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Der Jakobuskult in Sachsen

2007
978-3-8233-7332-2
Gunter Narr Verlag 
Klaus Herbers
Enno Bünz

Aus dem Inhalt: Zur Einführung: Jakobusverehrung in europäischer und regionaler Perspektive · Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters · Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus · Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? · Reliquienschatz und Pilgerstrom. Spuren der Verehrung des Apostels Jakobus maior am Halberstädter Dom · Zum Kult des Heiligen in der Oberlausitzer Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern · Zwischen Devotion und Repräsentation. Fürstliche Heiligenverehrung in Mitteldeutschland vor der Reformation · Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter · Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg · Handelsstraßen als Pilgerwege · Die Jakobsbruderschaft in Altenburg · Evangelische Erfahrung und Kritik des Pilgerns im Horizont von Konfessionalisierung und Ökumene

Jakobus - Studien Gunter Narr Verlag Tübingen Der Jakobuskult in Sachsen herausgegeben von Klaus Herbers und Enno Bünz Der Jakobuskult in Sachsen Jakobus-Studien 17 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz Der Jakobuskult in Sachsen herausgegeben von Klaus Herbers und Enno Bünz Gunter Narr Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Titelabbildung: Kopfreliquiar des hl. Jakobus, Prag, um 1290-1296, Vorderansicht, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern. Foto: János Stekovics. © 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 978-3-8233-6332-3 Die Drucklegung wurde freundlicherweise unterstützt durch die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft e.V., Aachen. Inhalt K LAUS H ERBERS / E NNO B ÜNZ Zur Einführung: Jakobusverehrung in europäischer und regionaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 H ARTMUT K ÜHNE Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 E NNO B ÜNZ Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 M ARKUS C OTTIN / H ENNING S TEINFÜHRER Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 J ÖRG R ICHTER Reliquienschatz und Pilgerstrom. Spuren der Verehrung des Apostels Jacobus maior am Halberstädter Dom . . . . . . . . . . . . 113 M ARIUS W INZELER St. Jakobus in St. Marienstern. Zum Kult des Heiligen in der Oberlausitzer Zisterzienserinnenabtei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 C HRISTOPH V OLKMAR Zwischen Devotion und Repräsentation. Fürstliche Heiligenverehrung in Mitteldeutschland vor der Reformation . . . . . . . . . . . 145 A NDRÉ T HIEME Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter . . . . . . . . . . 175 F ALK E ISERMANN / F OLKER R EICHERT Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg . . . . . . 219 M ANFRED S TRAUBE Handelsstraßen als Pilgerwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 B ERT M EISTER Die Jakobsbruderschaft in Altenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 C HRISTOPH K ÜHN Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen. Evangelische Erfahrung und Kritik des Pilgerns im Horizont von Konfessionalisierung und Ökumene . . . . . . . . . . . . . 291 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 VI Inhalt Zur Einführung: Jakobusverehrung in europäischer und regionaler Perspektive K LAUS H ERBERS UND E NNO B ÜNZ Die Suche nach dem „wahren Jakob“ hat kein Ende, und mit dem hier vorgelegten Band wird diese in Sachsen fortgesetzt und vertieft. Die nun vorliegenden gedruckten Beiträge basieren auf den Vorträgen einer Tagung, welche die Deutsche Sankt Jakobus-Gesellschaft zusammen mit dem Lehrstuhl für sächsische Landesgeschichte an der Universität Leipzig im Kloster Helfta (24. bis 27. November 2005) veranstaltet hat. Durch den Ort der Tagung waren schon zwei Pole vorgegeben: Erinnerte das Kloster Helfta an die großen Mystikerinnen des 13. Jahrhunderts, die ihren Jakob in ganz besonderer Art und Weise suchten, so evozierte die Lutherstadt Eisleben gleichzeitig den Reformator, der eher von Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela abriet: Laß raisen wer da will, bleib du dahaim 1 . Aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass die Suche nach neuen Spuren zugleich von ein wenig Skepsis begleitet wurde, zumal ja die Fragen des heutigen überkonfessionellen Zugangs während der Tagung bewusst an diesem Ort neu aufgerollt wurden 2 . 1 Die gesamte Passage lautet: Wie er in Hispaniam kommen ist gen Compostel, da die groß walfahrt hin ist, da haben wir nu nichts gewiss von dem: etlich sagen, er lig in Frankreich zuo Thalosa, aber sy seind jrer sach auch nit gewiß. Darumb laß man sy ligen und lauff nit dahin, dann man waißt nit ob sant Jacob oder ain todter hund oder ein todts roß da liegt, ... laß raisen wer da wil, bleib du dahaim, Martin Luther, Kritische Gesamtausgabe 10 (Weimar 1905), S. 235. Zu Luther und den Pilgerfahrten vgl. Manuel S ANTOS N OIA , El camino en el pensamiento de Ramón Llull, Roberto Holkot y Martín Lutero, in: Pensamiento, Arte y Literatura en el Camino de Santiago, hg. von Angel A LVAREZ G ÓMEZ (Vigo 1993) S. 143-161; zu einem speziellen Aspekt Robert P LÖTZ , Der Jacobus der Reformation - Ein nachgereichter Beitrag zum Lutherjahr, in: Der Jakobus-Kult in „Kunst“ und „Literatur“. Zeugnisse in Bild, Monument, Schrift und Ton, hg. von Klaus H ERBERS / Robert P LÖTZ (Jakobus-Studien 9, Tübingen 1998) S. 67-83. 2 Vgl. den Beitrag von Christoph K ÜHN , unten S. 291-323. 2 Klaus Herbers/ Enno Bünz Das wissenschaftliche Programm der Tagung und die entsprechenden Beiträge dieses Bandes sollten jedoch in zweifacher Hinsicht eingeordnet werden: in die bisherigen Forschungen zum Jakobuskult und den Pilgerfahrten (I) sowie in die erst jetzt wieder neu ansetzenden Forschungen, Probleme und Perspektiven einer Frömmigkeitsgeschichte Sachsens (II). I Die Suche nach dem „wahren Jakob“ 3 , auch früher immer schon mit ein wenig Skepsis gepaart, hat in den letzten 20 Jahren einen massiven Aufschwung genommen 4 . Neben den vielen aktuellen und tagesbezogenen Untersuchungen waren es in Bezug auf den historischen Jakobus vor allen Dingen drei Themenbereiche, die das Interesse der Forschung auf sich zogen. 1. Ein erster Schwerpunkt betraf die spanischen Traditionen und die Entfaltung des Jakobuskultes in Spanien selbst. Die historische Situation des 8. und 9. Jahrhunderts nach der muslimischen Eroberung weiter Teile der Iberischen Halbinsel beeinflusste nicht nur die Entdeckung eines Grabes, das dem kleinen christlichen asturischen Reich neue Identifikationsmöglichkeiten bot, sondern wirkte auch auf die Zusammenstellung des hagiographischen Dossiers des Apostels ein 5 . Die Schriften um die Missionierung des Apostels auf 3 Die Redensart vom „Wahren Jakob“ geht darauf zurück, dass man im späten Mittelalter nicht nur in Santiago, sondern auch in Toulouse Santiago-Reliquien zeigte, vgl. dazu auch das Lutherzitat (Anm. 1). 4 Kurze Zusammenfassung des heutigen Standes mit einiger grundlegender Literatur bei Klaus H ERBERS , Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt (München 2 2007). - Die im Weiteren zitierten Arbeiten sind lediglich eine kleine Auswahl aus dem fast unübersehbar gewordenen Forschungsgebiet. 5 Die in den folgenden gegebenen Hinweise sind keinesfalls vollständig; vgl. auch allgemein die verschiedenen Beiträge der bisher 17 Bände der Jakobus-Studien. - Vgl. zu den frühen Traditionen vor allem die Studien von Odilo E NGELS , Die Anfänge des spanischen Jakobusgrabes in kirchenpolitischer Sicht, Römische Quartalschrift 75 (1980) S. 146-170, wiederabgedruckt in: D ERS ., Reconquista und Landesherrschaft. Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N. F. 53, Paderborn 1989) S. 301-325 (mit Originalpaginierung); Jan VAN H ERWAARDEN , The Origins of the Cult of St. James of Compostela, Journal of Medieval History 6 (1980) S. 1-35, diese und andere Studien wurden jüngst nachgedruckt (und teilweise ins Englische übersetzt: Jan VAN H ERWAARDEN , Between Saint James and Erasmus. Studies in Late-Medieval Religious Life: Devotion and Pilgrimage in the Netherlands Zur Einführung 3 der Iberischen Halbinsel, die Nachrichten über seine Translation von Jerusalem nach Nordwestspanien sowie die Geschichten über die Entdeckung des Grabes wurden sodann besonders im 12. Jahrhundert weiter ausgestaltet und neu gefasst. Die Kirchenpolitik des ehrgeizigen Bischofs Diego Gelmírez beim Ringen um einen Spitzenplatz im Gefüge des neuen christlichen Spanien scheint hier eine wichtige Rolle gespielt zu haben 6 . Die Neuanordnung der einzelnen hagiographischen Traditionen könnte es durchaus rechtfertigen, hier von einem Neuschreiben („réécriture“) unter verändertem Vorzeichen zu sprechen 7 . In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Abfassung der Historia Compostellana 8 , sondern vor allem auch des Jakobsbuches, des Liber Sancti Jacobi, zu verzeichnen 9 , der im strengen Sinn nur (Studies in Medieval and Reformation Thought, 97, Leiden-Boston 2003), S. 311- 354 (vgl. auch in diesem Band weitere hier einschlägige Abhandlungen vor allem S. 355-505); Robert P LÖTZ , Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, Reihe 1: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 30 (Münster 1982) S. 19-145. - Spanische Beiträge vor allem von Manuel C. D ÍAZ Y D ÍAZ , La Literatura Jacobea anterior al Códice Calixtino, Compostellanum 10 (1965) S. 283-305; D ERS ., La Epistola Leonis Pape de Translatione Sancti Iacobi in Galleciam, Compostellanum 44 (1999) S. 517-568; sowie von Fernando López A LSINA , La ciudad de Santiago de Compostela en la alta Edad Media (Ayuntamiento de Santiago de Compostela, Centro de Estudios Jacobeos, Museo Nacional de las Peregrinaciones, 1988), bes. S. 97-145. 6 Klaus H ERBERS , Le culte de Saint-Jacques - et le souvenir carolingien chez Lucas de Tuy. Indices d’une conception historiographique (début du 13 e siècle), in: A la recherche de légitimités chrétiennes, hg. von Patrick H ENRIET (Lyon 2003) S. 149-176; bes. S. 161-166; D ERS ., Das Papsttum und die Iberische Halbinsel im 12. Jahrhundert, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. von Ernst-Dieter H EHL / Ingrid Heike R INGEL / Hubertus S EIBERT (Mittelalterforschungen 6, Stuttgart 2002) S. 25-60; vgl. weiterhin die Beiträge in: El papado, la iglesia leonesa y la basílica de Santiago a finales del siglo XI. El traslado de la sede episcopal de Iria a Compostela en 1095, hg. von Fernando L ÓPEZ A LSINA (Santiago de Compostela 1999). 7 Der Begriff der Réécriture hagiographischer Texte meint im strengen Sinne nur den auch bewusst geäußerten Akt einer Neuabfassung, vgl. vor allem La Réécriture hagiographique dans l’Occident médieval, hg. von Monique G OULLET / Martin H EINZEL - MANN (Beihefte der Francia 58, Ostfildern 2003) sowie Miracles, vies et réécritures dans l’Occident médiéval, hg. von Monique G OULLET / Martin H EINZELMANN (Beihefte der Francia 65, Ostfildern 2006) und die dortigen einleitenden Bemerkungen. - Grundlegend jetzt Monique G OULLET , Écriture et réécriture hagiographiques. Essai sur les réécritures de Vies de saints dans l’Occident latin médiéval (VIII e -XIII e s.) (Hagiologia 4, Turnhout 2005). 8 Historia Compostellana, hg. von Emma F ALQUE R EY (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 70, Turnhout 1988). 9 Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, hg. von Klaus H ERBERS / Manuel S ANTOS N OIA (Santiago de Compostela 1998). Deutsche Übertragungen von Teilen finden sich in: Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts, hg. von Klaus H ERBERS / Hans-Wilhelm K LEIN (Jakobus-Studien 8, Tübingen 1997) (Teile 4 Klaus Herbers/ Enno Bünz noch Translatio und Mirakelsammlung als klassische Formen eines hagiographischen Dossiers enthielt. Neu hinzu traten liturgische Elemente sowie ein Pilgerführer und eine Geschichte, die Karl den Großen zu einem der ersten Maurenkämpfer, Jakobsverehrer und „Wiederentdecker“ des Jakobsgrabes in Compostela machte. Die hierüber berichtende Historia Turpini wurde Teil des Liber Sancti Jacobi und brachte iberische und europäische Traditionen zusammen, wie vor kurzem erst deutlich dokumentiert worden ist 10 . Die politischen Funktionen des heiligen Jakobus’ in Spanien gewannen im 11. und 12. Jahrhundert zudem mit der Ausbildung des Typus’ des Landespatrones sowie des Schlachtenhelfers gegen die Muslime eine weitere wichtige Facette 11 . Dazu traten die wichtigen ökonomischen Abgaben (votos de Santiago) an die Kathedralkirche von Santiago de Compostela, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts geleistet wurden 12 und damit auch die Kulterinnerung und das Kultgedächtnis in Santiago de Compostela festigten. So wurde das Bild vom Schlachtenhelfer und Maurentöter im kulturellen Gedächtnis besonders wirksam verankert. Diese Facetten waren vor allem - wenn auch nicht ausschließlich - mit Spanien verbunden und belegen, wie sehr die Figur des Heiligen auch in verschiedenen politischen Konstellationen wandlungsfähig war und bis heute geblieben ist. aus Buch I, Buch II = Mirakelsammlung; Buch III = Translatio und einige weitere Passagen); Die Chronik von Karl dem Großen und Roland: der lateinische Pseudo- Turpin in den Handschriften aus Aachen und Andernach, hg. von Hans Wilhelm K LEIN (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 13, München 1986) (Buch IV = Historia Turpini nach den Aachener Handschriften); Klaus H ERBERS , Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela (Tübingen 1986, 7 2001) (eine Predigt aus Buch I und Buch V = Pilgerführer). 10 El Pseudo-Turpin. Lazo entre el Culto Jacobeo y el Culto de Carlomagno. Actas del VI Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Klaus H ERBERS (Santiago de Compostela 2003) sowie: Jakobus und Karl der Große. Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin, hg. von Klaus H ERBERS (Jakobus-Studien 14, Tübingen 2003) - teilweise mit deutschen Versionen einiger Abhandlungen der erstgenannten Publikation. 11 Vgl. Klaus H ERBERS , Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des „politischen Jakobus“, in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen P ETERSOHN (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994) S. 177-276, 203-209 und 233-239; vgl. hierzu auch Robert P LÖTZ , De hoc quod apostolus Karolo apparuit, in: Jakobus und Karl der Große (wie Anm. 10) S. 39-78. 12 Vgl. zu den Verankerungen in der Geschichtsschreibung H ERBERS , Politik (wie Anm. 11) bes. S. 238f., zu den Votos bis in die Neuzeit vgl. Ofelia R EY C ASTELAO , La historiografía del Voto de Santiago. Recopilación crítica de una polémica histórica (Santiago de Compostela 1985). Zur Einführung 5 2. Neben dieser Dimension des Heiligen für die Iberische Halbinsel hat das Thema Jakobus in Europa große internationale Beachtung gefunden. Spätestens seit dem 11. Jahrhundert erreichte die Compostelafahrt europäische Dimensionen und trat zunehmend an die Seite der anderen großen Pilgerfahrten nach Rom und Jerusalem 13 . Der Grad der Europäisierung und die Beteiligung verschiedener Länder an den europäischen Pilgerfahrten konnte durch Neufunde stets präzisiert werden. Hier ist der Stand der Studien noch keinesfalls endgültig, weil niemand sicher ist, in welchem Maße durch Einzelnachweise das Bild weiter vervollständigt werden kann. Dennoch dürfte inzwischen soviel feststehen: eine erste über die Iberische Halbinsel ausgreifende größere Pilgerbewegung betraf vor allem Frankreich sowie Italien und Deutschland seit dem 11. Jahrhundert, im 12. Jahrhundert traten der angelsächsische und skandinavische Raum hinzu, während Osteuropa erst seit dem 14./ 15. Jahrhundert zum Einflussbereich - wenn auch mit deutlich weniger Belegen - gezählt werden kann. Die europäischen Pilgerstudien gehen einher mit zahlreichen Untersuchungen zum Rechtsstatus des Pilgers 14 , zu den Hospizen unterwegs 15 , zu Fragen des Reisens und den Begleitumständen des Pilgerns allgemein 16 . 13 Mehrere große Sammelwerke und Kataloge haben diesen europäischen Aspekt in den Vordergrund gerückt, von denen nur wenige genannt werden können: vgl. bereits Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt, hg. von Robert P LÖTZ (Jakobus-Studien 2, Tübingen 1990). Ausführliche Dokumentation im Katalogband Santiago, Camino de Europa. Culto y cultura en la peregrinación a Compostela, Ausstellungskatalog (Santiago de Compostela 1993); Santiago de Compostela. Pilgerwege, hg. von Paolo C AUCCI VON S AUCKEN (Augsburg 1993); Pilgerziele der Christenheit, Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela, hg. von Paolo C AUCCI VON S AUCKEN (Stuttgart 1999) - die beiden letzten Werke sind in mehreren Sprachen erschienen; vgl. auch Pilgerwege im Mittelalter, hg. von Klaus H ERBERS / Norbert O HLER / Bernhard S CHIMMELPFENNIG u. a. (Darmstadt 2005). 14 Elías V ALIÑA S AMPEDRO , El camino de Santiago. Estuio Histórico-Jurídico (Monografías de historia ecclesiastica 5, Madrid 1971); Louis C ARLEN , Wallfahrt und Recht im Abendland (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Freiburg/ Schweiz 1987); regional eingeschränkt: Ignacio G RANADO H IJELMO / María Concepción F ERNÁNDEZ DE LA P RADILLA , La Rioja y el camino de Santiago. Estudio histórico y jurídico con anexo de la legislación jacobea vigente, o. O. o. J. [Santiago de Compostela 1997]. 15 Hans Conrad P EYER , Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter (MGH Schriften 31, Hannover 1987); Ludwig S CHMUGGE , Die Anfänge des organisierten Pilgerverkehrs im Mittelalter, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 64 (1984) S. 1-83. 16 Vgl. neben den in Anm. 4, 5 und 17 genannten Sammelwerken z. B. auch Norbert O HLER , Pilgerleben im Mittelalter: Zwischen Andacht und Abenteuer (Freiburg 1994); D ERS ., „Daß Gott mir barmherzig sei“. Pilgern und Pilger im Mittelalter, in: Pilgerwege im Mittelalter (wie Anm. 13) S. 9-26. 6 Klaus Herbers/ Enno Bünz Hier bieten sich neben interdisziplinärer Arbeit breite Vernetzungsmöglichkeiten auch im Vergleich verschiedener Pilgerfahrten sowie des damit entstandenen speziellen Schrifttums, wie Pilgerführer und Pilger-/ Reiseberichte 17 . Zugleich sind Fragen wie Wahrnehmung und Aufzeichnung, Vorwissen und Beobachtung sowie weitere Aspekte in jüngerer Zeit immer wieder diskutiert worden 18 . 3. Der dritte große Arbeitsbereich betrifft die Rolle des Heiligen und seines Kultes in den verschiedenen Regionen Europas oder sogar in anderen Kontinenten. Waren auf Deutschland bezogen die frühesten Sichtungen noch eher Einzelarbeiten 19 , so ist vor allem seit der Gründung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft 1987 und verschiedener weiterer Organisationen dieses Feld mit jeweiligen lokalen Schwerpunkten intensiv beackert worden 20 . Die Entdeckung des Heiligen in der unmittelbaren Nachbarschaft in Kunst, Brauchtum und anderen Spuren hat zu einer unübersehbaren Zahl von Studien geführt, die in dieser Einleitung nicht annähernd vollständig gewürdigt werden können, zumal die Grenze zwischen eher folkloristischen und 17 Die Literatur zu den Pilger- und Reiseberichten ist unübersehbar geworden. Vgl. die analytischen Bibliographien: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, hg. von Werner P ARAVICINI , Teil 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von Christian H ALM (Kieler Werkstücke, Reihe D: 5, Frankfurt am Main/ Berlin/ Bern 1994, 22001), Teil 2: Französische Reiseberichte bearb. von Jörg W ETTLAUFER in Zusammenarbeit mit Jacques P AVIOT (Kieler Werkstücke, Reihe D: 12, Frankfurt am Main/ Berlin/ Bern/ Brüssel/ New York/ Wien 1999, Teil 3: Niederländische Reiseberichte. Nach Vorarbeiten von Detlev K RAACK bearb. von Jan H IRSCHBIEGEL (Kieler Werkstücke, Reihe D: 14, Frankfurt am Main/ Berlin/ Bern/ Brüssel/ New York/ Wien 2000). - Weiterhin zu Santiago: Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“, hg. von Robert P LÖTZ und Klaus H ERBERS (dtv 4718, München 1996); zu den verschiedenen Reiseformen und Berichten synthetisierend Folker R EICHERT , Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter (Stuttgart 2001). 18 Vgl. neben den Werken in der vorigen Anm. auch die zahlreichen weiterführenden Beiträge in: Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Rainer B ABEL und Werner P ARAVICINI (Beihefte der Francia 60, Ostfildern 2005). 19 Konrad H ÄBLER , Das Wallfahrtsbuch des Hermannus Künig von Vach und die Pilgerreisen der Deutschen nach Santiago de Compostela (Straßburg 1899); Georg S CHREIBER , Deutschland und Spanien (Düsseldorf 1936); Hermann J. H ÜFFER , Sant’Jago. Entwicklung und Bedeutung des Jacobuskultes in Spanien und dem Römisch-Deutschen Reich (München 1957); vgl. auch noch Robert P LÖTZ , Santiago-peregrinatio und Jacobuskult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft (1. Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 31, Münster 1984) S. 25-135. 20 Fast alle der inzwischen erschienenen Bände der Jakobus-Studien schlossen dem jeweiligen Tagungsort entsprechend auch lokale Beiträge ein, vgl. zur Sichtung der wichtigsten Ergebnisse unten Abschnitt II Anm. 28-33. Zur Einführung 7 wissenschaftlichen Beiträgen oft verschwimmt. Die methodischen Probleme vieler dieser Abhandlungen liegen zu einem großen Teil darin, dass sich Spuren des Jakobuskultes, Patrozinien oder andere Indizien oft nicht direkt auf Pilger und Pilgerbewegungen oder auf den Ort Santiago de Compostela zurückführen lassen 21 . Dieser methodische Vorbehalt oder die Skepsis gegenüber vorschnellen Zuordnungen wird in unterschiedlicher Weise in den verschiedenen inzwischen vorliegenden Arbeiten thematisiert. Deshalb ist es nicht nur schwierig, alle Studien noch zu überblicken, der Vergleich verschiedener Landschaften wird zugleich dadurch kompliziert, dass sich die Kriterien der Bearbeitung in vielen Fällen unterscheiden. In allen drei Bereichen haben die Tagungen der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft und die begleitenden Jakobus-Studien wichtige Fortschritte gebracht. Jedoch standen im Zusammenhang mit den Tagungen der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft im wesentlichen die Forschungs- und Arbeitsbereiche zum Pilgerwesen in Europa und zu den Rückwirkungen sowie den jeweiligen Spuren in einzelnen Regionen im Vordergrund, während in den Kongressakten, die in den letzten zehn Jahren in Santiago de Compostela veröffentlicht worden sind, spanische Aspekte des Kultes stärker berücksichtigt wurden 22 . Gerade die Studien zu den europäischen Dimensionen der Pilgerfahrt und zu den Spuren in den verschiedenen Regionen machen aber deutlich, wie viele Disziplinen an einem solchen Unterfangen immer wieder beteiligt werden müssen. In der vergangenen Zeit waren Volkskunde, Musikwissenschaften, Kunstgeschichte, Theologie, Geschichte und die Philologien die Hauptstützen solcher Vorhaben. Jakobusforschung war 21 Dies wurde besonders deutlich im Band zum Jakobuskult in Süddeutschland thematisiert, vgl. Der Jakobuskult in Süddeutschland. Kultgeschichte in regionaler und europäischer Perspektive, hg. von Klaus H ERBERS und Dieter R. B AUER (Jakobus- Studien 7, Tübingen 1995). 22 Exemplarisch sei auf folgende Kongressakten verwiesen: Actas del II Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Vicente A LMAZÁN (Santiago de Compostela 1998); Santiago, Roma, Jerusalen, Actas del III Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Paolo Caucci VON S AUCKEN (Santiago de Compostela 1999); Actas del IV Congreso Jacobeo, hg. von María Josefa S ANZ F UENTES (Oviedo 2004); Santiago de Compostela: Ciudad y Peregrino - Actas del V Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Robert P LÖTZ (Santiago de Compostela 2001); El Pseudo-Turpin Lazo entre el Culto Jacobeo y el Culto de Carlomagno. Actas del VI Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Klaus H ERBERS (Santiago de Compostela 2003); Visitandum est. Santos y cultos en el Codex Calixtinus. Actas del VII Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Paolo C AUCCI VON S AUCKEN , Santiago de Compostela 2005. 8 Klaus Herbers/ Enno Bünz deshalb in hohem Maße immer schon interdisziplinär und musste auch aufgrund der europäischen Dimensionen des Kultes zwangsläufig international organisiert werden. Dabei boten sowohl das Kultwie das Pilgerthema wichtige Verbindungsstellen zu anderen methodischen Arbeitsbereichen der Wissenschaften. Erinnert sei nur an die in jüngerer Zeit zahlreichen Forschungen, Heiligendossiers und hagiographischen Schriften nicht nur als Zeugnis der Mentalitäten- und Alltagsgeschichte zu verstehen, sondern ebenso das Zustandekommen der Texte, den Verschriftlichungsprozess selbst zu thematisieren. Dabei ist deutlich geworden, in wie großem Maße Heiligenviten aber auch Mirakel zu ganz bestimmten Zeiten neu geschrieben wurden, manchmal sogar, wie Uta Kleine jüngst festgestellt hat, Mirakelsammlungen nur in ganz bestimmten Situationen von religiösen Institutionen schriftliche Form annahmen 23 . In Zeiten von Krisen suchte man zum Beispiel mit der Zusammenstellung von Wundergeschichten gegen mögliche Konkurrenten vorzugehen. Vor diesem Hintergrund bietet das hagiographische Dossier des heiligen Jakobus ein Paradebeispiel, weil die wohl jüngste Fassung des schon genannten Liber Sancti Jacobi deutlich erkennen lässt, wie führende Kräfte in einer Zeit des Umbruchs auf der Iberischen Halbinsel mit diesem Buch über die üblichen Zusammenstellungen anderer Heiliger hinausgehen wollten. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass eigentlich nur das dritte Buch mit der Translationsgeschichte, einige Teile aus dem ersten Buch mit der Leidensgeschichte sowie das zweite Buch mit einer Mirakelsammlung zum klassischen Bestand eines hagiographischen Dossiers gehören. Die anderen Teile, liturgische Texte, die Geschichte von Karls Zug nach Spanien sowie der Pilgerführer, waren die spezifischen Waffen, die Santiago de Compostela im 12. Jahrhundert noch zusätzlich einsetzte oder einsetzen wollte 24 . Ist somit die enge Verbindung der Forschungen zum Kult des heiligen Jakobus mit neuen hagiographischen Untersuchungen gewährleistet, so bietet gerade die Untersuchung der Pilgerbewegung Anschlussfähigkeit an Fragen zur Adelsforschung, zur Adelsmobilität, wie sie beispiels- 23 Vgl. die oben angegebenen Studien zur Réécriture (Anm. 7) sowie jetzt Uta K LEINE , Gesta, Fama, Scripta. Rheinische Mirakel des Hochmittelalters zwischen Geschichtsdeutung, Erzählung und sozialer Praxis (Beiträge zur Hagiographie 7, Stuttgart 2007); vgl. bereits DIES ., „Stumme Seiten“. Beobachtungen und Thesen zu Herstellung und Gebrauch von hagiographischen Büchern im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien, 38, 2004, S. 371-391 und D IES . „Schätze des Heils, Gefäße der Auferstehung“. Heilige Gebeine und christliche Eschatologie im Mittelalter, Historische Anthropologie, 14, 2 (2006) S. 161-192. 24 Vgl. oben, bes. S. 2f. mit Anm. 5 und 9. Zur Einführung 9 weise von Werner Paravicini und anderen betrieben wurden 25 , aber auch zu neueren Untersuchungen über Reisen und Welterfahrung, die Folker Reichert und Felicitas Schmieder stärker in die Diskussion eingebracht haben 26 , sowie zu Fragen des kulturellen Transfers, wie er in jüngerer Zeit in Erlangen Thema eines Graduiertenkollegs geworden ist 27 . Darüber hinaus erschließen die Studien zu den Rückwirkungen in den Regionen immer wieder wichtige Bezugspunkte zu den schon genannten Disziplinen, besonders zur landeshistorischen Forschung. Dies gilt für die Ermittlung von Altstraßen ebenso wie für die Frage der Patrozinien, der künstlerischen Spuren, der Bruderschaften und anderer Aspekte des Kultes. In diese größeren Zusammenhänge gehören auch die Themen unserer Tagung. Geht man davon aus, dass für den Jakobuskult und die Pilgerfahrten nach Compostela ein entscheidender Schritt im 12. Jahrhundert sowie eine zusätzliche Erweitung der Dimensionen im 15. und 16. Jahrhundert erfolgten, dann sind die Würdigung der Zeugnisse zu Wiprecht von Groitzsch sowie der wiederentdeckte Pilgerbericht des Hans von Sternberg wichtige neue Belege für diese zwei „Hochzeiten“ des Kultes. Insofern tragen die Aufsätze von Enno Bünz und Falk Eisermann/ Folker Reichert dazu bei, die Pilgerbewegung nach Compostela in ihren europäischen Dimensionen in neue Zusammenhänge zu stellen und das bisherige Bild zu erweitern. Damit werden zugleich Fragen zur Kirchenreform und Pilgerfahrt im 12. Jahrhundert im Spannungsfeld 25 Vgl. zuletzt der Sammelband Le Grand tour (wie Anm. 18) sowie die weiteren Titel in Anm. 17. 26 Vgl. neben einschlägigen früheren Arbeiten zusammenfassend R EICHERT , Erfahrung (wie Anm. 19); Produktive Kulturkonflikte, hg. von Felicitas S CHMIEDER (Das Mittelalter 10, 2, Berlin 2005); künftig auch Venedig im Schnittpunkt der Kulturen. Außen- und Innensichten europäischer und nichteuropäischer Reisender im Vergleich, hg. von Klaus H ERBERS , Felicitas S CHMIEDER (Storia e letteratura, Rom, im Druck). 27 Vgl. hierzu Michel Espagne und Michael Werner: „Die systematische Untersuchung interkultureller Beziehungen ist ein relativ wenig erschlossenes Gebiet der Kulturgeschichte.“, M ICHEL E SPAGNE / Michael W ERNER , Deutsch-französischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert. Zu einem interdisziplinärem Forschungsprogramm des C. N. R. S., in: Francia 13 (1985) S. 502-510, hier 502. Inzwischen liegt für das 18./ 19. Jahrhundert ein Sammelband vor: Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich-Deutschland 1770-1815, hg. von Hans Jürgen L ÜSEBRINK / Rolf R EI - CHARDT , zusammen mit Annette K EILHAUER / René N OHR (Deutsch-Französische Kulturbibliothek 9,1-2, Leipzig 1997) mit zahlreichen Einzelbeiträgen; jetzt auch Hartmut K UGLER , Che cosa significa „Kulturtransfer“ nel Medioevo europeo? , in: Pellegrinaggio e Kulturtransfer nel Medioevo europeo, hg. von Hubert H OUBEN / Benedetto V ETERE (Lecce 2006) S. 7-11 und die weiteren Beiträge dieses Bandes. 10 Klaus Herbers/ Enno Bünz einer Konkurrenz zwischen Rom und Santiago sowie zur Adels- und Reiseforschung thematisiert. Hierzu trägt weiterhin die vergleichende Studie von André Thieme über die Pilgerreisen sächsischer Fürsten im späten Mittelalter, die ja nicht alle nur nach Compostela fuhren, bei. Die weiteren Beiträge von Hartmut Kühne, von Markus Cottin/ Henning Steinführer, von Jörg Richter, Christoph Volkmar, Bert Meister und Manfred Straube betreffen stärker die landesgeschichtlich regionalen Aspekte, deren Ergebnisse in einem weiteren Schritt gewürdigt werden sollten. II Eine Tagung über Jakobus-Verehrung in Sachsen schließt mehr als nur eine regionale Lücke, nachdem die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft mit früheren Tagungen bereits den Spuren der Heiligenverehrung in Süddeutschland 28 , im Rheinland 29 und in Ostmitteleuropa 30 , in den oberdeutschen Reichsstädten 31 sowie den norddeutschen Hansestädten 32 nachgegangen ist. Bereits 1998 hatte eine kleine Tagung der Deutschen Jakobus-Gesellschaft im Kloster Marienthal bei Zittau stattgefunden und den Blick auf Sachsen und die Oberlausitz gelenkt. Die Beiträge sind im Tagungsband über Jakobusverehrung in Ostmitteleuropa erschienen. Gerhard Graf hat Beobachtungen über die Jakobuspatrozinien in Sachsen mitgeteilt 33 , Renate Wissuwa die Ergebnisse der Altstraßenforschung in Sachsen dargestellt 34 und Gunhild Roth das „Heilige Grab“ in Görlitz 28 Jakobuskult in Süddeutschland, hg. von H ERBERS / B AUER (wie Anm. 21). - Siehe ergänzend Klaus H ERBERS , „Wol auf sant Jacobs straßen! “. Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobskults in Süddeutschland (Ostfildern 2002). 29 Jakobuskult im Rheinland, hg. von Robert P LÖTZ / Peter R ÜCKERT (Jakobus-Studien 13, Tübingen 2004). 30 Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa. Austausch - Einflüsse - Wirkungen, hg. von Klaus H ERBERS / Dieter R. B AUER (Jakobus-Studien 12, Tübingen 2003). 31 Die oberdeutschen Reichsstädte und ihre Heiligenkulte - Traditionen und Ausprägungen zwischen Stadt, Ritterorden und Reich, hg. von Klaus H ERBERS (Jakobus- Studien 16, Tübingen 2005). - Siehe künftig auch den Tagungsband „Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit: Wirtschaft, Kultur und Pilgerfahrten“, Jahrestagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft, Augsburg, 30. Sept. bis 3. Okt. 2006. 32 Der Kult des Apostels Jakobus d. Ä. in norddeutschen Hansestädten, hg. von Hedwig R ÖCKELEIN (Jakobus-Studien 15, Tübingen 2005). 33 Gerhard G RAF , Das Jakobuspatrozinium in Sachsen, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa (wie Anm. 30) S. 353-358. 34 Renate W ISSUWA , Altstraßen, Mobilität und Austausch. Verkehrsmäßige Voraussetzungen in Sachsen für die Pilgerbewegung, in: Der Jakobskult in Ostmitteleuropa Zur Einführung 11 als Beispiel einer spätmittelalterlichen Kultstätte, die allerdings nicht mit der Jakobusverehrung zusammenhängt, behandelt 35 . Der Ansatz der Deutschen Jakobus-Gesellschaft, mit wechselnden landschaftlichen Schwerpunkten der Jakobus-Verehrung nachzugehen, hat sich bisher bewährt, weil stets in einer breiten Perspektive auch allgemeine Aspekte des regionalen Wallfahrtsgeschehens sowie der Heiligenverehrung einschließlich ihrer kultur- und kunstgeschichtlichen Dimensionen betrachtet werden. Von daher lag es nahe, den 1998 auf der Tagung in Marienthal beschrittenen Weg fortzusetzen und die Tagung der Deutschen Jakobus-Gesellschaft in Helfta bei Eisleben in Sachsen-Anhalt 2005 ganz dem Thema „Jakobusverehrung in Sachsen“ zu widmen 36 . Die Vorträge der Jahrestagung in Helfta - die für den Druck noch um einen Beitrag von Marius Winzeler ergänzt werden konnten - befassten sich mit den Spuren des mittelalterlichen Wallfahrtswesens zwischen Elbe und Saale (Hartmut Kühne), den Pilgerreisen sächsischer Fürsten im späten Mittelalter (André Thieme) und den Formen fürstlicher Heiligenverehrung in Mitteldeutschland vor der Reformation (Christoph Volkmar),widmeten sich aber auch spezifischenErscheinungsformenund Zeugnissen der Jakobusverehrung in Sachsen und Mitteldeutschland. So wurde der wiederentdeckte Pilgerbericht des Hans von Sternberg vorgestellt, der auch nach Santiago de Compostela führt (Falk Eisermann/ Folker Reichert), mit Wiprecht von Groitzsch und dem hl. Jakobus der Blick auf die frühesten Zeugnisse der Jakobusverehrung in Sachsen gelenkt (Enno Bünz), die Beziehungen der Jakobskirche in Leipzig zum Erfurter Schottenkloster konnten untersucht werden (Markus Cottin/ Henning Steinführer), die Spuren der Verehrung des hl. Jakobus am Halberstädter Dom (Jörg Richter) und die Jakobus-Bruderschaft in Altenburg (Bert Meister) wurden behandelt. Schließlich wurde nach dem Beitrag der Altstraßenforschung zur Erforschung der Jakobswege in Sachsen (Manfred Straube) gefragt. Die Brücke von der Reformation (wie Anm. 30) S. 41-55. - Siehe auch D IES ., Verkehrsmäßige Voraussetzungen für die Pilgerbewegung. Jakobswege in Sachsen, in: Im Dienste der historischen Landeskunde. Beiträge zur Archäologie, Mittelalterforschung, Namenkunde und Museumsarbeit vornehmlich in Sachsen. Festgabe für Gerhard Billig zum 75. Geburtstag dargebracht von Schülern und Kollegen, hg. von Rainer A URIG / Reinhardt B UTZ / Ingolf G RÄSSLER / André T HIEME (Beucha 2002) S. 351-353. 35 Gunhild R OTH , Das „Heilige Grab“ in Görlitz, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa (wie Anm. 34) S. 259-283. 36 Siehe den Tagungsbericht von Christoph K ÜHN , Jakobus-Verehrung in Sachsen. Jahrestagung im Kloster Helfta 24.-27. November 2006, Sternenweg. Mitgliedszeitschrift der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft e.V., 37 (März 2006) S. 27-32. 12 Klaus Herbers/ Enno Bünz zur Gegenwart wurde mit dem Abschlussvortrag über Pilgerfahrten in Mitteldeutschland zwischen Konfessionalisierung und Ökumene (Christoph Kühn) geschlagen. Die Frage nach der Jakobusverehrung in Sachsen zielt auf die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte einer Landschaft, die bislang generell nicht im Mittelpunkt entsprechender Fragestellungen gestanden hat. Dafür lassen sich vor allem zwei Gründe anführen. Einerseits ist für Sachsen, das Mutterland der Reformation, wie für alle Landschaften, die seit dem 16. Jahrhundert von der Reformation erfasst worden sind, festzustellen, dass Themen der vorreformatorischen, also mittelalterlichen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte, generell kein großes Interesse gefunden haben 37 . Die konfessionelle Trennung in Deutschland hat eben langfristig auch nachhaltige Auswirkungen auf historisch unterschiedlich akzentuierte Forschungsinteressen gehabt. Andererseits muss auch darauf hingewiesen werden, dass nach der Teilung Deutschlands in Folge des Zweiten Weltkriegs in der DDR unter den ideologisch bestimmten Rahmenbedingungen der SED- Geschichtsforschung die Landesgeschichte als Disziplin bis in die 80er Jahre weitgehend zurückgedrängt worden ist. Im Kontext einer marxistisch definierten Regionalgeschichte, wie sie dann seit Anfang der 1960er Jahre insbesondere in Leipzig betrieben worden ist, haben Themen der mittelalterlichen Geschichte und insbesondere solche der Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte praktisch keine Rolle gespielt 38 . Allerdings wäre es ungerecht, die weitgehende Vernachlässigung der vorreformatorischen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte Sachsens und Mitteldeutschlands allein mit der ideologischen Ausrichtung der Geschichtswissenschaft in der DDR zu begründen. Die landesgeschichtliche Forschung in Sachsen ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Rudolf Kötzschke (1867-1949) und seiner Schule bestimmt wor- 37 „Nach einer zumindest in Deutschland weitverbreiteten Überzeugung hat der Protestantismus - wenn nicht schon in der Reformation, so doch im Fortgang der Neuzeit - radikal mit dem Mittelalter gebrochen, hat er eine ‚Umformung des christlichen Denkens‘ bewirkt und als ‚die Religion der Freiheit‘ den ‚modernen Menschen‘ geprägt“, bemerkt Ulrich K ÖPF , Protestantismus und Mittelalter, Pietismus und Neuzeit 21 (1995) S. 319-341, Zitat 319. 38 Eine umfassende Forschungsbilanz der DDR-Regionalgeschichte fehlt gleichwohl. Einige Aspekte behandelt Karlheinz B LASCHKE , Die Landesgeschichte in der DDR - ein Rückblick, Blätter für deutsche Landesgeschichte 126 (1990) S. 243-261; D ERS ., Mittelalterforschungen zur sächsischen Landesgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hg. von Michael B ORGOLTE (HZ, Beihefte NF 20, München 1995) S. 129-141. Zur Einführung 13 den und war vor allem an Themen der Siedlungs- und Agrargeschichte interessiert 39 . Immerhin entstand in diesem Zusammenhang die Dissertation von Herbert Helbig über die Kirchenpatrozinien in Sachsen auf siedlungsgeschichtlicher Grundlage 40 . Zusammen mit den älteren Arbeiten von Irmisch über das Bistum Merseburg und Naumann über das Bistum Naumburg-Zeitz kann festgehalten werden, dass die mitteldeutschen Diözesen aus patrozinienkundlicher Sicht mittlerweile einigermaßen zuverlässig aufgearbeitet sind 41 . Die Patroziniengeschichte hat allerdings von jeher eine Sonderstellung eingenommen, diente sie doch gewissermaßen als Hilfswissenschaft des Historikers zur Klärung von Fragen der früh- und hochmittelalterlichen Herrschafts- und Siedlungsgeschichte (man denke nur an die Martinspatrozinien als vermeintliches Leitfossil frühmittelalterlicher Königskirchen) 42 . In diesem Sinne konzentrierten sich frühere patrozinienkundliche Arbeiten vor allem auf die Weihetitel von Kirchen und Kapellen des Früh- und Hochmittelalters, seltener hingegen auf die zahlreichen Altar- und Vikariestiftungen des späten Mittelalters. Im Vordergrund des Interesses standen eben nicht Ausbreitung und Wandel von Heiligenkulten, sondern ihr Zeugniswert für die Herrschafts- und Siedlungsgeschichte 43 . 39 Vgl. die Beiträge in: Rudolf Kötzschke und das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde an der Universität Leipzig. Heimstatt sächsischer Geschichte, hg. von Wieland H ELD / Uwe S CHIRMER (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft 1, Beucha 1999). 40 Herbert H ELBIG , Untersuchungen über die Kirchenpatrozinien in Sachsen auf siedlungsgeschichtlicher Grundlage (Historische Studien 361, Berlin 1940). 41 Rudolf I RMISCH , Beiträge zur Patrozinienforschung im Bistum Merseburg, Sachsen und Anhalt 6 (1930) S. 44-176; Louis N AUMANN , Weihenamen der Kirchen und Kapellen im Bistum Zeitz-Naumburg. Ein Beitrag zur Patrocinienforschung (Naumburg 1935). 42 Zur Kritik dieser Ansätze siehe Enno B ÜNZ , Die mittelalterliche Pfarrei in Franken. Stand, Probleme und Aufgaben der landesgeschichtlichen Atlasarbeit in Bayern, in: Bayerische Landesgeschichte. Landesgeschichte in Bayern. Festgabe für Alois Schmid zum 60. Geburtstag, hg. von Konrad A CKERMANN / Hermann R UMSCHÖTTEL (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 68, 1, München 2005) S. 51-74, hier bes. S. 59ff. mit weiteren Hinweisen. 43 Diesem Ansatz folgen auch Blaschkes Arbeiten über den Zusammenhang von Nikolaipatrozinien und hochmittelalterlichen Fernhändlersiedlungen, vgl. Karlheinz B LASCHKE , Stadtgrundriß und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung mitteleuropäischer Städte. Ausgewählte Aufsätze. Unter Mitarbeit von Uwe J OHN hg. von Peter J OHANEK (Städteforschung, Reihe A, 44, Köln/ Weimar/ Wien 1997, 2 2001) und D ERS ., Stadtplanforschung. Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des hochmittelalterlichen Städtewesens in Mittel-, Ost- und Nordeuropa (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 138, 4, Stuttgart/ Leipzig 2003). 14 Klaus Herbers/ Enno Bünz Erst die Forschungen des Bonner Volkskundlers Matthias Zender haben hier wohl einen Wandel des Forschungsinteresses eingeleitet 44 . Insgesamt kann nicht übersehen werden, dass sowohl die Mittelalterforschung als auch die Landesgeschichtsforschung in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus verschiedenen Gründen an Themen der Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte weitgehend uninteressiert war 45 . Gewiss haben die großen Themen der Papst- und Bistumsgeschichte („Reichskirche“) auch manche Mediävisten beschäftigt, und die kirchliche Institutionengeschichte ist im landesgeschichtlichen Rahmen zumindest mit Blick auf die herrschafts- und siedlungsgeschichtliche Rolle von Klöstern fast bis zum Überdruss erforscht worden, aber alle anderen Themen der Kirchengeschichte wurden - in einer damals vielleicht noch sinnvollen Arbeitsteilung - der Kirchengeschichtsforschung in den Theologischen Fakultäten überlassen. Dabei kam dann wiederum zum Tragen, dass die bereits angedeuteten konfessionellen Grundeinstellungen das Interesse an der mittelalterlichen Kirchengeschichte in den evangelischen Fakultäten noch stärker gehemmt haben als in den katholischen 46 . Die Ausnahme von der Regel stellte in der Leipziger Theologischen Fakultät Albert Hauck (1845-1918) dar, der dort von 1889 bis zu seinem Tod gewirkt hat. Seine fünfbändige Kirchengeschichte Deutschlands, die vom frühen Mittelalter bis zur ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts reicht, ist größtenteils in Leipzig entstanden 47 . Früher wie heute findet die mittelalterliche Kirchengeschichte an den evangelisch-theologischen Fakultäten aber nur wenig Interesse, hatten und haben doch „Mittelalterforscher unter den evangelischen Kirchenhistorikern kaum Aussicht, das Ziel einer akademischen Laufbahn zu erreichen“ 48 . Für die katholischen 44 Siehe z. B. Matthias Z ENDER , Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung in ihrer Bedeutung für die Volkskunde (Düsseldorf 1959, Köln 2 1973); Schriftenverzeichnis Matthias Zender über die Jahre 1925-1987. Zusammengestellt von Josef M ANGOLD (Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, Beiheft 1, Bonn 1987). 45 Siehe dazu künftig Enno B ÜNZ , Kirche, Klerus und Frömmigkeit als Gegenstand der Landesgeschichte, in: Landesgeschichte im 21. Jahrhundert: Perspektiven - Impulse - Probleme. Tagung zu Ehren von Alois Gerlich aus Anlaß seines 80. Geburtstages, hg. von Sigrid S CHMITT , Stuttgart 2007 (im Druck). 46 Dass es in den letzten Jahrzehnten geradezu zu einer Umpolung dieser Interessenlage gekommen ist, steht auf einem anderen Blatt, man denke nur an die wegweisenden Arbeiten zur spätmittelalterlichen Frömmigkeits- und Theologiegeschichte der evangelischen Kirchenhistoriker Heiko A. Oberman, Berndt Hamm und ihrer Schüler. 47 Kurt N OWAK , Albert Hauck 1845-1918, Herbergen der Christenheit 19 (1995) S. 27- 44, verkürzt in: Sächsische Lebensbilder 4, hg. von Reiner G ROSS / Gerald W IEMERS (Stuttgart 1999) S. 119-139. 48 K ÖPF , Protestantismus und Mittelalter (wie Anm. 37) S. 322. Zur Einführung 15 Kirchenhistoriker wird man dies so pauschal gewiss nicht behaupten können, aber die Leitthemen lieferte hier vor allem die kirchliche Hierarchie, die Geschichte der Päpste und Bischöfe, der großen Konzilien, des Verhältnisses von Staat und Kirche, gelegentlich auch die Ordens- und Klostergeschichte. Die alltäglichen Ausprägungen des kirchlichen Lebens, die sich in den lokalen Bezügen von Pfarreien manifestierten und die ihren Niederschlag in kirchlichen Bruderschaften, in vielfältigen Stiftungen und mannigfaltigen Formen privater Frömmigkeit fanden, haben hingegen die akademische Geschichtswissenschaft und Kirchengeschichte lange Zeit kaum interessiert. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass wichtige Forschungsbeiträge keineswegs nur von der universitären Geschichtswissenschaft bzw. Kirchengeschichte geliefert worden sind. Namentlich die Pfarrer haben in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die vorzüglichen Gesamtdarstellungen der mittelalterlichen Kirchengeschichte Mecklenburgs von Karl Schmaltz (1867-1940) 49 und Thüringens von Rudolf Herrmann (1875-1952) 50 , sowie für Sachsen an die vielen substantiellen Forschungsbeiträge Georg Buchwalds (1859-1947) 51 und Otto Clemens (1871-1954) 52 . Nicht unerwähnt bleiben kann hier der Privatgelehrte Friedrich Hermann Löscher (1888-1967), dem grundlegende Arbeiten zur Pfarreigründung und -ausstattung im mittelalterlichen Sachsen zu verdanken sind 53 . Ein ausgewogenes Urteil über die Leistungen und Grenzen der älteren Forschung wird man deshalb nur dann fällen können, wenn neben den großen „Meistererzählungen“, welche die herrschenden Diskurse 49 Karl S CHMALTZ , Kirchengeschichte Mecklenburgs 1: Mittelalter (Berlin 1935). 50 Rudolf H ERRMANN , Thüringische Kirchengeschichte 1: Mittelalter (Jena 1937). Zur spätmittelalterlichen Kirchengeschichte Thüringens hat Herrmann zahlreiche Aufsätze veröffentlicht, die ich demnächst in Auswahl in einem Sonderband der „Herbergen der Christenheit“ herausgeben werde. 51 Reinhold J AUERNIG , Georg Buchwald in memoriam, Theologische Literaturzeitung 78 (1953) Sp. 239-252, mit Bibliographie. 52 Otto C LEMEN , Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897-1944), 8 Bde., hg. von Ernst K OCH (Leipzig 1982-1988), darunter auch mehrere vorreformatorische Studien. Siehe auch Reinhold J AUERNIG , Bibliographie Otto Clemen, ebd. 8, S. VIII-XIX. 53 Friedrich Hermann L ÖSCHER , Gründung und Ausstattung von Kirchen, Pfarren, Schulen und Hospitälern im Verlauf der bergmännischen Besiedlung des Erzgebirges, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 69 (1952) S. 297- 394. - Eine Auswahl weiterer Aufsätze wurde nachgedruckt in: Friedrich Hermann L ÖSCHER sen./ Friedrich Hermann L ÖSCHER jun., Heimat Erzgebirge. Geschichte, Land und Leute, hg. von Erika L ÖSCHER (Berlin 1997). 16 Klaus Herbers/ Enno Bünz und Forschungstrends markieren, auch die vielfältige Einzelforschung mit berücksichtigt wird, die vor allem im landesgeschichtlichen Rahmen geleistet worden ist. Dies alles kann hier nur angedeutet und als Aufgabe eine künftigen, umfassenderen Forschungs- und Historiographiegeschichte Sachsens formuliert werden 54 . Im Rahmen dieser Einleitung kann es auch nicht darum gehen, eine umfassende Bilanz der Forschung zu ziehen, die auch manche regionalen und lokalen Publikationen zu würdigen hätte, sondern es sollen wesentliche Grundtendenzen aufgezeigt werden, um den Stellenwert der in diesem Band vorgelegten Beiträge deutlich zu machen. In der sächsischen Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts erhebt sich wie ein erratischer Block die zweibändige Kirchengeschichte Sachsens, die Walter Schlesinger 1962 veröffentlicht hat 55 . Der Kötzschke-Schüler Schlesinger hat mit diesem Werk die bis heute gültige Gesamtdarstellung der Thematik vorgelegt, die allerdings nur das Mittelalter bis 1300 behandelt. Ein geplanter dritter Band über die Kirchengeschichte Sachsens im 14. und 15. Jahrhundert ist nicht mehr zustande gekommen, da sich Schlesinger nach dem Weggang aus Sachsen seit den 60er Jahren intensiv Themen der allgemeinen Mittelalterforschung zugewandt und diese zeitweilig maßgeblich geprägt hat 56 . Walter Schlesinger hatte 1944/ 45 den Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte an der Universität Leipzig inne, war dann aber 1945 aufgrund seiner Parteimitgliedschaft aus dem Hochschuldienst entlassen worden 57 . So war die Kirchengeschichte „unter sehr ungünstigen äußeren Umständen, fern von einer wissenschaftlichen Bibliothek, [...] in den Jahren 1948 bis 1951 in Glauchau in Sachsen niedergeschrieben worden, als Teil einer umfassenden Kirchengeschichte Sachsens, die das Evangelisch-lutherische Landeskirchenamt Sachsens herauszugeben beabsichtigte“ 58 . Da sich für Schlesinger in der DDR keine berufliche Perspektive mehr eröffnete, ist er schließlich 1951 nach 54 Enttäuschend ist in dieser Hinsicht Peter M EINHOLD , Geschichte der kirchlichen Historiographie, 2 Bde. (Orbis Academicus 3, 5, Freiburg/ München 1967). 55 Walter S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter 1: Von den Anfängen kirchlicher Verkündigung bis zum Ende des Investiturstreites, 2: Das Zeitalter der deutschen Ostsiedlung (1100-1300) (Mitteldeutsche Forschungen 27, Köln/ Graz 1962, Köln/ Wien 2 1983). 56 Hans P ATZE , Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965-1979, hg. von D EMS ./ Fred S CHWIND (Vorträge und Forschungen 34, Stuttgart 1987) S. IX-XXVIII. 57 Über Schlesingers politische Haltung siehe Michael G OCKEL , Die Übersiedlung Walter Schlesingers nach Marburg im Jahre 1951, Neues Archiv für sächsische Geschichte 72 (2001 [erschienen 2002]) S. 215-253, hier S. 220f. 58 S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens 1 (wie Anm. 55) S. X. Zur Einführung 17 Marburg an der Lahn übergesiedelt 59 . Für seine Kirchengeschichte Sachsens konnte „ungeachtet aller Bemühungen kirchlicher Stellen in der DDR keine Druckgenehmigung erreicht werden, so dass das zweibändige Werk 1962 im Westen herausgebracht werden mußte“, nachdem es der Verfasser nochmals umfassend überarbeitet hatte 60 . Bis heute ist Schlesingers Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter das einschlägige Referenzwerk, von dem alle weiteren Forschungen auszugehen haben, zumal in den Jahrzehnten danach kaum noch substantiell weiterführende Arbeiten zur mittelalterlichen Kirchengeschichte erschienen sind. Immerhin gelang es dem sächsischen Kirchenhistoriker Franz Lau, in Folge des tausendjährigen Gründungsjubiläums des Bistums Meißen (1968) einen Sammelband über das Hochstift Meißen mit einigen mediävistischen Beiträgen herauszubringen 61 , und durch dieses Jubiläum wurde auch ein methodisch bemerkenswerter Atlasband über die Kirchenorganisation in den mitteldeutschen Diözesen Meißen, Merseburg und Naumburg veranlasst 62 . Als Organ für die laufende kirchengeschichtliche Forschung in der DDR standen seit 1957 lediglich die „Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte“ zur Verfügung. Der Beitrag katholischer Kirchenhistoriker hat in Sachsen naturgemäß von jeher eine wesentlich geringere Rolle gespielt, doch sei zumindest auf die Geschichte der Bischöfe von Meißen bis 1581 von Willi Rittenbach und Siegfried Seifert verwiesen 63 . Unter diesen engen Rahmenbedingungen war es natürlich nicht möglich, die großen Forschungsdefizite vor allem im Bereich der spätmittelalterlichen Kirchengeschichte, die von Walter Schlesinger eben nicht mehr bearbeitet worden war, zu schließen. Eine Skizze der Entwicklung in den vorreformatorischen Jahrhunderten hat immerhin Karlheinz Blaschke 59 G OCKEL , Die Übersiedlung Walter Schlesingers (wie Anm. 57) S. 215-253. 60 G OCKEL , Die Übersiedlung Walter Schlesingers (wie Anm. 57) S. 217. - S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens 1 (wie Anm. 55) S. X. 61 Das Hochstift Meissen. Aufsätze zur sächsischen Kirchengeschichte, hg. von Franz L AU (Herbergen der Christenheit, Sonderband, Berlin 1973). - Vgl. dazu: „In der DDR gibt es keine Zensur“. Die Evangelische Verlagsanstalt und die Praxis der Druckgenehmigung 1954-1989, hg. von Siegfried B RÄUER / Clemens V OLLNHALS (Leipzig 1995). 62 Die Kirchenorganisation in den Bistümern Meissen, Merseburg und Naumburg um 1500, hg. von Karlheinz B LASCHKE / Walther H AUPT / Heinz W IESSNER (Weimar 1969). - Ergänzend sei verwiesen auf die vorzügliche Studie von Rudolf L EHMANN , Untersuchungen zur Geschichte der kirchlichen Organisation und Verwaltung der Lausitz im Mittelalter (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 13, Berlin 1974). 63 Willi R ITTENBACH / Siegfried S EIFERT , Geschichte der Bischöfe von Meißen 968-1581 (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 8, Leipzig 1965). 18 Klaus Herbers/ Enno Bünz in seiner Geschichte Sachsens im Mittelalter vorgelegt, die kurz nach der Wende 1989/ 90 erschienen ist 64 . Nach der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung Deutschlands ist die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte in den Neuen Bundesländern von der an den Universitäten neu eingerichteten Landesgeschichtsforschung wie auch von der Mittelalterforschung geradezu neu entdeckt worden. In Jena hat Matthias Werner nicht nur wichtige Arbeiten zur Geschichte der religiösen Bewegungen und zur Biographie und Wirkungsgeschichte der hl. Elisabeth von Thüringen vorgelegt, sondern auch zahlreiche Schüler für diese Themenfelder gewinnen können 65 . Eine Vortragsreihe über die Stadtpfarrkirche St. Michael in Jena hat diese kirchliche Institution in die Stadt- und Landesgeschichte eingeordnet 66 . In Brandenburg ist es vor allem der Initiative von Heinz-Dieter Heimann (Potsdam) zu verdanken, dass in der Bischofsresidenz Ziesar 2004 ein „Museum für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters“ eingerichtet worden ist. Die Ausstellung führt „an jene Landeskultur und -geschichte heran, die in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit hintangestellt, ja bisweilen vergessen sein sollte: Anspruch und Wirksamwerden des mittelalterlichen Christentums und seiner Kirche in der Formierung und kulturellen Entwicklung Brandenburgs als Teil eines grundlegenden Prozesses in der europäischen Geschichte“ 67 . Heimann gehört auch zu den Mitherausgebern des Brandenburgischen Klosterbuches, das mittlerweile als Ergebnis jahrelanger Forschungen vorliegt 68 . Der Berliner Mediävist Dietrich Kurze hat vor einigen Jahren seine Wanderungen durch die mittelalterliche Kirchengeschichte Berlins und Brandenburgs 64 Karlheinz B LASCHKE , Geschichte Sachsens im Mittelalter (Berlin 1990) S. 322-343, mit teils problematischen Wertungen. 65 Anstelle bibliographischer Einzelnachweise sei verwiesen auf die Forschungsbilanz von Matthias W ERNER , Thüringen im Mittelalter. Ergebnisse - Aufgaben - Perspektiven, in: Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, hg. von D EMS . (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 15, Köln/ Weimar/ Wien 2005) S. 275-341, bes. S. 320ff. und 330ff. 66 Inmitten der Stadt. St. Michael in Jena. Vergangenheit und Gegenwart einer Stadtkirche, hg. von Volker L EPPIN / Matthias W ERNER (Petersberg 2004). 67 Vorwort von Clemens B ERGSTEDT / Heinz-Dieter H EIMANN in: Wege in die Himmelsstadt. Bischof - Glaube - Herrschaft 800 - 1550, hg. von D ENS . (Veröffentlichungen des Museums für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters 2, Berlin 2005) S. 14. 68 Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hg. von Heinz D. H EIMANN / Klaus N EITMANN / Winfried S CHICH / Martin B AUCH / Ellen F RANKE / Christian G AHLBECK / Peter R IEDEL (Brandenburgische Historische Studien 14, Berlin 2007). Zur Einführung 19 wiederaufgenommenundnebenmanchenweiterführendenEinzelstudien auch eine Gesamtdarstellung der märkischen Kirchengeschichte des Mittelalters vorgelegt 69 . In Sachsen waren sowohl die erste Sächsische Landesausstellung „Zeit und Ewigkeit“ im Zisterzienserinnenkloster Marienstern 70 als auch die zweite Landesausstellung zum Thema „Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit“ 71 Publikumserfolge, die hunderttausende Besucher angezogen haben. In Leipzig stellt die Erforschung der Vorreformation im „Mutterland der Reformation“ seit der Berufung von Enno Bünz auf den Lehrstuhl für sächsische Landesgeschichte 2001 einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt dar 72 . Eine erste Dissertation über die Kirchenpolitik Herzog Georgs 69 Dietrich K URZE , Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte. Neun ausgewählte Beiträge, hg. von Marie Luise H ECKMANN / Susanne J ENKS / Stuart J ENKS (Bibliothek der Brandenburgischen und Preussischen Geschichte 9, Berlin 2002). Siehe die Besprechung von Enno B ÜNZ , Neues Archiv für sächsische Geschichte 77 (2006) S. 283-285. K URZES Beitrag „Das Mittelalter. Anfänge und Ausbau der christlichen Kirche in der Mark Brandenburg (bis 1535)“ ist zuerst erschienen in: Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, hg. von Gerd H EINRICH (Berlin 1999) S. 15-145. 70 Zeit und Ewigkeit. 128 Tage in Marienstern. Katalog der Landesausstellung 1998, hg. von Judith O EXLE / Markus B AUER / Marius W INZELER (Halle an der Saale 1998); 750 Jahre Kloster St. Marienstern, hg. von Karlheinz B LASCHKE (Halle an der Saale 1998). 71 Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. 2. Sächsische Landesausstellung Torgau, Schloss Hartenfels 2004. Katalog, hg. von Harald M ARX / Eckhard K LUTH , Aufsätze, hg. von Harald M ARX / Cecilie H OLLBERG (Dresden 2004). Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, hg. von Enno B ÜNZ / Stefan R HEIN / Günther W ARTENBERG (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 5, Leipzig 2005). 72 Siehe u. a. Enno B ÜNZ , Ein Zeugnis spätmittelalterlicher Frömmigkeit aus der Oberlausitz. Neue Forschungen zum Großen Zittauer Fastentuch von 1472, Neues Archiv für sächsische Geschichte 72 (2001 [erschienen 2002]) S. 255-273; D ERS ./ Christoph V OLKMAR , Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation, in: Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, hg. von Enno B ÜNZ / Stefan R HEIN / Günther W ARTENBERG (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 5, Leipzig 2005) S. 89-109; Enno B ÜNZ , Die Reformation in Meissen. Zum Zusammenhang von Stadt- und Fürstenreformation im Herzogtum Sachsen, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim B AHLCKE / Karen L AMBRECHT / Hans-Christian M ANER (Leipzig 2006) S. 263-286; Enno B ÜNZ , Die Heiltumssammlung des Degenhard Pfeffinger, in: „Ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas T ACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt 2, Göttingen 2006) S. 125-169; Enno B ÜNZ , Bamberg - Regensburg - Naumburg. Das Vogtland im Spannungsfeld mittelalterlicher Kirchengeschichte, Herbergen der Christenheit 28/ 29 (2005/ 2006) S. 27-54; D ERS ., Das Regnitzland um Hof im Hochmittelalter - „terra incognita“ zwischen den Bistümern Bamberg und Naumburg, in: Das Bistum Bamberg um 1007. Festgabe zum Millennium, hg. 20 Klaus Herbers/ Enno Bünz von Sachsen ist mittlerweile abgeschlossen worden, weitere sind zur Zeit in Arbeit 73 . In Sachsen-Anhalt fanden die Ausstellungen „Zwischen Kathedrale und Welt“ anlässlich der tausendjährigen Wiederbegründung von Bistum und Domkapitel Merseburg 74 sowie über den Kardinal Albrecht von Brandenburg 75 ebenfalls eine große Resonanz. Doch nicht nur auf den scheinbar konventionellen, tatsächlich aber grundlegenden Arbeitsfeldern der kirchlichen Verfassungsgeschichte, nämlich der Erforschung von Klöstern und Orden, von Domkapiteln und Kollegiatstiften, der Pfarrei- und Kirchenorganisation im Bereich des Niederkirchenwesens, besteht ein enormer Nachholbedarf. Dies gilt vor allem auch für das weite Feld der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsgeschichte in seinen vielfältigen Ausprägungen. Es gehört zu den bemerkenswerten Aspekten von Schlesingers Kirchengeschichte Sachsens, dass er auch diese Themen (bis 1300) umfassend berücksichtigt hat und damit zum Kern des kirchlichen Lebens vorgedrungen ist. Ob es Schlesinger jemals gelungen wäre, den geplanten Abschlussband der Kirchengeschichte Sachsens im späten Mittelalter zu schreiben, mag hier dahingestellt bleiben. Denn vor allem im 14., 15. und frühen 16. Jahrhundert, also im Bereich der Vorreformation, war und ist der Forschungsbedarf enorm. Wenig bekannt ist bislang etwa über die zahlreichen religiösen Bruderschaften, die es in den Städten Sachsens gegeben hat. Künftige Forschungen können sich an der mustergültigen Studie von Bert Meister über die Bruderschaften im spätmittelaltervon Josef U RBAN (Studien zur Bamberger Bistumsgeschichte 3, Bamberg 2006) S. 202-231; Enno B ÜNZ , Der Meißner Bischof Bruno von Porstendorf (1209/ 10- 1228). Herkunft - Aufstieg - Rücktritt - Pensionierung, Neues Archiv für sächsische Geschichte 77 (2006) S. 1-35. 73 Christoph V OLKMAR , Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, 1488 - 1525 (Phil. Diss. [masch.], Leipzig 2006). Zur Zeit bearbeitet werden Dissertationen über: Buchbesitz Erfurter Stiftsgeistlicher um 1500 (Frank- Joachim S TEWING ); Das Merseburger Domkapitel im späten Mittelalter (Markus C OTTIN ); Das Bautzner Kollegiatstift St. Petri im Mittelalter (Friedrich Hermann K INNE ); Stadt und Kirche im spätmittelalterlichen Zwickau (Julia S OBOTTA ); Dietrich von Bocksdorf: Gelehrter, Geistlicher, Bischof von Naumburg (Marek W EJWODA ); Das Nonnenkloster St. Georg in Leipzig (Antje J. G ORNIG ). 74 Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Bistum und Domkapitel Merseburg. Katalog, hg. von Karin H EISE / Holger K UNDE / Helge W ITTMANN (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 1, Petersberg 2004); Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Bistum und Domkapitel Merseburg. Aufsätze, hg. von Holger K UNDE / Andreas R ANFT / Arno S AMES / Helge W ITTMANN (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 2, Petersberg 2005). 75 Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen 1: Katalog, hg. von Thomas S CHAUERTE , 2: Essays, hg. von Andreas T ACKE (Halle 2006). Zur Einführung 21 lichen Altenburg orientieren 76 . Eine von dem Kunsthistoriker Andreas Tacke organisierte Tagung in Halle befasste sich 2004 mit Heiligen- und Reliquienkulten im spätmittelalterlichen Mitteldeutschland aus historischer und kunstgeschichtlicher Perspektive 77 . Mehrere neuere Veröffentlichungen über das spätmittelalterliche Hungertuch in Zittau 78 und über das Heilige Grab in Görlitz 79 haben gezeigt, dass Sachsen über manche bemerkenswerte, zum Teil sogar in Deutschland einzigartige Zeugnisse des spätmittelalterlichen Frömmigkeitslebens verfügt, die durch „die bewahrende Kraft des Luthertums“ erhalten geblieben sind 80 . Bemerkenswert ist schließlich, mit welcher Intensität sich die Forschung in den letzten Jahren des spätmittelalterlichen Wallfahrtswesens zugewandt hat. Dies ist vor allem das Verdienst des Berliner (evangelischen) Kirchenhistorikers Hartmut Kühne, der 2002 eine anregende Arbeitstagung über spätmittelalterliche Wallfahrten im mitteldeutschen Raum 81 und 2004 eine allgemeiner ausgerichtete Tagung über Wallfahrt und Kultur 82 durchgeführt hat. Weitere neue Tagungs- und Sammelbände - ebenfalls unter maßgeblicher Beteiligung Kühnes - behandeln die spätmittelalterliche Wallfahrt nach Wilsnack, die seit 76 Bert M EISTER , „Sie sollen bruderschafft halden“. Religiöses Engagement in den genossenschaftlichen Vereinigungen (Bruderschaften, Zünften, Gesellenvereinigungen) der Stadt Altenburg im Spätmittelalter (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft 7, Beucha 2001). Siehe auch den Beitrag im vorliegenden Band. 77 Heiligen- und Reliquienkult, hg. von T ACKE (wie Anm 72). 78 Die Zittauer Bibel. Bilder und Texte zum Großen Fastentuch von 1472, hg. von Friedhelm M ENNEKES (Stuttgart 1998); 525 Jahre Großes Zittauer Fastentuch - und wie weiter? Internationales wissenschaftliches Symposium Althörnitz 3. und 4. Mai 1997 (Mitteilungen des Zittauer Geschichts- und Museumsvereins 27, Görlitz/ Zittau 2000). - Zu diesen und weiteren Veröffentlichungen über das Zittauer Fastentuch siehe B ÜNZ , Ein Zeugnis spätmittelalterlicher Frömmigkeit (wie Anm. 72). 79 Lausitzer Jerusalem. 500 Jahre Heiliges Grab zu Görlitz, hg. von Ines A NDERS / Marius W INZELER (Schriftenreihe der Städtischen Sammlungen für Geschichte und Kultur [Görlitz] N. F. 38, Görlitz 2005); Till M EINERT , Die Heilig-Grab-Anlage in Görlitz. Architektur und Geschichte eines spätmittelalterlichen Bauensembles (Esens 2004). Vgl. auch den Beitrag von Gunhild R OTH , Grab (wie Anm. 35). 80 Die bewahrende Kraft des Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, hg. von Johann Michael F RITZ (Regensburg 1997). 81 Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum. Beiträge zu einer interdisziplinären Arbeitstagung Eisleben 7.-8. Juni 2002, hg. von Hartmut K ÜHNE / Wolfgang R ADTKE / Gerlinde S TROHMAIER -W IEDERANDERS (Berlin 2002). 82 Wallfahrten in der europäischen Kultur. Pilgrimage in European Culture. Tagungsband Prˇíbram, 26.-29. Mai 2004. Proceedings of the Symposium Prˇíbram, May 26th- 29th 2004. Unter Mitarbeit von Eva D OLEZALOVÀ u. a. hg. von Daniel D OLEZAL / Hartmut K ÜHNE (Europäische Wallfahrtsstudien 1, Frankfurt am Main 2006). 22 Klaus Herbers/ Enno Bünz über einem Jahrhundert kaum behandelt worden war 83 . Erst durch einige neuere Veröffentlichungen ist auch mehr Licht auf die zahlreichen Wallfahrtsorte in Sachsen gefallen 84 . Einzelstudien liegen zudem über den Wallfahrtsort Eicha bei Grimma 85 und die Verehrung des hl. Benno im Meißner Dom vor 86 . Neben den (heute weithin vergessenen) Gnadenstätten im Lande haben Pilger aus Sachsen natürlich auch die überregional bedeutenden Wallfahrtsorte der Christenheit aufgesucht. Als Beispiel einer fürstlichen Fernwallfahrt sei auf die Jerusalemreise Herzog Albrechts des Beherzten 1476 verwiesen, die vor wenigen Jahren Folker Reichert untersucht hat 87 . In welchem Maße auch sächsische Gläubige den Weg nach Jerusalem gesucht haben, dokumentiert 83 Die Wilsnack-Fahrt. Ein Wallfahrts- und Kommunikationszentrum Nord- und Mitteleuropas im Spätmittelalter, hg. von Felix E SCHER / HartmutK ÜHNE (Europäische Wallfahrtsstudien 2, Frankfurt am Main 2006); Wunder, Wallfahrt, Widersacher. Die Wilsnackfahrt, hg. von Hartmut K ÜHNE / Anne-Katrin Z IESAK (Regensburg 2005). 84 Einen Katalog der Wallfahrtsorte bietet Barbara F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt in Sachsen. Ein Arbeitsbericht, Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 44 (2002) S. 299-389, eine Zusammenfassung der Ergebnisse D IES ., Mittelalterliche Wallfahrt in Sachsen - ein Arbeitsbericht, in: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum (wie Anm. 81) S. 105-116. 85 Kloster Eicha. Wallfahrts-, Antoniter-, Reformations- und Ortsgeschichte, hg. von Lutz H EYDICK / Uwe S CHIRMER (Heimatgeschichtliche Schriften der Rudolf- Kötzschke-Gesellschaft 1, Beucha 1997). 86 Christoph V OLKMAR , Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/ 24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 146, Münster 2002). D ERS ., „Tzu Bischoff Benno gelobet“. Die Heiligenverehrung Bennos von Meißen im ausgehenden Mittelalter, Ecclesia Misnensis (2002) S. 98-117; D ERS ., Von Wunderbüchern, Romreisen und einer Spottprozession. Altgläubige Frömmigkeit in Sachsen am Beispiel der Heiligsprechung Bischof Bennos von Meißen, Dresdner Hefte 73 (2003) S. 42-50; D ERS ., Druckkunst im Dienst der Kultpropaganda. Der Buchdruck als Instrument landesherrlicher Kirchenpolitik am Beispiel der Kanonisation Bennos von Meißen, in: Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland. Neue Forschungen zur Kommunikations- und Mediengeschichte um 1500, hg. von Enno B ÜNZ (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 15, Leipzig 2006) S. 439-460; D ERS ., Vom langen Weg zur Ehre der Altäre. Das Kanonisationsverfahren für Benno von Meißen 1499-1523, Monumenta Misnensia 7 (2005/ 2006) S. 18-29. - Siehe auch den Beitrag des Verfassers im vorliegenden Band. 87 Folker R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem. Albrecht der Beherzte im Heiligen Land. Itinerar der Reise, in: Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, hg. von André T HIEME (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2, Köln/ Weimar/ Wien 2002) S. 53-71. - Siehe auch die Beiträge von Folker R EICHERT , Falk E ISERMANN und André T HIEME im vorliegenden Band. Zur Einführung 23 seit einigen Jahren die analytische Bibliographie der europäischen Reiseberichte des späten Mittelalters 88 . Aber ans „Ende der Welt“, nach Santiago zogen sie auch. Es gehört wohl zu den Eigentümlichkeiten der mittelalterlichen Jakobusverehrung, dass sich die Wallfahrt nach Santiago weitaus seltener als die (noch längere, gefährlichere und vor allem teurere) Jerusalemwallfahrt in Pilgerberichten niedergeschlagen hat, dass dafür aber die Jakobusverehrung vielfältige Spuren in den Herkunftsregionen der Pilger hinterlassen hat. Dies eben macht die Beschäftigung mit dem hl. Jakobus und seiner Verehrung zu einem lohnenden Thema auch der regionalen Frömmigkeitsgeschichte. Der vorliegende Tagungsband über Jakobusverehrung in Sachsen fügt sich in das skizzierte neuere Forschungsprofil ein. Dass die Mehrzahl der Autoren, die in diesem Band vertreten sind, einer jüngeren Forschergeneration angehört, stimmt besonders zuversichtlich, denn nur mit ihnen wird es gelingen, die beträchtlichen Forschungsdefizite, die für Sachsen zu verzeichnen sind, in Zukunft aufzuholen. III Die Voraussetzungen der allgemeinen Jakobusforschung und der alten und neue Ansätze zur Frömmigkeitsgeschichte in Sachsen haben das Programm der Tagung in Helfta und damit auch den vorliegenden Sammelband in ganz besonderer Weise befruchtet. Dabei zeigt sich, dass regionale Aspekte wie die Bruderschaften, die Patrozinien, die Reliquien und die Stiftungen, aber auch die Reisen und Pilgerfahrten zum einen in die Frömmigkeitsentwicklung eines gegebenen Raumes eingeordnet werden müssen, zum zweiten aber durch die Möglichkeiten des Vergleiches mit anderen Landschaften und Ländern weitere Konturen gewinnen. Nur so wird deutlich, welche Dichte an spätmittelalterlichen Frömmigkeitsformen auch Sachsen prägte, und welch förderliches Klima auch der verschiedenen adeligen und städtischen neben den klassischen kirchlichen Umfeldern diesen Ausprägungen zugute kam. Der vorliegende Band, dessen Ergebnisse auch für die schnelle Orientierung durch die beigegebenen spanischen „Resúmenes“ erschlossen wird, berührt neben dem frühen Zeugnis zu der insgesamt interpretationsbedürftigen 88 Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters, Teil 1: Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 17), siehe dazu Enno B ÜNZ , Reiseberichte - Reisegruppen - Reisewege. Bemerkungen zur neuen analytischen Bibliographie „Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters“, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 65 (2003) S. 353-361. 24 Klaus Herbers/ Enno Bünz Pilgerfahrt des Wiprecht von Groitzsch, Stiftungen, Bruderschaften, Kirchenbauten und Reliquienkult, aber auch Fragen der Bruderschaften und der Altstraßen und schließt bewusst einen Beitrag zu der in den letzten Jahren neu sichtbar gewordenen und geförderten ökumenischen Entwicklung der Jakobspilgerfahrten ein. Der Dank, den wir am Ende dieser Einleitung abstatten, greift Worte der Tagung auf: Neben der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft waren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der beiden beteiligten Lehrstühle in Erlangen und Leipzig vielfach unterstützend tätig. Ohne die Bereitschaft der Autoren, ihre Beiträge rechtzeitig und in der vorliegenden Qualität zu liefern, wäre jedoch kaum ein so abgerundeter Band möglich geworden. Beim Abschluss kümmerten sich Frau stud. phil. Judith Werner und Herr Gordon Blennemann um die Einrichtung des Bandes zum Druck und lasen die Korrekturen mit, das Register fertigte Sabine Zinsmeyer. Frau Dr. Sofia Seeger erstellte die Übersetzungen der spanischen resúmenes. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters H ARTMUT K ÜHNE Mitteldeutsche Jakobspilger Nachrichten über Santiagopilger aus Mitteldeutschland sind selten. Diese Feststellung sollte ursprünglich am Anfang dieses Beitrags stehen. Aber im Laufe der Arbeit ergab sich ein ganz anderes Bild, und dies nicht nur bei Reisenden aus den gesellschaftlichen Eliten, wie etwa der Gräfin Katherina von Gleichen, die gemeinsam mit der Gräfin Elisabeth von Schwarzburg 1482 nach Santiago gezogen sein soll 1 oder Herzog Heinrich dem Frommen, der nach 1500 als ein junger freudiger Herr [...] in Galiciam zu S. Jacob zog 2 . Auffällig ist aber, dass sich solche Nachrichten gehäuft erst aus der Zeit um 1500 finden, wie etwa zur Santiagofahrt des Bauern Nickel Schmied aus Merkendorf bei Weida. Nickel Schmidt vermachte vor Antritt seiner Reise der Kirche seines Heimatdorfes Land für den Fall, er würde nicht zurückkehren - der Fall trat ein, was uns das Datum dieser Reise überliefert 3 . Heil kehrte dagegen der Küster Valentin Schumann aus Monstab bei Altenburg 1512 vom Grab des Apostels zurück, dies vielleicht auch wegen einer 1 Guido E INICKE , Zwanzig Jahre Schwarzburgische Reformationsgeschichte 1521- 1541 (Nordhausen 1904) S. 153. 2 Petrus Albinus, Commentarivs Novvs De Mysnia. Oder Newe Meysnische Chronica (Wittenberg 1580) S. 454f.: Nach dem Hertzog Heinrich Alberti Son in Frysland [...] in grosser Leibsgefahr zu Fronicka gewesen / und von dem Vater im 1500 entlediget war / Ist er als ein junger freudiger Herr / de da lust sich etwas weiter zuversuchen / und ohne zweivel auch dem wahn derselben zeit / in dem gedancken / Er thue Gott einen dienst davon / so wol auch nach dem Exempel seiner Vorfaren / erstlich gen Jerusalem gezogen / hernach auch in Galiciam zu S. Jacob gen Compostel. 3 Rudolf H ERRMANN , Thüringische Kirchengeschichte 1 (Jena 1937) S. 276 mit Anm. 94. 26 Hartmut Kühne Beglaubigung, die ihm sein Pfarrer mit auf den Weg gegeben hatte und die uns seine Reise bezeugt 4 . Die Abschrift eines solchen Demissionale für die Fahrt ad limina s. Jacobi de Compostella von der Hand des Wernigeröder Dechanten Johannes Kerkener für einen dortigen Bürger vom Jahr 1519 hatte sich im Archiv der Oberpfarrkirche erhalten 5 und als Formular findet sich ähnliches auch im Kopialbuch des Klosters Ilsenburg aus der Zeit um 1500 6 . Auch wird im Inventar der Arnstädter Jakobuskirche aus dem Jahr 1526 ein Pilgermantel erwähnt, den ein glücklich heimgekehrter Jakobspilger der Kirche schenkte 7 . Besonders ergiebige Nachrichten über Santiagofahrer bieten spätmittelalterliche Rechnungsbücher. So verzeichnet das Rechnungsbuch des Klosters Ilsenburg 1515 eine Spende an den Bruder Henning Brandiß auf dem Weg nach Santiago und eine weitere an zwei andere Jakobuspilger. Auch 1520 weist das Rechnungsbuch die Gabe von zweieinhalb Schneebergern an einen Jakobspilger aus 8 . Eine bisher fast unbeachtete Fundgrube einschlägiger Nachrichten stellen die Rechnungsbücher des Kursächsischen Hofes dar. Freilich wurde bisher in ihnen nur für die Regierungszeit Friedrichs des Weisen eine systematische Suche nach Ausgaben für fromme Zwecke angestellt 9 . Aber schon diese exemplarischen Rechnungsbuchsexzerpte stellen die bisher umfangreichste Liste von Belegen für Santiagopilger aus 4 Julius L ÖBE / Ernst L ÖBE , Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogthums Sachsen-Altenburg mit besonderer Berücksichtigung der Ortsgeschichte 1 (Altenburg 1886) S. 391: Valentin Schumann, trat 1502 [als Küster] an; 1512 wallfahrtete er zur St. Jakobskirche in Compostella in Spanien, mit einem Paßbrief von dem Pfarrer Thomas Wolff versehen. Zurückgekommen lebte er noch einige Jahre. 5 Exzerpt bei Eduard J ACOBS , Hierographia Wernigerodensis. Kirchliche Alterthümer der Grafschaft Wernigerode, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde 12 (1879) S. 125-193, hier S. 187, Anm. 2. 6 Urkundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode gelegenen Klosters Ilsenburg. Zweite Hälfte. Die Urkunden v. J. 1461-1597, hg. von Eduard J ACOBS (Halle 1877) S. 97, Nr. 452. 7 E INICKE , Zwanzig Jahre (wie Anm. 1) S. 119, vgl. zum Datum des Inventars ebd. S. 66. 8 Urkundenbuch Wernigerode (wie Anm. 6) S. 438. 9 Georg B UCHWALD , Zur mittelalterlichen Frömmigkeit am Kursächsischen Hofe kurz vor der Reformation, Archiv für Reformationsgeschichte 27 (1930) S. 62-110. Vgl. zur Auswertung auch Siegfried B RÄUER , Wallfahrtsforschung als Defizit der reformationsgeschichtlichen Arbeit. Exemplarische Beobachtungen zu Darstellungen der Reformation und zu Quellengruppen, in: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum, hg. von Hartmut K ÜHNE / Wolfgang R ADTKE / Gerlinde S TROH - MAIER -W IEDERANDERS (Berlin 2002) S. 15-49, hier S. 23-26. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 27 dem mitteldeutschen Raum dar, denn in den Jahren von 1514 bis 1520 weisen sie die Unterstützung des Hofes für fast 50 Santiagopilger aus. So ließ Herzog Johann z. B. im April 1514 einen Schüsselwäscher und einen Hundeknecht des Weimarer Hofes neu einkleiden, weil beide nach Santiago reisen wollten, und gab im selben Jahr Hans Zinkenbläser und Volkmar Moller aus Weimar eine finanzielle Unterstützung zu ihrer Santiagofahrt. 1516 erhielten zwei Dresdner Köche, ein Badergeselle, ein Jacobsbruder und ein Kleinschmied aus Wittenberg ein Almosen, weil sie zu Sant Jacoff wollten 10 . Die Ausgaben zeigen auch, dass man in Kursachsen vor allem im März und April zum hl. Jakobus aufbrach und eine Analyse der geographischen Angaben könnte für die Rekonstruktion der historischen Reiserouten hilfreich sein 11 . In einen ganz anderen Zusammenhang gehört die Nachricht über die um 1520 unternommene Santiagoreise des Maths Zicke aus dem Dorf Wolferode, wenige Kilometer südwestlich von Eisleben. Sie wird von dem lutherischen Prediger und Chronisten Cyriakus Spangenberg in seiner Mansfelder Chronik erzählt. Danach war es Maths Zicke großer ernst ... umb seiner Seelen Seligkeit und da er von anderen gehöret, wie große Gnade und Wunder S. Jacob zu Compostell in Hispanien täte und was man daselbst für vielfaltigen Ablaß funde und holete, machete er sein Testament und begab sich mit etlichen andern mehr auf den Weg, kam gesund dahin und herwieder 12 . Nach seiner Rückkehr erzählte dieser Maths - und daher hält Spangenberg die Episode überhaupt für buchenswert - der deutsche Beichtvater in Santiago habe ihn nach seiner Heimat und nach Luther befragt und ihm dann im Vertrauen gesagt: O lieber Mann, was hastu dich ... mit so schweren Unkosten bemühet, einen solchen weiten Weg hierher nach Ablaß zu ziehen, da du denselben doch viel näher daheim hettist bekommen und erlangen können. Denn eben der Luther predigt und verkündigt den rechten Ablaß 13 . Diese Geschichte verweist auf den kulturellen Bruch, den die Reformation sowohl für die weiträumige religiöse Mobilität - etwa der Santiagofahrt - als auch für die regional besuchten Heiligtümer, Transit- und Sekundärwallfahrten darstellte. 10 Vgl. die Belege im Anhang. 11 So verwundert z. B. die am 11. März 1515 in Weida gezahlte Spende an zwei Jakobsbrüder „von weymar“, B UCHWALD , Zur Frömmigkeit (wie Anm. 9) S. 88. 12 Cyriakus Spangenberg, Mansfeldische Chronica. Der vierte Teil. Beschreibung der Graveschaft Mansfeltt von ortt zu ortt (1. Buch), hg. von Carl R ÜHLEMANN (Mansfelder Blätter 30-32, Eisleben 1916-1918) S. 381. 13 Ebd. S. 382. 28 Hartmut Kühne Wallfahrtsforschung zwischen Elbe und Saale - eine Problemanzeige Mit der Durchsetzung der reformatorischen Bewegung in den meisten mitteldeutschenTerritorienverschwandauchdiePraxisdesHerumreisens aus religiösen Gründen - im schlimmsten Fall als abgöttischer Missbrauch gerügt, galt es im besten Falle als Torheit: ....Was hat man nu damit ausgericht, wenn man wieder heim komen, dann ein lere tasche und müde bein 14 . In solch selbstkritischer Perspektive sah z. B. auch Caspar Güttel, der letzte Prior des Eisleber Augustinerklosters und seit 1525 protestantischer Nachmittagsprediger an der hiesigen Andreaskirche, seine Jugend, denn er berichtet, als junger Mann habe er sieben Wallfahrten barfuß und mit viel unnützer Mühe und Arbeit unternommen. Drei Mal pilgerte er nach Altötting, zwei Mal zu Sankt Wolfgang im bairischen gebirge, ein Mal zur Heiltumsweisung nach Aachen und im Heiligen Jahr 1500 reiste er nach Rom 15 . Dies ist für einen Protagonisten der reformatorische Bewegung ein seltenes Selbstzeugnis und es wäre für den hier zu verhandelnden Sachverhalt noch wertvoller, wenn Güttel nicht in Bayern, sondern in Sachsen aufgewachsen wäre, denn dann wüssten wir ein wenig mehr darüber, welche Wallfahrtsorte am Ende des Mittelalters in Mitteldeutschland die größte Attraktivität besaßen. Der kulturelle Bruch der Reformation schlägt sich bei der Erforschung der spätmittelalterlichen Wallfahrtspraxis Mitteldeutschlands darin nieder, dass sich hier zum einen wesentlich weniger Quellen und Zeugnisse des einstigen Wallfahrtsbetriebes am Ort erhalten haben, als dies etwa in Süddeutschland oder am Niederrhein der Fall ist, was in vielen Fällen bis zur Auslöschung auch der baulichen Anlagen reicht. Zum zweiten wurde der Überlieferungsverlust begleitet von einem - auch wissenschaftlichen - Desinteresse, das allenfalls dort aussetzte, wo sich aus den Relikten des papistischen Aberglaubens an der Front konfessioneller Polemik Gewinn schlagen ließ 16 . Im Ergebnis kam es dabei ebenso zum Verschwinden von gewichtigen ehemaligen Wallfahrtszielen aus 14 Luthers Predigt in Merseburg am 6. August 1545, Weimarer Ausgabe 51, S. 18. 15 Caspar Güttel, Seines Standes unnd Wesens manchfeldiger verenderung ursach: Mit angezeigter Bekentnus unnd rechenschafft seines Glaubens (1535), Bl. - A 5, zit. Gustav K AWERAU , Caspar Güttel. Ein Lebensbild aus Luthers Freundeskreis (Halle 1882) S. 6f. Diese Monographie ist im Übrigen für die Beschäftigung mit Güttel immer noch grundlegend. 16 Zum Problem der Wallfahrtsforschung in Mittel- und Nordostdeutschland vgl. Hartmut K ÜHNE , Der historische Kontext „erfolgreicher“ spätmittelalterlicher Gnadenorte im mittel- und norddeutschen Raum, Annali dell’Istituto storico italogermanico in Trento 29 (2003) S. 307-336; D ERS ., Von Ahrensbök bis Ziegenhain. Perspektiven einer nord- und mitteldeutschen Wallfahrtsgeographie um 1500, Jahrbuch für Volkskunde NF 25 (2002) S. 45-76; D ERS ., Der Harz und sein Umland - eine Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 29 dem Überlieferungs- und Erinnerungshorizont wie zur Konstruktion von mittelalterlich - ‚katholischen‘ Zuständen, die keiner historischen Überprüfung standhalten. Ein bezeichnendes Beispiel für diese Sicht der eigenen Vergangenheit bietet eine Passage der Altenburger Chronik, die der lutherische Geschichtsschreiber Johann Vulpius 1699 veröffentlichte: Sintemal Bonifacius unter andern zu Kemmnitz in Meissen ein Fanum Mariae, oder ein Kirchlein / so er der Mutter Gottes / der Jungfrauen Marien dediciret / erbauet / dahin hernach (juxta Pirnensem) eine so starke Wallfarth / als etwan gen Aach ins Reich entstanden: wie Knauths Prodromus Misniae und Peckensteins Theatrum besagen. Also hat Ludiger, Bonifatii Gehülffe oder reisegefärthe / zu Schleitz in Osterlande / zwischen Rochlitz und Mitweide / die Leonharts- oder Lehnerts=Kirche gebauet / dahin auch viel Wallfarthens gewesen, bis mit der Zeit ie mehr und mehr Leute dem Heydenthum entsaget / und der Gläubigen Anzahl zugenommen hat. Doch ist viel Menschentand und Päbstlerey mit untergelaufen. Eine solche sehr alte Kirche ist auch zu Schmölle gewesen / allwo die erste Wallfarth in gantz Teutschland nach Aach im Niederlande / aufkommen seyn soll / wie aus des Pirnischen Münchs Verzeichniß Albinus tit. II. p. 241 referiret. Denn Wallfarthen / Klöster / Kirchen und Capellen stiften / die Heiligen anruffen / war immer gemeiner / als daß man das Volk auff Jesum Christum und desselben theuer Verdienst geweiset hätte 17 . Diese historischen Angaben sind alle mehr oder weniger falsch oder zumindest problematisch. So ist nicht nur die Gründung der Chemnitzer Pfarrkirche durch Bonifatius - nach anderer Tradition durch Kaiser Otto den Großen - irrig 18 , sondern auch die Existenz einer Chemnitzer Marienwallfahrt in späteren Zeiten steht grundsätzlich in Frage 19 . Von den drei genannten Kirchen ist lediglich spätmittelalterliche Wallfahrtslandschaft? , in: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum (wie Anm. 9) S. 87-103. 17 Johann Vulpius, Altenburgi altitudo, Das ist: Der weitberühmten Alt-Deutsch- Meißnischen resp. Reichs- Chur- und Fürstl. Sächsischen Residentz- und Pleißnischen Haupt-Stadt Altenburg, Ansehnliche Hoheit ... (Altenburg 1699) S. 20. 18 Zur Frühgeschichte von Chemnitz vgl. Manfred K OBUCH , Noch einmal: Die Anfänge der Stadt Chemnitz, in: Zur Entstehung und Frühgeschichte der Stadt Chemnitz. Kolloquium des Stadtarchivs Chemnitz 24. April 2002, hg. vom Stadtarchiv Chemnitz (Chemnitz 2002) S. 26-35; Volkmar G EUPEL , Das Benediktinerkloster und die Anfänge der Stadt Chemnitz aus archäologischer Sicht, in: Ebd. S. 108-128. Einen kurzen Überblick zur Gründungslegende bei Alfred M ATING -S AMMLER , Zur Geschichte der Jacobikirche in Chemnitz, Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer Geschichte 7 (1891) S. 35-71, hier S. 35f. 19 Eine Marienwallfahrt oder ein wundertätiges Marienbild ist sonst für Chemnitz nicht bezeugt. Zur spätmittelalterlichen Frömmigkeit in Chemnitz vgl. Helmut B RÄUER , Chemnitz zwischen 1450 und 1650. Menschen in ihren Kontexten (Chemnitz 2005) bes. S. 219-233. 30 Hartmut Kühne die Marienkapelle auf dem Berg bei Schmölln als Wallfahrtskirche sicher bezeugt - in dieser Funktion wohl zuerst in einem Ablass aus dem Jahr 1352 zu fassen, der den Besuchern des Klosters Cronschwitz und der dem Kloster gehörigen Kapelle auf dem Berg bei Schmölln gewährt wurde 20 . Erst um 1400 scheint der Besuch der Marienkapelle - wohl auch durch die Unterstützung des Franziskanerordens 21 und einen päpstlichen Ablass 22 - so stark zugenommen zu haben, dass 1409 eine Regelung über die Einnahmen der Kapelle zwischen dem Kloster und dem Schmöllner Pfarrer notwendig wurde 23 . Bei der ersten landesherrlichen Kirchenvisitation wurden 1528 in Schmölln die Wertgegenstände verzeichnet, die der Stadtrat aus der Marienkapelle in seine Verwahrung genommen hatte. Diese zwei Monstranzen, drei Kelche und vier Pacifikale, silberne Spangen, einige Korallenpaternoster mit silbernen Ringen und die silberne Krone für das Marienbild lassen aber kaum auf eine hervorragende Ausstattung und damit indirekt auf eine besonders weiträumige Attraktion der Wallfahrt schließen 24 . Die chronistische Tradition, aus der heraus Johann Vulpius seine Sicht auf die sächsische Wallfahrtsgeographie des Mittelalters formulierte, ist freilich nicht allein durch nachreformatorische Sichtweisen geprägt, wie die zitierten Chroniken des Petrus Albinus, Lorenz Peckenstein 25 und Johann Conrad Knauth 26 nahe legen, sondern nimmt auch eine bewusst antireformatorische Geschichtskompilation auf: das Onomasti- 20 Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen 1, hg. von Berthold S CHMIDT (Thüringische Geschichtsquellen NF 2, Jena 1885) S. 485, Nr. 934. Zur Kapelle vgl. den Überblick bei Rudolf S EYFART , Geschichte der Stadt Schmölln in Thüringen (Schmölln 1938) S. 142-144. 21 Auf diese Unterstützung deuten zwei Urkunden hin, in denen den Besuchern der Kapelle Anteil an den guten Werken der Sächsischen Ordensprovinz versprochen wird: Urkundenbuch Weida 2 (wie Anm. 20) S. 1396f., Nr. 386 (vom 8.12.1397) und S. 1406f., Nr. 467 (vom 6.8.1406). 22 Ablassurkunde Papst Bonifaz IX. vom 26.11.1395 in der den Besuchern der Marienkapelle sieben Jahre und sieben Quadragenen Strafnachlass versprochen werden: Walter Z ÖLLNER , Die jüngeren Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs in Weimar - von Innozenz III. bis zum Konzil von Konstanz (Leipzig 1996) S. 53, Nr. 85. Ich habe Herrn Jan Hrdina (Archiv der Hauptstadt Prag) für diesen Hinweis zu danken. 23 Ebd. S. 1409f., Nr. 501. 24 Ernst L ÖBE , Die erste Kirchenvisitation im Ostkreis unseres Herzogthums, Mitteilungen der Geschichts- und Altherthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 8 (1882) S. 422-444, hier S. 438. 25 Lorenz Peckenstein, Theatrum Saxonicum 1-3 (Jena 1608). 26 Johann Conrad Knauth, Misniae illustrandae prodromus oder Einleitung zu des edlen hochlöblichen und hochbegabten Marggraffthumbs Meissen Landes- und Geschicht-Beschreibung (Dresden 1692). Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 31 cum mundi generale des Dominikaners Peter Lindner, häufig auch nur der Pirnische Mönch genannt, das dem streng altgläubigen Herzog Georg von Sachsen gewidmet im Jahr 1530 vollendet wurde 27 . Lindner verzeichnete - nach den von Mencken edierten Auszügen der Ortsnotizen aus den sächsischen und thüringischen Gebieten 28 folgende Wallfahrten: Rötha 29 , Ebersdorf bei Chemnitz (Eberspach) 30 , Eicha östlich von Leipzig (Eyche) 31 , Grünhain im Erzgebirge 32 , Humelshain bei 27 Zu Werk und Person vgl. K. E. Hermann M ÜLLER , Das Onomasticon mundi generale des Dominikanermönches Johannes Lindner zu Pirna und seine Quellen. Ein Beitrag zur Historiographie des Reformationszeitalters, Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 24 (1903) S. 217-247; Reinhold H OFMANN , Der Pirnische Mönch Johann Lindner, sein Onomasticum mundi generale und sein Geburtsort, Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 25 (1904) S. 152-160. 28 Johann Burckard Mencken, Scriptores rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum 2 (Leipzig 1728) Sp. 1447ff. 29 Birnbom, czu Meisen, nahe bey Röte an der Pleisse, II. meilen von Leipcz, do kam Walfart M VC II. czu unser liben Frawen auf..., ebd. Sp. 1533. Rötha wird nochmals erwähnt: Da kam auf eine walfart czu unser liben frawen czugnant czum birnbom (MVCII) wart eine kirche dahin gebawet, ebd. Sp. 1599. Zur Wallfahrt vgl. Otto C LEMEN , Zwei ehemalige Wallfahrtsorte in der Nähe Leipzigs, Studium Lipsiense (1909) S. 185-191. Weitere kunst- und heimatgeschichtliche Literatur bei Birgit F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt in Sachsen. Ein Arbeitsbericht, Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 44 (Dresden 2002) S. 299- 389, hier S. 381. 30 Do erstunt (M CCCC XLIX) grose kirchfart czu unser liben frawen ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1549. Die Geschichte der wenigstens regional bedeutenden Wallfahrt ist weithin unbearbeitet, vgl. Heinrich M AGIRIUS , Die Stiftskirche zu Karl-Marx-Stadt/ Ebersdorf, Das christliche Denkmal 82 (1971). In Vorbereitung ist ein Überblicksaufsatz zur Wallfahrt nach Ebersdorf von Katrin I SELT , der erscheinen wird in: Wallfahrt und Reformation, hg. von Jan H RDINA / Hartmut K ÜHNE / Thomas T. M ÜLLER , (Europäische Wallfahrtsstudien 3, Frankfurt am Main/ Berlin/ Bern/ Bruxelles/ New York/ Oxford/ Wien 2006). 31 : ... do ertstunt grose kirchfart zcu unser liben Frawen (M CCCC LIIII) ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1549. Zur Wallfahrt vgl. C LEMEN , Zwei Wallfahrtsorte (wie Anm. 29) und unten Anm. 121. 32 ... ist am allermeisten vom grosen almusen und eynkommen s. Niclas kirchen nahe dafur erbawet ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1565; nochmals erwähnt unter Sp. 1589: Niclas Kirche bey Grunhain und bey der Slete, do wart von groser Walfart gmelt closter gebawet. Eine Wallfahrt zur Pfarrkirche St. Nikolai wird ohne Quellenbezug in der heimatkundlichen Literatur erwähnt: vgl. Albert S TRAUBE , Die Parochie Grünhain, in: Neue sächsische Kirchengalerie: Ephorie Schneeberg, hg. von Georg B UCHWALD (Leipzig 1902) Sp. 354-384, bes. Sp. 375f.; F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt (wie Anm. 29) S. 361. Freilich legt ein ad instar-S. Maria (Hamburgensis)- Ablass, den Papst Bonifaz IX. am 15. September 1395 der Pfarrkirche in Grünhain gewährte, - vor allem durch die Erwähnung der vielen Wunder, die dort in vergangenen und gegenwärtigen Zeiten geschehen seien - eine gewisse Besucherfrequenz um 1400 nahe: Repertorium Germanicum. Verzeichnis der in den päpstlichen Registern und Kameralakten vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, 32 Hartmut Kühne Orlamünde 33 , die Hl.-Kreuz-Kapelle in der Unterburg des Kyffhäuser 34 , Kloster Mildenfurth 35 , Neustadt bei Coburg 36 , Esenstedt bei Querfurt 37 , seiner Diözesen und Territorien vom Beginn des Schismas bis zur Reformation 2; Urban IV., Bonifaz IX., Innocenz VII. und Gregor XII. 1378-1415, hg. vom Preußischen Historischen Institut in Rom (Berlin 1933), Sp. 31f. Herr Jan Hrdina (Archiv der Hauptstadt Prag) stellte mir freundlicherweise seine Abschrift des Ablasses aus den Vatikanischen Archiv (RL 36, Bl. 198r-v) zur Verfügung. In dieselbe Richtung weisen auch die von Papst Bonifaz IX. am 20. September 1395 dem Pfarrer von Grünhain verliehenen Beichtfakultäten, vgl. ebd. Sp. 364. Für eine Fortdauer der Wallfahrt bis in das 16. Jh. sprechen die wichssen zeichen, also Wachsvotive, in der Grünhainer Pfarrkirche, die nach der Visitation des Jahres 1533 verkauft werden sollten; vgl. Ernst F ABIAN , Die Protokolle der zweiten Kirchenvisitation zu Zwickau, Crimmitschau, Werdau und Schneeberg 1533 und 1534, Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend 7 (1902) S. 33-147, das Zitat dort S. 71. 33 Hummelshayn, ein sicz czur wiltjagt mit eynen dorfleyn czwisschen Orlemunde vnd der Nawestat an der Orle im walde, dahin worden czu s. Gumprecht vil krancke hyr gloubet..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1570. Die Kirche ist meines Wissens als Wallfahrtsort bisher nicht untersucht worden, zur Ortsgeschichte vgl. Handbuch der Historischen Stätten 9, Thüringen, hg. von Hans P ATZE (Stuttgart 1989) S. 207f. 34 Kophausen, in Duringen, da erstunt Walfart czum heiligen creucze nach Ostern (M CCCC XXXI) ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1572. Wahrscheinlich ebenfalls die Kapelle auf dem Kyffhäuser meint auch folgende Notiz ... (M CCC XXX IIII) entstundt walfart zu Knyphausen, do das heylige creucze czeichenhaftig war, ebd. Sp. 1605. Über die bisher von der Forschung fast vollständig unbeachtete Wallfahrt vgl. K ÜHNE , Harz (wie Anm. 16) S. 101. Lindner ist hier wahrscheinlich abhängig von der Erfurter Chronik des Johann Rothe, die zu 1433 notiert: ... noch ostirn entstunt eyne grosse fart keyn Kufhusen. do das heilige crutze grosse zeichen tat, Düringische Chronik des Johann Rothe, hg. von Rochus von L ILIENCRON (Jena 1859) S. 679f. 35 ... und hernach Got so grose czeichen dorch s. Levin tat, das eine merckliche Walfart erstunt. Do wart im capittel Hausse getrayde gleichmessig in der schwere gewogen den leuten ... dahin dorch gloubnis behaftet ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1585. Die Wallfahrt wird nochmals unter dem Veitsberg im Vogtland bei Mildenfurt erwähnt, wo eine alte Kirche mit Wallfahrt stünde: ... ouch hat s. Veit aldo bey den gephlagten grose czeichen beweyst ebd. Sp. 1605. Freilich scheint der Pirnische Mönch der einzige Zeuge für diese Levinuswallfahrt zu sein: vgl. Rudolf D IEZEL , Das Prämonstratenserkloster Mildenfurt bei Weida, Thüringen (Jena 1937) bes. S. 125f. Mit einem gewissen Vorbehalt behandelt diese Überlieferung auch Heinz W IESSNER , Das Bistum Naumburg 1,1: Die Diözese (Germania Sacra NF 35, Berlin/ New York 1997) S. 378 und 388. 36 Nawestat, bey Coburck in Francken, beym Mupberg, do II. brönne auf der Heide seyn, war dahin etwo grose Walfart czu s. Otilia ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1588. Zur Wallfahrt vgl. Karl-S. K RAMER , Die „Neue Wallfahrt“ in Neustadt bei Coburg. Nachrichten von einer vorreformatorischen Marienwallfahrt, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1963), S. 25-32. 37 ... und ist vor der stat [Querfurt] eine capell, dahin vor jaren gros czulauf des volkes, acht tage nach Ostern, war der eselmargt genant, werte bei III. stunden, dahin wart das fromme sacrament dorch einen Abt getragen ..., Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1596. Zur Kapelle und Wallfahrt vgl. K ÜHNE , Harz (wie Anm. 16) S. 100; D ERS ., Heiltumsweisungen: Reliquien - Ablaß - Herrschaft. Neufunde und Problemstellungen, Jahrbuch für Volkskunde NF 27 (2004) S. 43-62, hier S. 59f. mit der älteren Lit. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 33 das Kloster Donndorf bei Artern 38 und Schmölln 39 . Diese Liste ist aber - auch wenn sie im Einzelfall durchaus wichtige Hinweise enthält - kein verlässliches Abbild der sächsisch-thüringischen Wallfahrtsgeografie um 1500, sondern eine Kompilation disparater chronistischer Traditionen. Solche Zusammenziehungen zeitlich und sachlich verschiedenartiger Traditionselemente zu einem Panoramabild ‚vorreformatorischer‘ Kirchlichkeit kennzeichnet aber nicht nur die vormoderne Geschichtsschreibung. Ein ganz ähnlicher Komplex findet sich z. B. auch in der neueren sächsischen Landesgeschichte in Form einer Liste von 38 Wallfahrtsorten der Meißner Diözese, die zuerst Eduard M ACHA - TSCHEK in seiner 1884 erschienenen Meißner Bischofsgeschichte ohne substantielle Nachweise im Abschnitt über Bischof Johann II. (1376- 1379) als Zeugnis des lebendige[n] religiöse[n] Leben[s] des Volkes anführte 40 . Diese Liste taucht im selben zeitlichen Kontext in der Bistumsgeschichte von R ITTENBACH und S EIFERT aus dem Jahr 1965 wieder auf 41 und wanderte von dort in den einschlägigen Artikel des Marienlexikons 42 . 38 Tundorf, in Duringen an der Vnstrot, kegen wehe obir, do ist ein Nonnecloster vnd wunderblut an einer Hostya in einem verlorn kelche..., ebd. Sp. 1605. Auf denselben Ort scheint sich auch folgende Notiz zu beziehen: Hefilborn, in Duringen bey Tundorf, dahin was (MCCCC XXXIII) grose wallfart czu dem heiligen creucze, Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1569. Diese angebliche Heilig-Kreuz-Wallfahrt erscheint dann nochmals unter dem Stichwort Wallfahrt: ... eine fart kegen Hefelborn bey Tuntorf in Duringen, do tat das heylige creucze tapfer czeichen ..., ebd. Sp. 1605. Das erste Zeugnis für die Wallfahrt ist ein von Papst Bonifaz IX. am 16. Juli 1399 für das Kloster ausgestellter Ablass: Repertorium Germanicum (wie Anm. 32) Sp. 1121. Auch in diesem Fall bin ich Herrn Hrdina für die Überlassung seiner Abschrift (RL 67, Bl. 153 r-v ) zu Dank verpflichtet. Danach wurde der Ablass, der auf sieben Jahre und sieben Quadragenen lautete, für die Weisung einer Hostie verliehen, auf der die Gestalt des Gekreuzigten abgebildet war. Auf dessen rechter Seite soll ein Blutstropfen erschienen sein (...quedam hostia in qua imago Crucifixi et in latere dextro eiusdem Cruxifixi gutta sanguinis apparuit pro ut apparet...) Das Blutwunder wird durch einen weiteren Ablass von der Hand eines Kardinals Johannes aus dem Jahr 1403 bezeugt. Die Urkunde ist gedruckt bei Erich B ÖHME , Urkunden vom Kloster Donndorf (Wiehe 1911) S. 5f., Nr. 11. Sonst ist aber aus der spärlichen Überlieferung des Klosters nichts Weiteres über die Wallfahrt bekannt, vgl. Erich B ÖHME / Emil G EILING , Beiträge zur Geschichte von Kloster und Klosterschule Donndorf (Wiehe 1911) S. 11f. 39 ... (M CXXXII) kam die walfart czu Schmöllen auf dem berge czu unser liben frawen Mencken, Scriptores (wie Anm. 28) Sp. 1606. 40 Eduard M ACHATSCHEK , Geschichte der Bischöfe des Hochstiftes Meißen in chronologischer Reihenfolge (Dresden 1884) S. 323f. 41 Willi R ITTENBACH / Siegfried S EIFERT , Geschichte der Bischöfe von Meißen 968-1581 (Leipzig 1965) S. 257 (ohne bibliographischen Nachweis). 42 Marienlexikon 2, hg. von Remigius B ÄUMER / Leo S CHEFFCZYK (St. Ottilien 1989) S. 241-244, hier S. 242 (Art. Dresden-Meißen). 34 Hartmut Kühne Unter den hier skizzierten forschungsgeschichtlichen Bedingungen stünde ein Versuch zur Inventarisierung spätmittelalterlicher Wallfahrten in Sachsen und Thüringen von vornherein in der Gefahr, mehr zur Perpetuierung historischer Legendenbildungen beizutragen als an Aufklärung über die fromme Mobilität vor dem Umbruch der Reformation zu leisten 43 . Der Beitrag soll daher kein kartographisches Verzeichnis entwerfen, das die Bewegungen und Knotenpunkte religiöser Mobilität am Ausgang des Mittelalters zwischen Saale und Elbe abbildet. Vielmehr versteht sich diese Arbeit als ein Vorschlag, wie die Erforschung vorreformatorischer religiöser Mobilität unter den skizzierten Bedingungen voranzubringen wäre. Es muss dabei nämlich nach Meinung des Verfassers darum gehen, die gründliche Analyse exemplarischer Überlieferungen mit einer quasi seriellen Durchforstung bestimmter Leitquellen nach einschlägigen Belegen zu verbinden. Dies soll in diesem Beitrag dadurch demonstriert werden, dass einerseits eine solche Gattung von Leitquellen in Gestalt der Pilgerzeichenüberlieferung vorgestellt wird. Zum anderen sollen zwei exemplarische Texte in ihrem Aussagewert als Zeugen für die mitteldeutsche Wallfahrtsgeographie erörtert werden. Leitquellen einer spätmittelalterlichen Wallfahrtsgeographie Dort, wo sich am Ort einstiger oder noch bestehender Wallfahrten Urkundenbestände, Rechnungsbücher, Mirakelaufzeichnungen und anderes mit der Wallfahrtspraxis verbundenes Schriftgut oder auch einschlägige Sachzeugen erhalten haben, wird man Nachrichten aus den Herkunftsorten und Durchgangsstationen einstiger Pilger allenfalls als willkommene Ergänzung dieser Überlieferung begreifen. Wo aber all jenes Material weitgehend fehlt, kommt den Nachrichten aus den Herkunftsorten der Wallfahrer ein ganz anderes Gewicht zu. Solche Hinweise finden sich in vielen Quellengruppen, etwa in chronistischen Texten. So schildert beispielsweise der Erfurter Geistliche Konrad Stolle in seinem „Memoriale“ die Wallfahrer, die 1475 aus Thüringen nach Wilsnack aufbrachen 44 . Auch der Hallenser Markus Spittendorf 43 Dies gilt leider auch für den Katalog sächsischer Wallfahrtsorte von Birgit F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt (wie Anm. 29). Vgl. dazu auch die Rezension von Gerhard B ILLING , Neues Archiv für Sächsische Geschichte 74/ 75 (2003/ 2004) S. 371-378, bes. 375-378. 44 Konrad Stolle, Memoriale thüringisch-erfurtische Chronik, hg. von Richard T HIELE (Halle 1900) S. 376-379. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 35 weiß in seinem „Gedenkbuch“ ähnliches zu berichten 45 . Ein eigenes Genus bilden jene Pilgerberichte, die in diesem Tagungsband durch die wettinischen Fürstenreisen in das Heilige Land und die Fahrt des Hans von Sternberg vorgestellt werden 46 . Sie fanden in Mitteldeutschland den vielleicht individuellsten Ausdruck im Reisebericht des Hallenser Salzherren Hans von Waltheym 47 . Wie in Texten so wurden Pilgerfahrten am Heimatort auch durch Bildwerke oder architektonische Ensembles dokumentiert, etwa mit der Stiftung einer Lorettokapelle in Chemnitz durch den Unternehmer Nikolaus Thiele nach 1474 48 oder im Erfurter Haus „Zum Weinstock“, das der Patrizier Otto Ziegler 1451 bauen ließ und das seinen Namen jenes Weinstocks wegen führte, an dem die Trauben Josias und Kalebs gewachsen seien und den der Bauherr 1447 von seiner Heilig-Land-Fahrt mitgebracht hatte 49 . Dennoch sind solche Nachrichten nicht quellenspezifisch. In den Chroniken werden Pilgerfahrten erwähnt, wenn sie etwa durch Massenhaftigkeit oder Unglücksfälle ein extraordinäres Ereignis darstellten, nicht aber als Normalität spätmittelalterlicher Alltagskultur. Signifikanter für die Frage nach der Präsenz bestimmter Wallfahrtskirchen im Blickfeld der Bevölkerung sind dagegen Testamente mit ihren Legaten für stellvertretende Wallfahrten 50 . Schon 1711 von dem Lübecker Prediger Jacob de Melle als gleichsam serielle Quellenreihe zur Herstellung eines Katalogs ehemaliger Wallfahrtsziele Lübecker Bürger genutzt 51 sind die relativ dichten Testamentsreihen besonders in den norddeutschen Hansestädten in den letzten Jahren wiederholt systematisch auf Wallfahrtsnennungen untersucht worden 52 . So können 45 Denkwürdigkeiten des Hallischen Rathsmeisters Spittendorff, hg. von Julius O PEL (Halle 1880) S. 70f. (zu 1475) und 211 (zu 1476). 46 Vgl. die Beiträge von André T HIEME , Falk E ISERMANN und Folker R EICHERT in diesem Band. 47 Friedrich Emil W ELTI , Die Pilgerfahrt des Hans von Waltheym im Jahre 1474 (Bern 1925). 48 Vgl. Leo B ÖNHOFF , Die Nebenaltäre im Chemnitzer Kirchenkreise. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Kirchengeschichte der Stadt Chemnitz, Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer Geschichte 16 (1913/ 14) S. 49-68, hier S. 67. 49 Vgl. Ulman W EISS , Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit (Weimar 1988) S. 48; Heinrich K RAMM , Studien über die Oberschichten der mitteldeutschen Städte im 16. Jahrhundert (Köln 1981) S. 361. 50 Vgl. zu Testamenten als einer signifikanten Quellengattungen der Wallfahrtsforschung die Übersicht bei K ÜHNE , Harz (wie Anm. 16) S. 88-90; B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 9) S. 29-32. 51 Jacob de Melle, De itineribus Lvbecensium sacris, seu religiosis et votivis eorum (Lübeck 1711). 52 Impulsgebend, aber auf der Grundlage von de Melle gearbeitet und stellenweise problematisch: Norbert O HLER , Zur Seligkeit und zum Troste meiner Seele. Lübecker un- 36 Hartmut Kühne Testamente für die Frage nach religiöser Mobilität im Spätmittelalter als Leitquelle angesprochen werden, da eine systematische Auswertung gesamter Bestände ein repräsentatives Bild derjenigen Wallfahrtsziele zu ergeben verspricht, die von den Bürgern - zumindest denen, die etwas zu vererben hatten - aufgesucht wurden. Für den mitteldeutschen Bereich ist diese Quellengattung aber noch nicht ansatzweise erschlossen, lediglich für Braunschweig 53 und Göttingen 54 gibt es erste Versuche, aber die wahrscheinlich interessanten Testamentsbestände in Leipzig oder Chemnitz sind bisher nicht aufgearbeitet worden 55 und darüber hinaus sind an vielen Orten noch unerschlossene Testamentsbestände zu erwarten. Ähnlich verhält es sich mit den Verurteilungen zu Strafwallfahrten bzw. vertraglich geregelten Sühnewallfahrten, die eine ähnliche Funktion als Leitquelle spielen könnten 56 . Obwohl Sühnewallfahrten bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Interesse deutscher Rechtshistoriker auf sich zogen 57 , ist die Erschließung mitteldeutschen terwegs zu mittelalterlichen Wallfahrtsstätten, Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 63 (1983) S. 83-102. Unter den neueren Arbeiten vgl. bes. Marie-Luise F AVREAU -L ILIE , Die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela: Perspektiven hansestädtischer Testamente, in: Der Kult des Apostels Jakobus d. Ä. in norddeutschen Hansestädten, hg. von Hedwig R ÖCKELEIN (Jakobus-Studien 15, Tübingen 2005) S. 27-48; Carsten Selch J ENSEN , Stellvertretende Pilgerfahrten in lübischen Testamenten, in: Niels-Knud L IEBGOTT / Carsten Selch J ENSEN / Detlev K RAACK / Dick H ARRISON / Michael H ARBSMEIER / Christian K RÖTZL , Pilgerreisen im Mittelalter (Odense 2003) S. 22-51; Hartmut B ETTIN / Dietmar V OLKSDORF , Pilgerfahrten in den Stralsunder Bürgertestamenten als Spiegel bürgerlicher Religiosität, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa. Austausch - Einflüsse - Wirkungen, hg. von Klaus H ERBERS / Dieter R. B AUER (Jakobus-Studien 12, Tübingen 2003) S. 231-258. 53 Vgl. den Überblick von Otto S CHÜTTE , Aus Braunschweiger Testamentbüchern, Braunschweiger Magazin 24 (1918) S. 53-58, bes. S. 56. Eine Auswertung auf der Grundlage der Regesten des Genealogen Dietrich Mack bei K ÜHNE , Harz (wie Anm. 16) S. 89f. 54 Hartmut B OOCKMANN , Leben und Sterben in einer spätmittelalterlichen Stadt. Über ein Göttinger Testament des 15. Jahrhundert, Göttinger Jahrbuch 30 (1983) S. 73-94. 55 Vgl. Helmut B RÄUER , „Inventarium gelaßner guetter ...“. Über einige Chemnitzer Quellen zur spätmittelalterlichen Sozialgeschichte, Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt 27 (1984) S. 17-25; Beate B ERGER , Testamente im Stadtarchiv Leipzig, Räume voll Leipzig ’94 (Leipzig 1994) S. 104-123. 56 Vgl. zur Sache Louis C ARLEN , Wallfahrt und Recht im Abendland (Freiburg 1987) und den Forschungsüberblick bei Michaela W IRSING , Strafwallfahrten des Spätmittelalters. Perspektivische Überlegungen, in: Wallfahrten in der Europäischen Kultur/ Pilgrimage in European Culture, hg. von Daniel D OLEZAL / Hartmut K ÜHNE (Europäische Wallfahrtsstudien 1, Frankfurt/ Main 2006) S. 301-315. 57 Paul F RAUENSTÄDT , Blutrache und Totschlagsühne im deutschen Mittelalter. Studien zur deutschen Kultur- und Rechtsgeschichte (Leipzig 1881); Johannes S CHMITZ , Sühnewallfahrten im Mittelalter (Bonn 1910). Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 37 Materials, etwa der entsprechenden Eintragungen in den Stadtbüchern, in den letzten Jahrzehnten kaum vorangeschritten. Welche Erträge die Auswertung von Verurteilungen zu Strafwallfahrten für die Frage nach der religiösen Mobilität erbringen kann, hat besonders die Untersuchung niederländischer städtischer Überlieferungen durch Jan VAN H ERWAARDEN gezeigt 58 . Daher ist es umso mehr zu bedauern, dass wir für Mitteldeutschland immer noch auf einzelne Zufallsfunde in der lokalhistorischen Literatur angewiesen sind, wie etwa einen Sühnevertrag aus dem Wittenberger Stadtbuch von 1503, in dem der Todschläger Merten Schultes sich zu einer Aachenfahrt verpflichtete 59 oder die in Delitzsch 1474 über den Todschläger des Richters Balthasar Hayner, Veit Priorau, verhängte Sühne, die u. a. auch eine Aachenfahrt einschloss 60 . Aus Delitzsch sind noch zwei weitere Sühnewallfahrten nach Aachen bekannt: 1490 verpflichtete sich der Böttcher Sebastian Erich gegenüber dem Bruder des von ihm erschlagenen Martin Kotzkau u. a. zu einer Aachenfahrt und 1503 wurden Simon Jahn und der Landknecht Christian Poppe zu Sühne für einen gemeinsam verübten Todschlag nach Aachen gesandt 61 . Ebenfalls nach Aachen mussten 1488 Kaspar Reintsch, Hans Geppart und Hans Slibes aus Reinswalde (heute Złotnik, ehemals Kreis Sorau) ziehen, die einen Saganer Bürger getötet hatten 62 . Nicht nur nach Aachen, sondern noch zusätzlich nach Rom machte sich der Zwickauer Veit Grempelsetzer auf den Weg, der 1487 einen gewissen Georg Bärensprung im Handgemenge getötet hatte 63 . Im nähergelegenen Wilsnack sühnten nach dem Lübbenauer Stadtbuch 1442 Hans Gercke und Peter Sczeman den Mord an Nickel Kule 64 . Gerichtlich verhängte oder als Sühne vereinbarte Fahrten nach Santiago sind bisher aus dem mitteldeutschen Raum m. E. nicht bekannt, aber auch Reisen zu mitteldeutschen Wallfahrtskirchen wurden noch nicht 58 Jan van H ERWAARDEN , Opgelegde bedevaarten. Een studie over de praktijk van opleggen van bedevaarten (met name in de stedelijke rechtspraak) in de Nederlanden gedurende de late middeleeuwen, ca. 1300 - ca. 1500 (Assen/ Amsterdam 1978). 59 Vgl. Lothar H ERBST , Steinkreuze in unserer Region, Jahrbuch der Dübener Heide (2001) S. 31-34, hier S. 31. 60 Vgl. Emil O BST , Mord- und Sühne-Kreuze, „Tote Männer“, auch Unfallmale in den Muldekreisen Bitterfeld und Delitzsch und in der Dübener Heide. Ein kulturgeschichtlicher Beitrag zur Heimats- und Volkskunde (Bitterfeld 1921) S. 6. 61 Vgl. ebd. S. 7. 62 Vgl. Rudolf L EHMANN , Steinkreuze und Wüstungen in der Niederlausitz, in: D ERS ., Aus der Vergangenheit der Niederlausitz. Vorträge und Aufsätze (Cottbus 1925) S. 182-203, hier S. 188. 63 Emil H ERZOG , Chronik der Kreisstadt Zwickau. Zweiter Theil (Zwickau 1845) S. 149f. 64 L EHMANN , Steinkreuze (wie Anm. 62) S. 186. 38 Hartmut Kühne festgestellt, was freilich auch der mangelnden Quellenerschließung geschuldet sein könnte 65 . Nicht in Archiven, sondern überwiegend als Bodenfunde oder Glockenabgüsse sind Pilgerzeichen überliefert. Sie gehören zu den Elementen, die von der frühen Jakobuswallfahrt in das europäische Wallfahrtswesen implementiert wurden, da nach den etwas früher bezeugten Jakobsmuscheln in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die metallenen signa zuerst an Transitheiligtümern auf den französischen Jakobswegen auftauchen. An die Kleidung genäht verliehen sie dem Status des Pilgers sichtbaren Ausdruck 66 . Die Pilgerzeichenproduktion blieb bis zum Ende des 13. Jahrhunderts ein Monopol der großen europäischen Pilgerzentren. Bis um 1300 wurden in deutschen Landen mit Ausnahme der frühen Marburger Franz-Elisabeth-Zeichen nur an den linksrheinischen Kirchen von Aachen, Maastricht und Köln Pilgerzeichen verkauft. Aber seit der Mitte des 14. Jahrhunderts nahm die Zahl der Kirchen, an denen Pilgerzeichen vertrieben wurden, beständig zu. Kurt Köster hatte 1985 insgesamt 257 Orte in Europa aufgelistet, an denen man im Mittelalter Pilgerzeichen emittierte, darunter waren 70 Kirchen im deutschsprachigen Raum (unter Einschluss von Österreich und der Schweiz) 67 . Diese Zahlen sind inzwischen weiter gestiegen 68 . Dennoch sollten sie nicht den Eindruck vermitteln, es wäre der Verkauf von Pilgerzeichen am Ende des Mittelalters an irgendwie beliebigen Kirchen üblich gewesen. Die Emission von Pilgerzeichen stellt vielmehr 65 Einen Überblick über die aus Schlesien bekannten Sühnewallfahrten gibt Ewa W ÓŁKIEWICZ , Fronleichnamsverehrung und die Wallfahrt nach Wilsnack im mittelalterlichen Schlesien, in: Die Wilsnackfahrt. Ein Wallfahrts- und Kommunikationszentrum Nord- und Mitteleuropas im Spätmittelalter, hg. von Felix E SCHER / Hartmut K ÜHNE (Europäische Wallfahrtsstudien 2, Frankfurt/ Main 2006) S. 65-77. Danach wurden aus Schlesien bis 1520 nur die drei großen Zentren Rom, Aachen und Wilsnack durch Sühnewallfahrten aufgesucht. Eine Ausnahme bildete eine Sühnewallfahrt nach Tschenstochau, vgl. ebd. S. 76. 66 Zur Entstehung und frühen Pilgerzeichenproduktion vgl. Andreas H AASIS -B ERNER , Pilgerzeichen des Hochmittelalters (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 94, Würzburg 2003). Als Orientierung über den Zusammenhang zwischen Pilgermuscheln und weitverbreiteten Pilgerzeichen von Transitwallfahrten an den Jakobswegen Frankreichs ist unersetzt: Kurt K ÖSTER , Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen Santiagostraßen (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 2, Neumünster 1983). 67 Kurt K ÖSTER , Mittelalterliche Pilgerzeichen, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen. Themen zu einer Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums und des Adalbert Stifter Vereins, hg. von Lenz K RISS -R ETTENBECK / Gerda M ÖHLER (München 1984) S. 203-223, hier S. 214f. 68 Vgl. den Überblick bei Andreas H AASIS -B ERNER , Pilgerzeichenforschung. Forschungsstand und Perspektiven, in: Spätmittelalterliche Wallfahrt (wie Anm. 9) S. 63-85, hier S. 79-83. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 39 ein Indiz dafür dar, dass eine Kirche aus der großen Menge verschiedenartiger Gnadenorte herausragte. Originalfunde von Pilgerzeichen sind in Mitteldeutschland relativ selten. Das einzige bisher gefundene Objekt, das jenseits der mittelalterlichen Reichsgrenzen erworben wurde, ist meines Wissens ein 1995 bei Ausgrabungen im Stadtkern von Plauen gefundenes Pilgerzeichen aus Rocamadour, das zwischen dem 13. und 14. Jh. in den Boden gelangte 69 . Dieser Fund könnte ein Hinweis auf einen Santiagopilger sein, da der Besuch Rocamadours und die Wallfahrt nach Santiago eng miteinander verwoben waren 70 . An weiteren archäologischen Funden sind aus Sachsen 69 Zeit und Ewigkeit. 128 Tage in Marienstern. Ausstellungskatalog zur 1. Sächsischen Landesausstellung, hg. von Judith O EXLE / Markus B AUER / Marius W INZELER (Halle/ Saale 1998) S. 64, Nr. 1.65. 70 Vgl. zusammenfassend K ÖSTER , Pilgerzeichen (wie Anm. 66) bes. S. 43-48. Abb. 1: Pilgerzeichen aus Rocamadour, 13./ 14. Jh., Bodenfund in Plauen; © Landesamt für Archäologie Sachsen, Aufnahme J. Lipták. 40 Hartmut Kühne nur zwei identifizierbare Pilgerzeichen bekannt: ein in Leipzig gefundenes Pilgerzeichen der thüringischen Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen bei Jena 71 und ein in Delitzsch gefundenes Pilgerzeichen aus Gottsbüren 72 . In einem weit höheren Maße sind Pilgerzeichen etwa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts als Abgüsse auf Glocken überliefert 73 . Durch die regional gegenwärtig aber noch sehr ungleichmäßige Erschließung dieses Bestandes sind Aussagen über die Attraktivität einzelner Wallfahrten für Besucher aus dem mitteldeutschen Raum bisher noch wenig aussagekräftig. Anders verhält es sich, wenn man nach der geographischen Streuung von Pilgerzeichen aus Kirchen des sächsisch-thüringischen Raumes fragt. Das zahlenmäßig am besten bezeugte und am weitesten verbreitete Pilgerzeichen einer mitteldeutschen Wallfahrtskirche ist das Marienzeichen der Kirche von Elende bei Bleicherode im Südharz. Es sind bisher insgesamt 36 Exemplare bekannt, davon vier archäologische Funde von Originalen, darunter ein Fund aus dem norwegischen Voss 74 . 71 Vgl. Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Katalog zur 2. Sächsischen Landesausstellung, hg. von Harald M ARX / Eckhard K LUTH (Dresden 2004) S. 49. 72 Kathrin B ALFANZ / Ingo K RAFT , Die Ausgrabung am Delitzscher Markt, Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 45 (2003) S. 466-471. 73 Den aktuellen Forschungs- und Dokumentationsstand bildet die vom Verfasser initiierte Pilgerzeichendatenbank unter http: / / www.pilgerzeichnen.de ab. 74 Einzelnachweise unter http: / / www.pilgerzeichen.de. Abb. 2: Pilgerzeichen aus Elende als Abguss auf der Glocke in Mönchhosbach (Hessen), Foto: Zentrale Pilgerzeichenkartei Kurt Köster im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 41 Die Wallfahrt zu der vor 1420 gegründeten Marienkapelle wird auch durch ein Mirakelbuch dokumentiert, das die dort angezeigten 475 Wunder aus der Zeit von 1414 bis 1517 verzeichnet 75 . Zwar nur in zwei Exemplaren aber mit einem weiten Verbreitungsradius ist ein Pilgerzeichen der Magdeburger Domkirche überliefert, das nach 1400 bei der jährlich am Vorabend des Mauritiustag gefeierten Heiltumsweisung vertrieben wurde. Das eine Exemplar wurde im Nonnenstaub des niedersächsischen Klosters Wienhausen gefunden 76 , das andere bei Ausbaggerungen im Hafen von Danzig 77 . Elf Nachweise gibt es bisher von Pilgerzeichen aus Vierzehnheiligen bei Jena, wobei dem schon erwähnten archäologischen Fund in Leipzig und einem weiteren in Jena neun Glockenabgüssen gegenüber stehen 78 (s. Abb. 3-7). Das thüringische Vierzehnheiligen, eine Sekundärwallfahrt der fränkischen Nothelferwallfahrt, war eine Gründung Herzog Wilhelms, nach unsicheren Nachrichten veranlasst durch den Friedensschluss nach dem Sächsischen Bruderkrieg, im Jahr 1464 als Bau vollendet und geweiht 79 . Die elf bisher nachgewiesenen Pilgerzeichen sind nicht so gering zu achten, wie man vielleicht zunächst vermuten möchte, denn damit sind fast doppelt so viele Pilgerzeichen bekannt, wie aus dem originären fränkischen Kultort Vierzehnheiligen. Dennoch zeigt ein Vergleich der Fundverteilung, dass die Sekundärwallfahrt nur einen regionalen 75 Das Wunderbuch Unserer Lieben Frau im thüringischen Elende (1419-1517), hg. von Gabriela S IGNORI / Jan H RDINA / Thomas M ÜLLER / Marc M ÜNTZ (Tübingen 2006). Vgl. auch Julius S CHMIDT , Das Gnadenbild zu Elende, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde 21 (1888) S. 190-202. Zum Kirchbau vgl.: D ERS ., Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 12: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Grafschaft Hohenstein (Halle/ Saale 1889) S. 47- 55. 76 K ÖSTER , Mittelalterliche Pilgerzeichen (wie Anm. 67) Abb. 92. 77 Anna und Henryk P ANER , Gdanszczanie na pielgrzymkowych szlakach w XIV i V wieku, Gdansk Sredniowieczny - w Swietle najnowszych badan archeologicznych i historycznych (Danzig 1998) S. 167-183, hier S. 177 mit Abb. 3. 78 Einzelnachweise unter http: / / www.pilgerzeichen.de. 79 Eine historische Darstellung der Wallfahrt des thüringischen Vierzehnheiligen ist ein Desiderat. Nach der Überblicksdarstellung von Georg B RÜCKNER , Landeskunde des Herzogtums Meiningen 2 (Meiningen 1853) S. 768-771 und der populären Schrift des Vierzehnheiliger Pfarrers Eduard B OHN , Vierzehnheiligen in Thüringen (Apolda 1858), hier bes. S. 3-13, ist die Wallfahrt nicht mehr behandelt worden. Zur Literatur- und Quellenlage vgl. Enno B ÜNZ , Das Gemälde-Epitaph von 1483 in der Jenaer Michaelskirche. Ein Beitrag zur Geschichte der Vierzehn-Nothelfer-Verehrung in Thüringen, Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 56 (2002) S. 193-204, hier bes. S. 198-200. 42 Hartmut Kühne Abb. 4: Pilgerzeichen aus Ziegenhain, Umzeichnung nach Heinrich Bergner, Zur Glockenkunde Thüringens, Jena 1896, Tafel V. Abb. 3: Pilgerzeichen aus Vierzehnheiligen bei Jena auf der Glocke von Großkochberg, Umzeichnung nach Paul Liebeskind, Die Denkmalpflege 6, 1904, S. 53. Abb. 7: Pilgerzeichen der Gehülfenkapelle in Saalfeld auf der Glocke von Kranichfeld, Umzeichnung nach Heinrich Bergner, Zur Glockenkunde Thüringens, Jena 1896, Tafel IX. Abb. 6: Pilgerzeichen aus Eicha (? ) auf der Glocke von Obergreißlau, Umzeichnung nach Paul Liebeskind, Die Denkmalpflege 7, 1905, S. 119. Abb. 5: Pilgerzeichen aus Wersdorf, Umzeichnung nach Heinrich Bergner, Zur Glockenkunde Thüringens, Jena 1896, Tafel V. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 43 Einzugsbereich besessen hat, die fränkische Wallfahrt aber aus einem weiteren Umkreis besucht wurde. Dies zeigen die Glockenabgüsse aus Hessen und in einem Fall auch aus Sachsen (Großbothen, Muldentalkreis). Aus einer zweiten bei Jena gelegenen Wallfahrtskirche sind ebenfalls Pilgerzeichen bekannt: Ziegenhain, dem bisher neun Glockenabgüsse und ein in Jena gefundenes Original zuzuweisen sind. Gegenstand der Wallfahrt war ein wundertätiges Marienbild. Die Geschichte der Wallfahrtskirche, gegründet um das Jahr 1420 von Albrecht III., Burggraf von Kirchberg, hat bisher nur eine knappe und überwiegend kunsthistorische Bearbeitung durch Ottogerd M ÜHLMANN erfahren 80 . Ebenfalls in der Nähe Jenas liegt Wersdorf, in den Quellen auch Wernsdorf genannt, wo eine Nikolauskapelle wohl seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zum Wallfahrtsziel wurde. An mindestens acht Orten in einem relativ engen Radius haben sich Pilgerzeichen dieser Wallfahrt als Glockenabgüsse erhalten 81 . Das erste Pilgerzeichen, das mit einiger Wahrscheinlichkeit einer sächsischen Wallfahrtskirche zugewiesen werden konnte, hat Mathias D ONATH im Jahr 2005 als Abguss auf einer Glocke in Naundorf bei Radeburg identifiziert 82 . Es ist nach den wohlbegründeten Vermutungen D ONATH s an der Wolfgangskirche bei Meißen vertrieben worden, die nach 1466 gegründet wurde. Dasselbe Wolfgangszeichen erscheint auch auf zwei weiteren Glocken in Glaubitz und in Ponikau 83 . Paul L IEBESKIND , der Pionier der mitteldeutschen Pilgerzeichenforschung, hatte bereits 1905 auf den inzwischen in fünf Glockenabgüssen bekannten Typus eines Marienzeichens hingewiesen 84 . Es handelt sich um eine hochrechteckige Rahmenarchitektur, die in einen 80 Ottogert M ÜHLMANN , Die Wallfahrtskirche zu Ziegenhain bei Jena. Eine Dokumentation über das Bauwerk und seine Geschichte, in: Mosaiksteine. Zweiundzwanzig Beiträge zur thüringischen Kirchengeschichte (Berlin 1981) S. 181-194. 81 Vgl. zur Wallfahrt und der Identifikation der Pilgerzeichen Jörg P OETTGEN , Kryptogramme und Pilgerzeichen auf spätmittelalterlichen Glocken im östlichen Thüringen, Jahrbuch für Glockenkunde 9/ 10 (1997) S. 81-98. Nach dem Rechnungsbuch des ernestinischen Herzogs Johann sandte dieser am 7. Juli 1515 zehn Gulden in Sant Nicklas kirchen der newen walfart zu wernßdorff (zit. B UCHWALD , Zur Frömmigkeit [wie Anm. 9] S. 90). 82 Matthias D ONATH , Die Wolfgangskirche in Meißen-Obermeisa, Monumenta Misnensia, Jahrbuch für Dom und Albrechtsburg zu Meißen 7 (2005/ 2006) S. 119-145. 83 Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, Heft 37: Amtshauptmannschaft Großenhain (Land), hg. von Cornelius G URLITT (Dresden 1913) S. 68 (Glaubitz) und S. 232 (Ponickau). 84 Paul L IEBESKIND , Pilger- und Wallfahrtszeichen auf Glocken, Teil 2, Die Denkmalpflege 7 (1905) S. 117-120, 125-128 und 119, Abb. 11. 44 Hartmut Kühne mit Krabben besetzten Giebel ausläuft. Das Bildfeld zeigt eine stehende Madonna mit dem Kind auf dem rechten Arm, die in der linken Hand einen Gegenstand hält, der an eine gestielte Eiche erinnert. Im querrechteckigen Fach darunter finden sich zwei bisher nicht identifizierte Darstellungen - evtl. Wappen. Liebeskind hat vermutet, dass es sich um das Pilgerzeichen der Marienwallfahrt nach Leißling bei Weißenfels handelt. Diese Marienkapelle und ihre Wallfahrt ist schlecht bezeugt. Der einzige sichere Hinweis auf die Wallfahrt ist eine Notiz in den Brauverhörsakten des Jahres 1482, die durch die frühneuzeitlichen Stadtchronistik überliefert ist: Leisling, wiewohl daselbst kein Erbkrezschmar, oder Schenkhaus, ist: Dieweil aber dadurch eine landstraße gehet, und auch eine Wallfahrt zu unser lieben Frawen zur Eychen dahin geleistet wird, ist ihnen, denen Einwohnern Vertröstung getan, daß man ihnen aus dem Amte einen Schenken verordnen wolle, dem der Landesfürsten Geleite und Schenkrecht geben sollte 85 . Zwar ist die Steigerung des Bierausschanks im Gefolge der Etablierung von Wallfahrtskirchen ein bekanntes Phänomen 86 , dennoch ist das Fehlen irgendeines weiteren Hinweises auf diese Marienkapelle und deren Wallfahrt ein Grund, sich nach einer anderen Herkunft dieses Pilgerzeichentypus umzusehen. Die Glockenabgüsse stammen aus den Jahren 1503 (Schwerz, Saalkreis), 1506 (Löbejun, OT Schlettau, Kreis Merseburg-Querfurt), 1507 (Weißenfels, OT Langenfeld-Obergreißlau) und 1511 (Zörbig, OT Rieda, Kreis Bitterfeld), d. h. gehören einem kurzen Zeitraum von nur acht Jahren an und finden sich vor allem auf Glocken aus dem Raum nördlich von Halle und Leipzig. Diese geographische und zeitliche Verteilung der Glockenabgüsse lässt an einen besonders in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts bekannten Marienwallfahrtsort denken, der ebenfalls mit einer Eiche verbunden war: die Marienkirche von Eicha bei Naunhof, an der Pilgerzeichen verkauft wurden 87 . Auch wenn bisher ein stringenter Nachweis dieser hier erstmals vorgeschlagene Zuweisung noch fehlt, ist sie doch wahrscheinlicher als die bisherige. 85 Georg Ernst O TTO , Geschichte und Topographie der Stadt und des Amtes Weißenfels (Weißenfels 1796) S. 306. Ähnlich auch Gustav Heinrich H EYDENREICH , Kirchen- und Schul-Chronik der Stadt und Ephorie Weißenfels (Weißenfels 1840) S. 268. Das Quellenzitat überlieferte ursprünglich Johann Vulpius, Der Berühmeten Alt- Teutsch-Wänd-Meißnischen Fürstl. S. Residentz-Stadt Weissenfelß, Sonderbahre Nützliche Gedächtnisse ... (1674), der mir nicht erreichbar war. 86 Vgl. Thomas T. M ÜLLER , Wallfahrt und Bier. Untersuchungen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor bei spätmittelalterlichen Wallfahrten, in: Wallfahrten in der europäischen Kultur (wie Anm. 56) S. 317-331. 87 Vgl. unten Anm. 121. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 45 Ein weiteres Rätsel stellte ein bereits 1896 publizierter bisher aber nicht sicher zugewiesener Abguss auf einer 1520 für Kranichfeld gegossenen Glocke dar 88 . Das Zeichen bildet in der Mitte den bärtigen Gekreuzigten mit einer langen Tunika am Viernagelkreuz ab, also den sogenannten Volto-Santo-Typus mit dem für dessen Urbild in Lucca charakteristischen fehlenden Schuh am linken Fuß. Der Bildtypus wird im mittel- und norddeutschen Raum meist als St. Hulpe oder Gehülfe bezeichnet. Die beiden Wappen auf den Maßwerkfenstern zur Rechten und Linken - der steigende Löwe für die Landgrafschaft Thüringen und das kursächsische Rautenwappen - legen die Herkunft auf den thüringischen Bereich der wettinischen Herrschaft fest. Schon Heinrich Bergner hatte eine Beziehung zwischen dem Glockenabguss und einem jetzt in der Saalfelder Johanniskirche befindlichen Steinrelief mit einer ganz ähnlichen Darstellung vermutet 89 . Dieses Steinrelief stammt ursprünglich aus der Wasserbzw. Gehülfenskapelle auf der Saalebrücke von Saalfeld. Die Kapelle war eine Gründung der Grafen Heinrich und Günter von Schwarzburg und wird urkundlich erstmals 1379 in einer Ablassurkunde erwähnt 90 . Das Patrozinium der Saalfelder Gehülfenskapelle scheint mit der Konjunktur dieses Kultbildes im Thüringer Raum zwischen 1350 und 1380 zusammenzuhängen. Diese Konjunktur fand ihren deutlichsten Ausdruck in der Wallfahrt auf dem Hülfensberg bei Geismar, hatte aber z. B. auch einen Ableger in dem Gehülfen des Mühlhäuser Dominikanerklosters, wo im Jahr 1370 Mirakel protokolliert wurden 91 . 88 Heinrich B ERGNER , Zur Glockenkunde Thüringens (Jena 1896) S. 79, mit Tafel IX, Fig. 69. Ein identischer Abguss findet sich auch auf der 1519 gegossenen Glocke in Gössitz; vgl. Heinrich B ERGNER , Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Ziegenrück und Schleusingen (Halle 1901) S. 45. Ich habe Carina Brumme, Berlin für diesen Hinweis zu danken. 89 B ERGNER , Glockenkunde (wie Anm. 88) S. 79. Zum Relief vgl. Paul L EHFELDT , Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens 4: Kreis Saalfeld (Jena 1892) S. 79f. 90 Gedruckt bei Johann Adolph von S CHULTES , Historische Schriften und Sammlungen ungedruckter Urkunden zur Erläuterung der deutschen Geschichte und Geographie des mittleren Zeitalters, 1. Abteilung (Coburg 1798) S. 60. Zur Geschichte der Kapelle und ihrer Wallfahrt vgl. Victor L OMMER , Saalbrückenstiftungen im Mittelalter, Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Alterthumskunde 9 [NF 1] (1879) S. 413-429; L EHFELD , Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 89) S. 59f. Der einzige neuere Beitrag zur Kapelle von Hartmut H OHLA , Legenden von Liebe und Leid, Saalfische 4 (1996) S. 165-167 und 172, bietet nichts wesentlich Neues. 91 Zur Wallfahrt auf den Hülfensberg im Spätmittelalter vgl. Thomas T. M ÜLLER / Hans-Jörg N ÜSSE , „... zue pfingestene nit eine tunne bieres were getruncken.“ Die Keramikfunde vom Hülfensberg. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Wallfahrtsgeschichte des Eichsfeldes, Eichsfeld-Jahrbuch 9 (2001) S. 41-55 mit der älteren Literatur. Eine knappe Zusammenstellung der Nachrichten über den Mühlhäuser 46 Hartmut Kühne Die Gehülfenskapelle auf der Saalebrücke wurde 1656 zum Teil abgebrochen und in ein Haus für den Brückenzolleinnehmer umgebaut. 1880 wurde sie vollständig abgerissen, nur das bereits erwähnte Steinrelief kam auf Umwegen in die Saalfelder Johanniskirche. Auch wenn sich in der Literatur bisher wenig Konkretes über den Besuch der Kapelle ausmachen lässt, so wurde sie offenbar seit dem Ende des 14. Jahrhundert von Votanten aufgesucht und bildete zu Pfingsten und Allerheiligen das Ziel eines regelmäßigen Ablasskonkurses. Auch das auf der Kranichfelder Glocke abgegossene Pilgerzeichen spricht für ihre Funktion als Wallfahrtskapelle. Die Grafen von Schwarzburg übergaben als Stifter der Kapelle 1383 die Rechte an ihr dem Saalfelder Magistrat mit der Absicht, dass so die steinerne Brücke zu erhalten sei 92 . Zusammenhänge zwischen der Unterhaltung und Finanzierung einer kostspieligen Verkehrsinfrastruktur, wie sie der mittelalterliche Brückenbau darstellte, und dem Unterwegssein aus religiösen Gründen sind immer wieder anzutreffen. Ganz allgemein werden diese Zusammenhänge z. B. in einer Urkunde des Bischofs Johann von Merseburg aus dem Jahr 1434 angesprochen, in der die Bewohner der Diözese mit einem Ablass zur Unterstützung des Brücken- und Wegebaues in und um Leipzig angehalten wurden, denn Leipzig sei eine Stadt in der eine große Menge von Kaufleuten und Pilgern zusammenströme. Deshalb genehmigte der Bischof auch die Aufstellungen eines Stocks mit einem Heiligenbild an der Straße, dessen Einnahmen für die Zwecke des Wege- und Brückenbaues bestimmt waren 93 . Um den Besuchern der Kapelle des hl. Vicentius in Kösen bei Naumburg den Weg zu erleichtern, soll die dortige Saalebrücke erbaut worden sein 94 . Eine in Sachsen häufiger zu beobachtende Form der Finanzierung des Unterhalts von Brücken ist die Vereinigung des Brückenamtes mit einer Kirche, so in Meißen, Roßwein, Siebelehen, Penig, Rochlitz und Gehülfen bei Hartmut K ÜHNE , „... das kint mit einen pfunt wacs zum heiligen leycnam yn diß capell gelobt.“ Mitteldeutsche Mirakelbücher als Quellen zur Wallfahrtsgeschichte, in: Wallfahrten in der Europäischen Kultur (wie Anm. 56) S. 347-366, hier S. 358f. Die immer noch beste Übersicht zur Verbreitung des Gehülfenskultes in Nord- und Mitteldeutschland bietet Heinrich W ALDMANN , Über den thüringischen Gott Stuffo (Heiligenstadt 1857) S. 129ff. 92 Gedruckt bei Johann Adolph von S CHULTES , Sachsen-Coburg-Saalfeldische Landesgeschichte, 2. Abteilung (Coburg 1790) S. 39f. 93 Urkunde vom 24. Juni 1434, ed. in: Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1, hg. von Karl Freiherr von P OSERN -K LETT (Codex diplomaticus Saxoniae regiae 2,8, Leipzig 1868) S. 124-126, Nr. 181, das Zitat hier S. 125. 94 Franz F ALK , Die Kirche und der Brückenbau im Mittelalter, Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 87 (1881) S. 89-110, 184-194, 245-259, hier S. 107. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 47 Mittweida 95 . Der wohl bekannteste Fall der rechtlichen Verbindung von Brückenamt und Kirche war die Dresdner Kreuzkirche, zu der besonders an den Hauptkonkurs- und Ablasstagen nach Pfingsten und am 24. Juni Menschenmengen zusammenströmten, die durch ihr Opfer den Unterhalt der Elbbrücke mitfinanzierten 96 . Die Ausstattung von Brücken mit Kapellen, die wie in Saalfeld auf oder an der Brücke standen und in denen Almosen zum Unterhalt des Bauwerks gesammelt wurden, war eine ebenfalls weitverbreitete Praxis 97 . So stiftete z. B. in der Nähe Saalfelds der Jenaer Rat 1319 eine dem hl. Nikolaus geweihte Brückenkapelle 98 . Wenn sich also Kirchen oder Kapellen an Brücken oder Flussübergängen ohnehin als Anlaufpunkte für die an diesen Stellen konzentrierten Verkehrsströme anboten, bedurfte es wenig, um ihre Attraktion so zu steigern, dass wir von einer Wallfahrt sprechen können, auch wenn sich in diesen Fällen eine ohnehin vorhandene von einer spezifischen religiösen Mobilität schwer unterscheiden lässt. So befanden sich am Ende des 15. Jahrhunderts an fast allen wichtigen Elbübergängen von Dresden stromabwärts Wallfahrtskapellen bzw. Kirchen, an denen es regelmäßige Ablasskonkurse gegeben hat: in Dresden die schon erwähnte Kreuzkirche, in Torgau die von Friedrich dem Weisen im Zusammenhang seiner Jerusalemfahrt gestiftete Heilig-Kreuz-Kapelle 99 , in Wittenberg das Allerheiligenstift mit jährlicher Heiltumsweisung und Ablasskonkurs samt der dem Stift inkorporierten Marienkapelle auf dem Boldersberg 100 , in Magdeburg die Heiltumsweisung der Domkirche mit Ablasskonkurs 95 Zu Meißen vgl. Paul M ARKUS , Die alte Elbbrücke zu Meißen, Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Meißen 2 (1891) S. 453-495, bes. 457ff. Zu den übrigen Brücken zusammenfassend F ALK , Brückenbau (wie Anm. 94) S. 107. 96 Zum Dresdener Ablasskonkurs an der Kreuzkirche vgl. Otto R ICHTER , Das Johannisspiel zu Dresden im 15. und 16. Jahrhundert, Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Alterthumskunde 4 (1883) S. 101-114. Zum rechtlichen Zusammenhang zwischen Kreuzkirche und Brückenamt vgl. Heinrich B UTTE , Geschichte Dresdens bis zur Reformationszeit (Mitteldeutsche Forschungen 54, Köln/ Graz 1967) S. 45 und 91. 97 Einen Überblick über solche Brückenkapellen bietet Erich M ASCHKE , Die Brücke im Mittelalter, Historische Zeitschrift 224 (1977) S. 267-292, hier S. 282-287. 98 Vgl. L OMMER , Saalbrückenstiftungen (wie Anm. 90) S. 422f. 99 Eine kurze Zusammenfassung der erhaltenen Nachrichten über die Torgauer Kapelle bei Hartmut K ÜHNE , „die do lauffen hyn und her, zum heiligen Creutz zu Dorgaw und tzu Dresen ...“. Luthers Kritik an Heiligenkult und Wallfahrten im historischen Kontext Mitteldeutschlands, in: „ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas T ACKE (Göttingen 2006) S. 499-522, hier S. 502f. 100 Zur Kapelle vgl. Fritz B ÜNGER / Gottfried W ENTZ , Das Bistum Brandenburg, Teil 2 (Germania Sacra I/ 3, Berlin 1941) S. 163f. 48 Hartmut Kühne am Mauritiustag 101 , in Tangermünde eine Marienkapelle mit einem wundertätigen Gnadenbild 102 und in Werben die Johanniterkirche, die ihre eigene Wallfahrt wohl im Zusammenhang der Wilsnackfahrt etabliert hatte 103 . Allerdings wird man die Wallfahrtsfunktion dieser Kirchen und Kapellen nicht allein durch ihre Lage an wichtigen Elbübergängen erklären können. In Dresden, Torgau, Wittenberg und auch Tangermünde waren die als Wallfahrts- oder Gnadenort besuchten Kirchen und Kapellen mit den jeweiligen fürstlichen Residenzen verbunden und meist waren sie zugleich die Kirchen der Residenzstifte oder die diesen inkorporierte Kapellen. Fürsten waren nicht nur die Protegés ihrer ‚eigenen‘ Wallfahrtskirchen und -kapellen, sondern ihre Verwaltung ist mitverantwortlich für die Entstehung eine weitere Leitquelle der Wallfahrtsforschung: Rechnungsbücher, die fürstliche Kirchenbesuche, Opfer und Spenden an einzelne Kirchen oder auch Pilgerzeichenkäufe verzeichnen. Die kursächsischen Rechnungsbücher, aber z. B. auch die der Harzgrafen lassen durch einschlägige Notizen sonst kaum noch zu erfassende Konturen der einstigen Wallfahrtsgeographie erahnen, wenngleich die kursächsischen Rechnungen - wie bereits eingangs bemerkt - nur für die Regierungszeit Friedrichs des Weisen systematisch auf entsprechende Einträge untersucht wurden 104 . Aber auch städtische Rechnungsbücher bieten oft einschlägige Nachrichten. So belegen die Rechnungsbücher der Stadt Görlitz als erste fürstliche Besucher des nach 1383 etablierten Wallfahrtszentrums Wilsnack die Familie der Luxemburger - sowohl die Kaiserin Elisabeth als auch ihr Sohn Johann von Görlitz und Vertreter Königs Wenzels besuchten auf den Weg über Görlitz das Heilige Blut in der Mark Brandenburg 105 . 101 Vgl. Hartmut K ÜHNE , ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Berlin/ New York 2000) S. 228-249. 102 Vgl. Christine L EHMANN , Tangermünde - Auf der Suche nach der wundertätigen Maria, in: Wunder - Wallfahrt - Widersacher. Die Wilsnackfahrt, hg. von Hartmut K ÜHNE / Anne-Katrin Z IESAK (Regensburg 2005) S. 75-79 mit der älteren Lit. 103 Vgl. vorerst Hartmut K ÜHNE , Werben/ Elbe - Von Barbieren, Fährleuten, Ordensrittern und dem Haupt Johannes des Täufers, in: Wunder (wie Anm. 102) S. 80-100. Eine ausführlichere Darstellung zur Werbener Wallfahrt ist in Vorbereitung: D ERS ./ Carina B RUMME , Der Pilgerzeichenfund am Kloster Seehausen und sein historischer Kontext, in: Sachkultur und religiöse Praxis, hg. von Dirk S CHUMANN (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 8, Berlin 2007) (im Druck). 104 Vgl. oben Anm. 9. 105 Vgl. Jan H RDINA , Wilsnack, Hus und die Luxemburger, in: Die Wilsnackfahrt (wie Anm. 65) S. 41-63, hier bes. S. 45ff. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 49 Als erste Besucherin aus dem Hause Wettin zog Herzogin Katharina, die Frau des ersten wettinischen Kurfürsten Friedrich, im Jahr 1421 nach Wilsnack, was die Amtsrechnungen des Amtes Colditz und Grimma belegen 106 . Im November des Vorjahres hatte Katharina nach den Rechnungen des Amtes Leisnig das Marienheiligtum von Ebersdorf besucht 107 . Siegfried B RÄUER hat unlängst auf die zahlreichen Belege für Wallfahrten und Opfer u. a. in den Renteirechnungen der Grafen von Stollberg-Wernigerode hingewiesen, die deren Präsenz in Wilsnack, besonders aber an der Marienkirche von Elende belegen 108 . Wie diese wenigen Hinweise bereits anzeigen, würde eine systematische Auswertung der spätmittelalterlichen Rechnungsbücher unsere Kenntnis der mitteldeutschen Wallfahrtsgeographie auf eine solidere Basis stellen. Freilich müssen die Ergebnisse solcher systematischen Suche immer wieder mit den lokalhistorischen Daten verbunden werden, um einzelne Positionen richtig deuten zu können. Dies wird schon an der teilweise schwierigen Interpretation der von Buchwald veröffentlichten kursächsischen Rechnungsbucheinträge aus der Regierungszeit Friedrichs des Waisen deutlich 109 . So ist bisher ein in diesen Exzerpten verborgener Hinweis auf die Unterstützung einer Wallfahrtskapelle durch den kursächsischen Hof übersehen worden: Friedrich der Weise schenkte 1512 der Marienkapelle auf dem Burgstein bei Krebes im Vogtland ein weismesgewant mit aller zugehorung und mit einem creutz und mit meiner gnedigsten und gnadigen hern wappen, Auch ein furhang gewurcht Ach mit meins gnedigsten hern wapen 110 . Die Marienkapelle auf dem Burgstein, um 1500 im strittigen Grenzgebiet zwischen der Diözese Bamberg und Naumburg sowie zwischen den wettinischen Gebieten und dem der Markgrafen von Brandenburg- Kulmbach gelegen, wurde - durch eine Marienerscheinung - nach 1474 zum Ziel von Wallfahrten. Bald kam es zu einem langwierigen Streit um deren Einnahmen zwischen den beiden Diözesanbischöfen, der schließlich zugunsten Naumburgs und damit auch der Wettiner entschieden wurden 111 . Insofern diente die Stiftung von Messgewand und Vorhang 106 Hubert E RMISCH , Kurfürstin Katharina und ihre Hofhaltung, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 45 (1924) S. 47-79, hier S. 61, Anm. 3. 107 Ebd. 108 B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 9) S. 27f. 109 Vgl. B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 9) S. 23-27; D ONATH , Wolfgangskirche (wie Anm. 32). 110 B UCHWALD , Zur Frömmigkeit (wie Anm. 9) S. 75. 111 Die Forschung hatte sich mit den Kapellen des Burgstein kaum beschäftigt, weshalb die populäre Arbeit von Eduard J OHNSON , Geschichtliches über Burgstein 50 Hartmut Kühne in diesem Fall sicher auch dazu, die Präsens der Landesherrschaft an diesem exponierten Heiligtum zu demonstrieren. Eine ebenfalls von Buchwald veröffentlichter aber erst in letzter Zeit stärker beachtete Rechnungsbuchnotiz vom Juli 1489 betrifft eine Wallfahrt der fürstlichen Brüder Friedrich und Johann, auf die im nächsten und abschließenden Abschnitt einzugehen ist. Zu ihrer Interpretation wird dabei eine bisher für die Wallfahrtsforschung noch nicht fruchtbar gemachte Quelle vorgestellt, nämlich ein Verzeichnis von 14 Wallfahrtskapellen im Bistum Meißen, die um 1500 entstanden sind. Exemplarische Zeugnisse: Fürsten als Wallfahrer - Bischöfe als Buchhalter Im Juli 1489 unternahmen Friedrich der Weise und sein Bruder Herzog Johann gemeinsam eine Wallfahrt durch die Gebiete zwischen Saale und Elbe. Die Reise wird dokumentiert durch eine Rechnung der Ausgabe uff dem wege Als m.[eine]. g.[nädigen]. h.[erren] wallen giengen von Jhen auß zum Zigenhain zum heiligen leichnam gein Aldenburg, zu Sant wolffgang gein Meissen, zu Sant sebastian gen Hain und zur Eich zu unser lieben Frawen 112 . An fast jedem der besuchten Orte werden Geldopfer und Ausgaben für Pilgerzeichen verzeichnet. Der Weg begann in Jena, von wo aus die Brüder am 16. Juli das thüringische Vierzehnheiligen besuchten. Am 17. Juli kamen sie in die Marienkirche von Ziegenhain und reisten dann über Altenburg weiter, wo sie bei der wenig südlich in Richtung Zwickau gelegenen Wallfahrtskapelle in Heiligenleichnam Station machten. Am 20. Juli besuchten sie den hl. Wolfgang bei Meißen, am nächsten Tag den hl. Sebastian in der Nähe von Großenhain und beendeten schließlich am 24. Juli die Wallfahrt in der Marienkirche von Eicha wenig östlich von Leipzig an der Straße nach Grimma. Von den besuchten Orten sind die meisten bereits oben genannt worden, nämlich als jene Orte, aus denen der Verkauf von Pilgerzeichen beim Vogtland und seine Umgebung (Plauen 1897, Reprint 1990) lange Zeit die beste Zusammenfassung darstellte. In jüngerer Zeit war es zunächst die Bauforschung, die die Kapellen wieder zu entdecken begann: Norbert O ELSNER / Günter K AVACS , Bauforschungen auf dem Burgstein bei Krebes, Denkmalpflege in Sachsen (1996), S. 58-65. Ein neues Licht auf die Geschichte der Wallfahrt wirft ein umfangreicher Quellenfund im Staatsarchiv Bamberg, den Martina B UNDSZUS , Neue Dokumente zum alten Burgstein. Eine Wallfahrtskirchenanlage im Spannungsfeld territorialer Interessen, Das Vogtland (2006), S. 9-57, soeben veröffentlichte. 112 B UCHWALD , Zur Frömmigkeit (wie Anm. 9) S. 66f. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 51 kannt ist: Vierzehnheiligen, Ziegenhain, St. Wolfgang bei Meißen und Eicha 113 . Ferner ist auch bei diesen Kirchen eine gewisse Nähe zur Landesherrschaft und den wettinischen Residenzen zu konstatieren. Dies gilt auch für die Kapelle von Heiligenleichnam bei Altenburg. Die Fronleichnamskapelle in Heiligenleichnam entstand 1434 an jener Stelle, wo ein Handwerksgeselle nach dem Raub einer Monstranz aus der Altenburger Bartholomäuskirche die Hostien auf dem Weg nach Zwickau ausgeschüttet haben soll 114 . Das Altenburger Stift St. Georg auf dem Schloss, ursprünglich als Residenzstift von Herzog Wilhelm dem Reichen begründet, bemühte sich 1435 mit Unterstützung des Kurfürsten Friedrich II. erfolgreich um die Inkorporation der Kapelle, die im Gebiet der Pfarrei Saara lag und daher eigentlich dem Altenburger Maria-Magdalenen-Kloster unterstand. Die Wallfahrtskapelle erfuhr im Laufe des 15. Jahrhunderts mehrfach die Aufmerksamkeit der Landesherren, die auch mindestens zwei Mal päpstliche Indulgenzen für die Kapelle zu beschafften versuchten 115 . Für die Kapelle wurde der bisher einzige bekannte Druck eines mitteldeutschen Mirakelbuches veranstaltet, der um 1492 in Leipzig in der renommierten Offizin von Wolfgang Stöckel produziert wurde 116 . Der Druck verzeichnet auf zwölf Blättern 52 Mirakel, die sich durch die Anrufung des heiligen warleichnam ereignet haben sollen, sowie die Ursprungslegende der Kapelle und verschiedene päpstliche Privilegien, die der Kapelle und dem Altenburger Stift verliehen wurden. Ein Ablass Papst Sixtus IV. für die Kapelle ist um 1484 auch als Einblattdruck bekannt gemacht worden 117 . Wahrscheinlich verkaufte man 113 Vgl. unten Anm. 121. 114 Neben der landeskundlichen Arbeit von L ÖBE / L ÖBE , Geschichte 1 (wie Anm. 4), S. 476f. vgl. Julius W AGNER , Die dem Kollegiatstift St. Georg auf dem Schlosse zu Altenburg untergeordneten Kirchen und Kapellen, Mittheilungen der Geschichts- und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg 3 (1853) S. 294-346, hier bes. S. 323-333. 115 Karl von W EBER , Instruction des Kurfürsten Friedrich des Sanftmütigen für seine Gesandten an den Papst Pius II. zum Tag von Mantua, Archiv für Sächsische Geschichte 5 (1867) S. 113-129, dort bes. 125f.; W AGNER , Kollegiatstift (wie Anm. 114). 116 Das ist der applas und die genad mit den wundertzeichen der Capellen des heyliegen warleichnams bey Allenburgck, [wahrscheinlich Leipzig bei Wolfgang Stöckel um 1492], Staatsbibliothek Berlin: Signatur: 8" Dv 9120. Zum Druck und seinem Kontext vgl. K ÜHNE , ... das kint (wie Anm. 91). 117 Sixtus IV., Summarium der Ablaßbulle zum Besten der Corpus-Christi-Kapelle bei Altenburg (Leipzig um 1484). Das einzige bekannte Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek München, Signatur: Einbl. VI,14e, vgl. Falk E ISERMANN , Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Wiesbaden 2004) Nr. S-147. Ich bin Falk Eisermann/ Berlin für diesen Hinweis zu Dank verpflichtet. 52 Hartmut Kühne in Heiligenleichnam auch Pilgerzeichen 118 - leider weist die Rechnung hier eine Lücke über die Ausgaben in der Kapelle auf. All diese Daten verweisen darauf, dass die Kapelle von Heiligenleichnam und die Altenburger Stiftskirche am Ende des Mittelalters eine herausgehobene Position im Rahmen der mitteldeutschen Wallfahrtsgeographie besaß 119 . Dennoch hat sich die Historiographie bisher kaum mit dieser Kapelle beschäftigt, was sich jüngst auch in der Arbeit von Markus Anhalt über das Altenburger Kollegiatstift wiederholte 120 . Eine ähnliche Nähe zur Landesherrschaft wie im Fall Altenburg/ Heiligenleichnam wird man der Wallfahrtskirche von Eicha nicht unterstellen dürfen 121 , auch wenn der Pirnische Mönch schreibt, Friedrich der Weise hätte die dortigen Gebäude errichten lassen 122 . Die Wallfahrt setzte um 1454 angeblich wegen eines Mirakels bei einem marianischen Bildstock ein. Die Betreuung der Wallfahrt durch den Antoniterorden - im März 1497 wurde das Kloster Eicha durch Papst Alexander VI. bestätigt 123 - scheint ihr nochmals einen starken Impulse verliehen zu haben. Offenbar übte Eicha nicht nur auf die ernestinischen Fürsten, sondern auch auf Georg den Bärtigen eine gewisse Anziehung aus, denn vor seinem Zug nach Friesland ließ er sich am 5. Januar 1514 dort ausläuten und seine Frau wünschte, mit ihm im Januar 1515 wieder bey der Eiche, da sie von ihm geschieden zusammenzutreffen 124 . Damit bleibt nur noch ein von den beiden fürstlichen Brüdern im Juli 1483 besuchter Ort rätselhaft, nämlich die Identität der Sant Sebastian genannten Kirche oder Kapelle zum Hayn (d. h. Großenhain), wo die fürstlichen Brüder zwei Gulden in den Stock legten, für sechs Groschen 118 Der Verfasser vermutet, dass es sich bei dem Typus des sog. Wilsnacker Monstranzzeichens, das als Abguss auf der Glocke in Droyßig (Burgenlandkreis) und in Sietzsch (Saalkreis) bekannt ist, um ein Altenburger Pilgerzeichen handeln könnte, vgl. K ÜHNE , ... das kint (wie Anm. 91) S. 348 mit Anm. 8. 119 Vgl. dazu auch K ÜHNE , Heiltumsweisungen (wie Anm. 37) S. 51f. 120 Markus A NHALT , Das Kollegiatstift St. Georgen in Altenburg auf dem Schloss 1413- 1537. Ein Beitrag zur Stiftsforschung (Erfurter Theologische Schriften 32, Erfurt 2004), zur Wallfahrtskapelle von Heiligenleichnam dort S. 182. 121 Zur Wallfahrt nach Eicha vgl. Johann Karl S EIDEMANN , Das Kloster Eicha bei Naunhof, Saxonia. Zeitschrift für Geschichts- Alterthums- und Landeskunde des Königreichs Sachsen 1 (1876) S. 156-158; C LEMEN , Zwei ehemalige Wallfahrtsorte (wie Anm. 29); Uwe S CHIRMER , Zur Geschichte von Eicha und Umgebung (13. bis 16. Jahrhundert), in: Kloster Eicha. Wallfahrts-, Antoniter-, Reformations- und Ortsgeschichte, hg. von Lutz H EYDICK / Uwe S CHIRMER (Beucha 1997) S. 25-48; Johannes H ERRMANN , Kloster Eicha in der Reformationszeit, in: Ebd. S. 67-99. 122 Vgl. oben Anm. 31. 123 S CHIRMER , Geschichte (wie Anm. 121) S. 38. 124 S EIDEMANN , Kloster (wie Anm. 121) S. 157; D ERS ., Dr. Jacob Schenk, der vermeintliche Antinomer, Freibergs Reformator (Leipzig 1875) S. 101. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 53 daselbst Zeichen kauften und einen Groschen jenem Bruder gaben, der die Kapelle betreute 125 . Welche Kapelle gemeint ist, geht aber aus einem bisher fast unbeachteten Verzeichnis von 14 Wallfahrtskapellen hervor, das sich im Liber Salhusii findet, einem Verwaltungsregister, das unter dem Meißner Bischof Johann VI. von Saalhausen (1487-1518) hergestellt wurde. In einem Nachtrag, der wohl aus dem Jahr 1504 stammt, werden 14 Kapellen verzeichnet, von denen der Meißner Bischof den dritten Teil aller Einnahmen aus Tafeln, Stöcken oder aus anderem forderte 126 . In dieser Liste erscheint auch die Capella Sanctorum Fabiani et Sebastiani ... prope Skeßgen sub prepositura haynensi. Damit liegt nahe, dass es sich bei dem von den beiden Fürsten besuchten Ort nur um die Kapelle in dem bei Großenhain gelegenen Dorf Skäßchen handeln kann. Diese Kapelle wurde nach mehreren Umbauten im 17. und 18. Jahrhundert 1904 vollständig abgerissen und durch einen Neubau ersetzt 127 . Die Bedeutung der Liste geht aber weit über die nun mögliche Identifikation der Kapelle von Skäßchen hinaus, denn mit ihr besitzen wir eine wahrscheinlich vollständige Liste all jener Wallfahrtskapellen, die um 1500 in der Diözese Meißen neu entstanden waren. Rudolf S TARKE , der diese Notiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlichte, war sich nicht darüber im Klaren, was für Kapellen hier aufgelistet wurden und woher das bischöfliche Recht auf einen Teil der Einnahmen stammte. Aber schon Paul K IRN wies in seiner Arbeit über die Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen nebenbei auf diese Liste hin, und stellte fest, dass es sich nur um Wallfahrtskapellen handeln konnte, ging aber sonst dem Problem nicht weiter nach 128 . Die Frage nach der Beteiligung der Bischöfe an den Opfern neu entstehender Wallfahrtskapellen besaß zu Beginn des 16. Jahrhunderts immerhin soviel Brisanz, dass sie durch Herzog Georg von Sachsen als eigener Punkt in die auf dem Wormser Reichstag verhandelten Be- 125 Unklar blieb die Lokalisierung noch bei B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 9) S. 25 mit Anm. 90. 126 Der Eintrag ist gedruckt bei Rudolf S TARKE , Die Einkünfte der Bischöfe von Meißen im Mittelalter. Kapitel II: Die Einkünfte des Bischofs als kirchlichen Oberhirten, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meißen 8 (1915) S. 247-370, hier S. 348, Anm. 511. 127 Zur Kapelle vgl. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 37. Heft: Amtshauptmannschaft Großenhain (Land), hg. von Cornelius G URLITT (Dresden 1913) S. 378. 128 Paul K IRN : Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517 (Berlin 1926) S. 56 mit Anm. 86. 54 Hartmut Kühne schwerdeartikel gegen die Geistlichkeit gesetzt wurde: Item in etlichen stiftern, wa [wo] ain zulaufen oder heiligen walfart wurdet, da wollen die pischoff und prelaten zum minsten den dritten oder virten pfennig haben alles opfers, das da gefellt; des si durch gaistlich recht nit gegrund sein 129 . In der Diözese Merseburg war es zu Beginn des 16. Jahrhunderts sowohl um die Einnahmen aus der Wallfahrt nach Eicha als auch um die Einnahmen aus der Marienwallfahrt von Rötha zum Konflikt zwischen den Patronatsherren und dem Bischof gekommen 130 . Schärfer und langwieriger wurde zwischen den Grafen von Henneberg und dem Würzburger Bischof um die Einnahmen aus der Grimmenthaler Wallfahrt gerungen 131 . Einige Indizien deuten auch auf Streitigkeiten zwischen Herzog Georg und dem Meißner Bischof um die Einnahmen aus der Marienkapelle am Queckborn in Dresden hin. Der Queckborn war zunächst ein städtischer Brunnen gewesen, zu dem sich um 1512 ein Concursus entwickelte, was zur Gründung einer Brunnenkapelle führte. Diese war als Capella Beate virginis foris opidum dresden apud fontem queckburn appellatum in der Liste des Liber Sahlhusii an letzter Stelle später nachgetragen worden 132 . Von den übrigen zwölf Kapellen sind einige als bekannte Wallfahrtskapellen leicht zu identifizieren. Dies gilt für die Kapelle auf dem Marienberg bei Lübben 133 , die Marienkapelle von Rosental in der Lausitz 134 129 Herzog Georgs von Sachsen Beschwerden wider die Geistlichkeit für die Bearbeitung der Beschwerden auf dem Wormser Reichstag eingereicht, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. 2, hg. von Adolf W REDE (Reichstagsakten, Jüngere Reihe 2, Gotha 1896) S. 662ff., Nr. 94, hier S. 687. 130 Vgl. C LEMEN , Zwei ehemalige Wallfahrtsorte (wie Anm. 29) S. 188 (zu Eicha) und 190 (zu Rötha). 131 Vgl. Johannes M ÖTSCH , Die Wallfahrt zu Grimmenthal. Urkunden, Rechnungen, Mirakelbuch (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Große Reihe 10, Köln 2004) S. 10ff. 132 Zum Konflikt zwischen Herzog Georg und dem Meißner Bischof um den Queckborn vgl. K IRN , Friedrich (wie Anm. 127) S. 56; zu dem Versuch Herzog Georgs, die Kapelle der Dresdner Kreuzkirche zu inkorporieren vgl. Felician G ESS , Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1 (Leipzig/ Berlin 1905) S. 536 mit Anm. 3. Zur Kapelle vgl. auch den kurzen Überblick bei F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt (wie Anm. 29) S. 345. 133 Capella Beate Marie virginis In Monte prope Oppidum Löbbenn per Lusatiam. Über die seit 1497 von dem am Ort gegründeten Wilhelmiterkloster betreute Wallfahrt vgl. Rudolf L EHMANN , Quellen zur Geschichte der Niederlausitz, 1. Teil (Böhlau 1972) S. 117-126. 134 Capella Beate Marie virginis In Rosental per lusatiam In sede Camentz. Zur Kapelle und ihrer Wallfahrt vgl. Rudolf K ILANK , Sorbische Volksfrömmigkeit im Umfeld des Klosters St. Marienstern, in: 750 Jahre Kloster St. Marienstern, hg. von Karlheinz B LASCHKE / Heinrich M AGIRIUS / Siegfried S EIFERT (Halle/ Saale 1998) S. 439-446, dort bes. 440f. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 55 und die Torgauer Heilig-Kreuz-Kapelle 135 In einigen Fällen können durch diese Liste in der Ortsüberlieferung erhaltene Hinweise bestätigt werden. Dies gilt für die Annenkapelle im erzgebirgischen Zwönitz, wo eine um 1608 entdeckte Heilquelle sowohl unter Medizinern als auch bei Patienten für großes Interesse sorgte. Henning Scheunemann, Hofmedicus des Bamberger Bischofs, berichtet in seiner Paracelsischen Wasserweissagung von 1613 über die Entdeckung des Brunnens im Jahr 1608: Eine Bäuerin mit einem Schenkelleiden habe angeregt durch eine Traumvision bei den alten Einwohnern des Ortes nach einer Heilquelle zu fragen begonnen. Daraufhin wurde ihr erzählt, es habe vorzeiten an diesem Ort eine Heilquelle mit einer der hl. Anna geweihten Kapelle gegeben, die aber vor 60 Jahren - also um 1550 - eingegangen sei 136 . Die Zerstörung der ehemaligen Kapelle könnte mit dem Hochwasser des Jahres 1552 zusammenzuhängen 137 . Die Liste des Liber Salhusii bestätigt nun die Existenz der Kapelle und damit die bisher als nicht gesichert geltende Überlieferung Scheunemanns. Von der 1618 abgebrannten Marienkapelle in Gränitz bei Freiberg war ebenfalls ihre einstige Funktion als Wallfahrtskapelle bekannt 138 , wohingegen die Wallfahrt zu einer Marienkapelle bei Cottbus in der Lokalgeschichte nicht erwähnt wird 139 . Aus der Leonhardskapelle in Gepülzig, die durch einen barocken Bau ersetzt wurde, hat sich nur ein silberner Kelch erhalten 140 . Als bauliche Anlage blieb die Marienkapelle an der Pfarrkirche in Zeckerin erhalten, wo sich an der Südseite der Pfarrkirche ein - wie die Baufugen zeigen - jüngerer Anbau 135 Capella Sancte Crucis extra oppidum Torgaw. Zur Kapelle vgl. oben Anm. 99. 136 Vgl. Johannes P ÖSCHMANN , 500 Jahre Guter Brunnen Zwönitz (Zwönitz 1998) bes. S. 16-26. Ich danke dem Bürgermeister von Zwönitz, Herrn Uwe Schneider, für Auskünfte und die Zusendung der zitierten Schrift. 137 Ebd. S. 22. 138 Capella Beate Marie virginis In Grenitz per Misnam prope freibergk in sede freybergk. Zur Kapelle vgl. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 3. Heft: Amtshauptmannschaft Freiberg, hg. von Richard S TECHE (Dresden 1884) S. 96. 139 Capella Beate Marie virginis lex (extra? ) Cotbus. Es scheint sich um die 1539 belegte Capelle unser lieben frawen hinder dem Hayn bei Branitz zu handeln. Vgl. Die Kunstdenkmäler des Stadt- und Landkreises Cottbus, hg. von Kurt R EISSMANN / Eberhard K ÜSTER / Gerhard K RÜGER (Berlin 1938) S. 62. 140 Capella Sancti Leonhardi prope Tzschauwitz sub parrochia Milckaw in archidiaconatu Tschillensi. Zur Kapelle vgl. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 13. Heft: Amtshauptmannschaft Glauchau, hg. von Richard S TECHE (Dresden 1890) S. 9. Der Kelch kam in die Kirche von Großmilkau, vgl. ebd. S. 14. 56 Hartmut Kühne findet 141 . Ähnlich verhält es sich mit der Pfarrkirche von Briesen 142 . Drei Kapellen der Liste in Zibelle, Meinersdorf und Zaschendorf ließen sich bisher nicht identifizieren 143 . Anhang 1. Unterstützung für Jakobuspilger durch den kursächsischen Hof in den Jahren 1514-1520 nach Buchwald 144 1514 2. März, Weimar: v g[roschen] einem Jacobsbruder aus gnaden wil zu Sanct Jacob gehen. B UCHWALD , S. 81. 4. April, Weimar: j ß [Schilling] viiij sch für xxviij elle graw tuch yde ell für ij g ij sch dem Schusselwascher und eym hundes Knecht zu rocken, hosen und Mantel, wollen zu Sant Jocoff gehen“ [erhalten am folgenden Sonnabend noch 10 Groschen]. B UCHWALD , S. 83. 25. April, Weimar: xxi g[roschen] hansen Zcinckenbleser von wegen m[einer] g[nädigen] fraw will zu Sant Jocoff gehen. B UCHWALD S. 84. 27. April, Weimar: j g[roschen] hat mein g[nädiger] junger her zweien Jacoffs brudern geben lassen. B UCHWALD S. 84f. 16. Mai, Weimar: v g hat m[ein] g[nädiger] Junger her zu Sant Jobs Kertzen und zweien Jacoffs brüdern gebn lassen ij g[roschen] zweien Jacoffs Brudern von wegen m[einer] g[nädigen] frawen. B UCHWALD S. 85. 141 Capella Beate Marie virginis In Zeckern prope Sonnenwalde In Lusatia In sede Kirchhayn. Der auffällige Anbau hat meines Wissens bisher keine Untersuchung erfahren. Zur Kirche vgl. Die Kunstdenkmäler des Kreises Luckau, hg. von Wilhelm J UNG / Willy S PATZ (Berlin 1917) S. 569-573. 142 Capella Beate Marie virginis In Breßen In sede Cotbus. Es handelt sich bei der Kapelle ähnlich wie in Zeckerin wohl um den südlichen Anbau der im 15. Jh. errichteten Backsteinkirche. Zur Kirche vgl. Kunstdenkmäler des Stadt- und Landkreises Cottbus (wie Anm. 138) S. 50-54. 143 Capella Beate Marie virginis in Czibellen In Lusatia In sede Soraw (Zibelle, heute Niwica, in der Gemeinde Triebel, heute Trzebiel, ehemals Kreis Rothenburg/ Obere Lausitz); Capella Beate Marie virginis in Meinstorff (Meinersdorf bei Stollberg); Capella Sancti Martini In villa Tzschaschendorff (Es ist unklar, ob es sich um jenes Dorf Zaschendorf handelt, das heute einen Ortsteil von Meißen ist, oder um Zaschendorf bei Pirna im Landkreis Dresden). 144 B UCHWALD , Zur Frömmigkeit (wie Anm. 9). Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 57 7. Juni, Weimar: ij g[roschen] hat m[ein] g[nädiger] Junger her zweien Jacoffs brüdern geben lassen. B UCHWALD S. 85. 12. Juni, Weimar: xxj g[roschen] hat der Schonberg in der vergangen wochen zweien Jacoffsbrudern in torgau uff bevehl m[eines] g[nädigen] h[erren] geben. B UCHWALD S. 85. 16. Juli, Weimar: xxj g{roschen] volgmar moller zu weymar von wegen m[einem] g[nädigen] h[erren] und seiner f[rau] g[nädigen] mähel auß gnaden will zu Sant Jocoff... B UCHWALD S. 85. 16. Juli, Weimar: iij g[roschen] m[ein] g[nädiger] Jungen hen hat sein g[naden] eym Jocoffs Bruder geben. B UCHWALD S. 85. 29. September, Heldburg: ij g[roschen] zweien Jacoffsbrüdern umb gots willen von wegen m[einem] g[nädigen] h[erren]. B UCHWALD S. 86. 1515 1. März, Weida: xxj g[groschen] eynem Jocoffs Bruder von wegen m[einem] g[nädigen] h[erren]. B UCHWALD S. 88. 11. März, Weida: xxj zweien Jocoffs Brudern von weymar. Buchwald S. 88. 28. März, Weida: x g[roschen] vj sch. Hans Stewer von bucha unter dem von plawen will zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 89. 1516 14. Februar, Weimar: xxj g[roschen] Steffen roseler eynem bayder gesellen von wegen yrer f[ürstlichen] g[naden] will zu Sant Jacoff. B UCHWALD S. 93. 9. März, Weimar: xxj g[roschen] Zween Kochen von Dresen [= Dresden] wollen zu sant Jacob gehen. B UCHWALD S. 94. 4. Mai, Weimar: xxj g[roschen] einem Jacobsbruder von wegen m[einem] g[nädigen] h[erren], Seiner g[naden] gemahel und m[einem] g[nädigen] jungen hern [d. h. Herzog Johann Friedrich]. B UCHWALD S. 94. 25. Mai, Weimar: j fl [Gulden] eynem Cleynschmidt zu wittenberg will zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 95. 58 Hartmut Kühne 1517 20. März, Weimar: x fl [Gulden] herman vom hoffe [Hermann von Hoff] zu eyner Zcerung will zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 98. 22. März, Weimar: xxj g[roschen] von wegen m[einem] gnädigen] h[errn] seiner f[...] g[nädigen] gemahel eynem des hirsfelts diener wil zu Sant Jacob. B UCHWALD S. 98. 8. April, Weimar: xxj g[roschen] auf gnaden zu eyner zcerung Nickel dem langen landsknecht wil zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 98. 1518 17. Februar, Zwickau: xxj g[roschen] auß gnaden Jorg Boltzendreers son wil zu sand Jacoff. B UCHWALD S. 100. 1. März, Neustadt: x g[roschen] zweyn Corales von Torgau wollen zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 100. 25. April, Neustadt: xxj g[roschen] auß gnaden eynem reisigen Knecht ist bey er Cunradt Metschen [Konrad Metzsch] gewest wil zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 102. 19. Mai, Neustadt: j fl [Gulden] auß gnaden leonhart dem Kellerknecht will zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 103. 1519 9. März, Weimar: v g[roschen] eynem wil zu Sant Jocoff gehen. B UCHWALD S. 104. 14. März, Gotha: xxj g[roschen] zweyen burgern alhir wollen zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 104. 16. März, Eisenach: xxj g[roschen] Kleberg ist bey dem hoemeister in Preussen gewest, wil zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 104. 26. März, Weimar: xxj g[roschen] Erhart Haefen und seynem gesellen wollen zu Sant Jocoff. B UCHWALD S. 105. 1520 11. März, Weimar: v g[roschen] auß gnaden ein Reysigen Knecht will zu sant Jacoff gehen. B UCHWALD S. 108. Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters 59 25. März, Weimar: xxj g[roschen] auß gnaden einem will zu Sant Jacob gehen. B UCHWALD S. 109. 3. Mai, Nordhausen: iij g[roschen] dreyen Jacoffsbrudern. B UCHWALD S. 109. 2. Wallfahrtskapellen in der Diözese Meißner zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach dem Liber Salhusii Bl. 162v 145 De Capellis infrascriptis Episcopus Canonicam portionem Tertiam videlicet partem tam ex tabulis, truncis quam aliis recipit: De Capella Beate Marie virginis In Monte prope Oppidum Löbbenn per Lusatiam. De Capella Beate Marie virginis In Rosental per lusatiam In sede Camentz. De Capella Beate Marie virginis In Grenitz per Misnam prope freibergk in sede freybergk. De Capella Beate Marie virginis In Zeckern prope Sonnenwalde In Lusatia In sede Kirchhayn. De Capella Beate Marie virginis in Czibellen In Lusatia In sede Soraw. De Capella Beate Marie virginis lex (extra? ) Cotbus. De Capella Beate Marie virginis In Breßen In sede Cotbus. De Capella Sancti Leonhardi prope Tzschauwitz sub parrochia Milckaw in archidiaconatu Tschillensi. De Capella Sanctorum Fabiani et Sebastian! menc (? ) prope Skeßgen sub prepositura haynensi. De Capella Beate Marie virginis in Meinstorff. De Capella Sancte Anne in Czwenitz In sede stolbergk. De Capella Sancte Crucis extra oppidum Torgaw. De Capella Sancti Martini In villa Tzschaschendorff De Capella Beate virginis foris opidum dresden apud fontem queckburn appellatum. 145 Nach der Abschrift von S TARKE , Die Einkünfte (wie Anm. 126). 60 Hartmut Kühne Resumen: Nuestra mirada sobre la geografía tardomedieval de las peregrinaciones del Centro de Alemania está ofuscada por partida doble por la Reforma, que marca este espacio desde hace 500 años: por una parte, fuentes y testimonios materiales de las prácticas de peregrinación de antaño y, con ellos, la memoria colectiva se perdieron a causa de la cesura que significó la transformación cultural que acompañó la Reforma. Por otra parte, la historiografía influenciada por la confesión contribuyó a la formación de leyendas sobre la situación imperante en la Baja Edad Media que siguen ejerciendo influencia sobre investigadores modernos. Estando así las cosas, el autor propone el análisis sistemático de ciertas fuentes de central importancia, para obtener, de este modo, indicios seguros sobre las tendencias de la mobilidad religiosa a fines de la Edad Media. Entre esas fuentes decisivas han de contarse, entre otros, testamentos con legados relacionados con las peregrinaciones, condenas a realizar peregrinaciones de carácter punitivo o expiatorio y notas en libros de cuentas de príncipes o ciudades. Fuera de las fuentes literarias, en el presente aporte se tratan los signos de peregrinación encontrados en el Centro de Alemania en cuanto grupo ejemplar de testimonios materiales. Como ejemplos de fuentes ricas en información, que permiten echarle una mirada instructiva a la geografía tardomedieval de las peregrinaciones, el aporte trata, por una parte, los apuntes en libros de cuentas de una peregrinación “entre los ríos Elba y Saale”, que el príncipe elector de Sajonia Federico el Sabio realizó junto con su hermano Juan en julio de 1489. Por otra parte, es presentado un índice hasta ahora casi desconocido que comprende catorce iglesias y capillas de peregrinación en la diócesis de Meißen y que fue realizado por orden del obispo de Meißen Johann VI von Saalhausen (1487-1518). Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus E NNO B ÜNZ Dem Andenken Lutz Fenskes (1936-2006) gewidmet Wiprecht von Groitzsch gehört zu den faszinierendsten Gestalten der hochmittelalterlichen Geschichte Sachsens 1 . Seine Bedeutung freilich reicht weit über den heute sächsischen Raum hinaus, der überhaupt erst seit der Zeit Wiprechts politisch-herrschaftlich durchgestaltet wurde. Der große Auf- und Umbruch der Ostsiedlung stand um 1100 noch bevor. Wiprecht war der Gründer des Benediktinerklosters Pegau an der Weißen Elster, des ersten Klosters, das östlich der Saale entstanden 1 Über ihn zuletzt Thomas V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch. Bemerkungen zur Figur des sozialen Aufsteigers im hohen Mittelalter, in: Figuren und Strukturen. Historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag, hg. von Manfred H ETTLING / Uwe S CHIRMER / Susanne S CHÖTZ unter Mitarbeit von Christoph V OLKMAR (München 2002) S. 157-169. Einen knappen Abriss bietet Christian L ÜBKE , Wiprecht II. von Groitzsch, in: Lex. MA 9 (München 1998) Sp. 244f. Von den älteren Arbeiten sei verwiesen auf Lutz F ENSKE , Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen. Entstehung und Wirkung des sächsischen Widerstandes gegen das salische Königtum während des Investiturstreits (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 47, Göttingen 1977) S. 255-264, und: Rundkapellen des Wiprecht von Groitzsch. Bauwerk und Geschichte. Herbert K ÜAS , Die Rundkapellen zu Groitzsch und Knautnaundorf und das Grabmal Wiprechts in der Pegauer Klosterkirche. Manfred K OBUCH , Ein unbekannter Feudalsitz Wiprechts von Groitzsch und die Anfänge von Knautnaundorf (Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden 15, Berlin 1977). Von unterschiedlichem Wert sind die Beiträge in: Wiprecht. Beiträge zur Geschichte des Osterlandes im Hochmittelalter (Beucha 1998). Eine umfassende Biographie Wiprechts wäre eine ausgesprochen lohnende Aufgabe. - Dieser Aufsatz ist dem Andenken Lutz Fenskes gewidmet, dessen grundlegende Dissertation (siehe oben) aufgrund der deutschen Teilung nicht die gebührende Beachtung der mitteldeutschen Forschung gefunden hat. Ich erinnere mich gerne an viele anregende Gespräche und Begegnungen mit ihm im Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, wo er bis zu seiner Pensionierung für das Repertorium „Die deutschen Königspfalzen“ zuständig war. 62 Enno Bünz ist 2 . Das Kloster wurde dem hl. Jakobus geweiht. Auf einer Tagung über Jakobusverehrung in Sachsen darf deshalb Wiprecht von Groitzsch nicht fehlen. Die Gründung des Klosters Pegau und dessen Vorgeschichte, die mit der Herrschaftsbildung Wiprechts zwischen Saale und Pleiße verbunden ist, läge im Dunkel der Geschichte, wenn nicht bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts in Pegau Annalen aufgezeichnet worden wären. Fast alles, was wir über Wiprecht von Groitzsch und die hochmittelalterlichen Spuren der Jakobusverehrung in diesem Raum wissen, erfahren wir aus den Annales Pegavienses 3 . Die Annalen sind zusammen mit der Chronik des Ekkehard von Aura und der Chronik des Klosters Goseck an der Saale in einem Kodex überliefert, der nach der Aufhebung des Klosters Pegau (1541) zunächst vor Ort verblieben, 1553 aber an die Universitätsbibliothek Leipzig abgegeben worden ist 4 . In unserem Zusammenhang ist nur der erste Teil der Pegauer Annalen von Interesse, der bis zum Tod Wiprechts von Groitzsch 1124 reicht. Ohnehin ging dem unbekannten Autor „mit dem Ende von Wiprechts II. Leben ... der Stoff aus“ 5 . Das ist mit der Intention des Werkes zu erklären. Der Pegauer Annalist hat in seinem Werk den historiographischen Typ 2 Zur Geschichte des Klosters Walter S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens, 2 Bände (Mitteldeutsche Forschungen 27, Köln 1962), hier 2, S. 184ff.; Hans P ATZE , Die Pegauer Annalen, die Königserhebung Wratislaws von Böhmen und die Anfänge der Stadt Pegau, Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12 (1963) S. 1-62; wiederabgedruckt in: D ERS ., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Peter J OHANEK / Ernst S CHUBERT / Matthias W ERNER (Vorträge und Forschungen 50, Stuttgart 2002) S. 319-374. - Claudia B ORGOLTE , Studien zur Klosterreform in Sachsen im Hochmittelalter (Phil. Diss., Braunschweig 1975, Freiburg 1976) S. 271-283; F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 264−269; Thomas V OGTHERR / Thomas L UDWIG , Die Äbtereihe des Benediktinerklosters Pegau, Neues Archiv für sächsische Geschichte 69 (1998 [erschienen 1999]) S. 1-23; Thomas V OGTHERR , Kloster Pegau und die Bursfelder Kongregation, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 109 (1998) S. 211-228; D ERS ., Wiprecht von Groitzsch und das Jakobspatrozinium des Klosters Pegau. Ein Beitrag zur Kritik der Pegauer Annalen, Neues Archiv für sächsische Geschichte 72 (2001 [erschienen 2002]) S. 35-53. 3 Annales Pegavienses et Bosovienses, ed. Georg Heinrich P ERTZ (MGH SS 16, Hannover 1859) S. 232-270. Eine Neuausgabe wird von Thomas Vogtherr (Osnabrück) vorbereitet, siehe V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 158, Anm. 3. - Deutsche Übersetzung von R. Michel (1899) abgedruckt in: Wiprecht von Groitzsch. Sein Leben nach den Jahrbüchern des Klosters Pegau, hg. von der Projektgruppe 900 Jahre St. Jacobs-Kloster (Rötha 1994) S. 12-50. 4 Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 3) S. 10 mit Anm. 7 und 8. Die Angaben zur Besitzgeschichte der Handschrift bei P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 320 beruhen auf Verwechslung mit einer neuzeitlichen Übersetzung. Der ebd. S. 324, Anm. 27 vermisste Kodex befindet sich nach wie vor in der Universitätsbibliothek Leipzig (Ms. 1325). 5 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 323. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 63 der Stifterchronik „in idealer Weise verwirklicht“ 6 . Die Frühgeschichte des Klosters und die Biographie des Stifters, der in Pegau begraben liegt, sind untrennbar ineinander verwoben 7 . Dabei hat sich für diese Stifterchronik die Bezeichnung Pegauer Annalen durchgesetzt, obschon es sich in ihrem ersten Teil keineswegs um ein Jahr für Jahr berichtendes Geschichtswerk handelt; denn bis 1079 ist überhaupt keine annalistische Struktur erkennbar. Der Historiker steht folglich vor erheblichen Problemen, weil sich vieles, was über das Leben Wiprechts berichtet wird, chronologisch nicht präzise einordnen lässt. Dies berechtigt zu der Annahme, dass als ältester Kern des Werkes „Gesta Wigberti“ anzusehen sind, die bald nach dem Tod Wiprechts 1124 aufgezeichnet worden sein dürften. Erst später - von dem Fortsetzer des Werkes - wurde der Lebensbeschreibung die annalistische Grundstruktur gleichsam übergestülpt und diese über die Mitte des 12. Jahrhundert bis 1227 fortgeführt 8 . Die „Gesta Wigberti“ sind eine ausgesprochen wertvolle Quelle, stellt die historische Kritik gleichwohl nicht nur aufgrund der erwähnten chronologischen Unsicherheiten vor manche Schwierigkeiten, denn fast alles, was wir über Wiprecht erfahren, ist nur in den Pegauer Annalen überliefert 9 . Welchem Zweck das Werk folgte, wird in der Vorrede zum Ausdruck gebracht, nämlich: Herkunft, Leben und Tod Wiperts darzustellen, so wie der Verfasser es von denen in Erfahrung bringen konnte, die davon durch andere gehört oder es selbst beobachtet hatten. Über die Herkunft Wiprechts wissen wir nur durch die Pegauer Annalen, die seine edelfreien Vorfahren vier Generationen zurückführen und in der Gegend um Stendal und Tangermünde verorten. In der dortigen Balsamorum regio soll Wiprecht I., der Vater unseres Wiprecht, väterliches Erbgut besessen haben 10 . In Auseinandersetzung mit Hans 6 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 322; vgl. D ERS ., Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich, in: D ERS ., Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 2) S. 109-249, über Pegau S. 143ff. 7 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 322. 8 Dass sich hieran spätere Hyperkritik der Forschung gestoßen hat, betont P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 343. 9 Zur Beurteilung der Pegauer Annalen neben P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 323f., der ihre Zuverlässigkeit insgesamt wohl überschätzt, jetzt weiterführend V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 158f., und D ERS ., Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 35f. 10 Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 235; P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 325. Zur Abgrenzung des Gaues Belcsem und des später ausgedehnteren Balsamerlandes siehe Wolfgang H ESSLER , Mitteldeutsche Gaue des frühen und hohen Mittelalters (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 49, 2, Leipzig 1957) S. 39-41. 64 Enno Bünz P ATZE , der diese Nachrichten für glaubwürdig hielt, hat Johannes S CHULTE wahrscheinlich gemacht, dass Wiprecht I. tatsächlich nicht im Balsamerland, sondern in dem östlich daran angrenzenden Gebiet jenseits der Elbe im Havelwinkel um Jerichow begütert gewesen sein dürfte 11 . Wiprechts Mutter Sigena war eine Gräfin von Leinungen (Großleinungen bei Mansfeld); nach dem Tod Wiprechts I. heiratete sie den Grafen Friedrich von Burglengenfeld (Oberpfalz) 12 . Alles, was die Pegauer Annalen über die weiteren Vorfahren Wiprechts berichten, gehört in das Reich der Legende und dient lediglich dem Zweck, seine heroische und hochadlige Herkunft zu erweisen 13 . Tatsächlich aber gehörte Wiprecht nicht „in die Schicht der politisch führenden sächsischen Adelsfamilien“, sondern er war ein gesellschaftlicher Aufsteiger, dessen Herkunft sich im Nichts verliert 14 . Unter Wiprecht II. kam es zu einer folgenreichen Verschiebung des Herrschaftsschwerpunktes der Familie. Sigena hatte ihren früh verwaisten Sohn Wiprecht II. dem Markgrafen Udo von Stade anvertraut, der ihm die Schwertleite erteilte. Wie Hans P ATZE bemerkt, scheint Wiprecht schon damals „ein ziemliches Rauhbein gewesen zu sein“ 15 . Der Pegauer Annalist betont, es sei zweifelhaft, ob Wiprecht „durch seine Urteilskraft oder durch seine Taten erfolgreicher gewesen“ ist 16 . Wenn sein Biograph weiter bemerkt, Wiprechts Tapferkeit habe ihm zwar Lob eingebracht, das Lob aber Neid erzeugt 17 , dann wird damit ziemlich unverhüllt angedeutet, dass sich mit ihm jemand seinen Weg bahnte, der keinen Konflikt scheute. Adlige aus der Umgebung Udos von Stade scheinen diesen deshalb überzeugt zu haben, dass es besser wäre, Wiprecht von seinem ererbten Stammbesitz zu entfernen, den der Pegauer Annalist, wie schon erwähnt wurde, wohl irrtümlich im 11 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 325f., dagegen Johannes S CHULTZE , Der Balsamgau und die Pegauer Annalen. Ein Beitrag zu ihrer Kritik, Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 13/ 14 (1965) S. 370-378, bes. S. 375ff. Das Problem wird von F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 256 nicht diskutiert. 12 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 326; F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 256f. 13 V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 166-168. Bereits Kötzschke hat die ansprechende Beobachtung geäußert, die Gestalt Wiprechts sei „umrankt von Zügen der Heldensage und Spielmannspoesie“: Rudolf K ÖTZSCHKE / Hellmut K RETZSCHMAR , Sächsische Geschichte (Frankfurt a. M. 1965) S. 65. 14 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 256. - Ebd. S. 53 wird als Parallele auf den Ludowinger Ludwig den Springer in Thüringen verwiesen. 15 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 326. 16 ... dubium consilio an actibus efficacior ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 236; V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 159. 17 ... quia virtus laudem, laus invidiam pariebat ipsi ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 236; V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 160. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 65 Balsamerland verortet. In den Pegauer Annalen heißt es deshalb, die Adligen hätten den Stader Grafen dazu gebracht, „Wiprecht auf ehrenvolle und friedliche Weise aus dem Balsamerland zu entfernen“ 18 . Dazu bot sich Gelegenheit, weil sich wohl seit 1067 die Mark Zeitz in der Hand des Stader Grafen befand. Folgt man dem Pegauer Annalisten, übertrug Udo von Stade an Wiprecht im Tausch für die regio Balsamorum das municipium Groitzsch bei Zeitz, und für Tangermünde erhielt Wiprecht andere zur Nordmark gehörige Lehen 19 . Die folgenden Ereignisse dürften in das Ende der 1070er Jahre fallen. Die Pegauer Annalen zeichnen das Bild eines Adligen, der seine schmale Herrschaftsbasis zwischen Saale und Pleiße aggressiv erweitert, indem er sich „mit rücksichtloser Gewalt gegen seinesgleichen durchsetzt und hochkämpft und eine Herrschaft aufbaut“ 20 . Als seine Hauptgegner werden Berterich von Teuchern, Friedrich von Keutschen, Fizelin von Profen, dessen Bruder von Elstertrebnitz und Hageno von Tubichin (Dobitzschen oder Taucha? ) genannt 21 . Die genannten Adelssitze sind alle westlich der Elster zu lokalisieren und verdeutlichen, dass Wiprechts neuer Herrschaftsschwerpunkt keineswegs in einem Gebiet lag, das erst noch herrschaftlich durchdrungen werden musste; vielmehr scheint es „schon in recht ausgedehnter Weise im Einflussbereich kleiner adliger Herrschaften gestanden zu haben [...], deren Inhaber ihren Besitzstand wohl nicht durch einen Neuankömmling gefährden lassen wollten und sich daher zur gemeinsamen Abwehr zusammenschlossen“ 22 . Wiprecht zog sich vorübergehend zwar aus dieser Gegend zurück, ließ aber auf seiner Burg Groitzsch zwei Ministerialen zurück. Mit einem dieser Ministerialen geriet später Berterich von Teuchern aneinander und verlor sein Leben 23 . 18 ... ut quoquo pacto, duntaxat honeste et pacifice, Wicpertum a se removeret ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 236; P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 326. 19 ... municipium suum, quod in Orientali plaga situm iuxta Elstram fluvium nomine Groisca, cum omnibus eiusdem adiacentibus quae eius iuris erant in villis et sylvis, pratis et pascuis, eius potestati tradidit, pro commutatione regionis Balsamorum. Pro Tangermunde vero alia beneficia ad Nortmarchiam attinentia ei restituit, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 236; F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 257. 20 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 327. 21 Erant tunc temporis plerique nobiles in hac provincia in suis singuli municipiis constituti, scilicet hi: Bethericus de castello Tuchern, Fridericus de Cutze, Ficelinus de Probin, et eius frater de Trebniz, Hageno de Tubichin, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 236; siehe dazu P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 327 mit einer Karte der Gegend S. 347, und zur Lokalisierung dieser Adligen zuletzt V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 36. 22 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 257f. 23 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 37. 66 Enno Bünz Das Leben Wiprechts von Groitzsch fällt mitten hinein in den säkularen Vorgang des so genannten „Investiturstreits“, der im Reich mit einer Verfassungskrise einherging und im so genannten „Sachsenkrieg“ eskalierte 24 . König Heinrich IV. stand im Herzogtum Sachsen seit Mitte der 1070er Jahre eine breite Fürsten- und Adelsopposition gegenüber 25 . In dem Konflikt zwischen dem sächsischen Adel und dem König schlug sich Wiprecht auf die Seite Heinrichs IV. Der Salierkönig hatte 1075 den Böhmenherzog Wratislaw (1061-1092) mit der Lausitz belehnt und diesem 1076 auch die Mark Meißen übertragen, nachdem der Brunone Markgraf Ekbert II. von Meißen für die Adelsopposition Partei ergriffen hatte. Schon aus Gegnerschaft zu diesem Markgrafen lag es für Wiprecht nahe, sich Ende der 70er Jahre König Heinrich IV. anzuschließen, auf dessen Seite er nachweislich 1080 in der Schlacht bei Flarchheim kämpfte 26 . Zur antisalischen Adelsopposition sind wohl auch jene kleinen Herrschaftsträger zu rechnen, die Wiprecht im Raum Groitzsch nicht hochkommen lassen wollten. Die Parteinahme Wiprechts für König Heinrich IV. und den Böhmenherzog, dem sich Wiprecht mit einem Aufgebot von 100 Kriegern anschloss 27 und dessen Tochter Judith er 1084 heiraten sollte, war deshalb nur folgerichtig. „Diese Linie, auf die sich Wiprecht gedrängt sah, wenn er seine eigenen Ziele erreichen wollte, zieht sich durch den Bericht der Pegauer Annalen hindurch und lässt jede Tat Wiprechts als folgerichtig und ihre Überlieferung als glaubwürdig erscheinen“ 28 . Der Böhmenherzog Wladislaw gehörte zu jenen Reichsfürsten, auf die sich der Salierkönig Heinrich IV. weiterhin verlässlich stützen konnte. Die Königsherhebung Wratislaws war die Folge. Dass dabei Wiprecht von Groitzsch, der Schwiegersohn Wratislaws, jene entscheidend vermittelnde Rolle gespielt haben soll, die ihm die Pegauer Annalen zuschreiben, ist wenig wahrscheinlich, denn „eine besondere Auszeichnung des Böhmen durch den Salier lag angesichts der 24 Anstelle der kaum noch überschaubaren Literatur sei hier verwiesen auf Wilfried H ARTMANN , Der Investiturstreit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 21, München 2 1996). 25 Zusammenfassend nun Ernst S CHUBERT , Geschichte Niedersachsens vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, in: Geschichte Niedersachsens 2, Teil 1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, hg. von D EMS . (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 36, 2, 1, Hannover 1997) S. 1-904, hier S. 263-316. 26 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 258. - Ebd. S. 65, Anm. 260 wird der Parteiwechsel Wiprechts auf 1080 datiert. 27 Zu Wiprechts Kämpfen auf böhmischer Seite F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 77 u. ö. 28 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 327f. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 67 Waffenbrüderschaft ohnehin nahe“ 29 . Gleichwohl zeichnen die Pegauer Annalen die Königserhebung Wratislaws präziser nach, als die anderen zeitgenössischen Quellen. Durch eine scharfsinnige Interpretation der Pegauer Annalen und der böhmischen Chronik des Cosmas von Prag hat Hans P ATZE herausgearbeitet, dass Heinrich IV. zunächst nur der Königserhebung des Böhmenherzogs Wratislaw in Form einer Salbung zugestimmt hat. Dafür hat der Böhme den folgenden Italienzug des Königs 1081 mit einem Truppenkontingent und einer erheblichen Geldzahlung unterstützt. Erst nach der Kaiserkrönung 1084 und der Rückkehr aus Italien hat Heinrich IV. die Königserhebung Wratislaws durch Salbung und Krönung in Prag zum Abschluss gebracht. Bei der Erhebung des ersten Königs von Böhmen haben wir es also „mit einem stufenweisen Akt zu tun [...], der durch die politische und rechtliche Situation bedingt war“ 30 . An dem Italienzug König Heinrichs IV. hat Wiprecht von Groitzsch teilgenommen. Folgt man den Pegauer Annalen, so war die Eroberung Roms 1083 vor allem sein Werk. Durch Heldenmut hat er sich bei der Eroberung der Peterskirche und der Engelsburg hervorgetan. Aber dabei wurde viel Blut vergossen und die Peterskirche musste anschließend wieder geweiht werden 31 . Wiprechts enge Beziehungen zum böhmischen Fürstenhof hatten 1084 zur Vermählung mit Judith, der Tochter Wratislaws II., geführt. Als Mitgift erhielt sie den Nisangau, womit der Elbtalkessel zwischen Meißen und Pirna bezeichnet ist, und das weiter östlich gelegene Land Bautzen 32 . Seine Teilnahme am Italienzug hatte Wiprecht wohl 1085 zudem die Verleihung der Reichsburgen Leisnig an der Mulde und Dornburg an der Saale aus der Hand des Kaisers eingebracht 33 . Nun 29 V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 160. Zur Beraterfunktion Wiprechts am böhmischen Hof siehe F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 258. 30 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 327-341, Zitat S. 341. 31 V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 161. 32 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 37. Zum Nisangau siehe nun André T HIEME / Manfred K OBUCH , Die Landschaft Nisan vom 10. bis 12. Jahrhundert - Siedlung, Herrschaft, Kirche, in: Geschichte der Stadt Dresden 1: Von den Anfängen bis zum Dreißigjährigen Krieg, hg. von Karlheinz B LASCHKE (Stuttgart 2005) S. 63- 87 und S. 645-649. 33 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 344; F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 259. Nach Michael G OCKEL , Die deutschen Königspfalzen 2: Thüringen (Göttingen 2000) S. 99 ist die Belehnung wohl auf dem Hoftag zu Allstedt 1085 erfolgt. Die Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 240 berichten sogar, Wiprecht sei im Frühjahr 1084 im Feldlager vor Rom reich beschenkt worden, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Dass ihm der Kölner Erzbischof damals den Orlagau (pagum omnem) verliehen haben soll, ist aber wenig wahrscheinlich, siehe G OCKEL , Die deutschen Königspfalzen 2 (wie in dieser Anm.) S. 501. 68 Enno Bünz konzentrierte sich Wiprecht wieder auf den Ausbau seiner Herrschaft um Groitzsch. Es dürfte kein Zufall sein, dass er auf Zeitz zielte, denn Bischof Günther von Naumburg-Zeitz (1079-1090) war ein Anhänger der sächsischen Adelspartei 34 . Nun endlich kommt der hl. Jakobus ins Spiel: Im Zuge einer Fehde überfiel Wiprecht das bischöfliche Zeitz, „wo sich seine schärfsten Gegner, Ekelin (Ezelin) und Hageno, aufhielten“ 35 . Die Pegauer Annalen berichten, wie Wiprecht zunächst „Ezelin und 17 (Mitstreiter) tötet“; dann „zwingt er Hageno und andere, in die Kirche des hl. Jakobus zu flüchten und lässt - da er nicht wusste, wie er sie anders stellen konnte, Gott sei’s geklagt - Feuer hineinwerfen und die Kirche niederbrennen. Als die Eingeschlossenen so gezwungen wurden, aus der Kirche zu entweichen, ließ (Wiprecht) sie blenden, obwohl sie sich in das Kirchenasyl geflüchtet hatten“ 36 . Überdeutlich treten hier - wie schon bei der Stürmung der Leostadt in Rom - die gewalttätigen Züge Wiprechts hervor, der selbst vor Rechtsbrüchen nicht zurückschreckte und seine Gegner bedenkenlos ausschaltete. Die Zeitzer Jakobskirche ist als die spätere Nikolaikirche anzusprechen und lag im Westen der ältesten Händler- und Handwerkersiedlung vor dem Tor zur Stiftsimmunität 37 . Die Datierung des geschilderten Vorgangs geht aus den Pegauer Annalen nicht klar hervor. Im Anschluss an diese Gewalttat wird dort von einem Ereignis des Jahres 1079 berichtet, doch hat Thomas V OGTHERR vor wenigen Jahren diese frühe Datierung des Vorgangs mit Recht in Frage gestellt. Man muss davon ausgehen, dass Wiprecht nach dem böhmischen Intermezzo und dem Italienzug 1081 bis 1083 überhaupt erst 1084 wieder in das Elstergebiet zurückgekehrt ist 38 . 34 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 344; Heinz W IESSNER , Das Bistum Naumburg 1, 1-2: Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 1-2 = Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. Das Bistum Naumburg 1, 1-2, Berlin 1997-1998) hier 2, S. 748-751. 35 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 344. 36 ... Ezelinum cum 17 peremit, Hagenonem cum ceteris in basilicam beati Iacobi fugere compulsos, cum nullo modo egrederentur minis optineri potuisset, proh dolor, igne crudeliter iniecto, basilica concrematur; sicque exire compulsi, oculorum tantum lumine privantur, eo quod ad ecclesiae asilum confugissent, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 241; P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 344. 37 W IESSNER , Das Bistum Naumburg 1, 1 (wie Anm. 34) S. 212 und S. 704; Hans G ÜNTHER , Zur Standortfrage der Zeitzer Jakobskirche, Zeitzer Heimat 4 (1958) S. 122-126. - Für den Übergang vom Jakobuszum Nikolauspatrozinium hat m. E. bereits S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens 2 (wie Anm. 2) S. 404 eine plausible Erklärung vorgeschlagen. 38 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 37. F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 259 datiert diese Ereignisse nur allgemein „nach seiner Rückkehr aus Italien“. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 69 „Angesichts der geschilderten Zusammenhänge und der jahrelangen Abwesenheit Wiprechts aus dem Elstergebiet wird man die Zerstörung der Zeitzer Kirche nur zwischen 1084 und 1090 setzen können“ 39 . Wir haben damit eine entscheidende, „durch die Komposition des Werkes hervorgehobene Stelle der Pegauer Annalen“ erreicht, wie Thomas V OGTHERR herausgearbeitet hat. Ziel des Verfassers der „Gesta Wigberti“ war es nämlich, „Wiprechts Wandlung vom Haudegen der frühen Jahre zum geläuterten Sünder und großherzigen Klosterstifter zu erklären“ 40 ; erst jetzt beginnt Wiprecht, seine zahlreichen Gewalttaten zu überdenken - „reichlich spät“ 41 , wie sein Biograph betont. Vor allem bedrückt ihn, so heißt es in den Pegauer Annalen, wie viele Untaten „er in Rom an den Schwellen der heiligen Apostel und bei der Niederbrennung der Basilika des heiligen Jakob in Zeitz begangen hat“ 42 . Es ist „diese ausführlich dargestellte innere Einkehr und Umkehr, die Wiprecht überhaupt erst dazu qualifiziert, Gegenstand einer Lebensbeschreibung zu werden“ 43 . Wie unser Gewährsmann überliefert, soll Wiprecht bei Erzbischof Hartwig von Magdeburg (1079-1102) und Bischof Werner von Merseburg (1063-1093) geistlichen Rat gesucht haben 44 . Diese Bischöfe konnten und wollten ihm aber nicht die Absolution erteilen, sondern rieten ihm, wie es in den Pegauer Annalen heißt, „an die Apostelgräber nach Rom zu reisen und zu Füßen des Papstes seine Sünden zu gestehen“ 45 . Dabei ist auch zu bedenken, dass Wiprecht „als Anhänger Heinrichs IV. mit Kirchenstrafen belegt und sicher auch exkommuniziert worden war“ 46 . So berichten die Pegauer Annalen, wie sich Wiprecht Papst Urban II. (1088-1099) zu Füßen geworfen und seine Sünden gestanden habe. Aber auch der Papst hat Wiprecht nicht die Absolution 39 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 38. 40 V OGTHERR , Wiprecht von Groitzsch (wie Anm. 1) S. 162f. 41 ... et licet sero tandem ad se conversus ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 242. 42 ... quantum Romae apud limina beatorum apostolorum, et in exustione basilicae beati Iacobi in Ziza commiserit ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 242; V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 39. 43 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 39. 44 Zu beiden F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 198ff. und S. 289f. 45 ... ad limina beatorum apostolorum Romam et ad pedes domni apostolici ipsum venire blande persuaserunt ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 242f.; V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 40. Zu den folgenden Ereignissen auch F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 264f., doch ohne kritische Diskussion der Glaubwürdigkeit des Berichts. 46 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 266. Man wird es wohl schon als Distanzierung von Heinrich IV. werten müssen, dass Wiprecht sich nicht bei dem kaiserlichen Gegenpapst Clemens III. (1080-1104) um Absolution bemühte. 70 Enno Bünz erteilt. Vielmehr soll er den Adligen nach einiger Überlegung weiter ad patriarcham Hyspaniensium, zum Patriarchen der Spanier, geschickt haben 47 . Kirchenrechtlich ist es nicht nur möglich, sondern zu dieser Zeit auch schon sehr wahrscheinlich, dass Wiprecht eine Bußwallfahrt nach Rom unternommen hat 48 . Es ist in diesem Zusammenhang auch durchaus denkbar, wie V OGTHERR betont, dass der Papst Wiprecht als besondere Bußleistung eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela auferlegte. Dass der Papst ihn allerdings dem erwähnten Patriarchen von Santiago anempfohlen haben soll, kann schon deshalb ausgeschlossen werden, weil Santiago erst im Dezember 1095 zum Bischofssitz erhoben worden ist 49 . Hier hat der Pegauer Annalist also spätere Zustände auf Vorgänge Ende des 11. Jahrhunderts zurückprojiziert, wie zuletzt V OGTHERR betont hat: „Entscheidend ist, dass eine nach 1156 verfasste Quelle wie die Pegauer Annalen im Blick auf Ereignisse des ausgehenden 11. Jahrhunderts schlüssig und durchaus zeitgemäß eine Argumentation des Papstes und des spanischen Patriarchen wiedergibt, mit der Wiprecht als reuiger Sünder wieder rekonziliiert wird. An der Repräsentativität des Vorgangs ist nicht zu zweifeln; seine Historizität ist letztlich jedoch nicht in allen Schritten zu erweisen“ 50 . Dies gilt vor allem für den Bericht über die Begegnung Wiprechts mit dem Patriarchen von Santiago. Mit den Worten Eccl. 3,33 soll der Patriarch den reumütigen Adligen aufgerufen haben, mit seinen Almosen die Sünden zu löschen, wie Wasser das Feuer löscht. „Deswegen solle er aus eigenen Mitteln für Gott eine Kirche zur Verehrung des heiligen Jakobus errichten, dessen Basilika er niedergebrannt habe, und solle für Gott dort so viele Diener versammeln, wie er das für richtig halte, und sie der Disziplin einer Regel unterstellen“ 51 . Wiprecht soll daraufhin den Patriarchen gefragt haben, ob dafür eine Zelle mit sechs Brüdern ausreichend sei. Der Patriarch von Santiago habe darauf unter Verweis auf 2 Kor. 9,6 geantwortet, „wer kärglich säe, der werde auch kärglich ernten“ 52 und gab zu bedenken, dass es einer so kleinen Schar von Mönchen nicht möglich sei, ein klösterliches Leben zu führen 53 , weshalb er Wip- 47 Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. 48 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 40f. 49 Ebd. S. 44f. mit weiteren Nachweisen. 50 Ebd. S. 46. 51 ... templum Deo ad venerationem beati Iacobi, cuius exussisti basilicam, ex tuis sumptibus construe, et illuc Deo servitores quantos te posse arbitraris aggrega ..., disciplinae regularis ordinem conservantes ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. 52 Qui parce, ait, seminant, parce et metent, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. 53 ... quia tenor regularis disciplinae inter tam paucos non omnimodis poterit observari ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 71 recht auferlegte, ein Kloster für zwölf Mönche zu gründen 54 ; denn - so soll der Patriarch hinzugefügt haben - „größere Krankheiten erfordern größere Heilmittel, aus größerer Mühe werde größerer Erfolg“ 55 . Wiprecht hat die Absolution des Patriarchen erlangt, der ihm zum Abschied den Daumen des Apostels Jakobus - poblitem beati Iacobi - als Reliquie für die zu gründende Kirche geschenkt hat 56 . Der ausführliche Bericht der Pegauer Annalen über das Zusammentreffen Wiprechts mit dem Patriarchen von Santiago erweckt Zweifel an der Historizität der Bußwallfahrt nach Santiago de Compostela. In diesem Zusammenhang ist bislang noch nicht gefragt worden, ob es überhaupt denkbar ist, dass dem bußfertigen, doch vor Ort gänzlich unbekannten sächsischen Adligen in Santiago de Compostela eine so kostbare Reliquie wie der Daumen des Apostels Jakobus ausgehändigt werden konnte. Ich halte das für wenig wahrscheinlich. Angesichts der großen Verehrung, die der Heilige seit dem 11. Jahrhundert in der gesamten lateinischen Christenheit genoss, scheint man in Santiago grundsätzlich davon Abstand genommen zu haben, Jakobusreliquien wegzugeben. Der „Liber sancti Jacobi“, ein um 1140 verfasster Führer für Santiagopilger, beschreibt den Ruheplatz des hl. Jakobus unter dem Hochaltar der Basilika und betont: „Den Leichnam soll man nicht von der Stelle bewegen können [...]. Mögen daher die Neider jenseits der Berge vor Scham erröten, die da behaupten, sie besäßen Reliquien oder Teile des Leichnams. Denn der heilige Leichnam des Apostels ist dort [in Santiago] vollständig vorhanden“ 57 . Zweifellos sind auch an Orten außerhalb Santiagos im Mittelalter Jakobusreliquien verehrt worden; aber es wäre vor diesem Hintergrund interessant zu erfahren, ob sichere Nachrichten über die Schenkung von Jakobusreliquien aus Santiago überliefert sind 58 . 54 ... si ullo modo possis, ad hos totidem alios adde ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. 55 Maiori siquidem egent medicina maiores morbi, graviores quoque labores maiora sequuntur premia, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243. 56 Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 243; V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 46. 57 Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela. Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Klaus H ERBERS (Tübingen 6 1998) S. 173. 58 Die Herkunft von Jakobusreliquien, die nachweislich im 16. Jahrhundert im Würzburger Schottenkloster St. Jakob verwahrt wurden, lässt sich beispielsweise nicht sicher zurückverfolgen; erst eine recht späte Tradition hat sie mit Bischof Embricho von Würzburg in Verbindung gebracht, der 1138 in Santiago de Compostela gewesen sein soll, siehe Klaus H ERBERS / Robert P LÖTZ , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“ (München 1996) S. 29. Robert P LÖTZ , „1 Roer 72 Enno Bünz Zwingend notwendig ist die Herkunft der mutmaßlichen Jakobusreliquie in Pegau aus Santiago jedenfalls nicht. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Erzbischof Adalbero von Hamburg-Bremen 1046/ 47 Reliquien aus Italien nach Bremen mitgebracht hat, darunter eine Hand des hl. Jakobus (manus sancti Iacobi apostoli). Aus seinem Nachlass ist diese Reliquie 1072 in den Besitz Kaiser Heinrichs IV. gelangt 59 . Die Jakobushand bildete „eines der größten Heiligtümer des Reichs“, wurde gleichwohl von Mathilde, der Witwe König Heinrichs V., 1126 nach England verbracht und der Abtei Reading übergeben; die Königin hatte übrigens im Vorjahr Santiago besucht 60 . Angesichts der engen Beziehungen Wiprechts zu Heinrich IV. und Heinrich V. ist ihm die Existenz dieser Reliquien gewiss bekannt gewesen. Wenn die Salier eine Hand des Heiligen besaßen, dann mochte es aus der Sicht des Aufsteigers Wiprecht ein nicht unerheblicher Prestigegewinn sein, zumindest einen Daumen des hl. Jakobus zu besitzen. Das allerdings muss bloße Vermutung bleiben, weil sich der Verfasser der Pegauer Annalen nicht näher über die Bedeutung dieser Reliquie und ihr weiteres Schicksal ausgelassen hat 61 . In jedem Fall ist das Vorhandensein einer Jakobusreliquie in Pegau, von dem man in einem dem hl. Jakobus geweihten Kloster ohnehin de corpore S. Jacobi Apostoli“, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 40 (1978) S. 95-102, hat die abenteuerliche Geschichte dieser Reliquie detailliert nachgezeichnet. 59 Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum, hg. von Bernhard S CHMEIDLER (MGH SS rer. Germ. 2, Hannover/ Leipzig 1917) S. 214, cap. III,67. 60 H ERBERS / P LÖTZ , Nach Santiago zogen sie (wie Anm. 58) S. 28. Friedrich Barbarossa bemühte sich 1157 vergebens, diese Reliquie zurückzuerhalten. Vgl. Hans Eberhard M AYER , Staufische Weltherrschaft? Zum Brief Heinrichs II. von England an Friedrich Barbarossa von 1157, in: Festschrift für Karl Pivec (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 12, Innsbruck 1966) S. 265-278, wiederabgedruckt in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther W OLF (Wege der Forschung 390, Darmstadt 1975) S. 184-207, und Karl J. L EYSER , Frederick Barbarossa, Henry II and the Hand of St. James, English Historical Review 90 (1975) S. 481-506, wiederabgedruckt in: D ERS ., Medieval Germany and Its Neighbours 900-1250 (London 1982) S. 215-240, zum Weg der Reliquie nach England bes. S. 225 mit allen Nachweisen. 61 Womöglich bedeutet das Schweigen der Pegauer Quellen aber nur, dass sich die Reliquie im ungestörten Besitz des Klosters befunden hat. Im Pegauer Kalendar und Nekrolog (Universitätsbibliothek Leipzig, Ms. 848) findet sich übrigens kein Hinweis auf Reliquien des hl. Jakobus. Dass sich der Pegauer Annalist über den Verbleib von Krone und Mantel äußert, die Judith 1096 dem hl. Jakobus in Pegau dargebracht hat, hängt ja nur damit zusammen, dass diese Stücke später verkauft worden sind, siehe unten bei Anm. 116. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 73 ausgehen muss (sicher nachweisbar ist sie nicht) 62 , für sich betrachtet noch kein Beweis dafür, dass Wiprecht von Groitzsch tatsächlich eine Bußwallfahrt nach Santiago unternommen hat. Doch mag es durchaus angehen, dass man im Kloster tatsächlich über eine Jakobusreliquie verfügte und ihr mutmaßlicher Weg von Santiago nach Pegau mit dem Wissen um Wiprechts Schändung der Zeitzer Jakobskirche verknüpft wurde, so dass auf dieser Grundlage von dem Verfasser der „Gesta Wigberti“ die Legende von der Santiago-Bußfahrt Wiprechts konstruiert wurde. Ist Wiprecht von Groitzsch in Santiago de Compostela gewesen? Um eine solche Bußwallfahrt plausibel zu machen, müssen wir vielmehr danach fragen, wie es um die Jakobusverehrung im deutschsprachigen Raum während des Hochmittelalters stand. Ist es überhaupt vorstellbar, dass ein sächsischer Adliger Ende des 11. Jahrhunderts nach Santiago gepilgert ist? Die Kunde von der Verehrung des hl. Apostels Jakobus in Compostela überschritt wohl seit der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts die Grenzen Spaniens. Spätestens im Laufe des 11. Jahrhunderts hat sich der Jakobuskult im deutschsprachigen Raum intensiv verbreitet und Pilger nach Santiago gelockt 63 . Zu den ersten Wallfahrern deutscher Zunge dürfte der Blinde Folbert gehört haben, der auf dem Weg nach Spanien 1072 in Trier eine Vision erlebte. Etwa gleichzeitig könnte der schwäbische Graf Eberhard V. von Nellenburg mit seiner Frau zum hl. Jakobus gewallt sein. Auch die Pilgerfahrt der Gräfin Richardis von Sponheim (Mittelrhein) ist in diesem Zeitraum einzuordnen. 1075 hat Bischof Hermann von Bamberg gegenüber Papst Gregor VII. eine Wallfahrt nach Santiago gelobt 64 . Abt Ruthard von Fulda ist wahrscheinlich 1076/ 77 nach Santiago gereist und hat eine Gebetsverbrüderung seines Konvents mit dem Kapitel von Santiago abgeschlossen. In den 80er oder zu Beginn der 90er Jahre ist die thüringische Adlige Paulina, die Gründerin des Benediktinerklosters Paulinzella, mit ihrem Mann und ihren Eltern zunächst nach Rom gepilgert und hat dann allein mit ihrem Gatten die Pilgerfahrt nach Santiago 62 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 46. 63 Die folgenden Angaben nach: H ERBERS / P LÖTZ , Nach Santiago zogen sie (wie Anm. 58) S. 27-30; Robert P LÖTZ , Deutsche Pilger nach Santiago de Compostela bis zur Neuzeit, in: Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, hg. von Klaus H ERBERS (Jakobus-Studien 1, Tübingen 1988) S. 1-27, hier S. 12-21; D ERS ., Der Apostel Jacobus in der europäischen Patrozinienlandschaft unter besonderer Berücksichtigung Frankens, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa. Austausch - Einflüsse - Wirkungen, hg. von Klaus H ERBERS und Dieter R. B AUER (Jakobus- Studien 12, Tübingen 2003) S. 175-229, bes. S. 183-186. 64 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 50. 74 Enno Bünz fortgesetzt 65 . Im Laufe des 12. Jahrhunderts werden die Nachrichten über hochrangige Santiagopilger aus Deutschland zahlreicher. Bischof Embricho von Würzburg soll sich, wie erwähnt, 1138 auf den Weg nach Compostela begeben haben 66 . Ein Mirakelbericht dieser Zeit aus Münster nennt einen Bettler, der in Todesgefahr dem hl. Jakobus eine Wallfahrt gelobte. In Würzburg traf 1189 der einflussreiche Schultheiß Heinrich von Würzburg-de Foro Vorkehrungen für eine Pilgerreise an den Finis terre 67 . Vor einigen Jahren habe ich in einer Studie über „Santiagopilger zwischen Nord- und Ostsee im 12. Jahrhundert“ auf den holsteinischen Bauern Winido aus Emkendorf aufmerksam gemacht, der in den 1180er Jahren eine Bußwallfahrt nach Santiago unternommen hat 68 . Eine systematische Durchsicht der Quellen des deutschsprachigen Raumes wird sicherlich noch manchen weiteren, bislang unbekannten Santiagopilger des hohen Mittelalters zu Tage fördern. Um 1200 kamen Pilger ex diversis regionibus in solcher Zahl zum Jakobusgrab, dass es in der Kirche zu Streitigkeiten mit Blutvergießen und sogar zu Totschlägen kam, wodurch jedes Mal gemäß den kirchenrechtlichen Normen die Neuweihe der Kirche erforderlich wurde; Papst Innozenz III. gestattete deshalb 1207 dem Erzbischof von Compostela ein vereinfachtes Weiheverfahren 69 . Schließlich sei noch auf die Legenda aurea hingewiesen, die zum Jahr 1020 - als chronologisch frühestes, allerdings erst wesentlich später aufgezeichnetes Zeugnis - die wundersame Errettung eines Deutschen berichtet, der auf dem Weg nach Santiago aufgehängt 65 Sed ne laborem peregrinationis huius citius terminasse videretur, dimisso patre et matre eorumque comitatu, cum marito versus Hispaniam ad sanctum Iacobum iter cum paucis arripuit et gratiam, quam Romae, etiam hic apostolica interventione quesivit, Sigebotonis Vita Paulinae, ed. Julius Reinhard D IETERICH (MGH SS 30/ 2, Leipzig 1934) S. 909-938, hier S. 914, cap. 8. Vgl. dazu F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 274, der bereits auf die Parallele zu Wiprecht von Groitzsch verweist, zur Beurteilung der Vita auch eingehend Camilla B ADSTÜBNER -K IZIK , Die Gründungs- und Frühgeschichte des Klosters Paulinzella und die Lebensbeschreibung der Stifterin Paulina: Sigebotos Vita Paulinae als Denkmal hirsauischer Reformliteratur des 12. Jahrhunderts. Eine reform-, literatur- und sozialgeschichtliche Untersuchung (Uni press 41, Münster/ Hamburg/ Berlin/ Wien/ London/ Zürich 1993). - Soweit ich sehe, ist diese Nachricht von der Jakobusforschung bislang nicht registriert worden. 66 Siehe Anm. 58. 67 Vgl. zu dieser bedeutenden Würzburger Ministerialenfamilie Winfried S CHICH , Würzburg im Mittelalter. Studien zum Verhältnis von Topographie und Bevölkerungsstruktur (Städteforschung A 3, Köln 1977) S. 125-130. 68 Enno B ÜNZ , Santiagopilger und Jakobusverehrung zwischen Nord- und Ostsee im 12. Jahrhundert, Hansische Geschichtsblätter 118 (2000) S. 35-56, hier S. 39-44. 69 Luis V ÁZQUEZ DE P ARGA / José Maria L ACARRA / Juan U RÍA R ÍU , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, 3 Bände (Madrid 1948-1949, Nachdruck Pamplona 1993) hier 1, S. 71. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 75 wurde 70 . Vor dem Hintergrund so vielfältiger Nachrichten, die sich seit dem 11. Jahrhundert über den gesamten deutschsprachigen Raum verteilen, ist es durchaus plausibel, dass auch Wiprecht von Groitzsch den Weg nach Santiago de Compostela eingeschlagen hat. Sein Vergehen, in Zeitz eine Kirche niedergebrannt zu haben, die diesem Heiligen geweiht war, dürfte für die Wahl dieses Pilgerziels das ausschlaggebende Motiv gewesen sein, ebenso wie seine Gewalttaten bei der Eroberung Roms 1083 als plausibles Motiv angesehen werden können, eine Bußwallfahrt nach Rom zu unternehmen. Zwar ist auch die Vita Paulinae erst einige Jahrzehnte nach dem Tod des Klostergründerin (1107) aufgezeichnet worden, doch liegt damit neben den Pegauer Annalen ein weiteres, davon unabhängiges Zeugnis vor, welches belegt, dass Santiago de Compostela als Pilgerziel schon Ende des 11. Jahrhunderts auch von Adligen aus Mitteldeutschland aufgesucht worden ist. Dabei ist es besonders bemerkenswert, dass Paulina - wie Wiprecht - zunächst Rom und dann Santiago besucht haben soll. Leider sind die Angaben der Vita Paulinae und der Pegauer Annalen chronologisch so vage, dass sich nicht sicher entscheiden lässt, welche dieser beiden Pilgerreisen zuerst erfolgt ist. In diesem Zusammenhang dürfte es aber nicht ohne Bedeutung sein, dass Paulinas Onkel eben jener Bischof Werner von Merseburg war, bei dem sich Wiprecht vergeblich um Absolution bemüht hatte, um dann die Pilgerreise nach Rom und Santiago anzutreten 71 . Der Pegauer Bericht über die Motive für die Gründung eines dem hl. Jakobus geweihten Klosters ließe sich in Frage stellen, wenn es gelänge, einen anderen Anknüpfungspunkt für die Übertragung des Patroziniums nach Pegau nachzuweisen. Thomas V OGTHERR hat aufgrund der bisherigen patroziniengeschichtlichen Forschung die Belege für Jakobuspatrozinien im sächsisch-thüringischen Raum durchmustert. Kirchen in Wurzen, Leipzig, Schkölen und Dornburg mit mutmaßlich hochmittelalterlichen Jakobspatrozinien sind hier zu nennen 72 . Auffällig ist ihr Zusammenhang mit Fernverkehrswegen, doch lässt sich keines der Patrozinien sicher in das 11./ 12. Jahrhundert zurückführen. In diesem Zusammenhang hält es V OGTHERR sogar für nicht ausgeschlossen, dass auch in Pegau - an einer wichtigen Ost-Westverbindung gelegen - schon 70 Die Legenda Aurea [von Jacobus de Voragine]. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard B ENZ . Mit einem Nachwort von Walter B ERSCHIN (Gütersloh 14 2004) S. 379. Diese Geschichte wird im Liber S. Jacobi, der Vorlage, jedoch auf 1080 datiert. 71 Zur Verwandtschaft Paulinas F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 280ff. 72 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 48; ergänzend nun Gerhard G RAF , Das Jakobspatrozinium in Sachsen. Eine Problemanzeige, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa (wie Anm. 63) S. 353-358, allerdings ohne Einzelnachweise. 76 Enno Bünz vor der Gründung des Klosters eine Jakobuskirche bestanden hat 73 . Das aber ist angesichts der recht detaillierten Angaben der Pegauer Annalen über die Wahl des Bauplatzes des künftigen Klosters wenig wahrscheinlich. Das Patrozinium des Benediktinerklosters wird man gewiss nicht durch die Übernahme eines bereits vorhandenen Jakobuspatroziniums erklären können. Unklar bleibt, warum V OGTHERR in diesem Zusammenhang nicht den einzigen Jakobusbeleg aus diesem Raum diskutiert, der sicher in die Zeit vor der Gründung des Klosters Pegau zurückreicht, nämlich die Jakobuskirche in Zeitz, die Wiprecht zwischen 1084 und 1090 niedergebrannt hatte. Spätere Belege für eine Jakobuskirche in Zeitz sind allerdings nicht vorhanden, weshalb Heinz W IESSNER vermutet hat, dass das von Wiprecht zerstörte Gotteshaus als Nikolaikirche wiedererrichtet worden ist 74 . Für einen frühen Patrozinienwechsel spricht, dass eine Jakobuskirche in Zeitz urkundlich gar nicht genannt wird, eine capella sancti Nicolai hingegen schon 1147 zweimal vorkommt 75 . Wie aus späteren Belegen hervorgeht, war diese Jakobibzw. nun Nikolaikirche die Pfarrei der vor der Bischofsburg entstandenen Handwerker- und Händlersiedlung; Patronatsherr war der Bischof von Naumburg 76 . Wie könnte das Jakobuspatrozinium nach Zeitz gekommen sein? Eine sichere Antwort ist nicht möglich, weil die Gründer dieser Kirche unbekannt sind. Gleichwohl scheint es Anhaltspunkte dafür zu geben, wie der Kult des hl. Jakobus nach Zeitz gelangt sein könnte. Auf Kontakte zwischen Deutschland und Santiago seit dem 11. Jahrhundert wurde schon hingewiesen 77 . Daneben gibt es immerhin Mitte des 12. Jahrhunderts Kultspuren im Bistum Naumburg-Zeitz, die nach Santiago verweisen; denn im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Jakobusverehrung wurde bislang der Kult des hl. Ägidius zu wenig beachtet. Die Verehrung des hl. Ägidius lässt sich in Naumburg bis um 1200, in Zeitz sogar bis um 1150 zurückverfolgen. Manches spricht dafür, dass auch im mitteldeutschen Raum die Verehrung dieses Heiligen durch Santiagopilger und Fernhändler gefördert worden ist. Der „Liber sancti Jacobi“, ein um 1140 verfasster Führer für Santiagopilger, machte den Wallfahrern 73 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 48. 74 W IESSNER , Das Bistum Naumburg 1, 2 (wie Anm. 34) S. 182. Siehe Anm. 37. 75 Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg 1 (967-1207), bearb. von Felix R OSENFELD (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freisstaates Anhalt, Neue Reihe 1, Magdeburg 1925) S. 160, Nr. 179 und S. 169, Nr. 188. 76 W IESSNER , Das Bistum Naumburg 1, 1 (wie Anm. 34) S. 212 und S. 704; ebd. der Hinweis, dass 1424 eine Jakobskapelle im Bischofsschloss nachweisbar ist, die wohl als bischöfliche Hauskapelle diente. 77 Siehe Anm. 63. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 77 geradezu zur Pflicht, auch das Grab des hl. Ägidius im südfranzösischen St-Gilles du Gard zu besuchen. Über die dortige Kultstätte heißt es im „Liber sancti Iacobi“: „Nach den Propheten und Aposteln ist keiner unter den übrigen Heiligen würdiger, heiliger oder glorreicher als er, niemand gewährt seine Hilfe schneller. Wenn Bedürftige, Bedrängte und Beängstigte ihn anrufen, steht er ihnen gewöhnlich vor allen anderen Heiligen am schnellsten bei“, heißt es im Pilgerführer 78 . Das Kloster St-Gilles lag an einem der wichtigsten Jakobswege, der von Arles, wo sich Fernstraßen aus dem Norden (Rhoneabwärts) und Süden (Italien) vereinigten, nach Santiago de Compostela führte, - eine als Pilgerweg und Handelsverbindung gleichermaßen bedeutende Fernstraße zwischen Italien, Frankreich und Spanien 79 . Wer es sich leisten konnte, versuchte bei der Mönchsgemeinschaft am Grab des hl. Ägidius sein Seelenheil zu sichern, indem er eine Memorie stiftete. Wie das Nekrolog des Klosters St-Gilles erkennen lässt, haben schon im frühen 12. Jahrhundert deutsche Pilger in diesem Benediktinerkonvent Seelenmessen gestiftet. Namentlich Erzbischof Heinrich von Magdeburg (1102-1107) sei in diesem Zusammenhang hervorgehoben 80 . Das ist aber keineswegs die einzige Spur, die von Mitteldeutschland nach St-Gilles führt. Die Heilkraft des hl. Ägidius belegen die Miracula beati Egidii, die von dem Benediktiner Petrus Guilhelmus zwischen 1121 und 1124 begonnen worden sind 81 . Dieses Buch verzeichnet Wunder, die sich entweder direkt am Grab des Heiligen in St-Gilles begeben haben, aber auch solche Wunder, die durch Anrufung des Heiligen an anderen Orten geschehen sind. Wer sein Leben oder seine Gesundheit der Macht dieses Heiligen zu verdanken hatte, fühlte sich selbstverständlich verpflichtet, sein Gelübde durch eine Wallfahrt nach St-Gilles zu erfüllen. Bei dieser Gelegenheit wurden die Wunderberichte dann vor Ort aufgeschrieben 82 . 78 H ERBERS , Der Jakobsweg (wie Anm. 57) S. 126. 79 Ebd. S. 123, Anm. 109; H ERBERS / P LÖTZ , Nach Santiago zogen sie (wie Anm. 58) S. 35 und Karte S. 36f. 80 Vgl. Ulrich W INZER , S. Gilles. Studien zum Rechtsstatus und Beziehungsnetz einer Abtei im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung (Münstersche Mittelalter-Schriften 59, München 1988) S. 303f. und S. 305; zum Nekrolog, welches ebenso wie die Mirakelberichte von Petrus Guilhelmus 1129 angelegt worden ist, zuletzt W INZER S. 6-9. 81 Er ist Bibliothekar des Klosters gewesen, vgl. W INZER , S. Gilles (wie Anm. 80) S. 288f. 82 In den folgenden Jahrzehnten wurde das Mirakelbuch weitergeführt, wie eine Handschrift des 13. Jahrhunderts beweist. Die Vollendung des „Liber miraculorum sancti Aegidii“ (wie Anm. 84) dürfte in die Amtszeit des Abtes Bertrannus (1150- 1169) fallen, der seinem Kloster einige Privilegien und Ehrenrechte von Päpsten und französischen Königen verschaffen konnte: W INZER , S. Gilles (wie Anm. 80) S. 242-245. 78 Enno Bünz Von den 30 erhaltenen Berichten des ältesten Mirakelbuches aus St-Gilles beziehen sich allein 15 auf Deutsche 83 . Es ist leicht vorstellbar, dass Menschen, die in existenziellen Nöten Hilfe vom hl. Ägidius erfahren haben, davon auch in ihrer Heimat berichtet und Stiftungen zugunsten des Heiligen veranlasst haben. Einer der Wunderberichte aus St-Gilles führt nach Zeitz 84 ; im Mittelpunkt steht ein gewisser Brun, cives und Fernhändler aus Zeitz, der von einem Adligen der Gegend des Pferdediebstahls beschuldigt und aufgehängt wurde. Durch Anrufung des hl. Ägidius hat er aber auf wundersame Weise die Hinrichtung überlebt. Auf die Bedeutung dieser bislang unbekannten Nachricht für die frühe Stadtgeschichte von Zeitz sei hier nur beiläufig hingewiesen. Wichtig ist vor allem, dass Brun nach seiner Errettung nach St-Gilles gezogen ist und dort den Strick, mit dem er erhängt werden sollte, als Votivgabe zurückgelassen hat. Warum der Zeitzer Fernhändler Brun um 1150 ausgerechnet auf die Idee verfallen ist, in Todesnot den hl. Ägidius anzurufen, bleibt unklar. Wir können nur vermuten, dass dies mit Pilgerreisen nach Santiago bzw. St-Gilles bzw. mit den Handelsreisen von Fernhändlern nach Westeuropa zusammenhing, die den Ruf der Heiligen verbreiteten. In jedem Fall ist zu betonen, dass östlich der Saale bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Verehrung des hl. Jakobus Eingang gefunden hatte, wie an der Existenz einer diesem Heiligen geweihten Kirche in Zeitz ablesbar ist. Die wenigen frühen Kultzeugnisse in Mitteldeutschland lassen vermuten, dass „die überlieferten Patrozinien des Apostels Jakob [...] mit frühen Formen des Fernverkehrs in Verbindung stehen, in gewisser Hinsicht also vergleichbar sind mit den 83 Ebenso wie für den hl. Jakobus Ap. fehlt für den hl. Ägidius eine fundierte Kultgeschichte; für den Hanseraum ganz knapp Matthias Z ENDER , Heiligenverehrung im Hanseraum, Hansische Geschichtsblätter 92 (1974) S. 1-15, hier S. 9, der auf die Bedeutung der Wallfahrt nach St-Gilles für die Kultverbreitung verweist. Einige deutsche Pilger, die über St-Gilles nach Santiago reisten, nennt Kurt K ÖSTER , Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen Santiagostraßen. Saint- Léonard, Rocamadour, Saint-Gilles, Santiago de Compostela. Schleswiger Funde und Gesamtüberlieferung (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 2, Neumünster 1983) S. 92-94. Hektor A MMANN , Die Deutschen in Saint-Gilles im 12. Jahrhundert, in: Festschrift Hermann Aubin zum 80. Geburtstag 1, hg. von Otto B RUNNER / Hermann K ELLENBENZ / Erich M ASCHKE / Wolfgang Z ORN (Wiesbaden 1965) S. 185-220, geht trotz des Titels nur kursorisch auf die deutschen Pilger ein. Über den Fernhändler Alwig aus Schleswig-Haithabu, der zwischen 1118 und 1120 in St-Gilles war, siehe B ÜNZ , Santiagopilger (wie Anm. 68) S. 46-49. 84 Liber miraculorum sancti Aegidii auctore Petro Gulielmo, Analecta Bollandiana 9 (1890) S. 393-422, hier S. 408ff. Ich beabsichtige, in einer gesonderten Studie diesen Mirakelbericht über Pilger aus Zeitz eingehender zu behandeln. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 79 gleichzeitig oder kaum später auf den heiligen Nikolaus geweihten Kirchen“ 85 . Diese Beobachtung Thomas V OGTHERRS gewinnt durch die dargelegten Verbindungen von Zeitz nach St-Gilles, einem bedeutenden Kultort auf dem Weg nach Santiago de Compostela, zusätzliche Plausibilität. Als Zwischenbilanz kann festgehalten werden, dass trotz aller Bedenken, die gegen die historische Glaubwürdigkeit der Pegauer Annalen bzw. der darin eingeflossenen „Gesta Wigberti“ in Einzelfragen vorgebracht worden sind, die Pilgerfahrt eines sächsischen Adligen nach Santiago de Compostela Ende des 11. Jahrhunderts durchaus möglich ist. So unglaubwürdig die in den Pegauer Annalen berichteten Einzelheiten des Aufenthalts Wiprechts von Groitzsch in Santiago auch sind (Gespräch mit dem Patriarchen, Schenkung einer Daumenreliquie des hl. Jakobus), am Faktum der Pilgerfahrt ist nicht zu zweifeln, zumal die Pegauer Annalen dafür ein glaubwürdiges Motiv nennen, nämlich die Zerstörung der Jakobuskirche in Zeitz durch Wiprecht. Daraus ergibt sich als stringentes Motiv eine Bußwallfahrt des Adligen zum Grab des Heiligen als Akt der Wiedergutmachung, welcher dann in der Gründung eines dem hl. Jakobus geweihten Klosters in Pegau gipfeln sollte. Dass Wiprecht sich dem Apostel Jakobus verpflichtet fühlte, ist im Übrigen auch daran ablesbar, dass die von ihm später errichtete Kapelle in Halle, wie noch zu zeigen sein wird, ebenfalls diesem Heiligen geweiht war. Diese Beobachtung ist von einigem Gewicht, weil Gründung und Weihetitel der Kapelle in Halle unabhängig von den Pegauer Annalen überliefert sind 86 . Obschon die Stiftung eines dem hl. Jakobus geweihten Klosters vor diesem Hintergrund durchaus plausibel erscheint, müssen auch andere Wege erwogen werden, wie dieses Patrozinium nach Pegau gekommen sein könnte. Thomas V OGTHERR hat jüngst zur Diskussion gestellt, dass die Gründungsmannschaft von Pegau das Jakobuspatrozinium mitgebracht haben könnte. Wie die Pegauer Annalen berichten, hatte Wiprecht 1092 vier Mönche aus der Abtei Münsterschwarzach am Main (Bistum Würzburg) gebeten, nach Pegau zu kommen 87 . Namentlich genannt wird nur ein gewisser Bero, denn er wurde der erste Abt von Pegau 88 . Münsterschwarzach stand damals noch unter dem Einfluss 85 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 48; in diesem Sinne auch G RAF , Das Jakobspatrozinium in Sachsen (wie Anm. 72) S. 354f. 86 Siehe dazu unten bei Anm. 127. 87 ... domnum Beronem aliosque tres fratres tanti laboris consortes ibidem impetravit, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244. 88 Amtierte 1092 bis 1100: V OGTHERR / L UDWIG , Äbtereihe (wie Anm. 2) S. 4. 80 Enno Bünz von Gorze und war als Reformkloster hoch angesehen. Nach dem Tod Abt Beros (1101), unter dessen Leitung sich der Pegauer Konvent nicht vergrößert hatte, führte Wiprecht dort allerdings die Hirsauer Reform ein, indem er 1103 weitere Mönche aus Corvey holen ließ 89 . Zwar hat die Jakobusverehrung in der Felicitasabtei Münsterschwarzach keine Rolle gespielt, aber in der zweiten Hälfte der 1070er Jahre war ein Reformversuch des Konvents in St. Jakob in Bamberg gescheitert. Deshalb - so V OGTHERR - sei es denkbar, dass Bero und seine Mönche nach Pegau „das in Bamberg selber zugrunde gegangene Patrozinium mitgebracht“ hätten 90 . Nun muss allerdings die eine Möglichkeit die andere nicht ausschließen, ist es doch denkbar, dass das Vorhaben Wiprechts, dem hl. Jakobus ein Kloster zu weihen, in willkommener Fügung mit den Absichten der Mönche aus Münsterschwarzach zusammentraf, ein diesem Heiligen gewidmetes Kloster zu besiedeln. Werfen wir noch einen Blick auf die Gründung des Klosters Pegau. Der Wahl des Bauplatzes des Klosters in Pegau gingen längere Überlegungen voraus, worüber die Pegauer Annalen genauer berichten. Der ursprünglich gewählte Platz wurde wieder verworfen, weil er zu nahe an der publica platea lag, einer Fernhandelsstraße von Merseburg in die Markgrafschaft Meißen, die bei Pegau die Weiße Elster durchquerte 91 . So wäre das Kloster vom ständigen Durchgangsverkehr gestört worden. Ein weiteres Problem war, dass der Ort sich nicht ausschließlich in der Hand Wiprechts befand, sondern zum Teil einem Adligen Erpo gehörte, der keinen Erben hatte, Wiprecht aber „durch Verwandtschaft und Freundschaft sehr eng verbunden“ war 92 . Die Klostergebäude, die nach der Reformation restlos abgebrochen worden sind, wurden 89 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 268f. und S. 332f. - Möglicherweise könnte diese Umorientierung Pegaus erklären, warum im Nekrolog des Klosters Michelsberg in Bamberg zwar zahlreiche Münsterschwarzacher, aber keine Pegauer Mönche verzeichnet werden, vgl. Das Necrolog des Klosters Michelsberg in Bamberg, hg. von Johannes N OSPICKEL . Mit Beiträgen von Dieter G EUENICH , Elmar H OCHHOLZER und Joachim W OLLASCH (Monumenta Germaniae Historica. Libri memoriales et necrologia. Nova series 6, Hannover 2004). 90 V OGTHERR , Jakobspatrozinium (wie Anm. 2) S. 52f. 91 Sed quia publica platea cunctis occasionem seu necessitatem frequenter transeundi faciebat, et id ibidem deo servituris detrimentum ac ruina foret ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244. 92 ... qui tamen heredem non habuit, sibi quoque consanguinitate et amicitia iunctissimus fuit, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244; P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 345f. Eine mögliche Identität des Bischofs Erpho von Münster (1085-1097) mit dem gleichnamigen Verwandten Wiprechts ist unwahrscheinlich, siehe Wilhelm K OHL , Das Bistum Münster 7, 3: Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 37, 3, Berlin 2003) S. 137f. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 81 schließlich an der Stelle eines befestigten Hofes des Erpo südlich der Bigaugiensis villa errichtet 93 . Die Klostergründung bietet dem Verfasser der Pegauer Annalen Anlass, die Bekehrung Wiprechts eindrucksvoll darzustellen. Wir wissen aus einem Baufund in der Klosterkirche St. Michael in Hildesheim, dass es bereits um 1000 üblich war, den Neubau von Kirchen durch eine feierliche Grundsteinlegung einzuleiten. In den Fundamenten der Hildesheimer Klosterkirche ist ein Grundstein mit Nennung eines Propheten und eines Apostels gefunden worden, was darauf schließen lässt, dass dort insgesamt zwölf Grundsteine gelegt worden sind 94 . Die Pegauer Annalen bieten nun das älteste schriftlich Zeugnis für diese Baupraxis, die als liturgischer Akt am Anfang eines jeden mittelalterlichen Kirchenbaus gestanden hat 95 . An der Grundsteinlegung des Kloster Pegau 1091 nahmen Erzbischof Hartwig von Magdeburg und seine Suffraganbischöfe von Naumburg-Zeitz und von Merseburg teil 96 . Nachdem die Bischöfe den Bauplatz geweiht hatten, veranlassten sie den Klostergründer Wiprecht von Groitzsch, „daß er auf den eigenen Schultern für die zwölf Grundsteine ebensoviele Körbe mit Steinen als erster herbeitrug, und so ahmte er das Vorbild des frommen Kaisers Konstantin nach, der als erster und mächtigster christlicher Kirchengründer unter den Herrschern hervorragt“ 97 . Deutlicher als durch die Bezugnahme auf den zum Christentum übergetretenen Kaiser 93 Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244. Vgl. dazu den Stadtplan bei P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 359. Dass dort bereits - wie bei Anm. 73 erörtert - eine Jakobuskirche vorhanden gewesen wäre, geht aus keiner Andeutung der Pegauer Annalen hervor. 94 Christine W ULF , Grundsteine von St. Michael, in: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993 2, hg. von Michael B RANDT / Arne E GGEBRECHT , Wissenschaftliche Beratung Hans Jakob S CHUFFELS (Hildesheim 1993) S. 533f. 95 Günter B INDING / Susanne L INSCHEID -B URDICH , Planen und Bauen im frühen und hohen Mittelalter nach den Schriftquellen bis 1250. In Zusammenarbeit mit Julia W IPPERMANN (Darmstadt 2002) S. 157-178. 96 Die Bedeutung der Grundsteinlegung wird vielfach unterschätzt. Dietrich C LAUDE , Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert 1: Die Geschichte der Erzbischöfe bis auf Ruotger (1124) (Mitteldeutsche Forschungen 67, 1, Köln 1972) S. 369 erwähnt die 1096 erfolgte Weihe der Klosterkirche durch den Erzbischof, nicht aber seine Beteiligung an der Grundsteinlegung. Ebenso F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 267. Ich bereite zu diesem Thema eine gesonderte Studie vor. 97 Qui convenientes ... Wicperto consuluerunt, ut propriis humeris per duodecim angulos fundamenti totidem cophinos lapidum primus deferret, scilicet imitando factum religiosissimi principis Constantini, qui primus ac potissimus ecclesiarum Christi fundator inter principes extitit, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244; siehe auch B INDING / L INSCHEID -B URDICH , Planen und Bauen (wie Anm. 95) S. 174. 82 Enno Bünz Konstantin hätte der Biograph Wiprechts Konversion nicht herausstreichen können. Dass Wiprecht mit diesem Akt allein dem Rat der anwesenden Bischöfe gefolgt wäre, wie es die Pegauer Annalen andeuten, ist kaum anzunehmen. Interessant ist nämlich, dass es zu dieser Beschreibung der Grundsteinlegung eine hochmittelalterliche Parallele aus Böhmen gibt, deren Zusammenhang mit dem Pegauer Gründungsakt auf der Hand liegt. Über die Gründung des Kollegiatstiftes auf dem Vysehrad bei Prag durch König Wratislaw II. von Böhmen berichtet der Fortsetzer der Chronik des Cosmas von Prag: „Am Tag der Gründung trug König Wratislav auf seinen Schultern zwölf Körbe mit Steinen nach dem Vorbild des Kaisers Konstantin, um damit die Grundsteine (prima ... fundamenta) der Kirche zu legen“ 98 . Die Gründung des Peter- und Paulstiftes auf dem Vyšehrad ist laut Cosmas von Prag, der selbst den Grundsteinlegungsakt allerdings nicht erwähnt, 1070 erfolgt 99 . Dabei ist es gut möglich, dass Wiprechts Grundsteinlegung in Pegau unmittelbar von dem Akt König Wratislaws beeinflusst war; denn Wiprecht war nicht nur - wie erwähnt - der Schwiegersohn des böhmischen Königs, dessen Tochter Judith er 1084 geheiratet hatte, sondern die Pegauer Annalen berichten auch im direkten Zusammenhang mit der Pegauer Gründung von einem vorherigen Besuch Wiprechts bei seinem Schwiegervater. König Wratislaw von Böhmen hat die Gründung von Pegau zudem durch seinen Rat und erhebliche Geldsummen unterstützt 100 . Dass die Gründung des Klosters Pegau mit einer feierlichen Grundsteinlegung als kirchlich-liturgischer Akt stattfand, war zu dieser Zeit schon selbstverständlich, aber die zeremoniellen Formen, in denen sich Wiprecht durch das Tragen von zwölf Steinkörben daran beteiligte, sprechen dafür, dass der Klosterstifter dabei unmittelbar von seinem Schwiegervater Wladislaw von Böhmen beeinflusst war, der eben in dieser Weise 1070 den Grundstein der Stiftskirche in Vyšehrad gelegt hatte. 98 Canonici Wissegradensis Continuatio Cosmae, ed. Rudolf K ÖPKE (MGH SS 9, Hannover 1851) S. 134; siehe auch B INDING / L INSCHEID -B URDICH , Planen und Bauen (wie Anm. 95) S. 174. 99 Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, ed. Bertold B RETHOLZ unter Mitarbeit von Wilhelm W EINBERGER (MGH SS rer. Germ. N. S. 2, Berlin 1923) S. 120 und Continuatio Cosmae (wie Anm. 98) S. 252-254. 100 Die Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 244 erwähnen, dass Wiprecht 1091 von Wladislaw für die Klostergründung solacium et consilium quaereret und dieser septingenta eidem ad manus talenta dedit, sowie S. 245, dass der König 1093 trecenta enim ei talenta ad supplementum inchoati operis iterum transmisit. P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 346 und S. 348 nennt als Summen 70 (! ) und 300 Talente, verweist dann aber S. 348, Anm. 84 auf das Pegauer Nekrolog, das richtig vermerkt, König Wladislaw habe Wiprecht 1000 Talente geschenkt. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 83 Die Errichtung des Pegauer Klosters hat mehrere Jahre gedauert. Am 25. Juli 1096 begann die Weihe der Klosterkirche, die sich fünf Tage lang hinzog. Die Weihe wurde von Erzbischof Hartwig von Magdeburg und seinen Suffraganbischöfen Albuin von Merseburg, Ezelin von Havelberg und Walram von Naumburg durchgeführt. Da Bau und Ausstattung des Pegauer Klosters nach der Reformation beseitigt worden sind, gibt es nur noch ein mittelalterliches Bildzeugnis aus Pegau, welches das Jakobuspatrozinium belegt. Von dem Konventssiegel ist im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden noch der Siegelstempel aus dem 13. Jahrhundert erhalten. Das Siegel mit einem Durchmesser von 5 cm zeigt den stehenden hl. Jakobus mit Nimbus, in der Rechten einen Palmzweig, in der Linken ein Buch haltend (Abb. 1). Der Heilige wird durch die beidseitig angebrachte Inschrift „S(ANCTVS) IACO/ BVS“ bezeichnet. Der Siegelstempel dürfte um die Mitte des 13. Jahrhunderts angefertigt worden sein, weshalb anzunehmen ist, dass es bereits ein Vorgängersiegel gegeben hat, welches ebenfalls den hl. Jakobus zeigte 101 . 101 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 129; dort der Hinweis, dass der älteste Siegelabdruck an einer Urkunde von 1269 hängt. Ausführliche Beschreibung des Siegels von Eckhart L EISERING in: Bayern und Sachsen in der Geschichte. Wege und Begegnungen in archivalischen Dokumenten. Gemeinsame Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Sächsischen Hauptstaatsarchivs. Ausstellung und Katalog: Hermann R UMSCHÖTTEL und Reiner G ROSS in Verbindung mit Ingrid G ROHMANN und Erich S TAHLEDER (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 32, München 1994) S. 84-86. Abb. 1: Konventssiegel des Benediktinerklosters Pegau (13. Jahrhundert) mit Darstellung des hl. Jakobus (Originaltypar im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden). Abbildungsnachweis: Rundkapellen des Wiprecht von Groitzsch. Bauwerk und Geschichte (Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden 15, Berlin 1977) S. 192. 84 Enno Bünz Im Rahmen des Pegauer Weiheaktes fiel am ersten Tag der Gemahlin Wiprechts, der böhmischen Königstochter Judith, eine besondere Rolle zu. Als sie die Klosterkirche betrat, trug sie eine goldene, mit Gemmen verzierte Krone und über dem golddurchwebten Mantel einen ebenfalls golddurchwebten Übermantel 102 . Sie legte den königlichen Ornat auf dem Altar zu Ehren Gottes und des hl. Jakobus nieder, „brachte also ein sogenannten ‚Kronenopfer‘ dar“, womit sie das Kloster Pegau, wie schon Hans P ATZE in Anlehnung an Percy Ernst S CHRAMM betont hat, ebenso auszeichnete, „wie bedeutende Stifter und Klöster durch Könige und Kaiser“ geehrt wurden 103 . Allerdings ist zu fragen, ob das Pegauer Kronopfer mit Hans-Dietrich K AHL als „Geste mittelalterlicher Staatssymbolik“ zu deuten ist, weil eine Herrschaftsinsignie übergeben wurde, oder ob es sich, wie bei der Mehrzahl der hochmittelalterlichen Kronenschenkungen an Kirchen, um den frommen Akt der Darbringung einer Votivkrone handelt 104 . Tatsächlich nimmt der Pegauer Akt eine merkwürdige Zwischenstellung ein, handelt es sich doch „nicht um ein Kronopfer eines regierenden Herrschers, sondern um den Versuch des ehrgeizigen Wiprecht, etwas von dem neuen königlichen Glanze des Schwiegervaters auch auf sein Haus herabzuleiten“, wobei freilich nicht übersehen werden darf, dass das Pegauer Kronopfer durch Judith in dieser Form nur möglich war, weil „Wratislaw nach seiner Rangerhöhung offenbar auch seine Familie mit wahrhaft königlichen Insignien auszu- 102 Eodem die domna Iudita comitissa, filia Fratizlai Boemici regis, coronata et auro textis induviis regaliter adornata processit; et coronam aurea gemmisque insignitam, et cicladem auro textam instar dalmaticae et preciosissimi operis, quam sub mantello ferebat etiam auro texto, haec duo insignia ipsa die super altare Deo sanctoque Iacobo dicavit, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 245. 103 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 349; siehe dazu Percy Ernst S CHRAMM , Herrschaftszeichen: gestiftet, verschenkt, verkauft, verpfändet. Belege aus dem Mittelalter, Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologischhistorische Klasse 5 (1957) S. 161-226, der S. 206ff. die Schenkung von Stoffen und Gewändern und S. 209ff. von Herrschaftszeichen behandelt, und D ERS ., Vom Kronenbrauch des Mittelalters, in: D ERS ., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 13, 1-3, Stuttgart 1956) hier 3, S. 909-919. 104 Hans-Dietrich K AHL , Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor (Mitteldeutsche Forschungen 30, Köln/ Graz 1964) 1, S. 189-225, und 2, S. 724-756, hat sich mit diesen Fragen im Zusammenhang mit dem Kronopfer des Slawenfürsten Pribislav-Heinrich im Stift Leitzkau 1147(? ) ausführlich auseinandergesetzt. Nicht zugänglich war mir die ungedruckte Habil.-Schrift von D EMS ., Weihekrone und Herrscherkrone. Studien zur Entstehungsgeschichte mittelalterlicher Symbolhandlungen mit Kronen (Gießen 1964). Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 85 statten sich befleißigte“ 105 . Gleichwohl ist zu betonen, dass mit dem Kronopfer in Pegau 1096 kein Akt der Staatssymbolik stattfand, auch wenn der hochherrschaftliche Auftritt von Wiprechts Gemahlin Judith Herrschernähe demonstrierte, sondern dass es sich dabei um einen Akt adliger Devotion gegenüber Gott und dem hl. Jakobus handelte. Die Grundsteinlegung der Kirche 1091 durch Wiprecht selbst und das Kronopfer super altare 106 an den Schutzpatron des Klosters, den hl. Jakobus, sind durchaus in Parallele zu sehen. Das Kronenopfer in Kirchen und das heißt, die Übergabe von Votivkronen an deren heiligen Schutzpatron, war im frühen und hohen Mittelalter eine verbreitete herrschaftliche Praxis, die nicht nur von Fürsten, sondern auch von adligen Eigenkirchenherren praktiziert wurde 107 . Dies dürfte Wiprecht und seiner Frau Judith bekannt gewesen sein, weshalb es sich eigentlich erübrigen dürfte, nach unmittelbaren historischen Vorbildern zu suchen 108 . Gleichwohl möchte ich noch einen anderen Erklärungsversuch zur Diskussion stellen, der auf Santiago de Compostela verweist. Robert P LÖTZ hat schon vor längerem auf Bestimmungen in den „Constitutiones de la iglesia de Santiago“ aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hingewiesen, welche die Darbringung der Opfergaben und Oblationen an den hl. Jakobus regeln. Danach wurden die Pilger während der Morgenmesse ihres ersten Aufenthaltstages zum Opfergang und Gebet aufgefordert. „Nur die Teutonici machten eine Ausnahme: Sie mußten erst einer Krone huldigen“ 109 . 105 K AHL , Slawen und Deutsche (wie Anm. 104) 2, S. 732, Anm. 53. Zustimmend F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 267. 106 Zu dieser Wendung K AHL , Slawen und Deutsche (wie Anm. 104) 2, S. 726f., Anm. 16 mit weiteren Hinweisen. 107 Siehe dazu neben der in Anm. 103 und 104 genannten Literatur nun mit zahlreichen Zeugnissen aus dem Frühmittelalter Wilhelm S TÖRMER , Frühe Kirchenanlagen in den Ostalpen und ihrem Vorland, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 67 (2004) S. 13-34, hier S. 31ff. 108 Soweit ich sehe, ist kein Kronopfer eines Herrschers belegt, an dem Wiprecht beteiligt gewesen wäre. Die umfassendste Zusammenstellung der Belege bietet S CHRAMM , Herrschaftszeichen: gestiftet (wie Anm. 103). 109 Robert P LÖTZ , Imago beati Iacobi. Beiträge zur Ikonographie des Hl. Jacobus Maior im Hochmittelalter, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen. Themen zu einer Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums und des Adalbert Stifter Vereins, München, hg. von Lenz K RISS -R ETTENBECK / Gerda M ÖHLER (München 1984) S. 248-264, Zitat S. 257; ausführlicher nun D ERS ., Volviendo al Tema: La Coronatio. Investigación y revisión (De Padrón a Mölln), in: Padrón, Iria y las tradiciones Jacobeas, hg. von Vicente A LMAZÁN (2004) S. 101-122. Joachim O TT , Krone und Krönung. Die Verheißung und Verleihung von Kronen in der Kunst von der Spätantike bis um 1200 und die geistige Auslegung der Krone (Mainz 1998), geht auf das Kronenbrauchtum in Santiago nicht ein. 86 Enno Bünz Wodurch diese Kronenhuldigung veranlasst war, konnte bisher nicht geklärt werden. P LÖTZ meint, es könnte „in Zusammenhang mit dem Investiturstreit stehen“ und solle deutlich machen, dass „nur Gott oder seine Vermittler sowohl geistliche (Spiritualien) als auch weltliche (Temporalien) Gnaden und Ämter gleichzeitig verleihen können“ 110 . Ob der Brauch der Kronenhuldigung durch deutsche Pilger tatsächlich schon in das späte 11. Jahrhundert zurückführt, ist allerdings ganz ungewiss. Interessant ist aber, dass sich im deutschsprachigen Raum mehrere Bilddarstellungen aus dem 12. und 13. Jahrhundert erhalten haben, die zeigen, wie Pilger durch den Heiligen Jakobus gekrönt werden 111 . Als Beispiele seien die Fresken in der Pfarrkirche von Linz (Mittelrhein) und Mölln (Lauenburg) sowie die schöne Sandsteinskulptur aus Villingen- Schwenningen erwähnt, die in das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts datiert wird 112 . Deutsche Reiseberichte des 15. Jahrhunderts erwähnen, dass sich Pilger in Santiago de Compostela eine Krone aufs Haupt gesetzt hätten 113 . Der ursprüngliche Akt der rituellen Krönung der Pilger wurde damit verändert und kam schließlich ganz außer Gebrauch. Ein möglicher Zusammenhang zwischen den in Santiago de Compostela praktizierten Pilgerkrönungen, die sich allerdings erst seit dem frühen 13. Jahrhundert sicher belegen lassen, und dem Kronenopfer im Jakobuskloster Pegau, das bereits 1096 erfolgt ist, soll hier zumindest zur Diskussion gestellt werden. Es wird sich aber wohl niemals erweisen lassen, ob Wiprecht von Groitzsch, wenn er denn tatsächlich zum Grab des hl. Jakobus gepilgert ist, dort auch Zeuge solcher Pilgerkrönungen geworden ist. Was ist aus der Krone des hl. Jakobus in Pegau geworden? Percy Ernst S CHRAMM hat eine seiner zahlreichen Studien über das Schicksal mittelalterlicher Herrschaftszeichen überschrieben: „gestiftet, verschenkt, verkauft, verpfändet“ 114 . So auch in Pegau. Als der Verfasser der Pegauer Annalen um 1150 sein Werk zu Pergament brachte, war die Krone schon nicht mehr im Kloster vorhanden. Soweit er in Erfahrung bringen konnte, hatte bereits Abt Windolf - er amtierte 1101 bis 1150 115 - 110 P LÖTZ , Imago beati Iacobi (wie Anm. 109) S. 257. 111 Ebd. S. 256f.; weiteres Beispiel aus der Zeit um 1500 in: Wallfahrt kennt keine Grenzen (Ausstellungskatalog) (München 1984) S. 12; alle wesentlichen Bildzeugnisse nun zusammengestellt von P LÖTZ , Volviendo al Tema (wie Anm. 109) passim. 112 Die Zeit der Staufer. Geschichte - Kunst - Kultur 1-5, hg. von Reiner H AUSSHERR (Stuttgart 1977) hier 1, S. 372f., Nr. 489; Abbildung ebd. 2, Abb. 294; P LÖTZ , Volviendo al Tema (wie Anm. 109) S. 108f. 113 P LÖTZ , Imago beati Iacobi (wie Anm. 109) S. 256; D ERS ., Volviendo al Tema (wie Anm. 109) S. 120f. 114 S CHRAMM , Herrschaftszeichen: gestiftet (wie Anm. 103) S. 162-226. 115 V OGTHERR / L UDWIG , Äbtereihe (wie Anm. 2) S. 4f. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 87 die Krone dafür verwendet, Besitzungen in Thüringen zu erwerben. Die golddurchwirkte Dalmatik, die Judith dem hl. Jakobus überlassen hatte, war später von ihrem Sohn Wiprecht d. J. dem Kloster entfremdet worden mit dem Versprechen, den Mönchen den Geldwert zu ersetzen. Wiprecht hat die Dalmatik dann dem Bischof Burchard von Münster (1097/ 98-1118) für 40 Mark verkauft. Diese cappa dalmatica seu tunica ist allerdings 1117 wieder in den Besitz Wiprechts d. Ä. zurückgefallen, denn anlässlich der Belehnung mit der Mark Lausitz hat Kaiser Heinrich V. ihm das kostbare Stück geschenkt, nachdem er es von Bischof Burchard von Münster erhalten hatte 116 . In dem Territorialherrn, Siedlungsunternehmer und Klostergründer Wiprecht II. von Groitzsch tritt uns „die Einheit von politischem Streben, wirtschaftlichem Aufbau und der Entfaltung kirchlichen Lebens, wie sie für das hohe Mittelalter kennzeichnend ist“, entgegen 117 . An seinem Beispiel lässt sich exemplarisch ablesen, aus welchen Bestandteilen sich die entstehende Landesherrschaft des Hochmittelalters zusammensetzte: Gewissermaßen den Kern, an den sich die übrigen Elemente anlagerten, bildeten die Allodialgüter, die durch Burgen gesichert und verwaltet wurden. Ein weiterer Kristallisationspunkt adeliger Herrschaft war das Hauskloster, das man mit Grundbesitz ausstattete, über den die Stifterfamilie weiterhin die Kontrolle behielt, weil sie die Schutzvogtei ausübte. Der Besitz wurde durch Lehen des Reiches und der Kirche weiter ausgebaut. Hilfreich waren dabei auch Reichslehen und andere Ämter, wie das der Markgrafschaft Meißen. Als Instrumente der Herrschaftsbildung sind neben einer königstreuen Politik bei Wiprecht hochrangige Heiraten, die weiteren Besitz einbrachten, und die Förderung des Landesausbaus mit Hilfe von Kolonisten zu vermerken. Als Reichslehen erhielt Wiprecht die Burgen Leisnig und Colditz. Außerdem nahm Wiprecht von geistlichen Fürsten größere Güterkomplexe in Thüringen und im Markengebiet als Lehen an, darunter 1091 den Burgward Borna. Innerhalb eines Jahrzehnts hatte Wiprecht sich einen bedeutenden Herrschaftskomplex zwischen Saale und Mulde geschaffen, den er, wie die Annahme des Grafentitels durch Wiprecht zeigt, zu einer allodialen Grafschaft ausbauen konnte 118 . Wiprecht hatte 116 Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 253; P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 349; K OHL , Das Bistum Münster 7, 3 (wie Anm. 92) S. 178 (dort im Zitat versehentlich für XL: marcas XI). 117 Karlheinz B LASCHKE , Geschichte Sachsens im Mittelalter (München 1990) S. 76. 118 Dies in Anlehnung an K OBUCH , Feudalsitz (wie Anm. 1) S. 151. - Außerhalb dieses Raumes besaß Wiprecht die Vogteien der Klöster Oldisleben und Vitzenburg, siehe F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 269-272. 88 Enno Bünz zu Anfang des 12. Jahrhunderts reichsfürstlichen Rang erlangt. Bis 1105 hielt er Kaiser Heinrich IV. die Treue, wechselte dann aber zu Heinrich V. über, in dessen Umgebung er bis 1108 oft nachweisbar ist. Seit 1112 stand Wiprecht jedoch offen auf Seiten der ostsächsischen Adelsopposition. Als er 1113 in kaiserliche Gefangenschaft geriet, wurde Wiprecht zunächst zum Tode verurteilt, konnte sich durch Herausgabe seiner Güter aber die Begnadigung erkaufen, blieb jedoch auf dem Trifels inhaftiert, bis er 1116 zusammen mit weiteren Reichsfürsten gegen den von der Gegenseite gefangenen Reichsministerialen Heinrich Haupt ausgetauscht wurde. Seinen Besitz erlangte Wiprecht nach und nach zurück, und 1123 wurde er von Heinrich V. sogar mit den Markgrafschaften Meißen und Lausitz belehnt, doch konnte er sich dort nicht durchsetzen 119 . Aber die Erhebung zum Markgrafen, ein Jahr vor Wiprechts Tod, markiert den rangmäßigen Aufstieg des Dynasten, dem aus eigenem Antrieb eine Herrschaftsbildung zwischen Thüringen und der Oberlausitz gelungen ist. Daraus wäre wohl, wenn das Haus Groitzsch nicht 1135 ausgestorben wäre, ein landesherrliches Territorium entstanden, wie es dann im 12. Jahrhundert die Wettiner gebildet haben. Das eindrucksvollste Zeugnis adeliger Herrschaftsbildung im hohen Mittelalter war der Burgenbau. Deshalb kann es nicht überraschen, dass Wiprecht die um 1074 im Tausch erworbene Burg Groitzsch repräsentativ ausgebaut hat 120 . Diese Burg wurde fortan Namen gebend für seine Familie. Die Anlage liegt auf einem weit in die Elsteraue vorgeschobenen Geländesporn, der von der Schwennigke umflossen wird. Die ältere Burganlage mit einem Holz-Erde-Wall wurde von Wiprecht in zwei Phasen 1080 bis 1120 und nach 1120 großzügig erweitert. Die Anlage umfasste zwei Rundtürme, von denen einer den stattlichen Durchmesser von 13,3 m aufweist. Die archäologischen Forschungen haben inmitten der Anlage die Mauerreste einer Rundkapelle freigelegt, die zu den ältesten Sakralbauten des Leipziger Raumes gehört 121 . Leider ist das Patrozinium dieser Kapelle unbekannt. In diesem Zusammenhang ist es von größtem Interesse, dass bereits die ältere bauhistorische Forschung die Vermutung geäußert hatte, in der Andreaskirche zu Knautnaundorf (nördlich von Groitzsch) 119 F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 260-263 und S. 265f. 120 Zusammenfassend Lothar H ERKLOTZ , Groitzsch, Wiprechtsburg, in: Leipzig und sein Umland. Archäologie zwischen Elster und Mulde (Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland 32, Stuttgart 1996) S. 142-146, und Gerhard B ILLIG / Heinz M ÜLLER , Burgen. Zeugen sächsischer Geschichte (Neustadt/ Aisch 1998) S. 99f. mit Planskizzen der drei Bauphasen. 121 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 7-38. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 89 sei eine Rundkapelle verbaut. Baugeschichtliche und archäologische Untersuchungen haben 1972/ 73 tatsächlich den Nachweis erbracht, dass dort im Hochmittelalter eine Rundkapelle errichtet wurde, die typologisch eng mit der Rundkapelle im nahen Groitzsch verwandt ist 122 . Beide Kirchen gehören in die Zeit um 1090/ 1100, also in die Lebenszeit Wiprechts II. von Groitzsch 123 . Schon aufgrund der Baubefunde ist auszuschließen, dass es sich in Knautnaundorf um eine einfache Dorfkirche gehandelt hat. Im Inneren konnten Reste einer Holzempore nachgewiesen werden, von der man den Gottesdienst verfolgen konnte. Die Empore wurde durch eine gesonderte Eingangstür von Außen betreten, von der ein Verbindungsgang vermutlich zu einem benachbarten Gebäude führte. Ein Wohnturm ist dort zu vermuten, archäologisch aber nicht nachweisbar. Historische Argumente, die Manfred K OBUCH zusammengestellt hat, sprechen dafür, dass auch in Knautnaundorf eine Burg Wiprechts bestanden hat 124 . Spurlos verschwunden ist die Burganlage, die Wiprecht von Groitzsch in Halle an der Saale in seiner Funktion als Burggraf von Magdeburg erbaut hat. Wiprecht wird das Burggrafenamt wohl 1118 durch seinen Verwandten Adelgot erlangt haben, der 1107 Erzbischof von Magdeburg geworden war 125 . Es verwundert deshalb nicht, dass Wiprechts Name sich unter den Adressaten des Kreuzzugs- und Siedlungsaufrufs Erzbischofs Aelgots von 1107/ 8 findet 126 . Die in Halle errichtete Burganlage wies Parallelen zur Burg Groitzsch auf. Neben einem dicken Rundturm ließ Wiprecht angeblich 1118 eine Rundkapelle 122 Ebd. S. 39-96; Lothar H ERKLOTZ , Knautnaundorf, Rundkapelle, in: Leipzig und sein Umland (wie Anm. 120) S. 128-130. 123 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 96ff. 124 K OBUCH , Feudalsitz (wie Anm. 1) S. 143-173. 125 Zu Adelgot siehe F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 215ff. und C LAUDE , Geschichte des Erzbistums Magdeburg 1 (wie Anm. 96) S. 391f. Demnach war Wiprecht Adelgots Großonkel, nicht Großvater (so S. 403). Auf die Verleihung der Burggrafenwürde an Wiprecht geht C LAUDE nicht ein, doch weist er S. 373 darauf hin, dass bereits Erzbischof Hartwig (1079-1102) Beziehungen zu Wiprecht unterhielt, wie u. a. an der Beteiligung des Metropoliten an Grundsteinlegung und Weihe des Klosters Pegau ablesbar ist. Die Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 254 erwähnen, dass Wiprecht praefecturam in Magdeburch principalem optinuerit. F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 263 ordnet das Ereignis zu 1118 ein. 126 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg 1: (937-1192), bearb. von Friedrich I SRAEL unter Mitwirkung von Walter M ÖLLENBERG (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt. Neue Reihe 18, Magdeburg 1937) S. 249-252, Nr. 193; zu diesem vieldiskutierten Dokument zuletzt Giles C ONSTABLE , The place of the Magdeburg charter of 1107/ 08 in the history of Eastern Germany and of the crusades, in: Vita religiosa im Mittelalter. Festschrift für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag, hg. von Franz J. F ELTEN und Nikolas J ASPERT (Berlin 1999) S. 283-299. 90 Enno Bünz errichten, die, wie aus mehreren Erwähnungen hervorgeht, dem hl. Jakobus geweiht war 127 . Zwar ist die Kapelle 1797 abgerissen worden, aber der Geschichtsschreiber Johann Christoph D REYHAUPT hat die Kapelle 1749 als „überaus zierlich, gantz rund, wie das Pantheon in Rom, erbauet“ beschrieben und in diesem Zusammenhang auch die Inschrift mitgeteilt, die über dem Eingang angebracht war: Elisabetha Uladislai primi regis Bohemiae filia 128 . Zweifellos ist der Name verlesen, muss es doch statt Elisabeth Judith heißen 129 . Viel wichtiger aber ist der Befund, dass Wiprecht in Halle eine dem hl. Jakobus geweihte Kapelle gegründet hat. Ob auch die Kapellen in Groitzsch und Knautnaundorf (hier später St. Andreas) ursprünglich dieses Patrozinium führten, ist allerdings unbekannt. Vermutlich hat Wiprecht selbst die Jakobskapelle in Halle mit Zustimmung Erzbischof Adelgots von Magdeburg (1107-1119) dem Kloster Pegau geschenkt, in dessen Besitz sie noch später nachweisbar ist 130 . Die Stiftung einer dem hl. Jakobus geweihten Kapelle in Halle, die übrigens unabhängig von den Pegauer Annalen belegt ist, unterstreicht nachdrücklich die Verehrung, die Wiprecht diesem Heiligen entgegengebracht hat. Warum wählte Wiprecht II. für die Burgkapellen in Groitzsch, Knautnaundorf und in Halle die Bauform der Rundkapelle mit hufeisenförmiger Apsis? Die Frage ist einfach zu beantworten: Der Bautyp weist nach Böhmen und Mähren, wo solche Kapellenbauten auf hochmittelalterlichen Herrensitzen weit verbreitet waren 131 . Wiprecht hat sich 1075 bis 1080 in Böhmen aufgehalten und stand in engen Beziehungen zum Herzog und späteren König Waldislaw II., dessen Tochter er 1084 zur Frau genommen hatte. Es war eben jene Judith, die wohl in der leider 127 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 107; vgl. auch Hans-Joachim M RUSEK , Gestalt und Entwicklung der feudalen Eigenbefestigung im Mittelalter (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 60, 3, Berlin 1973) S. 19f. mit Stadtplan Tafel IV (die Burg Wiprechts dort Nr. 1). 128 Zitate nach K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 107 Anm. 62. 129 Ebd. S. 108. 130 Als die Kapelle 1411 von Erzbischof Günther III. von Magdeburg dem Kloster Pegau inkorporiert wird, heißt es zur Begründung, qualiter a primeva fundacione et dotacione capelle sancti Iacobi in opido nostro Hallis ... ius patronatus dicte capelle ad abbatem ... et ad suum monasterium ex largicione felicis memorie Adelgoti archiepiscopi Magdeburgensis predecessoris nostri spectare consuevit, Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 126) 1, S. 260, Nr. 203. Siehe auch Dietrich C LAUDE , Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert 2 (Mitteldeutsche Forschungen 67, 2, Köln/ Wien 1975) S. 411 und S. 465 mit weiteren Hinweisen. 131 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 102-107; Jan K LÁPS ˇ TE ˇ , Promeˇna cˇesky´ch zemí ve strˇedoveˇku (Prag 2005) S. 13f. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 91 fehlerhaft überlieferten Inschrift an der Burgkapelle in Halle genannt wurde und die durch das Kronopfer in Pegau 1096 die Königsnähe des Klosterstifters eindrucksvoll demonstrierte. Aufgrund der engen Kontakte nach Böhmen lag es für Wiprecht nahe, sich beim Ausbau seiner Burgen an der dortigen Herrschaftsarchitektur zu orientieren. Die Kapellenbauten in Groitzsch und Knautnaundorf gehören zu den ältesten Denkmalen mittelalterlicher Baukunst in Sachsen und legen bis heute Zeugnis ab von dem hohen Rang Wiprechts von Groitzsch. Von bleibendem Bestand war Wiprechts Siedlungsunternehmen 132 . Wir haben zwar gesehen, dass Wiprecht, als er sich im Elstergebiet festsetzte, sich bereits mit anderen adligen Herrschaftsträgern, die dort ansässig waren, konfrontiert sah. Aber Wiprecht ist wohl der erste Dynast gewesen, der die bäuerliche Kolonisation in das Gebiet östlich der Weißen Elster geführt hat, „um seine Herrschaft zu festigen und materiell zu stärken“ 133 . Dazu mag ihn die Siedlungstätigkeit der Udonen im Mittelelbegebiet angeregt haben, war doch der junge Wiprecht das Mündel Graf Udos II. von Stade gewesen 134 . 1105 war die Besiedlung des bis dahin noch bewaldeten Gebiets um Lausick im Gange, also im Gebiet östlich der Pleiße, wo aus Franken herbeigeholte Siedler, aber auch ortsansässige Slaven eine Reihe neuer Dörfer anlegten. Die noch erhaltene romanische Kirche in Lausick weihten die fränkischen Neusiedler dem hl. Kilian, dem Diözesanpatron des Bistums Würzburg. Dort wurde von Wiprecht ein Pegauer Priorat mit sechs Mönchen gestiftet 135 . Wie die Pegauer Gründungsmannschaft aus dem Kloster Münsterschwarzach belegt, verfügte Wiprecht über Beziehungen nach Mainfranken 136 . 132 Walter H EINICH , Wiprecht von Groitzsch und seine Siedlungen (Mitteldeutsche Heimat 8, Dresden 1932); wiederabgedruckt in: Zur Siedlungsgeschichte des Leipziger Raumes. Eine Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten aus den Jahren 1914 bis 1937, hg. von Lutz H EYDICK / Uwe S CHIRMER (Leipziger Land - Jahrbuch für Historische Landeskunde und Kulturraumforschung 1, Beucha 1998) S. 169-199. - Siegfried H OYER , Wiprecht von Groitzsch und der Beginn des Landesausbaus im Mulde-Elster-Gebiet, in: Probleme des frühen Mittelalters in archäologischer und historischer Sicht, hg. von H. A. K NORR (Berlin 1966) S. 119-129. 133 B LASCHKE , Geschichte Sachsens (wie Anm. 117) S. 76; K LÁPS ˇ TE ˇ , Promeˇna cˇesky´ch zemí (wie Anm. 131) S. 12-16. 134 Auf diese Zusammenhänge weist S CHUBERT , Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 25) S. 335f. hin. 135 S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens 2 (wie Anm. 2) S. 186; F ENSKE , Adelsopposition (wie Anm. 1) S. 269. Siehe auch Peter B ERGMANN , Borna, in: Leipzig und sein Umland (wie Anm. 120) S. 149ff. 136 Siehe oben bei Anm. 87. 92 Enno Bünz Während eines Aufenthaltes auf seiner Burg in Halle ist Wiprecht durch eine nächtliche Feuersbrunst schwer verletzt worden 137 . Wiprecht ließ sich nach Groitzsch bringen und ist kurz danach, dem gemeinsamen Rat des Erzbischofs von Magdeburg und der Bischöfe von Merseburg, Naumburg und Meißen folgend, als siebzigjähriger Greis in das Kloster Pegau eingetreten, um den schwarzen Habit der Benediktiner anzulegen. Bereits wenige Tage später, am 22. Mai 1124, ist Wiprecht in Pegau verstorben 138 . Die Adelskonversion ist ein weiterverbreitetes Motiv, dem im späten 11. und im 12. Jahrhundert auch Vertreter anderer hochbedeutender Adelsfamilien folgten 139 . Leider ist die Klosterkirche in Pegau nach der Klostersäkularisation im Herzogtum Sachsen 1539/ 41 abgebrochen worden. Das Grabmal des Gründers, die Tumba mit der ganzfigürigen Darstellung Wiprechts von Groitzsch, hielt man aber bereits damals für so bemerkenswert, dass sie 1556 in die Pegauer Laurentiuskirche übertragen wurde, wo sie heute noch besichtigt werden kann (Abb. 2) 140 . Wir sehen vor uns eines der eindrucksvollsten Werke hochmittelalterlicher Plastik, in dem der Bildhauer ungefähr hundert Jahre nach dem Tod des Klostergründers Wiprecht als Idealgestalt dargestellt hat: Der kraftvolle Mann liegt in der Todesruhe mit gelocktem Haar auf Kopfkissen und Fahnenblatt, Schwert und Schild zur Seite. Die eindrucksvolle, fast vollplastische Grabplastik war einst mit 223 Glasflussstücken und Halbedelsteinen besetzt und gewiss auch farbig gefasst. Hans P ATZE hat die ansprechende Vermutung geäußert, dass zur Verzierung der Grabplatte Wiprechts jene Edelsteine gedient haben könnten, die seine Gemahlin Judith dem Kloster Pegau im Rahmen des geschilderten Kronopfers geschenkt hatte 141 . Es handelt sich um ein „Kunstwerk ersten Ranges“ 142 . 137 Das Folgende nach dem Bericht der Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 254f. 138 Ita post aliquot dies Deo vocante solutus, cum magna frequentia episcopis et laicis exequias peragentibus ... honorifice terrae commendatur ..., Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 255. Das Pegauer Nekrolog verzeichnet seine Memorie zum 22. Mai als Wicpertus marchio, quoque monachus, Universitätsbibliothek Leipzig, Ms. 848, fol. 50 r . 139 S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens 2 (wie Anm. 2) S. 460; Herbert G RUNDMANN , Adelsbekehrungen im Mittelalter. Conversi und Nutriti im Kloster, in: D ERS ., Ausgewählte Aufsätze 1 (MGH Schriften 25, 1, Stuttgart 1976) S. 125- 149. 140 Zum Grabmal P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 371-373; K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 117-128; Magdalene M AGIRIUS , Figürliche Grabmäler in Sachsen und Thüringen von 1080 bis um 1400 (Esens 2002) S. 383-389. 141 P ATZE , Pegauer Annalen (wie Anm. 2) S. 373; zum Kronopfer siehe oben bei Anm. 104. 142 M AGIRIUS , Figürliche Grabmäler (wie Anm. 140) S. 386. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 93 In den Pegauer Annalen heißt es über die Grabstätte Wiprechts: „... (die Leiche Wiprechts) wurde mit großen Ehren der Erde übergeben und in der Mitte seiner Klosterkirche zwischen seiner Gemahlin und seinem Sohn bestattet“ 143 . Die ursprüngliche Grabsituation in der Vierung der Klosterkirche vor dem Kreuzaltar ist von Herbert K ÜAS umsichtig re- 143 ... honorifice terrae commendatur, et in medio sui monasterii inter uxorem ac filium sepelitur, Annales Pegavienses (wie Anm. 3) S. 255. Abb. 2: Grabtumba Wiprechts von Groitzsch (13. Jahrhundert), ursprünglich in der Klosterkirche zu Pegau, seit 1556 in der dortigen Laurentiuskirche. Abbildungsnachweis: Rundkapellen des Wiprecht von Groitzsch. Bauwerk und Geschichte (Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden 15, Berlin 1977) S. 119. 94 Enno Bünz konstruiert worden 144 . Wie K ÜAS wahrscheinlich machen konnte, ist die Begräbnisform Vorbild für die Grabanlage des wettinischen Markgrafen Dedo (gest. 1190) und seiner Familie im Augustiner-Chorherrenstift Wechselburg geworden. Die Darstellung der Fahne auf den Grabmälern Wiprechts wie Dedos dürfte mehr als eine bloße ikonographische Übernahme sein, begegnet dieses Motiv doch schon auf dem - freilich verlorenen - Grabmal Markgraf Geros (gest. 965), aber auch auf dessen Siegel: Es ist die Lehnsfahne des Markgrafen, die den hohen Rang des Verstorbenen unterstreichen soll, der 1123 mit den Markgrafschaften Meißen und Lausitz belehnt worden war, in denen er sich gegen den Widerstand der Wettiner allerdings nicht durchsetzen konnte. Den Untergang der Klosterkirche von Pegau und ihrer Ausstattung wird man umso mehr bedauern müssen, weil sich in der Klosterkirche ein Zyklus von Wandbildern befunden hat, der das Leben Wiprechts darstellte und mit Versen erläuterte. Wir wissen davon nur, weil Burggraf Hugo von Leisnig 1515 den Abt von Pegau gebeten hat, die Wandmalereien mit den Versen „abvisieren“ zu lassen 145 . Es bleibt nicht mehr als eine ansprechende Vermutung, dass diese Wandbilder - wie Herbert K ÜAS meinte - „Szenen mit der Pilgerfahrt Wiprechts nach Santiago de Compostella (! ) und mit der Klosterweihe“ gezeigt haben 146 . Der Hinweis auf die verlorenen Wandbilder in Pegau unterstreicht noch einmal, wie fragmentarisch unser Wissen über Wiprecht von Groitzsch und die frühe Jakobusverehrung in Nordwestsachsen ist. Noch wichtiger ist es aber, dass mit der faszinierenden Gestalt Wiprechts von Groitzsch überhaupt die frühesten Nachrichten über die Verehrung des hl. Jakobus in Mitteldeutschland verknüpft sind, die nach Zeitz, Halle und Pegau weisen. Resumen: El noble Wiprecht von Groitzsch († 1124) constituye uno de los personajes más fascinantes de la historia de Sajonia en la Baja Edad Media. Su nombre está unido de manera duradera a los comienzos del culto a Santiago en Sajonia. Los Anales del monasterio de Pegau (al Suroeste de Leipzig), cerrado luego de la introducción de la Reforma en el ducado de Sajonia en 1539, representan la fuente más importante sobre la vida de Wiprecht. La abadía benedictina de Pegau, fundada por Wiprecht en 1091, fue el primer monasterio al Este del río Saale y, con ello, el monasterio más antiguo de Sajonia. Santiago fue patrono del monasterio de Pegau. En los años ’70 del siglo XI, Wiprecht, vasallo del rey Enrique IV, aumentó la pe- 144 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 113ff. mit Abbildung; zurückhaltender M AGIRIUS , Figürliche Grabmäler (wie Anm. 140) S. 383f. 145 K ÜAS , Rundkapellen (wie Anm. 1) S. 128. 146 Ebd. S. 128. Wiprecht von Groitzsch und der hl. Jakobus 95 queña área por él dominada entre los ríos Saale y Pleisse, cuyo centro lo formaba el castillo de Groitzsch cerca de Pegau, entrando en competencia con los otros nobles señores. Fue presumiblemente durante esas confrontaciones que destruyó la iglesia de Santiago de Zeitz entre 1074 y 1080. Como lo narran los Anales de Pegau, Wiprecht emprendió una peregrinación a Roma y Santiago de Compostela a modo de expiación. El relato de los Anales de Pegau no es de fiar en algunos detalles, pero es altamente verosímil que Wiprecht peregrinara realmente a Roma y Santiago de Compostela como penitente. Peregrinaciones de nobles alemanes a Compostela están cada vez más frecuentemente documentadas desde el siglo XI. Otro ejemplo, que casi no fue tomado en cuenta hasta ahora, lo constituye la peregrinación de la noble turingia Paulina, fundadora del monasterio de Paulinzella, quien visitó Roma y Compostela como peregrina a finales del siglo XI. La peregrinación de Wiprecht a Roma y Compostela fue un acto de reparación por la destrucción de la iglesia de Santiago en Zeitz y culminó en la fundación del monasterio de Pegau en 1091, cuya primera piedra fue puesta durante un impresionante acto de penitencia por el fundador mismo. En ocasión de la consagración de la iglesia del monasterio de Pegau en 1096, la esposa de Wiprecht Judith, una hija del rey Vratislav de Bohemia, depositó sobre el altar de Santiago una corona y valiosa vestimenta. La entrega de una corona como ofrenda por parte de reyes y príncipes es algo documentado varias veces en Alemania en esa época y habrá servido de modelo para el acto de Pegau. No es posible demostrar si, más allá de ello, existió alguna relación con el homenaje rendido a la corona en Santiago de Compostela por peregrinos alemanes desde el siglo XIII; el punto queda por debatir. Wiprecht von Groitzsch, quien llegó a formar parte de los príncipes del Reino a comienzos del siglo XII, llegó a ser burgrave de Magdeburgo presumiblemente en 1118. En tal función, fundó una capilla en Halle del Saale que también estaba dedicada a Santiago. Probablemente Wiprecht mismo donó esa capilla al monasterio de Pegau. Al igual que las capillas de los castillos de Wiprecht en Groitzsch y Knautnaundorf, la capilla en Halle consistía en una pequeña rotonda y tenía, por ende, por modelo la arquitectura sacra bohemia de los siglos XI y XII. En un acto de conversión típico para la nobleza, Wiprecht entró al monasterio jacobeo de Pegau en 1124, muriendo allí a los pocos días, un 22 de mayo de 1124. Sobre la tumba de Wiprecht, se erigió en el siglo XIII un monumento sepulcral representativo, que constituye una de las obras de arte más importantes de su tiempo y que se conserva como único resto del monasterio de Pegau. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? M ARKUS C OTTIN UND H ENNING S TEINFÜHRER I Wenn heute von Leipziger Kirchen die Rede ist, so denkt man zunächst an die Thomaskirche oder an St. Nikolai. Neben der Kirche Bachs und d e m symbolischen Ort der friedlichen Revolution von 1989 steht allenfalls noch die 1968 in einem Akt von Kulturbarbarei gesprengte Universitätskirche St. Pauli im Fokus eines öffentlichen bisweilen sogar überregionalen Interesses. Alle übrigen Kirchen der Kernstadt jedoch, deren Geschichte bis in mittelalterliche Zeit zurückreicht, sind aus dem Bewusstsein weitgehend verbannt. Ein besonderes Schattendasein führt dabei die Leipziger Jakobskirche, die außerhalb des Mauerrings im Nordwesten der Stadt lag 1 . Im vorliegenden Beitrag wird insbesondere auf die Gründungs- und Frühgeschichte dieser kleinen Kirche eingegangen und die von der bisherigen Forschung wenig gewürdigte Rolle des Merseburger Bischofs, also des zuständigen Diözesans, bei der Errichtung der Kirche thematisiert. Darüber hinaus sind die Beziehungen zwischen Jakobskirche und dem Schottenkloster in Erfurt von Interesse, dem die Leipziger Kirche zumindest seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts inkorporiert war. Ein kurzer Ausblick auf die Entwicklung der Kirche im Spätmittelalter steht am Ende unserer Ausführungen: St. Jakob wurde mitsamt der zugehörigen Pfarrei 1484 an den Leipziger Rat verkauft und nach Einführung der Reformation 1544 abgebrochen. 1 Zur Geschichte der Leipziger Kirchen vgl. Heinrich M AGIRIUS / Hartmut M AI / Thomas T RAJKOVITS / Winfried W ERNER (Bearb.), Stadt Leipzig. Die Sakralbauten, 2 Bände (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen), hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (München/ Berlin 1995). 98 Markus Cottin und Henning Steinführer II Bevor jedoch auf die Stationen der Entwicklung von St. Jakob im Einzelnen einzugehen sein wird, seien einige allgemeine Ausführungen zur Geschichte der Stadt Leipzig und ihrer Kirchenstruktur vorausgeschickt 2 . Leipzig wird erstmals 1015 in der bekannten Chronik des Thietmar von Merseburg als urbs Libzi erwähnt. Durch die Nachricht über den Tod des Meißner Bischofs Eid ist zugleich die Existenz einer Burg in Leipzig belegt. Zu 1017 ist in derselben Chronik die königliche Schenkung einer Kirche in Leipzig an das Merseburger Hochstift bezeugt 3 . Da für diese Kirche kein Weihename genannt wird, ist nicht eindeutig zu klären, welche der aus späterer Zeit bekannten Leipziger Kirchen gemeint ist. Festzuhalten ist, dass dies die einzige Nachricht bleibt, wonach sich eine Leipziger Kirche im Besitz des Merseburger Hochstifts befand. Diese älteste Leipziger Kirche wird in der Forschung zumeist mit der Peterskirche, deren Weihename Ausweis für eine frühe Gründung ist, identifiziert 4 . Die wohl bedeutendste Quelle aus der Frühzeit der Stadt ist der so genannte Stadtbrief 5 , der in seiner heute überlieferten Form wohl zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstand, dessen Text aber in die Jahre zwischen 1156 und 1170 weist. An der Echtheit des Inhalts ist jedoch nicht zu zweifeln. Danach verlieh Markgraf Otto der Reiche den Bewohnern Leipzigs zwischen 1156 und 1170 Magdeburgisches und Hallisches Stadtrecht, teilte die Fläche der Stadt zur Bebauung aus, verlieh den Bewohnern Marktrecht und regelte die Abgabepflichten. Ferner wurde das Weichbild, also der Geltungsbereich des Stadtrechts, bestimmt. Nur wenige Jahrzehnte später werden im Zusammenhang mit dem Aufbegehren der Leipziger Bürger gegen ihren Stadtherren Markgraf 2 Zur Geschichte der Stadt Leipzig im Mittelalter vgl. Gustav W USTMANN , Geschichte Leipzigs 1 (Leipzig 1905); Neues Leipzigisches Geschicht-Buch, hg. von Klaus S OHL (Leipzig 1990); Leipzig im Mittelalter. Befunde um 1300, im Auftrag des Leipziger Geschichtsvereins hg. von Hennig S TEINFÜHRER / Gerhard G RAF (Leipziger Hefte 16, Beucha 2004). 3 Vgl. Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, ed. Robert H OLTZMANN (MGH SS rerum Germanicarum, nova series 9, Berlin 1935) c. VII, 25, S. 66. 4 Vgl. dazu zuletzt: Gerhard G RAF , Peterskirchen in Sachsen. Ein patrozinienkundlicher Beitrag zum Land zwischen Saale und Neiße bis an den Ausgang des Hochmittelalters (Europäische Hochschulschriften, Reihe III, 834, Frankfurt a. M./ Berlin/ Bern/ New York/ Paris/ Wien 1999) S. 72f. 5 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1, hg. von Karl Friedrich von P OSERN -K LETT (Codex diplomaticus Saxoniae regiae II/ 8, Leipzig 1868) S. 1f., Nr. 2. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 99 Dietrich bereits erste Organisationsformen der Stadtgemeinde erkennbar. Der Aufstand endete mit einem Vergleich, bei dem wohl auch der bereits angesprochene Stadtbrief erneut ausgefertigt werden musste 6 . Einer der Anlässe für die Auseinandersetzungen war offensichtlich die auf markgräfliche Initiative hin erfolgte Gründung eines Augustiner- Chorherrenstifts bei der Pfarrkirche St. Thomas im Jahre 1213. Dem Stift wurden sowohl die Peterskapelle als auch die Nikolaikirche, die noch im 12. Jahrhundert im Zusammenhang mit einer Fernhändlersiedlung entstanden war, inkorporiert. Damit war das Kirchenwesen Leipzigs im Grunde zentralisiert worden 7 . In unserem Zusammenhang ist von Interesse, dass die Jakobskirche in der entsprechenden Urkunde keine Erwähnung findet. Aus diesem Befund darf mit einiger Berechtigung geschlossen werden, dass die Kirche nicht unter der Verfügungsgewalt des Markgrafen stand, gleichwohl aber schon existierte. Ihre erste Erwähnung datiert aus dem Jahr 1226, in einer - allerdings nicht im Original überlieferten - Urkunde Papst Honorius’ III. wird dem Schottenkloster in Erfurt der Besitz der Leipziger Kirche bestätigt 8 . Weitere Erwähnungen, auf die später noch genauer einzugehen sein wird, datieren aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In diese Zeit fallen auch weitere wichtige Stationen bei der Ausbildung des Leipziger Kirchenwesens. Die Dominikaner und Franziskaner lassen sich in der Stadt nieder und unmittelbar südlich der Stadtmauer wird ein dem Heiligen Georg geweihtes Nonnenkloster errichtet. Zwei weitere Kirchen bzw. Kapellen St. Marien und Katharinen datieren ebenso aus dieser Zeit wie die Einrichtung der beiden Hospitäler St. Georg und St. Johannis westlich bzw. östlich vor den Toren der Stadt 9 . Zugleich etablieren sich städtische Strukturen: Ein Leipziger Rat wird erstmals 1270 erwähnt, in den folgenden Jahrzehnten bis 1300 hat er sich bereits weitgehend vom landesherrlichen Schultheißen emanzipiert. Bis zum Ende des Mittelalters entwickelt sich Leipzig zu einer ansehnlichen Mittelstadt mit deutlich über 5.000 Einwohnern 10 . 6 Vgl. dazu Manfred U NGER , Der Stadtbrief und der Bürgeraufstand von 1215/ 16, Arbeitsberichte zur Geschichte der Stadt Leipzig 6 (1964) S. 1-22. 7 Vgl. Jens B ULISCH , Die Kirchenorganisation Leipzigs um 1300, in: Leipzig im Mittelalter (wie Anm. 2) S. 107-119. 8 Helmut F LACHENECKER , Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterlichen Deutschland (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 18, Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 1995) S. 248. 9 Vgl. Anne-Katrin K ÖHLER , Leipziger Klöster um 1300, in: Leipzig im Mittelalter (wie Anm. 2) S. 121-147. 10 Zur Geschichte Leipzigs im Spätmittelalter vgl. zuletzt: Henning S TEINFÜHRER , Die Leipziger Ratsbücher 1466-1500. Forschung und Edition, 1. Halbband (Quellen und Materialien zur Geschichte der Stadt Leipzig 1, Leipzig 2003) S. X-XXXIII. 100 Markus Cottin und Henning Steinführer Im Rahmen der hier in groben Zügen vorgestellten Leipziger Kirchenstruktur steht die Leipziger Jakobskirche samt ihres Pfarrsprengels der so genannten Jakobsparochie eigentümlich am Rand. Diese Randlage hat sich lange Zeit auch auf die Forschungen zur Kirche ausgewirkt. Die frühe Leipziger Chronistik - die leider erst im 16. Jahrhundert einsetzt - weiß immerhin zu berichten, dass St. Peter und St. Jakob die ältesten Kirchen der Stadt seien, auch wenn die allseits beliebte Fabelei, die Gründung von St. Jakob stünde im Zusammenhang mit der Missionierung durch Bonifatius natürlich abzulehnen ist 11 . Für die im 19. Jahrhunderteinsetzende historisch-kritischeAuseinandersetzungmit der Stadtgeschichte, hier seien nur die Namen von Heinrich W UTTKE 12 und Gustav W USTMANN 13 genannt, war St. Jakob dann allenfalls soviel wie ein Appendix, ein Anhängsel, das zu einem fremden Kloster gehörte und mit der Stadt nicht allzu viel zu tun hatte. Die Frage, auf welche Weise die Erfurter Schotten in den Besitz der Kirche gelangten, ob sie eine Kirche gründeten oder eine schon bestehende Kirche übernahmen, wurde zunächst nicht weiter erörtert. Rudolf K ÖTZSCHKE und Herbert H ELBIG lieferten hier neue Anstöße, indem sie vermuteten, dass die Schotten eine deutlich ältere Burgwardkirche übernahmen 14 . Ein vertieftes Nachdenken setzte hier erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts ein, als der damalige Stadtarchivar Ernst M ÜLLER groß angelegte Straßenbauarbeiten im Areal nordwestlich des Stadtzentrums zum Anlass nahm, eine systematische Zusammenstellung von Belegen für die Kirche und die angrenzenden Bereiche vorzunehmen. In diesem Zusammenhang entstand auch eine Karte auf der erstmals eine genaue Lokalisierung der Kirche und der zugehörigen Parochie entlang der Fernstraße in Richtung Westen vorgenommen werden konnte 15 . 11 So bei David Peifer, Das religiöse Leipzig oder Buch III des Leipziger Ursprungs und seiner Geschichte, nach der Übersetzung von Erich von Reeken, bearb. von Gerhard L ÖWE (Leipziger Hefte, Beucha 1996) S. 7. 12 Heinrich W UTTKE , Geschichte Leipzigs bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 1 (1872) S. 98-218. 13 W USTMANN , Geschichte (wie Anm. 2). 14 Vgl. Herbert H ELBIG , Untersuchungen über die Kirchenpatrozinien in Sachsen auf siedlungsgeschichtlicher Grundlage (Historische Studien 361, Berlin 1940) S. 123f.; Rudolf K ÖTZSCHKE , Die Frühzeit deutscher Kultur auf Leipzigs Heimatboden, in: Heimatgeschichte für Leipzig und den Leipziger Kreis, hg. von Karl R EUMUTH (Leipzig 1927) S. 51-122, hier S. 86. 15 Ernst M ÜLLER , Die Rannische Vorstadt in ihrer älteren geschichtlichen Entwicklung, Aus Geschichte und Neuaufbau der ehemaligen Rannischen Vorstadt Leipzigs, hg. von Heinz F ÜSSLER (Leipziger stadtgeschichtliche Forschungen 1, Leipzig 1952) S. 9-18, hier S. 10, Abb. 1. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 101 Ein Problem, das zumindest den Mittelalterhistoriker fast täglich begleitet, tritt auch bei der Lektüre der Arbeit M ÜLLER s deutlich zu Tage: die Quellenarmut. Bevor die Pfarrkirche 1484 an die Stadt gelangte, geben nur verschwindend wenige Urkunden Nachricht von ihrer Geschichte. Erschwerend kommt im konkreten Fall hinzu, dass die Überlieferung des Erfurter Schottenklosters, von der man ja die entscheidenden Nachrichten erwarten dürfte, als verloren zu gelten hat 16 . Bei der Lösung der Probleme rund um St. Jakob sind also Kombinationsgabe und Mut zur Thesenbildung gefragt. Das sind Tugenden, die in den jüngsten Arbeiten zur Geschichte von St. Jakob zu Geltung kommen. Der Leipziger Kirchenhistoriker Gerhard G RAF sieht die Entstehung von St. Jakob im Zusammenhang mit einem System von Kaufleutekirchen entlang der Fernstraßen (als ähnlich gelagerte Fälle werden etwa Meißen, Colditz, Wurzen und 16 Vgl. F LACHENECKER , Schottenklöster (wie Anm. 8) S. 248. Abb. 1: Die Rannische Vorstadt bis in 16. Jahrhundert. Abbildungsnachweis: Ernst Müller, Die Rannische Vorstadt in ihrer älteren geschichtlichen Entwicklung, in: Aus Geschichte und Neuaufbau der ehemaligen Rannischen Vortstadt Leipzigs, hg. von Heinz Füßler (Leipziger stadtgeschichtliche Forschungen 1, Leipzig 1952) S. 10, Abb. 1. 102 Markus Cottin und Henning Steinführer Zeitz angeführt) 17 . Noch einen Schritt weiter geht Christoph K ÜHN , der sich zuletzt intensiver mit St. Jakob beschäftigte. Einer These Walter S CHLESINGER s folgend 18 , geht er davon aus, dass die Leipziger Kirche eine Seelsorgeeinrichtung für Erfurter Fernkaufleute war, die die Schottenmönche unmittelbar an der Fernstraße nach Erfurt schufen. Weiterhin vermutet er auch darüber hinausgehende Ambitionen des Erfurter Klosters, die vielleicht bis hin zu einer geplanten Klostergründung in Leipzig gereicht haben könnten 19 . Soweit in aller Kürze zum Stand der Forschung. III Im Gegensatz zu den bisherigen Versuchen, sich der Frühgeschichte der Leipziger Jakobskirche und damit einem interessanten Aspekt der Stadtentwicklung zu nähern, soll im Folgenden der Blick auf die Stellung der Leipziger Jakobskirche innerhalb der Merseburger Bistumsorganisation gelenkt werden. Ein Leipziger Erzpriester ist erstmals 1369 belegt 20 . Dieses Amt war, wie spätere urkundliche Nachrichten zeigen, mit der Leipziger Pfarrei St. Jakob verbunden. Es stellt sich damit die Frage, wann die Jakobskirche, die ja völlig außerhalb der gewöhnlichen Leipziger Kirchenorganisation stand, in die Verwaltung des Merseburger Bistums einbezogen wurde. Dazu muss etwas weiter ausgeholt werden. Das Bistum Merseburg war 968 gegründet, aber bereits 981 wieder aufgelöst worden 21 . 1004 kam es zur Wiederbegründung und umfangreichen Ausstattung durch König Heinrich II. Bei der Wiederbegründung war der Umfang der 17 Vgl. Gerhard G RAF , Die Anfänge der Stadt Leipzig anhand ihrer Patrozinien, in: Leipziger Kalender (Leipzig 1999) S. 73-86, hier S. 76f. 18 Vgl. Walter S CHLESINGER , Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter 2: Das Zeitalter der Deutschen Ostsiedlung (1100-1300) (Mitteldeutsche Forschungen 27/ II, Köln 1983) S. 412. 19 Vgl. Christoph K ÜHN , „sancti Jacobi parrochiarum Lipzensium“ Zur Jakobusverehrung in Leipzig, Sternenweg 26 (2000) S. 3-18, hier S. 6-8 sowie D ERS ., Schottenmönche - Jakobspilger - Vorstadtbewohner. Über einen (wieder) populären Heiligenkult und seine Spuren im Umfeld der Leipziger Jacobstraße 1, Waldstraßenviertel 14 (1999) S. 24-27; 2, ebd. 16 (2000) S. 6-21. 20 Zu den Erzpriestern der Merseburger Diözese vgl. Leo B ÖNHOFF , Das Bistum Merseburg, seine Diözesangrenzen und seine Archidiakonate, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 32 (1911) S. 201-269, hier S. 62-264. 21 Zur frühen Geschichte des Bistums Merseburg zuletzt: Ernst-Dieter H EHL , Merseburg - eine Bistumsgründung unter Vorbehalt. Gelübde, Kirchenrecht und politischer Spielraum im 10. Jahrhundert, Frühmittelalterliche Studien 31 (1997) S. 96-119. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 103 Diözese etwas zugunsten des Bistums Meißen beschnitten worden 22 . Der geistliche Sprengel des Merseburger Bischofs umfasste einen schmalen Streifen westlich der Saale, im Osten erstreckte er sich bis zur Mulde. Die Nordgrenze ist mit einer Linie von Schkeuditz über Taucha nach Püchau beschrieben, die Südgrenze verläuft von Pegau und Groitzsch bis nach Penig. Von einer bischöflichen Kirchengründung zu Beginn des 11. Jahrhunderts wissen wir sicher aus Schkeitbar. Diese ist ebenso wie Keuschberg Mittelpunkt einer großen Urpfarrei. Auch die Kirche von Zwenkau, die über einen großen Sprengel verfügte, wird eine bischöflich-merseburgische Gründung sein. Mit der im 12. Jahrhundert einsetzenden deutschen Ostsiedlung entstanden zahlreiche neue Kirchen auf dem Gebiet der Diözese. Initiatoren waren dabei adlige Siedlungsunternehmer, die Markgrafen von Meißen als Landesherren und nicht zuletzt die bäuerlichen Gemeinden. Insgesamt umfasste die Diözese Merseburg nach Abschluss der Besiedlung rund 230 Pfarrkirchen. Zur Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Bischofs war es notwendig, die Diözese weiter zu untergliedern. Dies geschah mit der Einrichtung von Archidiakonatsbezirken, deren Inhabern, den Archidiakonen, jeweils ein fest umrissener Teil der Diözese zustand 23 . 1186 wird in Merseburg erstmals das Amt des Archidiakons genannt, aber als bekannt vorausgesetzt 24 . 1225 bzw. 1233 war die Ausbildung der Archidiakonate abgeschlossen, damals gab es fünf Archidiakonate 25 . Westlich der Saale erstreckte sich der Archidiakonat des Dompropstes, zwischen Saale und Elster der Archidiakonat Keuschberg. Nördlich von Leipzig befand sich der Archidiakonat des Merseburger Domdekans. Der Archidiakonatsbezirk um Geithain und Rochlitz stand dem Propst von Zschillen zu. Dieser Archidiakonat war 1186 auf Bitten des Grafen Dedo, Stifter des Augustiner-Chorherrenstifts Zschillen, gebildet wor- 22 ZurKirchenorganisation vgl.Karlheinz B LASCHKE / WaltherH AUPT / Heinz W IESSNER , Die Kirchenorganisation in den Bistümern Meißen, Merseburg und Naumburg um 1500 (Weimar 1969) S. 33-36, 74f., Kartenblatt 1. 23 Zur Archidiakonatsverfassung in den Bistümern Merseburg, Meißen und Zeitz (Naumburg) vgl. S CHLESINGER , Kirchengeschichte (wie Anm. 18) S. 483-493. 24 Vgl. Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg 1: 962-1357, bearb. von Paul Fridolin K EHR (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 36, 1, Halle 1899) S. 107f., Nr. 129. 25 Zum Zusammenhang von Siedlung und Kirchenorganisation im Bistum Merseburg vgl. Karlheinz B LASCHKE , Der Beitrag der Kirche zur Erschließung des Leipziger Landes im hohen Mittelalter, in: Zur Kirchen- und Siedlungsgeschichte des Leipziger Raumes, hg. von Lutz H EYDICK / Uwe S CHIRMER / Markus C OTTIN (Leipziger Land. Jahrbuch für Historische Landeskunde und Kulturraumforschung 2, Beucha 2001) S. 9-25. 104 Markus Cottin und Henning Steinführer den. Den Rest der Diözese bildete ein Archidiakonat, der 1344 mit dem Amt des Scholastikus verbunden wurde 26 . Die Archidiakone fungierten in ihren Sprengeln als Vertreter des Bischofs, ihnen unterstand also der niedere Klerus, über den sie Gericht hielten, ihn visitierten und in die Ämter einwiesen. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts wurden die einzelnen Archidiakonate mit Ämtern des Domkapitels verbunden. Im Auftrag der Domherren nahmen dann zumeist Offiziale die Pflichten des Archidiakons wahr. Parallel zur Archidiakonatsverwaltung entwickelte sich in den 968 eingerichteten Bistümern Meißen, Merseburg und Zeitz (später nach Naumburg verlegt) eine weitere Einrichtung, nämlich die der Erzpriester und Landdekane 27 . In der Meißner Diözese stellten die Erzpriestersitze tatsächlich eine weitere Untergliederung der Archidiakonate dar, was wohl der Größe der Diözese geschuldet war. Im Bistum Naumburg gab es nur ansatzweise diese Untergliederung, im Bistum Merseburg existierten die Erzpriestersitze neben den Archidiakonaten. Der erste Beleg eines Merseburger Erzpriesters stammt von 1270 28 und gehört in eine Zeit intensivster Auseinandersetzungen der Merseburger Bischöfe mit den Markgrafen von Meißen. Früher liegen die Belege in den Nachbardiözesen: in Naumburg wird 1154 ein Erzpriester erwähnt 29 , 1214 ein Erzpriester des Meißner Bischofs. Daraus wird man schließen dürfen, dass das Amt des Erzpriesters parallel zur Bildung der Archidiakonate entstand. Beide Einrichtungen existierten nebeneinander, so sprach der Merseburger Bischof 1270 ausdrücklich von seinem Erzpriester 30 , also ohne eine Unterordnung unter den Archidiakon zu erwähnen. Über die Zuständigkeit der Erzpriester heißt es in den Quellen, dass sie Aufgaben der geistlichen Gerichtsbarkeit in der Form des Sendgerichts wahrnahmen, aber auch als Schiedsrichter fungierten. Diese Befugnisse sind, folgt man Walter S CHLESINGER , insbesondere im 12. und 13. Jahrhundert wahrgenommen worden, später wurden sie stark zurückgedrängt. Mit der Kenntnis über die Entstehung und die Zuständigkeit des Erzpriesteramts ist es möglich, die Leipziger Jakobskirche sowie ihrer Verbindung nach Merseburg zeitlich einzuordnen. 26 Urkundenbuch Hochstift Merseburg (wie Anm. 24) S. 844f., Nr. 980. 27 Vgl. S CHLESINGER , Kirchengeschichte (wie Anm. 18) S. 493-498. 28 Urkundenbuch Hochstift Merseburg (wie Anm. 24) S. 296-298, Nr. 365. 29 Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg 1: (967-1207), bearb. von Felix R OSENFELD (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt 2, 1, Magdeburg 1926) S. 201f., Nr. 220. 30 Urkundenbuch Hochstift Merseburg (wie Anm. 24) S. 296-298, Nr. 365, hier S. 297: ... archipresbitero nostro.... Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 105 In den schriftlichen Quellen zur Jakobskirche, die seit 1226 berichten, gehört diese stets zum Erfurter Schottenkloster 31 . Es bleibt im Dunkeln, wann die Pfarrstelle der Jakobskirche mit dem Amt des Leipziger Erzpriesters verknüpft wurde. Sicher ist jedoch, dass allein dem Merseburger Bischof die Einrichtung eines solchen Erzpriesterstuhls zustand. Es kann ausgeschlossen werden, dass die Merseburger Bischöfe dieses Amt an einer Kirche eingerichtet haben, die ihrer Verwaltung entzogen war. Man wird also annehmen dürfen, dass die Leipziger Jakobskirche vor 1226 zum Merseburger Hochstift gehört hat und im Zuge der sich entfaltenden kirchlichen Verwaltung hier ein Erzpriestersitz eingerichtet wurde. Für den Gründungsakt der Kirche könnte man eine zeitliche Eingrenzung vornehmen, indem man archäologische Befunde aus dem Gebiet der Jakobspfarrei heranzieht. Die hier gefundenen Scherben reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück 32 . In unmittelbarer Nachbarschaft zur Jakobsparochie, im unmittelbar südlich anschließenden Naundörfchen, ist Besitz der Merseburger Bischofskirche bereits 1050 belegt. Damals schenkte Kaiser Heinrich III. dem Bistum das Naundörfchen mit allem Zubehör 33 . Dies lässt die Annahme zu, dass die Merseburger Bischöfe bereits früh versucht haben in der Nähe Leipzigs, wo sie zudem über eine Kirche verfügten, ihre Herrschaft zu intensivieren. Mit der Stadtrechtsverleihung durch den Meißner Markgrafen Otto den Reichen zwischen 1156 und 1170 deutete sich die künftige Attraktivität Leipzigs bereits an 34 . Diese Attraktivität der Stadt veranlasste die Merseburger Bischöfe schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts, Anspruch auf Leipzig zu erheben 35 . Dabei behauptete man, die Stadt wäre innerhalb eines ehemaligen Waldgebietes entstanden, das einst 31 Vgl. F LACHENECKER , Schottenklöster (wie Anm. 8) S. 248. 32 Vgl. Herbert K ÜAS , Über die stadtgeschichtlichen Untersuchungen und Bodenfunde im Gelände der Neubauten an der Straße der III. Weltfestspiele, in: Aus Geschichte und Neuaufbau der ehemaligen Rannischen Vorstadt Leipzigs, hg. von Heinz F ÜSSLER (Leipziger stadtgeschichtliche Forschungen 1, Leipzig 1952) S. 50-59. 33 Urkundenbuch Hochstift Merseburg (wie Anm. 24) S. 62f., Nr. 71. Der Eintrag in einem Merseburger Kopialbuch des 15. Jahrhunderts, wonach der Ort Naundorf bei Schkeuditz wüst liege, ist einem Irrtum des Abschreibers geschuldet, der durch die spätere Veräußerung des Naundörfchens den Ort nicht mehr als merseburgischen Besitz identifizieren konnte. 34 Vgl. Manfred U NGER , Stadtgemeinde und Bürgerkämpfe (um 1165-1307), in: Neues Leipzigisches Geschicht-Buch, hg. von Klaus S OHL (Leipzig 1990) S. 26-53, hier S. 26-33. 35 Zu den Ansprüchen der Merseburger Bischöfe an Leipzig vgl. Markus C OTTIN , Auf dem Weg zur Landesherrschaft - Leipzig in den Auseinandersetzungen zwischen Merseburger Bischöfen und Wettinern am Ende des 13. Jahrhunderts, in: Leipzig im Mittelalter (wie Anm. 2) S. 73-105. 106 Markus Cottin und Henning Steinführer dem Merseburger Hochstift geschenkt worden war. Die Urkunde, auf die sich die Merseburger Ansprüche bezogen, war extra zu diesem Zweck gefälscht worden und wurde stets zum Beweis der angeblichen Ansprüche wieder herangezogen. Namentlich Bischof Ekkehard, aus der Familie der Reichsministerialen Rabil, meldete gegenüber dem unmündigen Markgrafen Heinrich dem Erlauchten Ansprüche auf Leipzig und darüber hinaus auf Naunhof, Groitzsch, Borna und Grimma, die allesamt unbestrittener wettinischer Besitz waren, an 36 . Die letzten beiden Orte verdienen unsere Aufmerksamkeit, da sich hier wiederum eine Brücke zur Leipziger Jakobskirche schlagen lässt. So gab es in Witznitz bei Borna und in den Orten Trebsen sowie Lobschütz bei Grimma ebenfalls Erzpriester, die dem Merseburger Bischof unterstanden 37 . Es scheint also, als hätten die Merseburger Bischöfe die Einrichtung von Erzpriestersitzen an den Stellen gefördert, wo sie glaubten, weltliche Herrschaftsrechte durchsetzen zu können. Die Ersterwähnung eines Merseburger Erzpriesters 1270 gehört ebenfalls in eine Zeit heftiger Auseinandersetzungen um die Stadt Leipzig. In seiner Verhängung des Interdikts berichtete Bischof Friedrich I. damals, der Markgraf habe seinem Erzpriester ein Pferd gestohlen und ihn der Ausübung des Sendgerichts behindert. Daran wird deutlich, dass an der Person des Erzpriesters und dessen Befugnissen Anstoß genommen wurde. Auch Bischof Ekkehard versuchte zu Beginn des 13. Jahrhunderts, seine Ansprüche gegenüber dem unmündigen Markgraf Heinrich mit Interdikt und Exkommunikation zu unterstützen, wählte also Mittel der kirchlichen Gerichtsbarkeit in einer weltlichen Auseinandersetzung. Immerhin führte dies zu einer Abstandszahlung des Markgrafen, die einer förmlichen Anerkennung der merseburgischen Ansprüche auf die genannten Orte - Leipzig, Naunhof, Grimma, Borna und Groitzsch - gleichkam. Wenige Jahre zuvor, 1213, war das Leipziger Kirchenwesen dahingehend zentralisiert worden, dass Markgraf Dietrich dem Augustiner- Chorherrenstift die Nikolaikirche und die Kapelle St. Peter inkorporiert hatte 38 . Die Jakobskirche wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, doch könnte aus der Inkorporation ein Streit entstanden sein, der 1239 36 Chronica episcoporum ecclesiae Merseburgensis, hg. von Roger W ILMANS (MGH SS 10, Hannover 1852) S. 157-212, hier S. 190f. 37 Vgl. B ÖNHOFF , Bistum (wie Anm. 20) S. 263f. Möglich ist, dass die benachbarten Erzpriestersitze Trebsen und Löbschütz identisch sind, zumal letzterer Ort im Spätmittelalter nicht zum Bistum Merseburg gehörte, geschweige denn eine Pfarrkirche besaß. Dieser Punkt verdient noch eine genauere Betrachtung. 38 Vgl. U NGER , Stadtgemeinde (wie Anm. 34) S. 34f. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 107 durch den Merseburger Bischof entschieden wurde 39 . Die beiden Streitparteien, das Leipziger Augustiner-Chorherrenstift St. Thomas und das Erfurter Schottenkloster, einigten sich dahingehend, dass die Häuser östlich des Friedhofs der Jakobskirche künftig kirchlich der Thomaskirche unterstehen sollten. Der genaue Umfang des Pfarrsprengels von St. Jakob wird erst im 15. Jahrhundert deutlich: lediglich 15 Häuser am Ranstädter Steinweg bildeten die Jakobsparochie 40 . Folgte man dem Ranstädter Steinweg nach Westen, in Richtung Merseburg, so wurde eindrucksvoll deutlich, wie sich der Hochstiftsbesitz bis vor die Tore Leipzigs erstreckte. Nach etwa 1,5 km traf man auf das Dorf Lindenau, das Lehnsbesitz der Merseburger Bischöfe war. Die hier ansässigen Ministerialen von Lindenau sowie die mit ihnen verwandte Familie von Leutzsch, das nördlich liegt, gehörten seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert zur Ministerialität der Merseburger Bischöfe 41 . Die Dörfer südlich von Lindenau, Plagwitz und Kleinzschocher, waren ebenfalls stiftsmerseburgischer Besitz 42 . Es wurde bereits angesprochen, dass das der Jakobsparochie unmittelbar benachbarte Naundörfchen ebenfalls Besitz der Merseburger Bischofskirche war. Dies erhellt nicht nur aus der bereits genannten Schenkungsurkunde von 1050, sondern ferner aus einer Urkunde von 1285 43 . Damals wurden das Naundörfchen sowie die Leipziger Barfußmühle an das Kloster Seußlitz (sw. Großenhain) verkauft, wobei den Lehnsrechten des Merseburger Bischofs Erwähnung geschieht. Naundörfchen und Barfußmühle waren Ende des 13. Jahrhunderts aber bereits in der Hand der Markgrafen von Meißen, der Stadtherren von Leipzig. An diese verstreuten urkundlichen Nachrichten zum Besitz des Merseburger Hochstifts sowie zum Naundörfchen und zur Jakobskirche lassen sich zwei Beobachtungen 39 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 2, hg. von Karl Friedrich von P OSERN -K LETT (Codex diplomaticus Saxoniae regiae II/ 9, Leipzig 1870) S. 9f., Nr. 12. 40 Vgl. M ÜLLER , Vorstadt (wie Anm. 15) S. 13; Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 438f., Nr. 527. 41 Harald S CHIECKEL , Herrschaftsbereich und Ministerialität der Markgrafen von Meißen im 12. und 13. Jahrhundert. Untersuchungen über Stand und Stammort der Zeugen markgräflicher Urkunden (Mitteldeutsche Forschungen 7, Köln 1956) S. 115; Susanne B AUDISCH , Lokaler Adel in Nordwestsachsen. Siedlungs- und Herrschaftsstrukturen vom späten 11. bis zum 14. Jahrhundert (Geschichte und Politik in Sachsen 10, Köln 1999) S. 107f., 256, 312. 42 Dies ergibt sich aus der späteren Zugehörigkeit der beiden Orte zum stiftsmerseburgischen Amt Lützen, vgl. Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen. Neuausgabe, 2. Halbband: N-Z, bearb. von Susanne B AUDISCH , hg. von Karlheinz B LASCHKE (Quellen und Materialien zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 2, Leipzig 2006) S. 565f. (Plagwitz), 852 (Kleinzschocher). 43 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 10, Nr. 13. 108 Markus Cottin und Henning Steinführer knüpfen. Zunächst ist feststellbar, dass ein Besitzstrang des Merseburger Hochstifts, der Straße von Merseburg nach Leipzig folgend, bis vor die Tore der markgräflichen Stadt reichte. Ferner ist auffällig, dass die eng beieinander liegenden Siedlungskomplexe Naundörfchen, Barfußmühle und Jakobsparochie sämtlich zu weit entfernten Klöstern gehörten. Während der Verkauf des Naundörfchens und der Barfußmühle urkundlich belegt ist, fehlt ein solches Zeugnis für die Jakobsparochie. Der Verkauf des Naundörfchens und der Barfußmühle gehört in die Zeit intensiver innerwettinischer Auseinandersetzungen 44 . In diese Familienstreitigkeiten hatten auch die Merseburger Bischöfe eingegriffen und dadurch ihr Hochstiftsgebiet in Richtung Leipzig ausdehnen können. 1284/ 85 war es zur Annäherung mit dem Wettiner Markgraf Dietrich von Landsberg und dessen Nachfolger Friedrich Tuta gekommen. In den Zusammenhang dieser Entspannung gehört der Verkauf des Naundörfchens und der Barfußmühle an das Kloster Seußlitz unter Zustimmung des Merseburger Bischofs. Eine ähnliche Situation lag zu Beginn des 13. Jahrhunderts vor, als der Merseburger Bischof Ekkehard von Markgraf Heinrich eine Abstandszahlung erhalten hatte, die einer Anerkennung der merseburgischen Ansprüche auf die Städte Leipzig, Borna, Grimma, Naunhof und Groitzsch gleichkam. In diesem Zusammenhang könnte die Veräußerung der Jakobsparochie durch den Merseburger Bischof erfolgt sein, so dass der damit verbundene Erzpriesterstuhl künftig seinem Einfluss entzogen war. Für den Verkauf bleibt der Zeitraum kurz nach dem Tod Markgraf Dietrichs, also nach 1221 45 . Markgraf Heinrich war zu dieser Zeit erst drei Jahre alt, so dass ihm als Vormund Landgraf Ludwig IV. von Thüringen beigegeben wurde. Der Landgraf übte die Vormundschaft bis zu seinem Tode 1227 aus, war aber durch Streitigkeiten mit der Markgräfin Jutta, der Mutter Markgraf Heinrichs, faktisch seit 1224 handlungsunfähig. Es bleibt also für die zeitliche Erstreckung der Vormundschaft Landgraf Ludwigs IV. ein enger zeitlicher Rahmen von 1221 bis 1224. In dieser Zeit muss die Abstandszahlung an den Merseburger Bischof Ekkehard geleistet worden sein. Der Zeitraum liegt in unmittelbarer Nähe zur Ersterwähnung der Leipziger Jakobskirche von 1226 46 . Damals bestätigte Papst Honorius III. dem Erfurter Schottenkloster seine Besitzungen, darunter auch die Leipziger Jakobskirche. Aus den Kenntnissen über die päpstliche 44 Vgl. C OTTIN , Landesherrschaft (wie Anm. 35) S. 94f. 45 Vgl. hierzu Karlheinz B LASCHKE , Geschichte Sachsens im Mittelalter (Berlin 2 1991) S. 277; Jörg R OGGE , Die Wettiner. Aufstieg und Fall einer Dynastie im Mittelalter (Ostfildern 2005) S. 59f. 46 F LACHENECKER , Schottenklöster (wie Anm. 8) S. 248. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 109 Kanzlei ergibt sich 47 , dass eine solche Besitzbestätigung nicht auf Veranlassung des Ausstellers, also des Papstes, geschah. Vielmehr musste der Betroffene, in diesem Falle das Erfurter Schottenkloster, selbst aktiv werden und an der päpstlichen Kurie um die Besitzbestätigung bitten. Eine derartige Bestätigung war mit immensen Kosten verbunden, so dass davon auszugehen ist, dass das Erfurter Schottenkloster zielgerichtet 1226 die Besitzbestätigung eingeholt hat, um sich die große Neuerwerbung der Leipziger Jakobsparochie rechtlich abzusichern. Wie beim Kloster Seußlitz später handelte es sich nicht um einen gezielten Gebietsaufbau bei Leipzig sondern um zufälligen Streubesitz. Aus der schmalen Überlieferung zum Erfurter Schottenkloster ist sonst nur der Besitz der Pfarrkirche St. Mauritius in Krautheim, also wenige Kilometer nordöstlich von Erfurt, bekannt. Es ist damit auffällig, dass die Nahtstelle zwischen dem Besitz der Markgrafen von Meißen und der Bischöfe von Merseburg, unmittelbar vor Leipzig gelegen, am Ende des 13. Jahrhunderts in dem Besitz des Erfurter und des Seußlitzer Klosters einen Puffer hatte. Angesichts der lehnsherrlichen Verhältnisse, die in der Frühzeit auf das Hochstift Merseburg deuten, kann angenommen werden, dass die Jakobskirche kirchlich ursprünglich nicht nur für die Jakobsparochie zuständig war, sondern ebenso für das südlich angrenzende Naundörfchen. Die beiden Siedlungskomplexe waren durch Gassen miteinander verbunden und wurden durch den Lauf des Elster- und Pleißemühlgrabens begrenzt. Die künstlich angelegten Gräben existierten bereits im 12. Jahrhundert 48 . Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Naundörfchen und Jakobsparochie würde erklären, weshalb die Siedlung am Ranstädter Steinweg nicht über einen eigenen Ortsnamen verfügte, sondern lediglich „Jakobsparochie“, also nach ihrer kirchlichen Zugehörigkeit, genannt wurde. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Sonderstellung der Leipziger Jakobskirche ein neues Licht auf die Frühgeschichte der Stadt Leipzig wirft. Angesichts des Bestehens eines Erzpriestersitzes muss die Kirche einst zum Besitz des Merseburger Hochstifts gehört haben. Dafür spricht ferner, dass nicht nur die westlich anschließenden Dörfer sondern auch das unmittelbar vor der Stadt Leipzig liegende Naundörfchen sowie die 47 Thomas F RENZ , Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2, Stuttgart 2 2000); Ernst P ITZ , Supplikensignatur und Briefexpedition an der römischen Kurie im Pontifikat Papst Calixts III. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 42, Tübingen 1972). 48 Vgl. Georg G REBENSTEIN , Die Leipziger Gewässer von der Jahrtausendwende bis zur Gegenwart (Neue Ufer 3, Leipzig 1998) S. 10-13. 110 Markus Cottin und Henning Steinführer Barfußmühle Lehnsbesitz der Merseburger Bischofskirche waren. Die Veräußerung dieses Besitzkomplexes geschah offenbar in zwei Schritten in den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts sowie 1285, wobei die parochiale Zusammengehörigkeit von Jakobsparochie und Naundörfchen aufgelöst wurde. Diese These zur Leipziger Frühgeschichte korrespondiert mit den Bestimmungen des so genannten Leipziger Stadtbriefs, wonach die Leipziger Bürgerschaft einem Dekan Gehorsam schulden 49 . Dieser wird mit dem Merseburger Domdekan, in dessen Archidiakonat Leipzig lag 50 , identisch sein. Der Einfluss der Merseburger Bischöfe ist bislang vor allem aufgrund der weltlichen Befugnisse der Bischöfe untersucht worden. Das Beispiel der Jakobskirche deutet jedoch an, dass offenbar auch geistliche Befugnisse für die Durchsetzung von weltlichen Ansprüchen eingesetzt wurden. Künftige Forschungen zur Leipziger Jakobskirche und deren Umfeld müssen noch stärker die Abgabenstruktur dieser Siedlung heranziehen 51 sowie das Verhältnis zur nördlich benachbarten „Alten Burg“ untersuchen. Nach dem Kauf der Jakobsparochie durch den Leipziger Rat 1484 setzt eine intensive Schriftlichkeit zur Kirche ein. Diese harrt auch im Hinblick auf rückschreibende Fragestellungen der Auswertung. IV Abschließend sei noch kurz auf die Geschichte der Jakobskirche bis zu ihrem Abbruch im Gefolge der Reformation eingegangen. Der Sprengel blieb stets klein, er umfasste am Ende des Mittelalters gerade einmal 15 Hofstellen. Über die wirtschaftliche Struktur dieser vorstädtischen Siedlung erfährt man 1288, dass der Abt des Erfurter Schottenklosters bemüht war, Handwerker und Gewerbetreibende anzusiedeln, was zunächst offenbar auf den Widerstand der Stadt traf. Schließlich gestattete der Rat, dass sich zwei Bäcker und zwei Wollweber im Bereich der Jakobskirche ansiedeln durften 52 . Im 15. Jahrhundert wird das Streben des Leipziger Stadtrates spürbar, seinen Einfluss auf die Kirchen der Stadt auszudehnen. Im Falle von St. Jakob kommt zweifellos hinzu, 49 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 1f., Nr. 2. 50 B LASCHKE / H AUPT / W IESSNER , Kirchenorganisation (wie Anm. 22) S. 34f. 51 Dazu zusammenfassend Karlheinz B LASCHKE , Stadtplanforschung. Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des hochmittelalterlichen Städtewesens in Mittel-, Ost- und Nordeuropa (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse 138, 4, Stuttgart 2003). 52 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 11f., Nr. 16. Die Leipziger Jakobskirche - ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? 111 dass auf Seiten der Stadt zweifellos auch Interesse an der zugehörigen Siedlung bestand, die längst in den städtischen Organismus hineingewachsen war. Dies ist der Kontext in den mehrere Streitfälle zwischen dem Rat und dem Erfurter Kloster gehören, die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts nachweisbar sind 53 . Im Ergebnis erwarb der Rat im Jahre 1484 die Jakobsparochie für insgesamt 300 fl. Als Grund für den in mehreren Urkunden ausführlich dokumentierten Verkauf der Kirche wird der schlechte Zustand des Erfurter Klosters angeführt 54 . Mit der Übernahme durch den Rat ändert sich für den Historiker übrigens die Quellenlage grundlegend. Besonderen Wert unter den nun zahlreichen Nachrichten haben zweifelsohne die 1485 einsetzenden und bis zum Ende der Kirche 1544 reichenden Kirchenrechnungen, aus dem Jahr 1492 hat sich ein Inventar der Kirche erhalten 55 . Die vielleicht vorhandenen finanziellen Erwartungen des Rates erfüllten sich indes kaum, die Einkünfte der Pfarre reichten nicht einmal aus, um die Ansprüche der städtischen Kanzleibediensteten zu befriedigen. So resignierte der Stadtschreiber und spätere Syndikus Dr. Peter Freitag, die 1491 an ihn gefallene Pfründe nach kurzer Zeit wieder, da sie offensichtlich nicht genug einbrachte 56 . Heute erinnert lediglich ein Straßenname an die Existenz der Kirche, das Areal der ehemals kleinteiligen Siedlung ist seit den 1950er Jahren zu einer breiten Ausfallstraße umgestaltet worden, die im Rahmen der Vorbereitungen auf die Fußballweltmeisterschaft ihren finalen Ausbau erfuhr, ohne das dabei Rücksicht auf die stadtgeschichtliche Bedeutung des Gebietes genommen worden wäre. Von der Leipziger Stadtgeschichtsforschung sind für die Frühgeschichte der Leipziger Jakobskirche ganz unterschiedliche Erklärungsmuster angeboten worden. Im vorliegenden Beitrag ist versucht worden, den bisherigen Deutungen eine neue Sichtweise an die Seite zustellen, indem die lange vernachlässigte Rolle des Merseburger Bischofs genauer in den Blick genommen wurde. Die Gründung der Leipziger Jakobskirche ging wahrscheinlich auf bischöfliche Initiative zurück. Erst später, im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts, gelangten Kirche 53 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 434f., Nr. 525. 54 Urkundenbuch der Stadt Leipzig 1 (wie Anm. 5) S. 438f., Nr. 527: ... quod dum monasterium nostrum in abbatiali nedum verum ex ipsi adiacente ecclesia sancti Jacobi Schottorum parrochiali in opido Erffurdensi aedificiis et structuris ligneis ac lapideis ruinosum. 55 Stadtarchiv Leipzig, Urk.-K. 82, 11-14. 56 Henning S TEINFÜHRER , Die Leipziger Ratsbücher 1466-1500. Forschung und Edition, 2. Halbband (Quellen und Materialien zur Geschichte der Stadt Leipzig 1, Leipzig 2003) S. 88, Nr. 1195, S. 124f., Nr. 1281. 112 Markus Cottin und Henning Steinführer und Pfarrei in den Besitz des Erfurter Schottenklosters, dies geschah im Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen und den Wettinern um den Einfluss in Leipzig, wobei die Merseburger unterlagen. Relativierend bleibt jedoch festzuhalten, dass es auf Grund der desolaten Quellenlage nur schwer möglich ist, gesicherte Aussagen zu treffen. Umso wichtiger ist die weitere Diskussion. Resumen: En la presente aportación, los autores discuten el rol desempeñado por la iglesia de Santiago de Leipzig en la época temprana del desarrollo urbano en los siglos XII y XIII. Por cuanto dependía del monasterio escocés de Erfurt, la iglesia parroquial hasta ahora apenas fue tomada en cuenta por los investigadores. Como el puesto de párroco de la iglesia de Santiago estaba ligado al oficio de arcipreste de Leipzig, cabe preguntarse cuál fue el rol del obispo de Merseburg al fundarse la iglesia. Al parecer, éste trató de imponer sus pretensiones sobre la ciudad de Leipzig frente al margrave de Meißen del linaje de los Wettiner sirviéndose de sus prerrogativas eclesiásticas. No lo logró. Por lo contrario, en el curso del siglo XIII tuvieron que ser vendidos los bienes del “hochstift” (territorio eclesiástico) situados en las inmediaciones de Leipzig, entre ellos presumiblemente la iglesia de Santiago. Investigadores futuros han de mostrar si la posición de la iglesia de Santiago de Leipzig en la administración eclesiástica y el contexto político del siglo XIII realmente entrega una nueva clave para investigar la historia temprana de Leipzig. Reliquienschatz und Pilgerstrom Spuren der Verehrung des Apostels Jacobus maior am Halberstädter Dom J ÖRG R ICHTER Was geschah, wenn einer Kathedrale unvermittelt ein überaus kostbarer Reliquienschatz zufiel? Welche Rahmenbedingungen mussten geschaffen werden, um Pilger zu diesem neuen Heiltum zu ziehen? Und welche Rolle kam dabei dem Patron der Pilger, dem Apostel Jacobus maior zu? Am Beispiel des Halberstädter Domes soll diesen Fragen im Folgenden nachgegangen werden. Vor 800 Jahren, am 16. August 1205, kehrte der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk vom 4. Kreuzzug an seinen Amtssitz zurück. Mehr als drei Jahre war der Bischof unterwegs gewesen: Von Halberstadt über die Alpen zunächst nach Venedig, von dort mit dem Heer der Kreuzfahrer nach Dalmatien. Im April 1204 erlebte Konrad von Krosigk dann die Eroberung von Konstantinopel und die Errichtung des Lateinischen Kaiserreiches aus nächster Nähe mit. Von Konstantinopel aus führte ihn sein Weg weiter nach Tyrus und Akkon, von dort reiste er über Kreta, Venedig, Rom und Bologna nach Halberstadt zurück. Vor den Toren der Stadt wurde der Bischof durch Herzog Bernhard von Sachsen, durch Adel, Klerus und Volk eingeholt. Auf einer Tragbahre wurden über 50 Reliquien, die Konrad in Konstantinopel erbeutet hatte, durch die Stadt bis zum Dom geleitet. Dieser „Schatz so kostbar wie heilsam“ sollte fortan den Glanz der Halberstädter Kathedrale ganz wesentlich erhöhen 1 . Noch heute befinden sich wesentliche Teile des 1 Über die Teilnahme des Halberstädter Bischofs Konrad von Krosigk am 4. Kreuzzug in den Jahren 1203-1205 berichten ausführlich die Gesta Episcoporum Halberstadensium (MGH SS 23, Hannover 1874) S. 115-121. Jüngere Literatur dazu: Alfred J. A NDREA , Conrad of Krosigk, Bishop of Halberstadt, crusader and monk of Sittichenbach: His ecclesiastical career, 1184-1225, Analecta Cisterciensia 43 (1987) S. 11-91; Contemporary sources for the Fourth Crusade, hg. von Alfred J. A NDREA (Leiden/ Boston/ Köln 2000) S. 239-264. 114 Jörg Richter durch Konrad von Krosigk erworbenen Heiltums im Halberstädter Domschatz. Zu den neu erworbenen Reliquien gehörten unter anderem Partikeln des Erzmärtyrers Stephanus, der in Halberstadt als Dompatron bereits seit dem frühen 9. Jahrhundert besondere Verehrung genoss. Als weitere hochrangige Heiltümer erwähnen die Gesta Episcoporum Halberstadensium u. a. einen Finger des hl. Nikolaus, Haar und Gewandteile Mariens, eine Elle des Apostels Petrus sowie den Schädel des Apostels Jakobus minor. Unter den Passionsreliquien ragen eine Kreuzreliquie „von nicht geringer Größe“ sowie ein Dorn aus der Dornenkrone Christi heraus. Der in Konstantinopel erbeutete Reliquienschatz gelangte 1205 allerdings nicht vollständig an den Halberstädter Dom. Gerade die hochrangigen Stücke hielt Bischof Konrad als sein privates Eigentum zurück und übereignete sie nur schrittweise der Kathedrale. Von zentraler Bedeutung für diesen Vorgang ist eine Urkunde, die Konrad von Krosigk ausstellen ließ, bevor er im September 1208 resignierte und sich in das Zisterzienserkloster Sittichenbach zurückzog 2 . Das überdurchschnittliche Format der Urkunde, ihre sorgfältige graphische Gestaltung sowie die anhängende Bleibulle zeugen davon, dass der Bischof den hier getroffenen Verfügungen große Bedeutung zumaß. Übertragen wurden dem Dom 1208 unter anderem „das Holz des Herrn von nicht geringer Größe“, ein Teil vom Haupt des hl. Stephanus, der bereits erwähnte Jakobusschädel und ein Arm der hl. Euphemia. Weiterhin übereignete der Bischof mehrere Goldschmiedearbeiten und eine Reihe kostbarer Textilien zur Ausschmückung des Domes. Ergänzt wird die Schenkung durch die Stiftung eines Festtages adventus reliquiarum, der alljährlich am 16. August an die Ankunft der Reliquien in Halberstadt erinnern sollte. Denen, die den Schutz der Reliquien an diesem Tag aufsuchen, soll 40 Tage Ablass gewährt werden, wenn sie einen Tagesmarsch oder weniger entfernt wohnen; 60 Tage werden denen gewährt, die aus weiter entfernten Gebieten kommen. Mit der Stiftung des Reliquienfestes verband sich demnach die Hoffnung, Pilger aus nah und fern an den Halberstädter Dom zu ziehen. Außerdem stiftete 2 Diplomatischer Apparat der Georg-August-Universität Göttingen, Urkunde Nr. 78; gedruckt im Urkundenbuch des Hochstiftes Halberstadt I, hg. von Gustav S CHMIDT (Leipzig 1883) S. 400-403, Nr. 449; Heinrich der Löwe und seine Zeit, Ausstellungs- Katalog, hg. von Jochen L UCKART / Franz N IEHOFF (Braunschweig 1995) S. 540-542; Kein Krieg ist heilig. Die Kreuzzüge, Ausstellungs-Katalog, hg. von Hans-Jürgen K OTZUR (Mainz 2004) S. 385-386. Reliquienschatz und Pilgerstrom 115 der Bischof einen neuen Altar zur Andacht und Ehre Gottes und der Reliquien, der „unter dem Turm“ gelegen war 3 . Nach 1208 war man mehrfach darauf bedacht, das Reliquienfest am Dom zu befördern. So wurde die Weihe der seit 1205 umgebauten Domkirche bewusst am 16. August 1220 vollzogen 4 . Den Impuls zum Umbau, der vor allem die Einwölbung der zuvor flach gedeckten Halberstädter Basilika umfasste, dürfte die Ankunft des byzantinischen Reliquienschatzes gegeben haben. Mit der Wölbung des Domes erhielt das Heiltum eine anspruchsvollere architektonische Hülle 5 . Anlässlich der Domweihe am 16. August 1220 gewährten die Bischöfe von Hildesheim, Minden und Havelberg all jenen Ablass, die den Dom am Reliquienfest - in die adventus reliquiarum - besuchen 6 . Wenig später, am 30. September 1220, gewährten auch die Bischöfe von Naumburg, Merseburg und Brandenburg sowie der Erzbischof von Magdeburg einen nahezu gleich lautenden Ablass 7 . Der Kreis der zu Gunsten des Reliquienfestes urkundenden Bischöfe dürfte in etwa den regionalen Rahmen abstecken, aus dem man sich in Halberstadt Zulauf von Pilgern erhoffte. Wenn ich im Folgenden von „Pilgern“ spreche, dann im Bewusstsein dessen, dass wir es im Falle von Halberstadt genau genommen mit einer „Wallfahrt“ zu tun haben, mit einem eher regionalen Phänomen, das die Ausstrahlung der peregrinatio nach Santiago oder nach Rom mit Sicherheit nie erreicht hat und auch nicht erreichen sollte 8 . Als Beleg dafür, dass das durch Konrad von Krosigk gestiftete Reliquienfest im 13. Jahrhundert tatsächlich auch begangen worden ist, kann das Missale des Halberstädter Dompropstes Johannes Semeca herangezogen werden. Im Kalender dieser zwischen 1241 und 1245 3 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 402, Nr. 449: ob reverentiam et honorem Dei reliquiarumque premissarum altare novum sub turri. 4 Chronicon Montis Sereni (Chronik des Stiftes Lauterberg bzw. Petersberg bei Halle) (MGH SS 23 [wie Anm. 1]) S. 198. 5 Vom Beginn der Einwölbung unter Bischof Konrad von Krosigk berichten die Gesta Episcoporum Halberstadensium (wie Anm. 1) S. 121. Zur Baugeschichte Gerhard L EOPOLD / Ernst S CHUBERT , Der Dom zu Halberstadt bis zum gotischen Neubau (Berlin 1984) S. 21-22. 6 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 473, Nr. 522. 7 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 474, Nr. 524. 8 Zur Begrifflichkeit Wolfgang B RÜCKNER , Zu Heiligenkult und Wallfahrtswesen im 13. Jahrhundert, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog. Katalog der Ausstellung zum 750. Todestag der hl. Elisabeth im Landgrafenschloß und in der Elisabethkirche in Marburg vom 19. November 1981 bis zum 6. Januar 1982 (Sigmaringen 1982) S. 117-127. 116 Jörg Richter entstandenen Handschrift ist das Fest unter dem 16. August von erster Hand verzeichnet 9 . Unter den Festtagen, für die der Halberstädter Bischof Volrad im Mai 1258 Ablass gab, findet sich wiederum auch das Fest zur Ankunft der Reliquien 10 . Abgesehen von der Stiftung des Festes adventus reliquiarum und der Gewährung von Ablässen zu diesem Fest sind noch weitere Schritte zu beobachten, die offenbar der Ansprache der Pilger dienen sollten. Zu diesen Schritten gehört die neuartige Präsentation der Halberstädter Reliquien in Schaugefäßen. Die Urkunde des Konrad von Krosigk aus dem Jahre 1208 erwähnt silberne Kästchen, in denen einige der Reliquien ihre Reise aus Konstantinopel nach Halberstadt angetreten hatten 11 . Keines dieser Kästchen ist heute im Domschatz erhalten. Die Reliquien wurden vielmehr in neue Gefäße eingelassen, die eine neuartige Schau der Partikeln ermöglichten 12 . Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Umgang mit dem Finger des hl. Nikolaus. Die Reliquie des populären Heiligen gelangte erst nach dem Tod des Konrad von Krosigk 1225 an den Halberstädter Dom. Über den Nachlass des resignierten Bischofs entbrannte ein Streit zwischen den Zisterziensern von Sittichenbach und dem Halberstädter Domkapitel, der durch einen päpstlichen Legaten geschlichtet werden musste. Der Legat verfügte nicht allein die Übergabe des Nikolausfingers an den Halberstädter Dom, sondern darüber hinaus, dass der Finger ehrenvoll in Kristall einzulassen sei 13 . Das Ergebnis dieser Vorgabe ist noch heute im Halberstädter Domschatz zu bestaunen: Im Jahre 1225 oder kurz darauf wurde ein vergoldetes, reich mit Halbedelsteinen und Perlen besetztes Armreliquiar geschaffen, in dem der Finger des hl. Nikolaus 9 Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 474, fol. 4 v . 10 Urkundenbuch des Hochstiftes Halberstadt II, hg. von Gustav S CHMIDT (Leipzig 1884) S. 198, Nr. 962: in die, qua sanctorum reliquie ad eandem ecclesiam deferuntur, et in anniversario dedicationis ipsius die. 11 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2): Tybia Petri apostoli, tybia Barnabe apostoli, tybia Mathei apostoli, in argenteis receptaculis honorifice repositas, prout decet, capsa magna argentea cum reliquiis infinitis, ... 12 Grundsätzlich dazu ChristofL. D IEDRICHS , Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens (Berlin 2001); differenzierter und mit besonderer Berücksichtigung des Halberstädter Domschatzes Gia T OUSSAINT , Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar - eine Folge der Plünderung Konstantinopels? , in: Reliquiare im Mittelalter, hg. von Bruno R EUDENBACH / Gia T OUSSAINT (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5, Berlin 2005) S. 89-106; Gia T OUSSAINT , Konstantinopel in Halberstadt. Alte Reliquien in neuem Gewand, Das Mittelalter 10 (2005) S. 38-62. 13 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 507-508, Nr. 572. Reliquienschatz und Pilgerstrom 117 deponiert wurde 14 . Bedeckt mit einer geschliffenen Bergkristallplatte ist der Finger im Reliquiar gut sichtbar. Diese Art der Gestaltung war eine Neuschöpfung, die die Schau der Reliquie - etwa im Rahmen des Adventus-Festes - ermöglichen sollte. Ähnlich verfuhr man mit der großen Kreuzreliquie, die 1208 noch in der silbernen Tafel aufbewahrt wurde, in der sie aus Konstantinopel nach Halberstadt gelangt war 15 . Diese byzantinische Staurothek wurde nicht weiter genutzt. Vielmehr wurde die Kreuzreliquie um 1225 in das Zentrum einer neuen Reliquientafel eingelassen 16 . Das neue Tafelreliquiar folgt offensichtlich dem Vorbild byzantinischer Staurotheken, wie sie in Limburg/ Lahn oder in Esztergom erhalten geblieben sind. Diese besitzen jedoch einen Klapp- oder Schiebedeckel, mit dem sich das Kreuzesholz verdecken lässt. Nicht so die neue Halberstädter Tafel: Sie ist von vorn herein als ein Schaugefäß konzipiert worden. Ein wie auch immer gearteter Deckel war nicht vorgesehen. Unter geschliffenen Bergkristallplatten sind die Reliquien, darunter die große Kreuzpartikel, gut sichtbar ausgestellt. Richteten sich die Schauangebote der neuen Halberstädter Reliquiare an die spätestens seit 1208 erwarteten Pilger? Welches Publikum konnte wann und in welchem liturgischen Rahmen das Heiltum tatsächlich sehen? Zum konkreten Gebrauch der Halberstädter Reliquiare schweigen die bislang ausgewerteten Schriftquellen. Umso ernster sollte man die Beobachtungen an den Stücken selbst nehmen. Zur Infrastruktur eines Wallfahrtszieles gehörten nun nicht nur ein Festtermin und die Möglichkeit zur Schau des Heiltums, sondern auch Möglichkeiten zur Beherbergung der Pilger. In Halberstadt ist bereits seit 1195 ein Hospital mit dem Patrozinium St. Jakobi nachweisbar, also schon vor dem Eintreffen der Reliquien aus Konstantinopel 17 . Im Jahre 1199 waren am Hospital St. Jakobi Zisterzienserinnen ansässig 18 . Im Jahre 1208, parallel zur Stiftung des Reliquienfestes und des Reliquienaltares im Dom, griff Bischof Konrad von Krosigk gravierend 14 Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 21; gut dokumentiert von Martina J UNGHANS , Die Armreliquiare in Deutschland vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts (Bonn 2002) S. 135-140. 15 Schenkungsurkunde des Bischofs Konrad von Krosigk: lignum Domini in quantitate non modica in argentea tabula (UB Hochstift Halberstadt I [wie Anm. 2] S. 400-403, Nr. 449). 16 Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 46. 17 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 320-321, Nr. 359. 18 Urkundenbuch der Stadt Halberstadt I, bearb. von Gustav S CHMIDT (Halle/ Saale 1878) S. 12-14, Nr. 11-12. 118 Jörg Richter in die Geschicke des Jakobus-Hospitals ein. Die Zisterzienserinnen wurden an der ehemaligen Prämonstratenserkirche St. Thomas angesiedelt, St. Jakobi wurde den Templern übertragen. 19 Konrad dürfte den Orden bei seinem Aufenthalt in Tyrus und Akkon kennen gelernt haben. Vermutet werden kann, dass Konrad den Templern - neben anderen Aufgaben - den Unterhalt des Hospitales eher zutraute als den zur Klausur verpflichteten Zisterzienserinnen 20 . De facto konnte der Betrieb des Hospitales offenbar nach 1208 nicht aufrecht erhalten werden. Seit 1219 taucht das Jakobus-Patrozinium an der neuen Klosterkirche der Zisterzienserinnen neben Maria auf 21 . Das ehemalige Hospital wird lediglich noch Hof - curia - der Templer genannt und 1306 vom Orden verkauft 22 . Eine Erfolgsgeschichte ist das Halberstädter Jakobus- Hospital im 13. Jahrhundert also nicht gewesen. Statt dessen erlebte seit 1225 eine jüngere Hospitalstiftung innerhalb der Stadtmauern einen enormen Aufschwung. Das dem Bischof unterstellte Heilig-Geist-Hospital war, neben der Versorgung von Kranken und Gebrechlichen, explizit zur Aufnahme von erschöpften Pilgern und Fremden bestimmt 23 . Von seinem Aufgabenprofil her, wie es im Sprachgebrauch der Urkunden aufscheint, ersetzte das Heilig-Geist- Hospital das ältere Jakobus-Hospital. Eine Vielzahl von Stiftungen sicherte den Bestand des Hospitals bis in das 20. Jahrhundert hinein. Wenn Pilger in Halberstadt schon auf ein Hospital unter dem Schutz des Apostels Jakobus verzichten mussten, so fanden sie zumindest im Dom einen Altar vor, der ihrem Patron geweiht war. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Jakobusaltar „unter dem Turm“ im Jahre 1235 24 . Zu dieser Zeit bestand der Altar bereits. Vermutlich ist der Jakobusaltar sub turri identisch mit jenem Altar, den Bischof Konrad von Krosigk 19 UB Stadt Halberstadt I (wie Anm. 18) S. 18-21, Nr. 16. Der Vorgang auch belegt in den Gesta Episcoporum Halberstadensium (MGH SS 23 [wie Anm. 1], Hannover 1874) S. 121. 20 Ein kurzer Exkurs zu von Templern verwalteten Hospitälern findet sich bei Paolo G. C AUCCI VON S AUCKEN , La asistencia hospitalaria en la via francigena ordenes y confraternidades, in: Santiago. Camino de Europa. Culto y Cultura en la Peregrinación a Compostela, Ausstellungskatalog (Santiago 1993) S. 83-97, hier S. 93-94. 21 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 453, Nr. 506. 22 UB Stadt Halberstadt I (wie Anm. 18) S. 239-241, Nr. 312. 23 UB Stadt Halberstadt I (wie Anm. 18) S. 31-32, Nr. 23. Die Aufgaben des Hospitals benennt eine bischöfliche Urkunde im Jahre 1235, UB Stadt Halberstadt I (wie Anm. 18) S. 37-39, Nr. 29: ... domum illam, in qua pietatis opera et misericordie affectuosius exhibentur et officium Marthe sollicite ac turbate circa plurima studiosius adimpletur in cecis claudis peregrinis et advenis recipiendis, in infirmis et debilibus procurandis … . 24 UB Hochstift Halberstadt I (wie Anm. 2) S. 572-574, Nr. 645: altare s. Jacobi sub turri. Reliquienschatz und Pilgerstrom 119 bereits 1208 zu Ehren des Reliquienschatzes ebenfalls „unter dem Turm“ gestiftet hatte. Zumindest müssen der Reliquienaltar und der Jakobusaltar in enger räumlicher Nähe bestanden haben. Eindeutig ist die Lage des frühen Jakobusaltares nicht mehr zu bestimmen, da der romanische Halberstädter Dom, auf den sich die Überlieferung bezieht, seit den 1230er Jahren durch einen groß angelegten Neubau ersetzt worden ist. Gemeint sein könnte einer der Westtürme, aber auch der Vierungsturm. Sicher greifbar wird der Zusammenhang zwischen Jakobusaltar und Reliquienverehrung im Jahre 1387, als Bischof Albrecht einen neuen Jakobusaltar samt ewigem Vikariat stiftete. Der Altar mit dem vollen Patrozinium St. Jakobus, St. Martin und St. Livinius stand „inmitten unserer Kirche, an dem zu Hochfesten Stationen gehalten und die heiligen Reliquien dieser unserer Kirche große Verehrung genießen und auf dem die besagten Reliquien hintereinander aufgestellt werden, zu Lob und Ehre des allmächtigen Gottes sowie der glorreichen und unbefleckten Jungfrau Maria, seiner Mutter …“ 25 . Weiter unten wird bei der Aufzählung der Pflichten des mit dem Jakobusaltar begabten Vikars die Aufstellung der Reliquien auf dem Altar noch einmal erwähnt. Seit dem späten 14. Jahrhundert ist damit die Aussetzung des Halberstädter Heiltums auf dem dem Apostel Jakobus d. Ä. geweihten Altar sicher belegt. Für das 13. Jahrhundert kann ein ähnlicher Zusammenhang angenommen werden. Im Halberstädter Domschatz hat sich das zum Altar St. Jakobus und St. Martin gehörige spätmittelalterliche Retabel erhalten 26 . Die Tafel aus der Zeit um 1470/ 1480 zeigt den Heiligen Martin und den Apostel Jakobus zu Seiten einer Kreuzigung. Jakobus d. Ä. trägt die von vielen Darstellungen geläufige Pilgerkleidung. Von der Wertschätzung des Jacobus maior am Halberstädter Dom zeugt ferner ein vergoldetes Armreliquiar mit einer Partikel des Apostels 27 . Unter den Halberstädter Armreliquiaren überragt der Jakobusarm alle anderen Stücke um mehr 25 Urkundenbuch des Hochstiftes Halberstadt IV, hg. von Gustav S CHMIDT (Leipzig 1889) S. 300-303, Nr. 3005: … altare novum in honorem s. Iacobi maioris apostoli nostri, Martini episcopi et confessoris, Livini martiris atque pontificis in medio eiusdem ecclesie nostre, ad quod tempore solemnium festivitatum stationes et sanctarum reliquiarum eiusdem nostre ecclesie venerationes peramplius habeantur ac deinceps dicte reliquie supponantur in eodem, ob laudem et honorem Dei omnipotentis et gloriose ac intemerate virginis Marie genitricis sue … . 26 Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 395. Hans Georg G MELIN , Spätgotische Tafelmalerei in Niedersachsen und Bremen (München 1974) Kat.-Nr. 127, S. 399-401; Kostbarkeiten aus dem Domschatz zu Halberstadt (Halle/ Saale 2001) S. 96-97. 27 Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 70 (14. Jahrhundert). 120 Jörg Richter als 10 Zentimeter. Bei der Aussetzung des Heiltums muss das Jakobus- Reliquiar den Gläubigen besonders ins Auge gefallen sein. Eine eindringliche Jakobus-Darstellung findet sich unter den Apostelskulpturen im Hohen Chor des Domes. Jakobus d. Ä. nimmt hier den Platz nach dem Apostelfürsten Petrus ein, der den Skulpturenzyklus an der nördlichen Pfeilerreihe des Chores anführt. Blickt man auf all die hier referierten Initiativen der Bischöfe und des Domkapitels von Halberstadt zurück, dann stellt sich natürlich die Frage, welcher Erfolg diesen denn beschieden war. Skizziert wurden bisher ja nur die Rahmenbedingungen, die eine regionale Wallfahrt bestärken konnten - Stiftung eines Festes adventus reliquiarum, Ablässe aus Anlass dieses Festes, Sichtbarmachung hochrangiger Reliquien in neuen Reliquiaren, Stiftung eines Altares mit Jakobus-Patrozinium zur Aussetzung des Heiltums und der Unterhalt zunächst eines Jakobus-, später eines Heilig-Geist-Hospitals. Aber wurden diese Angebote auch von Pilgern angenommen? Abb. 1: Retabel für den Altar St. Jakobus und St. Martin im Halberstädter Dom, um 1470/ 80. Domschatz zu Halberstadt, Inv.-Nr. 395. Reliquienschatz und Pilgerstrom 121 Quantitativ lässt sich der Zustrom zu den Halberstädter Reliquien kaum fassen. Die Chronik vom Lauterberg bei Halle berichtet immerhin für das erste Viertel des 13. Jahrhunderts, dass alljährlich am 16. August große Menschenmengen nach Halberstadt strömten 28 . In Zahlen fassbar macht das Phänomen lediglich die einzige mittelalterliche Baurechnung, die zum Halberstädter Dom erhalten geblieben ist 29 . Die Rechnung für die Jahre 1366/ 1367 verzeichnet unter anderem die Einnahmen, die der fabrica, also der Dombaukasse, im Laufe des Kirchenjahres zugingen. Die Einnahme von 59 Solidi und 3 Denaren am 16. August ist dabei die umfangreichste Oblation des gesamten Jahres überhaupt. Zum Fest adventus reliquiarum hatte der Halberstädter Dom demnach zu dieser Zeit großen Zulauf. Aufgelistet werden nicht nur Halberstädter Münzen, sondern auch Braunschweiger und Quedlinburger Denare 28 Chronicon Montis Sereni (Chronik des Stiftes Lauterberg bzw. Petersberg bei Halle) (MGH SS 23 [wie Anm. 1]) S. 171. 29 Gustav S CHMIDT , Baurechnung des Halberstädter Doms von 1367, in: Programm des Königlichen Dom-Gymnasiums zu Halberstadt, Ostern 1888 bis 1889 (Halberstadt 1889) S. 1-19. Abb. 2: Armreliquiar für eine Partikel des Apostels Jakobus maior, 14. Jh. Domschatz zu Halberstadt, Inv.- Nr. 70. Abb. 3: Skulptur des Apostels Jakobus maior im Hohen Chor des Halberstädter Domes, um 1430. 122 Jörg Richter sowie Stendaler Silbermark. Dieses Gemisch aus in Norddeutschland gängigen Währungen spricht für eine Herkunft der Wallfahrer vor allem aus Niedersachsen und aus der Altmark. Von der Rückkehr eines Jakobspilgers aus Santiago de Compostela in das Harzvorland zeugt ein eher unscheinbares Stück im Halberstädter Domschatz, eine Muschel aus Gagat. Gagat (span. azabache) ist ein weicher Kohlekalk, der sich gut schnitzen und polieren lässt. In Galicien selbst gibt es keine Gagatvorkommen, dafür aber reiche Lagerstätten im benachbarten Asturien. Seit dem 15. Jahrhundert fertigte eine äußerst produktive Industrie aus Gagat unter anderem Jakobsmuscheln, Jakobus-Figürchen und Rosenkränze 30 . Vor dem Nordportal der Kathedrale von Santiago erinnert die Plaza de la Azabachería an den Handel mit den schwarz glänzenden Devotionalien und Pilgerzeichen. Die Halberstädter Gagatmuschel ist an der oberen Verdickung durchbohrt, so dass sie auf ein Kleidungsstück aufgenäht, am Pilgerhut oder um den Hals getragen werden konnte. Die Datierung des stark stilisierten Zeichens fällt schwer und auch der Name des dankbaren Pilgers, der die Muschel an den Halberstädter Dom gegeben hat, dürfte für immer verloren sein. Seit 2005 ist der Halberstädter Dom Station am erneuerten St. Jakobus-Pilgerweg durch Sachsen-Anhalt. Wir wünschen uns, dass der eine oder andere Pilger den Weg in den Dom findet, und dass er diese Kirche mit ihrer eindrucksvollen Architektur nicht nur als touristischen Event, sondern vor allem auch als Gotteshaus wahrnehmen kann. Resumen: El 16 de agosto de 1205, el obispo de Halberstadt Konrad von Krosigk regresó de la Cuarta Cruzada. Konrad había participado en la conquista de Constantinopla en abril de 1204, llevándose un botín en que figuraban más de cincuenta reliquias. En varias etapas, el obispo hizo entrega de los objetos sagrados a la catedral de Halberstadt. Para presentar al público el tesoro recién obtenido, se tomaron numerosas medidas. En el año 1208, Konrad von Krosigk instauró la fiesta del adventus reliquiarum, que debía celebrarse el 16 de agosto de cada año en la catedral. Además, el obispo creó un nuevo altar para exhibir los objetos sagrados. El que este altar estuviera consagrado a Santiago está documentado desde 1235. Para que los creyentes pudieran ver las reliquias, se encargaron nuevos relicarios. En la exposición, los objetos sagrados eran visibles a través de una placa de cristal de roca. La catedral fue renovada y consagrada nuevamente el 16 de agosto de 1220. 30 Guter Überblick mit weiterführender Literatur bei Ángela F RANCO M ATA , Iconografía Jacobea en Azabache, in: Los caminos de Santiago. Arte, Historia, Literatura (Zaragoza 2005) S. 169-212. Reliquienschatz und Pilgerstrom 123 Ya desde 1195 está documentada la existencia de un hospital de “St. Jakobi” en Halberstadt. En el año 1208, paralelamente a la instauración de la fiesta de las reliquias y a la creación del altar previsto para éstas, el obispo Konrad von Krosigk entregó el hospital a los Templarios. Desde 1225, el recién fundado hospital del Espíritu Santo se encargó de alojar a los peregrinos en Halberstadt. El obispo Albrecht creó en 1287 un nuevo altar consagrado a Santiago, San Martín y San Livinio situado in medio ecclesiae en la catedral. También este nuevo altar dedicado a Santiago estaba destinado a la exhibición de las reliquias. El retablo de este altar es conservado en el Tesoro catedralicio (fig. 1). También un brazo-relicario del apóstol Santiago que data del primer tercio del siglo XIV forma parte del Tesoro de la catedral (fig. 2). De los seis brazos-relicario existentes, el de Santiago es el mayor. En la exposición de los objetos sagrados, el relicario de su patrono debió de saltar a la vista inmediatamente a los peregrinos. St. Jakobus in St. Marienstern Zum Kult des Heiligen in der Oberlausitzer Zisterzienserinnenabtei M ARIUS W INZELER Seit 2003 ist die Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern eine Station auf dem Ökumenischen Pilgerweg, der von Görlitz bis Vacha quer durch Mitteldeutschland führt und im Verlauf an mittelalterliche Jakobswege erinnert 1 . Doch sind es keineswegs nur historisch wenig faßbare Wegreminiszenzen, die das Kloster zu Recht zu einem von heutigen Pilgern viel besuchten Ort machen. Vielmehr spielte der Apostel Jakobus mindestens seit dem frühen 13. Jahrhundert eine wesentliche Rolle in der unmittelbaren Umgebung des Klosters: 1225 ist für die spätere Marienkirche in Kamenz das Patrozinium der hll. Jakobus und Philippus belegt 2 . Bis zur Reformation war zudem ein hervorgehobener Altar in dieser Pfarrkirche dem Apostel geweiht, ebenso bestand schon vor 1338 vor der Stadt auf dem Jakobsberg an der nach Bautzen führenden Straße - einem Abschnitt der so genannten Via regia und heutigen Pilgerweg - eine Jakobskapelle, die 1545 abgebrochen wurde 3 . Zudem erhielten sich im weiteren Umkreis mehrere dem Heiligen gewidmete spätmittelalterliche Darstellungen, die bildlicher Ausdruck sind dafür, dass Jakobus der Ältere in der westlichen Oberlausitz schon lange besondere Verehrung 1 Der Ökumenische Pilgerweg. Pilgerführer (o. O. 3 2006). Vgl. die Internetseite www. oekumenischer-pilgerweg.de. 2 Klosterarchiv St. Marienstern, Urkunde b. - Hermann K NOTHE , Urkundliche Geschichte des Jungfrauenklosters Marienstern (Dresden 1871) S. 1-33; Joachim H UTH , St. Marienstern in der Oberlausitz. 700 Jahre im Heiligen Orden von Zisterz 1264- 1964, in: Unum in veritate et laetitia. Bischof Dr. Otto Spülbeck zum Gedächtnis (Leipzig 1970) S. 170-194; Zeit und Ewigkeit. 128 Tage St. Marienstern, Katalog der Ersten Sächsischen Landesausstellung, hg. von Judith O EXLE / Markus B AUER / Marius W INZELER (Halle/ Saale 1998) Nr. 1.36 (Markus B AUER ). 3 Werner S CHEIBE , Die baugeschichtliche Entwicklung von Kamenz (Görlitz 1909) S. 50. 126 Marius Winzeler genießt. Das Kloster selbst stellt in diesem Zusammenhang - vielleicht in der Nachfolge der Kamenzer Pfarrkirche, die ihm unterstellt wurde - das Zentrum des Kultes dar. Hier war bis ins 18. Jahrhundert nicht nur ein Seitenaltar in der Klosterkirche dem Heiligen geweiht, sondern wird vor allem seit dem 13. Jahrhundert bis heute ein einzigartiges Jakobushaupt mit Schädelreliquien als hoch bedeutsames Reliquiar aufbewahrt und gezeigt (Abb. 1). Das Reliquiar ist Teil eines großen Heiltums, das über Jahrhunderte Rang und Ruhm der Frauenabtei ausmachte und bis in die Gegenwart in seltener Kontinuität den innerklösterlichen Jahreskreis prägt. Dieses Heiltum mit zahlreichen Reliquien und Reliquiare des Mittelalters bildet den Kern des gleichermaßen geistigen wie materiellen Schatzes der 1248 gegründeten Abtei und stellt ein ebenso umfassendes wie individuelles klösterliches Heilsprogramm dar: Dazu gehören außer den Jakobusreliquien Kreuzpartikel, Reliquien Johannis d. T., vieler Apostel und Heiliger, darunter für die Frauengemeinschaft besonders wichtiger heiliger Jungfrauen. Die Bewahrung dieses Heiltums ist erst 1992 bekannt geworden 4 . Inzwischen konnte der Schatz aber unter- 4 Im sächsischen Kunstdenkmälerinventar wurde das Kloster unter Ausschluss des Heiltums bearbeitet - Cornelius G URLITT (bearb.), Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreiches Sachsen, Heft 35: Amtshauptmannschaft Kamenz (Land) (Dresden 1912) S. 142-220; das erste bekannt gewordene Reliquiar war die Staurothek, vgl. Johann Georg VON S ACHSEN , Eine Staurothek im Kloster Marienstern (Sächsische Oberlausitz), Monatshefte für Kunstwissenschaft 7 (1914) S. 249f. In größerem Umfang wurde das Heiltum erst 1992 in Salzburg publik: Kostbarkeiten aus den Schatzkammern von Sachsen, Katalog der XVI. Sonderschau im Dommuseum zu Salzburg, hg. von Johannes Abb. 1: Kopfreliquiar des hl. Jakobus, Prag, um 1290-1296, Dreiviertelprofil, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto: János Stekovics). St. Jakobus in St. Marienstern 127 sucht und bearbeitet werden 5 . Dabei erwies sich, dass die mündliche Klostertradition, wonach die Reliquien Geschenke des Klosterstifters - Bernhard III. von Kamenz (um 1230-1296) - seien, tatsächlich nicht nur für die Reliquien, sondern auch für viele der überaus kostbaren Reliquiare gilt. Gerade auch das Jakobushaupt gehört zu diesen Werken, weshalb kurz auf den Stifter und sein historische Umfeld eingegangen sei. Das Kloster St. Marienstern und sein Stifter Bernhard III. von Kamenz Die Herren von Kamenz waren eine in zwei Etappen von West nach Ost gewanderte Ministerialenfamilie, die im frühen 13. Jahrhundert mit Unterstützung der böhmischen Krone in der Oberlausitz ein großes Herrschaftsgebiet erworben hatte. Bernhard III. erbte ein Drittel der Herrschaft und setzte dort mit seiner Mutter und seinen Geschwistern den letzten Willen seines Vaters in die Tat um, indem er 1248 ein Zisterzienserinnenkloster gründete und vor allem ab 1259 Bau und Ausstattung vorantrieb 6 . Er selbst trat in den geistlichen Stand ein, wurde Domherr von Meißen und beschritt die kirchliche Karriereleiter, die ihn zuletzt auf den Meißner Bischofsthron führte (Abb. 2). Parallel zu seinen meißnischen Ämtern wirkte Bernhard von Kamenz aber auch als Diplomat in Schlesien und Böhmen: Zunächst diente er als engster Vertrauter dem Breslauer Herzog Heinrich IV. und nach dessen Tod 1290 bis zu sei- N EUHARDT (Salzburg 1992); zu den Ergebnissen des damaligen Fachkolloquiums: Johannes N EUHARDT / Franz W AGNER / Siegfried S EIFERT , Die Reliquiare der Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern und ihre Erforschung auf einem Symposium in Salzburg, Das Münster 49 (1996) S. 232-243. Vor Ort wurde der Schatz erstmals 1998 präsentiert: Zeit und Ewigkeit (wie Anm. 1). Die wissenschaftliche Bearbeitung des Schatzes übernahm Dr. Dana Stehlíková, Prag. Seit 1999 besteht eine öffentlich zugängliche Schatzkammer im Kloster, vgl. Heinrich M AGIRIUS / Marius W INZELER , Im Glanz der Ewigkeit. Kunstwerke im Kloster St. Marienstern (Halle/ Saale 1999). 5 Meine von Robert Suckale, Technische Universität Berlin, betreute Dissertation zu Bau und Ausstattung von St. Marienstern steht kurz vor dem Abschluss. Darin werden alle im Folgenden erwähnten Werke ausführlich besprochen und detaillierte Nachweise genannt. 6 Zur Gründungsgeschichte vgl. Markus B AUER , Die zwei Gründungen des Klosters St. Marienstern, in: 750 Jahre Kloster St. Marienstern. Festschrift, hg. von Karlheinz B LASCHKE / Heinrich M AGIRIUS / Siegfried S EIFERT (Halle/ Saale 1998) S. 65-86. Zu Bernhard III. bislang nur Hermann K NOTHE , Bernhard III. von Kamenz, Archiv für Sächsische Geschichte 4 (1865) S. 82-114 sowie D ERS ., Geschichte der Herren von Kamenz, Neues Lausitzisches Magazin 43 (1866) S. 81-111; Kate ř ina C HARVÁTOVÁ , Bernard z Kamenice, politik ve službách Václava II., D ě jiny a sou č asnost 20 (1998) Nr. 6, S. 2-5. 128 Marius Winzeler nem eigenen Ableben 1296 als Kanzler dem jungen böhmischen König Wenzel II. Beide gehören zu den wichtigsten Herrschergestalten des 13. Jahrhunderts in Mitteleuropa und waren für ihre glanzvolle Hofhaltung ebenso bekannt wie für ihre Frömmigkeit. Bernhard von Kamenz spielte in innen- und außenpolitischen Geschäften sowohl in Schlesien als auch in Böhmen eine wichtige Rolle. Sein Verhandlungsgeschick war vielfach gefragt. Mehrfach reiste er zur Klärung von kirchenbzw. weltpolitischen Fragen nach Rom und Viterbo. Vom Heiligen Stuhl wurde er als Visitator des böhmischen Kreuzherrenordens eingesetzt. Zudem vertrat er unter maßgeblicher Einflußnahme den böhmischen König bei der Wahl Adolfs von Nassau zum deutschen König. Er ebnete zunächst Heinrich IV., dann Wenzel II. den Weg nach Krakau und trug wesentlich dazu bei, dass letzterer die Krone des polnischen Königs erlangen konnte. Die zeitgenössische Chronik des Kloster Königsaal (Zbraslav) bei Prag überliefert, dass Bernhard diese königliche Gründung mit der Grablege des böhmischen Königshauses und der vor dem Veitsdom größten Kirche des Landes mitinitiiert und sogar den Bauplatz bestimmt hatte. Alle Einkünfte und Geschenke, die Bernhard durch seine Missionen und in seinen einflußreichen Positionen erhielt, flossen in Grundbesitz, Bau und Ausstattung seines Klosters St. Marienstern (Abb. 3). Nach dem Vorbild herzoglich-schlesischer und königlich-böhmischer Stiftungen wuchs die Abtei zu einem der größten und bedeutendsten Frauenklöster Mitteleuropas heran. Baulich orientierte sich der Stifter, der selbst als „Propst“ alle Geschäfte seiner Gründung leitete, an der Abb. 2: Bernhard III. von Kamenz (um 1230-1296). Holzskulptur von 1709. Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto: János Stekovics). St. Jakobus in St. Marienstern 129 schlesischen Reformbaukunst der Zisterzienser, wobei er Bauleute aus Heinrichau, aber auch Mitglieder der Meißner Dombauhütte zu Rate zog. Hinsichtlich der Ausstattung profitierte Bernhard vor allem von der Gunst Wenzels II., der selbst ein großer Freund der Zisterzienser war. Auf seinen Romreisen vermochte Bernhard für ihn eine große Zahl von Reliquien zu erwerben, Handschriften wurden aus Paris nach Prag gebracht, Goldschmiede mit Kenntnissen aus Frankreich und Italien wirkten für den prunkliebenden Herrscher. Es erstaunt daher nicht, dass St. Marienstern nicht nur dank Anfrage Wenzels II. 1290 vom Zisterzienserorden über das damals für ein Frauenkloster noch seltene Privileg täglicher Messlesung verfügte, sondern auch über ausgezeichnete Handschriften, vasa sacra und ein bedeutendes Heiltum. Von den heute über 50 mittelalterlichen Reliquiengefäßen und vasa sacra im Klosterschatz von St. Marienstern weisen allerdings erstaunlicherweise nur zwei einen unmittelbaren Hinweis auf den Fundator Bernhard III. von Kamenz und seine Familie auf. Anhand dieser beiden Werke jedoch lassen sich zahlreiche weitere anhand motivischer, stilistischer und technologischer Vergleiche unmittelbar zuordnen. Mit dem Familienwappen sind denn auch besonders wertvolle Gefäße als familienbezogene Stiftungen ausgewiesen: das Kopfreliquiar des hl. Jacobus maior und ein Turmreliquiar mit einer Pyxis aus Blutjaspis. An Abb. 3: Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern. Luftaufnahme 1996 (Foto: Otto Braasch). 130 Marius Winzeler beiden ist die Adlerschwinge der Herren von Kamenz in einem spitz zulaufenden Schild in identischer Form, Größe und Ausführung, über eine Punze in vergoldetes Silberblech geschlagen worden. Im Falle des Jakobushauptes befindet sich das Wappen auf einem kleinen Türchen, das an der Unterseite des Reliquiars eine Öffnung ins Innere des Kopfes verschließt und somit ausschließlich denjenigen sichtbar wurde, die das Reliquiar hochhalten und gegebenenfalls öffnen durften (Abb. 6). Am Turmreliquiar ist das Wappen in sechsfacher Wiederholung als Schmuck des runden Fußes aufgelötet und entsprechend gut erkennbar. Wird durch die Verwendung der selben Punze für die Wappen wahrscheinlich, dass die beiden Reliquiare in einem Werkstattzusammenhang entstanden sind, so ermöglicht der Vergleich dieser Punze mit den Wappen auf den überlieferten Siegeln der Familie auch eine zeitliche Einordnung: Zwischen 1290 und 1295 finden wir in Urkunden mit den Siegeln Bernhards V. und Ottos I. von Kamenz - zwei Neffen Bernhards III., die unter seiner Vormundschaft standen - die gleiche Form und Detailausbildung. Das Kopfreliquiar des hl. Jakobus (Abb. 1, 4, 5, 6) Zu Recht ist das Kopfreliquiar des hl. Jakobus des Älteren mit dem Stifterwappen ausgezeichnet: hinsichtlich Inhalt, Form und künstlerischer Ausführung darf es als eines der wichtigsten Reliquiare des Klosterschatzes gelten. Da das Türchen mit dem gepunzten Wappen die originale Öffnung des Behältnisses darstellt und keinerlei Spuren einer nachträglichen Bearbeitung zeigt, gibt es keinen Grund für die Annahme einer nachträglichen Anbringung des Wappens. Die Unzialen- Inschrift am Rand der breiten Gewandborte, die gleichzeitig den Fuß des Reliquiars bildet, nennt fünf Teile der Hirnschale sowie zwei weitere nicht näher charakterisierte Reliquien des Heiligen: „MAJORIS JACOBI QVINQVE PARTES CEREBELLI HIC ALIE DVE SVNT QVOQVE RELIQVI(A)E“. Während die Schädelteile in das Rund des Kopfes sichtbar eingelassen sind, wurden die weiteren Partikel im Innern verwahrt. Jedenfalls wird deutlich, dass der Verfertiger des Gefäßes die Reliquien bei der Arbeit zur Hand hatte. Das Reliquiar zeigt den etwas unterlebensgroßen Kopf des Heiligen, vermutlich nach einem Holzmodell aus einem starken Silberblech getrieben und vergoldet 7 . Aus einem wenig ausladenden Fußrand mit 7 Höhe 23,2 cm, Sockel Tiefe: 18, 3 cm. St. Jakobus in St. Marienstern 131 Abb. 4: Kopfreliquiar des hl. Jakobus, Prag, um 1290-1296, Vorderansicht, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto: János Stekovics). Abb. 5: Kopfreliquiar des hl. Jakobus, Prag, um 1290-1296, Hinteransicht, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto: János Stekovics). Abb. 6: Kopfreliquiar des hl. Jakobus, Prag, um 1290-1296, Unterseite, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto Marburg/ Klosterarchiv St. Marienstern). 132 Marius Winzeler Gewandborte erheben sich Hals und Haupt des Heiligen. Dabei erscheint der Hals schlank, der frontal und gerade gehaltene Kopf greift in seinem Volumen über die Grundfläche hinaus. Diese mit einer Platte unten geschlossene Fläche beschreibt eine Tropfenform, die vorne spitz zu läuft. Damit weist auch die Gewandborte einen ausgeprägten spitzen Ausschnitt auf. Als Begleitung der Gewandborte umzieht den Fußrand außen die Inschrift mit Nennung der enthaltenen Reliquien. Sorgfältige Majuskeln in charakteristischer Unzialenform erscheinen glatt vor dem aufgerauten Grund, die Worte sind durch mittig angeordnete Punkte voneinander getrennt. Der Fries der Gewandborte ist von gravierten Linien eingefasst und wird vom Steinbesatz dominiert: In regelmäßigem Rapport sind gefasste Edelsteine darauf appliziert, vom vorderen Scheitel ausgehend mit einem großen Stein beginnend, abwechselnd zwei kleinen und einem großen. Die Positionen der großen Steine sind jeweils auf der Borte durch ein graviertes, und über den oberen und unteren Bortenrand ausgreifendes Rautenfeld mit feiner, doppelter Randlineatur ausgezeichnet sind. Die kleinen Steine dagegen sitzen paarweise übereinander direkt auf dem mit feiner Häkchen-Punzierung aufgerauten Grund. Daraus ist deutlich ersichtlich, dass der Steinbesatz originaler Bestandteil des Werkes ist. Es handelt sich dabei um den wertvollsten Edelsteinbestand im Klosterschatz mit Leukosaphiren und blauen Saphiren wahrscheinlich aus Ceylon, Smaragden aus Ägypten, Chrysoprasen aus Schlesien sowie sieben einmaligen schwarzen Saphiren, teilweise mit Asterismus, die vermutlich einer bisher unbekannten Fundstelle im Isergebirge entstammten 8 . Über der Borte steigt der Hals auf, der vorne glatt zu sehen ist, seitlich und hinten aber vom Haupthaar mit seitlich eingedrehten Strähnen vollkommen umschlossen ist. Das Haar fällt, am Hals anliegend, genau bis zur Gewandborte und staut sich dort leicht gelockt. Im Profil zeigt sich die idealistisch-realistische Proportionierung mit starkem Hinterkopf und einem Antlitz, dessen Konturen fast klassisch geformt sind. Die Neigung von Stirn und Nase entsprechen sich fast, der sorgfältig frisierte Bart ist proportional und formal als Äquivalent zum Haupthaar aufgefasst. Insgesamt zeichnet sich der Kopf durch eine ausgewogene Symmetrie, kräftige Plastizität und eine scheinbare Individualität aus. Die Kopfform beschreibt ein schräg liegendes Oval. Die Gesichtszüge sind ausgesprochen regelmäßig und bei aller Klarheit der Konturen weich geschnitten. Der Mund ist mit einem sanften Lächeln geschwungen und 8 Die Bestimmung der Steine nahm 1996 Dr. Jaroslav Hyršl, Prag, vor. St. Jakobus in St. Marienstern 133 zeigt weiche Lippen und eine scharf gezeichnete Oberlippenkerbe. Die Nase mit nicht sehr weiten Nasenflügeln weist einen schmalen, leicht gebogenen Rücken auf, der nahezu nahtlos, nur mit einer leichten Verdickung in die leicht fliehende, wenig gewölbte Stirn übergeht. Die Wangenknochen liegen hoch, der Übergang zwischen Mund- und Wangenpartie ist nur schwach eingeschnitten. Die klaren Brauenbogen sind weit geschwungen und mit kräftiger Haarzeichnung akzentuiert: ein regelmäßiger Bewuchs von parallel geschwungenen Haaren betont die Augen. Diese liegen darunter, zeichnen sich durch ihre große Mandelform aus und treten aus klar geschnittenen Lidern stark gewölbt hervor. Auch ohne Binnenzeichnung wirken sie nur schon durch den Lichtreflex des Materiales sehr lebensecht. Die Frisur zeigt gewelltes, schulterlanges Haar mit Mittelscheitel, am Kleid in virtuosem Lockenwulst gedreht. Dichte, sanft gewellte Strähnen umfangen die ganze Kopfform. Wie das Haupthaar wellt sich auch der Bart symmetrisch von der Nase ausgehend, am Kinn in kurzen Büscheln auslaufend. Bemerkenswert ist die feine Zeichnung des Bartansatzes, charakteristisch jedoch vor allem die ausgesprochen differenzierte Profilierung der Strähnen. In Scheitel und Kalotte sind in die Haarpracht fünf unterschiedlich große Knochenteile ungefähr symmetrisch eingelassen. Durch das virtuos gehandhabte Spiel zwischen den glatten Hauptpartien, Augen, Nase und Lippen und feinen Relief des Haares besticht der Kopf durch eine starke Ausdruckskraft und Präsenz. Im Innern des Reliquiars befinden sich heute mehr als die in der Inschrift genannten zwei zusätzlichen Reliquien, bei denen es sich wohl um zwei stark gebräunte Knochenteile handelt. Acht weitere, größere Knochenteile sind in ein feines weißes Leinengewebe eingewickelt, eine Reliquie befindet sich zudem in einem roten Seidenstoff mit grüner Schleife. Sämtliche Reliquien sind unbeschriftet und ohne Cedulae 9 . Zumindest ein Teil davon stammt aber aus Altzelle, wie eine Urkunde belegt, die ebenfalls im Reliquiar geborgen war. Sie liefert den bisher einzigen Beleg dafür, dass nach der Auflösung des Mariensterner Vaterklosters 1540 aus dessen Schatz stammende Reliquien nach St. Marienstern transloziert wurden. Die Urkunde selbst ist freilich wesentlich älter. Sie wurde vom dritten Abt von Altzelle, Matthäus, ausgestellt sowie gesiegelt und bezieht sich auf eine in Zusammenhang mit 9 Die Reliquien wurden anläßlich der Restaurierung des Reliquiars 1996-1997 entnommen; eine genauere Untersuchung war jedoch nicht möglich. 134 Marius Winzeler der Kirchweih 1199 vorgenommene Altarweihe und entsprechend wohl um einst im Altar geborgene Reliquien 10 . Für die Mariensterner Jakobusreliquien selbst fehlen jegliche Authentiken - offensichtlich war die eingravierte Inschrift Bestätigung genug für die Echtheit. Woher die Reliquien stammen bzw. wie sie nach St. Marienstern kamen, bleibt demnach unklar, zumal echte Partikel des Apostels in dieser Größe kaum dem Märtyrerleib in Santiago de Compostela entnommen wurden. Der „Codex Calixtinus“ überliefert, dass der Leichnam des Heiligen nicht von der Stelle bewegt werden könne und vollständig in Santiago liege. Deshalb müßten alle Neider jenseits der Berge (der Pyrenäen) vor Scham erröten, wenn sie behaupten, sie besäßen Reliquien des Heiligen 11 . Tatsächlich beanspruchten bekanntlich nicht wenige Orte den Besitz echter Jakobusreliquien 12 , in ihrer Echtheit urkundlich bestätigt wurden jedoch nur sehr wenige. Dazu gehört ein Schädelfragment, das Erzbischof Diego Gelmírez um 1140 dem Bischof Atto von Pistoia schenkte und 1407 in ein Reliquiar von Lorenzo Ghiberti eingefügt wurde 13 . Von wenigen anderen sind Translationsnachrichten bekannt, welche die Seltenheit von Jakobusreliquien belegen und ihr Besitz ganz besonders attraktiv erscheinen ließ 14 . Doch bei den wenigen Jakobusreliquiaren des 12.-14. Jahrhunderts fehlen konkrete Quellen - das gilt für das Fingerreliquiar in Eichstätt 15 genauso wie für das Fußreliquiar aus dem Besitz des Jacques de Vitry aus dem Schatz von Oignies in Lüttich 16 . Die Ablassbriefe für St. Marienstern im dortigen Klosterarchiv belegen zwar, dass Bernhard von Kamenz mehrfach mit iberischen Bischöfen zusammenkam. Doch es läßt sich bisher kein Kontakt zu den damals in Santiago amtierenden Erzbischöfen Gonzalo Gómez und Rodrigo González nachweisen, die ihm allenfalls die begehrten Jakobusreliquien hätten verschaffen können. 10 Die heute im Archiv der Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern aufbewahrte Urkunde wird von Tom G RABER im Rahmen des Urkundenbuches des Klosters Altzelle publiziert und bearbeitet werden. 11 Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela, hg. von Klaus H ERBERS (Tübingen 4 1991) S. 150f. 12 Jan VAN H ERWAARDEN , O, roemrijke Jacobus - bescherm uw volk. Pelgrimsgids naar Santiago (Amstelveen 1983) S. 112. 13 Santiago - Camiño de Europa. Culto e cultura na peregrinación a Compostela (Ausstellungskatalog: Santiago de Compostela, San Martiño Pinario, Santiago 1993) Nr. 82. 14 Santiago - Camiño de Europa (wie Anm. 13) S. 369f. 15 Santiago - Camiño de Europa (wie Anm. 13) Nr. 85. 16 Santiago - Camiño de Europa (wie Anm. 13) Nr. 83. - Autour de Hugo d’Oignies, Ausstellungskatalog: Namur, Musée des Arts anciens du Namurois, hg. von Robert D IDIER / Jacques T OUSSAINT (Namur 2003) Nr. TOSND 17. St. Jakobus in St. Marienstern 135 Auffällig bleibt auf jeden Fall, dass das Mariensterner Kopfreliquiar des heiligen Jakobus des Älteren bisher das einzige bekannte Jakobus-Reliquiengefäß dieses Typus aus dem Mittelalter ist. Das verschiedentlich erwähnte, archaisch anmutende Büstenreliquiar des hl. Jakobus im Domschatz von Pordenone bezieht sich laut historischen Schatzverzeichnissen nicht auf Jacobus maior, sondern auf Jacobus minor 17 . Dieser ist auch in der aus dem mittleren 14. Jahrhundert stammenden Büste des „Santiago Alfeo“ in Santiago präsent 18 . Ebenso bezieht sich das in der Literatur gern für Jacobus maior beanspruchte Schädelreliquiar im Domschatz von Halberstadt auf den jüngeren Jakobus 19 . Die Echtheit der Reliquien wird durch die Erscheinung des Reliquiars selbst jedoch unterstrichen: Zunächst fällt die knochige Erscheinung dieses Kopfes auf, wodurch deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass die Reliquien, die in die wie nur ein von einer dünnen Haut umspannten Schädel wirkende Hülle eingelassen sind, mit dieser zusammen eine vollkommene Einheit darstellen. Zudem folgen Kopfform und Gesichtstypus in deutlicher Weise Vorbildern in Santiago de Compostela. Dass diese Nähe kein Zufall ist, sondern auf ein breit tradiertes Wissen bzw. den verbreiteten ikonografischen Aposteltypus zurückgeht, belegen zahlreiche Darstellungen des hl. Jakobus aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Zu Typus und Stil des Mariensterner Reliquiars Der Typus des Apostelantlitzes mit gescheiteltem, vollem Haar, lockigem Bart, lebhaftem Blick und regelmäßigen Zügen mit stark vortretenden Backenknochen - letztere unterstreichen den asketischen Charakter - war spätestens seit der sitzenden Figur des Heiligen am Glorienportal des Meisters Mateo aus dem mittleren 12. Jahrhundert in Santiago de Compostela fest geprägt. Dies belegen zahlreiche nachfolgende Darstellungen wie die Devotionalfigur und Reliquienstatuette des 17 Die entsprechende Benennung bei Birgitta F ALK , Bildnisreliquiare. Zur Entstehung und Entwicklung der metallenen Kopf-, Büsten- und Halbfigurenreliquiare im Mittelalter, Aachener Kunstblätter 59 (1991-1993) S. 99-238, S. 107 ist falsch; vgl. Ori e tesori d’Europa. Mille anni di oreficeria nel Friuli-Venezia Giulia, Ausstellungskatalog: Codroipo, Villa Manin in Passariano, hg. von Giuseppe B ERGAMINI (Mailand 1992) Nr. II.5. 18 Santiago - Camiño de Europa (wie Anm. 13) Nr. 65. 19 F ALK , Bildnisreliquiare (wie Anm. 17) S. 128; Petra S EVRUGIAN , Zur Geschichte des Domes und des Domschatzes im Mittelalter, in: Kostbarkeiten aus dem Domschatz zu Halberstadt (Halle/ Saale 2001) S. 7-13, insbes. S. 11. 136 Marius Winzeler Geoffroy Coquatrix (nach 1315) in Santiago 20 oder Monumentalplastiken von Moissac bis Villingen, Glas- und Buchmalerei. Auch in der mitteleuropäischen Kunst der Romanik ist Jakobus in dieser Gestalt bekannt, wie die dem Kirchenpatron gewidmete Frontalfigur an der Apsis der 1165 geweihten St. Jakobskirche in Jakub bei Kuttenberg (Kutná Hora) belegt 21 . Die hohe künstlerische und technologische Qualiät des Mariensterner Jakobusreliquiars wirft zahlreiche Fragen auf, vor allem nach stilistischer Einordnung und Zeitstellung der Entstehung. In der erhaltenen Goldschmiedekunst des 13. und 14. Jahrhunderts finden sich zunächst ebenso wenig unmittelbaren Vergleichswerke wie in der gleichzeitigen europäischen Plastik. Die allgemein an spätromanische Figurenbildung erinnernde niedere Stirn und die ausgeprägt kugeligen Augen, die wohl ehemals bemalt waren, haben zwar weitläufige Parallelen in Büsten- und Kopfreliquiaren des ausgehenden 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts - genannt seien beispielsweise das Büstenreliquiar des hl. Candidus in St-Maurice d’Agaune (3. Viertel 12. Jahrhundert), das Büstenreliquiar eines unbekannten Heiligen (Silvester? ) im Domschatz von Hildesheim (2. Viertel 13. Jahrhundert). Auch das sicher auf die Jahre zwischen 1270 und 1275 datierte Büstenreliquiar des hl. Pantalus aus dem Basler Münsterschatz (Basel, Historisches Museum) ist diesem Typus verpflichtet. Zudem lassen sich aber die Gesichtsproportionen und Augen des Mariensterner Jakobuskopfes mit den wenigen erhaltenen Beispielen von Steinskulptur in Böhmen vergleichen, etwa mit der Stifterfigur P ř emysl Otakar I. am Tympanon des Prager Georgsklosters (um 1230), den Kapitellköpfen der Salvatorkirche im Prager Agneskloster (um 1240). Doch letztlich bleiben alle genannten Ähnlichkeiten so allgemein, dass es vermessen wäre, eine direkte Bezugnahme abzuleiten. Konkretere Ergebnisse bringt erst die genaue Betrachtung von prägnanten Details wie der an diesem Werk besonders auffällig aufwändig ausgeführten Haargestaltung. In der französischen Skulptur des letzten Drittels des 13. Jahrhunderts war offenbar ähnlich ausgebildetes gerade gewelltes Haar Christus- und Königsdarstellungen vorbehalten, fand jedoch in einem singulären Werk eine besondere Ausprägung, an der Kalksteinfigur der hl. Magdalena 20 Santiago - Camiño de Europa (wie Anm. 13) Nr. 66; L’Art au temps des rois maudits Philippe le Bel et ses fils 1285-1328, Ausstellungskatalog: Paris, Galéries nationales du Grand Palais (Paris 1998) Nr. 150. 21 Vgl. Ji ř í M AŠÍN , Malerei und Plastik der Romanik, in: Romanik in Böhmen. Geschichte, Architektur, Malerei, Plastik und Kunstgewerbe, hg. von Erich B ACHMANN (München 1977) S. 138-243, insbes. S. 181. St. Jakobus in St. Marienstern 137 in Écouis (um 1311-1313), deren freilich noch freier gearbeitetes fließendes Haar ebenso die ganze Skulptur dominiert wie es im Fall der Mariensterner Büste zu konstatieren ist. Bezieht man jüngere Werke des 14. Jahrhunderts in die Betrachtung ein, so fällt demgegenüber auf, dass ab dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts die Haarbehandlung weit stärker ornamental und stilisiert ausgeführt ist als im Falle des Mariensterner Werkes - so zum Beispiel an der Johannesbüste in Aachen-Burtscheid, einem wohl in Aachen nach 1355 gefertigten Werk 22 . Näher am Mariensterner Reliquiar als westliche und insbesondere französische Vergleichsbeispiele sind jedoch eindeutig mitteleuropäische und böhmische Kunstwerke. Bezüglich der Haarqualität kann in der Monumentalskulptur auf das Fragment eines thronenden Christus aus dem Wenzelsdom in Olmütz verwiesen werden (um 1260-1270). Ansonsten bieten sich einige wenige Werke der Goldschmiedekunst zu einem Vergleich dar, auch wenn diese in ihrem Maßstab sehr viel kleiner sind: zunächst sind es die Figürchen am Sockel des Prager Georgsarmes (um 1290; Prag, Domschatz), wo der Haargestaltung ebenfalls sehr viel Gewicht beigemessen wurde, so dass sie die Physiognomie der Figuren des thronenden Christus und des hl. Georg maßgeblich bestimmt. Bezüge ergeben sich auch zu den Siegeln P ř emysl Otakars II. und vor allem Wenzels II., die nach französischem Vorbild den Herrscher frontal thronend wiedergeben; ihr Haar fällt symmetrisch strähnig herab und rollt sich unten in einer Lockentolle. Mit dem Jakobuskopf vergleichbar ist insbesondere das erste Regentensiegel Wenzel II., das ihn noch ungekrönt zeigt 23 . Darauf trägt der Herrscher ein Kleid, das einen spitz zulaufenden Halsausschnitt aufweist, dessen breite und mit Edelsteinen besetzte Borte mit dem entsprechenden Schmuck des Jakobushauptes auffällig korrespondiert. Hinsichtlich der Haarbehandlung sei zudem auf die Reliquienbüste der hl. Thekla aus dem Basler Münsterschatz verwiesen, eine oberrheinische Arbeit aus dem Ende des 13. Jahrhunderts (Basel, Historisches Museum). Eine hohe Ähnlichkeit verbindet den Mariensterner Jakobuskopf aber vor allem mit dem Büstenreliquiar der hl. Erentrudis im Stift Nonnberg, das 1316 gestiftet und wohl kurz vorher geschaffen 22 Prague. The Crown of Bohemia, Ausstellungskatalog: New York, Metropolitan Museum, hg. von Barbara Drake B OEHM / Ji ř í F AJT (New York 2005) Nr. 24 (Barbara Drake B OEHM ). 23 Jaromír H OMOLKA , K ikonografii pe č etí posledních P ř emyslovc ů , in: Um ě ní doby posledních P ř emyslovc ů , hg. von J I  I K UTHAN (Rosztoky u Prahy 1982) S. 159-179, insbes. S. 175f. 138 Marius Winzeler wurde 24 . Das Gesicht der Heiligen erscheint zwar stärker typisiert und starrer geschnitten; in den Proportionen, der Mundform und vor allem in der Behandlung des Haars zeigen sich jedoch deutliche Parallelen zum Jakobushaupt: Gerade das bei keinem weiteren Werk derart ausgeprägte Motiv der nahezu spiegelbildlichen, jedoch offensichtlich absichtlich nicht absolut symmetrisch ausgebildeten Gegenwellen der Scheitelsträhnen wiederholt sich. In technologischer Hinsicht stellt das Jakobushaupt ein Meisterwerk dar: Es handelt sich um eine „autonome“ Treibarbeit ohne Holzkern 25 , d. h. ein freiplastisch getriebenes Werk, und zwar eines aus einem Blech ohne jegliche Löt- und Nahtstellen. Nur die nicht vergoldete Silberplatte an der Unterseite ist separat gearbeitet und dann mit dem Kopfteil verstiftet worden. Zwar ist die Technik der freiplastischen Treibarbeit in der Goldschmiedekunst seit der Antike bekannt, jedoch nur selten in einer vergleichbaren Meisterschaft ausgeführt worden 26 . Verwiesen sei etwa auf das Kopfreliquiar des hl. Alexander aus Stavelot (Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts), entstanden in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts möglicherweise in Südfrankreich, oder das Mauritiushaupt aus Rheinau (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts; Zürich, Schweizerisches Landesmuseum). Als ältestes vergleichbares Beispiel nördlich der Alpen gilt die Reliquienbüste des hl. Antonius im Kölner Diözesanmuseum, entstanden zwischen 1222 und 1230. Zweifellos stellte die nahtlose Treibarbeit auch danach einen angestrebten technologischen Höhepunkt dar, wurde aber selten realisiert. Auch die Basler Theklabüste ist aus zwei Teilen zusammengefügt, im Falle der Erentrudisbüste in Nonnberg sind technologische Details nicht bekannt. Offenbar ebenfalls aus einem Silberblech getrieben ist jedoch die (stilistisch mit der Erentrudisbüste nah verwandte) Reliquienbüste der hl. Ludmila aus dem Prager Georgskloster, heute im Domschatz von St. Veit in Prag (frühes 14. Jahrhundert). Sie ist denn auch über die technologische Verwandtschaft zweifellos ein dem Jakobushaupt besonders nahe stehendes Werk, eine Arbeit aus dem unmittelbaren Umfeld des 24 Hans T IETZE / Regintrudis R EICHLIN VON M ELDEGG OSB, Die Denkmale des Stiftes Nonnberg in Salzburg (Österreichische Kunsttopographie VII, Wien 1911) S. 87-90. - Gold + Silber. Kostbarkeiten aus Salzburg, Ausstellungskatalog: Salzburg, Dommuseum (Salzburg 1984) Nr. K 11 (Franz W AGNER ). 25 Der Begriff „autonom“ in diesem Zusammenhang nach Dietmar L ÜDKE , Die Statuetten der gotischen Goldschmiede. Studien zu den „autonomen“ und vollrunden Bildwerken der Goldschmiedeplastik und den Statuettenreliquiaren in Europa zwischen 1230 und 1530 1 (tuduv-Studien, Reihe Kunstgeschichte 4, München 1983) S. 111. 26 Zur Technik vgl. F ALK , Bildnisreliquiare (wie Anm. 17) S. 136-140. St. Jakobus in St. Marienstern 139 böhmischen Königs Wenzel II., der bekanntlich selbst im Haus seines Lieblingsgoldschmieds gestorben ist 27 . Die hier skizzierten Argumente zusammenfassend komme ich zum Schluss, dass das Mariensterner Kopfreliquiar des hl. Jakobus des Älteren als Meisterwerk der Prager Hofkunst im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts gelten darf, also zur Zeit König Wenzels II., dem Brotgeber Bernhards III. von Kamenz, entstanden ist. In Korrespondenz zum Stifterwappen kommen als Entstehungszeit nur die Jahre zwischen 1290 und 1296 in Betracht. Zum Gebrauch der Büste und zur Verehrung des Heiligen in St. Marienstern Die kunsthistorische Bedeutung des Mariensterner Jakobushauptes lässt sich durch genaue Betrachtung und vergleichende Analyse erfassen. Sein Rang in Kult und Verehrung hingegen ist nur anhand der Gebrauchsspuren, weniger Schriftquellen und der mündlichen Überlieferung im Kloster selbst nachzuvollziehen. Zunächst sei festgehalten, dass das Reliquiar verhältnismäßig gut erhalten ist und sein Zustand auf sorgsamen Umgang schließen lässt. Nur an der Rückseite erlitt es an der schwächsten Stelle im Haarbereich eine leichte Stauchung, einige nachträglich verlötete Spannungsrisse im Bereich der Kalotte sowie an den Seiten sind möglicherweise auf einen Sturz des Kopfes zurückzuführen. Die Schädelreliquien zeigen zudem deutliche Abriebspuren, einerseits durch regelmäßiges Reinigen, andererseits wohl auch durch Verehrungsbezeugungen - Berühren und Küssen. Als ein weiterer Ausdruck besonderer Ehrerbietung gegenüber dem Heiligen und seiner Reliquien kann ferner das traditionellerweise dem Haupt umgehängte kästchenförmige Encolpion mit der ausgesprochen feinen Niellodarstellung des Kruzifixus und unbekannten Reliquien im Innern gelten (Abb. 7) 28 . Konkrete Nachrichten zur mittelalterlichen Jakobus-Verehrung in St. Marienstern sind über das Reliquiar hinaus leider kaum fassbar. In der ältesten nachweislich für das Kloster geschriebenen und illuminierten liturgischen Handschrift, dem zweibändigen Lektionar des Arnold von Meißen aus der Zeit um 1260-1264 wurde zwar im Sanctorale das 27 B OEHM / F AJT , Prague (wie Anm. 22) Nr. 6 (Barbara Drake B OEHM ). Eine Diskussion der bisher nach m. E. zu späten Datierung dieser Büste ist an anderer Stelle vorgesehen. 28 Zeit und Ewigkeit (wie Anm. 1) Nr. 2.81 (Petra M ARX ). 140 Marius Winzeler Jakobusfest durch eine historisierte Initiale D(igna) ausgezeichnet 29 . Allerdings zeigte die Darstellung ungewöhnlicherweise die Geburt des Apostels, wodurch kein ikonografischer Bezug zum Reliquiar hergestellt werden kann. Auch in den jüngeren Mariensterner Handschriften fehlen jegliche Verbindungen zum Jakobusreliquiar. Im prächtig illuminierten Diurnale von St. Marienstern aus der Zeit um 1350 ist der Heilige im Kalendarium des Juli unspezifisch als jugendlicher bartloser Heiliger wiedergegeben, genau so wie auch im März der jüngere Jakobus dargestellt ist 30 . Ebenso ohne besondere Akzentuierung erscheint Jacobus maior auch auf den jüngeren Apostelzyklen, die im späten 16. Jahrhundert als monumentale Wandbilder im Kreuzgang sowie etwas später im frühen 17. Jahrhundert auf dem Nonnenchor gemalt wurden. Als Einzelfigur nimmt zwar die Darstellung des Heiligen auf dem linken Flügel des unter Verwendung älterer Teile um 1650 entstandene Annenretabels in der Klosterkirche einen besonderen Platz ein - zu Seiten einer Gruppe 29 Sommerteil des Lektionars des Arnold von Meißen, ehemals Bibliothek der Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern, seit dem 19. Jahrhundert bis 1945 in der Bibliothek des Zisterzienserstifts Osek/ Ossek, Sign. Ms. 76, fol. 160 r . Heute verschollen. Der Nachweis für die Initiale bei Antonín F RIEDL , Lekcioná ř Arnolda Míšenského (Prag 1928) S. 15. 30 Zeit und Ewigkeit (wie Anm. 1) Nr. 2.140 (Susan M ARTI ). Abb. 7: Encolpion zum Kopfreliquiar des hl. Jakobus, um 1290-1296, Vorderansicht, Zisterzienserinnen- Abtei St. Marienstern (Foto Marburg/ Klosterarchiv St. Marienstern). St. Jakobus in St. Marienstern 141 der Anna selbdritt und als Pendant zur Figur der hl. Ursula auf dem rechten Flügel. Doch als bärtiger Apostel mit goldener Tunika, einem Buch in der rechten Hand und ausgestreckter Linker lässt auch diese Wiedergabe jede besondere Charakterisierung vermissen, ja man würde den Heiligen ohne die Bezeichnung „S. IACOBVS MAI.“ auf dem Sockel kaum zweifelsfrei identifizieren können. Ob dieses Retabel einst auf dem 1690 letztmals belegten Jakobusaltar seinen Platz hatte, kann nur vermutet, jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden 31 . Obwohl das kostbare und ungewöhnliche Jakobus-Reliquiar seit seiner Entstehung im Kloster St. Marienstern vorhanden war und verehrt wurde, hat es offensichtlich die Bilderwelt dieses Konvents kaum beeinflußt oder gar geprägt. Das gleiche gilt auch für das nicht weniger wertvolle Reliquiar des Klosterpatrons Johannes des Täufers, das in Büstenform ähnlich aufwändig gefasst und in der gleichen Prager Werkstatt wie das Jakobushaupt gefertigt worden ist (Abb. 8) 32 . Beide Reliquien enthalten höchst wichtige Heiltümer, die in der Rangfolge des Mariensterner Heiltums einen vorderen Platz einnehmen, in Kult und in der Verehrung jedoch gegenüber anderen Reliquien zurückstanden. Bei diesen handelt es sich insbesondere um Reliquien der hl. Ursula und ihrer Begleitung, der Elftausend Jungfrauen, von welchen St. Marienstern 31 Klosterarchiv St. Marienstern, Buch Nr. 39. 32 Zeit und Ewigkeit (wie Anm. 1) Nr. 2.78 (Dana S TEHLÍKOVÁ ). Abb. 8: Büstenreliquiar des hl. Johannes d. T., Prag, um 1290-1296, Vorderansicht, Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern (Foto: János Stekovics). 142 Marius Winzeler den Leib der hl. Paulina sowie 78 Häupter gleichfalls schon zu Lebzeiten des Stifters Bernhard III. von Kamenz von diesem erhalten hatte. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts kristallisierte sich - in Zusammenhang mit dem Aufkommen der Mystik - dieser große Heiltumsbestand mehr noch als alle vorhandenen Herren-, Marien- und Apostelreliquien als eigentlicher Schatz des Klosters heraus. Die heilige Frauengemeinschaft wurde als Vorbild für den Konvent hervorgehoben und verehrt, die hl. Ursula zur dritten Patronin des Klosters nach Maria und Johannes dem Täufer 33 . Es gelang dem Kloster eine Wallfahrt zum Ursulafest zu etablieren, die St. Marienstern zu einer weiten Ausstrahlung verhalf. Zwar wurden und werden zu dem dann angesiedelten Reliquienfest alle Heiltümer des Klosters, auch das Jakobushaupt zur Verehrung in der Kirche bzw. heute in der Klausur ausgesetzt, doch vermochten keine Kreuzreliquien, kein Stück vom Marienschleier, weder der Blutstropfen Johannes des Täufers, noch die Schädelreliquien Johannes des Täufers in der Wahrnehmung den Glanz und die Übermacht der heiligen Häupter aus der ursulinischen Gefolgschaft zu erreichen. Zum Fest des hl. Jakob am 25. Juli wurde das Jakobushaupt jedoch jahrhundertelang besonders gewürdigt: Am Vorabend holte die Sakristanin das Reliquiar in einer kleinen Prozession nach der Vesper aus der Schatzkammer und brachte es zur Aussetzung in die Kirche. Dort wurde es vielleicht zunächst auf dem Jakobusaltar, dann aber auf jeden Fall auf dem Hochaltar feierlich ausgestellt, wo das Haupt den ganzen Festtag über blieb, bis es nach der Vesper wieder in die Sakristei zurückgebracht wurde 34 . Der Klosterschatz von St. Marienstern zeugt insgesamt vom Anspruch und Willen eines bedeutenden Fundators. Ihm, Bernhard III. von Kamenz, ist es in erstaunlicher Vollkommenheit gelungen, nicht nur wirtschaftlich, baulich, formal, sondern auch geistlich und geistig seiner Stiftung die entscheidende, bis heute wirksame Prägung zu geben. Innerhalb des Schatzes kommt dem Jakobusreliquiar einen besonderen Platz zu. Es stellt durch seine Reliquien und mit seinem Gefäß kultisch, ikonografisch und materiell eines der bedeutendsten Reliquiare des Klosters dar. Damit ist es zweifellos Ausdruck der besonderen Verehrung und Wertschätzung, die man dem Heiligen im 33 Marius W INZELER , Thesaurus Mariaestellensis - ein Heiltum, sein Stifter und ihre Bedeutung für die Schwesterngemeinschaft, in: Frauen - Kloster - Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters, hg. von Jeffrey H AMBURGER / Carola J ÄGGI / Susan M ARTI / Hedwig R ÖCKELEIN (im Druck). 34 Klosterarchiv St. Marienstern, Notizbüchlein von Sakristaninnen und aus dem Noviziat, 18.-20. Jahrhundert. St. Jakobus in St. Marienstern 143 Umfeld von Kamenz und der Herren von Kamenz im 13. Jahrhundert entgegen brachte. Darüber hinaus bezeugt das Jakobushaupt aber auch den kultischen Wandel innerhalb eines Heiltums, insofern es schon im 14. Jahrhundert gegenüber den weit weniger kostbar gefassten Reliquien der hl. Ursula und ihrer Gefolgschaft an Bedeutung für die Identifikation der Schwesterngemeinschaft einbüßte. Künstlerisch ist dieses einzige erhaltene Kopfreliquiar des hl. Jakobus aus dem Mittelalter aber auf jeden Fall ein Meisterwerk: Es vermag eine gültige Vorstellung vom internationalen Niveau der fast verlorenen mitteleuropäischen Hofkunst des späten 13. Jahrhunderts zu vermitteln. Und in einem weiteren Kontext gesehen, stellt das Mariensterner Reliquiar den bedeutendsten Beleg für den Kult des großen Apostels in den Ländern der böhmischen Krone dar. Resumen: En la abadía cisterciense de St. Marienstern cerca de Kamenz (Oberlausitz; Estado libre de Sajonia), se conserva un tesoro medieval único proveniente de un monasterio. En él, una cabeza-relicario de Santiago el Mayor ocupa un puesto preponderante. El cráneo y otras reliquias del Apóstol fueron integrados en una pieza de orfebrería excepcional que remonta aprox. a los años 1290-1296 y que está guarnecida con piedras preciosas. Por lo que se sabe, se trata de la única cabeza-relicario medieval del santo que se conserva; su culto ha dejado diferentes huellas en St. Marienstern y sus alrededores hasta la Edad Contemporánea. En Kamenz, una iglesia y luego una capilla le estaban consagradas, en la iglesia abacial de Marienstern, un altar; diversas esculturas y pinturas de los siglos XV al XVII lo representan. Para la comunidad de monjas, empero, el santo - a pesar de lo poco común que eran las reliquias y de lo valioso que era el relicario - no tuvo tanta importancia como la comunidad femenina de mártires formada por Santa Ursula y las once mil Vírgenes, cuyas reliquias, numerosas en el Tesoro, formaban el centro del santuario. Para el donante del relicario de Santiago, sin embargo, fue de gran importancia el especial valor de la reliquia y de su engaste, por lo cual hizo poner el escudo de su familia en la plancha inferior. Pero Bernardo III de Kamenz donó al monasterio de St. Marienstern, en cuya fundación había desempeñado un rol decisivo, no sólo ese relicario, sino que un gran número de trabajos de orfebrería y manuscritos. Logró imponer un sello tanto económico y arquitectónico como religioso y espiritual decisivo al monasterio por él fundado - sello perceptible hasta el día de hoy -, alcanzando una perfección sorprendente. Siendo primero canónigo y luego preboste catedralicio de Meißen, Bernhard III von Kamenz llegó a ocupar la cátedra episcopal de dicha ciudad a los pocos años de morir. De manera paralela a su carrera eclesiástica, estuvo al servicio del duque Heinrich IV de Breslavia como canciller, y fue luego uno de los consejeros más importantes del rey de Bohemia Wenceslao II en Praga. Esta red centroeuropea se refleja en la edificación y la dotación del monasterio de St. Marienstern. En sus viajes diplomáticos, coleccionó indulgencias y privilegios y juntó reliquias, que hizo engastar por los mejores orfebres de Praga. En cuanto a los materiales y las técnicas, se fijó en que se alcanzara una calidad a alto nivel y entregó 144 Marius Winzeler él mismo indicaciones decisivas sobre la forma y el tamaño, como lo revela una observación atenta de la cabeza de Santiago. En cuanto a la iconografía, la realización artística y la veneración, esta última es un testimonio excepcional del culto al gran Apóstol en el Este de Europa Central durante el siglo XIII. Zwischen Devotion und Repräsentation Fürstliche Heiligenverehrung in Mitteldeutschland vor der Reformation C HRISTOPH V OLKMAR 1. Koordinaten fürstlicher Frömmigkeit um 1500 Im Jahre 1520 erschienen in Wittenberg in kurzer Folge drei deutsche Flugschriften Martin Luthers, die als Hauptwerke der Reformation gelten. Der Aufruf „An den christlichen Adel deutscher Nation“, der Sendbrief „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und der Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ repräsentieren das erste kohärente Programm jener religiösen Erneuerungsbewegung, die mit 95 Thesen gegen den Ablass ihren Anfang genommen hatte 1 . Doch die tagesaktuellen Themen, die die Wittenberger Pressen im Jahre 1520 in Bewegung hielten, beschränkten sich nicht auf die revolutionären Ideen des streitbaren Augustiners. Ganz andere Töne schlug ein Einblattdruck an, der so gar nicht zum Aufbruch der Reformation passen will. Unter dem Titel Verkundung des grossen aplas der weisung des hochwirdigen heiligtumbs der Aller Heiligen stiftkirchen zu Wittenberg forderte er die Menschen in Nah und Fern auf, am Sonntag Misericordias Domini in die Residenzstadt an der Elbe zu pilgern, um sich in der Schlosskirche bei der alljährlichen Weisung des Wittenberger Heiltums aller heiligen seligen vorbitt zu befelen 2 . Nicht allein aber aus dem Wunsch um Fürsprache der Heiligen sollten die Gläubigen nach 1 Vgl. Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520), in: D. Martin Luthers Werke 6. Kritische Gesamtausgabe, 70 Bde. (bisher erschienen) (Weimar 1883-2003) S. 404-469; Ders., De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (1520), in: ebd. S. 484-573; Ders., Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), in: ebd. 7, S. 12-38. 2 Zitiert nach Hartmut K ÜHNE , Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75, Berlin 2000) S. 410. 146 Christoph Volkmar Wittenberg kommen. Die Teilnahme an der großen Heiltumsweisung, so verkündet der Druck voller Stolz, würde jetzt erstmals mit einem neuen päpstlichen Ablass belohnt, der alle bisherigen Sündenerlässe in den Schatten stelle. Sein Umfang war an die Zahl der gezeigten Reliquien gekoppelt und betrug nicht weniger als 1.902.202 Jahre, 270 Tage sowie 1.915.983 Quadragenen (40-tägige Bußzeiten) zeitlicher Sündenstrafe 3 . Es ist nicht überliefert, ob und wie Martin Luther diese Werbeschrift, in der ausgerechnet Wittenberg als ein Zentrum päpstlich sanktionierter Ablassfrömmigkeit erscheint, kommentiert hat. Sicher ist jedoch, dass sich der schon weithin berühmte Universitätslehrer öffentlich vorsichtig zurückhielt. Denn Initiator der Heiltumsweisung und treibende Kraft hinter der päpstlichen Ablassbulle war nicht etwa ein ultramontaner Dominikaner, sondern niemand anderes als Luthers Landes-, Dienst- und Schutzherr Friedrich der Weise. Seine persönliche Reliquiensammlung präsentierte man am Allerheiligenstift und in seinem allerhöchsten Auftrag hatte Georg Spalatin, der Fürsprecher Luthers am kurfürstlichen Hofe, die komplizierte Berechnung des Ablassquantums persönlich vorgenommen und festgehalten 4 . Diese kurze Episode aus der Wittenberger Reformationsgeschichte gibt ein markantes Beispiel für das Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, ein Ereignis- und Wahrnehmungsmuster, das sicheres Kennzeichen jeder Umbruchssituation zu sein scheint. Sie führt darüber hinaus die Vitalität und Aktualität fürstlicher Heiligenverehrung selbst im „Mutterland der Reformation“ 5 vor Augen und beschreibt damit je- 3 Zur Geschichte des Wittenberger Heiltums vgl. Paul K ALKOFF , Ablass und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg unter Friedrich dem Weisen (Gotha 1907); K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 400-423; Enno B ÜNZ , Zur Geschichte des Wittenberger Heiltums. Johannes Nuhn als Reliquienjäger in Helmarshausen und Hersfeld, Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 52 (1998) S. 135-158; Carola F EY , Beobachtungen zu Reliquienschätzen deutscher Fürsten im Spätmittelalter, in: „Ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas T ACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt 2, Göttingen 2006); mit Schwerpunkt auf den kunsthistorischen und mediengeschichtlichen Aspekten: Livia C ÁRDENAS , Friedrich der Weise und das Wittenberger Heiltumsbuch. Mediale Repräsentation zwischen Mittelalter und Neuzeit (Berlin 2002); Stefan L AUBE , Zwischen Hybris und Hybridität. Kurfürst Friedrich der Weise und seine Reliquiensammlung, in: T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (in dieser Anm.) S. 170-207. Die wichtigste Quelle, das Wittenberger Heiltumsbuch, liegt als Faksimile vor. Vgl. Dye zaigung des hochlobwirdigen hailigthums der stifft kirchen aller hailigen zu Wittenburg, Wittenberg [Symphorian Reinhart] 1509, Faksimile-Ausgabe (München 1884, ND Unterschneidheim 1969). 4 Vgl. K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 400-423. 5 Diese Begriffsbildung mit Bezug auf Sachsen bzw. Mitteldeutschland geht auf Heinrich Bornkamm zurück. Vgl. dazu Enno B ÜNZ , Die Reformation in Meißen. Zwischen Devotion und Repräsentation 147 nes religiöse Klima 6 , in dem sich die frühe Reformation entfaltete und gegen das sie sich vehement abgrenzte 7 . Zum Zusammenhang von Stadt- und Fürstenreformation im Herzogtum Sachsen, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim B AHLCKE / Karen L AMBRECHT / Hans-Christian M ANER (Leipzig 2006) S. 263-286, hier S. 263. 6 Die Verwurzelung der spätmittelalterlichenHeiligenverehrung auchindenKernlanden der Reformation hat in jüngster Zeit das verstärkte Interesse der Forschung gefunden. Dabei muss sie freilich mit einer schwierigen Quellenlage operieren, da gerade der Erfolg der Reformation wegen des damit verbundenen Traditionsbruchs als Überlieferungshindernis gewirkt hat. Vgl. die jüngst erschienenen Tagungsbände: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum. Beiträge einer interdisziplinären Arbeitstagung Eisleben 7.-8. Juni 2002, hg. von Hartmut K ÜHNE / Wolfgang R ADTKE / Gerlinde S TROHMAIER -W IEDERANDERS (Berlin 2002); T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (wie Anm. 3) S. 11-36; als Einzelarbeiten: Hans K. S CHULZE , Heiligenverehrung und Reliquienkult in Mitteldeutschland, in: Festschrift für Friedrich von Zahn 1, hg. von Walter S CHLESINGER (Mitteldeutsche Forschungen 50, Köln/ Graz 1968) S. 294-312; Enno B ÜNZ , Das Gemälde-Epitaph von 1483 in der Jenaer Michaelskirche. Ein Beitrag zur Geschichte der Vierzehn-Nothelfer-Verehrung in Thüringen, Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 56 (2002) S. 193-204; Birgit F RANKE , Mittelalterliche Wallfahrt in Sachsen. Ein Arbeitsbericht, in: Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 44 (2002) S. 299-389; Hartmut K ÜHNE , „Das kint mit einem pfunt wacs zum heiligen leycnam yn diß capell gelobt“. Mitteldeutsche Mirakelbücher als Quellen zur Wallfahrtsgeschichte, in: Wallfahrten in der europäischen Kultur/ Pilgrimage in European Culture. Transregionale Kommunikation und mitteleuropäische Identität im Spiegel religiöser Mobilität. Beiträge zur Konferenz vom 26.-29. Mai 2004 in Pribram, hg. von Daniel D OLEZAL / Hartmut K ÜHNE (Frankfurt a. M./ Berlin/ Bern/ Brüssel/ New York/ Oxford/ Wien 2006) [im Erscheinen]; Christoph V OLKMAR , Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/ 24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 146, Münster 2002); D ERS ., Zwischen landesherrlicher Förderung und persönlicher Distanz. Herzog Georg von Sachsen und das Annaberger Heiltum, in: T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (wie Anm. 3) S. 100-124; D ERS ., Druckkunst im Dienste der Kultpropaganda. Der Buchdruck als Instrument landesherrlicher Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen am Beispiel der Kanonisation Bennos von Meißen, in: Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland. Neue Ergebnisse zur Kommunikations- und Mediengeschichte um 1500, hg. von Enno B ÜNZ (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 15, Leipzig 2006) S. 439-460; als aktuelle Quelleneditionen: Die Wallfahrt zu Grimmenthal. Urkunden, Rechnungen, Mirakelbuch, hg. von Johannes M ÖTSCH (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe 10, Köln/ Weimar/ Wien 2004); Das Wunderbuch Unserer Lieben Frau im thüringischen Elende (1419-1517). Diplomatische Edition hg. von Gabriela S IGNORI (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe 12, Köln/ Weimar/ Wien 2005). - Methodisch überholt sind damit ältere Thesen, die aus der spärlichen Überlieferung eine geringere Verbreitung spätmittelalterlicher Heiligenverehrung im Norden und Osten des Reichs folgerten und daraus sogar eine 148 Christoph Volkmar 7 Die Frömmigkeit des Spätmittelalters hat in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der historischen Forschung gefunden. Verantwortlich ist dafür einerseits das gesteigerte Interesse an kulturgeschichtlichen Fragestellungen, andererseits eine neue Sicht auf das 15. Jahrhundert und insbesondere die Jahrzehnte vor der Reformation, die heute nicht mehr als Herbst des Mittelalters (Jan Huizinga), als Verfallsperiode vor einer grundlegenden Erneuerung, sondern als Epoche des Aufbruchs betrachtet werden, deren Studium ebenso spannend sein kann wie das der Reformation selbst 8 . Die besondere Faszination der spätmittelalterlichen Frömmigkeit hängt sicherlich nicht zuletzt mit der kaum überschaubaren Vielfalt ihrer Formen und Ausprägungen zusammen. Sie führt die Komplexität kultureller Symbolsysteme vor Augen und erinnert an eine Verbindung, die heute nicht mehr selbstverständlich erscheint, an die in der Vormoderne untrennbare Verquickung von Religion und Gesellschaft 9 . strukturelle Affinität für die Ideen der Reformation herleiten wollten. Vgl. Lionel R OTHKRUG , Popular Religion and Holy Shrines. Their Influence on the Origins of the Reformation and their Role in German Cultural Development, in: Religion and the People, 800-1700, hg. von James O BELKEVICH (Chapel Hill 1979) S. 20-86; zur Kritik dieser Thesen zuerst Wolfgang B RÜCKNER , Das Problem Wallfahrtsforschung oder: Mediaevistik und neuzeitliche Sozialgeschichte im Gespräch, in: Wallfahrt und Alltag in Mittelalter und Früher Neuzeit (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte 592, Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde 14, Wien 1992) S. 7-26. 7 Zur Kritik der Reformation an der Heiligenverehrung vgl. Lennart P INOMAA , Luthers Weg zur Verwerfung des Heiligendienstes, in: Lutherjahrbuch 29 (1962) S. 35-43; Hartmut K ÜHNE , „Die do lauffen hyn und her, zum heiligen Creutz zu Dorgaw und tzu Dresen [...]“. Luthers Kritik an Heiligenkult und Wallfahrten im historischen Kontext Mitteldeutschlands, in: T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (wie Anm. 3) S. 499-522. 8 Wichtig wurden für diese neue Sicht auf das 15. Jahrhundert vor allem die Arbeiten von Hartmut Boockmann und Bernd Moeller. Vgl. Hartmut B OOCKMANN , Das 15. Jahrhundert und die Reformation, in: D ERS ., Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Folge 3, 206, Göttingen 1994) S. 9- 25, wiederabgedruckt in: D ERS ., Wege ins Mittelalter. Historische Aufsätze, hg. von Dieter N EITZERT / Uwe I SRAEL / Ernst S CHUBERT (München 2000) S. 65-80; Hartmut B OOCKMANN / Heinrich D ORMEIER , Konzilien, Kirchen- und Reichsreform (1410- 1495) (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 8, Stuttgart 10 2005); Bernd M OELLER , Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. von Johannes S CHILLING (Göttingen 1991). 9 Inzwischen ist die Forschung zur vorreformatorischen Kirche und Frömmigkeit breit aufgestellt. Vgl. zu den aktuellen Debatten exemplarisch Eamon D UFFY , The Stripping of the Altars. Traditional Religion in England 1400-1580 (New Haven/ London 1992); Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400-1600, hg. von Bernhard J USSEN / Craig K OSLOFSKY (Veröffentlichungen des Max-Planck- Instituts für Geschichte 145, Göttingen 1999); Berndt H AMM , Wie innovativ war Zwischen Devotion und Repräsentation 149 Um im Meer der Vielfalt nicht Schiffbruch zu erleiden, sollen sich die folgenden Überlegungen zu fürstlicher Heiligenverehrung um 1500 an vier Koordinaten ausrichten, die auch als zwei Gegensatzpaare gedacht werden können. Damit verbindet sich der Versuch, die Diskussion stärker zu akzentuieren, indem sie von der bunten Fülle der Phänomene weg stärker auf die Motive und Intentionen der Handelnden fokussiert wird. Das erste Koordinatensystem bildet dabei das Spannungsfeld von Devotion und Repräsentation. Ich versuche also, zwischen der persönlichen Religiosität eines Fürsten einerseits und seinem öffentlichen (und damit immer politisch konnotierten) religiösen Handeln im Herrscheramt andererseits zu unterscheiden. Dabei ist freilich nicht an eine absolute Trennung gedacht, gar im Sinne der erst in der Zeit der Aufklärung geborenen Forderung, Religion als Privatsache zu betrachten und damit aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit auszuklammern. Es geht lediglich um eine heuristische Perspektive, um Idealtypen im Sinne Max Webers 10 , also schlicht um eine gedankliche Trennung, die die engen Zusammenhänge zwischen beiden Ebenen nicht leugnen will 11 . Die Fruchtbarkeit eines solchen Ansatzes hat der Bamberger Mediävist Franz M ACHILEK in seiner Differenzierung zwischen der Privatfrömmigkeit und der Staatsfrömmigkeit Kaiser Karls IV. exemplarisch aufgezeigt 12 . die Reformation? , Zeitschrift für historische Forschung 27 (2000) S. 481-497; Spätmittelalterliche Frömmigkeit zwischen Ideal und Praxis, hg. von D EMS ./ Thomas L ENTES (Spätmittelalter und Reformation, N. R. 8, Tübingen 2001); Anne T. T HAYER , Penitence, Preaching and the Coming of the Reformation (St. Andrews Studies in Reformation History, Aldershot 2002); Enno B ÜNZ , Thüringens Pfarrgeistlichkeit vor der Reformation, Historisches Jahrbuch 124 (2004) S. 45-75; Gabriela S IGNORI , Räume, Gesten, Andachtsformen. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europäischen Mittelalter (Ostfildern 2005); Enno B ÜNZ / Christoph V OLKMAR , Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation, in: Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, hg. von Enno B ÜNZ / Stefan R HEIN / Günther W ARTENBERG (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 5, Leipzig 2005) S. 89-109. 10 Vgl. Max W EBER , Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: D ERS ., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre (Tübingen 7 1988) S. 427-474. 11 Zur Rolle von Heiligenverehrung als Kulturtechnik mittelalterlicher Herrschaft vgl. exemplarisch Ursula S WINARSKI , Herrschen mit den Heiligen. Kirchenbesuche, Pilgerfahrten und Heiligenverehrung früh- und hochmittelalterlicher Herrscher (ca. 500-1200) (Geist und Werk der Zeiten 78, Bern/ Frankfurt a. M./ Main/ New York/ Paris 1991); sowie die Beiträge im Sammelband: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen P ETERSOHN (Vorträge und Forschungen 47, Sigmaringen 1994). 12 Vgl. Franz M ACHILEK , Staatsfrömmigkeit und Privatfrömmigkeit, in: Kaiser Karl IV., Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand S EIBT (München 2 1978) S. 87-101. 150 Christoph Volkmar Und tatsächlich ist es von den Kaisern des Hoch- und Spätmittelalters zum vorreformatorischen Landesherrn kein gar so weiter Schritt. Im Zuge des Ausbaus der Landesherrschaft wurde der Fürst am Ausgang des Mittelalters immer mehr zum Epizentrum weltlicher Gewalt, und damit zur personalen Spitze eines christlichen Gemeinwesens, das sich zum Territorialstaat verdichtete 13 . Dadurch wuchs der Landesherr zumindest partiell in eine Rolle hinein, die vorher der Kaiser als weltliches Haupt der Christenheit innehatte. Er übernahm Verantwortung für die Kirche in seinem Territorium, für die Wohlfahrt seines Landes und für das individuelle Seelenheil seiner Untertanen. Hier deutet sich eine Entwicklung an, die in vielen Territorien des Reiches bereits am Ende des Mittelalters zu einem ausgeprägten landesherrlichen Kirchenregiment führte und dann im Landeskirchentum der Reformation, im cujus regio, eius religio, ihre Fortsetzung fand 14 . Bei alledem blieb der Fürst als Individuum ein Laie, ein einfaches Glied der Kirche. Als solcher stand ihm eine ganze Bandbreite religiöser Praktiken zur Verfügung, um für sein persönliches Seelenheil Sorge zu tragen, ein Handlungsrahmen, dessen spezifische Ausrichtung die Forschung heute mit dem Begriff der Laienfrömmigkeit beschreibt 15 . So schwierig die Differenzierung zwischen frommer Devotion einerseits und öffentlicher Repräsentation andererseits unter quellenkritischen Aspekten auch sein mag, so erscheint sie mir doch notwendig, um hinter 13 Vgl. Peter M ORAW , Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250-1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3, Berlin 1985); Ernst S CHUBERT , Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35, München 1996). 14 Zum landesherrlichen Kirchenregiment vor der Reformation vgl. zusammenfassend noch immer: Justus H ASHAGEN , Staat und Kirche vor der Reformation. Eine Untersuchung der vorreformatorischen Bedeutung des Laieneinflusses in der Kirche (Essen 1931); B ÜNZ / V OLKMAR , Kirchenregiment (wie Anm. 9) (mit Zusammenstellung der neueren Literatur); am Beispiel Herzog Georgs von Sachsen: Christoph V OLKMAR , Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, 1488-1525 (Phil. Diss., Universität Leipzig 2006) Ms. Zur Bedeutung patriarchalischer Argumentationsmuster für die Legitimation des Fürstenregiments in Kirchenfragen vgl. Robert James B AST , Honor your Fathers. Catechism and the Emergence of a Patriarchal Ideology (Studies in Medieval and Reformation Thought 63, Leiden 1997); Manfred S CHULZE , Fürsten und Reformation. Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten vor der Reformation (Spätmittelalter und Reformation, N. R. 2, Tübingen 1991). 15 Vgl. Klaus S CHREINER , Laienfrömmigkeit - Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politische Zusammenhänge, hg. von D EMS . (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20, München 1992) S. 1-72. Zwischen Devotion und Repräsentation 151 dem Fürstenamt den Menschen mit seinen persönlichen Überzeugungen zu entdecken oder anders gewendet, um nicht jede Form fürstlichen Handelns als persönliches Bekenntnis überzuinterpretieren 16 . Das zweite Koordinatensystem, an dem sich die folgenden Überlegungen ausrichten, bezieht sich auf den spezifischen Charakter dieser Laienfrömmigkeit. Gerade für die Jahrzehnte um 1500 werden in der Forschung Wandlungen diskutiert, die, oft scheint es, mangels besserer Alternativen, mit dem viel genutzten Epochenbegriff Humanismus in Verbindung gebracht werden - auf die Probleme, die sich damit verbinden, wird noch einzugehen sein 17 . Der Münsteraner Germanist Volker Honemann hat kürzlich in einem Doppelportrait die Idealtypen spätmittelalterlicher und humanistischer Laienfrömmigkeit gegenübergestellt 18 : Für den spätmittelalterlichen Typus spielt die Heiligenverehrung eine zentrale Rolle. Honemanns Gewährsmann, der 1510 verstorbene habsburgische Rat Florian Waldauf, leistet in Todesnot das Gelübde zu einer frommen Stiftung, die die Heiligen ehren und den Menschen nützen soll. Über Jahrzehnte trägt er daraufhin einen der bedeutendsten Heiltumsschätze seiner Zeit zusammen, das Haller Heiltum zu Hall in Tirol. An diesem Gnadenschatz lässt er jedermann teilhaben: eine Stiftung sorgt für geistliches Personal, römische Ablässe und ein gedrucktes Heiltumsbuch werben für die alljährliche Heiltumsweisung in 16 Vgl. M ACHILEK , Staatsfrömmigkeit (wie Anm. 12); V OLKMAR , Annaberger Heiltum (wie Anm. 6). Auf die analytische Bedeutung dieser Differenzierung wies jüngst auch Heinz-Dieter Heimann hin. Vgl. Heinz-Dieter H EIMANN , „Über mehr ein rittervard“ und „heilige wege reiten“. Zu Frömmigkeitsverhalten und religiöser Identitätsbildung brandenburgischer und sächsischer Landesfürsten im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: B AHLCKE / L AMBRECHT / M ANER , Konfessionelle Pluralität (wie Anm. 5) S. 95-108, hier 97. 17 Zu den Frömmigkeitsidealen des Humanismus vgl. Heinrich H ERMELINK , Die religiösen Reformbestrebungen des deutschen Humanismus (Tübingen 1907); Paul J OACHIMSEN , Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 8 (1930) S. 419-480; Lewis W. S PITZ , The Religious Renaissance of the German Humanists (Cambridge/ Mass. 1963); Dieter M ERTENS , Der Humanismus und die Reform des Weltklerus im deutschen Südwesten, Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) S. 11-28; Cornelis A UGUSTIJN , Erasmus. Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer (Studies in Medieval and Reformation Thought 59, Leiden/ New York/ Köln 1996). 18 Vgl. Volker H ONEMANN , „Spätmittelalterliche“ und „humanistische“ Frömmigkeit. Florian Waldauf von Waldenstein und Heinrich Bebel, in: Tradition and Innovation in an Era of Change/ Tradition und Innovation im Übergang zur Frühen Neuzeit, hg. von Rudolf S UTRUP / Jan R. V EENSTRA (Medieval to early modern culture 1, Frankfurt a. M./ Berlin/ Brüssel/ New York/ Oxford/ Wien 2001) S. 75-97. 152 Christoph Volkmar 21 Umgängen, an deren Premiere 1501 32.000 Menschen teilgenommen haben sollen 19 . Die humanistische Frömmigkeit hingegen exemplifiziert Honemann am Beispiel des Tübinger Professors für Poetik Heinrich Bebel (1472- 1518). Anders als bei Waldauf wird die Frömmigkeit des gelehrten Humanisten eher in den Werken als in den Taten greifbar. Im Zentrum steht dabei der Ruf nach Reform, der neben Veränderungen auf allen Ebenen der institutionalisierten Kirche vor allem die moralische Erneuerung des einzelnen Gläubigen fordert. Gerade Wallfahrten, Heiligenverehrung und Ablasswesen geraten dabei in die Kritik. Besserung erhofft sich Bebel von breiterer Bildung und vorbildhafter Sittlichkeit der Eliten 20 . Um Honemanns Ausführungen zur humanistischen Frömmigkeit zu ergänzen, bietet sich der Rückgriff auf den Fürsten aller Humanisten an, auf Erasmus von Rotterdam. Mit dem „Enchiridion militis christiani“ hat er eine praktische Anleitung für die Laienfrömmigkeit seiner Zeit vorgelegt, verfasst als Gelegenheitsschrift auf Bitten des reichen Geschützgießers Johannes Poppenreuter aus Nürnberg und 1503 erstmals veröffentlicht. Schon im Titel ist der philologische Anspruch des Humanisten zu greifen: das griechische Wort enchiridion meint Handbuch, aber auch Dolch. Die Schrift will also zugleich Leitfaden und Rüstzeug für eine christliche Lebensführung sein, die sich nicht hinter Klostermauern zurückzieht, sondern im Alltag der Welt bestehen muss. Das Programm, das Erasmus im „Enchiridion“ entfaltet, umfasst aber viel mehr, als das Label „Humanismus“ auszudrücken vermag. Es ist der Versuch einer Rückführung der Frömmigkeit auf die Kernaussagen der Heiligen Schrift. An den Humanismus als Bildungsbewegung erinnert vor allem die Forderung nach besserer Bildung der Laien und nach der Lektüre der Bibel durch die Laien, allerdings geleitet von der Auslegung der Kirchenväter. Das Frömmigkeitsideal findet seinen Leitfaden in der paulinischen Dichotomie von Geist und Fleisch. Versenkung und Gebet, Betonung von moralischen Werten und bei allen Akten der Frömmigkeit nicht Aufwand oder Häufigkeit, sondern innere Anteilnahme - dies sind die Kernaussagen 21 . 19 Vgl. ebd. S. 75-86; zum Haller Heiltum vgl. auch K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 445-464. 20 Vgl. H ONEMANN , Frömmigkeit (wie Anm. 18) S. 86-92. 21 Vgl. Desiderius Erasmus, Enchiridion militis christiani (1503), in: Desiderius Erasmus, Ausgewählte Schriften 1: Epistola ad Paulum Volzium/ Enchiridion militis christiani, hg. von Werner W ELZIG (Darmstadt 1968) S. 56-375. Zum Inhalt vgl. Robert Zwischen Devotion und Repräsentation 153 Nicht zuletzt ist das „Enchiridion“ dabei als Aufruf zur Reform zu lesen, der an den bestehenden Frömmigkeitsformen viel Kritikwürdiges findet. Gerade die Heiligenverehrung steht dabei im Blickpunkt. Erasmus kritisiert die Selbstsucht der Gläubigen bei der Heiligenanrufung, die nur an einem schnellen Gegenmittel gegen die Leiden und Gefahren der Welt interessiert ist, und vergleicht die Spezialisierung der einzelnen Nothelfer mit den polytheistischen Tempelhainen der alten Griechen, mit einem bunten Markt der Wunder 22 . Eine Verehrung von Reliquien ist für ihn Götzendienst, wenn der Gläubige nicht auch das Leben der Heiligen verehrt. Hier sieht Erasmus, wie später Luther, den eigentlichen Platz der Heiligenverehrung im Christentum, die er ja nicht abschaffen will: es ist die Imitatio, also der Versuch, dem Vorbild der Heiligen nachzueifern. Wer Franziskus wirklich verehrt, soll seinen Reichtum den Armen geben, statt sich im Habit der Franziskaner bestatten zu lassen 23 . Um die eigene Sündenschuld zu tilgen, soll man nicht nach Rom und Santiago wallfahren oder Ablässe erwerben, sondern das Gebot des Paternoster befolgen und seinen Mitmenschen ihre Schuld erlassen, sich mit ihnen versöhnen 24 . Kurz, alle äußeren Formen der Heiligenverehrung sind für Erasmus im besten Fall Begleiterscheinungen wahrer Frömmigkeit, im schlimmsten aber Götzendienste, die vom Kern des Christentums wegführen 25 . Das Spannungsfeld zwischen spätmittelalterlicherund humanistischer Frömmigkeit und die Koordinaten von Devotion und Repräsentation bieten so einen analytischen Rahmen für die folgende Untersuchung fürstlicher Heiligenverehrung vor der Reformation. Als Protagonisten dienen dabei zwei wettinische Fürsten, die in den Jahrzehnten um 1500 die Geschicke Mitteldeutschlands bestimmten und die auf die Herausforderung der Reformation in höchst unterschiedlichster Weise reagierten: der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise und sein albertinischer Cousin, Herzog Georg von Sachsen. S TUPPERICH , Das Enchiridion militis Christiani des Erasmus von Rotterdam nach seiner Entstehung, seinem Sinn und Charakter, Archiv für Reformationsgeschichte 69 (1978) S. 5-23; Peter W ALTER , Kirche und Kirchenreform nach Erasmus von Rotterdam, Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) S. 137-148; Cornelis A UGUSTIJN , Die Ekklesiologie des Erasmus, in: D ERS ., Erasmus (wie Anm. 17) S. 73-93, hier S. 78-84. 22 Vgl. Erasmus, Enchiridion (wie Anm. 21) S. 174-181. 23 Vgl. ebd. S. 200-203; zur Rolle der Heiligen in der Theologie Luthers siehe Anm. 7. 24 Vgl. Erasmus, Enchiridion (wie Anm. 21) S. 364f. 25 Vgl. ebd. S. 204-209. 154 Christoph Volkmar 2. Das Fallbeispiel Friedrich der Weise Friedrich der Weise wurde 1463 in Torgau geboren und starb 1525 wenig entfernt auf seinem Jagdschloss in der Lochau. Dazwischen hat er viel von der spätmittelalterlichen Welt gesehen. Mehr als 30 längere Reisen führten ihn durch das Reich und in den Jahren 1497/ 98 lebte der regierende Fürst sogar am Wiener Hof, wo er als enger Berater König Maximilians an der Spitze des Reichshofrates stand. 1493 führte eine Pilgerfahrt Friedrich bis ins Heilige Land. Seinen Zeitgenossen galt der Wettiner als einer der mächtigsten und angesehensten Fürsten des Reiches, sogar als Kompromisskandidat für das Königtum wurde er 1519 ins Spiel gebracht. Die Nachwelt erinnert ihn freilich vor allem als Schutzherrn Luthers, der mit seiner Weigerung, das päpstliche Ketzerurteil gegen seinen Universitätsprofessor zu exekutieren, der Reformation eine welthistorische Chance eröffnete 26 . In seiner Frömmigkeit findet sich Friedrichs Rolle als Wegbereiter der Reformation jedoch kaum angelegt, wie schon eingangs deutlich wurde. Vielmehr kann er ganz als Kind des Spätmittelalters gelten. Wie alle Fürsten begriff er die Förderung der Kirche als seine heilige Pflicht, stiftete Messen, stattete Kirchen aus und sorgte durch den Erwerb von Ablässen dafür, dass auch seine Untertanen teilhaben konnten am Gnadenschatz der Kirche. Frömmigkeit und fürstliche Repräsentation hingen dabei stets eng zusammen. Noch in der Reformationszeit preist Friedrichs Hofkaplan und Biograph Georg Spalatin seinen Fürsten dafür, wie dieser sich mit kirchbäuden, zierden, heilthum und wallfahrten hervorgetan habe, so dass es ihm wenig, nicht allein fürsten und herrn, sondern auch könige und andere leichtlich nachthun werden 27 . 26 Zur Person und zur Kirchenpolitik Kurfürst Friedrichs vgl. einführend Uwe S CHIRMER , Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde (1485- 1547), in: Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige, 1089-1918, hg. von Frank-Lothar K ROLL (München 2004) S. 55-75; vgl. im speziellen K ALKOFF , Ablass (wie Anm. 3); Paul K IRN , Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 30, Leipzig 1926, ND Hildesheim 1972); Heinrich B ORNKAMM , Kurfürst Friedrich der Weise (1463-1525), Archiv für Reformationsgeschichte 64 (1973) S. 79-85; Bernd S TEPHAN , Beiträge zu einer Biographie Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen, des Weisen (1463-1525) (Theol. Diss., Universität Leipzig 1979); Ingetraut L UDOLPHY , Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, 1463-1525 (Göttingen 1984); zur Rolle Friedrichs im Wiener Hofrat vgl. Heinz N OFLATSCHER , Räte und Herrscher. Eliten an den Habsburger Höfen der österreichischen Länder 1480-1530 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 161, Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 14, Mainz 1999). 27 Zitiert nach L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 369. Zwischen Devotion und Repräsentation 155 Als repräsentatives Prestigeprojekt betrieb der Kurfürst den Ausbau des Allerheiligenstifts in seiner Residenzstadt Wittenberg. Wichtiger noch als die bauliche Erneuerung und die kostbare Ausstattung war die Finanzierung zusätzlicher Pfründen an der Stiftskirche, an der schließlich 80 Geistliche mehr als 9.000 Messen im Jahr feierten. Derart erweitert bildete das Stift auch den Kern der neuen Universität, die Friedrich 1502 in Wittenberg gründete 28 . Friedrichs kirchenpolitisches Engagement konzentriert sich auf die Förderung der Kirche und der Laienfrömmigkeit, die sich unter ihrem Dach entfaltete. Eher selten hören wir von ihm kritische Töne, etwa über die geistliche Gerichtsbarkeit. Freilich wusste auch Friedrich um die Notwendigkeit von Reformen in der Kirche. Besonders für die Ordensreform hat er sich engagiert. Konsequent verfügte er in seinem ersten Testament, er wolle im reformierten Benediktinerkloster Reinhardsbrunn beigesetzt werden, wo von viel reformirten mönchen und andern frommen priestern Fürbitte für seine Seele gehalten werden solle 29 . Früh zeigte sich Friedrichs persönliches Interesse an allen Formen der Heiligenverehrung, aber auch das Streben, sie im Rahmen seines Fürstenamts zu fördern. Auf der Rückfahrt aus dem Heiligen Land erwarb er 1493 auf der Insel Rhodos einen Daumen der Heiligen Anna. Doch beließ er es nicht bei der individuellen Sorge um sein eigenes Seelenheil. Kaum in die Heimat zurückgekehrt, suchte er das ganze Land für die Verehrung der Mutter Mariens zu gewinnen. Kursächsische Münzen erhielten plötzlich die Inschrift Hilf St. Anna und vom Papst erwirkte der Kurfürst am 8. Juli 1494 ein Breve, das die Begehung des Annentages als hohes Kirchenfest in ganz Kursachsen vorschrieb. Als Exekutor der päpstlichen Weisung trat Friedrichs Bruder Ernst auf, der als Erzbischof von Magdeburg die Feier des Annenfestes in den Landen der Wettiner im Folgejahr für verbindlich erklärte 30 . Fast im 28 Vgl. L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 337-383; Helmar J UNGHANS , Wittenberg als Lutherstadt (Berlin 1979) S. 44-59; K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 406f.; zur Universitätsgründung vgl. Dieter S TIEVERMANN , Friedrich der Weise und seine Universität Wittenberg, in: Attempto - oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich, hg. von Sönke L ORENZ (Contubernium 50, Stuttgart 1999) S. 175-207. 29 Testament Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen, 19. Februar 1493, Thüringisches Hauptstaatsarchiv (ThHStA) Weimar, Reg. B, Nr. 1060-1064, hier zitiert nach L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 378. - Zur Kirchenpolitik Friedrichs vgl. K IRN , Friedrich (wie Anm. 26); L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 373-383. 30 Vgl. Urkunde Erzbischof Ernsts von Magdeburg, 4. Dezember 1495, ThHStA Weimar, Urk. 4350; L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 355-359; Bernhard W OLF , Aus dem kirchlichen Leben Annabergs in vorreformatorischer Zeit, Mitteilungen des Vereins 156 Christoph Volkmar Alleingang hat der Kurfürst damit für die Einführung eines neuen Heiligenkultes gesorgt. Seine Hand lag dabei sicher am Puls der Zeit, denn die Annenverehrung erfreute sich gerade in den Jahren um 1500 überall im Reich wachsender Beliebtheit 31 . Zur Tat wurde die Heiligenverehrung in der Pilgerfahrt. Nicht nur nach Jerusalem zog der sächsische Kurfürst. Auch die Gnadenstätten im eigenen Lande kannte er aus eigener Anschauung: Im Juli 1489 zogen Friedrich und sein jüngerer Bruder, Johann der Beständige, von Jena aus gleich zwei Wochen lang wallfahrend durch Sachsen: Vierzehnheiligen im Saaletal, Heiligenleichnam bei Altenburg, St. Wolfgang bei Meißen, St. Sebastian bei Großenhain und das Marienheiltum zur Eiche bei Naunhof waren ihre Stationen 32 . Gerade bei solchen Umritten ist der Repräsentationsgedanke nicht von der Hand zu weisen. Im Lande Präsenz zu zeigen war altes Prinzip von Herrschaft. Zugleich gab es den lokalen Kultstätten Legitimation, weshalb die Besuche hoher Herren dort stets genau notiert wurden 33 . Und dennoch ist die Fürstenwallfahrt auch von persönlicher Frömmigkeit getragen. Greifbar werden diese Motive z. B. bei der Wilsnackfahrt, die Friedrich 1484 zusammen mit seinem Vater, dem Kurfürsten Ernst, unternahm, wobei auch Friedrichs jüngerer Bruder, der Magdeburger Erzbischof Ernst, den Vater begleitete. Binnen weniger Monate hatte die kurfürstliche Kernfamilie den Tod von zwei Mitgliedern zu beklagen, denn kurz nach der Kurfürstin Elisabeth war auch der erst 17jährige dritte Sohn Albrecht gestorben, der als Administrator des Erzstiftes Mainz Hoffnungen auf einen zweiten Kurhut gemacht hatte. Nur von kleinem Gefolge begleitet, pilgerten die drei verbliebenen Ernestiner nun zum Heiligen Blut, um für das Seelenheil der Verstorbenen zu bitten 34 . Typisch für Friedrichs Frömmigkeit war auch das Bestreben, stets so viele heilige Orte wie nur möglich zu besuchen, keine Chance für Geschichte von Annaberg und Umgebung, Heft 11 (1910) S. 51-104, hier 53; R. S TECHE (Bearb.), Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen 4: Amtshauptmannschaft Annaberg (Dresden 1885) S. 4. 31 Vgl. Angelika D ÖRFLER -D IERKEN , Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 50, Göttingen 1992). 32 Vgl. Siegfried B RÄUER , Wallfahrtsforschung als Defizit der reformationsgeschichtlichen Arbeit. Exemplarische Beobachtungen zu Darstellungen der Reformation und zu Quellengruppen, in: K ÜHNE / R ADTKE / S TROHMAIER -W IEDERANDERS , Spätmittelalterliche Wallfahrt (wie Anm. 6) S. 15-49, hier S. 24f. 33 Vgl. z. B. M ÖTSCH , Grimmental (wie Anm. 6). 34 Vgl. Brigitte S TREICH , Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101, Köln/ Wien 1989) S. 481f. Zwischen Devotion und Repräsentation 157 zum Erwerb von Heil auszulassen. Mehrfachwallfahrt nennt das die Forschung allzu nüchtern. Noch auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land, als bereits acht beschwerliche Monate und mehrere Todesfälle hinter der sächsischen Pilgergruppe lagen, ließ Friedrich kein Heiltum aus. Der Weg durch Bayern geriet so zum Zickzackkurs. Von der Reiseroute, die von Schwaz über München nach Ingolstadt eigentlich geradewegs nach Norden führte, wichen die Sachsen zunächst zwei Tagesreisen nach Osten ab, um Altötting zu besuchen, und begaben sich dann weit über München hinaus nach Westen, um auch noch den heiligen Berg Andechs zu erreichen. An jedem Ort opferte der Kurfürst, ließ eine Messe lesen und erwarb Pilgerzeichen, dazu, wo vorhanden, auch kleine Stapel gedruckter Heiltumsbücher, die die Reliquien und die mit ihnen verbundenen Gnaden und Wunder dokumentierten 35 . Schließlich nutzte Friedrich seine Möglichkeiten als wohlhabender Fürst, um die Heiligen nicht nur immer wieder zu besuchen, sondern sie zu sich nach Hause zu holen. In ihrer Gegenwart wollte er leben und noch wichtiger: seine letzte Ruhe finden. Der frühe Wunsch, bei frommen Mönchen begraben zu sein, wich mit der Zeit dem Plan, an der schon von den Askaniern mit einem Reliquienschatz ausgestatteten Wittenberger Stiftskirche eine eigene Grabkapelle zu errichten. Das alte Ideal der Bestattung ad sanctos wird in der kleinen Residenzstadt an der Elbe dabei zur Perfektion getrieben. Wie Florian Waldauf, den er übrigens aus der Wiener Zeit gekannt haben dürfte, sammelte auch Kurfürst Friedrich je länger, je mehr Reliquien. An der Allerheiligenkirche zu Wittenberg versammelten sich so mit der Zeit tatsächlich alle Heiligen, 35 Vgl. Hans Hundts Rechnungsbuch (1493/ 94), hg. von Reinhold R ÖHRICHT / Heinrich M EISNER , Neues Archiv für Sächsische Geschichte 4 (1883) S. 37-100, hier 80-82. - Heiltumsbücher und Pilgerführer gehörten zu den frühesten Beispielen massenhaft gedruckter Gebrauchsliteratur. Als Werbeschriften, Medien der Repräsentation und Souvenir kamen ihnen vielfältige Funktionen der symbolischen und pragmatischen Kommunikation zu. Vgl. Falk E ISERMANN , „Heiltumsbücher“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 11 (Berlin/ New York 1978-2004) Sp. 604-609; D ERS ., Die Heiltumsbücher des späten Mittelalters als Medien symbolischer und pragmatischer Kommunikation, in: The Mediation of Symbol in Late Medieval and Early Modern Times/ Medien der Symbolik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Rudolf S UNTRUP / Jan R. V EENSTRA / Anne B OLLMANN (Medieval to Early Modern Culture/ Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 5, Frankfurt a. M./ Berlin/ Brüssel/ New York/ Oxford/ Wien 2005) S. 37-56; Harry K ÜHNEL , „Werbung“, Wunder und Wallfahrt, in: Wallfahrt und Alltag (wie Anm. 6) S. 95-114; Wolfgang S CHMID , Die Wallfahrtslandschaft Rheinland am Vorabend der Reformation. Studien zu Trierer und Kölner Heiltumsdrucken, in: Wallfahrt und Kommunikation. Kommunikation über Wallfahrt, hg. von Bernhard S CHNEIDER (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 109, Mainz 2004) S. 17-195. 158 Christoph Volkmar entstand einer der größten Heiltumsschätze des Abendlandes mit fast 20.000 Partikeln 36 . Dabei wird ein Prinzip spätmittelalterlicher Laienfrömmigkeit offenkundig: Wie schon bei den Mehrfachwallfahrt gilt der schlichte Grundsatz: viel hilft viel. Es ist freilich auch das Prinzip des Homo novus, das Friedrich hier praktiziert. Heilige Röcke, Schweißtücher oder ganze Apostelgräber konnte man an der Peripherie des mittelalterlichen Europas kaum erwarten. Doch gegen die Dignität der großen Wallfahrtziele der Christenheit versuchten sich die mitteldeutschen Heiltumssammlungen durch Masse abzuheben, statt der einzigartig wertvollen Reliquien eben ein Stück von jedem der Omnes sanctorum zu erlangen 37 . Kein geringerer als der päpstliche Legat und Ablassprediger Raimund Peraudi (1435-1505) bestärkte den Fürsten in dieser Wahrnehmung. Als der französische Kardinal im Januar 1503 die neu errichtete Stiftskirche weihte, erteilte er jene zentrale Ablassurkunde, die die Wittenberger Heiltumsweisung neu belebte, wenn nicht gar erst begründete. Und darin heißt es ausdrücklich, dass der zeitliche Sündennachlass, den die Teilnehmer der Heiltumsweisung erwarben, mit der Zahl der vorhandenen Reliquien zu multiplizieren sei 38 . Friedrich wurde damit in die Lage versetzt, zu tun, was einem Laien sonst grundsätzlich verschlossen blieb: Er konnte durch seine Sammeltätigkeit aus eigener Kraft die kirchlichen Gnaden vermehren, die seiner Stifts- und Begräbniskirche zukamen. War es da nicht ein frommes Werk, immer noch mehr Reliquien zu beschaffen? Friedrich dachte offenbar so, denn er ließ seine Reliquiensammler durch ganz Europa reisen, nutzte jeden diplomatischen Kontakt für diese Zwecke. Regelmäßig notierte und berechnete sein Sekretär Spalatin den Zuwachs an Heiltum 36 Zum Wittenberger Heiltum siehe die Literatur in Anm. 3. Zum weiteren Kontext vgl. die Beiträge in T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (wie Anm. 6). 37 Zum Hallischen Heiltum vgl. Michael S CHOLZ , Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Residenzenforschung 7, Sigmaringen 1998) S. 213-232; Andreas T ACKE , Das Hallenser Stift Albrechts von Brandenburg, in: Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit, hg. von Friedhelm J ÜRGENSMEIER (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 3, Frankfurt a. M. 1991) S. 357-380; Christof L. D IEDRICHS , Ereignis Heiltum. Die Heiltumsweisung in Halle, in: T ACKE , Heiligen- und Reliquienkult (wie Anm. 6) S. 314-360; Nine M IEDEMA , Rom in Halle. Sieben Altäre in der Stiftskirche Kardinal Albrechts von Brandenburg als Stellvertreter für die Hauptkirchen Roms? , in: ebd. S. 271-286; Livia C ÁRDENAS , Albrecht von Brandenburg - Herrschaft und Heilige. Fürstliche Repräsentation im Medium des Heiltumsbuches, in: ebd. S. 239-270. - Zum Annaberger Heiltum vgl. V OLKMAR , Annaberger Heiltum (wie Anm. 6). 38 Vgl. K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 407f. Zwischen Devotion und Repräsentation 159 und Ablass: in den Hochzeiten der Sammeltätigkeit zwischen 1513 und 1520 kamen jährlich mehr als tausend Reliquienpartikel hinzu 39 . Zusätzlich bemühte sich Friedrich an der Kurie um den weiteren Ausbau des Ablasses. Dies geschah qualitativ durch die Erweiterung des Ablasses auf Reservatfälle und Verstorbene, zeitlich durch eine Ausdehnung der Weisung auf mehrere Tage und Feste, und schließlich wieder quantitativ, rechenhaft, durch die Erhöhung des Ablassquantums von 100 Tagen auf zuletzt 100 Jahre pro Partikel 40 . Die wertvollsten Stücke der Sammlung blieben dabei jene, die schon lange in Wittenberg lagen. Ein Dorn von der Dornenkrone war Erbe der Askanier, alter wettinischer Familienbesitz das Glas der hl. Elisabeth, das Berührungsreliquie und Reliquiar in einem war. Es besaß vor allem für die Fürstinnen der Häuser Sachsen, Hessen und Brandenburg existentielle Bedeutung. Sie liehen es sich aus, wenn sie Kinder erwarteten, und erhofften sich davon den Schutz der Ahnfrau Elisabeth vor schweren Geburten und den Gefahren des Kindbetts. Das Elisabethglas ist das einzige Artefakt des Wittenberger Heiltums, das die Reformation überlebte, weil es Kurfürst Johann Friedrich an niemand anderen als Martin Luther selbst verschenkte 41 . So gehen im Wittenberger Heiltum individuelle Frömmigkeit und fürstliche Repräsentation eine untrennbare Verbindung ein. Die Reliquien sicherten Fürsten und Fürstinnen einen exklusiven Zugang zur Fürsprache der Heiligen, die Heiltumsweisungen garantierten ihnen großzügigen Ablass und die Fürbitte des Volkes, das am Schluss der Weisungen für lebende und verstorbene Stifter beten sollte. Zugleich sind die Weisungen aber Bühnen der Selbstdarstellung für die fürstlichen Stifter. Das gedruckte Wittenberger Heiltumsbuch von 1509 präsentiert schon auf dem Frontispiz Cranachs Doppelportrait der fürstlichen Brüder Friedrich und Johann, die folgende Vorrede lobt ihre Taten 42 . Schließlich verbindet sich mit Weisung die landesherrliche Fürsorge für das Seelenheil der Untertanen. Ausführlich erläutert das Heiltumsbuch die mit der Weisung verbundenen Ablassgnaden, do mitt eyn yeder andechtiger mensch mit besuchung solchs wirdigs heiligthums, 39 Vgl. B ÜNZ , Nuhn (wie Anm. 3); L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 357f. 40 Vgl. K ALKOFF , Ablass (wie Anm. 3) S. 12-45; K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 419f. 41 Vgl. Bernd M OELLER , Eine Reliquie Luthers, in: D ERS ., Reformation und Mittelalter (wie Anm. 8) S. 249-262; Robert K OCH , Der Glasbecher der heiligen Elisabeth in Coburg, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige, Sigmaringen 1981, S. 272- 284; C ÁRDENAS , Friedrich (wie Anm. 3) S. 10-12. 42 Vgl. Zaigung des hochlobwirdigen hailigthums (wie Anm. 3); vgl. auch C ÁRDENAS , Friedrich (wie Anm. 3); zur Gattung der Heiltumsbücher siehe Anm. 35. 160 Christoph Volkmar das jerlich auff Montag nach dem sontag Misericordia domini offentlich und ehrlich geweyßt und gezaigt wirt und verdynen solicher gnaden und aplas sich des hab zu richten 43 . Für die Werbung wurde aber nicht nur die neue Druckkunst eingespannt, sondern auch das effizienteste Kommunikationsnetz der Zeit: 1510 erwirkte der Kurfürst Mandate des Erzbischofs von Magdeburg und des exemten Bischofs von Meißen, durch die die Pfarrer aller Kirchen in Mitteldeutschland angewiesen wurden, die Gläubigen an jedem Sonn- und Feiertag von den Kanzeln aus zum Besuch der nächsten Wittenberger Ostensio aufzurufen 44 . Hingegen ist jede Erwägung finanzieller Motive, wie sie noch jüngst in der kunstgeschichtlichen Literatur angestellt wurde 45 , zu verwerfen. Anders als bei Bau- und Jubelablässen oder Butterbriefen war der Erwerb des Weisungsablasses nicht an eine Spende gebunden und auch der wirtschaftliche Nutzen des Pilgerbesuchs für das Gastgewerbe in Wittenberg war für die kurfürstlichen Finanzen kaum von Belang. Vielmehr dürfte der Heiltumsaufbau massive Mittel verschlungen haben, für den Erwerb von Reliquien und vor allem für die Anfertigung der kostbaren Reliquiare 46 . Friedrichs tiefe Verwurzelung in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit zeigt sich schließlich auch zuletzt darin, wie schwer es dem Kurfürsten fiel, sich auf seine alten Tage von Heiltum und Ablass zu trennen. Als die Reformation immer mehr an Momentum gewann und es 1521 zu ersten öffentlichen Provokationen gegen die Heiltumsweisung kam, befahl Friedrich, auf die Erteilung des kontroversen Ablass zu verzichten. Die Weisung des Heiltums aber hat der Kurfürst, in reduzierter Form, auch noch 1522 und 1523 durchgesetzt. Die Reliquiensammlung anzutasten und die kostbaren, aus der kurfürstlichen Kasse bezahlten Reliquiare zu Münzgeld einzuschmelzen, wagte man schließlich erst nach seinem Tod 47 . 43 Zaigung des hochlobwirdigen hailigthums (wie Anm. 3) Bl. A III a . 44 Vgl. K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 414. 45 Vgl. C ÁRDENAS , Friedrich (wie Anm. 3) S. 124-126. 46 Unter den 200.000 fl., die Friedrich nach Spalatin für das Allerheiligenstift ausgab, dürften diese Kosten durchaus ins Gewicht fallen. Allein der Materialwert der zuletzt 174 meist silbernen Reliquiare dürfte beträchtlich gewesen sein. Vgl. L UDOLPHY , Friedrich (wie Anm. 26) S. 366; K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 410. Der Materialwert des deutlich kleineren Annaberger Heiltumsschatzes belief sich 1526 auf 1036 Mark Silber. Vgl. V OLKMAR , Annaberger Heiltum (wie Anm. 6) S. 113f. 47 Vgl. K IRN , Friedrich (wie Anm. 26) S. 168-172; K ÜHNE , Ostensio (wie Anm. 2) S. 421-423; Ernst M ÜLLER , Die Entlassung des ernestinischen Kämmerers Johann Rietesel im Jahre 1532 und die Auflösung des Wittenberger Heiligtums. Ein Beitrag zur Biographie des Kurfürsten Johann des Beständigen, Archiv für Reformationsgeschichte 80 (1989) S. 213-239. Zwischen Devotion und Repräsentation 161 3. Das Fallbeispiel Georg von Sachsen Wenden wir uns nun unserem zweiten Beispiel zu. Herzog Georg von Sachsen, den die Geschichtsschreibung den Bärtigen nennt, wurde 1471 in Meißen geboren. Von 1488 bis 1539 regierte er ein halbes Jahrhundert lang das albertinische Herzogtum Sachsen. Auch Georg ist in der Reformationsgeschichte kein Unbekannter, allerdings nicht als Förderer, sondern als einer der schärfsten Gegner Luthers unter den deutschen Fürsten 48 . Für die Frömmigkeitsentwicklung Herzog Georgs waren zwei Faktoren prägend. Zum einen ist der langjährige Einfluss seiner Mutter Zedena (1449-1510) zu nennen, die ihn zu einer strengen religiösen Praxis mit Fasten-, Buß- und Gebetsübungen erzog. Mutter und Sohn tauschten Gebetsbücher und mystische Literatur ebenso aus wie ihre gebildeten Beichtväter aus dem Augustinereremitenorden. Noch nach dem Tod der frommen Fürstin verbrachte Herzog Georg Karwoche und Osterfest mit Gebetsübungen in Meißen, die Staatsgeschäfte in Dresden ruhten in dieser Zeit 49 . Der zweite Faktor ist die frühe geistliche Karriere des Prinzen, der auf Betreiben der Mutter bereits im Alter von 13 Jahren ein Kanonikat am Mainzer Dom annahm. Mit dem Eintritt in den Klerikerstand und der Vorbereitung auf eine Bischofslaufbahn wird in der Literatur stets 48 Zur Biographie vgl. Enno B ÜNZ / Christoph V OLKMAR , Die albertinischen Herzöge bis zur Übernahme der Kurwürde (1485-1541), in: K ROLL , Herrscher Sachsens (wie Anm. 26) S. 76-89 (mit Auswahlbibliographie); Helmar J UNGHANS , Georg von Sachsen, in: Theologische Realenyklopädie 12 (Berlin 1984) S. 385-389; Siegfried H OYER , Georg von Sachsen. Reformer und Bewahrer des alten Glaubens, in: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Günther V OGLER (Weimar 1988) S. 95-105; Zur Kirchenpolitik Herzog Georgs in der Reformationszeit vgl. Otto V OSSLER , Herzog Georg der Bärtige und seine Ablehnung Luthers, Historische Zeitschrift 184 (1957) S. 272-291; Ingetraut L UDOLPHY , Der Kampf Herzog Georgs von Sachsen gegen die Einführung der Reformation, in: Das Hochstift Meißen. Aufsätze zur sächsischen Kirchengeschichte, hg. von Franz L AU (Herbergen der Christenheit, Sonderband 1, Berlin 1973) S. 165-185; Günther W ARTENBERG , Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, in: Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546 1, hg. von Helmar J UNGHANS (Göttingen 1983) S. 549-571; Heribert S MOLINSKY , Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der Frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 122, Münster 1983); V OLKMAR , Reform statt Reformation (wie Anm. 14) (mit Nachweis der älteren Literatur); D ERS ., Heiligenerhebung Bennos (wie Anm. 6); D ERS ./ B ÜNZ , Kirchenregiment (wie Anm. 9). 49 Vgl. Elisabeth W ERL , Herzogin Sidonia und ihr ältester Sohn Herzog Georg, Herbergen der Christenheit 2 (1959), S. 8-19. 162 Christoph Volkmar der Umstand erklärt, dass Herzog Georg über eine profunde geistliche Bildung verfügte. Konkrete Anhaltspunkte für seinen Bildungsweg gibt es freilich nicht, und es ist darauf hinzuweisen, dass bereits vier Jahre später dieser Lebensabschnitt endete, als der 17-jährige Prinz 1488 für seinen Vater die Regentschaft im neu geschaffenen albertinischen Herzogtum übernahm 50 . Festzuhalten bleibt jedoch, dass der erwachsene Fürst nicht nur flüssig Latein schrieb, sondern mit der Bibel, den Kirchenvätern und den Gemeinplätzen der Theologie in einen Maße vertraut war, das ihn selbst von seinen gebildeten fürstlichen Standesgenossen unterschied. Eigenhändig verfasste er lateinische Betrachtungen über das Osterfest und in der Reformationszeit trat er mit antilutherischen Flugschriften hervor, die er zum Teil unter dem Pseudonym eines Geistlichen verbreitete 51 . Aus der Korrespondenz Herzog Georgs können wir ein präzises Bild seiner Frömmigkeit gewinnen. Es deckt sich inhaltlich in vielem mit dem, was eingangs mit Volker Honemann als humanistische Frömmigkeit beschrieben wurde: Passionsfrömmigkeit, alltäglicher Umgang mit der Bibel und verinnerlichte Religiosität nach dem Ideal des intra se trahere Christum 52 verbinden sich mit einem geradezu brennenden Reformeifer, aber auch mit gesetzesorientiertem Festhalten an Fastenübungen und an der kirchlichen Ordnung. Dabei zeigt gerade das Beispiel Georgs mit aller Deutlichkeit das Problem der Begrifflichkeiten. Denn wie können wir die Frömmigkeit eines Fürsten „humanistisch“ nennen, wenn dieser zwar den Humanismus förderte und intensiv mit Erasmus von Rotterdam korrespondierte, sich selbst aber nie den Studia humanitatis gewidmet hat und damit im Kern, also in Bezug auf das Bildungsideal, nie Humanist war 53 ? Otto Vossler umging das terminologische Problem geschickt, indem er Georgs Frömmigkeit als „modern“ und „erasmianisch“ bezeichnete. 54 Doch wirft der Bezug auf Erasmus mehr Fragen auf als er beantwortet. Auf die Beziehungen zwischen Herzog Georg und Erasmus 50 Vgl. V OLKMAR , Reform statt Reformation (wie Anm. 14) S. 73-83. 51 Vgl. ebd. S. 518-543; zu den von Georg selbst verfassten Flugschriften gegen Luther vgl. Hans B ECKER , Herzog Georg von Sachsen als kirchlicher und theologischer Schriftsteller, Archiv für Reformationsgeschichte 24 (1927) S. 161-269; zum Kontext: S MOLINSKY , Alveldt und Emser (wie Anm. 48). 52 Vgl. Berndt H AMM , Frömmigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu Johannes von Paltz und seinem Umkreis (Beiträge zur historischen Theologie 65, Tübingen 1982), das Zitat S. 235. 53 Vgl. V OLKMAR , Reform statt Reformation (wie Anm. 14) S. 73-83. 54 Vgl. V OSSLER (wie Anm. 48) S. 286-288. Zwischen Devotion und Repräsentation 163 kann hier nicht näher eingegangen werden 55 . Nur ein Aspekt sei genannt, weil er unmittelbar die kritische Haltung des Fürsten gegenüber der Heiligenverehrung berührt. Im Jahre 1515 gab Hieronymus Emser, Herzog Georgs Hofkaplan und Hofpublizist, in Leipzig das eingangs analysierte „Enchiridion militis christiani“ heraus. Der Leipziger Druck, der in den folgenden Jahren drei Nachauflagen erlebte, ist tatsächlich etwas Besonderes. Nach Auskunft des VD 16 handelt es sich nämlich um die erste eigenständige Ausgabe des „Enchiridions“ im deutschen Sprachraum. Zuvor war der Traktat nur als unselbständiger Teil einer Sammelschrift erschienen. Wirklich berühmt wurde er erst nach 1518, als Erasmus selbst bei Froben in Basel eine Neuausgabe besorgte. Zeigt Emsers Ausgabe also, dass man in Sachsen früher als anderswo das Potential dieser Schrift erkannte, so verweist der eigentümliche Titel, den ihr Emser gab, zugleich auf die religionspolitische Zielsetzung, die mit der Publikation verfolgt wurde: In Übersetzung lautet er: „Handbüchlein vom christlichen Streiter des Bruders Erasmus von Rotterdam, in welchem er den Aberglauben des Volkes kritisiert und uns mit dem Signalhorn der klassischen Eloquenz zur Reinheit der altkirchlichen Frömmigkeit zurückruft“ 56 . Es ist also gerade das Plädoyer des Erasmus für eine Reform der Laienfrömmigkeit, sein Aufruf zur Abkehr vom Aberglauben des Volkes, das die sächsische Erasmusausgabe in das Zentrum des Interesses rückt. Damit korrespondiert, dass die Frömmigkeit Herzog Georgs von einer deutlichen Distanz zu den haptischen, veräußerlichten Formen des Heiligen- und Reliquienkultes geprägt war. Der Albertiner sammelte keine Reliquien wie Friedrich der Weise. Er verzichtete auch auf Pilgerfahrten nach Rom, Jerusalem oder Santiago, wie sie der Vater, der 55 Vgl. dazu V OLKMAR , Reform statt Reformation, S. 77-83, 525-541. Vgl. ferner Wilhelm R IBHEGGE , Die Kontroversen zwischen Martin Luther, Erasmus von Rotterdam und Herzog Georg von Sachsen. Reformation und Gegenreformation im europäischen Kontext, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 76 (2005) S. 21-45. 56 Enchiridion Erasmi Roterodami Germani de milite Christiano in quo taxatis vulgi sup.[er]stitionibus ad priscae religionis puritate.[m]: veteris aeloque.[n]tiae lituo nos prouocat [...], hg. von Hieronymus Emser (Leipzig: Valentin Schumann 1515 und 1516, VD 16 E 2744, 2746). Zur Datierung der Leipziger Erstausgabe vgl. das Impressum Lypsi, in aedibus Valentini Schumanns calcographi diligentissimi sexto calendas Septembris, anno M.D.XV. (ebd. Bl. M III b ). Zur Stellung in der Druckgeschichte vgl. S TUPPERICH (wie Anm. 21) S. 9; W ELZIG , Desiderius Erasmus 1 (wie Anm. 21) S. 11; Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts (VD 16), 1. Abteilung, 22 Bde. (Stuttgart 1983-1995) hier 6, S. 225-230. Es folgten im Laufe des 16. Jahrhunderts allein im deutschen Sprachraum insgesamt 45 Ausgaben, davon zwei weitere Auflagen der Emserausgabe in den Jahren 1520 und 1521. Vgl. ebd.; S MOLINSKY , Alveldt und Emser (wie Anm. 48) S. 32. 164 Christoph Volkmar Onkel, der Bruder und der Cousin unternahmen 57 . Letztlich finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass Herzog Georg überhaupt jemals eine Wallfahrt unternommen hätte. Auf der anderen Seite ist freilich nicht zu übersehen, dass Heilige und Reliquien für die Kirchenpolitik Herzog Georgs durchaus eine zentrale Rolle spielten. So war der Landesherr die treibende Kraft hinter der Heiligsprechung des hochmittelalterlichen Bischofs Benno von Meißen. Ein Vierteljahrhundert lang setzte der Wettiner alle politischen Hebel in Bewegung, um die erste Kanonisation eines Heiligen aus Sachsen zu erreichen, Bemühungen, die schließlich 1523 von Erfolg gekrönt waren 58 . Daneben wird Georg in der Literatur als großer Verehrer der Heiligen Anna und als Initiator ihres Kultes in der Bergstadt St. Annaberg im Erzgebirge genannt. Dort wurde ein eigenes Heiltum zusammengetragen und ein päpstlicher Plenarablass aufgerichtet, so dass Annaberg oft 57 Herzog Albrecht der Beherzte pilgerte 1476 ins Heilige Land, sein Bruder, Kurfürst Ernst, 1480 nach Rom. Kurfürst Friedrich der Weise reiste 1493 ebenso ins Heilige Land wie 1498 sein albertinischer Cousin Heinrich der Fromme. Die in der Literatur für 1506 angegebene, schlecht belegte Pilgerfahrt Heinrichs des Frommen nach Santiago de Compostela kann jetzt nach einer Missive Herzog Georgs auf den Winter 1502/ 03 datiert werden. Anfang Februar 1503 teilte der Dresdner Hofrat zwei thüringischen Amtleuten mit, das mein g. her hertzog Heinrich uf dem widderwege von sant Jacoff sein, und gab Anweisungen für das Geleit Heinrichs zum Dresdner Hof (Brief Herzog Georgs an den Amtmann zu Freyburg, [Dresden] 11. Februar 1503, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10004, Kopiale, Cop. 108, Bl. 180 a ). Zu den anderen Pilgerfahrten vgl. Folker R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem. Albrecht der Beherzte im Heiligen Land. Itinerar einer Reise, in: Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, hg. von André T HIEME (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2, Köln/ Weimar/ Wien 2002) S. 53-72; Franz Xaver T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst von Sachsen im Jahre 1480, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 42 (1921) S. 1-63; sowie die Beiträge von Falk E ISERMANN , Folker R EICHERT und André T HIEME im vorliegenden Band. Zum Kontext vgl. Ursula G ANZ -B LÄTTLER , Andacht und Abenteuer. Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520) (Jakobus-Studien 4, Tübingen 2 1991); Folker R EICHERT , Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter (Stuttgart 2001); als Quellenrepertorium: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, 3 Bde., hg. von Werner P ARAVICINI (Frankfurt a. M. 1994-2000). Auch in anderen Dynastien des Reiches wurden Jerusalemfahrten im 15. Jahrhundert zur viel geübten und durch zahlreiche Reiseberichte bestens dokumentierten Praxis. Vgl. Detlev K RAACK , Jerusalem als Reiseziel brandenburgischer Fürsten im 15. und im 19. Jahrhundert. Mittelalterliche Markgrafen und neuzeitliche Monarchen auf dem Weg ins Heilige Land, Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 62 (1999) S. 37-61; H EIMANN , Frömmigkeitsverhalten (wie Anm. 16); Folker R EICHERT , Eberhard und die Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter. Ein unbekannter Pilgerbericht, Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 64 (2005) S. 57-83. 58 Vgl. V OLKMAR , Heiligenerhebung Bennos (wie Anm. 6). Zwischen Devotion und Repräsentation 165 als Georgs Antwort auf die fürstlichen Heiltumsschätze von Halle und Wittenberg interpretiert worden ist 59 . Doch um die Position des Fürsten zur Heiligenverehrung wirklich zu erfassen, wird man zu differenzieren lernen müssen. Hilfreich ist dabei die Unterscheidung zwischen Devotion und Repräsentation, zwischen der privaten Frömmigkeit und den kirchenpolitischen Anforderungen des Herrscheramtes. Wie sich auf den zweiten Blick die Zusammenhänge neu ordnen, lässt sich exemplarisch am Ablasswesen aufzeigen. Wie alle Fürsten seiner Zeit hat Herzog Georg Ablässe als probates Mittel angesehen, um kirchenpolitische Projekte zu finanzieren. So bemühte er sich 1501 um einen kleineren 100-Tage-Ablaß zur Förderung der Heiligsprechung Bennos von Meißen 60 und supplizierte fast zehn Jahre lang in Rom um den erwähnten Plenarablass für Annaberg, der die Baukosten der prächtigen Annenkirche decken helfen sollte 61 . Doch bohrt man tiefer, fällt auf, dass die Verbindung von Ablasserwerb und persönlicher Frömmigkeit, die bei Friedrichs Wittenberger Heiltum so evident ist, für Georg nicht herzustellen ist. Schon seine Mutter Zedena wusste um das geringe Interesse des Sohnes an Ablassgnaden, wenn es um das eigene Seelenheil ging. Deshalb schickte sie ihm ein Büchlein über den Ablass, der in Meißen in der Karwoche zu erwerben war und fügte fast beschwörend hinzu: vorschmach yn nicht, nym yn mit an, den er ist dir nicht schedlich 62 . Und so überrascht es wenig, dass Georg schon 1517 als einer der ersten positiv auf die 95 Thesen Martin Luthers reagierte und mit der Leipziger Disputation im Jahre 1519 eine theologische Klärung des Ablassstreites herbeizuführen suchte, damit wir armen leyen underweist werden, wor an wir recht thun 63 . Auch am Beispiel der Verehrung Bennos von Meißen zeigt sich eine Diskrepanz zwischen privater Religiosität und öffentlicher Kirchenpolitik. An der Tumba des Heiligen im Meißner Dom präsentierte sich Herzog Georg als wichtigster Förderer des Kultes. Seine Motivation umschrieb 59 Vgl. dazu D ERS ., Annaberger Heiltum (wie Anm. 6). 60 Vgl. Indulgenz Kardinal Raimund Peraudis, Brixen, 11. November 1501, ed. in: Urkundenbuch des Hochstifts Meißen 3, 3 Bde, hg. von Ernst Gotthelf G ERSDORF (Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 2. Hauptteil, 1-3, Leipzig 1864-1867) S. 316, Nr. 1317. Vgl. dazu V OLKMAR , Heiligenerhebung Bennos (wie Anm. 6) S. 57 und 73. 61 Vgl. D ERS ., Reform statt Reformation (wie Anm. 14) S. 132-142. 62 Zitiert nach W ERL , Sidonia (wie Anm. 49) S. 12. 63 Brief Herzog Georgs an Bischof Adolf von Merseburg, Dresden, 17. Januar 1519, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1, 2 Bde. [1517- 1527], hg. von Felician G ESS (Schriften der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte 10, 22, Leipzig/ Berlin 1905-1917, ND Köln 1985) S. 60-62. Vgl. dazu V OLKMAR , Reform statt Reformation (wie Anm. 14) S. 354-359, 420-426. 166 Christoph Volkmar er einmal mit den Worten sunderlich dem Meysnerlant zcu selikeit und ere [zu] helffen 64 , also dem Wunsch, der Bevölkerung auch im eigenen Land den Zugang zu heiligen Fürsprechern zu eröffnen. Doch wenn wir die aus jenen Jahren zu Hunderten überlieferten Mirakelberichte durchsehen, also nach individuellen Gebetserhörungen fragen, so finden wir unter jenen, die Bennos Fürsprache für sich erbeten haben, zwar zahlreiche Mitglieder des Fürstenhofs und auch der landesherrlichen Familie - so die Mutter Zedena und auch den Bruder, Heinrich den Frommen - aber Georg selbst suchen wir vergeblich 65 . Und statt um den Nukleus des Meißner Bischofsgrabes einen Reliquienschatz aufzubauen, ließ Herzog Georg lieber die Vorbildwirkung des heiligen Bischofs für eine Reform der Kirche propagieren. In der in seinem Auftrag von Hieronymus Emser verfassten Vita Bennonis erscheint der Heilige nicht nur als idealer Bischof im Sinne des traditionellen Heiligenideals, sondern wird auch als akademisch gebildeter Kirchenreformer dargestellt, der mit konkreten Maßnahmen wie etwa Pfarrvisitationen die Strukturprobleme der spätmittelalterlichen Kirche angeht. Die tagespolitischen Bezüge zur zeitgenössischen Kirchenreformdiskussion sind dabei unübersehbar. Genau wie es Erasmus im „Enchiridion“ formulierte, scheint auch Herzog Georg das Exempel der Heiligen wichtiger gewesen zu sein als ihre Wunder wirkende Fürsprache 66 . Während im Falle Bennos die Bevölkerung und Teile der herzoglichen Familie das Bild des Heiligen als Wundertäter propagierten und 64 Brief Herzog Georgs an Kurfürst Friedrich den Weisen, Dresden, 9. August 1519, ed. in: Akten und Briefe (wie Anm. 63) 1, S. 96f. - Zur Bedeutung der Heiligsprechung Bennos für die Kirchenpolitik Herzog Georgs vgl. V OLKMAR , Heiligenerhebung Bennos (wie Anm. 6) S. 152-156. 65 Die spätmittelalterlichen Wunderberichte zum Bennoheiltum in Meißen sind in mehreren Mirakelsammlungen zusammengefasst, die jedoch bis auf ein heute in München verwahrtes Fragment aus dem 14. Jahrhundert nur noch sekundär über Drucke des 16./ 17. Jahrhunderts verfügbar sind. Vgl. Miracula Bennonis collecta et conscripta manu propria Witigonis episcopi Mißniensis, Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 27044; Hieronymus Emser, Das heilig leben vnd legend des seligen Vatters Bennonis weylund Bischoffen tzu Meyssen: gemacht vnd in das tewtsch gebracht: durch Jeronymum Emser, Leipzig: Melchior Lotter d. Ä., 1517 (VD 16 E 1118); Vita Beati Bennonis Episcopi ad Leonem X. pont. max. (Rom 1521), ed. in: Gottfried H ENSCHEN / Daniel P APENBROICH , Acta Sanctorum, Junii 3 (Antwerpen 1701) S. 175-194; Gewiß und approbirte Historia von S. Bennonis, etwo Bischoffen zu Meißen, Leben und Wunderzaichen [...] auch sein Canonization und Fest betreffent (München 1604). - Zu Entstehungszusammenhängen und Chronologie vgl. V OLKMAR , Heiligenerhebung Bennos (wie Anm. 6) S. 193-197; zu Wettinern als Zeugen für Wunderberichte vgl. ebd., S. 58-64. 66 Vgl. ebd. S. 125-156. Zwischen Devotion und Repräsentation 167 annahmen, waren es auch im Falle der Annenverehrung in der neu gegründeten Bergstadt St. Annaberg nicht der Landesherr sondern die Bürger der Stadt, die die traditionellen Formen des Heiligenkultes pflegten und einforderten. Herzog Georg hingegen förderte den Kult nur punktuell, gerade genug, um seinen fürstlichen Pflichten genüge zu tun. So ging die Initiative für den Aufbau des Heiltums vom Annaberger Stadtzimmermeister Johann Pfeffinger aus, der im Jahre 1503 mit dem Vorhaben an den Landesherrn herantrat, das bei Lyon gelegene Dominikanerkloster L’Isle zu besuchen und dort um die Überlassung einiger Annenreliquien zu bitten. Herzog Georg unterstützte das Vorhaben lediglich, indem er den Freiberger Pfarrer Johann Dietrich aufforderte, den Reliquiensucher zu begleiten 67 . Die Verpflichtung des Landesherrn zur Kirchenfürsorge und zur Förderung der Laienfrömmigkeit wog schwer, war der volksfromme Heiligen- und Reliquienkult doch in allen sozialen Schichten populär. In Georgs eigenen Plänen zur Förderung von Kirche und Frömmigkeit in Annaberg stand das Heiltum hingegen nur im Hintergrund - ein klarer Unterschied zur Dominanz des fürstlichen Einflusses beim Aufbau der Reliquienschätze von Halle und Wittenberg. Während seine Gattin, die aus Polen stammende Herzogin Barbara, ihre Verehrung für die heilige Anna durch Gelübde und Opfergaben demonstrierte, fehlt für Georg bei näherer Betrachtung jeder sichere Hinweis für eine persönliche Verehrung Annas und ihrer Reliquien. So gesehen, förderte Georg das Annaberger Heiltum nicht wegen, sondern trotz seiner persönlichen Einstellung zur Reliquienverehrung; er unterschied - um mit Franz Machilek zu reden - zwischen Privat- und Staatsfrömmigkeit 68 . Gerade das Beispiel Herzog Georgs zeigt somit eindrücklich, wie wichtig es ist, zwischen der Kirchenpolitik und der persönlichen Frömmigkeit eines Fürsten zu differenzieren. Schnell sind plakative Kategorien wie die des „Lieblingsheiligen“ zugeschrieben, aber nur schwer zu überprüfen. So sind Benno und Anna immer wieder zu Eckpfeilern der Frömmigkeit Herzog Georgs erklärt worden, ohne dass es einen einzigen Beleg dafür gäbe, dass sie außerhalb kirchenpolitischer Projekte auch für seinen persönliche Glaubenswelt von Relevanz waren. Deshalb wäre zuerst zu fragen, welchen Stellenwert die populären Formen der Heiligenverehrung für seine Frömmigkeit besaßen und 67 Vgl. Adam Daniel R ICHTER , Umständliche aus zuverläßigen Nachrichten zusammengetragene Chronica der [...] freien Berg-Stadt St. Annaberg nebst beygefügten Urkunden, 2 Bde. (Annaberg 1746/ 48) hier 1, S. 165-169; W OLF , Kirchliches Leben (wie Anm. 30) S. 55. 68 Vgl. V OLKMAR , Annaberger Heiltum (wie Anm. 6). 168 Christoph Volkmar ob Georg überhaupt einen einzelnen Heiligen besondere Reverenz erwies. Wenn wir in den persönlichen Zeugnissen des Fürsten suchen, dann stoßen wir vor allem auf christozentrische Aussagen. Im Testament von 1510 befiehlt Georg seine sündige Seele der Barmherzigkeit und Gnade des dreieinigen Gottes und erfleht ihre Annahme um der Leiden Christi und des Mitleidens der Gottesmutter Maria willen. Es schließt sich der allgemeine Wunsch nach der Fürsprache aller Heiligen an, doch wird nur ein einziger namentlich genannt. Es ist dies bezeichnenderweise weder Anna noch Benno, sondern der Apostel Jakobus d. Ä. 69 , der sich auch als alleiniger Schutzheiliger des Albertiners auf dem Triptychon wieder findet, das Lucas Cranach d. Ä. 1534 als Altarbild für die Grabkapelle Georgs im Meißner Dom anfertigte 70 . Und als schließlich der sterbende Fürst 1539 die Sterbesakramente erhielt, empfahl ihm der Dresdner Pfarrer Eisenberg wiederum, auf die Fürsprache des Apostels zu vertrauen 71 . Damit bezog sich Georg, wo seinen persönlichen Bezüge zur Heiligenverehrung überhaupt einmal greifbar werden, ausgerechnet auf einen Fürbitter, der in der autochthonen Kulttopographie Mitteldeutschlands keine Rolle spielte. Sein geringes Interesse am veräußerlichten Heiligenkult seiner Zeit, an Gelübden, Votivgaben oder Pilgerfahrten, findet in diesen persönlichsten Zeugnissen so abermals Bestätigung. Doch nicht immer beschränkte sich Georg darauf, in seiner persönlichen Frömmigkeit Distanz zum Heiligen- und Reliquienkult zu 69 So bevelhen wir darauff unnser sundige sele in irem außgang inn die barmhertzigkeit des hymlischen vaters, sie des pittern leydens der heyligen funff wunden seines einigenn gebornen Sones durch die gnade des Heyligenn Geists teylhaftig zumachen, dieselbig nach barmhertzigkeit und macht nach irem vordienst zu urteyln, umb das hertzlich mitleyden willen der gebenedeyten gebererin Ihesi Cristi, das sie hatte in dem pittern leyden Gottes, ires einigen sons, unnd umb furbitt willenn unnsers apostels sandt Jacobs unnd aller heyligen in welche furbitt wir unns hirmit thun bevelhen, unser selen gnade unnd barmhertzigkeit zuerwerben, dodurch sie bey Got, der ine zu eren und zu loben sie ewiglich geschaffen, bleyben mag. Testament Herzog Georgs vom 19. Dezember 1510 (Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10001, Ältere Urkunden, O. U. 9875, Bl. 1 b ). 70 Um die Mitteltafel mit einem seine Wunden vorweisenden Christus (Schmerzensmann- Motiv) gruppieren sich auf den Seitentafeln das Apostelpaar Peter und Paul, die auf die Devisen der Stifter, Zitate aus dem Epheser- und ersten Timotheusbrief des Paulus sowie dem 1. Petrusbrief, zeigen. An sie schließen sich die Stifter Georg und Barbara mit ihren Schutzheiligen Jakobus und Andreas an. Vgl. Hans-Joachim K RAUSE , Die Grabkapelle Herzog Georgs von Sachsen und seiner Gemahlin am Dom zu Meißen, in: L AU , Hochstift Meißen (wie Anm. 48) S. 375-402. 71 Vgl. Johann Karl S EIDEMANN , Dr. Peter Eisenberg, Archiv für die Sächsische Geschichte, N. F. 4 (1878) S. 180-187. Zwischen Devotion und Repräsentation 169 wahren. Immer wieder versuchte er auch, reformierend auf die Frömmigkeit seiner Untertanen einzuwirken. Georgs Reformansätze erinnern an die Empfehlungen des „Enchiridions“, können aber auch mit der scholastischen Reformtheologie des 15. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden. Nachhaltigen Einfluss übte hier insbesondere der berühmte Erfurter Augustinertheologe Johannes von Paltz († 1511) aus. Er unterschied zwischen der peregrinatio laudabilis und der peregrinatio vituperabilis 72 , wobei er für letztere konkrete Negativbeispiele wie die Wallfahrten nach Grimmenthal bei Meiningen oder den spektakulären Fall des Pfeifers von Nicklashausen nannte 73 . Seine Kritik richtete sich gegen die leidenschaftliche Erregung und sozialen Auflösungserscheinungen, die mit spontanen Wallfahrten und neu entstehenden Kulten verbunden waren: Natura his temporibus sic disposita est, quod facile movetur in compassionem et ex hoc in periculosam passionem 74 . Grundsätzlich verdächtigte Paltz deshalb gerade die ungesteuerten Spontan- und Massenwallfahrten seiner Zeit als Werke des Teufels und empfahl stattdessen die Selbstbeschränkung der Laien auf ihre Pfarrkirchen. Der junge Martin Luther übernahm die Position seines Lehrers und Ordensbruders und predigte schon 1516 gegen die wilden Wallfahrten, noch bevor dies ein Topos der Reformationspropaganda wurde 75 . Das Beispiel Paltz zeigt also, dass die Wurzeln jener neuen, verinnerlichten Form von Laienfrömmigkeit nicht allein im Humanismus lagen, sondern sich aus verschiedenen Quellen speisten, zu denen auch die deutsche Mystik, die Devotio moderna oder die Theologie eines Jean Gerson zu zählen sind 76 . In Georgs Kirchenpolitik hatte solche Kritik an der Laienfrömmigkeit die Chance, vom Gemeinplatz geistlicher Eliten zum Leitfaden landesherrlicher Reformmaßnahmen zu werden. Als in Rötha bei Leipzig seit 1502 eine neue Marienwallfahrt aufkam, forderte Herzog Georg ein 72 Vgl. Klaus S CHREINER , „Peregrinatio laudabilis“ und „peregrinatio vituperabilis“. Zur religiösen Ambivalenz des Wallens und Laufens in der Frömmigkeitstheologie des späten Mittelalters, in: Wallfahrt und Alltag (wie Anm. 6) S. 133-164, hier 157. Die wallfahrtskritischen Texte von Paltz hat Berndt Hamm ediert. Vgl. Johannes von Paltz, Werke 2: Supplementum Coelifodinae, hg. von Berndt H AMM (Berlin/ New York 1983) S. 385-408. 73 Vgl. Klaus A RNOLD , Niklashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes (Saecula Spiritualia 3, Baden-Baden 1980). 74 Vgl. H AMM , Frömmigkeitstheologie (wie Anm. 52), das Zitat S. 220. 75 Vgl. S CHREINER , Peregrinatio (wie Anm. 72) S. 157-160; K ÜHNE , Luthers Kritik (wie Anm. 7). 76 Vgl. H AMM , Frömmigkeitstheologie (wie Anm. 52). 170 Christoph Volkmar Gutachten des bekannten Kirchenrechtlers Henning Göde an. Dabei ging es ihm nicht nur um die Verwendung der Wallfahrtseinnahmen, sondern auch um die grundsätzliche Frage, wie der hanndl zu exemiren sey, als angezceigter concurß aus guttem geiste oder grunde enntstanden sey, oder nicht, unnd in welhem fall der concurß anzufechten unnd in welhem derselbt zugedulden 77 . Die neue Wallfahrt war demnach in den Augen Herzog Georgs nicht von vornherein eine förderungswürdige Praxis. In kritischer Distanz zum zeitgenössischen Wunderglauben stellte er zwar nicht die Existenz von Wundern an sich, wohl aber ihren Ursprung in Frage. Der Laie Georg zeigt sich hier mit der schon von Augustinus vertretenen theologischen Lehrmeinung vertraut, nach der auch der Teufel Wunder wirken und Kulten den Anschein von Heiligkeit geben könne, um die Arglosen und Leichtgläubigen zum falschen Götzendienst zu verführen. Deshalb fordert er von Göde eine Handlungsanweisung zur discretio spirituum, zur theologischen Begutachtung des aus volksfrommen Wurzeln aufgekommenen Röthaer Kultes. Das landesherrliche Kirchenregiment übernahm damit, was eigentlich Aufgabe des Bischofs als geistlichen Oberhirten gewesen wäre: die Prüfung und Entscheidung über Förderung oder Unterdrückung der Röthaer Wallfahrt 78 . Unmittelbar zu spüren bekam den Reformeifer Herzog Georgs auch Albrecht von Schreibersdorf, der als Amtmann von Annaberg selbst ein führender Repräsentant albertinischer Herrschaft war. Als Schreibersdorf 1517 zusammen mit seiner Frau von einer Fernwallfahrt in fremde Lande zurückkehrte, mit der er ein Gelübde erfüllt hatte, erwartete ihn zu Hause die Rüge seines Fürsten. Georg, der schon im Voraus von der Wallfahrt abgeraten hatte, sah sich durch die Gefahren der Reise in seinen Warnungen bestätigt. Zwar freue er sich über die gesunde Rückkehr, ließ er den Amtmann wissen, doch hoffe er gleichzeitig, du wirdest dich in ansehunge unser warnungen und demjenigen, 77 Vgl. Brief Herzog Georgs an Dr. Henning Göde, Leipzig, 30. September 1509, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10004, Kopiale, Cop. 111, Bl. 18 a . 78 Für die Theologie des Wunders waren Augustinus und Thomas von Aquin maßgeblich. Weite Verbreitung fanden ihre Ansichten im Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach. Vgl. Maria W ITTMER -B UTSCH / Constanze R ENDTEL , Miracula. Wunderheilungen im Mittelalter. Eine historisch-psychologische Annäherung (Köln/ Weimar/ Wien 2003) S. 18-25; Christian K RÖTZL , Pilger, Mirakel und Alltag. Formen des Verhaltens im skandinavischen Mittelalter, 12.-15. Jahrhundert (Studia Historica Finlandiae 46, Helsinki 1994) S. 30f. Zur Methode der Discretio spirituum vgl. Cornelius R OTH , Discretio spirituum. Kriterien geistlicher Unterscheidung bei Johannes Gerson (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie 33, Würzburg 2000); zu den Alternativen Förderung und Unterdrückung vgl. S CHREINER , Peregrinatio laudabilis (wie Anm. 72). Zwischen Devotion und Repräsentation 171 das dir begegent, hinfur so vil baß bedenken, dich an dergleychen ende zu geloben und [in] ferligkeyt zu begeben 79 . Die Wallfahrtspläne des Amtmanns von Quedlinburg verbot Herzog Georg einige Jahre zuvor sogar mit dem utilitaristischen Argument, die Bauern benötigten alle verfügbaren Pferde des Amtes, um ihre Äcker zu bearbeiten 80 . Der Kontrast zu der ungebrochen spätmittelalterlichen Laienfrömmigkeit eines Friedrichs des Weisen könnte auch hier größer nicht sein. Im selben Jahr 1517, in dem Georg die Wallfahrt Schreibersdorfs rügte, billigte der Wittenberger Kurfürst das Pilgervorhaben seines Amtmannes zu Wachsenburg nicht nur, sondern unterstützte die Fahrt noch mit einem Geldgeschenk von 10 fl. 81 4. Zusammenfassung Auf der Suche nach den Motiven und den religionsgeschichtlichen Bedingungen fürstlicher Heiligenverehrung vor der Reformation hat sich die Differenzierung zwischen persönlicher Devotion und fürstlicher Repräsentation als weiterführend erwiesen. Zwar fallen beide Aspekte oft zusammen, wie im Falle Friedrichs des Weisen und des Wittenberger Heiltums. Doch war dies nicht immer so. Das Beispiel des albertinischen Herzogs Georg zeigt, dass Fürsten zuweilen zwischen persönlichen Frömmigkeitsidealen und den Anforderungen ihres Amtes zu differenzieren verstanden. Manch öffentliches Bekenntnis zum Heiligen- und Reliquienkult entsprang so der Ratio einer landesherrlichen Kirchenpolitik, die die Förderung der populären Formen spätmittelalterlicher Heiligenverehrung als ihre Aufgabe begriff, obwohl der Fürst diesen persönlich eher distanziert gegenüberstand. Andererseits konnte die Rezeption von humanistischen oder frömmigkeitstheologischen Reformkonzepten auch zu Versuchen führen, die Laienfrömmigkeit mit den Mitteln des landesherrlichen Kirchenregiments zu reformieren. So fordern die Ergebnisse auf, beim Blick auf die Praxis fürstlicher 79 Brief Herzog Georgs an den Amtmann zu St. Annaberg, Dresden, 16. August 1517, ed. in: Akten und Briefe 1 (wie Anm. 63) S. 20. 80 Brief Herzog Georgs an den Amtmann zu Quedlinburg, Leipzig, 31. Januar 1509, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10004, Kopiale, Cop. 112, Bl. 31 a . 81 Wie die ernestinischen Rechnungsbücher zeigen, konnten alle Hofbediensteten Kurfürst Friedrichs, aber auch Herzog Johanns d. Ä., auf die Unterstützung ihrer Fürsten bauen, wenn sie auf Wallfahrt gingen. Vgl. Georg B UCHWALD , Zur mittelalterlichen Frömmigkeit am kursächsischen Hofe kurz vor der Reformation, Archiv für Reformationsgeschichte 27 (1930) S. 62-110 (mit Edition der Rechnungsbücher); B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 32) S. 26f. 172 Christoph Volkmar Heiligenverehrung stets eine angemessene Tiefenschärfe anzustreben, um der Komplexität der historischen Situation gerecht zu werden. Deutlich wurde weiterhin, dass die Vielfalt der vorreformatorischen Heiligenverehrung nicht nur in ihren Formen, sondern auch in ihren Konzepten zum Ausdruck kommt. Zwar blieb die traditionelle spätmittelalterliche Frömmigkeit auch um 1500 vital und lebendig. Doch neben sie trat, getragen vor allem von gebildeten Weltgeistlichen und Laien, ein neuer Typus, der die handlungs- und ritualorientierte Religiosität des Mittelalters ablehnte und sich statt dessen wieder stärker an der Spiritualität der Evangelien und der Paulusbriefe orientierte. Die Heiligen waren dabei weniger als Wunder erwirkende Fürsprecher, denn als ethische Vorbilder interessant. Mit der Bezeichnung „humanistisch“ ist diese neue Frömmigkeit freilich nur eingeschränkt erfassbar. Denn wenngleich viele Humanisten im Sinne des Erasmus eine Rückführung der Laienreligiosität auf die Evangelien befürworteten und lebten, stammten die Reformstimmen doch nicht allein aus dem humanistischen Lager, wie die Lehren des scholastischen Theologen Johannes von Paltz und die kirchenpolitische Reformpraxis eines Herzog Georg von Sachsen zeigen. Die Diskussion um eine geeignete terminologische Einordnung dieser neuen Laienfrömmigkeit, die Schriftbezug statt mittelalterlicher Tradition, kognitive Verinnerlichung statt handlungsorientierter Rituale propagierte, muss freilich erst noch geführt werden 82 . In jedem Falle ist das Interesse an dieser erneuerten Frömmigkeit, dies muss abschließend betont werden, in keinem Falle gleichzusetzen mit einer Affinität zur Reformation. Diese Differenzierung ist so wichtig wie schwierig, gerade weil die Reformatoren die Argumente der vorreformatorischen Kritik am Heiligenkult aufgriffen und weiter verwendeten 83 . Tatsächlich aber wird die nahe liegende Annahme, dass die „modernere“ Frömmigkeit der Humanisten und Reformtheologen die Menschen auf Luther vorbereitet habe, nicht nur durch Erasmus von Rotterdam selbst widerlegt. Auch Herzog Georg kann hier als Kronzeuge gelten, denn er blieb trotz kritischer Distanz zu Reliquienkult und Ablassfrömmigkeit der alten Kirche treu und bekämpfte erbittert die Reformation. Stattdessen setzten sich Fürsten, die bislang ganz in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit aufgegangen waren, in den 1520er Jahren an 82 Für erste Definitionsansätze vgl. H AMM , Wie innovativ (wie Anm. 9) S. 488 und 495. 83 Vgl. K ÜHNE , Luthers Kritik (wie Anm. 7); Klaus S CHREINER , „Discrimen veri ac falsi“. Ansätze und Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966) S. 1-53, hier 33-53. Zwischen Devotion und Repräsentation 173 die Spitze der Förderer Luthers. Dies zeigt das Beispiel Friedrichs des Weisen, vor allem aber der Fall Johanns des Beständigen, der sich binnen weniger Jahre vom eifrigen Wallfahrer zum sendungsbewussten Führer der lutherischen Partei wandelte 84 . Fast scheint es, als ob gerade jene Fürsten, die in der Werkfrömmigkeit des Spätmittelalters am stärksten verwurzelt waren, die geborenen Rezipienten für die Fundamentalkritik Luthers und seine neuen Wege in der christlichen Religiosität waren. Wenn bei allen Verbindungen zwischen Spätmittelalter und Reformation die Kontinuitäten also keineswegs so geradlinig verlaufen, wie man auf den ersten Blick vermuten möchte, so verweist auch dies wieder auf den grundlegenden Systembruch, der von Luthers theologischer Revolution ausging. Resumen: ¿Qué pensaban los príncipes alemanes del culto a los santos en torno a 1500? ¿Cuál era específicamente la posición de los príncipes electores y duques de Sajonia, en cuyo territorio nació en ese entonces la Reforma? En la aportación, se contraponen los ejemplos del príncipe elector Federico III (el Sabio) de Sajonia (1463-1525) y del duque Jorge de Sajonia (1471-1539). La distinción discutida por los investigadores entre la devoción tardomedieval y la humanista, tipos que ilustraron el espectro que va de la tradición a la modernidad en torno a 1500, sirve de punto de partida. Además, se busca acentuar en mayor medida la posición de los príncipes frente a la veneración de los santos, diferenciando entre la devoción privada y la representación público-política. Especialmente en el caso del duque Jorge, se hace patente una cierta contradicción entre el apoyo que prestó como soberano a formas populares del culto a los santos (por ejemplo, los tesoros con reliquias, las peregrinaciones y la indulgencia) y una posición personal más bien crítica y distanciada. Por lo tanto, la devoción del príncipe y las prácticas eclesiástico-políticas oficiales no correspondían siempre una con otras. En este sentido, cabe hacer notar que la crítica frente a las formas de culto medievales tradicionales, calificada generalmente de “humanista”, se basaba en diferentes fuentes, como ser la mística y la teología reformada escolástica. En aquellas partes en que los príncipes adoptaron esa crítica, se intentó también reformar la devoción de los súbditos. Por la Reforma de Martín Lutero, las cartas fueron barajadas partiendo de cero. Justamente aquellos príncipes que se sentían especialmente unidos al culto a los santos tardomedieval, como ser Federico el Sabio o su hermano Juan el Constante, llegaron a ser ahora promotores de la nueva doctrina. En la contribución, se presentan asimismo ejemplos del culto jacobeo en relación con Jorge de Sajonia. 84 Vgl. B RÄUER , Wallfahrtsforschung (wie Anm. 32) S. 24-27 und 47. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter A NDRÉ T HIEME Für den lutherischen Gelehrten Hieronymus Weller 1 gab es keine Zweifel über den ‚Un-Sinn‘ einer Pilgerfahrt. In seiner 1586 zum Druck gebrachten Schrift über die wettinischen Pilgerreisen ins Heilige Land formulierte er mit mildem Unverständnis über die Fahrten Herzog Heinrichs des Frommen. Der sei als ein junger freudiger Herr, der da lust sich etwas weiter zuversuchen, und ohne zweiffel nach dem wahn derselben zeit, in den gedancken, er thue Gott einen dienst dran, sowohl auch nach dem Exempel seiner Vorfarn erstlich gen Hierusalem zum Heiligen Grabe und Bethlehem gezogen, daselbst Ritter worden, hernach auch in Galiciam zu S. Iacob gen Compostel verreiset ... 2 . Trotz des harschen Urteils über die religiöse Wirksamkeit einer Pilgerreise, zeigte sich Weller von den Reisen selbst fasziniert, wie der Umstand des Drucks nahe legt. Gerade die Fahrten nach Jerusalem besaßen gut ein halbes Jahrhundert nach der Reformation einen höchst exotischen Reiz, weil sie die Grenzen des christlichen Europas überschritten, weil sie spektakuläre Erlebnisse und veritable Gefahren mit sich gebracht hatten. Diese Faszination ergriff auch die Historikerzunft, die sich schon früh und eingehend mit den mittelalterlichen Pilgerreisen ins Heilige Land befasste und bis heute eine Fülle beschreibender, sammelnder und 1 Hieronymus Weller der Jüngere (1548-1587), Sohn des gleichnamigen berühmten lutherischen Theologen der Reformationszeit Hieronymus Weller von Molsdorf (1499- 1572). Zu Letzterem vgl. Zedlers-Universal-Lexicon 54, Sp. 1546-1548, 1570; Georg M ÜLLER , Weller, Hieronymus W. von Molsdorf, in: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1889) S. 472-476; Werner L AUTERBACH , Hieronymus Weller, Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins 84 (2000) S. 35-36. 2 Gründliche vnd warhafftige beschreibung Der löblichen vnd Ritterlichen Reise vnd Meerfart in das heilige Land nach Hierusalem des Durchlauchtigen Herrn Herrn Albrechten Hertzogen zu Sachssen ... Hochlöblicher gedechtnus ... Gestellet durch ... Hansen von Mergenthal ... So selbsten persönlich mit vnd darbey gewesen, hg. von Hieronymus Weller (1586) ohne Paginierung. 176 André Thieme analytischer Untersuchungen der Reisen und Reiseberichte vorgelegt hat 3 . Darüber hinaus erfuhr das Pilger- und Wallfahrtswesen des europäischen Spätmittelalters vor allem in den letzten Jahren unter den Parametern Mobilität und Religiosität (Frömmigkeit), Kulturtransfer und Kommunikation, Adelskultur und Herrschaftsinszenierung neue Aufmerksamkeit; der Blick für die gesellschaftliche und mentale Komplexität des Phänomens wurde geöffnet 4 . Dass dabei die adligen und insbesondere die fürstlichen Pilgerreisen häufig im Zentrum der Untersuchungen standen 5 , erstaunt ob der diesbezüglich reichhaltigen Überlieferung nicht. 3 Vgl. überschauend dazu vor allem mit Hinweisen auf die zahlreiche ältere Literatur: Reinhold R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande (Gotha 1889); Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Biographie 1: Deutsche Reiseberichte, hg. von Werner P ARAVICINI , bearb. von Christian H ALM (Kieler Werkstücke D 5, Frankfurt a. M. 1994). Dazu Enno B ÜNZ , Reiseberichte - Reisegruppen - Reisewege. Bemerkungen zur neuen analytischen Bibliographie „Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters“, Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 65 (2000) S. 353-361. 4 Vgl. etwa Marie-Luise F ARVEAU -L ILIE , Die Bedeutung von Wallfahrt, Kreuzzügen und anderen Wanderungsbewegungen (z. B. Gesellenwanderungen) für die Kommunikation in Mittelalter und Neuzeit, in: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von Hans P OHL (Stuttgart 1989) S. 64-89; Wallfahrt und Alltag in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Wolfram H ERWIG (Wien 1992); Ludwig S CHMUGGE , Deutsche Pilger in Italien, in: Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.-14. Jahrhundert), hg. von Siegfried DE R ACHEWILTZ / Josef R IEDMANN (Sigmaringen 1995) S. 97-113; Fremdheit und Reisen im Mittelalter, hg. von Irene E RFEN / Karlheinz S PIESS (Stuttgart 1997) S. 65-92; Folker R EICHERT , Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter (Stuttgart 2001); Wallfahrt und Kommunikation - Kommunikation über Wallfahrt, hg. von Bernhard S CHNEIDER (Mainz 2004); Karl-Heinz S PIESS , Reisen deutscher Fürsten und Grafen im Spätmittelalter, in: Grand Tour. Adliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Rainer B ABEL / Werner P ARAVICINI (Beihefte der Francia 60, Ostfildern 2005) S. 33-51. 5 Vgl. etwa Werner P ARAVICINI , Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour. Über Motive und Formen adeligen Reisens im späten Mittelalter, in: Wissensliteratur im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Bedingungen, Typen, Publikum, Sprache, hg. von Horst B RUNNER (Würzburg 1993) S. 91-129; Cordula N OLTE , Erlebnis und Erinnerung. Fürstliche Pilgerfahrten nach Jerusalem im 15. Jahrhundert, in: Fremdheit und Reisen (wie Anm. 4) S. 65-92; Eberhard im Bart und die Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter, hg. von Gerhard F AIX / Folker R EICHERT (Lebendige Vergangenheit 20, Stuttgart 1998); darin besonders S. 9-59: Folker R EICHERT , Eberhard im Bart und die Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter; Detlev K RAACK , Jerusalem als Reiseziel brandenburgischer Fürsten im 15. und 16. Jahrhundert, Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 35 (1999) S. 37-61; Karl-Heinz S PIESS , Reisen deutscher Fürsten und Grafen im Spätmittelalter, in: Grand Tour (wie Anm. 4) S. 33-51; Heinz-Dieter H EIMANN , „Über mehr ein rittervard“ und „heilige wege reiten“. Zu Frömmigkeitsverhalten und religiöser Identitätsbildung brandenburgi- Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 177 Die wettinischen Pilgerfahrten ins Heilige Land, nach Rom und Santiago de Compostela ordnen sich in diese europäische Tradition spätmittelalterlicher Pilgerfahrten ein. Mit der hier vorgegebenen thematischen Einengung auf die Fernreisen nur eines Fürstengeschlechts liegt es deshalb nahe, ja wird es fast zwangsläufig, sich von übergreifenden kulturhistorischen Fragestellungen zu lösen. Stattdessen muss sich der spezifisch landeshistorische Ansatz stärker auf die Umstände und Eigenheiten der wettinischen Reisen beschränken, um dynastische und landestypische Muster offen zu legen, die wiederum durchaus Parallelen bei anderen Fürstengeschlechtern finden können. Hier soll zunächst eine Bestandsaufnahme der spätmittelalterlichen wettinischen Pilgerfahrten erfolgen, ausgehend von den hochmittelalterlichen Vorläufern. Vor dem Kontext der herrschaftlichen, dynastischen und familiären Hintergründe sind dann die Umstände beim Aufbruch der Reise vergleichend zu analysieren. Mit Blick endlich auf die Reisen selbst dürfen zum einen wenigstens die Tradition und die Entwicklung des Topos’ von der beschwerlichen und gefährlichen Reise in den wettinischen Reisebeschreibungen beobachtet, und zum anderen der Zusammenhang zwischen Reisegesellschaft und Funktionseliten untersucht werden. Eine abschließende Betrachtung gilt den Motiven der wettinischen Fürsten für die Pilgerfahrten. I. Bestandsaufnahme Die Tradition der spätmittelalterlichen großen wettinischen Pilgerfahrten begann mit der Reise Herzog Wilhelms des Tapferen im Jahre 1461. Doch bereits mehrere Jahrhunderte zuvor, im hohen Mittelalter hatte es wettinische Pilgerreisen gegeben - ferne Vorläufer, an die Wilhelm nicht bewusst anknüpfte. Von den Pilgerfahrten der spätmittelalterlichen Wettiner unterschieden sich die frühen Unternehmen allein schon deshalb erheblich, weil die wettinischen Vorfahren des 12. und 13. Jahrhunderts, mit Ausnahme der beiden älteren Wettiner, nicht als schlichte wallfahrende Pilger reisten, sondern weil sie sich statt dessen an den Kreuzzugsunternehmungen ihrer Zeit beteiligten - in religiösem Sinne sicherlich auch eine Pilgerreise, zudem mit umfassender Ablasserwartung, aber doch in ganz anderer Form; in großem Verband, scher und sächsischer Landesfürsten im 15. und 16. Jahrhundert, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim B AHLCKE / Karen L AMBRECHT / Hans-Christian M AHNER (Leipzig 2006) S. 95-108. 178 André Thieme unter Waffen ziehend, mit dem Ziel, die Heiden im Heiligen Land oder anderswo zu bekämpfen 6 : Der erste im Heiligen Land nachweisbare Wettiner, Graf Dedo IV. von Wettin († 1124), begab sich (vor? ) 1124 als einfacher Pilger auf die gefahrvolle Reise, der chronikalischen Überlieferung zufolge, um die Verstoßung seiner Frau Bertha zu sühnen. Dedo erwarb im Heiligen Land ein vorgebliches Stück von Hl. Kreuz und sandte diese wertvolle Kreuzreliquie dem von ihm gegründeten Petersstift auf dem Lauterberg zu. Auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land verstarb der Wettiner zum Jahre 1124 7 . Auch Markgraf Konrad der Große († 1157) reiste noch nicht als Teilnehmer eines Kreuzzuges, sondern brach in einer in der meißnischen Heimat politisch endlich entspannten Situation zum Jahre 1145 zu einer Wallfahrt nach Jerusalem auf, von der er spätestens im April 1146 zurückgekehrt sein muss 8 . Zu seinem Gefolge, das als Zeuge einer Stiftung 6 Ludwig S CHMUGGE , Pilger, in: Lex. MA 6, Sp. 2148-2150. - Zu Pilgerreisen und Wallfahrten im hohen Mittelalter vgl. übergreifend auch Reisen und Wallfahren im Hohen Mittelalter, hg. von Wolfgang G EORGI / Klaus H ERBERS / Walter K OCH / Norbert O HLER / Ferdinand O PLL / Bernhard S CHIMMELPFENNIG (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 18, Göppingen 1999); Ursula S WINARSKI , Herrschen mit den Heiligen. Kirchenbesuche, Pilgerfahrten und Heiligenverehrung früh- und hochmittelalterlicher Herrscher, ca. 500-1200 (Bern 1991). 7 Vgl. Chronicon Montis Sereni, hg. von Ernst E HRENFEUCHTER (MGH SS 23, Hannover 1874) S. 128-226, hier zum Jahr 1124, S. 139; dt. Übertragung bei Chronik vom Petersberg (Cronica Montis Sereni) nebst der Genealogie der Wettiner (Genealogia Wettinensis), übersetzt und erläutert von Wolfgang K IRSCH (Halle 1996); Stefan P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner. Adelsfamilie und Hausüberlieferung bis 1221 (Geschichte und Politik in Sachsen 6, Köln/ Weimar/ Wien 1997) S. 191 und 303. - Die Reise Dedos IV. wird auch verzeichnet in: W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung). 8 Vgl. Willy H OPPE , Markgraf Konrad von Meißen, der Reichsfürst und der Gründer des wettinischen Staates, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 40 (1919) S. 1-53 (Neudruck in: D ERS ., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Herbert L UDAT [Köln/ Graz 1965] S. 153-206), hierzu S. 25f.; P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner (wie Anm. 7) S. 37; Belege für die Anwesenheit Konrads im Heiligen Land finden sich in Codex diplomaticus Saxoniae regiae, I. Hauptteil, 2: Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen. 1100-1195, hg. von Otto P OSSE (Leipzig 1889) (im folgenden CDS I-2) Nr. 181, 188, 189. Vgl. auch Bettina M ARQUIS , Meißnische Geschichtsschreibung des späten Mittelalters, ca. 1215-1420 (München 1998) S. 195. - Über den Zeitpunkt dieser urkundlich sicher zu datierenden Pilgerfahrt gibt es in der Chronistik und frühen Geschichtsschreibung irrige Angaben; etwa einen behaupteten Zusammenhang der Reise mit dem Anfall des Groitzscher Erbes 1135 (Chonicon Montis Sereni [wie. Anm. 7] S. 144; M ARQUIS , Meißnische Geschichtsschreibung [wie oben] S. 196). W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung), vermerkt sogar eine Teilnahme Konrads am 2. Kreuzzug 1147, wo sich Konrad insbesondere bei der Belagerung von Damaskus ausgezeichnet gehabt hätte! Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 179 (bzw. von deren Erneuerung) für das Kloster zum Heiligen Grabe in Jerusalem erscheint 9 , gehörten Bischof Udo von Naumburg, der Naumburger Propst Konrad 10 , Heinrich von Brandenburg 11 , Graf Otto von Rieneck, ein Verwandter Albrechts des Bären, sowie die Ministerialen Hugold de Sochero, Radebot von Meißen, Guarnerius de Brena und ein Winard 12 . - Zum Jahre 1147 beteiligte sich Markgraf Konrad der Große am Wendenkreuzzug 13 . Konrad führte mit Erzbischof Friedrich von Magdeburg und Albrecht dem Bären den südlich operierenden Teil des Heeres an, der wohl Anfang August gegen Stettin und Demmin ausrückte, Demmin erfolglos belagerte und letztlich ohne Erfolge den Rückzug antreten musste. Über die religiösen Motive in diesem zutiefst von herrschaftlichen Erwägungen geleiteten Feldzug unter dem Banner des Kreuzes kann freilich nur spekuliert werden. Erst in der Enkelgeneration Markgraf Konrads finden sich wieder wettinische Kreuz- oder Wallfahrer: Dietrich der Bedrängte († 1221), nachgeborener Sohn Markgraf Ottos des Reichen von Meißen und damals noch ohne Aussicht auf eine Nachfolge in der markmeißnischen Herrschaft, folgte Kaiser Friedrich I. Barbarossa auf dem Weg in den 3. Kreuzzug. Mit dem Kaiser verbrachte er das Pfingstfest 1189 bereits zu Preßburg (Bratislava). Nach dessen Tod gehörte er zu dem Teil des Heeres, der sich bis Palästina durchschlagen konnte. 1191 kämpfte er vor Akkon 14 und kehrte erst in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1191 nach Meißen zurück 15 . 9 CDS I-2, Nr. 181 (S. 127f.), 188 (S. 132). Vgl. auch H OPPE , Markgraf Konrad (wie Anm. 8) S. 25, der allerdings alle dort genannten Zeugen unkritisch zum Gefolge Konrads rechnet. 10 Als solcher erscheint er in CDS I-2, Nr. 181 (S. 127f.). Der in CDS I-2, Nr. 188 (S. 132) genannte … Conradi prepositi de Halverstat … dürfte mit dem Erstgenannten identisch sein; die Zuordnung zu Halberstadt geht sicher auf eine Verschreibung zurück. 11 Dass unter diesem christlichen Namen der Wendenfürst Pribislaw zu vermuten ist, deutet H OPPE , Markgraf Konrad (wie Anm. 8) S. 25, an. 12 Ob der die Zeugenreihe von CDS I-2, Nr. 181 (S. 127f.) beschließende Theodericus abbas sancti Samuhelis dem Gefolge Konrads zuzuordnen ist, erscheint mir fraglich. 13 Vgl. dazu H OPPE , Markgraf Konrad (wie Anm. 8) S. 27ff.; P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner (wie Anm. 7) S. 38; M ARQUIS , Meißnische Geschichtsschreibung (wie Anm. 8) S. 195. 14 CDS I-2, Nr. 568 (S. 393); dort erscheint Dietrich in einer Urkunde König Philipp Augusts von Frankreich, der deutsche Ritter in seinen Sold nimmt, die ihm von Dietrich benannt worden sind. 15 Vgl. dazu jetzt zusammenfassend P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner (wie Anm. 7) S. 69f. - Als Dietrich von Landsberg erscheint der Kreuzfahrer Dietrich fälschlich bei W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung). 180 André Thieme Gemeinsam mit seinem Vetter, Markgraf Konrad von der Ostmark († 1210), zog Dietrich der Bedrängte wenige Jahre später ein zweites Mal ins Heilige Land. Auf dem Hoftag zu Worms hatten beide Wettiner im Dezember 1195 das Kreuz genommen, im Januar 1197 brachen sie auf, und zum 5. März 1197 ist Dietrich bereits in Akkon nachweisbar 16 . In Palästina wohnten Konrad und Dietrich der Gründung des Deutschen Ordens bei 17 . Nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. kehrte Dietrich der Bedrängte zurück, um die zwischenzeitlich eingezogene Markgrafschaft an sich zu bringen. Zum 13. November 1198 urkundete Dietrich von Weißenfels auf dem Collmer Landding erstmals als Markgraf von Meißen, - hierin anerkannt auch von Exponenten der bisherigen staufischen Reichslandpolitik 18 . Vorher wird er sich wie die ostsächsischen Großen um Herzog Bernhard von Sachsen und Dietrichs Schwiegervater, Landgraf Hermann, dem Staufer Philipp zugewandt und dessen Königtum unterstützt haben 19 . Also nicht bereits in Palästina, sondern erst im Zuge dieser Parteinahme - und mehr noch, weil auch weitere sächsisch-thüringische Große die Wiederausgabe Meißens verlangt haben werden - dürfte die unter Heinrich VI. ausgebliebene Belehnung mit der Markgrafschaft erfolgt sein. 20 16 Vgl. P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner (wie Anm. 7) S. 70f. 17 Vgl. CDS I-3, 28. Die später abgefasste Urkunde legt Dietrich wohl fälschlich bereits den Markgrafentitel bei; vgl. Bemerkungen zur Urkunde. 18 CDS I-3, 31; unter den Zeugen sind Burggraf Erkenbert von Döben, der spätere pleißnische Landrichter und nachmalige Altenburger Burggraf Albrecht von Frohburg sowie die Reichsministerialen Heinrich von Colditz und Bernhard von Trebsen. 19 An der Königswahl Philipps nahm - entgegen der Nachricht der Erfurter Peterschronik - Markgraf Dietrich ebenso wenig wie Landgraf Hermann teil, weil beide sich noch auf dem Kreuzzug befanden; dazu jetzt Franz-Reiner E RKENS , Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (MGH, Studien und Texte 30, Hannover 2002) S. 100, Anm. 4. Die frühe Anhängerschaft an König Philipp bestätigt sich aber zu 1199 in der ausdrücklichen Zustimmung zur Wahl (CDS I-3, 36) und dadurch, dass der Vetter Markgraf Dietrichs, Dietrich von Groitzsch, bereits zum Juni 1198 im Gefolge Philipps von Schwaben zu Worms auftaucht (CDS I-3, 29). Zu den Parteinahmen Markgraf Dietrichs von Meißen im Thronstreit vgl. immer auch P ÄTZOLD , Die frühen Wettiner (wie Anm. 7) S. 71-81. 20 Die zentrale Bedeutung der förmlichen Belehnung für den Neubeginn wettinischer Herrschaft in der Mark Meißen wird in der wettinerorientierten Chronistik zugunsten einer unabhängigen, aktiven Rückgewinnung/ Besetzung der Markgrafschaft durch Dietrich (den Bedrängten) verzeichnet. Zu den chronikalischen Überlieferungen hier unkritisch M ARQUIS , Meißnische Geschichtsschreibung (wie Anm. 8) S. 218f. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 181 Schließlich starb Graf Friedrich II. von Brehna, seit 1217 auch Herr zu Wettin, im Jahre 1221 als Templer in Akkon 21 . Mit ihm schließt die stolze Reihe der hochmittelalterlichen wettinischen Pilger und Kreuzfahrer im Heiligen Land, wo die christlichen Bastionen im 13. Jahrhundert immer stärker unter Druck gerieten und wo dem Ausklingen der großen Kreuzzüge und dem Fall Akkons im Jahre 1291 gar ein päpstliches Verbot, nach Jerusalem zu reisen, folgen sollte 22 . Die weithin erfolglosen späten Kreuzzüge in den Nahen Osten gingen zudem vom französischen Königtum aus und fanden unter den deutschen Fürsten und Rittern kaum noch Widerhall. Dort erlangte stattdessen der Deutsche Orden größere Popularität, der unter dem Zeichen des Kreuzes im Baltikum um Macht und Herrschaft rang. Auch Markgraf Heinrich der Erlauchte († 1288) 23 und sein Sohn Landgraf Albrecht der Entartete (1240-1315) 24 zogen zur Unterstützung des Ordens in den Jahren 1237 bzw. 1268 gegen die Pruzzen, wo sie ihren Ritterschlag erhielten. Am Ausgang des 13. Jahrhunderts verlor dann der Kreuzzugsgedanke selbst immer stärker an Attraktivität. Markgraf Friedrich der Ernsthafte (1310-1349) jedenfalls erwarb seine Ritterwürde nicht mehr als Kreuzritter, sondern auf englischer Seite im Hundertjährigen Krieg 25 . Erst im fortgeschrittenen 14. Jahrhundert bürgerten sich Reisen nach Jerusalem langsam wieder ein, nahmen im 15. Jahrhundert stetig zu und strebten schließlich zwischen 1450 und 1500 einem Höhepunkt zu 26 . In diese Hochphase der Pilgerfahrten ins Heilige Land fallen auch die wettinischen Reisen dahin bzw. ins spanische Santiago de Compostela oder wenigstens nach Rom. Insgesamt sind sechs solcher größeren Unternehmen zu konstatieren: 21 Vgl. Otto P OSSE , Die Wettiner. Genealogie des Gesamthauses, mit Berichtigungen und Ergänzungen der Stammtafeln bis 1993 von Manfred K OBUCH (Leipzig 1994) Tafel 3. 22 Vgl. N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 67. 23 Vgl. dazu Christian H ILLEN , Heinrich (der Erlauchte), in: Sächsische Biografie, hg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., wissenschaftliche Leitung: Martina S CHATTKOWSKY , Online-Ausgabe: http: / / www.tu-dresden. de/ isgv/ (14.10.2005); ausführlich dazu Wolf Rudolf L UTZ , Heinrich der Erlauchte (1218-1288), Markgraf von Meißen und der Ostmark (1221-1288) Landgraf von Thüringen und Pfalzgraf von Sachsen (1247-1263) (Erlanger Studien 17, Erlangen 1977) S. 155-185, bes. S. 166ff. 24 Vgl. Düringische Chronik des Johann R OTHE , hg. von Rochus F REIHERR VON L ILIENCRON (Thüringische Geschichtsquellen 3, Jena 1859) S. 433; Brigitte S TREICH , Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101, Köln/ Wien 1989) S. 176. 25 Vgl. R OTHE , Düringische Chronik (wie Anm. 24) S. 563; S TREICH , Reiseherrschaft und Residenzbildung (wie Anm. 24) S. 176. 26 Vgl. N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 67. 182 André Thieme • Zum Jahre 1461 machte sich zuerst Herzog Wilhelm III. der Tapfere (1425-1482) auf den Weg nach Jerusalem 27 ; - Reisezeit: 1461 März 26 bis Oktober 2; - Reisebeschreibung: wohl von Apel Steinhausen, Kammerschreiber Wilhelms III. 28 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: 81 29 ; • ihm folgte sein Neffe Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500), der 1476 ebenfalls via Venedig das Heilige Land erreichte 30 ; - Reisezeit: 1476 März 5 bis Dezember 5; - Reisebeschreibung: Hans von Mergenthal, Landrentmeister 31 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: 106 32 ; 27 Vgl. W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung); Johannes F ALKE , Herzog Wilhelms III. Reise in das heilige Land 1461, Archiv für Sächsische Geschichte 4 (1865) S. 282-320; Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm des Tapferen von Thüringen zum heiligen Lande im Jahre 1461, hg. von J. G. K OHL (Bremen 1868); Bärbel S CHMIDT , Die Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm des Tapferen von Thüringen nach dem anonymen Bericht des cgm 337, Magisterarbeit masch. (Würzburg 1987); H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 136ff. 28 Die zwei Parallelberichte zur Reise vgl. bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) Nr. 56, S. 140f. (anonym), und Nr. 57, S. 141f. (Graf Heinrich der Ältere von Stolberg). 29 Von denen allerdings drei Teilnehmer das Ziel nicht erreichten; vgl. die Reisegesellschaft jetzt bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 137f., lies dort Heinrich von Bünau zu Schkölen (statt Skölen), Heinrich von Bünau zu Droyssig (statt Dünsek). 30 Dazu jetzt vor allem Folker R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem. Albrecht der Beherzte im Heiligen Land, in: Herzog Albrecht der Beherzte. Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, hg. von André T HIEME (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2, Köln/ Weimar/ Wien 2002) S. 53-72. Weiter: W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung); Friedrich Albert VON L ANGENN , Herzog Albrecht der Beherzte, Stammvater des königlichen Hauses Sachsen (Leipzig 1838) S. 110ff.; Reinhold R ÖHRICHT / Heinrich M EISNER , Briefe, die Jerusalemfahrt des Herzogs Albrecht von Sachsen betreffend, Neues Archiv für sächsische Geschichte 4 (1883) S. 343-346; Georg B UCHWALD , Eine sächsische Pilgerfahrt nach Palästina vor vierhundert Jahren (Barmen 1890); R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 142ff.; H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 177ff. 31 Vgl. zu ihm noch immer Hellmut S CHRAMM , Johann v. Mergenthal, der erste sächsische Landrentmeister (1469/ 78) (Diss., Leipzig 1933). - Nach freundlichem Hinweis von Herrn Dr. Falk Eisermann (Staatsbibliothek zu Berlin) ist die Gothaer Mergenthal- Handschrift (FLB, Hs. chart. IV 415) nach Schrift- und Wasserzeichenbefund in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren (und daher nicht, wie in der Forschung gelegentlich angenommen, relativ zeitnah am Reisetermin entstanden). 32 Dazu kamen noch 37 weitere Teilnehmer, die sich der Gesellschaft Herzog Albrechts nach einem Streit mit ihrem Patron angeschlossen hatten; vgl. die Reisegesellschaft jetzt bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 178f., lies dort Ernst von Schönburg (statt Schönberg) zu Glauchau, Erdmannsdorf (statt Ertmannsdorf), Otto Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 183 • Albrechts älterer Bruder, Kurfürst Ernst (1441-1486), begab sich zum Jahre 1480 auf eine Pilgerfahrt nach Rom 33 ; - Reisezeit: 1480 um Februar 3 bis vor Mitte Juni; - Reisebeschreibung: (Jakob von Volterra) 34 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: mind. 60 adlige Herren mit 200 Pferden 35 ; • Ernsts Sohn, Kurfürst Friedrich der Weise (1463-1525), reiste in einer Gesellschaft mit Herzog Christoph von Bayern 1493 wieder nach Jerusalem 36 ; - Reisezeit: 1493 März 19 bis Ende September; - Reisebeschreibung: a) anonymer Reisebegleiter 37 ; b) Rechnungsbuch Hans Hundts 38 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: 189 39 Pflug zu Strehla (statt Strehlen). - R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 54 zählt beim Aufbruch 119 Begleiter. 33 Franz T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst von Sachsen im Jahre 1480, Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertumskunde 42 (1921) S. 1-63. 34 Lateinischer Bericht über Ankunft und Aufenthalt des Kurfürsten Ernst in Rom, abgedruckt in T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 61-63. Eine Reisebeschreibung durch einen der Teilnehmer fehlt, doch sind zahlreiche Briefe von der Reise überliefert, vgl. ebd., S. 39ff. 35 Genauere Angaben fehlen. Die Angabe folgt dem Bericht Jakobs von Volterra, vgl. T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 5 und 62. 36 Vgl. W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung); R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 187ff.; H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 244ff. 37 Diese Reisebeschreibung ist nur in Auszügen erhalten und gedruckt in Georg S PALATIN , Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte, hg. von Christian Gotthold N EUDECKER / Ludwig P RELLER (Georg Spalatin’s historischer Nachlaß und Briefe 1, Jena 1851) S. 76-91. - Die Parallelberichte von Herzog Christoph von Bayern, Botho III., Graf von Stolberg, Johann von Lobkowitz auf Hassenstein, Heinrich von Zedtlitz, Ludwig von Greiffenstein, Reinhard von Bemmelberg/ Konrad von Parsberg vgl. jetzt bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) Nr. 98-103, S. 247ff. 38 Diese außergewöhnliche Quelle ist vollständig abgedruckt bei Reinhold R ÖHRICHT / Heinrich M EISNER , Hans Hundts Rechnungsbuch (1493-1494), Neues Archiv für sächsische Geschichte 4 (1883) S. 37-100. 39 Beim Aufbruch gehörten der Reisegesellschaft zunächst 104 Personen an. In Venedig stießen dann noch mehrere Reisegesellschaften des mittel- und ostdeutschen Adels hinzu. Die Größe der Gesellschaft erklärt sich auch durch die bayerische und sächsische Doppelgefolgschaft der beiden reisenden Fürsten. - Vgl. die Reisegesellschaft jetzt bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 244f.: beim dort genannten „Abt von Chemnitz, einer von Schleinitz“ handelt es sich nicht etwa um zwei Personen, sondern um Heinrich von Schleinitz aus der älteren Linie zu Seerhausen (vgl. Geschichte des Schleinitzschen Geschlechts, von einem Mitgliede des Geschlechts [Gustav Freiherr VON S CHLEINITZ ] [Berlin 1897] S. 183-187: Heinrich erscheint demnach bereits seit 1483, in Alter von etwa 25 Jahren, nachweislich als Abt zu Chemnitz und blieb bis zu seinem Rückzug 1522 immerhin 39 Jahre in diesem 184 André Thieme • Gleich zweimal nahm schließlich Herzog Heinrich der Fromme (1473-1541) die Mühen einer großen Pilgerfahrt auf sich: 1498 reiste er nach Palästina 40 ; - Reisezeit: 1498 März 31 bis Oktober 9; - Reisebeschreibung: (Stefan Baumgartner) 41 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: 42 42 ; • und bereits 1502/ 1503 - nicht wie fälschlich tradiert 1506! - begab sich Herzog Heinrich der Fromme nach Santiago de Compostela 43 ; Amt. Er starb 1525). Entgegen den Angaben von H ALM befand sich Lucas Cranach nicht unter den Teilnehmern; vgl. jetzt dazu Armin K UNZ , Die Jerusalemfahrt Lucas Cranachs d. Ä. Quellenkritische Untersuchung der Überlieferungsgeschichte eines (kunst)historischen Topos, Archiv für Kulturgeschichte 78 (1996) S. 87-114. 40 Vgl. W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung), dort fälschlich zu 1506 datiert; Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen von Sachsen, hg. von Reinhold R ÖHRICHT (1498), Zeitschrift des deutschen Palaestina-Vereins 24 (1901-1902) S. 1-25; R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 208ff.; H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 288ff.; Stefan Baumgartner. Reise zum heiligen Grab 1498 mit Herzog Heinrich dem Frommen von Sachsen, mit einer Biographie von Lotte K URRAS , hg. von Thomas K RAUS (Göppingen 1986). 41 Zu dem einer Nürnberger Großkaufmannsfamilie entstammenden Baumgartner vgl. die Kurzbiografie bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 288. Die Beschreibung wurde ediert bei R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40). 42 So gezählt nach H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 288f.; lies dort statt „Dietrich von Schleywitz“ Dietrich von Schleinitz = Dietrich von Schleinitz zu Dahlen, Börln u. a.; vgl. zu ihm Uwe S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen. Institutionen und Funktionseliten (1485- 1513), in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen - Legitimation - Repräsentation, hg. von Jörg R OGGE / Uwe S CHIRMER (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 23, Stuttgart 2003) S. 305-378, hier S. 369. Bei dem als Reisebegleiter genannten „ein Grensing“ wird es sich wohl um Erasmus Grensing gehandelt haben; vgl. dazu jetzt Uwe S CHIRMER , Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656). Strukturen - Verfassung - Funktionseliten (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 28, Stuttgart 2006) S. 519-528. 43 Zu dieser kaum dokumentierten Reise vgl. W ELLER , Beschreibung (wie Anm. 2) Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... (ohne Paginierung); R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 212; H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 292ff. - Zur Datierung: Den sichersten Anhaltspunkt für die Datierung der Santiago-Reise Herzog Heinrichs des Frommen gibt ein Briefausgangsregister der albertinischen Kanzlei aus den Jahren 1502/ 03. Für den Hinweis darauf danke ich Herrn Dr. Christoph Volkmar herzlich. Mit Datum zum 11. Februar 1503 wird dem Amtmann zu Freyburg (Unstrut) mitgeteilt, dass mein g. her hertzog Heinrich uf dem widderwege von sant Jacoff sein. Der Amtmann solle 20 oder 24 gerüstete Pferde aufbringen und gemeinsam mit dem Amtmann zu Eckartsberga, Volkmar Koller, den Herzog Heinrich sicher durch Thüringen geleiten. Vgl. Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Kopial 108: Extract und Vorzeichnus, dorinnen kurtzlich begriffenen des Inhalts der Briffe so im nahmen Hertzogk Georgens zu Saxenn etc. inn s. f. G. Cantzley ausgangen, anno etc. 1502 bis 1503, fol. 180a. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 185 - Reisezeit: 1502 bis Februar 1503; - Reisebeschreibung: (Bernhard Freydiger) 44 ; - Gesamtzahl der Teilnehmer: kleineres Gefolge 45 . Zwischen 1460 und 1510 pilgerten wettinische Expeditionen in sechs größeren fürstlichen Pilgerfahrten also viermal nach Jerusalem und je einmal nach Rom und Santiago de Compostela. Was bedeutet diese Quantität im Vergleich? Überblickt man die Pilger- und vor allem die Jerusalemfahrten der anderen Fürstengeschlechter des Reiches im späten Mittelalter, so setzte die Tradition wettinischer Pilgerfahrten ins Heilige Land vergleichsweise spät ein; mit der erwähnten Fahrt Herzog Wilhelms des Tapfern im Jahre 1461. Zu dieser Zeit hatten Habsburger, bayerische und pfälzische Wittelsbacher, Hohenzollern, Hessen und die braunschweigschen Welfen längst schon solche Reisen, bisweilen mehrfach, hinter sich gebracht 46 . Dieser Datierung entspricht auch der Bericht des Peter Rindfleisch, der im Herbst 1502 ebenfalls nach Galicien gepilgert war und dort Herzog Heinrich den Frommen antraf: Den der Fürst Hertzog Heinrich von Sachsen war auch dar, reit auch nach S. Jacob mit 24 Pferden, der lies die frawen conterfeien da. Vgl. Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, hg. von Reinhold R ÖHRICHT und Heinrich M EISNER (Berlin 1880) S. 345-347 (Zitat S. 346). Doch folgen R ÖHRICHT und M EISNER (ebd.) S. 515 und 513 für Herzog Heinrichs Spanien-Reise der fälschlichen Datierung zu 1506 von Balthasar M ENCIUS (Menz), Itinera Sex A Diversis Saxoniae Ducibus Et Electoribus, diversis temporibus in Italiam omnia, tria etiam in Palaestinam et terram sanctam facta ... (Wittenberg 1612) Nr. IV, S. 95f. Diese Fehldatierung durchzieht die Literatur bis H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 292. 44 Eine eigentliche Reisebeschreibung durch einen Reiseteilnehmer aus dem Gefolge Herzog Heinrichs existiert nicht. Überliefert wird die Reise allein in der späteren Lebensbeschreibung des Herzogs durch seinen Sekretär Bernhard Freydiger; vgl. den Druck bei Adam Friedrich G LAFEY , Kern der Geschichte des hohen Chur- und Fürstlichen Hauses zu Sachsen, mit Urkunden und Zeugnissen bewährter Scribenten belegt (Frankfurt a. M./ Leipzig 1721) S. 160-187, 2. Aufl. (ebd. 1737) S. 131-158, 4. Aufl. (Nürnberg 1753) S. 107-127. Das Original befindet sich in: Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek, Abteilung für Handschriften, Msc. Nrr. J 117 a , J 117 aa , K 27, K 105, K 310, K 333; vgl.: Franz Schnorr VON C AROLSFELD (Bearb.), Katalog der Handschriften der Königl. Öffentlichen Bibliothek zu Dresden 2 (Abteilungen J-M) (Leipzig 1883) passim. - Parallelberichte existieren von Caspar von Mülinen und Peter Rindfleisch; vgl. H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) Nr. 118 und 119, S. 293ff. 45 Namentlich genannt werden lediglich ein Herr von Colditz und Hans Koch („und andere“; W ELLER , Beschreibung [wie Anm. 2] Anhang: Folgen ferner etliche alte Fürsten ... [ohne Paginierung]) sowie Emerich Löffel und Andreas Rittereisen (bei Bernhard F REYDIGER ). 46 Vgl. die Aufstellung bei N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 91f. Vor 1450 sind folgende Reisen zu verzeichnen: Habsburger: 1398, 1414, 1436; Bayerische Wittelsbacher: 1375, 1423; Pfälzische Wittelsbacher: 1426/ 27; Hohenzollern: 1435; Braunschweig: 1330, 1430; Hessen: 1429. 186 André Thieme Gerade mit Blick auf die fürstlichen Standesgenossen fällt dann freilich die erstaunliche Dichte der wettinischen Reiseabfolgen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Reformation haben immerhin vier der acht (bereits schon oder erst später) regierenden Wettiner in drei Generationen den Weg ins Heilige Land genommen - so viele Pilger konnte in der gleichen Zeit kein anderes deutsches Fürstengeschlecht mehr vorweisen 47 . Ein Grund für diese Entwicklung liegt auf der Hand. Über das 15. Jahrhundert hinweg hatten sich die Wettiner von einem zweitrangigen Fürstengeschlecht zur mächtigsten Familie im Reich nächst den Habsburgern aufgeschwungen 48 . Nicht zuletzt in den mehrfach realisierten Heiratsverbindungen zum Hause Habsburg symbolisiert sich dieser Aufstieg sinnfällig 49 . Als Hegemonen dominierten die Wettiner den gesamten mitteldeutschen Raum von der Elbe bis an die Werra, vom Erzgebirge bis zum Harz - ein dicht besiedeltes, wirtschaftlich potentes Gebiet mit hoher Städtedichte 50 . Nach außen gelangen wichtige herrschaftliche Zugewinne, im Inneren verfestigte sich die Macht der wettinischen Landesherrschaft durch Institutionalisierung und Funktionalisierung. In zähem Ringen hatte Herzog Friedrich der Streitbare zum Jahre 1423 zudem die sächsische Kurwürde erworben und war damit in den exklusivsten ständischen Zirkel des Reiches aufgestiegen. Die überaus reichhaltigen Silberfunde, die im westlichen Erzgebirge 47 Vgl. ebd. 48 Vgl. zur Entwicklung der wettinischen Herrschaftjetzt vor allem Karlheinz B LASCHKE , Geschichte Sachsens im Mittelalter (Berlin 1990); S TREICH , Reiseherrschaft und Residenzbildung (wie Anm. 24); S CHIRMER , Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 42); Herzog Albrecht der Beherzte. Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, hg. von André T HIEME (Quellen und Materialien zur Geschichte der Wettiner 2, Köln/ Weimar/ Wien 2002); Jörg R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 49, Stuttgart 2002); Dieter S TIEVERMANN , Die Wettiner als Hegemonen im mitteldeutschen Raum um 1500, in: R OGGE / S CHIRMER , Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (wie Anm. 42) S. 379-394; Brigitte S TREICH , Politik und Freundschaft. Die Wettiner, ihre Bündnisse und ihre Territorialpolitik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, hg. von Andreas T ACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg 1: Vorträge der 1. Moritzburg-Tagung [Halle/ Saale] vom 23. bis 25. Mai 2003, Göttingen 2005) S. 11-33. 49 Dazu P OSSE , Die Wettiner (wie Anm. 21) Tafeln 5 und 6. 50 Vgl. dazu jetzt Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, hg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Leipzig und Dresden 1998ff.) Karte (mit Beiheft) B II, 6: Das Städtewesen vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Karlheinz B LASCHKE ). Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 187 nach 1470 zum zweiten Berggeschrei führten, erlösten die wettinischen Kassen schließlich auch aus der bedrückenden Defizitspirale. Am Ende des Jahrhunderts verfügten die wettinischen Herzöge unter ihren Standesgenossen über die mit Abstand höchsten Bruttoeinnahmen, sie waren die reichsten Fürsten des Reiches - sieht man von den Habsburgern ab. Wer also, wenn nicht die Wettiner hätte damals eine solche Vielzahl frommer Fernreisen in großer Gesellschaft finanzieren können? II. Verhältnisse beim Reiseantritt Der Blick auf die Umstände, unter denen die wettinischen Pilgerreisen vorbereitet und begonnen wurden, gilt einem möglichen Muster und damit letztlich der Frage nach der Gewichtung von inneren und äußeren Motiven für die Pilgerreisen. Haben also zum Reiseantritt bestimmte wiederkehrende herrschaftliche, familiäre, dynastische oder auch generative Konstellationen bestanden? Inwieweit beeinflussten oder bestimmten gar die Verhältnisse in Land oder Familie die Reiseentscheidungen? Als Herzog Wilhelm III. von Sachsen zum Jahre 1461 im Alter von 36 Jahren die Fahrt ins Heilige Land antrat, hatte er die bewegtesten und stürmischsten Zeiten seiner Herrschaft bereits hinter sich 51 . Seit der Altenburger Teilung des Jahres 1445 52 gebot er selbstständig über den westlichen thüringischen und osterländischen Teil der wettinischen Lande und brachte das Land wenig später in einem fünfjährigen, letztlich ergebnislosen Krieg gegen seinen Bruder Friedrich den Sanftmütigen an den Rand des wirtschaftlichen und finanziellen Ruins 53 . Bis zum Anfang der sechziger Jahre aber hatte er seine Herrschaft im Inneren wieder leidlich konsolidieren können. Im Konflikt mit dem Adel des Landes erreichte Wilhelm unter Ausschaltung des Kopfes der ständischen Partei, seines vormaligen Günstlings Apels Vitzthum, einen Ausgleich mit den thüringischen Ständen; 1461 brachte Herzog Wilhelm auch die letzten der von Apel im Lande noch gehaltenen Besitzungen und Pfandschaften 51 Zu Herzog Wilhelm III. vgl. jetzt auch Jörg R OGGE , Die Wettiner. Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter (Ostfildern 2005) S. 163ff.; zur Entwicklung in Land und Herrschaft vgl. Geschichte Thüringens 2: Hohes und spätes Mittelalter, hg. von Hans P ATZE / Walter S CHLESINGER (Mitteldeutsche Forschungen 48/ II, Köln/ Wien 1974). 52 Vgl. zur Teilung Martin N AUMANN , Die wettinische Landesteilung von 1445, Neues Archiv für sächsische Geschichte 60 (1939) S. 171-213; R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation (wie Anm. 48) S. 157ff. 53 Dazu noch immer grundlegend Herbert K OCH , Der sächsische Bruderkrieg (1446- 1451) (Sonderabdruck aus den Jahrbüchern der Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Neue Folge 35, Erfurt 1910). 188 André Thieme wieder an sich. Zwei Jahre zuvor, 1459, war den Wettinern zudem der entscheidende Durchbruch im Verhältnis zum wichtigsten Nachbarn, dem böhmischen König Georg Podiebrad, gelungen. Mit dem Tag zu Eger kam es zu einem durch Doppelhochzeit besiegelten grundlegenden Ausgleich, der nach Jahrzehnten voller Feindschaft und kriegerischer Auseinandersetzungen Stabilität und Ruhe brachte 54 . Der Aufbruch zur Pilgerfahrt fällt damit - angesichts der vorherigen Ereignisse - in einen Zeitraum herrschaftlicher Entspannung, eine Phase, in der der Landesherr es sich auch erlauben konnte, die Macht in die Hände adliger Regenten zu legen und eine fast siebenmonatige Reise anzutreten. Dennoch regelte Wilhelm vor der Abreise die wichtigsten Angelegenheiten testamentarisch. Kritischer erwiesen sich die engeren familiären und dynastischen Verhältnisse Wilhelms. Aus der zunehmend belasteten Ehe mit der Kaisertochter Anna waren dem Herzog zwei Töchter, aber kein Sohn geboren worden. Anstelle der faktisch verstoßenen und festgesetzten Gemahlin hatte Wilhelm eine dauerhafte Beziehung mit der Adligen Katharina von Brandenstein begonnen, die zu Lebzeiten Annas keine Sanktionierung erfahren konnte. Herzog Wilhelm verließ das Land also, ohne einen männlichen Nachfolger aus der eigenen Linie zu hinterlassen. Unter ganz anderen Umständen trat sein Neffe Albrecht der Beherzte 1476 die Fahrt ins Heilige Land an. Der regierte den östlichen Landesteil seit 1464 nominell gemeinsam mit seinem älteren Bruder, dem Kurfürsten Ernst, stand aber faktisch unter dem Majorat Ernsts und besaß keinen Spielraum zu eigenständiger herrschaftlich-politischer Gestaltung 55 . Albrecht hatte sich stattdessen als militärischer Befehlshaber hervorgetan und besonders an der Spitze eines 4000 Mann starken wettinischen Aufgebots im Reichskrieg gegen Herzog Karl den Kühnen von Burgund 1474/ 75 einige Aufmerksamkeit erregt 56 . Die ein Jahr später zwischen 54 Vgl. dazu Walter S CHLESINGER , Entstehung und Bedeutung der sächsisch-böhmischen Grenze, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 59 (1938) S. 6-38; Jörg R OGGE , Herzog Albrecht von Sachsen und Böhmen - der Tag von Eger (1459) und der Zug nach Prag (1471), in: T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 48) S. 27-51. 55 Vgl. zu Albrecht dem Beherzten: L ANGENN , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 30); Herzog Albrecht der Beherzte, hg. von T HIEME (wie Anm. 48); zusammenfassend auch André T HIEME , Albrecht (der Beherzte), in: Sächsische Biografie, hg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina S CHATTKOWSKY , Online-Ausgabe: http: / / www.isgv.de/ saebi/ (13.9.2006). 56 Dazu André T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte im Dienste des Reiches. Zu fürstlichen Karrieremustern im 15. Jahrhundert, in: T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 48) S. 73-102. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 189 März und Dezember 1476 unternommene Jerusalemfahrt Albrechts erscheint wie eine Fortsetzung der militärischen Karriere in anderer Form. Obwohl zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht zu jener Zeit noch keine unüberwindbaren Differenzen bestanden, dürfen die militärischen Engagements des Jüngeren ebenso wie dessen Pilgerfahrt und die spätere Teilnahme an den Olmützer Verhandlungen als eine Form des herrschaftlichen Ausweichens verstanden werden. Dabei verband sich die Pilgerreise Albrechts durchaus mit unmittelbaren politischen Zielen des Hauses Wettin, für die der Herzog einen Umweg über Rom auf sich nahm. Dort sollte er sich beim Papst persönlich darum bemühen, dass seine Neffe Ernst als Magdeburger Erzbischof Bestätigung erhielt, was letztlich auch gelang 57 . Völlig ungeklärt blieb bei Herzog Albrechts Reisebeginn die dynastische Situation. Der damals 33-jährige Albrecht hatte in Georg, Heinrich und Friedrich bereits drei männliche Nachkommen, sein Bruder Ernst in den Söhnen Friedrich, Ernst, Albrecht, Johann und Wolfgang sogar fünf. Angesichts dieser zahlreichen Nachkommenschaft kristallisierte sich die Frage nach der Herrschaftsnachfolge der ‚zweiten Generation‘ schon seit der Mitte der 70er-Jahre als zentrales Konfliktfeld für die Zukunft heraus. Strategisch gesehen lief bereits damals alles auf die Erringung eines weiteren Reichsfürstentums für Albrecht und seine Nachkommen oder die Teilung des bestehenden Länderkomplexes hinaus, wie sie dann in der 1485 vollzogenen Leipziger Teilung mit dauerhaften Konsequenzen realisiert werden sollte. Als vier Jahre später der regierende Kurfürst Ernst nach Rom zog, hatte sich das Dilemma der dynastischen Situation in der wettinischen Familie nicht entspannt 58 . Zwar konnte für Ernsts gleichnamigen Sohn 1476 der Weg in eine prominente geistliche Laufbahn als Erzbischof von Magdeburg geebnet werden, und 1478 war der kaum fünfjährige Wolfgang verstorben, doch blieb das ungeklärte Nachfolgeproblem virulent - zumal sich die Beziehung zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht zunehmend verschlechterte. 1482 sollten die Differenzen zur Aufhebung der gemeinsamen Hofhaltung führen 59 . 57 Erzbischof Ernst von Wettin findet jüngst eine Würdigung im Sammelband Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, hg. von Andreas T ACKE (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg 1: Vorträge der 1. Moritzburg-Tagung [Halle/ Saale] vom 23. bis 25. Mai 2003, Göttingen 2005). 58 Zu Kurfürst Ernst vgl. überschauend Enno B ÜNZ , Die Kurfürsten von Sachsen bis zur Leipziger Teilung 1423-1485, in: Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige 1089-1918, hg. von Frank Lothar K ROLL (München 2004) S. 39- 54, Bibliographie S. 324f. 59 Dazu T HIEME , Albrecht (der Beherzte) (wie Anm. 55). 190 André Thieme Angesichts der im Gegensatz dazu stabilen machtpolitischen und finanziellen Verhältnisse standen bei der Pilgerreise Kurfürst Ernsts die familiären und dynastischen Ambitionen - in der Konsequenz natürlich immer auch herrschaftliche Ambitionen - stärker noch als bei Albrechts Reise im Vordergrund. Ernst war es erneut vor allem darum zu tun, beim Papst die geistlichen Karrieren seiner beiden Söhne Ernst und Albrecht tatkräftig zu befördern - mit durchschlagendem Erfolg: Seinem Sohn Ernst wurde zum Magdeburger Amt nun auch das Bistum Halberstadt übertragen, und für seinen dritten, noch minderjährigen Sohn Albrecht erreichte Ernst die Anwartschaft auf das Erzbistum Mainz, das vielleicht wichtigste deutsche Erzamt 60 . Zweifellos ist die Romreise des damals 39-jährigen Ernsts die ‚politischste‘ aller wettinischen Pilgerreisen gewesen, und anscheinend war sie auch die am wenigsten spirituellste 61 . Die Pilgerreise des 30-jährigen Kurfürsten Friedrichs des Weisen folgte 1493 ganz den Vorbildern Wilhelms und Albrechts. Friedrich hatte nach dem überraschenden Tod seines Vaters bereits seit knapp sieben Jahre die volle Regierungsgewalt über den nunmehrigen ernestinischen Landesteil inne, wusste aber Land und Herrschaft beim Antritt der großen Pilgerreise in sicherem Fahrwasser 62 . Zwar hinterließ der Kurfürst in der Heimat weder eine Gemahlin noch Nachkommen, doch übte er die Herrschaft gemeinsam mit seinem jüngeren, damals ebenfalls noch unverheirateten Bruder Johann; die Kontinuität der ernestinischen Herrschaft war also ob der gefährlichen Reise nicht unmittelbar bedroht. Herrschaftlich zählte der noch junge Wettiner bereits in den 90er-Jahren des 15. Jahrhunderts zu den Schwergewichten im Reich. Seit seinem Herrschaftsantritt zeigte er sich Kaiser Maximilian I. eng verbunden und tat sich im Reichsdienst hervor. In den Jahren nach der Fahrt ins Heilige Land sollte Friedrich der Weise sogar zum ersten Berater Maximilians und nächst dem Kaiser zum mächtigsten Manne am Habsburger Hof avancieren. Der Kurfürst reiste deshalb seinem Rang entsprechend mit überaus großem Gefolge und vielköpfiger Dienerschaft: darunter vier einfachen Knechten, fünf Köchen, einem Barbier, einem Schneider, zwei 60 Allerdings verstarb Albrecht 1484 jung, mit 17 Jahren, noch bevor er zum Mainzer Erzbischof geweiht werden konnte; vgl. T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 32; P OSSE , Die Wettiner (wie Anm. 21) Tafel 7. 61 Vgl. dazu unten ausführlicher. 62 Zu Friedrich dem Weisen noch immer grundlegend Ingetraut L UDOLPHY , Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 1463-1525 (Göttingen 1984); jetzt auch zusammenfassend Uwe S CHIRMER , Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde 1485-1547, in: K ROLL , Die Herrscher Sachsens (wie Anm. 58) S. 55-75, Bibliographie S. 326f. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 191 Trompetern, zwei Boten, zwei Malern. Selbst seinen Hofnarren Hensel nahm Kurfürst Friedrich der Weise auf die weite Reise nach Jerusalem mit 63 . Einen tragischen Höhepunkt erfuhr das Unternehmen auf der Rückfahrt, als der Friedrich begleitende Herzog Christoph von Bayern auf Candia an einem Fieber verstarb, das ihn nach hitzigem Genuss von reichlich Wein und einem heißen Bade auszehrte 64 . Die Jerusalemfahrt Herzog Heinrichs des Frommen 65 , die er 25-jährig, ledig und kinderlos antrat, vollzog sich in einem Jahr voller kritischer herrschaftlicher Entscheidungen. Eben zum Jahre 1498 glückte es Heinrichs Vater, Albrecht dem Beherzten, die lange schon begehrte Herrschaft in Friesland zu erwerben 66 . Heinrich selbst war an den Regierungsgeschäften freilich noch nicht beteiligt; in Belgien und Friesland agierte sein Vater, und in Sachsen lag die Verantwortung in den Händen seines älteren Bruders Georg. Dennoch wurde das Geschehen an der Nordseeküste auch für Heinrich folgenreich, denn wohl schon vor 1498 hatte Albrecht dieses zweite Reichsfürstentum zur standesgemäßen Versorgung seines nachgeborenen Sohnes vorgesehen - eine Regelung, die 1499 in der Väterlichen Ordnung schriftlich festgehalten wurde 67 . Hatte also Herzog Albrecht seinen jüngeren und noch weithin unerfahrenen Sohn Heinrich ganz bewusst auf die weite Pilgerreise nach Jerusalem geschickt, um ihn für die kommenden schwierigen herrschaftlichen Aufgaben in Friesland vorzubereiten, um ihn reifen zu lassen und zu stählen? Wenn dem so gewesen wäre, hätte die Reise, die ansonsten trotz einiger Widrigkeiten in den üblichen Bahnen verlief, 63 H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 245. 64 R ÖHRICHT / M EISNER , Hans Hundts Rechnungsbuch (wie Anm. 38) S. 39. 65 Zu Heinrich dem Frommen vgl. zusammenfassend Enno B ÜNZ / Christoph V OLKMAR , Die albertinischen Herzöge bis zur Übernahme der Kurwürde (1485-1547), in: K ROLL , Die Herrscher Sachsens (wie Anm. 58) S. 76-89, kommentierte Bibliographie S. 328; und jetzt Herzog Heinrich der Fromme (1473-1541), Protokollband der Tagung zum 500. Jubiläum des Regierungsantritts in den Ämtern Freiberg und Wolkenstein, hg. von Yves H OFFMANN / Uwe R ICHTER (Beucha 2007). 66 Vgl. dazu jetzt grundlegend Paul B AKS , Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat Frieslands. Beweggründe und Verlauf seines friesischen „Abenteuers“, in: T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 48) S. 102-142; ergänzend auch noch Oscar S PERLING , Herzog Albrecht der Beherzte von Sachsen als Gubernator Frieslands (Diss., Leipzig 1892). 67 Dazu jetzt Hans-Wolfgang B ERGERHAUSEN , Eine „der merckwürdigsten Urkunden in denen sächsischen Geschichten“. Die Dispositio Albertina von 1499, Zeitschrift für historische Forschung 27/ 2 (2000) S. 161-177; mit Edition Eckhart L EISERING , Die Väterliche Ordnung des Herzogs Albrecht vom 18. Februar 1499. Inhaltliche und formale Aspekte, in: T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 48) S. 177- 195; R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation (wie Anm. 48) S. 252ff. 192 André Thieme ihr Ziel nicht erreicht. Heinrich der Fromme kam nach dem unvermittelten Tode des Vaters im Jahre 1500 mit den Herausforderungen im feindlichen Friesland nicht zurecht und trat die Herrschaft 1505 endgültig an seinen Bruder Georg ab 68 . Zum Ersatz erhielt er die Ämter Wolkenstein und Freiberg zuzüglich von jährlich zwölf Fudern Wein und 12.500 fl. Bereits im April 1501 69 hatten sich die Brüder u. a. darauf geeinigt, dass für die kommenden zwei Jahre Herzog Georg auch die friesischen Geschäfte übernehmen sollte. Unter dessen Regie sollte Friesland entweder zugunsten Heinrichs veräußert 70 oder wenigstens herrschaftlich nutzbar gemacht werden. Mit 22 Gefolgsleuten war derweil Herzog Heinrich am Dresdner Hof zu unterhalten, dem überdies alle vier Monate 500 Gulden für seinen Unterhalt zustanden. Seit 1501 begnügte sich Herzog Heinrich also faktisch, seit 1505 auch verbindlich festgehalten, mit der Rolle eines zweitrangigen, herrschaftlich und auch hinsichtlich der Rechte seiner Nachkommen „abgeschichteten“ Bruders. In dieser Situation, abgefunden mit einer kaum noch fürstlichen Herrschaft 71 und letztlich auch befreit von herrschaftlichen Lasten, zudem immer noch ehe- und kinderlos 72 , begab sich der nun 29-jährige Heinrich mit kleinem Gefolge auf seine zweite Pilgerfahrt - diesmal nach Santiago de Compostela 73 ; angeblich weil er am St.-Jakobs-Tag 68 Vgl. dazu Ludwig S CHWABE , Herzog Georg, ewiger Gubernator von Friesland, Neues Archiv für Sächsische Geschichte 12 (1891) S. 1-26, und jetzt zusammenfassend B AKS , Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat (wie Anm. 66) S. 140f.; R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation (wie Anm. 48) S. 260ff.; jetzt auch André T HIEME , Der Brüderliche Vertrag zwischen den Herzögen Georg (dem Bärtigen) und Heinrich (dem Frommen) zum Jahre 1505. Einführung und Edition, in: H OFFMANN / R ICHTER , Herzog Heinrich der Fromme (wie Anm. 65) S. 9-19. 69 Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, O. U. 9407, vom 27.4.1501; kopiale Abschrift ebd., Loc. 8185/ 8, fol. 9b-12a; vgl. zum Inhalt auch R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation (wie Anm. 48) S. 260f. 70 In den Jahren 1501 und 1502 verhandelte Herzog Georg (der Bärtige) mit Philipp von Burgund über einen Verkauf Frieslands; vgl. R OGGE , Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation (wie Anm. 48) S. 261. 71 Vgl. zu den Strukturen und zum herrschaftlichen Gewicht der Herzog Heinrich dem Frommen übereigneten Ämter jetzt André T HIEME , Die Ämter Freiberg und Wolkenstein. Historische Entwicklung und Strukturen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: H OFFMANN / R ICHTER , Herzog Heinrich der Fromme (wie Anm. 65) S. 43-74. 72 Erst verhältnismäßig spät, im 39. Lebensjahr, vermählte sich Herzog Heinrich 1512 mit Katharina von Mecklenburg; vgl. P OSSE , Die Wettiner (wie Anm. 21) Tafeln 28. 73 Zum Jakobsweg und dem Jakobuskult vgl. jetzt zusammenfassend Klaus H ERBERS , Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt (München 2006). Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 193 des Jahres 1500, während der Belagerung der Festung Franeker durch die Friesen, das Gelübde abgelegt hatte, im Falle einer Befreiung zum Grab des Heiligen zu pilgern 74 . Über diese Reise nach Galizien ist nun allerdings kaum etwas zu erfahren. Der spätere Sekretär und Biograf Herzog Heinrichs, Bernhard Freydiger, berichtet, dass auch die mitgereisten Emerich Löffel und Andreas Rittereisen nichts weiter davon zu erzählen wüssten, „denn Schlemmen war auf solcher Reise, wie ich von ihnen verstanden, die beste Andacht und Ablass gewesen“ 75 . Überblickt man zusammenschauend die herrschaftlichen und familiären Umstände, unter denen sich die wettinischen Fürsten auf Pilgerfahrt begaben, so erhellt sich kein klares Muster. Es reisten Erstgeborene wie die Kurfürsten Ernst und Friedrich ebenso wie Nachgeborene, namentlich Wilhelm, Albrecht und Heinrich. Es pilgerten mit Wilhelm, Ernst und Friedrich regierende, mit Albrecht und Heinrich herrschaftlich nachgeordnete Fürsten. Die Herzöge Wilhelm und Albrecht sowie Kurfürst Ernst waren zum Zeitpunkt der Reise bereits verehelicht; Ernst und Albrecht wussten zudem zwar minderjährige, aber nachfolgeberechtigte Söhne in der Heimat. Friedrich der Weise und Heinrich der Fromme begaben sich stattdessen auf die gefahrvolle Reise, ohne überhaupt verheiratet zu sein. Immerhin hinterließen alle regierenden Wettiner eine gefestigte und stabile Herrschaft, alle brachen in einer hinsichtlich des Überlebens der Dynastie in ihren männlichen Gliedern ungefährdeten generativen Situation auf, und alle Wettiner begaben sich zudem im Alter bester Manneskraft und Abenteuerlust von etwa 25 bis 40 Jahren auf die weite Fahrt. Dennoch verweist die hinsichtlich der äußeren Umstände so heterogene Ausgangslage auf die Bedeutung der inneren Reisemotive, also von Frömmigkeit und Abenteuerlust, ebenso wie auf die der repräsentativen, der demonstrativen Aspekte einer solchen Fürstenreise und schließlich auch auf die motivierende Kraft einer sich schnell herausbildenden familiären Reisetradition. III. Aspekte der Reisen Die in mehr oder weniger ausführlichen Reisebeschreibungen überlieferten Pilgerfahrten der Wettiner bieten ein kulturgeschichtlich und 74 Vgl. Uwe S CHIRMER , Herzog Heinrich von Sachsen (1473-1541). Ein Fürstenleben zwischen spätmittelalterlicher Frömmigkeit und lutherischer Reformation, in: H OFF - MANN / R ICHTER , Herzog Heinrich der Fromme (wie Anm. 65). 75 R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 212. 194 André Thieme anthropologisch höchst vielschichtiges, farbiges und aussagekräftiges Material. An dieser Stelle können die Reisen deshalb nicht annähernd in der dem Stoff innewohnenden Komplexität ausgewertet werden. Zwei Aspekte nur sind es, die etwas stärker in den Blick zu nehmen sind: Zum einen soll der eigentliche, eher ‚touristisch geordnete‘ Charakter der Pilgerfahrten dem in den Reisebeschreibungen gepflegten Topos der beschwerlichen und gefährlichen Reise gegenübergestellt werden. Zum anderen wird auf die personelle Überschneidung zwischen der Reisegesellschaft und den aktiven oder künftigen Funktionseliten des Landes hinzuweisen und gleichsam die soziologische Relevanz der Pilgerreisen für die Elitenbildung herauszustellen sein. 1. Der Topos der beschwerlichen und gefährlichen Reise: Die Beschwerlichkeiten und Gefahren der Reise, der Seereise zumal, erscheinen als Topos in den Berichten aller wettinischen Pilgerreisen, als fast übermenschliche Duldung, die dann mit dem Erreichen des Zieles und größtmöglicher Heilserwartung gelohnt wurde. Eindringlich schilderte diese etwa Hans von Mergenthal, der Herzog Albrecht den Beherzten 1476 begleitete: Er berichtet von Enge, Gestank, immerwährendem Lärm, auch davon, dass einem nachts die Ratten über die Mäuler liefen und schließlich dies: Will den nun einer an ein opus naturae gehen, so sitzen undt stehen die leute um ihn, das es der schande halber offt mit macht verhalten muß 76 . Die Reisenden fühlten sich zudem ihrem Schiffsherrn, dem Patron, weithin ausgeliefert. Nur unter den drohenden Waffen der gerüsteten sächsischen Pilger verstand sich der Patron Herzog Heinrichs des Frommen dazu, die Rückfahrt nach Italien auf kürzestem Weg und ohne unnötige Zwischenaufenthalte zurückzulegen 77 . Herzog Albrecht der Beherzte sah sich sogar noch nach der glücklichen Rückkehr mit durch den Dogen übermittelten finanziellen Forderungen seines Schiffspatrons Andrea Contarini konfrontiert, der angesichts erzwungener Reisemodalitäten wegen kaufmännischer Verluste Entschädigung einforderte 78 . Die ungewohnten Risiken der Schiffspassagen erschienen den Pilgern bemerkenswert und unheimlich zugleich. Die galley Herzog Wilhelms kollidierte mit einem kleineren fremden Schiff, trug aber keine größe- 76 Eindringlich schildernd und ausführlich zitierend vgl. hierzu R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 61ff. 77 Vgl. R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 23. 78 Vgl. R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 65f. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 195 ren Schäden davon. 79 Auf dem Schiff Herzog Heinrichs des Frommen brach ein Feuer aus inn einem kasten, da stundt viel Pulffer, aber wier leschetens mit Gottes hulff baldt, daz kain schadt geschach 80 . Auch die Natur selbst machte den Reisenden zu schaffen: Widrige Winde zwangen die Schiffe zum Kreuzen und führten zu mehrtägigen Verzögerungen. Schließlich blieben die Pilger auch von Stürmen nicht verschont. Auf dem Weg nach Korfu ertrug ein Teil der Pilgerbrüder Herzog Wilhelms die stürmische See nicht mehr und wurde schwach davon 81 . Herzog Heinrichs Rückfahrt führte durch einen Herbststurm, daz die Wellen also gross waren, das daz Wasser an daz Schiff schlug so starkh, daz es vber daz Schiff sprutzet, biz an die andern Seitten wieder in daz Meer vndt vnser viel nass macht 82 . Die Berichte von den mehrwöchigen Überfahrten ins Heilige Land ähneln sich in ihren Beschreibungen der Fährnisse. Doch sollte man sich vor voreiliger Dekonstruktion der realen Bedrängnisse durch die schwere See und die Enge an Bord hüten. Was als bloßer Topos erscheint, spiegelt auch die jedes Mal neue Begegnung der nicht seegewohnten Pilger mit dem Meer, sodass sich Erfahrungen zwangsläufig gleichen mussten. Immerhin sahen sich beispielsweise die thüringischen Herren Wilhelm Schatt und Richard von Nebra 1461 nach einer stürmischen Nacht nicht mehr in Lage, mit ihrem Herrn, Herzog Wilhelm, weiter zu reisen. Von den Leiden der Seekrankheit bezwungen, verließen sie schon in Istrien die gemietete venezianische Galeere, um den Rückweg in Erwartung eines schmählichen Empfangs in der Heimat anzutreten 83 . Schlimmer noch traf es diejenigen, die angesichts der Umstände auf See ernstlich erkrankten. Binnen zweier Wochen starben allein auf Herzog Albrechts Galeere elf Pilger 84 . Alle Teilnehmer schreckte die Vorstellung, auf See bestattet zu werden: eine englische Gräfin aus der Reisegesellschaft Friedrichs des Weisen bot auf dem Sterbebett 50 Dukaten, um nicht ins Meer geworfen zu werden 85 . Angesichts solcher Leiden und Gefahren 79 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 85f. 80 R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 5. 81 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 87. 82 R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 23. 83 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 83: Daselbsten [in Istrien, A.T.] kehrten Wilhelm Schatt und Reinhardt von Nebra wieder heim, weil das Wasser sie nicht leiden mochte, was sie aus Schwachheit ihres Leibes thun mußten, wiewohl mit großem Jammer und Betrübnis darüber, daß sie der Reise wendig wurden. 84 Vgl. R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 63. 85 Vgl. ebd., S. 63. 196 André Thieme erschienen die letztlich im Heiligen Land erworbenen Heilsgaben als Ausgleich und verdienter Lohn. Im literarischen Sinne stehen sie als Kontrast zu den durchlebten Drangsalen und Mühseligkeiten, und vermutlich wurden sie auch so empfunden. Doch gaben die realistischen Bedrohungen durch Krankheit und Siechtum allein keine ausreichende Folie ab, vor der auch ritterliche Bewährung und kriegerischer Wagemut gezeichnet werden konnten - Gefahren wie sie einem Fürsten und Ritter eher entsprachen. Dem Topos der Pilgerliteratur von einer gefährlichen Begegnung mit Piraten und Raubschiffen frönt deshalb nicht nur die Reisebeschreibung Herzog Wilhelms ausführlicher: Zwei große Schiffe sollen gegen die herzogliche Galee angegangen sein, doch nachdem Herzog Wilhelm (! ) - nicht etwa der seeerprobte Patron - die Gefahr erkannt gehabt, die Verteidigung mit seinen Hauptleuten organisiert und Büchsen anlegen lassen hätte, wären die Angreifer abgedreht - so berichtet es uns wenigstens die Reiseerzählung 86 . Noch Stefan Baumgartner, von dem wir über die Palästinareise Herzog Heinrichs des Frommen zum Jahre 1498 näher unterrichtet sind, weiß von zwei Begegnungen mit Raubschiffen zu berichten, die zunächst aufgrund der Windverhältnisse nicht angreifen konnten 87 , beim zweiten Treffen aber nur drey grose stukh abschossen und dann entwichen, als sie der zum Kampf gerüsteten Pilger ansichtig wurden 88 . Herzog Wilhelms Pilgerfahrt blieb - wie die aller Wettiner - alles in allem von größeren Gefährdungen verschont, was die Reisegesellschaft nicht unwillkommen hingenommen haben wird. So diente dem Chronisten ein Unfall an Bord der Galee dazu, um durch die herausgestellte unmittelbare Lebensbedrohung den Wagemut des Fürsten und dessen Fortune klarer aufscheinen zu lassen: Auf der Rückfahrt brach plötzlich ein Segelbaum des Hauptmastes, unter dem der Herzog nächtigte, und begrub den Wettiner unter sich, der sich allerdings ohne einen Kratzer davonzutragen aus den Trümmern erhob. Der Chronist bemerkte dazu: ein Wunder wars, daß der Segel mit dem Baum ihn nicht erschlug 89 . Von einem weiteren sehr realen Risiko, zugleich der ärgerlichsten Episode der Reise Wilhelms, die zu wirklich bleibenden Schäden wenigstens an der herzoglichen Kasse führte, findet sich freilich in der 86 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 98-99. 87 Vgl. R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 7. 88 Ebd., S. 8. 89 K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 130. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 197 Reisebeschreibung wie auch in der Rechnung Apel Steinhausens kein Wort. Erst Hartung Kammermeisters Chronik berichtet davon, dass Herzog Wilhelm einem klassischen Wechselbetrüger zum Opfer gefallen sein soll. Der vom Nürnberger Antonius Baumgarten verschriebene Wechsel über beachtliche 9000 Gulden konnte in Venedig nicht eingelöst werden. Baumgarten scheint mit dem Geld geflüchtet zu sein, denn zum Jahre 1466 erklärte Wilhelm der Reichsstadt selbst die Fehde, weil sie den Betrüger hätte flüchtig werden lassen. Erst ein von der Stadt Erfurt vermittelter Kompromiss beendete die Auseinandersetzung 90 . In der Konfrontation mit den muslimischen Herren des Heiligen Landes wird ein weiterer Gefahren-Topos der Reisebeschreibungen offenbar. Die fürstlichen Pilger und ihre Gefolgschaften, in der Heimat mächtige und stolze Herren, sahen sich zu Demut und Gehorsam gezwungen, zudem der herrschaftlichen und militärischen Gewalt der „Heiden“ ausgeliefert und häufig im Konflikt auch mit den einfachen Bewohnern des Landes 91 . Bereits mit der Ankunft in Jaffa wurden die Pilger der neuen Anhängigkeiten gewahr: Die Pilger wurden wie Vieh gezählt, die Reisegesellschaft Herzog Wilhelms sogar vier Mal 92 . Die Gesellschaft Heinrichs des Frommen fand sich in einem Hospital ohne Tür wieder, aus dem nur ein Loch heraus führte. Einzeln sollten die Pilger hindurch kriechen, damit sie von den „Heiden“ besser gezählt werden konnten 93 . Abhängig vom Willen der Herren des Landes mussten die Pilger mal länger mal kürzer ausharren, bis ihnen der Aufbruch unter dem muslimischen Geleit gestattet wurde. Herzog Heinrich lag noch 14 Tage mit dem Schiff vor Jaffa, bis endlich das Geleit eintraf 94 ; Herzog Wilhelm harrte mehr als drei Stunden in einem Gewölbe aus, bevor das Zeichen zum Aufbruch kam 95 . Hans von Mergenthal berichtet 90 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 140. Nur scheinbar steht diese Aufzeichnung Kammermeisters gegen die Angaben in der Rechnung Steinhausens, der von der Angelegenheit nichts vermeldet und stattdessen als Geschäftspartner die Hauptfirma „Conradt Baumgarten“ bzw. als deren Residenten in Venedig Anthoni Ridler angibt. Ridler zahlte an die Reisegesellschaft insgesamt auch fast 12000 Dukaten aus. Die zeitgleiche Nachricht des erst 1467 verstorbenen Erfurters Hartung Kammermeister über das Erfurter Engagement bei dem Fehdeausgleich erscheint dennoch glaubhaft. 91 Vgl. dazu generell Folker R EICHERT , Pilger und Muslime im Heiligen Land. Formen des Kulturkonflikts im späten Mittelalter, in: Kritik und Geschichte der Intoleranz, hg. von Rolf K LOEPFER / Burckhard D ÜCKER , (Heidelberg 2000) S. 3-21. 92 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 100. 93 Vgl. R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 9. 94 Vgl. ebd. 95 Vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 100. 198 André Thieme pikiert vom eselsstall, in dem die Gesellschaft Albrechts des Beherzten sich aufzuhalten gezwungen war 96 . Die Kollision der hochmögenden europäischen Fürsten mit den herrschaftlichen Verhältnissen Palästinas führte also anscheinend bereits bei der Ankunft im Heiligen Land zu einem immer wieder als Topos aufscheinenden tiefen Kulturschock. Jaffa blieb den Berichterstattern wie das viel beschworene „erste Gefecht“ in bleibender Erinnerung. Im Gegensatz zu dieser Demütigung steht die ritterliche Behauptung der kampferprobten europäischen Reisenden gegen die Willkür der „Ungläubigen“ und zwar sinniger Weise zumeist bei der Abreise aus dem Heiligen Land - ein weiterer Topos: Wieder zurück in Jaffa sah sich die Gesellschaft Herzog Albrechts des Beherzten mit neuen Geldforderungen der Muslime konfrontiert, die von der Anwesenheit hoher Herren unter den Pilgern erfahren und deren Schiffspatron festgehalten hatten. Mit Gewalt befreiten die Pilger den Patron, töteten zwei Araber und hefteten dann bei der Ausfahrt in aufreizender Weise das Panier Herzog Albrechts an den Mast 97 - eine Provokation und Demonstration fürstlicher Macht ebenso wie christlicher Selbstbehauptung, die dann Kurfürst Friedrich der Weise in gleicher Weise wiederholen sollte 98 . Aus Jerusalem kommend, hatte sich schon zuvor der bayerische Herzog Christoph kurz vor der Abreise die Gelegenheit eines Überfalls auf Kurfürst Friedrich nicht entgehen lassen und „wie das Wetter“ unter den Heiden gewütet 99 . Gemeinsam mit 60 weiteren Pilgern wurde Herzog Heinrich der Fromme auf dem Rückweg aus Jerusalem bei Jaffa gefangen gesetzt und um Schutzgeld erpresst. Als den sich bereits einschiffenden Pilgern dann noch einmal zwei Knechte entführt wurden, rüsteten sich die wütenden Europäer mit Gewehren und wollten mit der Barke zurück an Land, um die Gefangenen zu befreien: vnndt waren vnnserschen bey 60 Männer in der Parckhen, vnndt woltten vnnss mit zwey hundert haiden geschlagen habenn! Doch der stolze Kampfesmut wurde durch den Schiffspatron schnell gezügelt, der die Pilger zurückhielt, weil er die Reise noch häufiger wiederholen wollte. Glaubt man Baumgartners Bericht, so brachten freilich allein die Rüstung und der angedrohte Angriff die Muslime dazu, die festgehaltenen Knechte frei zu geben 100 . 96 Vgl. R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 63. 97 Vgl. ebd., S. 64. 98 Vgl. ebd., S. 64f. 99 Vgl. N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 85. 100 Vgl. R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 21f., Zitat S. 21. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 199 Unter dem Topos der beschwerlichen und gefährlichen Reise verbergen sich also über alle wettinischen Reisebeschreibungen hinweg wiederkehrende Subtopoi: die gefährliche Seereise; die Begegnung mit Piraten; der demütigende ‚Kulturschock‘ bei der Ankunft in Jaffa; die ritterlichchristliche Selbstbehauptung gegen die ‚Heiden‘ bei der Abreise. Auch wenn die Gefahren oft real, die Beschwernisse erlitten und die Ängste durchgestanden waren, folgen die Reisebeschreibungen auch der wettinischen Pilgerfahrten dem Muster, der Fülle der im Heiligen Land erworbenen Heilsgaben ein Gleichgewicht an Fährnissen und Bedrängnissen gegenüber zu stellen. Gerade in der Tradition der wettinischen Palästinareisen scheint es gelegentlich, als würden Topoi wie die Begegnung mit Raubschiffen bewusst aufgegriffen, gelegentlich sogar überzogen oder dramatisiert wiedergegeben, um den Abenteuer- Charakter der Reise ebenso wie die ritterliche Bewährung stärker herauszustellen. Für die Pilger ging es darum, das Besondere, das Ungewöhnliche, den Ausnahmefall der Reise besonders hervorzukehren - ein verständliches Anliegen. Und doch waren diese Pilgerfahrten beleibe kein Aufbruch zu ‚unbekannten Ufern‘, sondern wohl organisierte und so weit als möglich abgesicherte Unternehmungen: Das galt zunächst einmal für die Reise im Reich einschließlich Italiens: Für die Wettiner, die über reichliche familiäre Verbindungen mit den maßgeblichen Fürstenfamilien verfügten, war dies in einer die Reisekasse schonenden Weise mit Besuchen und Aufenthalten bei ihren mächtigen Verwandten, aber auch mit Ehrung und Repräsentation verbunden. Einen Eindruck davon, in welchem Verwandtengeflecht sich die Wettiner auf ihrer Reise durch das Reich bewegten, gibt beispielhaft die Romreise Kurfürst Ernsts. Die glich auf den ersten Stationen einem Familienbesuch, denn über die thüringische und fränkische Herrschaft seines Onkels Wilhelm dem Tapferen, erfuhr er zu Baiersdorf zunächst gastliche Ausrichtung durch seinen Schwager Albrecht Achilles, den Gemahl seiner älteren Schwester Anna, dann zu Landshut von seinem Neffen Herzog Georg dem Reichen und dessen Mutter, seiner ältesten Schwester Amalia, und gelangte dann über Freising nach München, wo ihn sein anderer Schwager, der Herzog Albrecht von Bayern, Bruder von Ernsts Gemahlin Elisabeth, aufs ehrenvollste empfing 101 . In Innsbruck ließ Herzog Siegmund von Österreich der kurfürstlichen Gesellschaft einen ehrenvollen Empfang bereiten. Auch Siegmund war den Wettinern weitläufig verwandt; sein Onkel, Herzog Ernst der Eiserne von 101 Dazu vgl. T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 6-8. Die Verwandtschaftsverhältnisse folgen P OSSE , Die Wettiner (wie Anm. 21) Tafel 6. 200 André Thieme Österreich, der Großvater von Ernst und Albrecht. Und vier Jahre später sollten diese Bande erneuert werden, als sich der dann schon 57-jährige Habsburger mit der Nichte Ernsts, der blutjungen fünfzehnjährigen Tochter Herzog Albrechts des Beherzten vermählte 102 . Selbst tief in Italien konnte sich Kurfürst Ernst auf verwandtschaftliche Beziehungen zu seinen Gastgebern berufen: In Este beherbergte ihn zwei Tage ein weiterer Schwager, Federico Gonzaga, Markgraf von Mantua, und wie Ernst mit einer Tochter des Herzogs Albrecht III. dem Frommen von Bayern-München verehelicht. Aber auch über das verwandtschaftliche Netz hinaus stand den Pilgern in Italien eine ‚deutsche Infrastruktur‘ zur Verfügung: Berühmt geworden ist die deutsche Herberge in Venedig Ad sanctum Georgium oder vulgo Teutonice „Zu den Fleuten“ - festes Ziel der deutschen Pilger. Im Bericht des Bruders Faber von seiner Reise 1484 wird dieser deutschen Insel im fremden Italien ausführlicher gedacht: „In diesem letztgenannten Gasthofe war zum großen Troste der deutschen Pilger, die das Welsche nicht parliren konnten, alles deutsch: Wirthsfamilie, Mägde, Knechte. - Sogar der vierbeinige treue Wächter des Hauses war durch und durch deutsch gesinnt. Denn alle blondhaarigen Deutschen nahm der Haushund ‚in den Fleuten‘ auf das freundlichste auf, ließ auch die deutschen Hunde, welche die Herren mitbrachten, in Frieden. Gegen alle welschen Menschen und Thiere aber, die er sofort erkannte, erwies er sich äußerst feindselig und bellte sie an“ 103 . Auch die sächsischen Pilger um den Kurfürsten Ernst konnten 1480 in Rom solche ‚heimischen Inseln‘ nutzen: eines Teils nächtigten sie in der Herberge des Deutschen Johannes Teufel, die in italienischer Ironie „Zum Engel“ genannt wurde, anderen Teils fanden sie bei dem Meißner Domherrn, späteren Bischof von Brixen und Kardinal Melchior von Meckau Aufnahme 104 , der dem niederen Adel des Meißner Landes entstammte und nach einer fulminanten Karriere in Diensten Papst Sixtus’ IV. seit 1472 auch sächsischer Vertreter an der Kurie war 105 . Für Kurfürst Ernst freilich hatte Papst Sixtus IV. eine besondere Herberge im 102 Vgl. dazu P OSSE , Die Wettiner (wie Anm. 21) Tafel 28, und Charlotte B RETSCHER - G ISIGER , Stammtafel der Habsburger, in: Lex. MA 9 (1998). 103 Zitiert nach K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 21. 104 Vgl. T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 18f. 105 Zu ihm vgl. jetzt Die Grabmonumente im Dom zu Meißen, hg. von Matthias D ONATH (Quellen und Materialien zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 1, Leipzig 2004) S. 375-377; Matthias D ONATH , Dompropst Melchior von Meckau (um 1440-1509). Ein Kirchenfürst und Finanzunternehmer zwischen Meißen und Rom, Ecclesia Misnensis. Jahrbuch des Dombauvereins zu Meissen (1999) S. 55-63. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 201 damals prominenten römischen Stadtteil Parione bereitstellen lassen 106 . Dort verpflegte man dann übrigens alle mitgereisten Pilger. In Rom erfuhr Kurfürst Ernst durch den Papst höchste Ehrung 107 . Auch das Gefolge partizipierte vom Rang und der Bedeutung des wettinischen Kurfürsten und wurde während der päpstlichen Audienz zum Fußkuss zugelassen 108 . Bereits dieses erste Treffen mit dem Papst nutzte Kurfürst Ernst - ganz Landesvater - dazu, für seine Herrschaft die Ablässe des Jubeljahres 1475 und die Jubiläumsprivilegien für die Beichtväter zu erbitten 109 . In politisch-herrschaftlicher Hinsicht kann die Romreise Kurfürst Ernsts mit den für die Söhne Ernst und Albrecht erlangten geistlichen Würden wie oben gezeigt als voller Erfolg gelten. Was sie für das Seelenheil der Pilger brachte, bleibt dagegen im Spiegel der Quellen weit gehend offen. Immerhin taten die Pilger seit ihrer Abreise dem geistlichen Anliegen der Reise Genüge, hatten schlichte schwarze Kleider mit dem Pilgerabzeichen, einem weißen Pilgerstab, angelegt 110 , und sie sammelten die römischen Ablässe. In touristischer bzw. höfisch-gesellschaftlicher Hinsicht jedenfalls erlebten Ernst und vor allem sein Gefolge eine Reise auf höchstem Niveau wie der Aufenthalt in Rom bezeugt. Volle drei Wochen verbrachte Ernst dort, weniger als demütiger Pilger denn als fürstlicher Ehrengast, der den weltlichen Freuden, Festen und Jagden, auf Einladung der römischen Großen willig folgte. Über eine Jagd, die der päpstliche Günstling, Graf Girolamo Riario, zu Ehren der sächsischen Gäste ausrichtete, berichten die Chronisten gar in höchsten Tönen: „... die Fürsten saßen in goldenen und edelsteinschimmernden Jagdkostümen zu Pferde, jeder führte einen Hund an der Leine; ihnen folgte eine unzählige Schar von Reitern, Jagdhunden und Treibern ... es war so recht eine wildfrohe Hatz. Die deutschen Fürsten waren ‚in ihrer Art‘ überaus vergnügt, sie waren entzückt von der lustigen Jagd“ 111 . Hier war man also gerne Pilger. Die Rückreise, die Kurfürst Ernst am 13. April 1480 über Venedig antrat, gestaltete sich wie die Anreise als Aneinanderreihung überbordender Gastfreundschaft 112 , was die Reisegesellschaft bei Laune hielt und die Reisekasse schonte, und wurde allenfalls vom anhaltend regnerischen Wetter getrübt 113 . Einmal nur erfuhren Ernst und sein 106 Vgl. T HURNHOFER , Die Romreise des Kurfürsten Ernst (wie Anm. 33) S. 18. 107 Vgl. ebd., S. 20-25. 108 Vgl. ebd., S. 20. 109 Vgl. ebd., S. 20. 110 Vgl. ebd., S. 6. 111 Ebd., S. 24. 112 Vgl. ebd., S. 25-31. 113 Vgl. ebd., S. 38. 202 André Thieme Gefolge die Ungewissheiten und Beschwernisse einer gewöhnlichen Reise. Trotz eines Empfehlungsschreibens seines Schwagers Federico Gonzaga an dessen Tochter Elisabeth, die Gräfin von Rimini, erhielt Ernst dort keinen Einlass, musste an der Stadt vorbeiziehen und konnte dann erst nachts in einem abgelegenen Kastell Unterkunft finden, wo man die schlechte Verpflegung beklagte und das armselige Nachtlager, musste man doch meistenteils uff den bencken schlafen. Die prächtige Ausrichtung in Venedig durch den Dogen und den Rat mag die Sachsen für die kurze Unbill entschädigt haben. Namentlich Kurfürst Ernst erfreute sich des vom Rat organisierten Besuchs einer verlobten Braut und schönen Frauen, wie er in einem Brief in die Heimat unverhohlen bekannte 114 . Ablassjahre für den kleinen Fehltritt dürfte er in der ewigen Stadt ja genug gesammelt gehabt haben. Trotz der komfortablen Reiseumstände beklagte übrigens auch die Reisegesellschaft Ernsts ein Opfer, ein prominentes zumal, denn ausgerechnet der Graf Wilhelm IV. von Henneberg erkrankte auf dem Rückweg, musste zurückgelassen werden und starb schließlich 46-jährig in Italien 115 . Was hier hinsichtlich der Verwandtenbesuche, der innerhalb des Reiches und Italiens prachtvollen Empfänge und Gegengaben nur beispielhaft angedeutet wurde, trifft ganz ähnlich für die anderen pilgernden Wettiner zu. Eine gesellschaftliche und höfische Komponente der Pilgerreisen tritt damit hervor, die mit den Erlebnissen und Gefahren auf See und im Heiligen Land kontrastiert. Und doch konnten die Pilger auch dort auf eine Sicherheiten bietende Infrastruktur zurückgreifen: Die Überfahrt von Venedig war fest organisiert und erfolgte durch erfahrene, spezialisierte Schiffspatrone. Ein dichtes Nachrichtennetz warnte vor den gefürchteten türkischen Piraten. Auf See patrouillierten venezianische Kampfschiffe, die gelegentlich die Pilgerschiffe geleiteten wie das Herzog Heinrichs des Frommen, das streckenweise von einem Vier-Schiffe-Geschwader unter dem Befehl eines venezianischen „Obristen Hauptmanns“ gesichert wurde 116 . Während des gesamten Aufenthalts in Palästina standen die Pilger dann unter dem zwar teuer und mit Demütigungen erkauften, aber doch weithin sicheren Geleit der muslimischen Herren. Trotz aller „Zwischenfälle“ - eine wirkliche Bedrohung für Leib und Leben hat anscheinend für keine der wettinischen Pilgergesellschaften bestanden. Im Heiligen Land nahmen 114 Vgl. ebd., S. 29. 115 Vgl. ebd., S. 30. 116 Vgl. R ÖHRICHT , Die Jerusalemfahrt des Herzogs Heinrich des Frommen (wie Anm. 40) S. 6. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 203 sich die dortigen Franziskaner der Pilger an. Der Besuch der Heiligen Stätten war wohlorganisiert, erfolgte in fest stehendem Takt und als wiederkehrendes touristisches Programm mit dem Ziel, in kurzer Zeit möglichst viele Ablässe und Karenen 117 zu erlangen. Zusätzliche Ausflüge, etwa an den Jordan, konnten gebucht werden, wenn es die Lage im Land zuließ. Ganz zu Recht hat Folker Reichert die standardisierten Heiliglandfahrten des 15. Jahrhunderts denn auch mit modernen Pauschal- oder Gruppenreisen verglichen 118 . Beispielhaft dafür erscheint etwa der Ritterschlag am Heiligen Grab, der den Höhepunkt jeder fürstlichen oder adligen Jerusalemfahrt bildete und einem eingefahrenen Ritual folgte 119 : Zunächst schwor ein franziskanischer Procurator Fratrum Montis Sion die Kandidaten zum Kampf gegen die Heiden ein und verpflichtete sie dazu, alles aufzubieten, um die Heiligen Stätten aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. - Übrigens kein Grund für die weniger tolerante, denn selbstgewisse muslimische Obrigkeit, diesen ‚Hassprediger‘ des Landes zu verweisen, zumal die Pilgerindustrie zu einem fast unverzichtbaren Bestandteil der heimischen Wirtschaft geworden war. - Nach seiner Rede gürtete der Prokurator zunächst den auf die Stufen des Heiligen Grabes hingesunkenen Edelsten der Anwesenden und erteilte diesem dann mit drei Schlägen über die Achseln den Ritterschlag. Den nächsten Ritterschlag vollzog der eben erst erhobene Grabesritter selbst. Auf diese Weise konnten die wettinischen Fürsten ihre mitgereisten Lehnsleute und Beamten selbst zum Ritter schlagen 120 . Mit Blick auf den in den Reisebeschreibungen beschworenen Topos der beschwerlichen und gefährlichen Reise darf deshalb konstatiert werden: Den Pilgern stand eine vor dem Horizont ihrer Zeit erstaunlich ausgefeilte, teilweise sogar ethnisch aufbereitete touristische Infrastruktur zur Verfügung: Deutsche Gasthöfe in Venedig und Rom boten gewohntes Essen und gewohnte Sprachumgebung. Von Venedig bis Jerusalem und an den Jordan kümmerte sich eine ‚marktorientierte Touristikindustrie‘ um das Wohlergehen der Pilger so gut wie nötig, und um die Schröpfung von deren Reisekassen so gut wie möglich. Die Fahrt 117 Karene = Erlass von Bußfasten zu jeweils 40 Tagen. 118 Vgl. R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 65. 119 Zum Ritus vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 38-41. 120 Die Sitte, dass immer der zuletzt zum Ritter Geschlagene den nächsten zum Ritter erhob (vgl. K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm [wie Anm. 27] S. 41), scheint nach den bisweilen spärlichen Angaben der Reiseberichte bei fürstlichen Gefolgschaften nicht zur Anwendung gekommen zu sein. 204 André Thieme ins Heilige Land war keine Reise ins Ungewisse, sondern der Aufbruch zu einer geführten Abenteuerreise mit begrenztem Risiko. Allzu gering zu schätzen sind die Gefahren der Reise freilich auch wieder nicht. Gegen Piratenüberfälle, gegen die Willkür der muslimischen Herren und Bewohner des Heiligen Landes, vor allem aber gegen die tückischen Krankheiten des Südens schützten auch Geld und Stand nur bis zu einem gewissen Grade. Herzog Boleslaw von Pommern musste sich während eines türkischen Piratenangriffs auf sein Schiff mit einem Bratspieß gegen die Feinde erwehren, einige seiner Gefährten fielen den Pfeilen und Säbeln der Osmanen zum Opfer 121 . Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz erblindete auf der Reise 122 , und auch die wettinischen Reisegruppen blieben vom Tod nicht verschont. Aus der Reisegruppe Wilhelms des Tapferen starb nur Berlt Spiring, Bürger zu Nordhausen, auf dem Rückweg zu Rhodos 123 . Die Reisegruppe Albrechts des Beherzten hatte dann aber immerhin elf Tote zu beklagen: Damit kehrte jeder Zehnte der Pilger von dieser Reise nicht zurück und musste in fremder Erde oder auf See bestattet werden. Auch wenn spätmittelalterliche Reisen generell mit erhöhten Gefahren verbunden waren, halte ich dies für ein dann doch bemerkenswertes Risiko, das Fürsten, Adlige, Geistliche, Bürger und Knechte eingingen, um am Segen der Heiligen Stätten teilzuhaben. 2. Pilgerreise und Eliten: Von Cordula Nolte, Karlheinz Spieß und Folker Reichert ist eindringlich vor Augen geführt worden, dass fürstliche Pilger- und Jerusalemfahrten in ihrer aufwändigen Durchführung und ihrem repräsentativen Charakter ganz einzigartige Unternehmungen waren, „die vom restlichen Adel nicht kopiert werden konnten“ 124 . Die Fürsten reisten vor allem in großem Gefolge, so auch die Wettiner, deren Gefolgschaften in der Regel um die 100 Mann pegelten, darunter Grafen und Herren, einfache Adlige, Geistliche, Bürger und Knechte. Auch die wettinischen Ziele bewiesen Ehrgeiz. Denn die Exklusivität einer Pilgerfahrt nach Jerusalem, wie sie die Wettiner gleich viermal bewerkstelligten, offenbart sich schon allein dadurch, dass Jerusalem natürlich das teuerste aller Pilgerziele ge- 121 Dazu mit weiterer Literatur zuletzt N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 82. 122 Vgl. ebd., S. 82. 123 K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 74. 124 S PIESS , Reisen deutscher Fürsten und Grafen (wie Anm. 3) S. 33f. (Zitat S. 34); R EICHERT , Eberhard im Bart (wie Anm. 5) S. 14; N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 89. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 205 wesen ist 125 . Für zahlreiche der den Fürsten begleitenden adligen und bürgerlichen Pilger war dies deshalb die einzige Gelegenheit, dahin zu kommen. Durch Gesuche und Bittschreiben versuchte man, Söhne und Verwandte in die Reisegesellschaften aufnehmen zu lassen. Ein Brief des wettinischen Landvogts Bernhard von Schönberg an Herzog Albrecht den Beherzten, in dem solche Bitten gebündelt vorgebracht wurden, ist überliefert 126 : So drängte zunächst der junge Dietrich von Staupitz den Schönberger, bei Herzog Albrecht für ihn zu bitten, dass der ihn anstelle des zurückgetretenen Hans Lösers mit auf die große Pilgerfahrt nähme. Zu Leipzig bat dann auch Dietrich von Freiberg um die Fürsprache des Landvogts. Einer von Barby wollte sogar einige Tausend Gulden in das Unternehmen einbringen, wenn man ihn denn mitnehmen würde, und schließlich bot sogar Graf Jakob von Reppin, der mit dem dänischen König am Rhein gewesen wäre, seine Gefolgschaft an. Zumindest die Interventionen der beiden erstgenannten sächsischen Adligen waren von Erfolg gekrönt, denn beide finden sich später unter den Teilnehmern der Reise 127 . Für zielgerichtet und erfolgsorientiert denkende junge Adlige bedeutete die Teilnahme an einer fürstlichen Pilgerfahrt übrigens weit mehr als ein ebenso frommes wie ritterliches Abenteuer: Die Reiseteilnahme konnte zum wichtigen Karrieresprungbrett werden - befördert durch enge persönliche Kontakte zum Fürsten, wie sie in der Enge und Gemeinschaft der Reisegesellschaft, durch gemeinsame Erfahrungen, Leiden und Erfolge einer gefahrvollen Unternehmung unvermeidlich waren. Insofern verlangen die wettinischen Reisegesellschaften Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer Zusammensetzung. Um zu prüfen, wie weit sich die Reisegesellschaften mit den Eliten in Herrschaft und Verwaltung decken, habe ich die Teilnehmerlisten eingehender durchgesehen und war überrascht: Mindestens 27 der von Uwe Schirmer verzeichneten 65 wichtigsten wettinischen Funktionsträger zwischen 1485 und 1513 128 , also weit mehr als ein Drittel, gehörten zu den Teilnehmern der fürstlichen Pilgerreisen ins Heilige Land - eine in ihrer Höhe dann doch erstaunliche Quote! Zumal wenn man in Rechnung stellt, dass bei den frühen Reisen Herzog Albrechts (1476) und erst recht Herzog Wilhelms (1461) der Anteil erfasster Funktionsträger des ausgehenden 15. Jahrhunderts signifikant geringer sein muss, was sich auch in der Aufstellung unten widerspiegelt. 125 N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 67. 126 Vgl. R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 163f. 127 Vgl. ebd., S. 157. 128 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 349ff. 206 André Thieme Tabelle 1: Wichtige wettinische Funktionsträger als Teilnehmer wettinischer Pilgerreisen ins Heilige Land. 129 130 131 132 133 134 Reise Karriere und Ämter Heinrich von Bünau zu Teuchern und Gröbitz 129 1493 Rat Friedrichs des Weisen und Begleiter auf den Reichstagen von Worms (1495, 1499), Freiburg (1498), Nürnberg (1501), Gesandter des Nürnberger Reichsregiments beim frz. König; seit 1494 albertinischer, seit 1502 ernestinischer Richter am Oberhofgericht Günther von Bünau zu Teuchern und Gröbitz 130 1498 1494-1498 Amtmann zu Freyburg; seit 1489 albertinischer Richter am Oberhofgericht; 1503-1507 Amtmann zu Altenburg Rudolf von Bünau auf Weesenstein, Brandis, Lauenstein, Tetschen 131 1498 1493-1495 in Diensten Herzog Albrechts des Beherzten in den Niederlanden; 1495 Amtmann zu Radeberg; albertinischer Rat; bis 1539 Hofmeister Herzog Heinrichs des Frommen Heinrich von Bünau zu Meuselwitz, Breitenhain, Blankenstein und Eula 132 1493 ernestinischer Rat; Hofmeister Johann Friedrichs des Großmütigen Heinrich von Einsiedel 133 1461 seit 1469 Rat Kurfürst Ernsts; 1495 Statthalter zu Dresden; zahlreiche Gesandtschaftsmissionen; 1494/ 95 zentrale Stellung im albertinischen Hofrat Götz von Ende zu Rochsburg 134 1476 geb. 1459; Rat Albrechts des Beherzten und Landvogt zu Pirna (1498-1502); 1518 ernestinischer Rat 129 Vgl. ebd., S. 351; dort nicht als Teilnehmer der Pilgerfahrt genannt. 130 Vgl. ebd., S. 350. - Dort wird die Teilnahme Günthers an der Pilgerfahrt nicht erwähnt, doch wohnte Günther später der Hochzeit Herzog Heinrichs des Frommen als Gast bei und wird deshalb mutmaßlich mit dem bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 288, als Begleiter Heinrichs des Frommen genannten Günther von Bünau identisch sein. 131 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 352; dort nicht als Teilnehmer der Pilgerfahrt genannt. 132 Vgl. ebd., S. 351. - Dieser Heinrich von Bünau fehlt bei R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 188f., ebenso bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 244 f., wo jeweils nur Heinrich von Bünau zu Teuchern (der Stelzner) genannt wird. Doch tragen beide Bünaus nach 1493 den Rittertitel, eine Teilnahme auch des Meuselwitzers ist mit Schirmer anzunehmen. 133 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 354f., der ihn auch als Teilnehmer der Pilgerfahrt von 1461 benennt. Bei R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 143f., fehlt er ebenso wie bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 137f. 134 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 355f. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 207 135 136 137 138 139 140 141 142 Heinrich von Ende zu Kayna 135 1476 1487-1507 ernestinischer Hofmeister; Rat und Vertrauter Friedrichs des Weisen Georg von Hopfgarten 136 1493 Teilnahme an den Hochzeiten der Herzöge Johann und Heinrich Hans Hundt von Wenckheim 1493 Türknecht und Verwalter der Privatschatulle Friedrichs des Weisen; 1497 und 1499 Landvogt zu Sachsen; 1500-1502 Richter am Oberhofgericht Hans von Leimbach 137 1493 1479 Ratsherr; 1511 Bürgermeister zu Leipzig; nach 1484 ernestinischer Zehntner zu Schneeberg; 1492 Landrentmeister Heinrich von Löser 138 1476 1456 Jungherr am kurfürstlichen Hof; gehörte seit 1471 zum engsten Beraterkreis des Kurfürsten Ernst; 1478-1492 Landvogt zu Wittenberg; Rat und Erbmarschall Friedrichs des Weisen Siegmund von Maltitz 139 1493 1480-86 Amtmann zu Torgau; 1490-1496 albertinischer Hofmarschall; 1494/ 95 im albertinischen Hofrat; 1499-1524 Amtmann zu Schellenberg Dr. Martin Poller (auch Pollich) Mellerstadt 140 1493 Leibarzt Friedrichs des Weisen; Gründungsrektor der Universität Wittenberg Johann von Mergenthal 141 1476 bis 1469 Kanzler, seitdem wettinischer Landrentmeister Georg von Miltitz zu Scharfenberg 142 1476 albertinischer Hofmarschall 1477-1486 135 Vgl. ebd., S. 356. 136 Vgl. ebd., S. 358. 137 Vgl. ebd., S. 359f. 138 Vgl. ebd., S. 361. 139 Vgl. ebd., S. 361f. 140 Vgl. ebd., S. 362, der ihn auch als Reiseteilnehmer von 1476 benennt. Doch wird stattdessen bei R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 157, ebenso wie bei H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 177, zu 1476 Dr. jur. Heinrich Mellerstadt genannt! Als Leibarzt reiste damals Dr. med. Valentin Schmiedeberg. 141 Johann von Mergenthal wurde wegen seines Todes vor 1485 von Schirmer nicht mehr unter den wichtigsten Funktionsträgern erfasst; er gehört aber zweifellos zu den herausragendsten wettinischen Funktionsträgern des 15. Jahrhunderts und wurde deshalb der Aufstellung beigefügt. Vgl. zu ihm Hellmut S CHRAMM , Johann von Mergenthal, der erste sächsische Landrentmeister (1469/ 78) (Leipzig 1938). 142 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 362; dort nicht als Teilnehmer der Pilgerfahrt genannt. 208 André Thieme 143 144 145 146 147 148 149 150 Hans von Minkwitz zu Sonnewalde 143 1476 1481 Rat der Herzöge Ernst und Albrecht; 1481/ 82 magdeburgischer Rat und Hofmeister; 1484 Hofmeister Albrechts des Beherzten; 1488- 1497 Obermarschall am albertinischen Hof Sebastian von Mistelbach 144 1493 Amtmann zu Grimma (ernestinisch) 1507-1516; kurfürstlicher Hofmarschall 1516-1519 Degenhard Pfeffinger 145 1493 geb. 1471; nach 1493 Kammermeister und Türknecht in ernestinischen Diensten; seit 1513 Verwalter der Rentkasse; 1518 auch ernestinischer Rat Dr. Siegmund Pflug 146 1493 geb. um 1455/ 60; 1486 Domherr zu Meißen und Merseburg; Dompropst 1505 zu Merseburg und 1507 zu Meißen; 1494-1500 albertinischer Kanzler Cäsar Pflug zu Knauthain und Eythra 147 1493 1488-1524 albertinischer Richter am Oberhofgericht; 1502 albertinischer Hofrat, Gesandter und Statthalter Martin Römer 148 1476 geb. um 1430, gest. 1483; Zehntmeister zu Schneeberg; Hauptmann in Zwickau Dietrich von Schleinitz 149 zu Seerhausen 150 1476 1476 Edelknabe am kurfürstlichen Hof 143 Vgl. ebd., S. 363f. 144 Vgl. ebd., S. 364f. 145 Vgl. ebd., S. 366f. 146 Vgl. ebd., S. 367f. 147 Vgl. ebd., S. 368. 148 Martin Römer wurde wegen seines Todes vor 1485 von Schirmer nicht mehr unter den wichtigsten Funktionsträgern erfasst; er gehört aber zweifellos zu den herausragendsten wettinischen Funktionsträgern des 15. Jahrhunderts und wurde deshalb der Aufstellung beigefügt. 149 Neben Dietrich von Schleinitz zu Seerhausen tragen drei weitere zentrale wettinische Funktionsträger den Rittertitel: Dietrich von Schleinitz zu Dahlen: 1487-1511 albertinischer Hofmeister; Hugold von Schleinitz zu Schleinitz: Obermarschall Kurfürst Ernsts; Heinrich von Schleinitz, genannt der Blinde: 1497-1519 albertinischer Obermarschall; vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 369ff. Diese Schleinitze lassen sich aber keiner der wettinischen Pilgerfahrten zuweisen. Dass der 1498 mit Herzog Heinrich im Heiligen Land weilende Dietrich von Schleinitz mit Dietrich von Schleinitz zu Dahlen identisch ist, erscheint unwahrscheinlich, weil der als Hofmeister und Statthalter zu dieser Zeit funktional gebunden war. 150 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 369f. - Vgl. zur Zuordnung an Dietrich von Schleinitz zu Seerhausen auch Geschichte des Schleinitzschen Geschlechts, von einem Mitgliede des Geschlechts (Berlin 1897) S. 187. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 209 151 152 153 154 155 156 Caspar von Schönberg auf Sachsenburg 151 1461 1448 kursächsischer Hofmeister; nach 1464 Vertrauter und Rat der Herzöge Ernst und Albrecht; 1488 und 1490 Beisitzer am Leipziger Oberhofgericht Dietrich von Schönberg auf Rothschönberg 152 1461 1464 Bestallung als Rat und Untermarschall der Herzöge Ernst und Albrecht; 1473-1476 Hofmeister der Kurfürstin; danach einer der einflussreichsten wettinischen Räte; 1483 Vorsitzender am Leipziger Oberhofgericht; 1486-1495 albertinischer Hofmeister Kaspar Speth 153 1493 1499-1500 kursächsischer Marschall; 1518 ernestinischer Rat Heinrich von Starschedel zu Mutzschen 154 1476 geb. um 1435, gest. 1499; 1477-1485 Berghauptmann zu Schneeberg; 1483/ 84 Zehntner; gehörte 1495 und 1498 zu den engsten Räten Friedrichs des Weisen Anselm von Tettau zu Mechelsgrün 155 1493 1499-1508 Berghauptmann zu Schneeberg; 1502 ernestinischer Richter am Oberhofgericht; 1518 ernestinischer Rat Wolf von Weißenbach 156 1493 seit 1511 Amtmann zu Altenburg; seit 1518 Amtmann zu Zwickau; ab 1533 Amtmann zu Werdau; 1518 kursächsischer Rat; 1535 Oberhofrichter Eine Prosopografie aller Teilnehmer der wettinischen Pilgerreisen über die ausgewählten Beispiele hinaus wäre natürlich höchst wünschenswert, doch fehlen dazu beim derzeitigen Forschungsstand ausreichende Grundlagen, vor allem für die Funktionsträger des 15. Jahrhunderts 157 . 151 Vgl. S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 373. 152 Vgl. ebd., S. 373f. 153 Vgl. ebd., S. 374. 154 Vgl. ebd., S. 375. 155 Vgl. ebd., S. 375f. 156 Vgl. ebd., S. 377. 157 Erste Zugriffe auf den wettinischen Adel und die wettinischen Funktionsträger vermitteln derzeit noch immer: Erbarmanschaft Wettinischer Lande. Urkundliche Beiträge zur obersächsischen Landes- und Ortsgeschichte in Regesten vom 12. bis Mitte des 16. Jahrhunderts, bearb. und hg. von Richard Freiherr VON M ANSBERG , 1: Das Osterland (Dresden 1903); 2: Die Mark Meissen (Dresden 1904); 3: Landgraftum Thüringen und Pfalzgraftum Sachsen (Dresden 1906); 4: Die Ostmark (Niederlausitz) und Fürstentum Sachsen, Oberlausitz, Sagan - Nordböhmen (Dresden 1908); Carl August Hugo B URKHARDT (Bearb.), Die Landtage von 1487-1532 (Ernestinische Landtagsakten 1; zugleich: Thüringische Geschichtsquellen, Neue Folge 5, Jena 1902); Woldemar G OERLITZ (Bearb.), Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485-1539 (Sächsische Landtagsakten 1; zugleich: Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 32, Leipzig 1928). - Eine deutliche 210 André Thieme Dass jedenfalls unter den Palästinareisenden weitere Funktionsträger auszumachen sein werden, wenn etwa der Blick auch über die von Schirmer nicht erfassten, schwerpunktmäßig vor 1485 oder nach 1513 agierenden wichtigsten Funktionsträger geweitet wird, erscheint offensichtlich. Das dann interessierende Feld reicht zudem über die „Spitzenbeamten“ hinaus, denn die zu beobachtenden Karrierevorteile galten ebenso für die Funktionsträger in der ‚zweiten Reihe‘, die es nicht auf die Schirmersche Liste der wichtigsten Männer gebracht haben: Eine beispielhafte, weil eben auch nicht allzu prominente Karriere mag das andeuten: Georg von Schleinitz auf Ragewitz 158 erscheint mit dem Jahr 1450 mündig und nahm in jungen Jahren an der Pilgerfahrt Herzog Wilhelms 1461 nach Jerusalem teil, wo er zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen wurde. Bereits 1460 soll er als „fürstlicher Kommisarius“ nach Oschatz gesandt worden sein, um Irrungen der dortigen Bäcker zu untersuchen. Später begegnet er als Rat der Herzöge Ernst und Albrecht, wurde 1470 beauftragt, mit den kurbrandenburgischen Räten zu Jüterbog über Fehden und Räubereien zu verhandeln. 1471 erschien er kurz nach dem Tode Georgs von Podiebrad als Emissär in Prag, wo er mit Benesch von Weitmühl und anderen böhmischen Herren verhandelte. 1489 betraute ihn Herzog Albrecht neben dem Obermarschall Hans von Minckwitz für die Zeit seines Heereszuges nach Burgund mit der Regentschaft; in dieser Eigenschaft bestätigte er den Freiberger Rat. Doch auch angesichts der benannten Desiderata erscheint die aus der Verschneidung der Pilgerfahrer und der wichtigsten Funktionsträger erhaltene Liste höchst eindrucksvoll. Mit Martin Römer, Johann von Mergenthal, Hans von Leimbach und Degenhard Pfeffinger finden sich darunter die wichtigsten wettinischen Finanzbeamten der Zeit, mit Heinrich von Starschedel zu Mutzschen, Dietrich von Schönberg auf Rothschönberg, Dr. Siegmund Pflug, Siegmund von Maltitz oder etwa Heinrich von Löser die wichtigsten Räte und Hofbeamten des brüderlichen Regiments Ernsts und Albrechts ebenso wie der späteren ernestinischen und albertinischen Herrscher. Verbesserung der prospografischen Forschungssituation für Sachsen ist durch im Druck oder in der Bearbeitung befindliche Vorhaben zu erwarten: vgl. etwa künftig S CHIRMER , Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 42); Sächsische Biografie, hg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., wissenschaftliche Leitung: Martina S CHATTKOWSKY , Online-Ausgabe: http: / / www.tu-dresden.de/ isgv/ ; Ulf M OLZAHN , Adel und frühmoderne Staatlichkeit in Kursachsen (Diss. Univ. Leipzig 2005). 158 Vgl. zu ihm Geschichte des Schleinitzschen Geschlechts (wie Anm. 150) S. 130-131. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 211 Hinsichtlich der Karrieremuster sind dabei zwei Typen zu unterscheiden: zum einen die Funktionsträger, die zum Zeitpunkt der Pilgerfahrt bereits zu den Stützen der fürstlichen Herrschaft und Verwaltung zählten, und zum anderen, überwiegenden Teil diejenigen, für die die Teilnahme an der Jerusalemfahrt erst zur Initialzündung einer außerordentlichen Dienstkarriere geworden ist. Dass die reisenden Fürsten zum einen wichtige Vertraute und befähigte Gefolgsleute mit auf die Reisen nahmen, erscheint selbstverständlich. Johann von Mergenthal hatte zum Zeitpunkt seiner Pilgerfahrt mit Albrecht dem Beherzten den Zenit seiner Karriere längst erreicht. Seit 1469 bekleidete der vormalige Kanzler das neu geschaffene Amt des Landrentmeisters und war damit der vielleicht wichtigste wettinische Funktionsträger überhaupt. Auch Heinrich von Löser hatte sich 1476 schon einige Jahre als einer der zentralen wettinischen Räte hervorgetan, ebenso wie der mit Friedrich dem Weisen 1493 pilgernde Hans von Leimbach, damals ernestinischer Landrentmeister. Neben diesen erfahrenen, bereits gealterten Männern stechen aber diejenigen besonders ins Auge, an deren Karrierebeginn die Pilgerfahrt ganz offensichtlich steht: Heinrich von Bünau zu Teuchern und Gröbitz etwa stieg erst in den Jahren unmittelbar nach der Heiliglandfahrt von 1493 in den Diensten Friedrichs des Weisen als Rat und Gesandter auf. Götz von Ende zu Rochsburg, der im Alter von 27 Jahren Albrecht den Beherzten nach Jerusalem begleitete, gelangte erst Jahre später, nach der Leipziger Teilung, bezeichnender Weise in albertinischen Diensten als Rat und Amtmann zu Rang und Ehren. Und ist es ein Zufall, dass Heinrich von Starschedel zu Mutzschen es in 41 Lebensjahren zu keinen bemerkenswerten Ämtern schaffte, aber unmittelbar nach seiner Teilnahme an der 1476er Pilgerfahrt zum Schneeberger Berghauptmann avancierte? Weitere Fragen bleiben offen. Gab es, so wie die familiären Netzwerke unter den sächsischen Adligen, auch Netzwerke der ehemaligen Pilgerfahrer und Grabesritter, die sich durch gemeinsam erlittene Gefahren oder ähnliche Erfahrungen konstituierten? Ein besonderes Standesbewusstsein der „Ritter“ hat es im Nachklang der dichten wettinischen Pilgerfahrten zweifellos gegeben. Das Verzeichnis der Räte und Diener des Kurfürsten Friedrichs des Weisen und seines Bruders Johanns des Beständigen etwa führte nach den Fürsten, Grafen und Herren die Rethe, erstlichen die Ritter 159 . 159 S CHIRMER , Untersuchungen zur Herrschaftspraxis (wie Anm. 42) S. 344. 212 André Thieme Offensichtlich lösten die Pilgerfahrten der wettinischen Fürsten beim Adel und dem begüterten Bürgertum ihrer Lande eine Pilgerbegeisterung und eine Pilgertradition aus. Der Zustrom zu den fürstlichen Reisegesellschaften selbst und deren letztliche Größe von 100 oder mehr Teilnehmern gibt davon Zeugnis. Nicht zufällig sind einige Familien fast bei allen Pilgerfahrten präsent wie die Herren von Bünau, die Familien Ende, Grensing, Marschalck und Pflug, die von Maltitz, von Schleinitz und von Schönberg. Auch darüber hinaus zog es sächsische Untertanen ins Heilige Land, die sich dazu anderen Gesellschaften anschlossen wie der Kanzler Albrechts des Beherzten, Otto Spiegel. Der war vorher wohl nicht abkömmlich und brach nun 1479, nur drei Jahre nach seinem Herrn mit einer Nürnberger Reisegesellschaft ins Heilige Land auf 160 . Die Tradition der Pilgerfahrt ins Heilige Land wirkte motivierend auch dann noch, als wettinische Fürsten selbst nach 1500 keine solche Reise mehr unternahmen, oder sie sogar wie Herzog Georg der Bärtige recht eigentlich missbilligten 161 . Im Jahre 1517/ 18 stellten sächsische Adlige eine eigene Expedition nach Jerusalem zusammen - unter den Teilnehmern finden sich nicht unerwartet wichtige Funktionsträger bzw. Mitglieder der wichtigsten Familien 162 . Dass jedenfalls die Heiliglandfahrer über die persönliche Bindung an den jeweils reisenden Fürsten hinaus als eine besondere Elite verstanden wurden, scheint sich abzuzeichnen. Denn die Karrieren der Grabesritter vollzogen sich nach der Leipziger Teilung von 1485 (teils gezwungenermaßen) auch in davon emanzipierten herrschaftlichen und persönlichen Zusammenhängen: Heinrich von Einsiedel, der 1461 mit Herzog Wilhelm III. nach Jerusalem gezogen war, agierte später zunächst als Rat Kurfürst Ernsts, um dann in albertinische Dienste zu wechseln. Dr. Siegmund Pflug reiste zwar mit Friedrich dem Weisen, wurde aber im Jahr darauf zum albertinischen Kanzler berufen, und der mit Albrecht dem Beherzten pilgernde Heinrich von Ende zu Kayna brachte es zum ernestinischen Hofmeister und Vertrauten Friedrichs des Weisen. Ein weiterer Aspekt ist zu bedenken, rückt man die fürstlichen Gefolgschaften der Pilgerreisen als Funktionsträger in den Vordergrund: Reisen bildet. Gerade die Pilgerreise zu fernen Gestaden erscheint für zahlreiche wichtige adlige und bürgerliche Karrierebeamte deshalb zugleich als eine wenigstens teilweise vom Dienstherrn getragene Dienst- und Fortbildungsreise. Auch wenn die Teilnehmer finanzielle Anteile zu erbringen hatten, profitierten sie doch ganz erheblich von der den 160 Vgl. H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 189f. 161 Vgl. dazu den Beitrag von Christoph V OLKMAR im vorliegenden Band. 162 Vgl. H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 322ff. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 213 wettinischen Fürsten überall zuteil werdenden Gastfreundschaft, die natürlich auch das Gefolge einschloss. Die Teilnahme derzeitiger und zukünftiger Eliten der Landesverwaltung an den Pilgerfahrten bedeutete freilich vor allem einen enormen Gewinn an Erfahrung und Weltläufigkeit, der durch die Kenntnis anderer Länder und Sitten, durch einen weiteren Horizont fast zwangsläufig war, mithin auch einen Modernisierungsschub und Fortschrittsimpulse. Pilgerreisen in großem Gefolge waren also nicht nur eine teure Angelegenheit, sondern sie brachten in Form der Erfahrungen und Kenntnisse, die auf diese Weise ins Land und unmittelbar in die Landesverwaltung eingebracht wurden, auch eine kaum quantifizierbare, aber wohl doch bedeutende herrschaftliche Dividende. IV. Motive Im eingangs angeführten Kommentar sprach Hieronymus Weller von den Pilgerfahrten als dem Wahn der Zeit. Einem weniger parteiischen Betrachter mag dies scheinen, als würde der kämpferisch-evangelische Weller die religiöse Motivation der wettinischen Pilger voreilig abwerten und im Kontext anderer Faktoren einbzw. nachordnen. Dennoch darf vor dem Horizont aktueller Forschungen konstatiert werden, dass schon Hieronymus Weller wesentliche Beweggründe der fürstlichen Pilgerfahrten entdeckte, denn neben der geistlichen Seite haben Abenteuerlust und Tradition, der Wunsch nach Ruhm und Ehre sowie fürstlicher Repräsentation die Entscheidung, eine Pilgerreise aufzunehmen, ganz offensichtlich mitbestimmt oder sogar ausschlaggebend verursacht, wobei Kombination und Gewichtung der Einzelmotive von Fall zu Fall ganz individuell variierten 163 . Sicher, es gibt keinen Grund, die individuelle Frömmigkeit, das Streben nach göttlichem Segen und Beistand im späten Mittelalter gering zu schätzen 164 . Auch die wettinischen Fürsten waren tief christlich geprägte Menschen und sorgten sich um ihr Seelenheil. Dass freilich religiöse Motive generell und vor allem als ausschlaggebendes Moment den 163 Vgl. dazu generell P ARAVICINI , Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour (wie Anm. 5); und speziell für fürstliche Pilgerreisen N OLTE , Erlebnis und Erinnerung (wie Anm. 5) S. 73f. 164 Zur spätmittelalterlichen Frömmigkeit vgl. etwa Arnold A NGENENDT , Geschichte der ReligiositätimMittelalter(Darmstadt1997); Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400-1600, hg. von Bernhard J USSEN / Craig K OSLOFSKY (Göttingen 1999); Frömmigkeitsformen in Mittelalter und Renaissance, hg. von Johannes L AUDAGE (Düsseldorf 2004); H EIMANN , „Über mehr ein rittervard“ (wie Anm. 5). 214 André Thieme Aufbruch zu einer langwierigen, kostenintensiven und auch nicht ganz ungefährlichen Pilgerfahrt auslösten, darf dann doch bezweifelt werden. Zumindest die Umstände der Reisen Kurfürst Ernsts nach Rom und Heinrichs des Frommen nach Santiago, bei denen weltliche Geschäfte und weltliche Genüsse im Vordergrund gestanden zu haben scheinen, mahnen zur Vorsicht. Gerade unter den wettinischen Pilgern finden sich zudem kaum solche mit einer besonderen spirituellen Neigung; von Wilhelm dem Tapferen bis Heinrich dem Frommen zeichneten gerade sie sich statt dessen durch ein eher praktisches Verhältnis zur Religion und deren Institutionen aus 165 - was freilich dem Charakter der Pilgerreisen als überhitzter Jagd nach Ablässen, Karenen und Reliquien in gewisser Weise auch wieder entsprochen zu haben scheint. Dass Pilgerreisen ins Heilige Land unabhängig von der persönlichen Frömmigkeit gleichwohl einen demonstrativ religiös-politischen Grundzug besitzen konnten, legte jüngst Heinz-Dieter Heimann offen 166 : So rüstete Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg 1453 vor dem Hintergrund des Baseler Konzils und angesichts der Bekämpfung von Hussiten und Waldensern in der Mark Brandenburg ganz bewusst zur Pilgerfahrt ins Heilige Land, um sein katholisches Glaubensbekenntnis in besonderer Weise zu kommunizieren. Die für eine solche Erkenntnis wichtige Unterscheidung von Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit 167 ist geradezu zu einem Muster moderner Betrachtungen geworden und bietet einen höchst fruchtbaren Ansatz, um differierende persönliche und öffentlich gemachte Frömmigkeitsformen zu erklären 168 . Freilich drängen sich solche Erklärungsmodelle gerade für die pilgernden Wettiner nicht auf. Eines demonstrativ hervorgekehrten und öffentlich gemachten Glaubensbekenntnisses bedurften sie wohl kaum mehr als andere. Um also die Pilgerreisen gerade jener Fürsten zu begründen, die ansonsten nicht durch einen besonders gottgefälligen Lebenswandel aufgefallen waren, griff schon die Chronistik auf das Motiv der Reue zurück. Einprägsam in Legende und Wirklichkeit erscheint hier die Pilgerfahrt Herzog Wilhelms des Tapferen. Der hatte bereits 1457 sei- 165 Vgl. dazu beispielhaft hinsichtlich Herzog Albrechts des Beherzten Günther W ARTENBERG , Herzog Albrecht der Beherzte als spätmittelalterlicher Christ und als Herr der Kirche seines Landes, in: T HIEME , Herzog Albrecht der Beherzte (wie Anm. 48) S. 197-212. 166 Vgl. H EIMANN , „Über mehr ein rittervard“ (wie Anm. 5) bes. 103f. 167 Grundlegend Franz M ACHILEK , Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand S EIBT (München 1978) S. 87-101. 168 Vgl. dazu den Beitrag von Christoph V OLKMAR über die Frömmigkeit Herzog Georgs des Bärtigen im vorliegenden Band. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 215 ne Gemahlin Anna, Tochter Kaiser Albrechts II., verstoßen und hielt sie auf Burg Eckartsberga in Haft. Anna galt (mit den Worten Johann Georg Kohls) als „eine edle, sanftmüthige, aber vielleicht nicht schöne Dame“ 169 . Dies und Streitigkeiten um die Mitgift trieben den Herzog in die Arme der jungen und offensichtlich unzweifelhaft schönen Katharina von Brandenstein. Aus Reue über die Verstoßung hätte nun Wilhelm die Mühe der Pilgerreise auf sich genommen. Einem solchen Motiv widersprach freilich schon der Editor der Reisebeschreibung selbst. In der vornehmen Sprache des 19. Jahrhunderts befand er, dass es dem „noch jungen Fürsten allerdings nicht an allerlei Anlässen und Ursachen zur Buße und zu einem ernsten kirchlich religiösen Akte“ gefehlt gehabt hätte, stellte aber gleichwohl heraus, dass Wilhelms „rastloser und muthiger Geist noch weit mehr Antheil an dem Entschlusse zu dieser Betfahrt hatte als die Reue“ 170 . Und wirklich, schon ein Jahr nach seiner Rückkehr, heiratete Herzog Wilhelm, nur kurz nach dem Tode der Gemahlin Anna, die Buhle Katharina - ein deutlicher Fingerzeig, was von den unterstellten bußfertig-religiösen Motiven der Pilgerfahrten zu halten ist. So erinnern wir uns hier noch einmal Hieronymus Wellers Bewertung der Pilgerfahrt Herzog Heinrichs des Frommen, der auszog „als ein junger freudiger Herr, der da lust sich etwas weiter zuversuchen“. Und fügen dem die Beobachtung hinzu, dass es häufig eben wirklich gerade jene Fürsten in das Abenteuer einer ritterlich-gefahrvollen Pilgerfahrt trieb, die auch den Zeitgenossen und frühen Chronisten als außerordentlich wagemutige, abenteuerlustige Herren galten. Zumindest von Wilhelm dem Tapfern und Albrecht dem Beherzten, auch vom jungen Heinrich dem Frommen sind solche Charakterzüge überdeutlich überliefert. Wie sich das Verhältnis von Frömmigkeit und Abenteuerlust dann im Einzelnen bestimmte, bleibt uns jedenfalls verborgen. Ein weiteres Motiv scheint sich gerade bei den Wettinern aufzudrängen: die familiäre Tradition. Bereits Weller sah ja Herzog Heinrich den Frommen dem „Exempel seiner Vorfarn“ folgen. Die Häufung und Dichte wettinischer Pilgerfahrten nach 1460 wurde oben konstatiert. Dabei bezogen sich vor allem die Jerusalemfahrten wohl nicht zufällig stark auf die Vorbildreisen in der eigenen Familie. Reisekundige Führer aus den Vorexkursionen wie Hans Brun 171 oder Sebald Ketzel ergänzten spätere wettinische Reisegesellschaften. Von der Reiseroute 169 K OHL , Pilgerfahrt des Landgrafen Wilhelm (wie Anm. 27) S. 13. 170 Ebd., S. 13. 171 Der zu 1461 geführte Küchenmmeister Hans Brun, Bürger zu Weimar, dürfte mit dem 1476 als Schaffner genannten Hans Prun (Praun) identisch sein. Vgl. R ÖHRICHT , 216 André Thieme bis hin zu bestimmten Ritualen wiederholten sich die Fahrten. So ließ Kurfürst Friedrich der Weise bei der Ausfahrt aus Jaffa im Heiligen Land sein Banner hissen, so wie es zuvor bereits sein Onkel Albrecht unter etwas anderen Umständen getan hatte 172 . Mit den erfolgreichen und wirkmächtig tradierten Fahrten Herzog Wilhelms und spätestens Herzog Albrechts wurde die Jerusalemfahrt zu einem fakultativen Teil der höfisch-ritterlichen Sozialisation wettinischer Fürsten. Hier etablierte sich in kurzer Zeit eine dynastische Tradition mit ausgesprochenem Perpetuierungspotential, - die allerdings bereits in dem an humanistischer Frömmigkeit orientierten Herzog Georg dem Bärtigen einen versteckten Kritiker 173 und dann mit der vierten Generation, den wettinischen Reformationsfürsten, ein freilich abruptes Ende fand. Bis hin zu Heinrich dem Frommen jedenfalls scheint die fürstlich-familiäre Tradition ein ganz wesentliches Motiv für die weiteren Reisen gewesen zu sein. V. Schluss Die fürstliche Pilgerfahrt des späten Mittelalters erscheint gerade am Beispiel der wettinischen Reisen ins Heilige Land und nach Rom in ihrer Planung und Durchführung einmal mehr als ritualisiertes, institutionalisiertes Phänomen. In ihrer Form, Motivation und Wirkung erweist sie sich ungemein vielschichtig: Sie war touristische Besichtigungsfahrt, zugleich Ritter- und Abenteuerreise, ebenso auch diplomatisch-politische Mission und Verwandtenbesuch. Sie gereichte natürlich zur Ehre Gottes und brachte Seelenheil, diente der Jagd nach Reliquien und Ablass, man verstand sie aber auch damals schon ganz bewusst als Instrument fürstlicher Repräsentation, Tradition und fürstlichen Selbstverständnisses. Über das Gefolge der Pilgerschaft brachten die Wettiner jedenfalls hegemoniale und landesherrliche Hoheit deutlich zum Tragen und formten sie weiter aus. Und schließlich erwies sich die Reisegesellschaft in soziologischem Sinne als elitenstabilisierend und elitenbildend - ein Aspekt, der bislang so noch kaum eingehender Aufmerksamkeit gefunden hat, obwohl das entstehende personelle Geflecht in den Karrieren und Leis- Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 3) S. 146 und S. 158; H ALM , Deutsche Reiseberichte (wie Anm. 3) S. 137 und 178. 172 Vgl. R EICHERT , Von Dresden nach Jerusalem (wie Anm. 30) S. 64f. 173 Vgl. dazu den aufschlussreichen Beitrag von Christoph V OLKMAR über die Frömmigkeit Herzog Georgs des Bärtigen im Kontrast von Privat- und Staatsfrömmigkeit im vorliegenden Band. Pilgerreisen wettinischer Fürsten im späten Mittelalter 217 tungen der vormaligen Pilger wahrscheinlich folgenreicher, sicher jedoch wirksamer gewesen ist als all die mitgebrachten Reliquien, als all die erworbenen Ablassjahre und Karenen. Resumen: La peregrinación de los príncipes de la Baja Edad Media, en cuanto a su planificación y su realización, se presenta una vez más como fenómeno ritualizado e institucionalizado en el caso de los viajes de los Wettiner a Tierra Santa y a Roma. En lo tocante a su forma, su motivación y su influjo, muestra ser muy compleja: era un viaje turístico a la par que viaje de caballeros y aventura, y, al mismo tiempo, misión diplomático-política y visita a parientes. Era hecha para honrar a Dios y para la propia salvación y servía para ir a la caza de reliquias e indulgencias, pero se la entendía también, ya en ese entonces, conscientemente como instrumento de representación, de tradición y de autoentendimiento del príncipe. Por medio de la comitiva que los acompañaba durante las peregrinaciones, los Wettiner dieron expresión a su soberanía hegemonial y territorial y continuaron contribuyendo a su desarrollo. Por último, resultó que el grupo de viaje en un sentido sociológico estabilizaba y formaba las élites - un aspecto casi no tratado hasta el día de hoy, no obstante la red personal que se originó en las carreras y los logros de los que fueran peregrinos tuviera posiblemente más consecuencias y fuera de seguro más eficaz que las reliquias traídas, los años de indulgencia adquiridos y los cuarenta días de penitencia. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg F ALK E ISERMANN UND F OLKER R EICHERT Am 5. Februar 1514, mitten in einem äußerst strengen Winter, brach der sächsische Adelige Hans von Sternberg mit zwei Begleitern von seinem Schloss in der Nähe von Coburg zu einer Pilgerfahrt auf, die ihn auf ungewöhnlichen Wegen nach Santiago de Compostela und ins Heilige Land führen sollte. Nach seiner Rückkehr verfasste er einen Reisebericht, der bereits vor 85 Jahren erstmals publiziert wurde, danach aber weitgehend in Vergessenheit geriet. Da es sich hierbei um ein bemerkenswertes Zeugnis der Pilgerliteratur des späten Mittelalters handelt, sollen im vorliegenden Beitrag zunächst die Überlieferung des Reiseberichts und sein Autor vorgestellt und ein Überblick über den Inhalt gegeben werden (Abschnitt I). Danach erfolgt eine Einordnung des Textes in die Reiseliteratur der Zeit (Abschnitt II). Der Beitrag wird beschlossen durch eine kommentierte Neuedition des Sternbergschen Berichts und eines bedeutsamen urkundlichen Zeugnisses dieser Reise (Abschnitt III). I. Überlieferung, Autor, Textinhalt Der Reisebericht des Hans von Sternberg ist nur in der Handschrift Chart. B 1693 der Forschungsbibliothek Gotha überliefert (Abb. 1) 1 . 1 Beschreibung zukünftig in: Katalog der mittelalterlichen deutschen Handschriften. Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft, beschr. von Falk E ISERMANN (Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha 2), in Vorbereitung. 220 Falk Eisermann und Folker Reichert Es handelt sich um einen Papiercodex von 16 Blättern im Format 21 x 14,5 cm, der nach dem Wasserzeichenbefund um 1515 entstanden sein dürfte 2 . Ursprünglich bestand der Faszikel aus neun Doppelblättern, doch fehlt das zweite äußere Doppelblatt, wodurch der Schluss des Textes mit den Angaben zur Rückreise verloren ist. Da Blatt 16 leer ist, dürfte der Textverlust etwa zwei Seiten (ein beidseitig beschriebenes Blatt) betragen, die letzten Tage des Aufenthalts im Heiligen Land und die Rückreise dürften also nur knapp geschildert worden sein. 2 Wasserzeichen Rad, sehr ähnliches Wasserzeichen nachgewiesen im Zeitraum 1503- 1515 bei Charles-Moïse B RIQUET , Les filigranes. Dictionnaire historique des marques du papier des leur apparition vers 1282 jusqu’en 1600, 4 Bände (Paris 1907) Nr. 13453. Da die Handschrift frühestens nach dem Ende der Reise (Ende 1514/ Anfang 1515, s. u.) angelegt worden sein kann, deutet der Wasserzeichenbefund auf eine zeitnahe Niederschrift bald nach der Rückkehr hin. Abb. 1: Reisebericht des Hans von Sternberg (Forschungsbibliothek Gotha, Chart. B 1693, fol. 1 v ). Foto: Forschungsbibliothek Gotha. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 221 Bei dem in einer zügigen, nicht überall zweifelsfrei lesbaren Kanzleikursive geschriebenen Codex unicus unseres Berichts handelt es sich bemerkenswerterweise um ein Autograph, eine eigenhändige Niederschrift des Verfassers.Dies ergibt sich aus einem Schriftvergleich mit einem erhaltenen Brief Sternbergs an den Hildburghausener Pfarrer Johannes Weybringer vom 24. Oktober 1530 3 . Auf den autographen Charakter der Handschrift weisen auch mehrere falsch eingetragene Tagesdaten hin, die z. T. von der Schreiberhand verbessert wurden 4 . Dies lässt darauf schließen, dass der Text zunächst aus der Erinnerung oder auf der Basis stichwortartiger Notizen ohne genaue Tagesdatierungen, jedoch mit sehr genauen geographischen Daten (s. u. zu den Entfernungsangaben) niedergeschrieben und in einem zweiten Arbeitsgang, möglicherweise anhand eines Kalenders, korrigiert wurde. Jedenfalls handelt es sich bei der Handschrift nach dem Gesamteindruck um eine Arbeitsfassung bzw. ein Konzept, keinesfalls um eine Reinschrift. Der Verfasser Hans von Sternberg war Herr von Schloss Callenberg bei Coburg, damals zum ernestinisch-sächsischen Gebiet gehörend, und nahm während der Reformation in Sachsen als Pfleger der Veste Coburg wichtige Funktionen in kurfürstlichen Diensten wahr, u. a. als Mitglied der ersten Visitationskommission von 1528/ 1529 5 . In einer weiteren Handschrift der Forschungsbibliothek Gotha sind mehrere Briefe an Sternberg aus dem Zeitraum 1521-1530 erhalten, u. a. von Luther und Georg Spalatin, welcher ihm im Oktober 1522 ein Exemplar von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments sandte 6 ; bereits am 21. Mai 1520 3 Überliefert in der unter Anm. 6 genannten Gothaer Handschrift Gym. 5, fol. 17 r . Zu autograph überlieferten deutschen Texten des Mittelalters und der Renaissance Volker H ONEMANN / Gunhild R OTH , Mittelalterliche Autographen und Textgenese. Am Beispiel von Peter Eschenloers Geschichte der Stadt Breslau, in: Deutsche Texte des Mittelalters zwischen Handschriftennähe und Rekonstruktion. Berliner Fachtagung 1.-3. April 2004, hg. von Martin J. S CHUBERT (Beihefte zu editio 23, Tübingen 2005) S. 217-236, bes. S. 217-226; Volker H ONEMANN , Autographische Überlieferung mittelalterlicher deutscher Literatur, in: Scrinium Berolinense. Tilo Brandis zum 65. Geburtstag 2, hg. von Peter Jörg B ECKER / Eva B LIEMBACH / Holger N ICKEL / Renate S CHIPKE / Giuliano S TACCIOLI (Berlin 2000) S. 821-827. 4 Vgl. Edition in Abschnitt III.1, Buchstabenfußnoten n, o, p, aa. 5 Emil S EHLING , Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts 1,1 (Leipzig 1902) S. 47; Georg B ERBIG , Die erste kursächsische Visitation im Ortsland Franken, Archiv für Reformationsgeschichte 3 (1905/ 1906) S. 336-402, hier S. 348- 351; Albert G REINER , Die Einführung der Reformation in der Pflege Coburg 1520- 1555 2 (Coburg 1938) S. 13, 38 u. ö. (beide mit der unzutreffenden Angabe, Sternberg habe bereits 1493 Kurfürst Friedrich den Weisen ins Heilige Land begleitet). 6 Georg B ERBIG , Luther-Urkunden aus Coburg und Gotha, Zeitschrift für Kirchengeschichte 21 (1901) S. 139-148, hier S. 141-145. Die Handschrift trägt die Signatur Gym. 5, vgl. Rudolf E HWALD , Die Handschriften und Inkunabeln der Herzogl. 222 Falk Eisermann und Folker Reichert hatte Spalatin seine deutsche Übersetzung einer lateinischen Predigt Luthers (‚Von czweyerley Gerechtickeyt‘) mit einer Widmung an Sternberg publiziert 7 . Sternberg kannte den Reformator auch persönlich, denn gemeinsam mit dem Burghauptmann Hans von Berlepsch nahm er Luther am späten Abend des 4. Mai 1521 auf der Wartburg in Empfang 8 , wo dieser bekanntlich - getarnt als „Junker Jörg“ - für die nächsten zehn Monate versteckt wurde. Im Jahr 1530 widmete Luther Sternberg eine Psalm-Auslegung, worauf noch zurückzukommen sein wird. In den frühen 1530er Jahren nahm Sternberg noch an der Sequestration der Klöster im Coburger Land teil, an der zweiten Visitation im Jahr 1535 war er indes nicht mehr beteiligt 9 . Er dürfte mithin zwischen 1532 und 1535 gestorben sein. Wann und wie die Handschrift des Reiseberichts nach Gotha gekommen ist und wo sie zuvor aufbewahrt wurde, lässt sich nicht mehr ermitteln. Möglicherweise wurde sie von dem Theologen Ernst Salomon Cyprian 10 , seit 1701 Leiter des Collegium Casimirianum in Coburg und später Direktor der damaligen herzoglichen Bibliothek zu Gotha, aus Coburg an seine neue Wirkungsstätte mitgebracht. Erst seit etwa 1850 ist die Handschrift indes sicher in der herzoglichen Bibliothek nachweisbar. Bereits 1920/ 1921 publizierte der Gothaer Bibliotheksdirektor Rudolf E HWALD den Text des Reiseberichts in den ‚Mitteilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung‘ 11 . Diesem etwas entlegenen Publikationsort ist es wohl geschuldet, dass Gymnasialbibliothek zu Gotha, Programm Nr. 700 des Herzoglichen Gymnasium Ernestinum zu Gotha [...] (Gotha 1893) S. 3-20, hier S. 6, Nr. 4; Kurzbeschreibung auch in der Handschriften- und Autographendatenbank der Forschungsbibliothek Gotha: www.flb-gotha.de/ cgi-bin/ hans/ hans.pl. 7 Irmgard H ÖSS , Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation (Weimar 1989) S. 443; Hans V OLZ , Bibliographie der im 16. Jahrhundert erschienenen Schriften Georg Spalatins, Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 5 (1958) S. 83-119, hier S. 93, Nr. 8. 8 Heinrich B OEHMER , Der junge Luther (Leipzig 4 1951) S. 348; Otto B ÖCHER , Martin Luther und Hans von Berlepsch, Genealogisches Jahrbuch 33/ 34 (1993/ 1994) S. 113- 133. 9 S EHLING , Kirchenordnungen (wie Anm. 5) S. 54; B ERBIG , Die erste kursächsische Visitation (wie Anm. 5) S. 350f. 10 Ernst Salomon Cyprian (1673-1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung. Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha Schloss Friedenstein, hg. von Ernst K OCH / Johannes W ALLMANN (Gotha 1996) S. 59-70. 11 Rudolf E HWALD , Zwei Reiseberichte von Männern der Reformationszeit, Mitteilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung (1920/ 1921) S. 1-20, hier S. 1-9. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 223 Sternbergs Reisebericht bislang in der Pilgerforschung kaum beachtet wurde 12 . Kommen wir zum Text selbst 13 . Die Gothaer Handschrift trägt gewissermaßen als Titel von der Hand des Verfassers quer geschrieben den Vermerk: Verzeichnus vffs kurczt vonn Hanssen von Sternbergs fart erstlich zu dem heyligen himmelfürsten sandt Jacob gein Compastell vnd furter gein Jherusalem zum helgen grab (fol. 1 r ). Dieser Eintrag weist auf zwei Besonderheiten unseres Textes hin: Zum einen handelt es sich um den Bericht einer Reise, die sowohl nach Santiago als auch nach Jerusalem führte; zum anderen ist der Hinweis vffs kurczt durchaus wörtlich zu verstehen, denn Sternbergs Mitteilungen sind überaus knapp - daher lässt sich die lange Reise auf nur 16 (bzw. 18) kleinformatigen Blättern abhandeln. Die Reiseroute führt zunächst über Würzburg, wo ein Mitglied der bekannten fränkischen Adelsfamilie Hutten zu der Gruppe stößt, nach Worms, wo sich der Jurist Sebastian von Rotenhan anschließt. Auf der nächsten Station, in Koblenz, kommt Bernhardinus Phott hinzu, ein Kanoniker des dortigen Stifts St. Florin. In Mecheln bricht sich Georg von Hutten ein Bein und wird durch den Kraichgauer Ritter Philipp Jakob von Helmstatt ersetzt. Die Gesellschaft, zu der außerdem auch Sternbergs Bruder gehörte, lässt sich somit als relativ kleine Gruppe gebildeter Adeliger und Geistlicher charakterisieren. Den weiteren Verlauf bis zur endgültigen Abreise schildert Sternberg summarisch, wobei unter anderem mitgeteilt wird, dass man die Wartezeit zu einem Abstecher nach Canterbury genutzt hat: Vnd hab von der reys ... auch die fart in Engellandt, nach dem ich nit weyter dan zu sandt Thomas zu Candelburg gewest, nit sundr meldung thun wollen (fol. 2 r ). Des Weiteren hält man sich in Flandern und Brabant auf, bevor der Hafen Vlissingen an der Scheldemündung erreicht wird. Von dort bricht die Gesellschaft am 26. Mai 1514 in einem Konvoi von zehn Schiffen auf, nit mit geringer sorg vor den Francossn, wie Sternberg notiert (fol. 3 r ). Statt der Franzosen kommen indes die Engländer: Schon am nächsten Tag werden die Pilger zwischen Calais und Dover von einer 12 Der Bericht wird erwähnt bei Folker R EICHERT , Erfahrung der Welt. Reise und Kulturbegegnung im späten Mittelalter (Stuttgart/ Berlin/ Köln 2001) S. 98-100. Er fehlt in: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie 1: Deutsche Reiseberichte, hg. von Werner P ARAVICINI , bearb. von Christian H ALM (Kieler Werkstücke D5, Frankfurt a. M./ Berlin/ Bern/ Brüssel/ New York/ Oxford/ Wien 2 2001), vgl. die Rezension von Folker R EICHERT , Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 62 (2003) S. 476f. 13 Genauere Nachweise zu Einzelheiten des hier im Überblick referierten Reiseverlaufs finden sich in der kommentierten Edition in Abschnitt III.1. 224 Falk Eisermann und Folker Reichert Armada englischer Kriegsschiffe gestoppt. Sternbergs Schiff wird nur inspiziert, die anderen aber, die offenbar unter spanischer Flagge segeln, müssen Teile ihrer Artillerie an die Engländer abgeben. Dennoch erreichen die Pilger am 11. Juni den Hafen von La Coruña. Hier folgt eine der vielen Entfernungsangaben, die Sternberg trotz der Kürze in den Bericht eingestreut hat: Vnd ist von Flissingen bis in berurte stat neunhundert funffvndsybenczig welsch, zweyhundert vnd virvndvirzig teutsch meyllen (fol. 4 r ). Am nächsten Tag reitet er nach Santiago de Compostela. Er bleibt nur zwei Tage, um, wie es lakonisch heißt, das heylthum, des nit wenig da, zu besehn (ebd.), zu beichten und das Abendmahl zu empfangen. Ansonsten wird der Aufenthalt recht knapp gewürdigt, nur das neu errichtete Hospital Real wird etwas ausführlicher beschrieben. Das Fazit lautet: Compostela sei nicht sehr bemerkenswert, aber das vom König neu errichtete Spital suche seinesgleichen in der Christenheit, Menschen jeder Herkunft seien dort anzutreffen, auch zwei Ärzte, die sich ausschließlich um das Spital kümmern, und überdies habe man dort eine außergewöhnliche Apotheke. Kurz und gut: Was kostliche bew! (fol. 4 v ) Die nächste Etappe ist der Hof des portugiesischen Königs Manuel I. in Lissabon, wo die Gruppe am 23. Juni ankommt. Dieser Besuch wird detaillierter geschildert als der Kurzaufenthalt in Santiago. So wird berichtet, wie der König allein bei Tisch sitzt, während man ihn mit manigerley seyten spillen hoffiret (fol. 5 v ); Sternberg und sein Bruder erhalten als fremde vnd bilgram (ebd.) einen Platz in der ersten Reihe, um das einsame Mahl des Herrschers zu beobachten. Am nächsten Tag wird eine Corrida veranstaltet, auch hier wird den Pilgern ein prominenter Aussichtsplatz zugewiesen: lis der konig zwollff ochssen lauffen, vns ein stant, das wir solchen dryvmpff, auch alles, das da mit gevbt, woll sehn konten, verordnen (ebd.). Die Bedeutung des Hofs wird durch den Hinweis unterstrichen, dass selbst der sagenhafte Priesterkönig Johannes dort eine Gesandtschaft unterhalte; das Zeughaus und die Gewürzlager, die man den Pilgern öffnet, zeugten ebenfalls vom Reichtum des Herrschers. Der Umfang der gelagerten Spezereien wird im ortsüblichen Maß quintall (58,75 kg), ihr Wert in portugiesischen Cruzados angegeben. Bemerkenswert erscheint Sternberg ferner, dass vierzehn Tage zuvor einige Schiffe aus Indien eingetroffen waren, und schließlich wird noch auf die besonderen Rechtsbräuche und Gewohnheiten dieses Landes hingewiesen. Ende Juni macht man sich auf den langen Weg quer durch das Mittelmeer. Über Cádiz und die Straße von Gibraltar wird Alicante am 16. Juli, Ibiza eine Woche später erreicht; am 28. treffen die Pilger in Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 225 Mallorca ein. Besondere Ereignisse sind nicht zu vermelden, sieht man von einem gefährlichen Navigationsfehler bei der Einfahrt nach Ibiza ab: Vnd des orts Witza ein gros vbrsehn von vnserm piloten het vns gar gnaw an ein fels gefurt vnd, wo durch verhutung des almechtigen nit gewendt, villeicht alle ertrenckt (fol. 7 v -8 r ). Gut gefallen hat es Sternberg in Palma de Mallorca: Ein schon stat, ein hubsch woll erbawen sumrhaus am mer ligenden, mit sundrn lustigen gerten, springenden brunen, zu oberst vff das haus treybende. In disser stat hab ich auch die hubschten frawenn gemeinlich gesehn, machen auch in solchr insell guth kes, sindt rephunr, hirse, wilbret vnd hassen vmb gleich gelt woll zu bekumen (fol. 8 r-v ). Von den Balearen geht es über Messina nach Rhodos, die Ankunft dort ist am 31. August. Nach kurzem Aufenthalt erfolgt am 4. September die Abreise ins Heilige Land. Obwohl Jaffa bereits fünf Tage später erreicht wird, darf die Gruppe erst nach weiteren fünf Tagen an Land gehen und muss die üblichen Einreiseprozeduren über sich ergehen lassen. So werden die Pilger in ein gewelb (fol. 10 r ) geführt, den so genannten St. Peters-Keller am Strand bei Jaffa, wo sie ihren und den Namen ihres Vaters angeben und die Nacht, wie Sternberg missbilligend bemerkt, auf dem nicht sehr sauberen Fußboden verbringen müssen. Am nächsten Tag setzen sie die Reise auf Eseln fort, die ihr Dolmetscher in der Zwischenzeit besorgt hat. Man reitet über Lydda, Begräbnisstätte des heiligen Georg, zu einem Ort, den man für Emmaus hält, welch stetlein aus dem Ewangelia woll bekandt (fol. 11 v ), und kommt am 16. September in Jerusalem an. Die Esel müssen vor den Toren zurückgelassen werden, da es keinem Pilger gestattet sei, in die Stadt einzureiten. Nach einem Gebet vor der Grabeskirche bezieht man Herberge beim griechischen Patriarchat, einer der besseren Unterkünfte in Jerusalem. Wie in Mallorca hebt Sternberg auch hier die Qualität der Speisen hervor: hab auch feyster heml nit gesehen dan alda, auch kein bessrn wein nit gedruncken (fol. 12 r ). Die Mahlzeiten werden von den so genannten ‚Gürtelchristen‘ zubereitet, den christiani de cinctura, die in islamischen Ländern zum Zeichen der Unterwerfung einen Gürtel tragen mussten. Hier erfolgt der erste Hinweis auf eine Quelle seines Wissens, die Sternberg nicht nur bei sich trug, sondern geradezu als autoritativen Jerusalem-Reiseführer verwendete: Er bemerkt, dass er von seiner Unterkunft aus in den Heiliggrabbezirk hineinsehen und dabei die prister allerley sect beobachten konnte, wie die von Preytenbach nach der leng angezeigt (fol. 12 v ). Er führte also das erstmals 1486 erschienene, berühmte Werk des Mainzer Klerikers Bernhard von Breydenbach mit 226 Falk Eisermann und Folker Reichert sich, der dreißig Jahre vor Hans von Sternberg das Heilige Land besucht und einen reich illustrierten, in lateinischen und deutschen Drucken weit verbreiteten Reisebericht verfasst hatte. Zur Herkunft seines Exemplars bemerkt Sternberg: dan ich het den selben sein truck bey mir vff dem schyff, von einem teutschen mallern zu Rodis gelihen (fol. 13 v ). Am nächsten Tag wird im Franziskanerkonvent auf dem Berg Sion die Messe gehört. Anschließend unterrichtet der Guardian Francesco Suriano, der die Gruppe bereits in Jaffa abgeholt hatte, die Pilger in italienischer Sprache über das korrekte Verhalten an den heiligen Stätten, wobei ein deutscher Minorit als Übersetzer fungiert. Am 18. September besucht man weitere heilige Orte, unter anderem die Grabeskirche, wo die Franziskaner mit den Pilgern eine Prozession veranstalten. Auch hier verweist Sternberg auf Breydenbach nicht nur mehrfach als Referenz, sondern versucht geradezu, die Angaben seiner Fremdenführer mittels seiner Quelle zu verifizieren. So vergleicht er die Grabeskirche und die dort zu erwerbenden Ablässe genau mit Breydenbachs Angaben: wie die auch von Breytenbach angezeygt heißt es zum Beispiel, und weiter: was gnad vnd aplas wir verdinten ... auch gancz mit Preytenbach vergleichenden (fol. 14 r ). Unter Berufung auf Breydenbach zollt Sternberg auch den verschiedenen in der Grabeskirche ansässigen geistlichen Gemeinschaften seinen Respekt. Die letzte rekonstruierbare Etappe führt am 22. September nach Bethlehem. Sternberg notiert, der Guardian habe aus einem Buch alle wunderwerck durch vnsern erlossr, sein werde mutern vnd die liebn heyligen gewurckt, auch den aplas zu iczlichr stat gegeben, anzeyget (fol. 15 r ). Man besucht das im Lukasevangelium erwähnte Feld, auf dem die Hirten bei der Geburt Christi das ‚Gloria in excelsis‘ gesungen haben, sowie den Ort der Begegnung Marias mit ihrer Mutter. Nach einem Hinweis auf die reichen Weinberge zwischen Bethlehem und Jerusalem heißt es zur Geburtskirche: Ist zu Bethlahem vnd da vmb vill lustiger dan sunsten, so weyt ich gesehn in dem heyligen land, auch ser eyn schone kirchen, vor zeyten vberflussig gezyrt gewest (fol. 15 v ). Hier bricht der Text aufgrund des Blattverlustes in der Gothaer Handschrift ab, die Angaben zum weiteren Aufenthalt und zur Rückreise fehlen. Aus anderen Quellen wissen wir, dass zwei von Sternbergs Mitreisenden spätestens im Februar bzw. Mai 1515 wieder zu Hause waren 14 . 14 Bernhardinus Phott kehrte am 26. Mai 1515 nach Koblenz zurück (Reinhold R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande [Innsbruck 1900] S. 205). Zu Sebastian von Rotenhan, der am 23. Februar 1515 zusammen mit seinen Brüdern einen Hof verkaufte (Gottfried Freiherr von R OTENHAN , Die Rotenhan. Genealogie einer fränkischen Familie von 1229 bis zum Dreißigjährigen Krieg. Mit einer Ein- Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 227 Zweifellos fügt sich Sternberg in mancher Hinsicht in das übliche Schema adeliger Pilgerberichte des späten Mittelalters ein, er hebt sich aber auch durch gewisse Charakteristika markant aus der Masse heraus. Auffälligster Aspekt der Reise dürfte ihr Verlauf sein, denn die unmittelbare Verknüpfung von Santiago- und Heiligland-Wallfahrt ist absolut ungewöhnlich (Näheres hierzu s. Abschnitt II). Santiago wird indes nur kurz abgehandelt, dem portugiesischen Hof hingegen wendet Sternberg größere Aufmerksamkeit zu. Hauptziel war unverkennbar das Heilige Land, dem das letzte Drittel des Textes gewidmet ist. Hier fällt vor allem die kontinuierliche Bezugnahme auf das Werk des Bernhard von Breydenbach ins Auge. Wichtig erscheint auch, dass der Bericht trotz seiner Kürze viele kulturhistorische Beobachtungen enthält, zum Hofzeremoniell etwa, zu wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Aspekte des Gesehenen, und, unserem Autor besonders wichtig, zur Qualität der Speisen. Nicht allein die Schilderung der heiligen Stätten, sondern auch die Vermittlung kultureller Erfahrungen bei der Begegnung mit dem Fremden gehört demnach zu den darstellerischen Intentionen dieses Reiseberichts. Zuletzt ist nach der Verbreitung des Textes zu fragen. Zwar wissen wir nichts Konkretes über eine etwa geplante Veröffentlichung oder den angezielten Rezipientenkreis. Aufgrund einer Bemerkung am Anfang lässt sich aber vermuten, dass der Autor von einer gewissen Rezeption seines Textes ausging: Vnd hab von der reys den Reinstram ab bis gein Antorff, dweyl die selbigen stras vnd landt vill teutschn kundig ... nit sundr meldung thun wollen (fol. 2 r-v ). Ein prominenter Rezipient des Reiseberichts lässt sich indes namentlich benennen: Es handelt sich um keinen Geringeren als Martin Luther. Wie bereits angedeutet, widmete der Reformator seinem alten Bekannten Hans von Sternberg die zweite Auflage seiner Auslegung von Psalm 117, die 1530 in Wittenberg erschien 15 . Luther begründet in der Vorrede die Widmung an Sternberg folgendermaßen: Ich habs aber unter ewrem namen wollen ausbreiten, nicht allein daru e mb, das es bey etlichen, so alle kunst und lere verachten, deste mehr ansehens hette, Sondern das es auch ein zeugnis were, das noch etliche viel feiner leute unter dem Adel seien. (...) Jch wu e ndsche aber, das solch und der gleichen buchlin euch wol gefallen, und das ewr hertz eine besser, seliger walfart drinnen finde, denn die jhenige, so jr zu Jerusalem etwa gethan habt. Nicht, das ich solch wallen verachte, denn leitung von Isolde M AIERHÖFER [Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX 34, Neustadt/ Aisch 1985] S. 227), vgl. unten in Abschnitt II. 15 Text: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 31/ I (Weimar 1913) S. 219- 257. 228 Falk Eisermann und Folker Reichert ich mo e cht selbs solche reise gern thun, und nu ich nicht mehr kan, ho e re und lese ich doch gern davon, wie ich denn euch auch newlich mit lust so gern und vleissig zu ho e ret 16 . Sternberg hat mithin dem Reformator bei dessen Aufenthalt auf der Veste Coburg im Sommer 1530 von seiner Reise erzählt und wohl auch aus dem Reisebericht selbst vorgelesen, vielleicht anhand der jetzt in Gotha liegenden, von ihm selbst angefertigten Handschrift. II. Hans von Sternbergs Reisebericht in der Geschichte des Reisens im späten Mittelalter Hans von Sternbergs Reise nach Spanien und ins Heilige Land trägt typische und atypische Züge, wobei die typischen zweifellos überwiegen. Ganz üblich war es zum Beispiel, dass man eine solch weite und gefährliche Fahrt nicht allein unternahm. Davon wurde sogar ausdrücklich abgeraten, da es nicht nur schwer, sondern auch „verdrießlich“ sei, die Strapazen und Gefahren einer Heiliglandreise ohne die Hilfe anderer zu überstehen 17 . Daher schlossen sich Reisende, die zu fernen Zielen fuhren, in aller Regel zu einer Gruppe zusammen. Im Falle Hans von Sternbergs bestand sie aus mindestens sieben Personen: Hans von Sternberg und sein Bruder, Philipp Jakob von Helmstatt (der Georg von Hutten ersetzt hatte), Sebastian von Rotenhan, Bernhardinus Phott von Esslingen, Chorherr in Koblenz, und einige Knechte, von denen nur zwei - Christoph von Rosenau und Michel Kranz - namentlich genannt sind. Sie bestand also aus fünf Herren und deren Dienstpersonal. Genau dies galt als die richtige Größe einer solchen „Gesellschaft“. Sie sollte nicht zu klein, aber auch nicht zu groß sein; leicht könne sonst Unfrieden entstehen. Drei oder vier Pilger, das Personal nicht gerechnet: das sei genau das richtige Maß, heißt es wenig später an anderer Stelle 18 . Eine Gesellschaft dieser Größe gab Sicherheit, Hilfe und ein soziales 16 Ebd. S. 225f. 17 Folker R EICHERT , Die Reise des Pfalzgrafen Ottheinrich zum Heiligen Land 1521 (Regensburg 2005) S. 128: ... mage ein jeder by im selbs betrachten, das es eim schwer unnd fast verdrußlich ist, sich uff einer solchen weytten farth also enig one alle geselschafftt zu enthalthenn. 18 Ebd. S. 122: Und ist nymmer beßer dan drey oder fier auff höhst zu einer geselschafftt, die mogen ein gutt stanzen uberkommen und mag inen ein knecht gnungsamen wartunge thun, ... und was uber fier in einer geselschafftt sein, kan oder mage inen kein knecht nit gnungck thun, sonderlich so einer under inen kranck wurde. ... Auch ist gar selczam, das sich uber vier in einer stanczen oder geselschaftt aller dinge fridlich wol vertragen mogen. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 229 Umfeld für vorübergehende Zeit. Gegebenenfalls schloss man sich mit anderen Gesellschaften zu größeren Reisegruppen zusammen, was sich vor allem für die Wallfahrt zum Heiligen Land empfahl 19 . Auch die Umstände der Reise waren die gleichen wie für zahlreiche andere Pilger zuvor. Während man nach Santiago auf eigene Faust reiten konnte und in Lissabon, Mallorca oder Messina auf eher zufällige Informationen vertrauen musste, durften die Pilger im Heiligen Land eine „touristische“ Infrastruktur in Anspruch nehmen, die sich seit 1335 im Zusammenspiel von venezianischen Reedern, mamlukischen Behörden und den Franziskanern vom Berge Sion ausgebildet und schon vielfach bewährt hatte 20 . Erwähnt werden muslimische Geleitsleute, die den sicheren Transport von Jaffa nach Jerusalem garantierten, ein Dolmetscher (truczelman), der den Kontakt zu einheimischen Eseltreibern herstellte, ein deutscher Minderbruder, der als Übersetzer und wohl auch örtlicher Führer fungierte, sowie der Guardian der Franziskaner, der den Gästen erklärte, wie sie sich an den heiligen Stätten und den Muslimen gegenüber zu verhalten hätten 21 . Er war ein bedeutender Mann, der schon lange in Jerusalem lebte und der ein Buch über das Heilige Land, seine Geographie, Bewohner und die religiöse Topographie, verfasst hatte. Offenbar hat es auch Hans von Sternberg zu sehen bekommen 22 . Blieben dann noch Fragen offen, wurden sie durch Bernhard von Breydenbach beantwortet, von dessen vielfach gedrucktem Pilgerbericht Hans von Sternberg ein Exemplar in Rhodos ausgeliehen hatte. Dass die gedruckten Berichte früherer Pilger nach Jerusalem mitgenommen und dort konsultiert wurden, ist auch anderweitig belegt 23 . Mochte die Reise noch so perfekt organisiert sein, so verbanden sich doch immer Bedrängnisse und Gefahren mit ihr. Generationen von Pilgern konnten davon berichten. Schon zwischen Calais und Dover geriet Hans von Sternbergs Schiff zwischen die Fronten der Krieg führenden Mächte (England und Spanien, die zur Heiligen Liga gehörten, gegen 19 Vgl. ebd. S. 26. 20 Vgl. dazu Aryeh G RABOÏS , Le pèlerin occidental en Terre sainte au Moyen Âge (Brüssel 1998); R EICHERT , Erfahrung der Welt (wie Anm. 12) S. 137ff.; D ERS ., Die Reise des Pfalzgrafen Ottheinrich (wie Anm. 17) S. 8ff.; Nicole C HAREYRON , Pilgrims to Jerusalem in the Middle Ages (New York 2005). 21 Vgl. unten die Edition in Abschnitt III.1, fol. 10 v , 12 v -13 r . 22 Fra Francesco Suriano, Treatise on the Holy Land, translated from the Italian by Theophilus B ELLORINI / Bellarmino B AGATTI (Publications of the Studium Biblicum Franciscanum 8, Jerusalem 1949). Vgl. die Edition in Abschnitt III.1, fol. 15 r . 23 Randall H ERZ , Würzburger Reiseberichte des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts, in: Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters, hg. von Horst B RUNNER (Wiesbaden 2004) S. 431-455, hier S. 445. 230 Falk Eisermann und Folker Reichert Frankreich), und bei Ibiza hätte man beinahe Schiffbruch erlitten 24 . Erst recht im Heiligen Land, also außerhalb des europäischen Kulturkreises, musste man täglich mit Unannehmlichkeiten und Schlimmerem rechnen. Die Registrierung mit dem eigenen und des Vaters Namen empfanden alle Pilger als unwürdig, und unwürdig fanden sie es auch, am Strand bei Jaffa in ein ruinöses Gewölbe gezählt zu werden, das von früheren Besuchern wahlweise als eselsstall, ein stinckend Loch oder ein alt wüst Gewölbe bezeichnet worden war 25 . Normalerweise wurden die Pilger gewarnt, sich mit den Muslimen zu streiten, und vielmehr ermahnt, christliche patientia zu beweisen. Doch dass auch das nicht viel half, mussten Sternberg und seine Gefährten erleben, als der Guardian der Franziskaner und der Patron ihres Schiffs von einem muslimischen Amtsträger aus nichtigem Anlass mit eisernem Kolben malträtiert wurden. Szenen wie diese gehörten beinahe zum Alltag der Wallfahrten nach Palästina 26 . Schließlich unterschieden sich auch die Motive, aus denen Hans von Sternberg die Wallfahrt unternahm, in nichts von denen anderer Fernpilger im späten Mittelalter. Geistliches wirkte dabei mit Weltlichem zusammen. Hans von Sternberg hat wie andere Pilger in Santiago Heiltum gesehen, gebeichtet und das Sakrament der Eucharistie empfangen 27 . Im Heiligen Land hat er durch das Gebet an den heiligen Stätten Ablass in unendlicher Menge erworben. Auch (mindestens) eine Messe am Heiligen Grab gehörte zu seinem Programm 28 . Weltliche Sensationen waren an den heiligen Orten und bei den Zwischenstationen in großer Menge zu sehen. Dazu zählten etwa der Hof Manuels I. in Lissabon mit einem allein speisenden König, eine Corrida in den Straßen der Stadt, Schiffe, die aus Calicut kamen, schöne Frauen auf Mallorca, die fruchtbare Landschaft bei Bethlehem und anderes mehr 29 . Neugier und 24 Edition in Abschnitt III.1, fol. 3 r-v , 7 v -8 r . 25 Hans von Mergenthal, Des Durchlauchtigen Hochgebornen Fürsten unnd herrn, herrn Albrecht, Hertzogen zu Sachsen, Landgraffen in Düringen, Marggraffen zu Meyssen Reiß nach dem H. Landt unndt Jerusalem (Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. B 415) fol. 16 v ; Die Reise des Grafen Johann Ludwig von Nassau-Saarbrücken nach dem heiligen Lande in den Jahren 1495 und 1496, mitgeteilt von A[lbert] R UPPERSBERG , Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saargegend 9 (1909) S. 37-140, hier S. 86; Georg Spalatin, Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte, hg. von Christian Gotthold N EUDECKER / Ludwig P RELLER (Jena 1851) S. 83. 26 Edition in Abschnitt III.1, fol. 10 v . Vgl. Folker R EICHERT , Pilger und Muslime im Heiligen Land. Formen des Kulturkonflikts im späten Mittelalter, in: Kritik und Geschichte der Intoleranz, hg. von Rolf K LOEPFER / Burckhard D ÜCKER (Heidelberg 2000) S. 3-21. 27 Edition in Abschnitt III.1, fol. 4 r . 28 Ebd. fol. 14 r . 29 Ebd. fol. 5 r -6 v , 8 v , 15 v . Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 231 Abenteuerlust schwangen immer mit, wenn adelige Herren die fernen Wallfahrtsziele aufsuchten, und spielten offensichtlich auch für Hans von Sternberg eine Rolle. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er wie viele andere Adelige vor ihm den Ritterschlag am Heiligen Grab empfangen und die zeremonielle Verbindung von weltlicher Ehre und christlicher Demut als den Höhepunkt seiner Wallfahrt empfunden 30 . In fast jeder Hinsicht entsprach Sternbergs Reise dem üblichen Standard. Atypisch jedoch und geradezu spektakulär war die Route, auf die er sich einließ (Abb. 2). Für den Weg nach Santiago wählte er eine Kombination aus Land- und Seeweg und schiffte sich in Flandern für Galicien (La Coruña) ein, wie es seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts möglich geworden war und zu Ende des 15. Jahrhunderts von nicht wenigen Pilgern, zumal 30 Vgl. dazu Valmar C RAMER , Der Ritterorden vom Hl. Grabe von den Kreuzzügen bis zur Gegenwart. Ein geschichtlicher Abriß (Palästinahefte des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande 46-48, Köln 1952); D ERS ., Der Ritterschlag am Heiligen Grabe. Zur Entstehung und Frühgeschichte des Ritterordens vom Heiligen Grabe, in: Das Heilige Land in Vergangenheit und Gegenwart 2, hg. von D EMS ./ Gustav M EINERTZ (Köln 1940) S. 137-199; Louis C ARLEN , Der Ritterschlag am Heiligen Grab zu Jerusalem, Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 6 (1984) S. 5-26; Folker R EICHERT , Ehre durch Demut. Wallfahrten des Adels im späten Mittelalter, in: Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, hg. von Horst C ARL / Sönke L ORENZ (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 53, Ostfildern 2005) S. 165-183. Abb. 2: Die Reiseroute des Hans von Sternberg. 232 Falk Eisermann und Folker Reichert aus den Hansestädten, praktiziert wurde 31 . Die Heimreise dürfte über Italien geführt haben und hatte ebenfalls nichts Ungewöhnliches an sich. Die Seefahrt quer durchs Mittelmeer jedoch, mit dem Besuch beider großer Wallfahrtsstätten Santiago und Jerusalem in einem Zuge, vorbereitet durch das Gebet am Thomasgrab in Canterbury 32 , vielleicht komplettiert durch Aufenthalte in Rom und Loreto 33 , war ganz und gar untypisch und hatte - soweit wir wissen - weder Vorgänger noch Nachfolger. Normalerweise wurden dazu mehrere Reisen nacheinander benötigt, Santiago und Jerusalem bei verschiedenen Wallfahrten besucht 34 . Wenn es doch einmal in einem Zuge geschah, dann entstand entweder kein Bericht darüber 35 oder dem Text ist nicht zu trauen. So will der „rheinische Lebemann“ 36 Arnold von Harff nicht nur Santiago, Rom und Jerusalem, sondern auch das Grab des hl. Thomas in Indien aufgesucht haben. Da aber der indische und afrikanische Teil seines Werkes längst als fingiert erkannt worden sind, muss man auch mit dem Rest vorsichtig umgehen. Schon die Chronologie seiner Fahrten stellt ein Problem dar 37 . Immerhin kann der Fall zeigen, dass mancher Edelmann eine solche Reise gerne vollbracht hätte; denn viel Heiltum gab es zu sehen, Ehre und Ruhm zu erwerben. Aber nachweislich und zweifelsfrei 31 Marie-Luise F AVREAU -L ILIE , Von Nord- und Ostsee ans „Ende der Welt“: Jakobspilger aus dem Hanseraum, Hansische Geschichtsblätter 117 (1999) S. 93-130, hier S. 105ff. 32 Edition in Abschnitt III.1, fol. 2 v . 33 Vgl. R ÖHRICHT , Deutsche Pilgerreisen (wie Anm. 14) S. 205 über Sternbergs Reisegefährten Bernhardin Phott. 34 Vgl. etwa Werner P ARAVICINI , Seigneur par l’itinérance? Le cas du patricien bernois Conrad de Scharnachtal, in: L’itinérance des seigneurs (XIV e -XVI e siècles), hg. von Agostino P ARAVICINI B AGLIANI / Eva P IBIRI / Denis R EYNARD (Cahiers Lausannois d’histoire médiévales 34, Lausanne 2003) S. 27-71; Urs Martin Z AHND , Von der Heiliglandfahrt zur Hofreise. Formen und Funktionen adeliger und patrizischer Bildungsreisen im spätmittelalterlichen Bern, in: Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Rainer B ABEL / Werner P ARAVICINI (Beihefte der Francia 60, Ostfildern 2005) S. 73-88; Denise P ÉRICARD - M ÉA , La noblesse en pèlerinage à Compostelle (XIV e -XV e siècles) in: Ebd. S. 275-289, hier S. 283, 289. 35 So bei der Rundreise eines litauischen Edelmannes (Werner P ARAVICINI , „Alexander Soltan ex Lithuania, ritum Grecorum sectans“. Eine ruthenisch-polnische Reise zu den Höfen Europas und zum Heiligen Land 1467-1469, in: Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag, hg. von Eckhard H ÜBNER / Ekkehard K LUG / Jan K USBER [Stuttgart 1998] S. 367-401). 36 Klaus H ERBERS / Robert P LÖTZ , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“ (München 1996) S. 210. 37 Vgl. P ARAVICINI , Europäische Reiseberichte 1 (wie Anm. 12) S. 273ff. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 233 ausgeführt hat sie keiner, allein Sternberg und seine Begleiter. Insofern war sie tatsächlich spektakulär und eines mündlichen wie schriftlichen Berichtes würdig. Genau diesen Eindruck muss sie schon seinerzeit erweckt haben. Sternberg selbst war sich seiner Leistung bewusst und erzählte seinem prominenten Gast Martin Luther auf der Veste Coburg davon. Luther seinerseits konnte sich noch Monate später daran erinnern, wie er mit lust so gern und vleissig zugehört habe 38 . Doch viel mehr Aufhebens von seinen Erlebnissen machte ein anderer: der fränkische Adelige Sebastian von Rotenhan, Doktor beider Rechte, der sich Sternbergs Reisegruppe in Worms angeschlossen hatte. Zu Unrecht hat Sebastian von Rotenhan in der Geschichte des Reisens und der Wallfahrten noch gar keine Rolle gespielt, umso mehr in der Geschichte von Wissenschaft und Bildung. Er hatte erfolgreich in Erfurt, Ingolstadt, Bologna und Siena studiert, war kaiserlicher Rat am Reichskammergericht in Speyer, bischöflichwürzburgischer Oberhofmeister, Eques auratus und zählt zu den frühen Humanisten in Deutschland. Auf ihn gehen die erste Landkarte Frankens sowie die Editio princeps der Chronik des karolingischen Geschichtsschreibers Regino von Prüm zurück 39 . 38 Luthers Werke 31 (wie Anm. 15) S. 226. 39 Walther M. B ROD , Frankens älteste Landkarte - ein Werk Sebastians von Rotenhan, Mainfränkisches Jahrbuch 11 (1959) S. 121-142; D ERS ., Studiengang und Promotion des Ritters Sebastian von Rotenhan, Mainfränkisches Jahrbuch 22 (1970) S. 155- 170; D ERS ., Sebastian von Rotenhan, the Founder of Franconian Cartography and a Contemporary of Nicholas Copernicus, Imago Mundi 27 (1975) S. 9-12; Isolde M AIERHÖFER , Sebastian von Rotenhan, in: Fränkische Lebensbilder NF 1, hg. von Gerhard P FEIFFER (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VII A 1, Neustadt/ Aisch 1967) S. 113-140; Die Erstausgabe der Chronik Reginos von Prüm und ihrer Fortsetzung von Sebastian von Rotenhan, Mainz 1521. Faksimilia aus dem Originaldruck, Übersetzung der lateinischen Texte, hg. von Eyring Freiherr von R OTENHAN (Eyrichshof 1999). Zur Familie vgl. Julius I. Freiherr von R OTENHAN , Geschichte der Familie Rotenhan älterer Linie 1 (1865); Gottfried Freiherr von R OTENHAN , Die Rotenhan (wie Anm. 14). Die Zuschreibung eines ‚Hodoeporicon itineris Constantinopolitani‘ (Wittenberg: Creutzer, 1544; Verzeichnis der im deutschen Sprachgebiet erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts - VD 16, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek München in Verbindung mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1,17 [Stuttgart 1991] Nr. R 3403) an Sebastian von Rotenhan (latinisiert Rubigallus) (so M AIERHÖFER , Sebastian von Rotenhan [wie in dieser Anm.] S. 117; Erstausgabe der Chronik Reginos [wie in dieser Anm.] S. 138) beruht allerdings auf einer Verwechslung mit dem slowakischen Humanisten Pavel Rubigal (vgl. Eva T KÁC ˇ IKOVÁ , Pavel Rubigal und die Anfänge der slowakischen Reisebeschreibung, in: Die Bedeutung der humanistischen Topographien und Reisebeschreibungen in der Kultur der böhmischen Länder bis zur Zeit Balbíns, hg. von Hans-Bernd H ARDER / Hans R OTHE [Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern 3 = Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 17, Köln/ Weimar/ Wien 1993] S. 199-203). 234 Falk Eisermann und Folker Reichert Als Teilnehmer an Sternbergs Reise hat sich Sebastian von Rotenhan vor allem dadurch Verdienste erworben, dass er mehrfach schriftlich auf sie zurückkam und sie dadurch im eigenen wie in fremdem Bewusstsein wach hielt. Da Sternbergs Bericht in seiner überlieferten Gestalt mit der Rückkehr der Pilger von Bethlehem am 23. September 1514 abbricht, wüssten wir nichts über die Zeremonie des Ritterschlags, die in der übernächsten Nacht stattfand. Rotenhan hat den Ritterbrief, den er aus der Hand des Guardians Francesco Suriano zum Zeugnis seiner geistlichen Mühen und seines ritterlichen Rangs erhielt, sorgfältig aufbewahrt und kann so die Lücke füllen (Abb. 3). Nicht viele solcher Urkunden sind erhalten 40 , Rotenhan hat die seine noch dadurch geschmückt, dass er voller Stolz auf der Rückseite 40 Caspar von Mülinen 1506, vgl. Die Jerusalemfahrt des Caspar von Mülinen (1506), hg. von Reinhold R ÖHRICHT , Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereines 11 (1888) S. 184-196, hier S. 196; Humbert von Praroman 1515, vgl. C RAMER , Ritterschlag (wie Anm. 30) S. 181; Wilhelm von den Bongart 1515, vgl. Helmut L AHRKAMP , Mittelalterliche Jerusalemfahrten und Orientreisen westfälischer Pilger und Kreuz- Abb. 3: Ritterbrief für Sebastian von Rotenhan, 25. September 1514 (Staatsarchiv Bamberg, Archiv Rentweinsdorf, U V 41). Foto: Staatsarchiv Bamberg. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 235 aufschrieb: vrkundt, das ich zu ritter geschlagen bin zue Iherusalem im XIIII C jar 41 . Seitdem nannte er sich einen Iherosolimitanus eques. Auch sonst kam er gerne auf das Erlebnis seiner großen Reise zurück. So verfasste er eine schmale Sammlung geographischer Namen, der er - angeblich hilfreiche - Sprachproben in den Idiomen jener Länder beigab, die er bereist hatte. Devisen und Wendungen wie: Vanitas mundi, Ne quid nimis oder Nosce te ipsum gab er zu diesem Zweck nicht nur auf Italienisch, Französisch, Englisch oder Portugiesisch wieder, sondern auch auf Griechisch, wie es auf Kreta, und auf Syrisch, wie es bei Jerusalem gesprochen werde: Vanità del mondo, Cognois toy meyme, Not to muche, Voontade do mondo, Midhen agan, Chiuenti. Auch den eigenen Namen variierte er entsprechend: Bastiano dal rosso galo, Bastian des rouge kock, Bastian off rede cock, Bastiano da Ruyve galo, Sebastian apo cocchino petino, Bastian midi achmar dieck. Tschechische, dänische und schwedische Sprachproben ergänzten das Sample 42 . Kam damit schon ein Anspruch auf Erfahrungswissen und Weltläufigkeit zum Ausdruck, so noch deutlicher in einer Folge von Inschriften mit der Nennung seines Namens, seiner Titel und seiner Kenntnisse, die Sebastian von Rotenhan an verschiedenen Orten anbringen ließ. Auf einer von ihnen (im rechten Seitenschiff der Ritterkapelle zu Haßfurt am Main) heißt es wörtlich (Abb. 4): Sebastian v[on] Rotenhan, Ritter, baider rechten doc[tor], kay[serliche]r maies[tet] rath der vier sprachen kundig ist Vnd ob xij konigreich durchzoge[n] hat, seiner eltern vnd seiner sele[n] zu gut eine[n] Jartag hie gestifftet. Anno 1522 43 . ritter, Westfälische Zeitschrift 106 (1956) S. 269-346, hier S. 345, Anm. 309a. - Der Züricher Bürger Peter Füessli erhielt dagegen nur ein Pilgerattest (Peter Füesslis Jerusalemfahrt 1523 und Brief über den Fall von Rhodos 1522, hg. von Leza M. U FFER [Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 50,3, Zürich 1982] S. 71f., 73 [Photo]). 41 Vgl. unten Abschnitt III.2. 42 Prisci aliquot Germanie ac vicinorum populi nostro evi spacio haud prorsus noti per me Sebastianum de Rotenhan Franconicum etc. pro illustranda Germania tam ex impressis quam aliis triginta historicis fere tipis ereis nondum excussis passim comportati, ut exactius perquiri possint, pro studiosis subnectuntur, [Worms: ] Johannes de Erfordia (= Hans Werlich), [1521] (VD 16 [wie Anm. 39] Nr. R 3202). Vgl. Walther M. B ROD , Sebastians von Rotenhan Geographiebuch, Mainfränkisches Jahrbuch 12 (1960) S. 69-78; D ERS ., Opera geographica Sebastiani a Rotenhan, Berichte zur Deutschen Landeskunde 28,1 (1961) S. 95-122, hier S. 117ff. 43 Die Inschriften des Landkreises Haßberge, gesammelt und bearb. von Isolde M AIERHÖFER (Die Deutschen Inschriften 17, München 1979) S. 37, Nr. 105 mit Abb. 34. Vgl. außerdem ebd. S. 40, 54, 92f., Nrr. 112, 142, 227. 236 Falk Eisermann und Folker Reichert Versteht man unter den „Königreichen“ regna/ „Reiche“, kann man neun von ihnen entlang der Reiseroute von 1514 identifizieren: Deutschland, Burgund, England, Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, Syrien (Palästina), Türkei. Hinzu kommen drei Länder, die Sebastian von Rotenhan bei anderer Gelegenheit besucht haben mag, wie die Sprachproben in seinem ‚Geographiebüchlein‘ bezeugen: Dänemark, Schweden, Böhmen. Drei Viertel seiner Weltkenntnis beruhen auf seiner großen Reise, die ihn rund ums Mittelmeer geführt hat. Vor allem auf Grund dieser Erfahrung hat er den Ruf eines großen Reisenden für sich reklamiert. Kein Geringerer als Karl V. ließ ihm durch kaiserliches Privileg bestätigen, dass Sebastian von Rotenhan ein weit gereister Mann sei und dem Wissen der Kosmo- und Topographen „das bei weitem Sicherste, die Erfahrung“, hinzuzufügen verstehe 44 . Aus all dem ergibt sich als Fazit: Die Reise Hans von Sternbergs und seiner Begleiter nach Santiago und Jerusalem war ein Unternehmen, das in den Traditionen der adeligen Pilgerfahrt stand und deshalb zahlreiche Vorgänger hatte. Ungewöhnlich jedoch und geradezu spektakulär war die Route, die man wählte. Das schließliche Gelingen der Reise gab deshalb Anlass zu berechtigtem Stolz. Abb. 4: Gedenkstein des Sebastian von Rotenhan in der Ritterkapelle zu Haßfurt. Abbildung aus: Die Inschriften des Landkreises Haßberge, gesammelt und bearb. von Isolde M AIERHÖFER (Die Deutschen Inschriften 17, München 1979) Abb. 34. 44 Erstausgabe der Chronik Reginos (wie Anm. 39) S. 8-9: ... praeceptis e tabulis Cosmographiae & Topographiae relictis, ab illius artis authoribus, experientiam addas longe certissimam (Privileg vom 29. Mai 1521). Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 237 III. Editionsteil 1. Hans von Sternberg: Reise nach Santiago de Compostela und Jerusalem im Jahr 1514 45 (1 r ) Verzeichnus vffs kurczt vonn Hanssen von Sternbergs fart erstlich zu dem heyligen himmelfursten sandt Jacob gein Compastell 46 vnd furter gein Jherusalem zum helgen grab. a (1 v ) Anno domini thausent funffhundert vnd im virzehnden jar vff suntag den funfften Vebruari bin ich, Hans von Sternberg, sampt Cristoffel von Rossenaw vnd Michell Krancz zu Callenberg 47 ausgeriten in hoffnung, mit hylff des almechtigen gotes nachgebenannte b reys zu volbringen. Sindt furter zu Wurczburg zu Jorge von Huten 48 vnd zu Wurms zu her Sebastian vom Rotenhan 49 , der recht doctor, kume, vnd zu Coblencz kam ein korher daselbst, her Bernhart Pfot 50 gnant c , auch in vnser gesellschafft. Vnd als Jorge vom Huten das bein zu Mechel 51d entzwey vill, vnder redt sich Philips Jacoff vom Helmstat 52 , solche reys e zu thun myt vns. a Der ganze Eintrag quer geschrieben. b nachgebenannte ] sic. E HWALD , Zwei Reiseberichte (wie Anm. 11, im folgenden abgekürzt E): „nachbenannte“. c gnant ] über der Zeile nachgetragen. d Mechel ] danach ein Wort oder Wortanfang gestrichen. e reys ] danach zwei kurze Wörter gestrichen. 45 Absätze und Leerzeilen wie in der Handschrift, kursiv gesetzte Zwischenüberschriften und Folioangaben von uns eingeführt. Texteinrichtung: einheitliche Großschreibung für Satzanfänge, Monats-, Orts- und Personennamen, Abkürzungen stillschweigend aufgelöst. Inhaltliche Erläuterungen in Anmerkungen, textkritische Erläuterungen in Buchstabenfußnoten. 46 Santiago de Compostela. 47 Burg Callenberg bei Coburg. 48 Georg von Hutten (in Arnstein, dann Schloss Frankenberg). 49 Sebastian von Rotenhan, Dr. jur. (1478-1532), fränkischer Adeliger. 50 Bernhardinus Phott von Esslingen, von 1494 bis zu seinem Tod 1520 bezeugt als Kanoniker von St. Florin in Koblenz, vgl. Anton D IEDERICH , Das Stift St. Florin zu Koblenz (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 16 = Studien zur Germania Sacra 6, Göttingen 1967) S. 261. Phott verfügte über Beziehungen zum kursächsischen Hof: Bereits 1496 schrieb er in der Torgauer Residenz Friedrichs des Weisen Teile einer französischen Sammelhandschrift (Universitätsbibliothek Jena, El. fol. 99), vgl. Martina B ACKES , Fremde Historien. Untersuchungen zur Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte französischer Erzählstoffe im deutschen Spätmittelalter (Hermaea NF 103, Tübingen 2004) S. 35f. und 45f. 51 Mecheln. 52 Philipp Jakob von Helmstatt (Helmstadt im Kraichgau), Herr zu Felsberg (bei Saarlouis), † 1558, vgl. Walther M ÖLLER , Stamm-Tafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter 3 (Darmstadt 1936) Taf. CXXXIV. 238 Falk Eisermann und Folker Reichert [...] f (2 r ) Nachvolgendt verzeichent die reys von Selandt 53 nach dem heiligen hymelfursten vnd zwollffpoten sandt Jacoff gein Cumpastella vnd furter zum heyligen grab gein Jherusalem, da got vnsr schepffer vnd erlossr vnser crist glaubigen heyll vnd sellikeyt gewurckt. Vnd hab von der g reys h den Reinstram ab bis gein Antorff 54 , dweyl i die selbigen stras vnd landt vill teutschn kundig, auch die fart in Engellandt, nach dem ich nit weyter dan zu sandt Thomas 55 (2 v ) zu Candelburg 56 gewest, nit sundr meldung thun wollen. Vnd als ich, des gleich mein gesellen, mit grossem costen, auch nit geringer sorg, das vnsr patron aus verhindrung vnd nit haltung seins gesellen die reys, so er zu thun ausgeschriben, vnterlassen wurde, zu Antorff verharet j , sindt wir k nach verschenung vyrzehen wochen, so wir alda in Engellandt, zu Pruck 57 , Gent, sandt Thomas, in Flandern Mechel, Prusl 58 , auch zu Hall in Henygaw 59 verslissn, erstlich gein Bergaw im Sandt 60 vnd dar nach gein Arnuye in Selandt 61 vnd furter in ein stetle, (3 r ) Flissingen 62 gnandt, nahet bey Mitelburh 63 gelegen, gezogen, da vmb die art auch ein wenig besehen. Vnd vff freytag nach vnsers hern hymelfart, den sechsvndzweinczigsten tag des Meyen, schifften wir mit andern neun schiffen von Flissingen aus nach sandt Jacoff, nit mit geringer sorg vor den Francossn. Vnd vff samstag nechst dar nach zwischn Callis vnd Dobr 64 kamen vns xxvi schyff entgegen, dem konig von Engelandt zustendig, mit geschucz vnd f Wohl Textverlust, das zweitäußere Doppelblatt der Hs. fehlt, s. auch nach Bl. 15v. g von der ] über gestrichenem die. h reys ] danach gestrichen: von heymet. i dweyl ] über gestrichenem nach dem. E ergänzt gegen die Hs. „doch“ nach dweyl (E: „dieweil“). j zu Antorff verharet ] am Rand nachgetragen, Einfügungszeichen im Text; nach verharet gestrichen: vnd. k wir ] über gestrichenem wir (sic). 53 Zeeland. 54 Antwerpen. 55 Thomas Becket (1120-1170), Hl., Erzbischof von Canterbury 1162-1170, dessen Grab in der Kathedrale sofort nach seinem gewaltsamen Tod zum Ziel einer europäischen Wallfahrt wurde. 56 Canterbury. 57 Brügge. 58 Brüssel. 59 Halle (Hal) bei Brüssel im Hennegau, jetzt in Brabant. 60 Bergen op-Zoom. 61 Arnemuiden (Zeeland). 62 Vlissingen. 63 Middelburg. 64 Calais und Dover. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 239 anderm zum krig vff wassr gehorndt fast woll gerust, vns (3 v ) ansprechende, bescheyd zu gebn vnd vnser segl zu streichen, das also gescha. Furn etliche von inen in vnsr schiff, solchs nach aller noturfft zu besychttigen l , doch an schadenn. Aber gegen den andern neun schiffen, so mit vns furen, die sich auch nit minder dan wir vor den ennseczten m , dem konig von Ispania 65 zustendig, numen sie ein hauptstuck vnd vir serpetin, das sindt clein steinbuchssenn 66 . In des kamen wir von ein andr. Vff suntag Trinitatis den eylfften n Juni vmb drew ore nach mitag kamen wir in (4 r ) den haffen Cranica ader Kron 67 , ein stetlein vnd slos zu dem konigreich Galicia gehorendt. Vnd ist von Flissingen bis in berurte stat neunhundert funffvndsybenczig welsch, zweyhundert vnd virvndvirzig teutsch meyllen. Vff mantag den neunzehenden o tag Juni rith ich von berurter stat gein Compastell, da sandt Jacoff der merer begraben leyt, ist zehn spanisch meyll, woll teutschen gleich. Blibn alda bis vff mitwochen, das heylthum, des nit wenig da, zu besehn, auch vns zur peycht, das heylig hochwirdig sacrament zu entpfahen, zu schicken. Vnd (4 v ) ist Compastella nit ein costliche stat, allein ein spitall 68 , des gleichen mit der zeyt kawm in der cristenheit funden wirdet, in neulikeyt von dem konig von Ispania zu pawen angehobn, dar inen der krancken bilgram mit grossn fleys gewart. Von iczlichr zungen, die gemeinlich den heyligen hymelfursten sandt Jacoff besuchen, knecht vnd meyd, die sich mit inen bereden konen, geordent, auch zwen doctor, die allein vff das spitall bestelt, vnd ein sundrliche apatecken dar inen woll versehn. Was kostliche bew! Auch wie die krancken bilgram reincklich vnd sawbr gelegt, wie (5 r ) sie auch von allen kamern vnd beten die gotlichenn ampt der mes teglich horn vnd sehn konen, hab ich vmb kurcz willen zu schreybn vnter lassen. Vff suntag nach Corporis Cristi den achzehnden p Juni vmb drei ore nach mitag furen wir von der Cronica aus nach Lisbona 69 , da konig l besychttigen ] danach gestrichen: aber. m den ennseczten] über gestrichenem den Franzossen besorgten. n eylfften ] über gestrichenem achzehnden tag. o neunzehenden ] recte: Montag, 12. Juni. p achzehnden ] über gestrichenem zweinczigsten; am Rand, gestrichen: drey vnd. 65 Ferdinand „der Katholische“ (1452-1516), König von Kastilien 1474, von Aragón 1479, von Spanien 1512. 66 Hauptstück: schwere Steinbüchse - Serpentin oder Schlange: Feldgeschütz mit langem Rohr - Steinbüchse: Geschütz, mit dem Steinkugeln verschossen werden. 67 La Coruña. 68 Hospital Real, von den Katholischen Majestäten Ferdinand und Isabella erbaut. 69 Lissabon. 240 Falk Eisermann und Folker Reichert Emanuell von Portigall 70 hoff helt, vnd kamen da hin vff freytag sandt Johans abet vmb zehen ore vor mitag den drey vndzwenczigsten tag Juni. Vnd vff sandt Johans tag nach der mes vnd malzeyt gingen wir gein hoff in des konigs palast, (5 v ) sahn den konick allein zu disch siczn, gancz q wenig recht essn vnd wassr drincken. Wurd vor im mit manigerley seyten spillen hoffiret, etlich knabn dancznde vnd die ander vor dem tysch kniende. Wurden mein brudr vnd ich als fremde vnd bilgram hin für gezogen, das wir solches alles fast woll sehn mochten. Des abets wurd ein dancz gehalten, fast lustig zu sehn. Am suntag nechst dar nach lis der konig zwollff ochssen lauffen, vns ein stant, das wir solchen dryvmpff, auch alles, das da mit gevbt, woll sehn konten, verordnen. Es hat auch prister Johan 71 ein potschafft bey (6 r ) dem konig, ward fast erlich alda gehalten. Vff mantag wurd mein brudrn vnd mir das zeughaus geweyst r , fast kostlich geschucz vnd s vill harnisch, vnglaublich zu schreybn, gesehn t . Wurd vns auch die heussr, dar inen die speczerey von allen wurczen ligen, auffgeslossen, vnd alles mit sunderm fleys angezeygt u , vnd von den, so vns anzeyg theten, geschaczt vff hundert thausent quintall 72 , ye ein quintall geacht an sybenzehn crosaten 73 , ein specerey der ander zu hyllff v . Es waren auch vngeuerlich virzehn tag vor vns etlich schiff aus Calakuten 74 komen, am werdt fast hoch geschaczt. Es werden in solchem konigreich fast vngehorte recht vnd gewonheyt gehalten, vnglaublich zu (6 v ) schreyben. Von der Kranicka gein Lisbona sindt funff hundert welsch vnd hundert vnd funffvndzweinczig teusth meyllen. Vff freytag nach sandt Johans tag sunwenden vmb zehn ore vor mitag furn wir zu Lisbona aus der port nach Callis malis 75 vnd kamen da hin vff suntag vnsr lieb frawen tag besuchung 76 vmb zehn ore vor mitag, q gancz ] danach gestrichen allein. r geweyst ] über gestrichenem sehn. s vnd ] danach gestrichen fast. t gesehn ] über der Zeile nachgetragen. u angezeygt ] danach gestrichen vnd geweyst. v ein specerey der ander zu hyllff ] am Rand nachgetragen, Einfügungszeichen im Text. 70 Manuel I. (1469-1521), König von Portugal 1495-1521. 71 Legendärer christlicher Priesterkönig, dessen Reich zunächst in Zentralasien oder Indien, dann in Afrika vermutet wurde. 72 Quintal, Gewichtsmaß (in Portugal 58,75 kg). 73 Cruzado, portugiesische Goldmünze mit Kreuzdarstellung auf der Rückseite. 74 Calicut an der indischen Malabarküste (heute Kozhikode im indischen Bundesstaat Kerala). 75 Cádiz. 76 2. Juli. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 241 furn vff den abet gein Porta Marya 77 , leyt vngeuerlich zwu w teutsch meyll dar gegen vbe in Andalusio, dem konig von Ispania zu stendig. Von Lisbona bis gein Callis malis ist x drewhundertfunffzig welsch vnd neunvndachzig teutsch meyllen. (7 r ) Vff suntag nach sand Peters vnd Pauls tag den andern tag Juli vmb zwu ore nach mitag schifften wir von Callis malis nach Allechanta 78 durch ein engen zwischen Barbaria 79 vnd Hispania, ist dry adr vir teutsch y meyllen von eynem landt zum andrn, Streta Gybl Tera gnant, soll vor zeyten Hercules der gros zwe seulen da hin geseczt habn 80 . Vnd kamen gein Allichanta vff suntag nach der zwellff boten theyllung des sechzehnden tags Juli. Vnd ist von Calis malis gein Allichanta funffhundert welsch, hundert und funffvndzwenczig teutsch meyllen. (7 v ) Vff dinstag den achzehnden tag Juli vmb vir ore furen wir zu Allachanta aus nach Mayorca 81 , kamen in ein insell Ybis 82 gnant, zwischen dem konigreich Arragan 83 vnd der grossen insell, Sardinia gnant, gelegen, alles dem konig von Ispania zustendig, in mitl mer gnant. Kamen in port zu Ybis vff suntag den dreyvndzwenczigsten tag Juli vmb nün ore nach mitag, ist fast ein fruchtpar insell, abr nit gros. Vnd des orts Witza 84z ein gros vbrsehn von vnserm piloten het vns gar gnaw an ein fels gefurt vnd, wo durch verhutung des almechtigen nit gewendt, villeicht (8 r ) alle ertrenckt. Von Allachante bis gein Ybis hundert vnd zehn welsch vnd sybenvnzwenczig teutsch meyllen. Vff mitwochen nach sandt Jacoffs tag was der funffvndzwenczigst tag Juli aa vmb syben ore vor mitag furn wir wider von Ybis nach Mayorica vnd kamen vff freytag nach Jacobi den achtvnzwenczigsten w zwu ] E liest bei diesem und den folgenden zwu-Belegen „zwii“. x ist ] über der Zeile nachgetragen. y teutsch ] über der Zeile nachgetragen. z Witza ] Lesung unsicher (E: „Iwitza“); über gestrichenem ward. aa Vff ... Juli ] Recte: Mittwoch, 26. Juli (Jakobstag: Dienstag, 25. Juli 1514). 77 El Puerto de Santa María. 78 Alicante. 79 Berberei, Siedlungsgebiet der Berber in Nordwestafrika. 80 Straße von Gibraltar, seit der Antike als Säulen des Herkules bezeichnet. Zu italienisch stret(t)a = Meerenge statt wie sonst stretto, vgl. Salvatore B ATTAGLIA , Grande dizionario della lingua italiana 20 (Turin 2000) S. 336. Beide dort genannten Belege beziehen sich auf die Straße von Gibraltar. Möglicherweise war Sternberg mit einem italienischen Schiff oder italienischen Seeleuten unterwegs. 81 Mallorca. 82 Ibiza. 83 Aragón. 84 Witza: Ibiza (katal. Eivissa). 242 Falk Eisermann und Folker Reichert Juli vmb drey ore nach mitag dar. Vnd berurte stat Mayorica 85 leyt in Catolanien 86bb , dem konig von Ispania zustendig. Ein schon stat, ein hubsch woll erbawen sumrhaus 87cc am mer ligenden, mit sundrn lustigen gerten, springenden brunen, (8 v ) zu oberst vff das haus treybende. In disser stat hab ich auch die hubschten frawenn gemeinlich gesehn, machen auch in solchr insell guth kes, sindt rephunr, hirse, wilbret vnd hassen vmb gleich gelt woll zu bekumen. Wirdt auch alda in einem closter, das etwa vill juden sich tauffen lassen vnd, vom glauben wider abgefallen, verprent worden dd , gezeygt. Vnd ist von Ybis gein Mayorica hundert welsch vnd funfvndzwenczig teutsch meyllen. (9 r ) Vff mantag den abet vincoli Petri den ein vnd dreysigsten Juli schifften wir widr zu Mayorica aus vmb zwolff ore nach mitag vnd chamen gein Messina in port adr haffen vff sandt Lorenczn tag den zehnden Augusti vmb zwu ore nach mitag. Vnd ligt Messina im konigreich Sicilia gegen dem herczogthum Calabria 88 vber vff ein meyll. Sicilia ist fast ein fruchtbar insell, gute zerung vmb gleich gelt, ist auch des orts gros kauffmanschafft vnd dem konig von Ispania vnterworffen. Vnd ist von Mayorica gein Mesyna neunthalbhundert welsch, zwey hundert funff vnd zewenczig teutsch meyllen ee . (9 v ) Vff suntag nach assuncionis Marie den zwenczigsten tag Augusti schifften wir widr zu Messina aus vnd furn nahent an Morea 89 hin. Da sahn wir die stat Madon 90 , die der turck den Venedigern angewunen hat in neulikeyt. Vnd chamen in Candia 91 die insell vff mantag nach Bartholmey den achtvndzwenczigsten Augusti, gingen abr nit an landt vnd chamen in port gein Rodis 92 vff donerstag nach Bartholmey den ein vndreysigsten Augusti vmb mitnacht. Vnd ist von Messina gein Rodis neun hundert welsch, zweyhundert vnd funffvndzwenczig teusch meyllen. bb Catolanien ] danach gestrichen yst. cc sumrhaus ] schwer lesbar, E: „snurhaus (? )“. dd worden ] danach gestrichen sendt. ee meyllen ] über der Zeile nachgetragen. 85 Palma de Mallorca. 86 Katalonien. 87 Sommerhaus oder Lusthaus, später auch Gartenhaus, Belvedere, Pavillon u. ä. Zu Begriff und Sache vgl. Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe 1: Begriffe, hg. von Werner P ARAVICINI , bearb. von Jan H IRSCHBIEGEL / Jörg W ETTLAUFER (Residenzenforschung 15,2, Ostfildern 2005) S. 434ff. 88 Kalabrien, Teil des Königreichs Neapel, das seit 1504 zu Spanien gehörte. 89 Peloponnes. 90 Methoni (Modon), am 9. August 1500 von türkischen Land- und Seestreitkräften erobert. 91 Kreta. 92 Rhodos. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 243 (10 r ) Vff mantag nach Anthoni den virden Septembris vmb syben ore nach mitag schifften wir widr von Rodis ff vnd chamen gein Jaffa vff samstag nach vnsr lieben frawen tag gepurt den neunten tag Septembris vmb drew nach mitag. Vnd ist von Rodis gein Jaffa sechhundert welsch vnd anderthalb hundert teutsch meyllen. Vff donerstag des heyligen Creucz tag den virzehnden Septembris vmb zwolff ore worden wir an landt gelassn mit gleyt des hauptmans von Jherusalem vnd in ein gewelb 93 gezelt, musten vnsr iczliche bilgram sein vnd seins vaters namen an zeygen, wurden also auff geschriben gg , die nacht vff der erden nit fast sawbr gekert ligen. (10 v ) Vff freytag nechst dar nach wurden wir aus berurtem gewelb gelassn, durch vnsren truczelman 94 essell bestelt, dar vff wir reyten solten. In des wurd der gardian von Jherusalem 95 , der vns bilgram zu guth mit dem hauptman gein Jaffa kümme, von des hern von sandt Jorgen 96 diner einen gefordert, vnd da er nit von stundt ging, mit einem eyssern kolben fast hart vnd dar vor vnsr hauptman vnd patron von des selben hern diner auch geslagen. Vnd da hh das gleyt in anfang bei den furnemsten (11 r ) als vbell gehalten war, nit weniger zu besorgen, es wurd sich am endt beswerlich erzeigen, das abr von den gnaden gotes nit gescha. Vnd riten vff berurten freytag vmb drey ore nach mitag des wegs nach sandt Jorgen 97 , lisn Rama 98 zu der rechten handt vmb besorgnus willen ligen, benachteten vff ii dem feld, vns also nidr thun vngeuerlich vir adr funff stund ruehnde. Vnd etwan zwue stund vor tag vff samstag nechst dar nach sas wir vff vnsr esell, den weg nach Jherusalem zu begynen, ff schifften wir widr von Rodis ] am Rand nachgetragen, Einfügungszeichen im Text. gg vnsr ... geschriben ] am Rand nachgetragen, Einfügungszeichen im Text, nach musten gestrichen: alda. Aus syntaktischen Gründen wäre nach geschriben zu ergänzen: vnd musten. hh da ] danach gestrichen sich. ii vff ] über der Zeile nachgetragen und durchgestrichen lygend. 93 Der sog. St. Peters-Keller (cellaria S. Petri) am Strand bei Jaffa. 94 Seit dem späten 15. Jahrhundert belegtes Lehnwort aus dem Arabischen, eine typische Pilgervokabel, die den „beauftragten Dolmetscher, der Reisenden und Pilgern als Geleiter und Schutz beigegeben wird“, bezeichnet (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde in 33 Teilbden [1854-1971, Nachdruck 1984] hier 22, Sp. 1439). 95 Francesco Suriano (1450 - ca. 1529), Guardian der Franziskaner vom Sionsberg 1493- 1496 und 1512-1515. 96 Emir von Lydda (Lod). 97 Lydda (Lod), wo seit dem 4. Jahrhundert die Grabstätte des heiligen Märtyrers Georg verehrt wurde. 98 Ramla. 244 Falk Eisermann und Folker Reichert vnd chamen vngeferlich vmb eylff ore gein Emaus 99 , (11 v ) vor zeyten ein stetlein gewest, abr iczund gancz zurfallen, welch stetlein aus dem ewangelia woll bekandt. Vnd von danen vngeferlich ein halb teutsch meyll kamen wir zu einem fast cullen guten brunen, der vns von dem gardian gezeygt wurde, thete vns da mit, nach dem es fast heis war, erfrischen vnd ein weyll nit weyt dar von nidr zu jj ruhn. Chamen vff berurten samstag vmb vir ore nach mitag gein Jherusalem. Vnd ist von Jaffa gein Jherusalem virczig welsch vnd zehen teutsch meyllen. (12 r ) Vnd nach dem keinem pilgram zu Jherusalem ein zu reiten gestat werdet, stunden wir vor der stat von vnsern eselln, gingen den nechsten vnd mit eyll fur dem templ, dar inen das heylig grab beslossn, theten vnser gepet da vor vnd wurden darnach in ein haus, dem patriarchen 100 daselbst zustendig kk , gezelt vnd von den Cristen zenturi von der gurtl 101 mit gekochter speys, hunrfleysch vnd eyr nach noturfft vmb vnsr gelt versehen, hab auch feyster heml nit gesehen dan alda, auch kein bessrn wein nit gedruncken. Wir wurden auch mit (12 v ) solichen ledern kussn vnd allem getranck von den mindrn brudern vom berg Syon 102 versehen. Wir mochten auch aus berurtem hoff, der gancz am templl leyt, hin ein sehn vnd die prister allerley sect, wie die von Preytenbach 103 nach der leng angezeigt, singen vnd lessen horn. jj nidr zu ] am Rand nachgetragen. kk daselbst zustendig ] über durchgestrichenem haus zu Jherusalem. 99 Das biblische Emmaus wird in der Kreuzfahrerzeit mit Abu Gosh, später mit El Kubeibeh (Al Qubaybah), heute meistens mit einem Ort bei Latrun (dem früheren Imwaz, Amwaz) identifiziert. 100 Herberge beim griechischen Patriarchat, in der einem anderen Pilgerbericht zufolge die besseren Pilger eine Unterkunft fanden (Eine westfälische Pilgerfahrt nach dem h. Lande vom Jahre 1519, mitgeteilt von [Hermann] H OOGEWEG , Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altherthumskunde Westfalens 47 [1889] S. 165-208, hier S. 198: ... wy broder hedden ene gude herberge by der Greken patriarche, dey uns all guth dede, dan dey gemeynen pelgrym gengen in dat hospitael, dat myt vorscheiden kammeren is dat to gemaket). 101 „Gürtelchristen“ (christiani de cinctura), orientalische Christen (meistens Melkiten oder Kopten), die in islamischen Ländern zum Zeichen der Unterwerfung einen Gürtel tragen mussten. 102 Franziskanerkloster St. Johannes Evangelista auf dem Berg Sion, die heutige Abtei Dormitio Mariae. 103 Bernhard von Breydenbach (um 1440-1497), hessischer Kleriker aus altadeligem Geschlecht, der 1483/ 84 das Heilige Land besuchte und darüber einen weitverbreiteten und ungemein einflussreichen Reisebericht publizierte (Erstdrucke: Mainz, 11. Februar 1486 [lat.], 21. Juni 1486 [dt.], seither zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen). Gemeint sind hier die Kapitel über Griechisch-Orthodoxe, Surianen, Jakobiten, Nestorianer, Armenier und Äthiopier. Zu Breydenbach vgl. zuletzt Klaus N IEHR , als ich das selber erkundet vnd gesehen hab. Wahrnehmung und Darstellung Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 245 Vff suntag nach des heyligenn creucz tag der sybenzenhe ll Septembris gingen wir frue vff den berg Syon, horten alda die heyligen gotlichen ampt der mes, vnd dar nach wurden wir bilgram vom vater gardian in welsch mm , wie (13 r ) wir vns die heyligen stet vnd plecz zu besuchen vnd sunsten, das wir nit von den heyden beschwert wurden, halten solten, vntericht nn , welchs vns teutschn durch ein brudr minder ordens aus teutsch landen purtig vermeldet vnd angezeigt. Vmb kurcz willen las ich das zu schreyben vnterwegen. Abr beslislich wurd durch den vatr gardian vns zu gesagt vnd getrost, sein leyb vnd lebn bey vns zu lassn, auch die armet, so er het von wein vnd brot, treulich mit vns zu theyllen, vnd als bald dar nach calacion 104 gegeben vnd dar nach, als offt wir in das closter gingen, nie versagt. (13 v ) Vff mantag den achzehnden Septembris gingen wir vff den berg Syon, horten alda mes, gingen dar nach mit dem gardian gein Bethania 105 , besuchten des selben tags alle heylige stet alda, auch zu Jherusalem, wie die von doctor Breytenbach angezeygt, hab ich also funden, derhalbn oo vmb pp kurcz willen zu seczen vnterlassn, dan ich het den selben sein truck bey mir vff dem schyff, von einem teutschen mallern zu Rodis gelihen. Vff obgnanten mantag wurden wir in den tempell des heyligen grabs gelassen, vnd dat der gardian mit seinen brudern ein schone proces, (14 r ) der wir bilgram alle mit brinenden kerczen nachfolgeten, vnd die heyligen stet in berurtem tempell, wie die auch von Breytenbach angezeygt, besuchten, vns auch gesagt an iczlicher stat, was gnad vnd aplas wir verdinten vnd erlangten, sich auch gancz mit Preytenbach vergleichenden. Vnd stunden die prister, der vill vnter vns bilgram von ordens leuten vnd andrn, des gleichen die mindr brudr vmb zwolff in der nacht auff, bethen vnd sich zu der mes zu bereyten. Worden also bis vff den tag vngeuerlich vmb sechs ore vill qq mes gelessn rr vnd zu leczt ein gotlich ss ll sybenzenhe ] sic. mm welsch ] danach gestrichen vntericht. nn vntericht ] am Rand nachgetragen, Einfügungszeichen im Text. oo derhalbn ] über gestrichenem dar. pp vmb ] danach gestrichen ein weiteres vmb. qq vill ] danach ein Wort gestrichen. rr gelessn ] über der Zeile nachgetragen. ss gotlich ] über der Zeile nachgetragen. des Fremden in Bernhard von Breydenbachs Peregrinationes in Terram Sanctam und anderen Pilgerberichten des ausgehenden Mittelalters, Gutenberg-Jahrbuch (2001) S. 269-300; P ARAVICINI , Europäische Reiseberichte (wie Anm. 12) S. 227-230, Nr. 92 (Nachtrag ebd. S. 551). 104 Gemeinsames Mahl (lateinisch collatio, mittelhochdeutsch collacion, collatz). 105 Bethania, Bethanien (al-Azariyah) östlich von Jerusalem. 246 Falk Eisermann und Folker Reichert ampt vff dem heyligen grab gesungen vnd wir bilgram mit dem heyligen hochwirdigen sacrament (14 v ) versehen. Vnd wurde die ganczen nacht von den secten, da von Breytenbach clare meldung thut tt , mit grossem fleys, als sie solchs, als man sagt, stetlich treybn, gesungen. Habn in rechter warheyt mit essn, trunck, singe, lessn, auch uu irm leger gancz ein hart vnd streng lebn, vnd dar zu fast vbell gecleyt, sindt auch im tempell verslossen, ir essn vnd noturfft durch ein loch hin ein gegeben. Vff freytag sant Mauricen vv tag den zwenvndzwenczigsten Septembris riten wir gein Pethlaem 106 , besuchente des orts mit procesio, vnd brenden kerczn alle heylig blecz vnd stet, wie die auch von Preytenbach angezeygt. Vnd ich glaub, das (15 r ) die mindr brudr also in steter gewonheyt herbracht habn, dan der gardian hat ein buch, aus dem er alle wunderwerck durch vnsern erlossr, sein werde mutern vnd die liebn heyligen gewurckt, auch den aplas zu iczlichr stat gegeben, anzeyget 107 . Vff samstag nach Mauriti den dreyvndzweinzigsten tag Septembris frue vor tag gingen wir vngeuerlich ein halb teutsch meyll an das ort, da die hirten zu der gepurt Cristi gesungen ‚gloria in excelsis deo‘ etc. 108 Des orts ein schone capelle gewest, abr iczt gancz zustort vnd verfallen. Assn das morgen mal ww (15 v ) zu Pethlahem. Nach essns rithen wir an das ort, da die muter gotes ire muternen xx Elisabeth besuchet vnd das Mannefiat gemacht hat vnd da sandt Johans geborn ist 109 , als Preytenbach das clerlich anzeyget. Vnd kamen zu abet widr gein Jherusalem, sahen vff dem weg von weinbergen vnd stecken also mit fruchten behangen, vnglaublich zu schreybn. Ist zu Bethlahem vnd da vmb vill lustiger dan sunsten, so weyt ich gesehn in dem heyligen land yy , auch ser eyn schone kirchen 110 , vor zeyten vberflussig zz gezyrt gewest [...] aaa . tt thut ] danach gestrichen die ganczen. uu auch ] Lesung unsicher, der erste Buchstabe eventuell korrigiert aus g. vv Mauricen ] Lesung unsicher (E: „Mauricius“). ww das morgen mal ] über gestrichenem zu frue. xx muternen ] sic. E: „muterren“. yy land ] danach gestrichen ist. zz vberflussig ] danach gestrichen schon. aaa Text bricht wegen Blattverlust ab. 106 Bethlehem. 107 Francesco Suriano O. F. M., ‚Trattato della Terra Santa‘ (vgl. Anm. 22). 108 Sog. Hirtenfeld zwischen Bethlehem und Jerusalem (vgl. Lc 2,13-14). 109 Ein Karem (En Kerem) westlich von Jerusalem, Geburtsort Johannes des Täufers. Zum Besuch Marias bei ihrer Base Elisabeth und zur Entstehung des Magnificat vgl. Lc 1,39-55. 110 Geburtskirche in Bethlehem. Der wiederentdeckte Reisebericht des Hans von Sternberg 247 2. Ritterbrief für Sebastian von Rotenhan, Jerusalem 1514 Francesco Suriano, Guardian der Franziskaner vom Sionsberg, bestätigt, dass er Dr. Sebastian von Rotenhan zum Ritter vom Heiligen Grab geschlagen hat, und erlaubt ihm, die Zeichen der Grabesritterschaft zu tragen. 1514 IX 25 Original im Staatsarchiv Bamberg: Archiv Rentweinsdorf, U V 41. Italienisches Pergament, 27.3-24.6 x 36.5-35.7 cm; spitzovales Oblatensiegel auf Papier in schlechtem Zustand (6.3-4.0 cm); Siegelbild: der auferstandene Christus über dem Heiligen Grab, darunter eine betende Gestalt; Umschrift nicht lesbar. - Rückvermerk: vrkundt, das ich zu ritter geschlagen bin zue Iherusalem im XIIII C jar. Ferner Archivierungsvermerke. Druck: R OTENHAN , Geschichte der Familie Rotenhan (wie Anm. 39) S. 155 (fehlerhaft). Übersetzung: ebd. S. 156 Anm. (fehlerhaft); hiernach: M AIERHÖFER , Sebastian von Rotenhan (wie Anm. 39) S. 116f. In bbb nomine clementissimi redemptoris nostri Jesu Christi. ccc Cum nuper ad devotissima terre sancte misteria visitanda ex sincere devotionis affectu peregre se contulerit egregius dominus Sebastianus de Rotenhan, utriusque iuris doctor eximius, ipsa quoque sacratissima loca magna cum devotione visitaverit, videlicet sanctum Domini sepulchrum et sanctissimos Calvarie, Syon et Oliveti montes virginisque intemerate sepulchrum in valle Josaphat, nativitatis ac presepii ddd beati salvatoris nostri in Bethleem loca devotissima aliaque sanctissima misteria a peregrinis visitari solita non modico labore ac expensis plurimis personaliter adierit, iccirco nos frater Franciscus Surianus, ordinis minorum observantium guardianus ceterorumque locorum terre sancte gubernator ac rector generalis (licet immeritus), ob immensam dicti egregii domini Sebastiani in hec sacrosancta misteria devotionem et singularem zelum in tocius christiane religionis augmentum prefatum egregium dominum Sebastianum militari dignitate duximus insigniri. Ideoque auctoritate apostolica, qua fungimur in hac parte, insignimus et decoramus et huiusmodi ornamento super gloriosissimo Domini sepulchro insignitum ac decoratum quibuscumque in orbe terrarum constitutis presentium tenore notum facimus ac denunciamus denunciatumque omnibus et singulis bbb Initiale I nicht ausgeführt. ccc Die erste Zeile in Auszeichnungsschrift. ddd Folgt expungiert: in. 248 Falk Eisermann und Folker Reichert declaratum esse volumus, insuper decernentes sepe dictum egregium dominum Sebastianum de cetero posse deferre sancte crucis sanctissimique sepulchri ac sancti Georgii insignia secrete et publice necnon in futurum ut verum ac legittimum militem iure optimo non immeritum frui et uti posse ac debere omnibus singulisque immunitatibus, prerogativis, preminentiis et privilegiis, quibus ceteri sacri ipsius sepulchri <milites> uti ac frui consuevere. In quorum omnium fidem et testimonium presentes <litteras> fieri fecimus ac sigillo sanctissimi sepulchri iussimus impressione communiri. Datum Iherosolimis apud cenaculum Christi sacratissimum in monte Syon supradicto, anno Domini 1514 mensis Septembris die XXV. eee Ego frater Franciscus, qui supra manu propria. Resumen: La aportación fue escrita conjuntamente por un filólogo y un historiador. En ella, se trata el relato de un viaje a Santiago de Compostela y a Tierra Santa, que el noble sajón Hans von Sternberg emprendió en el año 1514 - relato que hasta ahora casi no ha sido considerado por los investigadores. A la vuelta, redactó un corto relato de viaje en alemán que se conserva en un manuscrito de la Forschungsbibliothek Gotha. La ruta del viaje fue espectacular, pues Hans von Sternberg y sus acompañantes fueron de los Países Bajos a Santiago en barco, para luego proseguir viaje rumbo a Tierra Santa, pasando por Portugal y el Estrecho de Gibraltar y navegando por el Mediterráneo. Se trata de un itinerario único en el marco de las peregrinaciones tardomedievales. La contribución informa al inicio sobre la transmisión, el autor y el contenido del texto (apartado I) y considera el relato de Sternberg en el contexto de la historia de los viajes en la Baja Edad Media (apartado II). Al final, viene una edición crítica comentada del relato de viaje y se publica por vez primera una fuente poco común, un diploma de caballero escrito en latín, que recibiera el noble jurista Sebastian von Rotenhan, miembro de la comitiva de viaje de Sternberg, al ser hecho caballero en Jerusalén un 25 de septiembre de 1514 (apartado III). eee XXV von derselben Hand und mit derselben schwarzen Tinte wie die Subscriptio des Guardians. Handelsstraßen als Pilgerwege M ANFRED S TRAUBE Ausgangspunkt für diesen Beitrag ist die von mir seit langem vertretene und von Renate W ISSUWA kürzlich neu formulierte Auffassung, dass der Personenverkehr und damit auch „die Pilger vornehmlich den Haupthandelsstraßen folgten“ 1 . W ISSUWA fügt an dieser Stelle ergänzend hinzu, dass damit nicht jedes Jakobspatrozinium angesteuert wurde und „dass das Jakobspatrozinium kein dominierendes straßenrelevantes Patrozinium war“ 2 . Da die Haupthandelsstraßen eine Vielzahl von Nebenstraßen hatten, die zu ihnen hin oder auch weg führten, spielt die Erforschung des Straßenverlaufs, seiner Anfänge und Vernetzung und seiner Notwendigkeiten überhaupt die entscheidende Rolle. Straßen und Wege sind keine von der Natur vorgegebenen Einrichtungen, sie werden von Menschen geschaffen, natürlich unter Ausnutzung der von der Natur vorgegebenen Möglichkeiten. Wenn Straßen und Wege aber von Menschen geschaffen werden, dann muss dazu ein Bedürfnis bestehen, und diese Bedürfnisse entwickeln sich in den verschiedenen gesellschaftlichen Epochen sehr unterschiedlich. Dementsprechend muss bei jeder Fragestellung nach dem Verlauf und der Bedeutung von Straßen und Wegen von den jeweiligen Bedürfnissen in der Gesellschaft ausgegangen werden. Es ist selbstverständlich, dass wir heute im Zeitalter der Globalisierung und des internationalen Waren- und Personenverkehrs andere Anforderungen an ein Verkehrsnetz haben als noch vor wenigen Jahrzehnten, gar nicht davon zu reden, welche Anforderungen vor 1 Renate W ISSUWA , Altstraßen, Mobilität und Austausch. Verkehrsmäßige Voraussetzungen in Sachsen für die Pilgerbewegung, in: Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa, hg. von Klaus H ERBERS / Dieter R. B AUER (Jakobus-Studien 12, Tübingen 2003) S. 41-56, hier S. 51. 2 D IES ., Verkehrsmäßige Voraussetzungen für die Pilgerbewegung. Jakobswege in Sachsen, in: Im Dienste der historischen Landeskunde. Festgabe Gerhard Billig, hg. von Rainer A URIG / Reinhardt B UTZ / Ingolf G RÄSSLER / André T HIEME (Beucha 2002) S. 351-353, hier S. 351. 250 Manfred Straube mehreren Jahrhunderten bestanden. Und es darf dabei natürlich nicht vergessen werden, welche Verkehrsmittel jeweils zur Verfügung standen. Daraus ergibt sich die Auffassung, dass weder politische noch kirchliche Erfordernisse die Anlage oder den Ausbau von Straßen und Wegen im frühen Mittelalter notwendig gemacht haben, dazu waren weder die politischen Kontakte noch die militärischen Aktionen intensiv und dauerhaft genug, vielmehr haben diejenigen, die im Auftrag von Staat und Kirche unterwegs waren, die aus ökonomischen Gründen entstandenen oder noch entstehenden Straßen und Wege genutzt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Beschreibungen von Straßenverläufen unter politischen Gesichtspunkten häufiger überliefert sind als etwa entsprechende Nachrichten im Zusammenhang von wirtschaftlichen Beziehungen. Unter ökonomischen Gründen werden verstanden der regionale und später der überregionale Austausch von Waren, der Transport von Gütern und Rohstoffen, die über den lokalen Markt hinaus gegen andere, vor Ort nicht erhältliche Waren getauscht werden konnten. Das wiederum setzt voraus, dass die ökonomische Entwicklung an den betreffenden Orten (oder in deren Einzugsgebiet) den notwendigen, wettbewerbsfähigen Stand erreicht hatte, um auf einem Markt konkurrieren zu können. Straßen gingen also von Produktionszentren aus zu Konsumtions- oder Tauschzentren, die selbst wieder Produktionszentren sein und sich unter günstigen Umständen zu Handelszentren entwickeln konnten. Auf jeden Fall musste also jeweils ein gleichwertiges Warenäquivalent vorhanden sein, oder ein Warenaustausch konnte nur zwischen Partnern erfolgen, die einen entsprechenden Bedarf an den handelsfähigen Gütern hatten. Nach dem ökonomischen Entwicklungsstand konnte es sich auch im hohen Mittelalter nur um einen Warenaustausch auf ziemlich niedriger Basis handeln, nur um Güter von höchster Qualität, geringer Quantität und bestimmter Exklusivität. Dazu zählt für mich auch das Verbot der Waffenausfuhr nach Osten, wie es 805 im sog. Diedenhofer Kapitular ausgesprochen wurde, oder die Erwähnung einer Kaufmannssiedlung in Merseburg zu Beginn der Regierungszeit Ottos II. Beispielhaft soll nur aus der Speisekarte zu einem Festmahl bei der Einweihung der Weißenfelser Marienkirche am 15. und 16. September 1303 zu Ehren des Bischofs von Zeitz zitiert werden: Damals wurde neben Schaffleisch mit Zwiebeln und geräuchertem Schweinefleisch, gesalzenem Hecht mit Petersilie auch Handelsstraßen als Pilgerwege 251 „Stockfisch mit Öl und Rosinen, gerösteter Bückling mit Senf und gebratener Hering“ serviert 3 . Wenn noch zu dieser Zeit Stockfisch, Bückling und Hering zu einem bischöflichen Festmahl und damit doch wohl als Delikatessen angerichtet wurden, dann ist erkennbar, dass diese Fische nicht zur Alltagskost gehörten und zu den exklusiven Handelsgütern gehörten. Diese Nachricht ist umso erstaunlicher, als die Ursprünge von Weißenfels bereits auf 1100 zurückgehen und die Stadt an einer wichtigen (Salz-) Handelsstraße von Halle in Richtung Böhmen lag und auch an der später noch vorzustellenden und uns besonders interessierenden via regia. Auch die Gründung von Städten bedeutete also nicht unbedingt und sofort die Entwicklung von überregionalen Handelsbeziehungen, aber viele waren doch Initiatoren eines überregionalen Warenaustauschs, der sich bis in das späte Mittelalter langsam aber stetig quantitativ und qualitativ entwickelte, begünstigt vor allem durch die massenhafte Tuchproduktion im Niederrheingebiet. Bis dahin gab es eigentlich nur ein Massengut, das dem überregionalen Handel zuzurechnen ist: Salz. Die frühzeitig überlieferten Bezeichnungen als Salzstraßen machen die Bedeutung von Salz deutlich, schließlich war es - bis auf Trocknen und Räuchern - nur mit Salz möglich, Nahrungsgüter zu konservieren. Und Salz wurde z. B. von Halle bis in den hansischen Ostseeraum, bis nach Schlesien, Böhmen und Franken gehandelt 4 . Die Organisation des zunehmenden Handels schuf notwendigerweise auch eine neue Infrastruktur im Umfeld der Märkte und Straßen. Dazu gehört auch die Festlegung im Sachsenspiegel, „wonach des Königs Straße ... so breit sein (soll), dass ein Wagen dem anderen ausweichen kann. Der leere Wagen soll dem geladenen ausweichen und der minder geladene dem schwereren. Der Reitende weiche dem Wagen und der Gehende dem Reitenden. Sind sie aber auf einem engen Wege oder auf einer Brücke, und verfolgt man einen Reitenden oder einem zu Fuß, so stehe der Wagen still, bis sie vorüber kommen mögen. Welcher Wagen zuerst auf die Brücke kommt, der soll zuerst darüber fahren, er sei leer oder beladen“ 5 . 3 Stadtarchiv Naumburg, Sa 66. 4 Manfred S TRAUBE , Zum Handel mit Salz aus thüringisch-sächsischen Salinen, vornehmlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Journal of Salt-History. Review of the International Commission for the History of Salt 1 (1993) S. 116-141. 5 Sachsenspiegel. Landrecht, ed. Karl August E CKHARDT (MGH Fontes Iuris Germanici antiqui, N. S. 1, 1, Göttingen 1955) II 59 § 1, S. 179: Des koninghes strate scal sin also breyt dat en waghen dem anderen muten moghe. De idel waghen sal r ů men deme gheladenen unde de min gheladene dem sweren. De ridene wike deme waghene unde de gande deme ridende. Sin se aver in eneme enghen weghe oder up ener brugghen, 252 Manfred Straube Zur Organisation des Warenaustauschs zählen nicht nur Markt- und Waageordnungen, Auf- und Ausbau der Kauf- und Verkaufseinrichtungen in den Städten, Ausbau und ständige Reparaturen der Straßen, Ausbau von Flussübergängen oder Neubau von Brücken, sondern auch die Errichtung von Ausspannen bzw. Herbergen in den Städten und entlang der Straßen zur Versorgung der Reisenden. Alle diese Maßnahmen mussten aber wirkungslos bleiben, wenn der Verkehr auf den Straßen nicht sicher war, so dass entsprechende königliche oder landesherrliche Privilegien weitaus mehr sind als allgemeine Gunstbezeugungen. Über alle diese Vorhaben sind wir relativ gut unterrichtet aus zeitgenössischen Quellen, vor allem aus Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts, die aber immer wieder auf ältere Nachrichten und Bestimmungen verweisen, so dass sich auch mit ihnen ein wenigstens in den Umrissen deutliches Bild über die frühere Zeit zeichnen lässt. Dazu gehört zweifellos eine Geleitsordnung von 1315 für Erfurt 6 . Wenn auch die einleitende Bemerkung, dass diese Ordnung auf ältere Vorlagen zurückgreift, schon auf das Ende des 13. Jahrhunderts hindeutet, so lässt die Aufzählung der nach oder durch Erfurt gehandelten Waren auf einen bedeutsamen überregionalen Handel schließen, der noch weiter zurückreicht, denn natürlich hat sich in jener Zeit der schriftliche Niederschlag wirtschaftsgeschichtlicher Entwicklungen erheblich verzögert, wie wir aus anderen Quellen wissen. Diese Erfurter Ordnung nennt als Herkunftsorte für Tuche Arras, Speyer, Gent, Aachen, Soest, Nürnberg, dazu aus dem hansischen Raum getrocknete Fische, gesalzene Heringe, geräucherte Bücklinge, dazu Wachs, Flachs, Leder, Pelze. Diese Aufzählung macht nur Sinn, wenn diese Waren regelmäßig und in einer bestimmten Quantität durch oder nach Erfurt gebracht und nicht erst erwartet wurden. Dass Wirtschaftsordnungen in vergangenen Jahrhunderten nicht prophylaktisch erlassen worden sind, beweist zudem das Messeprivileg, das der Stadt erst 1331 durch Kaiser Ludwig d. Bayern verliehen wurde 7 . Mit anderen Worten: 1315 wird ein beträchtlicher überregionaler Handelsaustausch dokumentiert und erst 1331 staatlich anerkannt, ein Warenaustausch, der vor allem in oder jaghet men enen ridenen oder to vote, so sal de waghen stille stan bet dat se vore moghen komen. Swelc waghen erst up de br ů cghen komet, de scal erst overgan, he si idel oder gheladen. 6 Quellen zur älteren Wirtschaftsgeschichte Mitteldeutschlands, hg. von Herbert H ELBIG , II. Teil (Weimar 1952) S. 133ff. 7 Quellen (wie Anm. 6) S. 81f. Handelsstraßen als Pilgerwege 253 Ost-Westbzw. West-Ost-Richtung ging und zwar vornehmlich auf der Straße, die als via regia bekannt ist. Dabei ist selbstverständlich, dass die in den Erfurter Quellen genannten Waren nicht nach Erfurt zum Verbrauch bestimmt waren, sondern als Transitgut entweder weiter in östliche Richtung etwa nach Naumburg oder Leipzig geliefert wurden wie die Tuche, während Wachs, Felle und andere Waren eindeutig aus östlichen Gebieten in Richtung Westen transportiert werden sollten. Die Erwähnung von Fisch verweist auf Handelsbeziehungen in den hansischen Nordseeraum und nach Oberdeutschland. In diesem Zusammenhang erhält auch das bekannte Privileg des Markgrafen Dietrich von Landsberg aus dem Jahre 1268 eine neue Wertstellung: damals sicherte er allen Kaufleuten, „woher sie auch sein mögen, wenn sie Kaufmannswaren in ... Leipzig erwerben wollen oder besitzen, auch wenn sie gerade mit den Herren genannter Kaufleute in offener Fehde stehen sollten“, Schutz und Hilfe zu 8 . Galt dieser Schutz auch vor allem dem Handel in Leipzig, so war doch auch Schutz gewährt für die Waren-Transporte auf den nach Leipzig führenden Straßen, und hier ist wieder die via regia zu nennen. Vor der Beschreibung dieser Straße, die zweifellos die Haupthandelsstraße war zwischen Ost und West und damit auch für die Pilger, zunächst ein paar Bemerkungen, wie dieser Schutz gesichert wurde, zumal sich darauf die folgenden Ergebnisse stützen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts vollzog sich in Mitteldeutschland vor allem unter dem Einfluss der Wettiner ein stetiger Landesausbau, und aus sehr einleuchtenden Gründen spielte auch der Handelsverkehr eine besondere Rolle. Durch die Sicherung der Straßen über den Ausbau des Geleitswesens konnte nicht nur der Handel gefördert, sondern auch die Staatskasse aufgefüllt werden. Gab es in den Anfängen oftmals persönlichen, bewaffneten Schutz für Reisende oder Kaufleute, so war diese Form in jener Zeit überfordert, wo der Transport von Waren seine exklusive Sonderstellung verlor und wir bereits von einem quantitativ umfassenden Handel sprechen können. Als neue Form musste schriftliches Geleit entwickelt werden, das auf direkten Schutz verzichten konnte unter der Voraussetzung einer allgemeinen Sicherheit auf den Straßen. Ausgehend von der Erfurter Geleitsordnung von 1315 hat sich diese Entwicklung bereits im 13. Jahrhundert vollzogen und hat - nach dem 8 Die Privilegien der Leipziger Reichsmessen, bearb. von Ernst M ÜLLER (Leipzig 1941) S. 15ff. 254 Manfred Straube Registrum Dominorum Marchionum - spätestens 1378 einen gewissen Abschluss erreicht 9 . Einzelheiten darüber sind bisher nicht bekannt. In einem längeren Prozess, der sich mindestens bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hinzog, wurden in allen Städten und an den Landesgrenzen Kontrollstellen mit einem Geleitsmann eingerichtet, die ein Fuhrmann mit einem Warentransport nur passieren konnte, wenn er die nach einer Geleitsordnung (oder -tafel) aufgelisteten Gebühren gezahlt hatte. Nach dem bisherigen Stand der Forschung gab es im wettinischen Herrschaftsbereich mindestens 89 Hauptgeleitsstellen mit zahlreichen sog. Nebengeleiten in weiterer oder näherer Entfernung der Hauptorte. Dazu musste der Fuhrmann Namen, Herkunft, Ziel, Bespannung und Ladung angeben, erhielt von dem Geleitsmann, der nach der Geleitsordnung die Gebühren berechnete, dafür eine entsprechende Quittung mit Datum, die der Fuhrmann am nächsten Geleitsort vorweisen musste, um passieren zu können. Um die Kontrolle vollständig zu machen, hatte der Fuhrmann auch dem „Straßenzwang“ zu folgen, d. h. es wurde ihm vorgeschrieben, welche Straße er von hier nach dort zu nutzen hatte. Hatte der Fuhrmann „Umwege“ genutzt und möglicherweise keine Gebühren gezahlt, hatte er mit erheblichen Strafen bis hin zur Beschlagnahme seiner Ladung zu rechnen. Als Ausgleich für die Gebührenbelastung erhielt der Fuhrmann landesherrlichen Schutz, und tatsächlich findet sich in den Quellen von der beginnenden Überlieferung zum Geleitswesen bis etwa 1550 keine Nachricht von räuberischen Überfällen auf Handelstransporte. Das Entscheidende aber für uns heute ist, dass der Geleitsmann die genannten Angaben in Geleitsregister eintragen musste, die über Jahrzehnte überliefert sind und die fast alle wünschenswerten Nachrichten zum Warenaustausch und zum Straßenverlauf enthalten. (Auf einen wichtigen Nebenaspekt soll an dieser Stelle nur verwiesen werden: Ein funktionierendes Geleitswesen stellte auch hohe Anforderungen an das Bildungswesen der Zeit, denn natürlich musste der Fuhrmann lesen, schreiben und rechnen können, um sich über die jeweiligen Inhalte der Geleitsordnungen informieren zu können.) In zeitintensiver Auswertung dieser einmaligen Quellen - bisher wurden ca. 60.000 Eintragungen in die Untersuchungen einbezogen - sind nicht nur die Quantitäten und Qualitäten der Warentransporte auf den verschiedenen Straßen, die Herkunft und die Zielorte der Transporte, die Bespannung, die Transportlast, die Transportgeschwindigkeit und 9 Registrum Dominorum Marchionum Missnensium. Verzeichnis der den Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen jährlich in den Wettinischen Landen zustehenden Einkünfte 1378, hg. von Hans B ESCHORNER (Leipzig 1933). Handelsstraßen als Pilgerwege 255 viele andere bisher unbekannte Informationen zu erhalten, sondern auch der konkrete Straßenverlauf lässt sich nachvollziehen 10 . In Verbindung mit anderen Quellen, z. B. den Rechnungen der Ämter (den damaligen Verwaltungseinheiten), wird auch die sich entwickelnde Infrastruktur mit Gasthöfen, Ausspannen, vor allem aber auch mit dem Straßen- und Brückenbau erkennbar, die natürlich nicht nur von den Handelstransporten, sondern von allen Personen genutzt wurden, die von A nach B wollten oder mussten. Sie konnten nicht nur auf die Vorteile an den Handelsstraßen zurückgreifen und sich sicher wähnen, sie hatten natürlich auch Gesellschaft und konnten sich in Notfällen gegenseitig unterstützen, bei den Straßenverhältnissen und vor allem zur Winterszeit ein entscheidender Vorteil. Die genannten Quellen sind auch Grundlage eigener gegenwärtiger Forschungen zum Straßenverlauf im mitteldeutschen Raum. Der bereits mehrfach erwähnten via regia kommt hier zweifellos entscheidende Bedeutung zu, auch wenn sie starke Konkurrenz durch eine Nord-Süd- Straße aus dem hansischen Ostseeraum nach Franken hatte, die zumindest von Leipzig aus als via imperii bekannt ist. Beide Straßen kreuzten sich in Leipzig und waren verkehrstechnischer Ausgangspunkt für den Aufschwung der Stadt mit seinen drei Messen zum mitteldeutschen Handelszentrum. Auf den Verlauf der via regia und der via imperii verweist ein Leipziger Ratsvermerk für auswärtige Kauf- und Fuhrleute über die Benutzung der vorgeschriebenen Straßen aus der Zeit vor 1471, dessen Bestimmungen auch schon in den früheren Jahrzehnten galten: ... welch Furman Kaufmanschacz adir Centenergut von Lipczgk gen Breszlaw zcu furen geladen hat, der sal von Lipczk uf Ylnburg adir Gryrn, von Grym odir Ylnburg uf Oschatz, von Oschatz uf den Hayn, vom Hayn uf Konigsburg und denn furder uf dy sechs Stette von Konigsburg uf Camenz, Budissin, Gorlicz und furder gein Breßlaw ... 11 . Von 1460/ 62 liegen Nachrichten vor über Verhandlungsergebnisse zwischen Kurfürst Friedrich von Sachsen und Georg Podiebrad, König von Böhmen, als Herr über Schlesien, wie die geladen Wagen durch (die) ... Lande und Furstenthum suchen und bawen sollen die Straße 12 . Bereits 1462 bestätigte Georg Podiebrad der Stadt Görlitz die Rechte über die Straßen, wie sie schon früher, seit Karl IV., festgelegt wurden und wies damit 10 Manfred S TRAUBE , Zum überregionalen und regionalen Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum, vornehmlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert. (maschinenschriftl. Habil.-Schrift, Leipzig 1981). 11 Quellen (wie Anm. 6) S. 187ff. 12 Thüringisches Hauptstaatsarchiv (ThHStA) Weimar, Reg. Cc 175, S. 30. 256 Manfred Straube die Einsprüche und Angriffe von Herzog Johann von Schlesien zurück. König Georgs Bestätigung basierte auf entsprechenden Auskünften der Bürgermeister und Räte von Bautzen, Görlitz, Lauban und Kamenz, die natürlich an dieser Straßenführung interessiert waren. Danach musste jeder Fuhrmann, gleichgültig, welche Ware er geladen hatte (vor allem kam Wein, Salz und „Zentnergut“ in Frage) oder auch mit leeren Wagen, wenn er den Queis überquert hatte, die Straße über Lauban, Görlitz, Bautzen, Kamenz, Königsbrück und dann über Großenhain, Oschatz, Grimma oder Eilenburg benutzen. Bemerkenswert ist noch das Gebot, item welch Furluth mit geladem Salcze in Slesien und Sechsstette faren wellen, dy sullen von Halle uf Delitsch, von Delitsch uf Ilburg, von Ilburg uf Oschacz and dannen forder in dy Sechsstette mit dem Salcze faren.... Die Verordnung sei allgemein bekannt und auf den Jahrmärkten in Leipzig verkündet worden. Unabhängig von wahrscheinlichen weiteren - bisher unbekannten - Auseinandersetzungen der verschiedenen Landesherren um den Straßenverlauf auf bestimmten Teilstrecken kann doch festgestellt werden, dass auf den genannten Straßen und durch die angeführten Geleitsorte der weitaus größte Teil der Waren, die nach Leipzig bestimmt waren oder von dort kamen, transportiert wurde und dass das Einzugsgebiet von Leipzig bis weit in alle Himmelsrichtungen reichte: nach Norden und Nordosten in das gesamte Ostseegebiet, östlich war Breslau - neben seinem schlesischen Einzugsgebiet - offensichtlich nur eine Zwischenetappe beim Warenaustausch zwischen Leipzig und Produzenten und Konsumenten in Russland und Ungarn, nach Südwesten war das Erzgebirge wohl eine gewisse Barriere, aber die Quellen geben hinreichend Auskunft über Handelskontakte mit Böhmen und darüber hinaus, südlich waren Nürnberg und Regensburg wichtige Kontaktstädte mit eigenen wirtschaftlichen Einzugsbereichen und westlich waren Naumburg und Erfurt ebenfalls nur Zwischenstationen für Kaufleute auf dem Wege von und nach Leipzig. Die via regia hat vor allem Bedeutung durch ihren konkurrenzlosen großen Einzugsbereich in Polen und Schlesien und selbst bis in die damals ungarische Slowakei reichen ihre Straßenverbindungen, weil in Breslau der einzige südlich gelegene Übergang über die Oder möglich war. Der nächste, nördlich gelegene bedeutsame Oderübergang war bei Crossen an der Bobermündung, über mehrere hundert Kilometer entfernt. (Die Straße über Glogau wurde nach bisherigen Kenntnissen offensichtlich wenig frequentiert.) Das bedeutet zugleich, dass alles, was aus Schlesien und Südbzw. Mittelpolen in Richtung Mitteldeutschland, Franken und Hessen unter- Handelsstraßen als Pilgerwege 257 wegs war, die via regia und Straßen von Crossen oder Frankfurt/ Oder benutzen musste. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass von Breslau und von Görlitz aus auch je eine Straße nach Böhmen führte und eine weitere von Görlitz über Bautzen nach Dresden, Chemnitz, Zwickau usw. nach Franken. Diese Straße ist aber - wie anhand der Geleitsrechnungen nachgewiesen werden konnte -, sehr wenig frequentiert worden. Aufmerksam zu machen ist auf vier Straßen, die von Norden bzw. Nordosten auf Leipzig zu führten bzw. von hier ausgingen. Von Leipzig aus führten alle zunächst nach Eilenburg. Weiterführend berührten sie von hier aus 1. Torgau, Herzberg, Luckau, Lübben nach Frankfurt/ Oder und gingen von dort über Küstrin in Richtung Stettin und über Landsberg in Richtung Danzig und dann über See in den baltischen Raum, oder 2. über Doberlugk, Spremberg, Priebus nach Sagan in Niederschlesien und weiter nach dem Osten, aber auch über 3. Torgau - Herzberg, Luckau, Cottbus - Crossen nach Posen und über 4. Wittenberg - Marzahn - Berlin-Kölln - Bernau - Eberswalde - Angermünde nach Stettin. Dazu heißt es in dem Leipziger Ratsvermerk: item welch Furman Kaufmanschacz ader Centenergut zcu Lipczk in das Konigreich zcu Polan ader Posznaw und in dy Margk gen Frankfurt an dy Oder, gen Berlyn ader der geleichen Gelegenheyt in die Marg zcu füren geladen hat, der sal von Lipczk uf Ilburg, von Ilburg uf Torgaw, von Torgaw uf Herczberg und dann furder der Lande wo in das ebent in die Margk adir gen Polen zcu faren .... Diese eindeutige Aussage täuscht jedoch über die wirklichen Gegebenheiten: die Anordnungen über die zu befahrenden Straßen wurden - wie viele andere ähnliche Bestimmungen jener Zeit - nur bedingt befolgt, wie die überlieferten Nachrichten hinlänglich beweisen. 1465 verlangte Kurfürst Ernst vom Geleitsmann von Großenhain, die Wagen auf dem Wege zum Leipziger Markt zu kennzeichnen, die Fuhrleute namentlich aufzuschreiben und nach Leipzig zu melden. Wer von den Fuhrleuten die Straßen über Großenhain und Oschatz nicht benutzte oder nicht in dem Verzeichnis erwähnt wurde, sollte in Leipzig mit der Beschlagnahme von Wagen, Pferden und Gütern bestraft werden 13 . Aber noch am Ende des 15. Jahrhunderts wurde festgestellt, dass Fuhrleute aus 13 ThHStA Weimar, Reg. Cc 175, S. 3. 258 Manfred Straube Sachsen und Thüringen auf dem Wege nach Schlesien und Polen über Bitterfeld - Torgau - Liebenwerda - Großräschen - Spremberg, Priebus nach Sagan und Liegnitz fuhren und damit die Straße über Eilenburg oder Grimma - Oschatz - Großenhain mieden 14 . Bisher ist nur eine konkrete Angabe aus dem Jahre 1518 aufgefunden worden: damals hatte der Geleitsmann von Leipzig Fuhrleute in Strafe genommen, weil sie von Sagan aus nach Torgau mit Zentnergütern gefahren waren und nicht nach Großenhain. Im Ergebnis mussten die Fuhrleute von Leipzig nach Großenhain reiten und dort die erforderlichen Geleitszeichen holen, auch wenn sie behaupteten, dass früher immer die Straße von Sagan nach Torgau benutzt wurde 15 . Zunächst scheinen Übertretungen dieser Vorschriften nicht durchweg geahndet worden zu sein, zumal - mit einer Ausnahme - alle Straßen nach und vom Osten, Nordosten, Westen und Süden mit Leipzig als Ziel- oder Ausgangspunkt lange Strecken über wettinisches Territorium führen mussten. Für die anstehende Thematik über die Jakobus-Straßen lassen sich hier allerdings keine Schlussfolgerungen ziehen, weil „Fußgehende“ kein Geleit zu zahlen hatten. Sie werden sich der erwähnten Infrastruktur angepasst haben. Nach der wettinischen Teilung vom 26.8.1485 16 erhielten die Auseinandersetzungen über die rechten Straßen von und nach Osten und Nordosten eine neue Qualität. Bisher konnte der Straßenzwang nur diesem oder jenem Ort Vorteile, die Nichtbeachtung den sächsischen Landesherren aber kaum Nachteile bringen. Jetzt ging es darum, wie weit die Fuhrleute ernestinisches oder albertinisches Gebiet benutzen sollten oder mussten. Während die Albertiner aus verständlichen Gründen den Weg über Großenhain und Oschatz vorschrieben und alle anderen, vor allem nördlich davon gelegenen Straßen verboten, setzten sich die Ernestiner gerade für diese niedere Straße ein, die über Glogau (aus Richtung Posen) - Sprottau (hier nahm sie wohl eine Straße aus Breslau und Liegnitz auf) - Sagan - Priebus - Muskau - Spremberg - Saalhausen - Doberlugk (o. Liebenwerda) - Übigau - Torgau - Eilenburg nach Leipzig führte, deren Bedeutung und Frequenz erst nach 1485 deutlich wurde. Bald nach 1485 häuften sich die Übergriffe des (albertinischen) 14 Ebd. S. 65. 15 Ebd. Reg. Cc 186. 16 Damals teilten die Brüder Ernst und Albrecht die wettinischen Besitzungen: Ernst erhielt das Herzogtum Sachsen-Wittenberg (mit der Kurwürde) und den größten Teil der Landgrafschaft Thüringen, Albrecht neben der Markgrafschaft Meißen auch Besitzungen im nördlichen Thüringen. Beide begründeten die ernestinische bzw. die albertinische Linie der Wettiner. Handelsstraßen als Pilgerwege 259 Geleitsmannes von Großenhain gegen Fuhrleute, die die vorgeschriebene Straße über Großenhain und Oschatz umfuhren. So wurde 1506 berichtet, dass ein Fuhrknecht aus Liegnitz mit 4 Wagen und 24 Pferden von Sagan nach Liebenwerda und Torgau fahren wollte, er aber gezwungen wurde, nach Großenhain zu fahren und dort seine Wagen abzuladen: uf ein idem wagen xl centner 17 . Andere Fuhrleute, die ebenfalls Großenhain nicht passiert hatten und demzufolge in Leipzig keinen Nachweis über die Benutzung der rechten Landstraße erbringen konnten, mussten - um einer Bestrafung zu entgehen - vorgeben, sie kämen aus Freiberg oder Chemnitz. Um den Schikanen und Gefahren entgegenzuwirken, benutzten einzelne Fuhrleute die alte Straße, schickten aber die Gebühren den Amtsleuten an den vorgeschriebenen Straßen, ohne damit Erfolg zu haben. Wie kompliziert die Verkehrsverbindungen waren, zeigt eine Beschwerde, wonach die niedere Straße nur mit Salz befahren werden durfte, nicht aber mit Kupfer, Waid und Zentnergut. Später wird sogar durch Herzog Friedrich von Schlesien festgelegt, dass über Torgau keine Salzwagen fahren durften. Welche Möglichkeiten bestanden, dennoch den verbotenen Weg zu nutzen, zeigt eine Aussage eines Fuhrmanns: der Hauptmann zu Priebus habe ihn ein Jahr lang von Sagan nach Torgau fahren lassen wollen, wenn er ihm ein bestimmtes Pferd verkaufe; der Hauptmann wolt die angezeigte Zeit durch die Finger sehen. 1518/ 19 verbot der Kurfürst von Brandenburg den Posenern, sich in die Niederlausitz zu begeben 18 . Ein gleiches Schicksal hatten Fuhrleute aus Lemberg, die Liebenwerda leer in Richtung Halle passierten und mit Salz zurückkehrten; sie wurden vom Geleitsmann in Priebus gezwungen, das Salz abzuladen, obwohl sie das Geleitsgeld bezahlt hatten. Nach Aussagen des Geleitsmannes durften keine Transporte mehr über Liebenwerda gehen, außer Frachtfuhren aus Posen, die über Glogau und Sagan kamen. Die Belastungen waren offensichtlich so groß, dass sich 1506 sogar der Geleitsmann von Muskau darüber wunderte, dass Fürsten und Herren dem Hauptmann von Priebus gestatteten, die Fuhrleute aufzuhalten und so die armen Leute zu schaden (zu) bringen, und das nur, weil sie die kaiserliche Heerstraße befahren, welche vor 100 Jaren und lenger ungehindert durch (das) Königreich gegangen. Welche Konsequenzen sich aus derartigen Streitigkeiten und Verboten ergeben konnten, zeigen Klagen von Gastwirten: Nach einer 17 ThHStA Weimar, Reg. Cc 175, S. 59. 18 ThHStA Weimar, Reg. Cc 184 und Cc 187. 260 Manfred Straube Aussage habe es in Muskau früher 4 oder 5 Gasthöfe gegeben, jetzt könne kaum einer gehalten werden. Als Beweis führten Zeugen an, daß uf dieser Strassen in den berürten Dorfen noch alte Kretzsehmar und Herbergen sein, die zu 50, 60 und 80 Pferden Stallung gehabt haben, die nu durch Nyderlegung der Straßen ader Umbtreibung der Wayne wüst worden 19 . 1497 erklärte ein Fuhrmann (Jörge Wirt) vor dem Rat der Stadt Löwenberg (an der Straße Görlitz - Breslau), dass er seit ca. 30 Jahren die Straße über Priebus - Muskau - Spremberg mit leeren und beladenen Wagen befahren habe. An anderer Stelle sagte er aus, dass er oft in Spremberg 15 bis 20 Wagen mit Zentnergut, Waid u. a. Gütern zu jeder Tageszeit vor der Stadt und auf dem Markte angetroffen habe. Damals sei es ihm nicht verwehrt gewesen, auf der niederen Straße zu fahren. Diese Straße soll auch kürzer gewesen sein als die über Großenhain - Oschatz und die Entfernung von (Groß-)Räschen nach Liebenwerda habe 5 Meilen betragen. Daraufhin wohl ließ Kurfürst Friedrich von Sachsen Anfang 1507 Erkundigungen einziehen, wie es mit dem Straßenverlauf vor der Teilung gehalten wurde. In Berichten der Amtmänner erinnerten sich zahlreiche namentlich genannte Zeugen aus der Herrschaft Doberlug, aus Liebenwerda, Wahrenbrück, Uebigau, Gorden und Hohenleipisch 40 Jare und lenger, dass die Straße, so von Breßla ... auf Leipzig ging, Liebenwerda und Belgern berührte, und nannten das Gleyse uf Liebenwerda eyne rechte Lantstrasse. Sie sagten aus, daß bisher die Furleute yren freyen unbezwungen Willen zu faren gehabt haben und ... gefaren (sind) uf Reschen, uf Doberstro, ... uf Salgast, ... uf Staupitz, ... uf Gordan ... und furder uf Libenwerda gantz unverhindert. Letztlich haben sich aber doch die Albertiner weitgehend durchgesetzt und fast den gesamten Warenverkehr in Richtung Breslau über die Hohe Straße gezwungen, denn die Geleitsrechnungen von Torgau weisen derartige Transporte über die niedere Straße nicht häufig aus. Daraus ergibt sich aber auch, dass der Warenverkehr zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und Schlesien mit Breslau über Leipzig die Geleitsorte Eilenburg oder Grimma benutzte und in den überlieferten Quellen erfasst wurde. Von den energisch durchgesetzten Maßnahmen der Albertiner waren auch die Geleitsorte Torgau und selbst Wittenberg betroffen. Als nämlich Kurfürst Joachim von Brandenburg 1518 versuchte, den Fuhrleuten, die Zentnergüter als Leder, Wachs, Federn und anders aus 19 Ebd. Reg. Cc 175, S. 7 und 46. Handelsstraßen als Pilgerwege 261 Polen brachten, die Straße über Crossen und Frankfurt und weiter durch die Niederlausitz zu verbieten, vermutlich, um diese Transporte weiter über sein Territorium zu zwingen -, suchten die Kaufleute den Weg über die Oberlausitz. Hier nun forderte der Lausitzer Sechsstädtebund (mit Görlitz, Bautzen, Kamenz, Löbau, Zittau und Lauban) die Benutzung der Hohen Straße über Großenhain und Oschatz. Wie aber die Geleitsrechnungen beweisen, scheinen sich in diesem Falle die Fuhrleute mit Unterstützung der Ernestiner behauptet und die alte Straße weiter benutzt zu haben. Im Jahre 1520 berichtet der Geleitsmann von Torgau, dass das Gleit itz under gantz gut ist und sein viel Centner- und sonst Wagen uf den itzigen leiptzschen Margkt alhie gewest. Seit drei oder vier Jahren seien nicht so viel auf dem Markt gewesen, aber sie sein alle aus Polen und von Dannzk rawß gefaren und nicht vom Sagan. Möglicherweise hat die brandenburgische Anordnung dazu geführt, auch Frankfurt zu meiden und den Weg über Crossen und Glogau - Sagan zu nehmen. Das wiederum musste auch den starken Frankfurter Zwischenhandel behindern 20 . Durch das Verbot des Kurfürsten Joachim ist natürlich der Rang der Straßen über Eilenburg und Torgau noch nicht hinreichend charakterisiert. In dem zitierten Leipziger Ratsvermerk wird zu Recht auf einen größeren Einzugsbereich verwiesen: das Königreich zcu Polan oder Posznaw und in dy Margk gen Frankfurt an dy Oder, gen Berlyn ader der gleichen Gelegenheyt. Die Fuhrleute mussten dazu auf jeden Fall Torgau passieren, hier teilte sich die Straße und führte nach Berlin oder Frankfurt/ O. und weiter in das unmittelbare hansische Hinterland. Für den relativ störungsfreien Warentransport auf den Straßen über Wittenberg und Torgau spielen die wohl konkurrenzlose Straßenführung und zugleich die stabilen Besitzverhältnisse zwischen den Territorien von Sachsen, Brandenburg und Magdeburg ebenso eine Rolle wie der starke Nord-Süd-Verkehr, der nicht umzulenken war. Auffällig ist allerdings, dass Wittenberg - immerhin Transitort der Hauptstraße aus Richtung Leipzig nach Berlin und weiter nach Norden - nicht auch in dem zitierten Leipziger Ratsvermerk erwähnt ist. Die Straßen über Grimma oder Eilenburg - Oschatz - Großenhain, über Eilenburg - Torgau - Luckau, Eilenburg - Doberlugk und über Eilenburg - Wittenberg sind unbestritten die bedeutendsten Routen im Ostbzw. Nord-Ost-Verkehr, der über Leipzig geführt wurde, aber es 20 Zur Rolle Frankfurts vgl. Manfred S TRAUBE , Die Stellung Frankfurts im Wirtschaftsleben zur Zeit der Gründung der Universität, in: Die Oder-Universität Frankfurt. Beiträge zu ihrer Geschichte, hg. von Günther H AASE / Joachim W INKLER (Weimar 1983) S. 73-90. 262 Manfred Straube gab daneben noch eine ganze Anzahl weiterer Verbindungen, die auch im überregionalen Warenverkehr eine wichtige Rolle spielten. Solche Geleitsorte im Raum zwischen Wittenberg und Großenhain waren u. a. auf ernestinischem Territorium Eckmannsdorf, Mellmsdorf, „zur Elster“, Jessen, Schweinitz, Schmiedeberg, Dommitzsch, Prettin, Herzberg, Belgern, Liebenwerda, Langennaundorf, Wahrenbrück, Dobra und Hohenleipitzsch. Nach Aussagen - vermutlich am Ende des 15. Jahrhunderts - von Fuhrleuten aus Freiberg, Chemnitz, Zwickau, Frankenberg, Roßwein, Döbeln, Leisnig, Rochlitz, Geithain, Mittweida, Colditz und Oschatz, haben sie seit mehr als 50 Jahren eine Straße über Herzberg (und nicht über Liebenwerda) befahren, wenn sie nach Stettin wegen Hering oder Fisch wollten 21 . Dass bei derartigen Streitigkeiten unterschiedliche, ja gegensätzliche Aussagen üblich waren, beweisen Aussagen von Fuhrleuten aus Prag, Brüx, Komotau, Cadan, Leitmeritz, Frauenstein, Sardau, Freiberg, Öderan, Chemnitz, Frankenberg, Döbeln, Roßwein , Oschatz, Rochlitz, Leisnig, Colditz, Lommatzsch, Pirna und Dresden: sie wären von 40 bis 54 Jahren auf dem Weg in die Mark nach Fisch und Heringen bei Merschwitz, Riesa oder Strehla (mit Fähren) über die Elbe gesetzt und dann weiter nach Liebenwerda und Hohenbuckow gefahren. Andere Nachrichten geben Kenntnis von neuen oder alten (kaum bekannten) Straßenverläufen selbst in unmittelbarer Nachbarschaft Leipzigs. So beklagte sich z. B. der ernestinische Schosser von Grimma 22 , dass Fuhrleute, die durch das Beigeleit Großbardau (unmittelbar südlich von Grimma) nach Halle oder Delitzsch unterwegs waren, nicht über das Eilenburger Beigeleit Wöllmen, sondern über Taucha oder Brandis führen. Damit wurde das ernestinische Geleit verschonet. Brandis und Taucha waren albertinisches, Wöllmen ernestinisches Gebiet. Von einer anderen Straße zwischen Grimma und Eilenburg und an Leipzig vorbei berichtete ebenfalls der Schosser von Grimma: nordöstlich von Grimma waren in Nerchau und in Burckartshain zwei Nebengeleite eingerichtet, die das Gebiet bis zum meißnischen Wurzen absperren sollten. Die Fuhrleute - vor allem aus den Oberstetlin Döbeln, Mügeln, Mittweida, Leisnig usw. mit kleinen Wagen für 2 bis 3 Pferde - umgingen aber diese ernestinischen Geleite und fuhren über das meißnische Treben oder direkt über Wurzen nach Norden in Richtung Eilenburg. Ob sich aus dieser besonderen Stellung Grimmas gegenüber 21 ThHStA Weimar, Reg. Cc 175, S. 99. 22 Ein Schosser war verantwortlich für die Steuereinnahme (Schoß) und neben dem Amtmann der führende „Verwaltungsbeamte“ in einem Amt. Handelsstraßen als Pilgerwege 263 den Ansprüchen Leipzigs auch erklären lässt, dass der Nord-Süd- Transit durch die Muldestadt in dem Leipziger Ratsvermerk unerwähnt ist, müsste später untersucht werden. Durch diese Auseinandersetzungen wird vor allem der große Einzugsbereich von Grimma besonders im Nord-Süd-Warenaustausch, d. h. vom hansischen Wirtschaftsraum bis in das sächsische Erzgebirge und nach Böhmen, näher gekennzeichnet, und auch die Festlegungen der Geleitstafel finden ihre Erläuterung. Dennoch führten die Hauptstraßen aus Böhmen und dem Erzgebirge weiter östlich über das albertinische Chemnitz und das ernestinische Borna nach Leipzig. Über die Verbindung Borna - Chemnitz und weiter sind bisher keine neueren Nachrichten bekannt geworden, aus denen sich nähere Einzelheiten über Verlauf, Streitigkeiten, Frequenz usw. ablesen lassen. Hier kann ein schärferes Bild wohl nur anhand der Geleitsrechnungen aus Borna gezeichnet werden. Aufgrund der bereits charakterisierten Quellen lässt sich jedoch ein neues, präziseres Bild vom Warentransit, aber auch von der Warenproduktion und der wirtschaftlichen Erschließung des Gebietes im Dreieck zwischen Großenhain - Leipzig - Wittenberg und vom Einzugsbereich der Straßen zeichnen. Dazu einige Beispiele, die zwar aufgrund der Quellenlage erst aus dem Rechnungsjahr 1524/ 25 stammen, sie lassen sich aber aufgrund möglicher Quellenvergleiche auch auf frühere Jahre bis zurück in das 15. Jahrhundert übertragen. In diesem Rechnungsjahr wurden in Eilenburg 7.076 Wagen und 76 Karren in den Geleitsrechnungen erwähnt 23 . Wichtig für uns sind an dieser Rechnung nicht die Wagenladungen, sondern die Herkunft der Fuhrleute, die häufig nicht aus Orten kamen, die direkt an den Fernhandelsstraßen lagen. Erwähnt werden - in alphabetischer Reihenfolge - Bernau, Breslau, Crossen, Danzig, Frankfurt/ O., Görlitz, Greiffenberg, Hirschberg, Lauban, Liebstadt, Mittenwalde, Posen aber auch Stettin. Da diese Orte nachweisbar nicht Ausgangspunkt der Waren sind, erweitert sich auch der Einzugsbereich der Straßen. Ein besonders eindeutiges Beispiel sind die registrierten 264 Wagen mit Kupfer. Es sind zwar Fuhrleute genannt aus Greiffenberg, Goldberg, Altzen, Lauban, Hirschberg und Liegnitz, aber das Kupfer kam über Oppeln und Krakau aus der ungarischen Slowakei im Raum Kaschau und wurde in der Nähe von Gotha in Thüringen verarbeitet. 23 ThHStA Weimar, Reg. Cc 676. 264 Manfred Straube In Wittenberg wurden im gleichen Zeitraum 24 Transporte mit 181 Pferden aus Danzig, mit 241 Pferden aus Posen und - um den Warenaustausch zu kennzeichnen - mit 547 Pferden aus Kronach registriert und fast alle diese Transporte hatten wertvolle Güter und nicht etwa Fisch geladen. Gerade diese Ferntransporte stellen Fragen, die über die reine Handels- oder Wirtschaftsgeschichte hinausgehen: - wie waren die konkreten Straßenverhältnisse, die von den Hunderten Transportwagen täglich und über das ganze Jahr hinweg befahren wurden - es ist eine immer wieder und immer noch vorgetragene Legende, dass in Winterszeiten der Verkehr auf den Straßen aufgrund der Witterungsbedingungen zurückging, die Leipziger Neujahrsmesse (seit 1458) hätte dann nie eine Chance gehabt -, - wie sehr waren die Fuhrleute mit ihrer kulturell-religiösen Tradition verbunden oder wie weit hatten sie sich von ihr gelöst, wenn sie ein ganzes Jahr über ununterbrochen unterwegs waren, d. h. auch zu den großen christlichen Feiertagen - wie die heutigen Fernfahrer mussten sie auch Liefertermine einhalten, um rechtzeitig zu den großen Märkten oder Messen zu kommen -, - wie stand es mit Übernachtungsmöglichkeiten, eine Frage, die auch für Pilger relevant war. Aus den Quellen geht hervor, wie viele Gasthäuser oder Herbergen entlang der Straße oder in den Städten gelegen waren. Wenn hier nun Fuhrleute aus Danzig mit Fuhrleuten aus Kronach zusammenkamen, wie hat man hier miteinander kommuniziert und worüber? Natürlich gilt diese Frage auch für diejenigen, die als Boten oder Pilger unterwegs waren. Verständnisschwierigkeiten hatten natürlich auch die Geleitsleute: so ist in Wittenberg ein Fuhrmann eingetragen als Janicko, an einem anderen Ort Jancko und in einem dritten hat der Geleitsschreiber eingetragen ein Polack, wird schon wissen wie er heißt. Vorschriftsmäßig geführte Geleitsangaben ermöglichen nicht nur die Bestimmung von Ladegewichten - die im Durchschnitt mit 5 Pferden bespannten Wagen konnten 2 to (= 40 Zentner) transportieren -, die jeweilige Angabe des Datums lassen auch die tägliche Reisegeschwindigkeit von etwa 20 km errechnen, d. h. von Eisleben nach Halle waren Fuhrleute einen Tag unterwegs und von Halle nach Leipzig 2 Tage. Im letzteren Falle musste der Fuhrmann auf jeden Fall einmal übernachten und eine Herberge aufsuchen und seine Pferde versorgen. Da 24 Ebd. Reg. Cc 1415. Handelsstraßen als Pilgerwege 265 aber nicht alle Fuhrwerke zur gleichen Zeit den einen Ort verließen bzw. am Zielort ankamen, musste es diese Herbergen vor allem zur Winterszeit in viel kürzerer Entfernung als 20 km geben. Eine bisher noch nicht aufgegriffene Forschungsthematik. Gegenüber den Straßen im nördlichen oder östlichen Umfeld von Leipzig ist der Verlauf der via imperii nach Franken und ihr Einzugsgebiet hinreichend durch zahlreiche Quellen belegt: neben dem Leipziger Ratsvermerk aus der Zeit vor 1471, dem Landpuech ... zum Hof 1502 25 sind es vor allem die oftmaligen kurfürstlichen Erlasse, die die Straßenführung immer wieder beschreiben. Im mehrfach erwähnten Leipziger Ratseintrag heißt es: Item welch Furman Kaufmanschacz adir Centenerguth von Lipczk uf Nurenberg zcu furen geladen hat und vor den Hoff obir das Gebirge faren wold, der sol von Lipczk uf Borne und von Borne uf Aldenburg f von Altenburg uf Zcwickau und Plawen adir Olßnicz und von dann uf den Hoff faren. Item welch Furman zcu Regensburg, zcu Nurenberg, zcu Bamberg, Elbogen und Eger ader an anderen Ende der Lanndart Kaufmannschacz ader Centenergut gen Lipczk zcu faren het, der hatte die genannten Städte ebenfalls zu passieren. Dem ist an sich nichts hinzuzufügen. Nicht unerwähnt soll aber an dieser Stelle bleiben, dass 1460 auch der Straßenverlauf von Polen und Schlesien nach Franken festgelegt wurde (in Form einer Erneuerung früherer Beschlüsse), und zwar von Bautzen nach Bischoffswerda, Dresden, Freiberg, Kempnitz, Zwickau, Vogtsberg und fort gein Francken. Damit erweisen sich die Quellen über den Warenverkehr durch Zwickau und Vogtsberg (und natürlich auch Plauen) als notwendige Ergänzungen zum Ost-West-Handel über Leipzig. Hingewiesen werden muss aber noch auf eine Ausnahme auf dem Wege von Nürnberg nach Leipzig: bereits in Hof konnte der Weg über Schleiz oder Greiz-Auma, oder Weida - Gera nach Zeitz und Pegau, die bequembst und nechst straß gein Leipzk, eingeschlagen und die vorgeschriebene Straße über Plauen - Zwickau - Altenburg - Borna gemieden werden. Diese Straße wurde zwar fortwährend durch Verbote und Erlasse bekämpft, aber natürlich konnte sie von „Fußgehenden“, d. h. von Boten oder Pilgern benutzt werden. Daneben gibt es natürlich noch zahlreiche andere Nachrichten, die die bisherigen Kenntnisse präzisieren. Dazu gehören z. B. zwei Altenburger Geleitsordnungen von 1515 und 1548 26 , die beide Wayne, die gein Halle 25 Quellen zur alten Geschichte des Fürstenthums Bayreuth 1, hg. von Christian M EYER (Bayreuth 1895) S. 49-208. 26 ThHStA Weimar, Reg. Bb 318 (für 1515); SHStA Dresden, Loc. 37 837 (für 1548). 266 Manfred Straube nach Saltze faren, anführen und außerdem Wagen, die durch Altenburg ann Reyne gein Normbergk, Preßlau (! ) ader in die Marck faren; die Ordnung von 1548 erwähnt noch Straßen nach Pegau, Weißenfels, Zeitz und Merseburg, auf denen vor allem Getreide transportiert wurde. Dabei ist z. Z. noch ungeklärt, ob sich Veränderungen nach der „Wittenberger Kapitulation“ von 1547 ergeben haben 27 . Immerhin beklagt sich z. B. der Schosser von Weida, er sei nicht bereit, ohne fürstlichen Befehl dafür zu sorgen, dass die rechte Landstraße benutzt wird, weil dann die Furleute von irem mutwilligen und unbefugten Auffaren gar nit abzusehen gedencken und es für ein Gespotte halten, das sie sagen, wenn sie nicht faren solten wo sie wolten, so wollen sie m. g. F. u. H. gar nichts zuwenden und der Teuffel sol unter inen wonen und also stracks bei Pesenigk und anderswo aus der ordentlich Landstraßen abschlahen und uff das erwente Beigeleite zu faren, welches umb der Straße willen, die vom Hoffe, Schleitz, Gera und dergleichen Stedte gehet, geordent ist 28 . So weit zur via imperii. Der Verlauf der via regia bis Erfurt und weiter ist hinreichend bekannt, aber es gibt natürlich eine Reihe von Ergänzungen und Korrekturen zu bisherigen Erkenntnissen, zumal ihre Bedeutung bisher nicht genügend gewürdigt worden, auf jeden Fall unterschätzt worden ist. Selbst zwei den Straßenverlauf direkt berührende Arbeiten - von Luise G ERBING über „Erfurter Handel und Handelsstraßen“ von 1900 29 und die Leipziger Dissertation von Beatrix R EISSIG über „Beiträge zur Geschichte des Handels und Warenverkehrs auf der hohen Landstraße in den Wettinischen Landen bis ins 16. Jahrhundert“ von 1938 - sind aus schwer erklärbaren Gründen für die Handels- und Verkehrsgeschichte so gut wie nicht beachtet worden, obwohl sich hier wertvolle Ansatzpunkte für ihre wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung ergeben. Von Leipzig aus führte die via regia zunächst konkurrenzlos über Lützen und Weißenfels nach Naumburg, damals auch eine bedeu- 27 Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes mit dem ernestinischen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen durch die kaiserlichen und albertinisch-sächsischen Truppen mit Herzog Moritz von Sachsen bei Mühlberg (24.04.1547), musste der gefangene Ernestiner in der „Wittenberger Kapitulation“ vom 19.05.1547 auf die Kurwürde, seine Anteile an den sächsischen Bergwerken, die böhmischen Lehen und den Landstreifen, der vom Kurkreis südlich bis zum Erzgebirge die Mark Meißen und die Osterlande getrennt hatte, d. h. das Land zwischen Saale und Mulde bis nach Torgau, verzichten. 28 ThHStA Weimar, Reg. Cc 378. 29 Luise G ERBING , Erfurter Handel und Handelsstraßen, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 21. Heft (Erfurt 1900) S. 94- 148. Handelsstraßen als Pilgerwege 267 tende Messestadt. Hier zweigte die in der bisherigen Literatur für den Warenverkehr maßlos überschätzte sog. Saale-Straße über Jena - Saalfeld nach Lehesten und Kronach und weiter nach Nürnberg ab. Dominierende Hauptstraße in westliche Richtung blieb die via regia, die über Eckardtsberga - Buttelstedt nach Erfurt führte. Erfurt war - wie bereits erwähnt - nicht nur eine bedeutende Handelsstadt, sondern auch ein wichtiges geistliches Zentrum mit dem ursprünglichen Bischofssitz und seinen zahlreichen Klöstern. Wie in Leipzig trafen hier zwei große Fernhandelsstraßen zusammen: die via regia und die sog. Kreuzstraße. Aus westlicher Richtung sollten die nyderlendischen Guther ader Franckfurtter gehen auf Eysenach, Kreutzburg und darnach auf Erfurt zu fahren, so sy wollen nach Leyptzigk oder ins Lant Polen und widerumb. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass in Erfurt betreffenden Quellen ausdrücklich von langen Frachtwagen aus Polen die Rede ist. Den Fuhrleuten aus Frammersbach war erlaubt, mit Frankfurter oder niederländischen Gütern Eisenach zu umgehen und nur über Creuzburg zu fahren 30 . Die gleiche Straße bis zum Main benutzten spätestens seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts auch Leipziger Kaufleute, wenn sie zur Frankfurter Messe wollten. Wir haben dazu ausführliche Nachrichten und wissen, dass sie in großer Anzahl jährlich 2-mal nach Frankfurt geritten sind: 1527 waren es innerhalb von 20 Wochen 159 Kaufleute mit 64 Knechten 31 . Auf die via regia bei Gotha stieß noch eine Straße von Weißensee und Herbsleben, auf der Güter, so ubern Hartz gegangen sindt und nach der Buchen oder Landt zu Hessen faren und nit uber (den Thüringer) Walt wollten, transportiert werden konnten. Es ist hier nicht der Ort, über den weiteren Verlauf der wichtigsten Handelsstraße zwischen Mitteldeutschland mit Leipzig und Erfurt bzw. Mittelosteuropa mit Polen und Schlesien in das Rhein-Main-Gebiet und weiter nach Westen zu berichten. Vielmehr möchte ich noch auf den Verlauf der sog. Kreuzstraße aufmerksam machen. Auf dieser Straße wurden im Fernhandel Güter transportiert, die von Braunswigk, Lübeck, Magdeburg ausgehn nach dem Landt zu Francken über Sangerhausen 30 Zu Frammersbach vgl. Peter M OSER , Mittel- und Nordwesteuropäischer Landtransport: Die Frammersbacher Fuhrleute und ihr Beitrag zur Transportgeschichte (15.- 19. Jahrhundert) (Phil. Diss. Würzburg, o. O. 1991). 31 Manfred S TRAUBE , Funktion und Stellung deutscher Messen im Wirtschaftsleben zu Beginn der frühen Neuzeit. Die Beispiele Frankfurt am Main und Leipzig, in: Brücke zwischen den Völkern - Zur Geschichte der Frankfurter Messe 1, Frankfurt im Messenetz Europas. Erträge der Forschung, hg. von Hans P OHL (Frankfurt a. M. 1991) S. 191-204. 268 Manfred Straube zunächst nach Erfurt gebracht wurden 32 . Auch eine Strasse von der Marck aus auf Erfurth hatte in ihrem letzten Teil den gleichen Verlauf. In einer anderen Aufzeichnung heißt es, dass über die Kreuzstraße Güter von den Sehestetten Lubigk, Hamburgk, Lüneburgk, Braunschweygk, Magdeburgk oder der Gelegenheyt gebracht wurden nach Nurenbergk, Wyrtsburgk, Meyningen, Waßungen, Schleusingen oder dergleichen. Der größte Teil des Warenverkehrs von und nach den Seestädten bzw. nach Magdeburg und in die Mark ging über Weißensee und Sachsenburg. Der auf den ersten Blick ungewöhnliche Straßenverlauf von Lübeck und Hamburg hängt natürlich damit zusammen, dass der Harz umfahren werden musste, aber zweifellos auch damit, dass es frühzeitig direkte Handelsverbindungen zwischen Erfurt und den genannten Städten im Süden und Norden des Reiches gegeben hat, wie die bereits genannte Geleitsordnung von 1315 deutlich macht, und dass im Laufe der Zeit eine gewisse Infrastruktur entstanden war. Straßen nach Süden von Erfurt aus mussten notwendigerweise den Thüringer Wald überqueren und offensichtlich haben die Fuhrleute trotz größter Transportschwierigkeiten aus noch nicht geklärten Gründen aus verschiedenen Straßenführungen ausgewählt, um nach Würzburg, Coburg, Kronach nach Nürnberg zu gelangen. Der Straßenverlauf lässt sich durch die zahlreichen Geleitsstellen aufgrund der vielfältigen Herrschaftsgebiete recht eindeutig nachvollziehen. So konnten die Fuhrleute fahren über Ilmenau oder über Gräfinau - beide Straßen trafen sich wieder in Neustadt - und dann über Heubach nach Eisfeld, sie konnten aber auch über Ilmenau und Allzunah und dann Zum Frauen über den Walt fahren und weiter nach Schleusingen. Von dort war es möglich, nach Hildburghausen und weiter nach Nürnberg zu kommen. Von Erfurt führte eine weitere Fernstraße nach Hildburghausen über Crawinkel, Oberhof, Suhl und Schleusingen. Wir wissen auch von einer Straße von Erfurt nach Hof, über die bisher konkrete Angaben fehlen. Auf jeden Fall passierten die Fuhrleute Gräfenthal, Lehesten und Lobenstein. Trotz zahlreicher Forschungen und beachtlicher Ergebnisse gibt es aber noch viele nicht geklärte Straßenverläufe bzw. Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Bedeutung. 32 Manfred S TRAUBE , Der hansische Binnenhandel - die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Thüringen und den Seestädten zu Beginn der frühen Neuzeit, in: Hanse - Städte - Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500, hg. von Mathias P UHLE (Magdeburg 1996) S. 396-405. Handelsstraßen als Pilgerwege 269 Auf die Saale-Tal-Straße wurde schon verwiesen, die offensichtlich nicht die ihr bisher zugesprochene Bedeutung als Handelsstraße besaß, aber sie war wichtig für den Personenverkehr, denn diese Straße wurde von Nürnberger, Augsburger und Frankfurter Kaufleuten auf dem Weg zu den Leipziger und Naumburger Messen mehrmals jährlich und auch auf dem Rückweg benutzt, wie aus den Geleitsrechnungen bzw. Geleitsanträgen hervorgeht. Hier handelte es sich übrigens um persönliches Geleit 33 . Die Kaufleute wurden in Bigen am Main von kursächsischen Geleitsreitern in Empfang genommen und auf der genannten Straße bis Naumburg und weiter geleitet. In einem Nachtlagerverzeichnis von 1582 werden zahlreiche ältere Einzelnachrichten zusammengefasst. Damals plante Joachim Friedrich, der Administrator des Erzbistums Magdeburg, eine Reise zum Reichstag in Augsburg. Seine Reise führte von Halle nach Querfurt, dann nach Naumburg, Jena, Saalfeld, Gräfenthal, Neustadt, Coburg, Bamberg und weiter. Er brauchte mit seinem Gefolge von 392 Pferden von Halle bis Bamberg 10 Tage mit zwei sog. Stilllagern in Saalfeld und Coburg. Das große Gefolge und die damit verbundenen Probleme lassen natürlich keine Berechnungen zu über die normale Reisegeschwindigkeit. Ungeklärt ist bisher, warum von den Kaufleuten gerade diese Straße genutzt wurde, offensichtlich bot sie jedoch viele Vorteile, die natürlich auch „Fußgehenden“, bekannt waren. Dieser knappen Skizzierung des Verlaufs und der Bedeutung wichtiger Handelsstraßen im mitteldeutschen Raum wird in nächster Zeit eine ausführliche Studie folgen auf der Basis der unter Anmerkung 10 genannten Arbeit mit weiteren Quellenauswertungen und stärker ins Einzelne gehenden Karten, die auch die politischen Strukturen beachten. Wenn auch bisher keine Nachrichten über die Nutzung der vorgestellten Straßen durch Pilger vorliegen, so dürfte doch feststehen, dass sie die Fernstraßen aus den eingangs genannten Gründen nutzten, nämlich Sicherheit, Kommunikation und Infrastruktur. Allerdings bleibt hier noch viel zu tun. So wäre zu prüfen, wieweit die zahlreichen thüringischen Klöster auch in die Wege der Pilger einbezogen werden müssen und können. Forschungsaufgaben gibt es also hinreichend. 33 Manfred S TRAUBE , Kaufleute auf dem Wege von und nach Leipzig - Handelsreisende im 16. Jahrhundert, in: Die Stadt als Kommunikationszentrum. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag, hg. von Helmut B RÄUER / Elke S CHLENKRICH (Leipzig 2001) S. 763-790. 270 Manfred Straube Abb. 1: Schematisierte Darstellung des Straßennetzes im mitteldeutschen Raum um 1500. Entwurf M. Straube. Handelsstraßen als Pilgerwege 271 Resumen: Caminos y vías no contituyen algo dado por la naturaleza, sino que son creados por el hombre - se entiende que aprovechando las posibilidades brindadas por la naturaleza - y tienen que nacer de una necesidad especial. De ahí la creencia que ni exigencias políticas ni imperativos eclesiásticos tornaron necesaria la construcción o la prolongación de caminos y vías en la Edad Media temprana, porque para ello ni los contactos políticos ni las acciones militares eran lo bastante intensos y duraderos. Aquellos que estaban de viaje por encargo del Estado o de la Iglesia o por iniciativa propia más bien usaron los caminos y las vías surgidos o por surgir por motivos económicos. Bajo “causas económicas” se entienden el intercambio de bienes regional y luego interregional, el transporte de productos y de materia prima, que podían ser cambiados más allá del mercado local contra otros artículos no obtenibles en un lugar. El intercambio seguro y no interrumpido de mercancías era decisivo. Para hacerlo posible, los señores de los diferentes territorios desarrollaron primero la escolta y luego los salvoconductos para los carreteros y los productos, fijando, de este modo, también el recorrido de los caminos a seguir (caminos obligados). Debido a la creciente circulación de mercancías en estos caminos, se formó una infraestructura compleja y marcada por hospedajes, albergues y estaciones de posta, en que eran cambiados los caballos y eran llevadas a cabo reparaciones. En relación con la escolta, se exigía el pago de tasas determinadas con exactitud. Los testimonios escritos surgidos (reglamentos (de las tasas) de la escolta, cuentas) posibilitan hoy contar con pruebas concretas de la frecuencia del transporte de productos en los caminos, así como de la proveniencia y las destinaciones de los carros y sus cargas y del estado de los caminos. Para la región centroeuropea, los primeros testimonios de este sistema de escolta se conservan ya desde finales del siglo XIII; el culmen de su desarrollo se puede fijar en la segunda mitad del siglo XV. Hasta la construcción de la ferrovía a mediados del siglo XIX, fue decisiva la via regia, que, partiendo del espacio silesio-polaco, conducía a la región de los ríos Rhin y Meno, pasando por Leipzig y Erfurt. En Leipzig, la via regia prolongaba un camino que venía de Francfort del Oder y de la región Este de la Liga Hanseática. Fuera de dicha vía, había un sinnúmero de rutas comerciales recorridas sobre todo a nivel local. Si bien no hay noticias sobre el tráfico de personas en las rutas comerciales en relación con la escolta - excepción hecha de los judíos, todas las personas estaban exentas de tasas, por lo que no eran contabilizadas -, es indudable que también peregrinos usaron estas rutas comerciales, aunque sólo fuera por la seguridad que ello significaba, el acompañamiento y la consecuente comunicación, el aprovechamiento de hospedajes y albergues y la ayuda brindada en situaciones difíciles. Fuera de intensificar aún más la investigación sobre el curso de los caminos, queda por hacer, entre otros, la tarea de analizar en qué medida los numerosos monasterios del Centro de Alemania eran incluidos en los caminos de los peregrinos. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg B ERT M EISTER Die mittelalterlichen Bruderschaften sind ein ausgesprochen vielfältiges Phänomen 1 . Auch wenn man ausschließlich die Jakobsbruderschaften in den Blick nimmt, lässt sich noch ein beträchtlicher Variantenreichtum erkennen. Die Wahl des Apostels Jakobus zum Patron kann verschieden motiviert sein. So kann sich hinter einer Jakobsbruderschaft eine Handwerker- oder Gewerbevereinigung verbergen wie in Freiburg in der Schweiz 2 oder in Waldshut 3 , wo Schuhmacher die tragende Gruppe sind. Eine der Kölner Jakobsbruderschaften ist ein Zusammenschluss von Waidhändlern, die sich bei der Benennung ihrer Bruderschaft wahrscheinlich an der am Waidmarkt gelegenen Jakobskirche orientiert haben 4 . Auch in anderen Fällen scheint das Patrozinium der Kirche, in der die Bruderschaft ihren Altar hat, den Ausschlag gegeben zu haben 5 . Zuweilen sind die Bruderschaften ganz auf Totengedächtnis und 1 André V AUCHEZ , Les confréries au Moyen Âge, in: Le mouvement confraternel au Moyen Âge. France, Italie, Suisse, Actes de la table ronde, Lausanne 9.-11.5.1985 (Collection de l’École française de Rome 97, Genf 1987) S. 395-405; Miri R UBIN , Fraternities and Lay Piety in the Later Middle Ages, in: Einungen und Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. von Peter J OHANEK (Städteforschung A/ 32, Köln/ Weimar/ Wien 1993) S. 185-198; Malte P RIETZEL , Die Kalande im südlichen Niedersachsen. Zur Entstehung und Entwicklung von Priesterbruderschaften im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 117, Göttingen 1995) insbes. S. 23ff.; Bert M EISTER , Sie sollen bruderschafft halden. Religiöses Engagement in den genossenschaftlichen Vereinigungen (Bruderschaften, Zünfte, Gesellenvereinigungen) der Stadt Altenburg im Spätmittelalter (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft 7, Beucha 2001) insbes. S. 11ff. 2 Kathrin T REMP -U TZ , Eine spätmittelalterliche Jakobsbruderschaft in Bern, Jahrbuch für schweizerische Kirchengeschichte 76 (1982) S. 47-93, hier S. 55. 3 Klaus H ERBERS , „Wol auf sant Jacobs straßen“. Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskults in Süddeutschland (Ostfildern 2002) S. 101. 4 Klaus M ILITZER , Jakobsbruderschaften in Köln, Rheinische Vierteljahresblätter 55 (1991) S. 84-134, hier S. 91ff. 5 H ERBERS , Pilgerfahrten (wie Anm. 3) S. 102. 274 Bert Meister Mehrung des Gottesdienstes ausgerichtet, so in Bern 6 oder Durlach 7 . Einen Bezug zur Wallfahrt nach Santiago gibt es in all diesen Fällen nicht. Wenn es bei den spätmittelalterlichen Jakobsbruderschaften einen Zusammenhang mit der Wallfahrt zum Grab des Apostels gibt, kann dies auf zwei verschiedene Weisen der Fall sein. Einerseits kommt es vor, dass sich ehemalige Jakobspilger zu einer Bruderschaft zusammenfinden. Das am besten erforschte Beispiel dürfte die Jakobsbruderschaft am Kölner Dom sein, eine Bruderschaft, der nur reiche Jakobspilger angehört haben. Unter den Zielen scheinen die Demonstration von Sozialprestige, Totenmemoria und Jakobsverehrung dominiert zu haben 8 . Andererseits gibt es zahlreiche Fälle, in denen Jakobsbruderschaften gegründet werden, um unbemittelte Pilger - insbesondere Jakobspilger - in einem eigens dafür eingerichteten Hospital mit Unterkunft, teilweise auch mit Essen zu versorgen. Auch diese Bruderschaften können, müssen aber nicht von ehemaligen Jakobspilgern ins Leben gerufen worden sein. Die ersten Jakobsbruderschaften, die sich der Unterbringung von Pilgern widmen, entstehen im vorletzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts 9 , lediglich in der Anfang des 15. Jahrhunderts gegründeten Jakobsbruderschaft in Aachen könnten wir ein früheres Beispiel vor uns haben 10 . Diese Bruderschaften existieren in aller Regel nur wenige Jahrzehnte. Auch in Gegenden, in denen nicht die Reformation den Schlusspunkt unter die Bruderschaften setzt, macht sich im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts eine Krise der Jakobswallfahrt bemerkbar, so dass für nur auf die Beherbergung von Pilgern ausgerichtete Hospize kaum noch Bedarf besteht. In diesen Jahrzehnten ist eine über Jahrhunderte gewachsene Infrastruktur entlang der Jakobswege zumindest im deutschsprachigen Raum schwer beschädigt worden 11 . Bestehen Spital und Bruderschaft 6 T REMP -U TZ , Bern (wie Anm. 2) S. 56ff. 7 Peter R ÜCKERT , Jakobusbruderschaft und Hospiz in der Stadt. Das Beispiel Durlach, in: Stadt und Pilger. Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult, hg. von Klaus H ERBERS (Jakobus-Studien 10, Tübingen 1999) S. 213-231. 8 M ILITZER , Köln (wie Anm. 4) S. 103ff.; D ERS ., Jakobusbruderschaften im Kontext der Kölner Laienbruderschaften, in: Stadt und Pilger (wie Anm. 7) S. 201-211. 9 T REMP -U TZ , Bern (wie Anm. 2) S. 53. 10 Arnold L ASOTTA , Pilger- und Fremdenherbergen und ihre Gäste. Zu einer besonderen Form des Hospitals vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen. Themen zu einer Ausstellung des Bayrischen Nationalmuseums und des Adalbert Stifter Vereins, München, hg. von Lenz K RISS -R ETTENBECK / Gerda M ÖHLER (München/ Zürich 1984) S. 128-142, hier S. 132. 11 H ERBERS sieht eine Beeinträchtigung der Herbergen für Pilger bereits im 15. Jahrhundert. Klaus H ERBERS , Deutschland und der Kult des hl. Jakobus, in: Der Weg der Jakobspilger, hg. von Yves B OTTINEAU (Bergisch-Gladbach 1992) S. 312-343, hier S. 326. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 275 dennoch weiter, wandeln sich deren Funktionen, zumeist wird aus dem Pilgerhospiz eine Armen- oder Bettlerherberge, wie es für Luzern sehr gut bezeugt ist 12 . Jakobsbruderschaften, die sich ganz allgemein der Armenfürsorge verschrieben haben, können wesentlich älter sein als solche, die ein Jakobshospital betreiben. Ich nenne nur Trier, gegründet 1239 13 , und die seit 1347 bestehende Jakobsbruderschaft an der Kunibert-Kirche in Köln 14 , vielleicht gehört auch die bereits erwähnte Jakobsbruderschaft in Aachen hierher. Bevor ich zur Altenburger Jakobsbruderschaft komme, einige wenige Sätze zur Stadt Altenburg: Sie kommt mit dem Reichsterritorium Pleißenland an die Wettiner, die im 15. Jahrhundert zeitweilig auch auf dem Schloss vor den Toren der Stadt residieren. Bei der Leipziger Teilung 1485 wird Altenburg ernestinisch. Von 1464 bis 1486 ist das Schloss Witwensitz von Margarete, der Witwe Kurfürst Friedrichs II. 15 Altenburg ist am Ende des 15. Jahrhunderts eine Stadt mit recht mäßigem sozialen Gefälle, reiche Fernhandelskaufleute fehlen, das Handwerk dominiert. Mit etwa 300 steuerpflichtigen Haushalten zählt sie nicht zu den größeren 16 . 1521 setzt in Altenburg die Reformation mit Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und den in der Stadt ansässigen Franziskanern sowie den Terminierern des Leipziger Paulinerklosters ein und findet 1528 mit der ersten regulären Visitation einen vorläufigen Abschluss 17 . Zur Charakterisierung der Quellensituation ist es notwendig, die Altenburger Bruderschaften zunächst von ihrem Ende her zu betrachten. Keine hat als solche über die Reformation hinaus Bestand gehabt, im Gegenteil, sie lösten sich bereits an deren Anfang auf. Das hat gra- 12 Werner G ÖTTLER , Jakobus und die Stadt. Luzern am Weg nach Santiago de Compostela (Luzerner historische Veröffentlichungen 35, Basel 2001) S. 148. 13 Bernhard S CHNEIDER , Bruderschaften im Trierer Land. Ihre Geschichte und ihr Gottesdienst zwischen Tridentinum und Säkularisation (Trierer theologische Studien 48, Trier 1989). 14 M ILITZER , Köln (wie Anm. 4) S. 99ff. 15 Zur Stadtgeschichte von Altenburg immer noch: Ernst Edler von B RAUN , Die Stadt Altenburg in den Jahren 1350-1525 (Altenburg 1872). 16 Hans-Joachim K ESSLER , Altenburg. Eine kurfürstlich-sächsische Mittelstadt in der Entwicklung zur territorialfürstlichen Residenzstadt zwischen der Leipziger Teilung 1485 und der Wittenberger Kapitulation 1547 (maschinenschriftliche Dissertation, Leipzig 1991). 17 Heinz W IESSNER , Das Bistum Naumburg. Die Diözese (Germania Sacra 35/ 1, Berlin/ New York 1997) S. 307; Julius und Ernst Conon L ÖBE , Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogtums Sachsen-Altenburg mit besonderer Berücksichtigung der Ortsgeschichte 1 (Altenburg 1886) S. 33-40; B RAUN , Altenburg (wie Anm. 15) S. 213. 276 Bert Meister vierende Folgen für die Überlieferung. Es gibt keine einzige Quelle, die direkt von den Bruderschaften auf uns gekommen ist. Erhalten hat sich nur, was der Rat der Stadt in seinem Bestreben, die Bruderschaften seiner Kontrolle zu unterwerfen, aufbewahrt hat und heute vor allem im Stadtarchiv liegt: 15 Urkunden, zum überwiegenden Teil Zinskäufe der Bruderschaft, darunter aber auch die Gründungsurkunde, die Urkunde über die Weihe der Jakobskapelle, über die Bepfründung des ersten Kaplans sowie eine Messstiftung. Dass wir über verschiedene Aspekte der Bruderschaft gut informiert sind, verdanken wir einer weiteren Quellengattung, den Jahresrechnungen der Bruderschaft. Alle Altenburger Bruderschaften hatten vor dem Rat Rechnung zu legen. Die dabei von den Bruderschaften eingereichten Jahresrechnungen sind aufbewahrt worden und - wenn auch nicht lückenlos - bis heute erhalten geblieben 18 . Zwar sind von der Jakobsbruderschaft nur fünf Jahrgänge überliefert 19 , doch stellen diese einen unschätzbaren, seinen Gehalt gleichwohl erst nach intensiver Beschäftigung preisgebenden Fundus dar. Der Historiker ist konfrontiert mit langen Listen von Ein- und Ausgabeposten: Ein Geldbetrag hat den Besitzer gewechselt, das ist es, was damals festzuhalten war. Was die Vorsteher der Bruderschaft hinzufügen, um zu erklären, woher das Geld gekommen, wohin es geflossen ist und welche Gründe es dafür gab, ist ausgesprochen unterschiedlich. Es gibt sehr lakonische Rechnungen, aber auch solche, in denen sich weiterführende Erklärungen finden. In den meisten Fällen sind zumindest die Personen genannt, mit denen es die Bruderschaft zu tun hat. Die Rechnungen enthalten 351 namentliche Einträge und es konnten unter den genannten Personen einige Mitglieder ausfindig gemacht werden. Es war mein Ziel, etwas über die Vermögensverhältnisse dieser Personen zu erfahren. Zu diesem Zweck habe ich die gleichzeitig überlieferten Stadtrechnungen herangezogen, in die die sogenannten Schoßlisten eingetragen sind 20 . Der Schoß ist eine Gebäudesteuer und der Ratsschreiber hat Jahr für Jahr getreu verzeichnet, wer wieviel für welches Haus gezahlt hat. Des Weiteren ist den Stadtrechnungen die Zusammensetzung des Rates zu entnehmen. Gelegentlich werden Berufe genannt. 18 M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 34f. 19 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 20 Zur Aussagekraft und zum Umgang mit den Schoßlisten vgl. M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 36ff. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 277 1494 wird die Jakobsbruderschaft durch ihre Gründungsurkunde 21 , die einen vorläufigen Abschluss des Gründungsprozesses markiert, erstmals fassbar. Eine Gruppe Altenburger Bürger - vier sind namentlich genannt - bittet den Rat umb bestetigung einer bruderschaft ... in der eher des heiligen sanct Jacobs und erklärt, sie habe diese Bruderschaft naw erhaben und angefangt. Die Urkunde kommt sogleich darauf zu sprechen, was mit der Gründung bezweckt werden soll, nämlich eym hawse vorm tiechtoer vom rathe zcur lehen rurende zcu einem hospital [zu machen,] darinne man dy armen enelenden pilgreym ... beherbergen wolle. Die vier genannten Personen müssen der Mittel- und der Oberschicht zugerechnet werden, es handelt sich um Merten Koch, Fleischer am Kornmarkt, um den Böttcher Hans Hitzolt sowie die beiden reichen Bürger Leonhart Hase und Heinrich Schleusing, deren Gewerbe wir nicht kennen. Für das Hospital trifft die Gründungsurkunde Bestimmungen: Pilger, die auf dem Weg nach Santiago de Compostela sind, werden bevorzugt aufgenommen (nemlich und vornehmste sanct Jacobs bruder), doch sollen auch Pilger nach Rom, Aachen, Einsiedeln und St. Wolfgang in Österreich Unterkunft finden. Sie alle dürfen nicht länger als eine Nacht bleiben. Jerusalem fehlt unter den genannten Pilgerzielen. Das wirft ein Licht auf den Personenkreis, der derartige Hospitäler nutzte. Wer über ausreichend Mittel verfügte, eine Jerusalemfahrt zu unternehmen, übernachtete wohl eher in Gasthäusern 22 . Als Ausweis ihrer Pilgerschaft müssen die um Übernachtung nachsuchenden Personen das Paternoster, das Ave Maria und das Credo vorbeten können, selbstverständlich in lateinischer Sprache. Wohl um pilgernde Laien nicht zu überfordern, soll der lateinische Text der drei Gebete auf einer Wandtafel angeschrieben stehen. Das Bestreben, einem Missbrauch vorzubeugen, wird deutlich. Die Beschränkung auf eine, allenfalls wenige Nächte findet sich oft bei derartigen Hospitälern, nebenbei gesagt, auch bei Armenhäusern der Frühneuzeit. Die Forderung nach der Kenntnis der geläufigsten lateinischen Gebete schließt nun aber einfach eine Reihe illiterater Fahrender aus, der Nachweis der Pilgerschaft ist damit nicht zu erbringen. Wer es vermochte, den lateinischen Text der Wandtafel phonetisch umzusetzen, konnte aufgenommen werden. Die eigenartige Verfahrensweise kann uns zweierlei verdeutlichen: Einerseits die Tatsache, dass Bedürftige versuchten, Pilgerschaft vorzutäuschen, andererseits, dass die Mitglieder der Jakobsbruderschaft um 1500 noch 21 Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Transkriptionen zu Altenburger Urkunden 1351-1507, Manuskript von Hans P ATZE , Urkunde vom 10.11.1494. 22 L ASOTTA , Pilgerherbergen (wie Anm. 10) S. 129f. 278 Bert Meister nicht davon ausgehen konnten, dass sich Pilger, wie es am Ende des 16. Jahrhunderts in Luzern verlangt wurde 23 , durch Papiere ausweisen können, etwa durch einen vom Heimatpfarrer ausgestellten Pilgerbrief oder durch einen am Pilgerziel erworbenen Nachweis. In diesen Zusammenhang gehört vielleicht auch die Tatsache, dass der Rat nicht ein Haus in der Stadt, sondern eines vor dem Teichtor zur Verfügung stellt. Sah man unbemittelte Pilger schlichtweg als Bettelvolk an und wollte sie nicht in der Stadt haben? Oder hat die Lage des Hospitals ganz praktische Gründe? Sie ermöglichte es nämlich spät, nach Schließung der Tore ankommenden Reisenden, eine Unterkunft zu finden. Drei Bruderschaftsrechnungen enthalten Inventare, die Aufschluss über die Größe des Hospitals geben. Es waren acht komplett mit Bettzeug ausgestattete Betten (gebette bette) aufgestellt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass vielfach ein Bett von mehreren Personen benutzt wurde. Man hielt 14mal Bettzeug in Reserve (bethe ym vorradt), sei es, um unbrauchbares Bettzeug zu ersetzen, sei es, um zusätzliche einfache Lager auf Stroh herzurichten. Vier Pfühle, das sind große Kissen oder Polster, und fünf Kissen waren außerdem vorhanden. Die Gründungsurkunde erwähnt einen Spitalmeister, der von zwei Mitgliedern der Bruderschaft kontrolliert werden sollte. Die Herberge wurde geheizt, wofür die Bruderschaft jährlich 20 bis 40 Groschen (g) aufwendete. Ausgaben für Beleuchtung lassen sich nicht nachweisen. Auch Essen erhielten die Pilger nicht, doch war in bescheidenem Maße Geschirr vorhanden, das wohl von den Pilgern benutzt werden konnte: drei Kannen, zwei Becher (nossel), eine zinnene Schüssel. Von einem irdenen Ofentopf wissen wir, weil er 1506/ 07 angeschafft worden ist (iii g dem topper vom offen toppe). Man hat sich darunter wohl einen dreifüßigen Grapen vorzustellen, der zum Kochen benutzt wurde 24 . Es ist nicht klar, ob das Hospital bereits 1494 seinen Betrieb aufgenommen hat. Aus den Stadtrechnungen erfahren wir, dass die Bruderschaft im Rechnungsjahr 1497/ 98 Baumaterial von der Stadt gekauft hat. Es ist kaum anzunehmen, dass die damit bestrittenen Bauarbeiten sich bereits auf die erst 1505 geweihte Kapelle beziehen, viel wahrscheinlicher handelt es sich um Instandsetzungsarbeiten am vom Rat übertragenen Hospitalgebäude. 1499/ 1500 war das Hospital nachweislich in Betrieb, denn die Stadtrechnung nennt die Namen der beiden Mitglieder, die im Hospital Aufsicht führen 25 . 23 G ÖTTLER , Jakobus (wie Anm. 12) S. 167. 24 Transkriptionen (wie Anm. 21). Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 25 Stadtarchiv Altenburg XI, A2a, Nr. 26, 26b. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 279 Wiederholt finden sich in den Rechnungen der Bruderschaft Ausgaben für die Instandhaltung des Gebäudes 26 : In vier Tagen decken 1508/ 09 ein Zimmermann und ein Tagelöhner das Dach mit 2000 Schindeln, ein Tischler täfelt ein Zimmer (xv g dem tischer tzu lone von der kammer tzu machen), wofür 40 Kiefernbretter gekauft werden. Möglicherweise war diese Kammer für den Kaplan der Jakobskapelle bestimmt, denn im folgenden Rechnungsjahr heißt es: x g vor i sloß dem prister vor die kammer. Fenster werden repariert, Steine gekauft, ein Maurer und ein Helfer bezahlt. Die Arbeiten kosten die Bruderschaft in zwei Jahren etwa drei Schock Groschen (ß). Ein ganz anderes Bild bietet die Rechnung 1515. Hier sind vier Seiten überwiegend mit Bauausgaben gefüllt. Ausgegeben werden etwa 15 ß, ein Betrag der zum Neubau eines kleineren Hauses durchaus ausgereicht haben dürfte 27 . Die Ausgaben beziehen sich auf das Hospital und es scheint sich tatsächlich um einen Neubau gehandelt zu haben, denn es wird ein Gebäude abgerissen (ii fl den zcimmerleuthen do sie das hauß fort haben geschoben), und es sind Erdarbeiten erfolgt (u. a. vi g ii arbtern die den grunt gegraben haben). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um das Ausschachten von Fundamentgräben gehandelt hat. Viel größer ist das Hospital jedoch nicht geworden, 1524 stehen darin neun Betten 28 . Die Sorge um fremde Jakobspilger ist die eine Seite, auf der anderen Seite muss danach gefragt werden, welchen Bezug die Mitglieder der Bruderschaft zur Pilgerfahrt nach Santiago gehabt haben. Wir wissen nicht, wer von den Bruderschaftsmitgliedern noch wie viele davon nach Spanien gegangen sind oder andere Fernwallfahrten unternommen haben. Es gibt aber einen Hinweis in der Gründungsurkunde. Es wird erklärt, dass welcher bruder in eigener person sanctum Jacobum zcur Compostella ... nicht besucht hadt, der sal das zceichen zu tragen in keyne weyße zcugelassen werden 29 . Es ist wohl unzweifelhaft, dass unter dem Zeichen die Jakobsmuschel zu verstehen ist 30 . Der Passus belegt, 26 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 27 Für die Schoßzahlung geben Hausbesitzer in Altenburg Gebäudewerte ab 9 ß an. Stadtarchiv Altenburg XI, A2a. 28 M. J. M EISSNER , Beiträge zur Geschichte des Jakobshospitals zu Altenburg, Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertumskunde 3 (1882) S. 229-239. 29 Transkriptionen (wie Anm. 21). 30 Die von alters in Santiago verkaufte Muschel ist Pecten maximus, die Große Pilgermuschel (Kurt K ÖSTER , Mittelalterliche Pilgerzeichen, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen [wie Anm. 10] S. 203-223). Biologen bringen durch ihre Benennungen noch zwei weitere Muscheln mit der Wallfahrt in Verbindung: Pecten jacobaeus, die Jakobsmuschel, ist im Mittelmeer verbreitet und hat schon deswegen keinen direkten Bezug zur Jakobswallfahrt; Chlamys opercularis, die Kleine Pilgermuschel, kommt an der südeuropäischen Atlantikküste vor, ist aber viel feiner gerippt als Pecten maxi- 280 Bert Meister dass es, zumindest unter den Gründungsmitgliedern, Jakobspilger gegeben hat. Man kann daraus jedoch nicht ableiten, dass diese in der Bruderschaft eine besondere Rolle gespielt hätten, etwa in der Weise, dass ihnen das Vorsteheramt vorbehalten, erst recht nicht, dass andere Personen von der Bruderschaft ausgeschlossen gewesen wären. Denn gerade aus dieser Formulierung lässt sich ja auch erschließen, dass es zum Zeitpunkt der Gründung Mitglieder gab, die das Zeichen nicht tragen durften, also nicht zum Jakobsgrab gepilgert waren. Die Altenburger Bruderschaften waren grundsätzlich für jedermann offen, davon ist auch die Jakobsbruderschaft nicht abgewichen. Trotzdem wird man in den Jakobspilgern wohl den Kern der Mitglieder, wohl auch die Träger der Initiative zur Gründung der Bruderschaft sehen dürfen. Es gibt nur einen einzigen Hinweis auf eine Fernwallfahrt eines Mitglieds: Der Bruderschaft sind im Jahre 1508/ 09 Kosten in Höhe von 70 g entstanden, als ihr Vorsteher Simon Frenzel mit Andreas Kaiser, dem Kaplan der Jakobskapelle, vermutlich im Frühjahr 1509 kein Rome wolt gehn 31 . Will man die Altenburger Jakobsbruderschaft darstellen, kommt man nicht umhin, auch auf jene Aspekte einzugehen, die zur Wallfahrt wenige oder keine Berührungspunkte haben. Es ist die einzige Altenburger Bruderschaft, die ein eigenes Kirchengebäude gestiftet hat. Die Kapelle neben dem Hospital wird 1505 vom Propst des Augustiner-Chorherren-Stifts auf dem Berge vor Altenburg (Bergerkloster) geweiht. Das Stift behält sich das Recht vor, alle gesungenen Messen von den Chorherren selbst halten zu lassen, so dass der wenige Wochen nach der Weihe mit der Kapelle belehnte Kaplan Andreas Kaiser nur für einfache, gelesene Messen und das Lesen des Psalters zuständig ist. 1508 erhält die Kapelle eine Ausmalung mit der Jakobslegende, den Aposteln und weiteren Heiligen 32 . Über die in der Kapelle gehaltenen Gottesdienste sind wir unzureichend informiert. Laut der Urkunde über die Weihe von 1505 wird eine mus. Allen Pilgermuscheln sind die Radiärrippen und die sogenannten Öhrchen beidseits des Wirbels sowie eine Schalengröße ausgewachsener Tiere von 10 cm und mehr gemeinsam. Die Bezeichnung mehrerer Muscheln als Pilgermuschel beziehungsweise Jakobsmuschel könnte durchaus darauf zurückgehen, dass die Pilger, insbesondere nachdem die Muschel das allgemeine Symbol jedweder Pilgerschaft geworden war (H ERBERS , Kult [wie Anm. 11] S. 319), verschiedene Muscheln benutzt haben. 31 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 32 Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, W AGNER s Collektaneen zur Geschichte des Herzogthums Sachsen-Altenburg (Hs.) 12, Nr. 102. (Eine weitere Abschrift: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Staatsarchiv, Abt. F, Nr. 1029, Bl. 103f.); ebd. 22, Nr. 89. Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 281 tägliche Messe angestrebt, die aber wegen der geringen Einkünfte des Kaplans, noch nicht gehalten werden kann. Diese belaufen sich auf gerade mal 110 g im Jahr, ein Betrag, der selbst vom Verdienst eines Tagelöhners übertroffen worden sein dürfte. Es ist durchaus denkbar, dass Andreas Kaiser die Pfründe erhalten hat, bevor er zum Priester geweiht wurde, und das Pfründeinkommen ihm half, sein Theologiestudium, wahrscheinlich in Leipzig, zu finanzieren. Die Kammer für den Priester im Hospital wird denn auch erst mehr als drei Jahre später eingerichtet. In der Zwischenzeit zahlt die Bruderschaft verschiedenen Priestern Beträge, um Messen in der Kapelle halten zu lassen. 1506 und 1507 sind es zwei wöchentliche Messen, die jedoch nur von Ostern bis Michaelis (Ende September) gelesen werden. Hier wird deutlich, dass es vor allem die Pilger sein dürften, die diese Messen besuchen. Nur so ist es erklärlich, dass sie in der kalten Jahreszeit, wenn der Pilgerverkehr ruht, als entbehrlich erachtet worden sind. Im Winter 1508/ 09 findet jedoch jeden Freitag eine Messe statt. Die erste Zahlung an Andreas Kaiser für das Abhalten von Gottesdiensten erfolgt am 29. Juni 1509. Es ist denkbar, dass er kurz vorher aus Rom zurückgekehrt ist. Erst 1517 erfahren wir von der Stiftung einer regulären wöchentlichen Messe. Bei keiner Messe wird erwähnt, dass sie zu Ehren des heiligen Jakob gelesen würde 33 . Über diese Wochenmessen hinaus gibt es eine ganze Reihe Gottesdienste, die für die Bruderschaft abgehalten werden. Sie werden ausschließlich von den Augustinern des Bergerklosters zelebriert. Zunächst ist der Bruderschaftsjahrtag zu nennen. Auch hier sind die Auskünfte der Rechnungen dürftig, wir erfahren nicht viel mehr als die Summe des Jahr für Jahr verausgabten Betrages und deren Empfänger. Die Priester des Bergerklosters werden für 20 g bewirtet und der Schulmeister der zum Stift gehörenden Schule erhält 5 g für den Gesang - sicher zieht er seine Schüler dazu heran. Darüber hinaus wird nur erwähnt, dass die Gottesdienste aus Vesper am Vorabend und den Messen am Jakobstag bestehen. Wir können aus der Kenntnis der Verhältnisse bei anderen Bruderschaften konkretisieren: Zur Vesper fand ein Totenoffizium statt, die Messen waren Seelenmessen. Die Gottesdienste am Bruderschaftsjahrtag müssen deshalb als Memorial- und Fürbittgottesdienste für alle Verstorbenen der Bruderschaft angesehen werden 34 . Der Jahrtag erschöpft sich jedoch nicht in Gottesdiensten. Die Gründungsurkunde legt fest, dass die Brüder am Jakobstag zusammenkommen sollen, um einen oder mehrere neue Vorsteher zu wählen, die 33 W AGNER , Collektaneen (wie Anm. 32) 6, Nr. 103; ebd. 12, Nr. 102; ebd. 22, Nr. 89; Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 34 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16; M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) passim. 282 Bert Meister vom Rat bestätigt werden müssen. Die Bruderschaft hat immer zwei Vorsteher gewählt. Die alten Vorsteher sollen, laut der Urkunde, den neuen Vorstehern Rechnung legen. Das ist bemerkenswert. Die anderen Bruderschaften der Stadt legen vor dem Rat Rechnung, im Fall der Sebastiansbruderschaft der Schützen benennt dieser sogar die Vorsteher. Der Jakobsbruderschaft ist eine größere Selbständigkeit zugestanden worden, die sie sich 15 Jahre lang hat bewahren können. Das Rechnungsjahr der Jakobsbruderschaft läuft in Übereinstimmung mit den Festlegungen der Gründungsurkunde von Jakobstag zu Jakobstag, die sehr oft aufs neue gewählten Vorsteher legen vor der Gesamtheit der Bruderschaft Rechnung (haben die vorsteher sente jacoffs merten koch und symon frentzel gerechent yn keynwertigkeyt jungk und aldt der gantzen bruderschafft). Die beiden ältesten überlieferten Jahresrechnungen enthalten keinen Hinweis darauf, dass sich der Rat in irgendeiner Weise in die Rechnungslegung eingemischt hätte. Erst die im Sommer 1509 abgeschlossene Rechnung ist zu Lucie (13.12.), ein halbes Jahr später, vom Rat kontrolliert worden. Zu Lucie fand üblicherweise die Abrechnung der Bruderschaften vor dem Rat statt. Spätestens 1515 hatte die Jakobsbruderschaft hinsichtlich der Kontrolle durch den Rat ihre Sonderstellung verloren, das Rechnungsjahr geht nun wie bei den anderen Bruderschaften von Lucie bis Lucie des Folgejahres und die Vorsteher rechneten nicht mehr oder nicht mehr nur vor ihren Mitgliedern, sondern vor dem Rat ab (anno domini millesimo quinquecentesimo ... in vigilia lucie haben die vorsteer der bruderschafft sant jacoffs dem rathe rechnung gethan) 35 . Und es gehört ein Umtrunk zum Jahrtag. Die Gründungsurkunde legt die Menge Bier fest, die die Brüder vertrinken dürfen: ein viertel Fass. Von mehreren Altenburger Bruderschaften ist bekannt, dass der Umtrunk durch eine Umlage unter den Mitgliedern finanziert wird und bei einem der Mitglieder stattfindet 36 . Ob sich dies auf die Jakobsbruderschaft übertragen lässt, kann nicht belegt werden. Da es ein ganz wesentliches Element des Bruderschaftsjahrtages ist, als Totengedächtnistag zu fungieren, kommt dem Umtrunk die Bedeutung eines Gedächtnismahles zu. Die Memoria der Jakobsbruderschaft für die Verstorbenen erschöpft sich nicht im Jahrtag. Weitere Totengedächtnisse finden an den vier Quatembertagen, auch Weich- oder Fronfasten genannt, statt. Bei dem 35 Transkriptionen (wie Anm. 21); Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 123. 36 Transkriptionen (wie Anm. 21); M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 48 (Fron leichnamsbruderschaft), 69 (Annenbruderschaft an der Bartholomäuskirche), 122 (Sebastiansbruderschaft). Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 283 Begängnis, wie die an diesen Tagen gehaltenen Gottesdienste genannt werden, werden wiederum Augustiner-Chorherren für ihre Dienste bewirtet, diesmal aber nur für 6 bis 7 g, ein Knecht erhält 5 g, in Analogie zu anderen Bruderschaften für das Zusammenrufen der Mitglieder, ein Schreiber erhält 4 g 37 . Nach den verausgabten Beträgen scheint das Totengedächtnis zu den Quatember-Terminen nicht so feierlich zu sein wie am Bruderschaftsjahrtag. Der Jahrtag und die vier Begängnisse dürften die einzigen Termine im Jahr gewesen sein, an denen alle Mitglieder zusammen kamen, weitere Verpflichtungen für die Mitglieder werden nicht erwähnt. Da es sich bei der für die Bruderschaft aussagekräftigsten Quelle um Rechnungen handelt, lässt sich die finanzielle Situation gut darstellen und ich will nicht versäumen, darauf einzugehen. Besonders großer Finanzbedarf bestand zunächst bei der Gründung, insbesondere wenn, wie bei der Jakobsbruderschaft, mit ihr die Einrichtung eines Hospitals, der Bau einer Kapelle, die Stiftung einer Pfründe oder regelmäßiger Messen verbunden waren. Dazu können liturgisches Gerät und Textilien, Altarretabel und andere Bildwerke treten, die angeschafft werden mussten. Auch Konfirmationen kosteten Geld. Bei der Annenbruderschaft an der Bartholomäuskirche, bei der die Rechnungsüberlieferung bereits im Gründungsjahr einsetzt, zehrt die Konfirmation des Annenaltars durch den Naumburger Bischof die gesamten Einnahmen des ersten Jahres auf 38 . Bei keiner der Altenburger Bruderschaften stammen die Gelder von einem einzigen, besonders potenten Spender, sondern immer haben weite Kreise der Stadtbevölkerung zu solchen Stiftungen beigetragen. Über die Motivation zu Spenden für derartige Stiftungen will ich ein paar Sätze verlieren 39 . Da Bruderschaft immer gemeinsames Totengedächtnis bedeutet, da diese Vereinigungen notwendig immer eine Memorialgemeinschaft bilden, ist es das Streben nach dem Seelenheil, das die Zuwendungen an die Bruderschaften motiviert. Anhand der Altenburger Quellen lässt sich sehr gut demonstrieren, dass Bruderschaft synonymisch mit Memorialgemeinschaft gebraucht wurde. Aber auch Quellen aus Zwickau können das belegen. ‚Bruderschaft halten‘ bedeutete dasselbe wie ‚das Totengedächtnis pflegen‘. Manifestiert hat sich dieser Gedächtnisdienst in den regelmäßigen Seelenmessen, denen ein Totenoffizium am Vorabend vorausging. 37 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 38 M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 70. 39 Ausführlich: M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 23f., 26ff., 171. 284 Bert Meister Die mittelalterliche Memorialgemeinschaft war eine Gemeinschaft der Lebenden und Toten. Wer verstarb, schied nicht aus der Gemeinschaft aus, sondern wurde weiterhin als ihr Teil angesehen. Zusammen mit der Vorstellung, dass sich eine religiöse Leistung - hier die Teilnahme an den Gedächtnisgottesdiensten - durch eine Geldzahlung ablösen lässt, eine Vorstellung, die auch den Stellvertreterwallfahrten zugrunde liegt oder aus der Bußpraxis gut bekannt ist, wo sie zur Ausprägung des Ablasses geführt hat, zusammen mit dieser Vorstellung konnte es dazu kommen, dass der Beitritt zu einer Memorialgemeinschaft im Moment des Todes möglich war. Das Mittel dazu war die testamentarische Hinterlassung an eine Bruderschaft oder auch eine andere Institution, die das Totengedächtnis pflegt. Deshalb müssen wir bei den Bruderschaften zwischen zwei verschiedenen Personenkreisen scharf unterscheiden: Das sind erstens die Mitglieder der Bruderschaft, die aktiv am Leben der Gemeinschaft teilnehmen, insbesondere durch Anwesenheit bei den Memorialgottesdiensten ihren Beitrag zum Seelenheil der aus der Gemeinschaft bereits Verstorbenen leisten. Es dürfen aber zweitens keinesfalls jene vergessen werden, die P RIETZEL den „bruderschaftlichen Personenkreis“ 40 nennt, jene, die nur der Memorialgemeinschaft angehört haben. Ein solches Verhältnis zur Bruderschaft ist für lebende wie verstorbene Personen gleichermaßen denkbar. In aller Regel handelt es sich aber um Personen, die der Bruderschaft per Testament im Moment ihres Todes beitreten. Sie haben zu Lebzeiten nicht an den Gottesdiensten teilgenommen und vermachen der Bruderschaft statt dessen einen Geldbetrag oder einen Wertgegenstand. Mittels dieser Stiftungen werden sie in das Totengedächtnis der Bruderschaft aufgenommen, werden Mitglied der Memorialgemeinschaft, deren man bei den Begängnissen gedenkt. Sich diesen Unterschied bewusst zu halten, ist deshalb wichtig, weil ihn die Quellen nicht selten verschwimmen lassen. Der Betrag, mit dem man sich in eine Memorialgemeinschaft der Bruderschaften einkaufen kann, ist in Altenburg nicht festgelegt. Es gibt Personen, die nur wenige Groschen stiften, andere wenden viele Gulden auf, um dasselbe Ziel zu erreichen. Es hat bei der Bemessung der testamentarischen Spende offenbar nur eine zweitrangige Rolle gespielt, wie reich der Spender ist. Zwar kommen sehr große Beträge naturgemäß nicht aus dem Kreis der Ärmsten, doch ausschlaggebend ist ganz offensichtlich der Stellenwert, den die Sorge um das Seelenheil bei der stiftenden Person einnimmt. Es lassen sich jedoch Üblichkeiten erkennen, an denen sich die meisten Spender orientiert haben, so dass 40 P RIETZEL , Kalande (wie Anm. 1) S. 37. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 285 die überwiegende Mehrzahl der Bescheidungen zwischen 10 und 20 g liegt. Man wendete also in der Regel einen relativ geringen Betrag auf. Vielleicht kann ich es so verdeutlichen: Ein Tagelöhner hätte sich etwa zehn Tageslöhne vom Munde absparen müssen, um einen dem Üblichen entsprechenden Betrag testieren zu können. Die Annenbruderschaft an der Bartholomäuskirche, deren finanzielle Verhältnisse von ihren Anfängen an belegt sind 41 , hat die Mittel, die sie zur Gründung benötigte, ausschließlich aus derartigen hinterlassenen Spenden aufgebracht. Es ist zunächst festzuhalten, dass nicht das Bestehen einer Bruderschaft und von ihr getragener religiöser oder karitativer Institutionen zu testamentarischen Spenden für das Seelenheil motiviert, sondern dass bereits die Absicht, eine solche einzurichten, den Spendenstrom fließen lässt. Und die Altenburger Bürger sind im Fall einer bevorstehenden Gründung bereit, größere Beträge als einer bereits bestehenden Bruderschaft zu testieren. 1502, im ersten Jahr ihres Bestehens erhält die Annenbruderschaft elf Spenden, im Durchschnitt von jedem Testierenden mehr als 45 g. Auch zwei Jahre später erhält sie mit 4 ß einen besonders hohen Betrag von einem Verstorbenen, doch der Schreiber der Rechnung fügt hinzu, dass dieser Spender daran gedacht hat, der Bruderschaft den Kauf von noch benötigten Ausstattungsgegenständen, einem Bahrtuch und einem Paar Kerzenständer, zu ermöglichen. Diese Bescheidung ist also noch in den Gründungszusammenhang zu stellen. Die restlichen neun Spender vermachen der Bruderschaft im Durchschnitt reichlich 15 g, nur ein Drittel jenes Betrages, den ein Spender im Gründungsjahr der Bruderschaft hinterlassen hat. Für die Jakobsbruderschaft fehlen derartige Angaben, da die Überlieferung der Rechnungen erst zwölf Jahre nach der Gründung einsetzt. Wir wissen bereits aus der Gründungsurkunde, dass eine ganze Gruppe Altenburger Bürger gemeinsam um die Bestätigung ihrer neu errichteten Bruderschaft beim Rat eingekommen ist. Es würde deshalb einen Widerspruch bedeuten, wenn die Last, das Gründungskapital aufzubringen, nicht auf breite Schultern verteilt gewesen wäre. In der Zeit, aus der Rechnungen vorliegen, wird die Bruderschaft reichlich bedacht 42 . In normalen Jahren kann die Bruderschaft mehr als 200 g einnehmen, der Durchschnitt der einzelnen Gabe liegt bei 20 g, ist also relativ hoch. Der Betrag reicht aus, um die Kosten sämtlicher Gottesdienste zu bestreiten. 1506 ist ein Ausnahmejahr. In Altenburg grassiert die Pest und die Bruderschaften erhalten ein Vielfaches an tes- 41 M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 69f. 42 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16. 286 Bert Meister tamentarischen Hinterlassungen. Einschließlich gestundeter Spenden erhält die Jakobsbruderschaft 1506/ 07 56 Einzelbeträge, die sich zu fast 18 ß summieren, das ist mehr als das Fünffache der Einnahmen anderer Jahre. Das muss aber nicht darauf zurückgeführt werden, dass plötzlich Personen, die ihrem Seelenheil bisher gleichgültiger gegenübergestanden haben, sich nun, angesichts der Gefahr eines plötzlichen Todes, der Memorialgemeinschaften entsonnen hätten, es dürfte vielmehr an den überaus vielen Todesfällen gelegen haben. Es folgt fast zwangsläufig aus dem Charakter der Einnahmen, dass das große Sterben die Bruderschaften reich gemacht hat. Keinesfalls war zur Zeit der Pestepidemie der einzelne zu größeren Spenden bereit. Das lässt sich sehr einfach nachrechen: Der Durchschnitt der einzelnen Gabe für die Jakobsbruderschaft beträgt in diesem Jahr nur 15 g. Die Bruderschaften nutzen den unverhofften Reichtum meist, um ihre Ausstattung zu verbessern. So geht beispielsweise die Sebastiansbruderschaft unmittelbar nach der Pest an die Stiftung eines Altars. Die Jakobsbruderschaft beschreitet einen anderen Weg, ihre Überschüsse zu nutzen, und dies ist wiederum eine Besonderheit. Keine der anderen Altenburger Bruderschaften befasst sich mit dem Geldverleih, die Jakobsbruderschaft betreibt ihn in großem Stil. 1506 sind 37 ß auf Zinsen ausgeliehen. Aus den 20 Jahren von 1505 bis 1525 sind uns 17 Kapitalgeschäfte bekannt, 14 davon durch Urkunden, drei weitere nur aus den Jahresrechnungen. Es ist dabei zu bedenken, dass nicht jedes beurkundete Geschäft überliefert ist, dass kleinere Geschäfte wohl auch nicht beurkundet worden sind. Mit den bekannten Geschäften hat die Bruderschaft einen Umsatz von 180 ß getätigt. Daneben nehmen sich die 15 ß, mit denen die Bruderschaft 1515 ein neues Hospitalgebäude errichtet, recht bescheiden aus. Allein in dem Jahr nach der Pest kann sie 42 ß verleihen. Auch an der Getreidespekulation scheint sich die Bruderschaft beteiligt zu haben. Sie kauft 1505 66 Scheffel Getreide. Diese Menge hätte drei, vielleicht vier schwere, von acht Pferden gezogene Fernhandelsfuhrwerke gefüllt 43 . Drei Jahre wird das Getreide aufbewahrt. Der Gedanke drängt sich auf, dass Teile des Hospitals (wir wissen aus dem Inventar, dass es über einen Boden verfügte) als Getreidespeicher herhalten mussten. Erst 1508 wird das Getreide wieder verkauft. Leider fehlt uns gerade für das erste Halbjahr 1508 die Rechnungslegung der Vorsteher, so dass nicht mehr nachzuvollziehen ist, ob und wieviel Gewinn die Bruderschaft aus der Spekulation ge- 43 Je nach Getreidesorte enthielt ein Altenburger Scheffel 70 bis 125 kg Getreide. Vgl. Zacharias K RESSE , Geschichte der Landwirtschaft des Altenburgischen Osterlandes (Altenburg 1845) S. 288. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 287 zogen hat. Des Weiteren hat sie zeitweilig eine Braupfanne besessen, jedoch kein Bier gebraut, sondern diese gegen einen Pfannenzins verliehen. Ab 1509 besaß sie einen Kux, einen Anteilschein an einer Silbergrube im Erzgebirge, der ihr jedoch keinen Gewinn einbrachte. Die Einnahmen aus diesen Geschäften machen den größten Posten des Etats aus, 40 % der Gesamteinnahmen stammen aus den geschäftlichen Unternehmungen der Bruderschaft, die Testamente tragen nur mit etwa einem Drittel zu den Einnahmen bei 44 . Und noch eine Einnahmequelle hat sich in Altenburg keine andere Bruderschaft erschlossen: Mitglieder der Jakobsbruderschaft gingen in die umliegenden Dörfer betteln 45 . In vier Jahren ist man 32mal ausgezogen, um für die Bruderschaft um Geld zu bitten. Bis zu drei Wegstunden wurden dafür in Kauf genommen, es sind 20 Dörfer und zwei benachbarte Kleinstädte aufgesucht worden. Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, sind bevorzugt besucht worden: Dreimal wählte man den Tag der Kirmes, einmal sammelte man auf einem Jahrmarkt, zweimal besuchte man den Wallfahrtsort Heiligenleichnam. Dreimal im Jahr wird auch vor dem Jakobshospital um Geld gebeten und an der Jakobskapelle befand sich ein Opferstock. Die Stadt Altenburg sparte man aus. Auch wenn die Emissäre nicht immer erfolgreich waren, manchmal kamen sie lediglich mit 4 g zurück, trug das Einsammeln von Spenden doch 15 % zu den Einnahmen bei. Der kleinste Einnahmeposten, 10 % der Gesamteinnahmen, sind die Zahlungen von Mitgliedern: Neu Eintretende zahlen gewöhnlich 5 g Beitrittsgebühr und zum liturgischen Totengedächtnis wird von jedem ein jährlicher Betrag von 1 g und 3 d erhoben, das sogenannte Weichfastengeld. Die regelmäßigen Ausgaben bleiben hinter den Einnahmen weit zurück: knapp 3,5 ß für Gottesdienste, gerade mal 30 g für Brennholz und 8 g Gebäudezins für das Hospital an den Rat. Es macht sich in der Kasse kaum bemerkbar, wenn ein Dach neu gedeckt, dem Kaplan die Kammer hergerichtet wird, Simon Frenzel eine Zusteuer zu seiner Romfahrt erhält. Ein Abendmahlskelch für 100 g ist keine große Ausgabe und die Kosten für die Fresken in der Kapelle fallen kaum ins Gewicht. Das Hospital 1515 neu zu bauen kostet etwas mehr, doch ist es kein Problem die notwendigen 15 ß aufzubringen. 44 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16; W AGNER , Collektaneen (wie Anm. 32) 6, Nr. 103-106, 108f., 111; ebd. 11, Nr. 38f., 97, 107, 110; M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 130f. 45 Stadtarchiv Altenburg XII, p, Nr. 16 (1506/ 07-1509/ 10). 288 Bert Meister Die Bruderschaft hatte nicht viele Mitglieder. Man kann das leicht aus den Beträgen errechnen, die sie an Weichfastengeld einnimmt. 1506 waren es weniger als 40, 1509 mehr als 50, 1515 nur noch 25 Mitglieder. Zum Vergleich: Fronleichnamsbruderschaft um 1500 mehr als 150, Sebastiansbruderschaft um 1520 mehr als 100 Mitglieder. Mit Namen kennen wir nur 25 Mitglieder der Jakobsbruderschaft. Nicht alle wohnen in der Stadt Altenburg: Ein Mitglied kommt aus Breesen, anderthalb Wegstunden von der Stadt entfernt, eines von drei geistlichen Mitgliedern ist stadtfremd, aus den Vorstädten kommen ein Schulmeister und ein weiteres Mitglied. Die überwiegende Mehrheit lebt innerhalb des Mauerrings, darunter der Pfarrer der Bartholomäuskirche, ein weiterer Geistlicher, eine Hausbedienstete. Die übrigen zwei Drittel der Mitglieder sind Altenburger Bürger. Anhand der von ihnen gezahlten Steuer lassen sie sich grob sozial einordnen: ein Armer, je 40 % Kleinbürgertum und mittleres Bürgertum, 20 % Oberschicht. Da wir nur sehr wenige Mitglieder kennen, verbietet es sich, aus diesen Zahlen weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen, man sieht aber, dass die Mitglieder aus allen Schichten kommen. Nur von sieben Bürgern wissen wir den Beruf: zwei Bäcker und zwei Böttcher sowie je ein Fleischer, Tuchmacher, Schneider. Zwei Mitglieder sind Ratsherren. Es haben durchaus nicht die reichsten Mitglieder das Amt des Vorstehers übernommen: Merten Koch (als Vorsteher nachweisbar 1505 bis 1515) und der Ratsherr Hans vom Berge (1515) sind zum mittleren Bürgertum zu rechnen, der Schneider Simon Frenzel (1505 bis 1510) zum Kleinbürgertum. Ganz wenige Frauen finden sich unter den Mitgliedern. Betrachtet man alle Altenburger Bruderschaften, haben die Frauen einen großen Anteil an den Mitgliedern, in der Fronleichnamsbruderschaft überwiegen sie sogar. In der Jakobsbruderschaft sind nur vier Frauen als Mitglied nachweisbar. Keine der Frauen ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Mitglied 46 . Ich will mich aber auch mit dem bruderschaftlichen Personenkreis befassen, mit jenen Personen, die per Testament in die Memorialgemeinschaft aufgenommen werden. Da die Rechnungen jede Bescheidung einzeln verzeichnen, sind wir über sie besser informiert als über die Mitglieder. Wir kennen über die 25 Mitglieder hinaus die Namen von 78 Personen, die der Bruderschaft eine Spende hinterlassen haben. Da wir wissen, dass der Bruderschaft auch fünf Mitglieder testamentarisch einen Geldbetrag vermacht haben, könnte es sein, dass sich unter diesen 78 Personen noch Mitglieder befinden. Aus den Befunden bei anderen Altenburger Bruderschaften, von denen wir eine bessere Kenntnis der Mitglieder 46 Stadtarchiv Altenburg XI, A2a; M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 173ff. Die Jakobsbruderschaft in Altenburg 289 haben, lässt sich aber ableiten, dass der überwiegende Teil dieser 78 Personen nicht Mitglied der Bruderschaft war 47 . Von 55 Personen kennen wir den Wohnort. Elf Personen kommen aus Dörfern bis etwa 5 km Entfernung, darunter drei Personen, die nachweislich Bauern sind. Je ein Testierender stammt aus den benachbarten Kleinstädten Gößnitz und Frohburg, zwei wohnen in den Vorstädten von Altenburg. Nur etwa die Hälfte der Spender sind nachweislich steuerpflichtige Altenburger Bürger. Sie kommen wie die Mitglieder aus allen sozialen Schichten: 8 % Arme, 36 % Kleinbürger, 48 % mittleres Bürgertum, 8 % Oberschicht. Die Zusammensetzung unterscheidet sich also nicht sehr von der der Mitglieder. Das ist nicht bei allen Altenburger Bruderschaften der Fall. Acht Ratsherren haben der Bruderschaft etwas hinterlassen, von zwölf Personen ist der Beruf bekannt: drei Böttcher, zwei Fleischer, zwei Schmiede, je ein Müller, Schuster, Gerber, Riemer, Bote. Die 26 Frauen unter den Testierenden machen ein Drittel aus, wiederum ein vergleichsweise geringer Anteil, ist doch im Allgemeinen der Anteil der Frauen unter den Testierenden größer als unter den Mitgliedern. Die Reformation bereitete allen Altenburger Bruderschaften ein Ende. Vielleicht war dabei nicht einmal die Missbilligung, die Luther den Bruderschaftenausgesprochenhat,entscheidend.DassdieBruderschaften sehr schnell und komplett untergegangen sind, hat seinen Grund zu einem nicht geringen Teil in deren Ausrichtung auf das Totengedächtnis, dem die Reformation die theologische Grundlage entzog. Die letzte Urkunde, die die Jakobsbruderschaft nennt, stammt aus den Jahr 1524. Zu dieser Zeit hatte in Altenburg der evangelische Gottesdienst bereits die Oberhand gewonnen, so dass wir insbesondere im Blick auf das Totengedächtnis und die Messen in der Jakobskapelle davon ausgehen müssen, dass die Bruderschaft in der Form, wie ich sie vorgestellt habe, nicht mehr existierte. Es wird nur noch ihr Vermögen verwaltet. 1526 übergibt sie dieses Vermögen dem Gemeinen Kasten. Das Hospital wird aus Mitteln des Gemeinen Kastens weiterbetrieben. 1524 erfolgt eine Inventarisierung, die offenbart, dass es sich in einem schlechten Zustand befindet. Von den neun Betten wären sechs bose zurissen, nur ein einziges komplettes Bettzeug befände sich in Reserve, aber von allen auf dem Boden befindlichen Textilien wäre keins gut. 1529 erhält das Hospital deshalb aus dem Fundus des aufgelösten Franziskanerklosters den Teil der Messgewänder, der sich als unverkäuflich erwiesen hat, um den Stoff für Bettzeug zu verwenden. Es dient nun nicht mehr Pilgern, 47 M EISTER , bruderschafft (wie Anm. 1) S. 102, Anm. 473. 290 Bert Meister sondern durchwandernden armen Leuten im Allgemeinen, es ist zu einem Armenasyl geworden. Als solches hat es offensichtlich noch mehr als 200 Jahre bestanden, denn es wird in der Armenordnung des Jahres 1753 erwähnt. Die Jakobskapelle wird zunächst profaniert. Für die Jahre 1548 bis 1576 belegen die Stadtrechnungen, dass der Kirchenraum der Aufbewahrung von Kalk und Ziegeln dient. Später wird das Gebäude wieder als Kirche für die Insassen des Armenspitals eingerichtet, 1820 aber wegen Baufälligkeit abgerissen 48 . In Grimma kann man sich noch ein Bild von der Kapelle des dortigen Jakobshospitals machen, freilich ist auch dieses Gebäude längst profaniert. Resumen: En numerosas ciudades del área lingüística alemana hay hermandades de Santiago que no muestran relación alguna con la peregrinación a Santiago de Compostela. Otras son agrupaciones de peregrinos jacobeos de vuelta en su patria o se dedican a alojar a peregrinos en un hospital. Este último tipo de cofradía se desarrolla recién desde los años ’80 del siglo XV y desaparece en el segundo cuarto del siglo XVI. La Hermandad de Santiago de Altenburg es fundada en 1494 por un grupo de ciudadanos de Altenburg, de los cuales al menos algunos habían visitado la tumba del apóstol Santiago. Sin embargo, también forman parte de ella personas que nunca fueron peregrinos jacobeos. El número de los miembros oscila entre 25 y 40. Todas las capas sociales de la ciudad están representadas, también las mujeres pertenecen a ella. La hermandad es mencionada por última vez en el año 1524. La hermandad está a cargo de un pequeño hospital con ocho a nueve camas ante las puertas de la ciudad, en que los peregrinos encuentran alojamiento por una noche. Como meta de los huéspedes son nombrados Santiago, Roma, Aquisgrán (Alemania), Einsiedeln (Suiza) y Sankt Wolfgang (Austria), mientras que Jerusalén no aparece. Quienes dirigen la cofradía se esfuerzan por impedir que mendigos y otros viajeros sin recursos hagan abuso de los albergues. Para ello, exigen de los peregrinos que sepan el Padre nuestro, el Ave María y el Credo en latín. Sin embargo, el texto de las tres oraciones está escrito en una pizarra. Los albergues están calefaccionados, los gastos para la iluminación no se pueden determinar. Los peregrinos no reciben comida, pero hay vajilla y, de seguro, también un fogón. Este objetivo externo de la cofradía va de la mano con uno interno, dirigido a los miembros y que consiste en buscar la salvación eterna. Los miembros se juntan cinco veces al año en ocasión de ceremonias conmemorativas, durante las cuales se celebran los oficios de difuntos y las misas de ánimas para los muertos de la cofradía. También podía ser objeto de oraciones quien no pertenecía a la hermandad. Para ello, había que hacerle una donación por medio de un testamento cuyo importe no debía ser muy alto. De este modo, era posible ser incluido en las oraciones para los difuntos. 48 W AGNER , Collektaneen (wie Anm. 32) 6, Nr. 111; M EISSNER , Jakobshospital (wie Anm. 28) S. 237ff.; Paul L EHFELD , Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Herzogthum Sachsen-Altenburg, Ostkreis (Jena 1895) S. 38. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen Evangelische Erfahrung und Kritik des Pilgerns im Horizont von Konfessionalisierung und Ökumene 1 C HRISTOPH K ÜHN Als im Jahre 1933 der 450. Geburtstag Martin Luthers begangen wurde, lud der Festausschuss der Geburts- und Sterbestadt des Reformators, Eisleben, zu einer „Wallfahrt an die geheiligten Stätten der Luthererinnerung“ 2 . Was man damals als eine sprachliche Abirrung wertete, wäre auch heutzutage ein Fehlgriff in der Wortwahl eines übereifrigen Werbetexters. Denn war nicht Martin Luther selbst der radikalste Kritiker des Wallfahrtswesens in der abendländischen Christenheit 3 ? 1 Die Darstellung fußt auf früheren Überlegungen zu dem Thema, vgl. die kurzen Ausführungen in: Christoph K ÜHN , Die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela. Geschichte, Kunst und Spiritualität (Leipzig 2005) S. 108-112, 126-130 und 135-141. Für vielfältigeInformationen,GesprächeundAnregungendankeichderArbeitsgemeinschaft ökumenischer Pilgerwege in Deutschland, auf deren Sitzung (26.-28. Januar 2006 in Warburg-Germethe) ich eine Rohfassung des Beitrags vorstellen konnte, insbesondere Joachim und Magdalene Anders (Tempzin), Theo Bächtold (Zürich), Paul Martin Clotz (Dachsenhausen), Dr. Reinhard Deichgräber (Bad Malente), Christa Duesberg (Braunschweig), Dr. Manfred Gerland (Germerode), Bernd Gillert (Neumünster), Max Hallauer (Zürich), Beate Haupt (Aachen), Dorothea Hillingshäuser (Frankfurt a. M.), Gerald Jaksche (Michelstadt), Reinhard Kürzinger (Eichstätt), Ernst-Heiko Peix (Hermannsburg), Bernhard Weber (Pulow) und Esther Zeiher (Iphofen). 2 Siegfried B RÄUER , Wallfahrtsforschung als Defizit der reformationsgeschichtlichen Arbeit. Exemplarische Beobachtungen zu Darstellungen der Reformation und zu Quellengruppen, in: Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum. Beiträge zu einer interdisziplinären Arbeitstagung Eisleben 7.-8. Juni 2002, hg. von Hartmut K ÜHNE / Wolfgang R ADTKE / Gerlinde S TROHMAIER -W IEDERANDERS (Berlin 2002) S. 15-49, hier S. 15 (mit Bezug auf: Stadtarchiv Eisleben: D XVI 12, Lutherfestwoche 1933, Vorakten und Festspiele). 3 Vicente A LMAZÁN , Lutero y Santiago de Compostela, Compostellanum 32 (1987) S. 533-559; Erich P ROKOSCH , Die Spiritualität des Weges in der evangelischen Kirche - von einem Katholiken gesehen, Sternenweg 3 (1988) S. 14-23, hier S. 14f.; Manuel 292 Christoph Kühn Warum sollte man gerade zu ihm eine Wallfahrt unternehmen? Dennoch hat sich die Situation grundlegend gewandelt: Das Pilgern gehört heute zu den zentralen Erscheinungen einer evangelischen Spiritualität. So stand das geistliche Zentrum des 30. Deutschen Evangelischen Kirchentages im Mai 2005 unter dem Leitthema: „Klösterliche Tradition und Pilgerwege als Chancen zur Entwicklung moderner Formen evangelischer Spiritualität“, und zur Vorbereitung veranstaltete die Evangelische Akademie Loccum ein interkonfessionell besetztes Kolloquium, um die Frage nach einer genuin protestantischen Theorie des Pilgerns zu klären 4 . Auf dem Kirchentag in Hannover präsentierten sich bereits zum dritten Mal nach Frankfurt 2001 und Berlin 2003 Pilgerinitiativen in einer „Herberge“, um über ihre Arbeit zu informieren und eine Gastfreundschaft anzubieten, die sie selbst auf ihren Wegen erlebt haben. Das Spektrum ist ungewöhnlich vielseitig: Es reicht von mehrtägigen Pilgergängen, die von dem wiederkehrenden Rhythmus der Tagzeitgebete geprägt sind, über Wege zu Stätten des Unheils, die sich dem konziliaren Prozess für Gerechtigkeit Frieden und Bewahrung der Schöpfung verpflichtet fühlen, zum Besuch gestalteter Meditationswege, die zu einem besinnlichen Gehen und Verweilen einladen. Zuletzt bildeten sich evangelischerseits gerade in der mitteldeutschen Region mehrere Initiativen zur Schaffung ausgewiesener Pilgerrouten, die in das europäische Netz der Wege der Jakobspilger eingebunden sind. Die Reaktionen sind unterschiedlich: So begnügte sich der Journalist Wolfgang T HIELMANN in der katholischen Wochenzeitung ‚Rheinischer Merkur/ Christ und Welt‘ damit, einigermaßen hämisch auf die Diskrepanz zwischen Luthers Ablehnung der Pilgerfahrt und der heutigen Praxis hinzuweisen 5 . Demgegenüber wird die Position der Reformatoren von evangelischen Pilgern häufig als längst vergangene Historie abgetan. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Um das diffizile Verhältnis der Reformationskirchen zum Thema Pilgerfahrt angemessen würdigen zu können, möchte ich in vier Schritten vorgehen: Erstens möchte ich auf die Grundlagen einer reformatorischen Ablehnung von Pilger- und Wallfahrten eingehen. Zweitens soll nach einem evangelischen Pilgerverständnis gefragt werden, das die Jahrhunderte überdauert hat. S ANTOS N OIA , El camino en el pensamiento de Ramón Llull, Roberto Holkot y Martín Lutero, Compostellanum 36 (1991) S. 363-381, hier S. 373-381. 4 Pilgerschritte. Neue Spiritualität auf uralten Wegen, hg. von Ellen U EBERSCHÄR (Loccumer Protokolle 02/ 05, Loccum 2005). 5 Wolfgang T HIELMANN , „Josefs Hosen, die tun’s.“ Protestanten werden Wallfahrer, Rheinischer Merkur/ Christ und Welt, Nr. 30, 22.7.2004. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 293 Der dritte Teil beschäftigt sich mit der heutigen Pilgerpraxis innerhalb der evangelischen Landeskirchen. Im vierten und letzten Teil soll schließlich der Versuch unternommen werden, Perspektiven des Pilgerns im Diskurs von konfessioneller Identität und ökumenischer Integration zu entwickeln. 1. Martin Luther und die Pilger Eine Kritik an Pilgerfahrten gibt es schon ebenso lange, wie es Pilgerfahrten gibt. Doch seit der Zeit um 1450, als Kardinal Nikolaus von Kues sich auf seiner Legationsreise durch Deutschland sowie einer Diözesansynode in Brixen deutlich gegen Wallfahrts- und Frömmigkeitsformen, die ohne innere Glaubensbeteiligung und gelebten Inhalt vollzogen werden, ausgesprochen hatte 6 , häufte sich unter den Theologen die Kritik an einem überbordenden Pilger- und Wallfahrtswesen. Um das Jahr 1500 entwarf der Erfurter Augustinereremit Johannes von Paltz eine kritische Wallfahrtstheologie, die zwischen lobens- und tadelnswerten Pilgerzielen unterschied. Zu den lobenswerten Zielen zählte er die großen, von der Kirche gebilligten Fernpilgerfahrten ins Heilige Land, nach Rom, Santiago de Compostela, Köln, Trier, Aachen und Einsiedeln. Tadelnswert waren in seinen Augen die vielen kleinen Nahwallfahrten, die der Teufel inszeniert habe, um die christlichen Frommen vom Besuch ihrer eigenen Pfarrkirchen abzulenken. Johannes von Paltz gab fünf Ratschläge auf die Frage, wie man von der Krankheit des Laufens und Wallens geheilt werden könne: 1. der Versuchung zum Wallen tapfer und vernünftig widerstehen, auf die Kraft des freien Willens vertrauen und sich mit dessen Hilfe von Gedanken an solches Laufen abwenden, 2. den Rat guter Menschen beherzigen, 3. ein Kruzifix anschauen, das teuflische Versuchungen vertreibt, 4. Ruhe bewahren und 5. schlafen gehen 7 . 6 Erich M EUTHEN , Nikolaus von Kues 1401-1464. Skizze einer Biographie (7. überarb. Aufl., Münster 1992) S. 84f. Hierzu auch: Ilja M IECK , Zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela zwischen 1400 und 1650. Resonanz, Strukturwandel und Krise, Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 1, 29 (1978) S. 483-533, hier S. 515f. 7 Klaus S CHREINER , „Peregrinatio laudabilis“ und „peregrinatio vituperabilis“. Zur religiösen Ambivalenz des Wallens und Laufens in der Frömmigkeitsgeschichte des späten Mittelalters, in: Wallfahrt und Alltag in Mittelalter und früher Neuzeit. (Abhandlungen der Wiener Phil.-Hist. Klasse 592, Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 14, Wien 1992) S. 133-163, hier S. 157-160. 294 Christoph Kühn Martin Luther, der 1505 in das Erfurter Kloster, an dem Johannes von Paltz als Lehrer wirkte, eintrat, beschritt somit vorbereiteten Boden. Seine aus dem Ablassstreit gewonnene Überzeugung, dass die Gnade Gottes einzig durch den Glauben an das Evangelium vom versöhnenden und rechtfertigenden Christus den Menschen frei macht, musste zu der Auffassung führen, dass Äußerlichkeiten wie Fasten, Wallfahrten und gute Werke der Seele nichts nutzen. Aber die Papisten schreien dagegen und sprechen: Ei, willst du die Kirche finden, so laufe nach Santiago, gehe nach Aachen, nach Trier, wo unseres Herrn Christi Rock sein soll, nach Jerusalem zum Heiligen Grab, nach Rom zu St. Peter und Paul, nach Loreto zu Sankt Maria oder zur Maria nach Regensburg oder nach Eicha [ein Marienwallfahrtsort in der Nähe von Leipzig], wie denn der Wallfahrt keine gewisse Zahl gewesen ist, alles darum, dass man Vergebung der Sünden erlange, die der Papst in diese Orte gesteckt hat. Antworte du aber also darauf: Höre, du wirst keinen bessern Schatz finden daselbst, den du allbereit daheim in deiner Pfarkirche hast. Ja, es ist dort bei den Wallfahrten alles verfälscht, und ist des Teufels Religion, da ist keine Taufe, kein Abendmal, Vergebung der Sünde noch Evangelium, das von diesen Stücken lehren würde 8 . Der zitierten Textstelle aus einer Predigt von 1540 über das 21. Kapitel des Matthäusevangeliums, die eine Quintessenz aus Luthers Wallfahrtskritik darstellt, lässt sich ein ähnliches Argumentationsmuster entnehmen, das bereits bei Johannes von Paltz einen zentralen Platz eingenommen hat, nämlich der Hinweis auf die bestmögliche Gottes- und Christusbegegnung daheim in der eigenen Pfarrkirche. Dennoch hat Luther frühere Positionen nicht einfach übernommen. Seine Wallfahrtskritik war vielmehr einem vielschichtigen Wandlungsprozess unterworfen, der ausgehend von den eigenen Pilgererfahrungen im Jahre 1510 in Rom und womöglich 1512 in Köln und Trier 9 zu einer grundsätzlichen Ablehnung führte, die nur vor dem Hintergrund der reformatorischen Entdeckung von 1518 zu verstehen ist: Durch eine 8 Martin Luther, Matth. 18-24 in Predigten ausgelegt, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 47 (Weimar 1883ff., im folgenden WA = Weimarer Ausgabe) S. 232-637, hier S. 393, Z. 7-17. Die Originalzitate wurden aus Gründen der besseren Lesbarkeit in heutiges Deutsch übertragen. Hilfreich waren dabei in einigen Fällen die Luther-Ausgaben von Horst B EINTKER und Kurt A LAND : Martin Luther, Die reformatorischen Grundschriften in vier Bänden. Neu übertragene und kommentierte Ausgabe von Horst B EINTKER (München 1983); Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt A LAND (Göttingen 1986). 9 Martin B RECHT , Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483-1521 (Berlin 1986) S. 105-109 und 126. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 295 neuerliche Lektüre des neutestamentlichen Briefes an die Römer gelangte Luther zu der Erkenntnis, dass die in Röm. 1, 17-18 beschriebene Gerechtigkeit Gottes für denjenigen, der aus dem Glauben lebt, die Gerechtigkeit eines barmherzigen Gottes ist. Daher sei nicht die Schilderung von Gottes Zorn und Strafgericht in Röm. 1 und 2 die zentrale Aussage des Paulusbriefes, sondern die in Röm. 3, 28 geäußerte Überzeugung, dass „der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werk, alleine durch den Glauben“ 10 . In jenem Jahr 1518 betrachtete er in seinem „Sermon von den guten Werken“ das Pilgern als Ausdruck eines fehlenden Gottvertrauens, mithin als ein Verstoß gegen das erste Gebot, keine anderen Götter zu haben: Wiederum, wer mit Gott nicht eins ist und daran zweifelt, der fängt an, sucht und sorgt, wie er Gott Genüge tun und ihn mit vielen Werken bewegen kann. Er läuft nach St. Jakob, Rom, Jerusalem, nach hier und nach dort, betet das St.-Brigitten-Gebet, tut dies und das, fastet an diesem oder jenem Tag, beichtet hier und beichtet dort, fragt diesen oder jenen um Rat und findet doch keine Ruhe; und er tut das alles mit großer Beschwernis, Verzweiflung und Unlust in seinem Herzen, so dass die Schrift solche guten Werke auf hebräisch „aven amal“, auf deutsch „Mühe und Arbeit“ nennt (Ps. 90,10). Dazu sind es noch nicht einmal gute Werke und alle vergeblich. Es sind viele darüber toll geworden oder vor Angst in ein großes Klagegeschrei ausgebrochen 11 . Als Gegenbeispiel für ein intensives Verhältnis zu Gott verwendete Luther ein Bild, das durchaus einer hl. Gertrud von Helfta zur Ehre gereichen könnte: Wenn ein Mann oder eine Frau vom anderen Liebe und Wohlgefallen erwartet und das selber fest glaubt, wer lehrt diesen, wie er sich verhalten soll, was er tun, lassen, sagen, verschweigen und bedenken muss? Allein die Zuversicht lehrt ihn alles und noch mehr als nötig ist. Da gibt es für ihn keinen Unterschied in den Werken. Er tut das Große, Lange und Viele ebenso gern wie das Kleine, Kurze und Wenige und umgekehrt. Dazu tut er es mit einem fröhlichen, friedlichen und sicheren Herzen und ist ein vollkommen freier Geselle 12 . Die Kritik an der Pilgerfahrt entzündete also sich an deren Einordnung in die guten Werke, oder, theologisch ausgedrückt, in die satisfactio, die Genugtuung des Menschen gegenüber Gott. In Luthers Schriften aus der Frühzeit des Ablassstreites ist noch keine Ablehnung einer Möglichkeit 10 B RECHT , Martin Luther (wie Anm. 9) S. 219-220. 11 Martin Luther, Von den guten Werken, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 6, S. 202-276, hier S. 207, Z. 30-S. 208, Z. 2. 12 Luther, Von den guten Werken (wie Anm. 11) S. 207, Z. 16-22. 296 Christoph Kühn menschlicher satisfactio zu finden. Vielmehr sprach sich Luther hier für eine vera satisfactio in spiritu als zeichenhaften Ausdruck der menschlichen Bereitschaft, die von Gott auferlegten Sündenstrafen geduldig zu ertragen, aus. Die satisfactio war für Luther ein Zeichen innerer Buße 13 . Doch unter zunehmenden Zweifeln an einer Schriftgemäßheit menschlicher Bußleistung verschärfte sich Luthers Haltung durch eine funktionale Gleichsetzung von Genugtuung und Ablass. Gleich zu Beginn der 95 Ablassthesen äußerte er seine Überzeugung, dass nach den Aussagen der Heiligen Schrift (Mt. 4, 17; Mk. 1, 15) das ganze Leben der Gläubigen Buße sei 14 . Während er 1518 in einer Stellungnahme zum Genugtuungsbegriff der scholastischen Theologie unter der menschlichen satisfactio das Beten, das Fasten und das Almosengeben subsummierte 15 , so bezog Luther ein Jahr später auch Pilger- und Wallfahrten ein: Darum sieh ja zu, dass du nicht handelst wie die verkehrten Menschen, die sich mit ihren Sünden im Herzen herumbeißen und danach streben, sich durch gute Werke oder Genugtuung, durch Wallfahrten oder auch durch Ablasskaufen herauszuarbeiten und von Sünden frei zu werden, was doch unmöglich ist 16 . Vor allem im Umfeld der Ereignisse um die Bannandrohungsbulle „Exsurge domine“ von Papst Leo X. im Sommer 1520 verstärkte sich sein Interesse, der kirchlichen Schlüsselgewalt jeglichen Einfluss auf die Tilgung zeitlicher Sündenstrafen abzusprechen, wobei Luther keinen Unterschied darin sah, ob jene Tilgung durch die Anerkennung von Bußleistungen wie z. Bsp. eine Pilgerfahrt oder durch den Verkauf von Ablässen zustande gekommen war 17 . Es ist nicht begründet in der Schrift noch in der heiligen alten Lehre, dass die Buße drei Teile hat: Reue, Beichte und Genugtuung 18 , lautete 13 Dorothea S ATTLER , Gelebte Buße. Das menschliche Bußwerk (satisfactio) im ökumenischen Gespräch (Mainz 1992) S. 138-145. 14 Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ‚Penitentiam agite &c.‘ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit, Martin Luther, Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 1, S. 233-238, hier S. 233, Z. 10f. 15 Die Genugtuung wird weiter geteilt durch drei Teile, das sind Beten, Fasten, Almosen, Martin Luther, Ein Sermon von Ablass und Gnade, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 1, S. 243-246, hier S. 244, Z. 1f. 16 Martin Luther, Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 2, S. 136-142, hier S. 139-140, Z. 38-40. 17 S ATTLER , Gelebte Buße (wie Anm. 13) S. 150-152. 18 Martin Luther, Grund und Ursach aller Artikel, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 7, S. 308-457, hier S. 351, Z. 14-16. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 297 eine seiner 1520 in der Bannandrohungsbulle inkriminierten Thesen, und zu seiner Verteidigung antwortete er: ... deshalb bin ich auch feind dem wort ‚genugtun‘, wollte, es wäre nie aufgekommen. Die Schrift nennt es Strafe und Kasteiung der Sünde, denn Gott kann niemand für eine tägliche Sünde genugtun, er mag aber wohl für alle Sünden gestraft werden, etwa mit Gnaden zeitlich, etwa mit Zorn ewiglich 19 . Martin Luther argumentierte hier durchweg biblisch: Ihm war deutlich geworden, dass das Neue Testament die Möglichkeit einer Genugtuung durch den Menschen nicht kennt. In der Erlösungslehre des Hoch- und Spätmittelalters erblickte er die Gefahr, „die Rede von der Notwendigkeit einer menschlichen satisfactio könne den Eindruck erwecken, als müsse der Mensch etwas leisten, während doch Gott dies aus reiner Gnade einfachhin schenke“ 20 : Es ist ein großer Irrtum, so schrieb Luther 1518 in seinem „Sermon von Ablass und Gnade“, wenn jemand meint, er wolle für seine Sünden Genüge tun, da doch Gott diese allezeit umsonst, aus unbezahlbarer Gnade verzeiht und nichts dafür begehrt, als dass man fortan ein gutes Leben führt 21 . Ein zweiter Kritikpunkt entzündete sich schon frühzeitig an den sozialen Missständen, die sich aus einer langen Abwesenheit durch die Pilgerfahrt ergaben: Nun geschieht es, dass einer nach Rom wallfahrt und fünfzig, hundert, mehr oder weniger Gulden verzehrt, was ihm niemand befohlen hat, und lässt seine Frau und seine Kinder oder überhaupt seinen Nächsten daheim Not leiden, schrieb Luther 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ 22 . Auch in diesem Punkt hielt er der Pilgerpraxis eine biblische Begründung entgegen: Er [Gott] hat es nicht geboten. Er hat aber geboten, dass ein Mann für seine Frau und seine Kinder sorge und was dem Ehestand gebührt, um damit seinem Nächsten zu dienen und zu helfen 23 . 19 Luther, Grund und Ursach (wie Anm. 18) S. 353, Z. 32-36. 20 S ATTLER , Gelebte Buße (wie Anm. 13) S. 153f. 21 Luther, Ein Sermon von Ablass und Gnade (wie Anm. 15) S. 245, Z. 21-23. 22 Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 6, S. 404-469, hier S. 437, Z. 20-22. 23 Luther, An den christlichen Adel (wie Anm. 22) S. 437, Z. 18-20. 298 Christoph Kühn Neben Rom richtete Luther seine Kritik besonders gegen den Pilgerort Santiago de Compostela. Nicht zuletzt, weil die Compostelafahrt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch ungebrochene Popularität besaß, erklärt sich die Häufigkeit seiner Wortmeldungen: In seinen Predigten, Schriften und Tischreden finden sich ca. 275 Stellen, in denen Luther gegen die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela angegangen ist 24 . Die spanischen Kirchenhistoriker Vicente A LMAZÁN und Manuel S ANTOS N OIA haben sich der Mühe unterzogen, die zahlreichen Aussagen Luthers speziell zur Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zu sammeln und zu systematisieren 25 . Dabei konnten vier Grundmotive herausgearbeitet werden 26 : 1. Die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela sind irrig, unnütz und überflüssig. 2. Weil in Santiago de Compostela ein Götzenbild verehrt wird, stehen die Pilgerfahrten dorthin einer echten Begegnung mit Gott im Wege. 3. Die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela widersprechen dem ersten Gebot. 4. Der hl. Jakobus steht in einer antithetischen Position zu Christus, welcher Gefahr läuft, im Volksglauben von dem beliebten Apostel als Erlöser verdrängt zu werden. Im letztgenannten Motiv wird eine veränderte Einstellung gegenüber einer Anrufung der Heiligen fassbar, die sich im Unterschied zu Luthers erlösungstheologischen Positionen erst mit einigen Jahren Verspätung durchgesetzt hat. In der 58. Ablassthese (1517) hatte Luther den Verdiensten der Heiligen zugestanden, dass sie für den Menschen dieselbe innere Gnade wie die Verdienste Christi bewirken können: Es sind auch nicht die Verdienste Christi und der Heiligen; denn diese bewirken allezeit - ohne Zutun des Papstes - Gnade für den inneren Menschen und Kreuz, Tod und Hölle für den äußeren Menschen 27 . 24 S ANTOS N OIA , El camino (wie Anm. 3) S. 373; Manuel S ANTOS N OYA , Zeugnisse des Kultes in Patrozinien, Hospizen und Bruderschaften, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland. Kultgeschichte in regionaler und europäischer Perspektive, hg. von Klaus H ERBERS / Dieter R. B AUER (Jakobus-Studien 7, Tübingen 1995) S. 29-43, hier S. 37. 25 A LMAZÁN , Lutero (wie Anm. 3); S ANTOS N OIA , El camino (wie Anm. 3). 26 S ANTOS N OIA , El camino (wie Anm. 3) S. 376-381. 27 Nec sunt merita Christi et sanctorum, qui hec semper sine Papa operantur gratiam hominis interioris et crucem, mortem infernumque exterioris, Luther, Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum (wie Anm. 14) S. 236, Z. 14-15. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 299 Zwar relativierte Luther zwei Jahre später in einem Kommentar zu den Ablassthesen diese Ansicht, indem er die Meinung vertrat, die Heiligen bräuchten ihre Verdienste für sich selber und hätten nichts mehr übrig, um es den Menschen zukommen zu lassen 28 . Doch eine grundsätzliche Anerkennung der merita sanctorum (Verdienste der Heiligen) blieb bestehen, wie eine Äußerung Luthers während der Leipziger Disputation mit Johannes Eck im selben Jahr 1519 zeigt: Es ist gewiss, dass das Verdienst Christi den Kirchenschatz bildet und dass durch die Verdienste der Heiligen Hilfe zuteil wird 29 . Doch schon 1516 hatte Luther in einer Predigtreihe über die zehn Gebote zwischen einer Anrufung der Heiligen um zeitlicher und materieller Güter willen und einer wahren, innerlichen Verehrung differenziert. Es sei ein Missbrauch des Gebets, sich an die Heiligen zu wenden, um bestimmte Leistungen von ihnen zu erbitten 30 . Aus der Kritik an einem unfrommen Tauschhandel entwickelte sich zu Beginn der 1520er Jahre die Auffassung, dass der Heilige sich zwischen Gott und den Menschen dränge 31 . In dem Sendschreiben „Unterricht von den Heiligen“ bat Luther 1522 die Erfurter Gemeinde, ihr Prediger wolle sich der Fragen von den Heiligen im Himmel und den Toten enthalten, denn niemand sündige, der keinen Heiligen anruft, sondern nur fest an dem einigen Mittler Jesu Christus hält 32 . Im selben Jahr setzte Luthers Kritik an Santiago de Compostela ein, die bereits alle Elemente seiner Vorbehalte der nachfolgenden Jahre gegen den Heiligenkult enthält: Zweifel gegenüber einer Echtheit der Reliquien und vor allem an einer mit der Pilgerfahrt verbundenen Werkgerechtigkeit sowie den compostelanischen Ablässen, und auch schon eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einer Anrufung der Heiligen: 28 Ecce etiam sancti indigent misericordia in tota vita sua … Ex quibus et multis aliis, quae longum esset hic narrare, concludo, merita sanctorum nulla esse superflua sibi, quae nobis ociosis succurrant, Martin Luther, Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 1, S. 525-628, hier S. 607, Z. 7f. und 17f. 29 Meritum Christi esse thesaurum Ecclesiae et sanctorum meritis iuvari certum est, Martin Luther, Disputatio et excusatio F. Martini Luther adversus criminationes D. Iohannis Eccii, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 2, S. 158-161, hier S. 161, Z. 23f. 30 Martin Luther, Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 1, S. 398-521, insbes. S. 411-426. 31 Ulrich K ÖPF , Protestantismus und Heiligenverehrung, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. von Peter D INZELBACHER / Dieter R. B AUER (Ostfildern 1990) S. 320-344, hier S. 326-327. 32 Martin Luther, Epistel oder Unterricht von den Heiligen, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 10 II, S. 164-168, hier S. 165, Z. 26f. und 31f. 300 Christoph Kühn Wie er [Jakobus] nach Spanien nach Compostela gekommen ist, wo die große Wallfahrt ist, da haben wir nun nichts gewiss von dem: Etliche sagen, er liegt in Frankreich zu Toulouse, aber sie sind ihrer Sache auch nicht gewiss. Darum lass man sie liegen und laufe nicht dahin, denn man weiß nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund oder ein totes Ross da liegt. Darum geschieht ihnen auch recht, die da also hinlaufen: Denn indem man die rechten guten Werke, die Gott gebühren, unterlässt, so fehlt man darin und läuft zu Sankt Jakob, und gibt man einem armen Mann 30 Gulden, läuft man dahin und verzehrt 40 oder 100. Darum lass predigen, wer da will, lass Ablass Ablass sein, lass reisen, wer da will, bleib du aber daheim. Aber das ist nun das ärgste, das man das Herz auf Sankt Jakob setzen will, und Gott soll daneben hingehen und aus dem Mittel geworfen werden: Damit geschieht Sankt Jakob keine Ehre und Gott eine große Unehre. Denn er hat das nicht befohlen, und es ist auch nicht nötig. Er ist nicht ein Gott, der eine Bestätigung und ein Wohlgefallen in dem haben muss, was er nicht geboten hat, darum bleibt man daheim. Hat aber jemand ein Gelübde getan, der stehe fein ab, denn Gott hat kein Gefallen an den Narrenwerken. Darum sehe man, dass man allein mit Gott handle mit dem Glauben und mit dem Nächsten in Liebe, so ist es genug 33 . Ausschlaggebend für den Bruch mit der Lehre von den Verdiensten der Heiligen könnten, worauf diese eindeutige Passage sowie zahlreiche weitere und schroffe Äußerungen hinweisen, konkrete Erfahrungen Luthers mit Jakobspilgern 34 gewesen sein. Die von Herzog Georg von Sachsen betriebene und von Papst Hadrian VI. im Jahre 1523 vollzogene Heiligsprechung des Bischofs Benno von Meißen 35 , gegen die Luther heftig polemisiert hatte 36 , dürfte den Reformator in seiner Haltung bestärkt, jedoch den Wandel kaum ausgelöst haben. Im Unterschied zu früheren Stellungnahmen bediente sich Luther in dem Konflikt um Bischof Benno zwar einer deutlichen Polemik, die sicherlich auch 33 Martin Luther, Predigt am Jakobstage [25. Juli 1522], in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 10 III, S. 235-241, hier S. 235-236, Z. 8-5. 34 Jakobspilger, die von Kurfürst Friedrich dem Weisen unterstützt wurden, verzeichnet: Georg B UCHWALD , Zur mittelalterlichen Frömmigkeit am Kursächsischen Hofe kurz vor der Reformation, Archiv für Reformationsgeschichte 27 (1930) S. 62-110, hier S. 104. 35 Christoph V OLKMAR , Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/ 24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 146, Münster 2002) S. 164-169. 36 Martin Luther, Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 15, S. 183-198. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 301 seinen jahrelangen, von der Leipziger Disputation des Jahres 1519 ausgehenden Auseinandersetzungen mit Herzog Georg geschuldet war. Doch zu diesem Zeitpunkt - 1523/ 24 - hatte Luther bereits endgültig die Unmöglichkeit gesehen, „die theologische und religiöse Praxis des Heiligenkultes derart zu wandeln, daß der einzige Schatz des Lösegeldes, Christus im Schatz der Heiligen, gebührend zur Geltung kam“ 37 . Wie die evangelischen Bekenntnisschriften belegen, haben sich die um das Jahr 1522 gewonnenen Positionen in der Folgezeit derart gefestigt, dass sie schließlich zu reformatorischem Glaubensgut geworden sind: Und mir gefällt es und ich glaube auch, erklärte Luther 1528 in der großen Bekenntnisschrift „Vom Abendmahl Christi“, dass allein Christus sei als unser Mittler anzurufen. Das gibt die Schrift, und es ist gewiss: Von einer Anrufung der Heiligen steht nichts in der Schrift, darum muss es ungewiss und nicht zu glauben sein 38 . Zwei Jahre später, zur Zeit des Augsburger Reichstags, schrieb er in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen und von der Fürbitte der Heiligen“, es sei ihm selber über die Maßen sauer geworden, dass er sich von den Heiligen gerissen habe, denn er habe über alle Maßen tief darin gesteckt und sei ersoffen gewesen. Aber nun scheine das Licht des Evangeliums so helle, dass keiner mehr zu entschuldigen sei, der in der Finsternis bleibe. Heiligendienst sei ein gefährlicher ärgerlicher Dienst, dass die Leute gewonnen werden, sich gar leicht von Christus zu wenden, und lernen bald mehr Zuversicht auf die Heiligen denn auf Christus selbst zu setzen 39 . Aus der Heiligen Schrift lässt sich aber nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll 40 , heißt es im Augsburger Bekenntnis von 1530. Die Apologie des Bekenntnisses wies der Erinnerung an die Heiligen eine dreifache Funktion zu, eine gratiarum actio (Anregung zum Dank), eine confirmatio fidei (Bestärkung im Glauben) und eine imitatio (Nachfolge der Heiligen). Abgelehnt wur- 37 Max L ACKMANN , Verehrung der Heiligen. Versuch einer lutherischen Lehre von den Heiligen (Stuttgart 1958) S. 130-155, hier S. 135. 38 Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 26, S. 261-509, hier S. 508, Z. 13-16. 39 Martin Luther, Sendbrief vom Dolmetschen und Fürbitte der Heiligen, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 30 II, S. 632-646, hier S. 644, Z. 10-17. 40 Sed scriptura non docet invocare sanctos seu petere auxilium a sanctis, Das Augsburger Bekenntnis Deutsch. 1530-1980. Revidierter Text, hg. von Günter G ASSMANN (4. Aufl., Göttingen/ Mainz 1980) S. 37; vgl. Confessio fidei/ Die Augsburgische Konfession, in: Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche 1, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930 (Nachdruck der 7., unveränd. Aufl., Berlin 1980) S. 44-137, hier S. 83b. 302 Christoph Kühn de jedoch eine invocatio in cultu sanctorum (Anrufung der Heiligen) 41 . Schärfer noch als das Augsburger Bekenntnis und seine Apologie äußern sich gegen eine Anrufung der Heiligen die Schmalkaldischen Artikel von 1537: Anrufung der Heiligen ist auch einer der end-christlichen Missbräuche und streitet gegen den ersten Hauptartikel und tilgt die Erkenntnis Christi. Sie ist auch nicht geboten und geraten, hat auch kein Vorbild in der Schrift. Und wir haben alles tausendmal besser an Christus, wenn jenes gleich köstlich gut wäre, was es doch nicht ist 42 . In einer Predigt zu Epiphanie 1539 stellte Luther kategorisch fest: Christliche Kirche ist heilig durch den heiligen Geist und sonst durch nichts, um dann lateinisch fortzufahren: An non etiam per opera, si quis eat in armis ad S. Iacobum (Etwa auch nicht durch Werke, wenn wer in Waffen zum hl. Jakobus gegangen ist) 43 . 2. Zum evangelischen Pilgerverständnis in der Neuzeit Martin Luthers vehemente Kritik an der Praxis des Pilgerns und einer Anrufung der Heiligen, die sich aus zahlreichen Quellen und Entwicklungsgängen speist, ist auch nach seinem Tod in den Reformationskirchen beibehalten worden, wie die deutlichen Stellungnahmen des Braunschweiger Superintendenten Martin Chemnitz zum „Decretum de invocatione et veneratione sanctorum“ des Konzils von Trient 44 sowie des Jenaer Theologieprofessors Johann Gerhard zum Traktat „De ecclesia triumphante“ des römischen Kardinals Robert Bellarmin zeigen. Martin Chemnitz hatte im Jahre 1578 dem Konzilsdekret entgegnet, eine Anrufung der Heiligen sei schriftwidrig und aus der Tradition nicht zu begründen, der Mittlerdienst der Heiligen hebe die Unmittelbarkeit zu Gott auf. Zudem sei die päpst- 41 Apologia Confessionis Augustanae/ Die Apologie der Konfession, in: Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche (wie Anm. 40) S. 141-404, hier S. 316-326. 42 Martin Luther, Die Schmalkaldischen Artikel, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 50, S. 192-253, hier S. 210, Z. 3-9. 43 Martin Luther, Predigt am Tage Epiphaniä, nachmittags [6. Januar 1539], in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 47, S. 640-646, hier S. 644, Z. 8f. und 31f. 44 Konzil von Trient, Dekret über die Anrufung, die Verehrung und die Reliquien der Heiligen und über die heiligen Bilder, 3. Dezember 1563, in: Heinrich D ENZINGER , Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum/ Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen u. hg. von Peter H ÜNERMANN (40. Aufl., Freiburg/ Basel/ Wien 2005) S. 578-581, Nr. 1821-1825. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 303 liche Kanonisation eines Heiligen ein Eingriff in göttliche Rechte 45 . Gleich viermal 46 hat sich im frühen 17. Jahrhundert Johann Gerhard zu Bellarmins Verteidigung einer Anrufung der Heiligen geäußert: Er stellte der „religiösen Anrufung“ ein reines Ersuchen an Gott im Gebet entgegen und betonte die Unteilbarkeit des göttlichen Wesens als Grund für die Unteilbarkeit des religiösen Aktes. Die päpstliche Kanonisation verwarf er als ein rein menschliches Zeugnis, dem keine göttliche Offenbarung zugrunde liege 47 . Hingegen wurden bereits durch die Augustinus-Rezeption bei Martin Luther und Philipp Melanchthon die Grundlagen für ein evangelisches Pilgerverständnis, wie es sich in Deutschland insbesondere seit dem 17. Jahrhundert entwickelt hat, gelegt. Aufbauend auf dem augustinischen Leitgedanken einer irdischen peregrinatio als Sinnbild für ein Christenleben, das durch die Verheißung der Erlösung und den Empfang des Unterpfandes der Geistesgabe getröstet ist 48 , entwickelte sich eine evangelische Pilgerfrömmigkeit, in der das Leben eines Christen als Pilgerfahrt zu Gott galt. Ebenso wie vor ihm Augustinus entwickelte Luther sein eigenes Pilgerverständnis im Rückgriff auf die Apostelbriefe des Neuen Testaments, wie seine Auslegung von 1. Petr. 1, 17 zeigt: Ein Christ, wenn er rechtschaffen gelebt hat, so hat er alle Güter Gottes und ist Gottes Sohn, wie wir gehört haben. Aber die Zeit, die er noch lebt, ist nur eine Pilgerfahrt. Denn der Geist ist schon im Himmel durch den Glauben, durch welchen er Herr über alle Dinge ist. Darum lässt ihn Gott noch im Fleisch leben und den Leib auf Erden gehen, dass er anderen Leuten helfe und sie auch in den Himmel bringe. Darum müssen wir alle Dinge auf Erden nicht anders gebrauchen als wie ein Gast, der über das Feld geht und in eine Herberge kommt, wo er über Nacht liegen muss, und nur Futter und Lager von dem Wirt nimmt, aber nicht sagt, dass des Wirtes Gut das seinige sei. Also müssen wir auch mit zeitlichen Gütern handeln, als ob sie nicht uns gehören, und nur soviel wie notwendig davon genießen, um den Leib zu erhalten, und mit dem 45 Martin Chemnitz, Examenis Concilii Tridentini (Frankfurt am Main 1578), hg. von Eduard P REUSS (Berlin 1861, Nachdruck Darmstadt 1972) S. 654-739. Hierzu: Gerhard Ludwig M ÜLLER , Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen. Geschichtlichsystematische Grundlegung der Hagiologie (Freiburg/ Basel/ Wien 1986) S. 75-78. 46 In: „Loci theologici“, „Bellarminis Orthodochias textis“, „Confessio Catholici“ und den „Jenenser Disputationen“. 47 M ÜLLER , Gemeinschaft und Verehrung (wie Anm. 45) S. 104-110. 48 Aurelius Augustinus, De civitate Dei XIX, 17, Z. 20 (Corpus Christianorum series latina 48, Turnhout 1955) S. 684; deutsch: Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat (De civitate dei) 2. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm T HIMME (Zürich 1978) Buch 15, Kap. 5, S. 218. 304 Christoph Kühn übrigen dem Nächsten helfen. Also ist das christliche Leben nur ein Nachtlager. Denn wir haben hier keine bleibende Statt, sondern müssen dahin, wo der Vater ist, nämlich in den Himmel. Darum sollen wir hier nicht im Sause leben, sondern in der Furcht stehen, spricht S. Petrus 49 . Der wenig bekannte Predigttext aus dem Jahre 1523 über den 1. Petrusbrief zeigt gegenüber dem gängigen Bild, das uns von dem Reformator vermittelt ist, einen anderen, in seinen ethischen Schlussfolgerungen weitaus radikaleren Luther. Doch hinsichtlich der Konsequenzen, die sich aus dem Gesagten für eine konkrete Lebensführung ergeben, ist die Lutherrezeption kaum zu einer Nachfolge gelangt; eine beachtenswerte Ausnahme stellt im pietistischen Milieu des 18. Jahrhunderts die von dem niederrheinischen Laienprediger Gerhard Tersteegen gegründete Kommunität mit den Namen „Pilgerhütte“ dar. Tersteegen war es auch, der mit seinem dreibändigen Hauptwerk „Auserlesene Lebensbeschreibungen heiliger Seelen“ eine der großen protestantischen Hagiographien schuf und den Reformationskirchen die Heiligen als Vorbilder im Zugang zum göttlichen neu zu erschließen half. So hob er in seiner Schilderung der Mystikerin Gertrud von Helfta deren liebenden und vertrauenden Umgang mit Gott hervor und betonte auch die Erfahrungen eines liebenden Umgangs mit Christus bei Mechthild von Hackeborn 50 . Weit verbreiteter war indessen die Interpretation von Luthers Pilgerverständnis in einem metaphorischen Sinn. In dem verheerenden Pestjahr 1666 schrieb Paul Gerhardt, einer der bekanntesten evangelischen Dichter, ein verbreitetes Kirchenlied: Ich bin ein Gast auf Erden / Und hab hier keinen Stand; / Der Himmel soll mir werden, / Da ist mein Vaterland, / Hier reis ich aus und abe; / Dort in der ewigen Ruh / ist Gottes Gnadengabe, / Die schleußt all Arbeit zu 51 . 49 Martin Luther, Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung 1523, in: D. Martin Luthers Werke (wie Anm. 8) WA 12, S. 259-399, hier S. 290, Z. 20-34. 50 Gerhard T ERSTEEGEN , Auserlesene Lebensbeschreibungen heiliger Seelen 1-3 (Frankfurt a. M./ Leipzig 1733, 1735 und 1743) 1, Nr. 6: Das Leben der Heil. Gertrud, 3, Nr. 26: Das Leben der Heil. Mechtildis. Hierzu: Ulrich K ÖPF , Gerhard Tersteegen und die Frauen von Helfta. Zur Rezeption der Helftaer Mystik im Protestantismus, in: Vor dir steht die leere Schale meiner Sehnsucht. Die Mystik der Frauen von Helfta, hg. von Michael B ANGERT / Hildegund K EUL (Leipzig 1998) S. 202-218, insbes. S. 215f. 51 Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (Leipzig 1994) Nr. 529. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 305 Die Pilgerfahrt wurde nunmehr zu einer Metapher für die letzte Reise, die nicht mehr allgemein im Sinne einer augustinischen Geschichtstheologie gesehen, sondern unmittelbar auf die konkrete Lebenswirklichkeit einer unvorhersehbaren Bedrohung durch den Tod bezogen wurde. Eines der bekanntesten Beispiele stammt wiederum von Gerhard Tersteegen. 1738 schrieb Tersteegen das heute von evangelischen Pilgern gerne gesungene Lied „Kommt Kinder, lasst uns gehen.“ In seinen letzten Strophen bezieht Tersteegen den Pilgergedanken auf den Tod: Kommt, lasst uns munter wandern, / der Weg kürzt immer ab; / ein Tag der folgt dem andern, / bald fällt das Fleisch ins Grab. / Nur noch ein wenig Mut, / nur noch ein wenig treuer, / von allen Dingen freier, / gewandt zum ewgen Gut. / Es wird nicht lang mehr währen, / halt noch ein wenig aus; / es wird nicht lang mehr währen, / so kommen wir nach Haus; / da wird man ewig ruhn, / wenn wir mit allen Frommen / daheim zum Vater kommen; / wie wohl, wie wohl wirds tun 52 . Noch deutlicher ist dieser Bezug im Dresdner Gesangbuch von 1828 enthalten: Ich bin ein Pilger in der Zeit, / ich walle nach der Ewigkeit. / Mein Leben eilt so schnell dahin, / wie Schatten fliehn. / Herr lehr mich, daß ich sterblich bin./ (...) So komme, wenn er will, der Tod! / Er führet mich zu dir, o Gott. / Du giebst, nach Leiden dieser Zeit / nach Sorg und Streit, / mir die erworbne Seligkeit 53 . In den evangelischen Kirchen konzentrierte sich die Verwendung des Pilgergedankens zunehmend auf eine pastorale Funktionalisierung in der Seelsorge für die Hinterbliebenen. Im 19. und im frühen 20. Jahrhundert wurde der Pilger zu einem Thema der Sepulkralkunst; mehrere Grabmäler auf sächsischen Friedhöfen zeigen den Verstorbenen - zuweilen in einem Pilgerhabit und häufig begleitet von einem Engel - wie er nun dem ewigen Licht zuschreitet 54 . 52 Evangelisches Gesangbuch (wie Anm. 50) Nr. 393. 53 Dresdner Gesangbuch, auf höchsten Befehl herausgegeben (Dresden 1828) [unpag.] 54 Beobachtet auf dem Friedhof von Dresden-Loschwitz, auf dem Alten Johannisfriedhof in Leipzig (übernommen vom Neuen Johannisfriedhof Leipzig) und auf dem Leipziger Südfriedhof. Diese Grabmalikonographie beschränkte sich aber nicht nur auf den evangelischen Bereich. Vergleichbare Beispiele vom Alten Katholischen Friedhof Dresden-Friedrichstadt verzeichnet: Volker H ELAS (Bearb.), Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen. Stadt Dresden. Friedrichstadt, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (Dresden/ Basel 1994) S. 109 (Wandgrab Schneider, 1818), 117 (Familiengrabstätte Knauer, um 1925) und 119 (Wandgrab Czaplewski, 1941). 306 Christoph Kühn Auch der Pietismus hat die Pilgerthematik rezipiert, indem er sie zum Bestandteil einer subjektbezogenen Erlebnistheologie 55 machte. Das Vorbild einer im Umkreis des Bergischen Landes, des Ruhrgebietes, des Siegerlandes und des nördlichen Westerwaldes verbreiteten Erweckungsbewegung bildeten die evangelischen Gemeinschaften Pennsylvaniens, die in der Tradition der Pilgerväter des 17. Jahrhunderts lebten. Denn Johann Christian Stahlschmidt, einer der Gründer der Elberfelder Missionsgesellschaft, war unter dem Eindruck der Texte Gerhard Tersteegens nach Philadelphia gereist, um dort zum Prediger ordiniert zu werden. Anschließend hatte er einige Jahre im Umland von Yorktown mehrere Gemeinden betreut. 1799, dem Jahr seiner Rückkehr nach Deutschland, veröffentlichte er eine Lebensbeschreibung unter dem Titel: „Die Pilgereise zu Wasser und zu Lande oder Denkwürdigkeiten der göttlichen Gnadenführung und Fürsehung in dem Leben eines Christen, der solche, auch besonders in seinen Reisen durch alle vier Haupttheile der Erde reichlich an sich erfahren hat“ 56 . Unter dem Begriff der Pilgerreise verstand Stahlschmidt weniger einen Weg zu Gott, sondern vielmehr Gottes Begleitung des eigenen Lebensweges, deren Wahrnehmung zu einem erweckten und bekehrten Dasein verpflichtet. Über den Siegerländer Arzt Johann Heinrich Jung-Stilling, der das Vorwort zu Stahlschmidts Autobiographie geschrieben hat, gelangte der Erweckungsgedanke in das Großherzogtum Baden, wo sich neben dem rheinisch-westfälischen Raum ein weiteres Zentrum ausbilden konnte 57 . Wie eng beide protestantische Traditionen miteinander in einer Beziehung stehen, zeigt ein liturgischer Text, der in den Reformationskirchen am Anfang und am Ende eines Christenlebens an die Führung und Begleitung des Menschen durch Gott auf seinem Weg zur Heimat erinnert. Es handelt sich um die gregorianische Antiphon „Auf den Weg des Friedens“, die in ihrem Textgehalt beiden Entwicklungslinien 55 Der Kirchenhistoriker Carl Andresen spricht negativer von einer „subjektivistischen Erlebnistheologie“. Stattdessen habe ich hier eine neutralere Formulierung gewählt. Vgl. dtv-Wörterbuch der Kirchengeschichte (München 1982) S. 200 (Carl A NDRESEN / Georg D ENZLER , Art. Erweckungsbewegungen). 56 Johann Christian S TAHLSCHMIDT , Die Pilgereise zu Wasser und zu Lande oder Denkwürdigkeiten der göttlichen Gnadenführung und Fürsehung in dem Leben eines Christen, der solche, auch besonders in seinen Reisen durch alle vier Haupttheile der Erde reichlich an sich erfahren hat. Von ihm selbst beschrieben in Briefen an einen seiner Christlichen Mitbrüder in den Jahren 1797 und 1798 (Nürnberg 1799). 57 Ursula R UMPLER , Stahlschmidt, Johann Christian, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 23 (2004) Sp. 1420-1428. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 307 gerecht wird und sowohl in die Taufwie auch in die Begräbnisfeier evangelischer Kirchen Eingang gefunden hat 58 : Auf den Weg des Friedens, des Glückes und Segens führe uns der allmächtige und barmherzige Herr: / Sein heiliger Engel geleitete uns auf unserem Wege, dass wir in Friede, in Heil und Freude zurückkehren zur Heimat 59 . 3. Die heutige Pilgerpraxis innerhalb der evangelischen Landeskirchen Der Grund für die heutige Pilgerpraxis in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands wurde in den 1950er Jahren gelegt, als zwei Theologen, Walter Nigg und Max Lackmann, sich an eine Aufarbeitung des lutherischen Verhältnisses zu den Themen Heiligenverehrung und Pilgerfahrt heranwagten. Angesichts des Umstandes, dass Luther sich theologisch durchaus in der Lage sah, das ‚Christus solus‘ mit altkirchlichen Erkenntnissen der Hagiologie zu vereinigen, und seine Schriften bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts die Lehre eines thesaurus sanctorum (Gnadenschatz der Heiligen) vertreten, fragte sich Max L ACKMANN , ob es denn Sinn mache, dies als eine überholte, allenfalls „historisch“ interessante Durchgangsposition Luthers zu erledigen. Ihm erschien „eine solche konfessionell ‚lutherische‘ Erledigung umso fragwürdiger, als sehr beachtliche Schriftaussagen über eine Konformität (...) von Christi Opfer und Werk - und Seiner Heiligen (...) dieser evangelisch-katholischen Konzeption des ‚Christus solus‘ (...) Recht zu geben scheinen“ 60 . Doch wichtiger noch als Lackmanns Arbeiten dürfte für die Herausbildung eines neuen evangelischen Pilgerverständnisses das 1954 erschienene Buch „Des Pilgers Wiederkehr“ von Walter N IGG gewesen sein. Der Text ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, „aus der Vorläufigkeit seiner Existenz hinaus zu einem göttlichen Sein, das nicht mehr der Vergänglichkeit unterworfen ist“ zu streben 61 . In drei 58 Den Hinweis auf die liturgischen Zusammenhänge verdanke ich Herrn Kantorkatechet Tilman Ludwig (Jena). 59 Zit. n. [Tilman L UDWIG (Red.)], Peregrinus. Eine kleine Tagzeitenliturgie mit alten und neuen Liedern aus verschiedenen Traditionen des Pilgerwesens. Privatdruck (Jena 2004) S. 6. 60 Max L ACKMANN , Thesaurus Sanctorum. Ein vergessener Beitrag Luthers zur Hagiologie, in: Festgabe Joseph Lortz 1: Reformation. Schicksal und Auftrag, hg. von Erwin I SERLOH und Peter M ANNS (Baden-Baden 1958) S. 134-171, insbes. S. 170; L ACKMANN , Verehrung der Heiligen (wie Anm. 37) insbes. S. 156-161. 61 Walter N IGG , Des Pilgers Wiederkehr. Drei Variationen über ein Thema (Zürich 1954) S. 20. 308 Christoph Kühn „Variationen“ stellte N IGG den Pilgergedanken bei einem englisch-protestantischen, einem römisch-katholischen und einem russisch-orthodoxen Pilger der Neuzeit vor, um mit dieser Auswahl zu verdeutlichen, dass „der religiöse Wanderer eine zeitlose Erscheinung ist, der eine genuin christliche Haltung verkörpert“ 62 . Zugleich ist N IGG mit mehreren Veröffentlichungen über katholische Heilige hervorgetreten, wobei ihm allerdings mehr an einer Vergegenwärtigung von deren Viten als an einer argumentativen Begründung eines protestantischen Umgangs mit den Heiligen gelegen war 63 . Letztgenannter Aufgabe hat sich - vor allem an Karl B ARTH s Überlegungen zur Heiligung des Menschen 64 anknüpfend - der Marburger Theologe Hans-Martin B ARTH gestellt. Hans-Martin B ARTH plädiert für einen aus der eigenen Bekenntnistradition des Protestantismus gewonnenen Heiligenbegriff, der einerseits ausgehend von der Erfahrung, dass „Gott selber es ist, der den Menschen heiligt“, von der psychischen und moralischen Bürde eines leuchtenden Ideals als „Musterbeispiel von Nächstenliebe, Zuversicht und unerschütterlicher Glaubensstärke“ entlastet, aber „andererseits doch radikales christliches Engagement einschließt“ 65 . Ein weiterer Impuls ging von der Gemeinschaft von Taizé aus, die im Jahre 1980 das Leitbild ihrer Jugendtreffen von „Konzil der Jugend“ in „Pilgerweg der Versöhnung“ abänderte, auch wenn dabei nicht an eine konkrete Pilgerreise gedacht war: „Wahrscheinlicher ist es jedoch, daß wir zu Reisenden werden, die sich nie weit von ihrem Haus entfernen, die in der zähen Treue des Alltags, dort wo sie stehen, Zeugnis geben wollen. In jedem Fall ist uns der Weg von jenem vorgezeichnet, den der ‚unsichtbare Gott‘ als seine ‚Ikone‘ gesandt hat, um alles durch ihn zu versöhnen und Frieden zu schließen durch sein Blut am Kreuz (Kol. 1, 15-20). Unser Pilgerweg wird uns auf diesen ‚neuen und lebendigen Weg‘ führen, durch Illusionsschleier und durch die Verweigerung hindurch, die uns von den anderen und von Gott trennt (Hebr. 10, 20). Auf ihm nähern wir uns nicht einer materiellen Wirklichkeit, sondern der ‚Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem‘ (Hebr. 12, 22), Land der Verklärung, gebadet 62 N IGG , Des Pilgers Wiederkehr (wie Anm. 61) S. 25. 63 Walter N IGG , Große Heilige (Zürich 1958); D ERS ., Die Heiligen kommen wieder (Freiburg 1980). 64 Karl B ARTH , Die kirchliche Dogmatik 4/ 2: Die Lehre von der Versöhnung. Zweiter Teil (Zürich 1955, Zürich 3 1978) S. 565-694, insbes. S. 578-603. 65 Hans-Martin B ARTH , Sehnsucht nach den Heiligen? Verborgene Quellen ökumenischer Spiritualität (Stuttgart 1992) S. 98-100. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 309 in göttliches Licht (Offb. 21, 10-11, 23-25), Wohnung Gottes mit den Menschen für immer (Offb. 21, 1-6)“ 66 . Nicht zuletzt durch diese Aussagen erfuhr der Pilgergedanke unter Jugendlichen beider Konfessionen eine weite Verbreitung. Damit war der Grund für eine Praxis gelegt, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nehmen sollte. In einem ersten Rückblick nennt Pfarrer Paul Martin C LOTZ drei konkrete Wurzeln, aus denen die heutigen Pilgerinitiativen in den evangelischen Landeskirchen hervorgegangen sind 67 : 1. Erste Erfahrungen eines religiös motivierten Gehens wurden in der Bundesrepublik Deutschland bereits in den 1970er Jahren von evangelischen Christen gemacht, die sich im Rahmen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung an Friedens- und Ostermärschen beteiligten. Dabei wurde „die biblische Tradition des ‚Unterwegsseins‘ neu entdeckt und u. a. erfahren, wie hilfreich es für die Bearbeitung von Problemen ist, gewohnte Standpunkte zu verlassen und (...) neue Schritte aufeinander zuzugehen.“ In der DDR veranstalteten evangelische Christen im Umfeld des sog. „Olof-Palme-Friedensmarsches“, mit dem sich die Regierung vor dem Staatsbesuch Erich Honeckers 1987 in der Bundesrepublik selbst als Friedensbewegung darzustellen versuchte, eigene Gänge, die sie als „Pilgerwege“ bezeichneten. Erstmals seit dem 17. Juni 1953 ergab sich daraus die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit eine kritische Haltung gegenüber dem sozialistischen Staat zu artikulieren. Der gesellschaftliche und politische Hintergrund lebt in zahlreichen Pilgerinitiativen fort. Statt heiliger Orte werden „Stätten des Unheils“ angegangen: Anlagen kernenergetischer Nutzung, Orte nationalsozialistischer Willkür und Relikte der innerdeutschen Grenze. 2. Das Modell der „Ökumenischen Pilgerwege“ entstand in Mecklenburg, als Pastor Joachim Anders ausgehend von Erfahrungen aus der katholischen Magdeburg-Wallfahrt erstmals 1990 zu mehrtägigen Pilgerexerzitien einlud. Das Konzept der seitdem jährlichen Ökumenischen Pilgerwege Mecklenburg lebt von einem geistlichen Rahmen. Der Tag wird durch Morgen-, Mittag- und Abendgebete gegliedert; ein biblischer Text setzt den Impuls und wird an dem Pilgertag regelrecht „begangen“. Dem ökumenischen Charakter tra- 66 [Frère Roger], Kirche: Ein Volk von Pilgern, Brief aus Taizé, Januar 1981, S. 3f., hier S. 4. 67 Hierzu und im folgenden: Paul Martin C LOTZ , Pilgern entdecken heißt Ökumene neu entdecken, hg. vom Zentrum Verkündigung der EKHN, Freundesbrief, Ausgabe 1 (2005) S. 17-19. 310 Christoph Kühn gen Abendmahlgottesdienste und Eucharistiefeiern, die in täglichem Wechsel stattfinden, Rechnung. Vormittags und nachmittags wird eine Strecke von jeweils fünf bis sechs Kilometern schweigend begangen; die Gespräche auf den restlichen Wegstücken ergeben sich oftmals aus der geistlichen Durchdringung des Tages. Einfachheit, Freude, Vertrauen und Verantwortung gehören zu den Grunderfahrungen der Wege. Durch ein geschmücktes Kreuz, das stets vorangetragen wird, entsteht in der säkularisierten Landschaft Mecklenburgs eine Öffentlichkeit, die nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zwischen „Kirchentreuen“ und „Kirchenfernen“ Ökumene aufzeigt. Seit der Mitte der neunziger Jahren wurden die dort gemachten Erfahrungen andernorts - vor allem in Hessen - aufgegriffen. Eine Alternative zu diesen mehrtägigen Pilgergängen stellt ein monatliches Samstagspilgern dar, wie es seit mehreren Jahren vom Pilgerzentrum St. Jakob in Zürich und seit 2003 im Leipziger Raum von der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft mit katholischen und evangelischen Partnern praktiziert wird. Es bietet die Chance, sich das Jahr über vom Pilgergedanken begleiten zu lassen, den Wandel der Jahreszeiten auf dem Weg bewusst zu erleben und Impulse aus dem Kirchenjahr in den Weg hinein zu nehmen. 3. Zu einer weiten Verbreitung führte im europäischen Rahmen das Aktionsprogramm „pilgrimage 2000+“, das im November 1997 von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) vorgestellt worden ist. In Vorbereitung der anstehenden Milleniumsfeierlichkeiten wurde angeregt, „mit vielen Pilgerwegen [gemeint sind Pilgergänge] durch ganz Europa den Übergang in das neue Jahrtausend zu markieren, zu erleben und zu feiern.“ Die Missionsakademie Hamburg veranstaltete mehrere Workshops, deren Ergebnisse 1999 in einer vom Evangelischen Missionswerk für Deutschland und von missio Aachen herausgegebenen Arbeitshilfe veröffentlicht wurden. Vor allem fanden im Laufe des Jahres 2000 in fünf europäischen Städten - Thessaloniki, Trondheim, St. Andrews, Iasi und Prag - ökumenische Pilgertreffen statt, die den Süden, den Norden, den Westen, den Osten und die Mitte Europas in den Blick nahmen 68 . Die etablierten Pilgerstätten Rom und Santiago de Compostela wurden in das Programm „pilgrimage 2000+“ ganz bewusst nicht einbezogen. 68 Von Osten und Westen, von Norden und Süden. Ökumenische Pilgerwege, hg. von dem Evangelischen Missionswerk für Deutschland und missio Aachen (Aachen 2000). Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 311 Es lässt sich jedoch als vierter Punkt die Ausgestaltung von konkreten Wegen nach Santiago de Compostela anfügen. Nachdem der Europarat im Jahre 1987 die Wiederbelebung der „Wege der Jakobspilger“ als europäische Kulturroute empfohlen hatte, ging innerhalb von Deutschland das erste Projekt in dieser Richtung von einer evangelischen Initiative aus. In Süddeutschland rief Paul Geißendörfer 1992 einen Weg ins Leben, der von Nürnberg über Heilsbronn, wo er als evangelischer Pfarrer tätig war, nach Rothenburg ob der Tauber führen sollte. Der 130 Kilometer lange Weg wurde vom Fränkischen Albverein mit der Jakobsmuschel ausgeschildert. Er vereinigt seither mehrere evangelische Kirchgemeinden, die sich den Pilgern öffnen, um mit Gesprächen, Andachten und ausliegenden Spruchkarten geistliche Impulse anzubieten. Der Weg wurde rasch angenommen; ein Faltblatt mit dem eingezeichneten Verlauf fand reißenden Absatz 69 . 1995 erschien ein Wander- und Kulturführer für die Strecke 70 . Ein ähnliches Vorhaben folgte 2003 in Mitteldeutschland, als die Religionspädagogin Esther Zeiher einen reichlich 400 Kilometer langen Weg in Annäherung an den historischen Verlauf der Via Regia durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen realisierte 71 . Die Trägerschaft übernahmen in der Projektphase die anliegenden evangelischlutherischen Landeskirchen, und die Begleitung durch die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft sorgte für eine sachgerechte Einbindung in das europäische Netz der Wege der Jakobspilger. Der Pilgerweg bezieht sein Profil aus den drei Bereichen Ökumene, Gastfreundschaft sowie Begegnung zwischen Ost und West. Dies drückt sich in der Besonderheit von rund 60 Herbergen aus, die nach dem Vorbild des nordspanischen Jakobsweges eingerichtet wurden. Träger sind Kirchengemeinden unterschiedlicher Konfessionen, Einzelpersonen und Familien, die zu diesen Gemeinden gehören, Ordensgemeinschaften und gemeinnützige Einrichtungen. In der Diasporasituation Mitteldeutschlands entdecken Kirchengemeinden entlang der Strecke die Chance für ein neues pastorales Profil als Weggemeinde, und ihrem Einfallsreichtum sind 69 Oliver G USSMANN , Begleitung von Jakobspilgern beim Besuch der St. Jakobs- Kirche in Rothenburg ob der Tauber, Kirchenpädagogik 2 (2005) S. 6f.; D ERS ., Ein Kartenspiel für Pilger, Kirchenpädagogik 2 (2005) S. 8; Heinrich K. B AHNEN , Wege und kein Ende. Was kann die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft zu Wegeprojekten in Deutschland beitragen? Sternenweg 37 (2006) S. 14-21, hier S. 16. 70 Manfred B AYER / Paul G EISSENDÖRFER / Rüdiger S CHOLZ / Wolfram U NGER , Auf dem Jakobsweg von Nürnberg über Heilsbronn nach Rothenburg o. d. T. (Uffenheim 1995). 71 Der Ökumenische Pilgerweg durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, hg. vom Ökumenischen Pilgerweg e.V. (Weimar 3 2004). 312 Christoph Kühn keinerlei Grenzen gesetzt: So übernachten die Pilger in einem originalgetreu wiederhergestellten Armenhaus des frühen 19. Jahrhunderts auf Strohsäcken, auf der Empore einer romanischen Stiftskirche, in der früheren Glockenstube einer Dorfkirche oder in einer Wasserburg, die derzeit von Jugendlichen aus der gesamten Welt in einem internationalen Begegnungsprojekt instand gesetzt wird 72 . In Norddeutschland, wo ausgeschilderte Wege der Jakobspilger bislang kaum vorhanden sind, wird die Thematik „Jakobus und Pilgern“ zunehmend für kirchenpädagogische Konzepte evangelischer Jacobikirchen herangezogen. In didaktisch und meditativ angelegten Rundgängen sind die Besucher zu einer Pilgerreise durch den Kirchenraum eingeladen; sie werden mit Gestalt, Legende und Ikonographie des Apostels konfrontiert und mit geschichtlichen Aspekten der Pilgerfahrt vertraut gemacht. Gegenüber einer konventionellen Kirchenführung zeichnen sich die Veranstaltungen dadurch aus, dass biographische oder liturgieartige Elemente verwendet und Gesprächsimpulse eingesetzt werden, um die Teilnehmer an ihre eigenen, sich aus der Pilgerthematik ergebenden Lebensbezüge heran zu führen 73 . Mehr als zwanzig regionale Pilgerinitiativen in Deutschland zeigen inzwischen, dass in den Reformationskirchen gegenüber einer bürgerlich-protestantischen Tradition, die alles Wesentliche des Menschen in sein Herz, sein Gewissen und seine Seele verlegt, das Bewusstsein wächst, dass der Mensch sich nicht nur in seinem Inneren abspielt. „Er ist auch Leib, und seine Seele tritt als Form, Figur und Geste nach außen“ 74 , schreibt Fulbert S TEFFENSKY . Und: „Wir glauben, indem wir einen Raum aufsuchen, der verschieden ist von allen anderen Orten“ 75 . Im Unterschied zu der traditionell lutherischen Auffassung, der Ruf Gottes ergehe im hic et nunc (hier und jetzt), greift die Erkenntnis Raum, dass es Orte gibt, an denen man leichter als anderswo an Gott glauben kann: Orte, von denen heilende Kräfte ausgehen. Die jenen Orten 72 Christoph K ÜHN , Via Regia im europäischen Netz der Jakobswege, in: Via Regia kontrovers - Dialog der Horizonte, hg. vom Europahaus Görlitz (Görlitz 2006) S. 105-111. 73 Beispiele aus Einbeck und Hamburg stellen vor: Birgit H ECKE -B EHRENDS , „In dunkler Nacht woll’n wir ziehn, lebendiges Wasser zu finden ...“ Eine Pilgerreise durch die St. Jacobikirche, Kirchenpädagogik 2 (2005) S. 9-12; Erika G RÜNEWALD , Jakob unterwegs. Zeugnis der Vergangenheit und Begleiter von heute, Kirchenpädagogik 2 (2005) S. 13-18. 74 Fulbert S TEFFENSKY , Der heilige Raum, der die Sehnsucht birgt, in: Sehnsucht nach heiligen Räumen - eine Messe in der Messe. Berichte und Ergebnisse des 24. Evangelischen Kirchbautages, hg. von Helge A DOLPHSEN / Andreas N OHR (Darmstadt 2003) S. 81-94, hier S. 82. 75 S TEFFENSKY , Der heilige Raum (wie Anm. 74) S. 83. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 313 innewohnende Heiligung - konkreter das Heil-Werden - wird direkt mit dem Auf-dem-Weg-Sein verbunden. Denn Heil-Werden lässt sich als ein Vorgang der Verwandlung, in welcher das Wort „Wandeln“ als Synonym für ein bedächtiges Unterwegssein enthalten ist, verstehen 76 . Ein vergleichbarer Ansatz findet sich in der neueren evangelischen Kirchenpädagogik: Ein zentrales Leitwort ist dort der von Michel F OUCAULT geprägte Begriff der Heterotopie 77 - der andere Ort -, mit dem sowohl der heilige (Kirchen-)Raum wie auch schon der Weg dorthin gemeint sein kann. Evangelisches Pilgern bedeutet in diesem Sinne, die Heilsbotschaft des Evangeliums nicht erst am heiligen Ort, sondern auch schon auf dem Weg zu erleben. Paul Martin C LOTZ , der das evangelische Gegenstück zu Anselm G RÜN s Büchlein „Auf dem Wege“ 78 geschrieben hat, entwickelte eine Pilgertheologie, die sich deutlich von Grüns dreistufigem Ansatz des Aufbrechens, den Unterwegsseins und des Ankommens unterscheidet und bemüht ist um ein ausgesprochen evangelisches Pilgerverständnis, das sehr von seinen biblischen Wurzeln geprägt ist. Durch die eigene Körpererfahrung, das Verstehen von Gott als dem alttestamentlichen Gott des Weges, die Beschäftigung mit neutestamentlichen Texten über den biblischen „Pilger-Jesus“ sowie die mystische Glaubensdimension einer Reise nach innen wird für C LOTZ das Pilgern von dem Leitgedanken einer intensiven Gottesbegegnung auf dem Weg bestimmt. Während für Anselm Grün das Pilgern ein Unterwegssein zu Gott ist, versteht Paul Martin C LOTZ darunter ein Unterwegssein mit Gott 79 . Einen einfühlsamen Zugang hat Esther Z EIHER gewählt. Sie geht von der Erfahrung aus, dass Pilgern einen religiösen Bildungsgehalt umschließt, den sie als Bedeutungszuwachs der „Erlebnisschwerpunkte“ Heil, Wert und Sinn definiert. Dabei betrachtet sie religiöse Bildung nicht als Wissensstand, sondern als „Weisheit des Lebens“, die auf dem Weg durch „Selbstreflexion und Perspektivenfindung“ geschult werden 76 Hierzu: Reinhard D EICHGRÄBER , Die ökumenische Dimension des Pilgerns. Vortrag auf Versammlung der Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Pilgerwege in Deutschland (26.-28. Januar 2006 in Warburg-Germethe), sowie die daran anschließende ausführliche Diskussion. 77 Andreas M ERTIN , „und räumlich glaubet der Mensch“. Der Glaube und seine Räume, in: Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik und religiöses Leben, hg. von Thomas K LIE (Münster 3 2003) S. 51-76, hier S. 58f. 78 Anselm G RÜN OSB, Auf dem Wege. Zu einer Theologie des Wanderns (Münsterschwarzacher Kleinschriften 22, Münsterschwarzach 1983). 79 Paul Martin C LOTZ , Unterwegs mit Gott. Ökumenische Pilgerwege („Geistlich Leben“ 7, Gießen 1998). 314 Christoph Kühn kann. Durch das Erlebnis der eigenen Grenzen gelangt der Mensch zur Erfahrung von Heil, er tritt vom „Vorhof“ in den „Heiligen Bezirk“. Mit diesem den Psalmen entlehnten Begriffspaar „Vorhof“ und „Heiliger Bezirk“ vermittelt Z EIHER , wie die Pilgerfahrt zur Erfahrung einer Berührung und eines Ansprechens durch Gott werden kann: „Doch auch hier möchte ich auf dem Weg in seiner Geltung als Heiliger Bezirk beharren. Der Weg setzt den Menschen nicht nur in innere Bewegung (Vorhof), lässt ihn den Sinn nicht nur suchen um der Suche willen, sondern führt ihn auch zum Finden, also zu einem Ziel. Ich möchte es wiederum bezeichnen als Berührung und Ansprechen durch Gott. In diesem Kontakt gedeiht dem Menschen Sinn an, denn so ist sein Leben tatsächlich nicht mehr vergangener Hauch, sondern lebendiger Atem Gottes“ 80 . Die sowohl bei C LOTZ wie auch bei Z EIHER zum Ausdruck gebrachte Wegorientierung hat nichts mit dem modischen Spruch „Der Weg ist das Ziel“ zu tun. Kirchengeschichtlich besitzt sie eine Parallele in einem Ansatz spätmittelalterlicher Theologie, in dem Nikolaus von Kues die Übereinstimmung des Erdenpilgers mit dem „viator“ Christus gesucht hat 81 . Doch ihr Ursprung liegt wohl eher in den eigenen Frömmigkeitstraditionen. Wenn wir entgegen der verbreiteten These, „das praktische Pilgern [sei] im Protestantismus nicht verwurzelt“ 82 , die heutige Pilgerbewegung evangelischer Christen in der protestantischen Frömmigkeitsgeschichte verorten, so bieten sich liturgische Texte lutherischer Tauf- und Begräbnisfeiern wie auch die erlebnistheologischen Positionen des älteren Pietismus und der Erweckungsbewegung zur Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als Quellen an. Mehr als der große, von der Augustinusrezeption bei Luther und Melanchthon ausgehende Entwicklungsstrang, der das Christenleben als Pilgerfahrt zu Gott sieht, dürfte die Vorstellung von Gott, der den Menschen auf seinem Pilger- und Lebensweg begleitet und mit seiner Gnade führt, die heutige evangelische Reflexion prägen. 80 Esther Z EIHER , Das eigene Leben erwandern, in: Pilger - Wege - Räume. Historische, religionspädagogische und kunsttherapeutische Reflexionen, hg. von Martin C ORDES / Simone W USTRACK (Quellen und Forschungen zum evangelischen sozialen Handeln 18, Hannover 2005) S. 103-135, hier 134. 81 Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Werke. Lateinisch - deutsch 1: De docta ignorantia/ Die belehrte Unwissenheit. Mit einer Einleitung von Karl B ORMANN (Hamburg 2002) Buch III, S. 88-91. 82 Simone W USTRACK , Pilgern - eine alte Tradition in neuer Zeit. Historische und praktisch-theologische Aspekte sowie religionspädagogische Perspektiven, in: Pilger - Wege - Räume (wie Anm. 80) S. 21-102, hier S. 68. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 315 Vielleicht weniger in der Pilgerpraxis, aber zumindest doch theoretisch ist im Wegverständnis evangelischer Christen auch eine Zielorientierung angelegt. Mit sehr deutlichen Worten benannte der Wittenberger Pfarrer Friedrich S CHORLEMMER in seiner Eröffnungspredigt zum 27. Deutschen Evangelischen Kirchentag 1997 in Leipzig den Weg als theologisches Sinnbild für ein christliches Handeln, das nur aus der Tatsache eines Ziels am Ende des Weges seine Berechtigung erhält: „Der Weg erweist sich als ein Weg des Ziels, oder er gerät zum unentschiedenen Hin und Her, zum opportunistischen Hier und Da, zum konzeptionslosen Vor und Zurück, zum hektischen Kreuz und Quer oder zum wendigen Links und Rechts, erfolgsbesessenen Untendurch und Drüberweg. Der gewisse Weg, der Weg der Gewißheit, das ist ‚Step a Step‘, jede Station, jedes An- und Innehalten, auch jeder nötige Umweg, das Sich-Verfahren, die steinige Wegstrecke, der Durst und die Unlust, die Müdigkeit und der Zweifel, die Momente der Verzweiflung, die quälende Frage ‚Warum? ‘ Alles ist überwindbar, wenn die (Aus-)Richtung stimmt. Das Ziel gibt die Kraft, bevor es erreicht ist“ 83 . Auch der Leipziger Theologe Peter Z IMMERLING wirbt für die Zielorientierung eines evangelischen Pilgerns, indem er dafür plädiert, „Stätten, an denen Martin Luther, Paul Gerhardt, Johann Sebastian Bach und Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf gewirkt haben“, als Pilgerziele zu wählen 84 . Man mag darüber nachdenken, ob sich Z IMMERLING damit in eine Nähe zu dem eingangs zitierten Werbetext für das Lutherjubiläum in Eisleben begibt. Doch ein funktionierendes Beispiel für einen „Ökumenischen Pilgerweg“, der von seinem Ziel her seine Spannung erhält, ist der Elisabethpfad, der von Frankfurt über das Kloster Altenberg zum Grab der hl. Elisabeth von Thüringen nach Marburg führt 85 . Die in Pilgerführern anzutreffende Rezeption eines Wortes von Martin Luther betont zwar die Bedeutung des Pilgerweges, verweist aber auch auf ein Ziel, das über den Weg hinaus reicht: „Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, aber es ist im Schwang. Es ist nicht das Ende, aber es ist der Weg“ 86 . 83 Friedrich S CHORLEMMER , Zeitansagen (München 1999) S. 299. 84 Peter Z IMMERLING , Hat das Pilgern ein Heimatrecht in der lutherischen Spiritualität? , in: Pilger - Wege - Räume (wie Anm. 80) S. 137-148, hier S. 144. 85 Pilgerführer Elisabethpfad von Frankfurt bis Marburg, hg. vom Elisabethpfad e.V. (2. Aufl., Frankfurt 2005). 86 Der Ökumenische Pilgerweg (wie Anm. 71) S. 121. 316 Christoph Kühn 4. Perspektiven des Pilgerns im ökumenischen Dialog In der römisch-katholischen Kirche finden sich, wenngleich mit einer stärkeren ekklesiologischen Akzentuierung, vergleichbare Ansätze. Im theologischen Denken des früheren Aachener Bischofs Klaus H EMMERLE nahm die Thematik Weg und Gemeinschaft im Kontext von Gott und Heil einen entscheidenden Platz ein: „Die Verheißung, der Weg des Vergehens wird zum gemeinsamen Wandern mit Gott, zur gemeinsamen Geschichte unter der Verheißung Gottes“ 87 . Auf H EMMERLE und ähnlich hoffnungsvolle Aussagen des französischen Religionsphilosophen Gabriel M ARCEL 88 aufbauend legte der Bonner Theologe Heino S ONNEMANS zur Aachener Heiligtumsfahrt 2000 eine „Theologie des Weges“ vor, die ausgehend von neutestamentlichen Schriftstellen die Praxis des Weges als Nachfolge Jesu charakterisiert und den Weg des einzelnen Menschen in den Weg des Gottesvolkes einbettet 89 . Vergleichbar zu dem Ansatz von Paul Martin C LOTZ nimmt S ONNEMANS Gott als einen „Weg- oder Wandergott“ wahr. Aufgrund dieser Gotteserfahrung entfaltet er eine christologische Wegtheologie, in der er Christus als „Gottes Weg zu uns“ vorstellt. In umgekehrter Richtung wird „die Nachfolge Jesu“ zu einem „Weg für uns“, einem „Weg der Nach-folge“, der, „gerade auf den dunklen Wegstrecken des Lebens, nicht ohne die Hilfe des gekreuzigten und auferstandenen Christus möglich“ ist. Auf diese Weise entsteht eine „Lebensgemeinschaft in Jesu Nachfolge“; „der Weg des Menschen ist eingebettet in den Weg des Volkes Gottes, in eine Weggemeinschaft“ 90 . Dies alles deckt sich mit den Pilgererfahrungen evangelischer Christen, aber auch die Rede von einer Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen gehört für S ONNEMANS zu einem unveräußerlichen Bestandteil seiner Wegtheologie: „Diese Spannung zwischen dem Menschen als imago Dei [Ebenbild Gottes] einerseits und als homo peccator [sündiger Mensch] andererseits gehört als innerer Moment zur Verfaßtheit des Menschen als homo vi- 87 Klaus H EMMERLE , Unterwegs mit dem dreieinen Gott (Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 2, Freiburg/ Basel/ Wien 1996) S. 290. 88 Gabriel M ARCEL , Homo Viator. Philosophie der Hoffnung (Düsseldorf 1949, französische Erstausgabe Paris 1944). 89 Heino S ONNEMANS , Der Mensch als Pilger. Überlegungen zu einer Theologie des Weges, in: Der Aachener Marienschrein. Eine Festschrift, hg. von Dieter P. J. W YNANDS (Aachen 2000) S. 17-27. 90 Heino S ONNEMANS , Menschsein auf Heilswegen. Christliche Orientierung im Pluralismus der Religionen (Kevelaer/ Aachen 1999) S. 41-48. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 317 ator [Mensch auf dem Weg] - wobei der Weg des homo viator peccator zur je klareren Repräsentation seiner Gottesebenbildlichkeit führen sollte, aber auch - individuell und kollektiv - zu deren Verfinsterung führen kann“ 91 . In der evangelischen Reflexion sind die Themen Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen hingegen ausgeklammert. Trotz aller Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den Konfessionen Unterschiede, die sich an der Frage festmachen lassen, welche Bedeutung der zentrale Inhalt der traditionellen Pilgerfahrt, die christliche Lehre von Heil und Erlösung, heute noch besitzt. Die harte Auseinandersetzung, die während des Römischen Jubiläums 2000 zwischen katholischen und protestantischen Theologen um die praktizierte Vergabe eines vollkommenen Nachlasses zeitlicher Sündenstrafen geführt worden ist 92 , hat bestehende Differenzen schonungslos offen gelegt. Es dürfte wenig Sinn machen, hierüber hinweg zu gehen, wenn denn „alle Jubeljahre“ - und dies im Wortsinn - von neuem ein heftiger theologischer Streit entfacht wird. Die von Peter Z IMMERLING getroffene Feststellung, „die katholische Pilger- und Wallfahrtsauffassung“ sei „trotz gelegentlicher Schwankungen (...) heute nicht mehr von Werkgerechtigkeit und Ablasswesen gekennzeichnet“ 93 , wird der Sachlage kaum gerecht: Die päpstliche Ablasskonstitution von 1967 94 wie auch die sich darauf berufenden Verkündigungsbullen für die Heiligen Jahre 1975, 1983 und 2000 95 entsprechen festgelegter katholischer Lehre und sind keine „gelegentlichen Schwankungen“. Auch die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela war von den Debatten betroffen, wenngleich die zurückliegenden Compostelanischen Jahre meines Wissens nicht selbst thematisiert worden sind. Aber der vollkommene Ablass ist auch dort erteilt worden 96 , und es gibt wohl 91 S ONNEMANS , Menschsein auf Heilswegen (wie Anm. 90) S. 18. 92 Dorothea S ATTLER , Ablaßstreit in unserer Zeit. Beobachtungen zur Wiederbelebung einer alten konfessionellen Kontroverse, Catholica 54 (2000) S. 14-38. 93 Peter Z IMMERLING , Hat das Pilgern ein Heimatrecht in der lutherischen Spiritualität? (wie Anm. 84) S. 143. 94 Paul VI., Apostolische Konstitution „Indulgentiarum Doctrina“ über die Neuordnung des Ablaßwesens. Lateinisch - Deutsch (Trier 1967). 95 Zuletzt: Johannes Paul II., Apostolisches Rundschreiben zum Jubiläumsjahr der Erlösung „Aperite Portas Redemptori“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles 44, Bonn 1983); Johannes Paul II., Incarnationis mysterium. Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 vom 29. November 1998 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles 136, Bonn 1998). 96 Julián B ARRIO B ARRIO , Pilgern aus Gnade. Pastoralbrief des Erzbischofs von Santiago de Compostela zum Heiligen Jakobusjahr 2004 (Oberdischingen 2003) S. 23f., Nr. 22. 318 Christoph Kühn kaum einen Pilger, dem nicht gewärtig ist, dass am Ende des Jakobsweges ein Heiligengrab steht, der Jakobsweg durch diesen Gnadenort seine Bedeutung erhalten hat und Santiago de Compostela allein aus diesem Grund das Ziel des Weges ist. Doch trotz der regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen bereitet es für evangelische Christen in dogmatischer Hinsicht heute keine Probleme mehr, auf ihren Pilgerwegen ein Heiligengrab zu besuchen, sofern die Ehrung des Heiligen im Sinne einer „Communio- Ekklesiologie“ 97 in das Selbstbild der Kirche Christi als gemeinschaftlich pilgerndes Gottesvolk eingebunden ist. Dies zeigen die positiven Stellungnahmen evangelisch-lutherischer und evangelisch-reformierter Theologen gegenüber „Lumen gentium“, jener Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, die in ihrem siebten Kapitel die Verehrung der Heiligen behandelt 98 . In einer Paraphrase des reformierten Theologen Heinrich O TT geben die einschlägigen Passagen von „Lumen gentium“ folgendes wieder: „Das VII. Kapitel stellt das eigentliche Fundament der Heiligenverehrung mit aller wünschbaren Deutlichkeit heraus, nämlich die bleibende Solidarität des Gottesvolkes auch über die Schranken hinweg, die der Tod setzt, eine brüderliche Solidarität, welche sich, wie auf der Erde, so auch zwischen den Bereichen in Kommunikation und Fürbitte manifestiert“ 99 . Sehr anerkennend liest sich dazu die Stellungnahme des lutherischen Theologen Peter M EINHOLD : „Von einzelnen Wendungen abgesehen, die nicht ins Zentrum führen, wird man als evangelischer Christ diese Ausführungen verstehen können, halten sie sich doch im ganzen auf der Linie dessen, was in den Anfängen der Reformation über die Gemeinschaft, die das Abendmahl mit der himmlischen Kirche und mit den Brüdern als den Gliedern der irdischen Kirche herstellt, gesagt worden ist“ 100 . 97 Die Communio-Ekklesiologie betont den Charakter der Kirche als Gemeinschaft aller durch die Taufe Gerechtfertigten, der lebenden wie der verstorbenen, in der Person des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Hierzu: M ÜLLER , Gemeinschaft und Verehrung (wie Anm. 45) S. 339f. 98 2. Vatikanisches Konzil. Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ vom 21. November 1964, in: D ENZINGER , Enchiridion (wie Anm. 44) S. 1229- 1231, Nr. 4101-4179, hier Nr. 4170. 99 Heinrich O TT , Gedanken eines reformierten Theologen zur Constitutio Dogmatica „De Ecclesia“, in: De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils 2, hg. von Guilherme B ARAÚME OFM (Freiburg/ Basel/ Wien/ Frankfurt a. M. 1966) S. 550-568, hier S. 565. 100 Peter M EINHOLD , Die Konstitution „De Ecclesia“ in evangelisch-lutherischer Sicht, in: De Ecclesia 2 (wie Anm. 99) S. 536-549, hier S. 547. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 319 Zurückhaltender äußerte sich seitens der evangelisch-reformierten Kirchen Heinrich O TT , doch behielt auch er einen hoffnungsvollen Grundton bei: „Der Dialog über die Heiligen wird wohl in dem Maße an Klarheit und Kraft gewinnen, als er sich auf diesen nunmehr nicht mehr zu übersehenden Kern der Frage konzentriert. (...) So kann, auch wenn die Kontroverse bestehen bleibt, durch die Kontroverse hindurch das aufscheinen, worum es in ihr noch beiden Gesprächspartnern gemeinsam geht. So mag man im Gespräch über die Heiligen reden über die Theologie der Fürbitte und über die geheimnisvolle Solidarität des Glaubenden mit seinen Mitmenschen im Angesichte Gottes, wie sie zur Sendung der Kirche gehört“ 101 . Wir haben gesehen, dass die Grundlage für solchermaßen grundsätzlich positive Stellungnahmen bereits in den 1950er Jahren durch Max L ACKMANN und Walter N IGG (und zuvor schon durch Dietrich B ONHOEFFER , Karl B ARTH und Paul A LTHAUS ) geschaffen worden ist. Anknüpfend an die Forderung L ACKMANN s, die frühprotestantische Lehre des im Gnadenschatz der Heiligen immanenten „Christus solus“ aufzugreifen 102 , wäre über die Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ hinaus auch an den katholischen Theologen Karl R AHNER zu erinnern. R AHNER hatte einen ähnlichen Ansatz verfolgt, indem er die Heiligenverehrung in den Zusammenhang der christlichen Nächstenliebe einordnete und ihr dieselbe Unmittelbarkeit vor Gott zusprach 103 . Ausgehend von dieser Grundüberlegung definierte er die Vermittlungstätigkeit der Heiligen ähnlich dem Gebet für die Toten und den Fürbitten in der Liturgie als Bestandteil einer heilssolidarischen Interkommunikation aller (gerechtfertigten) Menschen, die vor Christus geschieht, auf ihn gerichtet ist und eine Voraussetzung für die Möglichkeit seiner Heilsmittlerschaft bildet 104 . Es gehört zu den zentralen Ergebnissen der Theologie Karl R AHNER s, dass der christologische Ansatz einer traditonellen Lehre von Heil und Erlösung um die anthropologische Perspektive einer Eigenverantwortung des Menschen erweitert wurde: Die Stellvertretung Christi durch seinen Tod am Kreuz ist nach R AHNER keine Ersatzhandlung, die den 101 O TT , Gedanken eines reformierten Theologen (wie Anm. 99) S. 565. 102 L ACKMANN , Thesaurus Sanctorum (wie Anm. 60) S. 170f. 103 Karl R AHNER , Warum und wie können wir die Heiligen verehren, in: Schriften zur Theologie 7, hg. von D EMS . (Einsiedeln/ Zürich/ Köln 1966) S. 283-303, insbes. S. 301-303. 104 Karl R AHNER , Der eine Mittler und die Vielfalt der Vermittlungen, in: Schriften zur Theologie 8, hg. von D EMS . (Einsiedeln/ Zürich/ Köln 1967) S. 218-235. 320 Christoph Kühn Menschen von der Notwendigkeit, die Folgen seines schuldhaften Tuns zu mindern, entbindet. Sie versetzt ihn vielmehr dazu in die Lage, indem sie ihm einen Teil seiner Bürde abnimmt und ihn dadurch zu einem solidarischen und wiedergutmachenden Handeln befähigt 105 . „Die ‚Fremderlösung‘ des Menschen durch Jesus Christus“, schreibt Karl R AHNER , „bedeutet nicht, dass dem Menschen etwas erlassen würde, was er selbst durch seine Freiheit leisten muß, oder dass ihm etwas gegeben würde, was er selbst nicht bewirken kann und von ihm dennoch gefordert würde; sie bedeutet, dass Gott durch seine Gnade im Blick auf Jesus Christus und sein Kreuz dem Menschen die Möglichkeit gewährt und anbietet, in der radikalsten Selbstübergabe seiner Existenz durch Glaube, Hoffnung und Liebe seine eigene heilshafte Endgültigkeit zu konstituieren“ 106 . Die Voraussetzung für diese „anthropologische Wende“ 107 in der Erlösungslehre bildeten nicht zuletzt R AHNER s Überlegungen zur Ablasslehre und seine Deutung der zeitlichen Sündenstrafe als „eine innere, konnaturale und aus dem Wesen der Sünde selbst erfließende, leidschaffende Folge der Sünde“ 108 . Diese Interpretation, mit der R AHNER auf den erstmals von Origenes geäußerten Gedanken der Selbstbestrafung der Sünde in ihrer leidvollen Folge zurückgreift 109 , steht im Gegensatz zu der Vorstellung einer „nur von außen, bloß durch die ‚vindikative Gerechtigkeit‘ Gottes verhängte und darum auch durch einen bloß äußeren Akt Gottes aufhebbare, zusätzliche Strafe“ 110 . In der Konsequenz kommt der Sündenstrafe im Prozess ihrer Überwindung ein heilender, medizinaler Charakter zu. Wenn R AHNER die zeitlichen Sündenstrafen als konnaturale Sündenfolgen wie zum Beispiel Ungerechtigkeit, Unfrieden und Zerstörung der Schöpfung begreift und die Pilgerfahrt dazu dienen soll, dem Urheber eine Aufarbeitung dieser Folgen zu ermöglichen, dann wird eine Pilgerreise, die in einem solchermaßen anthropologisch mitbestimmten Erlösungsverständnis unternommen wird, zu ei- 105 Dorothea S ATTLER , Beziehungsdenken in der Erlösungslehre. Bedeutung und Grenzen (Freiburg/ Basel/ Wien 1997) S. 59-68. 106 Karl R AHNER , Versöhnung und Stellvertretung. Das Erlösungswerk Jesu Christi als Grund der Vergebung und Solidarität unter den Menschen, Geist und Leben 56 (1983) S. 98-110, hier S. 108. 107 Dieser Begriff zuerst bei: Peter E ICHER , Die anthropologische Wende. Karl Rahners philosophischer Weg vom Wesen des Menschen zur personalen Existenz (Dokimion 1, Freiburg/ Schweiz 1970). 108 Karl R AHNER , Zur heutigen kirchenamtlichen Ablaßlehre, in: Schriften zur Theologie 8, hg. von D EMS . (wie Anm. 104) S. 488-518, hier S. 507. 109 S ATTLER , Gelebte Buße (wie Anm. 13) S. 278-284. 110 R AHNER , Ablaßlehre (wie Anm. 108) S. 507. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 321 ner inneren Vorbereitung auf das mit einem Umkehrwillen verbundene Rekonziliationsgeschehen am heiligen Ort 111 . In der neuen Pilgerbewegung evangelischer Christen zeichnet sich eine beachtenswerte Parallele ab, nämlich in jenen Pilgerinitiativen, die aus dem „Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ hervorgegangen sind. Diese Initiativen verstehen sich als eine „Pilgerbewegung für das Leben der ganzen Schöpfung, eine Pilgerbewegung, die sich einem Lebensstil der Einfachheit und der schöpfungsbezogenen Spiritualität, der Solidarität mit der zunehmenden Zahl von heimatlosen, entwurzelten und flüchtenden Menschen in Europa wie einem Teilen mit Kirchen außerhalb Europas verpflichtet fühlt“ 112 . Eine Brücke zur katholischen Sündenlehre dürfte sich aus dem Ansatz des Pastoraltheologen Ottmar F UCHS herstellen lassen, der zwischen einer persönlichen und einer strukturellen Ebene sündhaften Handelns unterscheidet und an die Ablasslehre die Forderung richtet, die Sündenstrafen nicht nur individuell anzugehen, „sondern auch in ihren sozialen, ökologischen und politischen Strukturen: und dies im Horizont einer an der Reich-Gottes-Botschaft inhaltlich ausgewiesenen Weltverantwortung“ 113 . Die Zurückhaltung evangelischer Reflexionen über das Verhältnis von Pilgerfahrt und Erlösung mag angesichts der Tatsache, dass zu diesem Themenkomplex eine Übereinkunft zwischen dem Vatikan und dem Lutherischen Weltbund erreicht werden konnte, überraschen. Sie wird etwas verständlicher, wenn wir das Konsenspapier eingehender betrachten. Dialogergebnisse aus Gesprächen, die in den 1970er Jahren begonnen worden waren, haben zu der Einsicht geführt, dass das reformatorische Glaubensverständnis eines unbedingten Vertrauens auf den barmherzigen Gott für die heutige katholische Theologie vor allem aufgrund der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils kein Problem mehr darstellt. Man verständigte sich auf eine Sprachregelung, nach welcher „die reformatorische Rede von der Rechtfertigung durch den 111 Zusammenfassend zu Rahners Ablassverständnis und seinen Folgerungen in der kirchenamtlichen Ablasslehre S ATTLER , Gelebte Buße (wie Anm. 13) S. 255-319. 112 Dietrich W ERNER , Hoffnungswege - Klagewege - Befreiungswege - Friedenswege. Das Netzwerk Europäisch-Ökumenischer Pilgerwege, in: Unterwegs zum Leben. Ökumenische Pilgerwege in Europa, hg. vom Evangelischen Missionswerk für Deutschland (Weltmission heute 36, Hamburg 1999) S. 17-24, hier S. 18f. 113 Ottmar F UCHS , Christlicher Umgang mit den „Folgen der Sünde“ im Horizont von Geschichte und Gesellschaft. Gedanken zu einem konsequenten Ablaßverständnis, in: Kommunikation und Solidarität. Beiträge zur Diskussion des handlungstheoretischen Ansatzes von Helmut Peukert in Theologie und Sozialwissenschaften, hg. von Hans-Ulrich von B RACHEL / Norbert M ETTE (Münster 1985) S. 179-197, hier S. 190. 322 Christoph Kühn Glauben der katholischen Rede von der Rechtfertigung durch die Gnade entspricht 114 . Am 31. Oktober 1999 wurde in Augsburg eine „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ 115 unterzeichnet. Sie enthält einen differenzierten Konsens: Neben einer grundsätzlichen Übereinstimmung blieben geschichtlich bedingte, vor allem durch konfessionelle Eigenentwicklungen geprägte Differenzen, die jedoch als ungeeignet eingestuft wurden, den Bestand der konsensfähigen Grundaussage zu gefährden, und somit keinen kirchentrennenden Charakter besitzen. Gemeinsam wird bekannt, dass allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi und nicht aufgrund eigener Verdienste die Menschen von Gott angenommen sind. Die Unterschiede bestehen darin, dass die katholische Theologie der Tendenz nach eher mit der Möglichkeit des Menschen rechnet, beständig das Gute bewirken zu können und darin von der kirchlichen Gemeinschaft gestützt zu werden. Demgegenüber betont die evangelische Theologie stärker die immer bestehende Sündhaftigkeit des Menschen, seine Passivität im Erlösungsgeschehen und die Notwendigkeit einer Heilsgewissheit aufgrund der gnädigen Zuwendung Gottes, die im vertrauenden Glauben wirksam wird 116 . Es mag also sein, dass die letztgenannte Auffassung keinen Raum für soteriologische Aspekte in einer lutherischen Theorie des Pilgerns bietet. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Behandlung der Frage der „guten Werke“, zu denen die katholische Kirche immer auch die Pilgerfahrt gezählt hat. Katholiken halten, so wird in der Gemeinsamen Erklärung ausgeführt, an der „Verdienstlichkeit“ der guten Werke fest, um die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln zu betonen. Lutheraner betrachten hingegen die guten Werke nicht als eigene Verdienste, sondern als „Früchte“ und „Zeichen“ der Rechtfertigung, um die Bedeutung des ewigen Lebens als unverdienten „Lohn“ im Sinne einer Zusage Gottes an die Glaubenden herauszustellen 117 . Ein 114 Karl L EHMANN / Wolfhart P ANNENBERG , Lehrverurteilungen - kirchentrennend? 1: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute (Freiburg/ Basel/ Wien/ Göttingen 1986) S. 57f. 115 Lutherischer Weltbund/ Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre/ Gemeinsame offizielle Feststellung/ Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung (Frankfurt a. M./ Paderborn 1999). 116 Dorothea S ATTLER , Verstrickungen in Lebenslauf und Erlösung in Christus Jesus, in: Nach Gott im Leben fragen. Ökumenische Einführung in das Christentum, hg. von Ulrike L INK -W IECZORCK / Ralf M IGGELBRINK / D ERS . (Gütersloh/ Freiburg/ Basel/ Wien 2004) S. 191-217, hier S. 211. 117 Lutherischer Weltbund/ Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (wie Anm. 115) S. 23. Von der Wittenberger Reformation zu den Ökumenischen Pilgerwegen 323 interkonfessionelles Lernen kann vor diesem Hintergrund folgendes bedeuten: Evangelische Christen werden das Faktum der sozialen Ungerechtigkeit aus dem Blickwinkel der Deutungskategorien Sünde und Schuld zu betrachten lernen und die befreiende Wirkung einer Versöhnung mit Gott in der Pilgerfahrt als Stärkung für ihr solidarisches Handeln entdecken. Und katholische Christen, denen bewusst ist, dass die Rekonziliationserfahrung einer Pilgerfahrt bei aller notwendigen Einkehr zu Konsequenzen im Sinne einer personalen Umkehr führen muss, können zu einer erweiterten Glaubenserfahrung gelangen, wenn sie sich ihre Reise nicht als Mittel zur Rechtfertigung, sondern als „Frucht“ und „Zeichen“ der Versöhnung vergegenwärtigen. Das Erlebnis eines „Ansprechens durch Gott“ auf dem Weg, ein zentrales Motiv evangelischer Pilgertheorie, gehört zu den wichtigsten Erfahrungen, die Katholiken und Protestanten gemeinsam haben können. Ungeachtet der Notwendigkeit einer theologischen Reflexion und ohne diese zu relativieren, steht auf den Ökumenischen Pilgerwegen nicht die Erzielung eines Lehrkonsenses im Mittelpunkt. Denn beim Pilgern vollzieht sich die Ökumene in ganz praktischen Dingen - im gemeinsamen Erlebnis von Anstrengung und Mühe, harten Matratzen und kalten Duschen, in Gesprächen, Andachten und Schweigezeiten, in herzlicher Gastfreundschaft und einer beglückenden Erfahrung des Vorankommens in einer sich verändernden Landschaft. Der katholische Diakon Gerald J AKSCHE fasste die Wegerfahrung mit seinem Pilgergefährten, einem evangelischen Pfarrer aus Schwerin, so zusammen: „Er läuft wie ein Uhrwerk, und ich freue mich, dass wir wiederum als ein ökumenisches Team unterwegs sind. Mir liegt die Ökumene sehr am Herzen, und gerade beim Pilgern reduzieren sich die auseinander driftenden theologischen Positionen. Wir sprechen darüber, über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des christlichen Glaubens, aber im Miteinander-Gehen, im Miteinander-Beten und Singen, in der gemeinsamen Herausforderung von Psyche und Physis, (...) da entdeckt man das Verbindende, das Wesentliche, worauf es ankommt“ 118 . Ich möchte schließen mit einer Erfahrung aus dem Ökumenischen Samstagspilgern, das die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft monatlich im Leipziger Raum veranstaltet. Am 2. April 2005 führte der Weg durch den Süden von Sachsen-Anhalt. Es war der Tag, an dem Papst Johannes Paul II. in den späten Abendstunden sterben sollte. Wir waren morgens 118 Gerald J AKSCHE , Zu Fuß von Assisi nach Mainz. Das Tagebuch meiner Pilgerreise (Leipzig 2006) S. 146f. 324 Christoph Kühn zu einer Andacht in einer katholischen Kirche zu Gast, mittags und abends dann jeweils in einer evangelischen Kirche. Sämtliche Pfarrer, die uns die Andachten gestalteten, der katholische ohnehin, aber auch die beiden evangelischen, erinnerten an den im Sterben liegenden Papst, und sie taten es, indem sie ihn als einen Pilger hervorhoben. An diesem Tag war besonders zu verspüren, wie durch das Pilgern die Konfessionen zusammengeführt werden, wie der Pilger zu einem Inbegriff geworden ist für das gemeinsame Unterwegssein mit Gott und zu Gott. Resumen: El texto establece una relación entre la crítica a las peregrinaciones propia de la Reforma en el siglo XVI y los caminos de peregrinos ecuménicos actuales, organizados por cristianos evangélicos y católicos como ejercicios espirituales o creados como rutas claramente definidas. En la primera parte de la ponencia se llega a la conclusión de que la posición de rechazo de Martín Lutero se nutre de diversas fuentes y líneas de desarrollo. Mientras que la crítica de Lutero frente a la peregrinación surgió ya a partir de la controversia en torno a las “buenas obras” propia de la Reforma temprana, su rechazo frente a la “invocación de los santos” nació recién algunos años después, luego de que percibiera a las claras que la concepción de un tesoro de los santos inmanente en Cristo no podía imponerse en la religiosidad popular de aquel entonces. Así y todo, una visión evangélica de la peregrinación se ha perpetuado a través de los siglos en la idea agustiniana de la peregrinatio terrestre como símbolo de la vida cristiana. Esto fue posible por el hecho de que las iglesias reformadas recurrieran cada vez más a ella en la ayuda espiritual ofrecida a los parientes del difunto y de que fuera unida en el pietismo a un movimiento del despertar religioso (“Erweckungsbewegung”) orientado hacia aspectos subjetivos y de la teología vivida. Hoy en día, la peregrinación representa un tema importante de la espiritualidad protestante; el “ser llamado por Dios” durante el viaje muestra ser un motivo central de la teoría protestante de las peregrinaciones. La falta de una reflexión sobre los aspectos soteriológicos de la peregrinación que salta a la vista a diferencia de lo que ocurre con la teoría católica de la peregrinación se debe a líneas de desarrollo autónomo en la confesión, que ofrecen impulsos para el aprendizaje interconfesional y son objeto de un cambio de significado en relación con el consenso en la doctrina de la justificación y con las peregrinaciones vividas conjuntamente. Aachen (Aach) 28, 37, 38, 137, 252, 274, 275, 277, 291, 293, 294, 310 - Burtscheid 137 Abendland (Okzident) 158 Adalbero, Ebf. v. Hamburg-Bremen (1123-1148) 72 Adelgot (Aelgot, Adalgot, Adalgoz), Ebf. v. Magdeburg (1107-1119) 89, 90 Adolf v. Anhalt, Bf. v. Merseburg (1514- 1526) 165 Adolf v. Nassau, dt. Kg. (1292-1298) 128, 130 Ägidius (Egidius), hl. 76-78 Ägypten 132 Akkon (Akko) 113, 118, 181 Albertiner (Wettiner) s. Sachsen Albinus, Petrus, Chronist (1543-1598) 29, 30 Albrecht Achilles, Mgf. u. Kf. v. Brandenburg (1470-1486) 199 Albrecht - III., der Fromme (der Gütige), Hzg. v. Bayern-München, († 1460) 199, 200 - der Beherzte, Hzg. v. Sachsen (1464- 1500) 22, 164, 182, 183, 188-191, 193-195, 198, 200, 201, 204, 205, 210-212, 215, 216, 230, 258 - der Bär, Mgf. v. Brandenburg (1157/ 50-1170) 179 - der Entartete, Mgf. v. Meißen u. Lgf. v. Thüringen (1265/ 1288-1307) 181 Äbt. Äbtissin Ap. Apostel Bf. Bischof Dyn. Dynastie Ebf. Erzbischof Gf. Graf Gfn. Gräfin Gft. Grafschaft hl. Heilige(r) Hzg. Herzog Hzgn. Herzogin Hzgtm. Herzogtum Kf. Kurfürst Kftn. Kurfürstin Register der Orts- und Personennamen bearbeitet von S ABINE Z INSMEYER Das Register verzeichnet alle Namen aus dem Haupttext und den Anmerkungen, die nicht in den bibliographischen Angaben genannt sind. Nicht berücksichtigt wurden die Namen aus Bildlegenden, den Anhängen und Quellentexten der Aufsätze, den Tabellen und den spanischen Zusammenfassungen. Personen sind i. d. R. mit ihrem Nachnamen aufgeführt. Datenangaben beziehen sich bei Amtsinhabern auf Regierungsjahre. Varianten der Namen sind in Klammern, Zitate kursiv gesetzt. Kftm. Kurfürstentum Kg. König Kgn. Königin Ks. Kaiser Ksn. Kaiserin Lgf. Landgraf Lgfn. Landgräfin Mgf. Markgraf Mgfn. Markgräfin Mgft. Markgrafschaft Min. Ministeriale St. Sankt s. siehe 326 Register der Orts- und Personennamen - v. Brandenburg, Ebf. v. Magdeburg (1513-1545) u. Mainz, Kardinal 20 - III. v. Rikmersdorf, Bf. v. Halberstadt (1366-1390) 119 - III., Burggraf v. Kirchberg 43 - v. Frohburg, Burggraf v. Altenburg († 1229) 180 - v. Schreibersdorf, Amtmann v. Annaberg 170 Albuin, Bf. v. Merseburg (1097-1112) 83 Alexander - hl. 138 - VI., Papst (1492-1503) 52 Alicante 224 Almazán, Vicente, Kirchenhistoriker 298 Altenberg, Prämonstratenserstift 315 Altenburg (Aldenburg, Allenburgck) 25, 50-52, 156, 265, 266, 275, 284, 285, 287-289 - Annenbruderschaft 282, 283, 285 - Augustiner-Chorherrenstift (Bergerkloster) 280, 281 - Franziskanerkloster 289 - Fronleichnamsbruderschaft 288 - Hospital St. Jakob 274, 277-279, 280, 281, 287, 289 - Jakobsbruderschaft 11, 273-290 - Kapelle St. Jakob 276, 279-281, 287, 290 - Kirche St. Bartholomäus 51, 283, 285, 288 - Maria-Magdalenen-Kloster 51 - Schloss 51 - Sebastiansbruderschaft 282, 288 - Stadtarchiv 276 - Stift St. Georg 51 Althaus, Paul, Theologe (1888-1966) 319 Altmark 122 Altötting 28, 157 Alwig, Fernhändler aus Schleswig- Haithabu 78 Altzelle, Zisterzienserkloster 133, 134 Altzen 263 Amalia v. Sachsen (Amalia v. Bayern), Kftn. v. Sachsen, Hzgn. v. Bayern- Landshut (1436-1501) 199 Andechs, Kloster u. Wallfahrtskirche 157 Anders, Joachim, Pfarrer 309 Andresen, Carl, Kirchenhistoriker 306 St. Andrews 310 Angermünde 257 Anhalt, Markus, Historiker 52 Anna - hl. 55, 141, 155, 164, 167, 168 - v. Habsburg, geb. Hzgn. v. Österreich, Frau Wilhelms III., Hzg. v. Sachsen (1432-1462) 188, 215 - v. Sachsen, Schwester des Kf. Ernst v. Sachsen (1437-1512) 199 Annaberg 164, 165, 167, 170 - Annenkirche 165 Antonius, hl. 138 Antwerpen (Antorff) 227, 238 Arles 77 Arnold v. Meißen, Schreiber in Marienstern 139 Arnstadt - Jakobuskirche 26 Arras 252 Askanier, Dyn. 159 Asturien 122 Atto, Bf. v. Pistoia 134 Augsburg 269, 322 Augustinus, Kirchenvater, hl. (354-430) 170, 303 Auma 265 Bach, Johann Sebastian, Musiker, Komponist (1685-1750) 315 Baden, Großherzogtum 306 Baiersdorf 199 Balearen 225 Balsamerland (Belcsem) 64, 65 Baltikum 181 Bamberg 80, 265, 269 - Bistum 49 - Kollegiatstift St. Jakob 80 - Kloster Michelsberg 80 Barbara v. Polen, Hzgn. v. Sachsen (1487-1534) 167, 168 Barby 205 Bärensprung, Georg 37 Barnabas, hl. († 61, hl. 145) 116 Barth, Hans-Martin, Theologe 308 Barth, Karl, Theologe 319 Basel 163 - Historisches Museum 136, 137 Baumgarten, Antonius 197 Baumgartner, Stefan 184, 196 Bautzen (Budissin) 125, 256, 257, 261, 265 - Kollegiatstift St. Petri 20 Register der Orts- und Personennamen 327 Bayern - Haus (Wittelsbacher), s. auch Albrecht, Christoph, Elisabeth, Georg, Ludwig - Land 28, 157 Bebel, Heinrich, Humanist (1472-1518) 152 Belgern 260, 262 Benesch v. Weitmühl, Bgf. v. Karlstein (1460-1496) 210 Benno, Bf. v. Meißen, hl. († 1105 oder 1107) 22, 147, 164-168, 300 Bergisches Land 306 Bergner, Heinrich, Historiker 45 Berlin (Berlyn) 257, 261, 292 - Cölln (Kölln) 257 Bern 232 Bernau 257, 263 Bernhard - v. Sachsen, Hzg. (1180-1212) 113, 180 - III. v. Kamenz, Bf. v. Meißen (1293- 1296) 127-130, 134, 139, 142 - V. v. Kamenz, Bf. († 12./ 13. Jh.) 130 - v. Breydenbach (Preytenbach), Mainzer Domherr 225, 227, 229, 244 - v. Schönberg 205 - v. Trebsen, Min. 180 Berterich v. Teuchern (Bethericus de castello Tuchern) 65 Bertha v. Groitzsch, Gfn. (um 1090-1144) 178 Bero, Abt v. Pegau († 1101) 79, 80 Bertrannus, Abt v. St-Gilles (1150-1169) 77 Bethlehem (Bethlahem) 175, 226, 230, 234 Bigen am Main, Wüstung 269 Birnbom s. Rötha Bischofswerda (Bischoffswerda) 265 Blaschke, Karlheinz, Historiker 13, 17 Böhmen 82, 90, 91, 127, 128, 136, 236, 251, 255-257, 263 Boldersberg (bei Wittenberg), Marienkapelle 47 Boleslaw v. Pommern, Hzg. 204 Bologna 113, 233 Bonhoeffer, Dietrich, Theologe (1906- 1945) 319 Bonifaz IX., Papst (Bonifacius), (1389- 1404) 30-33 Boockmann, Hartmut, Historiker (1934-1998) 148 Borna (Borne) 87, 106, 108, 263, 265 Botho III., Gf. v. Stolberg 183 Brabant 223, 238 Brandenburg - Bff. v. 115 - Haus, s. auch Albrecht, Friedrich, Heinrich, Joachim 159 - Land 18, 261 - Mark 48, 214 Brandenburg-Kulmbach, Mgff. v. 49 Brandis (Brandiß) 262 Brandiß, Henning, Mönch im Stift Ilsenburg 26 Branitz 55 Bräuer, Siegfried, Historiker 49 Braunschweig (Braunswigk, Braunschweygk) 36, 267, 268 Bremen 72 Breslau (Breszlaw, Breßlaw) 255-257, 260, 263 Briesen (Brezno, Breßen), Pfarrkirche 56 Brixen (Bressanone) 200, 293 Brun (Praun, Prun), Hans, Pilger 215 Brun, Fernhändler aus Zeitz 78 Brüssel (Bruxelles) - Musée Royaux des Beaux-Arts 138 Brüx (Most) 262 Burchard, Bf. v. Münster (1097/ 98-1118) 87 Bünau, Herren v. 182, 206, 211, 212 Burckartshain 262 Burgstein (Krebes), Marienkapelle 49 Burgund 210, 236 Buttelstedt 267 Caesarius v. Heisterbach, Zisterzienser (um 1180-1240) 170 Cadan s. Kada ň Cádiz (Callis malis) 224, 240 Calais (Callis) 223, 229, 238 Calicut (Kozhikode) 230, 240 Callenberg (bei Coburg), Schloss 221, 237 Candia s. Kreta Candidus, hl. († 302) 136 Canterbury (Candelburg) 223, 238 - St. Thomas-Grab 232 Caspar v. Mülinen 185 Ceylon 132 Chemnitz (Kemnitz, Kempnitz) 29, 31, 36, 257, 259, 262, 263 - Pfarrkirche 29 - Lorettokapelle 35 328 Register der Orts- und Personennamen Chemnitz, Martin, Superintendent 302 Chomutov (Komotau) 262 Christoph - v. Bayern, Hzg. († 1493) 183, 191, 198 - v. Rosenau, Pilger 228 Clemens III., Gegenpapst (1080-1100) 69 Clemen, Otto, Historiker (1871-1954) 15 Clotz, Paul Martin, Pfarrer 291, 309, 313, 314, 316 Coburg 32, 219, 222, 268, 269 - Collegium Casimirianum 222 - Veste 221, 228, 233 Coburger Land 222 Colditz 49, 101, 262 - Burg 87 Cölln s. Berlin Compostela s. Santiago de Compostela Contarini, Andrea, Schiffspatron 194 Coquatrix, Geoffroy, Bildhauer 136 La Coruña 224, 231, 239 Corvey, Benediktinerkloster 80 Cosmas v. Prag, Chronist (um 1045- 1125) 67, 82 Cottbus (Cotbus) 257 - Marienkapelle 55 Cottin, Markus, Historiker 10, 11, 20 Cranach, Lucas, d. Ä. (1472-1553) 159, 168, 184 Crawinkel 268 Creuzburg (Kreutzburg) 267 Cronschwitz, Dominikanerkloster 30 Crossen 256, 257, 261, 263 Cyprian, Ernst Salomon, Theologe 222 Dalmatien 113 Damaskus 178 Danzig (Gda ń sk, Dannzk) 41, 257, 263, 264 Dedo - IV. v. Wettin, Gf. († 1124) 178 - V., Gf. v. Groitzsch-Rochlitz (1156- 1190) 94, 103 Delitzsch (Delitsch) 37, 40, 262 Demmin 179 Diego II. Gelmírez, Bf. (1098/ 99-1120/ 24) u. Ebf. v. Santiago de Compostela (1120/ 24-1140) 3, 134 Dietrich - der Bedrängte, Mgf. v. Meißen (1197- 1221) 99, 106, 108, 179, 180 - v. Landsberg, Mgf. v. Landsberg, Mgf. v. Meißen († 1285) 108, 253 - III. v. Bocksdorf, Bf. v. Naumburg (1463-1466) 20 - v. Freiberg 205 - v. Groitzsch 180 - v. Weißenfels 180 - v. Schleinitz zu Dahlen, Ritter 184, 208 - v. Schleinitz zu Seerhausen, Ritter 208 - v. Schönberg auf Rothschönberg, Rat 210 - v. Staupitz 205 Dietrich, Johann, Pfarrer 167 Döbeln 262 Doberlug (Doberlug-Kirchhain, Dobrilugk) 257, 258, 260, 261 Dobra 262 Dommitzsch 262 Donath, Matthias, Kunsthistoriker 43 Donndorf (Tundorf, Tuntorf), Benediktinerinnenkloster 33 Dornburg an der Saale 67, 75 Dover (Dobr) 223, 229, 238 Dresden 47, 48, 161, 257, 262, 265 - Friedrichstadt, Alter katholischer Friedhof 305 - Kreuzkirche 47 - Loschwitz, Friedhof 305 - Marienkapelle am Queckborn 54 - Sächsisches Hauptstaatsarchiv 83 Dreyhaupt, Johann Christoph, Geschichtsschreiber (1699-1768) 90 Droyßig 52 Durlach 274 Eberhard V., Gf. v. Nellenburg (Eppo, Ebbo) 73 Ebersdorf (Epersbach) 31, 49 Eberswalde 257 Eck, Johannes, Theologe (1486-1543) 299 Eckartsberga 184, 215 Eckmannsdorf 262 Eger (Cheb) 188, 265 Ehwald, Rudolf, Bibliothekar 222 Eicha (Eyche, Eich, Eiche), Wallfahrtsort 22, 31, 51, 54, 294 - Marienkirche (zu unser lieben Frawen) 44, 50, 52 Eichstätt 134 Eilenburg (Ylnburg) 256-258, 260, 261-263 Einsiedeln 277, 293 Register der Orts- und Personennamen 329 Eisenach (Eysenach) 267 Eisenberg, Peter, Pfarrer 168 Eisermann, Falk, Germanist 9, 11 Eisfeld 268 Eisleben (Lutherstadt Eisleben) 11, 27, 264, 291, 315 Ekbert II. v. Meißen, Mgf. († 1090) 66 Ekkehard (Eckehard) - v. Aura, Chronist († 1125) 62 - Bf. v. Merseburg (1216-1240) 106, 108 Elbe 11, 34, 50, 64, 145, 186, 262 Elende, Wallfahrtsort 40 - Marienkirche 49 Elisabeth - v. Pommern, dt. Kgn., Ksn. († 1393) 48 - v. Bayern, Kfn. v. Sachsen († 1484) 156, 199 - v. Thüringen, Lgfn. v. Thüringen, hl. (1207-1231) 18, 159, 315 - v. Schwarzburg, Gfn. 25 - v. Rimini, Gfn. 202 Embricho (Embrich), Bf. v. Würzburg (1127-1146) 71, 74 Emmaus (Emaus) 225, 244 Emser, Hieronymus (Jeronymus Emser), Hofkaplan Hzg. Georgs v. Sachsen (1478-1527) 161, 163, 166 Ende, Familie v. 211, 212 England (Engellandt) 72, 229, 236 Erasmus v. Rotterdam, Humanist, (1466/ 69-1536) 152, 153, 162, 163, 166, 172 Erentrudis, Äbt. in Salzburg, hl. († 718) 137 Erfurt (Erffurd, Erfurth) 197, 233, 252, 253, 256, 266-269 - Schottenkloster 11, 97, 99, 101, 102, 105, 107-112, 294 - Haus „Zum Weinstock“ 35 Erich, Sebastian, Böttcher in Delitzsch 37 Erkenbert v. Tegkwitz, Burggraf v. Döben (* um 1200) 180 Erlangen 9, 24 Ernestiner (Wettiner) s. Sachsen Ernst - Kf. v. Sachsen (1464-1486) 156, 183, 188-190, 193, 199-202, 210, 212, 214, 257, 258 - v. Sachsen, Ebf. v. Magdeburg, Hzg. v. Sachsen (1476-1513) 155, 156, 189, 190 - I. v. Schönburg 182 - I., der Eiserne, Hzg. v. Österreich († 1424) 199 Erpho, Bf. v. Münster (1085-1097) 80 Erpo, Adliger 80, 81 Erzgebirge 164, 186, 256, 263, 287 Esenstedt 32 Este, Familie 200 Euphemia (Euphemia v. Chalkedon), hl. 114 Ezelin, Bf. v. Havelberg, (um 1096- um 1108) 83 Faber, Felix, Dominikanermönch 200 Federico Gonzaga, Mgf. v. Mantua 200, 202 Fenske, Lutz, Historiker (1936-2006) 61 Fizelin v. Profen (Ficelinus de Probin) 65 Flandern 223, 231 Flarchheim 66 Frammersbach 267 Franeker, Festung 193 Franken (Francken) 91, 251, 255-257, 265, 267 Frankenberg 262 Frankfurt/ Main 267, 315 Frankfurt/ Oder 257, 261, 263 Frankreich 1, 5, 77, 129, 138, 230, 300 Franziskus v. Assisi, hl. († 1226, hl. 1228) 153 Frauenstein 262 Freiberg (Freibergk, Freybergk) 55, 192, 259, 262, 265 Freiburg (in der Schweiz) 273 Freising 199 Freitag, Peter, Leipziger Stadtschreiber 111 Frenzel, Simon 280, 287, 288 Friedrich - I., Barbarossa (Kg. 1152-1190, Ks. 1155) 72, 179 - v. Schlesien, Hzg. 259 - I., der Streitbare, Mgf. v. Meißen u. Lgf. v. Thüringen (1381-1423), Kf. v. Sachsen (1423-1428) 186 - II., der Sanftmütige, Kf. v. Sachsen (1428-1464) 51, 187, 255 - III., der Weise, Kf. v. Sachsen, Mgf. v. Meißen (1486-1525) 26, 47-50, 52, 146, 153-160, 163, 164, 171, 173, 183, 190, 191, 193, 198, 211, 212, 216, 221, 260, 300 330 Register der Orts- und Personennamen - II., der Eiserne, Kf. v. Brandenburg († 1471) 214, 275 - II., der Ernsthafte, Mgf. v. Meißen (1323/ 28-1349) 181 - Tuta, Mgf. v. Meißen (1288-1291) 108 - I., Bf. v. Merseburg (1266-1283) 106 - II., Gf. v. Brehna 181 - v. Burglengenfeld 64 - v. Keutschen (Fridericus de Cutze) 65 Friedrich, Joachim 269 Friesland (Frysland) 25, 52, 191, 192 Froben, Johann, Buchdrucker 163 Frohburg 289 Fuchs, Ottmar, Theologe 321 Füessli, Peter, Pilger 235 Galizien (Galiciam) 25, 122, 175, 185, 193 Geismar 45 Geißendörfer, Paul 311 Geithain 103, 262 Georg - hl. 99, 225, 243 - der Bärtige, Hzg. v. Sachsen (1500- 1539) 19, 31, 52-54, 212, 216, 300, 301 - v. Hutten 223, 228 - v. Schleinitz auf Ragwitz 210 Georg Podi ě brad, Kg. v. Böhmen (1458- 1471) 188, 210, 255 Geppart, Hans 37 Gercke, Hans 37 Gerhard, Johann, Theologe 302, 303 Gerhardt, Paul, Theologe, Liederdichter (1607-1676) 304, 315 Gerson, Jean (Jean le Charlier de Gerson), Theologe (1363-1429) 169 Gera 265, 266 Gero, Mgf. der sächs. Ostmark (937-965) 94 Gertrud v. Helfta, hl. (1256-1301) 295, 304 Gepülzig (Tzschauwitz) - Leonhardskapelle 55 Ghiberti, Lorenzo, Bildhauer (1378- 1455) 134 St-Gilles du Gard 78, 79 - Grab des hl. Ägidius 77 - Benediktinerkloster 77 Gibraltar, Straße v. 224, 241 Girolamo Riario, Gf. 201 Glaubitz 43 Glauchau 16, 182 Glogau (Głogów) 256, 258, 259 Göde, Henning, Kanonist (1464-1521) 170 Goldberg 263 Gonzalo Gómez, Ebf. in Santiago de Compostela 134 Gorden (Golden-Staupitz, Gordan) 260 Görlitz (Gorlicz) 48, 125, 255-257, 260, 261, 263 - Heiliges Grab 10, 21 Gorze, Benediktinerkloster 80 Goseck, Benediktinerkloster 62 Gößnitz 289 Gotha 222, 263, 267 - Forschungsbibliothek, hzgl. Bibliothek 219, 221, 222, 228 Göttingen 36 Gottsbüren (Stadtteil v. Trendelburg), Wallfahrtsort 40 Götz v. Ende zu Rochsburg, Rat 211 Graber, Tom, Historiker 134 Graf, Gerhard, Kirchenhistoriker 10 Gräfenthal 268, 269 Gräfinau 268 Gränitz (Grenitz) - Marienkapelle 55 Gregor VII., Papst (1073-1085) 73 Greiffenberg 263 Grempelsetzer, Veit, Totschläger in Zwickau 37 Grensing - Erasmus 184 - Familie 184, 212 Griechenland 236 Grimma 22, 49, 50, 106, 108, 256, 258, 260-263, 290 Grimmenthal, Wallfahrtsort 54, 169 Groitzsch (Groisca) 65, 66, 89-92, 103, 106, 108 - Burg 65, 89, 90 - Familie, s. auch Bertha, Judith, Wiprecht Großbardau 262 Großbothen 43 Großenhain (Hain, Hayn) 50, 53, 55, 107, 255-263 - Kirche St. Sebastian 52, 156 Großmilkau (Milckaw) 55 Großräschen (Reschen, Räschen) 258, 260 Grün, Anselm, Theologe 313 Grünhain (Grunhain) 31, 32 - Kirche St. Nikolai (s. Niclas) 32 Register der Orts- und Personennamen 331 Günther - v. Bünau, s. Herren v. Bünau - Bf. v. Naumburg-Zeitz (1079-1090) 68 - II. v. Schwarzburg, Ebf. v. Magdeburg (1403-1445) 90 Güttel, Caspar, Prior im Augustinerkloster Eisleben 28 Habsburger, Dyn., s. auch Anna, Ernst, Siegmund 185, 186, 187, 190, 200 Hadrian VI., Papst (1522-1523) 300 Hageno v. Tubichin 65, 68 Halberstadt (Halverstat) 113-118, 120, 121, 135, 179 - Bistum 190 - Dom, Domkapitel 11, 113-116, 119, 121, 122 - Hospital, St. Jakob 118 - Hospital, Heilig-Geist 118, 120 - Kirche St. Thomas 118 Hall (im Hennegau) 238 Hall (in Tirol) 151 Halle/ Saale 21, 44, 89, 94, 121, 165, 167, 251, 256, 259, 262, 264, 265, 269 - Burg 89 - Kapelle St. Jakob 79, 90-92 Hamburg 268, 310 Hamm, Berndt, Kirchenhistoriker 14 Hannover 292 Hans - v. Berge, Ratsherr 288 - v. Berlepsch, Burghauptmann auf der Wartburg 222 - v. Leimbach, wettin. Finanzbeamter 210, 211 - v. Mergenthal s. unter Johann - v. Minckwitz, Obermarschall 210 - v. Sternberg, Adliger 9, 11, 35, 219- 248 v. Harff, Arnold, Pilger 232 Hartwig, Ebf. v. Magdeburg (1079-1102) 69, 81, 83, 89 Harz 186, 268 Hase, Leonhart, Bürger 277 Hauck, Albert, Kirchenhistoriker (1845-1918) 14 Haupt, Heinrich 88 Havelberg, Bistum 115 Hayner, Balthasar, Richter in Delitzsch 37 Hefilborn (Hefelborn) 33 Heiligenleichnam, Wallfahrtsort 51, 52, 156, 287 - Fronleichnamskapelle 50, 51, 52 Heiliges Land s. Palästina Heimann, Heinz-Dieter, Historiker 18, 214 Heinrich - II. (engl. Kg. 1154-1189) 72 - II. (dt. Kg. 1002-1024, Ks. 1014) 102 - III. (dt. Kg. 1028-1056, Ks. 1046) 105 - IV. (dt. Kg. 1054-1105, Ks. 1084) 66, 67, 72, 88, 128 - V. (dt. Kg. 1099-1125, Ks. 1111) 72, 87, 88 - VI. (dt. Kg. 1169-1197, Ks. 1191) 180 - der Fromme, Hzg. v. Sachsen (1539- 1541) 25, 164, 166, 175, 184, 185, 191-198, 202, 206, 214-216 - IV., Hzg. v. Schlesien-Breslau (1266- 1290) 127 - der Erlauchte, Mgf. v. Meißen u. Thüringen (1221-1288) 106, 108, 181 - Ebf. v. Magdeburg (1102-1107) 77 - v. Brandenburg 179 - v. Bünau zu Teuchern u. Gröbitz, Rat 206, 211 - v. Colditz, Min. 180 - v. Einsiedel 212 - v. Ende zu Kayna 212 - v. Löser, Rat 210, 211 - v. Schleinitz, gen. der Blinde, albert. Obermarschall († 1426) 183, 208 - v. Schwarzburg 45 - v. Starschedel zu Mutzschen, Rat 210, 211 - v. Würzburg-de Foro, Schultheiß 74 Heinrichau, Zisterzienserkloster 129 Helbig, Herbert, Historiker (1910-1987) 13, 100 Helfta, Zisterzienserinnenkloster 1, 11, 23 Hemmerle, Klaus, Bf. v. Aachen (1975- 1994) 316 Henneberg, Gff. v. 54, 202 Hensel, Hofnarr Friedrichs d. Weisen 191 Herbsleben 267 Hermann - I., Lgf. v. Thüringen (1190-1217) 180 - I. Bf. v. Bamberg (1065-1075) 73 Herrmann, Rudolf, Kirchenhistoriker (1875-1952) 15 332 Register der Orts- und Personennamen Van Herwaarden, Jan, Historiker 37 Herzberg 257, 262 Hessen 43, 159, 256, 267, 310 - Lgff. v. 185 Heubach (in Thüringen) 268 Hildburghausen 268 Hildesheim 136 - Benediktinerkloster St. Michael 81 - Bff. v. 115 Hirschberg (Jelenia Góra) 263 Hitzolt, Hans, Böttcher 277 Hof (Hoff, Hoffe) 265, 268 Hohenleipitzsch 262 Hohenzollern, Dyn. 185 Hohe Straße 260 Honemann, Volker, Germanist 151, 152, 162 Honorius III., Papst (1216-1227) 99, 108 Hugo v. Leisnig, Burggraf 94 Hugold - de Sochero, Min. 179 - v. Schleinitz zu Schleinitz 208 Huizinga, Johann, Historiker (1872-1945) 148 Humelshain (Hummelshayn) 31 - Kirche St. Gumbert 32 Hundt, Hans 183 Hussiten 214 v. Hutten, Familie 223 Ia ş i 310 Iberische Halbinsel 2, 5, 8 Ibiza (Ybis) 224, 225, 230 Ilmenau 268 Ilsenburg, Benediktinerkloster 26 Indien 224 - St. Thomas-Grab 232 Ingolstadt 157, 233 Innozenz III., Papst (1198-1216) 74 Innsbruck 199 Irmisch, Rudolf, Historiker 13 Isergebirge 132 L’Isle, Dominikanerkloster 167 Istrien 195 Italien 5, 199, 200, 202, 232, 236 Jacobus, d. Ä. (Maior, Jakobus, Jacques, Jacoff), Ap. passim Jaffa 197-199, 216, 225, 226, 229, 230 Jahn, Simon 37 Jakobsberg (bei Bautzen) - Jakobskapelle 125 Jakob (Jakobus) - v. Reppin 205 - v. Volterra 183 Jakobsweg 318 Jaksche, Gerald, Diakon 323 Jakub s. Kuttenberg Jancko, Fuhrmann 264 Jena 18, 41, 43, 50, 156, 267, 269 - Kirche St. Michael 18 Jerichow, Prämonstratenserstift 64 Jerusalem (Jherusalem) 3, 22, 156, 163, 175, 178, 179, 181, 185, 191, 198, 203, 204, 210-212, 223, 225-227, 229, 232, 235, 236, 277, 294, 295, 308 - Heiliges Grab, Kollegiatstift zum Hl. Grabe 203, 230, 231, 294 - Sionsberg, Franziskanerkonvent 203, 226, 229, 244 Jessen 262 Joachim v. Brandenburg, Kf. 260, 261 Johann - v. Schlesien, Hzg. 256 - der Beständige, Kf. v. Sachsen (1525- 1532) 27, 43, 50, 156, 159, 173, 189, 190, 211 - (Johannes II. v. Bose), Bf. v. Merseburg (1431-1463) 46 - II., Bf. v. Meißen (1376-1379) 33 - VI. v. Salhausen, Bf. v. Meißen (1487/ 88- 1518) 53 - v. Lobkowitz auf Hassenstein 183 - v. Görlitz 48 - (Hans) v. Mergenthal, Landrentmeister († 1488) 175, 182, 194, 197, 207, 210, 211, 230 Johann Friedrich d. Ä., Kf. v. Sachsen (1532-1547) 159, 266 Johann Ludwig v. Nassau-Saarbrücken, Gf. († 1545) 230 Johannes - der Täufer (Johannes Baptista), hl. 141, 142, 246 - v. Paltz, Augustinertheologe († 1511) 169, 172, 293, 294 Johannes Paul II., Papst (1978-2005) 323 Jordan 203 Judith, Frau des Wiprecht v. Groitzsch 66, 67, 72, 82, 84, 85, 87, 90, 92 Jung-Stilling, Johann Heinrich, Arzt u. Schriftsteller (1740-1817) 306 Jüterbog 210 Register der Orts- und Personennamen 333 Jutta v. Thüringen, Mgfn. v. Meißen († 1235) 108 Kada ň (Kaaden) 262 Kahl, Hans-Dietrich, Historiker 84 Kaiser, Andreas, Kaplan 280, 281 Kamenz (Camenz) 143 - Herren v. 127, 130 - Marienkirche 125 Kammermeister, Hartung, Geschichtsschreiber († 1467) 197 Karl - der Große (Kg. 768-814; Ks. 800) 4 - IV. (Kg. 1346, Ks. 1355-1378) 255 - V. (Ks. 1519-1556) 236 - der Kühne, Hzg. v. Burgund (1467- 1477) 188 Kaschau s. Košice Katharina - v. Braunschweig-Lüneburg, Kfn. v. Sachsen († 1442) 49 - v. Brandenstein, Hzgn. v. Sachsen († 1492) 188, 215 - v. Gleichen, Gfn. 25 Kerkener, Johannes, Dechant in Wernigerode 26 Ketzel, Sebald, Pilger 215 Keuschberg, Archidiakonat 103 Kilian, hl. 91 Kirn, Paul, Historiker (1890-1965) 53 Kleine, Uta, Historikerin 8 Kleinzschocher s. Leipzig Knautnaundorf 89 - Andreaskirche 88, 90, 91 Koblenz 223, 226 - Stift St. Florin 237 Kobuch, Manfred, Historiker 89 Koch, Hans 185 Koch, Merten, Fleischer 277, 282, 288 Koller, Volkmar, Amtmann 184 Köln 38, 293, 294 - Diözesanmuseum 138 - Jakobsbruderschaft 273, 274 - Stift St. Kunibert 275 Komotau s. Chomutov Königsbrück 256 Königsburg 255 Konrad - Dompropst v. Naumburg 179 - der Große, Mgf. v. Meißen (1123- 1156) 178-179 - Mgf. der Ostmark († 1210) 180 - v. Krosigk, Bf. v. Halberstadt (1201- 1208) 113-118 - v. Parsberg 183 Konstantin, röm. Kaiser (306-337) 81, 82 Konstantinopel 113, 114, 116, 117 Korfu 195 Kösen - Kapelle St. Vincentius 46 Košice (Kaschau) 263 Köster, Kurt, Bibliothekar (1912-1986) 38 Kotzkau, Martin 37 Kötzschke, Rudolf (1867-1949), Historiker 12, 100 Krakau (Kraków) 128, 263 Kranichfeld 45 Kranz, Michel, Pilger 228 Krautheim - Pfarrkirche St. Mauritius 109 Krebes s. Burgstein Kreta (Candia) 113, 191, 235 Kreuzstraße 267, 268 Kronach 264, 267, 268 Küas, Herbert, Kunsthistoriker u. Archäologe (1900-1983) 93, 94 Kühn, Christoph, Historiker 12, 102 Kühne, Hartmut, Kirchenhistoriker 10, 11, 21 Kule, Nickel 37 Kurze, Dietrich, Historiker 18 Küstrin 257 Kutná Hora (Kuttenberg), St. Jakob 136 Kyffhäuser (Kophausen, Knyphausen, Kufhusen), Unterburg, Hl.-Kreuz- Kapelle 32 Lackmann, Max, Theologe 307, 319 Landsberg 257 Landshut 199 Langennaundorf 262 Lauba ń 256, 261, 263 Lauterberg (Petersberg bei Halle), Augustiner-Chorherrenstift St. Peter 115, 121, 178 Lausick (Bad Lausick) 91 Lausitz (Oberlausitz, Niederlausitz) 10, 54, 56, 66, 87, 88, 94, 125, 127, 259, 261 Lehesten 267, 268 Leipzig (Leipcz, urbs Libzi, Lipczgk, Lypsi) 31, 36, 40, 41, 44, 46, 50, 51, 75, 98, 99, 102, 103, 105-110, 112, 163, 169, 205, 253, 255-267, 281, 294, 315 334 Register der Orts- und Personennamen - Augustiner-Chorherrenstift und Kirche St. Thomas 99, 107 - Barfüßermühle 107, 108, 110 - Benediktinerinnenkloster St. Georg 20 - Elster- und Pleißemühlgraben 109 - Hospital St. Georg 99 - Hospital St. Johannis 99 - Johannisfriedhof 305 - Kapelle St. Katharinen 99 - Kapelle St. Marien 99 - Kleinzschocher, Stadtteil 107 - Leutzsch, Stadtteil 107 - Lindenau, Stadtteil 107 - Paulinerkloster (Dominikaner) 275 - Pfarrkirche St. Jakob 11, 99-112 - Pfarrkirche St. Nikolai 97 - Pfarrkirche St. Peter 100, 106 - Plagwitz, Stadtteil 107 - Ranstädter Steinweg 107, 109 - Südfriedhof 305 - Universität 1, 12, 14, 16, 19, 24 - Universitätsbibliothek 62 - Universitätskirche St. Pauli 97 Leißling (Leisling) 44 Leisnig 262 - Amt 49 - Burg 67, 87 Leitmeritz (Litom ěř ice) 262 Leo X., Papst (1513-1521) 296 Leutzsch, s. Leipzig Liebenwerda 259, 260, 262 Liebeskind, Paul 44 Liebstadt 263 Liegnitz 258, 259, 263 Limburg/ Lahn 117 Lindenau, s. Leipzig - Min. v. ~ 107 Lindner, Johannes (Johann Lindner, der Pirnische Mönch), Geschichtsschreiber 31, 32 Linz (Mittelrhein), Pfarrkirche 86 Lissabon 224, 229, 230, 239 Livinius, hl. 119 Löbejun 44 Lobenstein 268 Löbschütz 106 Lochau 154 Löffel, Emerich, Pilger 185, 193 Lommatzsch 262 Loreto 232 - Kirche St. Marien 294 Löscher, Friedrich Hermann, Historiker (1888-1967) 15 Löser, Hans 205 Löwenberg 260 Lübben (Löbbenn) 257 - Marienkapelle 54 - Wilhelmiterkloster 54 Lübeck (Lubigk) 267, 268 Lucca 45 Luckau 257, 261 Ludmila, hl. 138 Ludwig - der Bayer (Ks. 1328-1347) 252 - III. v. der Pfalz, Kf. 204 - IV. v. Thüringen, Lgf. 108 - der Springer, Ludowinger 64 - v. Greiffenstein 183 Luther, Martin (1483-1546) 27, 47, 145, 146, 153, 154, 159, 169, 172, 211, 222, 227, 233, 289, 291, 293-303, 307, 314, 315 Lüttich (Liège) 134 Lützen 266 - Amt 107 Luxemburger, Dyn. 48 Luzern 275, 278 Lydda 225, 243 Maastricht 38 Machatschek, Eduard, Historiker 33 Machilek, Franz, Historiker 149, 167 Magdalena, hl. 136 Magdeburg (Magdeburch) 47, 261, 267-269 Mähren 90 Main 260, 267 Mainz, Erzbistum 190 v. Maltitz, Familie 210, 212 Mallorca 225, 229, 230, 241 Marburg/ Lahn 16, 17 - Grab der hl. Elisabeth 315 Marcel, Gabriel, Religionsphilosoph 316 Manuel I., Kg. v. Portugal (1495-1521) 224, 230, 240 Margarete II. v. Österreich, Kfn. v. Sachsen (um 1416-1486) 275 Maria (Muttergottes, Madonna, Beata Maria Virgo, Heilige Jungfrau) 29, 44, 118, 119, 142, 168, 226 Marienstern, Zisterzienserinnenkloster 19, 125-143 Marienthal, Zisterzienserinnenkloster 10, 11 Register der Orts- und Personennamen 335 Marschalck, Familie 212 Martin, hl. 13, 119 Marzahn 257 Mateo, Bildhauer 135 Mathilde, dt. Kgn. u. Ksn. (1102-1167) 72 Matthäus (Matheus), Abt v. Altzelle 133 St-Maurice d’Agaune 136 Maximilian I. (Ks. 1493-1519) 190 Mecheln 223, 237 Mechthild v. Hackeborn, hl. 304 Mecklenburg 309, 310 Meinersdorf (Meinstorff) 56 Meinhold, Peter, Kirchenhistoriker 318 Meiningen (Meyningen) 169, 268 Meister, Bert, Historiker 10, 11, 20 Meißen (Meissen, Meisen, Meyssen) 46, 67, 101, 161, 165, 179 - Bistum 17, 33, 50, 53, 103, 104 - Dom 22, 165, 168 - Grabkapelle Hzg. Georgs 168 - Hochstift 17 - Kirche St. Wolfgang 43, 50, 51, 156 - Mgft. (Meysnerlant) 66, 80, 87, 88, 94, 166, 258, 266 - Mgff. v. (s. auch Sachsen) 103, 104, 107, 109, 180, 254 Melanchthon, Philipp, Reformator, Humanist (1497-1560) 303, 314 Melchior v. Meckau, Dompropst v. Meißen, Bf. v. Brixen (1488-1509) 200 v. Melle, Jacob, Pastor in Lübeck 35 Mellmsdorf 262 Mencius (Menz), Balthasar 185 Mencke, Johann Burckard, Historiker (1674-1732) 31 Merkendorf 25 Merschwitz 262 Merseburg 80, 104, 108, 250, 266 - Bistum 13, 17, 54, 102-104 - Bff. v. 46, 69, 75, 81, 83, 92, 97, 98, 103-111, 115 - Domkapitel 20 - Hochstift 98, 105, 106, 108, 109 Messina 225, 229 Mildenfurth (Mildenfurt), Prämonstratenserkloster 32 Minden, Bff. v. 115 Mittelmeer 224, 232, 236, 279 Mittenwalde 263 Mittweida (Mitweide) 29, 47, 262 Moeller, Bernd, Kirchenhistoriker 148 Moissac, Benediktinerkloster 136 Moller, Volkmar 27 Mölln, Pfarrkirche 86 Monstab 25 Moritz v. Sachsen (Hzg. 1541, Kf. 1547- 1553) 266 Mügeln 262 Mühlberg/ Elbe 266 Mühlhausen (in Thüringen), Dominikanerkloster 45 Mühlmann, Ottogerd, Kunsthistoriker 43 Mulde 67, 87, 103, 266 Müller, Ernst, Archivar Leipzig 100, 101 München 157, 199 Münsterschwarzach/ Main, Benediktinerkloster St. Felicitas 79, 80, 91 Muskau 258, 259, 260 Naumburg 49, 76, 253, 256, 266, 269 - Bistum 17, 104 - Bff. v. 76, 92, 115, 179, 283 Naumburg-Zeitz, Bistum 13, 68, 76 Naundorf (bei Radeburg) 43 Naundorf (Naundörfchen bei Leipzig) 105, 107-110 Naunhof 44, 106, 108, 156 Nerchau 262 Neustadt (bei Coburg) 32, 269 - Kirche (St. Ottilie) 32 Neustadt an der Orla (Nawestat an der Orle) 32 Neustadt (am Rennsteig) 268 Nicklashausen 169 Niederrhein 28, 251 Niedersachsen 122 Nigg, Walter, Theologe (1903-1988) 307, 308, 319 Nikolaus - hl. 47, 79, 114, 116 - v. Kues, Kardinal 293, 314 Nisangau 67 Nolte, Cordula, Historikerin 204 Nordsee 191, 253 Nürnberg (Nurenberg(k), Normbergk) 152, 252, 256, 265, 267, 268, 311 Oberhof 268 Oberman, Heiko A. (1930-2001), Historiker 14 Oder 256 Öderan 262 336 Register der Orts- und Personennamen Olmütz (Olomouc) - Königspalast 137 Ölsnitz (Olßnicz) 265 Oppeln (Opole) 263 Orlagau 67 Orlamünde (Orlemunde) 32 Oschatz (Oschacz) 210, 255-262 Osmanen 204 Osterland 29, 266 Österreich 38, 277 Ostsee 74 Otakar (Ottokar) P ř emysl - I., Hzg. v. Böhmen (1192-93) u. Kg. v. Böhmen (1198-1230) 136 - II., Kg. v. Böhmen (1253-78) 137 Ott, Heinrich, Theologe 318, 319 Otto - I., der Große (Kg. 936, Ks. 962-972) 29 - II. (Kg. 961, Ks. 967-983) 250 - der Reiche, Mgf. v. Meißen (1156- 1190) 98, 105, 179 - v. Rieneck, Gf. 179 - I. v. Kamenz 130 Palästina (Heiliges Land) 155, 157, 178- 181, 184, 196-199, 202, 204, 208, 216, 220, 229, 230, 236 Palma de Mallorca 225, 242 Pantalus, hl. 136 Paravicini, Werner, Historiker 9 Paris 129 Patze, Hans, Historiker (1919-1995) 64, 67, 84, 92 Paulina, Adlige in Thüringen 73, 75 Paulinzella, Benediktinerkloster 73 Peckenstein, Lorenz, Historiograph (1549- nach 1618) 29, 30 Pegau (Pegav) 61-94, 103, 265, 266 - Benediktinerkloster St. Jakob 61-94 - Kirche St. Laurentius 92 Penig 46, 103 Pennsylvanien 306 Petrus, hl., Ap. 114, 120, 304 Pfeffinger, Degenhard, wettin. Kämmerer († 1519) 19, 210 Pfeffinger, Johann, Stadtzimmermeister in Annaberg 167 Pflug, Familie 212 - Otto 183 - Siegmund, Rat 210, 212 Philadelphia 306 Philipp - hl. 125 - II. August, Kg. v. Frankreich (1180- 1223) 179 - v. Schwaben (dt. Kg.1198-1208) 180 - v. Burgund 192 - v. Hessen, Lgf. 266 Philipp Jakob v. Helmstatt, Ritter 223, 228, 237 Phott, Bernhardinus, Kanoniker 223, 226, 228, 232, 237 Pirna 56, 67, 262 Plagwitz s. Leipzig Plauen 39, 265 Pleiße (Pleisse) 31, 62, 65, 91 Pleißenland 275 Plötz, Robert, Volkskundler 85, 86 Polen 167, 256-258, 261, 265, 267 Ponickau 43 Poppe, Christian, Landsknecht u. Totschläger 37 Poppenreuter, Johannes 152 Pordenone 135 Posen (Posznaw) 257-259, 261, 263, 264 Portugal 236 Prag 67, 129, 137, 210, 262, 310 - Dom St. Veit 128, 138 - Kirche St. Salvator 136 - Kloster St. Agnes 136 - Kloster St. Georg 136, 138 Preßburg (Bratislava) 179 Prettin 262 Preußen (Pruzzen; Stamm) 181 Pribislaw 179 Priebus 257-260 Prietzel, Malte, Historiker 284 Priorau, Veit, Totschläger in Delitzsch 37 Püchau 103 Pyrenäen 134 Quedlinburg 121, 171 Querfurt 32, 44, 269 Radebot v. Meißen, Min. 179 Rahner, Karl, Theologe (1904-1984) 319, 320 Raimund Peraudi, päpstlicher Legat (1435-1505) 158, 165 Räschen s. Großräschen Regensburg 265, 294 Regino v. Prüm, Chronist (um 840-915) 233 Register der Orts- und Personennamen 337 Reichert, Folker, Historiker 9, 11, 22, 203, 204 Reinhard v. Bemmelberg 183 Reinhardsbrunn, Benediktinerkloster 155 Reinhard v. Nebra 195 Reinswalde s. Złotnik Reintsch, Kaspar 37 Reissig, Beatrix, Historikerin 266 Rheinau 138 Rheinland 10 Rhodos 155, 204, 225, 229, 235, 242 Richardis v. Sponheim, Gfn. 73 Richter, Jörg, Historiker 10, 11 Riesa 262 Rindfleisch, Peter, Pilger 185 Rittenbach, Willi, Kirchenhistoriker 17, 33 Rittereisen, Andreas, Pilger 185, 193 Rocamadour 39 Rochlitz 29, 46, 103, 262 Rodrigo González, Ebf. 134 Rom 5, 10, 37, 68-70, 73, 75, 113, 115, 128, 153, 163, 165, 177, 181, 185, 189, 200, 201, 203, 214, 216, 232, 277, 281, 293, 294, 297, 298 - Engelsburg 67 - Leostadt 68 - Pantheon 90 - Peterskirche 67 - Vatikan 321 - Parione, Stadtteil 201 Römer, Martin 208, 210 Rosental, Marienkapelle 54 Roßwein 46, 262 Roth, Gunhild, Germanistin 10 Rötha (Birnbom, Röte) 31, 54, 169, 170 Rothenburg ob der Tauber 311 Rubigal, Pavel, Humanist 233 Russland 256 Ruthard v. Fulda, Abt 73 Saale 11, 34, 50, 61, 62, 65, 67, 78, 87, 89, 103, 156 Saale-Tal-Straße 267, 269 Saalfeld 47, 267, 269 - Kirche St. Johannis 45, 46 - Saalebrücke 45, 46 - Wasserkapelle/ Gehülfenskapelle 45 Saalhausen 258 Saara 51 Sachsen - Haus (Wettiner) s. Albrecht, Amalia, Anna, Barbara, Bernhard, Dedo, Dietrich, Ekbert, Ernst, Friedrich, Gero, Georg, Heinrich, Johann, Katharina, Margarete, Moritz, Wilhelm, Zedena 49, 88, 94, 112, 154, 155, 164, 177, 178, 180, 186-189, 193, 196, 199, 202, 204, 214-216, 253, 275 - Hzgtm., Kftm. passim Sachsen-Anhalt 11, 20, 122, 311, 323 Sachsenburg 268 Sachsen-Wittenberg, Hzgtm. 258 Sagan 257-259, 261 Salzburg, Nonnberg, Benediktinerinnenkloster 137, 138 Sangerhausen 267 Santiago de Compostela (Compostel, Compostella, Compastell, Compostela) passim - Hospital Real 224, 239 - Kathedrale 4, 122 - Plaza de la Azabachería 122 Santos Noia, Manuel, Kirchenhistoriker 298 Sardau 262 Schatt, Wilhelm, Pilger 195 Scheunemann, Henning, Leibarzt 55 Schirmer, Uwe, Historiker 205-208, 210 Schkeuditz 103, 105 Schkölen 75 Schleinitz, Herren v. 183, 184, 208, 210, 212 Schleiz 265 Schlesien (Slesien) 38, 127, 128, 132, 251, 255, 256, 258, 260, 265, 267 Schlesinger, Walter, Historiker (1908- 1984) 16, 20 Schleusing, Heinrich, Bürger 277 Schmaltz, Karl, Kirchenhistoriker (1867-1940) 15 Schmied (Schmidt), Nickel, Bauer aus Merkendorf 25 Schmiedeberg 262 Schmiedeberg, Valentin, Arzt 207 Schmieder, Felicitas, Historikerin 9 Schmölln (Schmölle) 29, 30, 33 - Marienkapelle (czu unser liben frawen) 30 Schönberg, Herren v. 205, 210, 212 Schorlemmer, Friedrich, Pfarrer 315 Schramm, Percy Ernst, Historiker (1894-1970) 84, 86 Schultze, Johannes, Historiker (1881- 1976) 64 338 Register der Orts- und Personennamen Schultes, Merten, Todschläger in Wittenberger 37 Schumann, Valentin, Küster aus Monstab 25 Schwarzburg, Gff. v. 45, 46 Schwaz 157 Schweinitz 262 Schweiz 38, 273 Schwennigke 88 Schwerz 44 Sczeman, Peter 37 Sebastian v. Rotenhan, Jurist, Humanist, kaiserlicher Rat (1478-1534) 223, 226, 228, 233-237 Seifert, Siegfried, Kirchenhistoriker 17, 33 Semeca, Johannes, Dompropst v. Halberstadt 115 Seußlitz, Klarissenkloster 107-109 Sidonie s. Zedena Siegerland 306 Siegmund - Hzg. v. Österreich 199 - v. Maltitz, Rat 210 Siena 233 Sietzsch 52 Sigena v. Leinungen, Gfn. 64 Silvester, hl. 136 Sion s. Jerusalem Sittichenbach, Zisterzienserkloster 114, 116 Sixtus IV., Papst (1471-1484) 51, 200 Skäßchen (Skeßgen), Kapelle St. Sebastian und St. Fabian 53 Skandinavien 5 Slibes, Hans 37 Slowakei 256, 263 Soest 252 Spalatin, Georg, Humanist; Theologe (1482/ 84-1545) 146, 154, 158, 221, 222 Spangenberg, Cyriakus, Theologe u. Chronist (1528-1604) 27 Spanien (Hispania, Hispanien) 1-4, 8, 16, 27, 73, 74, 228, 229, 236, 279, 300 Speyer 233, 252 Spiegel, Otto, Kanzler Albrecht des Beherzten 212 Spieß, Karl-Heinz, Historiker 204 Spiring, Berlt, Pilger 204 Spittendorf, Markus, Hallenser Ratsmeister 34 Spremberg 257, 258, 260 Sprottau 258 Stade, Gff. v. (Udonen) 64, 65, 91 Stahlschmidt, Johann Christian 306 Starke, Rudolf, Historiker 53 Stavelot, Benediktinerkloster 138 Stefan (Stephan), hl. 114 Steffensky, Fulbert 312 Steinführer, Henning, Historiker 10, 11 Steinhausen, Apel, Kammerschreiber 182, 197 Stendal 63, 122 Stettin 179, 257, 262, 263 Stewing, Frank-Joachim, Historiker 20 Stöckel, Wolfgang, Verleger (1479-1541) 51 Stolle, Konrad, Erfurter Geistlicher (1436-1501) 34 Straube, Manfred, Historiker 10, 11 Strehla 262 Suckale, Robert, Kunsthistoriker 127 Suhl 268 Suriano, Francesco 226, 234 Tacke, Andreas, Kunsthistoriker 21 Taizé 308 Tangermünde (Tangermunde) 48, 63, 65 - Marienkapelle 48 Taucha 65, 103, 262 Tersteegen, Gerhard, Theologe 304-306 Teufel, Johannes 200 Thekla, hl. 137 Thessaloniki 310 Thiele, Nikolaus, Chemnitzer Unternehmer 35 Thielmann, Wolfgang, Journalist 292 Thieme, André, Historiker 10, 11 Thietmar, Bf. von Merseburg (1009-1018) 98 Thomas v. Aquin, Theologe († 1274, hl. 116) 170 Thüringen (Duringen) 17, 34, 45, 87, 88, 184, 258, 311 Torgau (Dorgaw) 48, 154, 257-261, 266 - Hl.-Kreuz-Kapelle 47, 55 Toulouse (Thalosa) 2, 300 Trebsen 106 Trient (Trento) 302 Trier 73, 275, 293, 294 Trifels 88 Trondheim 310 Tschenstochau 38 Register der Orts- und Personennamen 339 Türkei 236 Tyrus 113, 118 Übigau (Uebigau) 258, 260 Udo - II. v. Stade, Mgf. († 1130) 64, 65 - I., Bf. v. Naumburg (1125-1148) 179 Udonen s. Gff. v. Stade Ungarn 256 Unstrut (Vnstrot) 33, 184 Urban II., Papst (1088-1099) 69 Ursula, hl. 141-143 Vacha 125 Vatikan s. Rom Veitsberg 32 Venedig 9, 113, 182, 183, 197, 200-203 via imperii 255, 265, 266 via regia 125, 251, 253, 255-257, 266, 267, 311 Vierzehnheiligen (bei Jena), Wallfahrtskirche 40, 41, 50, 51, 156 Villingen 86, 136 Viterbo 128 Vitzthum, Apel 187 Vlissingen (Flissingen) 223, 224, 238 Vogtherr, Thomas, Historiker 69, 70, 75, 76, 79, 80 Vogtsberg 265 Volkmar, Christoph, Historiker 10 Volrad v. Kranichfeld, Bf. v. Halberstadt (1255-1296) 116 Voss 40 Vossler, Otto, Historiker (1902-1987) 162 Vulpius, Johann, Geschichtsschreiber 30 Vyšehrad (Prag), Stift Peter u. Paul 82 Wachsenburg 171 Wahrenbrück 260, 262 Waldauf, Florian, kaiserlicher Rat 151, 152, 157 Waldenser 214 Waldshut 273 Walram, Bf. v. Naumburg (1091-1111) 83 Wasungen (Waßungen) 268 Weber, Max, Soziologe (1864-1920) 149 Wechselburg s. Zschillen Weida 25, 27, 265 Weimar (weymar) 27 Weiße Elster 80 Weißenfels 44, 251, 266 - Marienkirche 250 Weißensee 267, 268 Welfen, Dyn. 185 Weller, Hieronymus - d. J., Gelehrter (1548-1587) 175, 213, 215 - d. Ä. v. Molsdorf (1499-1572) 175 Wenzel - II., Kg. v. Böhmen (1278-1305) 128, 129, 137, 139 - IV., Kg. v. Böhmen (1363-1419), dt. Kg. (1376-1400) 48 Werben/ Elbe, Johanniterkirche 48 Werner, Matthias, Historiker 18 Werner, Bf. v. Merseburg (1063-1093) 69, 75 Werner v. Brehna (Guarnerius de Brena), Min. 179 Wernigerode, Oberpfarrkirche 26 Werra 186 Wersdorf (Wernsdorf, Wernßdorff), Nikolauskapelle 43 Westerwald 306 Wettiner s. Sachsen Weybringer, Johannes, Pfarrer in Hildburghausen 221 Wien 154 Wienhausen, Zisterzienserinnenkloster 41 Wiessner, Heinz, Historiker 76 Wilhelm - II., der Reiche, Mgf. v. Meißen (1381- 1425) 51 - III., der Tapfere, Hzg. v. Sachsen, Mgf. v. Meißen, Lgf. v. Thüringen († 1482) 41, 177, 182, 185, 187, 188, 193-197, 199, 205, 210, 212, 214-216 - IV. Gf. v. Henneberg 202 Wilsnack 21, 34, 37, 38, 49 Winard, Min. 179 Windolf, Abt v. Pegau (1101-1150) 86 Winido, Bauer in Holstein 74 Winzeler, Marius, Kunsthistoriker 11 Wiprecht (Wigbert, Wicpert, Wipert) - I. 63, 64 - d. Ä. (II.) v. Groitzsch, Bggf. v. Magdeburg 9, 11, 24, 61-94 - d. J. (III.) 87 Wirt, Jörge, Fuhrmann 260 Wissuwa, Renate, Historikerin 10, 249 Wittelsbacher, Dyn. s. Bayern Wittenberg (Lutherstadt ~) 48, 145, 146, 155, 159, 160, 167, 227, 257, 260-264 340 Register der Orts- und Personennamen - Allerheiligenstift 47, 145, 157 - Universität 155 Witznitz 106 Wolferode 27 Wolff, Thomas, Pfarrer 26 St. Wolfgang (in Österreich) 277 Wolkenstein 192 Wöllmen 262 Worms 180, 223 Wratislaw II. (Wratislaus, Vratislav), Hzg. v. Böhmen (1061), Kg. (1058-1092) 66, 67, 82, 84 Würzburg (Wyrtsburgk) 74, 223, 268 - Bistum 91 - Schottenkloster St. Jakob 71 Wurzen 75, 101, 262 Wustmann, Gustav, Historiker (1844- 1910) 100 Wuttke, Johann Karl Heinrich, Historiker (1818-1876) 100 Yorktown 306 Zaschendorf 56 Zbraslav (Königsaal), Kloster 128 Zeckerin (Zeckern), Pfarrkirche 55 Zedena (Sidonie, Sidonia) v. Sachsen (1449-1510) 161, 165, 166 Zeiher, Esther, Religionspädagogin 311, 313, 314 Zeitz (Ziza) 65, 68, 69, 75, 76, 78, 79, 94, 102, 250, 265, 266 - Bistum 104 - Jakobskirche 68, 73, 76, 79 - Mark 64 - Nikolaikirche 68, 76 Zender, Matthias, Volkskundler (1907- 1993) 14 Zibelle (Niwica) 56 Zicke, Maths 27 Ziegenhain (Zigenhain) 43, 50, 51 Ziegler, Otto, Erfurter Patrizier 35 Ziesar, Museum für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters 18 Zimmerling, Peter, Theologe 315, 317 Zinkenbläser, Hans 27 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf v., Dichter (1700-1760) 315 Zittau 10, 21, 261 Złotnik (Reinswalde) 37 Zschillen (Wechselburg), Augustiner- Chorherrenstift 94, 103 Zörbig 44 Zürich - Pilgerzentrum St. Jakob 310 - Schweizerisches Landesmuseum 138 Zwenkau 103 Zwickau 20, 50, 51, 257, 262, 265, 283 Zwönitz 55 - Annenkapelle 55 Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kulturwissenschaft Klaus Herbers (Hrsg.) Die oberdeutschen Reichsstädte und ihre Heiligenkulte Traditionen und Ausprägungen zwischen Stadt, Ritterorden und Reich Jakobus-Studien 16, 2005, 220 Seiten, 39,-/ SFr 67,50 ISBN 978-3-8233-6192-3 Im späten Mittelalter gewann der Typus der Reichsstadt gerade im süddeutschen Raum an Bedeutung. Identität wurde in diesen Städten auch durch die jeweiligen Heiligen, also auch durch den Apostel Jakobus den Älteren, gestiftet. Der vorliegende Band geht einigen dieser Facetten nach. Er bietet die Vorträge einer Tagung, die in Rothenburg o. d. Tauber stattfand. Ausgehend von der Bedeutung des Kultes in Rothenburg, Nürnberg, Ulm, Regensburg und in anderen Reichsstädten rückt der Band aber auch Fragen nach dem Träger des Kultes in den Blick. Hat der Deutsche Orden beispielsweise dazu beigetragen, Jakobus und das Jakobuspatrozinium zu fördern? Dies wird exemplarisch an dem einmaligen Altarbild der Jakobskirche in Rothenburg aus kunstgeschichtlicher Hinsicht erläutert. Der Band bietet acht interdisziplinäre Beiträge, die von der Kunstgeschichte über die Geschichte bis hin zur Germanistik reichen und präsentiert weiterhin die Interpretation eines Pilgerberichtes, den ein Dominikanermönch aus der Reichsstadt Ulm für eine Pilgerfahrt im Geiste süddeutscher Nonnen verfasst hat (Felix Fabri). Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kulturwissenschaft Klaus Herbers (Hrsg.) Jakobus und Karl der Große Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin Jakobus-Studien 14, 2003, XVI, 226 Seiten, 29,90/ SFr 52,20 ISBN 978-3-8233-6018-6 Karl der Große und Jakobus gehören zweifelsohne zu den wichtigen Gestalten, auf die sich viele beziehen, die die Wurzeln des mittelalterlichen Europas ergründen wollen. Das Bild Karls und Jakobus‘ wurde in den Schriften des sogenannten Pseudo-Turpin im 12. Jahrhundert auf eine kunstvolle Art und Weise „ zusammengeschweißt”. Der Band behandelt die innere Struktur dieses ausgesprochen erfolgreichen Textes des hohen Mittelalters, geht auf Überlieferungskontexte sowie auf Facetten seiner Verbreitung ein. Damit entsteht das Panorama der vielschichtigen Verbindungen zwischen Jakobus und Karl dem Großen. Beide Kulte waren offensichtlich in mehrfacher Weise aufeinander angewiesen, so dass man fast überspitzt sagen könnte: Ohne den heiligen Jakobus gäbe es keinen heiligen Karl und ohne Karl dem Großen keinen europäischen Jakobuskult. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 752 88 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kulturwissenschaft Robert Plötz / Peter Rückert (Hrsg.) Jakobuskult im Rheinland Jakobus-Studien 13, 2004, VI, 299 Seiten, 18, teils farb. Abb., 3 Karten, 39,-/ SFr 67,50 ISBN 978-3-8233-6038-4 Aufgrund seiner verkehrsmäßig günstigen Lage hat das Rheinland schon sehr früh am Pilger- und Kultgeschehen um den hl. Jakobus teilgenommen. Viele Wege, worunter der Rhein selbst eine herausragende Rolle spielte, führten die Pilger über das Rheinland auch nach Santiago de Compostela. Bereits aus dem Jahr 1076 kommt die Nachricht, daß ein Blinder namens Folbert, der sich auf dem Weg nach Compostela befand und in Trier aufhielt, aufgrund einer Vision zum Auffinden der Reliquien der Märtyrer von Trier in der Kirche des hl. Paulinus beitrug. Es folgt eine ganze Reihe bedeutender Pilger, welche die enge Verbindung zwischen Rheinland und Santiago besonders im hohen und späten Mittelalter greifen lassen. Spuren dieser intensiven Jakobusverehrung am Rhein finden sich heute noch in Form von Patrozinien und Volksbrauchtum, in der Literatur, Architektur und bildenden Kunst. Der vorliegende Band enthält Beiträge zur Kulttopographie des Rheinlandes ebenso wie Darstellungen des Jakobuskults im urbanen Kontext von Speyer, Trier und Aachen. Prominente Pilgerreisen, die das Rheinland mit Santiago de Compostela verbanden, werden beispielhaft vorgestellt. Die Bedeutung des hl. Jakobus für die mittelalterliche Literatur und Volksfrömmigkeit im Rheinland wird herausgearbeitet und in ihrem Aktualitätsbezug untersucht. Damit wird das Rheinland als eine Kult- und Sakrallandschaft profiliert, für die der hl. Jakobus eine herausragende Rolle spielte. Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kulturwissenschaft Klaus Herbers / Dieter R. Bauer (Hrsg.) Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa Austausch - Einflüsse - Wirkungen Jakobus-Studien 12, 2003, X, 387 Seiten, 39,-/ SFr 67,50 ISBN 978-3-8233-4012-6 Dieser Band stellt eine wichtige Etappe in der europäischen Jakobusforschung dar: Erstmals wird der mittel- und osteuropäische Raum monographisch auf seine Bezüge zum mittelalterlichen Jakobuskult hin untersucht: Wann hat dieser „europäische Kult“ überhaupt diese Gegend erreicht. Kann in gleichem Maße wie für Westeuropa von einer Pilgerbewegung ausgegangen werden? Wie stellt sich das Ensemble der Kultspuren in Patrozinien, künstlerischen Darstellungen und literarischen Zeugnissen dar? Eine Reihe ausgewiesener Spezialisten aus vier europäischen Ländern erforschen „Wege und Räume“ der Jakobusverehrung im allgemeinen sowie die verschiedenen Spuren in Polen, Ungarn, Siebenbürgen, der Slowakei und im östlichen Deutschland. Damit wird im Zeitalter eines zusammenwachsenden Europa ein wichtiger und spannender Beitrag zur Wiederentdeckung mitteleuropäischer Gemeinsamkeiten und kultureller Traditionen geleistet, die lange verkannt und vergessen waren.