf Pyrilampes, der sich allein nach Athen retten kann und dort von dem Unglück erzählt; die wenigen, die der Warnung des Daimonions folgen, von denen außer Sokrates noch der Stratege Laches und Alkibiades genannt werden, erreichen dagegen die Heimat unversehrt. Der Ort, an dem Sokrates die göttliche Stimme vernimmt, wird in der Überlieferung sowohl als διάβασις (Epist. Socr.) wie als triuium (Cic.) bezeichnet. Das erstgenannte Substantiv bezeichnet mit Vorliebe den Übergang über einen Fluß, sei es eine Furt oder auch eine Brücke (Thuc. 7.74,2; Xen. Hist. Gr. 2.4,19, Exp. Cyr. 1.5,12); das Substantiv triuium erklärt sich selbst als Bezeichnung für einen Ort, an dem ein Weg von einem anderen geschnitten wird, so daß, wer sich an jenem Ort befindet, drei verschiedene Wege zur Auswahl hat. Die beiden unterschiedlichen Ortsangaben widersprechen nicht einander, sondern ergänzen sich offenbar dahingehend, daß sich an der gemeinten Stelle ein Flußübergang befand, bei dem sich zwei Wege kreuzten — eine topographisch offenbar besonders prominente Stelle, deren Kenntnis der Autor der Geschichte beim zeitgenössischen Leser ohne weiteres voraussetzten konnte. Moderne Gelehrsamkeit kann diese Stelle nicht exakt lokalisieren, sondern muß sich mit allgemeinen topographi- 9. Sokrates als Soldat 229 schen Vermutungen zufrieden geben, die sich in der Hauptsache auf jene Angaben stützen, die Thukydides (4.89-96) von den Ereignissen in betreff der Schlacht beim Delion gegeben hat (Pritchett 1969, 24-36). Thukydides (4.96,7) nun berichtet, daß das athenische Heer teils zum Delion hin geflohen sei, teils nach Oropos, teils zum Parnes hin oder in andere Richtungen. Diejenigen, die zum Delion und nach Oropos flohen, standen auf dem rechten Flügel, der, zunächst siegreich, von der böotischen Reiterei überraschend in die Seite gefaßt, mit der Flucht begann und so auch den linken Flügel in Panik versetzte, der von der thebanischen Phalanx ohnehin bereits zum Weichen gebracht worden war; die Soldaten, die hier standen, flohen in der Mehrzahl in Richtung auf den Parnes (Pritchett 1969, 34 f.). In der letztgenannten Gruppe befand sich, wenn man dem Autor der Geschichte glauben darf, auch Sokrates; denn von denen, die dem Daimonion nicht folgten, heißt es in der Geschichte, sie hätten «den Parnes entlang» (Epist. Socr.) zu fliehen versucht, und Sokrates selber kehrt «vom Parnes her» (Luc.) wohlbehalten nach Athen zurück. Will man aber vom Delion, in dessen Nähe die Schlacht stattfand, in Richtung auf den Parnes nach Athen gelangen, so muß man alsbald den Asopos überschreiten, einen nicht unbeträchtlichen Fluß, besonders im Winter, zu dessen Beginn der Feldzug gegen das Delion laut Thukydides (4.89,1) stattfand (Pritchett 1969, 31 f.). Hier am Unterlauf des Asopos erfolgte irgendwo (unklar wo) an einer Furt bzw. Brücke die Warnung des Daimonions. Von hier aus gibt es auch richtig drei Wege, die nach Athen führen: Ein Weg führt südöstlich über Aphidnai, ein anderer südlich über Dekeleia, ein dritter südwestlich über Phyle. Die Mehrzahl der fliehenden Soldaten entschied sich offenbar für die südöstliche Route, die über Aphidnai führt; denn nur von dieser Route läßt sich sagen, was die Geschichte sagt: daß sie «am Parnes entlang» (Epist. Socr.) führe. Sokrates und die wenigen, die ihm folgten, müssen demnach entweder die Route über Dekeleia oder die über Phyle genommen haben. Letzteres ist wahrscheinlicher; denn die Geschichte erzählt, Sokrates habe nicht nur «den anderen» (Plut.), sondern «den entgegengesetzten Weg» (Epist. Socr.) eingeschlagen. Entgegengesetzt zur südöstlichen Route über Aphidnai ist aber die südwestliche Route über Phyle eher als die südliche über Dekeleia. Im übrigen ist die Route über Phyle die bei weitem unbequemste Passage nach Athen, da sie weithin über steiles Gelände führt (Ober 1985, 112-117). So (und nur so) wird der Zorn der Soldaten verständlich, die diese Marschempfehlung auffaßten, «als treibe Sokrates zur Unzeit Scherz mit ihnen» (Epist. Socr.). Was aber auf den ersten Blick wie ein schlechter Scherz erschien, erwies sich alsbald als rettende Idee: Die Mehrzahl der athenischen Solda- 9. Sokrates als Soldat 230 ten, die sich vom Asopos «geradeaus» (Epist. Socr.) nach Aphidnai wandten, liefen der böotischen Reiterei in die Arme, die «im Zuge der Verfolgung zurückkehrte» (Epist. Socr.); Sokrates dagegen, der nicht die südöstliche, sondern die «entgegengesetzte» (Epist. Socr.) südwestliche Route eingeschlagen hatte, lief der feindlichen Reiterei davon und kam so mit wenigen Gefährten wohlbehalten über den Parnes nach Athen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß die Geschichte die Heimkehr des Sokrates durch den Partizipialausdruck καταβ ὰ ς ἐ ̟ ὶ ῾ Ρηγίστης (Plut.) noch näher präzisiert. Leider profitiert der moderne Leser von dieser geographischen Präzisierung nicht in dem Maße, wie der antike fraglos tat, da ihm die sachliche Bedeutung der Ortsbestimmung ἐ ̟ ὶ ῾ Ρηγίστης verschlossen bleibt. Die sachliche Dunkelheit des Textes hat die modernen Herausgeber des Plutarch dazu verführt, auf eine sprachliche Unkorrektheit zu schließen (Pohlenz, Plut. Mor. 3 p. 475 adn.: locus nondum sanatus). Sehr zu Unrecht; denn das nomen loci ῾ Ρηγίστη, wiewohl anderen Ortes nicht bezeugt, dürfte sprachlich tadelfrei gebildet sein: der Superlativ eines Adjektivs, das nach den Gesetzen der sogen. primären Steigerungsformen aus der Wurzel ῥ ηγ-, von der sowohl das Verbum ῥ ήγνυµι wie auch die Substantive ῥῆ γµα, ῥ ηγµός, ῥ ηκτήρ und ῥ ηγµίν derivieren, durchaus regelrecht gebildet ist (Hinweis von K. Strunk; vgl. Seiler 1950, 81-85 & 127). Wie das substantivische Toponymikon ῾ Ρήγιον, das zur Bezeichnung einer ganzen Anzahl von Örtlichkeiten gebraucht wird (OL 3 p. 254), von denen die Stadt in Unteritalien am fretum Siculum nur die bekannteste ist, eine geographische Erscheinung markiert, die durch einen ziemlich großen oder tiefen Bruch auffällig ist, so bezeichnet der adjektivsche Superlativ ῥ ηγίστη eine ebensolche Erscheinung, die durch einen sehr hohen oder sehr tiefen Bruch markiert wird. Leider läßt sich diese Erscheinung topographisch nicht exakt bestimmen. Das Femininum des Superlativs läßt ebenso wenig Rückschlüsse zu wie das Substantiv, das nicht nur von Orten, sondern auch von einem Vorgebirge gebraucht wird (RE 1 [A 2] 486-502). Auch der Kontext schafft keine Klarheit: Die Präposition ἐ ̟ί, verbunden mit dem Genitiv, kann bei den uerba mouendi sowohl ausdrücken, wohin sich die Bewegung richtet, als auch, wo oder worauf sie stattfindet (Belege: Pape 1, 921-923; LSJ p. 621). Demnach kann die Junktur καταβ ὰ ς ἐ ̟ ὶ ῾ Ρηγίστης entweder besagen, daß der Abstieg des Sokrates vom Parnes nach Athen «in Richtung auf die ῾ Ρηγίστη» erfolgte, oder aber «auf der ῾ Ρηγίστη». Im ersten Falle wäre das nomen loci als schluchtartige Örtlichkeit aufzufassen (etwa: «Großbruchstelle»), im anderen Fall als Weg über schluchtartiges Gelände (etwa: «Hochbruchweg»). Beide Auffassungen ergeben Sinn; woraus folgt, daß der Versuch einer exakten topographischen Fixierung des Ausdrucks vergebliche Mühe wäre. Allein so viel 9. Sokrates als Soldat 231 läßt sich sagen, daß auch das Toponymikon, insofern es auf die Steilheit und Unwegsamkeit des Geländes verweist, am ehesten auf jene Route hindeutet, die über Phyle nach Athen führte. Es bleibt zu fragen, wer der Verfasser der Geschichte gewesen ist. Daß es sich um einen namhaften Sokratiker handeln muß, wurde bereits gesagt. Die communis opinio denkt an Antisthenes (Hirzel 1985, 124 Anm.; Düring 1941, 44; Gigon 1947, 153 f.). Sie stützt sich hierbei auf die Tatsache, daß er, von Platon abgesehen, der einzige Sokratiker ist, von dem überliefert wird, daß er in einem Sokratischen Dialog über die Schlacht beim Delion gesprochen hat. Aber was Antisthenes erzählt, fügt sich nach Inhalt und Tendenz nicht in die Geschichte ein: Er berichtet, daß Sokrates in der Schlacht beim Delion den Kampfpreis hätte erhalten sollen, aber an Alkibiades abtrat; so ist es die persönliche Tapferkeit, durch die sich Sokrates wie auch Alkibiades auszeichneten, und aufgrund dieser Tapferkeit retteten sie sich auf der Flucht. Demgegenüber erzählt die Geschichte, daß es die warnenden Stimme des Daimonions gewesen sei, die Sokrates und die wenigen, die ihm folgten — darunter auch Alkibiades — Rettung gebracht habe. Das eine Mal also geschieht die Rettung durch eigene Kraft und Leistung, im anderen Falle ist sie Geschenk der göttlichen Stimme. Beide Auffassungen sind miteinander nicht kompatibel. Nur wer die Rettung durch persönliche Leistung geschehen ließ, konnte, wie Antisthenes, erzählen, daß diese Leistung durch die Verleihung eines Kampfpreises belohnt werden sollte; auf das rettende Eingreifen des Daimonions kann eine solche Belohnung unmöglich erfolgen. Oder anders: Antisthenes kann nicht der Verfasser der Geschichte gewesen sein; jedenfalls kann er sie nicht an jener Stelle erzählt haben, die die communis opinio in Anspruch nimmt, und daß er sie an einem anderen Orte erzählte, ist weniger wahrscheinlich, als daß es ein anderer Sokratiker gewesen ist, der, abweichend von ihm und auch von Platon, erzählte, daß Sokrates seine Rettung aus der Schlacht beim Delion nicht persönlicher Tapferkeit, sondern dem Eingreifen des Daimonions verdankte. Wenn dem so ist, so kommen als Verfasser der Geschichte Aischines, Eukleides oder auch Phaidon in Betracht. Aber auf einen dieser drei Namen zu raten, wäre müßig; noch müßiger, die Schrift eines der drei zu benennen. Abschließend sind noch einige Zeugnisse anzuführen, die sich dadurch zuammenschließen, daß sie von der Teilnahme einzelner Sokratiker an der Schlacht beim Delion berichten. So erklärt eine Tradition, die sich in zweifacher Brechung erhalten hat, daß Sokrates in der Schlacht beim Delion Xenophon das Leben gerettet habe. Strabon (9.2,7 = SSR I C 46) merkt unter dem Stichwort ∆ήλιον an, daß die Athener hier von den Böotern in die Flucht geschlagen worden seien, und fährt fort: ἐ ν δ ὲ τ ῆ ι φυγ ῆ ι ̟εσόντα ἀ φ ᾽ ἵ ̟̟ου Ξενοφ ῶ ντα ἰ δ ὼ ν κείµε- 9. Sokrates als Soldat 232 νον τ ὸ ν Γρύλλου Σωκράτης ὁ φιλόσοφος στρατεύων ̟εζ ὸ ς το ῦ ἵ ̟̟ου γεγονότος ἐ κ̟οδ ὼ ν ἀ ν έ λαβε το ῖ ς ὤ µοις α ὐ τ ό ν, κα ὶ ἔ σωσεν ἐ ̟ ὶ ̟ολλο ὺ ς σταδ ί ους ἕ ως ἐ ̟α ύ σατο ἡ φυγ ή . Dieselbe Geschichte findet sich auch in der Sokratesbiographie des Diogenes Laertius (2.22 = SSR I D 1 [22]): κα ὶ Ξενοφ ῶ ντα ἀ φ' ἵ ̟̟ου ̟εσ ό ντα ἐ ν τ ῆ ι κατ ὰ ∆ ή λιον µ ά χηι δι έ σωσεν (sc. Socrates) ὑ ̟ολαβ ώ ν. Daß Diogenes Strabon benutzt hat, darf als ausgeschlossen gelten; Gemeinsamkeiten im Wortlaut beweisen andererseits, daß Strabon und Diogenes denselben oder zum mindesten einen ähnlichen Text vor Augen gehabt haben. Dieser Text, den Strabon ausführlicher exzerpiert hat als Diogenes, erzählte von der Flucht der Athener in der Schlacht beim Delion: Sokrates entdeckt Xenophon, der vom Pferde gefallen ist und offenbar verwundet am Boden liegt; da das Pferd verschwunden ist, trägt er den Hilflosen zu Fuß mehrere Stadien lang auf den Schultern, bis die Flucht ein Ende hat. Über Ursprung und Herkunft dieser Geschichte läßt sich nicht leicht urteilen: Die einen betrachten sie als späte Kontamination Platonischer Motive (Düring 1941, 45). Andere dagegen sind der Ansicht, die Geschichte könne aus einer altsokratischen Quelle stammen (Gigon 1947, 156). Die Wahrheit liegt in der Mitte. Auszugehen ist von der Tatsache, daß die Erzählung durchaus keine Spuren von Kontamination aufweist, sondern in sich konsistent ist. Man bedenke, was ein später Kontaminator alles hätte leisten müssen, wenn er die Geschichte von der Rettung Xenophons in der Schlacht beim Delion aus Platon hätte kompilieren wollen: Die Rettung des Alkibiades durch Sokrates, die Platon vor Potidaia geschehen läßt, mußte auf die Schlacht beim Delion verlegt werden; sodann mußte Alkibiades, den Platon in der Schlacht beim Delion als ungefährdeten Reiter darstellt, im Kampfe vom Pferde fallen; des weiteren mußte erfunden werden, daß Sokrates den Hilflosen auf den Schultern aus der Schlacht trägt; schließlich mußte das gesamte Szenario von Alkibiades auf Xenophon übertragen werden. Aber so viel produktive Energie und Phantasie, wie hier vonnöten wäre, ist einem späten Kompilator nicht wohl zuzutrauen. Recht betrachtet, erscheint die Geschichte von der Rettung Xenophons weniger als Kompilation oder Kontamination Platonischer Erzählmotive denn als eine in sich kohärente, eigenständige Erfindung eines Verfassers, der mit dem vorgegebenen Thema — Sokrates in der Schlacht beim Delion — ebenso souverän verfährt wie es Platon, Antisthenes und der unbekannte Autor der Daimonion-Geschichte jeweils getan haben. Warum sollte dieser Verfasser nicht auch ein Sokratiker gewesen sein? Es wäre dann freilich der vierte, der sich zu diesem Thema geäußert hätte; denn die Geschichte von der Rettung Xenophons ist mit den anderen drei Geschichten nicht kompatibel. Und: Derselbe Sokratiker hätte sich einen enormen Anachronismus zuschulden kommen lassen; denn Xenophon 9. Sokrates als Soldat 233 war zu der Zeit, als die Schlacht beim Delion stattfand, eben erst geboren (Breitenbach 1966, 1571 f.). Es wäre der krasseste Anachronismus, von dem die Sokratik weiß, die, auch wenn sie Anachronismen nicht scheut, gleichwohl das Krasse in der Regel meidet, weil es die Fiktion des Realen ad absurdum führen würde. Auch ist es kaum glaublich, daß sich ein Mann wie Herodikos (fr. 1 p.18 sq. Düring = SSR I C 200 ) bei seiner Kritik an den Feldzügen des Sokrates ein so kapitales Beweisstück hätte entgehen lassen — um so weniger, als derselbe Herodikos (fr. 2 p. 20-24 Düring) den Anachronismen der Sokratiker ein eigenes umfangreiches Kapitel gewidmet hat, in dem er mit staunenswerter Gelehrsamkeit ungleich harmlosere chronologische Verstöße aufdeckt, als der hier in Frage stehende gewesen wäre. So führt die Analyse der Überlieferung zu einem doppelten Befund: Die Geschichte ist so kohärent und eigenständig erzählt, daß man sie eher einem Sokratiker als einem späteren Kompilator zutraut; die Person aber, der sie gilt, evoziert einen so krassen Anachronismus, wie man ihn eher einem späteren Kompilator zutrauen möchte als einem Sokratiker. Beides in Betracht gezogen, ist die einfachste Auskunft, daß ein späterer Kompilator die Person, der die Geschichte ursprünglich galt, durch Xenophon ersetzte; die ursprüngliche Person aber kann, wie ein Blick auf die Überlieferung lehrt, niemand anders gewesen sein als Alkibiades, genauer der Antisthenische Alkibiades, dem Sokrates ja in der Schlacht beim Delion den Kampfpreis zediert haben soll. Daß diese Tat des Sokrates voraussetzt, daß auch Alkibiades sich tapfer gehalten hat, wurde bereits bemerkt. Hier nun fassen wir, wenn nicht alles täuscht, das fehlende Motiv: Alkibiades kämpfte tapfer in der Reiterei, bis er vom Pferde stürzte und Sokrates den Hilflosen aus dem Kampfe trug. Es ist dies nicht dieselbe, aber doch eine ähnliche Geschichte, wie sie Platon über Sokrates und Alkibiades vor Potidaia erzählt, wo Platon ja auch die Überlassung des Kampfpreises lokalisiert. Beide Motive — die Rettung des Alkibiades und die Überlassung des Kampfpreises —, die eng zusammengehören, hat Antisthenes in seiner Erzählung über die Schlacht beim Delion verwandt, und die Parallelität des Motivischen zwischen Antisthenes und Platon ist ein starkes Indiz dafür, daß die Geschichte von der Rettung Xenophons ursprünglich Alkibiades gegolten hat und bei Antisthenes zu finden war. Im übrigen ist die Übertragung einer Geschichte auf verschiedene Personen, wie sie hier zu beobachten ist, eine nicht ungewöhnliche Sache, von der die sogenannte Wanderanekdote nur ein Extremfall ist. So waltet auch in der Ersetzung des Alkibiades durch Xenophon, wie sie für die vorliegende Geschichte als wahrscheinlich vorauszusetzen ist, eine Tendenz, die man als «Ergebnis conciliatorischer Kritik der panegyrischen Sokratesbiographie» zu deuten versucht hat (Dittmar 1912, 86 Anm. 6). Indes ist von konziliatorischer Kritik in der Sokratesbiographie des Dio- 9. Sokrates als Soldat 234 genes Laertius (2.18-47 = SSR I D 1), die uns allein einen Begriff von den älteren Sokratesviten der hellenistischen Zeit zu geben vermag, nicht eben viel zu bemerken; vielmehr stehen die widerstreitendsten Informationen unvermittelt nebeneinander. So waren es wohl eher politische Motive, die die Sokratesbiographie veranlaßten, das Personal der Geschichte so zu verändern, daß, was Alkibiades zugestoßen war, nun als Erlebnis Xenophons erschien: ein Reitunfall in der Schlacht beim Delion und die Rettung durch Sokrates. Die Person des Alkibiades wird ja schon bald politisch verdächtig: Er gilt immer mehr als einer der großen Übeltäter, die die alte athenische Demokratie ruiniert haben. Nirgends tritt diese Tendenz deutlicher zu Tage als bei Xenophon, der alles tut, um Alkibiades aus dem Kreise der Sokratiker zu verbannen (Dittmar 1912, 121-130). Gesetzt, daß die hellenistische Sokratesbiographie, sofern sie panegyrisch war, dieser Tendenz folgte, so lag es nahe, was Antisthenes über Alkibiades erzählt hatte, aus Gründen der political correctness auf Xenophon zu übertragen, der sich als namhafter Sokratiker und als notorischer Kavallerist besonders gut als Ersatzperson eignete. Wer diese Hypothese nicht plausibel findet, dem bleibt nur die Wahl zwischen zwei noch unplausibleren Hypothesen: daß ein Sokratiker den krassen Anachronismus riskiert hat, Xenophon in der Schlacht beim Delion auftreten zu lassen, oder: daß die in sich konsistente und kohärente Geschichte von der Rettung Xenophons durch Sokrates in toto eine Kontamination der späteren Sokratesbiographie ist. Nicht nur Xenophon, sondern auch Antisthenes soll an der Schlacht beim Delion teilgenommen haben. Diogenes Laertius bemerkt in seiner Antisthenesbiographie (6.1 = SSR V A 3), Antisthenes habe eine thrakische Mutter gehabt, und knüpft daran folgende Notiz: ὅ θεν κα ὶ ἐ ν Ταν ά γραι κατ ὰ τ ὴ ν µ ά χην ε ὐ δοκιµ ή σας ἔ δωκε (sc. Antisthenes) λ έ γειν Σωκρ ά τει ὡ ς ο ὐ κ ἂ ν ἐ κ δυο ῖ ν Ἀ θηνα ί ων ο ὕ τω γεγ ό νοι γεννα ῖ ος. Diese Notiz stellt die Interpretation insofern vor Schwierigkeiten, als im Unklaren bleibt, welche Schlacht bei Tanagra gemeint sei. An die berühmte Schlacht des Jahres 457, in der die Spartaner die vereinigten Athener und Argeier besiegten (Herod. 9.35; Thuc. 1.107 sq.; Diod. 11.79- 81), ist aus chronologischen Gründen nicht wohl zu denken: Damals war Sokrates ein Knabe und Antisthenes noch nicht einmal geboren. Dagegen könnte ein Gefecht des Jahres 426, in dem die Athener die verbündeten Tanagraier und Thebaner besiegten (Thuc. 3.91), chronologisch in Betracht kommen; allein, man sieht nicht ab, wie dieses vergleichsweise marginale Kriegsereignis, von dem außer Thukydides kein Historiker etwas weiß, das Interesse der Sokratesüberlieferung auf sich gezogen haben sollte. 9. Sokrates als Soldat 235 Wenn aber die berühmte Schlacht bei Tanagra nicht in Frage kommt und die obskure auch nicht, so muß es die Schlacht beim Delion gewesen sein, während deren die lobende Äußerung des Sokrates über Anthisthenes gefallen sein soll. Der Wortgebrauch rechtfertigt eine solche Interpretation vollkommen: Seit Herodot wird die Präposition ἐ ν mit Vorliebe von der Gegend gebraucht, in der eine Schlacht stattfindet (Belege: Pape 1 p. 665), und da das Delion in der Nähe Tanagras liegt und Teil der Tanagraia ist, hindert nichts, die Schlacht beim Delion als Schlacht «in der Gegend von Tanagra» zu bezeichnen (Von der Mühll 1966, 234-239). Im übrigen ist zu konstatieren, daß, was Diogenes notiert, keine Geschichte, sondern eine Anekdote ist. Besser als in der Antisthenesvita hat Diogenes die Form der Anekdote in der Sokratesvita (2.31 = SSR I D 1 [31]) bewahrt: ε ἰ ̟ ό ντος γο ῦ ν τινος α ὐ τ ῶ ι ὡ ς ε ἴ η Ἀ ντισθ έ νης µητρ ὸ ς Θράιττης, σ ὺ δ' ὤ ιου, ἔ φη, ο ὕ τως ἂ ν γεννα ῖ ον ἐ κ δυο ῖ ν Ἀ θηνα ί ων γεν έσθαι; Diogenes merkt an dieser Stelle auch an, was die Anekdote besagen will: daß Sokrates der Meinung gewesen sei, adlige Geburt (ε ὐ γένεια) sei kein Gut, sondern ein Übel. Wie Diogenes die Anekdote in der Sokratesbiographie erzählt, richtet sich der Tadel des Sokrates, den das Lob des Antisthenes impliziert, gegen die Athener im allgemeinen, deren verfehlte Hochschätzung der ε ὐ γένεια darin zu Tage tritt, daß sie das Bürgerrecht nur dem gewähren, der zwei athenische Eltern aufzuweisen hat. Das ist an und für sich wohl verständlich, stimmt jedoch nicht recht mit der konkreten Ortsangabe zusammen, die Diogenes in der Version der Antisthenesbiographie für die Anekdote voraussetzt: Der konkrete Ort verlangt eine konkrete Person, an die sich die Aussage des Sokrates richtet, die ihrerseits ja auch wiederum einer konkreten Person gilt. Wenn nicht alles täuscht, so läßt sich der Name jenes Unbekannten noch eruieren. Es war bereits davon die Rede, daß, wenn man kritisch sichtet, was Diogenes Laertius (3.8 = SSR I C 91) und Älian (Var. hist. 7.14 = SSR I C 40) über die Feldzüge Platons berichten, sich als Meinung des Aristoxenos (2 fr. 61 Wehrli) feststellen läßt, daß Platon zweimal in den Krieg gezogen sei: einmal nach Tanagra und einmal nach Korinth. Was den Feldzug nach Korinth betrifft, so handelt es sich fraglos um die athenische Expedition vom Jahre 394, die zu der Schlacht am Nemea-Bache westlich von Korinth führte (Accame 1951, 65-87). Daß Platon an dieser Militärexpedition teilgenommen hat, ist historisch durchaus glaublich. Nicht so leicht läßt sich über den Kriegszug nach Tanagra urteilen. An irgendein marginales Kriegsereignis des Korinthischen Krieges zu denken, verbietet das Parallelbeispiel der Schlacht bei Korinth. Die einzige namhafte Schlacht in Böotien aber, an der die Athener während des Korinthischen Krieges teilnahmen, fand im Jahre 394 bei Koroneia statt (Accame 1951, 89-101). Koroneia indes ist eine selbständige böotische Polis wie Tanagra, weit entfernt von Tanagra und mit Tanagra also un- 9. Sokrates als Soldat 236 möglich zu verwechseln. Dies erwogen, bleibt keine andere Auskunft, als den Kriegszug nach Tanagra mit dem Kriegszug nach dem Delion zu identifizieren. Man hätte sich demnach Platon ebenso als Teilnehmer an der Schlacht beim Delion zu imaginieren wie Antisthenes. Dies vorausgesetzt, dürfte auch er es gewesen sein, an den sich das Diktum des Sokrates über Antisthenes richtete: Der adelsstolze Platon wird von Sokrates anläßlich der Schlacht beim Delion durch einen Hinweis auf die Tapferkeit des unechtbürtigen Antisthenes über den Unwert der ε ὐ γένεια belehrt. Die Anekdote gewinnt so nicht nur an Prägnanz, sie paßt ihrer Tendenz nach auch vortrefflich zu der polemischen, ja recht eigentlich hämischen Tendenz, die der Platonbiographie des Aristoxenos (2 fr. 61-68 Wehrli) eignet. Abschließend muß noch eine Reminiszenz betrachtet werden, die der Verfasser des 14. Sokratikerbriefes (§ 9) erzählt: Sokrates habe, nachdem er das Gift getrunken, den Gefährten aufgetragen, dem Asklepios einen Hahn zu opfern: ὀ φείλειν γ ὰ ρ α ὐ τ ῶ ι κατ ᾽ ε ὐ χήν τινα, ὁ ̟ότε ἠ σθένει ἀ φικόµενος ἀ ̟ ὸ τ ῆ ς ἐ ̟ ὶ ∆ηλίωι µάχηι. Wiewohl wenig beachtet, ist diese Erzählung einigermaßen sensationell. Sie rekurriert auf die berühmten ultima uerba des Sokrates, die auch Platon im Phaidon (p. 118 a) erwähnt, fügen diesen aber, anders als Platon, noch eine Erklärung hinzu: Sokrates habe dem Asklepios einen Hahn gelobt, als er aus der Schlacht beim Delion krank nachhause gekommen sei. Es hat nicht das Ansehen, als habe der Verfasser diese merkwürdige Erklärung erfunden; wahrscheinlich verdankt er sie altsokratischer Tradition, die ja über das Thema «Sokrates in der Schlacht beim Delion» sehr viel mehr zu erzählen wußte, als Platon erzählt. 4. Amphipolis Die Nachrichten über Sokrates' Teilnahme an der Schlacht bei Amphipolis sind karg. Platon (Apol. p. 28 e) konstatiert lediglich das bloße Faktum, und die spätere Tradition (Herodic. fr. 1 p. 18 Düring = SSR I C 39; Lucian. De parasit. 43; Aelian. Var. hist. 3.17 = SSR I C 103; Ael. Aristid. Or. 46 De IV uiris 262 = SSR I C 41; Diog. Laert. 2.22 = SSR I D 1 [22]; Suda s. u. Σωκρ ά της 829 = SSR I D 2; cf. Epist. Socr. 3 = SSR I F 3) weiß dem nichts Neues hinzuzufügen. Eine Ausnahme macht allein Libanios (Apol. Socr. 131 = SSR I E 1 [131]), bei dem ein ungenannter Verteidiger Sokrates vor Gericht gegen den Vorwurf des Müßiggangs (der nach Solonischem Recht strafbar war) folgendermaßen in Schutz nimmt: τ ῆ ς ἀ ργίας Σωκράτους ε ἰ λήφατε ̟ε ῖ ραν, ὦ Ἀ θηνα ῖ οι, το ῦ το µ ὲ ν ἐ ̟ ὶ ∆ηλίωι, το ῦ το δ ᾽ α ὖ ἐ ν Ἀ µφι̟όλει, ὅ τε δ ὴ τ ῆ ι ̟ρ ὸ ς ἅ ̟αντα καρτερίαι το ὺ ς στρατιώτας ̟ρ ὸ ς α ὑ τ ὸ ν ἐ ̟έστρεψεν ὁ µοίως νύκτωρ κα ὶ µεθ ᾽ ἡ µέραν. ἐ ώικει γ ὰ ρ σιδήρωι τινί. τοσο ῦ τον κατεγέλα το ῦ ̟ερ ὶ Θράικην χειµ ῶ νος. 9. Sokrates als Soldat 237 Was Libanios hier von der spektakulären Selbstzucht des Sokrates vor Amphipolis erzählt, erinnert in Motivik und Wortwahl entschieden an das, was Platon (Symp. p. 219 e-220 e) über Sokrates' Verhalten vor Potidaia erzählt. In einem Punkte allerdings weicht Libanios von Platon ab: Bei jenem ist es die singuläre, einen Tag und eine Nacht währende Gedankentrance des Sokrates, die das Interesse der Soldaten auf sich zieht, bei Libanios dagegen ist dieses Interesse gewissermaßen ein Dauerzustand, der «gleichermaßen bei Nacht und am Tage» ( ὁ µοίως νύκτωρ κα ὶ µεθ ᾽ ἡ µέραν) allen Manifestationen Sokratischer Selbstzucht gilt. Will man diesen Befund verstehen, so muß man sich noch einmal vergegenwärtigen, daß Aulus Gellius (Noct. Att. 2.1,2 sq. = SSR I C 48), in unmittelbarem Rückgriff auf Favorin, das singuläre Tranceerlebnis, das Platon beschreibt, als regelmäßiges Verhalten des Sokrates interpretiert und als Manifestation Sokratischer fortitudo unter die labores uoluntarios und exercitia corporis eingereiht hat. Diese Interpretation greift Libanios auf, indem er das Verallgemeinerte noch einmal verallgemeinert, insofern er das tranceartige Stehen des Sokrates durch einen allgemeinen Hinweis auf die Sokratische Selbstzucht ersetzt. Daß dem so ist, lehrt das Motiv von Tag und Nacht, das Libanios mit Favorin und Gellius gemeinsam ist. Während dieses Motiv bei Favorin und Gellius jedoch, ganz im Sinne der ursprünglichen Erzählung Platons, mit dem tranceartigen Stehen des Sokrates verknüpft ist, fungiert es bei Libanios nur noch als bloße Floskel, die die Dauer des Interesses ausdrückt, das die Umwelt an Sokrates' Selbstzucht im allgemeinen nimmt. Die stehengebliebene Floskel aber verrät noch, daß Libanios hier einer — verfehlten — Platoninterpretation der Sokratesbiographie gefolgt ist, die wir bis auf Favorin zurückverfolgen können. Ob Libanios hierbei unmittelbar auf Favorin zurückgegriffen hat oder auf einen anderen Text ähnlichen Inhalts, ist nicht von Belang. Letzteres ist wahrscheinlicher; denn während Favorin Sokrates mit einem Eichenstamm vergleicht, wählt Libanios den Vergleich mit dem Eisen. Auch davon war bereits die Rede, daß die Geschichte von der Trance des Sokrates, nachdem sie des singulären Charakters, der ihr bei Platon eignet, beraubt wurde, um nunmehr als Paradigma Sokratischer Kriegstüchtigkeit dienen zu können, ihre lokale Fixierung notwendig verliert: Weder Favorin noch Gellius erwähnen Potidaia, und auch in der mutmaßlichen Quelle des Libanios (die womöglich auch Favorin benutzte) wird der Name dieser Stadt nicht mehr vorgekommen sein. Um so leichter aber war es für Libanios, das lokal nicht mehr fixierte militärische Paradigma statt für Potidaia für Amphipolis in Anspruch zu nehmen, von dem in der Sokratesüberlieferung nur so spärlich die Rede war. Im Zuge dieser irrigen Relokalisierung des Paradigmatischen unterlief Libanios ein weiterer lapsus: Er spricht von Sokrates' standhaftem Verhalten während des thrakischen Winters. Dieses Motiv wird bei Favorin und Gellius nicht expressis uerbis erwähnt; daß es in der Quelle Favorins vor- 9. Sokrates als Soldat 238 kam, lehrt der Hinweis des Gellius auf die exercitia corporis des Sokrates, von denen das unverwandte Stehen nur ein Beispiel sei. Wie dieses dürfte auch das Beispiel vom Ertragen der Kälte der Lokalisierung ermangelt haben. Libanios erst hat beide Paradigmata wieder lokalisiert, und die Ironie der Überlieferung will es, daß die Lokalisierung des zweiten Paradigmas wieder richtig zur ursprünglichen Quelle zurückführt, insofern Platon (Symp. 220 a) von den furchtbaren Wintern vor Potidaia spricht, die Sokrates so bravourös ertragen habe. Potidaia aber liegt, griechischem Sprachgebrauch zufolge, ebenso in Thrakien wie Amphipolis. Daß Libanios indes hier nur aus Zufall das Richtige getroffen hat, lehrt ein Blick auf Thukydides (5.1,12), der berichtet, daß die Schlacht vor Amphipolis im Sommer stattgefunden hat. Hätte Libanios dieses Faktum ad notam genommen, so wäre ihm bewußt geworden, daß er sich irrte, wenn er für Amphipolis reklamierte, was allein für Potidaia Gültigkeit hatte: Sokrates' spektakuläre Gedankentrance und sein nicht minder spektakuläres Ertragen des thrakischenWinters. So verschlungen sind die Pfade der biographischen Überlieferung; aber man muß ihnen folgen, wenn man nicht für authentische Kunde ausgeben will, was in Wahrheit späte Erfindung ist, die mißverstanden zitiert wird. 5. Historizität Bei der kritischen Analyse der Überlieferung stellte sich mehrfach die Frage nach der Historizität des Erzählten. Nicht von ungefähr: Es sind ja historische Personen, die in einem historischen Kontext dargestellt werden, noch dazu von zeitgenössischen Autoren, so daß die Frage doppelt berechtigt ist, inwieweit historischer Wahrheit entspricht, was sie erzählen. Will man auf diese Frage eine Antwort, so bieten sich zwei verschiedene Verfahrensweisen an: Einmal kann man die verschiedenen Erzählungen der Sokratiker daraufhin prüfen, ob sie in sich konsistent sind und miteinander kompatibel; falls nicht, wäre zu prüfen, ob sich durch immanente Kritik Konsistenz und Kompatibilität herstellen läßt. Zum anderen läßt sich prüfen, ob das historische Umfeld, in das die Sokratiker Sokrates stellen, in Einklang steht mit der außersokratischen Überlieferung, die vor allem durch die Historiker gewährleistet wird. Der Zufall will es, daß letztere Methode sich als besonders fruchtbar erweist im Falle der Schlacht vor Potidaia; erstere in betreff der Schlacht beim Delion; je nachdem, wie das Urteil jeweils ausfällt, wird man dann auch über die Schlacht vor Amphipolis urteilen können. Die Belagerung Potidaias, die Thukydides (1.118), unser maßgeblicher historischer Gewährsmann, unter die Hauptanlässe des Peloponnesischen 9. Sokrates als Soldat 239 Krieges rechnet, war ein langwieriges Kriegsunternehmen, das den Athenern außerordentliche Kraftanstrengungen abforderte (Alexander 1963, 54-81; zur Chronologie: Beloch 1916, 217-222). Den Beginn des Unternehmens markiert ein Ultimatum, das die Athener im Sommer 433 an die chalkidikische Stadt Potidaia richteten, die, wiewohl eine korinthische Kolonie, Mitglied des Seebundes war: Die Potidaiaten sollten die südliche Stadtmauer niederlegen, Geiseln stellen und hinkünftig keine korinthischen Epidemiurgen aufnehmen (Thuc. 1.56 sq.). Die Verhandlungen über dieses Ultimatum, das die Athener in der Absicht gestellt hatten, ihren politischen Einfluß auf der Chalkidike gegen Korinth zu sichern, zogen sich in die Länge, und so gaben die Athener dem Strategen Archestratos, der zusammen mit einer Anzahl weiterer Kollegen das Kommando über eine Flotte von 30 Schiffen mit 1000 Hopliten erhalten hatte, um gegen Makedonien auszulaufen, Befehl, auch das Ultimatum gegen Potidaia durchzusetzen (Thuc. 1.57). Als Archestratos im Frühjahr 432 an der thrakischen Küste landet, sind die Potidaiaten, die heimlich auch mit Sparta verhandelt hatten, zusammen mit anderen chalkidikischen Städten bereits von Athen abgefallen, so daß Archestratos, doppelter Kriegsführung nicht gewachsen, sich auf den Krieg gegen Makedonien beschränken muß (Thuc. 1.58 sq.). Beunruhigt durch die militärischen Aktivitäten der Athener im thrakischen Raum, entsenden die Korinther ein Heer von 1600 Hopliten und 400 Leichtbewaffneten unter Aristeus nach Potidaia, das 40 Tage nach dem Abfall der Stadt eintrifft (Thuc. 1.60). Über diese korinthische Expedition ihrerseits beunruhigt, entsenden die Athener ein Heer von 2000 Hopliten und 30 Schiffen unter dem Kommando des Kallias und vier anderer Strategen, das im Spätsommer oder Frühherbst 432 an der thrakischen Küste landet und sich mit dem Heere des Archestratos bei Pydna vereinigt (Thuc. 1.61). Das vereinigte Heer — 3000 athenische und zahlreiche bundesgenössische Hopliten sowie 600 Reiter — marschiert, zur See von der Flotte unterstützt, gegen Potidaia (Thuc. 1.61). Auf der Landenge nordöstlich von Potidaia gegen Olynth hin kommt es in der zweiten Septemberhälfte zu einer Schlacht zwischen den Athenern und den mit den Korinthern verbündeten Potidaiaten: Die Athener siegen und verlieren 150 Mann, darunter den Strategen Kallias, während die Potidaiaten und die Korinther knapp 300 Tote zählen (Thuc. 1.62 sq.). Nach dem Sieg beginnen die Athener sofort mit der Belagerung der Stadt, die indes nur von Norden her zerniert wird, weil die Kräfte für eine Einschließung auch von Süden her zu schwach sind (Thuc. 1.64). Daraufhin entsenden die Athener nach einer Weile, wahrscheinlich im Frühjahr 431, den Strategen Phormion mit 1600 Hopliten nach Potidaia, das nun auch von der Halbinsel Pallene her zerniert und von der See aus blockiert wird. Nach erfolgter Blockade führt Phormion Krieg auf der Chalkidike und in der Bottiaia (Thuc. 1.64 sq., 2.29). Im Sommer 430 schließlich entsenden die Athener ein viertes 9. Sokrates als Soldat 240 Expeditionsheer von 4000 Hopliten unter dem Befehl der Strategen Hagnon und Kleopompos gegen Potidaia, aber trotz dem Einsatz von Belagerungsmaschinen gelingt es auch jetzt nicht, die Stadt zu erobern: Hagnon und Kleopompos kehren nach 40 Tagen erfolglos nach Athen zurück, nachdem sie 1500 ihrer Männer durch die Pest verloren haben und auch das verbleibende Heer infiziert worden ist (Thuc. 1.58). Im Winter 430-29 kapituliert die Stadt endlich, vom Hunger bezwungen: Die Strategen Xenophon, Hestidoros und Phanomachos gewähren den Potidaiaten freien Abzug, und die Athener besiedeln die nunmehr leere Stadt mit attischen Kleruchen (Thuc. 2.70). So endete die Belagerung der Stadt nach zweieinhalb Jahren; die Athener kostete der Sieg nicht weniger als 2000 Talente — ein Drittel des gesamten Staatsschatzes an gemünztem Silber, das der Stadt zu Beginn des Krieges insgesamt zur Verfügung stand. Soweit das historische Geschehen nach Thukydides. Diodor (12.34,37 & 48), der seinerseits aus Ephoros (FGrHist 70 F 196) schöpft, fügt dem nichts grundsätzlich Neues hinzu, wohl aber Isokrates, der in seiner Rede Über das Gespann (Or. 16.29 sq.) berichtet, daß Alkibiades als junger Mann Kriegsdienst geleistet habe, als Phormion mit 1000 ausgesuchten Athenern gegen Thrakien gezogen sei: damals habe er wegen tapferen Verhaltens in Gefahren als Kampfpreis vom Feldherrn einen Kranz und eine vollständige Rüstung erhalten. Die Historizität dieser Nachricht (von der in anderem Zusammenhang bereits die Rede war) läßt sich nicht wohl bezweifeln, da sie sich in einer veritablen Gerichtsrede findet, die Isokrates um 395 für den jüngeren Alkibiades geschrieben hat. Daß Isokrates die Zahl der Hopliten um 600 Mann niedriger angibt als Thukydides, will demgegenüber nicht viel besagen: Zahlenangaben werden oft ungenau überliefert, und es mag im übrigen auch sein, daß Thukydides die Gesamtzahl der Truppen angab, während Isokrates nur jene Anzahl der Hopliten notiert, die Phormion persönlich ausgewählt hatte. Die unzweifelhaft historische Nachricht des Isokrates über die Teilnahme des Alkibiades am Feldzug gegen Potidaia ist deswegen von besonderer Wichtigkeit, weil sie erlaubt, die Platonische Erzählung über Sokrates vor Potidaia historisch präzise zu überprüfen; denn im Rahmen des weitläufigen Geschehens um Potidaia, das Thukydides beschreibt, kann es allein die Expedition des Phormion gewesen sein, an der Sokrates teilgenommen hat, wenn anders denn als historisch verbürgt gelten soll, was Platon über das Kontubernium zwischen Sokrates und Alkibiades zu berichten weiß. Thukydides (1.64,2) meldet, daß die Athener Phormion nach Potidaia entsandt hätten, nachdem sie erfuhren, daß die Kräfte des siegreichen athenischen Heeres nicht ausreichten, um auch die südliche Mauer zu belagern. Die Schlacht, in der die Athener über die vereinigten Potidaiaten und Korinther siegten, fand statt im sechsten Monat vor dem Beginn 9. Sokrates als Soldat 241 des Frühlings 431, als die Thebaner Plataiai überfielen (Thuc. 2.2,1). Die Kunde von der unzureichenden Belagerung Potidaias kann mithin frühestens Ende September 432 nach Athen gekommen sein, und selbst wenn der Volksbeschluß zur Entsendung Phormions alsbald erfolgt wäre, so erforderte die Ausrüstung der Flotte und die Rekrutierung der Hopliten mindestens einen Monat, so daß Phormion frühestens Anfang November 432 hätte auslaufen können. Aber das wäre klimatisch der allerungünstigste Zeitpunkt gewesen: Kein Schiff wagt sich zur Zeit der Herbststürme ohne zwingende Notwendigkeit auf See. In der Tat erfolgte die Entsendung Phormions denn auch gar nicht unmittelbar, nachdem die ungünstige Kunde in Athen eingetroffen war, sondern, wie Thukydides (1.64,2) ausdrücklich vermerkt, «eine Zeit später» (χρόνωι ὕ στερον). Woraus vollends erhellt, daß Phormion mit seinen 1600 Hopliten nicht schon im Winter 432-31, sondern erst im Frühjahr 431 ausgelaufen ist. Nachdem er in Aphytis gelandet war, zog er verwüstend durch die Pallene bis vor Potidaia, das er durch eine Sperrmauer auch im Süden zernierte, so daß die Einschließung der Stadt jetzt vollendet war. Danach verließ Phormion mit seinen Truppen Potidaia und kämpft im Sommer 431, unterstützt von dem Makedonenkönig Perdikkas, gegen die Chalkidier und Bottiaier (Thuc. 1.65,2; 2.29,6). Von dort wird er im Herbst 431, spätestens aber im Frühjahr 430 abberufen; denn als im Sommer 430 eine athenische Expeditionsflotte unter Hagnon vor Potidaia erscheint, befindet er sich mit seinen Truppen nicht mehr auf der Chalkidike (Thuc. 2.58,2). Im Winter 430- 29, als Potidaia kapituliert, führt Phormion bereits ein neues Kommando: Er sperrt von Naupaktos aus den Korinthischen Meerbusen (Thuc. 2.69,1). Versucht man in dieses Szenario einzufügen, was Platon erzählt, so erlebt man eine Überraschung: Fast nirgends läßt sich, was Platon an konkretem Detail in seine Erzählung verwoben hat, mit der historischen Überlieferung in Einklang bringen, wie sie sich aus Thukydides und Isokrates vergleichsweise präzise rekonstruieren läßt. Es beginnt damit, daß Platon (Symp. p. 220 a-d) erzählt, Sokrates und Alkibiades hätten einen Winter und einen Sommer lang vor Potidaia gelegen. Aber wenn es richtig ist, daß Phormion erst im Frühjahr 431 nach Potidaia auslief und die Stadt bereits im Sommer desselben Jahres wieder verließ, so kann der historische Alkibiades, der an dieser Expedition nachweislich teilnahm, keinen Winter vor Potidaia verbracht haben, und der Platonische Sokrates als sein Zeltgenosse auch nicht. Des weiteren erzähIt der Platonische Alkibiades (Symp. p. 220 de) gleich viermal, «die Strategen» hätten ihm auf Zureden des Sokrates hin den Kampfpreis verliehen, nachdem er in der Schlacht verwundet und von Sokrates samt seinen Waffen gerettet worden sei. Der gehäufte Gebrauch des Plurals erweckt entschieden den Eindruck, als habe das Heer, in dem Alkibiades und Sokrates kämpften, unter dem Kommando mehrerer Strategen gestanden. Aber auch dieser Eindruck ist irrig. Thukydides 9. Sokrates als Soldat 242 (1.57,6 & 61,7; 2.58,1 & 70,1) notiert (da politisch von Belang) jeweils sehr genau die Namen oder doch wenigstens die Anzahl der Strategen, die während der Belagerung Potidaias das Kommando hatten. Wenn derselbe Thukydides (1.64) im Falle der Expedition des Phormion eine solche Notiz unterläßt, so folgt daraus, daß Phormion das Kommando über seine Truppen allein führte. Dementsprechend verwendet denn auch Isokrates (or. 16.29) nicht den Plural, sondern den Singular, wenn er — historisch korrekt — vermerkt, Alkibiades habe den Kampfpreis «vom Strategen» (̟αρ ὰ το ῦ στρατηγο ῦ ) erhalten. Der Platonische Sokrates (Charm. p. 153 bc) erzählt, daß es in der Gegend von Potidaia zu einer heftigen Schlacht gekommen sei, aus der er unversehrt entkommen sei, während viele namhafte Männer dort den Tod gefunden hätten. Das ist fraglos dieselbe Schlacht, von der auch der Platonische Alkibiades (Symp. p. 220 de) spricht. Eine solche Schlacht aber hat es während der Expedition des Phormion nicht gegeben. Thukydides (1.64,2) weiß davon nicht das Geringste und hätte doch eine so enorme Tatsache unmöglich verschwiegen. Wie denn auch Isokrates (16.29) — wiederum historisch korrekter als Platon — bemerkt, daß Alkibiades den Kampfpreis erhalten habe wegen tapferen Verhaltens nicht in einer Schlacht, sondern «in Gefahrensituationen» ( ἐ ν το ῖ ς κινδύνοις). Während der zweieinhalbjährigen Belagerung Potidaias fand überhaupt nur eine einzige veritable Schlacht statt, auf die zutrifft, was Platon erzählt: jene Schlacht auf der Landenge nordöstlich von Potidaia, in der die Athener die vereinigten Potidaiaten und Korinther besiegten; damals fielen 150 Athener und der Stratege Kallias (Thuc. 1.62 sq.). Falls Platon diese Schlacht im Auge hatte — und eine andere kann er nicht im Auge gehabt haben, denn es gab keine —, so würde verständlich, weshalb der Platonische Alkibiades (Symp. p. 220 de) von mehreren Strategen spricht: Kallias hatte in der Tat noch vier weitere Strategen neben sich (Thuc. 1.61,1). Indes fand jene Schlacht im September 432 statt, und die Expedition des Phormion im Frühjahr 431 war ihre Folge, so daß der historische Alkibiades an dieser Schlacht nicht teilgenommen haben kann und der Platonische Sokrates auch nicht. Der Platonische Sokrates (Charm. p. 153 b) erzählt des weiteren, daß jene große Schlacht vor Potidaia «kurz vor der Abreise» ( ὀ λίγον [...] ̟ρ ὶ ν ἡ µ ᾶ ς ἀ ̟ιέναι) nach Athen erfolgt sei. Diese Aussage nun stimmt historisch weder zur Expedition des Kallias noch zu jener des Phormion, so daß der Gedanke, Platon habe die beiden Ereignisse womöglich irrtümlich konfundiert, gar nicht aufkommen kann: Das Heer des Kallias nämlich verließ Potidaia nach der siegreichen Schlacht im September 432 durchaus nicht, sondern blieb als Belagerungsarmee vor der Stadt liegen, bis diese im Winter 430-29 kapitulierte; das Heer des Phormion aber, das im übrigen vor Potidaia gar keine Schlacht schlug, fuhr ebenfalls nicht sogleich nach vollendeter Belagerung von Potidaia ab, sondern kämpfte 9. Sokrates als Soldat 243 zum mindesten noch den ganzen Sommer 431 über auf der thrakischen Chersonnes. Derselbe Widerspruch findet sich schließlich noch einmal, wenn der Platonische Sokrates (Charm. p. 153 a) sagt, er sei «aus Potidaia vom Heerlager her» ( ἐ κ Ποτιδαίας ἀ ̟ ὸ το ῦ στρατο̟έδου) nach Athen gelangt. Diese Aussage setzt voraus, daß die Belagerung nach Sokrates' Rückkehr noch anhielt: Sokrates kann demnach nicht zum Heer des Kallias gehört haben, das ja bis zum Ende der Belagerung vor Potidaia stationiert war; er kann aber auch nicht an der Expedition des Phormion teilgenommen haben, da diese nicht aus Potidaia, sondern aus der Chersonnes heimkehrte. Es kann nach alledem nicht die geringste Rede davon sein, daß wir, was Platon erzählt, für wahr halten müssen (von Wilamowitz-Moellendorff 1919, 294 Anm. 1). Vielmehr zeigt sich bei genauerem Hinsehen überall, daß das konkrete Detail, das Platon in seine Erzählung über Sokrates vor Potidaia hineingewoben hat, mit der historischen Überlieferung nicht in Einklang steht; es ist nur dünner Firnis und schwaches Kolorit, geeignet allenfalls, beim späteren Leser, dem das historische Geschehen nicht mehr unmittelbar gegenwärtig war, den Eindruck von Historizität künstlich oder besser: künstlerisch hervorzubringen. In noch fragwürdigerem Lichte erscheint die Historizität dessen, was Platon erzählt, wenn man den Blick auf Antisthenes richtet. So geringfügig die Spuren auch sind, die die Antisthenische Erzählung über Sokrates vor Potidaia in der Überlieferung hinterlassen hat, so steht doch immerhin fest, daß er vorausgesetzt hat, daß Sokrates damals den Kampfpreis in persona erhalten hat. Über das Wann, Wie und Wo dieses Ereignisses erfahren wir nichts; aber soviel ist gewiß, daß, wenn Sokrates den Kampfpreis selbst erhielt, von einem Kontubernium mit Alkibiades nicht die Rede sein kann. Das Kontubernium hat ja die Zedierung des Kampfpreises an Alkibiades zur Folge, und diese erzählte Antisthenes nicht im Zusammenhang mit Potidaia, sondern verlegte sie in die Schlacht beim Delion. Die communis opinio, die Platon stets das größte Vertrauen entgegenbringt, sollte es sich gesagt sein lassen, daß unter dem Gesichtspunkt der Historizität die Version des Antisthenes viel glaubwürdiger ist als die Platonische: daß Sokrates vor Potidaia als Lohn für tapferes Verhalten einen Kampfpreis bekommen habe, läßt sich historisch jedenfalls nicht widerlegen. Es läßt sich, da die historische Überlieferung schweigt, andererseits auch nicht beweisen. So daß keine andere Auskunft bleibt, als daß es zum mindesten glaublich ist, daß Sokrates vor Potidaia einen Kampfpreis erhalten hat. Im übrigen kann auch die Erzählung des Antisthenes historisch nicht auf festen Füßen gestanden haben. Denn wenn es richtig ist, daß es Antisthenes war, der Sokrates auf dem Landwege nach Potidaia gelangen ließ, so waltet auch hier ein historischer Irrtum: Die Expeditionen des Arche- 9. Sokrates als Soldat 244 stratos (Thuc. 1.57,6), des Kallias (Thuc. 1.61,1), des Phormion (Thuc. 1.64,2) und des Hagnon (Thuc. 2.58,1) erfolgten ausnahmslos zur See, und der anonyme Kritiker (womöglich Herodikos), den Diogenes Laertius (2.23 = SSR I D 1 [23]) zitiert, hatte ganz Recht, die gegenteilige Meinung als unhistorisch zu verwerfen. Auch die Schlacht beim Delion kennen wir in der Hauptsache aus Thukydides (4.76 & 89-101), dem Diodor (12.69 sq.) wiederum nur wenig Neues hinzuzufügen weiß. Wenn man die Darstellung des Thukydides (die hier nicht in extenso wiedergegeben werden soll) mit den Erzählungen der Sokratiker kontrastiert, so erlebt man abermals eine Überraschung: Ließ sich in betreff Potidaias kaum ein konkretes Detail in den Erzählversionen Platons und des Antisthenes mit der historischen Überlieferung in Einklang bringen, so findet sich in den Erzählversionen, die Platon, Antisthenes und der sokratische Anonymus von der Schlacht beim Delion geben, nur ein einziges Detail, das stricto sensu mit der historischen Überlieferung in Widerspruch steht: die Behauptung des Anonymus, daß Laches in der Schlacht beim Delion als «Stratege» (praetor) fungiert habe. Das geht historisch nicht wohl an. Thukydides würde es, nach seiner Art, vermerkt haben, wenn Laches neben Hippokrates als Stratege fungiert hätte; er nennt aber ausschließlich Hippokrates. Diesem Befund entspricht auch, was wir von den politischen Schicksalen des Laches (Quellen: PA 9020; RE 12.1, 336-338; PoP p. 180 sq.) vor und nach der Schlacht beim Delion etwa noch wissen: Nachdem er in den Jahren 427-26 als Stratege erfolgreich in Sizilien Krieg geführt hatte, wurde er nach seiner Rückkehr im Winter 426-25 von Kleon wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt. Wiewohl freigesprochen, scheint er sich in den folgenden Jahren politisch zurückgehalten zu haben: Das nächste, was wir hören, ist, daß er im Frühjahr 423 in der Volksversammlung einen Antrag auf einen einjährigen Waffenstillstand mit Sparta einbrachte. Wäre er zwischen diesen beiden Ereignissen zum Strategen gewählt worden, wüßten wir es. Von der Strategie des Laches abgesehen, sind alle konkreten Details, die die Sokratiker über Sokrates' Teilnahme an der Schlacht beim Delion erzählen, mit der historischen Überlieferung in Einklang zu bringen. Woraus freilich durchaus nicht folgt, daß alles, was erzählt wird, auch historisch glaubwürdig wäre. Im Gegenteil: War es im Falle Potidaias der Dissens mit der historischen Überlieferung, der das, was die Sokratiker erzählten, in historisch fragwürdigem Lichte erscheinen ließ, so ist es hier der Dissens der Sokratiker untereinander: Über Sokrates' Teilnahme an der Schlacht beim Delion erzählen die drei Sokratiker Platon, Antisthenes und der Anonymus drei unterschiedliche Geschichten, so unterschiedliche, daß sie auch die diplomatischste Kritik nicht miteinander in Einklang zu bringen vermag. 9. Sokrates als Soldat 245 Platon und Antisthenes stimmen wenigstens noch darin überein, daß es die persönliche Tapferkeit des Sokrates gewesen sei, die die Rettung auf der Flucht bewirkt habe. Alles andere aber erzählt der eine anders als der andere: Platon stellt es so dar, daß Alkibiades, beritten und also nicht unmittelbar gefährdet, beobachtet, wie sich Sokrates und Laches, beide Hopliten, auf der Flucht verhalten, wobei die tapfere Besonnenheit des Sokrates eindrucksvoller wirkt als das Verhalten des Laches. Wie anders Antisthenes! Laches fehlt in seiner Version der Geschichte; er würde auch gar nicht in die Szenerie passen, wenn es denn richtig ist, daß Antisthenes erzählte, wie Sokrates Alkibiades, der, vom Pferde gefallen, in hilfloser Lage, also wohl verwundet war, auf den Schultern eine lange Strecke weit trug, bis er außer Gefahr war, und sodann auf den Kampfpreis, der ihm gebührt hätte, zugunsten des Alkibiades verzichtete. Nicht genug damit, daß diese beiden Geschichten nichts miteinander gemein haben: Die Geschichte des Antisthenes erinnert auch noch — aber nur von ungefähr — an jene Geschichte, die Platon über Sokrates und Alkibiades vor Potidaia erzählt; so daß man den bestimmten Eindruck gewinnt, daß das historische Detail, gleichsam als literarisches Versatzstück, willkürlich von hier nach dort verschoben werden kann, ohne daß sich sagen ließe, wo es seinen ursprünglichen Ort gehabt habe; denn daß so etwas wie berichtigende Polemik zwischen den beiden Versionen der Geschichte walte, davon findet sich nicht die geringste Spur. Wenn schon die großen Divergenzen zwischen Platon und Antisthenes die Historizität des Erzählten in fragwürdigem Lichte erscheinen lassen, so gerät das Historische vollends in einen Abgrund, wenn man auch noch jene Version der Geschichte in Betracht zieht, die der anonyme Sokratiker erzählt hat. Die Grundtendenz dieser Geschichte ist eine völlig andere als jene, die Platon und Antisthenes gemeinsam war: Nicht die persönliche Tapferkeit des Sokrates bringt die Rettung, sondern das Sokratische Daimonion, das am rechten Ort den rechten Weg anzeigt, den die meisten für den falschen halten, so daß alle — ausgenommen Pyrilampes — zugrunde gehen, während Sokrates und die wenigen, die ihm folgen — unter ihnen Alkibiades und Laches — auf schwieriger Route wohlbehalten nachhause zurückkehren. Sokrates fungiert in dieser Geschichte als Retter, insofern nur er über die göttliche Stimme verfügt; Pyrilampes ist Berichterstatter über jenes Geschehen, das Sokrates und seine Gefährten nicht erlebt haben: daß die böotische Reiterei die Athener auf der Flucht nach tapferem Widerstand tötete. Demgegenüber bleibt unklar, welche Rolle Alkibiades und Laches zukam. Sicher aber ist, daß sie eine andere gewesen sein muß, als Platon und Antisthenes beiden jeweils zuweisen: Weder kann Laches als Folie für die Tapferkeit des Sokrates gedient — wie bei Platon — noch kann Sokrates den hilflosen Alkibiades gerettet — wie wahrscheinlich bei 9. Sokrates als Soldat 246 Antisthenes — oder ihm den Kampfpreis zediert haben — wie sicher bei Antisthenes —; denn alle diese Erzählmotive gründen in der persönlichen Tapferkeit des Sokrates, die mit der rettenden Wirkung des Daimonions nicht kompatibel ist. Auch als unbeteiligter Zuschauer — wie bei Platon — kann Alkibiades nicht fungiert haben; denn die Geschichte des Anonymus setzt voraus, daß Alkibiades wie die anderen Gefährten des Sokrates über steiles Gelände nachhause kam. Welche Rolle der Anonymus Laches und Alkibiades zuwies, läßt sich nicht einmal erraten; aber daß es eine andere war, als bei Platon und Antisthenes ersichtlich, stellt außer Zweifel, daß er, wie in der Gesamttendenz, so auch im konkreten Detail, von Platon und Antisthenes nicht weniger abgewichen ist als jene beiden voneinander. Alles in allem ist zu konstatieren, daß die Sokratiker die Geschichte von Sokrates' Teilnahme an der Schlacht beim Delion so unterschiedlich erzählen, daß immanente Kritik ihr Recht verloren hat: Durch konziliatorisches Vergleichen aus dem Widersprüchlichen die «wahre» Geschichte zu rekonstruieren, wäre vergebliche Mühe: Was Sokrates in der Schlacht beim Delion wirklich erlebt hat, bleibt uns historisch ebenso verschlossen wie seine tatsächlichen Erlebnisse während der Belagerung Potidaias. Platon allein verdanken wir die Nachricht, daß Sokrates auch an der Schlacht vor Amphipolis teilgenommen habe, die, wie Thukydides (5.6-11) berichtet, im Sommer 422 stattfand und mit einer schweren Niederlage der Athener endete. Die Frage nach der Historizität dieses Ereignisses läßt sich keineswegs so einfach beantworten, wie man geglaubt hat (Calder 1961, 83-85). Die Tatsache nämlich, daß die Sokratiker darauf verzichtet zu haben scheinen, die Teilnahme des Sokrates an der Schlacht vor Amphipolis in ähnlicher Weise literarisch auszugestalten, wie sie es in betreff der Feldzüge nach Potidaia und zum Delion getan haben, verbürgt noch nicht die Historizität der Nachricht. Wie umgekehrt die Tatsache, daß die Geschichten, die die Sokratiker über Sokrates' Verhalten vor Potidaia und beim Delion erzählen, historischer Kritik nicht standhalten, nicht beweist, daß Sokrates' Teilnahme an diesen beiden Kriegsereignissen unhistorisch gewesen ist. Auf zweierlei Wegen ließ sich erweisen, daß historischer Kritik nicht standhält, was die Sokratiker über Sokrates' Verhalten vor Potidaia und beim Delion erzählen: einmal — im Falle Potidaia — durch Vergleichen der sokratischen Erzählungen mit der historischen Überlieferung; zum anderen — im Falle des Delion — durch Vergleichen der sokratischen Erzählungen untereinander. Daß beide Wege zu demselben Ziele führten, gibt Gewißheit, daß die Untersuchung nicht in die Irre gegangen ist. Vielmehr darf als bewiesen gelten, daß die Geschichten der Sokratiker über Potidaia und das Delion nicht als historisch glaubwürdig gelten können. Mehr noch: Die Sokratiker gehen mit dem historischen Detail so unbedenklich um, daß es historischer Kritik hier nicht gelingt, was sie 9. Sokrates als Soldat 247 anderswo erfolgreich zu leisten vermag: die «wahre» Geschichte zu ergründen, die sich hinter unterschiedlichen literarischen Versionen jeweils verbirgt. Nun bedeutet der Verzicht auf die Rekonstruktion der wahren Geschichte nicht den Verlust der Historizität schlechthin. Wer anders schließt (wie bereits Herodikos getan hat), muß sich die Konsequenzen vergegenwärtigen: Sokrates' Teilnahme an den Feldzügen gegen Potidaia und zum Delion und auch seine Teilnahme an der Schlacht vor Amphipolis müßten als unhistorisch verworfen werden. Dies zugestanden, liegt dann der Schluß nicht mehr ferne, daß alle historischen Daten, die die Sokratiker nennen, als historisch unglaubwürdig zu gelten hätten — die Existenz des Sokrates womöglich eingeschlossen. Wer aber so urteilt, muß sich entgegnen lassen, daß der Schluß vom Wie auf das Daß keineswegs zwingend ist; oder anders: Wenn auf literarischer Erfindung beruht, wie die Sokratiker das Verhalten des Sokrates im Kriege beschreiben, so folgt daraus nicht, daß Sokrates überhaupt keinen Kriegsdienst getan hat: Pure Erfindung nämlich ist nicht recht eigentlich Sache der Literatur, namentlich nicht der griechischen Literatur, die stets und überall Reste konkreter Lebenswirklichkeit festhält. Worüber mehr noch als der Sokratische Dialog die Komödie Auskunft geben könnte, die das Maximum an erfindendem Erzählen darstellt, das die Griechen der Klassischen Zeit sich gestattet haben (von Möllendorff 1995, 110-266). Will man den historischen Rest bestimmen, der den Erzählungen der Sokratiker über Sokrates' Kriegsdienst zugrunde liegt, so bleibt keine andere Auskunft, als das Wie preiszugeben, am Daß jedoch festzuhalten. Will sagen: Alles, was zur erzählten Geschichte gehört, steht eo ipso im Verdacht, sich literarischer Erfindung zu verdanken; was hingegen nicht zur erzählten Geschichte gehört, sondern den Anlaß und die Voraussetzung der Geschichte bildet, darf als historisch glaubwürdig gelten. Dies vorausgesetzt, werden wir nie erfahren, wie sich Sokrates während der Feldzüge nach Potidaia und zum Delion verhalten hat — vom Feldzug nach Amphipolis ganz zu schweigen. Aber daß Sokrates an diesen drei Feldzügen teilgenommen hat, dürfen wir unbedenklich als historisch verbürgtes Faktum der Sokratesbiographie buchen. Wer behauptet, daß sich Sokrates im Kampfe überall tapfer gehalten habe, riskiert schon viel. Alles andere jedenfalls ist Literatur und also historischer Wahrheitsfindung verschlossen: Man kann davon glauben oder nicht glauben, was man will. 10. Sokrates und Iphikrates ∗ Matri carissimae in a.d. XIII. Kal. Dec. A.D. MDCCCCLXXXIIII pietatis ergo 1. Iphikates und Glaukonides Diogenes Laertius (2.30 = SSR I D 1 [30]) überliefert in seiner Sokratesbiographie folgende bemerkenswerte Notiz: ἐ ̟ ῆ ρε δ ὲ κα ὶ ε ἰ ς φρ ό νηµα Ἰ φικρ ά την τ ὸ ν στρατηγ ό ν (sc. Socrates), δε ί ξας α ὐ τ ῶ ι το ῦ κουρ έ ως Μειδ ί ου ἀ λεκτρυ ό νας ἀ ντ ί ον τ ῶ ν Καλλ ί ου ̟τερυξαµ έ νους. κα ὶ α ὐ τ ὸ ν Γλαυκων ί δης ἠ ξ ί ου τ ῆ ι ̟ ό λει ̟ερι̟οιε ῖ ν καθ ά ̟ερ φασιαν ὸ ν ὄ ρνιν ἢ τα ώ . Der ganze Abschnitt zerfällt formal in zwei selbständige Sätze, deren erster eine Paränese des Iphikrates enthält ( ἐ ̟ ῆ ρε [...] ε ἰ ς φρ ό νηµα Ἰ φικρ άτην), während der zweite eine Meinungsäußerung des Glaukonides referiert ( ἠ ξ ί ου Γλαυκων ί δης). Obwohl beide Sätze durch die Partikel καί verbunden sind, so daß ein enger Zusammenhang vermutet werden darf, stellen sie doch jeweils so unterschiedliche inhaltliche und methodische Probleme, daß sich eine getrennte Interpretation empfiehlt. 2. Die Iphikratesparänese Um diese Geschichte richtig zu beurteilen, muß man zunächst den Kontext näher ins Auge fassen. Diogenes Laertius (2.29 = SSR I D 1 [29]) berichtet, daß Sokrates sowohl das «Zureden» (̟ροτρέψαι) wie auch das «Abmahnen» ( ἀ ̟οτρέψαι) verstanden habe: So habe er, wie Platon berichte, den Theaitetos nach einem Gespräch über die Erkenntnis gottbegeistert entlassen; den Euthyphron dagegen, der gegen seinen eigenen Vater eine Klage wegen Tötung eines Fremden einbringen wollte, habe er durch ein Gespräch über das Fromme davon abgehalten; den Lysis habe er durch seine Mahnreden zu einem äußerst moralischen Menschen geformt; seinen Sohn Lamprokles, der zornig auf seine Mutter war, habe er, wie Xenophon sage, zur Sinnesänderung bewogen; den Glaukon, Platons ∗ Erstveröffentlichung in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge [Kommissionsverlag Ferdinand Schöningh, Würzburg] 11 (1985) 45-62. 10. Sokrates und Iphikrates 249 Bruder, der in die Politik gehen wollte, habe er, wie Xenophon berichte, davon abgehalten, weil ihm die Erfahrung fehle; dagegen habe er den Charmides, weil er Talent habe, zur Politik ermuntert; folgt die Iphikratesparänese. Der Abschnitt bildet eine Einheit, indem einzelne Beispiele aneinandergereiht werden, die jeweils die These beweisen, daß Sokrates sowohl das Zureden wie das Abmahnen verstanden habe. Daß auch die Iphikratesgeschichte in diesen Zusammenhang gehört, lehrt nicht nur die Verbindungspartikel καί, sondern mehr noch die Wendung ἐ ̟ ῆ ρε [...] ε ἰ ς φρ ό νηµα, deren protreptische Aussage sich dem Gesamtkontext nahtlos einfügt. Es ist der so oft schädliche Einfluß der modernen Kapiteleinteilung, wenn die Ausgaben diese Geschichte wider alle kompositorische Logik durch Absatz aus dem in sich geschlossenen Textzusammenhang herauslösen. Diogenes nennt für das Theätetexempel Platon, für das Lamprokles- und Glaukonexempel jeweils Xenophon als Gewährsmann. Aber der Kontext legt nahe, was sich anhand der erhaltenen Schriften überdies auch beweisen läßt: daß die Euthyphron- und Lysisgeschichte ebenfalls aus Platon, die Charmidesgeschichte, die als Pendant zur Glaukongeschichte konzipiert ist, ebenfalls aus Xenophon genommen ist. Dagegen ermangelt die Iphikratesparänese einer Quellenangabe, und der Text läßt sich auch nicht anderweitig verifizieren. Aber soviel ist aus dem Zusammenhang sicher, daß Diogenes auch dieses Beispiel, wie eingestandenermaßen oder nachweislich alle vorhergehenden, einem Sokratiker verdankt, der auf seine Weise in einem Dialog ein Stück Sokratischer Protreptik dargestellt hat. Mehr noch. Sieht man vom Lysisexempel ab, das so nichtssagend und allgemein gehalten ist, daß der Verdacht naheliegt, Diogenes habe diese Passage samt dem störenden Folgesatz ( ἦ ν γ ὰ ρ ἱ καν ὸ ς ἀ ̟ ὸ τ ῶ ν ̟ραγµ ά των το ὺ ς λ ό γους ε ὑ ρ ί σκειν) selbständig eingefügt, um den Bericht seines Gewährsmannes aus Eigenem zu ergänzen, so geben alle Beispiele, wie sich unschwer nachprüfen läßt, trotz ihrer Kürze Inhalt und Zweck wie auch die Einzelheiten des jeweiligen Dialoges durchaus zutreffend und zuverlässig wieder. Dasselbe muß demnach auch für das Iphikratesbeispiel gelten, dessen ausgesuchte Wortwahl und detaillierte Sachkenntnis ohnehin einen literarisch günstigen Eindruck vermitteln. Die Iphikratespassage ist demnach nichts Geringeres als ein zuverlässiges Exzerpt aus einem verlorenen Sokratischen Dialog, und es lohnt sich wohl, diesen ebenso kostbaren wie problematischen Text näher ins Auge zu fassen. Der Text hat, seiner Bedeutung ungeachtet, bisher nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. O. Gigon (1947, 151), der die anonyme Sokratesüberlieferung recht eigentlich entdeckt und für die Forschung erschlossen hat, äußert sich folgendermaßen: «Leider ist das Referat so verkürzt, daß 10. Sokrates und Iphikrates 250 man zwar den Gesamtsinn, nicht aber die Einzelheiten versteht. Der Gegensatz zwischen den Besitzern der Hähne, dem lächerlichen Banausen Meidias und dem reichen Kallias, muß eine Rolle gespielt haben.» Demgegenüber urteilt H. Allmann (1972, 219), nachdem er die antiken Testimonien über Meidias und Kallias durchmustert hat: «[...] nach allem, was wir über sie gehört haben, können Kallias und Meidias nicht die Rolle gespielt haben, die Gigon ihnen zugedacht hat, es ist ausgeschlossen, daß Sokrates auf Gegensätze in ihrer Wesensart oder ihrem Verhalten hinweisen wollte, um Iphikrates vor dem einen zu warnen, ihm aber zugleich mit dem anderen ein Leitbild für den eigenen Lebensweg zu geben. Bei der Fragwürdigkeit ihres Treibens können vielmehr nur beide als abschreckende Beispiele gedient haben; sie mögen den Athenern manches Schauspiel geboten haben, erhebend im Sinne des ἐ ̟ ῆ ρε [...] ε ἰ ς φρ ό νηµα, mit dem Diogenes Laertius seine Wiedergabe des Dialoges einleitet sind sie sicher nicht gewesen! » L. Rossetti und C. Lausdei (1979, 74) bemerken schließlich: «Quanto poi ai galli di Callia e del barbiere Midia, si direbbe che essi esprimano, con la loro animalesca tracotanza, precisamente i lati negativi della personalità morale dei loro proprietari, cattivi cittadini da non imitare. Ad essi Socrate contrappone il φρ ό νηµα che farà di Ificrate un cittadino degno di stima, capace di conferire lustro alla città con le sue gesta [...].» — Eine genaue Analyse des Textes wird zeigen, daß Gigons Bemerkungen zu kurz greifen, während die Ausführungen Allmanns, denen Rossetti und Lausdei im wesentlichen folgen, den Sinn der Geschichte verfehlen. Die Iphikratesparänese besteht aus einem Hauptsatz ( ἐ ̟ ῆ ρε), der durch ein Partizipium näher erläutert wird (δε ί ξας). Der Hauptsatz sagt aus, was Sokrates getan hat; die Partizipialkonstruktion beschreibt, wie er erreichte, was er getan hat. Beide Satzglieder bedürfen gesonderter Behandlung. Der Hauptsatz berichtet, daß Sokrates dem Strategen Iphikrates zu einer selbstbewußten Gesinnung (φρ ό νηµα) verhalf. Das setzt voraus, daß Sokrates und Iphikrates einander begegnet sind und daß Iphikrates verzagt und mutlos war, so daß er einer Ermunterung bedurfte. Wenn Sokrates und Iphikrates einander begegnet sind, wie der Text voraussetzt, so kann Iphikrates noch nicht der berühmte Feldherr gewesen sein, als den ihn die Geschichte kennt. Iphikrates (Quellen: PA 7737; RE 9.2, 2019-2022 [Nr. 1]) nämlich vollbrachte seine ersten militärischen Großtaten während des Korinthischen Krieges, und es ist kaum glaublich, ja recht eigentlich ausgeschlossen, daß ein Sokratischer Dialog den Anachronismus begangen haben sollte, auf Ereignisse anzuspielen, die notorisch Jahre nach Sokrates' Tod datieren. Der Platonische Menexenos jedenfalls beweist nicht das Gegenteil, da er seine anachronistischen Anspielungen in einer rhetorischen Epideixis versteckt, die im Rahmen der Sokratischen Literatur so ungewöhnlich und einmalig gewesen sein dürfte, wie sie es im Rahmen des Platonischen Gesamtwerkes nachweislich ist. 10. Sokrates und Iphikrates 251 Andererseits konnte Iphikrates aber auch nicht als beliebiger athenischer Bürger vorgeführt werden, ohne daß von seiner zukünftigen ruhmreichen Laufbahn als Militärführer irgendwie andeutungsweise die Rede gewesen wäre; es muß vielmehr vorausgesetzt werden, daß er bereits gewisse Eigenschaften besaß und gewisse Erfolge aufweisen konnte, die seine spätere Karriere als Stratege wenigstens ahnen ließen. Gigon (1947, 151) bemerkt sehr richtig: «Die Szene spielt ganz am Anfang der Karriere des Iphikrates.» Wie die Karriere des Iphikrates begann, schildert Plutarch (Apophth. reg. imp. p. 187 a): Iphikrates habe seinen ersten Ruhm verdient, als er, obwohl verwundet, einen Feind gepackt und mitsamt den Waffen in seine Triere gezogen habe. Diese Ersttat des Iphikrates, über die nichts Näheres bekannt ist, muß vor dem Korinthischen Krieg geschehen sein und läßt sich, da weder an ein ganz unbedeutendes Gefecht zu denken ist noch gar an die Niederlage bei Aigospotamoi, die für dergleichen Heldenstücke keinen Raum bot, am ehesten auf das Jahr 406 datieren, als die Athener bei den Arginusen ihren letzten großen Sieg zur See gegen die Spartaner erfochten. Iphikrates, der das Greisenalter erreichte und zwischen 354 und 352 starb, muß damals eher zwanzig als dreißig Jahre alt gewesen sein. Der Text sagt nicht, warum Iphikrates so niedergeschlagen und mutlos war, daß er einer Aufmunterung durch Sokrates bedurfte. Doch läßt sich der Grund unschwer erraten. Plutarch (p. 186 sq.) berichtet, bevor er von der ersten Ruhmestat des Iphikrates erzählt, Iphikrates sei in Athen allgemein verachtet worden, weil er als Sohn eines Schusters galt. Und was der junge, noch unbewiesene Mann zu hören bekam, das mußte sich noch der ruhmreiche Feldherr sagen lassen, als ihn Aristogeiton (OA 2 p. 180) im Jahre 371 während eines Prozesses ob seiner δυσγένεια verspottete. Iphikrates gab damals zur Antwort: τ ὸ µ ὲ ν ἐ µ ὸ ν ἀ ̟ ᾽ ἐ µο ῦ γένος ἄ ρχεται, τ ὸ δ ὲ σ ὸ ν ἐ ν σο ὶ ̟αύεται. Diese Antwort artikuliert ebenso unverhohlen den Stolz eines Mannes, der es aus kleinen Verhältnissen zu Ruhm und Ehre gebracht hat, wie das berühmte Iphikrateswort (Arist. Rhet. 1 p. 1367 a 18; vgl. 1365 a 28): ἐ ξ ο ἵ ων ε ἰ ς ο ἷ α. Die Äußerungen Plutarchs über Iphikrates (Apophth. reg. imp. p. 186 f- 187 a), die zur Erklärung des Textes dienlich waren, verdienen noch einmal im Zusammenhang zitiert zu werden: Ἰ φικρ ά της, δοκ ῶ ν υ ἱὸ ς ε ἶ ναι σκυτοτ ό µου, κατεφρονε ῖ το· δ ό ξαν δ ὲ τ ό τε ̟ρ ῶ τον ἔ σχε, ὅ τε τραυµατ ί ας (ναυµαχίας ⟨ ο ὔ σης ⟩ perperam Bernardakis) ̟ολ έ µιον ἄ νδρα ζ ῶ ντα ε ἰ ς τ ὴ ν ἑ αυτο ῦ τρι ή ρη µετ ή νεγκεν. Zunächst ist zu konstatieren, daß diese Stelle im Rahmen des Iphikratesabschnittes, ja im Rahmen der ganzen Sammlung, eine Sonderstellung einnimmt, weil sie kein Apophthegma bietet, sondern eine Geschichte erzählt. Bemerkenswert ist ferner, daß die Geschichte von der Jugend des Iphikrates erzählt, von der keine andere Quelle das Geringste weiß. So 10. Sokrates und Iphikrates 252 stellt sich die Frage, wo Plutarch dieses einzigartige Zeugnis gefunden hat. Die Iphikratesüberlieferung beruht im wesentlichen auf Nachrichten aus Reden und aus Geschichtswerken. Daß in einer Rede von der Jugendtat des Iphikrates gesprochen wurde, ist nicht eben wahrscheinlich; daß ein Geschichtsschreiber davon kündete, erscheint ausgeschlossen. So bleibt das Sokrates-Iphikrates-Gespräch. Und in der Tat: Wo anders ließ sich eine Geschichte über die Jugend des Iphikrates finden als in einem Dialog, der Sokrates im Gespräch mit dem jungen Iphikrates zeigte? Es kommt hinzu, daß Iphikrates' niedrige Abkunft, von der Plutarch im Zusammenhang mit jener ersten Ruhmestat erzählt, aufs beste die Eingangssituation dieses Gesprächs begründet, das Iphikrates mutlos und niedergeschlagen zeigte. Wie denn schließlich eine so novellistisch getönte Geschichte, wie sie Plutarch vom jungen Iphikrates erzählt, am allerbesten und eigentlich nur in den Rahmen eines Sokratischen Dialoges paßt. Es läßt sich nach alledem für die Iphikratesparänese folgende Eingangssituation erschließen: Sokrates trifft auf den jungen Iphikrates, der sich mutlos und niedergeschlagen zeigt, weil er glaubt, daß seine niedrige Herkunft seiner militärischen Laufbahn, für die er sich durch eine ruhmvolle Einzeltat qualifiziert fühlen durfte, hinderlich sein werde. Die folgende Partizipialkonstruktion erzählt, wie Sokrates den Mutlosen wieder aufrichtete: Er wies ihn auf die Kämpfe hin, die zwischen den Hähnen des Meidias und denen des Kallias stattfanden. Um diese Szene richtig zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, wer die Besitzer der Hähne gewesen sind und was die Hähne getan haben. Meidias (PA 9714; RE 15.1, 333 f. [Nr. 1]) wird im Text ausdrücklich als «Barbier» (κουρεύς) bezeichnet. Man muß nicht viel von attischer Sozialgeschichte verstehen, um zu erkennen, daß er mit dieser Berufsbezeichnung als Banause und Proletarier abgestempelt werden soll. In dieselbe Richtung weist auch die Attische Komödie, der wir die wesentlichsten Informationen über den Mann verdanken. Die Komiker Platon (PCG 7 fr. 85) und Phrynichos (PCG 7 fr. 4) nennen Meidias übereinstimmend «ein übles Subjekt» (̟ονηρός), und Phrynichos bezeichnet ihn darüber hinaus als «Gauner» (κόβαλος) und «prahlerischen Bettler» (̟τωχαλάζων). Hierzu passt, daß Metagenes (PCG 7 fr. 12) Meidias Diebstahl von Staatseigentum und Sykophantie vorwirft. Wie denn der Mann überhaupt auch politischen Ehrgeiz besessen haben muß, so daß er im (pseudoplatonischen) Größeren Alkibiades (p. 120 a) als Musterbeispiel eines schlechten Politikers angeführt werden kann, der dem Volke nach dem Munde rede, statt es zu führen. Meidias reiht sich so ein in die Reihe der sogenannten Kleinen Leute, die nach dem Tode des Perikles in Athen Einfluß zu bekommen trachteten und bisweilen auch wirklich bekamen. Anders als Meidias trägt Kallias keine charakterisierende Apposition. Das war auch nicht nötig; denn jeder wußte über diesen Mann als einen der prominentesten Athener Bescheid: Ältester Adel, Daduchos, Proxenos 10. Sokrates und Iphikrates 253 Spartas, als Stiefsohn des Perikles und Schwager des Alkibiades mit den vornehmsten und einflußreichsten Kreisen Athens verwandtschaftlich eng verbunden, unermeßlich reich, dabei ohne größeren politischen Ehrgeiz, vielmehr dem Wohlleben und dem Luxus zugetan, aber auch ein Freund und Förderer der neuen sophistischem Bildung, derentwegen die ihn die Komiker ebenso leidenschaftlich verspottet haben wie später die Sokratiker. Wie hat man sich das Zusammentreffen dieser beiden Männer vorzustellen? Allmann (1972, 215) ist der Meinung, Kallias und Meidias seien als zwei Kumpane beschrieben, «die selbstgefällig auf ihre Mitmenschen herabschauen, ja herabspucken und ein Leben im Überfluß führen, bei dem sie kein Maß und kein Ziel kennen». Diese Beschreibung stützt sich jedoch nicht auf den prosopographischen Befund, sondern auf Lukian (Iupp. conf. 11 & Iupp. trag. 48), der Kallias, Alkibiades und Meidias bzw. Kallias, Meidias und Sardanapal als reiche Nichtstuer Phokion und Aristeides bwz. Phokion, Aristeides und Sokrates gegenüberstellt, die in Armut ein hochanständiges Leben geführt hätten. Aber der hier genannte Meidias ist nicht der κωµωιδούµενος, sondern ein anderer, der Sohn des Kephisodoros (PA 9719; RE 15.1, 334-338 [Nr. 2]), ein reicher Athener, der in der Politik des 4. Jahrhunderts keine unbedeutende Rolle gespielt hat und unsterblich wurde, weil Demosthenes, dem er im Streit über die Choregie für das Jahr 350 im Theater eine Ohrfeige versetzt hatte, eine Anklagerede (Or. 21) gegen ihn schrieb, die sich, wenn auch unvollständig, erhalten hat und vom Leben und Treiben dieses Mannes einen nachhaltigen Eindruck vermittelt. Allmann hat sich, wie viele andere Gelehrte auch, durch das Scholion zu Iupp. trag. 48 (p. 83 sq. Rabe) in die Irre führen lassen, das die beiden Homonymi konfundiert und so dem Demosthenesgegner zuschreibt, was allein auf den κωµωιδούµενος des 5. Jahrhunderts zutreffen kann. In Wahrheit läßt der prosopographische Befund nicht den geringsten Zweifel daran, daß Gigon (1946, 151) recht hat, wenn er zwischen Meidias und Kallias einen «Gegensatz» konstatiert. Der Gegensatz könnte in der Tat nicht größer sein: Da trifft der Unbemittelte auf den Reichen, der erfolglose Möchtegern-Demagoge auf den unpolitischen Genießer und der soziale Niemand und Banause auf den adligen Grandseigneur. Ebendiese Gegensätze müssen in der Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt haben, und hier wieder besonders der letztgenannte Gegensatz, der soziale, den der Text ausdrücklich hervorhebt, wenn er — übrigens er allein — Meidias als κουρεύς bezeichnet. Der Text stellt Meidias und Kallias als Besitzer von Kampfhähnen (Keller 2, 1913, 131-145; RE 7.2, 2210-15) dar. Meidias muß die Aufzucht solcher Tiere nachgerade professionell betrieben haben, sonst würde Phrynichos (PCG 7 fr. 43) ihn nicht ausdrücklich als einen Mann erwähnen, «der sich vollen Ernstes mit Hähnen befasst» ( ὡ ς ̟ερ ὶ ἀ λεκτρυόνας 10. Sokrates und Iphikrates 254 α ὐ το ῦ ἐ σ̟ουδακότος); und wenn Pseudoplaton (Alc. mai. p. 120 a; cf. Aristoph. Au. 1297 und Platon comic. PCG 7 fr. 116) den Mann als «Wachtelzüchter» ( ὀ ρτυγοτρόφος) tituliert, so geht daraus hervor, daß er nicht nur Hähne, sondern auch Wachteln als Kampftiere abgerichtet hat (Keller 2, 1913, 161-164; RE Suppl. 8, 906-911). Wenn ähnliche Aktivitäten nicht auch für Kallias bezeugt sind, so will das nicht viel besagen. Denn daß dieser Lebemann, der jeder Art von Luxus und Zerstreuung zugetan war, auch dem ebenso beliebten wie grausamen Sport des Hahnenkampfes nachgegangen ist, kann nicht verwundern. Es sind also gewissermaßen zwei Experten, die hier ihre Hähne gegeneinander kämpfen lassen: der eine ein bekannter Züchter von dunkler Herkunft und banausischer Profession, der andere der vornehmste und reichste athenische Herr, dessen Vögel nicht minder gut ausgebildet gewesen sein werden als die seines proletarischen Gegenspielers. Es steht zu vermuten, daß eine so prominent besetzte Konkurrenz im Hahnenkampf nicht irgendwo an einer Straßenecke oder in einem Gymnasium stattfand, sondern während des großen staatlichen Agons, der jedes Jahr im Monat Poseideon im Dionysostheater abgehalten wurde. Dafür spricht auch die Tatsache, daß der Text von den Hähnen des Meidias und Kallias in der Mehrzahl spricht, so daß, da nicht mehrere gegnerische Hähne auf einmal gegeneinander kämpfen können, an eine Mehrzahl von aufeinanderfolgenden Kämpfen zu denken ist, wie sie für den Agon ausdrücklich belegt sind. Und da uns überdies berichtet wird, daß die wehrfähige Jugend Athens gesetzlich verpflichtet war, diesem Agon beizuwohnen, so erklärt sich auch zwanglos die Anwesenheit des jungen Iphikrates bei diesem Schauspiel. Um zu verstehen, was sich während dieser Kämpfe ereignet hat, muß man prüfen, was von den Hähnen des Meidias und Kallias ausgesagt wird. Auszugehen ist von den vorliegenden Übersetzungsvorschlägen. Ambrosius Traversarius (Huebner 1, 1828, 115) übersetzt: gallos gallinaceos tonsoris Midiae adversus eos qui erant Calliae alis dimicantes; O. Apelt (Leipzig 1, 1921, 76) paraphrasiert: «die Hahnenkämpfe zwischen den Hähnen des Barbiers Meidias und denen des Kallias»; R.D. Hicks (1, 1925, 161): «the fighting cocks of Midias the barber flapped there wings in defiance of those of Callias»; schließlich M. Gigante (1, 1976, 59): «i galli del barbiere Midia battevano le ali sfidando quelli di Callia.» Es läßt sich zeigen, daß alle diese Vorschläge, von denen die beiden letztgenannten ungleich genauer sind als die vorhergehenden, in einem entscheidenden Punkt den Sinn des Textes verfehlen, weil sie die Bedeutung des Verbums ̟τερύσσεσθαι, das das Verhalten der Hähne prägnant beschreibt, nicht exakt genug ermittelt haben. Das vergleichsweise seltene Verbum medium ̟τερύσσεσθαι besagt in seiner Grundbedeutung soviel wie «aufgrund innerer Anteilnahme die Flügel bewegen» (vgl. bes. Aelian, De nat. anim. 7,7 [aus Aristoteles]). 10. Sokrates und Iphikrates 255 Dem Hahn eignet dieser Gestus, wie jeder weiß, als Imponiergehabe, das in der Regel mit lautem Krähen verbunden ist. So schlägt denn auch der Kampfhahn, wenn er seinen Gegner besiegt hat, triumphierend mit den Flügeln und läßt ein lautes Krähen ertönen. Einen amüsanten Beleg für diesen allerdings ohnehin einleuchtenden Sachverhalt liefert Demosthenes (Or. 54,8 sq.): Ariston wird von Konon und seinen betrunkenen Spießgesellen so mißhandelt, daß er schließlich schwer verwundet und hilflos im Straßenstaub liegt; damit nicht genug, führen die Täter auch noch Spott- und Drohreden gegen den Wehrlosen, die in folgendem ihren Gipfel finden: ἦ ιδε γ ὰ ρ (sc. Cono) το ὺ ς ἀ λεκτρυ ό νας µιµο ύ µενος το ὺ ς νενικηκ ό τας, ο ἱ δ ὲ (sc. Cononis socii) κροτε ῖ ν το ῖ ς ἀ γκ ῶ σιν α ὐ τ ὸ ν ἠ ξ ί ουν ἀ ντ ὶ ̟τερ ύ γων τ ὰ ς ̟λευρ ά ς. Das heißt: Der betrunkene Übeltäter hat, «wie ein siegreicher Hahn», sein am Boden liegendes Opfer angekräht, und seine Kumpane haben ihn aufgefordert, sich nun auch noch mit den Ellenbogen an die Rippen zu schlagen, um auch das zum Siegeskrähen hinzugehörende triumphierende Flügelschlagen zu erleben. Ebendiesen Gestus hat auch der Text des Diogenes im Auge. Eine exakte Paraphrase der Stelle müßte demnach dahingehend lauten, daß die Hähne des Meidias gegenüber den Hähnen des Kallias das typische, von einem Krähen begleitete, Triumphgeflatter an den Tag legten. Das aber heißt nicht, daß sie sie «verachteten» (Hicks) oder «herausforderten» (Gigante), sondern daß sie sie besiegt hatten. Es kann hiernach nicht zweifelhaft sein, welche Lehre aus dem Hahnenkampfspektakel zu ziehen ist. Wenn die Hähne des banausischen Meidias die Hähne des adligen Kallias im Kampfe besiegen, so besagt das, daß es im Kampf nicht darauf ankommt, daß einer von vornehmer oder niedriger Abkunft ist, sondern daß einer siegt. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Erkenntnis, die Sokrates nicht nur sinnfällig demonstriert, sondern auch expressis uerbis expliziert haben wird, ermutigend und stärkend auf einen jungen Mann wie Iphikrates wirken mußte, der, trotz bester Anlagen, wegen seiner niedrigen Herkunft an einer Laufbahn als Stratege verzweifeln zu müssen glaubte. Es läßt sich nach alledem folgende Gesamtrekonstruktion des Sokrates-Iphikrates-Gespräches erstellen: Sokrates und der junge Iphikrates treffen beim Hahnenkampf zusammen; Iphikrates, der gerade eine Probe seiner militärischen Tapferkeit gegeben hat, als er, verwundet, einen Feind mitsamt den Waffen in seine Triere zog, zeigt sich mutlos und niedergeschlagen, weil er befürchtet, daß seine niedrige Herkunft aus eines Schusters Familie seiner Karriere als Stratege hinderlich sein werde, zu der er sich zu Recht berufen fühlt; Sokrates verweist den Mutlosen auf den soeben beendeten Agon im Hahnenkampf: dort habe man gesehen, daß die Hähne des Barbiers Meidias die Hähne des adligen Kallias besiegt hätten; und daraus könne man ersehen, daß es beim Kampf nicht auf vornehme Abstammung ankomme, sondern allein auf den Sieg, und daß, 10. Sokrates und Iphikrates 256 wer sich aus eigener Kraft siegreich durchsetze, ein Anrecht auf Stolz und Selbstgefühl habe, er sei im übrigen, wer er wolle. Iphikrates zeigt sich durch diese Überlegungen überzeugt und faßt wieder Mut für die Zukunft . . . So ergibt sich eine in sich geschlossene Eingangsszene, die das typische Kolorit und Gepräge eines Sokratischen Dialoges zeigt und am ehesten an den platonischen Laches, aber auch an den Charmides und an das Xenophontische Symposion erinnert. Es bleibt zu fragen, wie das Gespräch seinen Fortgang genommen haben könnte. Allmann (1972, 229) ist der Meinung, daß alsbald nicht mehr die kämpfenden Hähne, sondern deren Besitzer, Kallias und Meidias, das Interesse der Unterredner auf sich gezogen hätten: «So entspinnt sich eine lebhafte Debatte über sie, über den Sinn ihres Lebens und Treibens, wobei Sokrates und Iphikrates zwangsläufig auf ihre Herkunft und Erziehung zu sprechen kommen, was ihnen wiederum zu einer kritischen Betrachtung der sophistischen ̟αίδευσις Anlaß gibt.» So wahrscheinlich es ist, daß das Gespräch für eine Weile bei der Persönlichkeit der beiden einander so ungleichen Teilnehmer des Hahnenkampfes verweilt hat, so wenig glaublich erscheint es, daß die sophistische Erziehung beider der Mittelpunkt der Erörterung gewesen sein kann. Die Eingangsszene legt vielmehr nahe, daß ein ganz anderes Thema für die weitere Unterhaltung leitend gewesen ist: daß die Tapferkeit, oder allgemeiner: daß die Tüchtigkeit nicht auf den Privilegien einer hohen Geburt beruht, sondern allein auf der eigenen Leistung. Allmann (1972, 230) glaubte, das Sokrates-Iphikrates-Gespräch repräsentiere «ohne Zweifel wichtige Teile des Aischineischen Kallias». Aber man muß nur das Generalthema, wie es sich aus der Eingangsszene zwanglos erschließen ließ, näher ins Auge fassen, um ein ganz anderes Ergebnis zu gewinnen. Der Satz, daß die Tüchtigkeit nicht auf ererbtem Adel beruhe, sondern allein auf Leistung, läßt sich ja auch so formulieren, daß allein die Tüchtigen die wirklich Adeligen sind. Ebendiese Aussage aber ist wörtlich für Antisthenes (SSR V A 134) bezeugt: το ὺ ς α ὐ το ὺ ς ε ὐ γενε ῖ ς κα ὶ ἐ ναρέτους. Wie denn Antisthenes überhaupt — ganz im Gegensatz zu Platon — der Überzeugung gewesen ist, daß die Vortrefflichkeit allein eine Sache der Leistung sei (SSR V A 134): τήν τ ᾽ ἀ ρετ ὴ ν τ ῶ ν ἔ ργων ε ἶ ναι µήτε λόγων ̟λείστων δεοµένην µήτε µαθηµάτων. Antisthenes fand dieses Leistungsideal, das er gerne mit dem Worte ἰ σχύς bezeichnet, vor allem in Sokrates verwirklicht, so daß er sagen konnte, zur Glückseligkeit bedürfe es allein der «Leistungskraft des Sokrates» (SSR V A 134): α ὐ τάρκη δ ὲ τ ὴ ν ἀ ρετ ὴ ν ̟ρ ὸ ς ε ὐ δαιµονίαν, µηδεν ὸ ς ̟ροσδεοµένην ὅ τι µ ὴ Σωκρατικ ῆ ς ἰ σχύος. Kein Wunder, daß er als Haupt- und Idealfiguren seiner Dialoge mit Vorliebe Männer wie Herakles (SSR V A 92-99) und Kyros (SSR V A 84-91) wählte, die trotz widrigster Umstände, die sie von Geburt an benachteiligten, dennoch durch eigene Kraft und Leistung zu 10. Sokrates und Iphikrates 257 Ruhm und Ansehen gekommen sind. Wie sollte diesem Manne, der selbst ein νόθος war (SSR V A 1-5), nicht auch Iphikrates gefallen haben und als Hauptfigur für einen Dialog geeignet erschienen sein, der sich aus niedrigster Herkunft allen Schwierigkeiten zum Trotze zum namhaftesten Feldherrn seiner Zeit emporgearbeitet hatte? Es läßt sich im übrigen auch noch mit ziemlicher Sicherheit bestimmen, in welcher Schrift des Antisthenes das Sokrates-Iphikrates-Gespräch seinen Platz hatte. Der umfangreiche Schriftenkatalog, den Diogenes Laertios (6.15-17 = SSR V A 41) für Antisthenes überliefert, führt im zweiten τόµος an vierter Stelle folgenden Titel auf: Περ ὶ δικαιοσ ύ νης κα ὶ ἀ νδρε ί ας ̟ροτρε̟τικ ὸ ς ̟ρ ῶ τος, δε ύ τερος, τρ ί τος, Περ ὶ Θε ό γνιδος δ ʹ , ε ʹ . Dieser vergleichsweise komplizierte Titel, der anderwärts einfacher durch die Wendung ἐ ν το ῖ ς Προτρε̟τικο ῖ ς oder ἐ ν Προτρε̟τικ ῶ ι (SSR V A 63 sq.) zitiert wird, stellt außer Zweifel, daß als Thema der umfangreichen Schrift die Protreptik im Vordergrund gestanden haben muß, und zwar besonders im Hinblick auf Gerechtigkeit, Tapferkeit und Adel (Theognis); und da weiterhin wohlbezeugt ist, daß die Schrift ein Sokratischer Dialog gewesen ist (SSR V A 11 & 64), so muß es Sokrates gewesen sein, der sich protreptisch über Tapferkeit, Gerechtigkeit und Adel, kurz: über die Vortrefflichkeit hat vernehmen lassen. Das eine wie das andere geschieht aber auch in der Iphikratesparänese, und so spricht alles dafür, daß das Sokrates-Iphikrates-Gespräch ein Teil des Antisthenischen Προτρε̟τικός gewesen ist. Es ist ein glücklicher Zufall, daß sich sowohl die fiktive wie auch die absolute Chronologie dieses Gesprächs vergleichsweise exakt bestimmen läßt. Was die fiktive Chronologie betrifft, so muß das Gespräch nach der Seeschlacht bei den Arginusen und vor Sokrates' Tod stattgefunden haben, also in den Jahren zwischen 406 und 399. Woraus folgt, daß auch dieser Dialog, wie so viele, ja die meisten der Sokratischen Dialoge, in Sokrates' letzten Lebensjahren spielt. Die absolute Chronologie wird dadurch bestimmt, daß der Autor bereits von Iphikrates' Heldentaten im Korinthischen Kriege wußte, als er den Dialog verfaßte. Diese Heldentaten gipfeln im Jahre 390, als Iphikrates vor Korinth eine spartanische More vernichtete. Aber an diesem Erfolg war Kallias maßgeblich beteiligt, und es ist nicht gut vorstellbar, daß der Autor Kallias oder doch wenigstens die Hähne des Kallias dem Iphikrates als kampfuntüchtig vorführte, wenn er wußte, daß Iphikrates und Kallias gemeinsam einen so großen militärischen Erfolg errungen hatten. Der Zeitraum der Abfassung läßt sich somit auf die Jahre 395 bis 391 eingrenzen. Wie die fiktive, so zeigt also auch die absolute Chronologie einen typischen Befund, wie er sich für die frühplatonischen Dialoge und auch für die Κατηγορία Σωκράτους des Polykrates und Lysias' Erwiderung feststellen läßt. 10. Sokrates und Iphikrates 258 3. Das Glaukonidesdictum Dieser Satz hat schon früh den konjekturalen Scharfsinn der Gelehrten angeregt. So bemerkt A. Menagius (Huebner 2, 1830, 345): Locus obscurus et meo iudicio mutilus. An legendum κα ὶ α ὖ τ ὸ ν Γλαυκων ί δην ἠ ξ ί ου τ ὴ ν ̟ ό λιν ̟ερι̟οιε ῖ ν etc. Id est: Atque etiam Glauconidem eadem cura civitatem conservare iubebat qua et phasianos et gallos et pavones conservaret. Ganz anders Allmann (1972, 221), der zunächst die Lesart κα ὶ α ὐ τ ὸ ν γλαυκ+ ἠ ξ ί ου τ ῆ ι ̟ ό λει ̟ερι̟οιε ῖ ν καθ ά ̟ερ φασιαν ὸ ν ὄ ρνιν ἢ τα ώ in Betracht zieht, dann aber eine ganz andere Lösung befürwortet: «Eine weitere Textänderung, die sich ohne Schwierigkeiten durch eine Haplographie erklären läßt, bringt uns auf den richtigen Weg. Die Lesart κα ὶ α ὐ τ ὸ ν γλαυκ+ ἠ ξ ί ου τ ῆ ι ̟ ό λει ̟ερι̟οιε ῖ ν καθ ά ̟ερ φασιαν ὸ ν ὄ ρνιν ἢ τα ώ, in der die Lücke vielleicht durch γλαυκώδη oder die Wendung ἐ ν γλαυκ ὸ ς ε ἴ δει zu schließen wäre [...]» Rossetti und Lausdei (1979, 73) urteilen schließlich: «Si consideri ora l'eventualita di emendare Γλαυκων ί δης in γλαυκ ὸ ν ε ἶ δος [...]. In tal modo si sanerebbero le oscurità del testo tradito senza eccessive acrobazie.» Bevor man die Berechtigung und Richtigkeit dieser teilweise recht kühnen Konjekturen in Betracht zieht, bleibt zu prüfen, ob der überlieferte Text nicht in sich stimmig und verständlich ist. Auszugehen ist wieder von den Übersetzungen. Ambrosius Traversari (Huebner 1, 1828, 115): Ipsum Glauconides civitati applicare optabat non secus ac fasianum avem aut pavonem. Apelt (1, 1921, 76): «Und ihn selbst wollte Glaukonides zum Schmuck der Stadt machen wie einen Fasan oder Pfau.» Hicks (1, 1925, 161): «Glauconides demanded that he should be acquired for the state as if he were some pheasant or peacock.» Gigante (1, 1976, 59): «E il Glauconide credeva che egli potesse conferire prestigio alla città come un fagiano o un pavone.» Die Übersetzungen lehren, daß sich dem überlieferten Text sehr wohl ein Sinn abgewinnen läßt, und wenn sie gleichwohl untereinander differieren, so liegt dies an der unterschiedlichen Auffassung des Verbums ̟ερι̟οιε ῖ ν. Περι̟οιε ῖ ν bedeutet zunächst: «Machen, daß einer oder etwas übrig ist, einen am Leben erhalten, etwas bewahren». In Verbindung mit einem Dativobjekt erhält das Wort dann in klassischer wie in hellenistischer Sprache jene Bedeutung, die das Medium ̟ερι̟οιε ῖ σθαι notorisch hat: «etwas für einen erübrigen, einem etwas verschaffen, für einen etwas erwerben» (vgl. bes. Isocr. Or. 15.11; Polyb. 4.82,6 & 20.6,3; Lucian. Somn. 12). Demnach hat allein Hicks richtig übersetzt, und die Stelle ist dahingehend zu paraphrasieren, daß Glaukonides «dafür hielt» ( ἠ ξίου), man solle jemanden für die Stadt erwerben gleichwie einen Fasanen oder einen Pfauen. So ergibt sich eine grammatisch tadellose Satzkonstruktion, deren Sinn sich freilich nur dann erschließt, wenn man weiß, was der Vogelver- 10. Sokrates und Iphikrates 259 gleich besagen will, wem er gilt und wer jener Glaukonides gewesen ist, der ihn äußert. Der Fasan (Keller 2, 1913, 145-148; RE 6.2, 2001 f.) und der noch prächtigere Pfau (Keller 2, 1913, 148-154; RE 19.2, 1414-1421) werden in Athen während der Perikleischen Zeit bekannt als eine aus dem Orient importierte zoologische Rarität. Dementsprechend war Besitz und Zucht der Tiere nur den Reichsten und Vornehmsten vorbehalten. Aristophanes (Nub. 109) berichtet, daß der adlige Lebemann Leogoras, der Vater des Andokides, Fasanen gezüchtet habe; ebenfalls aus einer Komödie notiert Plutarch (Vit. Pericl. 13.10), daß Pyrilampes, der Sohn des Antiphon und Stiefvater Platons, den Frauen, denen sich sein ἑ τα ῖ ρος Perikles nähern wollte, aus seiner Vogelzucht heimlich Pfauen als Geschenk überlassen habe, um sie gefügig zu machen; schließlich erzählt Antiphon in der Rede gegen Erasistratos (fr. 57-59 Blass-Thalheim), daß Demos, der Sohn des Pyrilampes, ebenfalls der Pfauenzucht obgelegen habe und die seltenen Tiere, deren jedes zu 10000 Drachmen gehandelt worden sei, bei Neumond gegen Geld den Schaulustigen vorgeführt habe, die sogar aus Lakedaimon und Thessalien angereist seien, nur um dieses Schauspiel zu erleben. Glaukonides will demnach sagen, daß jener Mann, von dem er spricht, ein Bürger von solcher Einzigartigkeit und solchem Wert sei, wie es Fasan und Pfau sind, und er fordert, man solle sich dieses Mannes von Staats wegen versichern, koste es was es wolle, da er der Stadt Ruhm und Nutzen bringe, nicht anders als die Pfauen des Demos dem Demos. Fragt sich nur, wer hier als rara auis gekennzeichnet werden soll: Sokrates oder Iphikrates. Außer Hicks fügen alle Übersetzer dem einfachen Personalpronomen (α ὐ τόν) das Demonstrativum «selbst» bei und deuten so an, daß sie die Aussage des Glaukonides auf Sokrates beziehen. Demgegenüber erklärt Allmann (1972, 220; vgl. Rossetti-Lausdei 1979, 73): «Der zweite Abschnitt von Diogenes Laertios' Referat kann [...] nicht sinnvoll auf Sokrates angewendet werden [...]. Mit dem Pronomen muß Iphikrates gemeint sein [...].» Es ist für die Lösung dieses schwierigen Problems viel gewonnen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Glaukonides, gleichviel ob er Sokrates oder Iphikrates im Auge hatte, von Diogenes Laertius nicht in dem Sinne als Gewährsmann zitiert wird wie vorher Platon und Xenophon. Das beweist allein schon die syntaktische Struktur der Stelle, die Glaukonides zum Subjekt macht, während vorher (und auch später) stets Sokrates Subjekt ist und die Quellenautoren jeweils in Form eines kurzen Nebensatzes zitiert werden. Wie es denn auch ganz und gar ungewöhnlich wäre, wenn das Zitat eines Gewährsmannes statt durch ein uerbum dicendi durch das finale ἀ ξιο ῦ ν eingeleitet würde. Und schließlich: Auch wenn man unsere überlieferungsbedingte Unkenntnis hoch veranschlagt — daß ein Glaukonides, wer immer er gewesen sein mag, als gleichrangi- 10. Sokrates und Iphikrates 260 ger literarischer Gewährsmann neben Platon und Xenophon zu stehen gekommen wäre, ist ganz unglaublich. Diese Vermutung wird zu Gewißheit, wenn man die rätselhafte Persönlichkeit des Glaukonides näher ins Auge faßt. Der Name Glaukonides erscheint auf den ersten Blick so obskur, daß es wohl verständlich ist, wenn man neuerdings versucht hat, ihn durch konjekturale Eingriffe wie γλαυκώδη bzw. ἐ ν γλαυκ ὸ ς ε ἴ δει (Allmann) oder γλαυκ ὸ ν ε ἶ δος (Rossetti-Lausdei) zu eliminieren. Aber daß solche Eingriffe unberechtigt sind, lehrt nicht nur die Namensform, die sprachlich einwandfrei gebildet ist und so auch für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts zweimal inschriftlich bezeugt ist (PA 3037 & 3038), sondern lehren auch die Handschriften des Diogenes, die diesen überaus seltenen Namen einhellig und ohne Abweichungen überliefern. Eine solche Überlieferung darf man nicht antasten, und dies um so weniger, als die zahlreichen vorhergehenden Eigennamen des Abschnittes ebenfalls allesamt tadellos überliefert sind. Das Rätsel um die Person läßt sich lösen, wenn man in Betracht zieht, daß ein Grieche, der den Namen Γλαυκων ί δης hörte, nicht nur an das Adjektiv γλαυκός, sondern auch an das als etymologisch als verwandt empfundene Substantiv γλα ῦ ξ dachte, zumal wenn dieser Name, wie hier, in Verbindung mit anderen Vogelnamen auftrat. Wie nun aber Fasan und Pfau die allerseltensten und kostbarsten Vögel waren, so war die Eule in Athen so häufig und verbreitet, daß es sprichwörtlich war; so daß sich ein witziger Kontrast ergibt, indem es ausgerechnet «der Sohn des Euler» ist, der Pfau und Fasan als vorbildliche Vögel anführt. Nach alledem liegt die Vermutung nahe, daß diese Namensform nur des Witzes wegen gewählt wurde; das heißt: der Name Glaukonides ist nicht als Eigenname zu verstehen, sondern als Patronymikon, das auf jeden angewendet werden konnte, dessen Vater Glaukon hieß, er habe selber geheißen, wie er wolle. Gesucht wird demnach ein namhafter Athener, dessen Vater Glaukon hieß und der selber zur Zeit des Sokrates oder des Iphikrates lebte. Die Prosopographie (PA 3010-3035), die nicht weniger als 25 Γλαύκωνες verzeichnet, kennt, da auch Leagros, der Vetter des Andokides, als zu unbedeutend ausscheidet, nur einen Mann, auf den die genannten Kriterien zutreffen: Charmides, den Vetter des Kritias und Onkel Platons. So bestätigt sich, was seinerzeit Gigante (1, 1976, 474 Anm. 93) vermutet hat: «Intendo Carmide, figlio di Glaucone.» Gigante empfiehlt zugleich eine Änderung des überlieferten Textes: «Scrivo, infatti, ὁ Γλαυκων ί δης = ὁ Γλαύκωνος (Senofonte Mem. III 7).» Aber auch dieser Eingriff ist unnötig, da Diogenes bzw. seine Quelle durchaus nicht mehr die wirkliche Identität des Glaukonides durchschaut haben müssen. Niemand wird ernsthaft glauben, daß Diogenes hier eine Äußerung des historischen Charmides zitiert hat. Abgesehen davon, daß von 10. Sokrates und Iphikrates 261 Charmides kein einziges Apophthegma überliefert ist, widerspricht einer solchen Annahme entschieden die Verwendung des Patronymikons, das deutlich genug auf eine literarische Quelle hinweist, in der die Identität des Sprechers und damit der Witz des ganzen Satzes erklärt wurde. Da an die Komödie nicht gut zu denken ist, gerät man nachgerade zwangsläufig in die Sphäre des Sokratischen Dialoges, dem ja auch alle vorhergehenden Äußerungen entnommen waren, die Diogenes referiert. Exakt in diese Sphäre weist denn auch die hier vorliegende Verwendung des Patronymikons, das ironisch auf Charmides' adlige Herkunft anspielt und zugleich ein witziges Wortspiel evoziert. Dergleichen hat Sokrates offenbar geliebt. So spielt er etwa bei Platon (Gorg. p. 513 b) in ganz ähnlicher Weise mit dem Doppelsinn des Namens Demos; und man darf in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß Antisthenes in seinem Dialog Aspasia (SSR V A 142-144) den Namen Ἀ σ̟ασία von ἀ σ̟άζεσθαι ableitete und in einem gegen Platon gerichteten Dialog den Namen Πλάτων rüpelhafterweise in Σάθων (SSR V A 147-159) verkehrte. So erweist sich auch das Glaukonidesdictum als ein Exzerpt aus einem Sokratischen Dialog, in dem Charmides jemanden mit einem Fasan oder Pfau verglich und deshalb, wahrscheinlich von Sokrates, ironisch als Glaukonides apostrophiert wurde. Es stellt sich die Frage, ob dieser Dialog derselbe gewesen ist, aus dem die Iphikratesparänese genommen worden ist, oder ein anderer, der vollends unbekannt wäre. Die Beantwortung dieser Frage hängt ab von der Beantwortung jener anderen Frage, die bereits gestellt wurde: Ob die Bemerkung des Glaukonides Sokrates oder Iphikrates gilt. Galt sie Sokrates, so könnte sie sowohl demselben wie auch einem beliebigen anderen Dialog angehören; war hingegen Iphikrates gemeint, so handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um ein und denselben Dialog, wenn man nicht voraussetzen will, daß Iphikrates in zwei verschiedenen Sokratischen Dialogen den Gegenstand der Unterhaltung bildete. Gesetzt, Sokrates wäre Objekt der Satzaussage gewesen, so hätte Diogenes die geschlossene Struktur seines Abschnittes über die pro- und apotreptischen Fähigkeiten des Sokrates unterbrochen und resümierend mit einem allgemeinen Lob enden lassen. Daß er zu diesem Zwecke die Quelle gewechselt hätte, ist äußerst unwahrscheinlich. Denn um Sokrates zu loben, bedurfte es keiner so schwerverständlichen und ausgesuchten Bemerkung, wie sie das Glaukonidesdictum ist, das nur verdunkelt hätte, was es hätte eigentlich bekräftigen sollen, sondern es genügte eine einfache lobende Abschlußsentenz, wie sie sich ja auch zwischen das Lysis- und Lamproklesexempel eingeschoben findet. Ungleich näher läge demgegenüber die Annahme, daß Diogenes hier ein und dieselbe Quelle benutzt hätte, diese aber, wie er gerne tut, ausführlicher ausgeschrieben hätte, als vom Kontext her erforderlich ist, so daß außer der Iphikratesparänese auch noch ein Stückchen des folgenden Gesprächs erhalten 10. Sokrates und Iphikrates 262 wäre, das nicht mehr der Paränese des Iphikrates, sondern dem Lob des Sokrates gegolten hätte. Aber auch diese Vermutung hält genauerer Prüfung nicht stand. Diogenes schreibt zwar kein klassisches Attisch, aber doch immerhin eine noch leidlich gepflegte κοινή, und es bleibt zu erwägen, ob nicht auch er, wenn er das in der ganzen Passage durchgängig auftretende Subjekt «Sokrates» unvermutet hätte zum Objekt machen wollen, statt der Wendung κα ὶ α ὐ τόν die Wendung το ῦ τον δέ oder besser noch τ ὸ ν δ ὲ Σωκράτη hätte gebrauchen müssen, um jede Verwechslung mit dem unmittelbar vorhergehenden Objekt «Iphikrates» zu vermeiden. Und schließlich der Inhalt: Glaukonides stellt die Forderung, man möge jemanden für die Stadt «erwerben» (̟ερι̟οιε ῖ ν) gleich wie einen Fasan oder Pfauen. Der Erwerb eines solchen Tieres kostete aber, wie gezeigt, erhebliches Geld; wofür es dann seinerseits dem Besitzer Ruhm brachte und Ansehen. Ein solcher Vergleich paßt nicht auf Sokrates, der für Geld nicht zu haben war und, solange er lebte, eher verachtet und gehaßt als berühmt war, wohl aber auf Iphikrates, der als Führer eines Söldnerheeres seine Dienste je und je nach persönlichem oder politischem Gutdünken verdingte und so seit dem Korinthischen Kriege die Interessen Athens strategisch und politisch auf das eindrucksvollste zur Geltung gebracht hat. So spricht alles dafür, daß das Glaukonidesdictum Iphikrates galt, und da es höchstwahrscheinlich in demselben Zusammenhang stand wie die vorhergehende Paränese, so muß es dem jungen Iphikrates gegolten haben, dessen spätere Erfolge als Stratege es in Form einer Forderung prophezeiend vorwegnimmt und so für den Augenblick ebenfalls ermutigend-protreptische Wirkungen zeitigen mußte. Das Glaukonidesdictum stellt sich mithin als eine Fortsetzung der Iphikratesparänese dar, indem Charmides hier noch einmal auf seine Weise bekräftigend resümiert, was Sokrates vorher exemplifiziert hatte: daß dieser junge und noch unbewiesene Mann von niederer Herkunft noch eine große Zukunft als Feldherr haben werde, wenn es ihm gelinge, seinen sozialen Kleinmut zu überwinden. So stehen beide Sätze inhaltlich in engem Zusammenhang, und es dürfte kaum ein Zufall sein, daß hier wie dort, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, von Vögeln die Rede ist. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß es Sokrates' pädagogisch-protreptisches Gespräch über die Hahnenkämpfe gewesen ist, das Charmides dazu bewogen hat, nun auch seinerseits ein Bild aus derselben Sphäre zu wählen und, wie naheliegend für einen Adligen, Fasan und Pfau ins Gespräch einzuführen, was ihm dann im folgenden die witzige Anrede durch das Patronymikon Glaukonides eingetragen haben dürfte. Im übrigen läßt sich wohl denken, daß eine Konfrontation zwischen dem adligen Politiker Charmides, der bald auf Seiten der extremen Oli- 10. Sokrates und Iphikrates 263 garchen sein Leben im Straßenkampf lassen sollte, und dem jungen Niemand Iphikrates, der gut zehn Jahre später im Korinthischen Kriege zum berühmtesten Feldherrn Athens aufsteigen würde, die schönste Gelegenheit bot, um über das Verhältnis von ἀ ρετή und ε ὐ γένεια nachzudenken, das sich ja als Hauptthema des Gesamtgespräches erschließen ließ. Sed haec hactenus. Alle weiteren Vermutungen und Hypothesen, so verlockend und naheliegend sie wären, würden schließlich die Interpretation dieses ohnehin problematischen Textes nur noch problematischer machen, als sie schon ist. 4. Nachspiel: Quasi una fantasia Sokrates: Sei gegrüßt, Iphikrates! Woher des Wegs? Oder kommst auch du, wie Charmides hier und ich, aus dem Theater, wo sie, wie jedes Jahr, die Hahnenkämpfe veranstaltet haben? Iphikrates: Wie denn nicht, Sokrates? Befiehlt doch das Gesetz, daß die jungen wehrfähigen Männer sich dieses Schauspiel ansehen müssen, damit sie tapferer werden im Kampfe und mutiger. Sokrates: Ich erinnere mich. Aber Iphikrates, denke ich, bedarf dergleichen Ermunterung nicht. Iphikrates: Wie nicht? Sokrates: Erzählen sie doch überall, wie du unlängst, als die Athener in der Seeschlacht siegten, wiewohl verwundet, einen Feind mitsamt seinen Waffen in deine Triere gezogen hast. Iphikrates: Ich glaube nicht, Sokrates, daß mir diese Tat nützen wird, und auch nicht, wenn ich dergleichen und noch Größeres öfter täte. Sokrates: Wie das, mein Bester? Warum so mutlos? Iphikrates: Du siehst ja, daß die Athener, wenn sie einen Befehlshaber ernennen auf einem Schiff oder bei der Reiterei oder für die Fußtruppen, nicht darauf schauen, wie tapfer einer im Kriege gewesen ist und was er dort geleistet, sondern die guten Redner ernennen sie und die Reichen, die aus den vornehmen Geschlechtern stammen und Einfluß haben. Ich aber bin, wie du weißt, nur eines Schusters Sohn, und es fehlt mir an allem, so daß die Hoffnung gering ist, dereinst einmal der Stadt als Trierarch oder Reiteroberst oder Stratege Ruhm und Erfolg zu gewinnen. Sokrates: Weißt du, was ich glaube? Iphikrates: Nein. Sokrates: Du bist augenleidend, Iphikrates. Iphikrates: Nein, beim Zeus! Schweig still! Wie sollte ich? Sokrates: Weil du offenbar nicht gesehen hast, was die Athener eben gezeigt haben, obwohl du dabei warst. Iphikrates: Wie meinst du das, Sokrates? Ich verstehe nicht! 10. Sokrates und Iphikrates 264 Sokrates: Wir haben doch eben Hahnenkämpfe gesehen im Theater? Nicht wahr? Iphikrates: Ja. Sokrates: Welches nun waren die besten Kämpfe, die den meisten Beifall bekamen, weil die tapfersten und kampfwilligsten Hähne zu sehen waren? Iphikrates: Die letzten, Sokrates, in denen die Hähne des Meidias gegen die des Kallias kämpften. Sokrates: So ist es. Und wessen Hähne gewannen den Preis? Iphikrates: Die des Meidias; sie haben ja jedesmal über die des Kallias krähend und flügelschlagend den Sieg davongetragen. Sokrates: Du weißt doch, wer Kallias ist? Iphikrates: Beim Zeus, ja! Der Sohn des Hipponikos, von allen Athenern sozusagen der reichste und vornehmste. Sokrates: Und Meidias? Iphikrates: Den kenne ich nicht. Sokrates: Ich auch nicht, mein Bester. Aber ich habe gehört, daß er ein Barbier ist und nicht eben wohlangesehen und geachtet in der Stadt, wenn anders du nicht glaubst, daß Hahnenzucht Achtung und Ehre verleiht. Iphikrates: Gewiß nicht. Aber was soll uns der Mann? Sokrates: Das ist es, weswegen ich meinte, du seiest augenleidend. Iphikrates: Ich verstehe nicht. Sokrates: Die Hähne des Meidias, sagtest du, haben den Preis davongetragen? Iphikrates: Ja. Sokrates: Und die des Kallias sind unterlegen? Iphikrates: So ist es. Sokrates: Kallias aber ist der vornehmste unter den Athenern, den Meidias aber kennt niemand, so wenig angesehen ist des Mannes Beruf und Familie? Iphikrates: Ja. Sokrates: Und siehst du nicht, was folgt? Iphikrates: Nein. Sokrates: Wenn die Hähne des Meidias die des Kallias besiegt haben, was ergibt sich in Hinsicht auf die Herkunft ihrer Besitzer? Ich meine es so: Haben die Hähne des Meidias gesiegt, weil ihr Besitzer adlig war? Iphikrates: Nein. Sokrates: Warum dann? Iphikrates: Weil sie die stärkeren waren und mehr Mut und Kraft hatten. Sokrates: Und wurden die Hähne des Kallias besiegt, weil ihr Besitzer reich war und adlig? 10. Sokrates und Iphikrates 265 Iphikrates: Nein, sondern weil sie schwächer waren und weniger tapfer. Sokrates: Nicht also, so scheint es, kommt es beim Kampfe an auf adlige Abkunft und Vornehmheit, sondern darauf allein, daß einer siegt, er sei, wer er wolle. Iphikrates: So scheint es. Sokrates: Dann hat also Iphikrates kein Recht, mutlos zu sein, weil er keine vornehmen Ahnen hat, sondern kann getrost glauben, daß er, wenn er nur tapfer und mutig ist im Kampf und siegt, die Athener schon noch überzeugen wird, ihn vor allen anderen zum Feldherrn zu ernennen, so daß er dann mit vollem Recht stolz und hochgemut sein darf. Iphikrates: Es scheint so, Sokrates. Und da dieses so ist, will ich alles daransetzen, daß ich so werde, daß die Athener tun, wie du sagst. Charmides: Das werden sie, wenn sie gut beraten sind. Ich jedenfalls, Sokrates, bin der Ansicht, daß die Stadt gut daran täte, diesen jungen Mann für sich zu erwerben, so wie sich die Reichen einen Fasan erwerben oder einen Pfau. So wie diese Vögel ihrem Besitzer den Kaufpreis lohnen, indem sie ihm Ruhm und Ansehen einbringen, so wird auch unser Iphikrates hier bei seinen ausgezeichneten Anlagen, wenn die Stadt sich seiner versichert, noch Großes im Kriege vollbringen und Ruhm erlangen für die Stadt und Ehre und Geld. Sokrates: Da hörst du es, Iphikrates, der Sohn des Glaukon denkt so hoch von dir, daß er dich für viel edler hält als sich selbst, wenn er fordert, die Stadt möge dich erwerben gleichwie einen Pfauen oder einen Fasanen. Iphikrates: Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sokrates. Aber wenn ihr beide, du und Charmides hier, glaubt, daß ich fähig sein werde, der Stadt als Stratege zu nützen, so werde ich noch einmal soviel Kraft und Mühe einsetzen, um zu erreichen, was ich, wie ihr sagt, erreichen kann. Sokrates: Das tu nur, Iphikrates. Die Zukunft wird lehren, wieviel du den Athenern von Nutzen sein wirst. Charmides: Das wird er, beim Zeus! Sokrates: Laßt uns, ihr Männer, nun noch einmal genauer betrachten, was wir eben gefunden haben. Adlige Herkunft, so sagten wir, nützt nichts in Hinsicht auf Tapferkeit und Mut? Iphikrates: So ist es. Sokrates: Was aber dann? Iphikrates: Kraft und Leistung. Sokrates: Und gilt dies nicht überall, nicht nur im Kampfe: daß Kraft und Leistung einen Mann tüchtig machen, nicht aber edle Geburt? Iphikrates: Ja. Sokrates: Nicht die Adligen also, sagst du, sind tüchtig, sondern vielmehr sind die Tüchtigen adlig und allein in Wahrheit vornehm. Iphikrates: So ist es, Sokrates . . . 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys ∗ ∗∗ ∗ Tragödie und mehr noch Komödie und Sokratischer Dialog bekunden jeweils auf ihre Weise, wie oft und schnell die Griechen bei der Hand waren, die Götter bzw. einen Gott oder eine Göttin anzurufen, wenn es galt, im Gespräch einer Aussage besonderes Gewicht zu verleihen. Sokrates, der Ausnahmemensch, macht hier keine Ausnahme, sondern dekliniert sowohl bei Platon wie bei Xenophon die ganze Skala der Beteuerungsformeln durch, angefangen mit der vokativischen Götteranrufung mit der Interjektion ὦ , über die Präposition ̟ρός mit dem Genitiv, bis hin zu den Beteuerungspartikeln νή und µά mit dem Akkusativ, um so die Götter insgesamt oder eine einzelne Gottheit — zumeist, aber nicht immer Zeus — als Eideszeugen für die Richtigkeit und Wichtigkeit dieser oder jener Aussage heranzuziehen. Dieser sprachliche usus ist so bekannt und wird so häufig von Sokrates in Anspruch genommen, daß es sich erübrigt, einzelne Belege anzuführen (Übersicht bei Pfiffner 1931, 57-71). Es müßte von diesem allbekannten Sprachgebrauch gar nicht die Rede sein, wenn Sokrates, genauer: wenn der Platonische Sokrates sich nicht noch einer ganz anderen Beteuerungsformel bediente: Er schwört «beim Hunde», wobei er bisweilen die Formel µ ὰ τ ὸ ν κύνα (Gorg. p. 461 a & 482 b) verwendet, in der Regel jedoch die Formel ν ὴ τ ὸ ν κύνα (Apol. p. 22 a; Charm. p. 172 e; Gorg. p. 466 c; Phaed. p. 98 c; Resp. 3 p. 399 e & 9 p. 592 a; Phaedr. p. 228 b) vorzieht, ohne daß sich zwischen diesen beiden Varianten ein Bedeutungsunterschied feststellen ließe. Wie sich denn auch die Beteuerungsformel «beim Hunde» semantisch nicht von jenen Schwurformeln unterscheidet, in denen veritable Götter angerufen werden: Hier wie dort dient die Beteuerungsformel jeweils dazu, im Gespräch eine Aussage affektiv aufzuladen, um ihr so besonderes Gewicht zu verleihen und die Aufmerksamkeit des Hörers zu gewinnen. Anders als der Platonische Sokrates schwört der Xenophontische Sokrates niemals «beim Hunde» — ein auffälliger und erklärungsbedürftiger Befund, namentlich, wenn man bedenkt, daß eine zwar spätere, aber weitverbreitete und stabile Tradition behauptet, daß Sokrates nicht nur beim Hunde, sondern auch noch bei anderen Tieren, ja sogar auch bei Pflanzen und beim Steine geschworen haben soll. Die Analyse dieser Tradition erklärt nicht nur das Schweigen Xenophons, sondern gestattet ∗ Erstveröffentlichung in: Altera Ratio. Klassische Philologie zwischen Subjektivität und Wissenschaft. Festschrift für Werner Suerbaum zm 70. Geburtstag, hrsg. von M. Schauer und G. Thome [Verlag Franz Steiner] Wiesbaden 2003, 93-107. 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 267 auch einen lehrreichen Einblick in die frühe Literatur über Sokrates, deren sich Xenophon bei der späten Abfassung seiner Sokratesmemoiren ja so ausgiebig bedient hat. 1. Die Schwurpraxis des Sokrates Den Anfang mag Empedos (FHG 4 p. 403 sq. - RE 5.2, 2512 [Nr. 2]) machen, von dem wir nicht mehr wissen, als daß er in späthellenistischer oder frühkaiserzeitlicher Epoche «Erinnerungen» ( Ἀ ̟οµνηµονεύµατα) verfaßt hat, aus denen sich nur eine einzige Notiz (Athen. 9 p. 370 c; cf. Diog. Laert. 7.32) erhalten hat, derzufolge der Stoiker Zenon (SVF 1 test. 32 a) die Sokratische Schwurformel «beim Hunde» nachgeahmt und dahingehend abgeändert habe, daß er «bei der Kaper» geschworen habe: [...] κα ὶ Ζήνων ὁ Κιτιεύς [...] µιµούµενος τ ὸ ν κατ ὰ τ ῆ ς κυν ὸ ς ὅ ρκον Σωκράτους κα ὶ α ὐ τ ὸ ς ὤ µνυε τ ὴ ν κά̟̟αριν [...]. Diese Nachricht wirkt historisch durchaus glaubhaft. Jedenfalls gibt sie nachdrücklich Kunde davon, wie berühmt Sokrates noch in späterer Zeit für seinen Schwur «beim Hunde» gewesen ist. Ob sich dieser Ruhm allein Platon verdankt, der Sokrates diese Schwurformel in seinem gesamten Oeuvre insgesamt neunmal in den Mund legt, bleibt zu fragen. Zudem lehrt die Notiz, daß der Hund als Adressat der Beteuerungsformel offenbar nicht obligatorisch war: Wenn Zenon statt «beim Hunde» «bei der Kaper» schwört, so führt das auf einen allgemeinen usus des Schwörens, demzufolge man nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen offenbar ad libitum als Eideszeugen anrufen konnte. Ein schönes Beispiel findet sich im Platonischen Phaidros (p. 236 d), wo Phaidros Sokrates gegenüber erwägt, ob er bei einem der Götter oder bei der in der Nähe befindlichen Platane schwören solle: ὄ µνυµι γάρ σοι — τίνα µέντοι, τίνα θε ῶ ν; ἢ βούλει τ ὴ ν ̟λάτανον ταυτηνί; Daß Sokrates diesem allgemeinen usus des Schwörens folgte, ist nun wohlbezeugt: Die spätere Überlieferung weiß davon zu berichten, daß er nicht nur «beim Hunde», sondern auch «bei der Gans», «beim Bocke», «bei der Platane», «bei der Eiche» und sogar «beim Steine» geschworen haben soll. Im Detail stellt sich der überlieferungsgeschichtliche Befund, wenn man die einschlägigen Quellen chronologisch anordnet, dar wie folgt: 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 268 Quelle Gegenstand der Beteuerung Hund Gans Bock Platane Eiche Stein Epist. Socr. 13.2 x — — x — — Lukian (Vit. auct. 16 = SSR I A 31) x — — x — — Theophilos (Ad Autolyc. 3.2 = SSR I G 15) x x — x — — Tertullian (Ad nat. 1.10,42 = SSR I G 73) x x — x — Philostrat (Vit. Apoll. 6.19 = SSR I C 180) x x x — x — Acta mart. S. Apoll. 19 = SSR I G 1 — — — x — — Laktanz (Diuin. inst. 3.19,15 & Inst. epit. 32.4 = SSR I G 86) x x — — — — Kyrill (contr. Iulian. 6.190 = SSR I G 54) x — — — x — Augustin (de vera rel. 1.2,2 = SSR I G 101) x — — — — x Suda (s.u. Σωκράτης 829 = SSR I D 2) x — — x — — Suda (s.u. ῾ Ραδαµάνθυoς ὅ ρκος) x x x x — — Schol. Plat. (ad Phaedr. p. 228 b) x x x x — — Eustathios (ad Od. 19.396) x x x — — — 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 269 Faßt man dieses Schema genauer ins Auge, so zeigt sich, daß, von den byzantinischen Quellen (Suda, Schol. Plat., Eustathios) abgesehen, nirgends ein Abhängigkeitsverhältnis zwingend nachzuweisen ist: Zu disparat sind die einschlägigen antiken Autoren, zu disparat ist vor allem auch die Auswahl der Beteuerungsformeln, die sie je und je namhaft machen. Von der frühen Kaiserzeit an bis in die christliche Spätantike erhalten wir unabhängige Kunde von insgesamt nicht weniger als sechs verschiedenen Beteuerungsformeln, derer sich Sokrates bedient haben soll, um anstatt bei den Göttern bei Tieren (Hund, Gans, Bock), bei Pflanzen (Platane, Eiche) und bei Sachen (Stein) zu schwören. Man wüßte gerne, ob es in älterer Zeit Texte gegeben hat, in denen die sonderbaren Schwurformeln des Sokrates in toto zusammengestellt waren, so daß sich die späteren Autoren hier bequem kundig machen konnten und jeweils nach eigenem Bedarf eine Auswahl hätten treffen können. Aber auch solche Texte — wenn es sie gab — konnten ihre Kenntnis allein daher gewinnen, woher sie auch die antiken Autoren gewonnen haben müssen, gesetzt, daß sie jene Texte nicht zu Rate ziehen wollten oder konnten: Es sind die Sokratischen Dialoge, in denen allein primäre Information über das merkwürdige Schwurgebaren des Sokrates zu finden war. Daher stammt, letzten Endes, alle Kunde, die die Späteren und wir über die einschlägigen Eide des Sokrates haben. Xenophon, so zeigte es sich, vermeidet grundsätzlich die Erwähnung jener Schwurformeln, in denen statt der Götter Tiere, Pflanzen oder Sachen angerufen werden. Platon, so zeigte sich weiter, läßt Sokrates ausschließlich «beim Hunde» schwören. Mithin müssen die übrigen Beteuerungsformeln, in denen die Gans, der Bock, die Platane, die Eiche und der Stein als Eidzeugen angerufen werden, bei den fragmentarischen Sokratikern gestanden haben, vor allem also bei Aischines, Antisthenes, Eukleides und Phaidon. Daß davon nichts auf uns gekommen ist, kann angesichts der außerordentlich trümmerhaften Überlieferung nicht verwundern. Im übrigen steht zu vermuten, daß die Häufigkeit, mit der die einzelnen Schwurformeln in der antiken (nichtbyzantinischen) Überlieferung zitiert werden, aufs Ganze gesehen, das Frequenz-Verhältnis widerspiegelt, nach dem jene Schwüre in der Sokratischen Literatur vorkamen. Am häufigsten begegnete hier offenbar der Schwur «beim Hunde» (8 antike Belege): Das war gewissermaßen der Standardschwur des Sokrates. Weswegen denn auch Platon, sehr beweisend, allein diese Schwurformel einsetzt, um das einschlägige Schwurverhalten des Sokrates zu charakterisieren. Was die fragmentarischen Sokratiker betrifft, so dürfte bei ihnen nächst dem Schwur «beim Hunde» der Schwur «bei der Gans» (5 Belege) vorgekommen sein, gefolgt vom Schwur «bei der Platane» (4 Belege), «bei der Eiche» (3 Belege) und «beim Bock» (2 Belege); am seltensten dürfte die Beteuerungsformel «beim Stein» (1 Beleg) gewesen sein, die womöglich überhaupt nur ein einziges Mal vorkam. 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 270 2. Die Schwurpraxis vor Sokrates Sokrates war nun durchaus nicht der einzige, der sich solcher Schwüre bediente. Das Beispiel des Stoikers Zenon, der statt «beim Hunde» «bei der Kaper» geschworen haben soll, wurde bereits angeführt. Unmittelbar in die Zeit des Sokrates fällt eine Reihe von Zeugnissen aus der Alten Komödie. So schwört der Sklave Sosias in den Aristophanischen Wespen (Vesp. v. 83) «beim Hunde» und in den Aristophanischen Vögeln (v. 521) heißt es, der Seher Lampon pflege «bei der Gans» zu schwören. Beider Schwurformeln gedenkt auch schon der ältere Kratinos in den Chironen (PCG 4 fr. 249). Eine andere Schwurformel, die für Sokrates nicht bezeugt ist, findet sich in den Bapten des Eupolis (PCG 5 fr. 84), wo einer «bei den Kohlköpfen» (να ὶ µ ὰ τ ὰ ς κράµβας) schwört — eine offenbar besonders populäre Schwurformel, die nicht nur in den Prytanen des älteren Telekleides (PCG 7 fr. 29) vorkommt, sondern auch in der Komödie Erde und Meer des sehr viel älteren Epicharm (PCG 1 fr. 22 p. 25); sogar der Iambograph Anianos (IEG 2 fr. 4) verfügt schon über diese Beteuerungsformel, schwört allerdings im Singular «beim Kohlkopf» (να ὶ µ ὰ τ ὴ ν κράµβην). Was auf diesem Gebiet alles möglich war, lehrt wiederum Eupolis in den Bapten (PCG 5 fr. 79), wo die Schwurformel «beim Mandelbaum» (να ὶ µ ὰ τ ὴ ν ἀ µυγδαλ ῆ ν) begegnet. Ein alter Iambograph (IEG 2 fr. 57), dessen Namen wir nicht kennen, riskiert sogar einen Schwur «beim Grün des Mohnes» (να ὶ να ὶ µ ὰ µήκωνος χλόην). Mit diesen Beispielen mag es sein Bewenden haben, wiewohl sich noch manche einschlägige Schwurformel, namentlich aus jüngerer Zeit, anführen ließe. Aber auch das ältere Material reicht aus, zu erkennen, daß das Schwurverhalten des Sokrates keine Singularität gewesen ist, sondern ein weitverbreiteter usus, der bis in die archaische Zeit reicht. 3. Der Rhadamanthische Eid Wo diese eigentümliche Schwurpraxis ihren sozialen Ort hatte, erhellt aus den älteren Quellentexten mit wünschenswerter Deutlichkeit: Komödie, Iambus und Sokratischer Dialog, in denen allein jene Schwurpraxis zu finden ist, haben ja, wie unterschiedlich sie im übrigen auch sein mögen, die gemeinsame Tendenz, die Alltagssprache in poetischer Form wiederzugeben. Die Alltagssprache aber ist die Sprache des Volkes, und das Volk ist es, dem jene drei poetischen genera jenes Schwurverhalten abgelauscht haben, an Stelle der Götter Tiere, Pflanzen oder Sachen als Eidzeugen anzurufen. Diese Art des Schwörens ist mithin Ausdruck der griechischen Volksreligion (Augustin 1900; Hirzel 1902, 96 f.). Auch über Ursprung und Sinn dieser Beteuerungsformeln kann kein Zweifel sein. Der inflationäre Gebrauch der Götteranrufungen, wie ihn 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 271 die Griechen im alltäglichen Gespräch pflegten, mußte in skrupulösen Gemütern religiöse Bedenklichkeiten erzeugen, dahingehend, daß wohl nicht immer jede Aussage, für die ein Gott als Eideszeuge angerufen wurde, der Wahrheit entsprach, so daß die Folgen göttlichen Zornes zu befürchten waren. Wie denn überhaupt der ebenso zahlwie wahllose Gebrauch der Schwurformeln den Unmut der Götter hervorrufen konnte. Statt nun aber das Schwören einzuschränken oder gar gänzlich zu unterlassen, verfiel die populäre Deisidaimonie auf einen anderen Ausweg: Man schwor nicht mehr bei den Göttern, sondern bei Phänomenen der Lebenswirklichkeit, die religiös unbedenklich waren, als da sind Tiere, Pflanzen und unbelebte Sachen und Dinge. Auf diese Weise konnte im Grunde jeder Gegenstand beschworen werden, und die Schwüre «beim Grün des Mohns» und «beim Mandelbaum» haben ganz das Ansehen, als handele es sich hier um ad-hoc-Erfindungen im Stile des Schwurs «bei der Kaper», der ja ausdrücklich als Erfindung des Stoikers Zenon bezeichnet wird. Andere Beteuerungsformeln dagegen gewannen allgemeine Geltung und wurden so Teil der Alltags- und Umgangssprache — ein Phänomen, das den Griechen nicht eigentümlich ist, sondern bei allen anderen europäischen Völkern zu konstatieren ist (Hirzel 1902, 96 Anm. 2). Um jene im Volksglauben beheimatete Schwurpraxis zu erklären, haben die Griechen, wie es ihre Art ist, eine aitiologische Kultlegende erfunden, derzufolge der mythische König und Gesetzgeber Rhadamanthys aus Kreta Erfinder und Begründer jener eigentümlichen Art des Schwörens gewesen sein soll (Hirzel 1902, 90-103). Es spricht viel dafür, daß diese Kultlegende bereits bei dem Komiker Kratinos erwähnt wurde: Kratinos jedenfalls erzählte in den Chironen (PCG 4 fr. 249), in denen die gute alte Zeit mit dem Elend der Jetztzeit konfrontiert wurde, damals habe man «beim Hunde» und «bei der Gans» geschworen, über die Götter aber geschwiegen: ο ἷ ς ἦ ν µέγιστος ὅ ρκος + ἅ ̟αντι λόγωι+ κύων, ἔ ̟ειτα χήν— θεο ὺ ς δ ᾽ ἐ σίγων. Wozu ein spätes Testimonium (Prov. Bodl. 818) immerhin bemerkt, daß Kratinos das Schwören beim Hund und der Gans auf Rhadamanthys zurückgeführt habe: Κρατ ῖ νος τ ὸ ν ἐ ̟ ὶ τ ῶ ι κυν ὶ κα ὶ χην ὶ κα ὶ το ῖ ς τοιούτοις ὅ ρκον ῾ Ραδαµάνθυι ἀ νατίθησι. Darf man dieser Notiz trauen, so stand schon bei Kratinos, was wir zuerst und am ausführlichsten bei dem hellenistischen Gelehrten Sosikrates aus Rhodos (RE [A 2] 3.1, 1160-1165 [Nr. 3]) lesen, der im zweiten Buche seiner Κρητικά (FGrHist 461 F 3 a) erzählte, daß Rhadamanthys, nachdem er die Königsherrschaft übernommen hatte, sich als der gerechteste aller Menschen erwiesen habe: Er soll als erster verboten haben, daß man bei den Göttern schwöre; vielmehr habe er befohlen bei der Gans, beim Hund, beim Bock oder Ähnlichem zu schwören: λέγεται δ ὲ α ὐ τ ὸ ν 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 272 ̟ρ ῶ τος ο ὐ δένα ἐᾶ ν ὅ ρκους ̟οιε ῖ σθαι κατ ὰ τ ῶ ν θε ῶ ν, ἀ λλ ᾽ ὀ µνύναι κελε ῦσαι χ ῆ να κα ὶ κύνα κα ὶ κρι ὸ ν κα ὶ τ ὰ ὅ µοια. Dieses Referat der Kultlegende, die ihrerseits sehr alt sein dürfte, älter jedenfalls als Kratinos, der sie wahrscheinlich bereits zitiert, läßt vollkommen klar erkennen, daß jene eigentümliche Art des Schwörens, die den Rekurs auf die Götter bzw. auf einen Gott vermeidet, ursprünglich religiös begründet gewesen ist. Nach dem mythischen Stifter jener neuen Schwurpraxis nannte man einen solchen Eid «Schwur des Rhadamanthys» ( ῾ Ραδαµάνθυoς ὅ ρκος). Nachdem die Rhadamanthischen Eide Teil der Volkssprache geworden waren und sich im Laufe der Zeit eine Art Standardrepertoire solcher Eide gebildet hatte, wurde die ursprünglich religiöse Herkunft jener Beteuerungsformeln mehr und mehr vergessen: Die Rhadamanthischen Eide wurden einfach Teil der Volkssprache nicht anders als die traditionellen Gottesbeteuerungen auch. Bereits Kratinos verlegt in den Chironen (PCG 4 fr. 249) die Rhadamanthische Schwurpraxis in die paradiesisch dargestellte gute alte Zeit, und wenn Aristophanes in den Vögeln (v. 521) über den Seher Lampon sagt, er schwöre «auch jetzt noch» ( ἔ τι κα ὶ νυνί) bei der Gans, so verspottet er das Schwurgebaren des frommen Mannes als altfränkisches Verhalten, wobei es ein nachgerade giftiger Witz ist, wenn Aristophanes hinzufügt, daß der fromme Mann diesen frommen Eid namentlich dann verwende, «wenn er irgendeinen Betrug im Sinne habe» ( ὅ ταν ἐ ξα̟ατ ᾶ ι τι). 4. Sokrates' Rhadamanthische Eide im Horizont der Ironie In welchem Maße der Rhadamanthische Eid profaner Teil der Alltagssprache geworden war, lehrt nun besonders das Beispiel Sokrates. Sokrates, so zeigte es sich, verwendet die Rhadamanthischen Eide ebenso, wie er die umgangssprachlichen Beteuerungsformeln, die die Götter betreffen, verwendet, ja diese gebraucht er ungleich häufiger als jene. Das ist nun gar nicht im Sinne des Rhadamanthys, der ja die neue Schwurpraxis eingeführt haben soll, damit die inflationäre Anrufung der Götter unterbleibe. Sehr richtig sagt daher Kratinos (PCG 4 fr. 249), daß die Menschen in der guten alten Zeit beim Hunde und bei der Gans geschworen hätten, über die Götter aber hätten sie geschwiegen: θεο ὺ ς δ ᾽ ἐ σίγων. Noch konsequenter formuliert Sosikrates (FGrHist 461 F 3 b), die ursprüngliche Absicht der Rhadamanthischen Schwurpraxis sei gewesen, daß die Menschen nicht mehr bei den Göttern schwören sollen: ἵ να µ ὴ θεο ὺ ς ὀ µνύωσιν. Wenn Sokrates also unbekümmert beide Formen des Schwörens verwendet, die traditionelle und die Rhadamanthische nebeneinander gelten läßt und miteinander vermischt, so zeigt dieser Sprachgebrauch an, daß er die ursprüngliche religiöse Intention des Rhadamanthischen Eides, 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 273 die sich in der Kultlegende mythisch manifestiert, entweder nicht mehr kannte oder nicht mehr anerkannte. Mehr noch. Im Platonischen Gorgias (p. 482 b) versieht Sokrates die Rhadamanthische Schwurformel «beim Hunde» (µ ὰ τ ὸ ν κύνα) mit dem erklärenden Zusatz «dem Gotte der Ägypter» (τ ὸ ν Α ἰ γυ̟τίων θεόν). Diese Zusatzbemerkung gilt, wie bereits Lukian (Vit. auct. 16 = SSR I C 43) richtig erkannt hat, dem ägyptischen Gotte Anubis, den die Griechen als hundsgestaltig ansahen, wiewohl er bei den Ägyptern als Schakal abgebildet wird (Erman 1909, 23 f.; Lange-Hirmer 1967, Abb. XXXII). Dies zugestanden, geschieht hier nichts Geringeres, als daß dem Rhadamanthischen Eid «beim Hund» eine neue religiöse Bedeutung verliehen wird: Lag der religiöse Sinn dieser Beteuerungsformel ursprünglich darin, daß kein Gott, sondern ein profanes Tier angerufen wurde, welches noch dazu bei den Griechen in geringem Ansehen stand, so erlaubt der Rückgriff auf die ägyptische Religion, jenes Tier in eins zu setzen mit dem hundsgestaltigen Anubis, so daß die Beteuerungsformel nun wird, was sie ursprünglich gerade nicht hatte sein sollen: die Anrufung einer Gottheit. So klar der sachliche Befund, so schwierig seine angemessene Deutung. Bereits der Kirchenvater Laktanz (Diuin. inst. 3.20,15 sq. = SSR I G 84), dem die obengenannte Gorgias-Stelle offenbar vor Augen schwebte, wußte mit zwei verschiedenen Interpretationen zu dienen, die ihm allerdings beide gleichermaßen mißfielen: o hominem scurram [...] ineptum perditum desperatum, si cauillari uoluit religionem, dementem, si hoc serio fecerit, ut animal turpissimun pro deo haberet! quis iam superstitiones Aegyptiorum audeat reprehendere, quas Athenis Socrates auctoritate sua confirmauit? Der hochmoralische Ton der Empörung verrät den christlichen Apologeten ebenso wie die Rigidität der Alternativen, die er vorträgt: daß Sokrates durch seinen Schwur entweder die Religion in toto habe verspotten wollen oder daß er im Ernste daran gedacht habe, den Kult des hundsgestaltigen Anubis in Athen einzuführen. Von beidem kann keine Rede sein. Hermeneutisch fruchtbar ist indes die alternative Überlegung des Laktanz, ob Sokrates' Worte im Lichte des Spottes zu sehen sind oder als ernstgemeinte Äußerung religiöser Überzeugung gelten müssen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen, wie sie Laktanz vorgibt, läßt sich unschwer treffen. Daß Sokrates ernsthaft eine Resakralisierung des Rhadamanthischen Eides durch einen Rückgriff auf den tiergestaltigen ägyptischen Gott Anubis beabsichtigte, darf als ausgeschlossen gelten. Wäre es Sokrates ernsthaft an einer religiösen Reform des Rhadamanthischen Eides gelegen gewesen, so hätte er nicht nur einmal, sondern überall und immer auf Anubis verweisen müssen, wenn anders seine Zuhörer die Beteuerungsformel «beim Hunde» nicht so verstehen sollten, wie sie jeder Grieche verstand: als Anrufung eines wenig 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 274 geachteten Tieres mit der Absicht, nicht bei den Göttern schwören zu müssen. Auch hätte Sokrates auch allen anderen Rhadamanthischen Beteuerungsformeln, deren er sich der Tradition nach gerne und häufig bediente, einen neuen religiösen Sinn beilegen müssen dadurch, daß er jene bewußt gewählten profanen Gegenstände der Rhadamanthischen Eide als Gottheiten oder doch wenigstens als göttlich interpretierte. Das wäre an und für sich nicht unmöglich gewesen: Im Falle der Bäume und des Steines hätte Sokrates die Nymphen und den Omphalos in Delphi heranziehen können; im Falle von Bock und Gans allerdings hätte er wieder auf die ägyptische Religion zurückgreifen müssen, in der der Gott Amun als Widder erscheint (Ions 1968, 60 & 83) und der Gott Geb als Gänserich, der als «großer Schnatterer» täglich das Sonnenei legt (Ions 1968, 22, 26 f., 48). Aber gesetzt selbst, Sokrates hätte sich en passant der einen oder anderen dieser Möglichkeiten bedient, wie er es im Platonischen Gorgias nachweislich tut, so wäre eine solche Schwurformel auch nicht anders zu interpretieren, als die Schwurformel im Gorgias zu interpretieren ist: als ein Autoschediasma und persönliche ad-hoc-Erfindung, die der abgegriffenen Rhadamanthischen Beteuerungsformel einen verblüffend neuen Sinn verleiht, den man sehr wohl als religiös bezeichnen kann, wenn man nur zur Kenntnis nimmt, daß diese religiöse Neufassung der Beteuerungsformel Gültigkeit hat allein im Horizont der Ironie, die die ganze Rede des Sokrates an Kallikles (Gorg. p. 481 c-482 c) kennzeichnet, deren Höhepunkt die durch die Beteuerungsformel «beim Hunde, dem Gotte der Ägypter» ausgezeichnete Aufforderung an Kallikles ist, nicht mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Wie denn nicht nur hier, sondern überall, wo Sokrates sich der Rhadamanthischen Eide bedient, ein unverkennbar ironischer Wortgebrauch vorliegt, dergestalt, daß Sokrates mit Fleiß volkstümliche und volkssprachliche Schwurformeln verwendet, an deren religiöse Wirksamkeit und Richtigkeit er notorisch nicht glaubt, wenn anders er die Beteuerungsformeln, die den etablierten Göttern gelten, viel häufiger verwendet als die Rhadamanthischen Eide, die jene doch hätten ersetzen sollen. 5. Sokrates' Rhadamanthische Eide im Horizont der Anklage Nun ist die Ironie keine ungefährliche Sache, insofern der Geist der Ambivalenz, die ihr Wesen ausmacht, leicht mißverstanden werden kann, so daß platterdings das Gegenteil dessen herauskommt, was der Redner intendiert hatte. Auch die Rhadamanthischen Eide des Sokrates sind Opfer eines solchen Mißverständnisses geworden: Eine vergleichsweise späte, aber stabile Tradition weiß davon zu berichten, daß die Anklage gegen Sokrates sich darauf gegründet habe, daß er «beim Hunde», «bei der 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 275 Gans», «beim Bock», «bei der Platane», «bei der Eiche» oder auch «beim Steine» geschworen habe. Das früheste Zeugnis, das uns hiervon Kunde gibt, findet sich im 17. Sokratikerbrief (§ 2 = SSR I C 155), den ein unbekannter Sokratiker an einen ebenfalls unbekannten Sokratiker auf Chios richtet, um ihn über die Vorgänge nach Sokrates' Hinrichtung zu informieren: In Athen sei ein völliger Meinungswechsel eingetreten: Meletos und Anytos seien hingerichtet worden als Urheber jenes Übels, das den Athenern Kritik von allen Seiten eingebracht habe: daß es nicht nötig gewesen sei, Sokrates, der kein Unrecht getan habe, anzuklagen oder gar zu töten. Was sei denn dabei gewesen, wenn er bei der Platane oder beim Hunde geschworen habe? τί γ ὰ ρ ε ἰ τ ὴ ν ̟λάτανον ἢ τ ὸ ν κύνα ὤ µνυε; In dieser fingierten Frage eines empörten Kritikers ist implicite die Behauptung enthalten, daß man Sokrates wegen der Rhadamanthischen Eide «beim Hunde» und «bei der Platane» angeklagt habe; worin liegt, daß die Anklage diese Eide wörtlich genommen haben muß, um so Sokrates der Einführung neuer Götter bezichtigen zu können. Was der Sokratikerbrief implicite ausdrückt, das sagt der jüdische Historiker Josephos (c. Apionem 2.263 sq. = SSR I C 135) expressis uerbis: daß man Sokrates nicht wegen schwerer Verbrechen wie Landesverrat oder Tempelraub verurteilt habe, sondern weil er neue Eide zu schwören pflegte, deswegen sei er verurteilt worden: ἀ λλ ᾽ ὅ τι καινο ὺ ς ὅ ρκους ὤ µνυεν [...] δι ὰ τα ὺ τα κατεγνώσθη. Noch bestimmter drückt sich der Apologet Tertullian (Apol. 14.7; cf. Ad nat. 1.10,42 = SSR I G 66 & 72) aus: taceo de philosophis, Socrate contentus, qui in contumeliam deorum quercum et hircum et canem deierabat. — sed propterea damnatus est Socrates, quia deos destruebat. — plane uero, id est semper, ueritas odio est. Nicht anders äußert sich der Kirchenvater Kyrill (c. Iulian. 6. 190 = SSR I G 54), der berichtet, Sokrates habe bei der Eiche und beim Hund geschworen und sei aus diesem Grunde durch die Anklageschriften der Ankläger zu Tode gekommen: τ ὸ ν Σωκράτη [...] κα ὶ ν ὴ δρ ῦ ν ὀ µνύναι κα ὶ κύνα— ταύτης τε ἕ νεκα τ ῆ ς α ἰ τίας [...] τα ῖ ς τ ῶ ν κατηγόρων ἁ λόντα γραφα ῖ ς. Die Suda (s.u. Σωκρ ά της 829 = SSR I D 2) schließlich gibt der ganzen Sache eine neue und überraschende Wendung, insofern sie behauptet, der Komiker Aristophanes habe Sokrates in den Wolken als Atheisten und Jugendverderber verspottet, weil er aus einem Übermaß von Aberglauben beim Hunde und bei der Platane geschworen habe: διότι τ ὸ ν κύνα κα ὶ ̟λάτανον δι ᾽ ὑ ̟ερβολ ὴ ν δεισιδαιµονίας ὤ µνυεν. Wenn man dieser Notiz trauen dürfte, so müßte Sokrates wegen der Rhadamanthischen Eide auf Hund und Eiche in der ersten Fassung der Wolken (PCG 3.2 p. 214-219) verspottet worden sein, die uns nur fragmentarisch kenntlich ist. In der (unvollendeten) zweiten Fassung des Dramas jedenfalls findet sich von solchen Eiden nicht die geringste Spur, was um so auffälliger ist, als Sokrates hier nicht nur «bei Zeus» (Nub. 332) und 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 276 «bei den Chariten» (Nub. 773) schwört, sondern einmal in der Tat auch neue, unerhörte Gottheiten wie «Atem», «Chaos» und «Luft» anruft, die ihre Existenz jener Wolken- und Luft-Theologie verdanken, die Sokrates atheistischerweise an Stelle des alten Götterglaubens setzt (Nub. 627): µ ὰ τ ὴ ν Ἀ να̟νοήν, µ ὰ τ ὸ Χάος, µ ὰ τ ὸ ν Ἀ έρα. Wer so wirksame Schwüre zu erfinden weiß, muß nicht auf die Rhadamantische Eide rekurrieren, um Sokrates der Gottlosigkeit zu zeihen. Das Rätsel löst sich, wenn man in der Suda im weiteren liest, daß Anytos und Meletos später aufgrund der Schwüre beim Hund und bei der Eiche Sokrates anklagten und zu Fall brachten: ὕ στερον δ ὲ Ἄ νυτος κα ὶ Μέλητος ἐ ̟ ὶ τούτοις α ὐ τ ὸ ν ἐ γράψαντο κα ὶ ε ἷ λον. Diese Notiz steht nun wieder in Einklang mit der gesamten älteren Überlieferung, wie sie hier in extenso vorgeführt wurde. Erst die Kombination der ersten mit der zweiten Notiz ergibt als neue, sonst nirgends bezeugte Sachaussage, daß Aristophanes es gewesen sei, der Sokrates wegen der Rhadamanthischen Eide der Asebie verdächtig gemacht habe — eine Verdächtigung, die sich dann die Ankläger beim Prozesse erfolgreich zunutze gemacht hätten. Es fällt nicht schwer, zu erkennen, daß diese Kombination nichts anderes ist als eine Kontamination zweier selbständiger Überlieferungskomplexe. So wie es eine vergleichsweise weitverzweigte Tradition gibt, derzufolge Sokrates aufgrund der Rhadamanthischen Eide angeklagt worden sei, so gibt es eine ebenso weit verbreitete Tradition, derzufolge Anytos bzw. Anytos und Meletos Aristophanes angestiftet hätten, eine Komödie gegen Sokrates zu schreiben, um so probeweise feststellen zu können, welche Aussichten eine Anklage gegen Sokrates beim athenischen Volke haben würde (Aelian. Var. hist. 2.13 = SSR I A 29; Diog. Laert. 2.38 = SSR I D 1 [38]; Eunap. Vit. sophist. 6.2,4 sq. = SSR I A 30; argumentum ad Aristophanis Nub. A 2; Schol. ad Aristoph. Nub. 627). Über diesen Überlieferungskomplex sei hier nur so viel bemerkt, daß es sich offensichtlich um eine biographische Interpretation jener Sachaussage handelt, die der Platonische Sokrates in der Apologie (p. 18 b-e, 19 a-c, 25 c-24 a) vorträgt: daß die sogenannten Älteren Ankläger, von denen man nur Aristophanes mit Namen nennen könne, ihn seit langer Zeit als atheistischen Naturphilosophen und Jugendverderber verleumdet hätten und daß Anytos, Meletos und Lykon nur aufgrund dieser langwierigen Verleumdung im Stande gewesen seien, jetzt einen Prozeß gegen ihn anzustrengen. Nirgends aber — außer in der Suda — wird in dieser biographischen Fehlkonstruktion der Rhadamanthischen Eide des Sokrates Erwähnung getan; so wie niemals — außer in der Suda — die wortwörtliche Interpretation der Rhadamanthischen Eide als Hauptpunkt der Anklage gegen Sokrates für Aristophanes in Anspruch genommen wird. Woraus folgt, daß die Suda zwei selbständige Überlieferungskomplexe unzulässigerweise konfundiert hat, so daß das Ergebnis dieser Konfusion 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 277 nicht als eigenständige Überlieferung angesehen werden darf. Oder anders: Aristophanes hat in den Wolken niemals Rhadamanthische Eide erwähnt, um Sokrates als Atheisten zu karikieren. Das korrigierte Zeugnis der Suda sowie die vorgenannten Zeugnisse des 13. Sokratikerbriefes, des Josephos, des Tertullian und des Kyrill repräsentieren, unabhängig voneinander, wie sie offenbar sind, eine feste Überlieferung, derzufolge die Rhadamanthischen Eide des Sokrates als Hauptanklagepunkt im Prozeß gegen Sokrates vorgetragen wurden. Daß diese Überlieferung keine späte Erfindung etwa der frühen Kaiserzeit ist, in der sie zuerst aufscheint, sondern vielmehr erheblich älter ist und über die frühe Kaiserzeit hinaus bis hin in die Sokratik zurückgeführt werden kann, bezeugt mit wünschenswerter Klarheit Xenophon, wenn er Sokrates gegen Ende seiner sogenannten Apologie (24) nach der Verurteilung zum Tode sagen läßt, man habe ihm nichts von dem, dessentwegen er angeklagt worden sei, nachweisen können; denn er habe niemals an Stelle von Zeus und Hera und den mit ihnen verbundenen Göttern andere Götter aufgebracht dadurch, daß er neuen dämonischen Wesenheiten geopfert, bei ihnen geschworen oder an sie geglaubt habe: ο ὐ δ ὲ γ ὰ ρ ἔ γωγε ἀ ντ ὶ ∆ι ὸ ς κα ὶ Ἥ ρας κα ὶ τ ῶ ν σ ὺ ν το ύ τοις θε ῶ ν ο ὔ τε θ ύ ων τισ ὶ καινο ῖ ς δα ί µοσιν ο ὔ τε ὀ µν ὺ ς ο ὔ τε νοµ ί ζων ἄ λλους θεο ὺ ς ἀ να̟ έ φηνα. Diese Passage bestätigt zunächst im allgemeinen, was die jüngere Tradition je und je in concreto bezeugt: daß Sokrates' Rhadamanthische Eide ein Hauptpunkt in der Anklage gegen Sokrates gewesen sind. Hieraus erhellt auch, weshalb der Xenophontische Sokrates diese Art des Schwörens so peinlich vermeidet: Xenophon will Sokrates nicht im Sinne dieser Anklage schuldig werden lassen, sehr im Gegensatz zu Platon und den fragmentarischen Sokratikern, die diesen Klagepunkt entweder nicht kennen oder als ohne Belang nicht ad notam nehmen wollen, insofern sich Sokrates hier unbekümmert der Rhadamanthischen Eide bedienen darf. Aber die Xenophontische Passage erklärt noch mehr. Sie stellt heraus, daß der Anklagepunkt «Rhadamantischer Eid» nicht für sich stand, sondern Teil eines größeren Anklagekomplexes war, der dem Vorwurf galt, Sokrates habe neue göttliche Wesenheiten eingeführt: Diese neuen und unerhörten numina, die uns die Rhadamanthischen Eide der jüngeren Überlieferung namhaft machen, hätte Sokrates nicht nur als Eidzeugen angerufen, sondern hätte ihnen auch Opfer dargebracht und überhaupt gläubige Verehrung angedeihen lassen, so daß nun Hund, Gans, Bock, Platane, Eiche und Stein als veritable neue Götter an Stelle der etablierten Olympischen Götter treten. Die jüngere Tradition hat aus diesem Komplex allein den Teilaspekt des Schwörens als besonders signifikant und spektakulär herausgegriffen; das übrige wurde preisgegeben und konnte preisgegeben werden, da es sich, wenn man den Text der Anklage, wie er sowohl bei Platon (Apol. p. 24 bc) als auch bei Xenophon (Mem. 1.1,1., Apol. 10) zu lesen steht, vor Augen oder im Ohr hatte, von selbst verstand, 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 278 daß die Rhadamanthischen Eide beweisen sollten, daß Sokrates nicht an die Götter glaube, an die die Polis glaube, sondern «andere dämonische Wesenheiten» ( ἕ τερα καιν ὰ δαιµόνια) eingeführt habe. Diese Interpretation der Asebie-Klage, die in die Zeit der frühen Sokratik fallen muss, da sie Xenophon bereits zu widerlegen für nötig hält, steht innerhalb der Sokratik in Konkurrenz zu einer ganz anderen Interpretation, die Platon (Euthyphr. p. 3 bc, Apol. p. 31 cd) und, offenbar aus Platon schöpfend, auch Xenophon (Mem. 1.1,2, Apol. 12) vorträgt: daß es nämlich das vielberühmte Daimonion gewesen sei, dessen sich die Anklage bedient habe, um Sokrates der Asebie zu überführen. Vergleicht man diese beiden Versionen, so ist zunächst zu konstatieren, daß die bloße Tatsache, daß es zur Zeit der frühen Sokratik zwei grundverschiedene Interpretationen der Asebie-Anklage gegeben hat, schlagend beweist, daß man schon damals nicht mehr wußte, wie die Anklage tatsächlich begründet worden ist. Daß dem so war, erhellt auch daraus, daß Platon (Apol. p. 26 d) noch eine dritte Begründung nennt, die er dem Ankläger Meletos in den Mund legt: daß Sokrates behauptet habe, die Sonne sei ein Stein, der Mond Erde. Xenophon wiederum trägt, nach seiner Art, die beiden erstgenannten Interpretationen vor, unbekümmert darum, daß die eine die andere ausschließt. Dieser Befund liefert ein starkes Beispiel dafür, wie frei man in der frühen Sokratesliteratur mit historischen Fakten umgegangen ist. Es liegt dies daran, daß diese Literatur in toto fiktional ist, also gar nicht die Absicht hat, historische Informationen zu vermitteln, sondern vielmehr eine au fond poetische Interpretation der Sokratesgestalt intendiert, der mit historischer Kritik durchaus nicht beizukommen ist. Weshalb es denn auch ganz müßig wäre, die beiden bzw. die drei verschiedenen Interpretationen der Asebie-Klage historisch gegeneinander abzuwägen. Mehr verspricht dagegen der Versuch, die frühe literarische Quelle namhaft zu machen, der sich jene Interpretation, die mit den Rhadamanthischen Eiden des Sokrates wirtschaftet, verdankt. 6. Polykrates als Ankläger Fest steht zunächst so viel, daß es sich um eine vergleichsweise prominente Quelle gehandelt haben muß; denn anders hätte Xenophon sie nicht zu widerlegen für nötig erachtet und die spätere Tradition von ihr nicht den lebhaften Gebrauch gemacht, den wir verzeichnen. Will man jene Quelle genauer bestimmen, so muß man die Hypothesis zu Rate ziehen, die ein unbekannter Grammatiker zum Busiris des Isokrates verfasst hat (1 p. 187 sq. Mathieu-Brémond = SSR I C 152). Der Anonymus kommt hier auf die Anklagerede gegen Sokrates (Κατηγορία Σωκράτους) des athenischen Rhetors Polykrates (OA 2 p. 221 sq.) zu sprechen, 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 279 die Isokrates im Proömium des Busiris (5 sqq.= SSR I C 152) als rhetorischen Mißgriff getadelt hatte. Polykrates, so der Anonymus, habe diese Anklagerede für Anytos und Meletos geschrieben, damit Sokrates zum Tode verurteilt werde. Anytos und Meletos aber hätten Sokrates angeklagt, weil er neue dämonische Wesenheiten bei den Athenern einführe, indem er behaupte, man müsse Vögel und Hunde religiös verehren, und deswegen die jungen Leute verderbe, die seine Schüler seien: ὅ τι καιν ὰ δαιµόνια ε ἰ σφέρει το ῖ ς Ἀ θηναίοις, λέγων δε ῖ ν σέβειν ὄ ρνεα κα ὶ κύνας κα ὶ τ ὰ τοια ῦ τα, κα ὶ δι ὰ το ῦ το διαφθείρει το ὺ ς νέους µανθάνοντας. Was der Anonymus hier aus der Anklagerede des Polykrates referiert, entspricht nun genau jener Anklage, gegen die sich Sokrates in der Xenophontischen Apologie (24) verwahrt: daß Sokrates die kultische Verehrung neuer dämonischer Wesenheiten ins Werk gesetzt habe. Was Xenophon mit den Verben «opfern», «schwören» und «glauben» wortreich umschreibt, das bezeichnet der Anonymus mit dem einen Verbum «verehren» (σέβειν). Was aber im Falle Xenophons nur durch Rückgriff auf die spätere Überlieferung zu vermuten stand, das führt der Anonymus expressis uerbis aus: daß jene neuen dämonischen Wesenheiten «Vögel, Hunde und dergleichen» gewesen seien. Was nichts anderes heißt, als daß Polykrates die Asebie-Klage gegen Sokrates durch die Rhadamanthischen Eide des Sokrates begründete, die er wortwörtlich verstand als Anrufung veritabler Götter, die um so verwerflicher erscheinen mußte, desto abstruser jene Gottheiten, deren kultische Verehrung Sokrates neu etabliert haben sollte, dem religiösen Empfinden der Griechen vorkommen mussten. Indes ging Polykrates, wie der Anonymus lehrt, noch einen Schritt weiter: Er verquickte den Vorwurf der Asebie mit dem Vorwurf der Jugendverderbnis, insofern er behauptete, daß Sokrates jene ebenso abstruse wie verwerfliche kultische Verehrung profaner Gegenstände nicht nur selbst geübt, sondern auch seinen Schülern weitergegeben habe. Womit denn Sokrates schließlich als Haupt einer religiösen Verschwörung erscheint, die sich zum Ziel setzt, an Stelle der alten und bewährten Olympischen Götter Hunde, Vögel und dergleichen als neue Götter einzuführen und ihnen kultische Verehrung durch Opfern, Schwören und Glauben zu Teil werden zu lassen. Im übrigen behauptet der Anonymus, die Anklagerede des Polykrates sei die tatsächlich gehaltene Anklagerede gewesen, wie sie Anytos vor Gericht gehalten hätte. Hiermit wiederholt der Anonymus einen Irrtum, den wir bis auf den alexandrinischen Biographen Hermipp (Suppl. 1 fr. 32 Wehrli = SSR I D 1 [38]) zurückführen können. Diesen Irrtum hat spätestens Favorin (fr. 3 Mensching = SSR I D 1 [39]) korrigiert, indem er darauf hinwies, daß in der Rede des Polykrates der Wiederaufbau der Athenischen Mauern erwähnt werde, der nachweislich sechs Jahre nach Sokrates' Hinrichtung geschehen sei. 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 280 In der Tat hatte Polykrates auch nichts weniger im Sinn, als eine wirkliche Gerichtsrede zu schreiben. Was er stattdessen im Sinn hatte, ist aus dem Proömium des Isokrateischen Busiris (1-9 = SSR I C 152) zu ersehen, demzufolge Polykrates' Anklage gegen Sokrates ein komplementäres Pendant hatte in Polykrates' Lobrede auf Busiris. Isokrates konstatiert, daß Polykrates in diesen Reden habe demonstrieren wollen, wie man einen lobt, den alle tadeln, und einen tadelt, den alle loben; dieses rhetorische Ziel aber habe Polykrates gründlich verfehlt, insofern er Busiris unfreiwillig tadele, Sokrates hingegen ebenso unfreiwillig lobe. Hiernach ist die Anklagerede gegen Sokrates als ein Produkt paradoxographischer Rhetorik aufzufassen, mit dem Polykrates seine argumentativen Künste dem athenischen Publikum werbewirksam vordemonstrieren wollte. Historische Kunde ist dieser epideiktischen Werberede nur insofern abzugewinnen, als sie bezeugt, daß sich die Meinung der Athener über Sokrates im Laufe der späten neunziger Jahre, in denen die Sokrates-Rede des Polykrates erschienen sein dürfte, gründlich geändert haben muß: Der wegen Asebie und Jugendverderbnis zum Tode verurteilte Untäter erschien nunmehr, wohl nicht ohne Zutun der Sokratiker, im milden, ja glorreichen Lichte eines unschuldig verurteilten Weisen. Allein unter dieser Voraussetzung läßt sich verstehen, daß Polykrates Sokrates als werbewirksames Exempel für eine paradoxographische Tadelrede auswählen konnte. Die Rekonstruktion der Sokrates-Rede des Polykrates ist eine Großtat der kritischen Philologie des vorigen und vorvorigen Jahrhunderts, die im wesentlichen als geglückt und abgeschlossen gelten darf (Markowski 1910; Mesk 1910; Chroust 1957). Auf diese Rekonstruktion, die sich in der Hauptsache auf die Apologie des Sokrates des Libanios (SSR I E 1) und auf Xenophons Memorabilien (1.2,9-61) stützt, die beide gegen die Rede des Polykrates polemisieren, ist hier nur insoweit einzugehen, als daß womöglich jener Ort in der Rede namhaft zu machen ist, an dem von Sokrates' Rhadamanthischen Eiden in dem peiorativen Sinne die Rede gewesen ist, wie er sich für Polykrates erschließen ließ; des weiteren ist zu fragen, woher denn Polykrates die Kunde von jenen Eiden gekommen ist, die er ad malam partem gegen Sokrates verwendete. Der gesuchte Ort ist unschwer aufzufinden. Er befindet sich in jener größeren Passage, in der der Anytos des Polykrates Sokrates vorwarf, daß er den Staat schädige, insofern er andere unmittelbar zu den schwersten Straftaten anleite (Markowski 1910, 37; Mesk 1910, 79; Chroust 1957, 99 f.). Am Ende dieses eindrucksvollen Untatenkatalogs, auf den hier nicht näher einzugehen ist, steht der Vorwurf des Meineids: «Er lehrt den Meineid» (διδάσκει […] ἐ ̟ιορκε ῖ ν), läßt Libanios in seiner Sokratesapologie (109 = SSR I E 1 [109]) den Ankläger, der niemand anderes ist als der Anytos des Polykrates, in oratio recta sagen. Der anonyme Sokratesfreund, dem Libanios die Rolle des Verteidigers zugewiesen hat, hält dagegen: 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 281 Sokrates ein Meineidiger? Wo er doch nicht einmal, wenn er ernsthaft schwören wolle, bei den Göttern schwöre, sondern zu irgendwelchen anderen Phänomenen ausweiche und seine Anhänger daran gewöhne, beim Schwören nicht leichtfertig mit den Namen der Götter umzugehen: ὁ µηδ ᾽ ἐ ν ο ἷ ς ε ὐ ορκε ῖ ν µέλει το ὺ ς θεο ὺ ς ὀ µνύων, ἀ λλ ᾽ ἀ ̟οχωρ ῶ ν ε ἰ ς ἕ τερ ᾽ ἄ ττα κα ὶ συνεθίζων ἐ ν το ῖ ς ὅ ρκοις το ὺ ς α ὑ το ῦ µ ὴ ῥ αιδίως ̟ροσιέναι το ῖ ς ὀ νόµασι τ ῶ ν θε ῶ ν. Und weiter: Der Ankläger solle beweisen, daß der Mann sich vielfach des Meineids schuldig gemacht und Treueversprechungen gebrochen habe; sodann erst behaupte er, daß andere von ihm dazu erzogen worden seien, die Götter zu mißachten: δείξας [...] ἐ ̟ιωρηκότα ̟ολλαχο ῦ τ ὸ ν ἄ νθρω̟ον κα ὶ συγχέαντα ̟ίστεις ο ὕ τω φάσκε το ὺ ς ἄ λλους ὑ ̟ ᾽ α ὐ το ῦ ̟ε̟αιδε ῦ σθαι τ ῶ ν θε ῶ ν ὀ λιγωρε ῖ ν. Faßt man die Verteidigung, die Libanios dem Redner in den Mund legt, genauer ins Auge, so zeigt sich, daß sie auf die Rhadamanthischen Eide des Sokrates rekurriert und diese in ihrem ursprünglichen Sinne auffaßt als eine Vorsichtsmaßregel, die dazu geeignet ist, die Namen der Götter beim Schwören nicht leichtfertig zu mißbrauchen. Sokrates also verhält sich beim Schwören besonders fromm und teilt dieses fromme Verhalten auch seinen Anhängern mit, so daß keine Rede davon sein könne, er leite andere zur Mißachtung der Götter an. Auf dem Hintergrund dieser Verteidigung zeichnet sich deutlich ab, was der Ankläger, also der Anytos des Polykrates, vorgetragen hat, um Sokrates des Meineids zu zeihen: Er faßte die Rhadamanthischen Eide wortwörtlich auf, dergestalt, daß Sokrates jene Wesenheiten, denen seine Schwüre galten, als veritable Götter angesehen habe und diesen verwerflichen Gottglauben auch an seine Anhänger weitergegeben habe, so daß er als ein religiöser Verderber der Jugend gelten müsse. Es ist sehr beweisend, daß man auf diese Rekonstruktion der Polykrateischen Anklage auch dann verfallen würde, wenn nicht die Hypothesis zum Busiris des Isokrates (1 p. 187 Mathieu-Brémond) in der Tat so lautete, wie die Rekonstruktion vermuten läßt. Dasselbe spiegelbildliche Verhältnis, das hier zwischen Anklage und Verteidigung waltet, kehrt im übrigen mutatis mutandis wieder in der Apollonios-Biographie des Philostrat (6.19 = SSR I C 180): Der Gymnosophist Thespesion erklärt hier, der Athener Sokrates sei ein törichter Greis gewesen, der Hund, Gans und Platane als Götter angesehen und bei ihnen geschworen habe. Gar nicht töricht, sondern göttlich und weise sei Sokrates gewesen, erwidert Apollonios, denn er habe beim Hund, bei der Gans und der Platane nicht geschworen, da sie Götter seien, sondern um nicht bei den Göttern zu schwören . . . In der Anklagerede gegen Sokrates des Polykrates waren also unter dem Vorwurf «Eidbruch» ( ἐ ̟ιορκία) offenbar alle jene Varietäten von Sokrates Rhadamanthischen Schwüren versammelt, die die spätere Überlieferung eklektisch zitiert. Auch steht außer Frage, daß Polykrates diese Varietäten 11. Beim Hunde! Sokrates und der Eid des Rhadamanthys 282 nicht etwa erfunden hat; er hat sie vielmehr den Dialogen der Sokratiker abgelauscht, um sie als Beweismittel für seine Anklage zu verwenden, in der der Vorwurf des Eidbruchs so wirkungsvoll mit dem Vorwurf der Asebie und der Jugendverderbnis verquickt wird. Was er bei Platon nicht fand, fand er bei den fragmentarischen Sokratikern, und wenn hier bei dem einen oder anderen etwa noch das eine oder andere Mal geschah, was im Platonischen Gorgias (p. 482 b) notorisch geschieht, daß nämlich Sokrates im Horizont der Ironie den Gegenstand eines Rhadamanthischen Eides als göttliche Wesenheit apostrophierte, so konnte Polykrates noch leichter tun, was ihm zu tun auch die eine Platonische Stelle erlaubte: behaupten, daß alle Rhadamanthischen Eide, die Sokrates schwört, veritablen Gottheiten gelten würden und daß Sokrates die kultische Verehrung von Hund, Gans, Bock, Platane, Eiche, Stein usw. nicht nur praktiziert, sondern diese religiöse Praxis auch an seine Anhänger weitergegeben habe. Meineid, Asebie und Jugendverderbnis ist hiernach die kriminelle Trias, die der Anytos des Polykrates Sokrates nachweisen zu können glaubte, weil Sokrates sich bei Platon und bei den fragmentarischen Sokratikern öfters Rhadamanthischer Eide bediente. Es ist fürwahr grobes Geschütz, das Polykrates hier gegen Sokrates in Stellung bringt. Indes ist solch grobe Hermeneutik typisch für Polykrates. Längst liegt ja am Tage, daß Polykrates das Material, mit dem er wirtschaftet, zum allerwenigsten eigener Erfindung verdankt, sondern vielmehr die frühe Sokratesliteratur heranzieht, um daraus einzelne Sätze vermittels jener groben Hermeneutik, wie sie auch im Falle der Rhadamanthischen Eide zu konstatieren war, gegen Sokrates zu verwenden. Besonders gut läßt sich dieses Verfahren studieren im Falle der frühplatonischen Dialoge (Gebhardt 1957, 17-41); aber auch die Benutzung Antisthenischer Schriften läßt sich wahrscheinlich machen (Chroust 1957, 135- 163). Wenn man bedenkt, daß es ausschließlich fiktionale Literatur war, derer Polykrates sich bediente, daß er selbst durch gewaltsame Interpretation dieser Literatur den Stoff für eine ebenfalls fiktionale Anklagerede gegen Sokrates gewann, so erhält man einen deutlichen Begriff davon, in welchem Maße die historische Person des Sokrates kaum zehn Jahre nach ihrem Tode Gegenstand fiktionaler Verfremdung geworden ist. Wer diese Verfremdung nicht sieht oder nicht wahrhaben will, muß über den historischen Sokrates schweigen. Erst wenn es gelänge den dichten fiktionalen Schleier, hinter dem die historische Person verborgen ist, zu zerreißen, dann wäre alles gut: Wir wüßten, was es mit der Person und der Philosophie des Sokrates in Wahrheit auf sich gehabt hat. 12. Sokrates und die Dreißig ∗ Laurentio filio eidemque commilitoni Das terroristische Oligarchen-Regime der sogenannten Dreißig, das sich nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges unter dem Archontat des Pythodoros (Juli 404 - Juli 403) für acht Monate mit spartanischer Unterstützung in Athen etablierte und den Piräus vermittels der sogenannten Zehn kontrollierte, hat nicht weniger als 1500 Bürger widerrechtlich hinrichten lassen (Quellen: Xen. Hist. Gr. 2.2,21-4.43; Lys. Or. 12 & 13; Arist. Resp. Athen. 34.3-41.1; Diod. Bibl. 14.3-6 & 32 sq.; Iustin. 5.8-10. - Lenschau 1937; Hackl 1960; Adeleye 1971; Krentz 1982 & 1995; Lehmann 1997). Es fehlte nicht viel, daß auch Sokrates ermordet worden wäre. Wie das kam, und wie es kam, daß er davonkam, davon erzählt die Sokrates-Literatur, in ihrer Weise das Fiktionale mit dem Historischen mischend. 1. Die Personen Von den sogenannten «Dreißig Tyrannen» (Diod. Bibl. 14.2), deren Namen Xenophon (Hist. Gr. 2.3,2. - Németh 1988 a) sorgfältig verzeichnet, werden in der antiken Sokrates-Literatur folgende Personen erwähnt: — Aristoteles (PA 2057; RE 2.1, 1011 [Nr. 5]; PoP p. 57 sq.) — Charikles (PA 15407; RE 3.2, 2140 [1]; PoP p. 88) — Drakontides (PA 4546; RE 5.2, 1663 sq. [Nr. 3]) — Erasistratos (PA 56052 & 5028; RE 6.1, 333 [1]; PoP p. 141 sq. & 230) — Kritias (PA 8792; RE 11.2, 1901-1912; PoP p. 108-111. - Stephans 1932; Raoss 1946; Rosenmeyer 1949; Usher 1968 & 1979; Adeleye 1977-78; Németh 1988 b; Centanni 1997; Bultrighini 1999; Un- gern-Sternberg 2000) — Melobios (PA 10102; RE 15.1, 559) — Peison (PA 11794; RE 19.1, 192) — Theramenes (PA 7234; RE [A 2] 5, 2304-2320; PoP p. 284-287. - Usher 1968; McCoy 1971; Adeleye 1976; Harding 1974; Paseley 1987,1988 & 1989; Engels 1993; Buck 1995; Bearzot 1997; Ungern- Sternberg 2000). Von den Zehn, die, im Auftrag der Dreißig, im Piräus als Machthaber fungierten, wird nur ein einziger mit Namen genannt: — Charmides (PA 15512; RE 3.2, 2174; PoP p. 90-94. - Henry 1974). ∗ Originalbeitrag. 12. Sokrates und die Dreißig 284 Ebenfalls wird nur eine Person jener anderen Zehn genannt, die die Aufgabe hatten, das Regime der Dreißig politisch zu liquidieren: — Rhinon (PA 12532; RE [A 2] 1.1,842; PoP p. 343). Im folgenden soll untersucht werden, welche dieser Personen welche Rolle in der Sokrates-Literatur spielen und inwiefern, was von ihnen erzählt wird, als historisch gelten kann und darf oder nicht. 2. Platon Platon (um mit ihm zu beginnen) nennt von den Dreißig zwei mit Namen: Kritias und Aristoteles; von den Zehn im Piräus erwähnt er namentlich nur Charmides. Kritias erscheint zuerst im Protagoras: Er betritt, zusammen mit Alkibiades, unmittelbar nach Sokrates und Hippokrates das Haus des Kallias, in dem die großen Sophisten Hof halten (p. 316 a); gemeinsam mit Alkibiades sorgt er im folgenden dafür, daß das ins Stocken geratene Gespräch zwischen Sokrates und Protagoras weitergeführt werden kann (p. 336 b-e). Bedeutender ist die Rolle, die Kritias im Platonischen Charmides spielt: Er tritt als Unterredner im Einführungsgespräch auf und stellt Sokrates den schönen Knaben Charmides vor (p. 153 d-155 b); im weiteren Verlauf des Gesprächs tritt Kritias in die Rolle des Charmides ein, um als Gesprächspartner des Sokrates die dialektischen Erörterung über das Wesen der Besonnenheit weiterzuführen (p. 162 c sqq.), wobei sich herausstellt, daß die Bestimmung der Besonnenheit als «Tun des Seinigen» (τ ὰ ἑ αυτο ῦ ̟ράττειν), die Charmides vorgebracht hat, auf Kritias zurückgeht (p. 161 b-162 d). Nach diesem Vorspiel in den Frühdialogen erscheint ein Kritias erst wieder in Platons spätesten Dialogen: Im Timaios erzählt er den Atlantis- Mythos und fordert Timaios auf, über die Entstehung des Kosmos zu berichten (p. 20 d-27 b); im Kritias setzt er dann die Erzählung über Atlantis und Urathen in großem Stile fort, um unvermittelt abzubrechen (p. 108 c-121 c) — ein deutliches Zeichen, daß jener Dialog, der Kritias´ Namen trägt, von Platon nicht vollendet worden ist. Ob dieser Kritias identisch ist mit dem Oligarchen Kritias oder ob er nicht als dessen Großvater anzusehen ist, ist in der Forschung nach wie vor umstritten (Diskussion und Literatur: PoP p. 106-111 & Nesselrath 2006, 43-50). Die Anhänger der Großvater-Hypothese rekurrieren vor allem auf die Chronologie. Kritias sagt im Timaios (p. 20 de & 21 a), er habe den Atlantis-Mythos als zehnjähriger Knabe von seinem fast neunzigjährigen Großvater Kritias gehört, der sie wiederum von Solon gehört habe, einem Freund seines Urgroßvaters Dropides. Nun war der Oligarch Kritias um 12. Sokrates und die Dreißig 285 460 geboren; wenn er im Alter von zehn Jahren den Atlantis-Mythos von seinem neunzigjährigen Großvater hörte, so muß dieser um 540 geboren sein, so daß er nicht mehr mit Solon gesprochen haben kann, der bereits um 560 starb. Demnach könne nicht der Oligarch Kritias als Erzähler gelten, sondern dessen gleichnamiger Großvater, der die Geschichte von seinem ebenfalls gleichnamigen Großvater gehört habe, den man nun, um die Sache stimmig zu machen, samt seinem Vater Leaides, der durch Ostraka aus der Zeit um 480 bezeugt ist (Davies 1971, 326), als neues Vater-Sohn-Paar nach dem Paar Dropides-Kritias in die Genealogie einschieben müsse. So — und nur so — werde auch verständlich, daß der Erzähler sagt, daß die Gedichte Solons, die er damals als Knabe sang, noch neu waren (Tim. p. 21 b) und daß der Erzähler auf sein mangelndes Kurzzeitgedächtnis verweise (Tim. 26 b). Die Hypothese ist fraglos scharfsinnig. Gleichwohl geht sie fehl, da sie einen hochfiktionalen Text nach den Kriterien historischer Kritik interpretiert. Das geht nicht wohl an. Die Zusammenkunft zwischen Sokrates mit Timaios, Kritias und Hermokrates in Athen, die die Dialoge Timaios und Kritias voraussetzen, ist eine Erfindung Platons, und zwar eine Erfindung des spätesten Platon, der kaum noch Interesse hat an der fiktionalen camouflage des Dialogs und am Sokratischen Dialog im Grunde auch nicht mehr. Weswegen der Kritias unfertig geblieben ist und der Hermokrates, der im Kritias (p. 108 ab) annonciert wird, gar nicht mehr geschrieben wurde: In den postumen Nomoi, die den Verlust ersetzen, ist die Fiktionalität des Sokratischen Dialogs endgültig aufgehoben. Auf diesem Hintergrund wiegen die Anachronismen in betreff der Person des Kritias nicht schwer. Schwerer wiegt dagegen, daß Platon Timaios, Kritias und Hermokrates als ein zusammengehöriges Trio von Männern darstellt, die durch Erziehung und Naturanlage sowohl philosophisch wie auch politisch so gebildet sind, daß sie in der Lage sind, dem Wunsche des Sokrates, den idealen Staat auch in der Bewegung darzustellen, nachkommen können (Tim. p. 19 e-20 a): Timaios aus dem italischen Lokroi ist nach Reichtum und Abkunft einer der ersten Bürger seiner Stadt, in der er schon die höchsten Ämter und Ehrenstellen eingenommen, aber auch in der Philosophie das Höchste erreicht hat. «Vom Kritias hier aber wissen wir hier wohl alle», fährt Sokrates fort, «daß er in den Dingen, über die wir sprechen, kein Laie ist» (Κριτίαν δέ ̟ου ̟άντες ο ἱ τ ῆ ιδε ἴ σµεν ο ὐ δεν ὸ ς ἰ διώτην ὄ ντα ὧ ν λέγοµεν). Hermokrates schließlich sei durch das Zeugnis vieler zu alledem fraglos befähigt. Die Vorstellung der Personen ist verschieden gewichtet: Timaios (RE [A 2] 6.1, 1203-1226 [Nr.4]; PoP p. 293), den wir übrigens historisch nicht verifizieren können, wird am ausführlichsten vorgestellt, weil er der Unbekannteste ist und alsbald reden wird und weil, was für ihn gilt, mutatis mutandis auch für die beiden anderen gilt: geistige Bildung und politische Erfahrung. Kritias wird demgegenüber kurz abgehandelt, weil 12. Sokrates und die Dreißig 286 er sich im folgenden alsbald selbst vorstellen wird. Hermokrates (RE 8.1, 883-887 [Nr. 1]; PoP p. 161 sq.) schließlich bleibt schattenhaft bis auf die spätere Bemerkung, daß auch er, wie Timaios, ein Ausländer ist (Tim. p. 20 c). Keine Frage, daß er später, wenn er das Wort ergriffen hätte, ausführlicher vorgestellt worden wäre. Aber auch so ist klar, daß es sich um niemand anderen handeln kann als um den bedeutenden Syrakusischen Staatsmann und Feldherrn, der maßgeblichen Anteil daran hatte, daß die Athenische Invasion vom Jahre 415 im Jahre 413 schließlich in einer desaströsen Niederlage endete. Es kann nun nicht der geringste Zweifel sein, daß das Duo Timaios- Hermokrates nur dann zum Trio wird, wenn Kritias der Oligarch gewesen ist und nicht sein im übrigen ganz unbekannter Großvater. Allein die Tyrannenhypothese gewährleistet die Kommensurabilität und Einheit der Personen, durch die erst die Einheit und Kommensurabilität der großen Reden über Natur und Staat, die diese Personen halten werden bzw. hätten halten sollen, gewährleistet wird. Wenn dem so ist, so konnte sich Hermokrates als der vielversprechende Politiker, als der er vorgestellt wird, nur zwischen den Jahren 424 (Konferenz von Gela) und 415 (Athenische Invasion) in Athen aufhalten; Kritias aber, trat nach allem, was wir wissen, nicht vor dem Jahre 411 (Putsch der Vierhundert) in Athen politisch hervor — ein weiterer Anachronismus, der einmal mehr beweist, wie grandseigneural der späte Platon mit dem historischen Detail umgegangen ist. Das Trio Timaios-Kritias-Hermokrates birgt in sich das Duo Kritias- Hermokrates, insofern es diesen beiden zufällt bzw. zugefallen wäre, den idealen Staat in Bewegung zu schildern. Das ist eine entschieden brisante personale Auswahl: Der größte innere Feind des demokratischen Athen — Kritias — und der erfolgreiche äußere Feind des demokratischen Athen — Hermokrates — erhalten bzw. hätten gemeinsam das Wort erhalten, um die historische Entwicklung des Staates von der Urzeit bis in die Gegenwart, wo nicht gar in die Zukunft darzustellen — ein hochbedeutsames literarisches Signal, dessen Interpretation allerdings den vorgebenen Horizont dieser Untersuchung entschieden übersteigen würde. Wie Kritias, so erscheint auch Charmides zuerst im Protagoras: Er befindet sich, zusammen mit den Söhnen des Perikles, im Gefolge des Protagoras, dem auch Kallias und sein Bruder angehören (p. 315 a). In jenem Dialog, der seinen Namen trägt, gibt er als schöner Knabe Sokrates Anlaß und Gelegenheit zu einer dialektischen Erörterung über die Besonnenheit, an der er solange teilnimmt, wie er kann (p. 155 a-162 b). Nicht mehr als ein Reflex auf dieses Gespräch ist es wohl, wenn Alkibiades im Symposion Charmides unter jenen Jünglingen nennt, die Sokrates erotisch getäuscht habe, insofern er den Liebhaber spiele, während er doch der Geliebte zu sein verlange (p. 222 b). 12. Sokrates und die Dreißig 287 Beide, Kritias wie Charmides, behandelt Platon mit äußerster Courtoisie und Delikatesse. Kritias, der erwachsene Mann, und Charmides, der schöne Knabe, sind, wie wir erfahren, Vettern und Kritias der Vormund des Charmides, beide aus altem, vornehmen Geschlecht, das von Solon, Anakreon und anderen Dichtern gerühmt wurde (Charm. p. 153 b, 155 a, 157 e-158 a), und beide zugleich intellektuell hochinteressiert, so daß sie nicht nur die Nähe der Sophisten suchen, sondern auch, wie selbstverständlich, mit Sokrates verkehren, in dessen geistige Obhut Kritias schließlich sogar sein Mündel übergibt (Charm. p. 176 a-d). Selten bewährt die Fiktionalität des Sokratischen Dialogs sich so sehr wie hier: Geschützt durch das literarische genus kann, ja muß Platon über die späteren Taten der beiden Männer schweigen. Nichts deutet darauf hin, daß Kritias der spiritus rector der Dreißig gewesen ist und ihr enragiertester Vertreter, nichts, daß Charmides der Anführer der Zehn im Piräus gewesen ist und daß beide schließlich im Straßenkampf im Piräus fielen, nachdem die oligarchische Unrechtsherrschaft unter ihrer maßgeblichen Beteiligung Mordtat auf Mordtat gehäuft und sich namentlich Kritias als einer der schlimmsten Untäter der athenischen Geschichte erwiesen hatte. Nichts deutet auch darauf hin, daß Platon selbst zur Familie der Untäter gehörte, insofern Charmides, der Vetter des Kritias, Platons Onkel gewesen ist, der Bruder von Platons Mutter Periktione (Stemma: PA 11855; PoP p. 244). Über diese Verwandtschaftsverhältnisse muß nicht jeder Hörer oder Leser Bescheid gewußt haben; jeder aber wußte, welche unrühmliche, ja verwerfliche Rolle Kritias und Charmides während der oligarchischen Tyrannis gespielt hatten. Und dennoch bringt Platon ausgerechnet jene beiden Männer in eine vergleichsweise enge Verbindung mit Sokrates, der selbst um ein Haar ein Opfer der Dreißig geworden wäre. Diese literarische Kühnheit, von der auch das Auftreten des Kritias in den Spätdialogen noch und wieder kündet, setzt voraus, daß Platon darauf vertrauen konnte und darauf vertraut hat, daß die zeitgenössischen Leser von ihrem historischen Meta-Wissen absehen und sich ganz dem literarischen Spiel des fiktionalen genus hingeben würden, das die Personen in eine Epoche versetzt, da sie gewissermaßen noch im Stande politischer Unschuld gewesen sind. Anders jedenfalls ist der Befund nicht zu erklären, es sei denn, Platon habe die nachmaligen Oligarchen auf Kosten der restaurierten Demokratie mit Vorbedacht loben wollen, weil diese tat, was jene versucht haben würden: Sokrates zu töten. Aber man muß nur lesen, wie Platon im Siebten Brief (p. 325 bc) über das Regime der Dreißig und die restaurierte Demokratie urteilt, um zu erkennen, daß eine solche Auskunft keinen Bestand haben kann, da Platon der restaurierten Demokratie, aufs ganze gesehen, «Maßvolligkeit» ( ἐ ̟ιείκεια) attestiert, wiewohl sie Sokrates «aufgrund irgendeines Zufalls» (κατ ὰ δέ τινα τύχην) irrigerweise habe hin- 12. Sokrates und die Dreißig 288 richten lassen — eine Stelle, die, beiläufig bemerkt, entschieden für die Echtheit des Briefes spricht; jeder andere als Platon hätte an dieser Stelle unfehlbar andere, nämlich stärkere Töne angeschlagen. Daß Platon auch anders konnte, wenn er wollte, lehrt der Parmenides. Der ausführliche Beglaubigungsapparat verweist auf die hohe Fiktionalität dieses Dialogs: Kephalos erzählt, wie ihm Antiphon ein Gespräch wiedererzählt habe, das ihm — Antiphon — Pythodoros erzählt habe: Wie anläßlich der Großen Panathenäen Parmenides und Zenon bei ihm — Pythodoros — zu Gast gewesen seien und wie sich anläßlich einer Lesung des Zenon eine Diskussion entwickelt habe über Sein und Nichtsein des Einen, an der unter anderen auch Sokrates und Aristoteles teilgenommen hätten (p. 126 a-127 d). Von den vier namentlich genannten Teilnehmern des Gesprächs werden drei - Parmenides, Zenon und Sokrates — durch Nennung des Lebensalters charakterisiert; erst im Fortgang des Gesprächs (p. 137 bc) erfährt man, daß Aristoteles der jüngste Gesprächsteilnehmer gewesen ist, jünger also noch als Sokrates, der eingangs (p. 127 a) als «sehr jung» (σφόδρα νέον) bezeichnet wird, damit der Chronologie — im Horizont der Fiktionalität — Genüge getan werde. Parmenides und Zenon werden außerdem auch durch die äußere Erscheinung charakterisiert, der eine als würdiger weißhaariger Greis, Zenon als ein wohlansehnlicher Mann. Auf eine ähnliche Charakterisierung des jungen Sokrates verzichtet Platon offenbar aus ästhetischen Gründen. Aber der junge Aristoteles wird charakterisiert, wenn auch, anders als Parmenides und Zenon, nicht durch die äußere Erscheinung, sondern politisch: Es heißt von ihm (p. 127 d), «er sei Anhänger der Dreißig geworden» (τ ὸ ν τ ῶ ν τριάκοντα γενόµενον). Durch die literarische Form des dihegematischen Dialogs ermächtigt, tut Platon hier, was er im Falle des Kritias und des Charmides nicht getan hatte: Er bezeichnet einen Gesprächsteilnehmer expressis uerbis und post festum als Mitglied der Dreißig. Diese politische Kennzeichnung genügte dem zeitgenössischen Hörer oder Leser offenbar, um sich zu vergegenwärtigen, daß jener blutjunge Knabe, der den dialektischen Ausführungen des Parmenides so brav respondiert (p. 137 c sqq.), später jener radikale Oligarch gewesen ist, der schon während des Regimes der 400 im Jahre 411 getan hätte, was er später nach der Niederlage de facto getan hat: in Athen unter dem Schutze Spartas ein oligarchisches Gewaltregime zu etablieren (Xen. Hist. Graec. 2.3,13 & 46). Platon erwähnt dieses Detail offenbar nicht um diesem Manne politisch zu schaden, der, als der Dialog verfaßt wurde, ja auch längst tot war; anders hätte er auch nicht eigens darauf hin gewiesen, daß der junge Sokrates mit dem jungen Aristoteles des öfteren philosophische Gespräche geführt habe (p. 135 d). Wenn aber eine solche Absicht fern liegt, so lag offenbar eine andere Absicht zugrunde, nämlich diesen Mann so schlagend wie möglich zu kennzeichnen, auf daß man sich vergegenwär- 12. Sokrates und die Dreißig 289 tige, was man ohnehin womöglich noch wußte: daß dieser Mann der historisch bedeutsamste athenische Bürger gewesen ist, der den Namen Aristoteles getragen hat (Liste: PA 2053-2075). Dennoch muß man fragen, was Platon bewogen hat, ausgerechnet diesen Mann, von dem die Historiographie zwar das eine oder andere weiß, die Sokratik aber gar nichts, in den Kreis philosophisch so bedeutender Männer, wie die Eleaten Parmenides, Zenon und auch, nach dem Willen des Autors, der junge Sokrates sind, namentlich aufzunehmen, und sei es auch nur als unselbständigen Respondenten des Parmenides. Diese Frage stellen heißt sie beantworten. Es kam Platon offenbar auf den Namen der Person an, hinter dem, fiktional und ironisch verhüllt, wie es Platons Art ist, eine andere Person in Erscheinung tritt und in Erscheinung treten soll, die denselben Namen trug: Aristoteles aus Stageira, der mit siebzehn Jahren, in jenem Alter also, das auch für den Aristoteles des Parmenides vorauszusetzen ist, zur Zeit von Platons zweiter sizilischer Reise (367) in die Akademie eingetreten ist und sich dort, anders als der Parmenideische Aristoteles, durchaus nicht als harmloser Respondent erwies, sondern als scharfer Dialektiker und Kritiker der Ideenlehre, wie sie Platon vor allem in der Politeia entworfen hatte. Wie denn auch ein Gutteil jener Einwände gegen die Ideenlehre, die Parmenides im ersten Teil des Dialogs (p. 130 a-135 c) gegen den jungen Sokrates vorbringt, für Aristoteles nachzuweisen sind (Taylor 1934, 128-134; Migliori 1990, 44 sq.; Flashar 2004, 267 sq.). Diese doppelte Verhüllung enthüllt allein der Name Aristoteles, den Platon hier mit Vorbedacht gewählt hat, damit der Träger dieses Namens auf jenen anderen verweise, dessen Kritik an der Ideenlehre sich der ideenkritische Dialog Parmenides nicht zuletzt verdankt. Solch änigmatisches Spielen mit dem Tatsächlichen im Horizont der Fiktionalität — das ist Platon ganz. Wer das nicht wahrhaben will, geht notwendig in die Irre. So nachsichtig, wenn nicht gar generös Platon in den Dialogen einzelne Personen des oligarchischen Regimes (Kritias, Charmides und Aristoteles) behandelt, so streng und unnachsichtig urteilt er über das Regime in toto. Hiervon gibt vor allem der Siebte Brief Kunde, der zwar an die Verwandten und Freunde Dions gerichtet ist, sich aber zugleich auch an ganz Hellas wendet, vor dem Platon als Philosoph Rechenschaft ablegen will über sein politisches Tun. Platon hat hier, um sich autobiographisch mitteilen zu können, die (semifiktionale) Form des Offenen Briefes gewählt und so eine literarische Form übernommen, die Isokrates erfunden hat, der aber seinerseits seine persönliche Rechenschafsablegung in Form einer fiktiven Gerichtsrede als Antidosis dargeboten hat. Das Schwanken der Form verweist darauf, daß die Biographie und also auch die Autobiographie als literarische Form noch nicht vorhanden war. 12. Sokrates und die Dreißig 290 Platon gibt im Siebten Brief eingangs einen Überblick über seinen politischen Werdegang bis hin zur ersten sizilischen Reise (p. 324 b-326 b). Als junger Mensch habe er — Platon — eine politische Karriere angestrebt und erlebt, wie ein «Umschwung» (µεταβολή) der politischen Verhältnisse stattgefunden habe, insofern die politische Macht in die Hand von dreißig Autokraten übergegangen sei, die von den Elf in der Stadt und den Zehn im Piräus unterstützt worden seien. Einige dieser Machthaber seien Verwandte oder Bekannte gewesen und hätten ihn zur Teilnahme am politischen Geschäft eingeladen. Er habe scharf aufgepaßt, ob sie die Verhältnisse zum Besseren wenden würden, habe aber alsbald gesehen, daß sie die frühere Verfassung des Staates als Gold erscheinen ließen und habe sich unwillig von diesen Übeltätern zurückgezogen (p. 324 b-325 a). Für die Übeltaten des Regimes nennt Platon ein Beispiel: Die Gewalthaber hätten Sokrates, seinen älteren Freund, den als gerechtesten der damaligen Menschen zu nennen er keinen Anstand nehme, zusammen mit anderen zu einem Bürger geschickt, um ihn gewaltsam herzubringen, damit er sterbe und Sokrates, ob er wolle oder nicht, in ihre ungerechten Machenschaften verwickelt werde. Sokrates aber habe nicht gehorcht, sondern lieber jede Gefahr auf sich genommen, als Teilnehmer an den gottlosen Taten der Gewalthaber zu werden (p. 324 d-325 a). Dieselbe Geschichte erzählt Platon in der Apologie, einer fiktionalen Gerichtsrede, in der Sokrates Gelegenheit erhält, sein philosophisches Tun zu rechtfertigen. Sokrates will den Richtern beweisen, daß, wer für das Gerechte eintritt, nicht politisch, sondern nur privat tätig sein dürfe, wolle er auch nur kurze Zeit überleben (p. 32 a-e). Sokrates führt als Beweis sein Verhalten beim Arginusenprozeß an, der noch unter der Demokratie stattfand (p. 32 a-c), um sodann sein Verhalten während der Oligarchie darzulegen. Die Dreißig hätten ihn zusammen mit vier anderen in die Tholos holen lassen und ihnen befohlen, den Leon aus Salamis herzuholen, damit er sterbe. Wie sie denn dergleichen auch von vielen anderen verlangt hätten, um möglichst viele schuldig werden zu lassen. Hier nun habe Sokrates erkennen lassen, daß ihm am Tode gar nichts gelegen sei, aber alles an der Gerechtigkeit. Denn das Regime, wie stark es auch gewesen sei, habe ihn nicht so schrecken können, daß er etwas Unrechtes getan hätte: Als sie aus der Tholos herausgekommen seien, hätten die Vier sich nach Salamis begeben und den Leon geholt; er aber — Sokrates — sei schnurstracks nachhause gegangen und wäre womöglich deswegen zu Tode gekommen, wenn das Regime nicht kurze Zeit danach aufgelöst worden wäre. Dafür stünden den Richtern viele Zeugen zur Verfügung (p. 32 cd). Beide Erzählungen stimmen miteinander vollkommen überein, nur daß die Erzählung der Apologie, gattungsspezifisch bedingt, mehr Detail nennt, so daß wir hier auch den Namen des Opfers erfahren: Leon aus Salamis (McCoy 1975). 12. Sokrates und die Dreißig 291 Die gewaltsame Verhaftung und Tötung des Leon war eine cause célèbre der oligarchischen Terrorherrschaft, die auch außerhalb der Sokratik in zeitgenössischer Literatur Aufmerksamkeit gefunden hat: So berichtet Andokides in der Rede De mysteriis (Or. 1.94), es sei stadtbekannt, daß Meletos, der Ankläger des Andokides— nicht zu verwechseln mit dem Ankläger des Sokrates oder seinem gleichnamigen Vater (MacDowell 1962, 208-210; Blumenthal 1973) — Leon unter den Dreißig verhaftet habe, worauf dieser «ohne Gerichtsverfahren» ( ἄ κριτος) getötet worden sei. Die Kinder des Leon könnten jedoch Meletos, wiewohl er seine Tat nicht einmal leugne, wegen Beihilfe zum Mord nicht belangen, da ihn die Amnestiegesetzgebung schütze, die unter dem Archontat des Eukleides (404- 403) beschworen worden war. In größeren politischen Zusammenhang stellt Xenophon die Sache in den Hellenika (2.3,38-43). Theramenes legt in seiner Verteidungsrede gegen Kritias dar, daß die Dreißig, solange sie die Behörden eingesetzt und die Sykophanten verurteilt hätten, allgemeinen Beifall gefunden hätten; nachdem sie jedoch begannen, unbescholtene Bürger zu ergreifen, habe er — selbst ein Mitglied der Dreißig — Widerspruch eingelegt: Die Tötung des vollkommen unbescholtenen Leon aus Salamis, die Tötung des reichen, gar nicht demokratisch gesonnenen Nikeratos und die Tötung des reichen Patrioten Antiphon mußten die Bevölkerung notwendig der Regierung entfremden — nicht zu reden von der Ermordung der reichen Metöken, gegen die er — Theramenes — sich ebenso ausgesprochen habe wie gegen die Exilierung der führenden Demokraten (Thrasybulos, Anytos und Alkibiades). An der Historizität der causa Leonina kann nach alledem kein Zweifel sein, wiewohl die Rede des Theramenes ihrerseits als Erfindung Xenophons gelten muß. Ob aber auch die Rolle des Sokrates in dieser causa, wie sie Platon erzählt, als historisch angesehenen werden darf, steht dahin. Xenophon jedenfalls, der in den Hellenika (1.7,15) erwähnt, daß Sokrates beim Arginusen-Prozeß als Prytane die Abstimmung verweigert habe, weiß nichts davon, und andere Sokratiker erzählen die Sache anders, als sie Platon erzählt hat. Womit sich einmal mehr das typische Szenario der Sokrates-Überlieferung herstellt, das die historische Kritik regelmäßig verzweifeln läßt, weil das Vorwalten des Fiktionalen die Suche nach dem Historischen zum Scheitern verurteilt 3. Xenophon Xenophon, den man als zweiten befragen muß, erwähnt von den Dreißig, wie Platon, Kritias und, anders als Platon, Charikles; von den Zehn im Piräus erwähnt er, nun wiederum in Übereinstimmung mit Platon, allein Charmides. 12. Sokrates und die Dreißig 292 Um mit der Darstellung des Charmides zu beginnen, so zeigt ihn Xenophon im dritten Buch der Memorabilien im Gespräch mit Sokrates. Charmides, so führt Xenophon aus, sei politisch ein bedeutender Kopf gewesen, viel fähiger als die damals tätigen Politiker, aber er habe gezögert, vor dem Volke aufzutreten und politische Verantwortung zu übernehmen (3.7,1). Sokrates versucht in einem protreptischen Gespräch, diese Hemmung zu beseitigen: Es sei ein Zeichen von Feigheit, im Staat nicht politisch aufzutreten, wenn man doch das Zeug dazu habe. Und Charmides habe das Zeug dazu, da er im Gespräch mit maßgeblichen Politikern stets ein richtiges und überlegenes Urteil an den Tag lege. Scheu und Furcht vor Auftreten vor der Menge läßt Sokrates als Einwand nicht gelten, denn die Volksversanmmlung setze sich ja aus lauter unkundigen Leuten zusammen, denen Charmides noch weit überlegener sei als den Berufspolitikern. Wenn dieses Publikum ihn auslachen sollte, wenn er die Wahrheit sage, so liege nichts daran. Er solle nicht darauf, sondern auf sich selbst achten und die Angelegenheiten des Staates betreiben, deren Besserung nicht nur den Bürgern, sondern auch ihm selbst förderlich sein werde (3.7,1-9). Nicht anders als Platon hält auch Xenophon dieses Gespräch ganz im Horizont des Fiktionalen: Nichts deutet darauf hin, daß dieser politisch hoffungsvolle, wenn auch schüchterne Jüngling dermaleinst ein maßgeblicher Teilnehmer am oligarchischen Terror-Regime der Dreißig werden würde. Im übrigen geht diesem protreptischen Gespräch ein apotreptisches voraus, in dem Sokrates Glaukon, den Sohn des Ariston, der, kaum zwanzigjährig, vor dem Volke eine Rede halten wollte und so Gefahr lief, ausgelacht und von der Rednertribüne entfernt zu werden, von seinem Vorhaben abhielt (Mem. 3.6). Kein anderer als Sokrates konnte ihm das ausreden, und er tat dies, wie Xenophon eingangs vermerkt, «aus Wohlwollen für ihn wegen Charmides, des Sohnes des Glaukon, und wegen Platons» (ε ὔ νους ὢ ν α ὐ τ ῶ ι διά τε Χαρµίδην τ ὸ ν Γλαύκωνος κα ὶ δι ὰ Πλάτωνος) (3.6,1). Was Platon im fiktionalen Horizont der Dialoge nicht erwähnen konnte oder wenigstens nicht erwähnen wollte, das läßt Xenophon für den kundigen Leser hier deutlich genug durchscheinen: daß Platon, ebenfalls Sohn des Ariston und also Bruder des Glaukon, mit Charmides, dem Sohn des älteren Glaukon, verwandt gewesen ist — Charmides war Platons Onkel — und über ihn auch ein weitläufiger Verwandter des Kritias gewesen ist. Im Xenophontischen Symposion erscheint der junge Charmides in der Entourage des Sokrates (1.3). Charmides kommt im Lauf des sympotischen Gesprächs, das sich an die Mahlzeit im Hause des Kallias anschließt, mehrfach zu Wort (2.19; 3.1; 4.8,27 & 52), am ausführlichsten, als er im Reihum-Gespräch erklären 12. Sokrates und die Dreißig 293 muß, weshalb er sich am meisten auf seine Armut zugute tue (3.9 & 4.29- 33). Er führt aus, daß er, nachdem er sein auswärtiges Vermögen im Kriege verloren habe, viel komfortabler lebe: Er müsse nun nicht mehr Einbruch und Gewalttat fürchten, habe Ruhe vor den Nachstellungen der Sykophanten, müsse keine Leiturgien mehr leisten, unterliege keinen Reisebeschränkungen mehr, könne offen mit Sokrates verkehren, ohne Tadel zu fürchten und bewege sich überhaupt als ein freier und respektierter Mann in der Polis, die ihn, statt ihn zu besteuern, nunmehr ernähre (4.29-33). Charmides äußert sich hier nicht ohne Humor und Ironie über sein Schicksal, das Xenophon, wo nicht erfunden, so doch jedenfalls vordatiert hat; gleichwohl enthalten seine Worte unterschwellig auch Kritik an der Demokratie, die, namentlich während des Krieges, alles daran setzte, einem Reichen und besonders einem reichen Adligen, das Leben so schwer wie möglich zu machen: Durch Humor und Ironie scheint die Ranküne des späteren Oligarchen gegen die Demokratie hindurch — ein Zungenschlag, der bei Platon fehlt (Huß 1999, 256-267). Ganz im Sinne des Platonischen Charmides sind dann die letzten Worte des Sokrates über Charmides gehalten, die er in der Einleitung der großen Schlußrede auf den Eros vorbringt: Charmides, das wisse er, habe viele Liebhaber gehabt, es gebe aber auch solche, denen er selbst erotisch zugetan sei (8.2). Ganz anders fällt die literarische Behandlung aus, die Xenophon den Oligarchen Kritias und Charikles zu Teil werden läßt. Das hat Gründe. Xenophon verteidigt zu Beginn der Memorabilien Sokrates gegen die Anklage: zunächst gegen den Vorwurf des Atheimus, den er der historischen Anklageformel entnimmt (1.1); sodann gegen den Vorwurf der Jugendverderbnis (1.2), den er einer Anklagerede entnimmt, aus der er nicht weniger als sechsmal wörtlich mit der präteritalen Formel «der Ankläger sagte» ( ἔ φη ὁ κατήγορος) (1.2,9,12,49,51,56,58) zitiert, so daß man den Eindruck gewinnt oder jedenfalls gewinnen soll, es handele sich auch hier um ein historisches Dokument. Der zweite, wörtlich vorgetragene Anklagepunkt in betreff der Jugendverderbnis gilt auch Kritias: Kritias und Alkibiades, so heißt es, seien «Anhänger» ( ὁ µηλιτά) des Sokrates gewesen, die beide dem Staate sehr viel Übel zugefügt hätten, insofern Kritias von den Oligarchen der habsüchtigste und gewalttätigste gewesen sei, Alkibiades aber von den Demokraten der zügelloseste und übermütigste (1.2,12). Xenophons Verteidigung gegen diesen Vowurf der Anklage gestaltet sich weitläufig (1.2,13-48). Xenophon will erzählen, wie das Verhältnis der beiden Männer zu Sokrates gewesen ist. Sie waren beide die ehrgeizigsten Männer Athens, wollten, daß alles durch sie geschehe und daß sie die Berühmtesten würden (1.2,13 sq.). Sie wußten, daß Sokrates äußerst bescheiden und selbst- 12. Sokrates und die Dreißig 294 genügsam lebte und daß er alle, mit denen er sich unterhielt, im Gespräch lenkte, wie und wohin er wollte. Auf die autarke Lebensweise des Sokrates waren sie nun gar nicht erpicht, wohl aber auf seine dialektische Kraft, die sie politsch verwenden zu können hofften. Kaum fühlten sie sich ihren Mitmenschen darin überlegen, verließen sie denn auch Sokrates alsbald, um sich der Politik zu widmen, um derentwillen sie zu Sokrates gekommen waren (1.2,14-16). Daß Sokrates sie vor der Politik nicht erst die Selbstzucht gelehrt habe, darf man nicht tadeln: Wie alle Lehrer wirkte er nicht nur durch Kraft seiner Rede, sondern auch durch sein persönliches Beispiel in ethischem Sinne auf seine Schüler ein; Kritias und Alkibiades seien denn auch, solange sie mit Sokrates zusammen waren, besonnen gewesen, nicht aus Angst vor Strafe oder vor Schlägen, sondern weil sie es für das Beste hielten, so zu handeln (1.2,17 sq.). Nach einem philosophischen Exkurs (1.2,19-23), der hier nichts zur Sache tut, kehrt Xenophon zum Thema zurück. Solange Kritias und Alkibiades mit Sokrates verkehrten vermochten sie ihrer unschönen Eigenschaften Herr zu werden, nachdem sie sich aber von ihm getrennt hatten, verkehrte Kritias als Verbannter in Thessalien mit Männern, denen an Gesetzlosigkeit mehr gelegen war als an Gerechtigkeit, und Alkibiades, wegen seiner Schönheit von den Frauen bewundert, wegen seiner Macht von einflußreichen Männern umschmeichelt, vom Volke geehrt und an erster Stelle stehend im Staate, ließ nach wie ein unbesiegbarer Wettkämpfer und vernachlässigte sich. So durch Herkunft, Reichtum, Macht ausgezeichnet und von den Menschen verwöhnt, unter solchen Umständen verdorben und längst schon von Sokrates getrennt, erhoben sich beide hochmütig über die anderen (1.2,24 sq.). Wenn Sokrates jene beiden aber, als sie jung waren, besonnen machte, so verdient er dafür nicht Tadel, sondern Lob. Auch Väter erleiden keinen Tadel, wenn sie selbst besonnen sind und ihre Söhne Fehler machen. So muß man auch Sokrates beurteilen: Wenn er selbst etwas Übles getan hätte, wäre er zu Recht als schlecht erschienen; wenn er aber selbst durchweg besonnen lebte, mit welchem Recht könne er dann Schuld haben an einem Übel, das ihm gar nicht innewohnte (1.2,26-28). Xenophons apologetische Expektorationen lassen sich zusammenfassen wie folgt: Kritias und Alkibiades waren großangelegte Naturen, deren Hauptbestreben es war, möglichst großen politischen Einfluß zu erlangen. In ihrer Jugend ließen sie sich mit Sokrates ein, in der irrigen Vorstellung, die Sokratische Elenktik zu erlernen, um sie ihrem politischen Ehrgeiz dienstbar zu machen. Gleichwohl hielt sie Sokrates durch das ethische Paradigma seines Lebens und Lehrens in den Grenzen von Zucht und Ordnung fest; sobald sie aber ihren Irrtum erkannten und Sokrates verließen, da erst wurden sie jene skrupellosen Machtmenschen, als die sie die Geschichte kennt. Sokrates hat getan, was er tun konnte, um das zu verhindern; wenn er damit nur für kurze Zeit Erfolg hatte, so trägt er daran keine Schuld. — Es gehört sehr zu Xenophons schwerfälliger Weitläufig- 12. Sokrates und die Dreißig 295 keit, daß er dieses vergleichsweise schlichte entwicklungsgeschichtliche Erklärungsmodell, das zweifellos sein Werk ist, im folgenden dem Leser gleich noch zweimal einzuschärfen für angebracht hält (1.2,39 & 47) (Gigon 1953, 39-54; Gebhardt 1957, 65-75). Damit nicht genug. Xenophon läßt den allgemeinen Erörterungen noch Beispiele folgen, an denen das Verhältnis zwischen Sokrates und Kritias in concreto dargestellt wird (1.2,29-38). Worauf der junge Alkibiades im Verhältnis nicht zu Sokrates, sondern zu Perikles charakterisiert wird, um als Paradigma dafür zu dienen, daß die Tendenz zur Politik in beiden schon vorwaltend war, als beide noch im Kreise des Sokrates verkehrten (1.2,39-46). Das Verhältnis zwischen Sokrates und Kritias, das in diesem Zusammenhang alleine in Betracht kommt, stellt Xenophon, seinem entwicklungsgeschichtlichen Erklärungsmodell folgend, in mehreren Phasen dar, die jeweils durch ein Gespräch markiert werden. Am Anfang steht die allgemeine Bemerkung, daß Sokrates dann zu Recht zu tadeln wäre, wenn er seine Schüler gelobt hätte, im Fall, daß er gesehen hätte, daß sie übel gehandelt hätten (1.2,29). Daß dem nicht so war, erhellt aus dem Umgang mit Kritias. Als Sokrates bemerkte, daß Kritias den Euthydemos erotisch begehrte, habe er ihn davon abzuhalten versucht mit dem Hinweis, daß es für einen freien Mann unwürdig sei, sich dem Geliebten gegenüber wie ein Bettler zu verhalten, und dies auch noch für keinen guten Zweck. Da sich Kritias nicht abhalten ließ, soll Sokrates in Anwesenheit vieler und auch des Euthydemos gesagt haben, Kritias widerfahre etwas Schweinisches, da ihn danach verlange, sich an Euthydemos zu reiben wie die Ferkel an den Steinen. «Von da an», resümiert Xenophon, «haßte Kritias Sokrates» ( ἐ ξ ὧ ν δ ὴ κα ὶ ἐ µίσει τ ὸ ν Σωκράτην ὁ Κριτίας) (1.2,29-31). Die Folgen lassen nicht auf sich warten. Als Kritias zusammen mit Charikles gesetzgeberische Vollmacht unter den Dreißig erlangt hatte, erinnerte er sich an den Affront und erließ ein Gesetz, «daß man die Redekunst nicht lehren dürfe» (λόγων τέχνην µ ὴ διδάσκειν). Er tat das, weil er Sokrates treffen wollte und nicht wußte, wie er anders gegen ihn vorgehen könne als durch einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorurteile gegen die Philosophen (1.2,31). Diese Absicht tritt alsbald deutlich zu Tage. Denn als die Dreißig viele anständige Menschen töten ließen und viele veranlaßten und verleiteten, Unrecht zu tun, da sagte Sokrates «irgendwo» (̟ου), es scheine ihm seltsam, wenn man einen Rinderhirten, der die Zahl der Rinder verringere oder sie runiere, nicht übereinstimmend für einen schlechten Rinderhirten halte; noch seltsamer komme es ihm vor, wenn einer, der Führer der Stadt geworden sei und die Zahl der Bürger vermindere und sie schlechter mache, sich nicht schäme und nicht glaube, ein schlechter Führer zu sein (1.2,32). 12. Sokrates und die Dreißig 296 Diese kritische Äußerung wurde angezeigt, und Kritias und Charikles ließen Sokrates kommen, zeigten ihm das Gesetz und verboten ihm, sich mit der Jugend zu unterhalten. Worauf Sokrates die beiden Machthaber einem elenktischen Verhör unterzieht, das die beiden, besonders Charikles, der die Hauptlast des Diskurses trägt, nur schlecht bestehen, so daß das Gespräch mit einer Drohung endet: Nicht nur über das Gerechte, Fromme und dergleichen dürfe sich Sokrates nicht mehr unterhalten, sondern auch nicht über die Rinderhirten: Widrigenfalls, droht Charikles, solle Sokrates sich in acht nehmen, daß nicht auch er die Zahl der Rinder verringere. Aus dieser Bemerkung geht hervor, daß ihnen Sokrates´ Äußerung über ihr schlechtes Regime angezeigt worden war und sie ihm deswegen zürnten (1.2,33-38). Wenn das entwicklungsgeschichtliche Erklärungsmodell als Erfindung Xenophons gelten muß, so die konkrete Darstellung noch in weit höherem Maße. Die Fülle an heterogenem Detail, die Xenophon dem Leser hier anbietet oder besser zumutet, fügt sich nicht zu einem literarischen Ganzen noch gar zu historisch plausibler Einheit, sondern erweist sich als mühsam hergestelltes Flickwerk, das in seine Bestandteile aufzulösen allein deshalb nicht ohne Schwierigkeiten ist, weil wir das Material, das Xenophon verarbeitet hat, nicht oder nur ansatzweise kennen (Gigon 1953, 54-64; Gebhardt 1957, 74-82). Am Anfang steht der Euthydemos-Komplex, der in zwei Teile zerfällt: Sokrates tadelt Kritias, offenbar unter vier Augen, weil er den jungen Euthydemos erotisch begehre; der Tadel fruchtet nicht, und Sokrates wiederholt nun den Tadel in größerem Kreise dahingehend, daß Kritias mit schweinischer Begierde nach Euthydemos verlange. Das Vier-Augen-Gespräch, in dem die moralinsaure Ablehnung der Knabenliebe, wie sie der Xenophontische Sokrates im Gegensatz zum Platonischen überall deutlich an den Tag legt (locus classicus: Mem. 1.7,8), ist ersichtlich erfunden, um das öffentliche Gespräch zu ermöglichen, das Sokrates so inszeniert, daß Kritias sozial möglichst nachdrücklich desavouiert wird: Die Anwesenheit des Euthydemos verleiht dem Tadel, den Sokrates gegen Kritias äußert, den Charakter eines sozialen Affronts, über den Kritias — man muß sagen: zu Recht — erbittert ist. Dieser Tadel nun, der das erotische Begehren des Kritias als eine Schweinerei oder Ferkelei denunziert, paßt in seiner beispiellosen Deftigkeit und Direktheit nicht zum Xenophontischen Sokrates, der sonst überall ein Mann der Wohlanständigkeit und bürgerlicher Dezenz ist: daß dieser Sokrates sich über Kritias, einen altadligen Athener, der kaum zehn Jahre jünger war als er, in so krasser Weise ausgelassen hätte, ist ohne Beispiel. Nicht einmal dem historischen Sokrates, der, wie Platon und besonders Antisthenes lehren, sehr viel weniger domestiziert gewesen sein dürfte als der Xenophontische, würde man eine so impertinente Grobheit zutrauen. 12. Sokrates und die Dreißig 297 Xenophon ist denn auch ersichtlich nicht wohl bei der Sache. Denn er, der doch so zahlreiche seiner fiktionalen Dialoge selbst wider den ersten Augenschein expressis uerbis als authentisch bezeichnet, stellt das Sokrates-Kritias-Gespräch durch die Wendung «man sagt» (λέγεται) ausdrücklich unter den Vorbehalt des Hörensagens - für Xenophon ein starkes literarisches Signal, das auf die Inauthentizität der Erzählung hinweisen soll und hinweist. Woher Xenophon diese Erfindung genommen hat, läßt sich noch vermuten. Der Rhetor Maximos aus Tyros verweist in seinem dritten Vortrag Über die Erotik des Sokrates auf die verhängnisvolle Rolle, die die Augen in eroticis spielen (Diss. 20.8 = SSR I E 8 [8]): Würde man das Sehvermögen entfernen, «dann verlangt weder Kritobulos sich an Euthydemos zu reiben noch Kallias an Autolykos, noch Pausanias an Agathon, noch ein anderer an einem anderen» (ο ὔ τε Κριτόβουλος Ε ὐ θυδήµωι ̟ροσκνήσασθαι ἐ ρ ᾶ ι ο ὔ τε Α ὐ τολύκωι Καλλίας ο ὔ τε ἄ λλος ἄ λλωι ). Das seltene Verb ̟ροσκνάω stellt außer Frage, daß diese Stelle in Verbindung mit dem Xenophontischen Sokrates-Kritias-Gespräch steht, zumal das Wort hier wie dort sexuell konnotiert. Auch Euthydemos erscheint hier wie dort als Objekt der Begierde. Allein der sexuell Begehrende ist ein anderer: An Stelle des Kritias erscheint bei Maximos Kritobulos. Bevor man hier vorschnell einen lapsus calami oder memoriae konstatiert, muß man fragen, ob Maximos nicht vielmehr aus altsokratischer Überlieferung geschöpft hat. In der Tat paßt die Person des Kritobulos ungleich besser in den Kontext jenes Gespräches, das Xenophon Sokrates mit Kritias führen läßt: Kritobulos nämlich, der Sohn des alten Sokratesfreundes Kriton, machte offenbar Sorgen, die der Vater am Ende des Platonischen Euthydem (p. 307 d-308 a) mehr andeutet als ausspricht. Xenophon weiß Genaueres: Kritobulos oblag in gefährlichen Maße der Knabenliebe. Im Oikonomikos (2.7) bemerkt Sokrates, Kritobulos halte sich für reich und kümmere sich deswegen nicht um Gelderwerb, sondern widme sich, als stünde es ihm frei, «Knabendingen» (̟αιδικο ῖ ς ̟ράγµασι); daher sei er — Sokrates — in Sorge, daß Kritobulos dieserhalb ein schlimmes Leid zustoßen könne und er in große Not geraten werde — offenbar eine uaticinatio ex euentu. Das Objekt der Begierde ist hier Kleinias, zu dem Kritobulos, wie er im Symposion (4.10-28; cf. Mem. 1.3,8- 13. - PoP p. 100 sq.) bekennt, ein nachgerade pathologisches Verlangen trägt. Sokrates bemerkt hier (Symp. 4.24) ausdrücklich, daß Kriton, als er von der manischen erotischen Fixierung des Kritobulos Kenntnis erhalten habe, den Sohn zu Sokrates geschickt habe, damit er gebessert werde. In diesem sozialen Kontext nun konnte Sokrates gegenüber dem ihm anvertrauten jungen Tunichtgut ohne weiteres äußern, was er Kritias gegenüber nicht hätte äußern können oder dürfen: daß seine erotischen Eska- 12. Sokrates und die Dreißig 298 paden und Velleitäten eine Ferkelei seien, die ihn noch einmal im Leben teuer zu stehen kommen könne. Wenn nicht alles täuscht, läßt sich auch noch der literarische Ort bestimmen, an dem jenes Gespräch Platz hatte. Maximos nimmt seine erotischen Beispiele ja ersichtlich aus der älteren Sokrates-Literatur: Das Beispiel Kallias-Autolykos fand er bei Xenophon (Symp. 1.2); das Beispiel Pausanias-Agathon fand er ebenfalls bei Xenophon (Symp. 8.2) oder — wahrscheinlicher — bei Platon (Prot. p. 315 de, Symp. p. 177 de & 193 b). Herodikos aus Babylon (fr. 4 p. 28 Düring) überliefert nun, daß der Sokratiker Aischines in seinem Dialog Telauges (SSR VI A 84) Kritobulos verspottet habe «wegen seiner Unbildung und der Unsauberkeit seiner Lebensführung» ( ἐ ̟ ̓ ἀ µαθίαι κα ὶ ῥ υ̟αρότητι βίου). Hier, wenn irgendwo, fand Maximos jenen rüden Tadel, mit dem Sokrates den jungen Kritobulos von den Irrwegen der Erotik ins ordentliche Leben zurückzurufen versuchte. Xenophon hat diesen Tadel im Horizont des Hörensagens auf Kritias zu übertragen für gut befunden, mit der Folge, daß das Gespräch nun in eine soziopsychologische Schieflage gerät, die Xenophon aber, wie es seine Art ist, unbekümmert in Kauf nimmt. Wie er es denn ja auch für möglich hält und dem Leser allen Ernstes mitteilt, daß Sokrates den jungen Kritias und den jungen Alkibiades als Lehrer hätte bestrafen oder gar schlagen können (Mem. 1.2,18) — eine nachgerade groteske Vorstellung, wie sie allein Xenophon beifallen konnte. Xenophon läßt nicht erkennen, wann das Sokrates-Kritias-Gespräch über Euthydemos stattgefunden hat. Weshalb auch unklar bleibt, wie lange der Haß, den Kritias aufgrund dieses Gespräches gegen Sokrates faßte, dauerte, auch wenn das Imperfekt ( ἐ µίσει) eher eine längere Dauer nahelegt. Als Kritias Mitglied der Dreißig wird (Sommer 404) erhält er Gelegenheit, an Sokrates Rache zu nehmen für die grobe Beleidigung, die er ihm coram publico in betreff seines erotischen Verhaltens hatte zuteil werden lassen. Er tut das zusammen mit Charikles, der ihm unter den Dreißig politisch besonders nahe stand (Lys. Or. 12.55; Arist. Politica 5 p. 1305 b 25 sq.). Kritias, so stellt es Xenophon des weiteren dar, bediente sich der gesetzgeberischen Macht, die er als Mitglied der Dreißig innehatte, um gegen Sokrates vorzugehen: Er erließ ein Gesetz, demzufolge es verboten war, die Redekunst zu lehren. Die historische Überlieferung weiß sonst nichts von einem solchen Gesetz, gleichwohl muß es nicht erfunden sein. War es aber nicht erfunden, so richtete sich die Stoßrichtung dieses Gesetzes jedoch nicht gegen Sokrates, sondern, wie der Ausdruck λόγων τέχνην anzeigt, gegen die gewerbsmäßige Rhetorik, der das Handwerk zu legen sehr wohl im Interesse der Dreißig liegen konnte, weil sie das in der vorwiegend oral geleiteten Polis entscheidend wichtige Medium der Rede gerne für sich monopolisiert haben würden. 12. Sokrates und die Dreißig 299 Xenophon deutet denn auch an, daß das Gesetz auf Sokrates nicht eigentlich zugetroffen habe, wenn er sagt, Kritias und Charikles hätten sich nicht anders zu helfen gewußt, gegen Sokrates vorzugehen, als durch ein solches Gesetz, in dem sich der populäre Widerstand der Athener gegenüber der Redegewandtheit der philosopischen Gebildeten artikulierte — eine einigermaßen künstliche Behauptung, die eher die Anwendung des Gesetzes auf Sokrates in historisch fragwürdigem Lichte erscheinen läßt als das Gesetz selbst. Damit dieses neue Gesetz, das offenbar nicht veröffentlicht, sondern, totalitärem Herrschaftsgebaren entsprechend, den Betroffenen ad hoc eröffnet wude, auf Sokrates angewendet werden konnte, bedurfte es eines äußeren Anlasses. Der ließ nicht lange auf sich warten. Sokrates übte Kritik an den Morden, die die Dreißig alsbald auch an unbescholtenen Bürgern verübten. Wie die folgende Denunziation lehrt, fand diese Äußerung in der Öffentlichkeit statt und der für Sokrates typische Analogieschluß von der Rinderherde auf die Politik, wie er beispielsweise auch im Platonischen Gorgias (p. 515 e-516 d) begegnet, läßt vermuten, daß diese Äußerung in einem jener elenktischen Gespräche stattfand, wie sie Sokrates stets und überall in der athenischen Öffentlichkeit zu führen pflegte. Bei welcher Gelegenheit und vor welchem Publikum sich Sokrates so äußerte, läßt Xenophon ebenso im Dunkel wie die Chronologie der vorhergehenden Sokrates-Gespräche. Die Dunkelheit im konkreten Detail verweist hier wie dort auf die Künstlichkeit der Xenophontischen Darstellung, die ihrerseits die Fiktionalität der dargestellten Zusammenhänge annonciert. An dieser Stelle muß man innehalten, um zu konstatieren, das Xenophon die causa Leonina stillschweigend übergeht. Der Grund liegt auf der Hand: Die Geschichte von der Verhaftung Leons paßte nicht in sein entwicklungsgeschichtliches Konstrukt, das ganz auf Kritias zugeschnitten ist: Was dort die Dreißig tun, um Sokrates schuldig werden zu lassen, das tun hier Kritias und Charikles, um Sokrates als Schuldigen zu entlarven und zu bestrafen: Sie zitieren Sokrates vor ihr Tribunal. Nach erfolgter Denunziation zitieren also Kritias und Charikles Sokrates herbei, eröffnen ihm das Gesetz und erteilen ihm Redeverbot. Hieran knüpft sich ein Gespräch zwischen Sokrates und den beiden Machthabern, das entschieden merkwürdig ist: Einmal ist es nicht Kritias, der das Wort führt und nach dem Duktus der gesamten Passage auch führen müßte, sondern Charikles: Er kommt fünfmal zu Wort, Kritias nur einmal. Zum anderen ist das Gespräch kein politisches Gespräch zwischen Machthabern und Untergebenem, sondern ein elenktisches Gespräch, in dem Sokrates alsbald die Rollen vertauscht, so daß er, wie in der Platonischen Apologie, als Herr des Verfahrens erscheint, die Herren als Untergebene, die der ebenso geistvollen wie ironischen Fragetechnik des Sokrates, deren Gedankengang nicht von ungefähr an das Verhör des Meletos 12. Sokrates und die Dreißig 300 durch Sokrates in der Platonischen Apologie (p. 24 c-28 a) erinnert, so wenig gewachsen sind, daß Charikles, dem Hauptunterredner, endlich nur noch die nackte Drohung bleibt, durch die die Denunziation manifest wird. Daß sich Sokrates, dieser Drohung zum Trotz, an das offenbar nicht nur ungerechte, sondern auch unsinnige Redeverbot nicht halten wird, ergibt sich von selbst und muß nicht eigens betont werden. — Alles recht erwogen, drängt sich der Eindruck auf, als habe Xenophon hier eine eigene Erfindung in sein Konstrukt eingefügt (Gebhardt 1957, 80-82) oder — ungleich wahrscheinlicher — er habe sich hier — auch hier — ein vorgeprägtes Stück Sokratischer Literatur für seine eigenen Zwecke zu eigen gemacht, ohne sich über die literarische und gedankliche Kompatibilität jenes Textes mit seinem eigenen Text gehörig Gedanken gemacht zu haben (Gigon 1953, 59-63). Xenophon kommt auf das Redeverbot, das Dreh- und Angelpunkt der Kritias-Passage ist, noch einmal im letzten Buch der Memorablien (4.4) zu sprechen. Es geht um Sokrates´ Verhältnis zur Gerechtigkeit. Sokrates, so führt Xenophon aus, äußerte sich nicht nur im Gespräch über die Gerechtigkeit, sondern übte sie auch im praktischen Leben aus sowohl im privaten Verkehr als auch im politischen Leben, insofern er Gehorsam übte gegenüber den staatlichen Autoritäten in der Stadt und im Felde in den Fällen, in denen die Gesetze Gehorsam verlangten (4.4,1). Es folgen drei Beispiele, in denen sich Sokrates´ unbeugsamer Gerechtigkeitssinn uia negatiua manifestiert, insofern er staatlichen Autoritäten nicht gehorchte, wenn sie Ungerechtes verlangten: So habe er sich als Vorsteher der Prytanen geweigert, eine ungesetzliche Abstimmung vorzunehmen; so habe er die widergesetzlichen Befehle der Dreißig nicht befolgt und habe es auch, drittens, beim Prozeß abgelehnt, den Richtern zu schmeicheln und nach dem Munde zu reden (4.4,2-4). Von diesen drei Beispielen, die sich auch in der Platonischen Apologie finden, ist in diesem Zusammenhang allein das zweite von Interesse, in dem Xenophon Sokrates´ Verhalten gegenüber den Dreißig beschreibt: Als die Dreißig etwas Ungesetzliches von ihm verlangten, habe er den Gehorsam verweigert; denn als sie ihm verboten, sich mit den jungen Leuten zu unterhalten und ihm und einigen anderen befohlen hatten, einen Bürger herbeizuholen, damit er sterbe, habe er als einziger nicht gehorcht, weil ihm etwas wider die Gesetze befohlen worden sei (4.4,3). Xenophon verknüpft in dieser bewußt kurzgefaßten Darstellung zwei Ereignisse miteinander: die Erteilung des Redeverbotes, die er im ersten Buch der Memorabilien ausführlich, und die causa Leonina, die wir sonst nur aus Platon kennen, der wiederum vom Redeverbot nichts weiß. Im übrigen läßt Xenophons Ausdrucksweise zu wünschen übrig. Die Reihenfolge der absoluten Genitive suggeriert, daß das Redeverbot vor dem Verhaftungsbefehl ergangen sei; die Tempora der Partizipien (Präsens und Aorist) annoncieren die umgekehrte Reihenfolge der Ereignisse; 12. Sokrates und die Dreißig 301 die actio uerbi schließlich, derzufolge Sokrates «als einziger» (µόνος) dem Verhaftungsbefehl keine Folge leistete, kann sich allein auf das zweite Ereignis beziehen: Das Redeverbot setzt voraus, daß Sokrates allein vor den Dreißig erschienen ist, der Verhaftungsbefehl ergeht an mehrere Personen. Beides miteinander in einer Geschichte verquicken hieße einen Roman schreiben. In der Tat ist die unpräzise Satzaussage offenbar der Tatsache geschuldet, daß Xenophon hier zwei miteinander inkompatible Geschichten konfundiert: Zweimal wird Sokrates von den Dreißig einbestellt; zweimal wird ihm ein rechtswidriger Befehl gegeben, den er zu befolgen nicht gesonnen ist, so daß er zweimal in Gefahr gerät, dem Unmut der Machthaber zu erliegen. Diese Verdoppelung der Motive stellt außer Frage, daß Xenophon entweder zwei ursprünglich selbständige und miteinander konkurrenzierende Geschichten zusammengeworfen hat oder — was dasselbe ist — daß er aus einer ursprünglich einheitlichen Geschichte künstlich deren zwei gemacht hat. Hierüber kann, da Xenophon und Platon jeweils nur ein Ereignis erzählen, wenn überhaupt, allenfalls die spätere Sokrates-Überlieferung Auskunft geben, die ja notorisch viel altsokratisches Gut mit sich führt, das zu erkennen eine Hauptaufgabe der modernen Sokratesforschung ist oder doch sein müßte. Dion Chrysostomos, der die ältere Sokratische Literatur so gut kennt wie sonst keiner seiner Epoche, kommt in seiner Politischen Ansprache in der Vaterstadt (Or. 43) auf Sokrates zu sprechen, an den er ja, wie er betont, oft erinnere: Von den Dreißig zu Leon aus Salamis ausgeschickt, habe Sokrates nicht gehorcht, sondern die Tyrannen geradewegs getadelt, daß sie schlechten Rinderhirten glichen, die viele und starke Rinder übernommen hätten, aber nur wenige und schwache hinterließen (Or. 43.8 = SSR I C 121). Dion referiert eine einfache Geschichte: Die Dreißig befehlen Sokrates die Verhaftung des Leon, Sokrates weigert sich, dem Befehl Folge zu leisten, mit der Bemerkung, die Dreißig verhielten sich wie schlechte Rinderhirten. Diese Geschichte erzählt mehr, als Platon erzählt, der von der causa Leonina spricht, ohne Sokrates´ Tadel an den Dreißig zu erwähnen, und weniger, als Xenophon erzählt, der Sokrates´ Tadelwort von den schlechten Rinderhirten mit dem Redeverbot verbindet. Dieser Befund läßt sich schwerlich dahingehend erklären, daß Dion Platon und Xenophon miteinander konfundiert hat: Durch Konfusion zweier selbständiger Geschichten pflegt keine einheitlich Geschichte zu entstehen. Ungleich wahrscheinlicher ist demgegenüber, daß Dion auf eine altsokratische Quelle rekurriert, die von der Leon-Geschichte mehr erzählte als Platon, insofern Sokrates dort, anders als bei Platon, die Anmutung der Dreißig zur Verhaftung eines Unschuldigen nicht durch schweigenden Ungehorsam quitttierte, sondern seinen Ungehorsam begründete, und zwar in einem Gespräch, das jenem Gespräch ähnelte, daß 12. Sokrates und die Dreißig 302 — Xenophon zufolge — Anlaß des Sokrates-Kallias-Charikles-Gesprächs gewesen sein soll. Dieses Gespräch darf man sich nach Umfang und Duktus ungefähr so vorstellen, wie das Sokrates-Kritias-Charikles-Gespräch bei Xenophon, das zu ihm in Konkurrenz steht. Ja, es ist sehr wohl möglich, daß die Drohung, die der Xenophontische Charikles am Ende gegen Sokrates ausspricht, hier ihren ursprünglichen Ort hatte, da der Vergleich zwischen Politiker und Hirt, dessen sie sich bedient, hier und nicht dort ihren festen Platz hatte. Die spätere Sokrates-Überlieferung kennt noch eine weiteren einschlägige Geschichte. Sie findet sich im Siebten Sokratesbrief (SSR I F 7), der an einen ungenannten Freund und Gefährten des Sokrates — gemeint ist wahrscheinlich Chairephon — gerichtet ist, der vor dem Regime der Dreißig nach Theben geflohen ist und dort, zusammen mit anderen Verbannten, die Rückkehr nach Athen plant (§ 1 & 3 sq.). Gleich nach der Flucht des Adressaten, so führt Sokrates aus, hätten die Dreißig ihre Meinung über ihn geändert: Sie hätten Verdacht gegen ihn geschöpft wegen der Flucht des Adressaten und ihn — Sokrates — in die Tholos zitiert, um ihm diesbezüglich Vorhaltungen zu machen; als er sich zu rechtfertigen suchte, hätten sie ihm aufgetragen, zum Piräus zu gehen und Leon festzunehmen, in der Absicht, diesen wegen seines Reichtums zu töten und Sokrates in ihre unrechten Machenschaften zu verwickeln (§ 1). Als Sokrates das Ansinnen ablehnte, bemerkend, daß er niemals freiwillig Unrecht tun werde, habe Charikles, «aus persönlichen Gründen unwillig geworden» ( ἰ δίαι ἀ γανακτήσας), die Frage gestellt, ob Sokrates denn glaube, daß ihm kein Unheil geschehen könne, wenn er sich hochfahrend im Gespräch vernehmen lasse. Sehr wohl, habe Sokrates geantwortet, gar vieles könne ihm widerfahren, aber nichts so Schlimmes, wie wenn er Unrecht täte. Darauf habe keiner mehr geantwortet, doch habe er — Sokrates — den Eindruck, die Machthaber seien ihm gegenüber nicht mehr so eingestellt wie früher (§ 2). In noch höherem Maße als Xenophons Ausführungen über Kritias ist dieser Brief als ein literarisches patch-work anzusehen, zusammengesetzt aus Reminiszenzen aus Platon und Xenophon, die mit eigener Erfindung versetzt werden (Sykutris 1933, 42-44). Eine offfenbare Erfindung des apokryphen Autors ist zunächst jene Vorstellung, die die Erzählung einrahmt: daß Sokrates bis zur Flucht des Adressaten mit den Dreißig ein vergleichsweise gutes Verhältnis gehabt habe — eine ganz singuläre Vorstellung, die der Autor erfunden hat, um den Stimmungsumschwung zwischen Sokrates und den Dreißig möglichst spektakulär zu motivieren. Aber auch die Motivierung des Stimmungsumschwunges ist anstößig: die Flucht des Gefährten aus Athen nach Theben und die Planung einer — doch wohl militärischen — Rückkehr von Theben nach Athen. Auch das ist schwerlich alte Tradition; denn die massenhafte Flucht athenischer 12. Sokrates und die Dreißig 303 Bürger datiert notorisch nach der Ermordung Leons, genauer: nach der Hinrichtung des Theramenes, die die Etablierung der extremen Oligarchie — Beschränkung der Vollbürger auf 3000 sowie Entwaffnung, Enteignung und Vertreibung der Restbevölkerung — erst möglich machte (Xen. Hist. Gr. 2.4,1; Diod. Bibl. 14.5,7; Iustin. Epit. 5.9,1-4; irrig: Arist. Resp. Athen. 36 sq.). Dieser Anachronismus ist offenbar der Erwähnung der Flucht des Chairephon in der Platonischen Apologie (p. 20 e-21 a) geschuldet, der der Verfasser des Briefes auch die Leon-Geschichte verdankt (Apol. p. 32 cd). Dem Verfasser des Briefes war dieser offenbare Anachronismus offenbar ebenso gleichgültig, wie ihm der Ort historisch gleichgültig war, an dem Sokrates die Verhaftung des Leon vornehmen sollte: Er benennt nicht Salamis, sondern den Piräus als Ort der Verhaftung. Aber im Piräus herrschten damals die Zehn im Auftrage der Dreißig, und es hätte in diesem Fall keines besonderen Auftrages zur Verhaftung bedurft, wie er im Falle von Salamis nötig war, das staatsrechtlich nicht zu Attika gehörte. Daß der greise Sokrates diesen vergleichweise riskanten Auftrag nicht im Verein mit anderen, sondern offenbar allein durchführen sollte, ist eine weitere verquere Vorstellung des Autors, dem an der Richtigkeit historischen Details offenbar noch viel weniger gelegen war als den Sokratikern. Anders steht es womöglich um das letzte Detail der Erzählung: Als Sokrates sich dem Befehl verweigert, weil er ungesetzlich sei, fährt ihn Charikles drohend an, seine arroganten Reden einzustellen, wenn anders ihm nicht etwas Schlimmes widerfahren sollte. Wie bei Xenophon ist es Charikles, nicht Kritias, der Sokrates im Gespräch droht. Anders aber als bei Xenophon ist das Eingreifen des Charikles hier motiviert, insofern er einen «persönlichen Groll» ( ἰ δίαι ἀ γανακτήσας) gegen Sokrates gehegt habe, so wie Kritias bei Xenophon einen persönlichen Groll gegen Sokrates hegt. Woher die Feindschaft des Charikles gegen Sokrates rührt, verrät der Briefschreiber nicht; sehr wohl möglich, daß dieses Detail in jenem anderen Gespräch erklärt wurde, in dem sich Sokrates durch die Analogie zwischen Politiker und Hirt den Zorn der Machthaber auf sich zog. Auch der drohende Ton mit dem Charikles hier auf Sokrates´ Weigerung, Unrecht zu tun, reagiert, paßt vorzüglich in das Szenario dieses Gespräches. Wie auch immer — die Analyse hat gezeigt, daß das Verhältnis zwischen Sokrates und den Dreißig in der frühen Sokratiker-Literatur auch anders dargestellt wurde, als wir bei Platon und Xenophon lesen: Es gab zwei Varianten, denen gemeinsam ist, daß sie voraussetzen, daß die Dreißig Sokrates, dem Meister des freien elenktischen Gesprächs, politisch Abbruch tun wollten. Zu diesem Behufe wird Sokrates — auch darin stimmen die Varianten überein — vor die Machthaber ins Amtslokal zitiert, damit ihm eine politische Lektion zuteil werde, die seinen Freimut breche. Die eine Variante nennt hier die Verhaftung des Leon, die andere beruft sich auf ein Gesetz, das rhetorischen Unterricht verbietet. In beiden 12. Sokrates und die Dreißig 304 Fällen knüpft Sokrates an den Unrechtsbefehl ein elenktisches Gespräch, in dessen Verlauf einmal das Analogiebeispiel von Politiker und Hirt den Zorn der Machthaber erregt, im anderen Falle der souveräne Nachweis von der Unsinnigkeit des Redeverbotes — in beiden Fällen verweigert Sokrates den Befehl der Dreißig und läuft so Gefahr, von den düpierten Machthabern getötet zu werden. Platon hat aus der ersten Variante nur das Faktische erzählt: den ungerechten Verhaftungsbefehl, dem Sokrates nicht Folge leistet; Xenophon hat, in seiner Art, beide Varianten miteinander konfundiert und so das Beispiel von Politiker und Hirt, das allein in der ersten Variante Platz hat, mit dem Redeverbot verknüpft, das im Zentrum der zweiten Variante steht. Ob und wo die beiden Varianten jeweils in Reinform vorkamen, wüßte man gerne, weiß es aber nicht. Nur soviel läßt sich abschließend noch bemerken, daß es typisch für die Sokratische Literatur ist, ein offenbar historisches Faktum — Sokrates verweigert den Dreißig den Gehorsam — im Horizont der Fiktionalität so unterschiedlich zu erzählen, daß historische Kritik den tatsächlichen Vorgang zu rekonstruieren nicht in der Lage ist. 4. Polykrates Xenophon, so zeigte es sich, nimmt den Vorwurf der Anklage, daß Sokrates Lehrer des Kritias und des Alkibiades gewesen sei, sehr ernst; er würde ihn anders nicht wörtlich zitieren und so ausführlicher Widerlegung würdigen; er würde auch die Namen der beiden inkriminierten Übeltäter in seinen Sokratika nicht so hartnäckig verschwiegen haben, wie er, abgesehen von der Widerlegung der Anklage, tut. Xenophon war offenbar der Ansicht, er widerlege hier die tatsächliche Anklagerede — eine Ansicht, die das ganze zweite Kapitel des ersten Buches der Memorabilien beherrscht, in dem Xenophon sechsmal wörtlich aus der Anklagerede zitiert, jedesmal im praeteritum ( ἔ φη) — ein usus des Zitierens, den er nicht so hartnäckig beibehalten hätte, wenn er die Zitate nicht als aus einem historischen Text stammend angesehen oder sie wenigstens nicht als solche dem Leser zu präsentieren beabsichtigt hätte. In jedem Fall hätte Xenophon den zitierten Text weniger ernst nehmen sollen, als er für gut hält. Denn die Zitate verdanken sich, wie die Forschung längst erkannt hat, nicht der historischen Anklagerede, sondern der Κατηγορία Σωκράτους des athenischen Rhetors Polykrates (OA 2 p. 222), eines Zeitgenossen Platons, der, wie Platon, eine fiktionale Gerichtsrede über den Sokratesprozeß verfaßte, komponiert nun freilich nicht als Verteidigungsrede des Sokrates, sondern als Anklagerede des Anytos, der sich allein mit dem Vorwurf der Jugendverderbnis auseinandersetzte, voraussetzend, daß über den Vorwurf der Gottlosigkeit von Meletos bereits das Nötige gesagt worden sei (Breitenbach 1869; Hirzel 1887; Mesk 12. Sokrates und die Dreißig 305 1910; Humbert 1930; Chroust 1957; Gebhardt 1957; Raoss 1965; Rossetti 1974). Gegen diese Anklagerede hat dann — beiläufig bemerkt — wiederum der Redner Lysias, Zeitgenosse und Konkurrent des Polykrates, eine Gegenrede unter dem Titel Ἀ ̟ολογία Σωκράτους (fr. 271-276 Carey) verfaßt, in der Sokrates die Vorwürfe des Polykrateischen Anytos Punkt für Punkt widerlegte. Worin ihm dann, rund 750 Jahre später, der Rhetor Libanios gefolgt ist, dessen (erhaltene) Ἀ ̟ολογία Σωκράτους (SSR I E 1), gestaltet als Rede eines unbekannten Freundes, es uns ermöglicht, die Rede des Polykrates zu rekonstruieren. Hier sei nur erwähnt, daß Libanios in dieser Rede (60), außer Kritias und Alkibiades, nicht nur Charikles, sondern auch Drakontides und Melobios erwähnt — zwei Mitglieder der Dreißig, die in anderer Sokratischer Literatur ebensowenig erwähnt werden wie Peison, der, zusammen mit Kritias, Charikles, Drakontides und Theramenes, in der Rede des Libanios Περ ὶ τ ῆ ς Σωκράτους σιω̟ ῆ ς (SSR I E 2 [16 & 19]) genannt wird — bloße lumina eruditionis, die beweisen und beweisen sollen, wie genau Libanios die Namensliste der Dreißig studiert hat, die Xenophon in den Hellenika (2.3,2) vorgelegt hat. Wes Geistes Kind die Rede des Polykrates gewesen ist, von der hier allein genauer die Rede sein soll, geht aus dem Proömium des Isokrateischen Busiris hervor (Or. 11.4 sq. = SSR I C 152): Isokrates, Zeitgenosse und Konkurrent des Polykrates in rhetoricis, führt hier aus, daß sich Polykrates besonders viel auf seine Lobrede auf Busiris und auf die Anklagerede gegen Sokrates zugute getan habe — eine Zusammenstellung, die außer Frage stellt, daß beide Reden offenbar in die Kategorie der paradoxographischen Reden gehören, die überhaupt die Domäne des Polykrates gewesen sind. Polykrates aber, so Isokrates weiter, habe das paradoxographische Beweisziel in beiden Reden gründlich verfehlt, insofern er den Menschenfresser Busiris, den er doch loben wollte, noch tadelnswerter dargestellt habe, als seine Tadler, Sokrates aber, den er doch tadeln wollte, habe er noch lobenswerter dargestellt, als selbst seine Lobredner täten, da er ihm den Alkibiades zum Schüler gegeben habe, von dem keiner bemerkt habe, daß er von Sokrates erzogen worden sei, der aber nach Meinung aller, ein besonders hervorragender Hellene gewesen sei. Das ist nun in der Tat eine schwerwiegende Aussage, aus der dreierlei folgt: daß zur Abfassungszeit des Busiris in den späten 90er oder frühen 80er Jahren des vierten Jahrhunderts Sokrates — wohl nicht ohne Zutun der Sokratiker — bei den Athenern in gutem Ansehen stand; daß weiter der Sokrates-Alkibiades-Komplex, der nicht nur bei Platon, sondern auch bei Aischines, Antisthenes und Eukleides eine so große Rolle spielt (Dittmar 1912, 65-177; Ellis 1989; Gribble 1999), literarisch damals noch nicht oder allenfalls en passant in Erscheinung getreten ist und daß — drittens — dieser Komplex als Erfindung der Sokratiker gelten muß, da Isokrates 12. Sokrates und die Dreißig 306 anders nicht so bestimmt hätte sagen können, daß «niemand bemerkt habe» (ο ὐ δε ὶ ς ἤ ισθετο), daß Alkibiades von Sokrates pädagogisch beeinflußt gewesen sei. Hiernach stellt sich die Frage, wie Polykrates auf den Einfall kommen konnte, Sokrates mit Alkibiades in Verbindung zu bringen. Frei erfunden hat Polykrates den Sachverhalt schwerlich; er erfindet im allgemeinen gar nichts, sondern schöpft seinen Stoff mit Vorliebe aus der zeitgenössischen Sokrates-Literatur der Sokratiker, die er, als vorkritischer Hermeneut, für seine rhetorischen Zwecke interpretatorisch als Dokumente in den Dienst nimmt (Gebhardt 1957, 9-41), nicht anders, wenn auch maledizenter als die unkritischen Hermeneuten der Moderne, die die fiktionalen Texte der Sokrates-Literatur unbesehen als historische Quellen betrachten. Polykrates muß seine Anklagerede gegen Sokrates nach dem Jahre 394 verfaßt haben, da er in ihr den Wiederaufbau der athenischen Mauern durch Konon erwähnte (OA 2 p. 222); der Busiris des Isokrates wiederum, der die Anklage des Polykrates kritisiert, ist spätestens in den frühen achtziger Jahren des vierten Jahrhunderts erschienen (Mathieu-Brémond 1 p. 184 sq.), so daß Polykrates´ Rede kurz vor oder kurz nach dem Jahre 390 erschienen sein dürfte. Die Sokrates-Literatur dieser Zeit nun, die Polykrates in der Hauptsache als Quelle zur Verfügung stand, repräsentieren für uns allein die frühplatonischen Dialoge; denn die Xenophontischen Sokratika sind notorisch später abgefaßt und die Schriften der fragmentarischen Sokratiker entziehen sich in der Regel genauerer chronologischer Fixierung. Indes fand Polykrates auch schon in den Platonischen Frühschriften hinreichend Stoff für seine Zwecke. So erklärt sich Sokrates im Gorgias gegenüber Kallias als Liebhaber des Alkibiades (p. 481 d) und nennt später Alkibiades expressis uerbis seinen «Gefährten» ( ἑ τα ῖ ρος) (p. 519 a). Isokrates konnte und durfte solche — wie nicht anders zu erwarten — passageren Hinweise übersehen oder überlesen; dem maledizenten Scharfblick des Polykrates entgingen sie jedoch nicht, sondern lieferten erwünschtes, gewissermaßen dokumentarisches Material für die These, daß Alkibiades Schüler des Sokrates gewesen sei — nicht eingerechet andere ähnliche passagere Hinweise auf Sokrates und Alkibiades, wie sie sich etwa noch bei den fragmentarischen Sokratikern finden mochten. Polykrates fand aber in den frühplatonischen Dialogen noch weiteres Material für seine rhetorischen Zwecke. Im Protagoras wird geschildert, daß Alkibiades, gemeinsam mit Kritias, dem Sohn des Kallaischros, unmittelbar nach Sokrates und Hippokrates das Haus des Kallias betritt (p. 316 a). Gemeinsam bemühen sich Alkibiades und Kritias später auch, das ins Stocken geratene Gespräch zwischen Sokrates und Protagoras wieder in Gang zu bringen (p. 336 b-e) — zwei Hinweise, die Polykrates Material lieferten, Alkibiades und Kritias als ein Paar zu betrachten, das gewissermaßen im Dunstkreis des Sokrates lebte. Und daß Kritias, nicht anders als 12. Sokrates und die Dreißig 307 Alkibiades, als veritabler Schüler des Sokrates gelten konnte und mußte, das dokumentierte in wünschenswerter Deutlichkeit dann auch der Platonische Frühdialog Charmides. Kritias und Alkibiades treten als par nobile fratrum noch einmal in späterer Tradition auf. Der Buntschriftsteller Ailian (Var. hist. 2.13 = SSR I A 29) erzählt folgende Geschichte: Sokrates sei selten ins Theater gegangen, ausgenommen, wenn Euripides mit einer neuen Tragödie am Agon teilnahm; dann sei er sogar im Piräus ins Theater gegangen. Einmal nun hätten Alkibiades und Kritias Sokrates, als er beim Theater vorbeikam, aus Übermut gedrängt, sich auch einmal Komödien anzuhören. Der aber habe ihnen nicht willfahren, sondern als ein besonnener und weiser Mann seine Verachtung ausgedrückt gegenüber spottsüchtigen und übermütigen Männern, die nichts Vernünftiges vorbrächten: «Das aber kränkte sie tief» ( ἅ ̟ερ ἐ λύ̟ει δειν ῶ ς α ὐ τούς), schließt die Erzählung. Das ist wieder ein hochmerkwürdiger Text, der lauter Singularitäten enthält. Daß Sokrates ausschließlich Tragödien des Euripides angesehen habe und zu diesem Behufe eigens nach dem Piräus gegangen sei, erfahren wir nur hier; und ebenso erfahren wir nur hier, daß die beiden, offenbar noch jungen Aristokraten, Alkibiades und Kritias, sich den Scherz erlaubten, Sokrates, dessen exzeptionelles penchant für Euripideische Tragödien sie kannten bzw. kennen mußten, wenn die Geschichte nicht um ihren gag gebracht werden sollte, zum Besuch einer Komödienaufführung zu überrumpeln. Dergleichen erfindet spätere Tradition nicht, sondern findet es vor: Quelle war, wenn nicht alles täuscht, ein Sokratischer Dialog, in dem Alkibiades und Kritias, wie im Platonischen Protagoras, als Paar auftraten und dem älteren Sokrates einen Streich spielten, den jener so übel vermerkte, daß es die beiden jugendlichen Missetäter so nachdrücklich verstimmt waren, daß es zum dauernden Bruch mit Sokrates kam. Wie dem auch sei: In jedem Falle fand Polykrates in der frühen Sokrates-Literatur alles Material, das er für die Anklage brauchte. Alkibiades und Kritias waren in jungen Jahren nachweislich Schüler des Sokrates; später entarteten sie in gegensätzliche Richtungen: der eine wurde der brutalste Oligarch, der andere — Alkibiades — ein hemmungsloser Demokrat. Schuld an der moralischen Entartung der beiden, die politisch so viel Unglück über Athen gebracht hat, ist Sokrates, dessen Erziehung hier so üble Früchte getragen hat, daß man ihn mit vollstem Recht wegen Jugendverderbnis anklagen und verurteilen kann und muß. Isokrates erwähnt im Prömium des Busiris nur Alkibiades, nicht Kritias. Aus diesem Schweigen darf man nun nicht schließen, daß Isokrates etwa die Schülerschaft zwischen Sokrates und Kritias für historisch gehalten hätte. Vielmehr konnte er Kritias für seine Kritik an Polykrates schlechthin nicht gebrauchen; denn über Kritias konnte sich Isokrates keinesfalls so lobend äußern wie über Alkibiades, dem späteres Urteil 12. Sokrates und die Dreißig 308 seine früheren Missetaten vergab, um nur noch den Glanz und die faszinierende Kraft der Persönlichkeit wahrzunehmen, während die in der Tat abscheulichen Verbrechen des Kritias, namentlich die Ermordung des Theramenes, den Namen des Kritias befleckt haben durch alle Zeiten. Darüber aber soll man sich nicht täuschen, daß, wenn Isokrates über Kritias hätte sprechen können oder wollen, er über ihn dasselbe gesagt hätte wie über Alkibiades: daß kein Mensch wahrgenommen habe, daß er — Kritias — ein Schüler des Sokrates gewesen sei. Wie denn auch nicht? Der Ankläger (Polykrates) stützt sein Urteil auf fiktionale Texte der Sokratiker (Platon u.a.), um selbst einen fiktionalen Text zu produzieren, den ein weiterer Sokratiker (Xenophon) offenbar als historisch ansieht und ihn mit wiederum fiktionalen Mitteln zu widerlegen trachtet — ein Befund, den sich die Sokratesforschung zu Herzen nehmen sollte, bevor sie vom historischen Sokrates reden zu können vermeint. Xenophon war im übrigen nur der erste, aber nicht der einzige, der den fiktionalen Text des Polykrates als historisches Dokument ansah. Wenn der Redner Aischines in seiner (nichtfiktionalen) Rede Gegen Timarch (173 = SSR I C 110) im Jahre 346 behauptet, die Athener hätten den Sophisten Sokrates hingerichtet, «weil er Kritias erzogen habe» ( ὅ τι Κριτίαν ἐ φάνη ̟ε̟αιδευκώς), so rekurriert er auf Polykrates, nicht auf die historische Anklage, von der zwei Generationen nach dem Prozeß des Sokrates niemand mehr etwas wußte. Diese Fehlinterpretation erhält dann durch den Peripatetiker Hermipp (Suppl. 1 fr. 32 Wehrli = SSR D 1 [38]) nachgerade kanonisches Ansehen. Aufklärung bringt erst Favorin (fr. 34 Mensching = SSR D 1[39]) bzw. seine Quelle durch den Hinweis auf Konons Wiederaufbau der Mauern, der notorisch erst sechs Jahre nach Sokrates´ Tod erfolgt sei. Sehr viel vernünftiger, weil vorsichtiger urteilt im übrigen schon der Redner Hypereides, ein unmitelbarer Zeigenosse des Aischines, wenn er in der (ebenfalls nichtfiktionalen) Rede Gegen Autokles (IX fr. 55 Jensen) sagt, die Vorfahren hätten Sokrates hingerichtet, nicht wegen seiner Taten, sondern «in Hinblick auf seine Worte» ( ἐ ̟ ὶ λόγοις). 5. Aischines Außer Platon und Xenophon hat auch der Sokratiker Aischines einen der Dreißig erwähnt, und zwar den berühmten Theramenes. Herodikos aus Babylon (fr. 4 p. 29 Düring) berichtet, daß Aischines im Dialog Kallias (SSR VI A 73) die Sophisten Prodikos und Anaxagoras verspottet habe: Prodikos nämlich habe Theramenes als Schüler gehabt, Anaxagoras Philoxenos und Ariphrades, alles moralisch verkommene Männer, deren Lebenslauf erkennen lasse, wie der Unterricht beschaffen gewesen sei, den sie genossen hätten. 12. Sokrates und die Dreißig 309 Aischines bedient sich hier desselben Kalküls wie Polykrates. Wer als Lehrer Schüler ausgebildet hat, die sich im späteren Leben als schlechte Menschen erweisen, haftet für deren Schlechtigkeit: Er ist ist nicht nur ein schlechter Lehrer, sondern auch selbst ein schlechter Mensch. Wiewohl die Kritik des Aischines vor allem die Lehrer treffen wollte, so kann er auch von den Schülern nur tadelnd gesprochen haben. Denn: Je verwerflicher der Lebenslauf des Schülers, desto verwerflicher der Lehrer, der ihn dazu angeleitet hatte. Was Theramenes betrifft, so bot sein Lebenslauf Anlaß zu Kritik genug: Wegen seines Lavierens zwischen der gemäßigten Oligarchie und der gemäßigten Demokratie erhielt er noch zu Lebzeiten den Spottnamen «Kothurn» (Κοθορνός) (Xen. Hist. Graec. 2.3,31 & 47; Plut. Vit. Nic. 2 et al. - Buck 1995). Diese Schaukelpolitik, die Theramenes noch in seiner letzten Rede (Xen. Hist. Graec. 2.3,35-49) zu rechtfertigen versuchte, dürfte Aischines zum Anlaß für seine Kritik genommen haben. Wenn späteste Zeugen (Suda s.u. Θηραµένης 342; Schol. in Aristoph. Nub. 361) nichts anderes mehr von Theramenes wissen, als daß er Schüler des Prodikos gewesen und Kothornos genannt worden sei, so ist dies vielleicht eine letzte Reminiszenz an den Dialog des Aischines. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, daß Aischines einen Dialog mit dem Titel Rhinon (SSR VI A 82) verfaßt hat. Wir wissen von diesem Dialog so gut wie nichts, aber es spricht alles dafür, daß der Rhinon des Aischines derselbe gewesen ist wie der Politiker Rhinon, der ein Mitglied jener Zehn gewesen ist, die an Stelle der Dreißig traten — nicht zu verwechseln mit den Zehn im Piräus, die ein Exekutivorgan der Dreißig waren. Als Mitglied der Zehn hatte Rhinon maßgeblichen Anteil an der insgesamt friedlichen politischen Liquidierung der Terrorherrschaft der Dreißig (Fuks 1953). 6. Antisthenes Älian (Var. hist. 2.11 = SSR V A 16) erzählt folgende Geschichte: Sokrates sah, wie die Dreißig während ihrer Herrschaft die Prominenten ermordeten und den Reichen nachstellten; da — so sagen sie — sei er Antisthenes begegnet und habe zu ihm folgendermaßen gesprochen: Es reue ihn doch wohl nicht, daß sie — Sokrates und Antisthenes — im Leben nichts Großes und Bedeutendes geworden seien, solche, wie die Alleinherrscher in der Tragödie, Männer wie Atreus, Thyest, Agamemnon und Ägisth? Denn es erweise sich jedesmal, daß sie hingemordet, als Verbrecher entlarvt würden und schlimme Mahlzeiten verzehrten; kein Tragödiendichter aber sei so frech oder unverschämt gewesen, daß er einen Chor im Drama hätte auftreten lassen, der hingemordet werde. 12. Sokrates und die Dreißig 310 Das Prädikat «sie sagen» (φασί) verweist auf die unverbindliche Sphäre des Anekdotischen, in der Älian die Erzählung gefunden hat. In der Tat findet sich denn auch dieselbe Geschichte in zwei Varianten als — stark verkürzte — Anekdote in der Sokrates-Überlieferung (Diog. Laert. 2.34 = SSR 1 D 1 [34]; Gnom. Vat. 743 = SSR I C 326) wieder. Allein, die Anekdote ist nicht der ursprüngliche Ort der Geschichte: Die Beobachtung, daß sich in der Tragödie das soziale Schicksal der Menschen widerspiegle, insofern die Hochgestellten untergehen, die einfachen Leute aber überleben, ist viel zu tiefsinnig und originell, als daß man sie im Horizont der Anekdote erfunden haben könnte. Sehr zu Recht hat man deshalb vermutet, daß hier ein Text des Antisthenes umgeformt worden ist in einen Text über Antisthenes — ein beliebtes Verfahren, um aus einer Erzählung eine Anekdote zu generieren (Dümmler 1889, 3 f.). Daß dem so war, dafür spricht, daß die allgemeine Vorstellung von der Bühne des Lebens, auf der der Mensch die ihm zugewiesene Rolle zu spielen habe, besonders im kynischen und stoischen Denken beheimatet ist, das sich ja notorisch jeweils auf Antisthenes als Archegeten beruft (Fundstellen und Literatur: SSR V A 135-140 & nota 36 [3 p. 322 sq.]). Daß Antisthenes in der Tat der Erfinder dieser so folgen- und erfolgreichen Denkform gewesen ist, läßt sich noch auf andere Weise dartun. Antisthenes hat ein Werk mit dem Titel Archelaos oder über die Königsherrschaft (SSR V 41 & 203) geschrieben, das fraglos Dialogform hatte. Auf diesen Dialog geht offenbar zurück, was Epiktet (fr. 11 Schenkl = Stob. 4.33,28) referiert: daß der Makedonenkönig Archelaos Sokrates an seinen Hof eingeladen und ihn reich zu machen versprochen hatte. Sokrates lehnt ab: Er lebe in Athen billig genug, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können. Ob der König nicht sehe, daß der Schauspieler Polos den Tyrannen Ödipus nicht weniger wohltönend und angenehm dargestellt habe als den heimatlosen Bettler in Kolonos. Sei etwa ein aufrechter Mann geringer als Polos, so daß er nicht jede vom Schicksal auferlegte Rolle schön darzustellen vermöge? Werde ein solcher Mann nicht Odysseus nachahmen, der in Lumpen nicht weniger glanzvoll erscheint als im purpurfarbenen Wollmantel? — Hier fassen wir die Vorstellung, daß die Bühne ein Paradigma fürs Leben ist und sein soll, ebenso mit Händen, wie daß Antisthenes, dessen Denken sich in diesem Vergleich eindeutig genug ausspricht, der Erfinder dieses paradigmatischen Gedankens gewesen ist. Der mutmaßliche Text des Antisthenes, den Älian als Anekdote wiedergibt, hat in der Sokrates-Überlieferung noch eine andere, bedeutsame Spur hinterlassen. Dion aus Prusa greift in seiner Rede In Athen, über die Verbannung (Or. 13) «auf eine alte Rede» ( ἐ ̟ί τινα λόγον ἀ ρχα ῖ ον) zurück, die Sokrates des öfteren gehalten habe an verschiedenen öffentlichen Orten in der Stadt, «wie von der Bühenmaschine herab ein Gott» ( ὥ σ̟ερ ἀ ̟ ὸ µηχαν ῆ ς θεός) 12. Sokrates und die Dreißig 311 (14). Diese Rede des Sokrates wolle er — Dion — jetzt wiederholen, ohne sich für Wortlaut und Gedankengang im Detail verbürgen zu können. Er hoffe, daß diese Rede, die er schon früher gehalten habe, auch jetzt noch den Zuhörern von Nutzen sein werde (15). In der nun folgenden Rede (16-28 = SSR V A 208) rügt Dion bzw. Sokrates die Athener, daß sie sich nur um Spezialfertigkeiten kümmerten, nicht aber um politische Bildung, die der Allgemeinheit zugute käme (19). Dabei sähen sie doch jedesmal an den Dionysien die Schauspieler in den Tragödien und hätten Mitleid mit dem Schicksal der tragischen Helden. Aber noch niemals hätten sie — die Athener — daran gedacht, daß solches Schicksal nicht Ungebildete trifft oder Arme, sondern ganz im Gegenteil: Helden der Tragödie wie Atreus, Agamemnon und Ödipus besitzen Gold und Gut im Überfluß, der allerunglückichste von ihnen — Atreus — habe sogar ein goldenes Schaf besessen (20). Wenn man die Ausführungen des Dioneischen Sokrates mit jenen Ausführungen vergleicht, die Sokrates bei Älian gegenüber Antisthenes tut, so sind die Gemeinsamkeiten gar nicht zu übersehen: Hier wie dort fungiert die tragische Bühne als Paradigma für das Leben, dergestalt, daß die hochgestellten tragischen Helden als warnende Exempel für den Zuschauer dienen; auch die Namen der exemplarischen Helden stimmen weitgehend überein, wenn man bedenkt, daß Thyest und Ägisth, die nur bei Älian genannt werden, mit den Namen Atreus und Agamemon, die Älian und Dion gemeinsam haben, so eng verbunden sind, daß der Leser bzw. Hörer sie sich ohne Schwierigkeiten extrapolieren konnte. Das gilt nicht für den Namen des Ödipus, der allein bei Dion begegnet. Aber wenn es bei Älian heißt, daß manche tragischen Helden «demaskiert» ( ἐ κτραγωιδούµενοι) würden, paßt dieser spezielle Wortgebrauch, den wir auch bei Lukian (Pisc. 38 & Merc. Cond. 41) finden und so auch hier voraussetzen müssen, nicht recht eigentlich auf jene Helden, die Älian nennt, sondern markiert unübersehbar das Schicksal des Ödipus, den allein Dion nennt. Womit nachgerade zur Gewißheit wird, daß Dion und Älian gemeinsam, aber unabhängig voneinander aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen. Zur Gewißheit wird nun auch, was die Interpretation Älians als wahrscheinlich erweisen konnte: daß jene Quelle ein Text des Sokratikers Antisthenes gewesen ist. Dion erklärt ja ausdrücklich, daß er einen alte Rede des Sokrates mit Freiheiten wiederhole und zitiere. Diese Rede aber (Or. 13.14-28), die auch der pseudoplatonische Kleitophon (p. 406 a-408 c) referiert, um sie sodann zu kritisieren, transportiert unübersehbar Antisthenisches Gedankengut unter dem Stichwort der Protreptik (Clit. p. 408 cd, 409 a, 410 d) (Hirzel 1895, 118; von Arnim 1898, 256-260; Höistad 1948, 171- 173; Döring 1979, 86; vgl. Slings 1981, 107-110). Nach alledem ist es keine große Kühnheit, sondern vielmehr ein unabweisbarer Schluß, diesen Antisthenischen Text jenem Sokratischen 12. Sokrates und die Dreißig 312 Dialog des Antisthenes zuzuweisen, den der Schriftenkatalog (SSR V A 41) unter dem einigermaßen monströsen Titel Περ ὶ δικαιοσύνης κα ὶ ἀ νδρείας ̟ροτρε̟τικ ὸ ς ̟ρ ῶ τος δεύτερος τρίτος, ̟ερ ὶ Θεόγνιδος δ ' ε ' anführt, der anderwärts in der Überlieferung verkürzt als Προτρε̟τικοί (SSR V A 11) bzw. als Προτρε̟τικός (SSR V A 63 sq.) wiedergegeben wird. Dies als erwiesen vorausgesetzt, stellt sich noch einmal die Frage, was bei Antisthenes zu lesen war. Denn Dion und Älian weisen ja nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede auf. Daß Dion besonders auf den Reichtum der tragischen Helden abstellt, Älian dagegen ihr gesamtes Lebensschicksal ins Auge faßt, will zwar nicht viel besagen, da ersteres Motiv nur eine Spielart des zweiten Motivs ist, das, als das allgemeinere und gedanklich anspruchsvollere bei Antisthenes gestanden haben wird. Anders steht es um den inhaltlichen und gedanklichen Zusammenhang, im Rahmen dessen Antisthenes das Bühnen-Paradigma vorführte. Dion führt es als ein Beispiel in einem Argumentationszusammenhang auf, der die Verkehrtheit der athenischen Erziehung in politicis dartun soll; Älian verknüpft das Paradigma mit der Terrorherrschaft der Dreißig, die erwünschten Anlaß bietet, die Richtigkeit des Paradigmas zu erweisen. Die Entscheidung kann nicht schwerfallen. Erst durch die Erwähnung der Dreißig wird ja das Paradigma des Sokrates zur Anekdote. Wie wir denn in der späteren Tradition (SSR I C 326 & I D 1 [34]) zwei Anekdoten finden, in denen die Herschaft der Dreißig jeweils zum Anlaß genommen wird, den Mitunterredner ethisch zu belehren, ohne daß das Bühnen- Paradigma vorgeführt wurde. Woraus folgt, daß Älian bzw. seine Quelle das Paradigma aus seinem ursprünglich argumentativen Kontext entnommen hat, um es den Zwecken der Anekdote dienstbar zu machen — ein Vorgang, der ebenso üblich ist wie die Verwandlung des Autors in einen Gesprächspartner, wie sie hier ebenfalls statt hat. 7. Sokrates und Theramenes Der Scheinprozeß gegen Theramenes und die unmittelbar darauf erfolgte als Hinrichtung larvierte Ermordung haben immer als besonderer Schandfleck des Terrorregimes der Dreißig gegolten. Theramenes stand auf Seiten der gemäßigten Oligarchie und war als solcher auch Mitglied der Dreißig, so wie er schon im Jahre 411 Mitglied der 400 gewesen war und nach deren Sturz das kurzlebige Regime der 5000 etabliert hatte. Wie er aber schon damals gegen die radikalen Oligarchen kämpfte, die die Insel Eetioneia als Hafen für Sparta ausbauen wollten, und sich nach dem Sturz der 5000 in den Dienst der Demokratie stellte, so brachte ihn auch 12. Sokrates und die Dreißig 313 jetzt die Radikalisierung des oligarchischen Regimes der Dreißig bald in Konflikte: Er kritisierte die willkürliche Verhaftung und Hinrichtung unbescholtener Büger, die Etablierung der 3000 Vollbürger, die Exilierung der Demokraten und die Ermordung der reichen Metöken. Hierauf beschlossen die Radikalen, Kritias voran, sich des gefährlichen, weil populären Kritikers zu entledigen. Sie veranstalteten einen Prozeß vor dem Rat, der, nach einem Rededuell zwischen Kritias und Theramenes, der Sache des Theramenes Beifall spendete, so daß Freispruch drohte. Kritias rief drohend die bewaffnete Mannschaft auf, die er heimlich versammelt hatte, um den Rat einzuschüchtern, und strich Theramenes aus dem Katalog der 3000 Vollbürger, so daß er nunmehr der Gerichtshoheit nicht mehr des Rates, sondern der Dreißig unterstand, die ihn unverzüglich zum Tode verurteilten. Theramenes flieht auf den Altar des Buleuterions und ruft vergeblich um Hilfe: Auf Befehl des Kritias reißen die Elf, die für das Justizwesen zuständig waren, unter Führung des Satyros mit ihren Bütteln, den «Peitschenträgern» (µαστιγοφόροι), Theramenes vom Altar weg — eine Freveltat, die der durch die Bewaffneten eingeschüchterte Rat, trotz der Warnung und Mahnung des Theramenes, widerstandslos geschehen läßt. Theramenes wird, das ihm angetane Unrecht mit lauter Stimme öffentlich anprangernd, über die Agora geschleppt und im Gefängnis durch den Giftbecher zu Tode gebracht. So erzählt Xenophon (Hist. Graec. 2.3,11-56. - Usher 1968; Adeleye 1976; Ungern-Sternberg 2000), dessen Erzählung hier offenbar deswegen so genau und lebhaft ausgefallen ist, weil er den Ereignissen, die er schildert, persönlich beigewohnt hat. Die Späteren haben der Erzählung Xenophons denn auch kein entscheidendes Detail mehr hinzuzufügen vermocht. Mit einer Ausnahme: Diodor (Bibl. 14.5,1-3 = SSR I C 104) weiß zu berichten, daß Sokrates versucht haben soll, die gewaltsame Verhaftung des Theramenes zu verhindern Diodor berichtet folgendes: Als die Büttel gekommen seien und versucht hätten, Theramenes vom Altar zu zerren, habe Theramenes dieses Mißgeschick mannhaft ertragen, da ihm ja bei Sokrates ein Gutteil an Philosophie zu Teil geworden sei; die Menge aber habe den Theramenes in seinem Unglück bemitleidet, angesichts der Bewaffneten ringsum jedoch nicht zu helfen gewagt. Sokrates aber und zwei seiner Anhänger seien herbeigelaufen und hätten versucht, die Büttel an ihrem Tun zu hindern. Theramenes aber habe dafür gehalten, nichts dergleichen zu tun: Er lobe die Freundschaft und Tapferkeit der Helfer, es sei für ihn aber das größte Unglück, Schuld am Tod ihm so wohlwollend gesinnter Männer zu sein. Die Anhänger des Sokrates aber hätten sich, da kein anderer helfen wollte und die Agressivität der Mächtigeren zunahm, ruhig verhalten. Diodor hat diese dramatische Szene fraglos nicht erfunden, sondern vorgefunden, wahrscheinlich bei Ephoros (FGrHist 70), dem er hier notorisch folgt. Ephoros seinerseits fand die Szene wohl nicht bei einem seiner 12. Sokrates und die Dreißig 314 historiographischen Vorgänger; falls doch, so fand der sie dort, wo sie schon jener oder, spätestens, Diodor gefunden hat: in einem Sokratischen Dialog, dem die Historiographie die spektakuläre Szene entnahm, um so ihren Stoff erwünschtermaßen mit spektakulärem Detail anzureichern. Was die Historiographie dieser Lesefrucht hinzufügte, liegt auf der Hand: Es ist die Anmerkung, daß Theramenes seine mannhafte Haltung der Philosophie des Sokrates verdanke — ein vergleichsweise einfältiges Interpretament, das der Erzählung die Spitze abbricht: Sokrates und die Seinen eilen Theramenes nicht zur Hilfe, weil sie einen der Ihren retten wollen, sondern um ein eklatantes Unrecht zu verhindern, das seitens der Machthaber brutal inszeniert und exekutiert wird. Die Geschichte reiht sich so, recht verstanden, ein in eine Reihe anderer Geschichten, die beweisen sollen, daß Sokrates staatlichen Autoritäten gegenüber zivilen Ungehorsam übte, wenn diese Unrecht taten, und dabei auch Gefahren für Leib und Leben auf sich nahm. Platon (Apol. p. 32 ad) nennt in diesem Zusammenhang Sokrates´ Verhalten im Arginusen- Prozeß und in der causa Leonina; Xenophon (Mem. 4.4,2-4) fügt noch Sokrates´ Verhalten während des Prozesses hinzu: Von der Theramenes-Geschichte wissen weder Platon noch auch Xenophon etwas zu berichten. Dieses Schweigen ist besonders auffällig im Falle Xenophons. Er erwähnt ja in den Hellenika (1.7,15) durchaus die Tatsache, daß Sokrates sich als Prytane geweigert habe, die ungesetzliche Abstimmung über die Todesstrafe der Arginusen-Strategen vornehmen zu lassen. Hiernach würde man erwarten, daß er auch Sokrates´ tapferes Eintreten für Theramenes erwähnt haben würde, zumal er zwei dicta des sterbenden Theramenes erwähnt (2.3,56), von denen er selber bekennt, sie seien «nicht erwähnenswert» (ο ὐ κ ἀ ξιόλογα). Hiernach liegt der Schluß nahe, daß Xenophon über Sokrates und Theramenes schwieg, weil er die Geschichte nicht kannte oder aber weil wußte, daß sich diese Geschichte nicht zugetragen hat. Die Theramenes- Geschichte wäre dann ein Beispiel mehr für die Neigung der Sokratiker — aller Sokratiker — auch, und gerade auch historisches Detail zu erfinden. Zur Vorsicht mahnt allerdings, daß Xenophon in den Hellenika auch über Prozeß und Hinrichtung des Sokrates schweigt — Ereignisse, die doch für einen Historiker wie Xenophon von ungleich größerem Interesse waren als Sokrates´ Verhalten während des Arginusen-Prozesses, das er in den Hellenika erwähnt, oder Sokrates´ Verhalten während des Theramenes-Prozesses, das er nicht erwähnt. Alles recht erwogen, beweist die Theramenes-Geschichte einmal mehr, daß historische Kritik im Falle des Sokrates in der Regel nicht greift und also auch nicht statthaft ist, weil fast alles, was die Zeitgenossen über Sokrates erzählen, nicht im Horizont der Historizität steht, sondern im Horizont literarischer Fiktionalität. Weshalb denn historisch fraglich bleibt und bleiben muß, ob Sokrates Theramenes tatsächlich zu retten 12. Sokrates und die Dreißig 315 versucht hat (Rossetti 1974, 429-438) oder ob hier eine jener Fiktionen vorliegt, an denen die Sokrates-Literatur so reich ist (Peseley 1988). Wem dieses Urteil zu skeptisch dünkt, möge in den Betracht ziehen, daß, was von Sokrates erzählt wird, auch für Isokrates überliefert ist, und das auch noch in zwei inkompatiblen Varianten: Einmal soll Isokrates sich erhoben, um Theramenes, der auf den Altar geflüchtet war, zu helfen, und so lange schweigend verharrt haben, bis ihn Theramenes gebeten habe, davon abzustehen, da es für ihn schmerzlich sei, wenn einer der Freunde an seinem Unglück Anteil habe ([Plut.] Vit. X orat. 4.3). Ein andermal heißt es, Isokrates sei Theramenes gefolgt, um mit ihm den Tod zu erleiden und so seinen Lehrer in rhetoricis zu ehren; Theramenes aber habe ihn davon abgehalten mit der Bemerkung, daß er nur, wenn er überlebe, seine Schule fortsetzen könne. (BiogrGr p. 253). — Daß dieser notorisch furchtsame Rhetor gegen die Dreißig für Theramenes so oder so öffentlich Partei ergriffen habe, ist freilich ebenso unglaublich, wie es zu dem furchtlosen Charakter des historischen Sokrates stimmen würde. 8. Nachlese Es ist noch Nachlese zu halten in der apokryphen Sokrates-Literatur, in der sowohl von Kritias wie auch von Charmides die Rede ist. So tritt Kritias im pseudoplatonischen Eryxias zusammen mit Erasistratos, dem Neffen des Phaiax auf, wahrscheinlich demselben Erasistratos, der auch als Mitglied der Dreißig genannt wird. Wenn dem so war, so erscheinen hier, wie im Platonischen Charmides, zwei Vertreter des oligarchischen Regimes als Gesprächspartner des Sokrates, mit dem Unterschied, das Eryxias die Rolle des Charmides übernimmt, während Erasistratos als dialogi persona ganz im Hintergrund bleibt. Gemeinsam aber ist beiden Dialogen wiederum, daß sie über die spätere politische Rolle des Kritias und seiner jeweiligen Mittäter kein Wort verlieren. Was für Platon aber ein literarisches Wagnis war, das allenfalls im Horizont der Fiktionalität statthaben konnte, das war für den apokryphen Verfasser des Eryxias, der ins dritte Jahrhundert zu datieren ist, längst literarische Konvention. Er konnte sich allenfalls zum Verdienst anrechnen, die längst vergessene Person des Erasistratos zu einem freilich nur sehr kümmerlichen literarischen Leben wiedererweckt zu haben. Von Charmides ist im pseudoplatonischen Axiochos ebenso en passant die Rede wie von Erasistratos im Eryxias. Sokrates trifft hier am Ilissos auf Kleinias, den Sohn des Axiochos (PoP p. 100 sq.), der in Begleitung des Damon und des Charmides ist (p. 364 a). Charmides, so erfahren wir bei dieser Gelegenheit, war sowohl Liebhaber wie auch Geliebter des Kleinias zugleich «auf Grund politischer Kameraderie» ( ἐ ξ ἑ ταιρείας). Das ist alles. Mehr als diese ihrerseits ganz singuläre Information erhalten wir nicht, da 12. Sokrates und die Dreißig 316 Charmides im Verlauf des Dialogs kein einziges Mal das Wort ergreift und auch Kleinias, der in Platons Euthydem (p. 271 b, 273 a-c, 274 bc, 275 ab) eine Rolle als vielbegehrter schöner Knabe spielt, alsbald verstummt, um Sokrates und Axiochos allein das Feld der Rede zu überlassen. Gewichtiger ist eine Äußerung über Charmides im pseudoplatonischen Theages. Sokrates führt im Laufe des Gesprächs vier Beispiele an, an denen sich die apotropäische Wirksamkeit des Daimonions gegenüber anderen erwiesen habe (p. 128 d-129 d). Das erste Beispiel gilt Charmides (p. 128 de). Charmides, der Schöne, habe Sokrates «irgendwann einmal» (̟οτε) erzählt, daß er für den Stadion-Lauf in Nemea trainieren wolle. Da macht sich warnend Sokrates´ göttliche Stimme bemerkbar: Er solle nicht trainieren. Das gelte nur dem Sieg, den er vielleicht nicht erringen werde, entgegnet Charmides, das Training werde ihn in jedem Falle fördern. Und so habe er trainiert, und es sei hörenswert, wie ihm dieses Training bekommen sei. Hier bricht die Geschichte ab, und sie darf hier abbrechen, weil sich der Leser das Übrige ohne weiteres ergänzen kann: daß nämlich Charmides beim Lauftraining irgendein Mißgeschick widerfahren sei. Den Zeitpunkt dieses Vorfalls läßt der Autor bewußt offen, doch wird soviel klar, daß Charmides damals noch ein Knabe oder allenfalls ein Jüngling gewesen ist; denn nur so wird das Prädikat des Schönen und die Art der sportiven Betätigung verständlich. Anders gesagt: Es ist der Charmides des gleichnamigen Platonischen Dialoges, der hier noch einmal in Erscheinung tritt. Der apokryphe Autor hat diese Daimonion-Geschichte schwerlich erfunden, sondern in älterer Sokratischer Literatur vorgefunden; denn die Charmides-Geschichte wie auch die anderen drei Daimonion-Geschichten, die der Autor erzählt, sind nach Personal und Erzählstruktur so singulär und zugleich so verschieden, daß man sie nicht als spätere Erfindung auffassen möchte. Der Autor des Theagenes hat demnach nichts anderes getan, als was der Stoiker Antipatros aus Tarsos in größerem Stil getan hat, wenn er in seiner Schrift Über die Weissagung (SVF 3 fr. 38 p. 249 = SSR I C 408) «sehr viele» (permulta) Beispiele für das Wirken des Daiominions gesammelt hat, die er, wie die Dinge lagen, nirgendwo anders finden konnte als in den Dialogen der Sokratiker. Wie auch immer: In jedem Fall erscheint auch hier, wie schon bei Platon, der junge Charmides in jugendlicher Unschuld und Schöne, die ihm allein die Fiktionalität verleihen kann, während die Historizität post festum von diesem wohlansehnlichen Unschuldslamm ganz andere Geschichten zu erzählen haben würde. Diogenes Laertius (2.30 = SSR I D [30]) überliefert in Kurzform ein Gespräch, in dem Sokrates Iphikrates Mut machte durch den Hinweis, daß die Hähne des Barbiers Meidias besser gekämpft hätten als die das 12. Sokrates und die Dreißig 317 Kallias; anschließend referiert er, daß auch Glaukonides dafür gehalten habe, sich seiner zu versichern wie eines Fasanes oder Pfaus. Die Interpretation dieser vielumstrittenen Stelle soll hier nicht wiederholt werden (Patzer 1985, 54-59; hier Abh. 10, 258-263). Nur soviel sei dazu bemerkt, daß der genannte Glaukonides offenbar kein anderer ist als Charmides, der Sohn des Glaukon, der hier scherzhafter Weise mit seinem Patronymikon angeredet wird, weil diesem Patronymikon ebenfalls die Bezeichnung für einen Vogel (γλαύξ — die Eule) abgelauscht werden konnte. Ein letztes Testimonium liefert noch einmal Diogenes Laertius (2.31 = SSR I D 1 [31]): Charmides habe Sokrates Sklaven angeboten, damit er von diesen Einkünfte beziehe; Sokrates aber habe abgelehnt. Diese Geschichte fügt sich in eine Reihe anderer Geschichten, in denen Sokrates regelmäßig Angebote für die materielle Lebensführung erhält, die er ebenso regelmäßig ablehnt, um durch diese Geste seine Freihheit in oeconomicis zu demonstrieren — ein Komplex von Erzählungen, der hier nicht mehr näher betrachtet werden soll, wohl aber Anlaß bietet, anderen Orts über das Thema Sokrates und die Finanzen genauer nachzudenken. Nachwort Die vorstehenden Beiträge verstehen sich als fragmentarische Versuche, die literarische Sokrates-Tradition kritisch zu interpretieren, um so, wo möglich, der Gestalt des historischen Sokrates näher zu kommen. Eine Gesamtinterpretation der gesamten Überlieferung bleibt, wie der Verfasser wohl weiß, ein Desiderat. Gleichwohl ist er der Meinung, daß die vorgelegten fragmentarischen Untersuchungen soviel an Erkenntnis zutage gefördert haben, daß man die Behauptung wagen darf, daß eine Gesamtinterpretation im Prinzip keine neuen Erkenntnisse aufweisen könnte. Tatsache ist und bleibt, daß die zeitgenössische Sokrates-Überlieferung in der Hauptsache poetisch-literarisch, d.h. fiktional ausgerichtet ist. Tatsache ist weiter, daß die spätere Sokrates-Überlieferung, sofern sie nicht Irrtum oder eigene Erfindung produziert, auf die zeitgenössische Sokrates-Literatur zurückgeht. Woraus folgt, daß die Sokrates-Überlieferung in toto und besten Falles die fiktionale zeitgenössische Sokrates- Literatur repräsentiert. Hier liegt die crux der Sokratesforschung. Die historische Gestalt des Sokrates ist uns, aller quellenkritischen Mühewaltung zum Trotz, immer nur in fiktionaler Verfremdung gegeben, und je mehr man diese Verfremdung zu durchschauen lernt, desto mehr rückt das «historische Substrat» (O. Gigon), von dem doch alle Fiktionalität ihren Ausgang genommen hat, in den Hintergrund. Die Frage ist, ob die historische Gestalt auf diesem Hintergrund noch zu erkennen oder, bescheidener gesprochen, noch zu erahnen ist oder nicht. So und nicht anders stellt sich die Sokratische Frage heute. Sie zu beantworten, ja auch nur zu beantworten zu versuchen, ist aller Mühe wert. Denn von der Antwort hängt — stricte sic dictum — nichts Geringeres ab als das Verständnis der griechischen Philosophiegeschichte. Bibliographie Accame 1951 S. 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Begriffliche Erweiterungen der Lemmata werden durch runde, sachdienliche Erklärungen durch eckige Klammern ausgewiesen. Verweise zu anderen Lemmata werden kursiv hervorgehoben. Griechische Stichworte werden nur ausnahmsweise angeführt und nach den Regeln der lateinischen Translitteration eingeordnet. Aberglaube 275 Siehe auch: Deisidaimonie Abfassung 257, 267 Abfassungszeit 139, 305 Abhängigkeitsverhältnis 145, 181, 269 Abschlußsentenz 261 Abschreiber 92 Absenz 212 Abkunft 252, 255, 265, 285 Siehe auch: Herkunft Abstimmung 291, 300, 314 Abstraktion (abstrakt) 116, 134 Achill 131 Achilleus Tatios [Aratkommentator] 98 Act. martyr. S. Apoll. 268 Adel (adlig) 145, 209, 235 f., 252 f., 255-257, 259, 261 f., 264 f., 293, 296 Siehe auch: edel. eugeneia. vornehm Adjektiv (adjektivisch) 142, 144-148, 152, 159, 165, 230, 260 adoleschia (adoleschees) 52, 58, 91, 93-95 Adressat 208, 267, 302 Ägisth 310 f. Ägypten 273 f. Älian 61, 77, 109, 204, 213, 219, 235 f., 254, 276, 309-312 Älius Aristides 204, 236 Äsopische Fabel 88 ästhetisch 69 f., 103, 288 Afrika 57 Agamemnon 310 f. Agathon 297 f. agathon 104, 113, 124, 128, 134, 149 Agon 41, 77, 254 f., 307 Siehe auch: Wettkämpfer Agora 202, 313 Aigospotamoi 251 Aischines [Sokratiker] 5, 14, 17, 30 f., 33, 98, 137, 256, 298, 231, 306, 308 f. Alkibiades: 30, 98 Dialoge: 14, 31, 137 Kallias: 256, 309 Rhinon: 309 Telauges: 298 Register 334 Aischines [Redner] 97, 308 Aischylos 25, 56-60, 75, 103, 166 Akademie (akademisch) 19, 134, 218, 389 Siehe auch: Totenakademie akatalektisch 93 Akestor [Tragiker] 71, 90 Akustik 37 aladsoneia 52, 58 aleetheia (aleethes) 114, 125, 152, 171 Alexander [Polyhistor] 200 f. Alexanderzeit 47, 62 Alexandrinisch 16, 200 f., 279 Alkaios [Archon] 80 Alkibiades 10, 45, 63, 90, 193, 197, 205- 210, 212, 216-218, 220, 223 f., 227 f., 231-234, 240-243, 245 f., 253, 284, 286, 291, 293 f., 298, 304-308 Siehe auch: Aischines (Alkibiades). Antisthenes (Alkibiades). Platon [Alkibiades I]. Sokrates-Alkibiades-Komplex Alkibiades [minor] 240, 295 Alkiphron 100 Alkmaion [Vorsokratiker] 177 Allgemeinbegriffe 15 Allgemeindefinition 22 Alltagssprache 125, 270-272 Alopeke 122 Alte Komödie 44, 80, 270 Siehe auch: Attische Komödie Alter (alt) 39, 172, 182, 191 f., 195, 196 f., 199, 202, 234, 271 f., 276 f., 279, 285, 287, 289, 290, 298, 303, 307, 311, 316 Siehe auch: Epheben-, Jünglings-, Lebens-, Mannesalter Alternative (alternativ) 124, 171, 210, 214, 273 Altersgenosse 186, 202 altsokratisch 88, 191, 209 f., 212, 220, 222, 224, 228, 232 236, 297, 301 Ambivalenz 274 Ameipsias 76-84, 94, 102 Konnos: 79, 80, 84, 94 Ammianus Marcellinus 88 Amnestiegesetzgebung 291 Amphipolis 165, 203 f., 208, 212, 217, 219, 225 f., 236-238, 246 f. Amtslokal 304 Amun 274 Anachoreten 77 Anachronismus 109, 232-234, 250, 285 f. 303 Anaklase 70 Anakreon 287 Analogie (analog) 219, 303 Analogiebeispiel 304 Analogieschluß 14, 25, 28, 30, 49 f., 299 Analyse 64, 144, 149, 151, 195, 199, 228, 233, 238, 250, 266, 303 Anamnesis 23, 144 anapästisch 77 Anaxagoras (anaxagoreisch) 104, 165 f., 170 f., 174 f., 178, 181 f., 186 f., 189, 200 f., 309 Anaxagoras-Prozeß 201 Anaxandrides 87 Anaximander 181 Anaximenes 177 Andokides 190, 259 f., 291 andreia 143 f., 146, 149 Anekdote 235 f., 310-312 Siehe auch: Wanderanekdote Anianos [Jambograph] 270 Anklage (Ankläger) 10, 13, 25, 29, 37, 40, 58, 96, 121 f., 124 f., 127, 129, 141, 170, 187, 244, 278-282, 293, 304, 307 f. Siehe auch: Hauptankläger. Klage. Nebenkläger. Sokratesankläger Anklageformular 121, 293 Anklagerede (Anklageschrift) 10, 160, 275, 279, 295, 304 f. Siehe auch: Polykrates (Anklagerede gegen Sokrates) Anonymus (anonym) 62, 71, 98, 102, 178, 201, 208, 228, 244-246, 249, 270, 278-280 Anrufung (anrufen) 267, 270-273, 277, 279 Siehe auch: Götteranrufung Anspielung (anspielen) 103-106, 109 f., 149, 174, 176-178, 218 f., 225 f., 250 Antepirrhema 90, 94 Anthologie (Blütenlese) 190, 221 f. Antike (antik) 9, 15, 29 f., 44, 82 f., 89, 98, 101, 103-110, 118, 135 f., 138 f., 163, 167, 180 f., 186, 197, 203 f., 214 f., 230, 250, 269, 283 Siehe auch: Spätantike Antipater [Stoiker] 190, 221 f., 224, 228, 316 Antiphanes 88 Antiphon [Redner] 82, 259 Antiphon [Sophist] 185 Register 335 Antiphon [Vater des Pyrilampes] 259, 288 Antiphon [Opfer der Dreißig] 291 Antisokratiker (antisokratisch) 23, 115 Antisthenes 5, 13 f., 17, 23, 29, 33, 47, 77, 104, 114, 137, 140, 161, 206-210, 215- 222, 231-236, 243-246, 256 f., 261, 269, 282, 297, 305 309-312 Alkibiades: 216 Archelaos: 216, 310 Aspasia: 261 Dialoge: 23, 140, 215 f., 256 f., 261 Herakles: 23, 256 Kyros: 23, 256 Programmschriften: 23, 104 Protreptikos: 257, 312 Sathon: 23, 261 Schriften: 14, 282 Schriftenkatalog: 257, 312 Antisthenesbiographie (-vita) 235 Antisthenischer Sokrates 104, 217 Antithese 185 Antode 93 f. Antrag 124-126, 244 Siehe auch: Strafantrag Antwort (Beantwortung) 127, 134-136, 142, 144, 149, 152, 161 f., 168, 172, 183, 189, 192, 261, 208, 238, 251, 302, 318 Anubis 273 Anytos 10, 14, 96, 121, 128, 148, 160, 162, 187, 211, 242, 275 f., 279-282, 291, 305 ahoristos dyas 12, 30, 134 Aphidnai 229 f. apodiktisch 168 apokryph 228, 302, 315 Siehe auch: pseudepigraphisch Apollonios [aus Tyana] 281 Apologet (apologetisch) 179, 202, 273, 275, 294 Apophthegma 251, 261 Apollon 88 aporia (aporein) 128, 167 Aporie (aporetisch) 25 f., 50 f., 61, 119, 143, 160, 173 apotreptisch 261, 292 apotropäisch 316 Apuleius 16 De genio Socratis: 16 Archegeten 186, 310 Archelaos [Makedonischer König] 213, 222, 310 Siehe auch: Antisthenes (Archelaos) Archelaos [Vorsokratiker] 42, 163-202 Archelaos-Geschichte 202 Siehe auch: Sokrates-Archelaos-Geschichte Archestratos [Stratege] 5, 239, 244 Archidamischer Krieg 88, 102, 166, 203 Archon Basileus 121 Archontat 283, 291 Archytas 16, 186 aretee 22, 27, 104, 130, 146, 256, 263 Arginusen 251 Arginusenprozeß 290 f., 314 f. Argumentation (argumentativ, argumentieren) 103, 127, 147, 153 f., 168, 210, 280, 312 Argumentationstechnik 14 Argumentationszusammenhang 22, 312 Ariphrades [Athener. Schüler des Anaxagoras] 309 Aristie 219 Aristeides 99, 192-194, 253 Aristeus [Stratege der Korinther] 239 Aristipp 14, 30, 33 Aristodemos [Sokratiker] 211 Aristogeiton [Redner] 251 Aristokrat 215, 217, 307 Ariston [Vater Platons] 292 Aristophanes 2, 9, 17, 25 f., 26, 32-53, 54-67, 69, 72, 73-86, 88 f., 91, 93-95, 99 f., 102 f., 163, 166, 169 f., 216, 254, 259, 270, 272, 275 f. Frösche: 44, 59-62, 72, 75, 93 f., 103 Vögel: 54-59, 69, 78, 81-83, 100, 254, 270, 272 Wolken: 9 f., 26, 32-55, 57-61, 64-66, 72- 77, 79 f., 83 f., 88-91, 94 f., 98 f., 102 f., 163, 166, 169 f., 259, 275 f. Aristophanischer Sokrates 9 f., 33, 42- 44, 46 f., 51, 169 Aristoteles 1, 10, 12, 15-19, 21-23, 33, 64, 82, 86, 118, 123, 130, 136 f., 163, 165, 167, 174 f., 179 f., 183-185, 193 f., 222, 251, 254, 283 f., 288 f., 298, 303 corpus Aristotelicum: 19 Dialog: 194 Ethiken: 15 Eudemische Ethik: 82 Fragmente: 10, 15, 136, 165, 174, 193 Metaphysik: 15, 18, 22, 175, 179 Poetik: 10, 118, 123, 136 f. Register 336 Politik: 298 [Problemata phys.] 86 Rhetorik: 10, 15, 136, 222, 251 Staatsverfassung der Athener: 283, 303 Über die Teile der Lebewesen: 179, 183 Aristotelischer Dialog 194 Siehe auch: more Aristotelico Aristotelischer Sokrates 15 Aristoxenos 16, 180, 186-199, 201, 219 f., 235 f. Sokratesbiographie: 16, 186-188, 191-193, 195, 199 Armut (arm) 46 f. 55, 78 f., 82, 89, 94, 106, 124, 193, 253, 293, 311 Artikel 15, 146-148, 150 Aphytis 241 Asebie 96, 276, 278-280, 282 Siehe auch: Atheismus. Gottlosigkeit Asebie-Klage 278 f. Asebie-Prozeß 39 Asklepios [Heilgott] 236 Asklepios [Neuplatoniker] 91 f. Asopos 229 f. Aspasia 71, 82 Siehe auch: Antisthenes (Aspasia) Aspekt 94, 98, 140, 154, 175 f., 192, 195, 197, 211 Astronomie 37, 43 Atheismus (Atheist) 9, 32, 37, 39, 41, 43, 102, 170, 275-277, 293 Siehe auch: Asebie. Gottlosigkeit Athen (Athener, athenisch) 10, 26 f. 29 f., 32, 37, 44 f., 47, 53, 54, 58, 62, 76 f., 82, 84, 93, 96 f., 108 f., 121, 126, 129- 133, 145, 155, 166, 168 f., 181, 192, 197,199, 201 f., 203, 208, 213, 215-219, 222-225, 227, 229-235, 239-242, 243, 245 f., 250-254, 259 f., 262-265, 273, 275 f., 278, 287-289, 294, 296, 299, 302-308, 310-312 Siehe auch: Urathen Athenaios 80, 167, 188, 194, 201, 267 Athetese 92, 95 Atlantis-Mythos 284 f. Atomisten 43 Apollodor [Sokratiker] 124 Attische Komödie 1, 32, 62, 64-102, 213, 252 Siehe auch: Alte Komödie Atreus 310 f. Attika (attisch) 158, 240, 252, 262, 303 Augenschein 166, 297 Augustin 181 f., 268 Ausdruck (ausdrücken) 62, 79, 91, 117, 132, 136, 140, 142 f., 146, 155, 157, 168, 181 f., 230, 298, 301 Ausfragetechnik 132 Ausfrageverfahren 25, 29, 50 Ausgangssituation 189 Ausgangsthese 154 Ausländer (auswärtig) 213, 216, 286, 293 Siehe auch: Fremde Auslandsaufenthalte 165 Ausnahmegestalt (Ausnahmemensch) 178, 266 Aussage 137, 150, 167 f., 184, 197, 206, 214, 219, 223, 235, 242 f., 249, 256, 259, 266, 271, 305 Siehe auch: Gesamt-, Sach-, Satzaussage außerplatonisch 166-168, 204 außersokratisch 238 Auswahl 141, 145, 186, 269, 286 Autarkie (autark) 13, 29, 47 f., 140, 294 Siehe auch: Reduktionsideal Authentizität (authentisch) 122, 138, 191, 224 f., 238, 297 Authentizitätsbezeugungen 13, 138- 140 autobiographisch 42, 200, 289 f. Autokrat 290 Autolykos [Sohn des Lykon] 13, 138, 297 f. Siehe auch: Eupolis (Autolykos) Autopsie 166 Autor 110, 117, 137 f., 140, 143, 147, 180-182, 204, 208-210, 226, 228 f., 232, 238, 257, 269, 289, 302 f., 312, 316 Siehe auch: Quellenautor. Verfasser Autorität 187, 300, 314 Autoschediasma 274 Axiochos [Vater des Kleinias] 316 Siehe auch: Platon [Axiochos] Baccheus 85 Bakchylides [Aulet] 81 Banause 250, 252-255 Barbier 252, 255, 264, 317 Barfußgehen 46, 48, 57, 78 f., 102, 205 Becher 87 f. Bedeutung (bedeuten) 132, 158, 164, 182, 196, 230, 249, 254, 258, 273, 286, 289, 309 Siehe auch: Grundbedeutung Register 337 Bedeutungsunterschied 266 Befehl 189, 204, 239, 300 f., 303 f., 313 Siehe auch: Ober-, Unrechtsbefehl Befehlshaber 204, 263 Siehe auch: Stratege Begierde (begehren) 295-297 Beglaubigungsapparat 288 Begriff (Begrifflichkeit, begrifflich) 15, 112 f., 130, 142 f., 146, 149, 155 f., 158 f., 196, 233, 282 Siehe auch: Allgemein-, Einzel-, Gerechtigkeits-, Grundbegriff Begriffsbestimmung 13, 158 Begriffsphilosophie 18 Begründung (Begründer, begründen) 155, 186, 212, 214, 252, 271 f., 278, 301 Behörde 121, 291 bei den Chariten! 276 bei der Eiche! 267, 269, 274-276 bei der Gans! 267, 269-272, 274 f., 281 bei der Platane! 267, 269, 274 f., 281 beim Bock! 269, 271, 275 beim Hunde! 266-282 beim Steine! 267, 269, 274 bei Zeus! 275 Beispiel (beispielhaft) 26, 63, 79, 124, 129, 138, 146, 151, 157, 197, 202, 204- 206, 211 f., 220 f., 223, 238, 249 f., 267, 270, 272, 278, 290, 294, f., 298, 300, 304, 312, 314, 316 Siehe auch: Analogiebeispiel. Exempel. Iphikrates-, Muster-, Parallelbeispiel Belagerung (belagern) 203, 205, 239, 241-243, 246 Belagerungsmaschine 240 Beleg 156, 213, 255, 266, 269 Siehe auch: Testimonium Belehrung (belehren) 132, 168, 170 f., 173, 312 Siehe auch: Lehre Bericht (berichten) 137, 139, 212, 215, 224, 245, 249-251, 274, 284, 309 Siehe auch: Referat Berufspolitiker 292 Beschreibung (beschreiben) 147, 153, 253, 300 Siehe auch: Schilderung Besitz (Besitzer) 185, 252 f., 256, 258, 262, 264 f. Besitzgier 105 Besonnenheit 20, 23, 113, 137, 140-146, 149, 157, 216, 219, 221, 245, 284, 286 Bestheit 130 Bestimmung (bestimmen) 142-147, 150, 158, 182, 198, 230, 257, 284 Siehe auch: Begriffs-, Orts-, Standorts-, Wesens-, Zeitbestimmung Beteuerungsformel 266-274 Siehe auch: Gottesbeteuerung Betrug 39, 272 Bettelphilosoph 47 Bettler 94, 102, 252, 295, 310 Bewegung (bewegen) 230, 254, 285 f. Siehe auch: Denkbewegung Beweis (beweisen) 143, 159, 220, 243, 247, 278, 281, 290, 305, 314 Beweisgänge 127 Beweisführung 111, 127, 138, 150, 181 Beweismittel 282 Beweisstück 195, 233 Beweisziel 305 Bewußtsein (bewußt) 131, 136, 171, 176 Bezeichnung (bezeichnen) 207, 228, 256, 288, 297, 317 Bildhauer 46 Bildung 9, 89, 202, 233, 285, 299, 311 Biographie (Biograph, biographisch, uita) 3, 7, 12, 16, 28, 47, 65, 103-1o6, 108-111, 118, 121, 164, 169, 173, 175, 179, 181, 183, 186 f., 191, 193, 195-197, 212-214, 219, 238, 276, 279, 290 Siehe auch: Antisthenesbiographie. Aristoxenos (Sokratesbiographie). autobiographisch. Euripidesbiographie. Isokratesvita. Platon-, Sokrates-, Spezialbiographie. uita Elmsleiana Biologie (biologisch) 9, 176, 183 Blitz 37 Blut 175 f. Bock 268, 274, 277, 282 Siehe auch: beim Bock! Böotien (Böoter) 203, 207, 216 f., 219, 224, 228-231, 235, 245 Bottiaia 240 f. Brasidas 203, 226 Brief 28, 222 f., 225, 302 f. Siehe auch: Empfehlungsbrief. Epistulae Socraticae. Offener Brief Briefroman 16 Briefschreiber 222, 303 Bruchstück (bruchstückhaft) 207, 215 Siehe auch: Fragment Register 338 Bühne 34, 42, 44, 48, 68, 74, 77 f., 80, 82, 84 f., 89 f., 94 f., 97, 169, 310 f. Bühneninstrument 75 Bühnenmaschine 311 Bühnen-Paradigma 312 Bürger (Bürgerin, bürgerlich) 54, 108, 121, 140, 151-153, 192, 251, 259, 283, 285, 289-291, 296, 299 f., 303, 313 Siehe auch: Vollbürger Bürgerrecht 235 Buleuterion 313 Buntschriftsteller 307 Busiris 280, 305 byzantinisch 269 causa Leonina 291, 299-301, 314 Siehe auch: Leon [aus Salamis] causa Socratis 122, 126 f. Charakter (charakterisieren) 114, 188, 190, 193, 252, 288, 295 f., 315 Chairephon 37, 48 f., 57-59, 90 f., 206, 302 f. Chairephonorakel 24, 26, 128, 167, 171, 173 Chalkidike (chalkidikisch) 239-241 Chaos (chaotisch) 38 f., 115, 190, 199, 276 Charikles [Mitglied der Dreißig] 283, 291, 293, 295 f., 298-300, 302 f., 303 Charillos [Aulet] 190 Charmides 249, 260-263, 283 f., 286 f., 287, 289, 292 f., 315-317 Siehe auch: Platon (Charmides) Charmides-Geschichte 249-316 Chersonnes 243 Chiffre 61, 79, 89, 102 f. Chios 197, 275 Choleriker 186, 188 Chor 68, 80-83, 86, 90, 93, 105, 113 f., 310 Siehe auch: Individualchor Choregie 253 choriambisch 70, 85 Chorlied 75, 93 Chorlyrik 70, 88 Chronologie (chronologisch) 65, 71, 97, 109, 138, 145 f., 197 f., 204 f., 213, 233 f., 239, 257, 267, 284, 288, 299, 306 Cicero [Marcus] 79, 84, 136, 181 f., 190-193, 220-224, 227 f. Cicero [Quintus] 220 f. communis opinio 12, 37, 69, 112 f., 118, 179, 204, 216, 231, 243 condicio humana 112, 133, 171 Daduchos 252 Dämon (dämonisch) 101, 122, 277-279 Daimonion 189-193, 203, 220-229, 231, 145, 247, 278, 316 Siehe auch: Apuleius & Plutarch (Über das Daimonion des Sokrates) Daimonion-Geschichte 190, 224, 232, 316 Damon 187, 200 f., 316 Darstellung (darstellen) 138, 141, 143, 153, 158, 171, 176, 187, 194, 203, 215, 226, 232, 238, 272, 285 f., 295 f., 299 f., 303, 305, 310 Siehe auch: Konkurrenz-, Paralleldarstellung Daten (datieren) 165 f., 213, 222, 247, 250 f., 303, 315 Siehe auch: vordatieren Debakel 223 Debatte 256 Definition (definieren, definitorisch) 15, 18 f., 22 f., 25, 140-152, 156 f., 159 f., 160 f. Siehe auch: Allgemeindefinition. Platon (Definitionsdialoge) Definitionskunst 149 Deisidaimonie 271 Siehe auch: Aberglaube Dekantiergefäß 89 Dekeleia 229 Delion 45, 165, 190, 203-208, 211, 215- 236, 238, 243 f., 246 f. Delphi 128, 165 f., 174, 274 Delphisches Orakel 49, 63 Siehe auch: Chairephonorakel Demagoge 108 Siehe auch: Möchtegern-Demagoge Demetrios [aus Byzanz] 201 f. Demetrios [aus Phaleron] 15, 194 Apologie des Sokrates: 16 Demokratie (Demokrat, demokratisch) 31, 54, 132, 149, 213, 234, 286 f., 290 f., 293, 307, 309, 313 Demokrit 9, 32, 43, 49, 180 demonstrieren (demonstrativ) 86, 148, 152, 154, 221, 223, 227 f., 255, 280, 317 Demos 121, 259 Register 339 Demos [Sohn des Pyrilampes] 259, 261 Demosthenes 55, 58, 86, 253, 255 Denken (Denker, denkerisch, denkbar) 29, 62, 69, 80, 99, 102, 110 f., 119, 121, 127 f., 134-136, 144, 158, 160 f., 169-171, 174-176, 178 f., 181, 183, 187, 310 Siehe auch: Sokratisches Denken Denkansatz 112, 117, 149-151, 156, 160f., 184 f. Denkarbeit (Denkbemühung) 178, 205 Denkbewegung 11 f., 22 f., 117 Denkeinfall 150 Denkentwurf 62, 127, 178, 185 Denkform 310 Denkgehäuse 34 f., 37, 39, 41, 49, 74 Denkhorizont 121 Denkkraft 117 Denkmal 127 Denkmethode 155, 160 Denkmodell 12, 35, 45, 52, 144, 155, 160, 171 f., 179, 183-185 Denkrichtung 169, 186 Denkschritt 174 Denktradition 44 Denkweise 174 Dekonstruktion 25, 131, 169 Denunziation (denunzieren) 296, 299f. Derivat (derivieren) 165, 230 Desaster (desaströs) 190, 224, 227, 286 Detail (detailliert) 175 f., 181, 183, 190, 197 f., 200, 209 f., 214, 218, 221, 228, 241, 243-247, 249, 267, 286, 288, 290, 296, 299, 303, 311, 313 f. detraktatorisch 191 f., 195-197 Diagoras 32, 43 f. dialegesthai (dialektikos) 21 f., 131, 135, 141, 149, 157-160 Dialektik (Dialektiker, dialektisch) 2, 13 f., 21 f., 25 f., 30, 52, 132, 134-162, 284, 286, 288 f., 294 Dialog (dialogisch) 11, 14 f., 24 f., 61, 88, 102,104, 107, 118-120, 123, 131, 134, 137, 143, 154, 172 f., 189 f., 194, 202, 212, 217, 226, 249 f., 252, 257, 261, 284- 287, 289, 292, 309 f., 315 f. Siehe auch: Aischines (Dialoge). Antisthenes (Dialoge). Aristotelischer Dialog. Eukleides (Dialoge). Kurzdialog. Phaidon (Dialoge). Platon (Dialoge; dihäretische-, Früh- Mittlere Spätdialoge). Prosadialog. Sokratischer Dialog Dialogform 310 Dialogführung 61, 103 dialogi persona 315 dichotomisch 158 Dichtung (Dichter) 24, 27 f., 33, 39, 42, 44 f., 60-62, 65-67, 70, 73, 75, 81, 86-88, 91, 96, 99, 109, 111, 113-115, 128, 186, 287 Siehe auch: Literatur. Poesie didaktisch 26 didaskalisch 65 Didymos 95 Diebstahl (Dieb, diebisch) 63, 71, 82, 89 f., 94, 102, 252 Dienst 128 f., 185, 262 Siehe auch: Kriegsdienst Differenz (differieren, differenziert) 146 f., 209, 258 Dihairesis (dihäretisch) 12, 21, 26, 126, 140, 157-161 Siehe auch: Platon (dihäretische Dialoge) dihegematisch 137, 288 Diktum (dictum) 236, 314 Siehe auch: Glaukonides-Diktum Dimeter 91 f. Ding 29, 170 f., 174, 178, 271 Siehe auch: Einzelding. Wort-Ding- Relation Diodoros [aus Aspendos] 47 Diodor [Historiker] 9, 97, 234, 240, 244, 283, 303, 313 f. Diogenes [Kyniker] 48, 77, 84 Diogenes [Vorsokratiker] 9, 43 f., 177 Diogenes Laertios 5 f., 16, 65-69, 71, 73 f., 76 f., 82, 96, 108 f., 138, 164 f., 167- 169, 177, 180-184, 187 f., 197, 200, 202, 204, 212-214, 219 f., 232-236, 244, 248- 250, 257, 259-262, 267, 276, 310, 317 Diognetos [athen. Politiker] 99 Dion Chrysostomus 197, 289, 301, 311f. Dionysien 34, 54, 73, 90, 311 Dionysodor [Eristiker] 52 Dionysos 59 Dionysostheater 254 Diotima 120 Diskurs (diskursiv) 151-154, 156, 161, 181, 296 Diskussion 105, 107 f., 110, 143, 288 Disposition 104, 127, 132 Register 340 Dissens 151 f., 244 Divergenz 33, 245 dogmatisch 169 Dokument (dokumentieren) 109, 161, 201, 221 f., 293, 306, 308 Siehe auch: Beweisstück Donner 37 f., 50 Doppelehe 194 Doppelsinn 261 Doppelwesen 98 Doxographie (doxographisch) 177, 181 f., 184, 187, 195, 201 Drakontides [Mitglied der Dreißig] 283, 305 Drama (dramatisch) 34, 68, 90, 105, 112, 114 f., 137, 216, 275, 310, 314 dramatis persona 67, 74, 103, 107, 111, 113, 115 [die] Dreißig 2, 10, 283-317 Dreizahl 219 Drohung (drohen) 255, 296, 300, 302 f., 313 Dropides [Urgroßvater des Kritias] 285 Dublette 226 Duktus 167, 299, 302 Dunst 39 Duo 286 Echtheit 138, 288 edel 113 f., 193 f., 265 Siehe auch: adlig, vornehm Eetioneia 313 enkrateia 157 Ehe (ehelich) 114, 192-194 Siehe auch: Doppelehe Ehefrau 194 Ehre (ehren) 130, 251, 264 f., 294, 315 Ehrenstelle 285 Ehrgeiz (ehrgeizig) 209, 252, 294 Eiche 268 f., 277, 282 Siehe auch: bei der Eiche! Eid 266-282 Siehe auch: Rhadamanthischer Eid Eidbruch 281 f. Siehe auch: Meineid Eideszeugen 267, 269-271, 277 eidos 23, 134, 145, 158 f., 171 Eigeninteresse 123-126 Eigennamen 209, 260 Eigenständigkeit (eigenständig) 210, 185 200, 222, 232 f., 227, 276 Einfluß (einflußeich) 206, 249, 252, 263, 294 Einführung 174, 275 Einführungsgespräch 50, 284 Eingangssituation 252 Eingangsszene 138, 256 Einheit (einheitlich) 143 f., 146 f., 200, 249, 286, 296, 301 Einklang 201, 223, 241, 243-245, 276 Einleitung (einleitend) 212, 293 Siehe auch: Präludium. Proömium Eins (das Eine) 134, 176, 288 Siehe auch: hen Einschätzung 122, 126 Siehe auch: Strafeinschätzung Einschätzungsprozeß 122 Einsicht 110, 113, 129, 153-155 Einweihungszeremonie 47 Einwirkung 190 Einzelding 171 Einzelbegebenheit 205 Einzelbegriff 157 Einzelfrage 141 Einzelgegenstand 157 Einzelglieder 141 Einzeltugenden 20, 23, 143 f., 145 f. Einzelereignis 205 Einzelheiten (einzeln) 145, 209, 249 f. Einzigartigkeit 259 Einwand 289, 292 Eis 205 Eklektiker (eklektisch) 9, 43, 176, 178 f., 281 Eleaten (eleatisch) 134, 160, 197, 289 elenchein 25, 50, 132 Elegie 197 Elenktik (Elenktiker, elenktisch) 25-27, 29-31, 50-53, 58 f., 61, 132-134, 154, 185, 296, 299, 303 f. Siehe auch: Sokratische Elenktik [die] Elf [Hilfsmannschaft der Dreißig in der Stadt] 290, 313 Elision 87 Emendation (emendieren) 66 f., 71 f., 74, 85-87, 95-97, 99, 106, 225 Empedokles 70, 176 f. Empedos [späthellenist. Memoirenschreiber] 267 Empfehlungsbrief 208 enkomiastisch 205, 216 Enormität (enorm) 213, 232, 242 Entdeckung 136, 175, 183 Register 341 Entelechie 183 enthistorisieren 204, 222 Enthüllung (enthüllen) 147, 289 entlarven 299, 310 Entscheidung 216, 273 Entstehung (entstehen) 170, 175, 177, 212, 284 Entstehungsgeschichte 171 Entwicklung (entwickeln) 120, 129, 173, 179 f., 183, 196, 202, 208, 286 Entwicklungsgeschichte (entwicklungsgeschichtlich) 42, 169, 171, 174, 183, 295 f., 299 Entwurf (entwerfen) 145, 160, 171 f. Siehe auch: Denkentwurf Entzifferung 100, 103 epanagoogee (epanagein) 152 f., 156 Ephebenalter 165 Ephoros [Historiker] 240, 314 Epicharm 270 Epideixis (epideiktisch) 86, 119, 136, 250, 280 Epidemiurg 239 Epigramm 198 Epiklese 36, 38 Epiktet 310 Epilog 125 Epiphanie 45 f. Epirrhema 90, 94 Epistulae Socraticae 5 f., 16, 84, 180, 190, 208 f., 222-224, 226, 228-230, 236, 268, 275, 277, 302, 326 Epoche (epochal) 53, 136, 161, 179 f., 183, 267, 287, 301 Epochenmodell 180, 185 Epos 70 Erasistratos [Mitglied der Dreißig] 283, 135 f. Erde 37, 170, 175-177, 278 Erdkarte 37 Erechtheus 97 Ereignis 136, 165 f., 168-170, 204-206, 211, 213, 216 f., 220, 225, 229, 242-244, 246, 250, 300 f., 313 f. Erfahrung 112, 114, 128, 140, 168, 249, 286 Siehe auch: Lebenserfahrung Erfindung (Erfinder, erfinden) 7, 111, 118, 133, 135, 137, 140, 160, 164, 168 f., 174, 176, 179, 183 f., 186, 188, 190-193, 195-197, 200-202, 209, 228, 232, 236, 238, 247, 271, 274, 276 f., 281 f., 285, 289-291, 293, 296-298, 300, 302, 306 f., 310, 314, 316, 318 Siehe auch: Fiktion. Konkurrenzerfindung Erfolg (erfolgreich) 114, 133, 180, 221, 257, 262 f., 276, 295, 310 Eristiker (eristisch) 14, 30, 52 Erkenntnis (erkennen) 15, 23, 26, 37, 111-113, 115, 117, 120, 129 f., 133 f., 136, 139 f., 158, 171, 174 f., 183, 208, 248, 255, 272 f., 309, 318 Siehe auch: Selbsterkenntnis Erkenntnismittel 134 Erkenntnistheorie (-theoretisch) 43, 176 Erklärung (erklären) 171, 236, 251, 266, 271, 273, 277, 293, 301, 303 Erklärungsmodell 183 f., 295 f. Siehe auch: Welterklärungsmodell Erklärungsversuch 170, 182 Ermordung (ermorden) 283, 291, 303, 308-310, 312 f. Erörterung 256, 284, 295 Siehe auch: Diskurs. Diskussion Eros (Erotik, erotisch) 11, 98, 114, 168, 187 f, 192, 195-199, 202, 287, 293, 295- 298 Siehe auch: Maximus [aus Tyros](Über die Erotik des Sokrates) Erotomane 186 Ersatzperson 234 Erscheinung (erscheinen) 177, 230, 288 f., 306, 316 Ersttat 251 Erwähnung (erwähnen) 201, 203, 219, 226, 238, 269, 283, 292, 301, 303, 312, 314 f. Erwärmung 177 Eryxias 315 Siehe auch: Platon [Eryxias] Erzählung (Erzähler, erzählen, erzählerisch) 90, 127-129, 137, 139 f., 165 f., 189 f., 192 f., 195, 197, 202, 204, 209- 211, 214, 217 f., 221-228, 231-235, 237 f., 240 f., 243-247, 251, 271, 284 f., 287, 290, 294, 297, 301-304, 307, 309 f., 313- 317 Siehe auch: dihegematisch. Konkurrenzerzählung. narrativ. wiedererzählen Erzählform 131, 216 Erzählmotiv 232, 246 Erzählperspektive 140 Erzählsituation 224 Register 342 Erzählstruktur 316 Erzähltechnik (erzähltechnisch) 137, 224 Erzählversion 244 Erziehung (erziehen, erzieherisch) 113 f., 196, 202, 256, 281, 285, 305, 307 f., 312 esoterisch 35 f., 43 Etablierung (etabliert) 171, 185, 274, 277, 279, 283, 288, 303, 313 Ethik (ethisch) 13, 15, 18, 21 f., 29, 77, 104-106, 108, 110, 112-114, 130, 132- 134, 136, 140, 141 f., 148 f., 151 f., 160 f., 179 f., 183-185, 199, 202, 294, 312 Siehe auch: sozialethisch; Moral eethikee 136, 183 Ethnographie 185 Etymologicum magnum 91, 94 f. Etymologicum Symeonis 91, 94 Etymologie (etymologisch) 158-260 Eubulides [Schüler des Eukleides? ] 5f. eugeneia 235 f., 256, 263 eudaimonia 256 Eukleides [Archon] 29 Eukleides [Sokratiker] 5 f., 14, 30, 33, 137, 202, 231, 269, 306 Kriton: 202 Dialoge: 137 Eule 260, 317 Eunapius 276 Eupolis 10, 59, 79-82, 84-95, 99 f., 270 Autolykos 95 Kolakes 80, 90 f., 94 f. Euripides 44, 59-63, 65-76, 102-116, 307 Euripidesbiographie (-vita) 65, 76, 104, 108 Siehe auch: uita Emsleiana Erylochos [aus Larissa] 213 eusebeia (eusebes) 144, 149 Eusthatios 101, 268 f. Euthydem [Eristiker] 52 Euthydemos [Sohn des Diokles; Sokratiker] 149 f., 157, 295-298 Siehe auch: Platon (Euthydemos) Euthydemos-Komplex 296 Euthyphron 196, 248 Siehe auch: Platon (Euthyphron) Euthyphron-Geschichte 249 Evidenz (evident) 114 f., 153, 213 Siehe auch: Selbstevidenz exakt 228, 230, 254 f., 257, 261 Exekution (exekutieren) 97, 314 Exekutivorgan 309 Exempel (exemplarisch) 141, 150-152, 164, 221, 280, 311 Siehe auch: Beispiel. Paradigma. Glaukon- , Lamprokles-, Lysisexempel. Paradigma. Theätetexempel exetadsein 25, 132 Exilierung 291, 313 Existenz (existential, existentiell) 132 f., 136, 222, 247 Exkurs 211, 294 Expedition 235, 239-244 Siehe auch: Militärexpedition. Sizilische Expedition Explikation (explizieren, explizit) 152, 154, 158, 170, 172, 174-176, 178, 1188, 255 Extrem 211, 262, 303 Extremfall 233 Exzerpt 95, 150, 168 f., 182, 200, 215, 219, 221,228, 232, 249, 261 Fachmann 190, 198 Fachsprache 158 Fachterminus 86 f. Fäulnisprozeß 177 Faktizität (Faktum) 33, 64, 103, 110, 143, 164, 166, 199, 207 f., 208, 210, 214 f., 236, 238, 247, 278, 304 Familie 255, 264, 287 Fasan 258-262, 265, 317 Fauler Friede 203 Favorin 121, 165, 167, 211 f., 237 f., 279, 308 Fehlinterpretation 164, 308 Fehlkonstruktion 276 Fehlmeinung 25, 169 Fehlthese 154 Feigheit 141 f., 225, 292 Feind (Feindseligkeit, feindlich) 151, 187, 216, 218, 221, 223, 226 f., 230, 243 f., 250 f., 255, 263 Siehe auch: Gegner Feldherr 139, 215, 240, 250 f., 257, 262f., 265, 286 Siehe auch: Stratege Feldzug 204-206, 210, 212 f., 215, 217, 219 f., 226 f., 233, 235, 240, 246 f. Ferkel (Ferkelei) 296 f., 298 Siehe auch: Schweinerei Festspiel 166 f. Register 343 Feuer 175-177 Fiktion (Fiktionalität, fiktional, fingieren) 1-3, 7, 9-14, 16 f., 30, 33, 37, 39, 42, 44 f., 52 f., 117 f., 123, 126-128, 130 f., 137-140, 160, 163 f., 168 f., 171, 173, 176, 179, 191, 193-195, 197, 200, 202 f., 208, 216, 222, 233, 257, 275, 278, 282, 283, 285, 287-292, 297, 299, 304, 306, 308, 315, 317 f. Siehe auch: Erfindung. hoch-, hyper-, semifiktional Fink 69 Finanzen (finanziell) 151, 202, 317 Fixierung (fixieren) 132, 158, 160, 164, 166, 168 f., 212, 230, 237, 297, 306 Flotte 223, 239, 241 Flucht 179, 190, 215 f., 218-220, 226 f., 229, 231 f., 245, 302 f., 315 Fluchtweg 222 Flußübergang 228 forensisch 123, 132 Form (formal) 106, 117-119, 121 f., 126 f., 131, 134 f., 138, 140-143, 159, 196, 248, 270, 272, 288 f., 29 Siehe auch: Denk-, Dialog-, Erzähl-, Kurz- , Literatur-, Memoiren-, Namens-, Rätsel- , Reinform Formel 107, 149, 158, 173, 205, 266, 293 Siehe auch: Beteuerungs-, Schwurformel Formulierung (formulieren) 123, 125, 133, 141-150, 152, 154, 156-158, 173 f., 182, 210, 217, 227, 256 Siehe auch: Neuformulierung Forschung 249, 284, 304 Siehe auch: Platon-, Sokrates-, Xenophonforschung Frage (Frager, fragen, befragen) 127 f., 131-136, 141, 143-147, 149, 151 f., 163 f., 168, 172, 178, 183, 185, 189, 192, 195, 208, 238, 261, 275, 302, 311, 318 Siehe auch: Einzel-, Grundfrage. Sokratische Frage. Sokratisches Fragen. Wesensfrage Frage-Gegenstand 142 Frage-Paar 141 f. Frage-Paradigmata 145, 147-149 Frage-Technik 25, 304 Frageverfahren 24, 58 f., 132 Fragment (fragmentarisch) 8, 17, 61, 64-102, 134, 137, 161, 163, 207, 210, 275, 318 Siehe auch: Bruchstück Frau 114, 192-194, 259, 294 Freiheit (frei) 293, 295, 303, 317 Freispruch (freisprechen) 130, 244,313 Fremde (Fremder, fremd) 160, 165, 210, 216 f., 248, 253 Siehe auch: Ausländer Frequenz-Verhältnis 269 fretum Siculum 230 Freund (Freundschaft) 151, 196 f., 202, 216, 218, 285, 289 f., 302, 305, 314 f. Siehe auch: Sokrates-, Sophistenfreund. Tyrannenfreundschaft Frömmigkeit (fromm) 20, 23, 141, 144 f., 147, 149, 248, 272, 281, 296 Siehe auch: eusebeia Führung (Führer) 139, 184, 262, 296, 313 [die] Fünftausend 313 Fürst 212 f. Fundament 171, 174 Furcht 216, 292, 315 Siehe auch: Todesfurcht Furt 223, 227-229 Fußtruppen 263 Gärungsprozeß 175 f. Gans 268 f., 274, 277, 281 f. Siehe auch: bei der Gans! Gattung (gattungsspezifisch) 23, 118, 137, 157, 159-161, 290 Siehe auch: genus. Literatur-, Prosagattung Geb [ägypt. Gottheit] 274 Gedanken (gedanklich) 113, 119-212, 140, 142-150, 152, 156 f., 160, 167, 170 172 f., 178 f., 181 f., 184 f., 205, 212, 290, 310, 312 Gedankengang 184, 300, 311 Gedankengebilde 142 Gedankengut 105, 159, 312 Gedankenlosigkeit 150 Gedankenreise 134 Gedankentrance 220, 237 f. Gefahr (gefährlich) 240, 290, 297, 301, 313 f. Siehe auch: Lebensgefahr Gefahrensituation 242 Gefährte 190, 223 f., 230, 236, 245, 302 f., 306 Gefängnis (Gefangener) 88, 171, 224, 227, 313 Gefängniswärter 46 Register 344 Gegensatz 141, 172, 176, 250, 253, 256, 277, 296 Gegenschätzung 122 Gegenstand 26, 39, 42, 129-131, 136, 141 f., 144-147, 149 f., 152, 157, 261, 268, 271, 274, 279, 282 Siehe auch: Frage-, Haupt-, Lehrgegenstand Gegenstandsauffindung 158 Gegenstandspyramide 157 Gegenteil 155 f., 177, 2207, 274, 311 Gegner (gegnerisch) 151, 254 f. Siehe auch: Feind Geheimbund 9, 36 Geheimnis 144 f., 199 Geheimwissen 36 Geist (geistig) 37, 136, 139, 170, 172 - 175, 179, 181 f., 185, 187, 196, 199, 210, 274, 285, 287 geistesgeschichtlich 183 Geistesverwandtschaft 102 Gehirn 175-177 Geld 106, 130, 196, 259, 262, 265, 297 Geldstrafe 5, 124 Gelegenheit 169 f., 263, 290, 298 f., 316 Gelehrsamkeit (Gelehrter, gelehrt) 89, 101, 139, 185, 212, 228, 233, 253, 258, 271 Geliebter 192, 196, 287, 295, 316 Genealogie 285 Generalkonzeption 170 Generalthema 256 Generation 180, 308 genus (genos; genre) 3, 21, 118, 140, 147, 157 f., 160, 194, 204, 208, 270, 287 Siehe auch: Gattung geographisch 223, 230 Geologie 9 geometrisch 37, 46 f. Gerechtigkeit (gerecht) 20, 108, 114, 125 f., 141 f., 144 f., 148, 183 f., 257, 271, 290, 294, 296, 300 Gerechtigkeitsbegriff 144 Gerechtigkeitssinn 300 Gericht (gerichtlich) 122-126, 131, 171, 173, 190, 236 Siehe auch: Volksgericht. Richter Gerichtshoheit 31 Gerichtspraxis 50 Gerichtsrede (Gerichtsredner) 3, 50, 114, 121-123, 125-127, 131, 134, 240, 280, 289 f., 304 Siehe auch: Verteidigungsrede Gerichtssprache 132 gerichtsüblich 123-126 gerichtsunüblich 124 Gerichtsurkunde 122 Gerichtsverfahren 291 Gesamtaussage 115 Gesamtgespräch 263 Gesamtinterpretation 318 Gesamtkontext 249 Gesamtkonzept 147 Gesamtrekonstruktion 255 Gesamtsinn 250 Gesamttendenz 188, 194, 246 Gesamttugend 23, 143 f. Geschichte [narratio] 129, 167, 179, 189-195, 197, 202, 207, 209 f., 216-218, 221-235, 237, 244-253, 290, 299, 301 f., 307, 309 f., 314-317 Siehe auch: Archelaos-, Charmides-, Daimonion-, Euthypron-, Glaukon-, Iphikrates-, Konkurrenz-, Kriton-, Leon-, Lysis-, Orakel-, Sokrates-Archelaos-, Theramenes-, Xanthippe-Myrto-, Zopyros-Geschichte Geschichte [historia] 203, 250, 287, 295 Siehe auch: Entwicklungs-, Geistes-, Literatur-, Sozial-, Theater-, Überlieferungsgeschichte Geschichtsschreiber 252 Siehe auch: Historiographie Geschichtswerk 252 Geschlecht 114, 193, 287 Geschwätz 61, 75 Siehe auch: adoleschia. aladsoneia Gesellschaft (gesellschaftlich) 129, 196-198 Gesetz (gesetzlich) 124, 166-168, 183 f., 230, 254,263, 295 f., 298-300, 304 Gesetzgeber 84, 271, 295, 298 Gesetzlosigkeit 294 Gespräch 11, 25, 29-31, 45, 49-52, 61, 94, 118 f., 123, 128, 131 f., 135-139, 141, 143 f., 147, 149-154, 157, 161, 168, 173, 185, 207, 216, 261 f., 248, 252, 255-257, 266, 271, 184, 286, 288, 292-299, 300, 302-304, 307, 316 f. Siehe auch: Gesamt-, Einführungs-, Jugend-, Knaben-, Kurz-, Lehr-, Prüfungs-, Reihum-, Sokrates-, Sokrates- Iphikrates-, Sokrates-Kritias-, Sokratisches-, Vier-Augen-, Vorgespräch Register 345 Gesprächsführung 58, 103, 118-120, 131, 135, 154, 160 Gesprächspartner 49 f., 119 f., 132, 135, 151, 284, 312, 315 Gesprächsperson (Gesprächsteilnehmer) 118 f., 189, 288 Gesprächstypen 154 Gesprächsvoraussetzung 152 Gestalt (gestalten) 118 f., 172 f., 190, 204, 222, 318 Siehe auch: Grund-, Sokratesgestalt Geste (Gestik) 46, 255, 317 Gewährsmann 137 f., 173, 200, 209 f., 220, 224, 238, 249, 259 f. Gewalt (gewaltsam) 196, 282, 290 f., 313 Gewaltmoral 185 Gewaltregime 288 Gewalttat 293 Gift 236 Giftbecher 236, 313 Giganten 98 Glaube (glauben, gläubig) 171, 247, 277-279, 302 Siehe auch: Götter-, Volksglauben Glaubwürdigkeit (glaubwürdig, glaubhaft) 143, 170, 192, 194-196, 198, 202, 213, 223, 243 f., 247, 267 Glaukon [nomen proprium] 260 Glaukon [Vater des Charmides] 265, 292, 317 Glaukon [Platons Bruder] 14, 248, 292 Glaukonexempel 249 Glaukongeschichte 249 Glaukonides 248, 258, 259-262 Glaukonidesdictum 258-263 Glossem 92 Glückseligkeit 47, 157, 256 Siehe auch: eudaimonia Gnomologium Vaticanum 310 gnoothi sauton 167, 174 Gorgias 201 Siehe auch: Platon (Gorgias) Götteranrufung 266, 270 Götterbild 97 Götterglaube 276, 281 Gott (Götter, Gottheit, göttlich) 24, 37- 39, 106-108, 115, 122, 128 f., 132 f., 191, 204, 220, 222 f., 227 f., 245, 266 f., 269- 279, 281 f., 311, 316 Gottesbeteuerung 272 gottgesandt 133 Gottlosigkeit (gottlos) 10, 121, 141, 276, 290, 305 Siehe auch: Asebie Grammatik (Grammatiker) 9, 16, 41, 66, 70 f., 74, 77, 85-87, 89, 92, 95, 99, 110, 200 f., 214 f., 258, 278 Greis 251, 181, 288, 303 Greisenlehrer 83 Griechen (griechisch) 98, 103, 119, 130, 136, 144, 164, 179 f., 183, 196, 238, 247, 260, 266, 270 f., 273, 279, 318 Grobheit (grob) 282, 297 f. Großbruchstelle 230 Großtat 132 f., 175, 217, 250, 280 Großvater-Hypothese 284 Grübler 80-83, 99 Siehe auch: phrontistees Grund 165, 175, 188, 191, 194, 199, 222, 224, 227, 234, 293, 299, 302 Grundbedeutung 254 Grundbegriff 140 Grundfrage 147 Grundgestalt 23, 145 Grundirrtum 163 Grundlage (grundlegend) 131, 173 Grundprinzip 30, 123 Grundsatz (grundsätzlich) 112, 167, 174 Grundsituation 221 Grundtatsache 112, 116 Grundtendenz 245 Grundtext 206 Grundüberzeugung 112, 117 Grundvoraussetzung 151 f. Grundwert 31 Gruppe 216, 227, 229 Güte [bonitas] 130 Güter [opes] 130, 311 [das] Gute (gut) 8-31, 45, 104, 111-115, 120, 124, 126, 128-134, 136, 148-150, 152, 169, 171 f., 183 f., 188, 193, 209, 235, 272 Siehe auch: agathon. Bestheit. Güte. Idee des Guten. Platon (Über das Gute). Tüchtigkeit. Vortrefflichkeit Gymnasium 225 f., 254 Gymnosophist 281 Hängekorb 36 f. Häßlichkeit (häßlich) 98, 102, 142 Haftstrafe 124 Register 346 Hagnon [Vater des Theramenes] 240 f., 244 Hahn 236, 250, 252-257, 264, 317 Hahnenkampf (Kampfhahn) 254-256, 262-264 Halbphilosoph 186 Handbuch 204 Handlung (handeln) 111 f., 114 f., 132 f., 136, 160, 171, 185, 295 Handschrift 167, 260 Handwerker 24, 26-28, 129, 189, 202, 298 Haplographie 258 Haß (hassen) 128 f., 199, 295, 29 Siehe auch: Todhaß Hauptankläger 96 Hauptanklagepunkt 277 Hauptfigur 85, 256 f. Hauptgegenstand 145 Hauptinteresse 125 Hauptquelle 188, 200 Hauptredner 104 Hauptsache 127 f., 280 Hauptthema 163 Haupttext 206 Hauptunterredner 107 f., 300 Haupturkunde 134, 170, 179 Hauptwerk 138 Hauswirtschaft 139 Hebamme 49 Hebammenkunst 49 Siehe auch: Maieutik Heer (Heerlager) 203, 206, 216, 219, 223, 227, 229, 239-243, 300 heimlich 259, 313 Held 115, 251, 257, 311 Heliaia 121 Hellas (Hellene) 62, 139, 213, 289, 305 Siehe auch: panhellenisch hellenistisch 16, 65, 103, 106, 109, 111, 201, 213 f., 234, 258, 267, 271 Hera 277 Herakleoten 96 Herakles 256 Siehe auch: Antisthenes (Herakles) Heraklit 172, 177, 180 Herkunft 158, 163, 183, 191, 200, 202, 232, 254-257, 261 f., 264 f., 294 Siehe auch: Abkunft Hermaphrodit 97 Hermes 39 Hermipp [Komiker] 75 Hermipp [Peripatetiker] 16, 279, 308 Hermokrates 285 f. Siehe auch: Trio Timaios-Kritias- Hermokates Herodikos [aus Babylon] 16, 80 f., 90, 138, 167, 203 f., 206 f., 215-218, 233, 236, 247, 298, 309 Gegen den Sokratesliebhaber (Philosokrates): 16, 80 f., 90, 138, 167, 203 f., 206, 215-218, 233, 236, 298, 309 Herodot 94, 234 f. Herrschaft (Herrscher) 142, 148, 213, 254, 299, 309, 312 Siehe auch: Terror-Herrschaft Herrschaftsformen 149 Hesiod 70 Hestiodoros [Stratege] 240 Hesych 86-88, 101 heterogen 141, 143, 147, 163, 191, 296 Hiat 68, 92 Hieronymus [aus Rhodos] 194 Hilfe (Helfer, helfen) 202, 208, 313-315 Himmel 170, 175 f. Hinrichtung (hinrichten) 10, 31, 96 f., 109, 275, 279, 285, 289, 303, 308, 312- 314 Hintergrund (hintergründig) 219, 281, 285, 315, 318 Hintersinn 218 Hinweis 176, 214, 228, 236-238, 295, 306-308, 317 Hen 12, 30, 134 Siehe auch: Eins Hippias 9, 43 f., 147, 185 Siehe auch: Platon (Hippias I & II) Hippokrates [Sokratiker] 48, 284, 306 Hippokrates [Stratege] 244 Hippolytos [Kirchenvater] 181 f., 184 Hippon 9, 43 f. Hipponikos [Vater des Kallias] 90, 264 Hermeneutik (hermeneutisch) 7, 33, 106, 108-111, 113, 115, 119, 137, 160, 163, 168, 173, 179 273, 22, 306 Historiographie (Historiograph, Historiker) 238, 203, 238, 275, 289, 314 Siehe auch: Geschichtsschreiber Historischer Sokrates 1-4, 7, 9, 12, 14- 19, 21-24, 28-30, 34, 42 f., 50, 118 f., 121, 137, 139 f., 143, 145, 151, 155 f., 161, 163 f., 169, 173 f., 176, 178 f., 297, 308, 315, 318 Register 347 Historizität (historisch) 7, 17, 33, 44- 49, 59, 64, 96, 98, 102 f., 121 f., 127, 137 f., 143, 163 f., 166-169, 177, 179, 183, 185 f., 191 f., 194-196, 198-204, 214 f., 217, 225, 234 f., 238-247, 260, 267, 278, 280, 282-287, 289, 291, 293, 296-299, 303 f., 306, 308, 314 f., 317 Hochbruchweg 230 hochfiktional 174 hochmoralisch 273 Hörensagen 165, 182, 217, 297 f. Hörer 33, 125, 131, 178, 266, 287 f. Hof 212 f., 222, 310 Homer 59, 94, 153 Homonymus 253 Homosexualität 196, 198 Humor 293 Hund 267-269, 277, 279, 281 f. Siehe auch: beim Hunde! Hungerleider 79, 93 f., 104 Hoplit 216, 239-241, 245 Horizont 121, 127, 133, 153, 160, 168, 172 f., 196, 202, 272, 274, 282, 286, 288 f., 292, 298, 304, 310, 314 f. Siehe auch: Denkhorizont Hypereides 97, 308 hyperfiktional 140 Hypothese 32, 61, 110, 112-116, 119, 150, 155, 171, 174 f., 180, 185, 199, 212- 214, 234, 263, 284 f. Siehe auch: Großvater-Hypothese; Tyrannenhypothese Hypothesis [argumentatio] 140, 151- 157, 160 f. Hypothesis [argumentum] 34, 73, 80, 100, 108, 278, 281 Hyp. zu den Wolken des Aristophanes: 34, 73, 80, 100 Hyp. zum Busiris des Isokrates: 108 f., 278, 281 Ibykos 70 idea 23, 134, 145 Ideal (ideal, idealisieren) 47, 126 f., 131, 134, 137 f., 138, 140, 204, 222, 285 f. Siehe auch: Reduktionsideal Idealfigur 256 Idee 30, 120, 134, 155 f., 174 Siehe auch: eidos. idea Idee der Ideen 30 Idee des Guten 30 Ideenlehre 12, 22 f, 26, 42, 52, 120, 144 f., 147, 154-156, 161, 172-175, 179 f., 289 Ideenphilosophie 132, 134 f., 159 f. Identität (identifizieren, identisch) 96, 172, 176, 200, 208, 216, 236, 260 f., 284 Ilissos 316 Inauthentizität 297 Indien (Inder) 57, 186 Inidividualchor 81 Induktion (induktiv) 15, 18 f., 142, 149 f., 152 Information (informieren) 102, 110, 163, 168, 185-188, 194, 200 f., 204, 208, 212, 233, 252, 269, 278, 316 Inhalt (inhaltlich) 143, 159,163, 168, 181, 189, 227, 231, 237, 248 f., 262, 312 Inkonzinnität 176 Inkonsequenz 142 f. Inkonsistenz 115, 142, 176 Ischomachos 153 f. Intellektualität (intellektuell) 102, 187 Inthronisation (inthronisieren) 180, 184 Insel der Seligen 218 Intention (intendieren) 2272, 274 Interesse 123, 125, 130, 132, 139, 159, 161, 163 f., 166, 170, 179, 186, 192, 200, 210, 213 f., 234, 237, 256, 262, 285, 287, 299 f., 314 Siehe auch: Eigen-, Hauptinteresse Interpretation (Interpret) 24, 28 f., 33 f., 42, 62, 64 f., 74, 77, 79, 81, 92, 96, 98, 101-103, 106, 111 f., 115, 126 f., 131, 153 f., 163, 165, 168, 173, 175, 178, 181, 189, 196, 204, 208, 211, 220, 223-235, 237, 248, 263, 273 f., 276-278, 282, 285 f., 306, 311, 317 f. Siehe auch: Fehl-, Gesamt-, Platon-, Sokratesinterpretation interpretatio Platonica 126-131 interpretatio Socratica 170 Institution 31, 185, 196, 198 Interpretament 92, 167, 314 Isarchos [Archon] 80 Ion [aus Chios] 164-170, 174, 179 f. 182 f., 185, 187,191 f., 195, 197-199, 201 f. Ionier 205 Iphikrates 2, 248-265, 317 Siehe auch: Sokrates-Iphikrates-Gespräch Iphikratesbeispiel 249 Iphikratesgeschichte 249 Iphikratesparänese 246-257, 261 f. Register 348 Iphikratespassage 249 Iphikratesüberlieferung 252 Iphikrateswort 251 Ironie (Ironiker, ironisch) 11, 28, 82 f., 123, 127, 154, 172, 197, 238, 261, 272- 274, 282, 289, 293, 300 Irrfahrt 128 Irre (Irrtum, irren, irrig, irreführend) 29, 129, 147, 173, 200 f., 212, 218-220, 238, 242, 244, 247, 253, 279, 287, 294, 318 Siehe auch: Grundirrtum Irrweg 298 Isokrates 58, 86, 210, 240-242, 258, 278- 280, 289, 305 f., 308, 315 Isokratesvita 98 Isthmos 165 Jahr 208, 213, 216, 250 f., 254, 257, 263, 279 f., 282, 285 f., 288 f., 296, 305 f., 307 f., 313 Jahrhundert 199, 213, 216, 253, 260, 280, 305 f., 315 Jahrzehnt 213 Jambus (jambisch) 68, 70, 91-95, 99, 270 Jambograph 270 Jenseits 120, 172, 218 Jenseitskampf 219 Jenseitsspekulation 172 Jetztzeit 271 Josephos [Historiker] 275, 277 Jüngling 197 f., 209, 286, 292, 316 Jünglingsalter 196 Jünglingsinitiation 196 Jugend (jung) 122, 165, 178 f., 187 f., 191-193, 195-197, 199-201, 209 f., 251, 254 f., 262 f., 265, 277, 288 f., 290, 292, 294, 296, 298, 300, 307, 317 Jugendgeschichte 192 Jugendtat 252 Jugendverderbnis (Jugendverführung) 10, 275 f., 279-282, 293, 305, 307 Junktur 157, 1195, 225, 230 juristisch 122, 127, 313 Justin [Historiker] 283, 303, 313 Justizirrtum 124 Justizskandal 124 Kaiserzeit 77, 222, 267, 269, 277 Kallaischros [Vater des Kritias] 306 Kallias [Komiker] 10, 61, 65-67, 71 f., 102 f. Pedetai: 65, 71 Kallias [Stratege, Sohn des Hyperochides] 239, 242-244 Kallias [Politiker, Sohn des Hipponikos] 25, 90, 93, 131, 250, 252-257, 264, 284, 286, 293, 2297 f., 306, 317 Siehe auch: Aischines (Kallias) Kallikles 185, 274 Kallimachos 198 Kallisthenes 194 kalon 128, 144, 148-150 Kälte (kalt) 175-177, 238 Kameradschaft (Kamerad) 205, 209, 316 Kampf (kämpfen) 206, 209, 216, 226 f., 232 f., 243, 247, 252, 254-256, 263-265, 317 Siehe auch: Hahnen-, Straßenkampf. Wettkämpfer Kampfpreis (Kampfesauszeichnung) 206-210, 212, 215 f., 218-220, 231, 233, 240-243, 245 f. kanonisch 164, 308 Kaphisias [Thebaner, persona Plutarchi] 223, 225 Kapitel 158 f., 233, 249 karikieren 277 Karriere 251, 255, 290 karteria (karterikos) 78, 236 Katalexe (katalektisch) 68, 77, 85, 91, 93 f. Katalog 257, 312 f. Siehe auch: Schriften-, Untatenkatalog Kategorien 125, 180, 305 Kavallerist (kavalleristisch) 204, 234 Kebes 14 Kebsweib 194 Kenntnis 139, 163, 168, 204, 269, 274, 297 Siehe auch: Sachkenntnis Kennzeichen 173, 181, 195, 198, 208, 288 f. Kephalos [Vater des Lysias] 288 Kephisophon [Lyriker] 65 Keulstab 56 Kimon 165 f. Kirchenhistoriker 187 Kirchenvater 188, 273, 275 Kitharaspieler 83 f. Kitharode 82 Register 349 Klage 248 Siehe auch: Anklage Klagepunkt 277 Klappmöbel 48 klassisch 88, 1141, 149, 154, 247, 258, 262 Kleinias [Sohn des Axiochos] 297, 316 Kleon 203, 244 Kleopompos [Stratege] 240 Kleruch 240 Knabe 188-191, 197 f., 226, 234, 284- 288, 297, 316 Knabenalter (Knabenjahre) 19, 196 Knabengespräche 226 Knabenliebe 98, 102, 196-199, 202, 296 f. König (Königtum) 149, 222, 271, 310 Kohärenz (kohärent) 43, 65, 232 -234 Kollageverfahren 191 f. Kolometrie 93 Kolonie 239 Kolonos 310 Komiker (komisch) 2, 10, 17, 32-35, 42- 45, 47 f., 50, 52-55, 61 f., 64 -67, 69, 70 f., 74-76, 78, 163, 169 f., 253, 271 Siehe auch: Komödie Kommentar (Kommentator) 91 f., 151, 180 f. Kommando 227, 239, 241 f. Komödie 3, 5, 9, 27, 46, 61 f., 64-104, 116, 119, 163, 203, 247, 252, 259, 261, 266, 270, 276, 307 Siehe auch: Alte Komödie. Attische Komödie, Komiker Komödienaufführung 307 Komödienspott 33, 37 Siehe auch: skoptisch Kompilation (Kompilator, kompilieren) 210, 232 f. Komplex 277, 296, 306, 317 Siehe auch: Euthydemos-, Sokrates- Alkibiades-, Überlieferungskomplex Komposition (komponiert, kompositorisch) 131, 189 f., 195, 249, 305 Konfrontation (konfrontieren) 199, 202, 262, 271 Konfusion (konfundieren) 218 f., 242, 253, 276 f., 301, 304 Konjektur (konjektural) 70, 72-74, 106, 226, 258, 260 konkret (in concreto) 106, 127, 176, 179, 195, 204, 209 f., 221, 235, 241, 243 f., 246 f., 295 -297, 299 Konkurrenz (Konkurrent, konkurrenzieren) 254, 278, 301 f., 305 Konkurrenzdarstellung 216 Konkurrenzerfindung 202 Konkurenzerzählung 220, 222 Konkurrenzgeschichte 88, 173, 189, 206 Konkurrenzgründung 218 Konnex 127, 164 Konnos 79, 82-8 Siehe auch: Ameipsias (Konnos) Konnotation (konnotieren) 98, 130, 297 Konon 306, 308 Konsens (konsensfähig) 132, 153-155, 161, 184 Kontamination (kontaminieren) 212, 220, 232, 234, 276 Kontext 69 f., 78, 80, 109,153, 165, 182, 184, 186, 211, 225, 230, 238, 248 f., 261, 297 f., 312 Siehe auch: Gesamtkontext Konsequenz (konsequent) 119, 132, 142, 209, 247, 2272 konstatieren 138, 168, 172, 182, 184, 189, 197, 199, 204, 209, 235 f., 224, 246, 253, 271, 280, 282, 297, 299 Kontrast (kontrastieren) 114, 164, 178, 189, 244, 260 Konstruktion (Konstrukt) 85, 93, 169, 178, 185, 191, 195, 201, 209, 299 f. Siehe auch: Fehl-, Satzkonstruktion Kontubernium 240, 243 Konzept (konzipieren) 118, 126, 131, 144 f., 147, 149, 160, 163, 1171 f., 174, 177, 249 Siehe auch: Gesamtkonzept. Generalkonzept Korax [Rhetor] 123 Koroneia 235 Korrektur (korrekt, korrigieren) 147, 164, 167, 186 f., 2204, 218, 242, 277, 279 korrupt 87, 177, 219, 226 Kosmologie (kosmologisch) 9, 32, 25, 42 f., 104, 184 Kosmos 284 Kostüm 78, 81 Kraft 170, 178, 230, 239, 256, 264, 294, 308 Register 350 Siehe auch: Denkkraft Kranz 210, 240 Krates [Komiker] 65, 171 Kratinos 43, 59, 65, 80 f., 270, 272 f. Kratzgewand (triboon) 76 Kreta 271 Krieg 151, 166, 205, 212, 214, 216, 235, 240, 247, 263, 265, 293 Siehe auch: Archidamischer-, Korinthischer-, Peloponnesischer-, Samischer Krieg Kriegsdienst 166, 240, 247 Kriegsereignis (Kriegsunternehmen) 203-205, 226, 235, 239 f. Kriegsführung 239 Kriegsschauplätze 203 Kriegstaten 203 f. Kriegstüchtigkeit 237 Kriegszug 165, 203 f., 235 f. Kriegszweck 168 Kriterium 118, 125, 260, 285 Kritias [Großvater des Großvaters des Tyrannen] 285 Kritias [Großvater des Tyrannen] 284- 286 Kritias [Sohn des Kallaischros. Chef der Dreißig] 10, 87, 89, 283-287, 289, 291-299, 302-308, 313, 315 Siehe auch: Platon (Kritias). Trio Timaios- Kritias- Hermokrates Kritias-Passage 300 Kritik (Kritiker, kritisch) 7, 17, 31, 33 f., 92, 112, 137 f., 171, 180, 185, 199, 201, 204, 212-215, 226, 233, 235, 238, 244- 247, 256, 275, 278, 280, 285, 289, 291, 293, 296, 299, 304, 306, 308 f., 312 f., 315, 318 Siehe auch: quellen-, text-, vorkritisch Kritobulos 124, 297 f. Kriton 14, 124, 200, 202, 220, 297 Siehe auch: Eukleides & Platon (Kriton) Kriton-Geschichte 202, 221 Kroton 36 Kunst (künstlerisch) 143, 151, 160, 184, 243, 280, 299 Siehe auch: Definitions-, Rede-, Widerlegungs-, Wortverdrehungs-, Widerlegungskunst Kunstfigur 171 Korinth (Korinther) 139, 219, 235, 239, 241 f., 257 Korinthischer Krieg 235, 250 f., 257, 262 f. Kult (kultisch) 273, 279, 282 Kultlegende 271-273 Kultur (kulturell) 62, 184 f., 196 Siehe auch: soziokulturell Kulturentstehungslehre 184 f. Kunstgriff 140, 198 Kunstprosa 125 Kunstwort 130, 159 Siehe auch: Neologismus Kurzidalog 149 Kurzform 317 Kurzgespräch 150 Kuß 197 Kynismus (Kyniker, kynisch) 47 f., 77, 310 Kyrill 268, 275, 277 Kyros [der Große] 256 Siehe auch: Antisthenes (Kyros) Kyros [minor] 213 Laches 193, 215 f., 221-224, 227 f., 244- 246 Siehe auch: Platon (Laches) Lakedaimon 259 Lakonisten 54, 56, 77 Lakomanie 54 f. Laktanz 268, 273 Lampon [Seher] 71, 270, 272 Lamprokles [Sohn des Sokrates] 192 f., 248 Lamproklesexempel 249, 261 Lampros [Musiker] 82 f. Landbau (Landwirtschaft) 139, 153 f. Landenge 239, 242 Landesverrat 275 Landweg 212-215, 244 Langrede 51, 136 Lanze 227 lapsus calami 297 lapsus memoriae 220, 297 larvieren 158, 217, 312 lavieren 309 Leagros [Vetter des Andokides] 260 Leaides [Urgroßvater des Kritias] 285 Leben (leben) 132-134, 184, 189, 197, 199, 253, 263, 293 f., 298, 300, 309-311, 314, 316 Lebensalter 288 Lebensaufgabe 125 Lebensdauer 177 Register 351 Lebenserfahrung 112 f. Lebensgefahr 204 Lebensführung 189, 199, 298, 309, 317 Lebensresümee 166 Lebensstil 79, 100, 102 Lebensverhältnis 191 Lebensweg 250 Lebensweise 294 Lebenswirklichkeit 138, 247, 271 Lebenszeit 177 Lebewesen 170, 175, 177, 184 lectio incerta 100, 105 Lehrangebot 35 Lehrer (Lehre, lehren) 29, 38, 62, 71, 73, 102, 104 f., 108, 111 f. 115, 120 f., 130,134, 160, 169, 177 183-184, 186 f., 189 f., 200 f., 255, 294 f., 298, 304, 309, 315 Siehe auch: Ideenlehre. Schüler-Lehrer- Verhältnis. Sokrates-Lehrer Lehrbarkeit 143 f. Lehrer-Schüler-Verhältnis 109, 168, 182 f. Lehrgegenstand 117 Lehrgespräch 152, 154, 173 Lehrmeinung 115, 169, 177, 180 lehrreich 168, 212, 267 Lehrvortrag 134 Leichtbewaffneter 239 Leistung (leisten) 231, 256, 263, 265 Leiturgie 293 Lemma 87 Leogoras [Vater des Andokides] 259 Leon [aus Salamis] 290 f., 299, 301-304 Siehe auch: causa Leonina Leon-Geschichte 301, 303 Leukipp 43 Leuktra 139 Lesart 87, 92, 97, 258 Siehe auch: lectio incerta Leser (lesen) 109, 151, 157, 160, 166, 178, 193, 204, 208-210, 226, 228, 230, 243, 287 f., 292, 295 f., 298, 304, 311 f. Lexik (lexikalisch) 86 f., 98, 100, 114, 132 Libanios 16, 212 f., 236-238, 280 f., 305 Apologie des Sokrates: 16, 212 f., 236 f., 280, 305 Über das Schweigen des Sokrates: 16, 305 Licht 117, 170 Liebe (lieben) 23, 114, 144 Siehe auch: Knabenliebe Liebling 169, 187, 192, 197 Lieblingsthema 98 Liebesverhältnis 196 Liebesverlangen 197 Liebhaber 169, 189, 191 f., 196 f., 287, 293, 306, 316 Lied 85 f., 88 f., 114 Liquidierung (liquidieren) 284, 309 literarhistorisch 80, 137 Literarizität 117 Literatur (literarisch) 1-5, 7, 9, 13-17, 19, 22, 33, 45 f., 64, 83, 88, 97, 101, 110, 117-123, 127, 131, 133, 136-140, 154, 163, 172 f., 178, 190, 197, 204, 208210, 215, 218,222, 226, 228, 245-247, 249 f., 260 f., 278, 282, 286-291,293, 296-298, 300, 302, 306, 314-316, 318 Siehe auch: Prosa-, Sokrates-, Sokratiker- Literatur Literaturform 11 Literaturgattung 10 Literaturgeschichte 67 Literaturwissenschaft 17, 109 f., 163 Lob (loben) 197 f., 235,261 f., 280, 287, 294 f., 305, 308, 314 Lobredner 305 locus classicus 106, 136, 138, 296 Logik 61, 69, 72, 89, 94, 102 f., 249 Logos (logos) 34, 41, 171, 179 Lösung (lösen) 173, 258-260 Lösungsversuch 175 f. Lösungsvorschlag 177 Lokalisierung (lokalisieren, lokal) 228, 233, 237 f. Siehe auch: Relokalisierung Lügengeschichte 207 Lügenhaftigkeit 208 Luft (luftartig) 37-39, 43, 175-177, 276 Luft-Theologie 276 Lukian 84, 218 f., 225-227, 229, 236, 253, 258, 68, 273, 311 Lukillos [aus Tarrha] 95 Lust 30, 111 Luxus 104, 253 f. Lykon 96, 121, 276 Lykurg [Redner] 58 Lykophron 97 Lynchmord 96 Lyra 86, 88 lyrisch 65, 68 Lysimachos [Sohn des Aristeides] 215 Lysias 5, 10, 33, 163, 257, 283, 298, 305 Register 352 Apologie des Sokrates: 10, 33, 257, 305 Lysis 248 Siehe auch: Platon (Lysis) Lysisexempel 249, 261 Lysisgeschichte 249 Macht (mächtig) 290, 294, 298, 314 Machthaber 283, 290, 296, 299, 301- 304, 314 Machtmensch 295 Magie (magisch) 57 f. Mahnrede 98, 248 Mahnung (Mahner) 223, 313 Maieutik (maieutisch) 49 f. Makedonenkönig 213, 241, 310 Makedonien 239 Maledizenz (maledizent) 186-188, 192 f., 306 Manifestation (manifest) 237, 273, 300 manisch 297 Mann (mannhaft) 114, 128, 182, 192, 206, 120, 193, 196-198, 216, 227, 242, 251-257, 259 f., 262, 264 f., 272, 281, 285, 287, 288-289, 293-296, 303, 305, 309 f., 313 f. Mannesalter 198 mann-männlich 198 Mannschaft 313 marginal 213, 234 f. Maske 46 Maßvolligkeit 288 Siehe auch: enkrateia Materie (material, materiell) 138, 189, 194 f., 210, 270, 282, 296, 306 f., 317 Mathematik (mathematisch) 89, 134, 152, 155 Maximus [aus Tyros] 79, 84, 219, 297 f. Über die Erotik des Sokrates: 297 Medium 136, 258, 299 Meidias [komooidoumenos] 250, 252, 254-256, 264, 317 Meidias [Sohn des Kephisodoros, athen. Politiker] 253 Meineid (Eidbruch) 280-282 Meinung 154, 161, 210, 248, 280 Siehe auch: Fehlmeinung, Lehrmeinung Meinungsvielfalt 178 Meinungswechsel 275 Meister (meisterhaft) 196, 303 Meisterwerk 117-134 Melanthios [Tragiker] 71 Melesias [Sohn des Thukydides] 215 Meletos [Ankläger des Sokrates] 25, 50, 96, 121, 127, 131, 187, 275 f., 278 f., 291, 300, 305 Meletos [Vater des Anklägers] 121, 291 Meletos [Ankläger des Andokides] 291 Melobios [Mitglied der Dreißig] 283, 305 Melos (Melier) 32, 39 Memoiren 11, 14, 138, 163 f. Siehe auch: Sokratesmemoiren. Xenphon (Memorabilien) Memoiren-Form Memoiren-Schreiber 139 Menedemos [aus Pyrrha] 49, 187 Menexenos [Sohn des Sokrates] 192 f. Mensch (menschlich) 112-114, 128- 130, 133 f., 136, 141 f., 149, 153, 155, 166 f., 171, 175-177, 184 f., 190, 192, 248, 271 f., 290, 294 f., 308-310 Siehe auch: Mitmensch Menschenfresser 305 Menschenprüfung 25, 126, 130, 204 Metagenes [Komiker] 252 Meta-Wissen 287 Meteorologie (meteorologisch) 9, 37- 39 Meteorosophist 40 Metamorphose 121, 173 Metapher (metaphorisch) 70, 97, 113 f. Methode (methodisch) 15, 25 f., 49, 5- 52, 53, 61, 105, 108f., 113, 131, 135-137, 140, 154 f., 158-160, 164, 238, 248 Siehe auch: Denkmethode. Sokratische Methode Metöken 291, 313 Meton [Astronom] 43 metonymisch 98 Metrik (Metrum, metrisch) 9, 41, 43, 51, 66, 77, 85, 90-93, 95-97, 99 Militär (militärisch) 139, 165, 203 f., 219, 226 f., 250, 252, 255, 257, 303 Militärdienst 204 Militärexpeditionen 165, 235 mimeesis 118, 137 Mimus 137 Siehe auch: Prosa-Mimus Minotauros 98 Mischkrug 89 Missetaten (Missetäter) 308 f. Mißfallenskundgebungen 123 Register 353 Mißverständnis (mißverstehen) 150, 160, 196, 211 f., 238, 274 Mitglied 239, 288, 291, 298, 309, 312, 315 Mitmensch 253, 294 Mitspieler 68, 90 Mittelpunkt 167, 172, 190, 192, 199, 227 Mitunterredner 150, 312 mixtum compositum 169 Mnesilochos [Schwiegervater bzw. Sohn des Euripides] 65-70 Mneson [Bürger von Amphipolis] 208 f., 215 Moderne (modern) 44, 110-116, 118, 136-138, 163, 180, 196, 198, 204, 225 f., 228 f., 249, 301, 306 Möchtegern-Demagoge 253 Mond 278 Monat 254 monodisch 85, 88 Monographie 186 Montageverfahren 191 f., 195 Monstrosistät (monströs) 98, 312 Monumentalwerk 195 Moral (moralisch) 76, 132, 194, 196 f., 248, 307, 309 Siehe auch: Ethik. Gewaltmoral. Hochmoralisch. Mord (Mordtat) 287, 291, 299 More [cohors] 257 more Aristotelico 104 Motiv (Motivik, motivieren) 112, 209 f., 216, 232-234, 237 f., 301-303, 312 Siehe auch: Erzählmotiv Mündlichkeit (mündlich) 8, 29, 31, 45, 94, 102, 110, 118, 136 Siehe auch: Oralität Musik (Musiker, musikalisch) 82 f., 89, 186 Musen (musisch) 88 f., 189 Musikwissenschaft 186 Musterbeispiel 252 Musterbilder 171 Mut (mutig) 216, 256, 263-265 mutlos 250-252, 255, 263, 265 Myrtenzweig 88 Myrto [Frau des Sokates] 192-195 Siehe auch: Xanthippe-Myrto-Geschichte Myste 36, 48 Mysterienpriester 9, 36, 169 Mystik (Mystiker, mystisch) 35, 37,42, 47, 102 Mythos (mythisch) 97, 172, 271-273 Siehe auch: Atlantis-Mythos Nachahmung (nachahmen) 118, 123, 267, 310 Siehe auch: mimeesis Nachdichtung 225 Nachprüfung 171 Nachricht 188, 240, 246, 252, 267 Nachweis (nachweisen) 269, 282, 304 Naivität 121, 173 Name (namentlich) 172 f., 178, 178, 183, 200, 214, 222, 224, 231, 235, 237, 242, 260 f., 270, 281, 283 f., 289, 291, 304, 308, 311 Siehe auch: Eigen-, Personen-, Spott-, Städtename Namensform 260 Namensliste 305 narrativ 127 Natur (natürlich) 114, 141, 167, 170, 178, 184 f., 202, 286, 294 Naturanlage 129, 193, 285 Naturphilosophie (Naturphilosoph) 9, 18, 32, 35, 37, 40-45, 47, 102, 136, 141, 164, 166, 168-171, 174 f., 179 f., 180, 183, 199, 202, 276 Naupaktos 241 Nebenkläger 96 Nebenperson 104, 108 Nebenquelle 200 Nebenunterredner 107 Nemea 316 Nemea-Bach 235 Nennung (nennen) 173, 288, 290 Neologismus 56, 50, 72, 80, 84, 100 Neuformulierung 144 f. Neufassung 274 Neuplatoniker (neuplatonisch) 91, 181, 187 Neuzeit 135 nicht-fiktional 308 nicht-hypothetisch 155 nicht-platonisch 158,212 Nichts 179 Nichtsein 288 Nichtstun 253 Nichtwissen 28 f., 51, 128 ., 131, 136, 160, 171, 173, 201 Niederlage 139, 203, 246, 251, 286, 288 Register 354 niederig [humilis] 252, 255, 257, 262 Niemand 253, 263 Nietzsche 8, 32, 62 f., 185 Nikeratos 93, 291 Nikias 203 Nomenklatur 158, 223 Norm (normativ) 124-126, 184 f. Notiz (notieren) 177, 181, 184, 200, 214 f., 220, 234, 242, 248, 267, 271, 275 f. Siehe auch: Simplikios-Notiz notorisch 226, 234, 250, 258, 274, 282, 301, 303, 306, 308, 310, 314 f. Notwendigkeit (notwendig) 136, 167, 178 novellistisch 252 Novität 217 nüchtern 175 Nutzen (nützlich) 150, 152, 221, 259, 263, 265, 311 Nymphen 274 Oberbefehl 225 Objekt (objektiv) 115,125 f., 261 f., 297 ochlokratisch 108 Ode 4 f. Odysseus (Odyssee) 56 f., 129, 133, 153, 310 Ödipus 310 f. Öffentlichkeit (öffentlich) 194, 296, 299, 311, 313, 315 ökonomisch (in oeconomicis) 139 f., 317 Offener Brief 289 Oligarchie (Oligarch, oligarchisch) 54, 108, 262 f., 284-293, 303, 307, 313,315 Oligarchen-Regime 283 Omnipräsenz 118 f. Omphalos 274 Olympiodor 91-93 Olympische Götter 277 Olynth 239 Ontologie (ontologisch) 12, 20-22, 30, 52, 134, 160, 180 onta 149, 160, 171 Opfer (opfern) 236, 277, 279, 287, 291 Optik 117, 126, 137, 140, 180 Orakel 128 f., 131.,133, 189 Siehe auch: Chairephonrakel. Delphisches Orakel Orakel-Geschichte 189, 191 f., 195 Orakelrätsel 133 Orakelspruch 189 Oralität (oral) 1, 30, 131, 136, 299 Siehe auch: Mündlichkeit oratio recta 131, 212, 280 Ordnung (ordnen, ordentlich) 124, 141, 160, 170, 178, 188 f., 294, 298 Ordnungsprinzip 175 Orient 259 Originalität (original, originell) 140, 159, 225, 310 Originaltext 190 Oropos 229 Orphiker (orphisch) 9, 35, 169 Ort (Örtlichkeit) 207, 213, 219, 223 f., 228, 230,235, 2456, 270, 298, 302 f., 310 f., 317 Ortsangabe 218 f., 228, 235 Ortsbestimmung 225 f., 230 Siehe auch: Standortsbestimmung Ortswechsel 224 Ostrakon 285 Ovid 98 Ozeanopgraphie 39 Paar (paarweise) 141 f., 199, 285, 307 Siehe auch: Frage-, Paradigmen-, Vater- Sohn-Paar Paarbildung 142 Pädagogik (Pädagoge, pädagogisch) 25 f., 98, 131, 133, 170, 181 f., 185, 188- 191, 195 f., 199, 202, 306 Päderastie 98, 102, 196 Siehe auch: Knabenliebe paläographisch 74, 87, 92, 225 Palästra 206, 225 Pallene 239, 241 Panaitios 60, 221 Panathenäen 288 panegyrisch 233 f. Panegyrici Latini 98 panhellenisch 21 Panhoplie 210 Panorama 120, 176, 178, 186 Pantheon 38 Paränese 248 Siehe auch: Iphikratesparänese Papyrus 100, 104 Parabase 34, 48, 53, 77, 90, 93-95 Paradigma (paradigmatisch) 4 f., 35 43 50, 126 f., 131, 141-143, 145, 147-149, 176, 237 f., 294 f., 310-312 Siehe auch: Bühnen-Paradigma, Frage- Paradigma Paradigmen-Paar 142, 148 Register 355 Paradigmenwechsel 142, 147, 172 f., 179, 183, 185 paradoxographisch 14, 280, 305 Paradoxon 115 Parallelbeispiel 235 Paralleldarstellung 216 Parallelität 233 Parallelüberlieferung 188 Parameter 196 Paraphrase 189, 255, 258 Parasit (parasitisch) 90 f., 94, 225 Park 139, 218 Parmenides 177 f., 180, 197, 287-289 Siehe auch: Platon (Parmenides) Parnes 218 f., 223-227, 229 f. Parodie (parodieren, parodisch) 43, 70, 79, 198, 218 f. Parodos 37 f. Passage 100, 103, 105, 150, 153, 159, 178, 200, 226, 249, 262, 277, 280, 299 Siehe auch: Iphikrates-Passage; Kritias- Passage; Textpassage Patronymikon 260-262, 317 Pausanias [Arzt] 297 f. Pausanias [Lexikograph] 101 Pedantismus 204 Peisandros [athen. Politiker] 57 f., 93 Peison [Mitglied der Dreißig] 283, 305 Peloponnesischer Krieg 2, 65, 71, 109, 203, 239, 283 Perdikkas [König von Makedonien] 241 Perikles 71, 166, 252 f., 259, 286, 295 Perikles [minor] 139 Perikleische Zeit 259 Periktione [Mutter Platons] 287 Periode 26 Peripatetiker (peripatetisch) 16, 110, 179 f., 183, 186, 201, 308 Perserdinge 140 Perserfreund 139 Perserreich 139 Person (Persönlichkeit, persönlich) 77- 79, 81, 92 f., 96, 99, 102, 106, 111 f., 115, 117, 119, 121, 124, 129 131, 137 f., 141, 150 f., 163, 166, 169, 173, 179, 182, 186, 190-192, 194, 204, 208, 216, 218, 220, 222, 227 f., 231, 235, 238, 240, 243, 245 f., 256, 260, 262, 274, 282-287, 289, 294, 301-303, 308, 313, 316 Siehe auch: Gesprächs-, Nebenperson Personal 234, 316 Personennamen 224 Perspektive 35 f., 38, 40-42, 45, 49, 52, 114, 117 Siehe auch: Erzählperspektive Pfau 258-262, 265, 317 Pferd 216, 232 f., 245 Pflanze 266 f., 269-271 Pflicht 139, 196 Phänomen 174 f., 185, 271, 281 Siehe auch: Seinsphänomen. Welt-Phänomen Phaiax [Sohn des Erasistratos; athen. Politiker] 315 Phaidon 5, 14, 33, 137, 193, 231, 269 Dialoge: 137 Zopyros 193 Siehe auch: Platon (Phaidon) Phaidros 114, 367 Siehe auch: Platon (Phaidros) Phainias 16, 136 Über die Sokratiker: 16, 136 Phanomachos [Stratege] 240 Phantasie (phantastisch) 194, 232 Phase 174 f., 295 Philochoros 109 Philolaos 36 Philologie 110, 280 Philoponos 220 Philosophenschulen 77 Philosophie (Philosoph, philosophisch) 3, 7-32, 39, 42-44, 53, 644, 70, 76, 79, 81, 98 f., 102, 106, 112 d., 115, 117-134, 136, 138, 140, f., 144 f., 14-149, 150, 155, 157, 161-163, 167, 169, 171- 174, 176-184, 186, 188-190, 199, 204, 210, 282, 285, 288-290, 294 f., 299, 313 f. Siehe auch: Halbphilosoph. Ideen-, Naturphilosophie. Popularphilosoph. Seinsphilosophie. Spaßphilosophie. Vorplatonische Philosophie Philosophiegeschichte (Philosophiehistoriker) 3, 7-9, 17 f., 23, 29 f., 32-53, 118 f., 136, 143, 163 f., 174 f., 178-180, 182-185, 187, 195, 198 f., 201, 204, 318 Philostrat 109, 268, 281 Philoxenos [Schüler des anaxagoras] 309 Phokion 253 Phormion [Stratege] 239-244 phrontistees (phrontidsoo) 80 f., 84, 94, 99, 130 Register 356 Phryger 68 f. Phrynichos [Tragiker] 103 Phrynichos [Komiker] 81, 252 f. Phrynichos [Sophist] 57 f., 100 Phyle [Dorf in Attika] 229, 231 Physik (Physiker) 175, 182-184 Physiognomik (Physiognom) 46, 192 f. Physiologie 9 physis 129, 170, 178, 184 f. Piräus 283, 287, 290, 292, 302 f., 307, 309 Pitthos [athen. Deme] 121 Plagiatvorwurf 65 Plataiai 241 Platane 268 f., 277, 281 f. Siehe auch: bei der Platane! Platon [Komiker] 55, 81, 252, 254 Platon [Philosoph] 2, 4, 6, 7 f.,11-31, 33, 39, 42, 45-52, 55, 58, 64, 77, 79 f., 82- 84, 86-90, 95, 97, 112, 114, 117-138, 140, 143-151, 154-161, 163, 166-180, 185-187, 190, 197, 199-201, 204-222, 226, 228, 231-238, 240-246, 248-250, 252, 254, 256 f., 259-261, 266 f., 269, 273-278, 282, 284-293, 297-308, 312, 314-317 Siehe auch: Antisthenes (Sathon). außerplatonisch. interpretatio Platonica. pseudoplatonisch Apologie: 2, 4-6, 12, 17, 24-28, 30, 39, 47, 49 f., 58, 80, 106, 117-134, 163, 167, 170- 174, 179, 185, 204, 236, 266, 276-278, 290, 299 f., 303, 314 [Alkibiades I]: 252, 254 [Axiochos]: 316 Charmides: 12, 20, 22 f., 143, 145, 174, 205 f., 215, 226 f., 242 f., 256, 266, 284, 286 f., 293, 307, 315 f. Definitionsdialoge: 22-24, 26, 52, 143- 147, 160, 174 Dialoge: 15, 26, 118-121, 126, 134, 137, 148, 163, 197,285 Dihäretische Dialoge: 26, 157 ff. Euthydem: 12, 52, 79, 83, 293, 316 Euthyphron: 12, 20, 22 f., 51, 55, 86, 112, 126, 154, 185, 227, 261, 266, 273 f., 278, 282, 299, 300 f. [Eryxias]: 315 f. Frühdialoge (Frühschriften): 12, 20, 24, 111, 119-121, 143, 149-152, 159, 161, 173 f., 257, 282, 284, 306 f. Hippias I: 12, 20,22, 23, 144-147, 150, 174 Hippias II: 12, 24 f. Ion: 12, 24 f. [Kleitophon]: 312 Kratylos: 12, 26, 86 Kritias 12, 284 f. Kriton: 12, 24 f. 88, 166, 168 Laches: 12, 20, 22 f., 143, 145 f., 174, 215 f., 256 Lysis: 12, 22 f., 144 f. Mittlere Dialoge (Schriften der Reifezeit): 12, 23, 52, 120, 154, 156 Menexenos: 12, 79, 82, 250 Nomoi: 12, 58, 118 f., 285 Parmenides: 12, 197, 227, 288 f. Phaidon: 12, 42, 45, 88, 121, 156, 169- 176, 200, 236, 266 Phaidros: 12, 21, 42, 58, 79, 114, 120, 126, 155, 157 f., 160, 266, 267 Philebos: 12 Politeia: 12, 20, 42, 87, 114, 143 f., 148, 154, 156, 201, 266, 289 Politikos: 12, 20 f., 148, 157-160 Prosa: 117 Protagoras: 12, 22 f., 26, 48, 55, 77, 80, 90, 95, 111 f., 136, 143 f., 174, 284, 286, 298, 306 f. Siebter Brief: 117 f., 134, 287-290 [Sisyphos]: 212 f. Spätdialoge (Spätschriften): 12, 21, 26, 119 f., 148, 157, 284, 287-290 Sokratische Schriften: 11 Symposion: 12, 42, 45, 47, 77, 79, 87-89, 97, 120, 205 f., 211 f., 215 f., 218, 237 f., 241 f., 287, 298 Sophistes: 12, 21, 25, 157 f., 160 Theätet: 8, 12, 26, 49, 80 [Theages]: 190, 224, 228, 316 (Thrasymachos): 143, 145 Timaios: 12, 284-286 Über das Gute: 30, 134 Werke (Gesamtwerk, Schriften): 11 f., 26, 117 f., 172, 250, 267 Platonbiographie 219, 236 Platonforschung 11, 118 Siehe auch: Schottische Platonschule Platoninterpretation 237 Platoniker 187 Platonischer Sokrates 4, 11 f., 15, 18 f., 21, 28, 33, 42, 46 f., 49, 82, 113 f., 145- 147, 150 f., 156, 160, 171, 173-176, 178 f., 204, 206, 217 f., 266, 276, 296 Platonreminiszenz 226 Platonrezeption 161 Platontext 167 Register 357 Platontradition (-überlieferung) 219 Plausibilität (plausibel) 138, 153-155, 161, 164, 199, 201, 210, 213 f., 225, 234, 296 Plotin 187 Plutarch 16, 96, 188 f., 190, 209-211, 223-227, 229 f., 251 f., 259, 309, 315 Über das Daimonion des Sokrates: 189 f., 223 Plutokratie 149 Pluton 59 Poesie (poetisch) 3, 9 f., 30, 34 f., 37, 39, 42, 52 f., 58, 61, 65, 69, 79-82, 84, 86, 96, 99, 102, 106, 114, 117 f., 137 f., 163 f., 168-170, 270, 278, 318Pointe 88 f., 194 Siehe auch: Literatur Polemik (polemisieren) 112, 212, 214, 236, 245, 280 Polis 31, 37, 54, 76, 124, 142, 148, 152, 196, 208, 215, 226, 235, 278, 293, 299 Polisgemeinschaft 216 Politik (Politiker, politisch) 24, 26, 28 f., 31, 34-36, 54, 58, 96, 99, 106, 108, 114, 121, 128-130, 139, 142, 148 f., 151, 159, 179 f., 206, 208, 217, 249, 252 f., 262, 284-292, 294 f., 298 f., 302-304, 307, 309, 311, 312, 315 f. Pollux [Grammatiker] 101 Polos [Schauspieler] 310 Polybios 258 Polykrates 5, 10, 14, 29, 33, 160, 163 257, 278-282, 304-308 Anklagerede gegen Sokrates: 10, 33, 257- 278-282, 304-306 Polymnis 223 [Thebaner, persona Plutarchi) Popularphilosoph 11 populär 270 f., 299, 323 Porphyrios 186-190 Porphyriostext 189 Potidaia 165, 203-220, 225 f., 232 f., 237-247 Präludium (präludieren) 120, 172, 179 f. Prämisse 14, 30, 115 Präzisierung (präzise) 184, 211, 225, 230, 240 f. Praxis (praktisch) 25 f., 29, 123, 131, 160, 196, 282, 300 Siehe auch: Gerichtspraxis. Schwurpraxis Preis 206, 209, 217, 264 Siehe auch: Kampfpreis Priapeen 90 Primat 111 f. Prinzip (prinzipiell) 133, 155, 175, 177, 179, 181 Siehe auch: Grund-, Zahlprinzip Prinzipienlehre 181 Priorität 146 f., 185, 190 privat 130, 165 f., 290, 300 Privatreise 165, 167 Privilegien 256 Problem (Problematik) 104, 117-119, 144, 164, 172, 175-177, 179, 199, 215, 248 f., 259, 26 Problemfeld 176 Prodikos 9, 40, 43 f., 309 Produkt (produzieren) 169, 177, 232, 280, 308 profan 272-274, 279 Programm (programmatisch) 77, 111, 135, 143, 186 Programmschriften 23, 104 Siehe auch: Antisthenes (Programmschriften) Proklos 91 f. Proletarier (proletarisch) 252, 254 prominent 214, 228, 252, 254, 278, 309 Proömium 88, 125, 143, 305, 308 Propädeutik 41 Profession (professionell) 253 f. Prophezeiung (prophezeien, prophetisch) 120, 172, 190, 262 Prosa 3, 92, 117, 158 Siehe auch: Kunstprosa. Sokratische Prosa(schrift) Prosadialog 11 Prosagattung (-genus) 118, 136 f. Prosaliteratur 137 Prosa-Mimen 11 Prosaschrift 118 Siehe auch: Sokratische Prosaschrift Prosatext 101 Prosopographie (prosopographisch) 253, 260 Prostituierte 192, 194 Protagoras 9, 43 f., 48, 80 f., 99, 109, 112, 184, 284, 286, 307 Siehe auch: Platon (Protagoras) Protest 113, 187 Protreptik (protreptisch) 248 f., 257, 261 f., 292, 312 Register 358 Siehe auch: Antisthenes (Protreptikos). Sokratische Protreptik Provokation (provokatorisch) 124, 126 Prozeß 4, 31, 34, 39, 96 f., 124, 135, 155, 176, 251, 276 f., 300, 308, 313-315 Siehe auch: Anaxagoras-, Arginusen-, Asebie-, Einschätzungs-, Schein-, Sokrates-Theramenesprozeß Prüfung (prüfen) 128, 130, 132, 169, 171, 185, 238, 254, 258, 262 Siehe auch: elenchein, exetadsein. Menschen-, Nach-, Vorprüfung Prüfungsgespräch 50 Prüfungsverfahren 29 Prytane 291, 300, 314 pseudepigraphisch 15, 209 Siehe auch: apokryph pseudoplatonisch 17, 212, 312,315 f. Pseudosokratiker 15 Psychagoge 58 Publikum 69, 81 f., 90, 135, 280, 299 Pydna 329 Pyrilampes [Stiefvater Platons] 223- 225, 227 f., 245, 259 Pythodoros [Archon] 283, 288 Pythagoras 16, 36, 43 f., 180, 186, 201 Pythagoreer (Pythagoreismus, pythagoreisch) 9 f., 16, 35, 37, 41 f., 44 f., 47, 49, 74, 102, 134, 186, 199 Qualifikation (qualifizieren) 151 f., 252 Qualität 125, 153 Quelle 161, 187 f., 194, 200, 202-204, 209-212, 214, 220-222, 224, 228, 232, 237 f., 251, 260 f., 267-269, 278, 301, 306- 308, 311 f. Siehe auch: Haupt-, Nebenquelle. Sokratische Quelle Quellenangabe 165, 249 Quellenautor 200, 259 quellenkritisch 31 Quellenlage 227 Quellentexte 270 Quellenwert 138 radikal 140, 185, 288, 313 Rätsel (rätselhaft) 260, 276 Siehe auch: Orakelrätsel Rätselform 128, 189 Rarität 259 Rat [Behörde] 313 Rationalität 102 Realität (real) 36, 41, 45, 64 f., 82, 128, 164, 213, 233 Rechenschaft 120, 127, 130 f., 172, 289 Recht (recht, rechtlich) 112, 131, 191, 196, 199, 220, 238, 245, 258, 266, 274, 292, 303, 312 Siehe auch: staatsrechtlich rechtfertigen 290, 302, 309 rechtswidrig 301 Rede (Redner, reden) 8, 24, 32 f., 35, 64 f., 69, 76, 97 f., 103, 106, 121-127, 131, 133, 153, 160, 172, 205, 210, 216 f., 252, 263, 274, 279, 280 f., 286, 291 f., 294, 299, 303, 305 f., 308, 311, 316 Siehe auch: Gerichtsrede. Hauptredner. Lang-, Schluß-, Sokrates-, Spott-, Werberede Rededuell 313 Redegewandtheit 299 Redekunst 40 f., 295, 298 Redeverbot 299-301, 304 Redeweise 78 f., 216 Rednertribüne 292 Reduktionsideal 29, 46 Referat (referieren) 131, 165, 176 f., 181 f., 184, 186 f., 200, 207, 212, 214, 217, 219-221, 224, 248 f., 259, 261, 272, 279, 301, 310, 312, 317 Siehe auch: Bericht Regel 123, 164, 184, 196 f., 212, 230, 291, 317 Regen 37, 39, 50 Regierung 291 Regierungsform 108 Regime 284, 287-290, 296, 302, 313, 315 Siehe auch: Gewalt-, Oligarchen-, Terrorregime Rhegiste (Rheegistee) 223 f., 227, 230 Reiher 69 Reihenfolge 204, 211, 301 Reihum-Gespräch 293 Reinform 304 Reisebeschränkung 293 Reise (reisen) 165-168, 199, 214 Siehe auch: Gedanken-, Privatreise. Sizilische Reise Reiterei (Reiter, beritten) 139, 221, 223 f., 227-230, 232 f., 245, 263 Reiteroberst 263 Reitunfall 234 Relation 29 Register 359 Siehe auch: Wort-Ding-Relation Relativismus 113 Relokalisierung 212, 237 Resakralisierung 273 Rhadamanthischer Eid 270-278 Rhadamanthys 266-282 Rhetorik (Rhetor, rhetorisch, in rhetoricis) 3, 5, 9 f., 15, 20, 33, 40-43, 51, 58, 61, 82, 86, 95, 102 f., 121-126, 148, 160, 163, 250, 278-280, 297 f., 304-306, 315 Reichtum (reich) 104, 151, 250, 253 f., 259, 263-265, 285, 291, 293 f., 297, 302, 309 f., 312 f. Religiosität (religiös) 106 f., 141, 272- 274, 279, 281 f. Siehe auch: Volksreligion Rekonstruktion (rekonstruieren) 64, 107, 184, 199, 202, 205 f., 227, 241, 246 f., 280 f., 304 f. Siehe auch: Gesamtrekonstruktion Rekurs (rekurrieren) 107, 112, 139, 148, 152, 156, 172, 176, 178, 187 f., 192 f., 224, 236, 272, 276, 281, 284, 301, 308 Siehe auch: Rückgriff Reminiszenz 97, 139, 177 f., 220, 226,236, 302, 309 Siehe auch: Platonreminiszenz Rettung (Retter, retten) 189-193, 209, 217, 220-224, 227, 229, 231-234, 241, 245 f., 314 f. Restitution 68, 74, 87. 91 f., 99 f., 226 Resümee (resümieren) 114, 152, 167, 188, 199, 261 f. Siehe auch: Lebensresümee Rhinon [Mitglied der Zehn in der Stadt] 284, 309 Siehe auch: Aischines (Rhinon) Rhythmik 41, 43, 51 Richter 122 f., 125, 131, 204, 290, 300 Siehe auch : Gericht Richtigkeit (richtig) 132, 134, 136, 153 f., 160 Richtstuhl 132 Richtung 173, 223, 229 Siehe auch: Denkrichtung riskieren (riskant) 196, 234, 247, 303 Ritual (rituell) 36, 47, 56, 57 Route 229-231, 245 Rückgriff 143, 149, 152, 156, 160, 178, 180, 237, 273, 279, 295 Siehe auch: Rekurs Rückkehr 206, 243, 302 f. Rückschluß 230 Rührszene 125 Rüstung 240 Ruhe (ruhig) 175, 293, 314 Ruhm (rühmen, ruhmreich) 130, 213, 251 f., 256, 259, 262 f., 265, 267, 287 ruinieren 234, 295 Sache (sachlich) 150, 186 f., 196, 198, 205, 208, 225, 230, 233, 256, 269-271, 273, 275, 291, 297 Siehe auch: Hauptsache Sachaussage 182, 276 Sachkenntnis 249 Sachverhalt 129, 148 f., 152 f., 156 f., 183, 197, 255, 306 Salamis 290, 303 Samischer Krieg 164 f., 197 Samos 164-168, 199 Sanktionen 196 Sardanapal 253 Sardeis 139 Satyros [Mitglied der Dreißig] 313 Satyros [Biograph] 16, 104-108, 111, 194 Satz 133, 141, 164, 167, 176, 178, 186, 225 f., 248, 256, 258, 261 f., 282 Siehe auch: Grund-, Schlußsatz Satzaussage 261 Satzglieder 250 Satzkonstruktion 258 Schaden (schaden, schädigen) 208, 221, 280, 288 Schakal 273 Schattenfüßler 57 Schauspiel (Schauspieler) 73, 81-83, 114, 250, 254, 259, 263, 310 f. Scheinprozeß 312 Scheinwissen 25, 49, 126, 128-133, 171 Schema 183, 269 Scherz (scherzen, scherzhaft) 227, 229, 307, 317 Schicksal 172, 224, 227 f., 244, 293, 310 f. Schierlingsbecher 46 Schild 223 f., 227 Schilderung (schildern) 205-207, 211, 286, 313 Siehe auch: Beschreibung Register 360 Schlacht 190, 204 f., 207 f., 211, 215- 218, 220-229, 232-236, 238 f., 241 f., 243 f., 246 Schlamm 177 schlimm 287, 297, 302 f., 310 Schlüsseltext 134 Schluß (schließen) 115, 128, 138, 143, 152, 203, 210, 230 f., 247, 308, 312, 314 Siehe auch: Analogie-, Rückschluß Schlußfolgerung 150 Schlußrede 172, 293 Schlußsatz 14, 30 Schlußwort 122 schlecht 113, 184, 252, 294-296, 301, 309 Schönheit (schön) 20, 23, 111, 114, 128 f., 142, 144 f., 149-151, 284, 286 f., 294, 316 f. Siehe auch: kalon Schönheitssinn 98 Scholien 85-87, 89, 92, 219, 253, 268 f., 276, 309 Zu Aristophanes (Wolken): 85-87, 89, 276, 309 Zu Lukian: 219, 253 Zu Olympiodor: 92 Zu Platon (Phaidros): 268 f. Schopenhauer 44 Schottische Platonschule 12, 42 Schrift (schreiben, schriftlich) 29, 118, 166, 193 Schrift (Schreibwerk) 226, 231, 249, 257 Siehe auch: Antisthenes (Schriften). Platon (Werke). Platon & Xenopon (Sokratische Schriften). Prosaschrift Schriftenkatalog 257, 312 Schriftsteller 166, 210 Schüler (Schule) 109, 165, 168, 181- 183, 186 f., 189, 200 f., 279, 295, 305- 309, 315 Siehe auch: Sokrates-, Sophistenschüler Schüler-Lehrer-Verhältnis 62, 71, 73, 104, 187 Siehe auch: Lehrer-Schüler-Verhältnis Schuldeingeständnis 124 Schuldspruch 123 f. Schuld (schuldig) 290, 294 f., 299, 307, 314 Schuster 251, 255, 263 Schwätzer 60, 94 f., 104 Siehe auch: adoleschia, aladsoneia Schweigen (schweigen) 169, 203, 207, 266, 287, 302, 308, 314 f. Siehe auch: Libanios (Über das Schweigen des Sokrates) Schweinerei (schweinisch) 295 f. Schweineherde 190 Schwierigkeit (schwierig) 163, 208, 257 f., 296, 311 Schwur (schwören, beschwören) 2, 121, 266 f., 269-277, 279, 281, 291 Siehe auch: Totenbeschwörung Schwurformel 266 f., 269-274 Schwurgebaren 269, 272 Schwurpraxis 267-272 Schwurverhalten 270 Seebund 239 Seele (seelisch) 27, 35, 117, 120, 130, 148, 156, 172, 199, 202 Seelenbeschwörer 58 Seelenführer 56 f. Siehe auch: Psychagoge Seelenwanderung 35, 43 Seeschlacht 263 Seeweg (zur See) 212, 239, 214, 241, 244, 251 [das] Sein (seiend) 14, 30, 120, 134, 155, 160, 170 f., 174, 288 Siehe auch: Seinsphilosophie Seinsphänomen 171 Seinsphilosophie 136 Sekundärüberlieferung 94 Selbstbeherrschung 157 Siehe auch: enkrateia Selbstbekenntnis 153 Selbsterkenntnis 167 Siehe auch: gnoothi sauton Selbstgefühl 256 Selbstgenügsamkeit (selbstgenügsam) 76-79, 82, 102, 140, 294 Siehe auch: Autarkie Selbstevidenz 30, 118 Selbstzucht 193, 237, 294 semantisch 266 semifiktional 289 Sexualleben 188, 195 Sexualtrieb 192 sexuell 182, 193, 196, 297 Sieg (siegen) 138, 218 f., 239 f., 242, 251, 255 f., 264 f. Siegespreis 210, 215 Siehe auch: Kampfpreis Silbe 68, 85, 92 Register 361 Silenfigur 97 Simmias 14 Simon [Sokratiker] 14 Simon [Parasit] 225 Simonides 70 Simplikios 181 f., 220 Simplikios-Notiz 182 Singularität (singulär) 121, 126 f., 211 f., 237, 270, 302, 307, 316 Sinn (sinnfällig) 173 f., 176, 178, 194 f., 198 f., 226, 250, 254, 256, 258, 270, 273 f., 281, 294 Siehe auch: Doppel-, Gerechtigkeits-, Hintersinn Sinnesänderung 248 Sinnesempfindung 175 Situation 87, 90, 94 f. Siehe auch: Ausgangs-, Eingangs-, Erzähl-, Gefahren-, Grundsituation Sizilien 12, 223, 244 Siehe auch: fretum Siculum Sizilische Expedition (- Katastrophe) 93, 190, 224 Sizilische Reise 289 f. Skandal (Skandalon) 124, 133 Skepsis (skeptisch) 29, 199, 315 Signal (signalisieren) 118-121, 126, 131, 137 f., 142, 172, 191, 224, 226, 286, 297 Skizze 61 Sklave 270, 317 Sklavenseele 141 Skopas [aus Krannon] 213 skoptisch 93 f., 98 Skylla 98 Söldnerheer 262 Sokrateln (sookrataan) 55, 56, 100 Sokrates (Kirchenvater) 187 Sokrates (Philosoph) passim Siehe auch: Antisthenischer-, Aristophanischer-, Aristotelischer Sokrates. außersokratisch. causa Socratis. Historischer Sokrates. interpretatio Socratica. Platonischer-, Sokratischer-, Xenophontischer Sokrates Sokratesankläger 96 f. Sokratesbiographie (-uita) 1, 5, 16, 65, 76, 108, 140, 187 f., 200, 212, 214 f., 219, 232-235, 237, 247 f. Sokratesferne 119 Sokratesforschung (Sokratesforscher) 17 f., 34, 5, 64, 119, 137 f., 161, 163, 301, 308, 318 Sokratesfreund 297, 280 Sokratesgestalt 119, 121, 168, 278 Sokratesinterpretation 29, 62, 137, 179 Sokrates-Lehrer 201 Sokrates-Literatur 3, 5, 16 f., 139 f., 143, 213 f., 219, 267 269, 279, 282-284, 298, 300 f., 303-307, 315 f., 318 Sokratesmemoiren 3, 140 Sokratesschüler 186 Sokratesnähe 119, 121 Sokratesrede 163 Sokratestext 163 Sokratestradition 1, 5, 16, 208, 219, 318 Sokratestragödie 75 Sokratesüberlieferung 1, 4, 7 f., 15-17, 33, 45, 64, 79, 82, 84, 164, 203, 219, 234, 237, 249, 291, 301 f., 310 f., 318 Sokrateswort 153 Sokrateszitat 158 Sokrates-Alkibiades-Komplex 306 Sokrates-Archelaos-Geschichte 191 f., 195, 197 Sokrates-Iphikrates-Gespräch 252, 255-257 Sokrates-Gespräche 11, 299 Sokrates-Kritias-Gespräch 297 f., 302 Sokratesprozeß 16, 305 Sokratik (Sokratiker) 1-4, 10 f., 13 f., 29 f., 33 f., 37, 39, 45-51, 53, 56, 64, 88, 94, 98, 101, 108, 116, 118, 133, 135-140, 161, 163, 167 f., 170, 179, 190, 202-204, 206, 208, 210, 212-216, 221, 223, 226, 228, 231-234, 238, 244-247, 249, 253, 269, 275, 277 f., 280, 282, 289, 291, 303, 305 f., 308, 311, 314 Siehe auch: altsokratisch. Antisokratiker. Epistulae Socraticae. Phainias. Pseudosokratiker Sokratischer Dialog 3, 5 f., 13 f., 30, 118 f., 123, 137, 140, 148, 154, 160, 190- 192, 194, 202, 216, 221, 227, 247, 249 f., 252, 256 f., 261, 266, 269 f., 282, 285, 287, 289, 307, 312, 314, 316 Siehe auch: Platon & Xenophon (Sokratische Schriften) Sokratische Elenktik 294 Siehe auch: elenchein, exetadsein Sokratische Frage 1, 31, 163, 318 Sokratische Methode 22 Register 362 Sokratische Prosaschrift 11, 118, 136 Sokratische Protreptik Sokratische Quelle 214 Sokratischer Sokrates 173 Sokratisches Denken 8 Sokratisches Fragen 145 Sokratisches Gespräch 11, 13, 136, 299 Soldat 203-247 Solon 84, 284 f., 287 Solonisches Recht 236 Sommer 238, 241, 243 Sonderstellung 178, 251 sookratidsein 100 Sonne 278 Sonnenei 274 Sonnengott 206 sophia (sophos) 75, 84, 149, 178 Sophistik (Sophisten, sophistisch) 9 f., 28, 35, 40-45, 47, 49-51, 62 f., 95, 102, 113, 135, 169 f., 180, 184 f., 253, 256, 284, 287, 308 f. Siehe auch: Meteorosophist. Platon (Sophistes) Sophisten-Freund 131 Sophistenschüler 185 Sophokles 72, 164, 166, 197 Sophron 11, 137 Sophroniskos [Sokrates´ Vater] 121 Sophroniskos [Sokrates´ Sohn] 192 f. Sosikrates [aus Rhodos] 271 f. Sotion 16 souverän 122, 195, 210, 215, 232, 304 sozial 132, 136, 185, 196, 253, 262, 270, 296, 298, 310 sozialethisch 185 Sozialgeschichte 252 soziokulturell 184 soziopsychologisch 298 Spätantike (spätantik) 8, 16, 181, 269 Spaßphilosophie 44 f. Sparta (Spartaner, spartanisch) 31, 54 f., 139, 225 f., 234, 239, 244, 251, 253, 257, 283, 288, 313 Speisung [im Prytaneion] 124-126 spektakulär 164, 168, 211, 213, 220, 237 f., 277, 302, 314 Spekulation (spekulativ) 16, 32, 36, 42, 52, 84, 99, 141, 170 Siehe auch: Jenseitsspekulation Spezialbiographie 186 Spezialfertigkeit 311 Spezialwissen 28, 129 Spezies (species) 23, 118, 148 Sphäre 262 f., 310 Spiel (spielen) 287, 289, 310 Spott (spotten, verspotten)) 62, 71, 84, 99, 102, 169, 203, 253,272 f., 275, 298, 309 Siehe auch: Komödienspott. skoptisch Spottname 309 Spottrede 255 Sprache (sprechen) 79, 117, 143, 157, 230, 258, 260, 266, 270 Siehe auch: Alltags-, Fach-, Gerichts-, Umgangs-, Volkssprache Sprachgebrauch 238, 266, 272 Sprachstatistik 11 Sprachwissenschaft 41, 43, 51 Sprecher (sprechen) 68, 71 f., 74, 79, 90, 93 f., 96, 261 Sprecherwechsel 78 f. Sprichwörtersammlung 95 sprichwörtlich 260 Staat (staatlich) 20, 31, 132, 208, 254, 280, 285 f., 290, 292-294. 300, 314 Staatsarchiv 121 Staatseigentum 252 staatsrechtlich 303 Stadt 151, 184, 208, 215, 230, 237, 239- 242, 258 f., 262-265, 285, 290, 296, 300, 311 Stadtmauer 239 Städtenamen 225 Standardrepertoire 272 Standortsbestimmung 174 Standpunkt 171 Stechfliege 133 Steilheit 231 Stein 266, 268 f., 274, 277 f., 282, 295 Siehe auch: beim Steine! Steineklopfer 186 f. Steinmetz 49 Sterben (sterben) 127, 172 f., 285, 290, 300, 314 Stesichoros 86, 88 Stichwort 231 f. Stierblick 46 Stil (stilistisch) 125, 142 f., 148 Siehe auch: Lebensstil Stimme 223, 227 f., 231, 245, 316 Stimmungsumschwung 302 f. Stobaios 84, 105, 310 Stoff (stofflich) 181, 221, 282, 305 f., 314 Register 363 Stoffwahl 61 Stoizismus (Stoiker, stoisch) 47, 60, 77, 190, 221, 228, 267, 270 f., 310, 316 Stolz (stolz) 251, 255, 265 Strabon 231 f. Strafe (Bestrafung, bestrafen) 124, 126, 294, 298 f. Siehe auch: Geld-, Haft-, Todesstrafe Strafantrag 4-6, 124 Strafeinschätzung 124 Strafmaß 122-124 Straftat 122, 280 Straße der Kistenmacher 190 Straßenkampf 263, 287 Strategie (Strategen, strategisch) 140, 197, 204, 206, 209, 217, 221, 228, 239- 242, 244, 250 f., 263, 255, 262, 265, 314 Straton [aus Sardeis] 198 Streitschrift 206, 215 Strophe 93 Struktur 87, 259, 261 Siehe auch: Erzählstruktur Substantiv (substantiviert, substantivisch) 142, 144-146, 152, 156, 228, 230, 260 Substanz 132, 141 Substrat 137 Suda 1, 16, 84, 104, 186-188, 200, 204, 236, 268 f., 275-277, 309 Sykophant 252, 291, 293 syllogistisch 15 Symbolon 190 Symposion (sympotisch) 86-88, 138, 197, 293 Siehe auch: Platon & Xenophon (Symposion) System (systematisch) 93, 175, 180 Szene (Szenerie, Szenario) 70, 72, 77, 81-83, 85, 90, 184, 189, 197, 227, 232, 241, 245, 251, 291, 303, 314 Siehe auch: Eingangs-, Rührszene Tadel (tadeln) 197, 235, 279 f., 293-296, 298, 301, 305, 309 tadelfrei (tadellos) 230, 258, 260 Tat (Täter) 203, 233, 255, 263, 287, 291, 308 Siehe auch: Erst-, Gewalt-, Groß-, Jugend-, Kriegs-, Misse-, Straf-, Übel-, Untat Tätigkeit 127 f., 130, 133, 152, 206 Tanagra 219, 234-236 Tapferkeit (tapfer) 20, 23, 141-146, 149, 211, 218-222, 231, 233, 236, 240, 242 f., 245-247, 255-257, 263-265, 314 Siehe auch: andreia, karteria Tatsache (tatsächlich) 114, 126, 173, 180, 182, 196, 198, 208, 231 f., 242, 246, 254, 278 f., 289, 301, 304, 314 f., 318 Siehe auch: Grundtatsache Tatsachenbehauptung 179 Taureas [Verwandter des Andokides, Gründer eines Gymnasiums] 206, 225 f. Technik (technisch) 129, 153, 195 Siehe auch: Ausfrage-, Erzähl-, Frage-, Verhörtechnik Teil 175, 184, 195 f., 202, 216, 256 f., 272, 277, 289, 296 Teilaspekt 277 Teilhabe 171 Teilnahme (Teilnehmer) 138, 288, 290, 292, 307 Siehe auch: Gesprächsteilnehmer Teisias [Rhetor] 123 Telekleides 10, 61, 65-71, 73, 102 f., 270 Tempelinschrift 167 Tempelraub 275 Tempelspruch 174 Tendenz 3, 69, 131, 173, 186, 191, 196, 202, 220, 231, 233 f., 236, 270, 295 Siehe auch: Grundtendenz Terminus (terminologisch) 118, 132, 135 f., 152, 158 Siehe auch: Fachterminus terminus technicus 80, 82, 85, 152 f., 183 Terrorherrschaft (Terror-Regime) 2, 291 f., 309, 312 f. terroristisch 283 Tertullian 268, 275, 277 Testament 134 Testimonium 70, 84 f., 166, 186, 200, 250, 271, 317 Siehe auch: Beleg Tetrameter 99, 85, 93 f., 99 Text (textual) 33 f., 65-68, 71, 76, 85-87, 91-93, 95 f., 98 f., 101-104, 106-110, 126, 143, 148 f., 153, 160, 163 f., 168 f., 176, 179, 182 f., 191, 195 f., 199-201, 207, 210, 212 f., 216, 218 f., 226, 230, 23 Siehe auch: Grund-, Haupt-, Original-, Platon-, Porphyrios-, Prosa-, Quellen-, Schlüssel-, Sokratestext Register 364 Textänderung 258 Textaufwand 200 Textergänzung 85 textkritisch 92 Textpassage 128, 171, 176 f. Textüberlieferung 71, 73 f. Textvariante 92 Textzusammenhang 249 Theaitetos 248 Siehe auch: Platon (Theätet) Theätetexempel 249 Theater (theatralisch) 61, 75, 0, 82, 108, 125,253, 263 f., 307 theatergeschichtlich 80 thaterwissenschaftlich 80 Theben (Thebaner) 224 f., 227, 229, 234, 241, 302 f. Thema (thematisch) 79, 98, 104, 106, 108, 110, 126, 139, 142, 148 f., 153, 157, 180, 208 f., 212, 214 f., 227, 232, 236,256 f., 294, 317 Siehe auch: General-, Haupt-, Lieblingsthema Themenwahl 103 Themistios 96 Theodektes 15 Apologie des Sokrates: 15 Theodoret 188 Theogenes [athen. Politiker] 93 Theognis 257 Theologie 38 Siehe auch: Luft-Theologie; Wolken- Theologie Theophilos [Apologet] 268 Theophrast 28, 180-187, 195, 199, 201 Theorie (theoretisch) 123, 126, 140, 154 Siehe auch: Erkenntnistheorie Theramenes 283, 291, 303, 305, 308 f., 312-315 Theramenes-Geschichte 314 f. Theramenes-Prozeß 315 These 61, 76, 103, 249, 306 Siehe auch: Ausgangs-, Fehlthese Thessalien (thessalisch) 212 f., 259, 294 Thetis 131 Tholos 290, 302 Thrakien (thrakisch) 234, 238-240, 242 Thrasybul 291 Thrasymachos 144 Thukydides 86, 165, 203, 207, 219, 228 f., 234, 238-242, 244, 246 Thyest 310 f. Titel (titulieren) 71, 96, 134, 138, 143, 164, 201, 215, 254, 257, 305, 312 Tischgenosse 205 Tier 251, 253, 255, 258, 262 f., 266 f., 269-271, 273 f. ti esti 18, 141, 143 f., 146, 149, 152, 160 f. ti legeis 25, 52 Timaios 284-286 Siehe auch: Platon (Timaios). Trio Timaios-Kritias-Hermokrates Timokrates [Lyriker] 65 Tod (Tötung, töten) 34, 37, 39, 88, 96- 98, 108 f., 118, 120, 122, 132 f., 171 f., 203 f., 221, 223, 227 f., 242, 245, 248, 250, 252, 275, 277, 279, 280, 282, 288, 290 f., 295, 302, 308, 313-315 Todesfurcht 120, 171 Todesstrafe 155, 314 Todesurteil 124 Todhaß 133 Topographie (topographisch) 120, 172, 213, 224, 228-230 Toponymikon 230 f. Topos 99 totalitär 299 Totenakademie 218 Totenbeschwörung 57 Tradierungsprozeß Tradition (traditionell) 125-127, 131, 175, 190, 196, 204, 210-213, 215, 219 f., 224, 231, 236, 272, 274, 276-278, 303, 307, 312 Siehe auch: Denk-, Platon-, Sokratestradition. Überlieferung Tragödie (Tragiker, tragisch) 2, 60-63, 68-70, 72, 74 f., 103-116, 121, 266, 307, 310-312 Siehe auch: Sokratestragödie Trance 211 f., 237 Siehe auch: Gedankentrance Traum 88 Treueversprechung 281 Trias 282 Tribunal 299 Trierarch 263 Trimeter 71, 89, 70, 95, 99, 101 Trinkschale 89 Trio 285 f. Trio Timaios-Kritias-Hermokrates 286 Triton 97 triuium 221, 223, 228 Register 365 trochäisch 99 Trank (Trunk, betrunken) 88, 175, 205, 255 Truppe 240-242 Siehe auch: Fußtruppe Tüchtigkeit (tüchtig) 104, 256, 265 Siehe auch: Kriegstüchtigkeit Tugend 12, 22 f., 26, 113 f., 130, 143, 146 Siehe auch: aretee. Einzel-, Gesamttugend Tugend-Wissen 111, 115 Tun 131, 133, 289 f., 313 Tun des Seinigen 284 Typhon 98 Typus (typisch, typologisch) 77, 98, 114, 141, 149, 151, 154, 211, 255-257, 282, 291, 294, 304 Siehe auch: Gesprächstyp Tyrannenfreundschaft 212 Tyrannenhypothese 286 Tyrannis (Tyrann) 108, 149, 287, 301, 310 Tzetzes 109 Ubiquität 118 Übel (übel) 112, 235, 252, 275, 293-295 Übeltäter 234, 255, 290, 304 Überarbeitung 34 Überblick 184, 187, 204, 290 Übereinstimmung 145,224, 292, 295 Überlegung (überlegen) 195, 220, 226, 256, 273, 292, 294 Überlieferung 33 f., 43, 64, 81, 84, 95- 98, 101, 103-110, 165-169, 177, 180-182, 184, 187, 192, 194 f., 201, 203 f., 206, 210,212,214, 217, 219 f., 224-226, 228, 231, 233, 238, 241, 243 f., 246, 258, 260, 267, 269, 276 f., 279, 281, 297 f., 315 Siehe auch: Iphikrates-, Parallel-, Platon-, Sekundär-, Sokrates-, Textüberlieferung. Tradition Überlieferungsgeschichte (überlieferungsgeschichtlich) 29, 168, 182, 267 Überlieferungskomplex 276 Überlieferungsvarianten 201 Überrednung 123, 125 Übersetzung 258 f. Übersetzungsvorschläge 254 Überzeugung (überzeugen) 132 f., 154, 171, 256, 265, 273 Siehe auch: Grundüberzeugung Ultimatum 239 ultima uerba 236 Umgangssprache 271 f. Umwelt 237 unbegründet 151, 153 unbescholten 291, 299, 302, 313 Unerkennbarkeit 133 Unbildung (ungebildet) 188, 193, 298, 311 Ungehorsam (ungehorsam) 189, 302, 314 ungelehrig 1 93 ungerecht 300, 304 ungesetzlich 300, 303, 314 Ungleichheit 148 Unglück (unglücklich) 219, 227 f., 307, 314 f. unhistorisch (ahistorisch) 173, 185, 203, 209, 212, 244, 246 f., 306 Siehe auch: ahistorisch Uniformität 142 f., 148 Unkenntnis 160, 259 unkontaminiert 219 Unkorrektheit 230 Unordnung (ungeordnet) 189, 191, 199 Unrecht (ungerecht) 15, 28, 41, 122, 126, 141 f., 204, 275, 290, 295, 300, 302, 304, 313 f. Unrechtsbefehl 304 Unrechtsherrschaft 287 Unschuld (unschuldig) 280, 287, 317 Unsinnigkeit (unsinnig) 300, 304 unsokratisch 115 Unsterblichkeit 172 Unsterblichkeitsbeweis 120, 172 Untäter 280, 287 Untatenkatalog 280 Unterhaltung (unterhalten) 256, 261, 296, 300 Unteritalien 230 Unterordnung 142 Unterredner 49-51, 151-155, 256, 284 Siehe auch: Mit-, Nebenunterredner Unterricht 51, 83, 304, 309 Unterschied (unterscheiden) 142, 147, 150, 153, 155, 167, 175, 182, 184 f., 189, 200, 227 f., 244-248, 258, 266, 270, 286, 304, 312, 315, 318 Unterweisung 188 Unterwelt 172 Unterweltsfrevler 218 Unwahrheit 207 Register 366 Unwert 236 Unzeit 227, 229 Urathen 284 Urbilder 171 urkundlich 138 Siehe auch: Gerichts-, Haupturkunde Urschlamm 177 f. Urheber 184, 275 Ursache 170, 199 Ursprung (ursprünglich) 128, 184, 195,212, 232 f., 237 f., 245, 270, 272 f., 281, 301 f., 310, 312 Urteil 96, 122, 175, 214, 292 Siehe auch: Todesurteil, Verurteilung Unwissenheit 30, 45, 49, 120, 128, 141 Urzeit 286 Valenz 143, 146 Valerius Maximus 79, 84 Varianten (Varietäten, uariatio) 63, 71, 90-92, 142, 167, 172, 222-224, 266, 281, 303 f., 310 Siehe auch: Text-, Überlieferungsvariante Vasenbilder 197 Vater-Sohn-Paar 285 uaticinium (uaticinatio) ex euentu 133, 208, 297 Velleitäten 298 Veränderungen 170, 175 f., 195, 197, 234 Veränderungsprozesse 176 Verbannung (Verbannter) 124, 139, 302 Verbot (verbieten) 296, 298, 300, 304 Siehe auch: Redeverbot Verbindung 170, 182, 185, 196, 208, 287, 297 Verbrechen 275, 308, 310 verbürgen 199, 201, 311 Verdacht (Verdächtigung, verdächtig) 198, 212, 234, 249, 276, 302 Verdoppelung 301 Verehrung (verehren) 277, 279, 282 verfälschen 192, 194, 212 Verfahren 122, 124, 150-152, 157, 159, 161, 176, 238, 282, 300, 310 Siehe auch: Ausfrage-, Frage-, Gerichts-, Kollage-, Montage-, Prüfungsverfahren Verfasser 208 f., 213, 222, 224, 228, 231 f., 236, 290, 303, 305 f., 315, 318 Siehe auch: Autor Verfehltheit (verfehlen) 152, 154, 254, 305 Verfremdung (verfremden) 3, 10, 17, 32 f., 35, 37, 42-45, 47, 50, 53, 58 f., 64 f., 75, 102, 164, 282, 318 Vergehen 170, 175 f. Vergil 98 Vergleich (vergleichen, vergleichbar) 97, 171, 189 f., 194, 237, 246, 261 f., 302, 310 Verhältnis 62, 71, 73, 104, 109, 139, 142 f., 168, 181-183, 195 f., 198 f., 202, 204, 263, 281, 290, 294 f., 300, 302 f. Siehe auch: Frequenz-Verhältnis. Lebensverhältnis. Lehrer-Schüler-Verhältnis. Liebes-, Schüler-Lehrer-Verhältnis Verhaftung 291, 299, 301-304, 313 Verhalten 128 f., 168, 174 f., 178, 181 f., 187 f., 191, 195, 205, 208, 211, 220, 237 f., 240, 242 f., 245-247, 250, 254, 281, 290, 298, 314 f. Siehe auch: Schwurverhalten Verhör (verhören) 50, 127, 130-132, 296, 300 Verhüllung (verhüllen) 147, 173 f., 226, 289 Verkürzung 120, 150, 172, 174 Verleumdung (Verleumder, verleumden) 195, 198, 276 Verhörtechnik 61 Verhandlung 239 Vermächtnis 133 f. Vermutung 199, 229, 260, 262 f., 269, 279 Vernunft (vernünftig) 128 f., 184, 305, 308 Vers 57, 61, 68, 71-75, 77-79, 85-87, 89 f., 92-98, 100, 106 f., 109, 111 f. Versatzstück 173, 245 Verschiedenartigkeit 185, 316 Verschwörung 279 Version 218, 224 f., 235, 243, 245, 247, 278 Siehe auch: Erzählversion Verstand (verstehen, verständlich) 130, 132, 258, 273, 280 Verständnis 162, 196, 209, 224, 318 uersus Aristophaneus 77 uersus Priapeus 85 Verteidigung (verteidigen) 127, 173, 236, 280 f., 293 Register 367 Verteidigungsrede (Apologie) 120 f., 126, 172, 291, 305 Siehe auch: Demetrios [aus Phaleron], Libanios, Lysias, Platon, Theodektes & Xenophon (Apologie des Sokrates) Verurteilung (verurteilen) 96, 171, 200 f., 275, 277, 279 f., 307, 313 Verwaltung 151 Verwandtschaftsverhältnis 287 Siehe auch: Geistesverwandtschaft Verwechslung (verwechseln) 150 236, 262 verwerflich 279, 281, 287 verwunden 209, 223 f., 227, 232, 241m 245, 251, 255, 263 Vier-Augen-Gespräch 296 [die] Vierhundert 186, 288, 313 uita Elmsleiana 65-67, 104 Vogel 254, 260, 262, 265, 279, 317 Vogelnamen 260 Vogelvergleich 258 f. Vogelzucht 259 Volk 208, 252, 270 f., 276, 292, 294 Volksbeschluß 241 Volksgericht 4, 121 f. Volksglauben 107, 271 Volksreligion 270 Volkssprache 272, 274 Volksversammlung 151, 244, 292 Vollbürger 303, 313 Voraussetzung (voraussetzen) 154- 156, 170 f., 178, 207-209, 217, 227 f., 233, 236, 243, 246, 250 f., 261, 280, 303, 305, 311 f. Siehe auch: Gesprächs-, Grundvoraussetzung Vorauswissen 222 Vorbild 190, 211 vordatieren 293 Vordergrund 257 Vorgespräch 51 Vorhersage (Voraussage) 223 f. vorkritisch 306 vornehm 254 f., 259, 263-265, 287 Siehe auch: Adel; edel Vorplatonische Philosophie 32 f., 43, 45 Vorprüfung 50 Vorsichtsmaßregel 281 Vorsokratiker 136, 164, 174-178, 180 f. Vorspiel 136, 143, 154, 284 Vorstellung 138, 142, 147, 155, 158, 161, 175, 183, 194, 228, 253, 257, 294, 298, 302 f., 310 Vortrag 86, 88, 297 Siehe auch: Lehrvortrag Vortrefflichkeit 27, 47, 130, 194, 256 f. Siehe auch: Tugend Vorurteil 295 Vorwurf 141, 170, 208, 277, 279 f., 293, 304 f. Wachtel 258 Waffe 210, 241, 251, 255, 263 Wahnsinn 141 f. Wahrheit (wahr) 94, 98, 114, 125 f., 130, 132 f., 152-155, 170 f., 194 f., 238, 246 f., 271, 292 Siehe auch: aleetheia Wahrheitsfindung 247 Wahrnehmungswelt 22 Wanderanekdote 233 warm 175-177 Warnung (warnen) 220, 228 f., 231, 250, 311, 313, 316 Warum? 170 f., 174, 178 Was-ist-Frage 141 f., 146-152, 156, 161 Siehe auch: ti esti Wechsel 142, 144 f., 147, 261 Siehe auch: Meinungs-, Orts-, Paradigmen-, Sprecherwechsel Wechselrede 81 Wechslertische 188 Weg 191, 221, 223, 227-230, 245 Siehe auch: Lebensweg Wegkreuzung 221, 223 Wegweiser 189 Wein 88 f. Weingießer 88 Weinkanne 89 Weinschenk 197 Weisheit (weise) 24, 27 f., 38, 63, 97, 104, 107, 113, 128 f., 132, 140, 149, 161, 171, 280 f., 307 Siehe auch: sophia. Weltweisheit Weitläufigkeit (weitläufig) 291, 294 f. Weltanschauung 112 Welterklärungsmodell 174 Weltphänomen 174 Weltweisheit 131 Weltwerdung 170, 175, 177-179 Wende (Wendung) 175, 179 f., 249, 257, 262, 275, 297 Register 368 Werberede 280 Werdegang 179, 290 Werden 175-177 Werk 138, 181, 201 f., 210, 295 Siehe auch: Monumentalwerk. Platon (Werke). Schrift Werkstatt 202 Wert (werten, wertvoll) 148, 180, 259 Siehe auch: Grund-, Quellenwert Wesen 22 f., 38, 132, 134, 142 f., 145 f., 148, 159, 171, 284 Wesensart 250 Wesensbestimmung 12, 26, 29, 143, 149 Wesensfrage 18-26, 30, 143-145, 147, 161 Siehe auch: ti esti. Was-ist-Frage Wesenheiten 22, 120, 122, 134, 174, 277-279, 281 f. Wesensmerksmale 26 Wettkämpfer 294 Wichtigkeit 208, 266 Widder 274 widergesetzlich 30 Widerlegung (widerlegen) 30, 127, 132, 154, 158, 170, 212, 243, 278, 304 f., 308 Widerlegungskunst 132 widerrechtlich 283 Widerspruch (widersprechen) 29, 111, 128, 130, 151-155, 161 f., 166-168, 171 f., 194, 201, 215, 223 f., 228, 243 f., 246, 261, 274, 291 Widersprüchlichkeit 33, 173, 214 Wie? 170 f., 174, 178, 247 Wiederaufbau 279, 306, 308 wiedererzählen 288 Wiedergabe (wiedergeben) 250,311 Willensanstrengung 193 Wirbel 32, 38 f., 43 Wirkung (wirken, wirksam) 143, 159, 161, 175, 190, 198, 221-223, 227 f., 246, 262, 274, 276, 282, 316 Siehe auch: Einwirkung Wirklichkeit (wirklich) 107, 127 f., 279 Siehe auch: Lebenswirklichkeit Wissen 24, 27-29, 111, 115, 120, 128- 130, 132 f., 136, 160, 170-173, 185, 201, 207, 228 Siehe auch: Meta-Wissen. Scheinwissen. Spezial-, Tugend-Wissen. Vorauswissen Wissensanmaßung 129 Wissensanspruch 135 f. Wissenschaft (wissenschaftlich) 130, 132 f., 178, 185 Siehe auch: Literatur-, Musik-, Sprach-, Theaterwissenschaft Wissensvermeinung 131 Witz (witzig) 140, 226 260-262, 272 Wohlleben 253 Wohlwollen (wohlwollend) 197, 292, 314 Wohltäter 124 Wolken-Theologie 276 Wollmantel 102, 310 Siehe auch: Kratzgewand Wort 256, 273, 293, 297, 308 Siehe auch: Iphikrates-, Kunst-, Schluß-, Sokrates-, Stichwort Wortbedeutung 165 Wortbildung 41 Wort-Ding-Relation 29 Wortgebrauch 159, 235, 274, 311 Wortlaut (wörtlich) 97, 149 f., 159, 165, 181, 188 f., 216, 232, 256, 275 f., 278, 281, 293, 304, 311 Wortspiel 261 Worttrennung 96 Wortumstellung 95 Wortverdrehungskunst 40 Wortwahl 183, 237, 249 Wozu? 178 Xanthias 39 Xanthippe 192-194, 203 Xanthippe-Myrto-Geschichte 195 Xenarch 11, 137 Xenophon [Stratege)] 240 Xenophon [Sokratiker] 2, 4-6, 11-14, 17, 19, 21 f., 25, 29, 33, 46 f., 49, 55, 64, 77, 79 f., 95, 98, 107, 111 f., 114, 122, 135-163, 204, 228, 231-234, 248 f., 256, 259 f., 266 f., 269, 277-280, 283, 288, 2291-306, 308 f., 313-315 Apologie: 4 f., 12, 49, 122, 138 f., 161, 277-279 Memorabilien (Apomnemoneumata): 12, 19, 21, 25, 77, 79 f., 107, 111 f., 122, 138- 143, 146, 149-161, 204, 260, 267, 277 f., 280, 292-298, 304, 314 Oikonomikos: 12, 138 f., 153 f., 161, 297 Schutzschrift: 146 Sokratische Schriften: 11, 13, 138, 140, 159, 163, 304, 306 Register 369 Symposion: 12 f., 46, 80, 95, 114, 138 f., 161, 256, 292 f., 297 f. Sokratische Schriften: 11, 13, 138, 140, 159 Xenophonforschung 12 Xenophontischer Sokates 4, 11, 13 f., 18, 28, 33, 47, 104, 135-162, 266, 277, 296 f. Zahl 163, 240, 295 f. Zahlprinzip 12 [die] Zehn in der Stadt 284, 309 [die] Zehn im Piräus 283 f., 287, 290, 299, 3303, 309 Zeichen 173, 191, 198, 223, 227 Zeit (zeitlich) 166, 196, 201, 204 f., 208, 213, 216, 233 f., 241, 247, 257, 260, 267, 269-272, 276, 278, 289 f., 295, 306, 308 Siehe auch: Abfassungs-, Alexander-, Lebens-, Neuzeit. Perikleische Zeit. Urzeit Zeitbestimmung 211 Zeitgenosse (zeitgenössisch) 163, 169, 180, 186, 228, 238, 287 f., 291, 304-306 308, 314, 318 Zeitpunkt 198, 241, 316 Zeitraum 257 Zeltgenosse 241 Zenobios 95 [Grammatiker] Zenon [Eleat] 197, 288 f. Zenon [Stoiker] 267, 270 f. Zeugnis (bezeugen, wohlbezeugt) 163, 166, 168, 173, 185, 197, 220, 231, 152, 256 f., 267, 275, 277, 280, 285, 290, 309 Zeugung 177 Zeus 38, 198, 266, 277 Siehe auch: beim Zeus! Zeus Agoraios 189 Ziel 279 f. Siehe auch: Beweisziel Zitat (zitieren) 65, 68-73, 76 f., 85, 87, 93-95, 104 f., 107-109, 127, 130, 136, 147, 164 f., 181, 183, 188, 210, 216, 218, 220, 226, 238, 244, 251, 259 f., 269, 272, 304, 311 Siehe auch: Sokrateszitat Zitierfehler 92 Zentrum (zentral) 125, 176, 304 Zorn 229, 271, 296, 303 f. Zoogonie 177 f. zoologisch 259 Zopyros 192 f. Siehe auch: Phaidon Zopyros-Geschichte 193-195 Zuchtlosigkeit 188 Zufall 145, 198, 238, 288 Zuhörer 153, 155, 272, 311 Zukunft (zukünftig) 189, 222, 251, 255, 262, 265, 286 Zusammenhang 153, 184, 212, 248 f., 251 f., 262, 291, 295, 299 f., 309, 312, 314 Siehe auch: Argumentations-, Textzusammenhang Zusatz 167, 176, 273 Zusatzbemerkung 167, 198 Zuschauer 68, 79, 311 Zweck 176, 179, 192, 195-197, 199, 208 f., 225, 228, 249, 261, 295, 300, 306, 312 Siehe auch: Kriegszweck Zweckursache 175 Zwei 134, 176 Siehe auch: ahoristos dyas Zweiergruppen 141 Zweifel 139, 167 zweigeschlechtlich 177 Zweiteilung 157 zwiegestaltig 97