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Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit

2011
978-3-8649-6183-0
UVK Verlag 
Dr. Markwart Herzog
Huberta Weigl

Der vorliegende Band beleuchtet die Frage, wie mitteleuropäische Männerklöster der alten Orden im 17. und 18. Jahrhundert ihre Vergangenheit durch Geschichtsschreibung und bildende Kunst vergegenwärtigten. Das von jeher tiefe Traditions- und Geschichtsbewusstsein der Orden erwachte nach Reformation und 30-jährigem Krieg neu und blieb bis in das späte 18. Jahrhundert lebendig. Fast alle Klöster sichteten ihre Archiv- und Bibliotheksbestände, um ihre eigene Geschichte oder die des Ordens zu erforschen. Auch in den bildenden Künsten gab es eine reflektierte Rückschau. Der interdisziplinär angelegte Band vereint kunsthistorische und historische Beiträge von Verfassern aus fünf Ländern zu überregional bedeutenden Klöstern.

IRSEER SCHRIFTEN Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N.F. Band 5 Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker Schwabenakademie Irsee Markwart Herzog, Huberta Weigl (Hg.) Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild UVK Verlagsgesellschaft mbH Die Abbildung auf der Einbandvorderseite zeigt die Westwand der ehemaligen Benediktinerabteikirche Tegernsee: Wiederherstellung des Klosters Tegernsee im Jahr 979 und Schenkungen an das Kloster durch Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde in den Jahren 1002 - 1020. Fresko von Hans Georg Asam, um 1690. Foto : Wolf Christian von der Mülbe, Dachau. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1619-3113 ISBN 978-3-86496-183-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2011 Satz: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen, München Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Druck: Bookstation GmbH, Sipplingen UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98 www.uvk.de Inhalt Markwart Herzog / Huberta Weigl Vorwort .................................................................................................................... 11 1. Historiographie und bildende Kunst ..................................................................... 11 2. Kloster Irsee als Exempel ....................................................................................... 12 3. Monastische „corporate identity“ ........................................................................... 15 4. Rückbesinnung auf Ursprünge und Quellen .......................................................... 16 Huberta Weigl Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert. Zur Gegenwart der Vergangenheit ..................................................... 21 1. Wozu Geschichtsschreibung? ................................................................................ 24 2. Die Entwicklung neuer Methoden und ihre Anwendung ...................................... 29 3. Wege der Informationsbeschaffung ....................................................................... 34 4. Kunst .................................................................................................................... 41 5. Geschichtsschreibung und Kunst ........................................................................... 57 6. Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................... 63 Stifter & Gründer Anna Elisabeth Bauer Die Geschichte enthüllt die Wahrheit. Das Gründungsfresko in der Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg ................................................... 71 1. Meichelbeck und Mabillon .................................................................................... 71 2. Frühe Gründungsbilder: Tegernsee, Gars und Fürstenfeld ..................................... 74 Inhalt 6 3. Die Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg und die 600-Jahrfeier des Klosters ............................................................................................................ 79 4. Das Bibliotheksfresko im Augustiner-Chorherrenstift Polling: Die moderne Geschichtswisssenschaft enthüllt die Wahrheit ....................................................... 93 Margrit Früh Klostergeschichte auf Ofenkacheln. Bemalte Kachelöfen aus Steckborn ........................................................................................................ 97 1. Die Legende des Ordensgründers in St. Katharinental (1718) ................................ 98 2. Legenden und Bilder von Ordensangehörigen in Salem (1733) .............................. 99 3. Gündungslegende und Personen in Beromünster (1735) ..................................... 100 4. Legende der Klosterheiligen in Fischingen (um 1735) .......................................... 102 5. Klostergründung und -entwicklung in St. Urban (1732) ...................................... 105 6. Heilige in St. Katharinental (1719) ...................................................................... 106 7. Ordensangehörige in St. Gallen (um 1730) ......................................................... 107 8. Ordensheilige in Ittingen (um 1761) ................................................................... 108 9. Klosterangehörige auf der Reichenau (wohl 1746/ 47) .......................................... 109 10. Zusammenfassung ............................................................................................. 111 Michael Grünwald Gründungslegenden und Stiftspropaganda. Das Göttweiger „Altmanni-Thesenblatt“ von 1691 ...................................................................... 115 1. Entstehungsgeschichte ......................................................................................... 116 2. Ikonographisches Programm ................................................................................ 120 3. Altmann und seine Klostergründung Göttweig .................................................... 123 4. Ansehen und Geltung .......................................................................................... 131 5. Zusammenfassung und Ausblick .......................................................................... 133 Franz Matsche „Fundant et ornant“. Orte und Formen der bildlichen Präsentation von Stiftern in barocken Klöstern Süddeutschlands ...................................... 137 1. Das Benediktinerkloster St. Mang in Füssen ........................................................ 139 2. Das Benediktinerstift Ottobeuren ........................................................................ 146 3. Das Zisterzienserkloster Ebrach ........................................................................... 152 4. Das Benediktinerkloster St. Peter im Schwarzwald ............................................... 158 5. Die Gegenwart der Stifter im Barock ................................................................... 159 Inhalt 7 Thomas Stockinger „Debeat in antiquis recurri ad famam“. Augustin Erath und die vermeintliche Gründungsurkunde von St. Andrä an der Traisen ................. 163 1. Die Lebensstationen Augustin Eraths bis 1698 .................................................... 163 2. Propst von St. Andrä (1698-1719) ...................................................................... 166 3. Die „Annales S. Andreae“ .................................................................................... 167 4. Der angebliche Stiftbrief ...................................................................................... 168 5. Historisch-quellenkritisches Vorgehen ................................................................. 173 6. Scholastisch-logische und juristische Argumente .................................................. 177 7. Conclusio ............................................................................................................ 180 Št pán Vácha / Martin Mádl Legende und Geschichte im Bild. Die Freskenausstattung im Konventgebäude des westböhmischen Zisterzienserklosters Plass ........... 183 1. Baugeschichte und architektonischer Kontext der Wandgemälde ......................... 183 2. Die Fresken im Konventgebäude ......................................................................... 185 3. Zusammenfassung ............................................................................................... 197 Geschichte & Identität Wolfgang Jahn Vergessene Texte - vergessene Bilder. Schriftstellerlexikon und Porträtgalerie des Pollinger Propstes Franz Töpsl ........................................ 203 1. Vergleichbare Forschungsunternehmen ............................................................... 206 2. Am Anfang stand das Schriftstellerlexikon ........................................................... 208 3. Die Chorherrengalerie ......................................................................................... 209 4. Eine erste Wunschliste nach Frankreich .............................................................. 210 5. Die ersten Bilder ................................................................................................. 215 6. Der weitere Fortgang des Projektes ...................................................................... 223 Inhalt 8 Alois Schmid Kunst und Geschichtsschreibung. St. Emmeram zu Regensburg im Barockzeitalter ................................................................................................ 225 1. Die Bau- und Ausstattungsmaßnahmen .............................................................. 226 2. Die wissenschaftlichen Grundlagen ..................................................................... 235 3. Die Hochgräber .................................................................................................. 243 Werner Telesko Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk und die Visualisierung benediktinischer Tradition .................................................................................. 249 1. Das Programm der Langhausfresken .................................................................... 251 2. Die Programmatik der Fresken und die Rolle Abt Dietmayrs .............................. 257 3. Die Melker Historiographie im frühen 18. Jahrhundert ....................................... 262 4. Die Bedeutung der Benediktsregel im 18. Jahrhundert ........................................ 264 Arkadiusz Wojtyła Jerusalem oder Prag? Traditionsstiftung bei den Kreuzherren mit dem roten Stern ................................................................................................... 269 1. Die Anfänge des Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern ............................ 270 2. Jerusalem oder Prag? Die Suche nach den Wurzeln ............................................. 272 3. Bildpropaganda ................................................................................................... 278 Bewahren & Erinnern Sibylle Appuhn-Radtke Heiltum - Historie - Herrscherlob. Zur 900-Jahr-Feier des Benediktinerstiftes Kremsmünster .................................................................... 293 1. Quellen ............................................................................................................... 293 2. Der Ablauf des Festes .......................................................................................... 295 3. Historische und kunsthistorische Aspekte der Feier ............................................. 296 4. Resümee .............................................................................................................. 315 Inhalt 9 Ulrich Knapp Legitimation aus der Geschichte. Die Ausstattungsprogramme der Zisterzienserabtei Salem im 17. und 18. Jahrhundert ................................... 317 1. „nullius diocesis“: Exemtion der Zisterzienserabtei ............................................... 317 2. Der Klosterneubau 1697-1708 ........................................................................... 319 3. Raum und Bildprogramm der Repräsentationsräume .......................................... 325 4. Das Schicksal des Bildprogramms der Prälatur und des Kaisersaals im 18. Jahrhundert ................................................................................................... 336 5. Die Gründungsgeschichte des Klosters als Thema der Münsterausstattung .......... 337 6. Schluss ................................................................................................................ 339 Tobias Kunz Inszenierte Vergangenheit. Mittelalterliche Bildwerke im Kontext barocker Klöster .................................................................................................. 341 1. Das schwarze Kreuz in der Stiftskirche St. Peter in Mainz ................................... 343 2. Das Wilhelmitenkloster Oberried im Schwarzwald .............................................. 352 3. St. Ulrich im Schwarzwald .................................................................................. 361 4. Schluss ................................................................................................................ 364 Anett Matl „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“. Die Barockisierung des böhmischen Klosters Ossegg am Beginn des 18. Jahrhunderts .......................................................................................... 367 1. Zur Geschichte des Klosters Ossegg ..................................................................... 367 2. Die Barockisierung .............................................................................................. 369 3. Orte des Bewahrens und Erinnerns ...................................................................... 377 4. Geschichtsbewusstsein und wissenschaftliche Tätigkeit ........................................ 381 5. Die Stellung Osseggs in der Baupolitik der Zisterzienser und speziell der böhmischen Zisterzienserklöster .......................................................................... 384 Abbildungsnachweise ......................................................................................... 387 Autoren und Herausgeber ................................................................................. 390 Personenregister ................................................................................................. 391 Vorwort Markwart Herzog / Huberta Weigl Während sich die Forschung seit einigen Jahren ausgesprochen intensiv mit den Höfen bzw. weltlichen Residenzen im 17. und 18. Jahrhundert befasst, fristet die Forschung zu den Klöstern der Barockzeit nach wie vor ein Schattendasein. Das ist erstaunlich, vor allem wenn man bedenkt, wie reichhaltig gerade die Zeugnisse der bildenden Kunst sind, die sich in der Regel sogar direkt vor Ort erhalten haben. Die Klösterforschung ist selten institutionell verankert, es gibt kaum groß angelegte, finanzstarke Forschungsprojekte und folglich finden auch nur selten Symposien statt. All dies erschwert die Kommunikation zwischen jenen Kolleginnen und Kollegen, die sich - fast möchte man sagen: mit einer gewissen Hartnäckigkeit - dem Thema widmen. Im Bewusstsein dieser Tatsache ist die Idee zu einem Tagungsprojekt entstanden, dessen Resultate hier in erweiterter Form präsentiert werden, wobei es der Schwabenakademie Irsee eine besondere Freude ist, dass sie nun bereits zum zweiten Mal einen Band zum Thema „Klosterbarock“ vorlegen kann. 1 Aus der Fülle der möglichen Schwerpunkte hat sich bereits zu Beginn der konzeptionellen Überlegungen recht rasch eine Kernfrage herauskristallisiert: Wie gingen die Orden und Klöster im 17. und 18. Jahrhundert mit der eigenen Vergangenheit bzw. ihrer Geschichte um? Diese Fragestellung sollte im überregionalen, das heißt mitteleuropäischen Rahmen verfolgt werden. Darüber hinaus war es uns ein besonderes Anliegen, interdisziplinär vorzugehen, also Kunsthistoriker und Historiker miteinander ins Gespräch zu bringen. Dass dieser Weg lohnend war, haben bereits die lebendigen Diskussionen während der Tagung gezeigt, und auch der vorliegende Band macht dies deutlich. 1. Historiographie und bildende Kunst Orden und Klöster in der Barockzeit haben ihre Vergangenheit mittels Historiographie und bildender Kunst intensiv reflektiert bzw. visualisiert. Dieses Phänomen - das bislang von der Forschung nicht in größerem Zusammenhang beleuchtet wurde - ist Ausdruck eines ausgeprägten Geschichts- 1 Vgl. M ARKWART H ERZOG / R OLF K IESSLING / B ERND R OECK (Hrsg.), Himmel auf Erden oder Teufelsbaumwurm? Wirtschaftliche und soziale Bedingungen des süddeutschen Klosterbarock (Irseer Schriften: Studien zur schwäbischen Kulturgeschichte, Bd. 1), Konstanz 2002. Markwart Herzog / Huberta Weigl 12 bewusstseins, das sich aus verschiedenen Quellen speiste: aus mündlicher Überlieferung, autoritativ verbürgter Tradition, Legenden mit historischem Wahrheitskern, schriftlichen Dokumenten, aber auch Realien. Nach Cicero ist die Geschichte ein Zeuge der Zeiten, Licht der Wahrheit, das Leben der Erinnerung, eine Lehrerin für das Leben und Berichterstatterin der alten Zeit: Historia vero testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis. 2 Als Vergangenheit ist das Geschehene unwiederbringlich vorbei, es wird sich in genau derselben Form nie wiederholen. Als Geschichte indes ist es angeeignete Vergangenheit, und zwar durch bewusste, reflektierte Auseinandersetzung mit ihr. Diese eine Vergangenheit konstituiert sich aus vielen Geschichten, die in der jeweiligen Jetztzeit vergegenwärtigt werden. Dabei wird das Geschehene nicht wie in einem Spiegel „objektiv“ wiedergegeben, sondern in einem hermeneutischen Prozess re-konstruiert. Die Blickrichtung, die Auswahl der Quellen und der methodische Ansatz bestimmen das Ergebnis mit - es gibt kein Objekt der Erkenntnis ohne Erkenntnissubjekt. 2. Kloster Irsee als Exempel Im 17. und 18. Jahrhundert haben sich so gut wie alle Klöster für ihre Vergangenheit interessiert und diese auf vielfältige Weise thematisiert. Bedeutung und Größe eines Klosters spielten hierbei keine Rolle. So verwundert es nicht, dass sich auch im ehemaligen Benediktinerkloster Irsee verschiedene bildliche Zeugnisse erhalten haben, die dieses Geschichtsbewusstsein bis heute widerspiegeln und uns die Vergangenheit des Klosters vor Augen führen. 3 Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang die in der Klosterkirche erhaltenen Sandsteindenkmäler und Epitaphien, die aus dem mittelalterlichen Vorgängerbau in den 1699 begonnenen Neubau übernommen wurden und verschiedene Äbte sowie Wohltäter des Klosters zei- 2 C ICERO , De oratore, 2,36. 3 Zur Geschichte Irsees vgl. insbes. W ALTER P ÖTZL , Geschichte des Klosters Irsee. Von der Gründung bis zum Beginn der Neuzeit 1182-1501 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner- Ordens und seiner Zweige, Erg.Bd. 19), Ottobeuren 1969; M ICHAEL K ÜHLENTHAL , Irsee: Geschichte und Instandsetzung des ehem. Benediktinerreichsstifts (Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Arbeitsheft 20), München 1984; H ANS F REI (Hrsg.), Das Reichsstift Irsee - Vom Benediktinerkloster zum Bildungszentrum: Beiträge zu Geschichte, Kunst und Kultur (Beiträge zur Landeskunde von Schwaben, Bd. 7), Weißenhorn 1981; G ABRIELE D ISCHINGER / E VA C HRISTINA V OLLMER , Irsee (Schwäbische Kunstdenkmale, Heft 30), Weißenhorn 1999; K ARL P ÖRNBACHER , Kloster Irsee, hrsg. von Rainer Jehl, Weißenhorn 1999; G ABRIELE D ISCHINGER , ‚... lapides loquuntur ...‘: Kirche und Kloster in Irsee, in: H ERZOG / K IESSLING / R OECK , Himmel auf Erden (wie Anm. 1), 321-336. Vorwort 13 gen. Interessant ist, dass die einzelnen Darstellungen keineswegs immer aus jener Zeit stammen, in der die jeweiligen Persönlichkeiten gelebt haben. So wurde beispielsweise im Jahr 1543 ein „Denkmal“ für den 1191 verstorbenen ersten Förderer des Klosters Heinrich Markgraf zu Ronsberg (Abb. 1) in Auftrag gegeben. Es wurde unter Abt Paulus Necker (reg. 1533-1549) errichtet, im 19. Jahrhundert versetzt und unter der Orgelempore in die Westwand eingelassen. In unserem Kontext ist von Interesse, dass Abt Necker den mit ihm befreundeten Humanisten Caspar Bruschius (1518-1595) veranlasste, die Geschichte des Klosters Irsee von den Anfängen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts in Prosa darzustellen (Carmen de origine M. Ursin in gratiam Abbatis Pauli Neckeris). 4 Diese Vorgänge machen deutlich, dass die Äbte die Geschichte ihrer Klöster nicht erst in der Barockzeit in Wort und Bild dargestellt haben. Seit jeher waren dabei insbesondere Kirchenpatrone, Stifter und Gründer ein zentrales Thema. Auch die sog. Irseer Stiftertafel, die ebenfalls Heinrich Markgraf von Ronsberg, nun aber im Medium der Malerei, verewigt (Abb. 2), entstand im 16. Jahrhundert. Zusammen mit seinen beiden Söhnen trägt er das Modell der romanischen Kirche, von der heute keine Relikte erhalten geblieben sind. In der zwischen 1699 und 1704 neu errichteten Klosterkirche wurde das Thema schließlich in dem von Magnus Remy 1702/ 03 geschaffenen Deckengemälde im Joch über der Orgelempore aufgegriffen (Abb. 3): Hein- 4 Vgl. P ÖTZL , Geschichte des Klosters Irsee (wie Anm. 3), 18. Abb. 1: Klosterkirche Irsee, Westwand, Denkmal für den 1191 verstorbenen Stifter des Benediktinerklosters Irsee, Heinrich Markgraf von Ronsberg mit dem Modell der zweitürmigen mittelalterlichen Kirche, Sandstein 1543. Markwart Herzog / Huberta Weigl 14 Abb. 2: Kloster Irsee, Konventgebäude, Stiftertafel mit Heinrich Markgraf von Ronsberg und seinen Söhnen Gottfried und Berthold mit dem Modell der romanischen Klosterkirche (Ausschnitt), Öl auf Holz, 16. Jahrhundert. rich Markgraf von Ronsberg und seine Söhne Gottfried und Berthold vertrauen dem hl. Benedikt ein Modell der mittelalterlichen Klosterkirche an. Vorwort 15 Abb. 3: Klosterkirche Irsee, Heinrich Markgraf von Ronsberg und seine Söhne übereignen dem hl. Benedikt das Modell der romanischen Klosterkirche, Deckenbild im Langhaus über der Orgel, Magnus Remy, Öl auf Leinwand, 1702/ 03. 3. Monastische „corporate identity“ Welche Motive standen hinter der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte? Ein wichtiger Grund, weshalb sich Klöster und Orden in der Barockzeit so intensiv mit ihren Ursprüngen und ihrer Geschichte befasst haben, war sicherlich der Wunsch nach einer „wissenschaftlichen“ Thematisierung und bildlichen Sichtbarmachung religiös definierter sozialer Identität. Man kann diese Vorgangsweise der Orden und Klöster durchaus mit Strategien von Firmen, Vereinen und Verbänden zur Generierung einer „corporate idendity“, die sie von anderen Institutionen unterscheidet, 5 vergleichen. Bei den Ritualen, Inszenierungen und künstlerischen Darstellungen der Klöster ging es freilich nicht nur um die Sichtbarmachung von Ordnung, sondern auch um die Legitimation der eigenen Existenz. Damals wie heute 5 Darüber hinaus können Firmen auch im 21. Jahrhundert ihre Mitarbeiter zur Einhaltung einer an die Uniformität monastischer Ordenstracht erinnernde „corporate fashion“ - vgl. R EGINA H ENKEL , Corporate Fashion: Uniformen in Unternehmen (Textil - Körper - Mode, Bd. 5), Berlin 2009 - verpflichten. Markwart Herzog / Huberta Weigl 16 bilden vor allem Jubiläen willkommene Anlässe, sich mit Ursprung, Herkunft und Stiftung der eigenen Einrichtung zu beschäftigen. Ähnlich wie die Chroniken der Barockzeit sind heutige Verbands- und Firmengeschichten oft so angelegt, dass sie die als wichtig empfundenen Geschehnisse aneinanderreihen. Dabei handelt es sich um eine gezielte Auswahl von Ereignissen, aus der sich Schlüsse über die historisch gewachsene Bedeutung der jeweiligen Institution ableiten lassen sollen. Im Vordergrund steht also die fortdauernde normative Relevanz der Vergangenheit für die Gegenwart. In den Beiträgen dieses Bandes werden wiederholt Fragen der kollektiven monastischen Identität angesprochen, deren Legitimation aus der Geschichte und deren Inszenierung für die jeweilige Gegenwart. Dabei konnte die Hausgeschichte eines Klosters durch Kontextualisierung in der Historie des Ordensverbands, der Kirchen- oder Papstgeschichte zusätzlich an Würde gewinnen. Der Ursprung, die Herkunft und die Hausgeschichte eines Klosters bildeten die konstituierende Basis der (damaligen) Gegenwart, verbürgten die Präsenz der Vergangenheit. Ein besonders weit in die Geschichte zurückreichender historischer Ursprung erhöhte sogar Bedeutung und Ruhm, Nobilität und Prestige eines Ordens oder Klosters. Überbrückt wurde der zeitliche Abstand zu Ursprung und Herkunft durch autoritativ verbürgte Tradition und institutionelle Kontinuität sowie ein Geschichtsbewusstsein, das eine detaillierte Absicherung auf der Grundlage eines genauen Studiums der Quellen anstrebte. 4. Rückbesinnung auf Ursprünge und Quellen Der Rückbezug auf historische Quellen machte es möglich, die religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Leistungskraft sowie das Selbstbewusstsein und die Eigenart einer Ordens- oder Klostergemeinschaft zu dokumentierten. In der Barockzeit wandelte sich in den Klöstern das Bewusstsein für die Quellen; zunehmend war man nun bemüht, die Echtheit der Dokumente zu prüfen, um Fälschungen auszuscheiden und die „wahre“ Vergangenheit zu erkennen und zu erfassen. Systematisches Quellenstudium, die Beschäftigung mit den alten Sprachen, die Aneignung und Weitergabe von Kenntnissen in den historischen Hilfswissenschaften (Diplomatik, Paläographie etc.) bildeten die damals noch keineswegs selbstverständlichen formalen Voraussetzungen für die historische Forschung und Quellenkritik zahlreicher Klöster. Man wandte sich den eigenen archivalischen Beständen zu, immer wieder waren Gelehrte bemüht, zusätzliches Material durch Briefverkehr und Reisen zu erschließen. Die mit zum Teil enormem Aufwand (personell wie zeitlich) Vorwort 17 angelegten Quellensammlungen sind für die historische, aber auch kunsthistorische Forschung bis heute ungemein wichtig, ja unersetzlich. Aber nicht nur um das Sichten, Sammeln und Ordnen von schriftlichen Überlieferungen ging es der monastischen Forschung im 17. und 18. Jahrhundert; auch dingliche Quellen der materiellen Alltagskultur standen auf der Agenda der Recherche nach Ursprung und Herkommen. Wo nötig, machten sich die Klöster beispielsweise auf die Suche nach den Grabstätten und Gebeinen der Gründer und Stifter ihrer Häuser. - So war es, um nur ein Beispiel zu nennen, wiederum der bereits erwähnte Irseer Abt Paulus Necker, der im Jahr 1543 die Gebeine der beiden letzten Ronsberger Berthold und Gottfried aus Ottobeuren nach Irsee überführen und im Grab ihrer Schwester Irmgard beisetzen ließ. 6 Bildwerke und Architekturelemente von Vorgängerbauten wurden gesichert und fallweise absichtsvoll wiederverwendet, um sie als Zeugnisse der Vergangenheit zu inszenieren - um Geschichte zu vergegenwärtigen. Die Bewahrung und Integration alter Architekturbestandteile in neuen Bauprojekten konnte aber auch ganz pragmatische Gründe haben: Zeit- und Finanzersparnis - so wie das historische Erkenntnisinteresse monastischer Hausgeschichtsschreibung durchaus auch von der Wahrung und Sicherung von Rechten und Privilegien, kaiserlichen und päpstlichen Exemtionen, also von ökonomischen und herrschaftstechnischen Motiven geleitet sein konnte. Und nicht zuletzt ging es um sittliche und religiöse Erneuerung aus einem historischen Bewusstsein über Sachverhalte von normativer Qualität, die auf die Tugenden der Gegenwart abstrahlen sollten. Das Ineinandergreifen von historischem Wissen, das durch intensives Quellenstudium gewonnen wurde, und dessen wohl durchdachte Präsentation verfolgte darüber hinaus einen pädagogischen Zweck, der von geradezu allgemeingültiger Bedeutung ist: In Unterricht und Lehrbüchern wird auch heute größter Wert auf eine adäquate Visualisierung von Wissen gelegt. Power Point Präsentationen und Abbildungen sollen die Vermittlung abstrakter Erkenntnisse erleichtern helfen. Eine solche enge Beziehung zwischen Wort und Wissen einerseits sowie Bild und Anschauung andererseits, gab es bereits in der Barockzeit, in der sich Historiographie und Kunst immer wieder ergänzt und gegenseitig befruchtet haben. Die quellenorientierte Recherche nach den Biographien von herausragenden Gestalten der Klostergeschichte konnte beispielsweise durch die Anfertigung von Porträts flankiert werden, Freskenzyklen setzten die Erkenntnisse der Archivarbeiten dann im Kirchenraum ins Bild, wo sie schließlich für eine breite Öffentlichkeit sichtbar wurden. 6 Vgl. P ÖTZL , Geschichte des Klosters Irsee (wie Anm. 3), 36. Markwart Herzog / Huberta Weigl 18 Die Medien, die Kloster- und Ordensgeschichten in Wort und Bild thematisierten, waren in der Barockzeit so auffallend vielfältig wie nie zuvor: Predigten, Lexika und Biographien, Chroniken, Stammbäume, Wappen, Embleme und Sinnbilder, Porträtgalerien, Fresken, Grabsteine, ja sogar Ofenkacheln transportierten, wie die in dem vorliegenden Band versammelten Beiträge zeigen, jene historischen Kenntnisse, die eine Teilhabe an einer als normativ empfundenen Tradition gewährleisten sollten. Dank Den Beiträgen dieses Bandes liegt eine Tagung zum Thema Barocke Klöster in Mitteleuropa: Visualisierung monastischer Vergangenheit in Wissenschaft und Kunst zugrunde, die an der Schwabenakademie Irsee im Oktober 2006 stattgefunden und in Fachkreisen ein sehr positives Echo gefunden hat. 7 Der Dank der Herausgeber dieses Bandes gilt allen voran den Autorinnen und Autoren, die bereit waren, ihre Vorträge für die Drucklegung zu überarbeiten und mit Literatur- und Quellenbelegen zu unterfüttern; in diesen Dank sind all jene eingeschlossen, die sich nachträglich für einen Beitrag gewinnen ließen. Unser Dank gilt ferner Dr. Gabriele Dischinger, die das Unterfangen, vor allem in der Startphase, als es den thematischen Schwerpunkt zu präzisieren galt, mit wertvollen Anregungen begleitet hat. Ganz besonderer Dank gilt schließlich Dr. Rainer Jehl, dem langjährigen Direktor der Schwabenakademie Irsee (reg. 1989-2009), der das Projekt von Anfang an mit Rat und Tat unterstützt und mit seinem großzügigen Wohlwollen begleitet hat. Seiner Tatkraft und Umsicht ist zu verdanken, dass das ehemalige Kloster Irsee heute als Schwäbisches Tagungs- und Bildungszentrum floriert. Die dort angesiedelte Schwabenakademie hat sich unter seiner Führung im Geist benediktinischen Geschichtsbewusstseins durch Lesungen, Tagungen, Symposien, Vorträge und Publikationen der Geschichte des Klosters angenommen und dabei auch die Schattenseiten der Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus 8 nicht ausgespart, sondern 7 M EINRAD VON E NGELBERG , Tagungsbericht, in: http: / / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ tagungs berichte/ id=1379 (23.6.2010) sowie ders., in: Frühneuzeit-Info 18 (2007), Nr. 1/ 2, 123-127. 8 Vgl. dazu U LRICH P ÖTZL , Sozialpsychiatrie, Erbbiologie und Lebensvernichtung: Valentin Faltlhauser, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in der Zeit des Nationalsozialismus (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Bd. 75), Husum 1995; E RICH R ESCH , Die Begräbnisstätten der Heil- und Pflegeanstalten bzw. des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren und Irsee, in: Kaufbeurer Geschichtsblätter, Bd. 17, Nr. 8, Dezember 2006, 258-278; N ORBERT A AS , Die Pflegeanstalt Kloster Irsee und die „Euthanasie“ im 3. Reich, in: S TEFAN R AUEISER / B ERT- RAM S ELLNER (Hrsg.), „... man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“ Zum Gedenken an die Opfer der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren/ Irsee (Bildungswerk Irsee: Impulse, Bd. 2), Irsee 2009, 15-25, hier 25 (Lit.). Vorwort 19 vielmehr in exemplarischer Weise zu einem Kernpunkt der Irseer Gedenkkultur und wissenschaftlichen Arbeit der Schwabenakademie gemacht. Dies beweist nicht zuletzt die Sicherung und Renovierung der ehemaligen Anatomie der Heil- und Pflegeanstalt, in die das Kloster 1849 umfunktioniert wurde, und ihre Einrichtung und Ausstattung als Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus. Herrn Dr. Rainer Jehl, der aufgrund der Verdienste, die er sich durch seine Tätigkeit im ehemaligen Benediktinerkloster Irsee und durch seine wissenschaftlichen Arbeiten über die Geschichte des Benediktinerordens und des ehemaligen Reichsstifts Irsee erworben hat, im Herbst 2007 zum außerordentlichen Mitglied der historischen Sektion der Bayerischen Benediktinerakademie ernannt wurde, sei dieser Band in Freundschaft, Respekt und Dankbarkeit gewidmet. Irsee / Wien, im Juli 2010 Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert Zur Gegenwart der Vergangenheit* Huberta Weigl Von jeher prägt ein tiefes Traditions- und Geschichtsbewusstsein die Klöster der alten Orden (Benediktiner, Zisterzienser, Augustiner-Chorherren, Prämonstratenser etc.). Nach der Zäsur, die die Reformation mit sich gebracht hatte, erwachte dieses Bewusstsein in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erneut und blieb bis in das späte 18. Jahrhundert lebendig. Auf breiter Ebene und unter verschiedenen Gesichtspunkten interessierten sich die Klöster für ihre Vergangenheit. In bislang nicht da gewesenem Ausmaß wandten sie sich den Quellen zu, ordneten, analysierten und reflektierten diese, um die Erkenntnisse schließlich zu Papier zu bringen. Das Resultat ist eine kaum überschaubare Fülle von Annalen, Chroniken, Heiligen-Viten, Biographien, Lexika etc. 1 Viele Werke wurden für den hausinternen Gebrauch verfasst, * Es ist mir ein Anliegen, an dieser Stelle all jenen Kollegen zu danken, die mit ihrer wiederholten Gesprächsbereitschaft, ihren vielfältigen Hinweisen und kritischen Anregungen sowie letztendlich auch ihrem Wohlwollen die Entstehung des vorliegenden Beitrags maßgeblich gefördert haben: Gabriele Dischinger (München), Michael Grünwald (Graphisches Kabinett des Stiftes Göttweig) sowie Patrick Fiska, Thomas Stockinger und Thomas Wallnig (START-Projekt „Monastische Aufklärung und die Benediktinische Gelehrtenrepublik“ am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien). Heinz Ristory hat mir mit viel Ausdauer den Zugang zu den reichen Buchbeständen der Stiftsbibliothek Klosterneuburg ermöglicht; auch ihm gebührt mein Dank. 1 Mit der rund 800 Seiten starken Arbeit von S TEFAN B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien, Bd. 473), Husum 2003 steht neuerdings ein Grundlagenwerk zur Verfügung, in dem auch die klösterliche Historiographie des 17. und 18. Jahrhunderts breiten Raum einnimmt (ebd., 525-673). Zur monastischen Geschichtsschreibung in Österreich, der Schweiz und in Süddeutschland vgl. zudem A NNA C O- RETH , Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit. 1620-1740 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Bd. 37), Wien 1950, 91-115; A LPHONS L HOTSKY , Österreichische Historiographie, Wien 1962, 114-123; P ETER G. T ROPPER , Die geistlichen Historiker Österreichs in der Barockzeit, in: Prinz Eugen und das barocke Österreich, Ausst.-Kat., Salzburg / Wien 1985, 365-374; D ERS ., Urkundenlehre in Österreich vom frühen 18. Jahrhundert bis zur Errichtung der „Schule für Österreichische Geschichtsforschung“ 1854 (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz), Graz 1994, 1-55. - G ALL H EER , Johannes Mabillon und die Schweizer Benediktiner. Ein Beitrag zur Geschichte der historischen Quellenforschung im 17. und 18. Jahrhundert, St. Gallen 1938. - H ARALD D ICKERHOF , Bayerische Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert. Arbeitsbedingungen und kulturpolitische Horizonte, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 54 (1991), 77-106; Ludwig H AMMERMAYER , Die Forschungszentren der deutschen Benediktiner und ihre Vorhaben, in: K ARL H AMMER / J ÜRGEN V OSS (Hrsg.), Historische Forschung im 18. Jahrhundert: Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse. 12. Deutsch-Französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris (Pariser Historische Studien, Bd. 13), Bonn 1976, 122-191; A NDREAS K RAUS , Die benediktinische Geschichtsschreibung im neuzeitlichen Bayern, in: Studien und Mitteilungen des Benediktinerordens und seiner Zweige 80 (1969), 205-247; A NDREAS K RAUS , Huberta Weigl 22 zahlreiche andere wurden publiziert. Die Zahl der historiographischen Arbeiten, die im 17. und 18. Jahrhundert im Druck erschien, ist unüberschaubar. Die Auflagenhöhe schwankte zwischen wenigen hundert bis weit über 1000 Stück, 2 wobei manche Werke aufgrund der großen Nachfrage neu aufgelegt werden mussten. 3 Der historiographische „Output“ war enorm und die Leserschaft, die sich keineswegs nur auf Geistliche beschränkte, 4 so breit wie nie zuvor. Das im 17. Jahrhundert wieder erstarkte Geschichtsbewusstsein fand freilich nicht nur in Schriftform, sondern auch in der bildenden Kunst Niederschlag. Bis heute „erzählen“ 5 Malerei und Druckgraphik vom Leben der Ordens- und Kirchenpatrone sowie von der Stiftung und Gründung der Klöster. 6 Stifter, Gründer und Patrone begegnen uns ferner im Medium der Bayerische Wissenschaft in der Barockzeit (1579-1750), in: M AX S PINDLER (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 2: Das alte Bayern. Der Territorialstaat. Vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 2 1988, 876-918; F RANZ Q UAR- THAL , Die Reformation im Spiegel südwestdeutscher benediktinischer Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts. Zum klösterlichen Wissenschaftsbetrieb im Jahrhundert vor der Säkularisation, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), 320-355. 2 Das von Gottfried Bessel, Abt des Stiftes Göttweig, publizierte Chronicon Gotwicense (zwei Teilbände, Tegernsee 1732) erschien beispielsweise in einer Auflage von 1700 Stück, wobei ein großer Teil für den Tausch bestimmt war. G REGOR M. L ECHNER / M ICHAEL G RÜNWALD , Stift Göttweig. Gottfried Bessel (1672-1749) und das barocke Göttweig. Zum 250. Todesjahr des Abtes, Ausst.-Kat., Göttweig 1999, 83f. - Die seit 1753/ 54 bestehende Druckerei des Klosters St. Blasien produzierte von jedem Werk 500 Stück. Nach dem verheerenden Klosterbrand im Jahr 1768 wurde die Auflagenhöhe auf 1000 Stück gesteigert, um - im Hinblick auf den Wiederaufbau der zerstörten Bibliothek - über mehr Bücher zum Tausch zu verfügen. G ERHARD S TAMM , Buchdruckerei, Verlag und Buchhandel, in: Das tausendjährige St. Blasien. 200jähriges Domjubiläum, Bd. 2 (Aufsätze), Ausst.-Kat., St. Blasien 1983, 153-169, insbes. 165. - Allgemein zu den Druckereien vgl. B EDA D ANZER , Die Buchdruckereien des Benediktinerordens, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 51 (1934), 606-615. 3 Vgl. beispielsweise die von Abt Coelestin Vogl verfasste Geschichte des Klosters St. Emmeram in Regensburg, die in drei - immer stärker erweiterten - Auflagen erschien: C OELESTIN V OGL , Mausoleum Oder Herrliches Grab Des Bayerischen Apostels [...] S. Emmerami [...], Straubing 1661 und 1672 sowie Regensburg 1680. Vgl. zudem die Geschichte des Zisterzienserordens von Augustinus Sartorius, die 1700 in lateinischer und 1708 in deutscher Sprache erschien: A UGUSTINUS S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium seu historia elogialis [...], Prag 1700; D ERS ., Verdeutschtes Cistercium Bis- Tertium oder Cistercienser Ordens-Historie [...], Prag 1708. 4 So wurde etwa nach dem Tod Kaiser Leopolds I. (1705) auf dessen Lesepult das Chronicon Mellicense des Melker Konventualen Anselm Schramb gefunden (A NSELM S CHRAMB , Chronicon Mellicense [...], Wien 1702). T HOMAS W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 48), Wien / München 2007, 118. - Überlegungen zum Leser- und Käuferkreis der Werke des Weingartener Mönches Gabriel Bucelin finden sich bei C LAUDIA M ARIA N EESEN , Gabriel Bucelin OSB (1599-1681). Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3), Ostfildern 2003, 347-350. 5 Vgl. die Definition der Begriffe „Geschichte“ bzw. „Historie“ als „Erzählung“ bei R EINHART K OSEL- LECK , Einleitung [zu „Geschichte, Historie“], in: O TTO B RUNNER / W ERNER C ONZE / R EINHART K OSELLECK (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 4 1998, 593-595, hier 593. 6 H ERMANN B AUER , Über einige Gründungs- und Stiftungsbilder des 18. Jahrhunderts in bayrischen Klöstern, in: A NDREAS K RAUS (Hrsg.), Land und Reich - Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte, Bd. 2 (Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag), München 1984, 259-281; L AURENTIUS K OCH , Geschichte an der Decke und Wand. Zu Stiftungs- und Grün- Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 23 Skulptur und des Kunstgewerbes. Darüber hinaus stoßen wir auch überall dort auf die Vergangenheit eines Klosters, wo aus älterer Zeit stammende Ausstattungsstücke oder Bauteile bewahrt wurden. 7 Bringt man dieses Phänomen auf einen Nenner, so haben die Klöster ihre Vergangenheit im 17. und 18. Jahrhundert durch Geschichtsschreibung und bildende Kunst vergegenwärtigt. Auf welchen Wegen und mit welchen Intentionen dies geschah, soll im Folgenden dargelegt werden. Schon jetzt sei darauf hingewiesen, dass die „Vergangenheitsvergegenwärtigung“ 8 der Klöster natürlich kein Novum der Barockzeit ist, sich aber sehr wohl markante Unterschiede zu den vorangegangenen Jahrhunderten festmachen lassen. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf den Männerklöstern der alten Orden in Mitteleuropa 9 im Zeitraum von ca. 1650 bis ca. 1750/ 60. 10 Der dungsdarstellungen in süddeutschen Barockfresken, in: S USANNE B ÖNING -W EIS / K ARLHEINZ H EMMETER / Y ORK L ANGENSTEIN (Hrsg.), Monumental. Festschrift für Michael Petzet (Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Bd. 100), München 1998, 647-664; N ICOLA S CHMID , Die Gründungslegenden der Klöster in der bayerischen Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts, St. Ottilien 1998. - Die „Stiftung“ brachte den notwendigen Besitz und war die Voraussetzung für die „Gründung“. Zu den Begriffen vgl. C HRISTIAN B UCK , Gründungs-Legenden mittelalterlicher Klöster in Bayern und Österreich, Weilheim 1988, 15f. 7 Klosterspezifische Untersuchungen liegen zu diesem Thema nicht vor, gleichwohl gibt es mehrere Arbeiten, die sich auf allgemeiner Ebene mit dem facettenreichen Fragenkomplex des „Bewahrens“ befassen und teilweise auch Beispiele aus dem Bereich der Klöster anführen. Für die Skulptur vgl. H ER- BERT B ECK , Mittelalterliche Skulpturen in Barockaltären, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 108 (1968), 209-293. Für die Architektur vgl. zuletzt M ICHAEL S CHMIDT , reverentia und magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert, Regensburg 1999; M EINRAD VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005. In methodischer Hinsicht ist darüber hinaus die Fallstudie von Ulrich Fürst zur Benediktinerklosterkirche von Kladruby / Kladrau wichtig. Der Autor fragt nach dem Bedeutungsgehalt der Architektur und setzt die barock-gotische Baugestalt der Kladrauer Kirche in Bezug zu dem historischen Kontext, in dem sie entstanden ist. U L- RICH F ÜRST , Die lebendige und sichtbahre Histori. Programmatische Themen in der Sakralarchitektur des Barock (Fischer von Erlach, Hildebrandt, Santini), Regensburg 2002, 195-264. 8 H ANS -W ERNER G OETZ , Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im hohen Mittelalter (Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 1), Berlin 1999, 10. 9 Zur Definition des Begriffs „Mitteleuropa“ vgl. zusammenfassend M ARTIN E NGEL / M ARTIN P OZS- GAI / C HRISTIANE S ALGE / H UBERTA W EIGL , Barock in Mitteleuropa. Einleitung, in: D IES . (Hrsg.), Barock in Mitteleuropa. Werke - Phänomene - Analysen (Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. 55/ 56, 2006/ 07), Wien 2007, 11-19, hier 11f. - An Überblickswerken zu den (Männer-)Klöstern der alten Orden in Mitteleuropa vgl. u.a. die seit 1970 erscheinende Reihe Germania Benedictina; die 1972-2007 erschienenen Bände der Helvetia Sacra; N ORBERT B ACKMUND , Die Chorherrenorden und ihre Stifte in Bayern (Augustinerchorherren, Prämonstratenser, Chorherren vom Hl. Geist, Antoniter), Passau 1966; H ERMANN B AUER / A NNA B AUER , Klöster in Bayern. Eine Kunst- und Kulturgeschichte der Klöster in Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz, München 2 1993; M ILAN B U- BEN , Encyklopedie 3 ád 9 , kongregací a 3 eholních spole 2 ností katolické církve v 2 eských zemích, 6 Bde., Prag 2002-2008; F LORIDUS R ÖHRIG , Die Stifte der Augustiner Chorherren in Böhmen, Mähren und Ungarn, Klosterneuburg / Wien 1994; D ERS ., Die bestehenden Stifte der Augustiner-Chorherren in Österreich, Südtirol und Polen, Klosterneuburg / Wien 1997; D ERS ., Die ehemaligen Stifte der Augustiner-Chorherren in Österreich und Südtirol, Klosterneuburg 2005; P AVEL V L 1 EK / P ETR S OM- MER / D USAN F OLTÝN , Encyklopedie 2 eských klášteru, Prag 1997; M ATTHIAS W EMHOFF (Hrsg.), Barocke Blütezeit. Die Kultur der Klöster in Westfalen (Dalheimer Kataloge, Bd. 1), Regensburg 2007; W OLFGANG Z IMMERMANN / N ICOLE P RIESCHING (Hrsg.), Württembergisches Klosterbuch. Klöster, Stifte und Ordensgemeinschaften von den Anfängen bis in die Gegenwart, Ostfildern 2003. Huberta Weigl 24 Text arbeitet exemplarisch, vereinfacht fallweise und liefert zu keinem der angesprochenen Aspekte eine umfassende Bibliographie. Dementsprechend wird der Leser - abhängig von der Perspektive, aus der er sich dem Text nähert - unterschiedlichen Ergänzungsbedarf sehen. Wie dem auch sei: Der Beitrag ist letztendlich von dem Wunsch getragen, eine in dieser Form bislang nicht vorhandene Schneise durch die Materie zu legen, um einerseits eine Einführung zu dem vorliegenden Band zu bieten und andererseits die Diskussion auf breiter Basis in Gang zu bringen. 1. Wozu Geschichtsschreibung? Öffnet man das 1753 erschienene Chronicon Benedictoburanum, eine zweibändige Geschichte des Klosters Benediktbeuern, fällt der Blick auf einen mit Büchern gefüllten Triumphbogen, vor dem der Autor, der Bibliothekar und Archivar Karl Meichelbeck (1669-1734), sitzt (Abb. 1). 11 Um ihn herum stehen Putten, die allerhand Schriftstücke und Urkunden in den Händen tragen. In der Rechten hält Meichelbeck ein geöffnetes Buch, mit der Linken deutet er auf Pallas Athene, die Göttin der Weisheit und Schirmherrin der Wissenschaft. Sie hat eben Chronos, der bekanntlich alles verzehrt, was die Zeit erzeugt, zu Fall gebracht und verweist auf die im oberen Teil des Triumphbogens in Medaillons dargestellten Klostergründer Waldram, Landfrid und Eliland, über denen der hl. Benedikt, der Ordenspatron, und die in Benediktbeuern besonders verehrte hl. Anastasia knien. Nachdrücklich thematisiert das Titelblatt den Zweck der Chronik: Sie entzieht die Klostergeschichte dem Untergang durch die Zeit; selbst wenn die handschriftlichen 10 Damit bleibt unter anderem die Frage ausgeklammert, welche Rolle die Klöster der Geschichte beigemessen haben, als sie im Zuge der Aufklärung mit massiver antimonastischer Kritik konfrontiert wurden. Zu den geistigen und kulturellen Umbrüchen des ausgehenden 18. Jahrhunderts vgl. zuletzt K LAUS S CHREINER , „Gott zur Ehre, dem Vaterland zum Nutzen“. Geistliche, kulturelle und soziale Lebenswelten der alten Klöster im Zeitalter der Aufklärung und Säkularisation, in: V OLK H IMMELEIN (Hrsg. unter Mitarbeit von F RANK D RUFFNER / I NGO G ABOR / M ARTIN H OERNES / T IMO J OHN ), Alte Klöster - Neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803, Ausst.-Kat., Ostfildern 2003, 35-49; K ONSTANTIN M AIER , Bildung und Wissenschaft in schwäbischen Klöstern bis zum Vorabend der Säkularisation, in: H ANS U LRICH R UDOLF (Hrsg.), Alte Klöster - Neue Herren. Aufsätze, 1. Teil: Vorgeschichte und Verlauf der Säkularisation, Ausst.-Kat., Ostfildern 2003, 219-238 (jeweils mit umfassenden Literaturhinweisen). 11 K ARL M EICHELBECK , Chronicon Benedictoburanum [...], 2 Bde., Benediktbeuern 1753. Zu Meichelbeck, der ab 1727 am Chronicon Benedictoburanum arbeitete, vgl. die verschiedenen Beiträge in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80 (1969); D I- CKERHOF , Bayerische Geschichtswissenschaft (wie Anm. 1), 92-97; B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 602-611. Zum Titelkupfer vgl. die Ausführungen bei M ARION K INTZINGER , Chronos und Historia. Studien zur Titelblattikonographie historiographischer Werke vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 60), Wiesbaden 1995, 150f., die in der Interpretation allerdings zu kurz greifen. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 25 Abb. 1: Karl Meichelbeck, Chronicon Benedictoburanum, Bd. 1, Benediktbeuern 1753, Titelblatt Kupferstich. Huberta Weigl 26 Dokumente zugrunde gehen, ist das Wissen um die Geschichte Benediktbeuerns durch das vorliegende Werk gesichert. Was das Titelblatt bildlich ausdrückt, hatte Meichelbeck Jahre zuvor dem Konvent, der seinem Vorhaben gegenüber kritisch eingestellt war, mit Worten zu erklären versucht: Die Klosterchronik diene dem Schutz der Überlieferung. 12 Zudem helfe sie bei Rechtsstreitigkeiten, bringe Erkenntnisgewinn, mehre das Ansehen der Klostergründer und stelle das Altertum von Benediktbeuern sicher. Schließlich nütze die Chronik dem Orden auch insofern - hier wird das Konkurrenzdenken offensichtlich -, als man „die allzu eingebildeten Augustiner Chorherren ein wenig stutzen könne“ 13 . Meichelbecks Auflistung ist umfangreich, aber die Frage „Wozu Geschichtsforschung? “ ist mit den von ihm angeführten Argumenten noch längst nicht vollständig beantwortet. Aus der Vielzahl möglicher Beweggründe sollen einige weitere herausgegriffen werden: Dass ein Autor seine Klostergeschichte als wichtige Informationsquelle für eine breitere Öffentlichkeit - insbesondere Freunde und Gönner - betrachtete, mit der er natürlich auch den Rang und die Bedeutung seines Hauses unterstrich, macht das Vorwort deutlich, das der Abt von St. Emmeram in Regensburg, Coelestin Vogl (reg. 1655-1691), seinem Mausoleum Oder Herrliches Grab Des Bayerischen Apostels [...] S. Emmerami [...] beigefügt hat. Vogl erläutert: Ich hab von Zeit der von mir angetrettnen Abbtey dises Reichs-Stifft und Closters verschaidne allda noch verhandene bevorab manuscripta und getruckte Historicos gelesen / und aus denselben vor mich privat zusammen getragen und colligirt, was von Zeit des Ursprung und Anfang bemelten Closters denckwuerdig sich bey demselben / auch in: und umb die Reichs-Statt Regenspurg absonder in Geistlichen Sachen biß auff 1650. eraignet / welche zusamb getragene Geschichten ich Anno 1672. zu dem Ende trucken lassen / damit ich denen Patronis und guten Freunden dises Closters / so etwan von demselben und dessen Antiquiteten was zuwissen verlangten / ihren desiderijs mit solchen statt thuen moechte. 14 In den Augen von Grégoire Tarrisse, Superior der französischen Benediktinerkongregation S. Maur (reg. 1630-1648), hatte Geschichtsforschung in besonderer Weise dem Wohl des Ordens zu dienen; nur die Einrichtung von Bibliotheken und das Studium der Mönche konnten, so seine Meinung, 12 B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 608. Siehe auch das Kloster Einsiedeln, wo Aegidius Tschudi (1505-1572) in den 1550-er Jahren Archivstudien betrieb und Exzerpte von Dokumenten anlegte, die bei dem verheerenden Brand des Jahres 1577 vernichtet wurden. W ERNER O ECHSLIN / A NJA B USCHOW O ECHSLIN , Der Bezirk Einsiedeln I. Das Benediktinerkloster Einsiedeln (Die Kunstdenkmäler des Kantons Schwyz, Neue Ausgabe II. / I.), Bern 2003, 28. 13 B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 608. 14 V OGL , Mausoleum, 1680 (wie Anm. 3 ), Vorwort (unpag.). Zu Vogl vgl. zuletzt M ANFRED K NED- LIK , Vogl, Coelestin, in: T RAUGOTT B AUTZ (Hrsg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 29, Nordhausen 2008, 1505-1507. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 27 vor dem Werteverfall und dem Niedergang der Klöster schützen. 15 Ein anderes Motiv nennt der Bibliothekar des Stiftes Melk, Bernhard Pez (1683- 1735), der eine Bibliotheca Benedictina, ein bio-bibliographisches Lexikon aller Benediktinerautoren, plante. 16 In dem 1709/ 10 an die Kongregation von S. Maur adressierten Brief, mit dem er um Unterstützung bei der Informationsbeschaffung für sein Vorhaben bat, schreibt er: Dass ich es wage, Euch, gnädigste Patrone, unter die Augen und unter die Hände zu treten, erwächst nicht aus der Hoffnung auf privaten Nutzen, als vielmehr aus dem Wunsch, den Ruhm des Benediktinerordens und damit eine gemeinsame Sache zu fördern. 17 Dem Wunsch nach Gemeinsamkeit steht der nach Identitätsstiftung nahe. Beide Aspekte thematisiert der Titelstich der Jubiläumsschrift, die die Schweizer Benediktinerkongregation anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens veröffentlichte (Abb. 2); 18 er zeigt den Vorsitzenden der Kongregation und Auftraggeber des Stichwerkes, den St. Gallener Abt Leodegar Bürgisser (reg. 1696-1717), flankiert von den übrigen Äbten der Kongregation, deren Einheit die Inschrift in der Bildmitte sowie verschiedene Embleme beschwören (Motti: „Nichts außer einem“, „Reiches, gesammelt zu einem“, „Sie werden von einem beseelt“ etc.). Der Text seinerseits schildert die Geschichte sowie die Verdienste der Kongregation und ihrer Mitglieder. Die Jubiläumsschrift kann als kongregationsinterner Appell verstanden werden, am Fortbestand der Gemeinschaft festzuhalten, zugleich ist sie aber auch eine gezielt nach außen gerichtete Selbstdarstellung der Schweizer Benediktiner. Die Motive, die die Klöster auf die Spuren ihrer Vergangenheit führten, waren also sehr unterschiedlich. Sobald sich ein Kloster entschied, die Ergebnisse seiner Studien zu publizieren, galt es, neben dem internen Nutzen auch die Außenwirkung bewusst zu kalkulieren. Hinter jedem Unternehmen standen im Regelfall verschiedene Beweggründe, und so gut wie immer wirkten mehrere Kräfte (Autor, Abt, Konvent, Kongregation, Orden etc.) - im 15 M ANFRED W EITLAUFF , Die Mauriner und ihr historisch-kritisches Werk, in: G EORG S CHWAIGER (Hrsg.), Historische Kritik in der Theologie. Beiträge zu ihrer Geschichte (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts, Bd. 32), Göttingen 1989, 153-209, hier 173-176; zu Grégoire Tarrisse vgl. auch Y VES C HAUSSY , Les Bénédictins de Saint-Maur, 2 Bde., Paris 1989, hier Bd. 1, 55-58. - Auch der Abt von St. Gallen Pius Reher (reg. 1630-1654) betrachtete Bildung und Forschung als wichtige Mittel zur Klosterreform. Pointiert formuliert er: Ich will im Kloster lieber den Teufel in Menschengestalt als einen Mönch ohne Bildung. Zit. in: H EER , Johannes Mabillon und die Schweizer Benediktiner (wie Anm. 1), 35. 16 W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4), 163-170. 17 Zit. in: ebd., 9f. (hier auch das lateinische Originalzitat). 18 M AURITIUS M ÜLLER , Idea sacrae Congregationis Helvetico-Benedictinae [...], St. Gallen 1702. Vgl. hierzu den kommentierten Reprint W ERNER V OGLER (Hrsg.), Idea sacrae congregationis Helveto- Benedictinae. Die Jubiläumsschrift von 1702 anlässlich des 100jährigen Bestehens der Schweizerischen Benediktinerkongregation, Sigmaringen 1988. Huberta Weigl 28 Abb. 2: Moritz Müller, Idea sacrae Congregationis Helvetico-Benedictinae, St. Gallen 1702, Titelblatt Kupferstich. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 29 positiven und im negativen Sinn 19 - auf seinen Fortgang ein. Aber kehren wir an dieser Stelle nochmals kurz zu Meichelbeck und der Absicht, durch Geschichtsschreibung die Überlieferung schützen zu wollen, zurück. Diesem Anspruch konnten in Wirklichkeit nur jene Werke erfüllen, die ähnlich hohen methodischen Standards genügten wie das Chronicon Benedictoburanum, das heißt, auf umfassender kritischer Quellenauswertung basierten, also sich der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelten historischen „Hilfswissenschaften“ bedienten. 2. Die Entwicklung neuer Methoden und ihre Anwendung Geschichtsschreibung in Klöstern hat eine lange Tradition, dennoch vollzog sich auf diesem Gebiet im 17. Jahrhundert ein Wandel. Einen wichtigen Anteil hatten hieran auf monastischer Ebene - neben den Bollandisten - die Mauriner, die auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Authentizität eines Schriftstückes beurteilen zu können, entscheidend zur Entwicklung der Diplomatik und Paläographie beitrugen. 20 Die nach dem hl. Maurus benannte Benediktinerkongregation war zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Absicht gegründet worden, das zu diesem Zeitpunkt darnieder liegende Ordensleben in Frankreich zu erneuern. 21 Einer der Wege zur Reform führte in den Augen der Kongregation über das Studium der Mönche. Folglich sollte jedes Kloster eine Bibliothek besitzen; bereits bestehende Bibliotheken sollten geordnet und erweitert werden. Unterstützung fanden die einzelnen Klöster bei der Umsetzung dieser Vorhaben in Luc d’Achéry, dem Bibliothekar von St-Germain-des-Prés (Paris). 22 D’Achéry erteilte brieflich Rat und 19 Bernhard Pez beispielsweise hatte zwar die Erlaubnis, das Projekt einer Bibliotheca Benedictina zu betreiben, aber nicht die enthusiastische Mitwirkung seines Klosters. W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4), 165. Karl Meichelbeck wiederum musste sich während der Arbeit am Chronicon Benedictoburanum mit dem Widerstand des Konvents sowie den Bedenken der bayerischen Benediktinerkongregation auseinandersetzen. B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 607- 610. 20 Zusammenfassend zu den verschiedenen Entwicklungslinien der Diplomatik siehe B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 611-618. 21 1618 trat das Generalkapitel der Mauriner erstmals zusammen. Drei Jahre später (1621) wurde die Kongregation durch Papst Gregor XV. bestätigt. Die Zahl der Mitglieder wuchs rasch: 1630 gehörten der Kongregation bereits 40 Ordenshäuser an. 1650 belief sich die Zahl der Mitglieder auf ca. 110 und 1713 bereits auf 198 Klöster. - Zu den Maurinern vgl. u.a. C HAUSSY , Les Bénédictins de Saint- Maur (wie Anm. 15); P IERRE G ASNAULT , Les travaux d’érudition des Mauristes au XVIIIe siècle, in: K ARL H AMMER / J ÜRGEN V OSS (Hrsg.), Historische Forschung im 18. Jahrhundert. Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse. 12. Deutsch-Französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris (Pariser Historische Studien, Bd. 13), Bonn 1976, 102-121; D ANIEL -O DON H UREL (Hrsg.), Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, Paris 2003; W EITLAUFF , Mauriner (wie Anm. 15), 153-209. 22 Zu den Verdiensten Luc d’Achérys vgl. C HAUSSY , Les Bénédictins de Saint-Maur 1 (wie Anm. 15), 67-72. Huberta Weigl 30 erstellte unter anderem eine Anleitung für den sachgemäßen Umgang mit Handschriften sowie einen Katalog mit Büchern, die in jeder Bibliothek vorhanden sein sollten. 23 Darüber hinaus entwarf er ein Forschungsprogramm, das er in einem 1648 an das Generalkapitel adressierten Schreiben im Detail erläuterte. 24 Jedes Kloster sollte seine eigene Geschichte aufarbeiten und Material für eine Geschichte der Kongregation sammeln: Quellen zur Gründung des Klosters und zugehöriger Priorate, Informationen über besondere Ereignisse und Bräuche, Hinweise auf besonders verdienstvolle Vertreter und vieles mehr. So entwickelte sich die Kongregation von Saint- Maur ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Zentrum historischer Forschung, das seine Ergebnisse in zahlreichen Veröffentlichungen darlegte. Zu den frühen Publikationsprojekten der Mauriner zählten die Acta Sanctorum ordinis S. Benedicti, eine quellenkritische Edition der Viten aller Heiligen des Benediktinerordens. 25 Um dieses Vorhaben auf eine möglichst breite archivalische Basis zu stellen, hatten Luc d’Achéry und sein Schüler, Jean Mabillon (1632-1707), die Klöster der Kongregation sowie andere Klöster angeschrieben und sie um Zusendung von originalen Dokumenten oder beglaubigten Abschriften gebeten; darüber hinaus hatte sich Mabillon auf ausgedehnte Forschungsreisen begeben. Auf diese Weise war es ihm gelungen, eine unglaubliche Fülle von Quellen zu erschließen, die er kritisch auswertete. Dabei zögerte er nicht, Heilige, die bislang dem Benediktinerorden zugerechnet worden waren, auszuscheiden, wenn es mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit keinen Bezug zum Orden gab. 26 Mabillons Zugang zu den Quellen führte zu Widerspruch - innerhalb, aber auch außerhalb der Kongregation. Die Angelegenheit spitze sich zu, als 23 Vgl. hierzu auch die 1663 im Druck erschienenen Statuten [ohne Autor], Règles communes et particulières pour la Congregation de Saint Maur, ohne Ort 1663, 79-93. 24 Das gesamte Schreiben ist abgedruckt bei P AUL D ENIS , Documents sur l’organisation des études dans la congrégation de Saint-Maur, in: Revue Mabillon 6 (1910), 133-156, 437-453 und 7 (1911), 169- 204, hier 6 (1910), 137-140; eine deutschsprachige Zusammenfassung des in 25 Punkte untergliederten Schreibens bei W EITLAUFF , Mauriner (wie Anm. 15), 175f. Weiterführend vgl. C HAUSSY , Les Bénédictins de Saint-Maur, Bd. 1 (wie Anm. 15), 67-69. 25 Der erste Band erschien 1668: L UCAS D’A CHERY / J OHANNES M ABILLON , Acta Sanctorum ordinis S. Benedicti in saeculorum classes distributa: Saeculum I. quod est ab anno Christi D. ad DC. [...], Paris 1668. 26 In seiner 1678 verfassten Schrift Mémoires pour justifier le procédé que j’ay tenu dans l’édition des vies de nos saints hält Mabillon fest: Le premier caractere d’un historien est d’aimer et de chercher la verité. C’est une obligation qui luy est indispensable, et il en fait une profession publique („Die wichtigste Eigenschaft eines Historikers ist es, die Wahrheit zu lieben und zu suchen. Dies ist für ihn eine unentbehrliche Verpflichtung und er macht daraus ein öffentliches Bekenntnis“). Das französische Zitat nach P AUL D ENIS , Dom Mabillon et sa méthode historique. Mémoire justificatif sur son édition des Acta Sanctorum O. S. B., in: Revue Mabillon 6 (1910), 1-64, hier 10. Vgl. weiterführend auch die Brèves réflexions sur quelques règles de l’histore von Mabillon abgedruckt bei O DON H UREL (Hrsg.), Le moine et l’historien Dom Mabillon. Œuvres choisies (précédées d’une biographie par dom Henri Leclerq), Paris 2007, 932-951. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 31 1675 der zweite April-Band der von den Bollandisten in Antwerpen herausgegebenen Acta Sanctorum erschien: 27 Bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert hatte die nach dem Jesuiten Jean Bolland (1596-1665) benannte Arbeitsgruppe intensive hagiographische Studien betrieben, die auf Quellenkritik basierten. Nun legte der Jesuit und Bollandist Daniel Papebroch (1628-1714) Regeln zur Klärung der Echtheit alter Urkunden dar und behauptete, alle Urkunden des 6. Jahrhunderts seien Fälschungen: „Je älter eine Urkunde sich gebe, desto suspekter sei sie.“ 28 Dies gelte für Königsurkunden ebenso wie für päpstliche Bullen. Ohne es beabsichtigt zu haben, provozierte Papebroch mit seinen Äußerungen den Unmut der Mauriner, die einige ihrer Ordensniederlassungen als merowingische Gründungen betrachteten und sogar im Besitz von merowingischen Königsurkunden waren. 29 Dass ihre Wurzeln nun möglicherweise nicht so weit zurückreichen sollten, wie bislang angenommen, und die Urkunden gefälscht sein sollten, war in ihren Augen nicht akzeptabel. Aus diesem Grund erhielt Mabillon den Auftrag, Papebrochs Thesen entgegen zu treten. In der ihm eigenen Gründlichkeit machte sich Mabillon ans Werk. Dabei kamen ihm seine enormen Kenntnisse (unter anderem von etwa 1000 Urkunden) und seine riesige Materialsammlung zugute. Die Basis, auf die sich Mabillon stützen konnte, war deutlich breiter als die Papebrochs. Mabillon vertrat den Standpunkt, dass hohes Alter allein grundsätzlich kein Kriterium sei, an der Echtheit einer Urkunde zu zweifeln. Um ein Dokument als echt oder falsch einstufen zu können, müsse man vielmehr eine ganze Reihe von Merkmalen (Format, Schrift, Interpunktion, Siegel etc.) beachten. Unabdingbar sei dabei der Vergleich mit anderen Urkunden, die nach Art, Zeit, Gruppe und Landschaft dem zu untersuchenden Schriftstück nahe stünden. 1681 publizierte Mabillon seine Ergebnisse unter dem Titel De re diplomatica libri VI 30 - ein Werk, zu dem Papebroch nur gratulieren konnte: Mabillon hatte ein „Handbuch“ der Diplomatik und Paläographie erarbeitet. 27 Zu den Bollandisten vgl. u.a. H IPPOLYTE D ELEHAYE , L’œuvre des Bollandistes. 1619-1915, Brüssel 1920; P AUL P EETERS , L’œuvre des Bollandistes, Brüssel 2 1961; D AVID K NOWLES , Great Historical Enterprises. Problems in Monastic History, London 1963, 1-32; K ARL H AUSBERGER , Das kritische hagiographische Werk der Bollandisten, in: S CHWAIGER , Historische Kritik (wie Anm. 15), 210-244; J AN M ARCO S AWILLA , Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert: Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch, Tübingen 2009. 28 W EITLAUFF , Mauriner (wie Anm. 15), 191f. 29 Zusammenfassend zur Auseinandersetzung zwischen Mabillon und Papebroch vgl. ebd., 191-197 und H AUSBERGER , Bollandisten (wie Anm. 27), 226f. 30 J OHANNIS M ABILLON , De re diplomatica libri VI [...], Paris 1681; H ENRI L ECLERQ , Mabillon, 2 Bde., Paris 1953, hier Bd. 1, 154-180. Zum Titelkupfer vgl. K INTZINGER , Chronos und Historia (wie Anm. 11), 181f. und Abb. 150. - Das in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrte Exemplar von Mabillons Der re diplomatica libri VI, das auch das 1704 erschienene Supplementum beinhaltet, ist digitalisiert und im Internet abrufbar: http: / / 141.20.150.220/ mabillon/ index.html (20.1.2009). Huberta Weigl 32 Quellenkritische Geschichtsforschung wurde auch anderenorts betrieben. In Bayern war es, wie schon erwähnt, Karl Meichelbeck, der die Quellen Benediktbeuerns erstmals kritisch auswertete. 31 Den Anstoß hierfür bot allerdings nicht das Chronicon Benedictoburanum, sondern der 1697 entbrannte Rechtsstreit zwischen dem Kloster und den Eremiten am nahe gelegenen Walchensee. 32 Im Raum des heutigen Österreich zählte Bernhard Pez zu den ersten Verfechtern der historisch-kritischen Methodik. Paläographie oder Diplomatik waren jedoch bei seiner Arbeit an der Bibliotheca Benedictina kein Thema methodischer Reflexion. 33 Darüber hinaus fehlten Pez die personelle Infrastruktur und der organisatorische Rückhalt einer Kongregation, wie sie Mabillon zur Verfügung stand. 34 Das maurinische „Vorbild“ konnte also gar nicht in vollem Umfang greifen, selbst, wenn Pez es gewünscht hätte. 35 Mit Bernhard Pez stand der Abt des Stiftes Göttweig, Gottfried Bessel (reg. 1714-1749), in Verbindung, der als erster im deutschsprachigen Raum 31 Meichelbeck musste sich die Werke Mabillons aus Kloster Tegernsee borgen, da der Abt von Benediktbeuern unter Verweis auf die Bauausgaben des Klosters ihre Anschaffung abgelehnt hatte. K ARL M INDERA , Die Jugend Karl Meichelbecks und sein Weg zur Geschichtsforschung, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80 (1969), 61-104, hier 96f. Zu weiteren bayerischen Klöstern, die der Arbeitsweise der Mauriner folgten, vgl. Q UARTHAL , Reformation (wie Anm. 1), 335-337. 32 Meichelbecks Suche machte sich bezahlt. Er fand den Quellentext, der die Auseinandersetzung zugunsten Benediktbeuerns entschied. Dass Meichelbeck den entscheidenden Fund machte, obwohl er damals nur das Amt des Bibliothekars bekleidete, erfüllte ihn mit besonderem Stolz. In seinem Tagebuch berichtet er: Du findest in der Bibliothek ein uraltes Manuskript über die Teilung des Forstes auf der Halbinsel im Wallersee, geschrieben um 1100. Du staunst mit anderen, dass diejenigen, die für die Sache zuständig sind [gemeint: der Archivar Angelus von Rehling], ähnliches keineswegs finden. Ich zeige, es dem Abt, der eine Abschrift anzufertigen befahl. Zit. in: M INDERA , Die Jugend Karl Meichelbecks (wie Anm. 31), 97. 33 Thomas W ALLNIG , Bernhard Pez und die Mauriner. Die Entstehung eines gelehrten Kontaktes im Spannungsfeld zwischen Vorbildhaftigkeit und Anregung, in: D ANIEL -O DON H UREL (Hrsg.), Érudition et commerce épistolaire. Jean Mabillon et la tradition monastique, Paris 2003, 153-175, hier 166. Es wäre lohnend, wenn die von Thomas Wallnig aufgeworfene Frage, wie „maurinisch“ die Arbeitsweise von Pez überhaupt war, auch am Beispiel anderer „maurinischer“ Autoren außerhalb Frankreichs verstärkt diskutiert werden würde. Die Folge wäre zweifelsohne eine differenziertere Sicht auf den „deutschen Maurinismus“. Zu diesem Begriff im Zusammenhang mit Bernhard Pez vgl. u.a. L UDWIG H AMMERMAYER , Zum „deutschen Maurinismus“ des frühen 18. Jahrhunderts. Briefe der Benediktiner P. Bernhard Pez (Melk) und P. Anselm Desing (Ensdorf) aus den Jahren 1709 bis 1725, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40 (1977), 391-444. 34 Die 1625 gegründete österreichische Benediktinerkongregation, der Melk angehörte, konnte sich zunächst aufgrund des Widerstands der Diözese Passau und des Fehlens einer starken Führungsperson nicht entfalten. Im späten 17. Jahrhundert scheinen dann die Klöster selbst das Interesse an der Kongregation verloren zu haben. C LEMENS L ASHOFER , Die österreichische Kongregation (ab 1625), in: U LRICH F AUST / F RANZ Q UARTHAL (Bearb.), Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum (Germania Benedictina, Bd. 1), St. Ottilien 1999, 545-566. - Seit 1699 gehörte Melk auch der Kongregation von Monte Cassino an, was freilich in erster Linie rechtliche Folgen hatte. W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4), 90f. Zum monastischen Umfeld von Melk und seiner Bedeutung für die Bibliotheca Benedictina vgl. ebd., 88-92. Studienreisen durch Österreich und Süddeutschland führte Pez erst ab 1714 durch. 35 W ALLNIG , Bernhard Pez und die Mauriner (wie Anm. 4), 164-168. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 33 umfassend Urkundenkritik betrieb. 36 Den Anlass gab das Chronicon Gotwicense, ein auf mehrere Bände angelegtes Werk, für dessen Realisierung ihm Pez Franz Joseph von Hahn (1699-1747) als Mitarbeiter vermittelte. 37 Die Chronik sollte die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die der österreichischen Länder und schließlich eine nach Äbten gegliederte Geschichte des Stiftes Göttweig vom Mittelalter bis in die Gegenwart beinhalten. Im Unterschied zu Meichelbeck beabsichtigte Bessel also, die Geschichte des eigenen Klosters in einen sowohl zeitlich als auch regional weit gespannten Kontext einzubinden. Das ehrgeizige, durch Quellen gut dokumentierte Unternehmen blieb allerdings ein Torso. Erschienen ist 1732 nur der erste, 890 Seiten umfassende Band. 38 Dieser erörtert unter anderem Fragen der Kodikologie sowie Paläographie und beinhaltet Abbildungen zahlreicher Urkunden deutscher Könige und Kaiser beginnend mit Konrad I. (reg. 911-918) bis Friedrich II. (reg. 1220-1250). Was die Anwendung der historisch-kritischen Methode im deutschen Sprachraum betrifft, waren die Projekte von Meichelbeck, Pez und Bessel von großer Bedeutung, sie dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Neben den neuen Ansätzen hatte die mehr oder minder methodisch unreflektierte, kompilatorische Hausgeschichtsschreibung weiterhin Bestand. 39 Unkritische Kompilationen waren nach wie vor an der Tagesordnung, 40 wobei es immer wieder Autoren gab, die selbst vor Fälschungen nicht zurückschreckten. 41 36 T ROPPER , Urkundenlehre (wie Anm. 1), 26. 37 E MMERAM R ITTER , Gottfried Bessel - Der „deutsche Mabillon“, in: Gottfried Bessel (1672-1749). Diplomat in Kurmainz - Abt von Göttweig. Wissenschaftler und Kunstmäzen, Mainz 1972, 203- 215, hier 211. Ergänzend vgl. auch P ETER G. T ROPPER , Von der Urkunde zur Chronik. Zur Arbeitstechnik historischer Forschung im frühen 18. Jahrhundert anhand des Chronicon Gotwicense, in: U LFRIED B URZ / M ICHAEL D ERNDARSKY / W ERNER D ROBESCH (Hrsg.), Brennpunkt Mitteleuropa (Festschrift für Helmut Rumpler zum 65. Geburtstag), Klagenfurt 2000, 63-81. Zu Franz Joseph von Hahn vgl. T ROPPER , Urkundenlehre (wie Anm. 1), 31f. 38 [B ESSEL ], Chronicon Gotwicenese (wie Anm. 2). Vgl. R ITTER , Gottfried Bessel (wie Anm. 37); T ROPPER , Urkundenlehre (wie Anm. 1), 26-55; L ECHNER / G RÜNWALD , Gottfried Bessel (wie Anm. 2), 82-85 (Gottfried Bessel als Wissenschaftler). 39 Zu Beispielen vgl. u.a. Q UARTHAL , Reformation (wie Anm. 1), 334; K RAUS , Benediktinische Geschichtsschreibung (wie Anm. 1), 115. 40 Dass diese Werke dennoch Wertschätzung verdienen, betont Jean Mabillon in seinem Traité des études monastiques (Paris 1691). Er hält fest: Auch sollte man abschreibende Historiker, Verfasser von Auszügen oder Kompilatoren nicht verachten. Es kann nämlich sehr wohl sein, wie ein neuerer Autor zutreffend anmerkte [Bonaventure d’Argonne, Lectures des Pères, Paris 1688, 99], dass ein Abschreiber ein Original korrigiert oder erklärt, dass ein Kompilator die von ihm angeschriebenen Autoren in bestimmter Hinsicht treffend aufeinander abstimmt oder dass ein Auszug besser nachvollziehbar ist als der Originaltext oder diesen aufgrund mangelnder Überlieferung, Verkürzung oder Verstümmelung mancher Teile sogar ersetzen muss. Zit. nach der deutschen Übersetzung des Traité hrsg. von C YRILL S CHÄFER , Jean Mabillon. Über das Studium der Mönche, St. Ottilien 2008, 261. 41 Im Zisterzienserstift Lilienfeld beispielsweise schloss Chrysostomus Hanthaler (1690-1754) unliebsame Lücken der Stiftsgeschichte, indem er mittelalterliche Dokumente nachträglich ergänzte und diese Ergänzungen anschließend als authentische Quellen für seine Fasti Campililenses (Linz 1747-1757) benutzte. M ICHAEL T ANGL , Die Fälschungen Chrysostomus Hanthalers, in: Mitteilungen des Insti- Huberta Weigl 34 3. Wege der Informationsbeschaffung 3.1. Der Gang ins Archiv und seine Folgen So unterschiedlich Zuschnitt, Aufbau, Anspruch und Methodik der einzelnen historiographischen Unternehmungen waren, basierten sie in der Regel doch auf umfangreichen Literatur- und Quellenstudien. Die Recherchen begannen zunächst meist im eigenen Kloster, allerdings waren die Arbeitsbedingungen dort nicht immer optimal. Nur allzu oft lagerte das Schriftgut in verschiedenen Truhen, Schränken, Schachteln, Säcken oder Taschen und war nicht verzeichnet. Vor dem Studium der Dokumente mussten diese zunächst geordnet und durch ein Repertorium erschlossen werden. 42 Prädestiniert für diese Aufgabe war - sofern bereits vorhanden - der hauseigene Archivar, wobei in Einzelfällen durchaus auch der Abt bzw. Propst persönlich für Ordnung sorgte. 43 Die Ordnungsarbeiten hatten ihrerseits Konsequenzen: Wurden schriftliche Dokumente lange Zeit als Teil des Kirchenschatzes betrachtet und folglich gemeinsam mit anderen wertvollen Gegenständen an verschiedenen Orten (oft in der Sakristei) aufbewahrt, richteten die Klöster im 17. Jahrhundert erstmals eigene Räume ein, die ausschließlich der Verwahrung von Schriftstücken und vermutlich auch Plänen dienten. 44 Im Regelfall tuts für Österreichische Geschichtsforschung 19 (1898), 1-54; P ETER M OLECZ , Die Hanthaler- Fälschungen im Lilienfelder Nekrolog am Beispiel der Schwestern des Heiligen Leopold. Ein Beitrag zur barocken Wissenschaftsgeschichte und Babenbergergenealogie, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 11 (2003), 341-384. 42 H ELGA P ENZ , Die Prälatenarchive, in: J OSEF P AUSER / M ARTIN S CHEUTZ / T HOMAS W INKELBAU- ER (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, Wien / München 2004, 686-695, hier 688. Siehe auch das Stift Göttweig, wo sich das Archiv bei Amtsantritt Abt Gottfried Bessels 1714 in völliger Unordnung befand. Die Quellen berichten, die Documenta lägen in den Kästen und Laden herum, ein Repertorium fehle und bedeutende Akten seien verbrannt worden, weil man sie als wertlos eingestuft habe. Der 1712 entlassene Stiftshauptmann Andre Christoph von Aichburg habe allerhand Originale mitgenommen. Sogar die 1083 ausgestellte Stiftungsurkunde befinde sich nicht im Kloster, da sie zusammen mit Prozessakten zu einem Advokaten nach Wien gebracht worden sei. R ITTER , Gottfried Bessel (wie Anm. 37), hier 205. 43 Im Augustiner-Chorherrenstift Herzogenburg ordnete beispielsweise Propst Frigdian Knecht das Archiv. Dabei fand er prompt den verschollenen Stiftungsbrief wieder. Das 1781 neu angelegte Stiftsinventar berichtet: Bey Gelegenheit der unter dem Herrn Probst Frigdian beschehnen Beschreibung der sich vorfindenden Urkunden hat sich bey Durchsehung sothaner Schrifften der durch lange Zeit hin vermißte Hauptstifftbrief samt der Übersetzungsurkunde desselben wieder vorgefunden, welcher nun in einer von Messing verferttigten Behaltnis versperrter im Archiv besonders aufbewahrt [...] sich befindet. Zit. in: H EL- GA P ENZ , Kloster - Archiv - Geschichte. Schriftlichkeit und Überlieferung im Augustiner- Chorherrenstift Herzogenburg in Niederösterreich (1300-1800), Diss. phil. Mskpt., Wien 2004, 19. 44 E DGAR K RAUSEN , Alte Archivräume und Archiveinrichtungen. Bildbericht über Kloster- und Stiftsarchive in Bayern, Schwaben und Österreich, in: Archive. Geschichte - Bestände - Technik. Festgabe für Bernhard Zittel (Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern, Sonderheft 8), München 1972, 28- 33; P ENZ , Prälatenarchive (wie Anm. 42), 687. - Der Themenbereich der Klosterbibliotheken bleibt in dem vorliegenden Beitrag bewusst ausgeklammert; vgl. hierzu u.a. E DGAR L EHMANN , Die Biblio- Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 35 Abb. 3: Kloster Fischingen, Archiv, 1767. lag das Archiv in der Klausur und besaß eine rein funktionale Ausstattung, die aus Truhen und / oder Schränken (mit und ohne Laden 45 ) bestand. Das Mobiliar war häufig transportabel, damit man die Bestände bei einem Brand rasch evakuieren konnte. Eine besondere künstlerische Ausstattung (Deckenmalerei, Stuck) besaßen die Archive - trotz ihrer Bedeutung als „Erinnerungs-“ bzw. „Gedächtnisräume“ 46 - im Regelfall nicht. Sie waren einfache Depoträume. Allerdings gab und gibt es bis heute Ausnahmen. Zu diesen zählt das 1767 eingerichtete Archiv im ehem. Benediktinerkloster Fischingen (Abb. 3), das sich als künstlerisch aufwändig gestalteter Raum präsentiert. Die Holzschränke sind bemalt, und die Decke ist mit dem Wappen des Bauherren Abt Nikolaus Degen (reg. 1747-1776) sowie jenen der klösterlitheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des Barock, 2 Bde., Berlin 1996; J OHANNES D UFT , Schweizer Klosterbibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert, in: P AUL R AABE (Hrsg.), Öffentliche und Private Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert. Raritätenkammern, Forschungsinstrumente oder Bildungsstätten (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 2), Bremen / Wolfenbüttel 1977, 119-141; A LOIS S CHMID , Die Rolle der bayerischen Klosterbibliotheken im wissenschaftlichen Leben des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ebd., 143-186. 45 Gab es Laden, waren diese im Regelfall mit Nummern versehen. Die Nummern wurden ihrerseits auf die betreffenden Dokumente geschrieben und dienten als Signatur. 46 Weiterführend vgl. A LEIDA A SSMANN , Erinnerungsräume. Formen und Wandlung des kulturellen Gedächtnisses, München 2003; W OLFGANG E RNST , Das Archiv als Gedächtnisort? , in: P AUSER / S CHEUTZ / W INKELBAUER , Quellenkunde (wie Anm. 42), 1113-1130. Huberta Weigl 36 Abb. 4: Stift Stams, Archiv, 17. Jahrhundert. chen Herrschaften geschmückt. 47 Die Sorgfalt, mit der man in Fischingen das Archiv ausstattete, hatte wohl einen besonderen Grund: Der Raum scheint ausgewählten Gästen zugänglich gewesen zu sein. 48 Für diese Annahme spricht neben der aufwändigen, farbenprächtigen Ausstattung auch die Lage. In Fischingen schließt das Archiv direkt an das sog. Wappenzimmer an, in dem der Abt seine Gäste empfing; es ist also Teil der Prälatur. 49 47 Über den Schränken ist zudem in großen Lettern der Name von Abt Nikolaus Degen zu lesen. Zu dem Raum und seiner Ausstattung vgl. A LBERT K NOEPFLI , Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau, Bd. 2: Der Bezirk Münchwilen, Basel 1955, 189f.; Barockes Fischingen, Ausst.-Kat., Fischingen 1991, 241f. 48 Führt man diesen Gedanken weiter, erscheint es denkbar, dass der Abt Besuchern hier auch das eine oder andere wertvolle Dokument vorgelegt und erklärt hat. Die Frage nach der Zugänglichkeit von Klosterarchiven wurde meines Wissens noch nicht gestellt. Vermutlich ließen sich - ähnlich wie im Fall der Bibliotheken - Beispiele aufzeigen, in denen ein Archiv nicht nur als Depotraum verstanden wurde. Vgl. für den hier ausgeklammerten Bereich der Bibliotheken beispielsweise die Bibliothek des Stiftes Melk, die hochrangigen Gäste nachweislich zugänglich war. H UBERTA -A LEXANDRA W EIGL , Die Klosteranlagen Jakob Prandtauers, Diss. phil. Mskpt., Wien 2002, 96 (Drucklegung als Teil einer Prandtauer-Monographie in Vorbereitung). 49 Siehe die Stifte Herzogenburg und Melk, wo es ebenfalls einen Archivraum in der Prälatur gibt, allerdings ist dieser in beiden Fällen weitgehend schmucklos. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 37 Der Archivbestand eines Klosters umfasste das Schriftgut in Hausangelegenheiten und geistlichen Dingen sowie die Grundherrschaft betreffende Dokumente. Den kostbarsten Bestand bildeten die Urkunden, da sie Rechte und Besitztitel des Klosters nachwiesen. 50 Die anlässlich des Todes von Frigdian Knecht (reg. 1740-1775), dem Propst von Herzogenburg, 1775 verfasste Trauerrede betont genau diesen Aspekt: Er sorget für den Nutzen seines Stiftes [...] Bereichert es noch weit mehr [...], bereichert es, sage ich, mit seinen eigenen Schriften, indem er in seiner geschäfftigen Einsamkeit alle Handschriften und Urkunden des Stifts nach der Zeitrechnung in Ordnung bringt, sie in Bücher theilet, mit kritischen und historischen Anmerkungen beleuchtet, und dadurch den wichtigen Vortheil verschaffet, dass man die bis in diese Zeit immer ungewisse Reihe seiner Vorfahren vollständig kennet, und solche Beweise für die Besitzung und Rechte des Stifts findet, die alles außer Zweifel setzen. 51 Trotz ihrer Bedeutung wurden die Urkunden, wie alle anderen Schriftstücke, in Laden, Schränken oder Truhen verwahrt. Lediglich im Zisterzienserstift Stams lagern sie seit dem 17. Jahrhundert unverschlossen - und damit raumprägend - in aufgerolltem Zustand auf Holzstiften (Abb. 4 und 5). Der wertvollste „Archivschatz“ ist hier in seiner ungeheuren Fülle auf einen Blick zu erfassen; allerdings liegen die beiden Urkundenräume im Klausurbereich und waren Klosterfremden nicht zugänglich. 3.2. Die Suche nach den Grablegen der Stifter und Gründer Die hauseigene Forschung beschränkte sich keineswegs nur auf die archivalischen Quellen. Immer wieder wandten sich die Klöster auf der Suche nach den eigenen Wurzeln auch den dinglichen Quellen zu. Besonderes Augenmerk galt den Grablegen der Stifter und Gründer, die oft samt ihren In- 50 P ENZ , Prälatenarchive (wie Anm. 42), 687. 51 Zit. in: P ENZ , Kloster - Archiv - Geschichte (wie Anm. 43), 48. Abb. 5: Stift Stams, Archiv, Urkunden auf Holzstiften. Huberta Weigl 38 schriften aufgenommen bzw. abgezeichnet wurden. 52 Eine besonders ausführliche Form der Dokumentation wählte der Propst des Augustiner-Chorherrenstiftes Baumburg, Patritius Mändl (reg. 1658-1688), der unter dem Titel Mnemosynon Antiquitatis Baumburgicae ein 127 Blatt starkes „Grabdenkmälerbuch“ anlegen ließ. 53 In der Regel ist jedem Denkmal ein Blatt gewidmet: Auf der recto-Seite findet sich der lateinische Kommentar, auf der verso-Seite eine Zeichnung des Denkmals in Kombination mit einer Abschrift der Inschrift. Insgesamt beinhaltet der Codex 80 Zeichnungen von Inschriften und Wappendenkmälern, 54 darunter auch eine Zeichnung der Deckplatte des Hochgrabes für die im 11. Jahrhundert verstorbene Stifterin, Gräfin Adelheid von Frontenhausen-Lechsgemünd. Waren Grablegen bedeutender Persönlichkeiten nicht bekannt, forschte man nach. Mabillon beispielsweise suchte 1656 das Grab des Abtes Guibert von Nogent (reg. 1104 - um 1124), dessen Werke der Bibliothekar von Saint-Germain-des-Prés, Luc d’Achéry, kurz zuvor ediert hatte, und grub den Boden der Abteikirche Notre-Dame de Nogent auf. 55 Einen Schritt weiter ging der Abt des Prämonstratenserstiftes Wilten (Innsbruck) Andreas Mayr (reg. 1621-1650): Gegen den Willen des Konvents ließ er die an den Turm der Klosterkirche angebaute Johanneskapelle abbrechen, weil er dachte, an dieser Stelle die Überreste des sagenhaften Klostergründers, des Riesen Haymon, aus dem 9. Jahrhundert zu finden. Bedauerlicherweise blieb seine Suche nicht nur erfolglos, zu allem Überdruss stürzte auch noch der Turm ein und beschädigte das Kirchengebäude schwer. 56 3.3. Gelehrte Netzwerke: Briefe und Reisen Sobald ein Vorhaben über ein einzelnes Kloster hinaus wies, musste der Autor ergänzend zum Studium der hauseigenen Literatur, Quellen und Denk- 52 Der 1648 von Luc d’Achéry präsentierte Forschungsplan für die Klöster der Kongregation von S. Maur sah dies sogar explizit vor; alle Grabstätten von hervorragenden Fürsten und Prälaten sollten registriert werden. W EITLAUFF , Mauriner (wie Anm. 15), 176. 53 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 1339. Vgl. S IEGRID D ÜLL , Das „Mnemosynon Antiquitatis Baumburgicae“ von 1660. Vorbericht zur Dokumentation der Inschriftendenkmäler des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes Baumburg, in: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde 32 (1990), 30-47; D IES ., Die Inschriftendenkmäler im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Baumburg, in: Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst in München e.V. 19 (1993), 7-260. 54 Der Neubau der Klosteranlage (ab 1688) sowie der Klosterkirche (1755-1758) und schließlich der teilweise Abbruch des Klosterkomplexes im Zuge der Säkularisation zerstörten zahlreiche Denkmäler, die in dem Codex festgehalten sind. 55 Mabillon war eigentlich nach Nogent geschickt worden, um sich von körperlichen Beschwerden zu erholen. Die Aufgabe, die Hühner des Klosters zu hüten, empfand er jedoch rasch als zu langweilig; darüber hinaus ließ ihm sein Forscherdrang keine Ruhe. L ECLERQ , Mabillon (wie Anm. 30), Bd. 1, 47-50; W EITLAUFF , Mauriner (wie Anm. 15), 180. 56 In der Folge wurde die Kirche ab 1651 neu errichtet. M ICHAEL K RAPF , Die Baumeister Gumpp, Wien / München 1979, 87 und 290. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 39 mäler weitere Maßnahmen ergreifen, um in den Besitz der notwendigen Informationen zu gelangen. Vorrangiges Mittel der Materialbeschaffung waren Briefe, 57 die zur Vereinfachung der überregionalen Kommunikation zumeist in lateinischer Sprache verfasst waren. 58 Je nachdem, ob und wie sehr das Anliegen bei dem betreffenden Empfänger auf offene Ohren stieß, lieferte dieser mehr oder weniger ausführliche Hinweise oder Abschriften; auch Bücher wurden regelmäßig verschickt, wobei das Netzwerk der Orden den Leihverkehr erleichterte. Auf externe Informationen angewiesen war beispielsweise Abt Bessel, als er mit den Arbeiten für das Chronicon Gotwicense begann. Um die Dokumente genau beurteilen zu können, bemühte er sich nicht nur um Abschriften, sondern auch um Pausen. 59 Während Bessel ausschließlich auf den betreffenden Empfänger zugeschnittene Briefe schrieb, begann Bernhard Pez seine Informationssuche mit einem inhaltlich standardisierten Rundschreiben, das er an hochgestellte Persönlichkeiten und Institutionen des Benediktinerordens sandte. 60 Die Unmöglichkeit, das Vorhaben einer Bibliotheca Benedictina alleine zu realisieren, erläuterte er darin wie folgt: Nachdem ich am Beginn und im Laufe meiner Niederschrift gewahr geworden war, dass dieses Werk von großen und vielen Schwierigkeiten strotze, sandte ich viele Briefe in die verschiedenen Länder Europas und bat besonders die Klöster unseres Ordens, dass sie Namen, Lob usw. aller ihrer Professen, die irgendwann im Ruf der Schriftstellerei standen, an mich senden mögen. 61 Ausgehend von diesem Aufruf entwickelte sich ein reger Briefverkehr. Bald stand Pez in Kontakt mit zahl- 57 T HOMAS W ALLNIG , Gelehrtenkorrespondenzen und Gelehrtenbriefe, in: P AUSER / S CHEUTZ / W IN- KELBAUER , Quellenkunde (wie Anm. 42), 813-827. 58 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das „Geständnis“ von Bernhard Pez gegenüber dem Mauriner René Massuet, dass er kein Französisch könne und sich deshalb der lateinischen Sprache bediene. W ALLNIG , Pez und die Mauriner (wie Anm. 4), 154. 59 Den Tegernseer Abt Gregor Plaichshirn (reg. 1726-1762) bat Bessel beispielsweise 1726 um einige copias von denen ienigen diplomatibus, chartis pagensibus, instrumentis, tabulariis et aliis documentis [...] de saeculo VIII. IX vel Xmo sambt einer kleinen abzeichnung des etwan daran getruckhten Insigels [...] umb dardurch ein oder andres simplex narratum authentice bestärckhen zu können. Zit. in: T ROPPER , Urkundenlehre (wie Anm. 1), 34. Mit der Bitte um Pausen wandte sich Bessel 1724 auch an Meichelbeck. Dieser hatte allerdings Zweifel im Hinblick auf die Methode des Abpausens von Dokumenten. Meichelbeck schreibt: ob dergleichen alte original Documenta auf das durchscheinige papier ohne laesion können gebracht werden, stehe ser an, weilen solche originalia zimmlich zerkrippelt und ohne gefahr der darinn sich befindenden ganz modrigen Sigillen nit wohl können auseinandergezogen und das durchscheinige papier accurate darauf figiert werden. dahero ich auch einzig und allein auf die copierung der Monogrammatum und Sigillorum habe reflexion gemacht. Zit. in: P ETER G. T ROPPER , Das Stift von der Gegenreformation bis zur Zeit Josephs II., in: Geschichte des Stiftes Göttweig 1083-1983. Festschrift zum 900-Jahr-Jubiläum (Studien und Mitteilungen des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Bd. 94), St. Ottilien 1983, 232-344, hier 309. 60 Von diesem Rundschreiben sind bislang sieben Exemplare bekannt. Sie gingen an den Abt von B 3 evnov / Breunau, den Abtpräses der Bayerischen Benediktinerkongregation, den Abt von St. Pantaleon in Köln, die Maurinerkongergation in Paris, den Abt von Metten und an den Historiker Benedetto Bacchini. W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4), 9. 61 Zit. in: ebd., 9f. Huberta Weigl 40 reichen Gelehrten Europas. 62 Eine noch größere Breitenwirkung konnte ein Aufruf erlangen, wenn er publiziert wurde: Pez beschritt diesen Weg 1716, indem er sein Projekt in den Leipziger Acta eruditorum bewarb. 63 Der Abt des Klosters Etival, Charles Louis Hugo (reg. 1722-1739), der eine Geschichte des Prämonstratenserordens plante, veröffentlichte seinen Aufruf mit genauen Hinweisen auf die benötigten Informationen 1720. 64 Reichten Briefe, Rundschreiben oder gedruckte Aufrufe nicht aus, um genug Material zu erhalten, begab sich mancher Autor auf Reisen. 65 Dies brachte zwei wichtige Vorteile: Zum einen bot sich die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch mit Bibliothekaren, Archivaren oder anderen Gelehrten, zum anderen konnten neu aufgefundene Quellen gleich im Original studiert und abgeschrieben 66 oder abgezeichnet werden. 67 62 Ein großer Teil der in Melk ab 1709 eingegangenen Briefe hat sich erhalten. Vgl. C HRISTINE G LASS- NER , Verzeichnis der im Nachlass der Melker Historiker Bernhard und Hieronymus Pez erhaltenen Briefe, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 110 (1999), 195-243. Unter der Leitung von Thomas Wallnig ist derzeit am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien eine Edition der ca. 1000 Schreiben umfassenden Pez-Korrespondenz in Arbeit (START-Projekt „Monastische Aufklärung und die Benediktinische Gelehrtenrepublik“). Die Edition der Briefe aus den Jahren 1709-1715 ist eben erschienen: T HOMAS W ALLNIG / T HOMAS S TOCKINGER , Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, Bd. 1: 1709-1715 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 2/ 1), Wien / München 2010. 63 W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4), 10. 64 Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr MDCCXX, Leipzig 1720, 108-112 [19. Februar 1720]. In dem Aufruf werden die gewünschten Informationen (Bullen der Päpste, Chronologie der Äbte, geschriebene Werke, Historien der Heiligen etc.) genau angeführt. 65 Siehe zum Beispiel die verschiedenen Reisen von Gabriel Bucelin, Jean Mabillon und Bernhard Pez sowie die Rom-Reise von Gottfried Henschen und Daniel Papebroch. Zur Reisetätigen Bucelins vgl. N EESEN , Gabriel Bucelin (wie Anm. 4), passim. - Zu den Reisen Mabillons vgl. A RTHUR B AUCKNER , Mabillons Reise durch Bayern im Jahre 1683, München 1910; H EER , Johannes Mabillon und die Schweizer Benediktiner (wie Anm. 1), insbes. 98-108; L ECLERQ , Mabillon (wie Anm. 30), passim. - Zu den Reisen von Bernhard Pez vgl. H AMMERMAYER , Zum „Deutschen Maurinismus“ (wie Anm. 33), 398-403. - Zur Rom-Reise von Gottfried Henschen und Daniel Papebroch vgl. U DO K INDERMANN , Kunstdenkmäler zwischen Antwerpen und Trient. Beschreibungen und Bewertungen des Jesuiten Daniel Papbroch aus dem Jahre 1660 (Erstedition, Übersetzung und Kommentar), Köln / Weimar / Wien 2002. 66 In Anbetracht der Leistungsfähigkeit einer Einzelperson dürfte die Materialfülle, die sich oftmals darbot, manchem Historiographen Anlass zur Freude, zugleich aber auch zur Frustration gegeben haben. Nur in Ausnahmefällen waren die Arbeitsbedingungen so optimal wie im Fall der Bollandisten Gottfried Henschen und Daniel Papebroch. Als sie sich 1660 im Zusammenhang mit der Arbeit an den Acta Sanctorum auf Einladung von Papst Alexander VII. von Antwerpen nach Rom begaben, öffneten sich dort nicht nur die Tore der „Vaticana“, sondern es stand ihnen über Jahre hinweg auch ein halbes Dutzend Schreibkräfte zur Verfügung. H AUSBERGER , Bollandisten (wie Anm. 27), 222-225. 67 Siehe beispielsweise Gabriel Bucelin, der „mit Stift und Zirkel“ unterwegs war und zahlreiche Kirchen, Klöster, Epitaphien, Stifterbilder und Wappen in Zeichnungen festhielt. T HOMAS J. S TUMP , Mit Stift und Zirkel. Gabriel Bucelinus (1599-1691) als Zeichner Kartograph, Architekt und Kunstfreund, Sigmaringen, 1976. Zu den Reisen von Bucelin und seinem Schaffen als Historiograph vgl. N EESEN , Gabriel Bucelin (wie Anm. 65), passim. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 41 4. Kunst 4.1. Bewahren statt neu bauen Im Laufe des 17. Jahrhunderts erfasste eine tief greifende Welle baulicher Modernisierung die Klöster. Die bis dahin weitgehend mittelalterlichen Anlagen wurden erneuert und zugleich neu ausgestattet. Diese Maßnahmen waren freilich selten so weit reichend, dass die Vergangenheit gänzlich ausgelöscht wurde. Oft wurden Ausstattungsstücke, einzelne Trakte oder Bauteile bewahrt. Auf besonders eindrucksvolle Weise begegnen uns zeitgleich Alt und Neu in den zahlreichen „barockisierten“ Kirchenräumen. 68 Die Möglichkeiten, eine mittelalterliche Klosterkirche im 17. und 18. Jahrhundert zu modernisieren, waren vielfältig: 69 Als man 1672 begann, die aus dem 14. Jahrhundert stammende Zisterzienserklosterkirche Lubi az / Leubus zu modernisieren, beschränkte man sich auf eine Neuausstattung des Baus (Altäre, Kanzel, Chorgestühl, Bilderzyklus / Öl auf Leinwand). 70 Der architektonische Bestand wurde, wie auch bei zahlreichen anderen Zisterzienserklosterkirchen (ein Ordensspezifikum? ), kaum angetastet. Mittelalter und Barock trafen sichtbar aufeinander und hatten - bis in die 1940-er Jahre - nebeneinander Bestand (Abb. 6 und 7). Ganz anders als in Leubus ging man bei der 1715 begonnenen Modernisierung (die Quellen sprechen von Reparirung) der Augustiner-Chorherrenklosterkirche St. Nikola in Passau, einer dreischiffigen Staffelhallenkirche, vor. 71 Das spätgotische Gewölbe wurde abgebrochen und durch eine neue Wölbung ersetzt, die gotischen Pfeiler samt Diensten ummantelt und die so entstandenen neuen Pfeiler mit einer Pilastergliederung versehen (Abb. 8). Der mittelalterliche Raum verschwand hinter der barocken Hülle - eine Vorgangsweise, die die Bauinschrift am Triumphbogen, EX GOTHICA IN NOVAM FORMAM RE- DACTA MDCCXVI., als besondere Leistung würdigt. Wiederum einen anderen Weg beschritt man ab 1720 bei der Deutschordenskirche in Wien. Hier wollte man Etwas Altes und Etwas Newes Beysammen dem Aug prasentire[n]; die Alt gottische form sollte bewahrt werden, iedoch unter einem zu die- 68 Die Modernisierung mittelalterlicher Kirchenbauten im süddeutschen Raum beleuchtet umfassend VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae (wie Anm. 7). 69 Zu den verschiedenen „Modi“ vgl. ausführlich ebd., 55-156. 70 E RNST B ADSTÜBNER / D IETMAR P OPP / A NDRZEJ T OMASZEWSKI / D ETHARD VON W INTERFELD (Hrsg.), Dehio Handbuch der Kunstdenkmäler Polen. Schlesien, München / Berlin 2005, 559-563; A NDRZEJA K OZIELAM (Hrsg.), Opactwo Cystersów w Lubi az i arty s ci (Acta Universitatis Wratislaviensis 3012, Historia sztuki XXVI), Wroclaw 2008. 71 L UDGER D ROST , St. Nikola in Passau. Kunstgeschichte des einstigen Augustinerchorherrenstiftes von 1067 bis heute, Passau 2003, 117-148. Der Begriff der Reparirung zit. in: ebd., 118. Huberta Weigl 42 sen Zeiten bey der Newen architecturkunst üblichen Oval modells 72 . So wurden den Wänden innen, zwischen den eingezogenen Strebepfeilern, einschwingende Füllmauern vorgeblendet und der Dekor barock-gotisch (ornato di stucho alla Gotica) ausgeführt (Abb. 9). Nicht nur bei Kirchenbauten, sondern auch bei Klosteranlagen - ein von der Forschung bislang noch nicht in größerem Zusammenhang gewürdigtes Phänomen - gab es unterschiedliche Möglichkeiten der Modernisierung: Im Fall des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz wurde beispielsweise in den mittelalterlichen Kernbereich des Klosters, bestehend aus Kreuzgang, Kapitelsaal, Fraterie und Dormitorium, niemals entscheidend baulich eingegriffen; bis heute hat sich die Anlage des 12. und 13. Jahrhunderts nahezu 72 Zit. in: C HRISTIANE S ALGE , Anton Ospel. Ein Architekt des österreichischen Spätbarock (1677- 1756), München / Berlin / London / New York 2007, 255; weiterführend zu dem Bau ebd., 168-177 und 255f. Ergänzend vgl. neuerdings auch M ANFRED K OLLER , Barockisierte Gotik und gotisierender Barock. Befund und Restaurierung der Deutschordenskirche in Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LXI (2007), 456-467. Abb. 6: Leubus, Klosterkirche, ohne Ausstattung aus der Barockzeit (Foto: 2000). Abb. 7: Leubus, Klosterkirche des 14. Jahrhunderts mit Ausstattung von Michael Willmann (Ölbilder) und Matthias Steinl (Altäre, Chorgestühl) aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts (Foto: 1940er Jahre). Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 43 Abb. 8: Passau, St. Nikola, Klosterkirche, „Barockisierung“ der mittelalterlichen Klosterkirche durch Jakob Pawanger ab 1715, Pfeiler mit frei gelegtem gotischem Dienst (Foto: 2005). Huberta Weigl 44 Abb. 9: Wien, Deutschordenskirche, Umgestaltung in barock-gotischen Formen des aus dem 14. Jahrhundert stammenden Baus durch Anton Johann Ospel 1720-1722. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 45 Abb. 10: Dürnstein, Stiftshof, Westtrakt, nach 1714/ 15. unverändert erhalten. 73 Dennoch ist das Zeitalter des Barock nicht spurlos an Heiligenkreuz vorüber gegangen: Ab 1613 wurde der Westtrakt, der in einer Flucht mit der Kirchenfassade steht, zur Prälatur umgestaltet. 20 Jahre später errichtete man an der Stelle des frühgotischen Refektoriums ein barockes Refektorium. 1637-1642 wurde schließlich als wichtigste bauliche Maßnahme das Geviert südlich des Kreuzgangs, die sog. „Quadratura“ erbaut, wodurch das Kloster erheblich vergrößert wurde. Im Unterschied zu Heiligenkreuz gab es in Dürnstein keinen Raum für eine Erweiterung. Seit jeher umschließt auf drei Seiten das enge Gefüge der Stadt das kleine, verwinkelte Augustiner-Chorherrenstift, und auf der vierten Seite fließt die Donau. Die 1714/ 15 begonnene Modernisierung hatte daher eine Adaptierung des vorhandenen Baus zum Ziel. 74 Der hier eingeschlagene Weg erinnert an die „Barockisierung“ von St. Nikola: Wie im Fall der Passauer Augustiner-Chorherrenkirche wurde auch in Dürnstein der bestehende Bau umhüllt; den Trakten des 14. bis 17. Jahrhunderts wurden neue Fassaden vorgeblendet und zwar so geschickt, dass der Besucher den Eindruck gewinnt, eine Klosteranlage des 18. Jahrhunderts vor sich zu haben. Allein der in der Barockzeit für ein Kloster ungewöhnliche zweigeschossige (statt 73 Allgemein zur Klosteranlage vgl. D AGOBERT F REY , Die Denkmale des Stiftes Heiligenkreuz (Österreichische Kunsttopographie, Bd. 19), Wien 1926. Zu den mittelalterlichen Teilen vgl. zuletzt M ARKUS T HOME , Kirche und Klosteranlage der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz. Die Bauteile des 12. und 13. Jahrhunderts (mit einem Beitrag von H ARALD W. M ÜLLER ), Petersberg 2007. 74 L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Die Baugeschichte des Augustiner-Chorherrenstiftes Dürnstein und das „neue Kloster“ des Propstes Hieronymus Übelbacher, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 26 (1973), 96-198; H ELGA P ENZ / A NDREAS Z AJIC (Hrsg.), Stift Dürnstern. 600 Jahre Kloster und Kultur in der Wachau (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 51), Horn / Waidhofen an der Thaye 2010. Huberta Weigl 46 Abb. 11: St. Paul im Lavanttal, Stiftskirche, Südportal, 1618 aus Teilen des abgebrochenen mittelalterlichen Lettners errichtet. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 47 zumindest dreigeschossige) Aufriss (Abb. 10) könnte den Verdacht aufkommen lassen, dass hier nicht alles so „neu“ ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Konserviert wurden neben Kirchen und Klosteranlagen auch einzelne Bauteile. Das Südportal der Benediktinerstiftskirche St. Paul im Lavanttal (Abb. 11) beispielsweise besteht aus verschiedenen Teilen des 13. Jahrhunderts (Gewändesäulen, Kelchblattkapitelle, Tympanon), ist in dieser Zusammenstellung jedoch ein Werk aus dem Jahr 1618. Wie Forschungen ergeben haben, ließ Abt Hieronymus Marchstaller (reg. 1616-1638) das Portal aus wertvollen Stücken des 1617 abgebrochenen Lettners errichten. 75 Die vernichtete Vergangenheit lebt in dem Portal also fort, wobei es nicht unerheblich ist, dass Marchstaller in der Inschrift den Gründern des Klosters dankt und selbst aufgrund seiner besonderen Leistungen (Erneuerung des Klosterlebens, Sanierung der Wirtschaft etc.) bereits von den Zeitgenossen als fundator monasterii bzw. secundus fundator 76 bezeichnet wurde. Zeitgleich als Bewahrer und Erneuerer agierte auch der Propst des Augustiner-Chorherrenstiftes Gurk, Georg von Vizedom (reg. 1617-1648), der nach längeren Planungen den Bildhauer Michael Hönel 1626 mit der Anfertigung eines neuen Hochaltars beauftragte, 77 die Altarmensa aus der Zeit um 1200, eine außerhalb Italiens nur selten anzutreffende Cosmatenarbeit, jedoch bewahrte und mit seinem Wappen versehen ließ (Abb. 12). Die angeführten Beispiele zeigen, dass es eine Vielzahl an Möglichkeiten gab, Klosterkirchen und -anlagen zu modernisieren. Über die Gründe, warum ein Bau „barockisiert“ und nicht neu errichtet wurde, geben die Quellen leider nur selten Auskunft. 78 Mit Sicherheit spielten sehr oft praktische Überlegungen eine Rolle; wer den bestehenden Bau bewahrte, konnte ihn weiter nutzen und - abhängig von der gewählten Vorgangsweise - Kosten sowie Zeit sparen. Darüber hinaus konnten, wie Meinrad von Engelberg dargelegt hat, die positive Einstellung des Auftraggebers zur mittelalterlichen Tradition sowie die künstlerische Qualität entscheidend für den behutsamen Umgang mit der architektonischen Vergangenheit sein. 79 Was die angeführten Bauten betrifft, ist zumindest bei der Klosterkirche von Leubus, der Wie- 75 E RIKA D OBERER , Studien zum Südportal der Kärntner Stiftskirche St. Paul, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 23 (1970), 232-238; S CHMIDT , reverentia und magnificentia (wie Anm. 7), 200-202. 76 F RIEDRICH W ILHELM L EITNER , Abt Hieronymus Marchstaller (1616-1638), der „zweite Gründer“ des Stiftes, in: Schatzhaus Kärntens. Landesausstellung St. Paul. 900 Jahre Benediktinerstift, Bd. 2 (Beiträge), Ausst.-Kat., St. Paul / Lavanttal 1991, 175-188, hier 177. 77 H ELLMUT L ORENZ (Hrsg.), Barock. Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, München / London / New York 1999, 521, Nr. 237 (I NGEBORG S CHEMPER -S PARHOLZ ). 78 Vgl. dazu auch die Feststellung bei VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae (wie Anm. 7), 493. 79 Ebd., 490. Vgl. neuerdings auch die Fallstudie zur Zisterzienserklosterkirche von Sedlec / Sedletz: Š T / PÁN V ÁCHA , Antiquitatis illustre monimentum. Die Klosterkirche in Sedletz und ihre Restaurierung von 1700-1709, in: Um 0 ní LVI, Nr. 5 (2008), 384-408. Huberta Weigl 48 Abb. 12: Gurk, Stiftskirche (heute: Dom), Hochaltar von Michael Hönel (1626) mit Altarmensa aus der Zeit um 1200. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 49 ner Deutschordenskirche und der Klosteranlage von Heiligenkreuz zu vermuten, dass die Wertschätzung des mittelalterlichen Baus, den Anlass gab, diesen zu bewahren. 4.2. Stifter, Gründer und Patrone Auch vor der Barockzeit haben Klöster ihre Geschichte visualisiert und Stifter, Gründer sowie Patrone ins Bild gesetzt. 80 Im 17. und 18. Jahrhundert geschah dies jedoch in einem bislang nicht da gewesenen Ausmaß und unter Einsatz einer ungeheuren Vielfalt an Medien. Eine besondere Rolle spielte nun vor allem die Wand- und Deckenmalerei, die gleichberechtigt neben die Tafelmalerei trat. 81 Die beiden zentralen Themen waren das Leben der Kirchen- und Ordenspatrone sowie die Gründung und Stiftung der Klöster. Letztere wurden als Teil des göttlichen Heilsplans verstanden und häufig mit der Gegenwart (des 17. bzw. 18. Jahrhunderts) verschränkt. Auf besonders anschauliche Weise setzt das zwischen 1689 und 1694 entstandene Fresko im nördlichen Seitenschiff der ehemaligen Benediktinerklosterkirche Tegernsee Ereignisse aus der mittelalterlichen Geschichte mit dem aktuellen Geschehen in Beziehung (Umschlagbild dieses Bandes): 82 Der Inschrift zufolge zeigt das Fresko die Wiederherstellung und die Zuwächse (Güterschenkungen und Privilegien) des Klosters dank der Zuwendungen mehrerer Kaiser (RESTAURATIO ET ACCESSIONES MONASTERII PER IMPERATO- RES), von denen allerdings nur einer, nämlich Heinrich II. (deutscher König 1002-1024, römischer Kaiser 1014-1024), als Person im Bild präsent ist; die beiden anderen, Otto II. (reg. 973-983) und Friedrich I. (deutscher König 1152-1190, römischer Kaiser 1155-1190), sind nur durch eine Urkunde vertreten, die die Daten ihrer Schenkungen, Privilegienerteilungen etc. nennt. Den zeitlichen Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart spannt Heinrich II. selbst, indem er mit der Linken auf eine mit seinem Namen und den Jahreszahlen 1002, 1009, 1019 und 1020 bezeichnete Ur- 80 „Nahezu jede geistliche Gemeinschaft bemühte sich um eine bildliche Darstellung ihres Gründers oder ihrer Gründer.“ C HRISTINE S AUER , Fundatio et Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild. 1100 bis 1350, Göttingen 1993, 13. 81 Vgl. die in Anm. 6 angeführte Literatur. Ergänzend vgl. für Süddeutschland die einzelnen Bände des seit 1976 erscheinenden Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland. Zum Aufstieg der Geschichte an die Decke vgl. K ARL M ÖSENEDER , Zur Ikonologie und Topologie der Fresken, in: B RU- NO B USHART / B ERNHARD R UPPRECHT (Hrsg.), Cosmas Damiam Asam (1686-1739). Leben und Werk, München 1986, 28-42. 82 H ERMANN B AUER / B ERNHARD R UPPRECHT (Hrsg.), Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, Bd. 2 (Freistaat Bayern, Regierungsbezirk Oberbayern: die Landkreise Bad-Tölz, Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen, Miesbach), München 1981, 591f. Das Fresko befindet sich an der Westwand des nördlichen Seitenschiffs. Es bildet das Pendant zu Darstellung der Gründung an der Westwand des südlichen Seitenschiffs; ebd., 590f. (vgl. auch Beitrag B AUER im vorliegenden Band, Abb. 2) Huberta Weigl 50 kunde und mit der Rechten auf den Plan der barocken Klosteranlage deutet. Dass die Umsetzung des Projektes zum Entstehungszeitpunkt des Freskos gerade voll im Gange war (Baubeginn: 1678), unterstreicht die Gemahlin Heinrichs II., Kunigunde, die auf die Baustelle weist. Das Fresko verdeutlicht, dass die Rechtsakte des 10. bis 12. Jahrhunderts die Grundlage für den Abb. 13: Stift Lambach, Statue des hl. Adalbero, um 1636. Abb. 14: Lambach, Stiftskirche, Grabmal des hl. Adlabero, Deckplatte, 1652-1656. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 51 Fortbestand des Klosters bis in die Gegenwart und die Basis für die bauliche Erneuerung im 17. Jahrhundert bildeten. Ohne diese spezifische Vergangenheit gäbe es diese Gegenwart nicht, so könnte die Aussage eines zeitgenössischen Betrachters gelautet haben. Die Darstellung von Stiftern, Gründern und Patronen war selbstverständlich nicht der Malerei vorbehalten. Immer wieder wurden bedeutende Persönlichkeiten aus der Geschichte auch als Skulptur im Raum inszeniert. In Fürstenfeld beispielsweise steht der Stifter des Klosters, Herzog Ludwig der Strenge (reg. 1253-1294), an der Nordseite des Chorbogens, 83 wo er zusammen mit dem Deckenfresko gesehen werden will, in dem er den Bauplan der Klosterkirche der Ecclesia übergibt. 84 Besonderes Augenmerk wurde den Grablegen der Gründer und Stifter geschenkt. Im Benediktinerstift Lambach erfuhr die Verehrung des hl. Adalbero (1045-1085 Bischof von Würzburg, 1883 heilig gesprochen), der das Kloster 1056 gegründet hatte und hier 1090 gestorben war, im 17. Jahrhundert einen gewaltigen Aufschwung. Entscheidend dafür waren verschiedene Wunder sowie die Tatsache, dass 1619 erstmals eine Beschreibung seines Lebens im Druck erschienen ist. Die besondere Verehrung des Klostergründers hatte Auswirkungen auf die Kunst: Um 1636 ließ Abt Philipp Nagel (reg. 1634-1640) eine Kupfer getriebene, lebensgroße Statue des hl. Adalbero anfertigen (Abb. 13), die, wenn sie nicht gerade bei einer Prozession Verwendung fand, auf einer eisernen Liegestatt über dem Grab des Heiligen in der Stiftskirche ruhte. 85 Im Zuge des Kirchenneubaus errichtete man dem Gründer schließlich in den Jahren 1652 bis 1656 ein Marmorhochgrab (Abb. 14), um sein Andenken dauerhaft zu ehren. 86 Ein ungewöhnliches Beispiel eines Stifterdenkmals hat sich in Kremsmünster erhalten: das zwischen 1606 und 1608 errichtete Guntherdenkmal (Abb. 15), das angeblich genau an jener Stelle steht, an der Gunther, der Sohn Herzog Tassilos (um 741 - nach 794), während einer Jagd durch einen 83 B RIGITTA K LEMENZ , Klosterkirche Fürstenfeld, Zwischen Zeit und Ewigkeit, Regensburg 2004, Abb. auf S. 113. 84 Vgl. Beitrag B AUER im vorliegenden Band, Abb. 5. Zu den Fresken vgl. zuletzt A NNA B AUER -W ILD , Die Fresken der Klosterkirche, in: W ERNER S CHIEDERMAIR (Hrsg.), Kloster Fürstenfeld, Lindenberg 2006, 165-178. 85 Dieser barocken Inszenierung des Grabmals ging ein hölzernes Hochgrab aus der Zeit um 1300 voran, das ebenfalls mit der Figur des hl. Adalbero geschmückt war. Das Haupt der mittelalterlichen Skulptur dürfte die Vorlage für den Kopf der in Kupfer getriebenen Figur gebildet haben. Die Kasel wurde vermutlich im 18. Jahrhundert erneuert; die Bemalung stammt aus dem 19. Jahrhundert. E RWIN H AINISCH , Die Kunstdenkmäler des Gerichtsbezirkes Lambach (Österreichische Kunsttopographie, Bd. 34, Die Kunstdenkmäler des politischen Bezirkes Wels, 2. Teil), Wien 1959, 197f. und Im Fluss - Am Fluss. 950 Jahre Benediktinerstift Lambach, Ausst.-Kat., Lambach 2006, 62f., Nr. 5.16. 86 1789 wurde das Hochgrab, das in der Mitte des Langhauses stand, abgebrochen; der Tumbadeckel wurde in einen Pfeiler im Langhaus der Stiftskirche eingemauert. H AINISCH , Lambach (wie Anm. 85), 121f. und Abb. 98; Im Fluss (wie Anm. 85), 138, Nr. 16.11. Huberta Weigl 52 Abb. 15: Stift Kremsmünster, Hopfengarten, Johann Baptist Spaz, Guntherdenkmal, 1606-1608. Eber tödlich verwundet wurde. 87 Den architektonischen Rahmen bildet nicht, wie sonst bei Stifterdenkmälern üblich, die Klosterkirche, sondern eine künstliche Grotte samt Wasserbassin im weitläufigen Gartenareal des Klosters. Gunther selbst liegt am Boden, neben ihm bzw. zu seinen Füßen der Eber, sein Jagdhund und ein Ochse. Dass die Stifter- und Gründerthematik auch im Kunstgewerbe ihren Ausdruck fand, zeigt die Schleiermonstranz des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg (Abb. 16 und 17), die 80 cm misst und die Auffindung des Schleiers durch Markgraf Leopold III. (um 1075-1136; 1485 heilig gespro- 87 L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Das Stift als Neuzeitliche Anlage, in: Österreichische Kunsttopographie, Bd. 43: Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes Kremsmünster, 1. Teil (Das Stift - Der Bau und seine Einrichtung), Wien 1977, 172-486, hier 479-483. Zur Gründungsgeschichte vgl. W ILLIBRORD N EUMÜLLER , 1200 Jahre Kremsmünster, in: ebd., 60-78, hier 60f. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 53 chen) darstellt. 88 Der Babenberger kniet in Begleitung von zwei Jagdhunden zu Füßen des Holunderbaums, in dem sich der Schleier seiner Frau Agnes verfangen hat; links im Baum erscheint die Muttergottes, die Leopold III. den Befehl gibt, am Auffindungsort des Schleiers ein Kloster zu gründen. 89 Den Anstoß für die Anfertigung der überaus wertvollen Monstranz gab das 600-jährige Jubiläum der Grundsteinlegung zur Klosterkirche, das 1714 mit einem mehrtägigen Fest Zu Ehren des göttlichen Leopold, des frommen Heiligen Gründers des berühmten Stiftes Klosterneuburg und der Markgrafschaft Österreich 90 begangen wurde. Im Rahmen solcher Gründungsfeste - sie wurden im 17. und 18. Jahr- hundert von vielen Klöstern gefeiert - wurde die Geschichte des jeweiligen Klosters unter Einsatz aller Medien inszeniert: 91 Festpredigten rühmten die legendäre Klostergründung, priesen die Tugenden und Leistungen 88 C LEMENS K IESER , Die Memorialmonstranzen von Ingolstadt und Klosterneuburg. Studien zur Ikonologie der barocken Goldschmiedekunst, Tübingen 1998, passim. 89 Zu weiteren Darstellungen der Gründungsgeschichte von Klosterneuburg vgl. F LORIDUS R ÖHRIG , Wenn Bilder zu Geschichte werden. Die Gründungslegende des Stiftes Klosterneuburg, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 78 (2007), 225-234. 90 J OHANNES K ESS , Trifaria domus austriacae gloria [...], Wien 1714, zit. in: Ernest Perger (1707- 1748). Propst des Stiftes Klosterneuburg, ein großer Sohn der Stadt Horn, Ausst.-Kat., Horn 1998, 114, Nr. 3.11. (J OHANNES S TOLL ). Zum Fest, speziell den ephemeren Ehrenpforten, vgl. L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Matthias Steinl, Wien / München 1966, 89-91 und 243f. 91 Eines der ersten Klöster, das sein - 900-jähriges - Bestehen feierte, war das Benediktinerstift Kremsmünster (vgl. Beitrag A PPUHN -R ADTKE im vorliegenden Band). Eine umfangreiche Auflistung weiterer Klosterjubiläen bietet der Beitrag von S TEFAN W. R ÖMMELT , Die Auseinandersetzung mit der Aufklärung in der benediktinischen Festkultur des 18. Jahrhunderts, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 114 (2003), 249-273, hier 269-273. Zur klösterlichen Festkultur, die seit einigen Jahren zunehmend in den Blickpunkt der Forschung rückt, vgl. u.a. U RSULA B ROSSETTE , Theatrum virtutis et gloriae - Barocke Freskenprogramme und Altargemälde im liturgischen Festkontext einer Säkularfeier, in: „mit kalkül & leidenschaft“. Inszenierung des Heiligen in der bayerischen Barockmalerei, Bd. 1, Landshut 2003, 124-161; M ANFRED K NEDLIK / G E- ORG S CHROTT (Hrsg.), Solemnitas. Barocke Festkultur in Oberpfälzer Klöstern, Kallmünz 2003. Abb. 16: Stift Klosterneuburg, Schleiermonstranz, Matthias Steinl (Entwurf) und Johann Baptist Känischbauer (Ausführung), 1714. Huberta Weigl 54 Abb. 17: Stift Klosterneuburg, Schleiermonstranz, Detail. wichtiger Persönlichkeiten; ephemere Dekorationen schmückten den Klosterbezirk und den Kirchenraum; Feuerwerke und Musik untermalten das Geschehen, an dem oft Tausende von Besuchern teilnahmen. Besonders eindrucksvoll müssen für die Gläubigen die Theateraufführungen und Prozessionen gewesen sein, da hier Stifter und Gründer plötzlich wieder „lebendig“ waren und für kurze Zeit unter ihnen weilten. 4.3. Reihen: Prälatengalerien und Ordensstammbäume Die ungebrochene Tradition, nun aber ausschließlich auf personeller Ebene, dokumentieren die sogenannten Prälatengalerien, also Bildzyklen, die - nach Möglichkeit - alle Äbte bzw. Pröpste eines Klosters darstellen. Einer Fürsten- oder Ahnengenealogie gleich wurde jedem Prälaten ein eigenes Bild gewidmet, das ihn entweder ganzfigurig oder als Bruststück zeigte. Fallweise fasste man die Prälatenreihe auch zusammen und stellte sie, wie zum Beispiel in Dürnstein (Abb. 18), auf einer einzigen Tafel dar. 92 Zu den wichtigsten 92 Solche Tafeln haben sich unter anderem in den ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiften Ranshofen und Rottenbuch sowie im ehemaligen Prämonstratenserkloster Weißenau erhalten. Die Rottenbucher Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 55 Beigaben zählt das Wappen des Prälaten; am unteren Bildrand findet sich oftmals eine kurze Inschrift, die Lebensbzw. Regierungsdaten und Verdienste des Porträtierten nennt. Besondere Leistungen können zusätzlich durch Attribute, etwa eine Urkunde, einen Plan oder eine Ansicht, gewürdigt werden. Um die Gesichtszüge möglichst authentisch wiederzugeben, griff man auf im Kloster vorhandene Vorlagen zurück; gab es von einem Prälaten kein Bildnis, fertigte man notgedrungen ein fiktives Porträt an. 93 Fehlten Lebens- und Regierungsdaten, wertete man die hauseigenen schriftlichen Quellen aus. So verkündet beispielsweise eine Inschrift im Kreuzgang des ehemaligen Zisterzienserklosters Wettingen, wo sich ein ungewöhnlicherweise aus Stuckfiguren bestehender Äbtezyklus findet (Abb. 19), Abt Peter Schmid (reg. 1597-1621) habe die Namen, Nachnamen und Wappen mit wissen- Pröpstetafel, die Teil eines Flügelaltares ist, wurde bereits im späten 16. Jahrhundert begonnen und bis 1802 fortgeführt. H ANS P ÖRNBACHER (Hrsg.), Rottenbuch. Das Augustinerchorherrenstift im Ammergau. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur, Weißenhorn 1980, Abb. 15. Zur Ranshofener Pröpstetafel, die um 1699 anlässlich der 800-Jahrfeier des Stiftes entstand, vgl. 900 Jahre Stift Reichersberg. Augustiner Chorherren zwischen Passau und Salzburg, Ausst.-Kat. des Stiftes Reichersberg am Inn, Linz 1984, 322, Nr. 4.33. Zur Weißenauer Äbtetafel vgl. zusammenfassend H IMMELEIN , Alte Klöster (wie Anm. 10), 79, Nr. I. 22 (I NGO G ABOR ). 93 Im Fall der 55 Äbteporträts, die der Maler Franz Ludwig Hermann im Auftrag des Abtes von St. Peter auf dem Schwarzwald Philipp Jakob Steyrer (reg. 1749-1795) malte, wurden zunächst alle im Kloster vorhandenen Vorlagen zusammen gesucht. Für diejenigen Äbte, von denen es kein älteres Porträt gab, saß der Konvent Modell. Die Porträts der restlichen Äbte wurden frei erfunden. In dem 1752 abgeschlossenen Vertrag wird diese Vorgangsweise wie folgt erläutert: [...] ferners gehörte 55 HH. Abbates theils, und sovill den würkhlich abgemahlter dahier zu finden, abzu copiren, einige, und zwar sovill dermahlen Conventualen sich finden, hiernach abzu Contrafäten, die übrige aber möglichster maßen zu inventieren. Zit. in: W OLFGANG R EINHARD , Ehrensaal der Geschichte? Die „Äbte-Galerie“ im Kreuzgang von St. Peter und das Bild des Konvents von der eigenen Vergangenheit, in: H ANS -O TTO M ÜHLEI- SEN (Hrsg.), Das Vermächtnis der Abtei. 900 Jahre St. Peter auf dem Schwarzwald, Karlsruhe 1993, 15-38, hier 15. Abb. 18: Stift Dürnstein, Kreuzgang, Pröpstetafel, Öl auf Leinwand, um 1729. Huberta Weigl 56 Abb. 19: Wettingen, Kreuzgang, Äbtezyklus, ab 1609. schaftlichem Fleiß aus dem Dunkel der Archive ans Licht gezogen und sichtbar gemacht. 94 Prälatengalerien wandten sich - je nachdem, wo sie aufgehängt bzw. angebracht waren - an den Konvent und weltliche Gäste. 95 Fallweise sind sie Teil eines größeren Ensembles: Die Wettinger Äbtegalerie wird beispielsweise durch einen Zyklus von Bischöfen und Erzbischöfen sowie einen Zyklus von Kardinälen und Päpsten aus dem Zisterzienserorden ergänzt. 96 Und die Äbtegalerie von St. Peter auf dem Schwarzwald hat in den 14 formatgleichen Bildern der Zähringer, also der Stifterfamilie (11.-13. Jahrhundert), ihr Pendant, 97 die ebenso auf Wunsch von Abt Philipp Jakob Steyrer (reg. 1749-1795) angefertigt wurden, wie der 45-teilige Zyklus mit der Vita des hl. Benedikt. 98 94 P ETER H OEGGER , Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 8: Der Bezirk Baden III: Das ehemalige Zisterzienserkloster Marisstella in Wettingen, Basel 1998, 234. Der Zyklus zeigt die Äbte Wettingens von 1227 bis 1840, wobei Abt Peter Schmid die Bildnisse seiner ersten 12 Nachfolger noch selbst auf Vorrat anfertigen ließ. 95 Im Augustiner-Chorherrenstift Herzogenburg hängen große Teile des Pröpstezyklus am Gang vor der Prälatur; vier Bilder, darunter das Porträt von Frigdian Knecht, der den Zyklus 1768 in Auftrag gab (die Reihe wird seitdem regelmäßig um das Porträt des aktuell amtierenden Propstes ergänzt), sind im Festsaal angebracht. R UPERT F EUCHTMÜLLER , Rundgang durch das Stift: Die Prälatenkapelle, Frigdianikapelle, Schatzkammer, in: Herzogenburg. Das Stift und seine Kunstschätze, Ausst.-Kat. des Stiftes Herzogenburg, Wien 1964, 32-36, hier 35 und Abb. 20, 21, 78. - Der Äbtezyklus im ehemaligen Benediktinerkloster St. Peter auf dem Schwarzwald war wohl immer schon für den Kreuzgang bestimmt. R EINHARD , Ehrensaal (wie Anm. 93), 35. 96 H OEGGER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 94), 234-238. 97 V OLKHARD H UTH , Appellatives Stiftergedenken, oder: Selbstverteidigung mit künstlerischen Mitteln, in: M ÜHLEISEN , Vermächtnis (wie Anm. 93), 223-267, hier 229. 98 A LBERT S CHMIDT , Das ideale Leben des Patrons. Der Benediktszyklus von Franz Ludwig Herrmann, in: M ÜHLEISEN , Vermächtnis (wie Anm. 93), 57-80. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 57 Komplexer strukturiert als Prälatenzyklen sind Ordensstammbäume, die sich im 17. und 18. Jahrhundert vor allem in der Druckgraphik und als Ölbilder finden. 99 Ein besonders schönes Beispiel hat sich im Benediktinerstift Lambach erhalten (Abb. 20). 100 Der 1721 entstandene und 93,5 x 64 cm große Stammbaum zeigt im unteren Teil den hl. Benedikt umgeben von Päpsten, Königen und Königinnen im Ordenskleid, Kardinälen, Bischöfen, Äbten, Mönchen und Ordensfrauen. Hinter dem Ordensgründer wächst ein Baum auf, in dessen Zweigen weitere Päpste, Kardinäle, Bischöfe und Äbte zu sehen sind. Als Besonderheit halten alle Personen einen Wappenschild oder ein Gemälde mit dem Titelheiligen einer Stiftung. Während der Benediktinerstammbaum in Lambach die Vertreter des Ordens zeigt, möchte der 133 x 100 cm große Stammbaum in Reichersberg 101 (Abb. 21) dem Betrachter die ungeheure Fülle an Klöstern (958), die dem Augustiner-Chorherrenorden im 18. Jahrhundert angehörten, samt ihren Gründungsdaten vor Augen führen. Die Schilde der mittleren drei Reihen sind mit den Namen der 23 bayerischen Augustiner-Chorherrenklöster, den Namen der Gründer und den - vermeintlichen - Gründungsjahren bezeichnet. Die übrigen Schilde nennen die einzelnen Kongregationen bzw. Länder, in denen die Augustiner- Chorherren damals vertreten waren, die jeweilige Anzahl von Klöstern sowie einzelne Gründer oder hervorragende Vertreter des Ordens. 5. Geschichtsschreibung und Kunst Nachdem bisher Geschichtsschreibung und Kunst weitgehend getrennt thematisiert wurden, soll nun nach den Berührungspunkten und Wechselwirkungen beider Bereiche gefragt werden. Am offensichtlichsten ist der Zusammenhang zwischen Historiographie und Kunst bzw. Text und Bild naturgemäß bei illustrierten Geschichtswerken. Programmatische Aussagen zum Inhalt eines Werks treffen die Frontispize (Abb. 1). Andere Abbildungen dienen, wie etwa die Kupferstiche mit den Schriftproben in Mabillons De re diplomatica libri VI, entweder der näheren Erläuterung des geschriebenen Wortes oder, wie zum Beispiel die Zeichnungen im Baumburger „Grab- 99 Einige Beispiele erwähnt in: M AURITIUS B ERTRAM L ENZ , Der Stammbaum der Lateranensischen Regularkanoniker. Interpretation eines Bildes aus dem frühen 17. Jahrhundert, Dipl.arbeit theol. Mskpt., Wien 1990, 19-22. Vgl. zudem H IMMELEIN , Alte Klöster (wie Anm. 10), 77f., Nr. I.18- I.20. Eine größere Studie zu Ordensstammbäumen fehlt. 100 H AINISCH , Lambach (wie Anm. 85), 279, 282; Im Fluss - Am Fluss (wie Anm. 85), 58f., Nr. 5.9. 101 900 Jahre Stift Reichersberg (wie Anm. 92), 405, Nr. 16.72. Huberta Weigl 58 Abb. 20: Stift Lambach, Joseph Gottfried Prechler, Stammbaum des Benediktinerordens, Malerei auf Pergament, 1721. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 59 Abb. 21: Stift Reichersberg, Stammbaum des Augustiner-Chorherrenordens, Öl auf Leinwand, 18. Jahrhundert. Huberta Weigl 60 denkmälerbuch“, der Dokumentation. 102 Darüber hinaus gibt es bildliche Elemente, die lediglich als Buchschmuck dienen (künstlerisch gestaltete Initialen, Vignetten etc.). Zu den am reichsten illustrierten Werken der klösterlichen Geschichtsschreibung zählt das bereits mehrfach angesprochene Chronicon Gotwicense, das zwei Titelkupfer, drei Landkarten, 40 Urkundentafeln, 23 Vignetten sowie neun weitere Kupferstiche enthält. 103 Besonderes Augenmerk verdienen in unserem Zusammenhang die Tafeln mit den Urkunden: Gelang es Bessel, (leihweise) mittelalterliche Kaiser- und Königsurkunden im Original zu erhalten, ließ er diese für sein Chronicon „faksimilieren“. Dabei wurde Papier in eine Mischung aus Honig und Wachs getaucht und auf diese Weise durchsichtig gemacht. Danach platzierte man das Papier auf das Original, das im nächsten Arbeitsschritt abgepaust wurde. Die präparierten Pausen konnte man schließlich verkehrt auf die Kupferplatte legen und mit Blei nachziehen. 104 Der Wunsch nach Authentizität hatte im Fall des Chronicon Gotwicense also nicht nur Auswirkungen auf den Text, sondern auch auf die Art der Illustration. Stehen Wort und Bild, wie im Chronicon Gotwicense, unmittelbar nebeneinander, ist es ein Leichtes, die verschiedenen Bezüge und Wechselwirkungen nachzuvollziehen. Wie aber verhalten sich Historiographie und Kunst abseits des Kontextes eines Buchs oder einer Handschrift zueinander? Lieferte die Geschichtsschreibung der bildenden Kunst die Inhalte? 102 Der Dokumentation, zugleich aber auch der Repräsentation dienen ferner die topographischen Ansichten, die sich in verschiedenen historiographischen Werken finden. Im Regelfall wird im Text jedoch nicht auf die Ansichten eingegangen. Auf Klosterebene siehe beispielsweise das 1702 erschienene Chronicon Mellicense (wie Anm. 4), dem als Stich eine Ansicht des Stiftes Melk sowie jeweils ein Grundriss der alten und der damals gerade in Planung befindlichen neuen Stiftskirche beigebunden sind. Auf Ordensebene siehe beispielsweise die mit Ansichten illustrierte Geschichte der deutschsprachigen Benediktiner des Augsburger Benediktinerpaters Karl Stengel (1581-1663): K ARL S TENGEL , Monasteriologia in qua insignium aliquot monasteriorum familiae S. Benedicti in Germania [...], 2 Bde., Augsburg 1619 und 1638. - Eine umfassende Studie zu Klosteransichten des 17. und 18. Jahrhunderts fehlt bislang. Für den niederösterreichischen Raum vgl. R ALPH A NDRASCHEK - H OLZER , Das Bild vom Kloster. Ansichten niederösterreichischer Ordenshäuser von 1470 bis 1800, St. Pölten 2004; D ERS ., Niederösterreichische Klöster im Bild, G. M. Vischer und die Entstehung der neuzeitlichen Klosteransicht, St. Pölten 2004. - Mit ordensspezifischen Ansichtenserien beschäftigt sich eine größere Studie, die die Verfasserin mit Gabriele Dischinger (München) vorbereitet. 103 Das graphische Kabinett des Stiftes Göttweig verwahrt hierzu zahlreiche Vorzeichnungen, Andrucke (in mehreren Zuständen) und die originalen Kupferplatten. Vgl. G REGOR M ARTIN L ECHNER , Zur Illustrationsgeschichte von Abt Gottfried Bessels Chronicon Gotwicense, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 91 (1989), 115-138. 104 Besonders gut nachvollziehen lässt sich dieses Verfahren anhand der Darstellung, die den hl. Bischof Altmann von Passau (um 1015-1091) mit seiner Gründung, dem Stift Göttweig, zeigt. Neben der originalen Vorlage haben sich nämlich sowohl die Pause als auch der Kupferstich erhalten. Vgl. zuletzt G REGOR M. L ECHNER / M ICHAEL G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten. Graphik - Gemälde - Kunsthandwerk, Ausst.-Kat. des Graphischen Kabinetts & Der Kunstsammlungen des Stiftsarchivs und der Stiftsbibliothek Göttweig, Melk 2002, 26-29, Nr. 1. Weitere wachshoniggetränkte Schriftstücke finden sich in Codex 678 (rot), Stift Göttweig, Stiftsbibliothek. Für die Möglichkeit zur Einsichtnahme danke ich Pater Gregor M. Lechner und Michael Grünwald (Stift Göttweig, Graphisches Kabinett) herzlich. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 61 Wenden wir uns im Licht des bislang Gesagten zunächst nochmals der Schleiermonstranz in Klosterneuburg (Abb. 16 und 17) und dem Gunther- Denkmal in Kremsmünster (Abb. 15) zu. Beide setzen die Gründungslegende, also ein Stück mittelalterliche Geschichtsschreibung, in die bildende Kunst um - allerdings mit einigen Änderungen: Die Gründungslegende des Stiftes Klosterneuburg, deren älteste erhaltene Niederschrift aus dem Jahr 1371 datiert, 105 berichtet, dass Markgraf Leopold und seine Gemahlin Agnes ein Gotteshaus stiften und bauen wollten, aber auf ein Zeichen Gottes warteten, an welcher Stelle diese Kirche errichtet werden sollte. Plötzlich kam bei ruhigem Wetter ein Wind und trug den Schleier von Agnes an einen unbekannten Ort. Neun Jahre später entdeckte Leopold während einer Jagd den Schleier seiner Gemahlin unversehrt auf einem Holunderstrauch. Damit war der Platz für den schon lange geplanten Kirchenbau endlich gefunden. Zwar zeigt die Monstranz die Auffindung des Schleiers, allerdings erscheint dem Babenberger Markgrafen die Muttergottes im Holunderstrauch, wovon in der Gründungslegende keine Rede ist. Darüber hinaus begleiten ihn Hunde, die die Legende ebenfalls nicht erwähnt. Die Monstranz schmückt die Gründungslegende also weiter aus. Dies war 1714, also zum Entstehungszeitpunkt der Monstranz, allerdings längst nicht mehr ungewöhnlich. Die Muttergottes über dem Holunderstrauch ist schon auf den im späten 15. Jahrhundert entstandenen Sunthaym-Tafeln zu sehen, und die Hunde finden sich bereits in dem Zyklus der Leopoldslegende von Rueland Frueauf d.J. aus dem frühen 16. Jahrhundert. Für die Schleiermonstranz war also neben der mittelalterlichen Legende vor allem die lokale Bildtradition von zentraler Bedeutung. Weiter als die Schleiermonstranz entfernt sich das Kremsmünsterer Gunther-Denkmal von der Legende. 106 Abweichend vom Text liegt hier nämlich zu Füßen Gunthers ein Ochse, dessen Darstellung der Betrachter heute nur verstehen kann, wenn er weiß, dass das Stift bis 1773 jeweils am 10. Dezember anlässlich des Todestags von Herzog Tassilo (11. Dezember), dem Vater Gunthers, Tausende Menschen mit Brot und Ochsenfleisch verköstigte und der Ochse seit 1399 Teil des Klosterwappens ist. 107 Auch beim Gunther-Denkmal spielte also die Tradition, wenngleich auf andere Weise als in Klosterneuburg, eine bedeutende Rolle. 105 Zum Folgenden vgl. R ÖHRIG , Wenn Bilder zu Geschichte werden (wie Anm. 89), 230-232 (mit Abb. der genannten Beispiele). 106 Die Legende ist um 1300 erstmals überliefert. 1304 ließ das Kloster das Hochgrab zu Ehren Gunthers, des Sohnes Tassilos, des Herzogs, Königs, Mönches und unseres Gründers errichten, von dem sich heute noch die Platte mit der Liegefigur erhalten hat. N EUMÜLLER , 1200 Jahre Kremsmünster (wie Anm. 87), 60. 107 Ebd., 61. Huberta Weigl 62 Was auf die Schleiermonstranz und das Gunther-Denkmal zutrifft, gilt auch für zahlreiche andere Werke: Sie greifen zumeist nicht auf eine, sondern mehrere Quellen zurück; sie schöpfen aus einem großen klosterinternen Ideen- und Vorlagenfundus, zu dem Texte (aus verschiedenen Jahrhunderten) ebenso zählen wie Objekte der bildenden Kunst. Kenntnis von diesem Fundus hatten vor allem die Mitglieder der Klöster, die oft als Programmverfasser agierten. Gut durch Quellen belegt ist dies im Fall des Zisterzienserstiftes Raitenhaslach, wo Abt Robert Pendtner (reg. 1734-1756) das Bildprogramm der Klosterkirche konzipierte. 108 Von den fünf Deckenfresken, die Johann Zick ausführte, sind drei dem Leben und Wirken des hl. Bernhard von Clairvaux gewidmet. Die Textgrundlage bilden barocke Viten des hl. Bernhard, von denen Pedro de Ribadeneira und Augustinus Sartorius der Ausmalung in Raitenhaslach (1738/ 39) zeitlich am nächsten stehen. 109 Als Bildvorlagen dienten eine 1587 in Rom und eine 1653 in Baudeloo / Boudelo erschiene Kupferstichserie, die Szenen aus dem Leben des hl. Bernhard zeigen. 110 All diese Vorlagen, die auch für andere Bernhard-Zyklen in der Barockzeit verwendet wurden, waren in der Klosterbibliothek von Raitenhaslach vorhanden, 111 somit für den Abt rasch zur Hand. Anders war die Situation in Wettingen (Abb. 19); hier musste man erst Archivrecherchen durchführen, um die Namen und Daten der Äbte, die im Kreuzgang dargestellt werden sollten, vollständig in Erfahrung zu bringen. 108 Er selbst war der oberste Architekt. [...] Nachdem er das Werk schon weit voran gebracht hatte, erfand er selbst die Bilder, die die Kirche schmücken sollten, und zeichnete sie eigenhändig für die Maler. Dabei war er viel schneller als sie und duldete keine Verzögerung. Nicht selten kam er ihren Bilderfindungen zuvor. [...] Sieh dir die Kirche genau an, überall wirst du die Begabung und die Hand Roberts finden und bewundern. Bayerische Staatsbibliothek, Clm 1429, fol. 178v, zit. in: C ORDULA B ÖHM (Bearb.), Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland 9: Freistaat Bayern. Regierungsbezirk Oberbayern. Landkreis Altötting, München 2003, 153f. (das lateinische Originalzitat ebd., 153). 109 S ARTORIUS , Verdeutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 3), bes. 50-78; Die Triumphierende Tugend. Das ist: Die außerleßenste Leben Aller Heiligen Gottes So aus denen bewehrtesten Geschichtsschreibern zusammen getragen [...] Anfangs durch R. P. P ETRUM R IBADENEIRA , [...]; nach der Zeit von R. P. J ACOBO C ANISIO , [...] ins Latein uebersetzt: [...] Aniezo aber von R. P. J OHANNE H ORNIG , [...] in Teutscher Sprach heraus gegeben Und mit einer grossen Menge kostbahrer Kuppfer ausgezieret, Bd. 2, Augsburg / Dillingen 1712, 256-279. Der Hinweis hierauf bei B ÖHM , Corpus (wie Anm. 108), 157. Zu den mittelalterlichen Viten des hl. Bernhard, die zum Teil bereits zu seinen Lebzeiten, also im 12. Jahrhundert, entstanden, vgl. ebd., 156f. und weiterführend A DRIAAN H. B RE- DERO , Bernhard von Clairvaux (1091-1153). Zwischen Kult und Historie. Über seine Vita und historische Auswertung, Stuttgart 1996. 110 Vita et miracula Divi Bernardi Clarevalensis abbatis Opera [...] Antonius Tempestinus delineavit, Rom 1587, und Sancti Bernardi Melliflui Doctoris Ecclesiae [...] vitae medulla, quinquaginta tribus Iconibus illustrata, Labore religiosorum abbatiae Beatae Mariae de Baudeloo in civitate Gandavensi, Fruytiers, Ph. delineavit, Antwerpen 1653. Der Hinweis auf die Vorlagen und ihre Bedeutung bei B ÖHM , Corpus (wie Anm. 108), 157 und 174-176 (Abb. der Kupferstiche und Quellenübersicht). Vgl. auch A RNO P AFFRATH , Bernhard von Clairvaux, Leben und Wirken - dargestellt in den Bilderzyklen von Altenburg bis Zwettl, Köln 1984, 229-283, Abb. 69-123 und 293-346, Abb. 169-222. 111 B ÖHM , Corpus (wie Anm. 108), 157. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 63 Für unseren Kontext bedeutet dies nun zusammenfassend, dass die Geschichtsschreibung der Kunst die Grundlage liefern konnte, dass es aber auch Fälle gibt, bei denen überhaupt erst einmal Geschichtsforschung betrieben werden musste, um die für das gewünschte Werk notwendigen Informationen zu erhalten. Und letztendlich gibt es - um den Versuch einer Systematisierung zu beschließen - eine Fülle an Kunstwerken, die weder der einen noch der anderen Kategorie zuzurechnen sind, die somit keinen direkten Bezug zur Historiographie besitzen. So ist beispielsweise die Adalbero-Statue in Lambach (Abb. 13) Ausdruck der besonderen Wertschätzung, die dem Gründer des Klosters im 17. Jahrhundert zuteil wurde. Die Publikation seiner Vita hat die Verehrung des Gründers gefördert, sie ist aber nicht die Grundlage für das Grabmal (Abb. 14). Das Restauratio-Fresko in Tegernsee (Umschlagbild dieses Bandes) wiederum zeigt auf anschauliche Weise die Bedeutung, die das Kloster im 17. Jahrhundert der Vergangenheit beigemessen hat, es beruht aber auf keinem bestimmten Text. 6. Zusammenfassung und Ausblick Im 17. und 18. Jahrhundert gab es kaum ein Kloster, das sich nicht für seine eigene Geschichte interessierte und diese nieder schrieb. Am häufigsten fanden die Recherchen ihren Niederschlag in Annalen und Chroniken, die die Ereignisse einfach aneinanderreihen. Als Gliederungskriterium dienten oft die Regierungszeiten der Äbte. Der überwiegende Teil der Arbeiten ist der hauseigenen Geschichte gewidmet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Werke, die weit über den Horizont eines einzelnen Klosters hinaus gehen, sei es indem sie den Bogen von der Klosterzur Landesgeschichte spannen, 112 sei es indem sie sich einem einzelnen Orden in seiner Gesamtheit widmen. 113 Die entscheidende Grundlage waren Quellen, die - nach Möglichkeit - umfassend Berücksichtigung fanden. Durchforstet wurden nicht nur die eigenen Archive, immer wieder waren Autoren bestrebt, auch anderweitig für ihre Forschungsvorhaben relevante Quellen zu beschaffen. So entwickelte sich zwischen den Klöstern ein reger Leihverkehr mit Büchern und Archivalien. 112 Die beiden Melker Konventualen Anselm Schramb und Philibert Hueber setzten beispielsweise die Geschichte ihres eigenen Klosters mit der Landesgeschichte in Bezug: S CHRAMB , Chronicon Mellicense (wie Anm. 4); P HILIBERT H UEBER , Austria ex Archivis Mellicensibus illustrata, Leipzig 1722. 113 Augustiner-Chorherren: F RANCISCUS P ETRUS , Germania canonico-Augustiniana, in: M ICHAEL K UEN , Collectio Scriptorum Rerum Historico-Monastico-Ecclesiasticarum Variorum Religiosorum Ordinum, Bde. 3-5, Ulm 1756, 1757 und 1765. Benediktiner: S TENGEL , Monasteriologia (wie Anm. 102). Prämonstratenser: C HARLES L OUIS H UGO , Sacri Et Canonici Ordinis Praemonstratensis Annales. In Duas Partes Divisi, 2 Bde., Nancy 1734 und 1736. Zisterzienser: S ARTORIUS (wie Anm. 3). Zur Geschichtsschreibung der einzelnen Orden vgl. B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 557-591. Huberta Weigl 64 Die internationalen Ordensnetzwerke erleichterten den Austausch und waren überdies für all jene eine wichtige Stütze, die sich zur Informationsgewinnung auf Reisen begaben. 114 Das Geschichtsbewusstsein der Klöster fand nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern auch in der bildenden Kunst seinen Ausdruck. Im 17. und 18. Jahrhundert entstand eine Fülle an Kunstwerken, die auf ganz unterschiedliche Weise diese intensiven Hinwendung zur Geschichte bezeugt. Dargestellt wurden die Taten und Tugenden von Patronen, Stiftern, Gründern, Äbten sowie von Päpsten, Bischöfen, Erzbischöfen und Heiligen, die aus dem Orden hervorgegangen waren. Auch Herrscher, die sich um das Kloster verdient gemacht hatten, wurden immer wieder ins Bild gesetzt. Ebenso vielfältig wie die Bildthemen waren die mit den einzelnen Darstellungen verbundenen Absichten: Sie ehrten ausgewählte Persönlichkeiten, unterstrichen ihre Vorbildhaftigkeit und hielten die Erinnerung an sie wach. Sie untermauerten die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart, betonten das Alter und die Ehrwürdigkeit des Klosters oder Ordens, dienten der historischen Legitimation, manifestierten politische Ansprüche und vieles mehr. Abhängig vom Anbringungsbzw. Aufstellungsort (Klausur, Prälatur, Kirche), wandten sie sich an den Konvent, an hochrangige Gäste oder an die Gemeinschaft der Gläubigen. Darüber hinaus hatten bildliche Darstellungen der Klostergeschichte einen entscheidenden Vorteil: Sie konnten auch von denjenigen verstanden werden, die des Lesens nicht mächtig waren. Eine Sonderstellung innerhalb des hier interessierenden Themenkomplexes nimmt die Architektur ein. Die besondere Wertschätzung des mittelalterlichen Baus konnte durchaus dazu führen, dass man ihn im 17. und 18. Jahrhundert bewahrte und lediglich modernisierte. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem generellen Geschichtsbewusstsein der Klöster und dem behutsamen Umgang mit mittelalterlichen Bauten lässt sich jedoch nicht festmachen, wie denn auch „barockisierte“ Kirchen nicht unmittelbarer Ausdruck der „maurinischen Arbeits- oder Denkweise“ sind. 115 Die Möglichkeiten, sich mit Geschichte bzw. der Vergangenheit auseinanderzusetzen, diese darzustellen und zu vermitteln, waren im 17. und 18. Jahrhundert so vielfältig wie nie zuvor. Das in dem vorliegenden Band 114 Der Weingartener Mönch Gabriel Bucelin wohnte beispielsweise während seiner Wien-Aufenthalte stets im Schottenstift, das, wie sein Mutterkloster, dem Benediktinerorden angehörte. N EESEN , Gabriel Bucelin (wie Anm. 4), 186, 197. 115 Ausgehend von der Untersuchung mehrerer Kirchenräume (Dom zu Freising, St. Emmeram in Regensburg, Stiftskirche Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle in Regensburg, Klosterkirche von Andechs etc.) kommt Christine Liebold zu dem in dieser Form sicherlich nicht haltbaren Schluss: „Das bayerische Sakral-Rokoko ist ein von maurinischem Denken beeinflußter Stil.“ C HRISTINE L IEBOLD , Das Rokoko in ursprünglich mittelalterlichen Kirchen des bayerischen Gebietes - ein von maurinischem Denken geprägter Stil, München 1981, 27. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Arbeit von Liebold bietet VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae (wie Anm. 7), 375-382. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 65 behandelte Gebiet ist weit und die Forschungslücken sind nach wie vor groß. Durch Sekundärliteratur erschlossene historiographische Werke, wie etwa der 1732 erschiene erste Band des Chronicon Gotwicense, sind selten. 116 Obwohl die Quellen oft reichhaltig sind und vor allem eine große Zahl österreichischer Klöster über nach wie vor intakte Archive vor Ort verfügt, fehlen noch immer Einzelstudien. 117 Wir wissen viel zu wenig über die Genese einzelner Geschichtswerke, die Arbeitsmethoden, die benutzen Quellen, den Bildungshorizont der Autoren und deren Vernetzung. 118 Die Basis wird freilich langsam breiter: Nicht hoch genug einzuschätzen ist die Arbeit von Stefan Benz, die erstmals einen breiten Überblick über die monastische Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts bietet. 119 Editionen, wie beispielsweise die der sogenannten Lebersorg-Chronik des Stiftes Stams in Tirol, erschließen ungedrucktes Material. 120 Immer wieder rücken die Akteure, also die forschenden Mönche selbst, ins Blickfeld. Nachdem Karl Meichelbeck und Marquard Herrgott (1694-1762) 121 bereits vor vielen Jahren umfassend gewürdigt wurden, haben jüngst unter anderem Gabriel Bucelin aus Weingarten, Burkhard Bausch aus Münsterschwarzach (1656 - ca. 1721/ 23) und Bernhard Pez aus Melk monographisches Interesse erregt. 122 116 Zur Literatur vgl. Anm. 37 und 103. Allerdings sind auch die Quellen zum Chronicon Gotwicense bislang nicht umfassend ausgewertet. Im Graphischen Kabinett des Stiftes Göttweig haben sich in 23 Bänden die handschriftlichen Vorarbeiten zum Chronicon Gotwicense erhalten (Cod. 656-679 rot), die noch auf eine Bearbeitung warten (freundlicher Hinweis von Michael Grünwald). 117 Ausgesprochen gute Grundlagen hierfür bietet Österreich, wo in mehr als 40 Klöstern Archive mit umfassenden Beständen noch an Ort und Stelle vorhanden sind. Vgl. S USANNE F RITSCH , Schriftliche Überlieferung als Zufall und Absicht. Zur Kontinuität in der Bestandsbildung österreichischer Ordensarchive, in: T HOMAS A IGNER (Hrsg.), Historische Quellen in geistlichen Archiven. Kontinuitäten und Diskontinuitäten (Trans. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16), 2006, 2-8 (http: / / www.inst.at/ trans/ 16Nr/ 09_7/ fritsch16.htm; 14.2.2009); P ENZ , Prälatenarchive (wie Anm. 42), 686- 695 (mit einem knappen Literaturüberblick). Nähere Hinweise zu den Archivbeständen einzelner Benediktinerklöster in Österreich finden sich bei U LRICH F AUST / W ALTRAUD K RASSNIG (Bearb.), Die Benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol (Germania Benedictina, Bd. III/ 1-3), St. Ottilien 2000-2002. Zu den Archivbeständen der österreichischen Augustiner-Chorherrenklöster vgl. R ÖHRIG , Die bestehenden Stifte der Augustiner-Chorherren in Österreich, Südtirol und Polen (wie Anm. 1); D ERS ., Die ehemaligen Stifte der Augustiner-Chorherren in Österreich und Südtirol (wie Anm. 1). 118 Siehe auch die heute immer noch gültige Feststellung von Philipp Funk aus dem Jahr 1931: „Das ganze Gebiet der Geschichte des geistigen Lebens dieser Stifte [hier: die schwäbischen Reichsstifte] entbehrt noch der erschöpfenden Bearbeitung.“ P HILIPP F UNK , Aus dem Leben schwäbischer Reichsstifte im Jahrhundert vor der Säkularisation, in: Historisches Jahrbuch 51 (1931), 145-162, hier 146. 119 B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 526-673. 120 C HRISTOPH H AIDACHER , Pater Wolfgang Lebersorgs Chronik des Klosters Stams (Stiftsarchiv Stams, Codex D 40). Edition und Übersetzung, Innsbruck 2000. 121 Zu Meichelbeck vgl. die Beiträge in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner- Ordens und seiner Zweige 80 (1969); B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 1), 602-611. Zu Herrgott vgl. J OSEF P ETER O RTNER , Marquard Herrgott (1694-1762). Sein Leben und Wirken als Historiker und Diplomat, Wien / Köln / Graz 1972. 122 N EESEN , Gabriel Bucelin (wie Anm. 4); E RWIN M UTH , Burkhard Bausch. Chronist von Münsterschwarzach. Ein Mönch sieht sein Kloster (Münsterschwarzacher Studien, Bd. 50), Münsterschwarzach 2002; W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit (wie Anm. 4). Während sich Claudia Maria Nee- Huberta Weigl 66 Im Bereich der Kunstgeschichte sind die Desiderate nicht minder groß. Einigermaßen befriedigend ist die Literaturlage zu den Gründungsdarstellungen in der süddeutschen Deckenmalerei. 123 Ferner liegt mit Meinrad von Engelbergs Publikation ein Grundlagenwerk zu „barockisierten“ Kirchen im süddeutschen Raum vor, das auch Klosterkirchen berücksichtigt. 124 Was fehlt, sind auf Quellenrecherchen basierende Einzelstudien, die die von Meinrad von Engelberg diskutierten Fragen aufgreifen und exemplarisch beantworten. 125 Alle übrigen im vorliegenden Beitrag angesprochenen Themen - Prälatengalerien, Ordensstammbäume, Festkultur, Stifter- und Gründerdenkbzw. -grabmäler, „barockisierte“ Klosteranlagen etc. - warten noch auf eine umfassende quellengesättigte Bearbeitung. Dass mit „Quellen“ in unserem Kontext weit mehr als nur die bildlichen und schriftlichen Zeugnisse aus der Entstehungszeit des betreffenden Objekts gemeint sind, liegt auf der Hand. Kunst, die Vergangenheit vergegenwärtigt, schöpft aus einem über Jahrhunderte hinweg gewachsenen Bestand an schriftlichen und bildlichen Zeugnissen, der sich uns nicht immer so leicht erschließt wie im Fall von Raitenhaslach. 126 Mit den handschriftlichen Quellen, dem gedruckten Schrifttum und der lokalen Bildtradition war niemand so gut vertraut wie die Äbte und Konventmitglieder, deren Rolle als Programmverfasser bzw. Ideenlieferanten für die ausführenden Künstler ebenfalls noch nicht hinreichend untersucht ist. sen und Erwin Muth mit dem Leben und dem gesamten Werk ihrer Protagonisten befassen, stellt Thomas Wallnig die Frage, was Pez bis zur Inangriffnahme der Bibliotheca Benedictina getan hat, was also den Sohn eines Fleischhackers und Wirtes aus Ybbs an der Donau zu dem derartig anspruchsvollen Vorhaben motivierte und befähigte. Vgl. auch Anm. 62. 123 Vgl. die in Anm. 6 und 81 angeführte Literatur. Die Frage, warum sich gerade die Klöster dieser Region im 17. und 18. Jahrhundert so intensiv auf ihre Gründer und Stifter berufen haben, ist freilich nach wie vor offen. Auf der diesem Band zu Grunde liegenden Tagung wurde diese Frage ohne Ergebnis diskutiert. Vgl. auch den Hinweis im Beitrag M ATSCHE im vorliegenden Band. S. 159, Anm. 71. 124 V ON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae (wie Anm. 7), passim. 125 In diesem Zusammenhang wäre auch die auf der Tagung ebenfalls ohne Ergebnis diskutierte Frage zu sehen, warum gerade die Zisterzienser ihre Klosterkirchen häufig bewahrt und „barockisiert“ haben. Als Einstieg in diese Thematik würde sich eine Studie über die drei österreichischen Zisterzienserklosterkirchen von Heiligenkreuz, Lilienfeld und Zwettl anbieten. In allen drei Klöstern haben sich reiche Archivbestände erhalten, die noch einer umfassenden Auswertung harren. Zu Zwettl vgl. zuletzt I N- GEBORG S CHEMPER -S PARHOLZ , Barocke Erneuerung im Bewusstsein der eigenen Geschichte: Die Stiftskirche Zwettl in den Annalen des P. Malachias Linck als Beispiel für zisterziensisches Kunstverständnis im 17. Jahrhundert, in: C HRISTIAN H ECHT (Hrsg.), Beständig im Wandel. Innovationen - Verwandlungen - Konkretisierungen (Festschrift für Karl Möseneder zum 60. Geburtstag), Berlin 2009, 306-319 (mit Literaturhinweisen zu Heiligenkreuz und Lilienfeld). 126 Vgl. Beitrag T ELESKO in dem vorliegenden Band zum Pogramm der Langhausfresken von Melk. In methodischer Hinsicht vgl. auch D ERS ., Paul Trogers Deckenmalereien in der Stiftskirche Altenburg. Studien zu ihren ikonographischen und liturgischen Grundlagen, in: Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich 73 (2003), 92-113; D ERS ., Beiträge zur barocken Bibliotheks- und Wissenschaftsgeschichte des Stiftes Altenburg, in: Das Waldviertel 52 (2003), 35- 47. Monastische Kunst und Geschichtsschreibung im 17. und 18. Jahrhundert 67 Bleibt als Fazit: Sowohl für die Geschichtsals auch die Kunstgeschichtsforschung des 21. Jahrhunderts gibt es auf dem Gebiet der Klosterkultur jede Menge Arbeit. So gut wie alle in dem vorliegenden Beitrag behandelten Themen bieten sich für weiterführende Studien an. Besonders lohnend wären zweifelsohne interdisziplinäre Untersuchungen, die auf einem soliden Quellenfundament gründen und den Blick über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus richten. Pez, Bessel & Co. haben diesen Weg einst beschritten. Heute sind Forschungsnetzwerke wie sie im 17. und 18. Jahrhundert bestanden haben, soweit es die Klosterkultur betrifft, ein Desiderat. Es ist an der Zeit, dass die „Welt der Klöster“ verstärkt in das Bewusstsein der Forscher rückt. Der vorliegende Band will einen Schritt in diese Richtung unternehmen. Stifter & Gründer Die Geschichte enthüllt die Wahrheit Das Gründungsfresko in der Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg Anna Elisabeth Bauer 1. Meichelbeck und Mabillon Im Jahr 1723 schickte P. Karl Meichelbeck, Konventuale der bayerischen Benediktinerabtei Benediktbeuern, der damals im Auftrag des Freisinger Fürstbischofs Johann Franz Eckher von Kapfing an der Geschichte der Diözese Freising arbeitete, Fragebögen (Requisita) an die Klöster der Diözese und forschte so nach Urkunden, Stiftungsbriefen und anderen Zeugnissen ihrer Gründung und frühen Geschichte. Er bat, die Urkunden im Original mit den Siegeln nach Freising zu schicken. Als Beispiel auf die Reaktion der Klöster mag das Augustiner-Chorherrenstift Beyharting dienen: Hier war zwar - wie grundsätzlich überall - ein Archiv vorhanden; aber bisher hatte sich niemand näher mit der Geschichte des Stiftes beschäftigt. Propst Georg II. Mayr (reg. 1718-1740) ließ nun nachforschen und berichtete am 18. April 1723 das Ergebnis an Meichelbeck. 1 Sein historisches Interesse war geweckt. Bald darauf wurde die Kirche anlässlich der 600-Jahrfeier der ersten Kirchenweihe am 14. Oktober 1130 umgebaut und anschließend durch Johann Baptist Zimmermann 1730 stuckiert und freskiert. Bei diesem Umbau schenkte der Propst den Grabstätten in der Kirche besondere Aufmerksamkeit, vor allem dem Grab der Gründerin Judith von Pihartingen, das er öffnen ließ. Die Gebeine der Gründerin, die man vorfand, wurden feierlich neu bestattet. Judith von Pihartingen wurde als „zweite Judith“ in einem Fresko der Langhauswölbung der „ersten Judith“ von Bethulia, die als Präfiguration Mariens galt, gegenübergestellt (Abb. 1). 2 Man kann die Arbeit Meichelbecks und insbesondere die archivalischen Nachforschungen, zu denen er die Stifte der Diözese Freising veranlasste, als Initialzündung für das lebhafte historische Interesse der Klöster an ihrer Geschichte sehen, das in der Folge zu einer ganzen Reihe von Gründungsbildern führte, meist Fresken anlässlich von Rokoko-Neuausstattungen, in denen die Klöster miteinander wetteiferten. 1 München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL 134/ 1. Eine Position der Requisita lautet: Litterae antiquae originales una cum sigillis fundationum, ac donationum. K ARL M EICHELBECKS Historia Frisingensis erschien in drei Bänden, Freising 1724. 2 H ERMANN B AUER / F RANK B ÜTTNER / B ERNHARD R UPPRECHT (Hrsg.), Corpus der barocken Deckenmalerei), München ab 1976 (im Folgenden CBD), Bd. 12/ I, Landkreis Rosenheim, München 2007, 108f. Anna Elisabeth Bauer 72 Abb. 1: Ehem. Augustiner-Chorherrenstiftskirche Beyharting, Judith von Pihartingen, Gründerin von Beyharting (mit dem Johanneshaupt, dem Wappenbild des Klosters) als zweite Judith), Fresko, Johann Baptist Zimmermann und Mitarbeiter, 1730. P. Karl Meichelbeck, geboren am 29. Mai 1669 in Markt Oberdorf als Sohn des Seilers Georg Meichelbeck, wurde schon als Achtjähriger 1677 aufgrund verwandtschaftlicher Verbindungen nach Benediktbeuern gebracht, wo er die Schule besuchte und Musikunterricht bekam. Als Zwölfjähriger hatte er ein prägendes Erlebnis: Die Abteikirche war abgerissen worden, um dem barocken Neubau zu weichen. Der Junge trieb sich in der Mittagspause auf der Baustelle herum, als der Abt kam, ohne Begleitung, und sich die Stelle hinter dem abgebrochenen Lettneraltar genau ansah, da nach der Überlieferung dort die Stifter Benediktbeuerns begraben sein sollten. Dabei entdeckte der Abt eine große Steinplatte. Er ließ den jungen Meichelbeck Fuhrknechte mit Winden holen, die den Stein etwas anhoben und abstützten, worauf der Abt darunter eine Bleiplatte hervorzog, deren Inschrift er entnahm, dass er das Stiftergrab vor sich hatte. Der Abt befahl, die Dormitoriumsglocke läuten zu lassen, und bald versammelte sich der Konvent in freudiger Neugier an der Fundstelle. Die Steinplatte wurde entfernt, und es zeigten sich drei Vertiefungen mit Gebeinen und zugehörigen Bleiplatten. Man hatte die Grabstätte der drei Klostergründer Waldram, Eliland und Landfrid gefunden. 3 3 K ARL M INDERA , Die Jugend Karl Meichelbecks und sein Weg zur Geschichtsforschung, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 80 (1969), Nr. 1f., 61-104. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 73 Nach dem Besuch des Münchner Jesuiten-Gymnasium trat Meichelbeck 1687 in Benediktbeuern ein und legte 1688 die Profess ab. 1692-1695 besuchte er die Benediktineruniversität Salzburg; 1694 wurde er zum Priester geweiht. Nach Aufenthalten als Lateinlehrer in Freising und als Philosophieprofessor beim „Studium commune“ in Rott am Inn wurde er Theologieprofessor in Benediktbeuern, 1708 Historiograph der Benediktinerkongregation und Archivar in Benediktbeuern. Er ordnete das Archiv neu und hatte aufgrund seiner genauen Kenntnis der Urkunden manche Erfolge in juristischen Auseinandersetzungen. 1722 bekam er den Auftrag, zur 1000-Jahrfeier der Diözese die Historia Frisingensis zu schreiben. Meichelbeck wurde in der Tradition der Mauriner zu einem der bedeutendsten bayerischen Historiker des 18. Jahrhunderts. Er starb am 1. April 1734 in Benediktbeuern. Benediktbeuern gehörte zur bayerischen Benediktinerkongregation „Von den heiligen Engeln“, die 1682 nach dem Vorbild der französischen Kongregation von St. Maur gegründet wurde. 4 Die so genannten „Mauriner“ waren bahnbrechend auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung, nicht nur der Ordensgeschichte, sondern auch der allgemeinen Geschichte, wobei sie unter der Führung von P. Jean Mabillon (1632-1707) von St. Germain des Prés in Paris als erste die historischen Hilfswissenschaften, die Paläographie, Diplomatik (Urkundenlehre) und Sphragistik (Siegelkunde) systematisch heranzogen. Mabillons sechsbändiges Werk De re diplomatica von 1681 brachte eine revolutionäre Wendung für die Geschichtswissenschaft. 5 „Grundlage historischer Darstellung waren nun […] nicht mehr die literarische Überlieferung, sondern möglichst die auf Echtheit und Zuverlässigkeit geprüften urkundlichen Quellen, die als unmittelbare […] Zeugnisse vergangener Ereignisse den objektivsten Wahrheitsgehalt besitzen.“ 6 - „Maurinische Geschichtsschreibung war genaueste Eruierung der einzelnen Fakten; die Erkenntnis der Wirklichkeit vollzog sich in wachsendem Überblick über die Vielzahl der Tatsachen der Geschichte.“ 7 Von 1715 an lässt sich ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen Meichelbeck und den Maurinern nachweisen. 8 4 1621 von Gregor XV. bestätigt. 5 A NDREAS K RAUS , Die benediktinische Geschichtsschreibung im neuzeitlichen Bayern, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 18 (1969), 205-229. 6 W ILHELM W ÜHR , Meichelbecks Bedeutung für die deutsche Geschichtsschreibung, in: Festschrift für Kardinal Faulhaber der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, München 1949, 219-239. 7 K RAUS , Geschichtsschreibung (wie Anm. 5), 218. 8 C HRISTINE L IEBOLD , Das Rokoko in ursprünglich mittelalterlichen Kirchen des bayerischen Gebietes - ein von maurinischem Denken geprägter Stil (Miscellanea Bavarica Monacensia, Bd. 98), München 1981, 25. Anna Elisabeth Bauer 74 2. Frühe Gründungsbilder: Tegernsee, Gars und Fürstenfeld Beispiel für eine frühe Rezeption der historischen Arbeitsweise der Mauriner - noch vor den Arbeiten Meichelbecks - sind die beiden Gründungsbilder der Benediktinerabtei Tegernsee. 9 Das Kloster gehörte wie Benediktbeuern zur Benediktinerkongregation „Von den heiligen Engeln“. Der Konvent kannte Jean Mabillon persönlich, denn dieser hatte sich bei seiner Reise durch Bayern 1683 mehrere Tage lang in Tegernsee aufgehalten und Gräber, Grabsteine sowie Urkunden genau untersucht. 10 Der Besuch Mabillons blieb nicht ohne Folgen. Nachdem Hans Georg Asam ab 1689 die neu erbaute Stiftskirche freskiert hatte, malte er an der inneren Westwand der Kirche zwei Bilder, Fundatio und Restauratio von Tegernsee (Abb. 2 und 3). Besonders das zweite Bild zeugt von einer Auseinandersetzung mit den neuen Ideen der Geschichtsschreibung. Die Werke Mabillons waren im Besitz des Klosters und wurden dafür zweifellos benützt. 11 Das erste Bild mit der Inschrift Fundatio et initia monasterii circa annum DCCXIX 12 (Abb. 2) zeigt die Brüder Oatker und Adalbert, nach der Überlieferung aus dem altadeligen bayrischen Stamm der Huosi, fürstlich gekleidet. Über ihnen ist das bayerische Wappen mit den Rauten und Löwen angebracht. Mönche aus St. Gallen überreichen ihnen die Regel des hl. Benedikt sowie Mitra und Pedum als Zeichen der Abtswürde. Oatker weist auf das Modell einer mittelalterlichen Kirche, das ihm von zwei Pagen gehalten wird. Mit dem - nicht belegbaren - Gründungsdatum 719 in der Inschrift wird das hohe Alter der Benediktinerabtei Benediktbeuern (Gründung um 740) noch übertroffen; mit dem Hinweis auf die Besiedelung durch Mönche aus St. Gallen wird an die enge Bindung an eine noch ältere Gründung (613 durch den hl. Gallus) erinnert. 13 In diesem Bild geht es vor allem um das hohe Alter der Gründung und den hohen Adel der Gründer. Bewegte man sich beim Bild der Fundatio mangels Urkunden und belegbaren Zahlen noch auf historisch sehr unsicherem Boden, so konnte man beim zweiten Bild (Abb. 3) den Ansprüchen der Mauriner auf eine strenge Geschichtswissenschaft genügen. Das Bild hat die Inschrift Restauratio et accessiones monasterii per Imperatores 14 , stellt also die Wiederherstellung der Benediktinerabtei Tegernsee dar, nachdem sie im 10. Jahrhundert durch 9 CBD (wie Anm. 2), Bd. 2, Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen / Miesbach, München 1981, 590f. 10 A RTHUR B AUCKNER , Mabillons Reise durch Bayern im Jahre 1910, München 1910, 55-67. 11 Der junge Meichelbeck, damals Bibliothekar in Benediktbeuern, hatte sich die Werke Mabillons 1696 von Tegernsee ausgeliehen, weil Benediktbeuern sie wegen der hohen Baukosten nicht selbst anschaffen wollte. Vgl. L IEBOLD , Rokoko (wie Anm. 8), Anm. 122. 12 „Gründung und Anfänge des Klosters um das Jahr 719.“ 13 Die Benediktinerregel wurde in St. Gallen allerdings erst 720 durch Otmar eingeführt. 14 „Wiederherstellung und Erweiterung des Klosters durch die Kaiser.“ Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 75 Abb. 2: Westwand der ehem. Benediktinerabteikirche Tegernsee, Gründung des Klosters Tegernsee durch die adeligen Brüder Oatker und Adalbert im 8. Jahrhundert, Fresko, Hans Georg Asam, um 1690. Abb. 3: Westwand der ehem. Benediktinerabteikirche Tegernsee, Wiederherstellung des Klosters Tegernsee im Jahr 979 und Schenkungen durch Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde in den Jahren 1002-1020, Fresko, Hans Georg Asam, um 1690. Anna Elisabeth Bauer 76 feindliche Einfälle und einen verheerenden Brand 975 erloschen war. Herzog Otto von Bayern und Schwaben, der die Abtei wiederherstellte, ist durch die Inschrift auf der beigefügten Urkunde Ottonis An[no] 979 gekennzeichnet, Kaiser Heinrich II., der Tegernsee 1002-1020 reich dotierte, durch die Urkundeninschrift S. Henrici A[nno], 1002, 1009, 1019 & 1020. Auf dem Bild sind Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde in voller Herrscherpracht thronend dargestellt; Herzog Otto präsentiert ihnen kniend den (barocken) Klosterplan. Auf Schenkungen Friedrichs I. weist ebenfalls eine Urkunde hin; sie trägt die Inschrift Friderici An[no] 1157 & 1163. Im Hintergrund sieht man Maurer und Zimmerleute eifrig an der Arbeit beim Wiederaufbau des Klosters. Besonders interessant sind in unserem Zusammenhang die Siegel an den Urkunden, die sichtlich genauestens von den Siegeln der in Tegernsee vorhandenen alten Urkunden abgemalt wurden. Die Wahrheit der Geschichte Tegernsees wird damit - in Bayern sehr früh - durch die neuen historischen Methoden der Mauriner belegt, durch die Hilfswisssenschaften der Diplomatik und Sphragistik. Doch befinden sich in Tegernsee die Gründungsbilder noch an der Westwand, sie besitzen nicht den bedeutungsmäßig höheren Rang eines Deckenbildes. Ein sehr frühes Gründungsbild, und nun schon als Deckenfresko, findet sich in der Augustiner-Chorherrenstiftskirche Gars am Inn an der Decke über der Orgelempore, freskiert 1712/ 13 von den Münchner Malern Benedikt Albrecht (1662-1730) und Johann Eustach Kendlbacher (1662- 1725). 15 Es zeigt Bischof Virgil von Salzburg (reg. 745-784) und vor ihm den Bayernherzog Tassilo III. (reg. 748-788) in Rüstung, Fürstenhut und Hermelinkragen. Tassilo weist auf einen einfachen Priester, der sich vor Virgil verneigt. Dargestellt ist die Zustimmung des Salzburger Bischofs zur Gründung einer Zelle bei Garoz (Gars). Tassilo hat dem Priester Boso das Land und seine landesherrliche Zustimmung zur Gründung gegeben und steht ihm nun vor dem Bischof bei. 16 Auch dieses Bild hat durch Urkunden belegte Fakten zum Gegenstand. Gars wurde 764 als Benediktinerkloster gegründet und erst unter Erzbischof Konrad I. von Salzburg (reg. 1106- 1147) in ein Chorherrenstift umgewandelt. Auch in diesem Bild wird auf das frühe Datum der ersten Gründung und auf den hohen Rang des Stifters hingewiesen. Interessant ist der Aufbau der Bildfolge in Gars, die zehn Jahre später vom nahe gelegenen Augustiner-Chorherrenstift Au am Inn (Abb. 4) fast gleich übernommen wurde: 17 Die Bilder zeigen bzw. zeigten von Westen 15 CBD (wie Anm. 2), Bd. 8, Landkreis Mühldorf, München 2002, 103-107. 16 Vier Jahre später unterstellte Boso Kirche und Zelle in Gars dem Benediktinerkloster St. Peter in Salzburg. 17 Das Benediktinerkloster aus dem 8. Jahrhundert ist im 10. Jahrhundert erloschen; Wiedergründung als Chorherrenstift wohl kurz nach 1122 durch Zustiftung von Kuno von Megling und Adelheid von Eppan. - Zu Au vgl. CBD (wie Anm. 2), Bd. 8, Landkreis Mühldorf, München 2002, 37f. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 77 nach Osten erst die Gründung bzw. die Stifter, dann die Wappen der Bauherren, die Bistumspatrone, Augustinus als Ordensvater, den Kirchenpatron und die jeweilige Bruderschaft. In Au wurde anstelle eines Gründungsbildes das Doppelporträt der beiden Stifter Kuno von Megling und seiner Gemahlin Adelheid von Eppan dargestellt, die zwischen sich das Modell der Kirche von Au halten. Vom Denkansatz völlig anders ist das Gründungsprogramm im Chor der ehemaligen Zisterzienserabteikirche Fürstenfeld, das aus drei Bildern besteht, freskiert von Cosmas Damian Asam (1686-1739) 1722/ 23. 18 Kloster Fürstenfeld wurde 1263 als Sühne gestiftet vom Bayernherzog Ludwig dem Strengen (reg. 1255-1294), der seine Gemahlin Maria von Brabant aus ungerechtfertigter Eifersucht hatte hinrichten lassen. Im ersten der drei Gründungsfresken (Abb. 6) ist Fürstenfeld als von Gott bestimmter Ort dargestellt, als neuer Garten für die Braut des Hohenliedes. Gleichzeitig wird im Bild an die Engelsvision des hl. Bernhard erinnert, in der ihm der Platz für die Gründung von Clairvaux gezeigt wurde. Diese himmlische Vorbestimmung des Platzes für die Klostergründung wird in Beziehung gesetzt zu Fürstenfeld, so dass Fürstenfeld nicht nur als neuer Garten des Hohenliedes, sondern auch als neues Clairvaux apostrophiert wird. Im zweiten Bild (Abb. 5) reicht Ludwig der Strenge der Figur der Ecclesia in der Hoffnung auf Vergebung den Kirchenplan Fürstenfelds als Sühne (die Figuren der Spes und der Poenitentia sowie Fides und Caritas treten als Mithandelnde auf). Das Wittelsbacher Wappen, an dem ein Genius arbeitet, weist auf die stete Wechselwirkung von Ruhm und Bedeutung zwischen Fürstenfeld und dem Herrscherhaus hin. Im dritten Bild breitet Maria als Schirmherrin des Zisterzienserordens ihren Mantel über den Genius des Zisterzienserordens aus, wobei eine riesige goldene Krone über der Szene schwebt als Heilsversprechen für alle Mönche, die im 18 CBD (wie Anm. 2), Bd. 4, Landkreis Fürstenfeldbruck, München 1995, 82-88. Abb. 4: Orgelempore des Augustiner- Chorherrenstifts Au am Inn, Kuno von Megling und seine Gemahlin Adelheid als Gründer des Augustiner-Chorherrenstiftes Au am Inn, Johann Kendlbacher und Benedikt Albrecht, 1722. Anna Elisabeth Bauer 78 Abb. 5: Chor der ehem. Zisterzienserstiftskirche Fürstenfeld, Allegorie auf die Gründung des Klosters Fürstenfeld, Ludwig der Strenge von Bayern stiftet Fürstenfeld als Sühnekloster, Fresko, Cosmas Damian Asam, 1722. Abb. 6: Chor der ehem. Zisterzienserstiftskirche Fürstenfeld, Allegorie auf die Gründung des Klosters Fürstenfeld, Vorbestimmung von Fürstenfeld als Garten der Braut des Hohen Liedes, Fresko, Cosmas Damian Asam, 1722. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 79 Chor versammelt sind: Der Entwerfer des Programms, Abt Liebhard Kellerer (reg. 1714-1734), erinnerte damit an die Vision der seligen Christina von Walberberg, der einst Maria erschien, eine Krone über den Chor mit den dort versammelten Zisterziensern hielt und sagte: omnes mecum erunt in aeternum 19 - Worte, die auch auf der großen gemalten Krone im Fresko stehen. Das Fürstenfelder Gründungsprogramm ist ein symbolisch-allegorisches Programm von großer Schönheit, aber fern von jeder maurinischen Denkweise. Zur gleichen Zeit forderte Meichelbeck die Klöster der Diözese auf, in ihren Archiven nach alten Urkunden zu suchen und damit ihre Geschichte zu erforschen. Die stark wissenschaftlich orientierten Augustiner-Chorherren waren ebenso wie die Benediktiner für die modernen Prinzipien der Geschichtsschreibung aufgeschlossen und sahen bald den Ruhm und die Besonderheit ihrer Klöster in der jeweiligen - durch Quellen belegbaren - Gründungsgeschichte. Bei den Neuausstattungen und Freskierungen der Kirchen wurde ein Gründungsbild nun fast obligatorisch und wanderte bald ins Zentrum des Bildprogramms. 3. Die Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg und die 600-Jahrfeier des Klosters Das Augustiner-Chorherrenstift Baumburg im Gericht Trostberg des kurbayerischen Rentamts Burghausen gehörte zur Erzdiözese Salzburg. Es war seit dem 12. Jahrhundert Sitz des Archidiakonats Baumburg; der jeweilige Propst war Archidiaconus natus. 20 3.1. Der Neubau der Stiftskirche Die erste, romanische Stiftskirche von Baumburg wurde am 12. Juli 1156 durch Erzbischof Eberhard von Salzburg (reg. 1147-1164) geweiht. Als man um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann, an die für 1756 geplante 600- 19 „Alle werden in Ewigkeit mit mir sein“: A UGUSTINUS S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bistertium, Prag 1708, 195. 20 Die jüngste Publikation zu Baumburg: W ALTER B RUGGER / A NTON L ANDERSDORFER / C HRISTIAN S OIKA (Hrsg.), Baumburg an der Alz. Das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift in Geschichte, Kunst, Musik und Wirtschaft, Regensburg 2007 (Lit.). Vgl. auch CBD (wie Anm. 2), Bd. 11, Landkreis Traunstein, Berchtesgadener Land, Ebersberg, München 2005, 21-44. - Zu Baumburg vgl. ferner U RSULA B ROSSETTE , Die Inszenierung des Sakralen. Das theatralische Raum- und Ausstattungsprogramm süddeutscher Barockkirchen in seinem liturgischen und zeremoniellen Kontext, Text- und Bildband, Weimar 2002, 356-363 (Textband); D IES ., Theatrum virtutis et gloriae - Barocke Freskenprogramme und Altargemälde im liturgischen Festkontext einer Säkularfeier, in: „mit kalkül & leidenschaft“. Inszenierung des Heiligen in der bayerischen Barockmalerei, Bd. 1, Landshut 2003, 124-161, hier 138-145. Anna Elisabeth Bauer 80 Jahrfeier der Kirchweihe zu denken, war der Bau in schlechtem Zustand, die Seitenschiffe waren durch Wasserschäden mehr als baufällig. Vor allem aber entsprach die Kirche trotz einiger Umbauten und Barockisierungen im 17. Jahrhundert nicht mehr den Vorstellungen von einem Festraum für eine mehrtägige Jubelfeier unter Anteilnahme vieler und wichtiger Gäste. Im Vorwort zu den Festpredigten wird gesagt, es zielete gleich der erste Gedancken, wie billig, vor allen dahin ab, auf daß, um diese feyrlichiste Danck-Begängnuß desto mehr zu verherrlichen, das schon allbereits ziemlich veraltete Gottes-Hauß vast gantz neu, und sowohl nach der Mahlereyals Stuckador-Kunst, nach möglichisten Kräfften auf das zierlichiste möchte hergestellet werden 21 . Eine Neuwölbung wurde als unvermeidbar bezeichnet, und wie meistens bei vergleichbaren Anlässen mündete das Vorhaben in einen fast völligen Neubau (Abb. 7) - wie es von Propst Joachim Fischer (reg. 1748-1761) schon am Anfang seiner Regierungszeit ins Auge gefasst war: P. Carolus Sölch von Seeon sagte in seiner Festpredigt, der Propst habe am Tag seiner Wahl das Versprechen gegeben, wann er solang leben sollte, und es die harten Zeiten nur ein wenig zulassen wurden, wolle er, auch mit seiner Ungelegenheit, das Gottes-Hauß neu- und schöner aufbauen 22 . Der Trostberger Maurermeister Franz Alois Mayr (1723-1771) verfasste 1754 die Überschläge, am 3. Januar 1755 wurde der Kontrakt geschlossen, die Innendekoration 1757 ausgeführt. Am 16. Oktober 1757 weihte der Salzburger Fürsterzbischof Sigismund von Schrattenbach (reg. 1753-1771) die Kirche neu. Natürlich war bei Baubeginn 1755 schon klar, dass man die Kirche mit Stuck und Fresken unmöglich bis zur 600-Jahrfeier 1756 würde fertigstellen können; das wurde aber erstaunlicherweise verhältnismäßig leicht genommen und die Feier um zwei Jahre verschoben, weil man nämlich vernünfftigist warten wollte, biß diese neue Stifft-Kirch von allen Künstleren ihre ausgemachte Vollkommenheit, und durch die gnädigiste Ertz-Bischöfliche Einweyhung ihre höchste Schätzbarkeit erhalten hätte 23 . Die Baumburger 600-Jahrfeier war eine der großen Säkularfeiern, die in Altbayern im 18. Jahrhundert in fast allen Klöstern veranstaltet wurden. Der weite Vorhof der Kirche war mit herrlichen Triumph-Bögen, anmüthigen Sinn-Bildern, Chronologischen Inschrifften auf das möglichiste ausgezieret; überall waren Baum- und Blumenstöcke aufgestellt. In den acht Tagen der Feier zelebrierte jeweils ein hoher Geistlicher aus der Nachbarschaft das 21 Sechshundertjähriges Danck- und Jubel-Fest für sechshundertjährige gnädigste Erhaltung dem allmächtigen Gott feyerlichst angestellt von dem in Obern Bayern, Ertz-Bistum Saltzburg gelegenen Archi-Diaconal-Stifft und Gotts-Hauß Baumburg, Burghausen 1759. Das Vorwort des Baumburger Dekans P. J OACHIM H ÖGL ist unpaginiert, die einzelnen Predigten sind jeweils für sich paginiert. 22 C AROLUS S ÖLCH , Der Drey-Einige Baum zu Ehren des Drey-Einigen Gottes, in: Dank- und Jubel- Fest (wie Anm. 21), Predigt am 28.8.1758, 35f. 23 Dies und das Folgende aus dem Vorwort in: Dank- und Jubel-Fest (wie Anm. 21). Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 81 Abb. 7: Ehem. Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg, Franz Alois Mayr, 1754/ 57. Hochamt, darunter der Propst von Gars, der Abt von Raitenhaslach sowie der Abt von Seeon, die jeweils für die Festpredigt des Tages ihren besten Prediger mitbrachten. Anna Elisabeth Bauer 82 Die Pfarreien der Umgebung eilten in Prozessionen herbei mit Fahnen, Tragbühnen und Triumphwagen; die Mitglieder der Bruderschaften in Bruderschaftskleidern mit Bruderschaftsstäben, die Jungfrauen mit blumengezierten Marienstatuen. Es ertönten Böller, Pauken und Trompeten. Die neue Kirche wurde hoch gerühmt, Propst Joachim Fischer gefeiert. Er selbst allerdings war von großer Bescheidenheit und wollte nicht, dass sein Wappen am Chorbogen angebracht werde. Als er hörte, dass die Stuckatoren damit schon am Werk waren, stieg er selbst in der Mittagszeit auf das Gerüst und schlug das Wappen ab. Er ließ statt dessen die Inschrift SOLI DEO GLORIA anbringen. Ein Kirchenneubau war immer ein finanzielles Wagnis - weniger, weil die Kosten nicht abzuschätzen gewesen wären, sondern weil es sowohl vom Propst oder Abt wie auch vom Konvent Mut erforderte, sich in diese hohen Kosten zu stürzen. Dabei war der Konvent beileibe nicht immer geschlossen auf der Seite der Befürworter eines Neubaus. Als die Baumburger Chorherren über den Neubau abstimmten, gab es 15 Stimmen für den Bau, acht Stimmen dagegen. 24 Später, als das Stift nicht zuletzt durch den Kirchenbau in Schulden versank, behauptete eine Untersuchungskommission, Propst Joachim Fischer habe ohne Einwilligung des Kapitels die noch in gutem Stand sich befundene Klosterkirche abtragen lassen und die neue Kirche erbauen lassen, worüber sich mehr als 50 000 fl. Schulden erloffen 25 . 3.2. Das Bildprogramm Das Bildprogramm der Deckenfresken war bei Stiftskirchen des vorgeschrittenen 18. Jahrhunderts im Wesentlichen von drei Hauptthemen bestimmt: Das erste war die Verherrlichung des Kirchenpatrons, das zweite der Ruhm des Ordensgründers und des Ordens, das dritte die eigene Stellung in der Heilsgeschichte, anschaulich gemacht durch die Darstellung der Gründung. Baumburg machte hier keine Ausnahme. Im Chorfresko (Abb. 8) wird der Ruhm der Kirchenpatronin Margareta von Antiochien zugleich mit der Baumburger Gründungsgeschichte gefeiert und im großen Hauptfresko der hl. Augustinus sowie die Verdienste der Augustinerorden. Das Fresko über der Orgelempore im Westen, das sich traditionell auf die Musik bezieht, stellt in einem prachtvollen Tempelbau den psallierenden König David dar: Er hatte Gott einen Tempel erbaut, ebenso wie die Baumburger Chorherren. 24 W ALTER B RUGGER , Bau- und Kunstgeschichte, in: B RUGGER / L ANDERSDORFER / S OIKA , Baumburg an der Alz (wie Anm. 20), 245-285, hier 266. 25 München, Archiv des Erzbistums München und Freising, Klosterakten Baumburg A 40: Administration 1778-1786. Vgl. dazu auch J OHANN P ÖRNBACHER , Die bewegte Geschichte des Augustiner- Chorherrenstifts Baumburg im 18. Jahrhundert, in: B RUGGER / L ANDERSDORFER / S OIKA , Baumburg an der Alz (wie Anm. 20), 207-225. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 83 Abb. 8: Chor der ehem. Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg, der Baumburger „Ehrentempel“ - Szenen aus der Gründungsgeschichte und zweite Bestattung der Stifterin, Fresko, Felix Anton Scheffler, 1757. Anna Elisabeth Bauer 84 Dadurch ergibt sich ein antetypischer Bezug, der den Kirchenneubau als „neuen Tempel Davids“ apostrophiert. Das Baumburger Programm wurde mit Sicherheit von dem Jesuiten P. Ignaz Bonschab entworfen (1708-1780). Bonschab war 1748-1755 im Jesuitenkolleg Burghausen Bibliothekar. Aus dieser Zeit der engen Nachbarschaft mit Baumburg stammte seine Bindung an Propst und Konvent, und damals entstand das ikonologische Konzept für die Kirche. Bonschab hatte dann auch die Ehre, eine der Festpredigten bei der 600-Jahrfeier zu halten, in der er das Bildprogramm erläuterte. Nach dem Vorwort P. Joachim Högls zum Dank- und Jubel-Fest hinterließ er sowohl durch seine Predigt, als mehr andere bey gegenwärtiger Solemnität und vorgehabten Kirchen-Bau geleistete Dienst und an die Hand gegebene sinn-reiche Concepten ein helles Denckmaal seiner aufrichtigisten Neigung gegen unser Stifft, dero wir nie vergessen werden. Die Fresken malte Felix Anton Scheffler (1701-1760), böhmischer Hofmaler 1756/ 57. Sein Bruder Thomas Christian (1699-1756) hatte die Landsberger Jesuitenkirche freskiert und war unerwartet am 25. Januar 1756 in Augsburg gestorben. Daraufhin eilte der jüngere Bruder Felix Anton aus Prag herbei und vollendete das Werk in Landsberg mit der Freskierung der Ignatiuskapelle 1756. Seine Vermittlung als Freskant nach Baumburg könnte über P. Ignaz Bonschab gelaufen sein, der seit 1755 Bibliothekar am Augsburger Jesuitenkolleg und Prediger bei St. Moritz war. 3.3. Die Gründungsgeschichte In der Schlusspredigt am achten Tag fragte P. Joachim Högl, der Dekan von Baumburg: Wenn er auf die Wohltaten Gottes in der Geschichte Baumburgs sehe, und darüber predigen solle, wen soll ich fragen? Wer? Wer kann mir 600jährige Auskunfft geben? Ohne Sorg! Das können stumme Redner, verstehe die von 600 Jahr her unterlassene [= hinterlassene] Schriften, acta Saeculi 26 . Wichtigste Quelle war dabei die Gründungsgeschichte in einem Baumburger Codex des 12. Jahrhunderts. 27 Diese Gründungsgeschichte erzählte ein dramatisches, farbiges und verwickeltes Geschehen, das sich aber auch in der neueren Forschung weitgehend mit der Baumburger Überlieferung deckt. „Vor 1023 übergaben ein Graf Sizo und seine Frau Judith bei der Einweihung der von ihnen erbauten ,ecclesia‘ zur hl. Margarete in Gegenwart des Salzburger Bischofs Hartwig (reg. 991-1023) alle ihre Besitzungen an 26 J OACHIM H ÖGL , Höchst-günstig-leuchtend-Göttlicher Gnaden-Schein und höchst-schuldigdanckbarer Gegen-Schein, in: Dank- und Jubelfest (wie Anm. 21), Predigt am 3.9.1758, 6. 27 Historia fundationis Monasterii Baumburgensis, in: Monumenta Boica, Bd. 2, München 1764, 173- 179. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 85 Baumburg.“ 28 Dieses Baumburg der Frühzeit ist als kleines coenobium unbekannter Ordensverfassung vorzustellen. Backmund vermutet, es sei bald wieder eingegangen. 29 Die eigentliche Gründung Baumburgs spielt in den letzten Jahren des 11. und den ersten des 12. Jahrhunderts. Graf Marquart von Marquartstein - nach van Dülmen wohl der Sohn von Sizo und Judith, nach Backmund ihr Enkel - entführte und heiratete schon in fortgeschrittenem Alter Adelheid, die Tochter des Grafen Kuno von Megling, in der neueren Forschung Kuno von Frontenhausen-Lechsgemünd, 30 der die Tochter daraufhin verstieß und enterbte. Bald nach der Eheschließung wurde Marquart auf der Jagd von zwei Männern schwer verletzt. Dem Tode nahe, setzte er Adelheid zu seiner Erbin ein und trug ihr auf, sie solle bei der hl. Margareta in Baumburg ein Kloster gründen, also das alte coenobium wieder beleben oder eine Neugründung an dessen Stelle setzen. So wollte er, da er keinen Erben hatte, seinem Gedächtnis Dauer schaffen. Adelheid schenkte der Kirche St. Margareta in Baumburg zwar einige Güter, „doch erging diese Schenkung noch an die alte Kirche in Baumburg vor der Neugründung“. 31 In zweiter Ehe heiratete Adelheid den sehr reichen und mächtigen Grafen Ulrich von Passau (1072-1099). Die Gründung in Baumburg aus dem eingebrachten Vermögen versprach er zwar seiner Frau, führte sie aber nicht aus. Er starb nach kurzer Ehe bei einer Epidemie auf dem Reichstag von Regensburg. Dritter Gemahl Adelheids wurde Graf Berengar I. von Sulzbach (gest. 1125). Wie Ulrich führte auch Berengar die Stiftung in Baumburg nicht aus, zum Kummer seiner Gemahlin, die ihn auf ihrem Totenbett 1104/ 05 anflehte, zum Trost der Seel Marquarti, und zu ihrer Gewissens=Beruhigung das Kloster Baumburg zu gründen; eher wolle sie nicht begraben werden. Berengar versprach die Gründung in Beisein von zwölf seiner Ministerialen als Zeugen. Er war aber wegen eines Gelübdes seiner Mutter bereits zu einer Klostergründung in Berchtesgaden verpflichtet, die er zunächst ausführte. Er holte dafür Augustiner-Chorherren aus Rottenbuch unter dem Gründungspropst Eberwin. Das junge Stift jedoch hatte - wohl wegen der einsamen und gebirgigen Lage - mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. So wandte sich Berengar um 1107 endlich der Gründung von Baumburg zu, ebenfalls zusammen mit Eberwin, der nun auch in Baumburg Gründungs- 28 R ICHARD VAN D ÜLMEN , Zur Frühgeschichte Baumburgs, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 31 (1968), 10f.; zur Gründungsgeschichte vgl. auch M ARTIN J OHANN W ALKO , Die Traditionen des Augustiner-Chorherrenstifts Baumburg an der Alz (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, Bd. 44), München 2004, 57-69. 29 N ORBERT B ACKMUND , Die Chorherrenorden und ihre Stifte in Bayern, Passau 1966, 55-57. 30 Zur Gründungsgeschichte vgl. auch S IEGRID D ÜLL , Die Inschriftendenkmäler im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Baumburg (Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst in München e.V., Bd. 19), München 1993, 9-260. 31 V AN D ÜLMEN , Frühgeschichte (wie Anm. 28), 6. Anna Elisabeth Bauer 86 propst wurde. Das Stift Berchtesgaden bestand weiter, und Eberwin kehrte später dorthin zurück (gest. 1142). 32 Der zweite Propst von Baumburg, Gottschalk, ließ die große romanische Stiftskirche erbauen. Inzwischen war Adelheid tatsächlich nicht begraben worden: Zwölf gantzer Jahr lieget der mit ein wenig Erden bedeckte Leichnam Adelheidis in der Capellen zu Sultzbach unbegraben, weil sie begehret hat nicht ehender begraben zu werden, biß das Kloster gestifftet ist. Am Tag der Kirchweihe in Baumburg am 17. Juli 1156 wurde, der Überlieferung nach, Adelheid im Kirchenschiff vor dem Kreuzaltar beigesetzt, zusammen mit den sterblichen Resten Marquarts und Ulrichs. Berengar kam später dazu. 37 Über die Gründungsgeschichte sprachen in den Festpredigten vor allem P. Eugenius Hueber aus Raitenhaslach 33 und P. Carolus Sölch aus Seeon. Als die Kirche nun zur 600-Jahrfeier umgestaltet wurde, wollte man die Überlieferung von der Grablege der Gründerin - wie auch in Beyharting - natürlich verifizieren und grub im Bereich des ehemaligen Kreuzaltars. Gebeine, die man für die Adelheids und ihrer drei Ehemänner hielt, wurden als ein kostbarer Schatz mit grösten Frolocken aller Anwesenden aufgefunden. Ein Tag der achttägigen Säkularfeier 1758 wurde dem Gedenken aller Toten, insbesondere aber dem der Stifter gewidmet. Nach einem feierlichen Requiem gingen alle mit dem Propst an der Spitze, der seine Pontifikalgewänder trug, um bey denen vier besonderen gantz-neu-errichteten ansehnlichen Grab-Stätten derselben die gewöhnliche Kirchen-Besängnuß unter Zusamläutung aller Glocken abzuhalten. 34 3.4. Das Fresko im Chor: Der Baumburger „Ehrentempel“ Die Gründer, die verschiedenen Szenen der Gründungsgeschichte und schließlich die zweite Bestattung Adelheids 1756 sind - neben der Glorie der Kirchenpatronin Margareta - die Themen des Deckenbilds im Chor (Abb. 8). Die Unmöglichkeit, auf einem traditionellen Bild alle Handlungsstränge unterzubringen, führte zu einer besonderen Bilderfindung, in der mehrere Realitätsebenen nebeneinander gesetzt sind. 32 H EINZ D OPSCH , Salzburg im Hochmittelalter, in: H EINZ D OPSCH (Hrsg.), Geschichte Salzburgs. Land und Stadt, Bd. 1: Vorgeschichte - Altertum - Mittelalter, Salzburg 1983, Teil I, 261-263, 265; S TEFAN W EINFURTER , Die Gründung des Augustiner-Chorherrenstiftes. Reformidee und Anfänge der Regularkanoniker in Berchtesgaden, in: W ALTER B RUGGER / H EINZ D OPSCH / P ETER F. K RAMML (Hrsg.), Geschichte von Berchtesgaden. Stift - Markt - Land, Bd. 1, Berchtesgaden 1991, 229-264. 33 E UGENIUS H UEBER [aus Raitenhaslach], Baumburg als ein herrlich- und zierliche, vest- und unüberwündliche Burg, in: Dank- und Jubelfest (wie Anm. 21), Predigt am 29.8.1758; S ÖLCH , Der Drey- Einige Baum (wie Anm. 22). 34 Dank- und Jubelfest (wie Anm. 21), Vorwort. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 87 In der Bildmitte ist über einer ausgedehnten Treppenanlage ein Altar mit weiß-goldenem Tabernakel, mit einer grünen, goldverzierten Mensa, mit Altartuch und Leuchtern dargestellt. Dass es sich hier um den Altar der hl. Margareta handelt, steht außer Zweifel, denn die Heilige hat sich - auf einer anderen Realitätsebene - mit ihren Attributen Drache, Kreuz und Schwert auf einer Wolke schwebend und von einem Baldachin hinterfangen über dem Altar niedergelassen; sie kniet damit genau an jener Stelle, an der sich im wirklichen Baumburger Hochaltar das Altarblatt befindet. Dieses himmlische, auf Wolken spielende Geschehen ist vor der eigentlichen Bildarchitektur dargestellt, die zur gleichen Realitätsebene wie der Altar gehört. Es ist eine arkadenähnliche Zierarchitektur aus Marmor und Gold. Säulenbesetzte Pfeiler bilden vier offene Bögen. Das Gebälk trägt eine offene Halbkuppel mit anschließender Konchenwölbung. Putten halten als Bekrönung des Kuppelbogens eine Perlmuschel, das Symbol Margaretas (lat. margarita = Perle). Zu Füßen der vier Marmorsäulen stehen auf Sockeln vier weiße (Marmor-)Figuren mit zugehörigen Wappen; sie stellen Adelheid, die Gründerin, sowie ihre drei Ehemänner dar. Diese Zierarchitektur mit den Statuen ist als der „Ehrentempel“ der Gründer zu verstehen. In den vier Bogenöffnungen sind Szenen aus der Gründungsgeschichte dargestellt. Diese besondere und völlig ungewöhnliche Bilderfindung vereint damit ein ehrenvolles Grabmal der Gründer mit einer detaillierten Schilderung des Gründungsgeschehens. Der Jesuit P. Ignaz Bonschab erläuterte sein kunstvolles Gedankengebäude selbst in seiner Festpredigt. 35 Es sei immer schon Brauch gewesen, sagte er, vornehmen Toten ehrenvolle Grabstätten zu bereiten, herrliche und säulenreichen Architekturen, um an den Toten und seine Taten zu erinnern. Die dankbare Liebe der Söhne Adelheidis [= der Baumburger Chorherren] wollte machen, dass kein Aug sich erhebe in diesem Hauß, es muste dann sehen und gedenken, quanta passa propter te, was die liebende Mutter [= die Gründerin] zu leiden hatte, biß sie erst nach ihrem Todt eine zeitliche Mutter geistlicher Kinderen geworden. Dahero der ganze Verlauff, der in vielen seltsamen Erfillungen des ersten Willens des gütigen Stiffters bestunde, also sichtbarlich entworfen worden [im Fresko], damit jedermann in Ansehung Adelheidis, und beigesetzter drei herrlichen Statuen oder Bild-Saulen Ihr drei gewesenen Ehe-Herren, könne auf die Frag und also auf die Bedeitung der Geschicht geleitet werden. 35 I GNAZ B ONSCHAB , Tempel kindlicher Dankbarkeit für 600jährige Wohltaten, aufgebauet von einem hoh-ansehnlichen Stifft der Hochwürdigen Regulierten Chor-Herrn zu Baumburg und auf gnädiges Begehren des Hochwürdigst-Hoch-Edl-gebohrnen Gnädigen Herrn, Herrn Joachim […] bey 8tägiger Feyrlichkeit auf der Kantzel vorgestellet, in: Dank- und Jubelfest (wie Anm. 21), Predigt am 30.8.1758. Die folgenden Zitate ebd., 7-11. Anna Elisabeth Bauer 88 Die Statue im Fresko links vom Altar stellt die Gründerin Adelheid von Megling als vornehme Dame in perlengeschmücktem Gewand und mit kronenähnlichem Kopfputz dar. Sie hat das bayerische Wappen mit den Löwen und Rauten bei sich, das ihr nach der Klostertradition zustand, weil ihr Vater in Baumburg als „Fürst und Herzog in Bayern“ angesehen wurde. 36 Als Filia Principis Bavariae wurde Adelheid 1758 auch auf einem ephemeren Triumphbogen im Klosterhof bezeichnet. Die Statue ihres ersten Mannes Marquart von Marquartstein, der im Todeskampf seine Güter für die Gründung Baumburgs bestimmt hatte, steht Adelheid gegenüber an der rechten Altarseite. Er ist als bärtiger Mann mit Barett, in Pluderhose und Mantel dargestellt, der sich mit der Linken auf sein Wappen mit den sechs Lilien stützt. Diese beiden mittleren Stifterfiguren sind zusammen mit dem Altar und der Kirchenpatronin von dem großen roten Baldachin übergriffen und damit quasi als das thematische Konzentrat des Chorfreskos ausgezeichnet. Adelheids zweiter Gemahl, Graf Ulrich von Passau, ist in der Statue rechts außen zu sehen. Er hat den steigenden Wolf als Wappen und ist als mittelalterlich gekleideter Mann mit Federn auf dem Barett dargestellt, der sich auf einen Degen stützt. Sein Reichtum war groß, noch größer war nach einer kritischen Bemerkung Bonschabs die fast allen Reichen angezauberte Sucht noch mehr, noch mehr zu haben. Er vollzog die Gründung zwar nicht, die Marquart sterbend seiner Frau aufgetragen hatte, doch ging wohl ein Teil seines Vermögens nach seinem Tod in Adelheids Besitz über und damit in den Besitz Berengars. Von diesem Vermögen wurde dann Baumburg gestiftet, so dass Ulrich mit einigem Recht unter die Stifter gezählt werden kann. Außerdem war er der Vater von Adelheids einziger Tochter Uta, deren Nachkommen als weitere Stifter für Baumburg auftraten. Der dritte Gemahl Berengar I. von Sulzbach, der schließlich die Gründung ausführte, steht als Statue links außen, mit seinem Wappen, das ebenfalls sechs Lilien zeigt. Er ist wie die anderen „mittelalterlich“ gekleidet und hält einen großen Kirchenplan, den Plan der Baumburger Kirche von 1755/ 56, in der Hand. In den Landschaftsausblicken der Arkadenbögen spielen vier Szenen der Gründungsgeschichte. In der äußersten rechten Öffnung ist der gewaltsame Tod des Grafen Marquart von Marquartstein dargestellt, des ersten Gemahls der Gründerin, wie es P. Bonschab erklärt: Sie sehen vorgestellet einerseits, wie einige verhaßte Mörder mit Knotten und Schwerdern mit einem Ritter auf offentlichem Feld grausam verfahren, und ist dieser kein anderer, als Marquartus von Marquartstein, der erste auserlösniste Gemahl Adelheidis, ein Herr in der Blühe seiner Jahre. 36 Eine Inschrift auf einer Grabplatte des 15. Jahrhunderts lautete: Hoc in loco sepulti sunt mariti Comitissae Adelheidis, quae fuit Illustris Principis Bavariae Chunonis filia. - „An diesem Ort sind begraben die Ehemänner der Gräfin Adelheid, der Tochter des erlauchten Fürsten Kuno von Bayern.“ Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 89 Im zweiten Bogenfeld von rechts, neben der Statue Marquarts, sieht man auf hohem Bergrücken das Stift Baumburg, dessen Gründung Marquart auf dem Sterbebett seiner Gemahlin Adelheid aufgetragen hatte; darunter, im Tal, ist die Kirche von Altenmarkt dargestellt. Im Ausblick links vom Altar, zwischen den Statuen von Adelheid und Berengar von Sulzbach, ihrem dritten Gemahl, ist das Stift Berchtesgaden zu sehen, dessen Gründung Berengar auf Wunsch seiner Mutter Irmingard vollzog. Der letzte Ausblick links erinnert an Berengars Schwur, Adelheid vor dem Vollzug der Gründung Baumburg nicht zu bestatten: Ihr sehet in dem angewiesenen Feld dort in der Weite ein schlecht-errichtete Hütte, welche der Eigen-Nutz dem Berengarius in Sinn geben, denn dieser zögerte zwar, die Gründung zu vollziehen, wollte aber andererseits seinen Eid nicht brechen. Und so ließ er dero Körper schlecht mit Wasen bedecken, und zu Sultzbach gleichwohl unbegraben in einer alten Schloß-Capellen in ihrer Sarge vermoderen. Betrachtet man die Personen der Gründungsgeschichte nüchtern, so war Adelheid bestenfalls eine gutwillige junge Frau, die die Energie nicht aufbrachte, zu tun, was sie ihrem Mann auf dem Sterbebett versprochen hatte. Marquart war der Entführer eines jungen Mädchens, der bei seinem Tod, den er möglicherweise in Zusammenhang damit erlitt, sein Erbe zu einer Klostergründung verwendet sehen wollte, um seinem Namen ewiges Gedächtnis zu sichern - was ihm gelungen ist. Ulrich von Passau war ein schwerreicher Geizhals, der nicht genug bekommen konnte und Berengar von Sulzbach ein Mann, der sich redlich bemühte, die beiden Klostergründungen, die er Mutter und Gemahlin hatte versprechen müssen, nach Möglichkeit hinauszuschieben bzw. ganz zu vermeiden. Diese Sicht ist teilweise durchaus auch die Sicht der verschiedenen Prediger von 1758. Dennoch werden die Gebeine der Gründer mit Frohlocken erhoben, in höchster Feierlichkeit wieder bestattet und die Gründer im Deckenbild hoch geehrt. Dieser Widerspruch erklärt sich dadurch, dass man die Gründungsgeschichte als Teil der Heilsgeschichte sah, als Ergebnis eines göttlichen Heilsplans, und die Stifter als von Gott erwählte Werkzeuge der Heilsgeschichte. Dann kann man Baumburg als besonders ausgezeichnet sehen, weil Gott auf so schwierigen Wegen das Kloster entstehen ließ. Man glaubt hinter ihm Vergils Tantae molis erat Romanam condere gentem 37 zu hören, wenn P. Bonschab 1758 ausrief, quae et quanta passa est propter te, o Baumburg, damit du gegründet wurdest. 38 37 Vergil, Aeneis, I, 33. - „Soviel schwere Mühe hat es gekostet, das römische Volk zu gründen.“ 38 „Was und wie viel ist deinetwegen geschehen und gelitten worden …“. Anna Elisabeth Bauer 90 3.5. Das Grab der Stifter Wie wir am Beispiel von Benediktbeuern, Tegernsee und Beyharting schon gesehen haben, spielte das Grab der Stifter bei Kirchenerneuerungen des 18. Jahrhunderts eine große Rolle. In einer Zeit, die begann, sich ernsthaft mit historischen Quellen zu befassen, diente das tatsächliche leibliche Vorhandensein der Stifter als Affirmation der Geschichte. Die neue Einstellung zu den Reliquien - also zu der wirklichen Körpersubstanz der Heiligen - ist damit vergleichbar. Man erinnere sich an den jahrelangen erbitterten Streit zwischen Rott am Inn und Wilparting um den Besitz der Leiber von Marinus und Anianus. 39 Man öffnete Reliquienschreine wie Gründergräber, um in den Besitz leibhafter und greifbarer Garanten der Geschichte und der Heilsgeschichte zu kommen. So ist auch das Frohlocken verständlich, mit dem Baumburg beim Öffnen des Grabes seine Stifter begrüßte, und die große Feierlichkeit, mit der es sie in neuen Gräbern bestattete. Die Beisetzung Adelheids bildet auch das Zentrum des Deckenbildes im Chor (Abb. 8). Bonschab weist darauf hin: [...] wie ihr hier vorgestellet sehet, [ist] von Godescalcus, dem anderten Hochwürdigen Probsten […] Adelhaidis Gebain und Hertz im Jahr 1156 allhier, sambt den Aschen ihrer zween Ehe- Herrn im hiesigen Gottes-Hauß, nachdem es eingeweihet war, in besonders herrlich-zugerichten Krüfften mit allen geistlichen Trauer-Gepräng beygesetzet worden. In diesen, nachdem sie über 600 Jahr geruhet, seynd heutigen Tags sie wiederum erhoben, und, wie ihr sehet, an andere Plätz übersetzet worden. Nach Bonschab ist also die erste Beisetzung Adelheids 1156 dargestellt. Links tragen einige Chorherren einen altertümlichen Sarg herbei, der von einer schwarzgoldenen Decke verhüllt ist. In der Mitte der Treppe sind einige Stufen aufgebrochen: Man sieht in eine Art Gruftgewölbe. An der Öffnung knien zwei Ministranten mit Kreuz und Weihrauchfass. Von oben rechts naht der Propst, die Mozzetta um die Schultern und das Abtskreuz auf der Brust (Abb. 9). Chorherren, die ihm folgen, halten Mitra, Pedum und Buch. Aber nicht nur der Propst, sondern auch einige Chorherren zeigen individuelle Gesichtszüge, sind also mit Sicherheit Personen aus dem Konvent von 1758, wie es auch P. Virgil Härl bestätigt: Er sehe in dem von einem kunstfertigen Pinsel verfertigten Gemäld ober dem Chor-Altar […] die Durchläuchtig-Gottseligiste Stiffterin dieses hochwürdigen Gotteshauß von denen allhiesigen Hochwürdigen Herrn Canonicis zum Grab tragen. 40 Ob aber nun 1156 oder 1758, der Bildgegenstand ist im Grunde derselbe: Die Stifterin 39 CBD (wie Anm. 2), Bd. 12/ 2, Landkreis Rosenheim, München 2006, 456-458; Literatur zu Marinus und Anianus ebd., 460. 40 V IRGIL H ÄRL , Daß von Gott der heiligen Margaritae […] und ebendarum höchst-beglückte Stifft Baumburg, in: Dank- und Jubel-Fest (wie Anm. 21), Predigt am 27.8.1758, 4. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 91 Abb. 9: Chor der ehem. Augustiner-Chorherrenstiftskirche Baumburg, Propst Joachim Fischer und Baumburger Chorherren bei der erneuten Beisetzung der Stifterin Adelheid von Megling vor dem Baumburger Hochaltar anlässlich der 600-Jahrfeier Baumburgs, Fresko (Detail), Felix Anton Scheffler, 1757. Anna Elisabeth Bauer 92 wird von Chorherren in der Stiftskirche beerdigt. Die feierliche Wiederholung der ersten Bestattung ist die Wiederholung einer historischen Situation, die man für die Gegenwart lebendig macht; damit ist es eine Beschwörung der Fortdauer der Gründung auch für die Zukunft. Die Grabplatte, die bei der Exhumierung auf Adelheids Grab vor dem ehemaligen Kreuzaltar gefunden wurde, ist eine dreifach beschriebene Rotmarmorplatte mit drei Inschriften aus verschiedenen Zeiten, die sich heute an der Westwand der Vorhalle befindet. 41 Die erste Inschrift, aus dem 13. Jahrhundert, bezieht sich auf Gottschalk, den zweiten Propst und Erbauer der Kirche (gest. nach 1170): VX Kalendas Octobris obiit venerandus Pater Gotschalcus primus Praepositus huius ecclesie. 42 Die zweite Inschrift stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert und besagt, dass unter dieser Platte auch die Gründerin Adelheid ruht: Ista sub sculptura fundatrix quiescit hic nostra Adelhaydis ducissa de Sulcpach felix comitissa mansit hoc in loco corpus sepulchro translato. Ipsius requiem det anime spiritus. Amen. 43 Diese beiden Inschriften sind wohl so zu interpretieren: Adelheid war in der Mitte der Kirche vor dem Kreuzaltar, der sich meist unter oder vor dem Chorbogen befand, beigesetzt worden. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden ihre Gebeine exhumiert und zusammen mit denen des Propstes Gottschalk etwa am gleichen Ort beigesetzt: mansit in hoc loco corpus sepulchro translato. 44 Darüber wurde ein Hochgrab errichtet, dessen Deckplatte heute an der Westwand der Kirche angebracht ist. Die Seitenplatten des Hochgrabs sind nach Düll erhalten. Ihre Inschriften nennen Adelheids drei Ehemänner, ihre Enkel Rapoto und Engelbert von Kraiburg, Söhne ihrer einzigen Tochter mit Ulrich von Passau, mit ihren Familien, sowie ihren Vater Kuno von Megling (= Frontenhausen-Lechsgemünd). 45 Die letzte der drei Inschriften auf der Rotmarmorplatte stammt aus dem Jahr 1756. Der Verfasser war sichtlich bestrebt, mit ihr eine ausführliche historische Quelle für die Zukunft zu schaffen: Hoc sub antiquo lapide superius posito, tegebantur ante hac ossa fundatorum nostrorum, in medio veteris ecclesiae extra Presbiterium, condita quae illic 41 D ÜLL , Inschriftendenkmäler (wie Anm. 30), Kat.-Nr. 1, 95-98. Die Inschriften sind hier nicht in Majuskeln wiedergegeben, Kürzel wurden aufgelöst. Die originale Form bei D ÜLL , Übersetzungen nach Düll. 42 „Am 15. Oktober starb der verehrungswürdige Vater Gottschalk, der erste Propst dieser Kirche.“ Propst Gottschalk war nach Eberwin der zweite Propst von Baumburg, er regierte von etwa 1127 bis mindestens 1163. Sein Sterbejahr wird allgemein nach 1170 angenommen. Zu Eberwins Zeiten existierte die Kirche noch nicht, sie wurde erst unter Gottschalk erbaut. 43 „Unter dieser Platte hier ruht unsere Stifterin Adelheid, Herzogin von Sulzbach, die glückliche Gräfin. Ihr Körper blieb, nachdem das Grab versetzt worden war, an diesem Ort. Der [heilige] Geist gebe ihrer Seele Ruhe. Amen.“ 44 „In diesem Ort blieb der Körper, nachdem das Grab transferiert worden war.“ 45 D ÜLL , Inschriftendenkmäler (wie Anm. 30), 143-146, Kat.-Nr. 54; zu den Seitenplatten vgl. 146- 149, Kat.-Nr. 55, 56 und 57. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 93 una cum ossibus Godischalchi, ordine secundi huius loci Praepositi, sub quo prima monasterii anno 1156 fuit exstructa et consecrata, authentice reperta, et a Joachimo, tunc existente Praeposito, et Archidiacono nato anno saeculari 1756, post secundam novam ecclesiae fabricam et consecrationem, honorifice inde translata, ac pro suo, et totius venerabilis Capituli debito in piissimos eorundem manes gratitudinis affectu, hisce quatuor, in novam formam erectis, et exornatus mausoleis sub suis singula antiquis marmoreis Epitaphiis recondita sunt. 46 Schon im 17. Jahrhundert hatte man begonnen, Grablegen zu verändern und zu systematisieren. In Seeon wurde in der Barbarakapelle neben der Vorhalle eine Grablege der Äbte geschaffen; in der Mitte stand das Stifterhochgrab Aribos I. In Tegernsee brach man das Gründerhochgrab mitten in der Kirche ab, verwendete die Deckplatte über dem Portal und barg den Sarg im Hochaltar. In Freising ließ Fürstbischof Eckher (reg. 1695-1727) alle Domherrengräber im Kreuzgang versammeln. In Indersdorf wurde in der alten Nikolauskapelle eine Grablege geschaffen, wo außer den Grabsteinen der dort beigesetzten Adeligen auch die Deckplatte der Tumba des Stifters Otto IV. aufgestellt wurde. In Rott wurde die große Stiftertumba in die Vorhalle versetzt. Der Besitz des Stiftergrabes gab einem Kloster heilsgeschichtliche und historische Bedeutung. Das Grab diente im 18. Jahrhundert als hochwichtige Primärquelle, wichtiger als jede Urkunde, es bestätigte vor der Welt das Alter des Klosters und den Adel seines Anfangs. 4. Das Bibliotheksfresko im Augustiner-Chorherrenstift Polling: Die moderne Geschichtswisssenschaft enthüllt die Wahrheit Das Bibliotheksgebäude des Augustiner-Chorherrenstifts Polling wurde 1776-1777 durch Matthias Baader errichtet. Der Bibliotheksraum ist eine zweigeschossige Halle, geteilt durch Pfeiler in drei Schiffe zu sieben Jochen. Die Decke wurde 1778 freskiert. Sie hat drei Bildfelder. Das mittlere und größte zeigt in der Darstellung des Alten und Neuen Bundes die Theologie. Eines der beiden kleineren Fresken zeigt mit einem durch Allegorien der Künste und Wissenschaften erweiterten Parnass die Philosophie, das andere 46 „Unter diesem alten, früher gesetzten Stein waren ehemals die Gebeine unserer Stifter geborgen, die in der Mitte der alten Kirche außerhalb des Presbyteriums bestattet waren. Sie wurden dort zusammen mit den Gebeinen von Gottschalk, dem zweiten Propst dieses Ortes, unter dem die erste Klosterkirche im Jahr 1156 erbaut und geweiht wurde, zuverlässig gefunden und von Joachim, dem damaligen Propst und Erzdiakon, im Jahr der Jahrhundertfeier 1756 nach dem Neubau und der Einweihung der neuen Kirche von dort ehrenvoll überführt. Im geschuldeten Gefühl der Dankbarkeit, das den Propst und die ganze ehrwürdige Klostergemeinschaft gegenüber den frommen Seelen der Stifter erfüllt, wurden diese vier Grabstätten in neuer Form errichtet und ausgeschmückt und die Gebeine einzeln unter ihren alten marmornen Grabsteinen beigesetzt.“ Anna Elisabeth Bauer 94 mit der Entschleierung der Wahrheit durch die Geschichte die historischen Wissenschaften (Abb. 10). Auftraggeber war der hochgebildete Propst Franz Töpsl von Polling (reg. 1744-1796), der auch das Bildprogramm entwarf. Die Fresken stammen von dem relativ unbedeutenden lokalen Maler Johann Baptist Baader (1709-1779), der sie 1778 ausführte. 47 Als sich Töpsl auswärts aufhielt, während Baader gerade am Entwurf des Geschichtsbildes arbeitete, berichtete der Pollinger Konventuale P. Gerhoch Steigenberger dem Propst in einem Brief: Ich habe ihm [dem Maler] nun den Gedanken Euer Hochw. und Gnaden also erklärt, daß drei Hauptpersonen nemlich Veritas quaesita, Ratio quaerens veritatem und Historia in quaerendo viam ope Chronologiae, Geographiae, Numismaticae, Heraldicae etc. detegens vorkommen sollen. Es wird also Historia der verhüllten Veritas den Schleyer aufdecken und sie der Rationi zeigen. Ich weiß nit, ob ich den Gedanken Ew. Hochw. und Gnaden errathen habe. Diese kurze Programmangabe lässt eher an eine allegorische Szene denken. Das Bild, das hier entstand, ist aber letztlich ein Pollinger Gründungsbild, wenn auch ein ungewöhnliches. 48 Über einen Stufenaufbau zeigt das Bild einen Rundtempel. Vor ihm erscheint, von Strahlen umgeben, die nur von einem feinen weißen Schleier bedeckte Figur der Wahrheit (Veritas). Drei Figuren sind mit ihr beschäftigt: Ratio, die Vernunft, gekennzeichnet durch die Krone auf dem Haupt und die Zügel in ihrer Hand, steht hinter der Figur der Veritas und fasst mit der Rechten an deren Schleier, während die Metaphysik, auf den Stufen sitzend, gekennzeichnet durch einen Stirnreif und eine Flamme auf dem Haupt, der Wahrheit den Schleier wegzieht. Von der anderen Seite eilt im Flug Imaginatio herbei, gekennzeichnet durch Flügel und Flamme am Haupt, um Veritas mit einer Girlande zu schmücken. Die Figur der Historia sitzt - anders als anfangs geplant - als Dreikopfgestalt im Vordergrund auf den Stufen und folgt damit nicht dem auf Cesare Ripa zurückgehenden Bildtyp, sondern ist offensichtlich eine Pollinger Erfindung. Die drei Gesichter sind die eines Greises, eines Mannes und eines Jünglings und spielen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an. Drei Gegenstände sind den drei Gesichtern zugeordnet: Dem Greisenkopf (der Vergangenheit) die Messlatte, dem mittleren Gesicht (der Gegenwart) eine Kugel und dem Jünglingsgesicht (der Zukunft) Schlüssel. Die Messlatte symbolisiert die zeitliche Einordnung alles vergangenen Geschehens, die Kugel stellt die enteilende Zeit dar, die Schlüssel weisen auf das noch Verborgene und dem Menschen Verschlossene, das 47 CBD (wie Anm. 2), Bd. 1, Die Landkreise Landsberg am Lech, Starnberg, Weilheim-Schongau, München 1976, 459-464. 48 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 3187/ IV, Brief 14. Die Geschichte enthüllt die Wahrheit 95 Abb. 10: Die Geschichtswissenschaften, Fresko in der Bibliothek des ehem. Augustiner-Chorherrenstifts Polling, Johann Baptist Baader, 1778. aber in der Zukunft aus der historischen Betrachtung der Vergangenheit zu deuten und zu erschließen ist. 49 Um Historia sind auf den Stufen Allegorien der historischen Hilfswissenschaften angeordnet. Auf die Frühzeit des Klosters weisen drei Genien hin, die mit drei Bruchstücken eines Textes auf einer Schriftrolle, in einem Buch und - in den Stein gemeißelt - auf einem Monument die Paläographie und die Epigraphik bedeuten; der Text lautet zusammengesetzt: THASSILO DUX PRIMUM / POST REX / IDIBUS IN TERNIS 50 . Damit ist die erste 49 CBD (wie Anm. 2), Bd. 1, Die Landkreise Landsberg am Lech, Starnberg, und Weilheim-Schongau, München 1976, 465f. 50 Hier wird die verlorene Inschrift auf einem Epitaph Tassilos III. im Kloster Lorch zitiert, die lautete: Anno Domini 777 Thassilo Dux primum, post Rex, Monachus sed ad imum. Ydibus in ternis discesserat Anna Elisabeth Bauer 96 Gründung Pollings durch den Bayernherzog Tassilo angesprochen, der um 750 im Wald das „Pollinger Kreuz“ fand und an dieser Stelle ein Benediktinerkloster gründete. Rechts im Bild hält ein alter Mann die Gründungsurkunde Pollings als Chorherrenstift durch Heinrich II. Er verkörpert damit die Diplomatik 51 : In nomine Sanctae et Individuae Trinitatis. Henricus divina favente Clementia Rex: XVI. KL. MAI MX. 52 Im Vordergrund betrachten zwei Männer mit einem Genius offenbar alte, in Gefäßen versteckte und wiederentdeckte Münzen; diese Gruppe stellt die Numismatik dar. Die Heraldik wird verkörpert durch eine junge Frau, im Zentrum des Bildes auf den Stufen sitzend. Sie hält das Doppelwappen von Kloster Polling und Propst Töpsl. Daneben ist ein heraldisches Buch zu sehen, aufgeschlagen auf den Seiten, wo die linke einen Adler, die rechte das Wappen Töpsls zeigt. Damit wird an die heraldischen Studien Töpsls erinnert, der in einem alten Wappenbuch dieses Wappen unter dem Namen Debsel fand und es fortan als zweites Wappen führte. Schließlich hat eine Allegorie mit Flügeln am Haupt eine Schriftrolle mit Siegel (Sphragistik) in Händen: MDCCLXXVIII CA- ROLO THEODORO REGNANTE BAVARIA 53 , eine Inschrift, die das Fresko in die Gegenwart von 1778 einordnet. Nur wenige Jahre vor der Säkularisation, dem Ende der alten Stifte Bayerns, erinnert hier der Pollinger Propst Franz Töpsl an die Methoden Mabillons, mit denen die Geschichte der Stifte erforscht wurde, damit ihr Ruhm und ihre Würde anschaulich gemacht werden konnten. iste Decembris. (Monumenta Germaniae Historica 25, Nachdruck 1964, 641.) - „Im Jahre 777 Tassilo, zuerst Herzog, dann König, am Ende aber Mönch. Dieser verschied in den Iden des Dezembers.“ 51 Gründungsurkunde Pollings von Heinrich II. Sie wurde von Töpsl selbst in seiner Geschichte Pollings veröffentlicht: F RANZ T ÖPSL , Succincta Informatio de Canonia Pollingana, Günzburg 1760, 3. 52 „Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit. Heinrich, durch göttliche Güte König: 16. Mai 1010.“ 53 „1778 Bayern unter der Regierung von Karl Theodor.“ Klostergeschichte auf Ofenkacheln Bemalte Kachelöfen aus Steckborn Margrit Früh Im 18. Jahrhundert blühte in der kleinen Stadt Steckborn am Untersee (Bodensee, Thurgau, Schweiz) die Herstellung bemalter Kachelöfen. Die dortigen Hafner, fast ausschließlich Angehörige der Familie Meyer, durften ihre Produkte in einen großen Umkreis liefern. 1 Sie standen zunächst in Konkurrenz zu den im 17. Jahrhundert dominierenden Winterthurer Hafnern. 2 Ab etwa 1700 konnten sie diese überflügeln und weitgehend vom Markt verdrängen. Die Steckborner Öfen wurden in zahlreichen Formen, vor allem aber in Gestalt der herkömmlichen Turmöfen mit vier-, sechs- oder achtseitigem Turm und entsprechend angepasstem Feuerkasten (Unterbau) errichtet. Ein solcher Ofen wurde aus zahlreichen Kacheln unterschiedlicher Form und Bemalung aufgebaut: Die Hauptkacheln, die immer zuerst beachtet werden, sind die großen Füllkacheln, meist hochrechteckigen Formats. Zwischen ihnen stehen die Lisenen, die gleich hoch wie die Füllkacheln, aber bedeutend schmaler sind. Unter oder über den Füllkacheln finden sich die Frieskacheln, die gleich breit, aber viel weniger hoch sind. Dazwischen - unter oder über den Lisenen - stehen die kleinen Frieslisenen. Dazu gesellen sich die unterschiedlichsten Gesimse, ferner Füße, Kranz- und allenfalls Kuppelkacheln. All diese Kacheln fügten sich zu einem architektonischen Gebilde beträchtlicher Größe (Abb. 3). Ein Ofen reichte normalerweise bis fast zur Decke und bildete im Raum einen wichtigen Schwerpunkt und Blickfang. Auch zahlreiche Klöster gaben solche Öfen in Auftrag. Sie erwärmten den Raum, waren schön anzusehen und ermöglichten darüber hinaus die Zusammenstellung von ganzen Bildprogrammen. In der Regel wurde je ein Thema auf jeder Form der Hauptkacheln abgehandelt. Die Bilder konnten nach dem Wunsch des Bestellers ausgewählt werden. Naturgemäß spielte auch die allgemeine Kunstentwicklung eine Rolle, so dass nicht jedes Thema zu jeder Zeit gebräuchlich war. Im 18. Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte, waren - wie schon im 17. Jahrhundert - lehrhafte Bildprogramme verbreitet, und zwar sowohl für weltliche als auch für geistliche Besteller. So finden sich besonders häufig Bilder aus der biblischen Geschichte, Embleme und Allegorien. Themen, die der lokalen Geschichte entnommen sind, fin- 1 M ARGRIT F RÜH , Steckborner Kachelöfen des 18. Jahrhunderts, Frauenfeld / Stuttgart / Wien 2005. 2 U ELI B ELLWALD , Winterthurer Kachelöfen. Von den Anfängen des Handwerks bis zum Niedergang im 18. Jahrhundert, Bern 1980. Margrit Früh 98 den sich hingegen nur an jenen Steckborner Öfen, die für Klöster angefertigt wurden. Von allen heute bekannten Klosteröfen enthält rund ein Drittel Bilder zur Geschichte. Es scheint, als hätten die Klöster eine spezielle Beziehung zu ihrer eigenen Vergangenheit gehabt. 1. Die Legende des Ordensgründers in St. Katharinental (1718) Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit konnte auf verschiedene Weise geschehen. Eine Möglichkeit war es, den Ofen mit Heiligen schmücken zu lassen, zu denen man besondere Beziehungen hatte. In den Bildern auf den großen Hauptkacheln konnten Legenden und Geschichten erzählt werden. Dies war bei einem außerordentlich großen Ofen im Refektorium des Dominikanerinnenklosters St. Katharinental bei Diessenhofen (Thurgau, Schweiz) der Fall. Leider sind von ihm nur noch drei Kacheln übrig geblieben. 3 Der Ofen, entstanden 1718, erzählte die Legende des Ordensgründers Dominikus. Erhalten sind die Kacheln mit folgenden Darstellungen: die Taufe von Dominikus (um 1170), bei der die Amme einen Stern auf seiner Stirn bemerkt haben soll, seine Aufnahme als Kanoniker in Osma (um 1196) (Abb. 1) und die Bestätigung seiner Regel durch Papst Honorius III. (1217). Welche weiteren Szenen am Ofen zu finden waren, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Im Baubuch des Klosters ist die Bestellung verzeichnet: Der Ofen war nach einem Riss, das heißt einer Werkzeichnung, auszuführen; seine Füllkacheln sollten grün glasiert und die Lisenen bemalt werden. Den erhaltenen Resten zufolge waren am fertigen Ofen jedoch die Füllkacheln bemalt, die Lisenen grün glasiert. Der Auftrag muss demnach nochmals abgeändert worden sein, ohne dass die dazu gewiss geführten Gespräche zwischen Hafner und Kloster aufgezeichnet wurden. 3 Zürich, Schweiz. Landesmuseum, Inv. Nr. LM 72789-72791. - Vgl. F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 274, Nr. 4. Abb. 1: Aus ehem. Kloster St. Katharinental, Refektorium, Aufnahme des hl. Dominikus als Kanoniker, Füllkachel von einem Ofen, 1718. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 99 2. Legenden und Bilder von Ordensangehörigen in Salem (1733) An einem vollständig erhaltenen Ofen im Sommerrefektorium des ehemaligen Zisterzienserklosters (heute Schloss) Salem von 1733 finden sich Legenden und Bilder von Ordensangehörigen. 4 Während auf den großen Hauptkacheln Bilder aus der biblischen Geschichte (hauptsächlich zum Thema Feuer) und Embleme gemalt sind, beschränken sich die Legenden eher bescheiden auf die kleineren Frieskacheln. Es werden hier legendäre Ereignisse zu Ordensangehörigen des 12. Jahrhunderts aus verschiedenen Ländern erzählt, von denen es zum Teil auch Varianten gibt: 5 - Dem hl. Raimund wird mit vom Himmel gefallenen Steinen gezeigt, wo die Grenzen der Ländereien seines Klosters liegen sollen. - Unter Mithilfe von Engeln wird ein Kloster errichtet. - Das Jesuskind hilft beim Klosterbau. - Abt Raimund erscheint die Muttergottes bei der Kornernte und wischt ihm den Schweiß von der Stirn. - Beim Garbenbinden überreicht Maria Abt Raimund ein Bruderschafts- Skapulier. - Ero, der Abt des spanischen Klosters Armentaria, sitzt auf einem Steinblock und hört versunken einer Amsel zu; als er wieder zu sich kommt, muss er feststellen, dass inzwischen 200 Jahre vergangen sind. - Stephan III. [Harding], Abt von C î teaux (reg. 1109-1134), sitzt am Seeufer auf einem Stein; ein Adler bringt ihm einen Fisch (Abb. 2). - Der Teufel, kenntlich an Klauenfüßen, erscheint in Frauengestalt vor Johannes Cirita, Abt zu Taruca, der, um der Versuchung zu widerstehen, die Hand ins Herdfeuer hält. Im 18. Jahrhundert wurden die in solchen Szenen dargestellten Personen und Ereignisse der Ordensgeschichte als Vorbilder betrachtet. Darüber hinaus wirft der Salemer Ofen in zahlreichen Frieskacheln aber auch einen Blick auf die Gegenwart, nämlich das damalige alltägliche Leben der Mönche und Brüder, nicht aber auf die Ausübung ihrer geistlichen Verpflichtungen. Wir können sie bei fast allen Tätigkeiten betrachten: wie sie Land- und Gartenarbeit verrichten, kochen oder das Geschirr abwaschen, Korn in die Mühle tragen, aber auch spazieren dürfen. Diese Tätigkeiten bestimmten über Jahr- 4 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 292, Nr. 21. Ferner M ARGRIT F RÜH , „Überaus wohl gemahlet“. Der Steckborner Kachelofen in Salem, in: Keramos. Zeitschrift der Gesellschaft der Keramikfreunde e.V. Düsseldorf 171 (Jan. 2001), 39-58. 5 Angaben zu den Legenden, die ich nicht überprüfen konnte, aus: J OSEPH K LEIN , Der Salemer Ofen, in: Birnauer Kalender 1926, 106-113. Margrit Früh 100 Abb. 2: Ehem. Kloster Salem, Sommerrefektorium, Ein Adler bringt dem Abt von C î teaux einen Fisch, Frieskachel an einem Ofen, 1733. hunderte den Alltag der Mönche. Auf diese Weise entstand gleichsam ein Band zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 3. Gündungslegende und Personen in Beromünster (1735) Besonders intensiv und auf mehrere Arten mit dem eigenen Kloster setzt sich ein ebenfalls vollständig erhaltener Ofen aus dem Jahr 1735 auseinander (Abb. 3). 6 Er steht noch heute an seinem angestammten Platz im Kapitelsaal des weltlichen Kollegiatstifts Beromünster (Luzern, Schweiz). Den Auftrag, umb einen sauberen offen zu schauwen, der in die Capitel-stuben möge gesetzt werden, erhielt der für die Bauten zuständige Chorherr, der „Bauherr“ des Stifts. 7 Er musste mit zwei weiteren Chorherren die historien undt gemähl zusammenstellen, damit der Hafner bei seiner Ankunft nicht zu lange aufgehalten werde. Diese Historien und Gemälde weisen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Stiftes hin. Die Gegenwart ist durch die Wappen der zeitgenössischen Chorherren verkörpert, die in die Gegenwart und Zukunft hineinreichende Vergangenheit durch die Wappen der dem Kloster 6 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 295, Nr. 23. 7 Stiftsarchiv Beromünster, Stiftsprotokoll 252f. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 101 Abb. 3: Stift Beromünster, Kapitelsaal, Ofen, 1735. Margrit Früh 102 gehörenden Ortschaften und Gemeinden. Die Vergangenheit wird mehrfach behandelt. Das Hauptthema auf den Füllkacheln sind Engel, hauptsächlich in biblischen Szenen. Das Thema Engel wurde sicher gewählt, weil der Erzengel Michael Patron des Stiftes ist. Ungewöhnlich ausführlich wird sodann die Geschichte der legendären Stiftsgründung durch Graf Bero von Lenzburg (um 950) auf weiteren Füllkacheln erzählt: - Der Sohn Beros kämpft auf der Jagd mit einem Bären. - Der nur scheinbar tote Bär begräbt ihn unter sich und erdrückt ihn. - Traurig kehren die Jagdgefährten mit dem Leichnam in einem langen Zug zur Burg zurück (Abb. 4). - Zur Erinnerung an seinen toten Sohn lässt der Graf das Stift errichten. - Eine lange Prozession überführt den Sarkophag des Sohns in den fertigen Stiftsbau. Auf den Lisenen wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Stifts fortgeführt, hier mit statischen Einzeldarstellungen wichtiger Personen. Außer dem Gründer, Graf Bero mit dem Kirchenmodell, sieht man zwei Heilige, die gemäß der lateinischen Inschriften in familiärer Beziehung zu ihm stehen sollten: seinen Großonkel Leodegar (um 616-678/ 679) und seine Tante Ottilia (um 660-720). Ulrich von Lenzburg ist keine legendäre Figur, sondern historisch nachgewiesen, sogar die Inschrift der Kachel ULRICUS RESTAURATOR A: 1036 stimmt mit heutigen Erkenntnissen überein, Ulrich (gest. vor 1050) ordnete 1036 die rechtlichen Verhältnisse des Stifts neu. Die übrigen dargestellten Apostel und Märtyrer Petrus und Paulus, Pancratius, Placidus, Vitalis, Vitus und Donatus wurden wohl in Beromünster besonders verehrt. 4. Legende der Klosterheiligen in Fischingen (um 1735) Mit der hl. Idda besaß das Benediktinerkloster Fischingen (Thurgau, Schweiz) eine eigene Heilige. Auf den Frieskacheln eines nur mehr in Resten erhaltenen Ofens wurde ihre Legende ausführlich erzählt. 8 Die hl. Idda war wohl eine historische Persönlichkeit, die beim Kloster als Klausnerin gelebt hatte und um 1200 verstorben war. Erst 1481 verfasste der Einsiedler Mönch Albrecht von Bonstetten (gest. 1505) ihre Legende, die er phantasievoll ausschmückte. Seither wurde der Kult der hl. Idda gefördert. 1704- 1718 errichtete man ihr in Fischingen eine eigene Kapelle. Rund 30 Jahre später, um 1735, entstand der Ofen, der ihre Geschichte darstellt. Die weni- 8 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (vgl. Anm. 1), 301, Nr. 29. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 103 Abb. 4: Stift Beromünster, Kapitelsaal, Der Leichenzug kehrt mit dem toten Sohn des Grafen Bero in die Burg zurück, Füllkachel an einem Ofen, 1735. Margrit Früh 104 gen noch vorhandenen Kacheln befinden sich heute im Historischen Museum des Kantons Thurgau in Frauenfeld. 9 Sie zeigen folgende Szenen: - Idda wird von ihrem Gatten, dem Grafen von Toggenburg, aus unberechtigter Eifersucht aus der Burg gestürzt. - Der Graf entdeckt die Totgeglaubte und bittet um Verzeihung. - Ansicht des Klosters Fischingen mit Friedhof. - Nachdem der Teufel Idda die Kerze ausgeblasen hat, muss sie der tote Toggenburger wieder anzünden (Abb. 5). - Der Sarkophag mit der Liegefigur der hl. Idda wird von Pilgern besucht. Abb. 5: Kloster Fischingen, Der tote Toggenburger muss Idda die vom Teufel gelöschte Kerze wieder anzünden, Frieskachel von einem Ofen, um 1735. Als Vorlage für die Szenen diente dem Ofenmaler ein Thesenblatt des Klosters Fischingen, gezeichnet von Jonas Umbach, gestochen von Bartholomäus Kilian in Augsburg 1689. 10 Auf dem Stich ist links die Heilige groß dargestellt, im Zentrum sieht man im Hintergrund, wie sie aus der Burg gestürzt wird. Die weiteren Szenen sind in kleine Kartuschen an den Rand des Blattes gesetzt. Diese Szenen übertrug der Ofenmaler auf die Frieskacheln. 9 Frauenfeld, Historischen Museum des Kantons Thurgau, Inv. Nr. T 7324-7328. 10 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (vgl. Anm. 1), 301, Abb. 384. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 105 5. Klostergründung und -entwicklung in St. Urban (1732) An einem 1732 für das Zisterzienserkloster St. Urban angefertigten Ofen, der sich heute in Solothurn befindet, 11 wird die Klostergründung und -entwicklung auf andere Art erzählt. Auf der mittleren Kachel an der Front des Unterbaus stehen die vier Gründer mit ihren Wappen, drei Angehörige der Familie von Langenstein (deren Wappen zum Klosterwappen wurde) und ein Mitglied der Familie von Kapfenberg. Dargestellt ist der Gründungsvorgang des Jahres 1192 - und zwar nicht als Legende, sondern als Historie. Der Vorgang wird sogar in einem kurzen lateinischen Text mit Jahrzahlen beschrieben, weitgehend den heutigen Erkenntnissen entsprechend. Die vier weiteren Kacheln an der Front des Ofens erzählen Klostergeschichte auf ungewöhnliche Weise, nämlich in Form der Baugeschichte. Ansichten, wie sich die Klosteranlage in den Jahren 1615, 1630, 1669 (Abb. 6) und 1732 präsentierte, dokumentieren den architektonischen Wandel des Klosters, das von Bild zu Bild prächtiger wird. Die Ansichten der einzelnen Bauphasen sind sehr genau; man kann sie gut mit heutigen historischen und archäologischen Erkenntnissen in Übereinstimmung bringen. Als Vorlagen müssen dem Ofenmaler Zeichnungen zur Verfügung gestanden haben, die sich ihrerseits in einem Manuskript von 1830 kopiert finden. 12 Das Manuskript, das dieser Kopie zugrunde lag, stammte aus der Bauzeit des neuen Klosters und handelte von Stiftern und Guttätern St. Ur- 11 Ebd., 289, Nr. 18. Ferner M ARGRIT F RÜH , „Dauerhaft, wohl und anständig bemalt und von schöner Arbeit“. Drei Steckborner Öfen von 1731/ 32 für das Kloster St. Urban, in: Der Geschichtsfreund 148 (1995), 67-103. - Ofen heute im Museum Blumenstein. 12 Zentralbibliothek Luzern, Bürgerbibliothek Ms 230.4°, fol. 84, 83, 85, 86. Abb. 6: Aus ehem. Kloster St. Urban, Füllkachel an einem Ofen aus dem 1732, Vedute des Klosters, 1669. Margrit Früh 106 bans. Da der Ofenmaler die originalen Vorlagen natürlich nicht mitnehmen durfte, mussten er oder ein eigens beauftragter Zeichner zunächst Arbeitskopien herstellen. Bei den Ansichten St. Urbans war es für den Ofenmaler schwierig, die breitrechteckigen Vorlagen in sein Kachelformat zu übertragen. Er setzte daher unter die Klosteransicht einen Streifen mit der jeweiligen Jahrzahl und fügte unten einen nicht ganz passenden Vordergrund hinzu. 6. Heilige in St. Katharinental (1719) Die Möglichkeit, Geschichte in Gestalt einzelner Personen darzustellen, benutzte auch ein weiterer Ofen, der in der Arbeitsstube der Nonnen von St. Katharinental stand. 13 Die Reste des Ofens (nur noch einzelne Kacheln) befinden sich im Historischen Museum des Kantons Thurgau in Frauenfeld. 14 Auf den Lisenen stehen Figuren von heiligen Männern und Frauen, auf den kleinen Lisenenfriesen, die einst darüber oder darunter angebracht waren, sind kurze Vierzeiler geschrieben; diese Texte beziehen sich nicht auf die Personen, sondern behandeln allgemein das Kreuz und das Leiden in der Nachfolge Christi. Bei den erhaltenen Figuren, die alle in lateinischer Form namentlich bezeichnet sind, handelt es sich um - Jesus (als guter Hirte) - Agatha (gest. um 250) - Dominikus (um 1170-1221) - Johannes der Evangelist - Johannes der Täufer - Katharina von Alexandrien (3. oder 4. Jahrhundert, Abb. 7) - Katharina von Siena (1347-1380) - Ludwig IX., König von Frankreich (1214-1270) - Nikolaus von Myra (3./ 4. Jahrhundert) - Ottilia (um 660-720) - Sebastian - Theresa von Avila (1515-1582) - Walburga (gest. um 780) Die Auswahl ist keine zufällige, sondern muss dem Hafner vom Kloster vorgegeben worden sein; denn gezeigt werden Heilige, die dem Kloster besonders nahe standen, so etwa die Patronin Katharina von Alexandrien und Katharina von Siena. Ferner erscheinen Dominikus als Ordensgründer, dann 13 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 276, Nr. 6. 14 F RAUENFELD , Historischen Museum des Kantons Thurgau, Inv. Nr. T 6562-6573. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 107 auch die beiden Johannes (Apostel und Evangelist), die in St. Katharinental sehr verehrt wurden. Zudem fällt auf, dass hier - im Gegensatz zu den Öfen in den Männerklöstern - zahlreiche Frauen dargestellt sind. 7. Ordensangehörige in St. Gallen (um 1730) Ebenfalls lediglich noch als Rest blieb ein Ofen aus der Zeit um 1730 im Historischen Museum St. Gallen erhalten. 15 Er stammt sicher aus einem Benediktinerkloster; denn er zeigt Heilige dieses Ordens. Seine genaue Herkunft bleibt allerdings ungewiss. Die noch vorhandenen Kacheln lassen sich aus inhaltlicher Sicht zu zwei Gruppen zusammenfassen: 1. bedeutende Personen des Benediktinerordens - der Gründer Benedikt (um 480- 547) - Romanus (6. Jahrhundert), der Benedikt in seiner Höhle jeweils das Essen brachte - Maurus (gest. um 584), Abt von Subiaco und als solcher Nachfolger Benedikts - Papst Gregor der Große (um 540- 604, reg. 590-604, Abb. 8) - Columban (um 540-615), Missionar und Abt in Bobbio - Gallus (um 550-Mitte 7. Jahrhundert), einer der Begleiter Columbans (er könnte ein Indiz für die Herkunft des Ofens aus dem Kloster St. Gallen sein). 15 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 285, Nr. 14. Abb. 7: Aus ehem. Kloster St. Katharinental, Die hl. Katharina, Lisene von einem Ofen in der Arbeitsstube, 1719. Margrit Früh 108 2. weitere Heilige, die mit andern Klöstern zusammenhängen - Pirmin (um 670, gest. 753) (Reichenau) - Meinrad (geb. Ende 8. Jahrhundert-861) (Einsiedeln, evt. auch Reichenau, da er von dort nach Einsiedeln kam) - Magnus von Füssen (8. Jahrhundert) - Fridolin von Säckingen (gest. 538) - Gebhard (949-995), Bischof und Konstanz und Gründer des Klosters Petershausen. Als Vorlage für die dargestellten Personen diente das Werk Heiliges Benediktinerjahr von Aegidius Ranbeck. 16 8. Ordensheilige in Ittingen (um 1761) Noch spät nahm ein Ofen in der ehemaligen Kartause Ittingen (Thurgau, Schweiz) die Thematik der Ordensheiligen auf. 17 Er entstand sicher zusammen mit einem gleichartig aufgebauten Ofen, der 1761 datiert ist. In nachträglich verkleinerter Gestalt steht er heute in der Prokuratur, nicht in jenem Raum, für den er einst geschaffen wurde. Heilige des Kartäuserordens sind nur am Unterbau des Ofens, auf den Lisenen, dargestellt. Erhalten haben sich: der Ordensgründer Bruno, Bischof Hugo von Grenoble, der 16 A EGIDIUS R ANBECK , Heiliges Benedictiner-Jahr, Das ist: Kurtze Lebens-Beschreibung, Drey hundert fünff und sechtzig Heiligen, aus dem Orden dess H. Ertz-Vatters Benedicti […] / Erstlich in lateinischer Sprach beschriben, durch [...] R.P. Aegidium Rambeck, Ord. S. Benedicti in dem Löbl. Stifft zu Scheuern Profess. Anjetzo aber auf vieler söhnliches Verlangen in das Teutsche übersetzt, und [...] vermehrt, von R. P. Carolomanno Vierholz, [...] mit 365. darzu gehörigen Kupffern aussgezieret, Augsburg 1710. - Für den Hinweis auf die Vorlage danke ich Mag. Michael Grünwald (Graphisches Kabinett des Stiftes Göttweig), der mir freundlicherweise auch Abbildungen zur Verfügung gestellt hat. 17 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 391, Nr. 116. Abb. 8: St. Gallen, Historisches Museum, Papst Gregor der Grosse, Füllkachel an einem Ofen unbekannter Herkunft. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 109 Bruno und seinen Gefährten das Gelände für die erste Kartause zur Verfügung stellte, sowie die Ordensheiligen Hugo von Lincoln (Abb. 9), Nikolaus Albergati und Anthelmus. 9. Klosterangehörige auf der Reichenau (wohl 1746/ 47) Ein besonderes Programm bot ein Ofen des Benediktinerklosters Mittelzell auf der Insel Reichenau (Baden- Württemberg, Deutschland), heute nur noch als Rest erhalten und in Kastenform in der Schatzkammer aufgestellt. 18 Ihm lassen sich mit größter Wahrscheinlichkeit Quellen von 1746/ 47 zuordnen. 19 Der Ofen zeigte nicht allgemein bekannte und berühmte Angehörige des Ordens, sondern ausschließlich solche des eigenen Klosters. Die Reichenauer Äbte und Mönche sind in Ganzfigur dargestellt. Sie stehen über einer Kartusche mit ihrem Namen, ihren Ämtern und Funktionen sowie ihrem Todesdatum. Diese Kürzestbiographien dürfte der Reichenauer „Haushistoriker“ Pater Januarius Stahel (1701 - ca. 1750) verfasst haben. Die Dargestellten lebten vom 8. bis zum 11. Jahrhundert. Erhalten haben sich: 18 F RÜH , Steckborner Kachelöfen (wie Anm. 1), 328, Nr. 56. Ferner M ARGRIT F RÜH , Kloster Reichenau. Ein Ofen, bestellt und erbaut in schweren Zeiten als Erinnerung an vergangene Größe, in: Hegau Jahrbuch 57 (2000), 110-134. 19 1746 korrespondierte der Abt der Reichenau mit dem Hafner von Steckborn und dem Kloster Weingarten wegen einer Ofenbestellung, die aber nicht zustande kam (Generallandesarchiv Karlsruhe GLA 67/ 574, fol. 237v-243). 1747 erhielt der Hafner ein Trinkgeld, weil der Ofen schöhner als derselbe verdingt geworden war (GLA 96, No. 1001). Abb. 9: Ehem. Kartause Ittingen, Der hl. Hugo von Lincoln, Lisene an einem Ofen, um 1761. Margrit Früh 110 - Eddo (gest. nach 762, Kachelinschrift: 779) - Egino von Verona (gest. 802) - Wetti (gest. 824) - Erlebald (gest. 847, Kachelinschrift: 848) - Walahfrid Strabo (gest. 849, Abb. 10) - Meinrad (um 800-861) - Ratold von Verona (gest. 847, Kachelinschrift: 874) - Wolfgang von Regensburg (um 924-994, Kachelinschrift 999) - Hermann der Lahme (1013-1054) Die übrigen Kacheln sind verloren. So fehlt der Klostergründer Pirmin, der sicher vorhanden war. Den Beweis liefert ein Vorlagenbuch der Steckborner Ofenmaler (Zürich, Schweizerisches Landesmuseum) aus dem 18. Jahrhundert. Dort sind vier Vorzeichnungen für Kacheln des Reichenauer Ofens erhalten geblieben. Eddo und Walahfrid Strabo sind auch am Ofen zu finden, verloren aber sind die Kacheln mit den im Vorlagenbuch vorhandenen Figuren von Alawich und dem Klostergründer Pirmin. Für Pirmin als erste Figur ist die Vorlage mit Inschriftkartusche besonders sorgfältig ausgearbeitet. Die Idee, die wichtigsten Mönche der Reichenau darzustellen, war nicht neu. Bereits 1729 wurde eine Serie von Ölbildern geschaffen, die bedeutende Mönche aus der Vergangenheit zeigte, wobei das Gesicht jeweils einen zeitgenössischen Mönch wiedergab. 20 Als Vorlage für die Ofenkacheln dienten allerdings nicht die Ölbilder, sondern ein Andachtsbildchen, das 1742, also kurz nach der Rückstellung der Heiligblut-Reliquie, auf der Reichenau gestochen worden war. 21 Wie auf 20 Zum größten Teil im Pfarrhaus Reichenau aufbewahrt. Kürzlich entdeckte ich ein zugehöriges Porträt im Schloss Gündelhart (Thurgau, Schweiz) in Privatbesitz. 21 Aufbewahrt im Pfarrhaus Reichenau. Abb. 10: Ehem. Kloster Mittelzell auf der Reichenau, Walahfrid Strabo, Füllkachel an einem Ofen, um 1746/ 47. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 111 dem Bildchen wurden die Mönche auch auf dem Ofen in der Reihenfolge ihres geistlichen Rangs wiedergegeben: Heilige, Bischöfe und Äbte sowie gewöhnliche Mönche. Der Ofenmaler musste die winzigen Darstellungen des Bildchens auf große Formate übertragen und Farbe dazu bringen - eine beträchtliche Leistung; denn die ovalen Einzelvorlagen waren nur etwa 3 cm hoch, die Kacheln hingegen ca. 49 cm. Aus winzigen Brustbildchen gestaltete er Ganzfiguren in geeigneter Umgebung. 22 Von den Lisenen nahm - soweit bekannt - eine einzige das Thema Geschichte auf. Sie befindet sich heute im Augustinermuseum in Freiburg im Breisgau. Sie zeigt das Reliquiar mit dem Heiligen Blut und weist damit auf den Anlass hin, zu dem das Andachtsbildchen und auch das Ofenprogramm entworfen wurden: Die Reliquie gelangte um 923/ 25 auf die Insel, wurde 1630 vor dem 30-jährigen Krieg in Sicherheit gebracht und kam 1737 ins Kloster zurück, das sie sogleich in ein neues Reliquiar fassen ließ. Der Ofen von 1746/ 47 bot mit den dargestellten Mönchen und dem abgebildeten Reliquiar einen stolzen Blick auf eine ruhmreiche Vergangenheit, von deren Glanz die damalige Gegenwart weit entfernt war. 10. Zusammenfassung Blicken wir zurück auf die angewandten Darstellungsarten und -themen, so finden sich bei den hier besprochenen Steckborner Öfen einerseits Erzählungen, vor allem in Form von Legenden, und andererseits statische Darstellungen einzelner Personen, vor allem von Heiligen, Klostergründern oder Mönchen. Die Entwicklung des Klosters in seinen Bauphasen zeigt nur der Ofen aus St. Urban. Wichtig für die Wahrnehmung der Themen war der Ort der Darstellung: Die Füllkacheln, die aufgrund ihrer Größe die meiste Beachtung finden, eigneten sich für Erzählungen, wurden aber auch für Personendarstellungen benutzt. Die hohen, aber schmalen Lisenen waren besonders für die Abbildung einzelner Personen günstig. Die breiten, wenig hohen Frieskacheln konnten ebenfalls für Erzählungen genutzt werden, fanden dafür aber selten Verwendung. Die kleinen Frieslisenen wurden für die historische Thematik gar nicht eingesetzt. Bei einigen Themenarten kommen schriftliche Angaben den Betrachtern zu Hilfe. Keine derartigen Erläuterungen finden sich bei Legendenerzählungen; offenbar setzte man das Wissen um Namen und dargestellte Ereignisse hier als bekannt voraus. 22 Denkbar wäre freilich auch, dass Kacheln und Andachtsbildchen auf eine gemeinsame mir unbekannte Vorlage zurückgreifen. Margrit Früh 112 wie wer, was Standort Zeit Kachelform Angabe Erzählung (Legende) Ordensgründer aus St. Katharinental 1718 Füllkacheln Ordens- Angehörige Salem 1733 Frieskacheln Klostergründer Beromünster 1735 Füllkacheln Klosterheilige aus Fischingen um 1735 Frieskacheln Entwicklung Klosterbauten aus St. Urban 1732 Füllkacheln Jahr statisch (Personen) verehrte Heilige aus St. Katharinental 1719 Lisenen Name Beromünster 1735 Lisenen Name Ordensheilige St. Gallen um 1730 Füllkacheln Name Ittingen um 1761 Lisenen Name Klostergründer aus St. Urban 1732 1 Füllkachel Name, Text Beromünster 1735 Lisenen Name Klosterheilige Beromünster 1735 Lisenen Name Kloster- Angehörige Reichenau um 1746 Füllkacheln Name, Daten Betrachtet man die Entstehungszeit, so wurden in den Jahren von 1730 bis 1735 besonders viele Öfen in Auftrag gegeben (Salem, Beromünster, Fischingen, St. Urban und St. Gallen). Wesentlich früher (1718/ 19) entstanden die beiden Öfen in St. Katharinental, die mit dem völligen Neubau des Klosters zusammenhängen. Die Heiligen auf den Lisenen eines dieser Öfen stehen noch in der Tradition der Winterthurer Öfen des 17. Jahrhunderts, wo Heilige insbesondere auf Öfen für Frauenklöster erscheinen. Die ausführliche Erzählung der Legende des Dominikus scheint hingegen eine Neuerung des frühen 18. Jahrhunderts zu sein. In den Jahren 1730 bis 1735 entstanden dann vor allem Öfen mit Geschichtsprogrammen. Damals brach in den Klöstern geradezu ein „Ofenfieber“ aus - zum Teil ist dies gewiss in Zusammenhang mit der damaligen Baufreude zu sehen. Anlass für eine oder mehrere Ofenbestellungen eines Klosters war nämlich meist ein Neu- oder Umbau. Eine Ausnahme bildete das Kloster Reichenau, wo die Rückkehr der Reliquien den Anstoß gab, einen neuen Ofen in Auftrag zu geben. Zuletzt folgte die Kartause Ittingen 1761 unter dem baufreudigen Prior Antonius von Seilern (1702-1793, reg. Klostergeschichte auf Ofenkacheln 113 1760-1793), der das Priorat neu ausstatten und danach insbesondere das Innere der Kirche völlig erneuern ließ. Eine nicht unbedeutende Rolle im Zuge der Auftragsvergabe spielte der jeweilige Baumeister bzw. Architekt des Klosters. Oft hatte er durch eine vorangegangene Zusammenarbeit mit den Hafnern Einfluss darauf, dass der Ofen in Steckborn bestellt wurde, doch ist bisweilen auch sein Einfluss auf die Form des Ofens feststellbar. Das Bildprogramm hingegen wurde wohl stets im Kloster zusammengestellt, wobei hier - je nach Thema - sicher auch eigene Forschung Eingang fand. Veduten des eigenen Klosters kamen ebenfalls bereits im 17. Jahrhundert auf Winterthurer Öfen vor. Ein Ofen auf Schloß Sonnenberg (Thurgau, Schweiz), das dem Kloster Einsiedeln gehörte, zeigt auf Steckborner Kacheln Veduten des Schlosses aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Veduten, die die Entwicklung eines Klosterbaus über die Jahrhunderte hinweg schildern, sind mir hingegen nur von dem Ofen aus St. Urban bekannt. Für geschichtliche Darstellungen benötigte der Ofenmaler stets Vorlagen des jeweiligen Klosters, während für andere, immer wieder verlangte Themen wie Bibelmotive oder Embleme die Vorlagen in der Werkstatt vorhanden waren. Oft wissen wir heute nicht mehr, in welchem Raum des Klosters der Ofen ursprünglich aufgestellt war. Ist der Standort bekannt, handelt es sich bei den „Geschichtsöfen“ durchwegs um Räume innerhalb der Klausur: Refektorium (Salem, Katharinental), Kapitelsaal (Beromünster) oder Arbeitsstube (Katharinental). Die Bildprogramme waren demzufolge nach innen gerichtet; sie wandten sich an die Mönche und Nonnen, vielleicht noch an ausgewählte Gäste. Obwohl ihre eigentliche Aufgabe das Heizen war, konnten Öfen durch ihre Bilder zu Generationen von Ordensleuten „sprechen“, Geschichtskenntnisse vermitteln, aber auch bei der Identifikation mit der Klostergemeinschaft, ihren Heiligen und der Gedankenwelt ihres Ordens helfen. Gründungslegenden und Stiftspropaganda Das Göttweiger „Altmanni-Thesenblatt“ von 1691 Michael Grünwald Thesenblätter stellen eine spezifische Gattung der Druckgraphik dar. Sie zeichnen sich durch eine Kombination von Bild und Text aus und fanden im Universitätswesen des 17. und 18. Jahrhunderts anlässlich öffentlicher Disputationen Verwendung. 1 Der Text nennt einen oder mehrere Defendenten, welcher bzw. welche unter dem Vorsitz eines als Präses bezeichneten Professors ihre Thesen, in der Regel bis zu 50 kurze, in Latein aufgestellte Lehrsätze gegen das Kollegium der Fakultät zu verteidigen hatten. Neben den Namensangaben und der Thesenauflistung erscheinen auch Ort und Datum der Disputation, wobei die Tagesangabe meistens von Hand auszufüllen war. Dazu kommt noch die Widmung an einen höhergestellten Gönner, etwa geistliche oder weltliche Würdenträger wie Prälaten, Bischöfe, Kardinäle, Adelige, Landesfürsten, in Ausnahmefällen sogar der Kaiser. Bisweilen gibt es Verbindungen zwischen dem dargestellten Bildthema und der Dedikation. Die großformatigen Thesenblätter wurden vorwiegend in Kupferstich oder Schabkunstmanier oft mittels mehrerer Kupferplatten auf Papier, seltener und nur bei besonderen Vorzugsexemplaren auf gelber oder rötlicher Halbseide gedruckt. Augsburg stellte ein Zentrum der Thesenblattproduktion dar; verschiedenste Bildungsinstitutionen Deutschlands und des Habsburgerreichs bestellten hier ihre Blätter. Das Thesenblatt fungierte als „Plakat“ zur Bekanntmachung der Disputation an der Universität, als Einladungsformular und Programm; im Nachhinein diente es als Trophäe und Erinnerung an den akademischen Akt, als Widmungsblatt an Adelspatrone 1 Grundlegende Literatur zur Thesenblatt-Thematik: G REGOR M. L ECHNER , Das barocke Thesenblatt. Entstehung - Verbreitung - Wirkung. 34. Jahresausstellung des Graphischen Kabinetts des Stiftes Göttweig / Niederösterreich, Krems a. d. Donau 1985; D ERS ., Thesenblatt, in: H ARALD O LBRICH u.a. (Hrsg.), Lexikon der Kunst, Bd. 7, Leipzig 1994, 291f.; D ERS ., Thesenblätter, in: R EMIGIUS B ÄUMER / L EO S CHEFFCZYK (Hrsg.), Marienlexikon, Bd. 6, St. Ottilien 1994, 392-398; A NETTE M ICHELS , Philosophie und Herrscherlob als Bild. Anfänge und Entwicklung des süddeutschen Thesenblattes im Werk des Augsburger Kupferstechers Wolfgang Kilian (1581-1663), Münster 1987; S I- BYLLE A PPUHN -R ADTKE , Das Thesenblatt im Hochbarock. Studien zu einer graphischen Gattung am Beispiel der Werke Bartholomäus Kilians, Weißenhorn 1988; W ERNER T ELESKO , Barocke Thesenblätter, Ausst.-Kat. der graphischen Sammlung Stadtmuseum Linz-Nordico, Linz 1994; D ERS ., Thesenblätter österreichischer Universitäten, Ausst.-Kat. des Salzburger Barockmuseums, Salzburg 1996; D ERS ., Das Thesenblatt. Gestaltwandel und Funktionsweise eines frühneuzeitlichen Kommunikationsmittels, in: R OBERT S TALLA (Hrsg.), Druckgraphik - Funktion und Form, Vorträge beim Symposium zur Ausstellung „Es muß nicht immer Rembrandt sein ... - die Druckgraphiksammlung des Kunsthistorischen Instituts München“ vom 2. bis 3. Juli 1999, München / Berlin 2001, 29-36; B ERNHARD S CHEMMEL (Bearb.), Die Graphischen Thesen- und Promotionsblätter in Bamberg, Wiesbaden 2001. Michael Grünwald 116 und Klostergemeinschaften sowie als Sammelobjekt für Freunde des Defendenten, Kommilitonen und Professoren. 1. Entstehungsgeschichte Unter der Regierung des Göttweiger Abtes Berthold Mayr (reg. 1689- 1713) 2 erging 1691 die Bestellung für das sog. Altmanni-Thesenblatt (Abb. 1) an Christoph Weigel (1654-1725). 3 Der in Augsburg und Nürnberg tätige Kupferstecher, Verleger und Kunsthändler hielt sich zu dieser Zeit in Wien auf, 4 vermittelte den Auftrag zur Ausführung jedoch nach Augsburg an den befreundeten Stecher Elias Christoph Heiss (1660-1731) weiter, mit dem er gemeinsam bei Georg Andreas Wolfgang (1631-1716) gelernt hatte. Die nicht erhaltene Vorzeichnung für das Schabkunstblatt stammt der Signatur zufolge von Jonas Drentwett (1656-1736). Die zum Druck verwendete Kupferplatte wird bis heute in der Graphischen Sammlung des Stiftes Göttweig verwahrt. Rechtzeitig zur öffentlichen Disputation, Ende September 1691 an der klostereigenen theologischen Hauslehranstalt, wurden die 600 Exemplare in drei Lieferungen am 6., 14. und 20. des Monats von Augsburg nach Göttweig geschickt. Die Gesamtkosten samt Fracht machten 585 fl 39 kr aus, die Weigel am 18. Dezember 1692 quittierte. 5 2 C LEMENS A. L ASHOFER , Profeßbuch des Benediktinerstiftes Göttweig. Zur 900-Jahrfeier der Gründung des Klosters (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Ergänzungsbd. 26), St. Ottilien 1983, 166 und 183-185, Nr. 997. 3 Schabkunstblatt, 95 x 69,5 cm (Plattenrand); unten signiert, links: Jon. Drentwet del., rechts: Elias Christophorus Heiss Sculps. Aug. Vind. (Stift Göttweig, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. H g 017). Allgemein zum „Altmanni-Thesenblatt“ vgl. T ILMAN F ALK (Hrsg.), Hollstein’s German Engravings, Etchings and Woodcuts 1400-1700, Bd. 13, Amsterdam 1984, 158, Nr. 165; L ECHNER , Das barocke Thesenblatt, 1985 (wie Anm. 1), 90-101, Nr. 43; W ERNER T ELESKO , Barocke Thesenblätter in der Sammlung von Prof. Adolf Bodingbauer, Steyr, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Museal- Vereines 142/ I (1997), 215-238, hier 225-227, Nr. 4; G REGOR M. L ECHNER / M ICHAEL G RÜN- WALD , „Unter deinen Schutz ...“ Das Marienbild in Göttweig (mit einer theologischen Einführung von Abtpräses Clemens A. Lashofer), Ausst.-Kat. der Graphischen Sammlung & Kunstsammlungen, des Stifts- und Musikarchivs und der Stiftsbibliothek Göttweig, Melk 2005, 91f., Nr. I 21; M ICHAEL G RÜNWALD , Vom Graphischen Kabinett zum Zentrum für Bildwissenschaften. Geschichte, Bestand und Systematik der Göttweiger Graphiksammlung bis zur Kooperation mit der Donau-Universität Krems 2002, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 116 (2005), 459-515, hier 477f., 512, Abb. 6. 4 M ICHAEL B AUER , Christoph Weigel (1654-1725). Kupferstecher und Kunsthändler in Augsburg und Nürnberg, Frankfurt a.M. 1983, 751-803. 5 Göttweig, Stiftsarchiv, Rechnungsbücher: Ambts-Raittung 1691, fol. 76, Nr. 195 und Ambts-Raittung 1692, fol. 57, Nr. 97. Die bei Emmeram Ritter zitierte Quittung Nr. 7 der Rentamtsrechnung von 1693 lässt sich momentan im Stiftsarchiv nicht auffinden. Vgl. E MMERAM R ITTER , Geschichte der graphischen Sammlung des Stiftes Göttweig, in: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde 11 (1969), 249-277, hier 275, Anm. 112. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 117 Abb. 1: Göttweiger Altmanni-Thesenblatt, Augsburg 1691, Elias Christoph Heiss nach Jonas Drentwett; Stift Göttweig, Graphische Sammlung. Michael Grünwald 118 Die Disputation fand unter dem Vorsitz des Göttweiger Subpriors Placidus Knedlseder (1655-1729) statt. 6 Er war ab 1681 Professor für Philosophie und Moraltheologie an der theologischen Lehranstalt des Stiftes. 7 Die Kandidaten waren die Fratres Roman von Quarient (1671-1739) aus Linz, Joseph Burkhardt (1672-1737) aus Salzburg, Mauritius Schweiger (1671- 1708) aus Drosendorf in Niederösterreich und Karl Grundtner (1671-1718) aus Salzburg. 8 Die 52 philosophischen Thesen in Latein sind an den beiden Basen der Pfeilersockel aufgelistet. 9 Die Widmung an den Passauer Fürstbischof Johann Philipp Reichsgraf von Lamberg (reg. 1689-1712) 10 ist auf dem von zwei Engelbüsten flankierten Sockel in der Mitte angebracht, 11 das Widmungsgedicht befindet sich auf dem Schriftband darunter. 12 Lambergs Wappen ziert das linke, 13 das Allianzwappen des Auftraggebers, des Göttweiger Abtes Berthold Mayr, das rechte Postament. 14 6 Die Namen des Präses und der Defendenten, Orts-, Monats- und Jahresangabe der öffentlichen Verteidigung mit dem jedoch noch frei gelassenen Tag erscheinen am unteren Blattrand in der Mitte: Quas in Celeberrimo et Exempto / Praeside R.P. Placido Knedlseder Praefati Ord. et Monasterij Professo et Superiore SS: Theologiae Doctore et Philosophiae Professore Or= / dinario, biduò propugnandas publicè Suscepêre: RR: RR: FF: Romanus Guarient, Josephus Burcard, Mauritius Schweiger, et / Carolus Grundner, Ejusdem Ord. et Monasterij Professi. Mense Septembri diebus … A° M.DC.XCI. 7 L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 177, Nr. 1030; 446. 8 Ebd., 182f., Nr. 1046, 185f., Nr. 1047, 187, Nr. 1051, 188f., Nr. 1055. 9 THESES SELECTAE EX / / UNIVERSA PHILOSOPHIA. / / 1. Logica est Scientia speculativa, propriè dicta […] 52. Essentia in creatis ñ distinguitur ab existentia. 10 E RWIN G ATZ (Hrsg.), Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1990, 255f. 11 CELSISSIMO / AC / REVERENDISSIMO / S.R.I. / PRINCIPI / AC / DOMINO, DOMINO / IOAN- NI PHILIPPO / EX S.R.I. COMITIBUS DE LAMBERG etc. / EPISCOPO PASSAVIENSI &c. / PRINCIPI / AC / DOMINO, DOMINO / CLEMENTISSIMO. 12 Celsissime ac Reverendissime Princeps Domine, Domine Clementissime, / Jure - Tuo postulas, Celsissime Princeps, ut exile hoc Peripatetici laboris nostri coronidem repraesentans Etypon, non sub alterius luce nominis, lucem aspiciat, / quam tui. Cum enim â gloriosissimis praedecessoribus Tuis Monasterium hoc nostrum ex Superstitioso gentiliatis fano excitatum, liberalitate erectus, munificen= / tiâ fundatum, Episcopali bano confirmatum, etiamnunc florens, virensque perennet: Decuit, ut in Te illos devotissimâ animorus contestatione veneremur, et Reverendissimi Domini / nostri Bertholdi Abbatis, Exempti Gottwicensis Monasterij Praesulis paterno nutu et jussu, Tuo Celsissimo Nomini, leve quides folium, ingentis autem gratitudinis spolium, sup= / plici genuum, lunatione, demississimè consecremus. Sic namque ad locum, unde exeunt flumina gratiarum, reveretuntur, ut iterum fluant. Teste Mellifluo Bernardo Serm. 13. in cant. / Fiat, fiat. Coepisti nuper in nos derivare benevolentia Tuae fluenta, dum â saeculis agitatam inter Ecclesiasticos Dioecesanos Tuos, et nostros, litem, amicabili fecisti compo= / sitione terminari. Perge, quo pede coepisti / : in Ecclesiasticis : / sic bene semper eas, in temporalibus quoque, cum insigni non tam nostro, quam proprio Tuo emo= / lumento: Nostrûm propterea erit, totiusque Tibi devinctissimi Coenobij Gottwicensis, propitium Coeli Numen calentissimis interpellare votis, ut Te hic pro Ecclesia / et Patria, pro Aris et focis, pro Deo et Caesare diutissimè, ibi demum sine fine in Caelis esse iubeat purpuratum. Hanc exantlatorum iustam laborum mercedem pur= / pureo calculo gratulabundi ominamur, ac humillime vovemus. Gottwici Sept. die / Reverendissimae Celsitudinis Tuae / Clientes demisissimi / Professor et Discipuli Professi Gottwicenses. 13 Sockelumschrift: Quàm malè conveniunt, tam benè conveniunt / / Sic enim / / Nescit amare timor, laedere nescit Amor. / / Hinc documenta damus, quâ Simus Origine nati / His nam debetur Fundatio pleráque nostra. / Pro qua / Semper Honos, Vestrúmque decus, Laudesque manebunt. 14 Sockelumschrift: INSIGNIA / / MONTIS / / HABETO. / / Has Theses sVb RegIMIne sVo BerthoLDVs / Abbas VoVIt et fIerI CVraVIt. / Inqué pedis numeres, qui Successêre Beatum, / Omnia firmantes, quae dedit Ille bona. Chronogramm: 1691. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 119 Abb. 2: Vanitasallegorie auf den benediktinischen Mönchsstand, Matthäus Mannagetta, Göttweiger Rotelbuch, 1669; Stift Göttweig, Graphische Sammlung. Eine von Rosen umkränzte Pietà mit Engelassistenz als Anspielung auf das Göttweiger Mariengnadenbild bildet das Zentrum des Thesenblatts. Das Vesperbild wird von zwei Kartuschenpfeilern flankiert, deren hochovale, gerahmte Medaillons mit erklärenden Schriftbändern legendäre Szenen aus der Gründungs- und Stiftergeschichte des Klosters beinhalten. Die Inschriftentexte beziehen sich zum Teil auf Schriftzitate aus der Bibel. Gemeinsam mit der querovalen Kartusche darüber widmen sich insgesamt vier Darstellungen dem Leben und Wirken des hl. Gründerbischofs Altmann von Passau (um 1015-1091). Auf der Draperie unterhalb des Widmungssockels Michael Grünwald 120 erscheint eine zeitgenössische, aus einer etwas früher entstandenen Druckvorlage übernommene Ansicht des Stiftes, die die Klosteranlage noch vor dem barocken Neubau zeigt. Der Aufbau des Thesenblatts erinnert an einen Gnadenaltar und weist Parallelen zu einer Darstellung im Göttweiger Rotelbuch auf: Das unter Abt Georg II. Falb (reg. 1612- 1631) 15 angelegte und unter Abt Sebastian II. Eder (reg. 1669-1672) 16 durch Matthäus Mannagetta (1630- 1680) 1669 restaurierte sowie erweiterte Rotelbuch zeigt als erstes Blatt eine Vanitasallegorie auf den benediktinischen Mönchsstand (Abb. 2). 17 Die beiden aufragenden Ruinenteile an den Seiten werden von zwei Ziffernblättern ohne Uhrzeiger und Emblemmedaillons mit Schriftbändern geziert, die Todesallegorien zum Thema haben. 2. Ikonographisches Programm Das zentrale, von einer Rosengirlande - ein Verweis auf den schmerzhaften Rosenkranz - eingefasste Medaillon des Thesenblatts (Abb. 1) präsentiert eine Pietà mit Engelassistenz. Die Gebetsanrufung darunter (Ora pro nobis Virgo dolorissima, Gotwicensium Tutelaris Praecipua. / ibidemque miraculis 15 L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 140-144. 16 Ebd., 165f. und 170f., Nr. 988. 17 900 Jahre Stift Göttweig 1083-1983. Ein Donaustift als Repräsentant benediktinischer Kultur, Ausst.-Kat. des Stiftes Göttweig, Bad Vöslau / Baden 1983, 39-43, hier 39f. (G REGOR M ARTIN L ECHNER ); G REGOR M. L ECHNER / M ICHAEL G RÜNWALD , Anno Salutis 2000. Heilende Kraft des Christentums, Ausst.-Kat. der Kunstsammlungen des Stiftes Göttweig, Bad Vöslau 2000, 45f., Nr. A 24. Abb. 3: Das barock ausstaffierte Göttweiger Gnadenbild der Pietà, Johann Adam Schmutzer, Kleiner Andachtsstich, erstes Drittel des 18. Jahrhunderts; Göttweig, Stiftsarchiv. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 121 clara) stellt den Bezug zur Göttweiger Gnadenmuttergottes her: Die Holzskulptur aus dem 15. Jahrhundert wird in der Haustradition mit dem legendären Geschenk einer Marienikone von böhmischen Gesandten an Bischof Altmann gleichgesetzt, der daraufhin laut Kapitel 29 der Vita Altmanni seine Gründung Göttweig der Gottesmutter weihte. Diese Begebenheit ist in der Kartusche darüber dargestellt. Die Pietà, die nachweislich bis 1685 auf einer Säule frei im Raum stand, lässt sich mit einer 1474 erstmals genannten Bruderschaft Unserer Lieben Frau in Zusammenhang bringen. 18 Doch ist die Figur im Lauf der Zeit oftmals verändert und umgestaltet worden, insbesondere durch die Adaptierungen aufgrund des barocken Bekleidungsbrauchs (Abb. 3) bzw. bei der Neuaufstellung 1804 am Marmoraltar in der Krypta der Stiftskirche. Das Kompositionsschema des am Thesenblatt dargestellten Vesperbildes mit einem Putto, der voll Trauer die rechte Hand Christi hält und küsst, scheint auf ein Gemälde von Annibale Carracci (1560-1609) zurückzugreifen, das durch zahlreiche Nachstiche, wie z.B. jenen von Pietro del Po (1610-1692), 19 weit verbreitet war und auch für die Bildhauerei starke Vorbildwirkung hatte. 20 Links unten beginnend, beinhaltet die erste Kartuschenszene vier Päpste. Sie sind mit Tiaren bekrönt, halten dreibalkige Peden und thronen auf Wolken über der schematisch wiedergegebenen mittelalterlichen Stiftsanlage von Göttweig. Das Schriftband nennt einige Nachfolger Petri, die dem Kloster Privilegien verliehen bzw. diese bestätigten. 21 Das Medaillon darüber zeigt 18 G REGOR M. L ECHNER , Das Benediktinerstift Göttweig (Großer Kunstführer 153), Regensburg 2 2008, 46f.; S TEPHAN L. S CHNITZER , Die „Altmann-Pietà“ in der Krypta des Stiftes Göttweig. Vom Investiturstreit bis zum Ausgang des Mittelalters (mit einem Quellenanhang), Mskpt. theol. Dipl.- Arbeit, Salzburg 1988; C LEMENS A. L ASHOFER , Theologische und geschichtliche Einführung, in: L ECHNER / G RÜNWALD , „Unter deinen Schutz“ (wie Anm. 3), 5-43, hier 31-33. 19 M ARK C ARTER L EACH / R ICHARD W. W ALLACE (Hrsg.), The Illustrated Bartsch 45: Italian Masters of the Seventeenth Century, New York 1982, 203. 20 Vgl. L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Die Meister des Altars für die kaiserliche Gruft bei den Kapuzinern in Wien, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 21 (1968), 39-91, hier 69-71, Abb. 43. 21 Tum fundationem tum Exemptionem confirmârunt Paschalis II. / Innocentius II. Alexander IV. Nicolaus III. Gregorius II. / Urbanus VI. Item Bonifacius IX. Nicolaus V. Alexander VI. / Paulus V. et plures alij. - Paschalis II. (reg. 1099-1118) bestätigte die dem Stift 1098 von Urban II. (reg. 1088-1099) verliehenen päpstlichen Privilegien. 1139 erteilte Innozenz II. (reg. 1130-1143) abermals den päpstlichen Schutz und die Besitzbestätigung Göttweigs. Auch die Päpste Alexander IV. (reg. 1254-1261), Nikolaus III. (reg. 1277-1280) und Gregor XI. (reg. 1370-1378) erneuerten die privilegierte Rechtsstellung des Klosters. Die vollständige Exemtion und die damit verbundene Erhebung zu einer Abbatia libera verlieh Papst Bonifaz IX. (reg. 1389-1404) im Jahr 1401, die 1452 von Nikolaus V. (reg. 1447- 1455) und 1498 von Alexander VI. (reg. 1492-1503) bestätigt wurde. A DALBERT F UCHS (Bearb.), Urkunden und Regesten zur Geschichte des Benedictinerstiftes Göttweig I: 1058-1400, Fontes rerum Austriacarum II/ 51, Wien 1901, 29-31, Nr. 16, 51-53, Nr. 34, 138f., Nr. 131, 163f., Nr. 161, 605f., Nr. 679, 729-731, Nr. 812 und 813; II: 1401-1468, Fontes rerum Austriacarum II/ 52, Wien 1901, 9-11, Nr. 909, 438-442, Nr. 1382 und 1383; III: 1468-1500, Fontes rerum Austriacarum II/ 55, Wien 1902, 334-337, Nr. 2178; G ÜNTHER H ÖDL , Göttweig im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Geschichte des Stiftes Göttweig 1083-1983. Festschrift zum 900-Jahr-Jubiläum (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Bd. 94), St. Ottilien 1983, Michael Grünwald 122 einen Benediktinerpater in Kukulle mit der Göttweiger Gründungsurkunde zur Weihe der Marienkirche 1083 - wie wir heute wissen, eine formale Fälschung um 1138 bzw. nach 1164 22 - vor Heinrich V. (reg. 1086-1125). Der Mönch präsentiert das von Bischof Altmann gesiegelte Schriftstück dem erhöht thronenden Kaiser, der die Gründung 1108 bestätigte, als er auf der Heerfahrt nach Ungarn Station in Tulln machte. 23 Der Text am Schriftband verweist auf weitere Herrscher, die Göttweig unter ihren Schutz stellten, im Besonderen auf Kaiser Friedrich III. (reg. 1452-1493) und Maximilian I. (reg. 1508-1519), die Exemtionsbestätigungen beim Papst erwirkten. 24 Das gegenüber liegende Medaillon in der Mitte am rechten Pfeiler präsentiert in ähnlicher Komposition die Übergabe der Exemtionsurkunde von 1401 durch Papst Bonifaz IX. (reg. 1378-1389) 25 an einen Mönch, der im Aussehen dem in der Kartusche darüber dargestellten ersten, aus St. Blasien im Schwarzwald kommenden Benediktinerabt Göttweigs Hartmann (reg. 1094-1114) 26 entspricht. Somit wird die Bestätigung Hartmanns als Klostervorstand durch den Papst anachronistisch mit der Verleihung der Exemtion gleichgesetzt. Durch die volle Exemtion wurde Göttweig eine freie Abtei, die unmittelbar der päpstlichen Kurie unterstellt sowie der Jurisdiktion und Oberherrlichkeit der Passauer Diözese weitgehend entzogen war. Die Inschrift 27 bezieht sich auf weitere päpstliche Privilegien seit Urban II. (reg. 1088-1099) 28 und auf die durch die Intervention Kaiser Friedrichs III. erlangte Erneuerung der Exemtion 1452, die noch einmal im Jahr 1498 bestätigt wurde. 29 Das war nötig, weil die Passauer Bischöfe immer wieder versuchten, die päpstliche Freistellung des Stifts zu unterlaufen. Diese päpstli- 1-231, hier 63f. und 104-107. 22 Göttweig, Stiftsarchiv. Die Pergamenturkunde wird in einer 1723 von Abt Gottfried Bessel (reg. 1714-1749) angeschafften Silberschatulle aufbewahrt, die heute zudem als Urne bei der Abtswahl dient. Vgl. F UCHS , Urkunden und Regesten I (wie Anm. 21), 6-13, Nr. 5; 900 Jahre Stift Göttweig, 1983 (wie Anm. 17), 8f., Nr. 1; G REGOR M. L ECHNER , Göttweig, in: U LRICH F AUST / W ALTRAUD K RASSNIG (Bearb.), Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol (Germania Benedictina, Bd. III/ 1), St. Ottilien 2000, 768-843, hier 769f. 23 F UCHS , Urkunden und Regesten I (wie Anm. 21), 32-36, Nr. 18; 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 25, Nr. 14; H ÖDL , Göttweig im Mittelalter (wie Anm. 21), 51. 24 Henricus V. Rex Rom: Litteras fundationis B. Altmanni de verbo ad verbum / confirmavit, eisque robur aeternae firmitatis adjecit Anno MXXXVIII. / Idem facientibus totumque Monasterium in Suam protectionem suspici= / entibus Friderico Rom: Imperatore ac Maximiliano Rege Rom: alijsque / pluribus. Lux perpetua luceat eis! 25 F UCHS , Urkunden und Regesten II (wie Anm. 21), 9-11, Nr. 908. 26 L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 26f., Nr. 1. 27 Anno MXCIX Urbanus II primum Abbatem Gottwicensem Hartmannum sub / Apostolicae Sedis protectionem Suscepit. Quem post alios secutus Bonifacius IX / rogatu Friderici Rom: Imperatoris Monasterium plenario eximen= / do, ut Synopsis declarat. 28 F UCHS , Urkunden und Regesten I (wie Anm. 21), 25-27, Nr. 12. In der Urkunde vom 3. April 1098 stellt Papst Urban II. Göttweig unter seinen Schutz, verleiht das Recht zur freien Abtswahl sowie das freie Begräbnisrecht; ferner bestätigt er den Klosterbesitz sowie die damit verbundenen Rechte. 29 F UCHS , Urkunden und Regesten II (wie Anm. 21), 438-442, Nr. 1382f. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 123 chen und weltlichen Patrone, die das Kloster durch besondere Vorrechte förderten und schützten, finden sich bereits im vorher genannten Göttweiger Rotelbuch. Blatt 8 präsentiert in zwei Reihen übereinander vor rankenverzierten Rundbogennischen vier ganzfigurige Bildnisse von Päpsten, denen das Stift besondere Vorrechte verdankt: links unten Urban II., darüber Paschalis II. (reg. 1099-1118), daneben Bonifaz IX. (reg. 1389-1404) und rechts unten Nikolaus V. (reg. 1447-1455). 30 Auf dem folgenden Blatt 9 erscheinen in gleicher Anordnung die weltlichen Förderer und Beschützer wie Kaiser Friedrich II. (reg. 1220-1250), König Ottokar II. P emysl (reg. 1253-1278), der österreichische Herzog Albrecht I. (1255-1308) und Herzog Leopold IV. von Bayern (um 1108-1141), seit 1136 Markgraf von Österreich. Diese Darstellungen dienten zur Unterstreichung der altehrwürdigen Tradition und zur Legitimierung der herausragenden Stellung des Klosters, im Besonderen gegenüber der Diözese Passau. 3. Altmann und seine Klostergründung Göttweig Vier Medaillons (Abb. 1) hängen ursächlich mit dem hl. Altmann und der Gründung Göttweigs zusammen. Die Lebensbeschreibung des Passauer Bischofs ist durch die Vita Altmanni aus dem 12. Jahrhundert überliefert, von der zwei Fassungen existieren. Die jüngere Version verfolgt bereits deutlich die Absicht einer Kanonisation. 31 Altmann regierte von 1065 bis 1091 als 30 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 42f., Nr. 26, Abb. im Farbbildteil; E LISABETH V AVRA (Hrsg.), Die Suche nach dem verlorenen Paradies, Ausst.-Kat. der Niederösterreichischen Landesausstellung im Stift Melk, St. Pölten 2000, 504f., Nr. 3.3.8, Abb. 31 Die Vita Altmanni liegt in zwei Varianten vor, wobei die Vita prior unter dem Göttweiger Abt Chadalhoh (reg. 1125-1141) und die mehr hagiographisch orientierte Vita posterior von einem in Göttweig weilenden ehemaligen Abt Rupert in der Amtszeit Rudmars (reg. 1174-1200) geschrieben wurde. Wegen der vermehrten Wunderberichte und Schriftzeugnisse gilt der jüngeren Lebensbeschreibung Altmanns der Vorzug. - Die bekannteste Abschrift mit repräsentativen Federzeichnungen der Vitenszenen stellt der aus dem Kloster St. Nikolaus in Passau stammende Clm 16112 der Bayerischen Staatsbibliothek München, drittes Viertel des 15. Jahrhunderts, dar; lateinischer Text: W ILHELM W ATTENBACH (Hrsg.), Monumenta Germaniae Historica, Scriptores in folio 12, Berlin 1856, 226- 243; J ACQUES P AUL M IGNE , Patrologiae cursus completus. Series latina 148, Paris 1878, 867-894; deutsche Übersetzung: A DALBERT F UCHS , Der heilige Altmann, Bischof von Passau und Gründer von Göttweig, Wien 1929; J OSEF O SWALD , St. Altmanns Leben und Wirken nach der Göttweiger Überlieferung: Vita Altmanni, in: Der heilige Altmann, Bischof von Passau. Sein Leben und sein Werk, Festschrift zur 900-Jahr-Feier 1965, St. Pölten 1965, 142-166; C LEMENS L ASHOFER , Bischof Altmann, Gründer von Göttweig. Eröffnungsvortrag beim Symposium „925 Jahre Stift Göttweig“ am 8. August 2008, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 120 (2009), 323-332; F RITZ L OŠEK , Dicitur Mars Vulcani coniugem amavisse. Antike Mythologie und die „Vita Altmanni“, in: ebd., 333-350 - Die ersten gedruckten Versionen der Vita Altmanni erscheinen in Sammelwerken des 17. Jahrhunderts: S EBASTIAN T ENGNAGEL (Hrsg.), Vetera monumenta contra schismaticos, Ingolstadt 1612 (Vita posterior); J OHANNES B IMMEL , Abt von Lambach (reg. 1600-1634), Vitae et miracula SS. Adalberonis, Altmanni et Gebhardi, Augsburg 1619 (Vita prior). Beide Vita-Fassungen zusammen edierte der Melker Benediktiner H IERONYMUS P EZ (1685-1762) in: Michael Grünwald 124 Bischof von Passau, also am Höhepunkt des Investiturstreits, bei dem er der päpstlichen Partei Gregors VII. (reg. 1073-1085) angehörte. 32 Dies hatte seine Vertreibung aus Passau zur Folge, und er konnte nur noch im Ostteil seiner Diözese unter dem Schutz Markgraf Leopolds II. (1050-1095) entsprechend agieren. Altmann gründete am Göttweiger Berg eine Regularkanoniker-Gemeinschaft, die nach der Regel des hl. Augustinus leben sollte. Die zugehörige Stiftskirche weihte er 1083. Altmann starb 1091 in Zeiselmauer bei Tulln. Seinen Leichnam brachte man nach Göttweig und bestattete ihn in seiner Lieblingsstiftung. Im Jahr 1094 wurde das Stift in eine Benediktinerabtei umgewandelt. Dafür kamen Mönche aus St. Blasien im Schwarzwald, einem Reformkloster der Hirsauer Richtung. Das oberste Medaillon 33 am linken Pfeiler präsentiert eine Begebenheit aus dem 7. Kapitel der Vita Altmanni: Am Fuße des Göttweiger Berges sitzen die sogenannten „heiligen drei Jünglinge“ Altmann, Gebhard und Adalbero in historisierender mittelalterlicher Gewandung beim Marterl am Altmanni-Bründl in Steinaweg, das als gotische Lichtsäule wiedergegeben ist. Sie sind im Gespräch vertieft. Dabei zeigt der als Rückenfigur auf einem Stein in der Mitte plazierte Altmann hinauf zur Anhöhe im Hintergrund mit seiner zukünftigen Klostergründung Göttweig. Gemäß der legendären Schilderung sagen die drei ihre Berufsbestimmung voraus: Gebhard, der Gründer von Admont, sein erzbischöfliches Amt in Salzburg (reg. 1060-1088), Adalbero, der Stifter Lambachs, sein Bischofsamt in Würzburg (reg. 1045-1090) und Altmann seines von Passau. Kaum eine Vitenszene hat bis in das 19. Jahrhundert auch außerhalb Göttweigs eine solch verbreitete Darstellung gefunden. 34 Das Sujet eignet sich noch dazu zur Selbstdarstellung des Stiftes, Scriptores rerum Austriacarum I, Leipzig 1721, 110-163. Sie sind auch im Standardwerk zur katholischen Hagiographie, Acta Sanctorum Bollandiana, August-Band II, Antwerpen 1735, 356-389, abgedruckt. 32 Zuletzt: C HRISTOPH S TIEGEMANN / M ATTHIAS W EMHOFF (Hrsg.), Canossa 1077 - Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst.-Kat. Paderborn, München 2006, I: Essays, II, 111-114; J OHANNES L AUDAGE / M ATTHIAS S CHRÖR (Hrsg.), Der Investiturstreit. Quellen und Materialien (Lateinisch - Deutsch), Köln / Weimar / Wien 2006; F RANZ -J OSEF S CHMALE / I RENE S CHMALE -O TT , Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., Darmstadt 5 2006; S TEFAN W EINFURTER , Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006. 33 Schriftband: Bonum opus desiderat, qui Episcopatum desiderat 1. Thim: 3. Cuius veritatem declaravis / DEUS in eventu trium Juventum Nobilium, quorum libet Eorum Occasionali Ioco / : propè / montem, in quo fanum â Gothis Wicko Sacrum, unde hodie Gottwicum dicitur incoleba= / tur, : / Episcopatum desiderante: et ecce feria parta iocis ! Altmannus Passavij: / Gebhardus Salisburgi: Herbipoli Adalbero in Episcopatum effecti, et Celebria / Monasteria fundantes; nunc: Seria quid referant? Si iocus ista tulit! 34 Unter den ausführlich geschilderten Lebenszyklen Altmanns in Göttweig, die üblicherweise mit den gegenseitigen Prophezeiungen der drei heiligen Jünglinge beginnen, sei das 1724/ 25 von Johann Adam Schmutzer (1680-1739) geschaffene Alphabetum Altmanni genannt; dieses Alphabetum lieferte die Initialen für das 1732 im Auftrag von Abt Gottfried Bessel in Tegernsee gedruckte Chronicon Gotwicense. Die 1727/ 28 entstandene neunteilige Gemäldeserie des Johann Samuel Hötzendorfer (1694- 1742), heute Refektoriumsgang des Konvents, eröffnet genauso mit dieser Szene. - Außerhalb Gött- Gründungslegenden und Stiftspropaganda 125 Abb. 4: Göttweiger Gründungslegende mit den heiligen drei Jünglingen Altmann, Gebhard und Adalbero, unbekannter Maler, um 1660; Stift Göttweig, Kunstsammlungen. weigs fand das Thema besonders im Benediktinerstift Lambach, bedingt durch den Gründer Adalbero, großes Interesse; dies beweisen die Wandmalerei von Michael Wenzel Halbax (um 1661-1711) auf der Südseite der 1699 erbauten Stiftsbibliothek und das 1887 von M. Lackner geschaffene Fresko an der Ostwand des Sommerchores. Für das Augustiner-Chorherrenstift St. Florian malte Leopold Kupelwieser (1796-1862) die Szene 1859 als Traumvision der drei jungen Heiligen, in der die Muttergottes mit Kind erscheint und den Heiligen die Bischofswürden verleiht. Vgl. H ANS Z EDINEK , Die Darstellung Altmanns in der Kunst, in: Altmann-Festschrift (wie Anm. 31), 96f., Nr. 13 und 14, 99, Nr. 25, 102-109, Nr. 35, 40, 42-44, 46, 51, 56, 61, 67 und 69; A DALBERT K RAUSE , Das Dreigestirn Altmann, Gebhard und Adalbero, in: ebd., 39-47; G REGOR M. L ECHNER , Sankt Altmann, Bischof von Passau. Leben und Wirken, Bad Vöslau 1991, 26-30, 18, Abb.; G REGOR M. L ECHNER / M I- CHAEL G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten. Graphik - Gemälde - Kunsthandwerk, Ausst.-Kat. des Graphischen Kabinetts & der Kunstsammlungen des Stiftsarchivs und der Stiftsbibliothek Göttweig, Melk 2002, 34-37, Nr. 3, 38f., Nr. 4, 48-49, Nr. 8, 80f., Nr. 21, 82-85, Nr. 22; M ICHAEL G RÜN- WALD , Heiliger Altmann - 925 Jahre Stift Göttweig, in: Das Waldviertel, Jg. 57, 2/ 2008, 158-162. Michael Grünwald 126 indem am Göttweiger Berg im Hintergrund eine Klostervedute mit der aktuellen Bausituation präsentiert wird, wie es erstmals im Rotelbuch bei der Imago Göttwicensis Monastery auf Blatt 3 geschah, doch sind dort die drei Jugendgefährten leider nur noch schwach erkennbar. Besser sind sie auf dem um 1660 von einem anonymen Meister geschaffenen Gemälde zu sehen (Abb. 4), das erst 1982 über den Wiener Kunsthandel ins Kloster gelangte. 35 Rechts am Fuß des Göttweiger Berges mit der detailliert wiedergegebenen alten Stiftsanlage haben sich die drei namentlich bezeichneten Jünglinge Altmann, Gebhard und Adalbero beim Altmanni-Marterl in Steinaweg niedergelassen, um ihre Pilgerjause zu verzehren und sich gegenseitig die Zukunft zu prophezeien. Gleich neben der Bildsäule sitzt Altmann und weist hinauf zur Göttweiger Stiftsanlage, die er zu gründen beabsichtigt. Mit den Gebäuden auf der linken Seite im Hintergrund könnte der ehemalige Benediktinerinnenkonvent in Kleinwien gemeint sein, der um 1200 auf den Berg übersiedelte, 1557 aber nach St. Bernhard bei Horn verlegt wurde. 36 Bei der Darstellung fehlt jedoch die charakteristische St. Blasienkirche von Kleinwien, deren Vorgängerbau möglicherweise zum ursprünglichen Nonnenkloster gehörte. Die querovale Kartusche 37 über der Pietà schildert, wie Bischof Altmann seine Gründung Göttweig dem Schutz der nach barockem Bekleidungsusus ausstaffierten und bekrönten Gnadenmuttergottes weiht, die am Stich jedoch seitenverkehrt wiedergegeben ist. Das Kapitel 29 der Vita Altmanni liefert die literarische Basis dazu: Als der Passauer Bischof sich Gedanken über die Wahl des Patroziniums für seine Stiftung machte, kamen plötzlich ganz unerwartet Boten der Herzöge von Böhmen und überbrachten eine wertvolle Marienikone mit Oklad in feiner Ziselierarbeit. Altmann verstand dies als göttliche Weisung und weihte die Stätte auf den Titel der Muttergottes. Die Haustradition setzte diese legendäre Schenkung mit der heute verehrten Gnadenstatue gleich. So wird auch 1682 auf dem Fresko von Johann Bernhard Grabenberger (1637-1710) an der Westwand der Altmanni- Kapelle in der Stiftskirche anachronistisch die Übergabe der spätgotischen 35 Dorotheum, 460. Kunstversteigerung IV/ 82, Wien 1982, 55, Nr. 398, Taf. 8; 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 20, Nr. 9; L ECHNER / G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34), 48f., Nr. 8. 36 Zu den Göttweiger Benediktinerinnen vgl. H ÖDL , Göttweig im Mittelalter (wie Anm. 21), 226-228; R ALPH A NDRASCHEK -H OLZER , Frauenklöster des Mittelalters in neuer Sicht. Neue Aspekte zu Geschichte und Kultur des Göttweiger Nonnenkonvents, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 106 (1995), Nr. 1, 101-120; U DO F ISCHER , Bischof Altmann von Passau und sein Doppelkloster an der Donau. Studien zur Frühgeschichte des Stiftes Göttweig, Diss. theol. Mskpt., Wien 2008. 37 Schriftband darüber: Deliberanti de Consecratione Ecclesiae â se fundatae faciendae dono potiùs Coelico, quàm humano Divae / Virginis prototypon mittitur ab Inclytis Bohemiae Ducibus, bono utique omnie, quòd Deus in Doloribus / Matris Suae Admirabilis laudari isthinc velit. Laudate ergò Dominum de Coelis. Psal: 148. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 127 Pietà an Bischof Altmann dargestellt (Abb. 5). 38 Historisch stehen mit dieser Weihegabe der böhmische Herzog Vratislav II. (nach 1031-1092) bzw. seine gegen ihn opponierenden Brüder, die mährischen Teilfürsten Konrad (um 1035-1092) und Otto (gest. 1087) sowie Bischof Jaromir von Prag (reg. 1068-1090), in Zusammenhang. Zwei bedeutende Ereignisse lassen sich zeitlich mit dem Geschenk in Verbindung bringen, einerseits die Belehnung Vratislavs II. mit der östlichen Mark durch Kaiser Heinrich IV. (1050-1106) Ende 1081 und andererseits die Schlacht bei Mailberg am 12. Mai 1082 gegen Markgraf Leopold II., um mit Waffengewalt die Besitznahme des Gebietes zu vollziehen. Einer böhmischen Überlieferung zufolge handelte es sich bei der übersandten Marienikone um ein Werk von Abt Božet ch (reg. 1080-1096) des vom hl. Prokop gegründeten böhmischen Klosters Sázava. 39 Diese Abtei war im 11. Jahrhundert ein Zentrum für die Liturgie in slawischer Sprache und geriet deshalb in kirchliche sowie politische Auseinandersetzungen. Gregor VII. verbot 1080 schlussendlich die slawische Liturgie in Böhmen, um das Land der Westkirche zu erhalten. Möglicherweise wollte Herzog Vratislav mit dem Geschenk aus Sázava den päpstlichen Legaten Altmann um Vermittlung in dieser Angelegenheit beim Hl. Stuhl ersuchen. 38 G REGOR M. L ECHNER , Stift Göttweig und seine Kunstschätze, St. Pölten / Wien 2 1983, 43-46; L ECHNER , Göttweig (wie Anm. 18), 68f. 39 L AURENTIUS W INTERA , Eine Stätte alter Benediktinercultur. Kloster Sázawa in Böhmen, in: Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner- und dem Cistercienser-Orden 16 (1895), 556-574, hier 569f.; P AVEL V L EK / P ETR S OMMER / D UŠAN F OLTÝN , Encyklopedie eských klášter , Praha 1998, 632-635; L ASHOFER , Theologische und geschichtliche Einführung (wie Anm. 18), 27, Anm. 172, 42. Abb. 5: Übergabe des Göttweiger Gnadenbildes an Bischof Altmann, Johann Bernhard Grabenberger, 1682; Stift Göttweig, Stiftskirche, Westwand der Altmanni-Kapelle. Michael Grünwald 128 Die nächste Szene 40 hat die Umwandlung Göttweigs von der Regularkanonikergemeinschaft zu einem Benediktinerkloster im Jahr 1094 zum Thema und erzählt gemäß Kapitel 38 der Vita Altmanni von der Vision des ersten Benediktinerabtes Hartmann. Dem Prior von St. Blasien im Schwarzwald erscheint im Traum Bischof Altmann, der ihm als Sendungsauftrag die äbtliche Insignie des Krummstabs überreicht. Diese Szene hat auch das Altarblatt in der Altmanni-Kapelle zum Inhalt (Abb. 6). Es wurde 1773 von Martin Johann Schmidt (1718-1801) gemalt, der das Sujet 1783 noch einmal für ein Galeriebild wiederholte. 41 Hier überbringen Putten neben dem Abtstab auch noch Pektorale und Mitra. Damit wird natürlich auch das päpstliche Privileg hervorgehoben, das dem Göttweiger Abt seit dem 14. Jahrhundert das Tragen von Infel und Pedum erlaubt. Die letzte Kartusche rechts unten zeigt den Altmanni-Reliquienschrein 42 (heute in der Stiftskrypta), eine Silberschmiedearbeit, die von Abt Johannes Dizent (reg. 1672-1689) 1688 über Vermittlung Johann Jakob Pfalzers (gest. 1706) bei Augsburger Meistern in Auftrag gegeben wurde. 43 Der kas- 40 Schriftband: Reformatio Monasterij Contigit sub annum MXCIV ubi, postquàm è vivis excesserat / Vir DEI Hartmanno p.t. Priori in Sylva Hercynia apparuit, divintùs eum Commo= / nens, ut novas Colonias Ord. S. Bened: induceret in Gottwicum, hinc benedicite mon= / tes et Tricolles Gottwicenses Domino. Dan. 3. 41 L ECHNER , Göttweig (wie Anm. 38), 46; G REGOR M. L ECHNER / M ICHAEL G RÜNWALD , Göttweig & Kremser Schmidt. Zum 200. Todesjahr des Malers Martin Johann Schmidt (1718-1801), Ausst.- Kat. des Graphischen Kabinetts & der Kunstsammlungen, des Stiftsarchivs und der Göttweig inkorporierten Pfarren, Melk 2001, 119f., Nr. III 18, 169, Nr. IV 1. 42 Schriftband: B: Altmanni D.G. Episcopi Pataviensis, Sed. Ap. Leg. Monasterij Gott: / fundatoris Munifici, ac voce populi Canonizati Corpus, argenteo in= / clusum Sarcophago, miraculis clarum, publicâ Dulia colitur in Gott= / wico cum indulgentijs ad Festum Authoritate Apostolica confessis: / Venite et Videte: Sepulchrum Ejus gloriosum. Isajae II. 43 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 69-72, Nr. 39a; L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 173f., Nr. 998; L ECHNER , Sankt Altmann (wie Anm. 34), 41-44. Zuletzt wurde der Altmanni- Abb. 6: Bischof Altmann erscheint dem ersten Benediktinerabt Hartmann von St. Blasien im Traum, Martin Johann Schmidt, 1773; Stift Göttweig, Altarbild der Altmanni-Kapelle. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 129 tenförmige achteckige Holzschrein (Abb. 7) ist mit Silber beschlagen und jetzt mit Glasflusssteinen besetzt, da der ursprüngliche Edelsteinbesatz für Kontributionszahlungen 1809 abgeliefert werden musste. Auf dem Deckel liegt die Silberfigur des Bischofs in vollem Pontifikalornat, das Kirchenmodell Göttweigs haltend. Der Emaildekor zeigt Altmann als Klostergründer, Almosenspender und bei der Heilung von Kranken sowie Besessenen. Die acht Kristallglasfenster an den Seiten geben den Blick auf die Heiligenreliquien frei. Mit der Darstellung des Altmanni-Schreins wollte man die kurz vor Entstehung des Thesenblatts angeschaffte Kostbarkeit entsprechend präsentieren, für die der Konvent noch unter dem nachfolgenden Abt Berthold Mayr zu zahlen hatte. Das Reliquiar spricht ausdrücklich den Kult und die Verehrung Altmanns an, welche jedoch bis ins 19. Jahrhundert fast ausschließlich auf Göttweig beschränkt blieben. Bereits die Vita Altmanni berichtet von posthumen Wundern am Grab des Heiligen. Die Propagierung des Altmanni- Kultes durch das Stift wird augenfällig seit der Mitte des 17. Jahrhunderts besonders forciert. Unter Abt Gregor II. Heller (reg. 1648-1669) 44 wurde das Grab des hl. Gründerbischofs geöffnet und die sogenannte „Altmanni-Krümme“ entnommen. 45 Kleider oder Gerätschaften des Heiligen waren nicht mehr zu finden. Die Curva, eine siculo-arabische Elfenbeinarbeit, 46 ist seither wieder als Pastorale in Verwendung, heute noch beim Pontifikalamt am „Altmanni- Sonntag“ um den 8. August, dem Festtag des hl. Bischofs. Die zeitliche Di- Schrein im Jahr 2001 am Institut für Konservierungswissenschaften und Restaurierung an der Universität für Angewandte Kunst Wien restauriert. Das Kirchenmodell-Attribut in der Linken des am Deckel liegenden Bischofs wurde bereits bei der Restaurierung 1952 durch Prof. Otto Nedbal ergänzt. 44 L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 147, 161-163, Nr. 936. 45 J OSEF L ENZENWEGER , Der Kult Altmanns von Passau, in: Altmann-Festschrift (wie Anm. 31), 129- 141, hier 131. 46 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 59, Nr. 29; H ERMANN F ILLITZ / M ARTINA P IPPAL , Schatzkunst. Die Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten aus österreichischen Schatzkammern des Hochmittelalters, Salzburg / Wien 1987, 226f., Nr. 52. Abb. 7: Altmanni-Reliquienschrein, unbekannter Künstler, Augsburg 1688; Stift Göttweig, Stiftskirche, Krypta. Michael Grünwald 130 vergenz zwischen der in der Forschung angenommenen Entstehung im ausgehenden 12. Jahrhundert und dem Todesdatum Altmanns im Jahr 1091 schließt jedoch aus, dass die Krümme tatsächlich aus dem Besitz des Göttweiger Klostergründers stammt. Sie muss von einem späteren Abt herrühren. Gregor Heller ließ auch zur besonderen Verehrung Altmann-Figuren in den Göttweiger Stiftspfarren Furth, Maria Roggendorf und Nappersdorf aufstellen. 47 Eine von ihnen kehrte nach Auffindung im Pfarrhof von Unternalb bei Retz wieder in das Stift zurück und befindet sich heute in der Chorkapelle. Bei dieser Holzstatue des hl. Altmann im Bischofsornat (Abb. 8), das doppeltürmige Göttweiger Klosterkirchenmodell in der Rechten haltend, handelt es sich eindeutig belegt um jene aus der Stiftspfarre Nappersdorf. Die qualitätvolle Skulptur einer niederösterreichischen Werkstatt um 1520 dürfte ursprünglich als Schreinfigur eines spätgotischen Altares in einer Kirche im Stiftsbereich gedient haben und gelangte im Zuge der Barockisierung, nach Altarabbruch in kultischer Weiterverwendung nach Nappersdorf, wo sie bis mindestens Anfang des 19. Jahrhunderts auf der Epistelseite der Pfarrkirche ihre Aufstellung fand. Die logische Folgerung all dieser Bemühungen, den Altmanni-Kult über Göttweig hinaus wirksam zu propagieren, war, die Heiligenreliquien in einem anspruchsvollen Behältnis wie dem Augsburger Silberschrein zur allgemeinen Verehrung zu präsentieren. Erst Ende des 19. Jahrhunderts fand der Kult in den Diözesen Linz (1884), St. Pölten (1888) und Passau (1890) durch Einführung des Altmanni-Festes 47 Z EDINEK , Darstellung Altmanns (wie Anm. 34), 98f., Nr. 21-23; 900 Jahre Stift Göttweig (wie Anm. 17), 20f., Nr. 10. Abb. 8: Altmann-Statue, Niederösterreich (Krems? ), unbekannter Meister, um 1520; Stift Göttweig, Chorkapelle. Gründungslegenden und Stiftspropaganda 131 offizielle Verbreitung. Ab dem späten Mittelalter strahlte die kultische Verehrung Altmanns zwar zaghaft auch in andere mit Göttweig verbrüderte Klöster aus, wie beispielsweise in das Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg. Doch die Benediktiner von Kremsmünster oder die Chorherren in St. Florian warteten die Entscheidung ihrer Diözese Linz ab und feiern das Fest des hl. Bischofs von Passau erst seit 1884 mit päpstlicher Erlaubnis am 8. August. 48 4. Ansehen und Geltung Das letzte, für die Selbstpräsentation des Stiftes besonders wichtige Bildelement ist die Göttweig-Vedute auf der Vorhangdraperie (Abb. 1). Die Klosteranlage spiegelt die Vielfalt der befestigten, vom Mittelalter geprägten Baulichkeiten wider, noch vor dem Brand von 1718 und dem darauf folgenden barocken Neubau nach den Plänen des Johann Lucas von Hildebrandt (1668-1745). Die Ansicht geht nahezu in allen Details auf ein von Abt Gregor II. Heller den österreichischen Landständen ob und unter der Enns zum Neujahr 1668 gewidmetes Blatt zurück (Abb. 9). Auch dieser großformatige, mittels dreier Platten gedruckte Kupferstich kombiniert Bild und Text, das Programm hat ebenfalls die Göttweiger Gründungs- und Stiftsgeschichte zum Inhalt. 49 Das von Matthäus Küsel (1629-1681) nach der Vorzeichnung des Matthäus Mannagetta gestochene Dedikationsblatt präsentiert das weite Panorama der Donaulandschaft von der Wachau bis in den Raum von Stockerau bei Wien. Im Vordergrund thront Göttweig auf dem hohen Bergkegel inmitten der näheren Umgebung, doch ist das Kloster um 180 Grad gedreht und zeigt seine Nordansicht Richtung Krems. Die Basisleiste bringt verschiedene Inschriften wie die Legende der Stiftsgebäude, daneben folgt die Gründungsgeschichte mit den drei heiligen Jünglingen, in der Mitte der Titulus mit der Widmung an die vier Landstände und im letzten Feld Geschichtliches: Etliche Notata über das Closter Göttweig. Über dem Donautal erscheinen in den Wolken zwölf Figuren mit erklärenden Schriftbändern: In der Mitte wird das vom Herzogshut bekrönte Wappen Österreichs ob und unter der Enns vom Gründerbischof Altmann und dem Landespatron Markgraf Leopold III. (reg. 1095-1136) flankiert. Links neben Altmann steht der Ordensgründer Benedikt von Nursia, rechts neben Leopold erscheint das Papstwappen mit dem thronenden Apostelfürsten Petrus, von 48 L ENZENWEGER , Der Kult Altmanns (wie Anm. 45), 135f. 49 Kupferstich, 56 x 120 cm, aus drei Platten (jeweils 56 x 39, 9 cm) bestehend (Stift Göttweig, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. H g 018). L ECHNER / G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34), 50-53, Nr. 9; L ECHNER / G RÜNWALD , „Unter deinen Schutz“ (wie Anm. 3), 89f., Nr. I 19; G RÜN- WALD , Vom Graphischen Kabinett (wie Anm. 3), 473-475. Michael Grünwald 132 Abb. 9: Stift Göttweig und Umgebung mit Stiftern und Patronen, Dedikationsstich, Matthäus Küsel nach Matthäus Mannagetta, Wien 1668; Stift Göttweig, Graphische Sammlung. den gekreuzten Schlüsseln gerahmt und von der Tiara bekrönt als Verweis auf die Romtreue Altmanns und die päpstlichen Privilegien Göttweigs. An diese Gruppe schließt links das Göttweiger Gnadenbild an, flankiert vom Altmanni-Stiftersiegel und dem Siegel Heinrichs V., der die Gründung Altmanns bestätigte. Auf der rechten Seite begleiten der Hausheilige Berthold von Garsten und Benedikts Schwester Scholastika den kaiserlichen Doppeladler, der als Hinweis auf die Protektion des Herrscherhauses zu verstehen ist. Ganz außen ist das Göttweiger Stiftswappen plaziert. Auch Szenen aus der legendären Gründungsgeschichte sind in der weitläufigen Landschaft dargestellt, wie die drei heiligen Jünglinge beim Voraussagen ihrer Zukunft am Altmanni-Bründl oder der Aufbruch des hl. Bischofs mit seinen Gefährten von Mautern zur Inspizierung des Göttweiger Berges für seine Klostergründung. Dieses historisch-hagiographische Programm eignete sich hervorragend zur Umsetzung in Freskomalerei. Diese erfolgte 1682 durch Johann Bernhard Grabenberger bei der Ausstattung der Gründerkapelle des hl. Altmann in der Stiftskirche. Das Hauptfresko an der Westwand zeigt die bereits vorher erwähnte Übergabe der Gnadenpietà durch Gesandte der böhmischen Fürsten (Abb. 5). Die drei durch Stuck gerahmten Kartuschenszenen an der Decke zeigen die heiligen drei Jünglinge beim Altmanni-Bründl im Zentrum, 50 flankiert von posthumen Wundern und Heilungen durch Bischof 50 Für die plastische Stuckdekoration sind Donatus Rueber, Giovanni Castelli und Johann Piazol aus Graubünden bzw. der Gegend um Como in den Jahren 1665-1681 belegt. I NGEBORG S CHEMPER , Stuckdekorationen des 17. Jahrhunderts im Wiener Raum (= Dissertationen zur Kunstgeschichte 17), Wien / Köln 1983, 111-118; W ERNER T ELESKO , Das Altar- und Freskenprogramm der Benedikti- Gründungslegenden und Stiftspropaganda 133 Altmann. Komplettiert wird das Programm durch das schon oben besprochene, 1773 von Kremser Schmidt geschaffene Altarbild mit der Traumvision des ersten Benediktinerabtes Hartmann (Abb. 6). 5. Zusammenfassung und Ausblick Das ikonographisch außergewöhnlich reiche Altmanni-Thesenblatt stellt eine bildliche Umsetzung der Sonderstellung Göttweigs dar, die das Kloster durch päpstliche und kaiserliche Privilegien besonders gegenüber der bischöflichen Machtbefugnis von Passau erreicht hatte. Diesbezüglich entbehrt die Widmung an den Passauer Fürstbischof Lamberg als Nachfolger Altmanns nicht einer gewissen Pikanterie. Zur Legitimation werden historische Fakten, Haustraditionen und Legenden zu einem einheitlichen Argumentationsstrang verknüpft. Damit soll auch der Kult des hl. Gründerbischofs Altmann und die Verehrung der Göttweiger Gnadenpietà über das Stift hinaus propagiert werden. Die Wurzeln und einzelne Elemente des ikonographischen Programms reichen weiter zurück. Das Konzept ist bereits in anderen Medien wie dem Göttweiger Rotelbuch (Abb. 2), dem Widmungsblatt an die Landstände (Abb. 9) oder der Freskoausstattung der Altmanni- Kapelle (Abb. 5) vorgebildet. Zum Prestige gehört auch die voller Stolz präsentierte zeitgenössische Ansicht der Klosteranlage. Um das noch einmal besonders zu unterstreichen, soll zum Schluss als Ausblick die zweite, rund 60 Jahre später unter Abt Odilo Piazol (reg. 1749- 1768) 51 entstandene Göttweiger Thesenblattserie von 1752 vorgestellt werden, die der Verfasser jüngst in der Stiftsbibliothek von Herzogenburg entdeckt hat. 52 An diesem Beispiel (Abb. 10) lässt sich die Weiterentwicklung der Gattung Thesenblatt anschaulich demonstrieren: Als Bildteil werden die bekannten Idealansichten aus Salomon Kleiners (1700-1761) Stichfolge der nerstiftskirche Göttweig im 17. und 18. Jahrhundert, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 120 (2009), 425-450. 51 L ASHOFER , Profeßbuch (wie Anm. 2), 231-233, Nr. 1098. 52 Herzogenburg, Stiftsbibliothek, Thesenblatt Nr. 7-11. In der Graphischen Sammlung des Stiftes Göttweig sind nur noch Abzüge der einzelnen Elemente vorhanden. Erhalten haben sich in Göttweig ferner die jeweils als Bildteil verwendeten Kupferplatten der barocken Idealansichten (ca. 51 x 71 cm), die Kupferplatte der Blankothesenleiste (19,6 x 70,5 cm) und eine kleinformatige Druckplatte (5,2 x 13,3 cm) mit dem Inventor- und Stechernamen sowie der Datierung der ursprünglichen Vedutenserie. Diese zeigt in der Mitte das Allianzwappen Abt Piazols, flankiert von zwei Volutenpostamenten, von denen das linke folgende Inschrift aufweist: Sal: Kleiner delin. et / aere incidit. 1744. Die beiden Postamente wurden extra gedruckt und links und rechts in die Inschriftenleiste an der Bildbasis eingefügt, obwohl die Kupferstiche selbst signiert sind. Piazols Abtwappen erscheint zentral im Dedikationsmedaillon in der Mitte der Thesenleiste. Meines Wissens existieren nur noch drei einzelne Exemplare der Thesenblattserie außerhalb des Stiftes Herzogenburg, wobei dort jeweils die Thesenleiste abgeschnitten wurde, nämlich in der Kärntner Benediktinerabtei St. Paul im Lavanttal und in zwei Wiener Privatsammlungen. Vgl. dazu G RÜNWALD , Vom Graphischen Kabinett (wie Anm. 3), 488. Michael Grünwald 134 Abb. 10: Göttweiger Thesenblatt aus der Serie von 1752 unter Verwendung der Idealansichten Salomon Kleiners aus dem Jahr 1744; Herzogenburg, Stiftsbibliothek. barocken Stiftsanlage von 1744 verwendet. 53 Die Thesentexte werden bereits in eine vorfabrizierte Blankoleiste durch den Wiener Universitätsdrucker Johann Thomas Trattner (1719-1798) mittels Lettern eingefügt. Jeder der vier Defendenten erhält eine Stiftsvedute aus einer anderen Himmelsrichtung. Alle Kandidaten zusammen mit dem Präses 54 werden dann auf dem 53 L ECHNER / G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten (wie Anm. 34), 100-133, Nr. 25 c-g; P ETER P RAN- GE , Salomon Kleiner und die Kunst des Architekturprospekts (Schwäbische Geschichtsquellen und Forschungen, Bd. 17), Augsburg 1997, 308-322; D ERS ., Meisterwerke der Architekturvedute. Salomon Kleiner 1700-1761 zum 300. Geburtstag (Schriften des Salzburger Barockmuseums, Bd. 24), Salzburg 2000, 69f., 216-219, Nr. 46. 54 Die Defendenten waren die Göttweiger Professen Maurus Widhalm (1726-1799), Odilo I. Eder (1723-1759), Gottfried Klopstein (1726-1772) und Franz Xaver Schlegel (1726-1801). Den Vorsitz Gründungslegenden und Stiftspropaganda 135 fünften Blatt genannt, das die Generalansicht Göttweigs aus der Vogelperspektive zeigt. Zu dieser Zeit spielte die Visualisierung der altehrwürdigen Klosterhistorie augenscheinlich keine so bedeutende Rolle mehr. Die ordensspezifische Unabhängigkeit, das religiöse Selbstbewusstsein, politische Standesrepräsentation und wirtschaftliche Leistungskraft wurden nun durch das ambitionierte, aber letztendlich nur zu zwei Dritteln ausgeführte Neubauprojekt sichtbar gemacht. Stift Göttweig nutzte das sog. Altmanni-Thesenblatt als visuelles Medium, um den Hausheiligen Altmann, die traditionelle Gründungsgeschichte und den rechtlichen Sonderstatus wirksam zu propagieren. Aber auch andere österreichische Klöster wie Melk, Seitenstetten, St. Florian, die Wiener Schottenabtei oder St. Peter in Salzburg gaben gleichartige Druckgraphiken mit ähnlichen Bildprogrammen zur Selbstdarstellung in Auftrag. hatte P. Wirnto Klein (1721-1759), ab 1749 Professor für Dogmatik an der theologischen Hauslehranstalt. „Fundant et ornant“ Orte und Formen der bildlichen Präsentation von Stiftern in barocken Klöstern Süddeutschlands Franz Matsche Fundant et ornant steht im Kloster Ebrach an der Fassade des Treppenhauspavillons, des „Empfangsbaus“ der schlossartigen Prälatur (Abb. 1). Die Inschrift bezieht sich auf die überlebensgroßen Steinstatuen von vier Stiftern und Förderern des Kloster auf dem Giebel darüber. Treffender und tiefsinniger als der Ebracher Bauherr, Abt Wilhelm Söllner (reg. 1714-1741), lässt sich nicht ausdrücken, was die Darstellung von Stiftern im Barockzeitalter beinhaltet: fundare bedeutet „gründen, begründen“, aber auch „etwas bereits Bestehendes oder Gestiftetes befestigen und sichern“; 1 ornare meint neben „ausstatten, ausrüsten“ insbesondere „schmücken, zieren“, aber auch „heben, fördern, zu Ehren verhelfen“ und „auszeichnen“. 2 Bemerkenswert an der Ebracher Inschrift ist im Hinblick auf das Thema des vorliegenden Bandes, der sich mit der Visualisierung monastischer Vergangenheit beschäftigt, die Präsenzform der beiden Verben, die die Stifterfunktionen charakterisieren: Sie betont die Aktualität, also die Wirksamkeit der Stifter in der Gegenwart. Auch im fränkischen Kloster Heidenfeld, südlich von Schweinfurt, ist das Wappen des Stifters, Markgraf Hermann von Vohburg (2. Hälfte 11. Jh.), der zusammen mit seiner Gemahlin Alberada gleichzeitig Kloster Banz gestiftet hat, im Festsaal mit einem Motto in Gegenwartsform versehen: Fundat 3 . Eine vergleichbare Präsenz muss den bildlichen Darstellungen der Stifter zugemessen werden, die häufig auch durch die gewählten Darstellungsformen zum Ausdruck gebracht wird. Hinsichtlich der Wirkungsweise der Bilder sagt der Philosoph Baruch de Spinoza (1632-1677) in seinem 1677 erschienenen Hauptwerk, der Ethik, im Abschnitt über die Affekte in 1 Diese unterschiedlichen Bedeutungen von fundare zeigen, dass die lateinische Bezeichnung fundator für Stifter und Gründer das Bedeutungsfeld von „stiften“, althochdeutsch für „festmachen“, das heißt, Schenkungen urkundlich absichern, umfasst. Zu fundare und dotare vgl. O TTO M EYER , Die Klostergründungen in Bayern und ihre Quellen, vornehmlich im Hochmittelalter, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte 51, Kan. Abt. 20 (1931), 123-125 und 197. Eine Unterscheidung der Stiftung als der rechtlich gesicherten Voraussetzung für die eigentliche Gründung eines Klosters, die mit der Errichtung von Gebäuden beginnt und in der Weihe der Kirche und der Einsetzung des Abtes ihren Höhepunkt findet, ist wegen der übergreifenden Bedeutung des Begriffs fundatio nicht notwendig und bei den Darstellungen nicht sinnvoll. 2 Damit ist die Tätigkeit der Förderer des Klosters durch Privilegien und Schenkungen (dotator und fautor) abgedeckt. 3 M ARTIN K UHN , Zur Stiftung und Gründung des Benediktinerklosters Banz am Obermain 1069- 1969, in: Geschichte am Obermain. Colloquium Historicum Wirsbergense 5 (1969), Abb. ohne Seite. Franz Matsche 138 Abb. 1: Ehem. Zisterzienserkloster Ebrach, Pavillon des Prälatur-Treppenhauses, Stifterstatuen auf dem Giebel, Balthasar Esterbauer, 1717. der Proposition XVIII: „Solange der Mensch vom Bild einer Sache affiziert ist, wird er die Sache für gegenwärtig halten, selbst dann, wenn sie nicht existiert, [...] und er wird sie sich weder für vergangen, noch für zukünftig einbilden.“ 4 Was wir in den Stifterdarstellungen vor uns haben, mit denen sich barocke Klöster auf ihre Existenzgrundlage beriefen, ist eine Argumentation in Bildern, die als solche, wie Spinoza sagt, Tatsächlichkeits- und Gegenwartsqualität besitzen. Sie werden von den Klöstern für ihre existentiellen Anliegen eingesetzt, indem sie die Stifter selbst für ihre Stiftungen auftreten lassen. Noch ein weiterer Faktor ist bei diesen Bildwerken zu bedenken: Sie sind in ihrer öffentlichen Wirkung nicht ersetzbar; denn sie entfalten eine Wirkungsmacht, die sich juristischen Auseinandersetzungen entzieht und über die publizitäre Breitenwirkung schriftlicher Darlegungen weit hinaus reicht, weil der Wirkungsraum der Bildwerke hinzukommt. 4 Übersetzung des Verfassers nach dem lateinischen Originaltext (S PINOZA , Ethica: De Affectibus, Propositio XVIII, hrsg. von B. Pantrat, Paris 1988, 232): Quamdiu homo rei alicujus imagine affectus est, rem ut praesentem, tametsi non existat, contemplabitur [...] nec ipsam ut praeteritam, aut futuram imaginatur. „Fundant et ornant“ 139 1. Das Benediktinerkloster St. Mang in Füssen Die demonstrative Häufung der Stifterdarstellungen gerade im Eingangsbereich des ab 1701 neu erbauten Benediktinerklosters St. Mang in Füssen ist durch seinen strittigen herrschaftsrechtlichen Status zu erklären. Das Kloster, das seine Gründung auf die ersten Karolinger zurückführte, hatte seit dem 16. Jahrhundert vergeblich versucht, die Vogteiherrschaft der Augsburger Fürstbischöfe abzuschütteln, unter die es im 14. Jahrhundert geraten war. 5 Das Ziel des Klosters St. Mang war es - wie die benachbarten Stifte und Reichsabteien Kempten, Irsee und Ottobeuren sowie zahlreiche weitere Klöster im Südwesten des Deutschen Reichs -, den früheren Status der Reichsunmittelbarkeit wiederzuerlangen. Es wollte also wieder ein Reichsstift werden, das in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten von der Bevormundung durch die Augsburger Fürstbischöfe als Klostervögte unabhängig war und nur der direkten Schutz- und Schirmvogtei des Kaisers unterstand, das Mitglied des Schwäbischen Reichskreises und damit der Schwäbischen Prälatenbank im Reichstag war. Der Rechtsstreit des Klosters mit dem Hochstift Augsburg um seine Autonomie kam 1777 sogar vor das höchste Gericht des Reichs, den Reichshofrat am Wiener Kaiserhof, wurde aber bis zur Auflösung des Reichs nicht entschieden. Die verbale Parallele zu den Stifterdarstellungen in St. Mang findet sich in der Einleitung der Eingabe des Klosters von 1777, die mit den Worten beginnt: 6 Das uralte Stift und Gotteshaus zu St. Mangen in Füeßen ist zufolg historischer Urkunden von Pippino I., majore domus Galliae et Neustriae duce, dem Majordomus oder Hausmeier des merowingischen Frankenreiches und Herzog Neustriens, Pippin I., und nachgehends Pippino tertio, Galliae et Germaniae rege, das heißt von König Pippin I., dann [von] dessen Sohn Carolo Magno mit vielen Freiheiten, das heißt Privilegien, fundiret und dotiret worden. Bereits im Eingangsbereich, in der Durchfahrt zum großen Klosterhof (Abb. 2), werden zu beiden Seiten auf Konsolen die Büsten von vier Stiftern und Förderern paarweise mit jeweils einer lateinischen Inschrifttafel präsen- 5 Zu den Bestrebungen des Klosters, den Status eines Reichsstifts und damit Reichsunmittelbarkeit zu erlangen, vgl. die diesbezüglichen Publikationen von Wolfgang Wüst. Zuletzt: W OLFGANG W ÜST , „Impetrantische“ Hausklöster. Zwischen bischöflich-augsburgischer Suprematie und Reichsstandschaft, in: W ILHELM L IEBHART / U LRICH F AUST (Hrsg.), Suevia Sacra. Zur Geschichte der oberschwäbischen Reichsstifte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Pankraz Fried zum 70. Geburtstag, Stuttgart 2001, 155-169, hier 164-167. 6 Die folgenden Zitate nach W ÜST , Hausklöster (wie Anm. 5), 165. Offenbar handelt es sich bei dem zweimal angeführten „Pippin I.“ um ein und denselben Pippin, als Hausmeier Pippin III. (der Jüngere), als König Pippin I. Vgl. die Erörterung dieser Frage in der „Füssener Chronik“ des Abtes Heinrich Ammann (reg. 1604-1611) von 1607 (lat. Text mit deutscher Übersetzung von Peter Zauner, in: Alt Füssen. Jahrbuch des Historischen Vereins „Alt Füssen“, Jahrgang 1997, 99-101 (Teil XV: Buch 1, Kap. 32, fol. 174-177) und Jahrgang 1998, 43f. (Teil XVI: Buch 1, Kap. 9, fol. 60-63). Franz Matsche 140 tiert (Abb. 1 und 2): 7 Der fränkische König Pippin I. habe das vom hl. Magnus 728 gegründete Kloster 729 großzügig beschenkt - also lange vor seiner tatsächlichen Regierungszeit (751-768); auch die Gründung des Klosters ist vordatiert. Kaiser Karl der Große (reg. 768-814) habe im Jahr 770 den Klosterbesitz königlich vermehrt. Die dritte Büste ist ein Herzog aus dem Welfenhaus, wahrscheinlich Welf VI. (gest. 1191). Er habe St. Mang im Jahr 1180 hartnäckig verteidigt (Abb. 3). 8 Tatsächlich stand St. Mang im 11. und 12. Jahrhundert unter dem Vogteischutz der Welfen-Herzöge, als diese 7 Genaue Angaben in F RANZ M ATSCHE , Der Festsaal im Kloster St. Mang in Füssen als Kaiser- und Reichssaal, in: Alt Füssen. Jahrbuch des Historischen Vereins Alt Füssen 2005, 80-99, hier 80 mit Anm. 2-4 und Abb. 1-4. 8 Herzog Welf VI. gründete 1147 vor seinem Aufbruch zum Zweiten Kreuzzug das Prämonstratenserkloster Steingaden, in dem er 1191 begraben wurde. Er und sein Sohn Welf VII. (gest. 1167) erhielten zum 600-jährigen Gründungsjubiläum 1747 zu beiden Seiten der Welfengruft im Hauptschiff am zweiten vorderen Langhauspfeilerpaar marmorene Grabepitaphien mit Bleireliefs im gotisierenden Stil von Johann Baptist Straub - eine weitere Variante des bildlichen Stiftergedenkens (Welf VI. ist abgebildet in H ANS P ÖRNBACHER , Die Kirchen der Pfarrei Steingaden, Weißenhorn 1981, Abb. auf S. 3). Außerdem sind zu beiden Seiten des Kircheneingangs innen zwei Welfenherzöge in Überlebensgröße an die Wand gemalt. Dazu kommen die Wandbilder der Welfengenealogie aus dem späten 16. Jahrhundert in der Vorhalle. Abb. 2: Füssen, ehem. Benediktinerkloster St. Mang, Durchfahrt in den Klosterhof, Stifterbüste Kaiser Karls des Großen, Anton Sturm (? ), um 1720. Abb. 3: Füssen, ehem. Benediktinerkloster St. Mang, Durchfahrt in den Klosterhof, Stifterstatue Herzog Welfs VI. von Schwaben, Anton Sturm (? ), um 1720. „Fundant et ornant“ 141 das Gebiet am oberen Lech bis in den Ammergau hinein beherrschten. Die vierte Büste stellt ein Mitglied des habsburgischen Kaiserhauses dar: Erzherzog Leopold III. (1349-1386), der das Kloster im Jahr 1360 freigebig dotiert habe - er regierte allerdings erst ab 1365. 9 Bemerkenswert ist die Inszenierungsweise dieser Büsten, die ich für Werke des Füssener Klosterbildhauers Anton Sturm (1690-1757) halte. 10 Sie sind von hochovalen Medaillonrahmen hinterfangen, die sie als imagines clipeatae (Schildbildnisse) deuten lassen - in Anspielung auf eine Bildnisform, mit der vorzugsweise römische Kaiser dargestellt wurden. Die Büstenform und die Aufstellung auf Konsolen entspricht der römischen Form des Ahnenkults; als solche werden hier die Klosterstifter geehrt. Derartige Schildbildnisse wurden zur herrschaftlichen Legitimation seit dem 16. Jahrhundert in Italien und seit den 17. Jahrhundert in Österreich auch am Außenbau wie hier verwendet. Im Treppenhaus, das rechterhand der Durchfahrt liegt und in das Gästequartier sowie zur Abtswohnung empor führt, befinden sich stark abgeriebene Freskenmedaillons mit Herrscherinsignien, die dieselben vier Stifter und Förderer symbolhaft vertreten. Ein drittes Mal werden sie in der großen offenen Vorhalle zum Konvent und zum Treppenhaus, das zum Festsaal des Klosters führt, in Brustbildnissen in den vier Eckkartuschen des Deckengemäldes mit dem Triumph des hl. Benedikt, das Joseph Anton Walch (nachweisbar 1733-1773), um 1750 gemalt hat, vergegenwärtigt (Abb. 4 und 5). 11 Der habsburgische Erzherzog Leopold III. ist hier in der charakteristischen Ikonographie des hl. Leopold, des Babenberger Markgrafen, mit Adlerfahne und Kirchenmodell dargestellt. Anscheinend handelt es sich um eine Verwechslung, die auf das eine der beiden großformatigen Stifterbildnisse aus dem 17. Jahrhundert zurückzuführen ist, die im Mönchschor der 9 In der „Füssener Chronik“ des Abtes Heinrich Ammann (vgl. Anm. 6) wird als „fünfter Gründer“ - nach „Herzog und Vizekönig“ Pippin (den Mittleren, gest. 714), König Pippin I., Kaiser Karl dem Großen und Herzog Welf von Schwaben - „Leopold, Markgraf und Herzog von Österreich“ genannt. Zu ihm heißt es dort: Als fünfter Gründer unseres Klosters gilt jener sehr eifrige Herzog Leopold von Österreich, der uns um das Jahr 1360 und in den folgenden Jahren reichlich privilegierte. Er übernahm nämlich über unsere Güter in Tirol den Schutz, dazu gab er uns das Privileg, alljährlich 18 Fuder Wein [von den Weingütern des Klosters in Südtirol] zollfrei bis an unser Kloster führen zu lassen. Dazu soll man uns in Hall [in Tirol] 12 Fuder Salz ohne Bezahlung geben und sie zollfrei bis an unser Kloster passieren lassen. Für das Salz jedoch sollen wir für die Österreicher [das Haus Österreich] alle Jahre einen Jahrtag halten, was auch geschieht. Zitiert nach der deutschen Übersetzung von Peter Zauner in: Alt Füssen (wie Anm. 6), Jahrgang 1997, 101 (Teil XV, Buch 1, Kap. 32, fol. 178). Für den freundlichen Hinweis auf diese Chronik sei Thomas Riedmiller, Leiter des Kulturamtes der Stadt Füssen, herzlich gedankt. 10 Sie wurden bislang kunsthistorisch gar nicht zur Kenntnis genommen. 11 Vgl. die Nachzeichnungen in K ARL S CHLAGMANN , Füssener Kloster-Heraldik, in: Alt Füssen. Jahrbuch des Historischen Vereins Alt Füssen 1982, 84. Franz Matsche 142 Abb. 4: Füssen, ehem. Benediktinerkloster St. Mang, Vorhalle, Stifterbildnisse Karls des Großen und König Pippins I., Deckenfresko, Joseph Anton Walch, um 1750, Nachzeichnung. Abb. 5: Füssen, ehem. Benediktinerkloster St. Mang, Vorhalle, Sifterbildnisse Herzog Welfs VI. von Schwaben und Erzherzog Leopolds III. von Österreich, Deckenbild, Joseph Anton Walch, um 1750, Nachzeichnung. „Fundant et ornant“ 143 Kirche in die barocke Wanddekoration als Supraporten eingebunden sind. 12 Sie dienten dazu, dass die Mönche beim Chorgebet stets ihrer gedachten. 13 Auf der Evangelienseite ist es Karl der Große, eine genaue Kopie nach Albrecht Dürers Bild von 1511-1513 in Nürnberg. 14 Es ist mit einer lateinischen Beschriftung versehen, die mit Hilfe einer aufgemalten Messlatte über die Körpergröße des Kaisers informiert. 15 Sie lautet, sinngemäß übersetzt: „Naturgerechte Abbildung Kaiser Karls des Großen, seine Körpergröße beträgt viermal die Messlinie.“ Auch hier ist die Präsenzform der Aussage zu beachten. In der Stuckkartusche darunter befindet sich die Inschrift: Extolebat / Et Elevabat Sancta Fundata. 16 Das Gegenstück über der Tür auf der Epistelseite ist ein Bildnis, dessen lateinische Beschriftung den Dargestellten als S[anctus] Leopoldus und in Analogie zur Vera effigies im religiösen Bereich als das „wahre Bildnis dieser herausragenden Zierde der Wohltäter des Klosters aus dem Hause Österreich“ bezeichnet. 17 Tatsächlich ist der hl. Leopold, Markgraf Leopold III., der Fromme (1075-1136), aus dem Haus der Babenberger, gemäß seiner gewohnten Ikonographie dargestellt: mit dem Kirchenmodell und der „altöstereichischen“ Fahne mit den kleinen Adlern, deren Fünfzahl auf drei reduziert ist. 18 Dieses Bildnis nahm Walch zur Vorlage für sein Bildnis Leopolds III. von Österreich (mit dem „neuöstereichischen“ Bindenschild darunter) im Deckenfresko der Vorhalle. Die Beschriftungen muten wie die Authentiken von Reliquien an, als sollten sie die persönliche Anwesenheit dieser Förderer des Klosters garantie- 12 Dazu gehören vier Stuckkartuschen im Wandabschlussgesims mit jeweils zwei Wappen für Karl den Großen und Erzherzog Leopold III. von Österreich. Nachzeichnungen in S CHLAGMANN , Füssener Kloster-Heraldik (wie Anm. 11), 83. 13 Auch im Mönchschor der ehemaligen Benediktinerabteikirche von Banz in Oberfranken ist das Stifterehepaar Markgraf Hermann von Vohburg und Alberada über den Türen in Stuckkartuschen dargestellt; vgl. G ÜNTER D IPPOLD , Kloster Banz. Natur, Kultur, Architektur, Staffelstein 1991, Abb. auf S. 38f. 14 Die Kopie ist für den Füssener Maler Hans Georg Hiebeler für das Jahr 1634 dokumentiert; vgl. P AUL M ERTIN , Das vormalige Benediktinerstift St. Mang in Füssen im ersten Jahrtausend seines Bestehens. Forschungen zur Bau- und Kunstgeschichte des Klosters von der Gründung bis zum Beginn des Barockbaus, Füssen 1965, 132f. Für Hinweise und Literaturbeschaffung sei wiederum Thomas Riedmiller, Füssen, herzlich gedankt. 15 Justa Effigatio S. Caroli Magni Imperatoris. / Longitudo eius est lineae quater mensuratae. Die Länge der Linie beträgt 50 cm, viermal genommen, ergeben sich zwei Meter, die der für Karl den Großen überlieferten Körpergröße in etwa entspricht. 16 Ein Wortspiel, das sich in der Übersetzung nicht wiedergeben lässt, wobei das zu ergänzende Substantiv fraglich ist (wegen des Versmaßes Plural von fundatum? ). Übers.: „Er erhöhte und erleichterte (durch Privilegien) die heilige Gründung.“ 17 S. Leopoldus vere effigiatus / Archiducum Austriae Benefactorum Huius Monasterii Insigne Decus. Als Gegenstück mit gleicher Größe dürfte es ebenfalls von Hans Georg Hiebeler stammen; vgl. M ERTIN , St. Mang (wie Anm. 14), 133. 18 Dass Erzherzog Leopold III. von Österreich gemeint ist, zeigen die beiden habsburgischen Wappenschilde über dem Bildnis (vgl. Anm. 12) mit dem Doppeladler und dem kombinierten österreichischburgundischen Wappen. Es dürfte sich um eine Verwechslung handeln, die durch die in St. Mang falsch gebrauchten Titulaturen für den Habsburger als „Markgraf und Herzog von Österreich“ (vgl. Anm. 9) begünstigt wurde. Franz Matsche 144 ren. Die Angabe der Körpergröße beruht auf der im Volksglauben verbreiteten Meinung, dass das genaue Maß einer Person deren persönliche Gegenwart vermittle. Solches begegnet, ebenso wie das Argument der Vera effigies, nur im religiösen Bereich mit der Angabe der „wahren Läng“ bei Bildnissen Mariens und Christi oder den Kopien heiliger Gegenstände und Gebäude wie des Grabes Christi oder des Heiligen Hauses Mariens aus Nazareth, der Casa Santa in Loreto. 19 Dass dies bei Stifterbildnissen kein Einzelfall ist, belegt eine Parallele in der Klosterkirche von Tegernsee. Dort hängen in der letzten Kapelle des südlichen Seitenschiffs zwei Tafeln, die eine mit den Bildnissen der beiden Stifter des Klosters (746), der Grafen Adalbert und Otkar (Oatker; Daten unbekannt) aus dem bayerischen Hochadel des Huosi. 20 Nach der Legende waren sie Herzöge von Burgund und mit König Pippin blutsverwandt, wodurch die Gründung von Tegernsee in die Zeit vor Karl dem Großen zurückverlegt wurde. Unter den Bildnissen steht: Das ist die Läng der 2 hochlöblichen Stifter. Die andere Tafel berichtet, dass die Stifter eine Lebensgröße von 9 Schuech 7 Zoll gehabt hätten. Nach Michael Hartig stammen die Tafeln aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; sie dürften sich ursprünglich im Kloster befunden haben, wo die Mönche bei ihrem Anblick der Stifter gedachten. In St. Mang wird die Präsentation der Stifter im Treppenhaus, welches zum Kaiser- und Reichssaal führt, in dem die weltlichen Herrschaftszeremonien wie die Huldigung der Grunduntertanen vor einem neuen Abt stattfanden, monumental gesteigert. 21 Ein großes hochovales Deckenfresko, das der Kemptener Stiftsmaler Franz Georg Hermann (1692-1768) zwischen 1720 und 1722 gemalt hat (Abb. 6), eröffnet einen Ausblick in den Himmel, wo auf Wolken die zwei karolingischen Stifter des Klosters erscheinen: Links, auf der heraldisch rechten und damit der vornehmeren Seite, Kaiser Karl der Große mit der Reichskrone, Szepter, Reichsapfel und Reichsschwert; rechts König Pippin I. mit einer Krone, die wohl nicht ohne Absicht der habsburgischen Erzherzogskrone ähnelt. Er trägt einen Hermelinmantel und hält einen Kommandostab, die im Barock an die Stelle des Szepters getretene Insigne der Herrschaftsgewalt. Durch das Lilienbanner, das neben ihm zwei Engelchen halten, ist er als König des Frankenreichs gekennzeichnet. Beide Herrscher überreichen dem hl. Magnus unter ihnen, der an seinem wundertätigen Pilgerstab und dem Drachen hinter ihm zu erkennen ist und in Begleitung von zwei Mönchen auf einem barock anmutenden Bauwerk steht, das wohl auf die Gründung des Klosters St. Mang 19 Vgl. W ALTER P ÖTZL , Loreto. Madonna und Heiliges Haus. Die Wallfahrt auf den Kobel. Ein Beitrag zur europäischen Kult- und Kulturgeschichte, Augsburg 2000, 58, Anm. 42 (Lit.). 20 M ICHAEL H ARTIG , Die Benediktinerabtei Tegernsee 746-1863, München 1946, 84f. 21 Vgl. M ATSCHE , Festsaal (wie Anm. 7), 80 mit Anm. 6 und Abb. 5. „Fundant et ornant“ 145 Abb. 6: Füssen, ehem. Benediktinerkloster St. Mang, Treppenhaus zum Festsaal, Glorie der Klosterstifter Karls des Großen und König Pippins I. mit dem Klostergründer St. Magnus, Deckenfresko, Franz Georg Hermann, um 1720/ 22. Franz Matsche 146 durch ihn hinweist, eine aus der Vogelschau gezeichnete Karte des Gebiets von Füssen mit dem neu erbauten barocken Kloster, gleichsam als bildliche Stiftungsurkunde und als anschaulichen Ersatz für das nicht überlieferte Dokument, das nur in der Vita Sancti Magni aus dem 9. Jahrhundert erwähnt wird. Deutlicher als durch diese Himmelsglorie, in der die Stifter des Klosters als dessen himmlische Schutzpatrone erscheinen, hätte der Anspruch des Füssener Klosters, eine königlich-kaiserliche Stiftung, ein Reichsstift zu sein, nicht demonstriert werden können. 2. Das Benediktinerstift Ottobeuren Das Benediktinerkloster Ottobeuren soll 764 - also wie St. Mang in Füssen unter König Pippin I. - von einer Adelsfamilie als Eigenkloster gegründet worden sein. 22 769, gleich nach seinem Herrschaftsantritt, habe Karl der Große auf Bitten seiner Gemahlin Hildegard das Kloster unter seinen Schutz genommen und ihm die freie Abts- und Vogteiwahl verliehen. Durch ein Privileg Kaiser Ottos I. (reg. 936-973) von 972, für das das Kloster ein Drittel seines Besitzes opferte, soll es Reichsabtei, das heißt reichsunmittelbar geworden sein. 1350 gelang es dem Augsburger Bischof Marquard I. von Randeck (reg. 1348-1365, gest. 1381) durch Manipulation einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. (reg. 1056-1106) von 1116, die in Wahrheit auf das Kloster Benediktbeuern ausgestellt war, Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378) zu überzeugen, dass Ottobeuren seiner Schutzvogtei unterstehe. Daraus leiteten die Augsburger Bischöfe auch landeshoheitliche Rechte ab, bis es dem Kloster 1624 gelang, durch die Aufdeckung der Urkundenmanipulation und durch ein Urteil des Reichskammergerichts von der Bevormundung durch die Augsburger Fürstbischöfe freizukommen. Daneben bestand aber noch immer die „einfache Vogtei“, die 1219 durch Kauf Kaiser Heinrichs VII. (reg. 1308-1313) in Reichsbesitz gelangt und von Kaiser Ludwig dem Bayern (reg. 1314-1347) 1335 verpfändet worden war. Über verschiedene Besitzer kam sie 1356 an den bereits erwähnten Augsburger Bischof Marquard, dem Karl IV. erlaubte, sie einzulösen, das heißt, dem Kloster zum Kauf anzubieten. Dieses war aber dazu finanziell nicht in der Lage und musste stattdessen Abgaben leisten. Erst 1710 war es dem Kloster unter Abt Rupert II. 22 Vgl. H ANSMARTIN S CHWARZMAIER , Gründungs- und Frühgeschichte der Abtei Ottobeuren, in: Ä GIDIUS K OLB / H ERMANN T ÜCHLE (Hrsg.), Ottobeuren. Festschrift zur 1200-Jahrfeier der Abtei, Augsburg 1964, 1-72, bes. 26-28; P ETER B LICKLE , Der Kampf Ottobeurens um die Erhaltung seiner Reichsunmittelbarkeit im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ottobeuren 764-1964. Beiträge zur Geschichte der Abtei (Sonderband der Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Bd. 73, 1962), Augsburg 1964, 96-118; U LRICH F AUST , Zur Reichsunmittelbarkeit Ottobeurens und Buxheims, in: L IEBHART / F AUST , Suevia Sacra (wie Anm. 5), 143-149. „Fundant et ornant“ 147 Neß (reg. 1710-1740) möglich, dieses Vogteirecht für 30 000 Gulden abzulösen. 23 Damit war Ottobeuren ein autonomes Reichskloster geworden. Bald folgte ein seit längerem beabsichtigter völliger Neubau des Klosters und anschließend der Abteikirche, die samt der Ausmalung zum 1000-jährigen Jubiläum der Gründung 1764 vollendet war. Der Stifter wird im klösterlichen, weltlichen und im kirchlichen Bereich durch Bilder gedacht. Das Refektorium wurde 1715 durch den aus Salzburg gebürtigen, in Prag ansässigen Maler Elias Zobel (1677-1718) mit zwei Deckenbildern ausgestattet, die die Stiftung des Klosters - mit der Ansicht der geplanten neuen Stiftsanlage und der alten Kirche - und die Confirmatio et donatio 769 durch Karl den Großen zeigen. 24 Im östlichen Konventstreppenhaus stehen zu beiden Seiten des Eingangs in die Klausur die Statuen des Stifterpaars, des Grafen Silach und seiner Gemahlin Ermiswint (Daten unbekannt). 25 Auch im „Kaiserbau“, dem Westtrakt mit dem „Kaisersaal“, stehen am Ausgang der beiden Treppenhäuser, der zum „Kaisersaal“ führt, in Nischen die Statuen des Stifterpaares. 26 Im „Kaisersaal“ 27 sowie in der Abteikirche wird die Stiftung des Klosters in monumentalen Deckengemälden, dem bevorzugten Bildmedium des Barockzeitalters, gefeiert. Für das zentrale Deckenbild im „Kaisersaal“ (Abb. 7), der die Berufung auf die Schutzvogtei der Kaiser visualisiert, erwog Abt Rupert II., wie er in seinem Tagebuch vermerkt, verschiedene Themen ex Historia Sacra, als profana, auch fabulis. 28 Schließlich wählte er die Historia ecclestiastica Translationis Sacri Romani Imperij in personam Caroli Magni, tum Franciae Regis, a Sancto pontifice Leone tertio peractae, also die Krönung Karls des Großen durch Papst Leo III. (reg. 795-816). Dem Abt ging es um die Translatio Imperii Romani, 29 die Übertragung des nach der Prophezeiung 23 Vgl. N ORBERT L IEB , Abt Rupert Ness von Ottobeuren, in: Abt Rupert Ness von Ottobeuren, Wangen im Allgäu 1965, 3-11. 24 N ORBERT L IEB , Die barocke Architektur- und Bilderwelt des Stifts Ottobeuren, in: K OLB / T ÜCHLE , Ottobeuren (wie Anm. 22), 307-378, hier 332f.; G ÜNTHER B AYER , Memminger Maler zur Zeit des Barock, Lindenberg 2007, 22 und 82f. (Abb.). 25 Ebd., 341 mit Anm. 205. 26 Ebd., 372. 27 Vgl. F RANZ M ATSCHE , Prachtbau und Prestigeanspruch in Festsälen süddeutscher Klöster im frühen 18. Jahrhundert. Zum Typus und zur Verbreitung des Kolonnadensaals und zur Frage des „Reichsstils“, in: M ARKWART H ERZOG / R OLF K IESSLING / B ERND R OECK (Hrsg.), Himmel auf Erden oder Teufelsbauwurm? Wirtschaftliche und soziale Bedingungen des süddeutschen Klosterbarock, Konstanz 2002, 81-118, zu Ottobeuren 111-114. 28 Vgl. T HOMAS O NKEN , Der Konstanzer Barockmaler Jacob Carl Stauder 1694-1756. Ein Beitrag zur Geschichte der süddeutschen Barockmalerei, Sigmaringen 1972, 258f., Dokument Nr. 10 (31.5.1723). 29 Vgl. F RANZ M ATSCHE , Kaisersäle - Reichssäle. Ihre bildlichen Ausstattungsprogramme und politischen Intentionen, in: R AINER A. M ÜLLER (Hrsg.), Bilder des Reiches, Sigmaringen 1997, 323-355, 332 mit Anm. 27. Franz Matsche 148 Abb. 7: Benediktinerstift Ottobeuren, Kaisersaal, Kaiserkrönung des Klosterstifters Karls des Großen, Fresko, Jakob Karl Stauder, 1723/ 24. Daniels vierten und letzten Weltreichs 30 auf die Deutschen in der Person Karls des Großen, die vom Abt als kirchengeschichtliche Tat des Papstes im Sinn des göttlichen Heilsplans gedeutet wird. Deshalb erscheint im Deckenbild Jakob Karl Stauders (1694-1756) von 1723/ 24 31 über der Krönungsszene die Trinität mit Christus in hervorgehobener Position, weil er durch seinen Tod am Kreuz, das vor ihm von Engeln über der Krönung aufgerichtet wird, der eigentliche Herrschers dieses Reichs geworden ist. 32 Aus diesem Grund erscheinen links unterhalb von Christus der hl. Petrus als der erste Papst, dem Christus als seinem Stellvertreter auf Erden sein Reich übertragen hat, und gegenüber die Personifikationen der Göttlichen Vorsehung mit ihrem Augenszepter und die Personifikation der Fides mit Kelch und Hostie, die das Kreuzesopfer Christi symbolisieren. Zwischen beiden befindet sich eine Schriftrolle mit der Huldigung: CAROLO PIISS[imo] AUGUSTO A DEO CORONATO. Karl wurde also eigentlich von Gott selbst gekrönt! 30 Ebd., 332, Anm. 28-30 und 336, Anm. 39. In Ottobeuren sind die „Vier Weltreiche“ in vier Deckenbildern in der Einfahrt unter dem Kaisersaal dargestellt. 31 O NKEN , Stauder (wie Anm. 28), 72 mit Anm. 261 und Abb. 26 sowie 27. 32 Hinsichtlich der Übernahme des römischen Weltreichs und des Triumphs Christi ist der architektonische Hintergrund der Krönungsszene bemerkenswert, der aus einem dreitorigen römischen Triumphbogen gebildet ist. „Fundant et ornant“ 149 Bemerkenswert hinsichtlich der ekklesiologischen Wertung ist die Darstellung des Krönungsvorgangs, 33 bei dem der Papst von hinten an Karl herantritt, um ihm die Krone aufzusetzen, worauf Karl, der an einem Betstuhl kniet, überrascht reagiert. Dadurch wird die Krönung als vom Papst ausgehende Initiative charakterisiert, wie aus dem Bericht Einhards hervorgeht, der offenbar die kirchengeschichtliche Deutung der Krönung durch Abt Rupert beeinflusste, 34 der seinerseits für die Darstellung sehr genaue Anweisungen gegeben haben dürfte. 35 Wie der Abt in seinem Tagebuch notierte, bevorzugte er das Thema aus verschiedenen Gründen: erstens, weil es das berühmteste unter allen von ihm für diesen Zweck notierten Themen sei; zweitens, weil Papst Leo III. aus dem Benediktinerorden kam; drittens, weil Karl der Große die Gründung Ottobeurens nicht nur bestätigt, sondern das Kloster gemeinsam mit seiner Gemahlin Hildegard auch dotiert und darüber hinaus mit besonderen Privilegien ausgestattet habe, wie die Urkunden im Klosterarchiv bewiesen; viertens, weil der erste deutsche Kaiser und seine Nachfolger das Kloster unter den Schutz der Reichskrone aufgenommen hätten. Den Ausschlag gaben wohl die beiden letzten Argumente, die die Stellung des Klosters als Reichsstift betreffen und sie mit der Gründung des Reichs verknüpfen. In diesen Zusammenhang gehört die Stuckkartusche in der Mittelachse unter dem Krönungsbild, die die Jahreszahl 1724 enthält. Sie ist nicht als Vollendungsdatum des Deckenbildes zu deuten, sondern als triumphaler Hinweis auf das 100-jährige Jubiläum des Sieges des Klosters Ottobeuren über das Hochstift Augsburg durch das Urteil des Reichskammergerichts von 1624, das die Reichsunmittelbarkeit des Klosters bestätigt hatte. In der Klosterkirche wird in dem großen Deckenfresko über der Orgelempore die gesamte Stiftungsgeschichte des Klosters vorgestellt (Abb. 8). 36 Wie heute bei einem Gruppenfoto von Staatsmännern haben sich auf einer großen Freitreppe die Stifter und Förderer des Klosters aus verschiedenen 33 Die kleine Grisaille auf der Kartusche über der Krönungsgruppe zeigt die Geburt Christi und erinnert so an das Datum der Krönung am Weihnachtsfest des Jahres 800. 34 Vgl. K URT R EINDEL , Die Kaiserkrönung Karls des Großen, Hamburg 1966, 30. 35 Abt Rupert notierte am 31.5.1723 in sein Tagebuch die Akklamation bei der Krönung Karls des Großen: Magno pacificatori imperatori Romanorum vita et victoria - a Deo coronato; vgl. R EINDEL , Kaiserkrönung (wie Anm. 34), 37f. (Litania Karolina) und 38f. (Laudes III). Der erste Teil der Akklamation steht auf dem Posaunentuch des Engels neben Petrus, der Zusatz auf der Schriftrolle zwischen der Göttlichen Vorsehung und der Fides. 36 Es dürfte bis Ende 1760, noch vor der Unterbrechung der Ausmalung der Stiftskirche im Jahr 1761, vollendet gewesen sein. Es bildete den Abschluss der Freskantentätigkeit Johann Jakob Zeillers und seines Vetters Franz Anton Zeiller in der Stiftskirche, die gemeinsam an diesem Fresko gemalt haben dürften; vgl. F RANZ M ATSCHE , Der Freskomaler Johann Jakob Zeiller 1708-1783, Diss. phil., Marburg 1970, 569-571, Anm. 478 und 374-479. Das Fresko über der Orgelempore, das als alleiniges Werk von Franz Anton Zeiller angesehen wird, habe ich dort ausgespart mit Rücksicht auf die damals gleichzeitig entstehende Innsbrucker Dissertation von I RMGARD P LANKENSTEINER , Der Brixner Hofmaler Franz Anton Zeiller (1716-1794), Diss. phil. Mskpt., Innsbruck 1978. Franz Matsche 150 Abb. 8: Benediktinerstiftskirche Ottobeuren, Das tausendjährige Stiftungsjubiläum, Deckenfresko über der Orgelempore, Johann Jakob und Franz Anton Zeiller, um 1760. Jahrhunderten versammelt in einer der Zeit enthobenen Sacra Conversazione unter der himmlischen Obhut des Ordensvaters, des hl. Benedikt, und der Reliquien und zahlreichen Heiligen, unter deren Schutz die Abteikirche steht. Die Stifter und die Förderer sind gesondert nach ihren verschiedenen Funktionen zu beiden Seiten des im Hintergrund als ihr gemeinsames Anliegen gezeigten Neubaus des Reichsstifts mit der Kirche als Hauptsache angeordnet. „Fundant et ornant“ 151 Die Stifterfamilie ist links auf dem Ehrenplatz „rechter Hand“ plaziert: 37 Der Klostergründer Silach (Daten unbekannt), begleitet von seiner neben ihm knienden Gemahlin Erminswint; hinter ihr der jüngste Sohn Tagebert. Silach weist mit seinem Szepter auf einen großen Pergamentbogen, auf dem Fundatio geschrieben steht. Gehalten wird dieser von einem weiteren Sohn der Stifterfamilie: Gauzibert (Daten unbekannt), der Bischof von Vienne gewesen sein und bei der Beschaffung der Reliquien des hl. Alexander, eines der sieben Söhne der in Ottobeuren verehrten hl. Felicitas, eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Rechts neben ihm sein Bruder Toto, der, als Mitbegründer Ottobeurens verehrt, dessen erster Abt gewesen sei (reg. 764- 814). Er habe, um Ottobeuren die von ihm in Vienne geraubten Alexander- Reliquien zu sichern, das Kloster der Gemahlin Karls des Großen übereignet, die den Kaiser bat, das Kloster unter seinen Schutz zu nehmen. Links im Vordergrund als Begleitung der Stifterfamilie ein Soldat und ein Page, dahinter zwei als heiligmäßig, angesehene Äbte Ottobeurens, Neodegar (reg. 864-869) und Witgar (reg. 869-902). Rechts gegenüber in prominenter Position Karl der Große, gefolgt von seiner Gemahlin Hildegard. Der Kaiser weist mit seinem Szepter auf einen von einem Pagen entrollten Pergamentbogen, auf dem Confirmatio geschrieben steht. Links hinter Karl erscheint der selig gesprochene Papst Eugen III. (reg. 1145-1153), der 1152 die Stiftung unter päpstlichen Schutz nahm. Links dahinter zwei weitere, als Selige geltende Ottobeurener Äbte: Konrad I. (reg. 1102-1145) und Rupert I. (reg. 1194-1227). Dieser, den sich der barocke Bauabt Ottobeurens, Rupert II. (reg. 1710-1740), zum persönlichen Vorbild nahm, vollendete die von 1086 bis 1126 erbaute Klosterkirche, deren Seitenansicht unterhalb der Stifterfamilie auf einem entrollten Prospekt mit dem Gründungsdatum 764 von zwei Pagen präsentiert wird. Vor die Fassade der barocken Klosterkirche, die in der Mitte darüber erscheint, ist groß das Jubiläumsdatum 1764 gesetzt. Die Gemahlin Karls des Großen hält einen Pergamentbogen mit der Aufschrift Dotatio als Hinweis auf die reichen Schenkungen des Kaiserpaars. Dahinter folgt Kaiser Otto I., der dem rechts hinter ihm stehenden hl. Bischof Ulrich von Augsburg (reg. 923-973) ein Pergamentblatt mit der Aufschrift Exemptio gibt. Dieser, wie auch der hinter ihm stehende Bischof Konrad I. von Konstanz (reg. 934- 975), hatte den Kaiser um die Befreiung des Klosters von allen Reichslasten und um die freie Abtswahl gebeten und sie erhalten. Unterhalb dieser Gruppe steht für sich allein ein Fürst mit dem Wappen des Herzogtums Schwaben, das die drei staufischen Löwen zeigt. Er scheint der Stifterfamilie gestisch sein Einverständnis zu signalisieren. 37 Die Bezeichnung der Personen folgt R UPERT P RUSINOVSKY , Benediktinerabtei Ottobeuren, Basilika St. Alexander und Theodor, Tübingen 3 1990, 37f. Franz Matsche 152 Ganz unten in der Mitte kniet der Erbauer des barocken Ottobeuren, der auch die neue Klosterkirche begonnen hat, Abt Rupert II., in der Art des traditionellen Stifterbildnisses. 38 Vor ihm zwei Wappenschilde, links das Konventswappen mit der goldenen Akanthusrosette auf Schwarz, rechts das Stiftswappen: ein halber einköpfiger silberner Reichsadler auf Rot. Zwei Engel haben sich vor ihm auf einer Wolke herabgelassen und verkünden ihm den Segen des Himmels mit einem Zitat aus der Bibel (Genesis, 24, 60) auf einem Schriftband: Crescas in mille millia 39 . Das Fresko bildet eine für den Kirchenbesucher unübersehbare, anschauliche und als Bild unbezweifelbare Gründungs- und Stiftungsurkunde Ottobeurens, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft und jener aktuelle Präsenz verleiht. 40 Damit wurde ein Erinnerungsmoment in Szene gesetzt, das bei den frühmittelalterlichen „Urklöstern“ in Erinnerung an ihre Gründung und Stiftung im 18. Jahrhundert in der Selbstdarstellung der Klöster eine bedeutende Rolle gespielt hat: die Millenniumsfeier. 41 Damals gab es eine lange Reihe von Klosterjubiläen mit Festlichkeiten und Festschriften, mit denen die Klöster um den Rang der Anciennität wetteiferten, der auch bei ihrer Platzierung auf der Prälatenbank des Reichstages eifersüchtig beobachtet wurde. Nicht selten wurde die Neuerrichtung oder zumindest die Neuausstattung der Klosterkirche auf ein solches Jubiläum terminiert. 42 3. Das Zisterzienserkloster Ebrach Die Gründung des Zisterzienserklosters Ebrach im Steigerwald in Franken erfolgte 1127 durch den Edelfreien und königlichen Ministerialen Berno (Daten unbekannt), der nach der Klostertradition als Fundus seine Burg Ebera schenkte und als Laienbruder in das Kloster, die erste rechtsrheinische Niederlassung des Zisterzienserordens, eintrat; ihm folgte später sein Bruder 38 Es handelt sich nicht, wie verschiedentlich behauptet, um die Darstellung seines Nachfolgers, Abt Anselm Erb (reg. 1740-1767), der die Kirche vollendet hat. Dies lässt sich durch den Vergleich ihrer Bildnisse belegen; vgl. M ATSCHE , Zeiller (wie Anm. 36), 568f., Anm. 474 39 Übersetzung: „Mögest Du wachsen tausendmal tausend.“ 40 Die Anbringung dieser Stiftungs- und Gründungshistorie als Fresko im Kirchenraum wurde offenbar von der vom Augsburger Maler Johann Georg Bergmüller in der Augustiner-Chorherrenstiftskirche in Dießen am Ammersee im rückwärtigen Teil des Langhausfreskos dargestellten Gründungshistorie inspiriert (1736), das auch motivische Anregungen lieferte; vgl. M ATSCHE , Zeiller (wie Anm. 36), 570f. Anm. 479. In diesem Zusammenhang ist auf eine Ölgrisaille Bergmüllers von 1739 hinzuweisen, die das Stifterpaar und die Schutzpatrone Ottobeurens zeigt. Sie befindet sich im Klostermuseum von Ottobeuren und diente als Vorlage für ein Thesenblatt (wohl eines Ottobeurener Paters an der Benediktineruniversität Salzburg); vgl. A LOIS E PPLE (Hrsg.), Johann Georg Bergmüller, Ausst.-Kat., Türkheim 1988, Nr. 7 und 8 mit Abb. 41 Diese schlug sich oft in Publikationen nieder, die eine eigene Untersuchung verdienen würden. 42 Siehe den Beitrag von A NNA B AUER im vorliegenden Band, der sich mit der Errichtung und Neuausstattung der Stiftskirche von Baumburg anlässlich der 600-Jahrfeier des Klosters befasst. „Fundant et ornant“ 153 Richwin. Beide sind urkundlich nachweisbar als Begleiter einer königlichen Delegation, die 1145 eine Schwester der Gemahlin des Stauferkönigs Konrad III. als Braut des byzantinischen Kaisers Manuel nach Konstantinopel brachte. 43 Konrad III. (reg. 1138-1152) und seine Gemahlin Gertrudis stehen ebenfalls mit der Stiftung von Ebrach in enger Beziehung. Obwohl das Kloster seine Stellung als Reichskloster seit 1142 durch päpstliche und seit 1144 durch königliche Schutzprivilegien zu sichern versuchte und von Kaiser Karl IV. 1363 die kaiserliche Schutz- und Immunitätsbestätigung erhalten hatte, war das Hochstift Würzburg bestrebt, das Kloster unter seine Oberhoheit zu bringen. 44 Deswegen führte Ebrach einen lang dauernden Rechtsstreit, in dem es 1521 eine endgültige Niederlage erlitt, gerade als es nach eigener Meinung im flor seiner reichsunmittelbarkeit stand. 45 Auf dem durch Martin Luther (1483-1546) berühmt gewordenen Reichstag in Worms von 1521 verlieh Kaiser Karl V. (reg. 1519-1556) den Würzburger Fürstbischöfen die Erbvogtei über das Kloster. Auch die periodischen Wiederbelebungsversuche des Autonomieanspruchs hatten keinen Erfolg. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass im Reichsdeputationshauptschluss zur Säkularisation 1803, der zusammen mit dem Hochstift Würzburg auch das Kloster Ebrach aufhob, dieses als reichsunmittelbar geführt wird. 46 1688 legte der eben gewählte Ebracher Abt Ludwig Ludovici (reg. 1688-1696) den Grundstein für einen mehrhöfigen Neubau des Klosters. Nur die alte gotische Kirche sollte erhalten bleiben. Als etwa Dreiviertel der Planung des Bambergischen Hofbaumeisters Johann Leonhard Dientzenhofer (1660-1707) bis 1698 ausgeführt waren, 47 wurde 1702 wegen des Spanischen Erbfolgekriegs die Bautätigkeit eingestellt. Abt Wilhelm Söllner (reg. 1714-1741) setzte den Bau ab Mai 1715 fort. 48 Dabei nahm er eine bedeutungsvolle Änderung des Bauprogramms vor: Er baute als westlichen Abschluss an den Konvent eine schlossartige Prälatur an, ein regelrechtes 43 Vgl. G ERD Z IMMERMANN , Ebrach und seine Stifter. Die fränkischen Zisterzen und der Adel, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 21 (1969), 162-182, hier 162-168. 44 Vgl. H ANS Z EISS , Reichsunmittelbarkeit und Schutzverhältnisse der Abtei Ebrach vom 12. bis 16. Jahrhundert, in: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 80 (1928), 1-102. 45 Vgl. W OLFGANG W ÜST , „... im flor der reichs-ohnmittelbarkeit“. Die Zisterzienserabtei Ebrach zwischen Fürstendienst und Reichsfreiheit unter Abt Eugen Montag (1791-1802), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 57 (1997), 181-198 (mit älterer Literatur in Anm. 1). 46 Das lag wohl vor allem an der Publikation des letzten Ebracher Abtes Eugen Montag von 1786; vgl. W ÜST , Ebrach (wie Anm. 45), 184-186. 47 Vgl. T HOMAS K ORTH , Leonhard Dientzenhofers Ebracher Architektur, in: G ERD Z IMMERMANN (Hrsg.), Festschrift Ebrach 1127-1977, Volkach 1977, 259-343. 48 Vgl. W ALTER J ÜRGEN H OFMANN , Der neue Bau von Kloster Ebrach, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 31 (1971), 139-227; W OLFGANG W IEMER , Zur Entstehungsgeschichte des neuen Baues der Abtei Ebrach, Würzburg 1989. Franz Matsche 154 „Stiftsschloss“, für das er das Schloss zum Vorbild nahm, das der Fürstbischof des Hochstifts Bamberg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz und Reichserzkanzler Lothar Franz von Schönborn (reg. 1655-1729) im nahen Pommersfelden gerade vollendete. Der Mittelpavillon des Ebracher „Stiftsschlosses“ enthält wie Schloss Pommersfelden einen Marmorkolonnadensaal, für den Statuen von Kaisern, Päpsten und Fürsten vorgesehen waren, die wahrscheinlich die Stifter, Förderer und Schutzherren des Klosters repräsentieren sollten. 49 In den bereits bestehenden langgestreckten Nordflügel, der die Front des Klosters zur vorbeiführenden Durchgangsstraße bildet, ließ Abt Söllner als „Empfangsbau“ für das dahinter verborgene „Stiftsschloss“ einen hohen Pavillon für das Treppenhaus zur Abtswohnung und zum Festsaal einfügen (Abb. 1). 50 Auf die Fassade mit Dreiecksgiebel, die durch mächtige imperiale Doppelsäulen ausgezeichnet ist, die vielleicht auf das Doppelsäulensymbol Kaiser Karls VI. anspielen, 51 ließ er 1717 monumentale Steinstatuen setzen, die dem Ankömmling die Stifter und Förderer des Klosters Ebrach vorstellen. 52 Diese entsprechen den Personen eines Reliefs, das wohl aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt und heute am Außenbau der Abteikirche eingemauert ist. 53 Abt Söllner bildete es in seiner 1738 verfassten und an einem ungenannten Ort gedruckten Geschichte seines Klosters, der Brevis Notitia Monasterii B[eatae]. V[irginis]. M[ariae]. Ebracensis, in einem Kupferstich ab (Abb. 9). 54 Diese im Auftrag des Generalkapitels der Zisterzienser des Jahres 1738 verfasste Abhandlung, die den Anspruch Ebrachs auf Reichsunmittelbarkeit zu beweisen sucht, 55 ließ er außerhalb des Machtbereichs des Würz- 49 M ATSCHE , Prachtbau und Prestigeanspruch (wie Anm. 27), 108 mit Anm. 90. 50 Abt Söllner bezeichnet in seiner Brevis Notitia, S. 44 (vgl. Anm. 55) das Treppenhaus als ingressus ad totum palatium. 51 Vgl. H OFMANN , Ebrach (wie Anm. 48), 158 mit Anm. 63. 52 Sie stammen von dem Würzburger Bildhauer Balthasar Esterbauer; vgl. W IEMER , Ebrach (wie Anm. 48), 14f. mit Anm. 51 und 54. 53 Am Strebepfeiler der Ostwand des südlichen Querschiffs; vgl. J OHANNES J AEGER , Die Klosterkirche zu Ebrach. Ein kunst- und kulturgeschichtliches Denkmal aus der Blütezeit des Cistercienser-Ordens, Würzburg 1903, Fig. 5. Seine Entstehung hängt vielleicht mit der ersten großen Auseinandersetzung Ebrachs mit Würzburg wegen seiner Reichsunmittelbarkeit zusammen und könnte zum Beweis der kaiserlichen Stiftung des Klosters angefertigt worden sein; vgl. H OFMANN , Ebrach (wie Anm. 48), 148 mit Anm. 27; vgl. die Urkunde Kaiser Ludwigs des Bayern von 1339, die die kaiserliche Stiftung Ebrachs bestätigte; vgl. H OFMANN , Ebrach (wie Anm. 48), 147, Anm. 23. 54 Z IMMERMANN , Festschrift 1977 (wie Anm. 47), Abb. 1. 55 Vgl. W OLFGANG W IEMER , Zur Baugeschichte der ehemaligen Ebracher Amtshöfe Sulzheim, Elgersheim, Oberschwappach und Burgwindheim, in: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 126 (1990), 423-503, hier Anm. 40 und 433. Zu den Umständen der Entstehung der Brevis Notitia vgl. J OSEF W IRTH , Die Abtei Ebrach, 1127-1927, Gerolzhofen 1928, 54-56. Seine Darstellung der reichsrechtlichen Stellung Ebrachs beruht im Wesentlichen auf Auszügen daraus in der Zusammenstellung seiner eigenen Texte und der wichtigsten Zitate; vgl. auch „Fundant et ornant“ 155 Abb. 9: Ehem. Zisterzienserkloster Ebrach, Stifterrelief, Mitte 14. Jahrhundert, Kupferstich (G. F. Weigant) in der Klostergeschichte von Abt Wilhelm Söllner: Brevis Notitia Monasterii B[eatae]. V[irginis]. M[ariae]. Ebracensis, o.O. 1738. burger Fürstbischofs in der protestantischen Reichsstadt Nürnberg drucken, aber in Würzburg verteilen. Der damalige Würzburger Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn bezeichnete die Schrift als das größte Schandwerk, ließ den für die Verteilung verantwortlichen Ebracher Pater verhaften, die in Würzburg kursierenden Exemplare kassieren, öffentlich verrufen, zerreißen und verbrennen. 56 Abt Söllner wandte sich daraufhin nach Rom an das Gericht der päpstlichen Kurie, die die Rechte des Klosters voll anerkannte, dem Würzburger Fürstbischof einen Verweis erteilte und eine erneute Drucklegung erlaubte, die 1739 in Rom erfolgte. In dem Stifterrelief aus dem 14. Jahrhundert sind unter Spitzbogenarkaden von links nach rechts abgebildet: Berthradis (Daten unbekannt), die L OTHAR B RAUN , Ebracher Chronisten der Neuzeit, in: W OLFGANG W IEMER (Hrsg.), Festschrift Ebrach. 200 Jahre nach der Säkularisation, Ebrach 2004, 306f. mit Anm. 20. 56 Zu den Würzburger Ereignissen vgl. J AEGER , Ebrach (wie Anm. 53), 103ff.; W IRTH , Ebrach (wie Anm. 55), 56. Franz Matsche 156 angebliche Schwester der Brüder Richwin (Riwin) und Berno, die alle drei als die Fundatores des Klosters bezeichnet sind. Berno und Richwin halten gemeinsam ein Modell der Klosterkirche. Rechts folgen Herzog Friedrich IV. von Schwaben (gest. 1167) und seine Mutter, Königin Gertrud (gest. 1146), die Gemahlin des Stauferkönigs Konrad III. (reg. 1137-1152), der ganz rechts kniet und ebenfalls ein Modell der Ebracher Klosterkirche in Händen hält, als wäre er deren Stifter. Er trägt eine kaiserliche Bügelkrone und ist als Rex Romanorum bezeichnet. Königin Gertrudis, die 1146 in Hersfeld starb, und ihr Sohn Herzog Friedrich von Schwaben, der 1167 auf dem Romzug Kaiser Friedrichs I. Barbarossa in Italien einer Seuche erlag, wurden in Ebrach bestattet. Ihre Hochgräber mit Liegefiguren aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert - bemerkenswert frühe Zeugnisse einer historisierenden Stilrezeption der verlorenen Originale des 13. Jahrhunderts - wurden 1614 aus dem Umgangschor in die Mitte der Abteikirche übertragen und schließlich 1647 als Gewändestatuen im epistelseitigen Opfergang des Hochaltars untergebracht und mit lateinischen Inschriften versehen. Dort sind sie auch bei der Errichtung des spätbarocken Hochaltars von 1778/ 80 belassen worden. 57 Die Inschrift bei Königin Gertrud bezeichnet ihren Gemahl als Fundator des Klosters, Friedrich wird als Fautor Monachorum bezeichnet. Konrad und Gertrud werden im Ebracher Fundationsbericht, der spätestens im 14. Jahrhundert (um 1340), gleichzeitig mit dem Stifterrelief, verfasst wurde, 58 aber auf ältere Quellen zurückgeht, als besondere Förderer des Klosters gepriesen. In einer Klostergeschichte aus der Mitte des 15. Jahrhunderts wird Konrad III. wegen der großen Schenkungen, die er, seine Gemahlin sowie sein Sohn Friedrich getätigt haben, der Ehrentitel eines Stifters verliehen. Die Giebelstatuen des Ebracher Treppenhausrisalits 59 sind heute durch Kopien in Betonguss ersetzt. Auf der Giebelspitze steht eine Personifikation der Ecclesia bzw. des Papsttums. Sie trägt eine Tiara, die dreifache päpstliche Krone, und soll wohl an die seit 1142 verliehenen päpstlichen Schutzprivilegien erinnern. Ihre weiteren Attribute sind ein Buch, das heißt die Bibel, auf der ein Messkelch als Symbol der Eucharistie steht. In ihrer Linken wäre das heute ergänzte Kreuz durch einen apostolischen Kreuzstab mit zweifachen oder dreifachen Querbalken zu ersetzen. 57 Vgl. J OACHIM H OTZ , Zisterzienserklöster in Oberfranken. Ebrach - Langheim - Sonnefeld - Himmelkron - Schlüsselau, München / Zürich 2 1989, 16 (Abb.). Ohne die Inschriften sind sie in Söllners Brevis Notitia abgebildet: J AEGER , Ebrach (wie Anm. 53), Fig. 95. Jaeger behauptet, die Ebracher Klosterkirche sei zur Grablege des staufischen Königshauses bestimmt worden. Daraus leitet er den Anspruch des Klosters auf die nicht eindeutig belegbare Reichsunmittelbarkeit ab. 58 Siehe in Anm. 53 die Bemerkung zum Entstehungszeitpunkt des Stifter-Reliefs. 59 Vgl. U WE M EYER -A REND , 300 Jahre Barockbau Erbrach 1688-1988, Ausst.-Kat., Ebrach 1988, Abb. 46-52. „Fundant et ornant“ 157 Die Statuen der beiden Stifter Berno und Richwin stehen - ihrem Stand entsprechend den Statuen höherrangiger Personen untergeordnet - außen über den Ecken des Risalits, beide als Krieger im Harnisch, mit Federbuschhelmen, römischen Soldatenmänteln, Lanzen und großen Rundschilden. Auf diesen befindet sich jeweils ein aufgerichteter Greif über einem wie ein Schachbrett gemusterten Schrägbalken, dem Wappen des Zisterzienserordens, dem beide Stifter beigetreten waren, deren eigenes Wappen, der Greif, zum Abteiwappen wurde. 60 Entsprechend findet sich der Greif auch im großen Klosterwappen im Tympanon des Giebels. Über den Doppelsäulen stehen auf der Giebelschräge die Statuen König Konrads III. links und seines Sohnes, Herzog Friedrichs IV. von Schwaben, rechts. 61 Konrad III. ist im Harnisch mit Krönungsmantel (Pluviale) sowie Szepter und Reichsapfel in Händen dargestellt. Er trägt eine mächtige Mitrakrone, die als Kaiser- und als Reichskrone dienen kann und wohl ebenfalls den Anspruch auf die kaiserliche Schirmvogtei demonstrieren soll. Alle Statuen waren durch Sockelinschriften bezeichnet; heute sind sie verwittert. 62 Der eigentliche Gründer Ebrachs, Berno, ist auch in der Klosterkirche im südlichen Querschiff durch eine große barocke Statue präsent, die ihn im Ordenshabit und mit einem kastellartigen Architekturmodell mit Turm zeigt. 63 Sein Pendant bildet eine Statue des ersten Abts von Ebrach, des selig gesprochenen Adam (gest. um 1167/ 69), der ein Vertrauter Konrads III. war, den er auf dem Reichstag in Regensburg 1147 zum Kreuzzug aufforderte, an dem auch Richwin teilnahm. Bei den bisher behandelten Beispielen ist die demonstrative bildliche Präsentation der Fundatores und Donatores jeweils gekoppelt mit der Einrichtung eines „Kaiser- und Reichssaals“ im weltlichen Bereich der Prälatur. Diese sind gerade in solchen Klöstern zu finden, die wegen ihres Anspruchs auf den Status der Reichsunmittelbarkeit mit Fürstbischöfen im Streit lagen. Die Klöster führten diese Auseinandersetzung in einem „Kampf durch Bilder“, in dem die Darstellung ihrer Stifter und ihrer königlichen oder kaiserlichen Schutzherren die Hauptrolle spielten. 60 Eine um 1450 verfasste Klostergeschichte erwähnt, dass im Mönchschor ein Schild mit einem Greifen hing, der das Wappentier der beiden Stifter gewesen sein soll; vgl. F RANZ X AVER W EGELE , Monumenta Eberacensia, Nördlingen 1863, 15. 61 Seine Statue war in den 1880er Jahren herabgestürzt und völlig zerbrochen. Da es von ihr keine Aufnahmen gab, musste sie in den 1980er Jahren völlig neu entworfen werden, als die seit langem abgenommenen Giebelstatuen restauriert und als Betonabgüsse wieder aufgestellt wurden. 62 Drei der Beschriftungen sind überliefert: RICHWINVS DE EBRAU, KONRADVS III. REX ROM[anorum] und FRIDERICVS DVX SVEV[iae]; nach H OFMANN , Ebrach (wie Anm. 48), 153. 63 J AEGER , Ebrach (wie Anm. 53), Fig. 82; vgl. auch Fig. 81. Franz Matsche 158 4. Das Benediktinerkloster St. Peter im Schwarzwald Ein vergleichbarer argumentativer Einsatz von Stifterdarstellungen, der aber nicht den Anspruch auf reichsunmittelbare Autonomie, sondern einen Wechsel der landeshoheitlichen Schirmvogtei unterstützen sollte, der dem Kloster mehr Freiraum versprach, ist im Benediktinerkloster St. Peter im Schwarzwald zu beobachten. Es gehörte zum Breisgau und damit zu Vorderösterreich und unterstand den Habsburgern als Landesherren. Im 18. Jahrhundert versuchte das Kloster, das wie alle österreichischen Klöster und Stifte grundsätzlich keine Reichsunmittelbarkeit beanspruchen konnte, die zunehmende Bevormundung durch den Wiener Hof, der ihm sogar die traditionelle freie Abtswahl streitig machte, abzuwehren, indem es sich auf seine Stifter, die im 13. Jahrhundert ausgestorbenen Herzöge des Hauses Zähringen berief und als deren legitime Nachfahren das badische Markgrafenhaus ausgab, das damit konform ging, weil es sich so eine weit ins Mittelalter verlängerte dynastische Tradition verschaffen und St. Peter als Hauskloster ausgeben konnte. Dieses Bestreben ist an der sich steigernden bildlichen Vergegenwärtigung der Stifter und Förderer aus dem Hause der Zähringer abzulesen. Im 18. Jahrhundert entstanden innerhalb weniger Jahrzehnte insgesamt acht verschieden umfangreiche Darstellungszyklen der Zähringer Stifter, die jedoch nur noch zum Teil erhalten sind. 64 Von ihnen können hier lediglich die beiden wichtigsten angeführt werden. Der eine befand sich im alten Kapitelsaal, der im Zug des Neubaus nach 1752 abgerissen wurde. Er war 1716 stuckiert und mit Decken- und Wandgemälden versehen worden. Die Bemalung der Wände bestand, wie die Federzeichnungen des Klosterchronisten Gregor Baumeister (Daten unbekannt) zeigen, aus einer umlaufenden Arkadenreihe mit ganzfigurigen Bildnissen von Mitgliedern der Familie der Zähringer als Stifter und Wohltäter des Klosters. 65 Als die neue Klosterkirche stand, wurden an den Kirchenpfeilern, an denen ursprünglich Apostelstatuen angebracht werden sollten, 1731 neun Standbilder von Stiftern und Förderern des Klosters aus dem Hause Zähringen aufgestellt, die für die Stifterstrategie des Klosters den Vorteil der Öffentlichkeitswirkung boten und das Hauptschiff der Kirche in eine 64 Vgl. vor allem H ANS -O TTO M ÜHLEISEN , Die Stifterikonographie des Klosters St. Peter, in: D ERS . (Hrsg.), St. Peter im Schwarzwald. Kulturgeschichtliche und historische Beiträge anlässlich der 250- Jahrfeier der Einweihung der Klosterkirche, München / Zürich 1977, 94-122; D ERS ., Die Zähringerbildnisse des 18. Jahrhunderts in St. Peter. Zeugnisse der Tradition und Zeugen ihrer Zeit, in: K ARL S CHMID (Hrsg.), Die Zähringer. Eine Tradition und ihre Erforschung (Zähringer-Ausst. Bd. 1), Sigmaringen 1986, 175-191. 65 Vgl. M ÜHLEISEN , Stifterikonogaphie (wie Anm. 64), Abb. 61 und 62; D ERS ., Zähringerbildnisse (wie Anm. 64, Abb. 22a). „Fundant et ornant“ 159 Art sakralen Landesfürstensaal verwandelten. 66 Diese demonstrative Berufung auf die Zähringer in der Klosterkirche wurde durch Abt Philipp Jakob Steyrer (reg. 1749-1795) noch verstärkt, indem er die 1727 bescheiden gestalteten Stiftergräber 1768 durch zwei prächtige genealogische Epitaphien im Chor ersetzen ließ. 67 In deren Inschriften wird der Ahnherr der Zähringer, Hermann I. (1040-1074), der als Mönch in Cluny gestorben und bestattet worden war, der aber unter den Stifterstatuen in der Kirche an prominenter Stelle gegenüber der Kanzel wie ein heiliger Mönch präsentiert wird, mit dem anachronistischen Titel eines Markgrafen von Baden aufgeführt, um den genealogischen Bezug zur regierenden Badener Markgrafenfamilie herzustellen. 68 Auf diese Weise wurde die Klosterkirche gleichsam zur Ahnengrablege der Markgrafen von Baden. Dieser Intention entspricht, dass sich Abt Steyrer um die Seligsprechung Bernhards von Baden bemühte und dessen Reliquien in der Klosterkirche feierlich ausstellen ließ. Im Kapitelsaal ließ er 1777 dessen Statuette und als Gegenüber die Hermanns I. aufstellen. 69 Mit dieser vielfältigen bildlichen Vergegenwärtigung seiner Stifter reagierte das Klosters auf die Vogteiansprüche benachbarter Gebietsherrn. 5. Die Gegenwart der Stifter im Barock Generell ist festzustellen, dass im Barockzeitalter vor allem in den „uralten“ Klöstern ein starkes Bedürfnis herrschte, ihre Stifter durch bildliche Präsenz in Erinnerung zu rufen. Dafür gab es verschiedene Möglichkeiten, 70 unter denen die großformatige Freskomalerei in den Klosterkirchen eine besonders anschauliche und publikumswirksame Variante bot, die vor allem im Herzogtum Bayern wahrgenommen wurde. 71 Zum einen wurden die juristischen 66 Vgl. M ÜHLEISEN , Stifterikonographie (wie Anm. 64), 94, 103-107 und Abb. 23, 47-48, 52f., 55, 68f., 72. Die Standbilder stammen von Joseph Anton Feuchtmayer. 67 M ÜHLEISEN , Stifterikonographie (wie Anm. 64), Abb. 26; H ANS S CHADEK / K ARL S CHMID (Hrsg.), Die Zähringer II: Anstoß und Wirkung, Ausst.-Kat., Sigmaringen 1986, Nr. 312. 68 Vgl. ebd., Kat.-Nr. 362. 69 Vgl. S CHADEK / S CHMID , Zähringer II, (wie Anm. 67), Nr. 150. 70 Dazu zählen auch die lebensecht kolorierten Stuckfiguren in logenartigen Oratorien in den Klosterkirchen Osterhofen und Andechs. 71 Diese nicht seltene und als Besonderheit auffällige bildliche Berufung vor allem bayerischer Klöster auf ihre Stiftung, Gründung und Privilegierung, die es in den Kirchen österreichischer Klöster, die grundsätzlich und ausnahmslos landständisch waren, nicht gibt, wäre in Bezug auf ihren Rechtstatus im Kurstaat Bayern näher zu analysieren. In den Titeln ihrer Festschriften wagen sie es, sich als befreyt (Wessobrunn, 1754) oder exemptes Stift (Oberaltaich, 1733) zu bezeichnen; vgl. H ERMANN B AUER , Über einige Gründungs- und Stiftungsbilder des 18. Jahrhunderts in bayerischen Klöstern, in: A ND- REAS K RAUS (Hrsg.), Land und Reich - Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag, Bd. 2, München 1984, 259-272 und Abb. 1-9; vgl. auch N ICOLA S CHMID , Die Gründungslegenden der Klöster in der bayerischen De- Franz Matsche 160 Abb. 10: Ehem. Augustiner-Chorherrenklosterkirche Steingaden, Stiftung und Bau des Klosters durch Herzog Welf VI. von Schwaben, Deckenfresko über der Orgelempore, Johann Georg Bergmüller, 1741/ 44. Vorgänge der Ausstellung, Überreichung und Bestätigung von Stiftungsurkunden als stets gegenwärtige feierliche zeremonielle Akte vorgeführt wie ckenmalerei des 18. Jahrhunderts, St. Ottilien 1998. L AURENTIUS K OCH , Geschichte an Decke und Wand. Zu Stiftungs- und Gründungsdarstellungen in süddeutschen Barockfresken, in: S USANNE B Ö- NING -W EIS / K ARLHEINZ H EMMETER (Hrsg.), Monumental. Festschrift für Michael Petzet zum 65. Geburtstag (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Bd. 100), München 1998, 646-664. „Fundant et ornant“ 161 beispielsweise in der Klosterkirche in Tegernsee an den westlichen Abschlusswänden der Seitenschiffe. Noch anschaulicher als solche Beurkundungsszenen ist eine im 18. Jahrhundert entstandene neuartige Darstellungsweise, zu der wohl die Vorstellung von der fortdauernden Präsenz und dem Wirken der Stifter in der unmittelbaren Gegenwart geführt hat. Die mittelalterliche Form der Kennzeichnung der Stifter durch die Beigabe von Kirchenmodellen als der Hauptsache der Stiftung eines Klosters wurde weitgehend abgelöst durch die Darstellung, wie die Stifter die Baustelle des Klosters besuchen, also auch an der baulichen Gründung teilhaben. Der Augsburger Maler Johann Georg Bergmüller (1688-1762) darf wohl als der Erfinder dieser volkstümlich anschaulichen Gründungsbilder als Baustellen gelten, die er in den Klosterkirchen in Ochsenhausen, Steingaden (Abb. 10) und Grafrath inszeniert hat. Sie sollten demonstrieren, dass die vor langer Zeit verstorbenen Stifter die barocken Neubauten, die auf der Baustelle in Form von Grundrissen oder Prospekten vorgestellt werden, begutachten und billigen und so die Stelle der barocken Bauprälaten einnehmen, die damit ihre oft sehr kostspieligen Bauunternehmungen legitimierten. 72 72 Zahlreiche Abb. von solchen Gründungsszenen in: H ERMANN B AUER / A NNA B AUER , Klöster in Bayern. Eine Kunst- und Kulturgeschichte der Klöster in Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz, München 1985. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ Augustin Erath und die vermeintliche Gründungsurkunde von St. Andrä an der Traisen Thomas Stockinger 1. Die Lebensstationen Augustin Eraths bis 1698 Augustin Erath (1648-1719), Propst von St. Andrä an der Traisen (Niederösterreich), 1 zählte bei Lebzeiten zu den bekannten Gelehrten des Augustiner-Chorherrenordens im süddeutsch-österreichischen Raum (Abb. 1). Sein Werkverzeichnis von etwa 30 veröffentlichten Titeln 2 attestiert die Breite seiner Kenntnisse: Darunter finden sich philosophische, theologische und erbauliche Schriften in Latein und Deutsch, ferner mehrere Übersetzungen aus dem Italienischen. Seine ästhetischen Interessen zielten vor allem auf die Emblematik; mehrere einschlägige Schriften des Laterankanonikers Filippo Picinelli (1604-1681) übertrug er ins Lateinische, wodurch sie auch im deutschsprachigen Raum ihre Wirkung entfalten konnten. 3 Für das Thema des vorliegenden Bandes ist jedoch vor allem sein Wirken als Historiker von Interesse. Erath deckte nahezu alle Ebenen der Betätigung eines klösterlichen Geschichtsschreibers im Barock ab: Bistumsgeschichte, Ordensgeschichte, Hausgeschichte. Sein methodisches und argumentatives Können hat ihm jüngst von Seiten eines der besten Kenner der katholischen Historiographie- 1 Zur Person vgl. T HOMAS S TOCKINGER , Felix mansurus, si tacuisset, Erath. Augustin Erath CRSA (1648-1719), Propst von St. Andrä an der Traisen, als Historiograph und historisch-politischer Kontroversist, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg 20 (2008), 151-208. 2 Ebd., 194-198. Bisherige biographische Literatur zu Erath beruht auf zwei Publikationen des 18. Jahrhunderts: R AIMUND D UELLI , Miscellaneorum, quae ex codicibus manuscriptis collegit, liber II, Augsburg / Graz 1724, Observatio praevia ad c. XV (unpag.); F RANZ P ETRUS , Germaniae Canonico-Augustinianae ordine alphabetico conscriptae pars V, in: M ICHAEL K UEN (Hrsg.), Collectio scriptorum rerum historico-monastico-ecclesiasticarum variorum religiosorum ordinum, Bd. 5/ 2, Ulm 1765, 1-468, hier 259-261. Beide enthalten auch Werkverzeichnisse. - Darauf beruhend: P ETER F RANZ A GRICOLA , Saeculi XVIII. bibliotheca ecclesiastica authorumque notitiae biographicae, Bd. 4, Hannover 1782, 37-49; K ARL W ERNER , Erath: Augustin, in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 6, Leipzig 1877, 183; A URELIO P ALMIERI , Érath (Augustin d’), in: Dictionnaire de théologie catholique, Bd. 5, Paris 1911-1913, 398f.; V ITO Z OLLINI , Erath, Augustin, in: Enciclopedia cattolica, Bd. 5, Rom 1950, 477; H ERMANN L AIS , Erath v. Erathsberg, Augustinus, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Freiburg 2 1959, 958. 3 W ERNER T ELESKO , „Feuer im Wasser“. Zum Programm der Deckenfresken in der Augustiner- Chorherrenstiftskirche von St. Florian, in: M ARTIN E NGEL / M ARTIN P OZSGAI / C HRISTIANE S AL- GE / H UBERTA W EIGL (Hrsg.), Barock in Mitteleuropa. Werke - Phänomene - Analysen (Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. 55/ 56, 2006/ 07), Wien 2007, 295-305, hier 303-305. Thomas Stockinger 164 geschichte das Urteil eingetragen, er sei „zweifellos der historisch geschickteste Regularkanoniker seiner Generation“ 4 gewesen. Im Folgenden sollen die Arbeits- und Argumentationsweisen Eraths an einem Beispiel illustriert werden, das an einem zentralen Punkt seiner Beschäftigung mit der Geschichte von St. Andrä ansetzt. Aus einer Analyse seines Vorgehens und seiner Texte lässt sich einiges Interessante entnehmen, sowohl hinsichtlich der Entwicklung der Geschichtswissenschaft als Disziplin im Verhältnis zu anderen Wissenschaftszweigen, als auch über Einstellungen zur Vergangenheit in der Zeit um 1700, besonders aber zur Rolle von historischen Narrativen in der Identitätskonstruktion monastischer Orden und einzelner Klöster. Auch der im vorliegenden Band immer wieder hervorgehobene Umstand, dass zwischen der historiographischen Aufarbeitung der Klostergeschichte und der künstlerischen Ausgestaltung der Klostergebäude häufig Querverbindungen bestehen, deutet sich im Fall Eraths mehrfach an. Georg Heinrich Erath von Erathsberg, so sein Taufname, wurde 1648 zu Buchloe in Schwaben als Sohn des Klosterrichters von Stift Diessen geboren. 5 Er besuchte das Jesuitengymnasium in München und legte 1667 im Augustiner-Chorherrenstift Wettenhausen unter dem Ordensnamen Augustinus die drei Gelübde ab. An der Universität Dillingen erwarb er 1679 den Doktorgrad der Theologie. Damit begann er ein Gelehrtenleben, dessen Stationen auf den ersten Blick geogra- 4 S TEFAN B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich, Husum 2003, 392. 5 Außer der in Anm. 2 angeführten Literatur stützen sich die biographischen Angaben zu Erath auf deren Hauptquelle, seine Autobiographie in den Annalen von St. Andrä: Stiftsbibliothek Herzogenburg (StH B), Hs. [197a], p. 768-830. - Gabriele Dischinger sei für die Übermittlung ihrer unveröffentlichten Recherchen zu Familie Erath herzlich gedankt. Abb. 1: Augustin Erath (1648-1719), Porträt, Öl auf Leinwand, Johann Baptist Baader, 1763/ 64 (auf der Basis einer älteren Vorlage); ehem. Kloster Polling, heute Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, Inv.-Nr. 36. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 165 phisch, institutionell und auch inhaltlich disparat wirken. Zu den einigenden Momenten dieser Karriere zählt einerseits eine starke Bindung seiner Identität an die des Augustiner-Chorherrenordens, dessen Prestige sich Erath mit gelehrten Arbeiten in unterschiedlichen Disziplinen zu heben bemühte, andererseits eine wachsende Nähe zum habsburgischen Hof und dessen Interessen. In den 1680er Jahren unterrichtete Augustin Erath Philosophie und Theologie zunächst in Wettenhausen, dann in Reichersberg. Schließlich wurde er Studiendirektor der Klosterneuburger Chorherren in deren Hof zu Wien. Mit seinem 1689 erschienenen Commentarius theologico-juridicohistoricus in Regulam S. Augustini 6 beteiligte er sich am Vorrangstreit zwischen Augustiner-Chorherren und Benediktinern. Auf diese Kontroverse kann hier nicht eingegangen werden; 7 festzuhalten ist aber, dass der Benediktinerorden eine der wesentlichen Reibflächen für die gelehrte Konstruktion augustinischer Identität bildete - nicht nur für Erath, aber für ihn Zeit seines Lebens ganz deutlich. Die verketteten Adjektive im Titel sind übrigens nicht als bloßes „barockes“ Wortgeklingel anzusehen, denn, wie man sehen wird, bediente sich Erath für seine Beweisführung tatsächlich aller drei bezeichneten Wissenssysteme: der scholastischen Theologie und Philosophie, der Rechtswissenschaft sowie der Geschichtsschreibung. Anfang der 1690er Jahre wurde Erath zum Bibliothekar des Passauer Bischofs Johann Philipp von Lamberg (1651-1712) bestellt, wobei seine Hauptaufgabe darin bestand, die Passauer Seite im Exemtionsstreit mit Salzburg historisch-publizistisch zu verfechten. In mehreren Streitschriften, die zur Beweisführung vor der römischen Rota ebenso wie zur Verbreitung des Passauer Standpunkts durch den Druck dienten, suchte er nachzuweisen, dass Passau gar nicht rechtmäßig zum Salzburger Metropolitanverband gehöre, sondern in Kontinuität zum angeblichen spätantiken Erzbistum Lauriacum (Lorch) selbst ein uralter Erzbischofssitz sei. 8 Lanciert hatte diese Fiktion Bischof Pilgrim von Passau im 10. Jahrhundert zu ganz ähnlichen Zwecken; er hatte auch gleich eine Reihe von Papst- und Kaiserurkunden als Belege dafür gefälscht, 9 die nun als Hauptstütze der Passauer Argumentation 6 A UGUSTIN E RATH , Commentarius theologico-iuridico-historicus in Regulam sancti patris nostri Augustini Hipponensis episcopi et ecclesiae doctoris maximi, Wien 1689. 7 F RANZ H EINRICH R EUSCH , Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte, Bd. 2, Bonn 1885, 265f.; B ENZ , Tradition (wie Anm. 4), 539-549, insbes. 547f. 8 F RANZ N IEDERMAYER , Johann Philipp von Lamberg, Fürstbischof von Passau (1651-1712). Reich, Landesfürstentum und Kirche im Zeitalter des Barock, Passau 1938, 30-33; E DDA M ARIA E DER , Beiträge zum Passauer Exemptionsstreit, Diss. phil. Mskpt., Wien 1962, 53-62, insbes. 59, 149, 162; B ENZ , Tradition (wie Anm. 4), 392, 547. 9 Vgl. dazu u.a. H EINRICH F ICHTENAU , Zu den Urkundenfälschungen Pilgrims von Passau, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 8 (1964), 81-100; sowie zuletzt E GON B OSHOF , Die Regesten der Bischöfe von Passau, Bd. 1: 731-1206, München 1992, 22 (Nr. 86), 42 (Nr. 162), 45 Thomas Stockinger 166 dienten. Die Salzburger Seite zog als Verfasser dagegen gerichteter Traktate übrigens vor allem Benediktiner heran, die an der Salzburger Universität wirkten. Die Erfahrungen, die Erath hier sammelte, waren für sein späteres Vorgehen als Annalist von St. Andrä gewiss prägend. 2. Propst von St. Andrä (1698-1719) Die Beiträge Eraths haben den Exemtionsstreit nicht entschieden, aber sie scheinen bei Bischof Lamberg und am habsburgischen Hof, der hinter diesem stand, einen guten Eindruck von ihrem Verfasser hinterlassen zu haben. Die Gelegenheit, den verdienten Publizisten gebührend zu belohnen, ergab sich 1698: Das Augustiner-Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen in Niederösterreich brauchte dringend einen neuen Propst. Eine besonders angenehme Aufgabe oder gar Sinekure war dies nicht; denn St. Andrä war immer schon ein eher kleines und armes Stift gewesen. Darüber hinaus hatte es den Nachteil, in unmittelbarer Nachbarschaft und damit gleichsam im Schatten der besser begüterten Herzogenburg zu liegen. 10 Hinzu kam, dass das Kloster 1683 durch die Osmanen schwere Zerstörungen erlitten hatte und seither nur notdürftig in Stand gesetzt worden war. Der Konvent war klein und zerstritten; der neue Propst musste sich mit der Anwesenheit von gleich zwei abgedankten Vorgängern arrangieren, deren einer, Matthias Helfried von Plönstein (1648-1719, reg. 1673-1680), wegen Verschwendung und fragwürdiger Moral zur Resignation gezwungen, sich renitent zeigte und das Kloster mit hohen Geldforderungen belastete. 11 Die Verhandlungen zogen sich demgemäß einige Monate hin, bevor Passau und Wien ihren Willen bekamen und das St. Andräer Kapitel Augustin Erath, Konventualen von Wettenhausen, zum Propst postulierte. 12 (Nr. 172), 54-57 (Nr. 199, 201, 204), 62f. (Nr. 219), 66 (Nr. 230), 70f. (Nr. 237), mit weiteren Literaturangaben; vgl. E DER , Exemptionsstreit (wie Anm. 8), 10-19. 10 Zur Dotation von St. Andrä vgl. E GON A LEXANDER W AHL , Geschichte des ehemaligen Augustiner Chorherrenstiftes St. Andrä an der Traisen mit besonderer Berücksichtigung der rechtlichen, besitz- und personalgeschichtlichen Verhältnisse, Diss. phil. Mskpt., Wien 1945, 19f., 37-45; zur Verlegung des Stiftes St. Georgen nach Herzogenburg (1244) vgl. W ERNER S ANDNER , Das Augustiner- Chorherrenstift Herzogenburg von 1244 bis 1513, Diss. phil. Mskpt., Wien 1967, 1-3; W OLFGANG P AYRICH , Herzogenburg, in: F LORIDUS R ÖHRIG (Hrsg.), Österreichisches Chorherrenbuch. Die Klöster der Augustiner-Chorherren in der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie, Bd. 1, Klosterneuburg 1997, 29-98, hier 32. 11 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 133-136. Eines von ganz wenigen Kunstwerken aus Plönsteins Prälatur ist sinnfälligerweise ein Pokal, als dessen Auftraggeber ihn jüngst Martin Mádl bestimmen konnte; vgl. M ARTIN M ÁDL / J ERZY J. K UNICKI -G OLDFINGER , Eiland: Georg Gundelach and the Glassworks on the D 02 ín Estate of Count Maximilian Thun-Hohenstein, in: Journal of Glass Studies 48 (2006), 225-247, hier 226-228. 12 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 142-145. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 167 Es erwies sich, dass das Kloster diese Wahl nicht bereuen musste. Eraths Prälatur dauerte bis zu seinem Tod 1719, also 21 Jahre, und ist (nicht nur von ihm selbst) als den Umständen entsprechend sehr erfolgreich eingeschätzt worden. 13 Während dieser Zeit wurden sämtliche Klostergebäude außer der Kirche erneuert; trotzdem war das Stift bei Eraths Ableben schuldenfrei. An der Kirche selbst wurde 1701/ 02 der romanische Turm erhöht und neu bekrönt. Diese Arbeit konnte Göhler aufgrund archivalischer Quellen zweifelsfrei Jakob Prandtauer (1660-1726) zuweisen. 14 Schütz hat wiederum einen Besuch Prandtauers in St. Andrä im Jahr 1707 belegt, bei dem er „Risse“ mitbrachte; diese identifiziert sie plausibel mit dem Kirchenentwurf, den Erath selbst in seinen Annalen beschreibt, ohne einen Urheber zu nennen. 15 Zu dieser Indizienkette kann nun ein neues Element hinzugefügt werden: In mehreren Briefen Eraths an P. Bernhard Pez (1683-1735) 16 in Melk aus den Jahren 1714/ 15 wird Prandtauer erwähnt. Erath vertraute ihm Bücher an, die er Pez nach Melk überbringen sollte. 17 Daraus geht hervor, dass Prandtauer in dieser Zeit mehrere Male in St. Andrä war; über den Zweck dieser Besuche sagt Erath nichts. Dass der Kirchenbau unter Erath nicht mehr in Angriff genommen wurde, lag zweifellos am ständigen St. Andräer Problem, dem Geldmangel. Erst Eraths Nachfolger Anton von Ruckenbaum (reg. 1719-1745) 18 konnte 1726-1729 den Neubau durchführen lassen; Baumeister war vermutlich Joseph Munggenast (1680-1741). 19 3. Die „Annales S. Andreae“ Erath hat auch als Propst von St. Andrä seine historiographische Tätigkeit fortgeführt. Das umfangreichste Vorhaben dieser Jahre waren die Annales ecclesiae S. Andreae in Inferiore Austria ad Trasenam. Es handelt sich dabei primär um eine Hausgeschichte des Stiftes, allerdings eingebettet in eine Landesgeschichte, die natürlich in erster Linie als Herrscher- und Dynastiegeschichte geschrieben wurde. 20 Auf diesen Aspekt, der wieder mit Eraths 13 Ebd., 146-159. 14 H ERMANN G ÖHLER , Zur Baugeschichte des aufgehobenen Chorherrenstiftes St. Andrä an der Traisen, in: Der Traisengau 2 (1936), 128-150, hier 138f., 145f. 15 I LSE S CHÜTZ , Die ehemalige Stiftskirche von St. Andrä an der Traisen und der Prandtauer-Kreis, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Vergleichende Kunstforschung in Wien 44/ 1-2 (1992), 1-7, hier 2. 16 Zu ihm vgl. T HOMAS W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709, Wien / München 2007. 17 Stiftsarchiv (StiA) Melk, Kt. 7 Patres 6, Bd. I, fol. 529r-530v, 531r-v, 532r-v, 527r-528v. Demnächst in: T HOMAS W ALLNIG / T HOMAS S TOCKINGER , Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, Bd. 1: 1709-1715, Wien 2010. 18 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 159-166. 19 S CHÜTZ , Stiftskirche (wie Anm. 15), 4-6. 20 B ENZ , Tradition (wie Anm. 4), 439. Thomas Stockinger 168 Hofnähe in Verbindung zu setzen ist, sei jedoch hier nicht weiter eingegangen. Zur näheren Betrachtung herausgegriffen seien vielmehr Eraths Ausführungen zu einem Punkt der eigentlichen Klostergeschichte, der ihm sichtlich vorrangig erschien, nämlich zur Gründung des Klosters und zur (vermeintlichen) Gründungsurkunde. Die Annales S. Andreae liegen in Herzogenburg in vier Handschriften vor. 21 Die älteste davon, nach der im Folgenden ausschließlich gearbeitet wird, dürfte um 1711 im Wesentlichen abgeschlossen gewesen sein. Die fortlaufende Darstellung der Ereignisse schließt mit dem Tod Josephs I. und der Thronbesteigung Karls VI. im Jahr 1711. 22 Die Drucklegung des umfangreichen Werks (die genannte Manuskriptversion zählt über 900 Seiten) war vorgesehen, 23 aus ungeklärten Gründen kam es aber nicht dazu. Einzig der Abschnitt, der im Folgenden näher betrachtet wird, erblickte das Licht der Öffentlichkeit, und dies nach Eraths Ableben: Leopold Nickel (1694- 1751), Bibliothekar und später selbst Propst von St. Andrä (reg. 1745- 1751), 24 stellte diesen Auszug dem St. Pöltener Augustiner-Chorherrn Raimund Duelli (1693-1769) 25 in den frühen 1720er Jahren zur Veröffentlichung in dessen Quellensammlung Miscellanea zur Verfügung. 26 Das Vorgehen Nickels ist neben dem beträchtlichen Raum, den diese Abhandlung in der Anlage der Annalen einnimmt, ein deutlicher Beleg dafür, wie wichtig die Frage des Gründungsdatums und der Identität des Stifters in St. Andrä genommen wurde. 4. Der angebliche Stiftbrief Einige Erläuterungen sind zur Einschätzung der Vorgehensweise Eraths unabdingbar: Die noch heute erhaltene älteste Urkunde des Stifts St. Andrä ist ein unzweifelhaft echtes Diplom Kaiser Ottos III. vom 29. April 998 über die Schenkung von Besitzungen zwischen den Flüssen Tulln und Anzbach 21 StH B. Hss.197, [197a], [197b/ 1-2], [197c]. Die Signaturen sind Provisorien bis zur endgültigen Verzeichnung der bislang unsignierten Bände. Zur Beschreibung der Überlieferungen und ihres Verhältnisses untereinander vgl. S TOCKINGER , Felix mansurus (wie Anm. 1), 200-203. W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 191f., beschreibt nur zwei davon; seine Einschätzung weicht von der des Verfassers ab. 22 StH B. Hs. [197a], p. 931. 23 Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), Cod. S.N. 2770, fol. 48r-v, 49r-v (Erath an J. W. v. Wurmbrandt, 1710 VI 1 und VI 11); vgl. StiA Melk, Kt. 7 Patres 6, Bd. I, fol. 529r-530v (Erath an B. Pez, 1714 III 2). 24 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 158, 166-168. 25 J OSEF W ODKA , Personalgeschichtliche Studien über das ehemalige Chorherrenstift St. Pölten, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederdonau N.F. 28 (1939/ 43), 148-206, hier 201; K ARL G UTKAS , Landeskunde und Geschichtsforschung in St. Pölten, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N.F. 54/ 55 (1988/ 89), 155-176, hier 155f.; B ENZ , Tradition (wie Anm. 4), 444-446. 26 D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 369-422. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 169 Abb. 2: Diplom Ottos III. für Engilrich DO.III. 287 (998 IV 29); Stiftsarchiv Herzogenburg A.1-n.1. an einen gewissen Engilrich. 27 Mögen auch diese in der Nähe von St. Andrä liegen, mit einer Klostergründung hat der Inhalt nichts zu tun. Die St. Andräer Tradition, diese Urkunde als Stiftbrief anzusehen, stützt sich allein auf die letzten vier Worte der vierten Zeile. Hier heißt es: „Wir haben ihm dieses zu Eigen gegeben, und zwar in der Weise, dass er damit tun kann, was ihm beliebt, und er soll bei Traisma eine clausura haben (et Traysme clausuram habeat).“ 28 Bei näherer Betrachtung sind diese vier Worte verdächtig: Sie stehen über den rechten Rand des Schriftspiegels der vorangehenden 27 Stiftsarchiv Herzogenburg (StH A), A.1-n.1. Druck: Monumenta Germaniae Historica (MGH), Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. II/ 2: Die Urkunden Otto des III., Hannover 1893, 711f. (Nr. 287). Literatur: zuletzt H EIDE D IENST , Osterriche - wieder vor 1000 Jahren. Das Diplom Kaiser Ottos III. vom 29. April 998 - der zweite Beleg für den Namen „Österreich“, in: Österreich in Geschichte und Literatur 42 (1998), 1-11, hier 2-5, 9; C HRISTINE O PPITZ , Eine Urkunde von 998 im Stiftsarchiv Herzogenburg, in: In unum congregati 45/ 1-2 (1998), 78-83, in einigen Punkten von der übrigen Literatur und der Anschauung des Verfassers abweichend, aber mit interessanten flankierenden Quellen. 28 [...] sibi in proprium tradidimus ea videlicet ratione, ut quicquid sibi libuerit, inde faciat et Traysme clausuram habeat. Thomas Stockinger 170 Abb. 3: Diplom Ottos III. für Engilrich, Detail: Interpolierte Stellen. Am Ende von Zeile 4 (hier 2. von oben): et Traysme clausura[m] h[abeat]; Z. 5: et semper; Z. 6: ut. Im übrigen Text etliche weitere Worte nachgezogen (etwa inquirendis in Z. 3, inde faciat in Z. 4). Zeilen bis fast an die Kante des Pergaments hinaus. Im Gegensatz zum Rest der Zeile, der stetig abfällt, steigt die Zeilenführung hier an. Auch die Schrift selbst weicht vom Rest merklich ab (Abb. 2 und 3). Die Forschung ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts einhellig zu jenem Ergebnis gekommen, das Sickel festgehalten hat: „Zu Anfang des 16. Jh. wurde die Urkunde durch einen Zusatz verfälscht, der das Kloster S. Andrae an der Traisen [...] als eine Gründung Otto III. erweisen sollte.“ 29 Dieselbe Hand hat am Ende der folgenden Zeilen die überflüssigen Worte et semper sowie ut angefügt, um die Durchbrechung des Schriftspiegels bei der entscheidenden Interpolation weniger auffallen zu lassen. Einige verblasste Stellen wurden nachgezogen, in der Siegelankündigung das Wort impressione (Aufdrücken) zu niemals üblich gewesenem impenssione (gemeint: „Anhängen“) abgeändert. Den Fälscher störte, dass die Urkunde mit einer angehängten Bleibulle besiegelt ist, was ihm im Widerspruch zur Ankündigung zu stehen schien. Angesichts dessen, dass der Gebrauch des Bleisiegels in der Kanzlei Ottos III. gerade erst eingeführt worden war und vorerst noch wechselweise Wachs- 29 Vorbemerkung zu MGH DO.III. 287 (wie Anm. 27). „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 171 und Bleisiegel zum Einsatz kamen, 30 ist die Inkonsequenz durchaus verständlich; sie tritt bei etlichen Urkunden der folgenden Jahre ebenso auf. 31 Bei dem Siegel handelt es sich um einen gut erhaltenen Abdruck des ersten von vier Bullenstempeln Ottos (Abb. 4); 32 die zur Befestigung verwendeten Hanfschnüre zeigen keinerlei Spuren späterer Eingriffe. Der Zeitpunkt der Interpolation ist in Sickels Bemerkung gut getroffen, jedoch nicht begründet; erst Wahl hat erwiesen, dass sie zwischen 1492 und 1500 vorgenommen worden sein muss. 33 Veranlasser der Verfälschung war folglich wohl Propst Oswald II. Rieger (reg. 1493-1506). 34 Die Nachfahren des Empfängers Engilrich, die Herren von Lengbach, hatten das Kloster St. Andrä tatsächlich gestiftet, freilich nicht 998, sondern in der Mitte des 12. Jahrhunderts (wohl 1147/ 48). 35 Aus ihrem Besitz muss das Diplom an das Kloster gekommen sein, wo man dann Jahr- 30 Der Gebrauch des Bleisiegels ist erstmals belegt 998 IV 22 (DO.III. 279), gerade eine Woche vor DO.III. 287; die letzte nachweisbare Wachsbesiegelung 998 V 2 (DO.III. 290). Vgl. P AUL K EHR , Die Urkunden Otto III., Innsbruck 1890, 114. 31 MGH DO.III. (wie Anm. 27), Nr. 286, 288, 294, 296, 301, 306 (sigilli nostri plumbea inpressione ! ) und etliche weitere bis 410 (1001 IX 22). Die Ankündigung mit impressione wurde also zwar seltener, verschwand aber nicht ganz aus dem Kanzleigebrauch. Der Ausdruck bezieht sich im Übrigen weit eher auf das Eindrücken des Typars in die Siegelmasse als auf die Befestigung, wie die in den ersten Jahren Ottos III. häufige Formel anuli nostri impressione (“durch das Eindrücken unseres Ringes”) nahelegt. 32 O TTO P OSSE , Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1806, Bd. 1, Dresden 1909, Tafel 10 (Nr. 2 und 3); Bd. 5, Dresden 1913, Tafel 15 (Nr. 6). 33 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 81f.; ihm folgen D IENST , Osterriche (wie Anm. 27), 3; O PPITZ , Urkunde (wie Anm. 27), 82. Aus 1492 existiert eine Privilegienbestätigung Friedrichs III. (StH A. A.1-n.210a, 1492 VIII 24), worin der Text des Ottonianums inseriert ist und die interpolierten Worte nicht aufscheinen; von 1500/ 03 liegen zwei Vidimus durch die Pröpste Wolfgang I. Hackinger (reg. 1495-1508) von St. Pölten und Georg I. Eysner (reg. 1484-1513) von Herzogenburg vor (StH A. A.1-n.1/ Beilagen, 1500 X 19 und 1503 II 22), die den Text mit den Änderungen wiedergeben. Vgl. bereits G ÖHLER , Baugeschichte (wie Anm. 14), 129 Anm. 10. 34 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 81. 35 Ebd., 13-15; C HRISTINE O PPITZ / U LRICH M AUTERER / F RANZ Z AUNER , Festschrift 850 Jahre Augustiner-Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen 1148-1998, St. Pölten 1998, Kap. „Die Gründung des Stiftes“ (unpag.); C HRISTINE O PPITZ / I LSE S CHÜTZ , St. Andrä an der Traisen, in: F LORI- DUS R ÖHRIG (Hrsg.), Österreichisches Chorherrenbuch. Die Klöster der Augustiner-Chorherren in der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie, Bd. 3, Klosterneuburg 2005, 399-430, hier 400f. Abb. 4: Diplom Ottos III. für Engilrich, Detail: Bleibulle Ottos III. Thomas Stockinger 172 hunderte später auf die Idee verfiel, es zur Gründungsurkunde zu machen und so das Alter des eigenen Hauses um 150 Jahre zu erhöhen. Soweit der heutige Wissensstand. Von welchen Voraussetzungen konnte und musste aber Augustin Erath ausgehen? Die Tradition der ottonischen Gründung war jedenfalls bereits fixer Bestandteil der St. Andräer Eigenwahrnehmung geworden. Jährlich am Mittwoch nach Ostern wurde das Gedenken des Kaisers mit einem Spendtag gefeiert, wobei Gaben an die Armen der Umgebung verteilt wurden - in ganz ähnlicher Weise, wie auch der Sterbetag Walters von Lengbach, den man nunmehr als „Erneuerer“ ansah, weiterhin begangen wurde. 36 Als Oswald Riegers Nachfolger 1522 an die Stiftskirche eine Schmerzen-Mariä-Kapelle angebaut hatte, hatte man eine Sonnenuhr mit den angeblichen Wappen Ottos III. und des Lengbachers an deren Außenwand gemalt. 37 Erath selbst nahm diese Tradition offenbar sehr wichtig; denn als er kurz nach seinem Amtsantritt die Annenkapelle, die Ruhestätte der Prälaten, barockisieren ließ, gehörte zum neuen Dekor auch ein Doppeladler mit dem Spruchband BONIS AVIBVS OTTONIS III. CAES. AVG. 1699 38 . Eraths Nachfolger Ruckenbaum sollte die ottonische Gründung auch in der Grundsteinlegungsinschrift der neuen Stiftskirche verewigen. 39 Dennoch war der Bedarf gegeben, diese Tradition gegen Zweifler zu verteidigen. Erath hat in seiner Abhandlung seine Gegner nicht namentlich genannt, sondern nur vermerkt, „der eine oder andere Historiker“ bezeichne St. Andrä als Gründung der Herren von Traisma. 40 Wer damit in erster Linie gemeint war, kann jedoch vermutet werden: der Wiener Humanist Wolfgang Lazius (1514-1565), 41 der den Urkundentext wenige Jahrzehnte nach der Interpolation als erster im Druck veröffentlicht hatte. 42 Lazius er- 36 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 14, 82. 37 Ebd., 83. 38 Wörtlich „Unter den guten Vögeln des erlauchten Kaisers Otto III. 1699“. Die „Vögel“ sind ein Bezug auf die antike Vogelschau (also „gutes Omen“), zugleich aber auch auf den Doppeladler. Vgl. S TOCKINGER , Felix mansurus (wie Anm. 1), 182, 206 Abb. 3. Für den Hinweis sei Christine Oppitz wie für all ihre Unterstützung herzlich gedankt. Zur Kapelle vgl. M ARTIN R IESENHUBER , Die kirchlichen Kunstdenkmäler des Bistums St. Pölten. Ein Heimatbuch, St. Pölten 1923, 261; G ÖHLER , Baugeschichte (wie Anm. 14), 136; W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 153; S CHÜTZ , Stiftskirche (wie Anm. 15), 4. 39 Darin heißt es über die Kirche: quam pietas imperatoris Ottonis III. anno 998 in cultum S. Andreae apostoli construxit („welche die Frömmigkeit Kaiser Ottos III. im Jahr 998 zur Verehrung des heiligen Apostels Andreas errichtete“). Zitiert nach einer archivalischen Abschrift bei G ÖHLER , Baugeschichte (wie Anm. 14), 150. 40 StH B. Hs. [197a], p. 91: unum alterumve historicum, quando asserit canoniam S. Andreae esse fundatam a dominis de Traisma; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 413. 41 M ICHAEL M AYR , Wolfgang Lazius als Geschichtschreiber Österreichs. Ein Beitrag zur Historiographie des 16. Jahrhunderts, Innsbruck 1894; E RNST T RENKLER , Wolfgang Lazius, Humanist und Büchersammler, in: Biblos 27 (1978), 186-203. 42 W OLFGANG L AZIUS , Commentariorum reipublicae Romanae illius in exteris provinciis bello acquisitis constitutae libri XII, Basel [1551], 1310f.; W OLFGANG L AZIUS , De gentium aliquot migrationi- „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 173 kannte zwar die Verfälschung nicht; 43 das Wort clausura aber deutete er, in besserer Kenntnis des Sprachgebrauchs des 10. Jahrhunderts, als sie der Fälscher besessen hatte, als „Burg“ oder „Befestigung“. Für ihn hatte also Otto III. Engilrich mit einer Grenzfestung gegen die Ungarn betraut. 44 Als Stifter von St. Andrä hatte Lazius dagegen ganz eindeutig Walter von Lengbach genannt, ohne die behauptete ottonische Gründung überhaupt zu erwähnen. Somit war der Urkundentext den Gelehrten bereits zugänglich, noch dazu im Werk eines angesehenen Autors, welcher der St. Andräer Tradition widersprach. Dagegen anzugehen, machte sich nun Erath zur Aufgabe: Das erste Kapitel seiner Annalen hatte keinen anderen Zweck, als die Echtheit der ottonischen Urkunde und das Gründungsjahr 998 zu beweisen. Eine zusätzliche Motivation kann man noch in der Rivalität mit Herzogenburg vermuten. Strittig waren vor allem die Umstände eines gescheiterten Versuchs der Vereinigung beider Klöster in der Mitte des 12. Jahrhunderts. 45 Die ottonische Gründung St. Andräs hätte die Priorität gegenüber Herzogenburg erhärtet; Erath verstieg sich gar zu der Behauptung, Herzogenburg sei anfangs St. Andrä unterstellt gewesen. Dagegen verwahrten sich die Herzogenburger, denen offenbar Eraths Annalen bald nach ihrer Fertigstellung vorlagen, mit einer handschriftlichen Responsio. 46 Auch dieser Disput kann hier jedoch nicht näher beleuchtet werden. 5. Historisch-quellenkritisches Vorgehen Erath beginnt seine Abhandlung über das vermeintliche Gründungsdiplom mit einer Biographie und Chronologie Ottos III., 47 in der er auch einige skurrile Geschichten, die über diesen Herrscher überliefert sind, zu verwerfen sucht: etwa, Otto habe seine Gemahlin wegen Ehebruchs hingerichtet, oder aber, er sei von einer verstoßenen Geliebten mittels vergifteter Handschuhe ermordet worden. Diese Anekdoten mussten dem Prälaten von St. Andrä unliebsam sein, weil das Ansehen des Stifters auch jenes seiner Stiftung war und alles, was Ottos Reputation schadete, auch das Prestige von bus, sedibus fixis, reliquiis, linguarumque initiis et immutationibus ac dialectis libri XII, Basel [1557], 356f. 43 Lazius dürfte die Urkunde selbst gesehen haben, wohl bei seiner ersten Bibliotheksreise 1548; vgl. T RENKLER , Lazius (wie Anm. 41), 196f. Freilich stand ihm noch kaum methodisches Rüstzeug zur hilfswissenschaftlichen Urkundenkritik zur Verfügung. 44 Lazius wähnte diese Festung Traisma zunächst am Kaumberger Sattel: Commentarii reipublicae Romanae (wie Anm. 42), 1313. Vgl. K ARL G UTKAS , Die „Treisma“-Orte, in: Unsere Heimat 22 (1951), 147-152. 45 W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 15-18; P AYRICH , Herzogenburg (wie Anm. 10), 31. 46 In StH B. Hs. 197 ist eine Abschrift der Responsio den Annales beigebunden. Als Verfasser wird Propst Wilhelm Schmerling (reg. 1709-1721) angegeben; vgl. W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 196f. 47 StH B. Hs. [197a], p. 44-51; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 369-378. Thomas Stockinger 174 St. Andrä schmälerte. Zur Widerlegung argumentiert Erath, im Übrigen völlig zurecht, dass die Skandalgeschichten erst in späten Quellen auftreten, während in den zeitnahen Zeugnissen keine Spur davon nachzuweisen ist. Er beweist hier - außer gründlicher Kenntnis der einschlägigen Literatur - seine Beherrschung zumindest einer grundlegenden Technik der Quellenkritik. „Es bleibe also“, schreibt er, „sowohl Kaiser Otto als seiner erlauchten Gemahlin die gebührende Ehre auch nach ihrem Tod so lange ungebrochen und ungeschmälert, bis sie ihrer durch echte Dokumente entkleidet werden“. 48 Hier lässt Erath also allein den Beweis aus echten und zeitnahen Quellen gelten und wäre sogar willens (so behauptet er), wenn ein solcher gegen seinen Standpunkt vorgebracht werden könnte, diesen zu akzeptieren. Erath geht nun zur Diskussion der „Gründungsurkunde“ über. Er beschreibt deren äußere Merkmale zumindest in groben Zügen, was in dieser Zeit bei der Wiedergabe von Urkunden nicht selbstverständlich, in Streitfällen aber bereits die Regel ist; diese Eigenschaften sind als wichtige Echtheitskriterien erkannt. Das Diplom ist aus Pergament mit angehängtem Bleisiegel, im Original und unbeschädigt erhalten. „Die Schrift dieser ottonischen Urkunde aber ist in jeder Beziehung passend zum zehnten Jahrhundert, wie es der hochgelehrte Mabillon darlegt“. 49 Erath beruft sich hier auf das renommierteste hilfswissenschaftliche Standardwerk seiner Zeit, Jean Mabillons (1632-1707) De re diplomatica. 50 Wohl um zu zeigen, wie genau er sich mit der Schrift beschäftigt hat, vergleicht er diese mit einer Urkunde Heinrichs II. von 1022, welche Daniel Papebroch (1628-1714) kurz zuvor in den Acta Sanctorum im Facsimile veröffentlicht hatte, 51 und stellt sogar die gewagte Behauptung auf, beides seien Ausfertigungen desselben Schreibers. Breiten Raum widmet Erath dem Siegel als nach damals einhelliger Auffassung wichtigstem Echtheitskriterium. Zum besonderen Wert der Siegel zitiert er das bekannte Wort Johanns von Ypern (gest. 1383): Sigillum regium nec fallit, nec fallitur. 52 Bei der Zuordnung des Siegels aber ist Erath mit der Literatur, die er heranzieht, auf dem neuesten Stand der Forschung. Er verwendet abermals Mabillons De re diplomatica und dazu Johann Michael 48 StH B. Hs. [197a], p. 51: Sit ergo tam Ottoni imperatori quam augustae coniugi suus honor etiam post fata tamdiu inconcussus et illibatus, donec authenticis tabulis illo destituantur; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 378. 49 StH B. Hs. [197a], p. 51f.: Est autem character huius diplomatis Ottoniani omnino accommodatus decimo saeculo, prout exhibet eruditissimus Mabillonius; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 379. 50 J EAN M ABILLON , De re diplomatica libri sex, Paris 1681. 51 G ODEFRIDUS H ENSKENS et al., Acta Sanctorum Iunii 3, Antwerpen 1701, 79. - MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. 3: Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins, Hannover 1900- 1903, 613f. (Nr. 481). 52 „Das königliche Siegel täuscht weder, noch irrt es.“ StH B. Hs. [197a], p. 56f.; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 384f. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 175 Abb. 5: Siegel und Monogramm sowie Signum-, Rekognitions- und Datumszeile des Diploms Ottos III. für Engilrich, Kupferstich, unbekannter Künstler, ca. 1710; Stiftsarchiv Herzogenburg A.1-n.1/ Beilagen. Thomas Stockinger 176 Heineckes (1674-1722) eben erschienenes Syntagma de veteribus sigillis. 53 Er identifiziert das Siegel anhand von Bild und Umschrift korrekt mit Bleibullen Ottos, die aus derselben Zeit belegt sind. Doch auch darüber hinaus widmete Erath dem Siegel besondere Bemühungen. Noch während der Arbeit an den Annalen, spätestens 1710, ließ er das Siegel und ein zweites Echtheitsmerkmal, das kaiserliche Monogramm, in Kupfer stechen (Abb. 5). Exemplare dieses Stichs versandte er an verschiedene Gelehrte mit der Bitte um Stellungnahme: an Johann Wilhelm von Wurmbrandt (1670-1750), Förderer Eraths am Wiener Hof; 54 an Bernhard Pez; 55 anscheinend auch nach St. Pölten. 56 Erath selbst behauptet in den Annalen, dass er über Otto III. auch an Leibniz (1646- 1716) und Heinecke geschrieben und zustimmende Antworten erhalten habe. 57 Erath hat hier die Errungenschaften und Autoritäten der historischen Wissenschaft ausgeschöpft, um ein fast unwiderlegbares Argument für die Echtheit der Urkunde zu gewinnen. Die Anfertigung des Stichs, der später in der Druckversion der Annalen verwendet werden sollte, zeigt auch, dass das Arbeiten mit Abbildungen bereits Teil eines gehobenen Standards der Hilfswissenschaft war. Werke wie das Syntagma von Heinecke arbeiteten ganz selbstverständlich mit Tafeln, wenn auch auf jener mit den Siegeln der Ottonen gerade unsere Bulle nicht 53 J OHANN M ICHAEL H EINECKE , De veteribus Germanorum aliarumque nationum sigillis eorumque usu et praestantia syntagma historicum, Frankfurt a.M. 1709. 54 ÖNB, Cod. S.N. 2770, fol. 48r (1710 VI 1); vgl. B ENZ , Tradition (wie Anm. 4), 425f., 431, 439. 55 StiA Melk, Kt. 7 Patres 6, Bd. I, fol. 529r-v (1714 III 2). 56 Der Stich ist reproduziert in: R AIMUND D UELLI , Miscellaneorum, quae ex codicibus manuscriptis collegit, liber I, Augsburg / Graz 1723, 429: wohl vor Erhalt der in lib. II (wie Anm. 2) gebrachten Materialien, die Nickel aus St. Andrä sandte. 57 StH B. Hs. [197a], p. 46; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 372. Es geht um den Geburtsort Ottos. Laut freundlicher Mitteilung von Nora Gädeke, Hannover, findet sich in der erhaltenen Leibniz-Korrespondenz kein Hinweis auf diesen Briefwechsel. Abb. 6: Siegel der Ottonen, Kupferstich, Bildtafel V, in: Johann Michael Heinecke, De veteribus Germanorum aliarumque nationum sigillis [...] syntagma historicum, Frankfurt a.M. 1709. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 177 aufscheint (Abb. 6) - sicher zum Bedauern Eraths. Die Ausführenden dieser „Visualisierung“ in wissenschaftlicher Absicht, die Kupferstecher, waren oft dieselben, die für eigentlich künstlerische Darstellungen herangezogen wurden. Freilich kann man fragen, weshalb Erath zwar Siegel und Monogramm, nicht aber die ganze Urkunde abbilden ließ, obwohl ja auch die Faksimilierung von Schriften schon zum Repertoire der Disziplin gehörte. Musste er befürchten, die interpolierte Stelle wäre erkennbar? Eher nicht, denn ein Kupferstich ist keine Photographie: Selbst wenn der Künstler von sich aus so genau arbeitete, dass der Unterschied sichtbar würde, konnte man leicht veranlassen, dass er das Aussehen angleiche. Letztlich wissen wir nicht, ob Erath selbst gegen die fraglichen vier Worte paläographische Bedenken hegte und verschwieg, oder ob sie ihm gar nicht aufgefallen waren. Bei aller Kenntnis der Literatur war Erath selbst kein Diplomatiker, hatte nicht wie Mabillon hunderte Urkunden verschiedenster Zeiten gesehen und vergleichend untersucht. Es ist nicht vollends auszuschließen, dass er sein „Gründungsdiplom“ in gutem Glauben verteidigte. 58 6. Scholastisch-logische und juristische Argumente Völlig bewusst war ihm sicherlich, dass an gerade diesen vier Worten alles hing und er die inhaltlichen Bedenken gegen den Text zerstreuen musste. Die Argumentation, die er dazu bemühte, ist durchaus kunstvoll. Ein erstes Problem lag darin, dass der Fälscher den Zusatz dort angebracht hatte, wo eben Platz dafür war, und den Widerspruch in Kauf genommen hatte, der sich zwischen dem angeblichen Auftrag zur Klostergründung und der Formel „dass er damit tun kann, was ihm beliebt“ erhebt. Dazu Erath: „Um die eigentliche Absicht des Kaisers Otto und dieser Worte zu erfassen, sollte man zunächst die uralte Tradition unseres Stiftes kennen“, 59 wonach nämlich Engilrich den Kaiser um Stiftungsgut zur Gründung eines Klosters gebeten habe. Wenn also Otto ihm auftrage, „dass er mit diesen Gütern tun soll, was ihm beliebt“, 60 so wäre damit die dem Kaiser bekannte Stiftungsabsicht ge- 58 Die Aussage bei W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 82 Anm. 49, Erath habe bei der Wiedergabe des Transumpts Friedrichs III. (wie Anm. 33) die bewussten vier Worte, die ja dort fehlen, eingefügt, muss auf einer der späteren Abschriften der Annalen beruhen. In der ältesten vorliegenden Version StH B. Hs. [197a] ist die Urkunde Friedrichs III. vollständig wiedergegeben (p. 416-423), das inserierte Ottonianum enthält den Einschub nicht. 59 StH B. Hs. [197a], p. 81: Ut genuinam imperatoris Ottonis et horum verborum mentem assequaris, in antecessum ex antiquissima canoniae nostrae traditione oportet nosse [...]; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 405. 60 StH B. Hs. [197a], p. 82: [...] ut ex iis bonis faciat, quod libuerit; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 405. Erath ersetzt quicquid („was auch immer“) durch unverfängliches quod („was“). Thomas Stockinger 178 meint. Zur Erhärtung dieser Idee zitiert Erath nun nicht - wie man es als Historiker tun müsste und er hinsichtlich des Siegels und der Schrift auch getan hat - einen anderen urkundlich belegten Fall aus etwa derselben Zeit, der ähnlich gelagert wäre. Vielmehr führt er ein Dekretale aus dem Liber extra sowie Giacomo Menocchio (1532-1607), 61 Bartolus von Sassoferrato (ca. 1313-1357), Antonius von Butrio (ca. 1338-1408) und weitere juristische Autoritäten ins Treffen, um zu argumentieren, dass die durch das Wort libet gewährte freie Verfügung sich nur auf das erstrecke, was dem Recht und der Vernunft nicht zuwiderlaufe, im speziellen Falle also durch das angebliche Versprechen Engilrichs beschränkt sei, mit dem erhaltenen Gut ein Kloster zu bestiften. 62 Im Weiteren diskutiert Erath dann die problematische Bedeutung des Wortes clausura. Er räumt ein, dass das Wort im spätantiken Sprachgebrauch eine kaiserliche Festung bedeutet habe, was eben Lazius auf den Gedanken einer Grenzburg gegen Ungarn gebracht habe. Erath hält dagegen, wenn die Urkunde dies meine, hätte Engilrich gegen den Kaiser treulos gehandelt: „Und weil man Engilrich nicht verdächtigen kann, er hätte gegen sein Versprechen unterlassen, eine Festung zu bauen, und an deren Stelle ein Kloster errichtet, daher ist es ganz rechtmäßig zu behaupten, dass Kaiser Otto das Wort clausura im kirchlichen Sinn gemeint, und damit den Bau eines Klosters angedeutet hat“. 63 Was es eben noch zu beweisen galt, ist zur Voraussetzung der Argumentation geworden. Weiter meint Erath, so verstehe den Begriff jedenfalls die antiquissima traditio von St. Andrä, die darin bestätigt werde durch „die Heilige Schrift, die Kirchenväter, Konzilien, Kanones, Kirchenlehrer und den allgemeinen Sprachgebrauch der alten wie der gegenwärtigen Zeit“. 64 Wiederum unterbleibt jeglicher Versuch, zeitnahe parallele Belege zu erbringen. Schließlich führt Erath noch an, was es an weiteren Zeugnissen für die Gründung St. Andräs im Jahre 998 gibt. Da wäre nochmals die St. Andräer Tradition, insbesondere der Jahrtag, der seit „unvordenklichen Zeiten“ für Otto III. begangen wird. Da wären Bestätigungen der Urkunde durch späte- 61 G IACOMO M ENOCCHIO , De arbitrariis iudicum quaestionibus et causis libri II, Venedig 1569. Die anderen Autoren führt Erath aufgrund von Zitaten in diesem Werk an - eine in der Kanonistik gängige Arbeitsweise. 62 StH B. Hs. [197a], p. 83; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 406. 63 StH B. Hs. [197a], p. 100: [...] et cum de Engilrico suspicari non liceat, quasi munimentum aedificare contra fidem datam intermisisset et loco illius monasterium extruxisset, idcirco omnino fas est asserere Ottonem imperatorem clausurae nomen accepisse in sensu ecclesiastico, ac monasterii erectionem subintellexisse; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 420. 64 Ebd.: cui patrocinantur sacrae litterae, sancti patres, concilia, sacri canones, doctores et tam vetustae quam nostrae aetatis consuetus loquendi modus. „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 179 re Herrscher, namentlich jene Friedrichs III. von 1492. 65 Da wäre ein wiederum „uralter“ Prälatenkatalog von St. Andrä, der mit 998 beginnt und fünf Pröpste bis zu einer Zerstörung durch die Ungarn im 11. Jahrhundert nennt, auf die dann Mitte des 12. Jahrhunderts die „zweite“ Gründung durch Walter von Lengbach gefolgt wäre. Dieser Katalog ist auch die einzige, spärliche Quelle für die Darstellung des Klosters in dieser Zeit in den folgenden Kapiteln der Annalen. Seine Glaubwürdigkeit als Quelle untermauert Erath wieder mit juristischen Argumenten: Für den Satz „Es ist anerkanntes Recht, dass in weit zurückreichenden Fragen den Chroniken volles Vertrauen zuzubilligen ist“ 66 , führt er zwei Dekretalien und eine Digestenstelle an, dazu die Kommentatoren Gratian (gest. ca. 1150), nochmals Bartolus, Filippo Decio (1454-1535), Ludovico Gozzadini (1479-1536) und Rolando della Valle (um 1560). Eine quellenkritische Würdigung dieses heute unauffindbaren 67 Prälatenkatalogs unterbleibt zur Gänze. Mit einer ähnlichen Folge juristischer Allegationen hält Erath zuletzt auch fest, es sei ein anerkannter Rechtssatz, dass in Ermangelung von Chroniken auf die orale Tradition zurückzugreifen sei: In iure constans est doctrina, quod in defectu chronicorum et historicorum debeat in antiquis recurri ad famam. 68 In diesem Sinn hat die „uralte Überlieferung“ des Klosters dieselbe Beweiskraft wie eine Urkunde; ja selbst das schon erwähnte „Wappen Ottos III.“ an der Kapellenwand ist ein Beweis. Aus heutiger Sicht heben sich in Eraths Argumentation zwei unterschiedliche Beweisverfahren voneinander ab: ein quellenkritisches, das in seinen Grundzügen auch der heutigen Arbeitsweise eines Historikers entspricht, sowie ein formal-logisches und juristisches, vornehmlich aber kanonistisches. Uns erscheint Ersteres allein als adäquates Verfahren zum Nachweis vergangener Tatsachen, Letzteres eher absurd. Erath dagegen sieht zwischen den beiden Argumentationsweisen wohl einen Unterschied, aber keinen Widerspruch, und scheint sie als gleichwertig zu betrachten. Der Übergang vollzieht sich im Verlauf des Traktats progressiv: Je allgemeiner die Fragestellungen, etwa nach der Biographie Kaiser Ottos, umso mehr überwiegen in der von Erath zitierten Literatur historische Werke, und umso mehr insistiert er selbst auf zeitnahen, quellenkritisch überprüften Belegen. Je mehr er sich aber der für ihn entscheidenden Frage annähert, nämlich 65 StH B. Hs. [197a], p. 84 (Jahrtag), 88f. (Urkunde Friedrichs III.); D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 407, 410f.; vgl. Anm. 58. 66 StH B. Hs. [197a], p. 89: [...] consummati iuris est in antiquis plenam fidem esse adhibendam libris chronicis; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 412. 67 In Herzogenburg sind mehrere Versionen solcher Kataloge erhalten, keine älter als aus dem späten 17. Jahrhundert; vgl. S TOCKINGER , Felix mansurus (wie Anm. 1), 183; W AHL , St. Andrä (wie Anm. 10), 193. 68 StH B. Hs. [197a], p. 91; D UELLI , Miscellanea II (wie Anm. 2), 413. Thomas Stockinger 180 dem Nachweis des Gründungsjahres 998, und je mehr ihn die Quellen im Stich lassen, umso häufiger macht Erath von der juristischen Argumentation Gebrauch, um selbst den fragwürdigsten Anhaltspunkt als validen Beweisgrund zu etablieren. 7. Conclusio Wenn man aufgrund des Vorangegangenen einige allgemeinere Thesen formulieren möchte, so könnten diese etwa lauten: Erstens: Die Relevanz auch der fernen Vergangenheit für die eigene Gegenwart wird von den Gebildeten um 1700 nach wie vor ungemein stark empfunden. Die ottonische Gründung von St. Andrä oder die Lorcher Herkunft des Bistums Passau sind von konstitutiver Bedeutung für die Wahrnehmung dieser Institutionen. Die lange Dauer seit diesen Anfängen schmälert nicht deren Wirksamkeit, sondern erhöht ganz im Gegenteil ihr Gewicht. Voraussetzung dafür ist die ungebrochene Kontinuität, deren Herstellung in den Geschichtskonstruktionen ebenso wichtig ist wie die Etablierung des uralten Ursprungs. Die Idee eines Bruchs mit der Vergangenheit, speziell einer Überwindung des Mittelalters, wie sie der Renaissancehumanismus aufgebracht hat, scheint hier nicht wirksam zu sein. Erath führt mittelalterliche und neuzeitliche Autoren zu den meisten Fragen gleichrangig in derselben Zitatenkette an. Das Jahr 998 liegt für Erath so weit zurück wie für uns 1300, ist aber weit weniger „vergangen“. Diese Gegenwärtigkeit der Vergangenheit ist auch wesentlich für die Motivation zu ihrer historiographischen wie künstlerischen Darstellung. Zweitens: Diese durchaus reelle konstitutive Bedeutung der Vergangenheit betrifft nicht nur die „weiche“ Ebene des institutionellen Prestiges und der kollektiven Identitäten, sondern auch die konkrete des Rechts und der Ökonomie. Das ottonische Diplom ist für Erath (auch) ein Rechtstitel, den er vor Gericht verwenden kann. Die Passauer Bischofsreihen des Frühmittelalters sind Beweise, die von der Rota Romana abzuwägen sind. An der Echtheit eines uralten Dokuments können also auch große materielle Werte hängen. Drittens: Vielleicht gerade deshalb, weil die Vergangenheit Teil, ja Grundlage der Gegenwart ist, sind alle epistemologischen Mittel zur Feststellung von Sachverhalten in der Gegenwart grundsätzlich auch auf die Vergangenheit anwendbar. Wir sehen dies bei Erath im gleichberechtigten und als widerspruchsfrei empfundenen Miteinander von scholastisch-philosophischer, kanonistisch-juristischer und historisch-quellenkritischer Argumentationsweise. Man kann Mabillon und Heinecke zitieren, um einem Doku- „Debeat in antiquis recurri ad famam“ 181 ment Glaubwürdigkeit und Beweiskraft zu attestieren, oder den Liber extra und Bartolus von Sassoferrato. Man kann den Sinn einer Quellenstelle mit zeitnahen Belegen philologisch untersuchen, oder man kann mit den Mitteln des gelehrten Rechts die Bedeutung von libet erörtern. Erath kennt die neuesten methodischen Errungenschaften der historischen Wissenschaft und ist imstande, sie anzuwenden; er sieht sie aber nicht als die ausschließliche Methode zur Gewinnung von Erkenntnissen über die Vergangenheit. Der Bruch mit den Anschauungen, die sich bei Erath zeigen, ist bei manchen seiner Zeitgenossen bereits im Gang, sowohl was die Verdrängung der historischen durch die positive Rechtsauffassung betrifft, als auch hinsichtlich der Durchsetzung der quellenkritischen Methode in der Geschichtswissenschaft. Eraths Beispiel zeigt aber, wie vielfältig die Möglichkeiten einer intellektuellen Überbrückung dieser Gegensätze und einer Kombination von „Altem“ und „Neuem“ waren. Legende und Geschichte im Bild Die Freskenausstattung im Konventgebäude des westböhmischen Zisterzienserklosters Plass Št pán Vácha / Martin Mádl Der vorliegende Beitrag über die Freskenausstattung der westböhmischen Zisterzienserabtei Plasy / Plass 1 konzentriert sich auf die Ikonographie jener Fresken, mit denen die hofseitigen (Um-)Gänge des als Quadrum gestalteten Konventbaus ausgemalt sind. Sie zeigen legendenhafte und historische Szenen aus der Zisterzienserabtei Plass und der Ordensgeschichte der Zisterzienser. 1. Baugeschichte und architektonischer Kontext der Wandgemälde Plass liegt in einem bewaldeten Gebiet, nördlich der westböhmischen Stadt Plze 7 / Pilsen. Das Kloster (1785 aufgehoben) wurde vor der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegründet. Die Zisterzienser kamen aus Langheim in Franken (Ordenszweig Morimond) nach Plass. 1420 zerstörten hussitische Heerscharen Teile des mittelalterlichen Klosters mit seiner geräumigen romanischen Basilika, die im 12. und 13. Jahrhunderts erbaut worden war. Im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgte eine teilweise Renovierung der Anlage. Zu einer Konsolidierung der wirtschaftlichen Situation und einem Neubau des Klosters kam es erst nach dem Dreißigjährigen Krieg. In den Jahren 1661-1668 wurde die ursprünglich romanische Kirche barockisiert. 2 1 Zu ikonographischem Programm, Künstlern und Entstehungsgeschichte vgl. Š T / PÁN V ÁCHA , Koncepce a ikonografie freskového cyklu a dalších nást 0 nných maleb J. A. Pinka a F. A. Müllera v konventu plaského kláštera, in: J I 4 Í F ÁK (Hrsg.), Plaský klášter a jeho minulý i sou 2 asný p 3 ínos pro kulturní d 0 jiny, Sborník p 3 ísp 0 vk 9 ze seminá 3 e konaného v Plasích a Mariánské Týnici ve dnech 11.-13. kv 0 tna 2005, Plasy / Mariánská Týnice 2005, 49-55; M ARTIN M ÁDL , Auto 3 i nást 0 nných maleb v plaském klášte 3 e, in: J I 4 Í F ÁK (Hrsg.), Plaský klášter a jeho minulý i sou 2 asný p 3 ínos pro kulturní d 0 jiny, Sborník p 3 ísp 0 vk 9 ze seminá 3 e konaného v Plasích a Mariánské Týnici ve dnech 11.-13. kv 0 tna 2005, Plasy / Mariánská Týnice 2005, 57-71 (hier ist auch ältere Literatur zur Problematik der barocken Deckenmalereien im Kloster Plass angeführt). - Der Beitrag wurde mit Unterstützung der Czech Science Foundation vorbereitet (Projekt „Ceiling Painting in the Context of Monastic Architechture“, Nr. 408/ 08/ 0745). 2 Zur Geschichte des Klosters in Plass im Mittelalter vgl. J I 4 Í K UTHAN , Po 2 átky a rozmach gotické architektury v 1 echách, Praha 1983, 156-172; K ATE 4 INA C HARVÁTOVÁ / D OBROSLAV L ÍBAL , Plasy, in: D ANIELA H OUŠKOVÁ (Hrsg.), 4 ád cisteciák 9 v 2 eský zemích ve st 3 edov 0 ku, Sborník vydaný k Št pán Vácha / Martin Mádl 184 In den 90er Jahren des 17. Jahrhunderts wurde unter Abt Andreas Troyer (reg. 1681-1699) nördlich der Kirche - als eigenständiger Bau - eine anspruchsvolle Abtresidenz nach Plänen des Architekten Jean Baptist Mathey (1630-1695/ 96) errichtet. 1702 stattete der schlesische Maler Johann Christoph Liška (1650-1712) das Treppenhaus und den Hauptsaal mit hochwertigen Malereien aus, die den Jakobstraum und den allegorischen Triumph der Kirche darstellen. 3 Die Errichtung des neuen Konventgebäudes fällt bereits in die Amtszeit von Troyers Nachfolger, Abt Eugen Tyttl (reg. 1699-1738). Abt Eugen war ein erfahrener Bauherr, der über hervorragende Architekturkenntnisse verfügte. Dies beweist ein um 1710 verfasster Brief, der an den Abt des Zisterzienserklosters in Sedlec / Sedletz bei Kutná Hora / Kuttenberg adressiert ist; in dem Schreiben äußert sich Eugen Tyttl kritisch und ungewöhnlich fundiert zu dem geplanten Umbauprojekt des Konventes in Sedletz. 4 Auch das 1815 erschienene Allgemeine historische Künstler-Lexikon für Böhmen von Johann Gottfried Dlabacž feiert Tyttl als bedeutenden Architekten und Urheber einiger beachtenswerter Bauten. 5 Heute ist Abt Tyttl vor allem als ideenreichen Gestalter der neuen Konventanlage von Plass bekannt, bei der er offensichtlich nicht nur die Grundanordnung und Funktion einzelner Bauteile festlegte, sondern auch Maße und proportionalen Beziehungen der einzelnen Trakte bestimmte. 6 Die technische und künstlerisch-architektonische Umsetzung des Konventbaus ist hingegen das Verdienst des Architekten Johann Blasius Santini-Aichel (1677-1723). Der Konvent wurde ab 1710 als kompletter Neubau errichtet; er nimmt auf die Anordnung des mittelalterlichen Konvents keinerlei Rücksicht. In diesem Punkt unterscheidet sich Plass von der Mehrheit der böhmischen Klöster - nicht nur von den Zisterzienserklöstern -, deren Umbauten aus ideengeschichtlichen und ökonomischen Gründen bewusst auf die mittelalterliche Anlage Rücksicht nahmen, ja sie in einigen Fällen sogar historisierend nachbildeten. 850. výro 2 í založení kláštera v Plasech, Praha 1994, 44-48; Z DEN / K C HUDÁREK , N 0 která nová zjišt 0 ní o stavebním vývoji klášterního kostela Nanebevzení Panny Marie v Plasích ve 12. a 14. století, in: F ÁK , Plaský klášter (wie Anm. 1), 3-34 (hier ist auch die ältere Literatur zur Geschichte von Plass angeführt). 3 J AROMÍR N EUMANN , Jan Kryštof Liška, in: Um 0 ní 15 (1967), 264-277. 4 P ETR M ACEK / P AVEL Z AHRADNÍK , Opat Evžen Tyttl jako projektant, in: J I 4 Í F ÁK (Hrsg.), 850 let plaského kláštera (1145-1995). Sborník p 3 ísp 0 vk 9 seminá 3 e „Vývoj a význam plaského kláštera pro 2 eské d 0 jiny“, Mariánská Týnice 1995, 87-91. 5 G OTTFRIED J OHANN D LABACŽ , Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theil auch für Mähren und Schlesien III, Prag 1815, 287-299. 6 Tyttl äußerte sich auch in seinem Gutachten über die Pläne des Klosters in Sedlec / Sedletz; vgl. M ACEK / Z AHRADNÍK , Opat Evžen Tyttl (wie Anm. 4). Legende und Geschichte im Bild 185 Der Bau des Plasser Konvents dauerte drei Jahrzehnte und wurde nie fertig gestellt. Seine geplante Form kennen wir jedoch sowohl aus Grundrissen Santinis als auch aus einer Idealansicht. 7 Der Konvent ist ein mächtiger vierflügeliger Bau mit drei Geschossen, die funktional betrachtet einen hierarchischen Aufbau besitzen: Das Erdgeschoss war für die Novizen bestimmt. Im Hauptgeschoss befanden sich das Priorat (südwestlicher Flügel), das große Refektorium (südöstlicher Flügel), das über zwei Stockwerke ging, und die Bibliothek mit dem Studierzimmer (nordöstlicher Flügel); in der westlichen Ecke befindet sich noch heute die Kapelle des hl. Bernhard. Im Obergeschoss waren die Zellen der Ordensbrüder untergebracht. Die Gänge liegen sowohl im ersten als auch zweiten Geschoss hofseitig. Im nordwestlichen Flügel grenzt der über ovalem Grundriss errichtete Kapitelsaal an. Aus dem südwestlichen Teil ragt der Flügel mit dem selbstständigen Klosterkrankenhaus hervor. An den nordwestlichen Flügeln sollte parallel eine Kirche, über dem Grundriss von drei griechischen Kreuzen, angebaut werden - allerdings kam es nie dazu. So diente im 18. Jahrhundert den Plasser Zisterziensern für die Chorgebete die mittelalterliche, in den 1660er Jahren barockisierte Basilika, die sich bis heute nördlich vom Konvent befindet. 2. Die Fresken im Konventgebäude 2.1. Überblick Die Freskenausstattung des Konventbaus (Abb. 1) entstand nach einem Konzept Abt Tyttls. 8 Malereien befinden sich in allen drei Geschossen des Komplexes, allerdings sind sie - seit dem Brand des Jahres 1894 - nicht mehr vollständig erhalten. Die Ausführung der Fresken besorgten in den 1720er bis in die 1740er Jahre und zuletzt in den 1780er Jahren Jakob Anton Pink (Lebensdaten unbekannt), Frantz Anton Müller (1693-1753) und Joseph Kramolin (1730-1802). 7 Zur Baugeschichte des Plasser Klosters vgl. besonders M ICHAEL Y OUNG , Santini-Aichel’s Design for the Convent of the Cistercian Monastery at Plasy in West Bohemia, New York 1994; M OJMÍR H ORYNA , Jan Blažej Santini-Aichel, Praha 1998, 266f.; P AVEL V L 1 EK / P ETR S OMMER , Plasy. Bývalé cisterciácké opatství u kostela Nanebevzeté P. Marie, in: P AVEL V L 1 EK / P ETR S OMMER / D UŠAN F OLTÝN , Encyklopedie 2 eských klášter 9 , Praha 1998, 424f. Zur Ikonographie des Klosters vgl. W IL- HELM G EORG R IZZI , Das Gesamtprojekt zur Barockisierung des Zisterzienserklosters Plass in Böhmen, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 34 (1981), 174-179; I RENA B UKA 1 OVÁ , Plaský klášter v historické ikonografii, in: F ÁK , Plaský klášter (wie Anm. 1), 73-78. 8 I RENA B UKA 1 OVÁ / P AVEL P REISS , De picturis a celebri D. Jacobo Pink sagaci penicillo expressis. Život a dílo plaského malí 3 e Jakuba Antonína Pinka, in: F ÁK , 850 let plaského kláštera (wie Anm. 4), 114-126, hier 123, Anm. 23; V ÁCHA , Koncepce (wie Anm. 1), 49. Št pán Vácha / Martin Mádl 186 Abb. 1: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Konventgebäude, Grundriss des ersten Geschosses. Pink löste den 1712 verstorbenen Johann Christoph Liška ab, auf den, wie bereits erwähnt, die Fresken in der Prälatur zurückgehen. Allerdings erreichte Pink nicht die malerische Souveränität seines Lehrers Liška. An der Ausstattung des schrittweise errichteten Konventbaus arbeitete Pink vermutlich ab 1720 bis zum Tod Tyttls im Jahr 1738. 9 Neben den Fresken im Umgang 9 Über Pink als Autor und über den Verlauf seiner Arbeit geben die Rechnungsbelege Auskunft, die sich als Abschrift in der jüngeren Chronik des Klosters finden; vgl. C ORNELIUS S TEPHAN , Historische Notizen über Plass. Diese Notizen sind Teil der lateinisch geschriebenen Plasser Pfarrchronik (Liber Memorabilium parochiae Plassensis desumpta), die in einigen Abschriften aus der ersten Hälfte des Legende und Geschichte im Bild 187 des ersten Geschosses führte Pink auch die Fresken im Refektorium aus, das die „Speisung der Fünftausend“ zeigte (1894 vernichtet). Für das Refektorium malte Pink darüber hinaus acht monumentale Bilder mit Motiven aus dem Alten Testament, die im Zusammenhang mit Essen und Trinken stehen. 10 Ferner befanden sich im Refektorium Bildnisse der wichtigen Personen aus der Geschichte des Klosters: ein Porträt des ersten Abtes Ivo (reg. 1145-1169), des Gründers des Klosters König Vladislav II. (reg. 1140- 1172), des Erneuerers des Klosters Ferdinand II. (reg. 1619-1637), des Abtes Georg Wasmutius (reg. 1616-1639) und ein Porträt des Erneuerers und Abtes Eugen Tyttl - all diese Bilder sind nur durch schriftliche Überlieferung bekannt. 11 Die Decke der ebenerdigen, dem hl. Benedikt geweihten Noviziatkapelle zeigt die „Apotheose der hl. Scholastika“ von Pink (Plan III/ 1). 12 Die Decke der dem hl. Bernhard geweihten Meditationskapelle im ersten Geschoss (Plan III/ 2) schmückt eine Darstellung der Apostel, die Christus um ein Gebet für den Herrn bitten - mit einem Zitat aus dem Lukasevangelium: DOMINE DOCE NOS ORARE. LUCAE. CAP. XI. Auf der Stirnwand des Presbyteriums ist das Bild des hl. Bernhard beim Meditieren im Wald zu sehen. Der Heilige stützt sich auf einen Steinquader, auf dem ein Zitat aus seinem Brief zu sehen ist: EXPERTO CREDE: / ALIQUID AMPLIUS IN- VENIES / IN SILVIS QUAM IN LIPRIS, / LIGNA ET LAPIDES DOCE- BUNT TE / QUOD A MAGISTRIS AUDIRE / NON POSSIS / S. Bernard. / Epis: 106; das Gemälde trägt Tyttls Initialen und ist mit 1728 datiert. Das Fresko an der rechten Seite des Presbyteriums zeigt die Jungfrau Maria, die dem hl. Alberich ein weißes Gewand und dem hl. Stephan Harding ein Zin- 19. Jahrhunderts überliefert ist. Vgl. Prager Nationalarchiv, Fond Böhmische Hofkanzlei. Kr. 178, Rkp. 2468/ 236 (Abschrift des Plasser Kaplans P. Wenzel 1 ernohorský). - Bezirksarchiv Plass, OA 274/ 72, S. 26-28. Stephans Aufzeichnungen beinhalten eine Kalkulation von malerischen, bildhauerischen, kunsthandwerklichen Arbeiten sowie Goldarbeiten, die unter Abt Eugen Tyttl ausgeführt wurden. Zum Werk Pinks siehe ferner B UKA 1 OVÁ / P REISS , De picturis (wie Anm. 8); M OJMÍR H ORY- NA / J AN R OYT , Die Marienkapelle in Mladotice bei Plasy. Zur Problematik der symbolischen Funktion, der Gestalt und der formbildenden Potenz der Bedeutung des Barocken Werks, in: Um 0 ní 44 (1996), 184-197; P AVEL P REISS , Der Maler Jakob Antonin Pink. Ein Waldviertler im Dienst der Zisterzienser in Böhmen, in: F RIEDRICH P OLLEROSS (Hrsg.), Reiselust & Kunstgenuss. Barockes Böhmen, Mähren und Österreich, Petersberg 2004, 119-124. Vgl. auch M ÁDL , Auto 3 i (wie Anm. 1), 58-61, wo die Überschrift zur jeweiligen Passage der Plasser Chronik angeführt ist. 10 Die Bilder, die in der Dauerausstellung des Klosters Plass zu sehen sind, zeigen Adam und Eva, den betrunkenen Noah, die Spendung des Himmelsbrotes, Jakob und Esau, Elias in der Wüste, Daniel in der Löwengrube, den unbekannten Propheten aus Judäa sowie Judith mit dem Haupt des Holofernes. Zu diesen Bildern vgl. B UKA 1 OVÁ / P REISS , De picturis (wie Anm. 8), 119-121; P REISS , Maler (wie Anm. 9), 122f. 11 B UKA 1 OVÁ / P REISS , Maler (wie Anm. 8), 121. 12 Der Eingang in die Kapelle ist mit folgender Inschrift versehen: BERNARDE BERNARDE / AD QUID VENISTI? Es handelt sich dabei um einen Ausspruch des hl. Bernhard, den er seinem Biographen Alain von Auxerre diktiert hat; vgl. V ÁCHA , Koncepce (wie Anm. 1), 52f. Št pán Vácha / Martin Mádl 188 gulum überreicht. Das Deckenfresko des Presbyteriums stellt Engel mit den arma Christi, den „Werkzeugen“ der Passion Christi dar. 13 Im zweiten Geschoss des südwestlichen Flügels wurde vor Kurzem an der Wand des Umgangs ein Gemälde von Pink mit dem Motiv der Kreuzigung entdeckt [Plan III/ 4]. In der Kapelle des Klosterkrankenhauses befindet sich ein weiteres Gemälde von ihm, das die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind und den Schutzpatronen der Kranken zeigt (1732) [Plan III/ 3]. Neben der Madonna sind hier mehrere Heilige zu sehen, die bei verschiedenen Krankheiten angerufen wurden: die hl. Barbara (Patronin für eine gute Todesstunde), die hl. Rosalia (Schutzpatronin gegen die Pest), die hl. Ottilia (Patronin gegen Augenleiden), die hl. Apollonia (Patronin gegen Zahnschmerzen), möglicherweise der hl. Maturinus (Schutzpatron gegen Epilepsie und Seelenerkrankungen), die hl. Kosmas und Damian (Patrone der Ärzte und Apotheker), der hl. Stapinus aus Carcassonne (Schutzpatron gegen Gicht und Rheumaerkrankungen), der hl. Blasius (Patron gegen Halsleiden), möglicherweise der hl. Nikolaus aus Myra (oder der hl. Liborius, Patron gegen Nierensteine), der hl. Bernhard von Clairvaux (Ordenspatron) sowie der hl. Rochus mit dem hl. Sebastian (Schutzpatrone gegen die Pest). Bald nach dem Ableben Tyttls verließ Pink Plass, um nach Prag zu gehen. Nach dem Amtsantritt des neuen Abtes Celestin Stoy (reg. 1738-1748) übernahm der königliche Hofmaler Franz Anton Müller aus Prag die Arbeiten. Er führte in den Jahren 1739-1740 weitere Fresken im Umgang und im neu ausgebauten Kapitelsaal durch. Dabei setzte er offensichtlich das ihm aus der Zeit Tyttls vorgegebene Konzept fort und passte sich seinem Vorgänger bis in die Details an - auch in der Komposition seiner Malereien. 14 Allerdings beendete auch er die malerische Ausstattung des Konvents nicht. Die Wandmalereien im Umgang vor dem Portal des Kapitelsaals sind mit 1783 datiert [Plan I/ 3]; ihr Autor ist Josef Kramolin, der bis zur Auflösung der Gesellschaft Jesu als jesuitischer Koadjutor wirkte. Aus der gleichen Zeit stammen offenbar auch die Gemälde in der Bibliothek des Klosters von Kramolin, die eine Kirchenfeier sowie Allegorien der vier Wissenschaftsbereiche zeigen (Plan III/ 13 und 14). Nicht lange nach der Vollendung der letzten Arbeiten, im Jahr 1785, wurde das Kloster aufgelöst. Von der komplett erhaltenen Freskenausstattung soll nun das außergewöhnliche ikonographische Programm der Gemälde im Umgang des ersten Geschosses und im Kapitelsaal analysiert werden. 13 Ebd., 53. 14 Diese Ähnlichkeit veranlasste einige Kunsthistoriker, alle Malereien im Umgang J. A. Pink zuzuschreiben. Legende und Geschichte im Bild 189 2.2. Rahmenbedingungen: Geschichte, Selbstverständnis und Historiographie Das 17. Jahrhundert und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts stellen für den Zisterzienserorden in Mitteleuropa ein Zeitalter des geistigen und materiellen Aufschwungs dar. Wichtige Voraussetzungen dafür waren die innere Wiedergeburt des Ordens, infolge der katholischen Reform nach dem Trienter Konzil, und die durch die katholischen Herrscher betriebene konfessionelle Politik, die den geistlichen Orden gewogen war. 15 Drüber hinaus waren zwei Punkte für die Ausbildung eines spezifisch zisterziensischen „Klimas“ entscheidend: Erstens, die besondere Bedeutung, die die Zisterzienser traditionellen geistigen Werten, insbesondere den mittelalterlichen Idealen des monastischen Lebens beimaßen. Und, zweitens, der im Zeitalter des Barock wachsende Bedarf an gesellschaftlicher Repräsentation des Ordens. All dies hatte unmittelbaren Einfluss auf Inhalt und Ausdruck der damals im Umfeld des Zisterzienserordens entstehenden Kunstwerke. Im 17. Jahrhundert erlebten die Zisterzienser, wie die Benediktinerkongregation des hl. Maurus, eine Ära intensiver Geschichtsschreibung. Das Ergebnis der umfangreichen, unmittelbar in den Klosterachiven durchgeführten Forschungen sind ausführliche Monographien über die Ordensgeschichte: die Notitia Abbatiarum Ordinis Cisterciensis (1640) von Gaspar Jongelin, das Kalendarium über Heilige und bedeutende Personen des Ordens Menologium cisterciense (1630) von Chrisostom Henriquez und vor allem die monumental konzipierten, vierbändigen Annales Cistercienses (1642-1659) von Angelo Manrique. Zu erwähnen ist schließlich auch noch das Cistercium bis-tertium (1700) des böhmischen Zisterziensers Augustin Sartorius aus Osek / Ossegg, das in Erinnerung an das 600-jährige Jubiläum des Ordens im Jahr 1700 erschien. 16 Aus heutiger Sicht treffen diese Arbeiten eine unkritische Auswahl an Quellen und sind nicht immer in allen Punkten stichhaltig. Man muss sich jedoch klar machen, dass die Autoren in erster Linie Konventualen waren, und diese hatten immer den übernatürlichen Charakter der Herkunft und Geschichte ihres Ordens im Auge. Das Einfügen von legendenhaften, oft schon in mittelalterlichen Chroniken erwähnten Erzählungen 17 in die „historisch-kritische“ Schilderung der Ordensgeschichte bildete damals eine durchaus legitime Vorgehensweise. Sie sollte ein möglichst vollständiges und in diesem Sinne auch „wahrheitsgetreues“ Bild der Ordensgeschichte schaffen, welches - basierend auf den historischen Fakten - gleichzeitig nichts 15 Vgl. L OUIS J. L EKAI , The Cistercians. Ideals and Reality, Kent State University 1977, 126-137. 16 Zur Historiographie des Zisterzienserordens im 17. Jahrhundert vgl. ebd., 243-247. 17 Weiterführend zu den mittelalterlichen Chroniken vgl. J ÖRG K ASTNER , Historiae fundationum monasteriorum. Frühformen monastischer Institutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter, München 1974. Št pán Vácha / Martin Mádl 190 Abb. 2: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Die Jungfrau Maria versüßt den Zisterziensern die Speise im Kloster Porta Coeli in Tennenbach, Jakob Anton Pink, 1732. von seinem geistigen Charakter verloren hatte. Diese Tradition, die auf der Verbindung des Historischen mit dem Legendenhaften fußt, bildet die Basis für das Programm jenes Freskenzklus’, der sich im Umgang im ersten Stockwerk des Plasser Konvents und im Kapitelsaal befindet. 2.3. Der Freskenzyklus im Umgang und im Kapitelsaal Das Leitmotiv des gesamten Zyklus ist die Jungfrau Maria, respektive Erscheinungen der Muttergottes (Plan I/ 1-5, bzw. Abb. 1-5), die verschiedenen Zisterzienserbrüdern im Mittelalter zuteil wurden. Die besondere Stellung, die der Zyklus Maria einräumt, lässt sich mit ihrer Bedeutung für den Zisterzienserorden und das Kloster Plass erklären: Maria ist die exklusive Schutzherrin des Ordens, Mittelpunkt seiner Spiritualität und Patronin der Klosterkirche von Plass. Ungewöhnlich ist allerdings die Auswahl der Szenen: Anstelle von konventionellen Episoden aus dem Leben der Mutter Gottes wurden Ereignisse aus der mittelalterlichen Geschichte der Zisterzienser gewählt - zweifellos mit dem Ziel, die geistige bzw. visionäre Kraft des Ordens hervorzuheben. Darüber hinaus sollte aber auch auf die besondere himmlische Gunst verwiesen werden, die dem Orden, nach eigener Auffassung, zuteil wurde. Als Kontrapunkt zu diesen legendenhaften Erscheinungen sind die vier Fresken in den Eckjochen des Umgangs zu verstehen (Plan II/ 1-4 bzw. Abb. 6-9), die bedeutende Ereignisse aus der Geschichte der Zisterzienser zeigen. Sie erinnern an die Bedeutung der Zisterzienser in der Kirchengeschichte. Die Wahl der Darstellungen zielt überdies darauf ab, die Bemühungen jener vier Päpste hervorzuheben, die aus dem Orden hervorgegangen sind. Legende und Geschichte im Bild 191 Abb. 3: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Die Jungfrau Maria übergibt das Zingulum dem hl. Stephan Harding und erfrischt die Mönche aus Cîteaux bei der Ernte, Franz Anton Müller, 1739. 2.3.1. Die legendenhafte Reihe: Marienszenen a) Die Jungfrau Maria versüßt den Zisterziensern die Speise im Kloster Porta Coeli in Tennenbach - südöstliches Gewölbejoch des Umgangs (Plan I/ 1 bzw. Abb. 2). - Die Darstellung, die sich vor dem Eingang zum Refektorium findet, zeigt eine Vision des seligen Hugo (gest. 1264), einem Ordensbruder aus dem Kloster Porta Coeli in Tennenbach bei Freiburg im Breisgau. Man erzählt, Hugo habe gesehen, wie die Jungfrau Maria im Refektorium während des Essens von einem Mönch zum nächsten ging und dabei die Speisen mit himmlischem Nektar versüßte. 18 Im mittleren Feld sehen wir die tafelnden Zisterziensermönche, denen die Jungfrau Maria ein Löffelchen süßen Nektars auf die Teller gibt. Die Darstellungen in den benachbarten Feldern entwickeln die zentrale Darstellung genrehaft weiter: Im linken Feld sind speisende Zisterzienser zu sehen; im rechten sitzen sie bei Tisch - ins Gespräch versunken oder in Kontemplation nach dem Essen. b) Die Jungfrau Maria übergibt das Zingulum dem hl. Stephan Harding und erfrischt die Mönche aus Cîteaux bei der Ernte - südwestliches Gewölbejoch des Umganges (Plan I/ 2 bzw. Abb. 3). - In der Mitte des südwestlichen Traktes schildern drei Gwölbefelder zwei legendenhafte Ereignisse aus der Ordensgeschichte. Das Mittelfeld zeigt eine gängige Darstellung: Die Schenkung des Zingulums an den dritten Abt von Cîteaux, den hl. Stephan Harding (gest. 1134). Dem Heiligen erschien eines Tages bei der Arbeit auf dem Feld die Jungfrau Maria, die ihn mit einem Gürtel beschenkte, damit er sich 18 A UGUSTINUS S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium seu historia elogialis, Prag 1700, 263. Št pán Vácha / Martin Mádl 192 mit diesem das wehende Gewand und das Skapulier festbinden konnte. 19 Die beiderseits angrenzenden Fresken stellen die Zisterzienser bei der Ernte dar. Im Vordergrund des linken Freskos sehen wir die Jungfrau Maria, wie sie einen Mönch umarmt; rechts wischt Maria einem Mönch Schweiß von der Stirn. Beide Darstellungen kann man mit der Vision des seligen Rainald - einem Zisterziensermönch aus Clairvaux - aus dem Jahre 1155 in Verbindung bringen: Während der Erntearbeiten, mitten an einem schwülen Tag, erblickte Rainald auf dem Feld die Jungfrau Maria, die den arbeitenden Mönchen den Schweiß von der Stirn wischte und jeden einzeln umarmte. 20 c) Verleihung der Gründungsurkunde an die Plasser Mönche durch den Fürsten Wladislaw II. - nordwestliches Gewölbejoch des Umganges (Plan I/ 3). - Die drei Gewölbefelder im Nordflügel des Umgangs, die vor dem Eingang in den Kapitelsaal liegen, sind erst 1783 entstanden und stehen in keinem Zusammenhang mit dem Zyklus. In Anbetracht der anderen im Umgang vorhandenen Fresken, ist anzunehmen, dass sich an dieser Stelle ursprünglich weitere Marienerscheinungen aus der Geschichte des Zisterzienserordens befanden. Die heute vorhandene zentrale Darstellung illustriert die Verleihung der Gründungsurkunde an die Plasser Mönche durch den Fürsten Wladislaw II. (1146). Links ist der Ordensgründer, der hl. Benedikt, bei der Verleihung der Ordensregel an die Zisterzienser und Zisterzienserinnen zu sehen, rechts der Eintritt eines adeligen Mannes in das Kloster. d) Die Jungfrau Maria verleiht dem hl. Alberich ein weißes Gewand und verwandelt die schwarze Kutte der Mönche von Cîteaux in eine weiße - nordöstliches Gewölbejoch des Umganges (Abb. 4 bzw. Plan I/ 4). - Nach der Überlieferung des Ordens erschien am Festtag Maria Schnee, also am 5. August 1101 (resp. 1103 21 ) die Jungfrau Maria während des Morgengesangs in der Klosterkirche Cîteaux und kleidete den Abt, den hl. Alberich, der ähnlich wie seine Mitbrüder bis dahin die schwarze Mönchskutte der Benediktiner trug, in weißes Gewand; die schwarzen Kutten der anwesenden Mönche wurden ebenfalls weiß. 22 Der zentrale Teil des Gewölbes ist der Descensio beatissimae Mariae vorbehalten: Die Mutter Gottes steigt vom Himmel herab und übergibt dem hl. Alberich eine weiße Kutte. In den Seitenfeldern 19 A NGELO M ANRIQUE , Cisterciensium seu varius Ecclesasticorum Annalium, Teil I, Lugduni 1642, 270; ebenso S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 18. 20 S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 259; vgl. auch A NGELO M ANRIQUE , Cisterciensium seu varius Ecclesiasticorum Annalium, Teil II, Lugduni 1642, 270f. 21 M ANRIQUE , Cisterciensium I (wie Anm. 19), 33-38. 22 C HRYSOSTOMUS H ENRIQUEZ , Menologium cisterciense notationibus illustratum, Antwerpen 1630, 253; vgl. S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 11. Von diesem legendenhaften Ereignis leiten die Zisterzienser die Herkunft der weißen Kutten ab, durch die sie sich von den Benediktinern unterscheiden. Legende und Geschichte im Bild 193 Abb. 4: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Die Jungfrau Maria verleiht dem hl. Alberich ein weißes Gewand und verwandelt die schwarze Kutte der Mönche von C î teaux in eine weiße, Franz Anton Müller, 1740. sind singende Mönche im Chorgestühl abgebildet, bei denen sich der Reihe nach das schwarze Gewand in weißes verwandelt. e) Die Jungfrau Maria übergibt dem Abt Heinrich von Heisterbach einen Stab; die Jungfrau Maria sitzt dem Konventkapitel in Clairvaux vor - Kuppel im Kapitelsaal (Plan I/ 5 und Abb. 5 und 6). - Die Freskenausstattung des Kapitelsaals ist zweifelsohne die aus künstlerischer Sicht effektvollste des gesamten Zyklus. Die beiden Szenen verweisen auf die Funktion des Kapitelsaals. 23 Die Darstellung an der Westseite (Abb. 5) zeigt die „Investitur“ des Abtes Heinrich aus Heisterbach durch die Jungfrau Maria, so wie sie der dortige Ordensbruder Sifried in seiner prophetischen Vision, kurz vor der Abtwahl Heinrichs im Jahr 1209, geschaut hatte. 24 Unter dem grünen Vorhang, der von Engeln gehalten wird, nimmt der kniende Abt aus den Händen der Jungfrau Maria den Abtsstab entgegen; vor ihr kniet ein Engel, der das Tablett mit der Mitra hält. Rechts hinter dem Abt Heinrich stehen Ordensbrüder mit anderen Insignien wie Schlüssel, Ring und Ordensregel. Von links beobachten weitere Zisterzienseräbte die Zeremonie. Auf der gegenüber liegenden Seite wird an ein anderes Wunder aus der Ordensgeschichte erinnert (Abb. 6): Im Jahre 1169 erblickte in Clairvaux ein älterer Mönch während einer Kapitelsitzung die göttliche Mutter mit dem Jesuskind auf dem 23 Im Kapitelsaal fanden die gemeinsamen Treffen (Kapiteln) und auch die Wahl des Abtes statt. 24 A NGELO M ANRIQUE , Cisterciensium seu varius Ecclesiasticorum Annalium, Teil III., Lugduni 1649, 511f.; H ENRIQUEZ , Menologium (wie Anm. 22), 378; S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 257. Št pán Vácha / Martin Mádl 194 Abb. 5: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Die Jungfrau Maria übergibt dem Abt Heinrich von Heisterbach einen Stab, Franz Anton Müller, 1740. Abb. 6: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Die Jungfrau Maria sitzt dem Konventkapitel in Clairvaux vor, Franz Anton Müller, 1740. Legende und Geschichte im Bild 195 Schoß. Dementsprechend zeigt das Fresko Maria, die - anstelle des Abtes - dem Konventkapitel mitten unter den Mönchen vorsitzt. 25 2.3.2. Die historische Reihe: Papstszenen Die folgenden vier Darstellungen wurden als Schenkungsszenen konzipiert. Eine Seite ist jeweils dem thronenden Papst vorbehalten, der als Schenker der Bulle auftritt, und die gegenüberliegende Seite zeigt die Zisterziensermönche, die Empfänger des jeweiligen Dokuments. a) Der heilige Bernhard von Clairvaux übergibt Papst Eugen III. seine Schrift „De consideratione“ - südliches Gewölbejoch des Umganges (Plan II/ 1 bzw. Abb. 7). - Im Unterschied zu den anderen drei Darstellungen vergibt der Papst hier kein Dokument, sondern empfängt ein Buch von dem vor ihm knienden hl. Bernhard. Erinnert wird somit an ein Ereignis, das am Ende des Generalkapitels 1148 in Cîteaux stattfand: Damals schenkte der hl. Bernhard dem anwesenden Papst Eugen III. (reg. 1145-1153), der einst Mönch in Clairvaux und sein Schüler war, die fünfbändige Schrift De consideratione. 26 b) Papst Alexander III. spricht Bernhard von Clairvaux heilig - westliches Gewölbejoch des Umganges (Plan II/ 2 bzw. Abb. 8). - 1174 sprach Papst Alexander III. (reg. 1159-1181) Bernhard von Clairvaux in Anagni heilig. Wie der Ordenshistoriker Angelo Manrique betont, geschah dies auf die wiederholte Bitte des Abtes Gerhard von Clairvaux. 27 Seine Initiative für die Heiligsprechung Bernhards ist gut erkennbar: Der Abt an der Spitze der versammelten Mönche von Clairvaux nimmt im Knien aus den Händen des Papstes die Kanonisationsbulle entgegen. 28 Einer der Mönche hält ein Banner mit dem Bild Bernhards empor; der Putto zu seinen Füßen präsentiert das Wappen der Abtei Clairvaux. Rechts sehen wir den zu Ehren des neuen Heiligen errichteten Altar. c) Papst Benedikt XII. übergibt den Zisterziensern die Bulle „Fulgens sicut stella“ - nördliches Gewölbejoch des Umgangs (Plan II/ 3 bzw. Abb. 9). - Papst Benedikt XII. (reg. 1334-1342), ursprünglich selbst Zisterzienser, gab für den Orden 1335 eine Bulle mit novellierten Regeln heraus, die mit ei- 25 M ANRIQUE , Cisterciensium II (wie Anm. 20), 480; S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 596f. 26 M ANRIQUE , Cisterciensium II (wie Anm. 20), 108f. 27 M ANRIQUE , Cisterciensium III (wie Anm. 24), 1-3. 28 Auf der Bulle ist die Inschrift: ALEXANDER SERVUS / SERVORUM DIE […] / CONTIGIT OLIM DUM / ESSEMUS PARISIIS CON-/ STITUTI UT DE CANO- / NISANDO S. RECORD. / BER- NARDO CLAREV. ABB. / FACERENT MENTIONEM / QUIVBUS PENSATIS […] / EUM CATA- LOGO SANCTO / ADSCRIBI MANDAVIMUS / DAT, ANAGN 15 FEB / 1164. Št pán Vácha / Martin Mádl 196 Abb. 7: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Der hl. Bernhard von Clairvaux übergibt Papst Eugen III. seine Schrift De consideratione, Jakob Anton Pink, 1737. Abb. 8: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Papst Alexander III. spricht Bernhard von Clairvaux heilig, Franz Anton Müller, 1739. Legende und Geschichte im Bild 197 nem Zitat aus dem Buch Jesus Sirach (50,6) eingeleitet wird. 29 Auf dem Fresko überreicht der thronende Papst mit einem Segensgestus den Zisterziensern das Dokument; die Putti zu Füßen der Mönche halten Zeichen der fünf Protoabteien - Cîteaux, La Ferté, Pontigny, Morimond und Clairvaux. Auf dem Dokument selbst ist ein Auszug aus der Bulle zu lesen. 30 d) Papst Urban IV. billigt auf Anregung der seligen Eva von Lüttich in der Bulle „Transiturus“ das Fronleichnamsfest - östliches Gewölbejoch des Umgangs (Plan II/ 4 bzw. Abb. 10). - Im letzten Jahr seines kurzen Pontifikats führte Papst Urban IV. (reg. 1261-1264), ebenfalls Zisterzienser, mit der Bulle Transiturus das Fronleichnamsfest ein. Zur Herausgabe dieses Dokuments kam es unter anderem auf Drängen der Zisterzienserordensschwester und Reklusin Eva von Lüttich (gest. 1265). 31 Das Fresko zeigt das Innere einer Kirche mit Blick auf den Altar mit dem aufgestellten Ostensorium. Vorne sehen wir Papst Urban IV. bei der Segnung von fünf Zisterzienserjungfrauen, von denen die ersten drei, durch ihre ausdrucksstarke Gestik hervorgehoben, wohl jene Ordensschwestern darstellen, die sich für die Einführung der Frömmigkeit einsetzten: die selige Eva von Lüttich, die selige Juliane von Lüttich (gest. 1258) und die selige Elisabeth von Schöngau (gest. 1275). 32 Ein Geistlicher rechts hält das aufgerollte Dokument mit dem genauen Wortlaut der Bulle über die Balustrade. 33 3. Zusammenfassung Der umfangreiche Freskenzyklus im Plasser Konvent ist aufgrund seines wohl durchdachten Konzepts ein beachtenswertes Werk. Der Inventor des Programms war Abt Tyttl, von dem wir wissen, dass er auch auf die Architektur des Klosters unmittelbar Einfluss genommen hat. Zweifelsohne war 29 Zum Inhalt der Bulle vgl. K ATE 4 INA C HARVATOVÁ , D 0 jiny cisterckého 3 ádu v 1 echách (1142- 1420), Sv. 1: Fundace 12. století, Prag 1998, 47. 30 BENEDICTVS XII, / SERVUS SERVORVM DEI / FULGENS SICVT STELLA / MATVTINA IN MEDIO NEBVLAE / SACER ORDO CISTERCIENSIS / IN ECCLESIA MILITANTE etc. Hujus / ORDINIS AB ADOLESCENTIA NOS- / TRA PERSEVERANTER JVGVM / SVSTVLIMVS ET IN EO ALV- / MNI EFFECTI CREVIMVS etc. / AD 1335. 31 S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium (wie Anm. 18), 708-711; H ENRIQUEZ , Menologium (wie Anm. 22), 207; vgl. Bibliotheca Sanctorum, Bd. 5, Rom 4 1999, 353-356. 32 Vgl. A UGUSTIN S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium bis-tertium, oder Cistercienser Ordens- Historie, Prag 1708, 229. 33 URBANUS SERVUS / SERVORUM DEI [...] / TRANSITURUS DE HOC / MUNDO AD PATREM / DOMINUS JESUS CHRI- / STUS INSTITUT MAGNI- / FICUM SUI CORPORIS ET / SAN- GUINIS SACRAMEN- / TUM [...] INTELLEXIMUS / AUTEM QUOD FUERAT / QVIBUSDAM DIVINITUS / REVELATUM, FESTUM / HUJUSMODI IN ECCLESIA / CELEBRANDUM [...] NOS / ITAQVE DUXIMUS STATU- / ENDUM UT DE TANTO SA- / CRAMENTO SOLEMNIOR / ANNUATIM MEMORIA CE- / LEBRETUR VIDELICET: / FERIA V. POST OCTAVAM / PEN- TECOSTES [...] / AD 1262. Št pán Vácha / Martin Mádl 198 Abb. 9: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Papst Benedikt XII. übergibt den Zisterziensern die Bulle „Fulgens sicut stella“, Franz Anton Müller, 1739. Abb. 10: Ehem. Zisterzienserkloster Plass, Fresko, Papst Urban IV. billigt auf Anregung der seligen Eva von Lüttich in der Bulle Transiturus das Fronleichnamsfest, Jakob Anton Pink, 1735. Legende und Geschichte im Bild 199 Tyttl darum bemüht, die anspruchsvolle Architektur Santinis mit einer ebenso qualitativ hochwertigen malerischen Ausstattung zu versehen. Die Kombination von legendenhaften und historischen Szenen aus der Ordensgeschichte der Zisterzienser, wie sie in Plass anzutreffen ist, findet sich auch in anderen Klöstern. So etwa im Freskenzyklus (1742-1745) des Kreuzgangs der Wahlfahrtsstätte in Mariánská Týnice / Maria Teinitz (unweit von Plass), wo die Muttergottes heiligen Zisterziensern erscheint und diese Darstellungen mit Szenen aus dem Leben Marias kombiniert weren. 34 Ähnliche Programme findet man in den Klosterkirchen von Waldsassen (Deutschland), Schlierbach (Österreich), Baumgartenberg (Österreich) und auch in Fürstenfeld (Deutschland). 35 Allerdings erreicht keiner dieser Zyklen die künstlerische und inhaltliche Qualität des Zyklus’ in Plass. Anhang: Verzeichnis der Fresken im Konventgebäude von Plass Jakob Anton Pink: Fresken der Jahre 1720-1737. Franz Anton Müller: Fresken Jahren 1739-1740. Joseph Kramolin: Fresken des Jahres 1783. I/ 1: Jakob Anton Pink, Die Jungfrau Maria versüßt den Zisterziensern die Speise im Kloster Porta Coeli in Tennenbach, 1732. I/ 2: Frantz Anton Müller, Die Jungfrau Maria übergibt das Zingulum dem hl. Stephan Harding und erfrischt die Mönche aus Cîteaux bei der Ernte, 1739. I/ 3: Joseph Kramolin, Drei Darstellungen aus der Ordens- und Klostergeschichte, 1783: Der hl. Benedikt verleiht die Ordensregel an die Zisterzienser und Zisterzienserinnen; der böhmische Fürst Wladislaw II. beschenkt die Plasser Zisterzienser mit der Gründungsurkunde; Eintritt eines jungen Adeligen in den Zisterzienserorden. I/ 4: Frantz Anton Müller, Die Jungfrau Maria verleiht dem hl. Alberich ein weißes Gewand und verwandelt die schwarze Kutte der Mönche von Cîteaux in eine weiße, 1740. I/ 5: Frantz Anton Müller, Die Jungfrau Maria übergibt Abt Heinrich von Heisterbach einen Stab; die Jungfrau Maria sitzt dem Konventkapitel in Clairvaux vor, 1740. 34 P AVEL P REISS , František Julius Lux. Západo 2 eský rokokový malí 3 , Praha 2000, 57-65 und 161-163. 35 Vgl. D AVID K LEMM , Ausstattungsprogramme in Zisterzienserkirchen Süddeutschlands und Österreichs von 1620 bis 1720, Frankfurt a.M. 1997, passim; B IRGITTA K LEMENZ , Klosterkirche Fürstenfeld. Zwischen Zeit und Ewigkeit, Regensburg 2004, 25. Št pán Vácha / Martin Mádl 200 II/ 1: Jakob Anton Pink, Der hl. Bernhard von Clairvaux übergibt Papst Eugen III. seine Schrift De consideratione, 1737. II/ 2: Frantz Anton Müller, Papst Alexander III. spricht Bernhard von Clairvaux heilig, 1739. II/ 3: Frantz Anton Müller, Papst Benedikt XII. übergibt den Zisterziensern die Bulle Fulgens sicut stella, 1739. II/ 4: Jakob Anton Pink, Papst Urban IV. billigt auf Anregung der seligen Eva von Lüttich in der Bulle Transiturus das Fronleichnamsfest, 1735. III/ 1: Jakob Anton Pink, Apotheose der hl. Scholastica (Gewölbe in der Noviziatkapelle), 20er und 30er Jahre des 18. Jhs. III/ 2: Jakob Anton Pink, Der hl. Bernhard von Clairvaux meditiert im Wald; Engel mit den arma Christi; der hl. Alberich und der hl. Stephan Harding mit der Jungfrau Maria; die Apostel bitten Jesus um das Gebet Vaterunser (Wände und Gewölbe in der Meditationskapelle), 1728. III/ 3: Jakob Anton Pink, Die Jungfrau Maria mit Jesuskind und den Gesundheitspatronen (Spitalkapelle), 1732. III/ 4: Jakob Anton Pink, Kalvarienberg (Gang im zweiten Stock des Konventgebäudes), 1730. III/ 5: Jakob Anton Pink, Der Engelsturz (Gewölbe der Wendeltreppe), 1724. III/ 6: Jakob Anton Pink, Die Speisung der Fünftausend (Gewölbe des Refektoriums; zerstört), 1720. III/ 7: Jakob Anton Pink, Thema unbekannt (Gewölbe des südöstlichen Treppenhauses; zerstört), 1727. III/ 8: Jakob Anton Pink, Thema unbekannt (Gewölbe des ehemaligen Lesesaals im östlichen Eckrisalit; zerstört). III/ 9: Jakob Anton Pink, Die gemalte Marianische Säule (an der südwestlichen Fassade des Spitalflügels; zerstört), 1736. III/ 13: Joseph Kramolin, Speisung der Fünftausend; Engel sammeln Bücher auf (Gewölbe des kleineren Bibliotheksaals), um 1783. III/ 14: Joseph Kramolin, Die Apotheose der Kirche und Allegorien der vier Wissenschaftsbereiche (Gewölbe des Bibliotheksaals), um 1783. Geschichte & Identität Vergessene Texte - vergessene Bilder Schriftstellerlexikon und Porträtgalerie des Pollinger Propstes Franz Töpsl Wolfgang Jahn Das Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bewahrt einen einzigartigen, doch in Vergessenheit geratenen Porträtzyklus. 1 Es handelt sich um über 90 Gemälde aus dem Augustiner-Chorherrenstift Polling (Bayern), wenige davon in modernen Rahmen, die meisten ohne Rahmen. Die Dargestellten sind durch ihr Ordenskleid als Augustiner-Chorherren zu identifizieren (Abb. 2, 4, 6 und 7). Eine dreizeilige Bildunterschrift bringt Einzelheiten zur Biographie und zu literarischen sowie wissenschaftlichen Leistungen. Details der Bildunterschriften zeigen, dass die meisten der Dargestellten aus Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland stammen. Da sich die Namen der Porträtierten auf den fehlenden Rahmen befanden, waren die Abgebildeten zunächst nicht zu identifizieren. In der Bayerischen Staatsbibliothek München befinden sich 28 Faszikel 2 mit den handschriftlichen Artikeln eines Lexikons der Schriftsteller des Augustiner-Chorherrenordens. In unterschiedlich langen Texten, die teilweise druckfertig, teilweise aber auch nur in Konzeptform vorliegen, sind die Biographien und wissenschaftlichen Leistungen von fast 2 700 Mitgliedern des Chorherrenordens zusammengestellt. Hinter beiden Serien, den Gemälden und den Lexikonartikeln, steht Franz Töpsl, der Propst des Chorherrenstiftes Polling. Er war der Auftraggeber der Gemälde und Verfasser der Lexikonartikel (Abb. 1). Franz Töpsl (1711-1796) trat 1728 in das Augustiner-Chorherrenstift Polling ein. Nach seiner Wahl zum Propst im Jahr 1744 setzte er unverwechselbare Akzente für das wissenschaftliche Arbeiten in seinem Stift. Dazu zählten der Ausbau der Bibliothek auf etwa 80 000 Bände zu einer der größten in Bayern, die Einrichtung verschiedener naturwissenschaftlicher Kabi- 1 Zum Zusammenhang zwischen Gemälden und Lexikon vgl. W OLFGANG J AHN , Nicht zur Erbauung, sondern zum Ansporn. Die Chorherrenporträts und das Schriftstellerlexikon des Pollinger Propstes Franz Töpsl, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg N.F. 20 (2008), 7-82, mit weiteren 28 Abbildungen aus der Chorherrengalerie. Abkürzungen: ABF = Archives biographiques françaises, München 2001ff.; ABI = Archivio biografico italiano, München 1990ff.; BAA = Biographisches Archiv der Antike, München 1996ff.; DBA = Deutsches Biographisches Archiv, München 1982ff.; diese Mikrofiche- Editionen sind online zugänglich unter „World Biographical Information System“ (WBIS Online): http: / / emedia1.bsb-muenchen.de/ Nationallizenzen/ wbis.htm. 2 München, Bayerische Staatsbibliothek (BSB), Clm 26400 bis 26428. Die Bände Clm 26409, 26419, 26420, 26424 sind digitalisiert zu benutzen unter http: / / www.bsb-muenchen.de/ Digitale-Sammlungen. 72.0.html. Wolfgang Jahn 204 Abb. 1: Erste Seite des von Propst Franz Töpsl verfassten Lexikonartikels über den Chorherren Desiderius Leonicenus (gest. 1484); München, BSB, Clm 26409, fol. 138r-142v. Vergessene Texte - vergessene Bilder 205 nette und die Errichtung einer Sternwarte. Das Chorherrenlexikon und die Chorherrengalerie sind nur in diesem Zusammenhang zu verstehen. Zu beiden Bereichen fehlen bis heute Einzeluntersuchungen, von einer Edition des umfangreichen Lexikonbestands ganz zu schweigen. Dabei ist der Quellenwert unbestritten. Die schiere Masse des Materials und die unzureichende Erschließung haben wohl hauptsächlich von einer näheren Betrachtung des geplanten Lexikons abgehalten. 3 Eine kurze Zusammenstellung der Genese des Lexikons ist bei Richard van Dülmen zu finden, 4 dem Ludwig Hammermayer folgt. 5 Horst Fuhrmann hat sich in einem Festschriftbeitrag am Beispiel der Töpslschen Biographie von Paul von Bernried auch mit dem Quellenwert der Lexikonartikel befasst. 6 Gültig bleibt das Urteil van Dülmens über das Schriftstellerlexikon als „eine Hauptquelle zur Erforschung der einst so bedeutsamen Chorherren“ 7 . Über die Pollinger Chorherrenporträts gibt es bislang keine detaillierten Arbeiten. Kurze Hinweise finden sich bei Hermann Goldbrunner in dessen Edition des Schriftwechsels von Töpsl mit dem Chorherren Giovanni Luigi Mingarelli (1722-1793). 8 Dieser Briefwechsel vermittelt gute Einblicke in die „Beschaffungspolitik“ Töpsls. Auch in der grundlegenden Arbeit Richard van Dülmens 9 über Töpsl werden den Bildern nur wenige Sätze gewidmet. Beide geben aber übereinstimmend an, dass sich diese Bilder im Archiv der 3 Zur Geschichtsschreibung bei den Augustiner-Chorherren vgl. zuletzt S TEFAN B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien, Bd. 473), Husum 2003, 574-577. 4 R ICHARD VAN D ÜLMEN , Propst Franziskus Töpsl (1711-1796) und das Augustiner-Chorherrenstift Polling. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Aufklärung in Bayern, Kallmünz 1967, hier 178- 184. 5 L UDWIG H AMMERMAYER , Das Augustiner-Chorherrenstift Polling und sein Anteil an Entstehung und Entfaltung von Aufklärung und Akademie- und Sozietätsbewegung im süddeutsch-katholischen Raum (ca. 1717-1787) (Schriftenreihe der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim, Bd. 2), Paring 1997, 30 und Anm. 55 6 H ORST F UHRMANN , Franziskus Töpsl über Paul von Bernried, in: A NDREAS K RAUS (Hrsg.), Land und Reich. Stamm und Nation. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag, Bd. 2, München 1984, 339-354. Das Lexikon ist auch erwähnt bei W ERNER C HROBAK , Die wissenschaftlichen Leistungen der Augustinerchorherren im Zeitalter der Aufklärung. Das Beispiel Polling, in: P AUL M AI (Hrsg.), Die Augustinerchorherren in Bayern. Zum 25-jährigen Wiedererstehen des Ordens (Kataloge und Schriften des Bischöflichen Zentralarchives und der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg, Bd. 16), Regensburg 1999, 67-75, hier 72. 7 R ICHARD VAN D ÜLMEN , Die Prälaten Franz Töpsl aus Polling und Johann Ignaz Felbiger aus Sagan. Zwei Repräsentanten der katholischen Aufklärung, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 30 (1967), 731-823, hier 757; so auch U LRICH F AUST , Augustinerchorherren, in: W ALTER B RAND- MÜLLER (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 2, St. Ottilien 1993, 676-688, hier 682. 8 H ERMANN G OLDBRUNNER , Franz Töpsl und Giovanni Luigi Mingarelli. Zu den literarischen Beziehungen Deutschlands und Italiens in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 44 (1964), 366-463. - Mingarelli Giovanni Luigi (1722-1793), griechischer und orientalistischer Philologie, Propst der reg. Chorherren und Universitätsprofessor, Bologna, Belletristische Klasse, auswärtiges Mitglied seit 1784. 9 V AN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 4), 179f. Wolfgang Jahn 206 Ludwig-Maximilians-Universität München befinden sollen. Als erste in Augenschein genommen und ausführlicher untersucht wurden die Gemälde von Adelheid Simon-Schlagberger in ihrer 1972 erschienen Arbeit über den Maler Johann Baptist Baader. 10 Sie befasste sich ausführlicher mit der Entstehungsgeschichte und konnte eine Reihe von Gemälden Baader zuordnen. 1. Vergleichbare Forschungsunternehmen Ordensweit angelegte wissenschaftliche Forschungsunternehmen waren zurzeit von Franz Töpsl keine Besonderheit mehr. Auf benediktinischer Seite war das Projekt des Melker Konventualen Bernhard Pez 11 von 1709/ 10 sehr ähnlich. Pez versandte an wichtige Persönlichkeiten und Einrichtungen des Bendiktinerordens Litterae encyclicae, in denen er seine Intentionen wie folgt beschrieb: Er habe bereits sämtliche Schriftsteller des Ordens von der Gründung bis zur Gegenwart zu erfassen gesucht. Id opus, cum non levibus nec paucis difficultatibus correre tum in principio, tum in processu scriptionis meae animadvertissem, dedi frequentissimas ad varia Europae regna literas, rogavique impense s. ordinis nostri monasteria, ut quorum singola religiosorum professorum, qui aliqua unquam scribendi laude claruerunt, nomina, elogia etc. ad me transmitterent. 12 Trotz einer über mehrere Jahrzehnte währenden gelehrten Korrespondenz konnte Pez sein Vorhaben, eine Bibliotheca Benedictina, also ein bio-bibliographisches Lexikon aber nicht verwirklichen. Eine andere Zielsetzung, aber ebenso mit einer europäischen Ausrichtung, verfolgte Franz Petrus (1639-1716) 13 im Augustiner-Chorherrenkloster Wettenhausen mit seiner Germania Canonico-Augustiniana. Petrus stellte von mehreren hundert Augustiner-Chorherrenstiften Material zur Geschichte, teilweise verbunden mit Pröpstelisten und der Nennung von schriftstellerisch Tätigen des jeweiligen Stiftes, zusammen. Über etwa 40 Jahre hinweg hatte er das gedruckte Material gesammelt, die Informationen seiner Korrespondenzpartner in die Lexikonartikel eingearbeitet, ohne dass es bis zu seinem Tod im Jahr 1716 zu einer Drucklegung gekommen wäre. Die Hinterlassenschaft sammelte der Wettenhausener Hieronymus 10 A DELHEID S IMON -S CHLAGBERGER , Johann Baptist Baader (1717-1780). Ein schwäbisch-bayerischer Maler zwischen Barock und Klassizismus, Weißenhorn 1972. 11 Dazu T HOMAS W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungswesen von Bernhard Pez OSB vor 1709 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 48), Wien / München 2007, 9f. 12 Das lateinische Zitat nach ebd., 10, Anm. 4. 13 Biographische Hinweise stellte Töpsl in seinem Lexikonartikel über Petrus zusammen: BSB, Clm 26412, fol. 148r-149v. Vergessene Texte - vergessene Bilder 207 Botzenhardt, 14 der aber bereits 1721 starb. Schließlich setzte der Wettenhausener Bibliothekar Bernhard Streler 15 (1697-1775) das Werk fort und versuchte vor allem, die Pröpstelisten aktuell zu halten. Aber ohne Michael Kuen, den Dekan und späteren Propst des Ulmer Wengenklosters (reg. 1709-1765), wäre dieses Werk höchstwahrscheinlich nie publiziert worden. Kuen nahm das Manuskript von Petrus in seine 1755 begonnene Collectio Scriptorum rerum historico-monastico-ecclesiasticarum variorum religiosorum ordinum auf und veröffentlichte 1756 im dritten Band, 1757 im vierten Band und 1765 im fünften Band das umfangreiche Manuskript. 16 Vor allem in den letzten beiden Bänden ist sehr viel Arbeitsleistung von Kuen zu finden. Er bemühte sich, die Pröpstelisten so aktuell wie möglich zu halten. Der Pollinger war nicht der einzige, der sich systematisch mit den berühmtesten Mitgliedern seines Ordens beschäftigte. Der Garser Dekan und Stiftsarchivar Johann Chrysostomus Hager (1631-1706) 17 legte ein umfangreiches Werk zu einzelnen Mitgliedern des Chorherrenordens an. Unter den von Töpsl benutzten Materialien aus dem Bestand der Pollinger Bibliothek findet sich nämlich ein Manuskript mit dem Titel Liber undecimus de scriptoribus ordinis canonico-apostolici ex diversis auctoribus collectus ab […] Joanne Chrysostomo Hager Can. Reg nec non decano in Gars. 18 Der Band umfasst über 500 Kurzbiographien von Chorherren aus allen Wissenschaftsgebieten, die Zahl ist im alphabetischen Index durch das Einfügen von Namen mit Quellenangaben weiter beträchtlich vermehrt worden. 19 Das Material Hagers dürfte Töpsl spätestens 1757 zur Verfügung gestanden haben. 20 14 Hieronymus Bozenhart wurde 1682 in Elchingen geboren. Nach Profess in Wettenhausen und der Promotion in Theologie an der Universität Dillingen war er Novizenmeister und Dekan. Er lehrte im Wengenkloster in Ulm Theologie und starb am 13.4.1721. Von ihm ist in der pinacoteca Töpsls auch ein Gemälde erhalten. Eine biographische Skizze gibt Töpsl in seinem Schriftstellerlexikon, BSB, Clm 26401, fol. 425r-426v und Clm 26418b, fol. 292r-294v. 15 Eine von Töpsl zusammengestellte Biographie im Schriftstellerlexikon, BSB, Clm 26414, fol. 401r- 402r. 16 M ICHAEL K UEN , Collectio Scriptorum Rerum Historico-Monastico-Ecclesiasticarum Variorum Religiosorum Ordinum, 6 Bde., Ulm 1755-1768. 17 Töpsls Biographie von Hager findet sich in BSB, Clm 26407, fol. 5r-6v; zu Hager vgl. auch DBA I, 459, 118-119, 459, 121-122 sowie II, 511, 176. 18 BSB, Clm 26431. Das Werk ist im biographischen Teil nach den Vornamen der einzelnen Personen geordnet, das Register nach den Familiennamen. Zur Einordnung Hagers in die Geschichtsschreibung der Augustiner-Chorherren siehe auch B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 3), 575. 19 BSB, Clm 26406, fol. 319r-319v. Im Lexikonartikel über den Garser Konventualen Arsenius Glöggl (gest. am 15.11.1674 im 63. Lebensjahr) beruhen die Angaben teilweise teste Joanne Chrysostomo Hagero mit der Anmerkung: In Scriptoribus Ordinis canonici MS. Auch die Literaturangaben sind teste Hagero. 20 BSB, Clm 26447, fol. 79r-79v, Kuen an Töpsl, 29.10.1757. Wolfgang Jahn 208 2. Am Anfang stand das Schriftstellerlexikon Die Spuren aus der Anfangszeit des Unternehmens von Töpsl sind sehr spärlich. 21 Das Projekt eines Syllabus Scriptorum canonici nostri ordinis wird im Verlauf des Jahres 1755 in der Korrespondenz Töpsls mit dem Wengener Prälaten Michael Kuen zum ersten Mal fassbarer. Im November 1755 22 erinnerte Kuen Töpls an die Übersendung der versprochenen Aufstellung der Schriftsteller des Ordens. Im selben Monat wiederholte Kuen seine Mahnung und fügte an, dass er den Entschluss Töpsls für klug halte, für den italienischen Zweig des Ordens Trombelli und für den französischen Zweig Gillet einzubeziehen, um die Anzahl der Schriftsteller zu vermehren. 23 Giovanni Crysostomo Trombelli (1697-1784) 24 war seit 1738 Abt von S. Salvatore in Bologna. 1756 wurde er zum Generalprokurator gewählt, 1760 zum Generalabt. Der Bibliothekar, Humanist und Hagiograph zählte zu den hochrangigsten Korrespondenzpartnern des Pollinger Propstes. Louis- Joachim Gillet, der Bibliothekar des Pariser Klosters Sainte-Geneviève war hingegen schon am 23. August 1753 verstorben. 25 Die Nachricht von seinem Tod war noch nicht bis nach Polling gelangt. Zum Jahresende 1755 konnte Töpsl zumindest mitteilen, Syllabum […] scriptorum ordinis nostri, hisce diebus ex privatis schedis meis collegi et vix non confeci […] submittendum tibi tuosque ut confido supplendum corrigendumque munere. 26 Im Januar 1756 hatte Töpsl eine erste Aufstellung abgeschlossen und an Kuen übersandt. 27 Kuen antwortete ihm, dass er bereits in der ersten Nacht nach dem Eintreffen des Syllabus diesen um dreißig Namen ergänzt habe. 28 Im Mai hatte der Wengener Propst bereits 200 weitere Namen. 29 Der zeitliche Zusammenhang zur Verlegertätigkeit des Wengener Propst ist auf- 21 So berichtete Töpsl im Lexikonartikel zu Philippus Picinellus (1604-1681) - BSB, Clm 26412, fol. 189r -, dass ihm 1752 Abt Antonio Suardi eine Nachzeichnung der in der Bibliothek von S. Maria Passionis in Mailand liegenden Vorlage übermittelt habe. Bei der Jahresangabe handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler von Töpsl, da die Korrespondenz mit Suardi erst aus den Jahren 1761 und 1762 datiert. 22 BSB, Clm 26447, fol. 10r-11v, Kuen an Töpsl, 4.11.1755. 23 BSB, Clm 26557, fol. 12r-13r, Kuen an Töpsl, 18.11.1755. 24 V AN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 4), 117; G OLDBRUNNER , Töpsl (Anm. 8), 367 Anm. 2; ebd., Brief Nr. 4 (1763); M ARIA G IOA T AVIONI , Trombelli, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, Freiburg i.Br. 3 2001, 268 (5.3.1697-8.1.1784); M ARIA G IOIA T AVONI / G ABRIELLA Z ARRI (Hrsg.), Giovanni Crisostomo Trombelli e i canonici regolari del SS. Salvatore, Modena 1991; ABI I, 964, 347- 359 sowie II, 635, 347-350. 25 Ein Lexikonartikel zu Gillet von Töpsl in BSB, Clm 26406, fol. 299r-306r; weitere biographische Einzelheiten bei ABF I, 454, 313-321. 26 BSB, Clm 26447, fol. 16r-17v, Töpsl an Kuen, 30.12.1755. 27 BSB, Clm 26447, fol. 18v-19r, Töpsl an Kuen, 12.1.1756, Töpsl schickt ihm jetzt den angekündigten Syllabus scriptorum ordinis nostri. 28 BSB, Clm 26447, fol. 20r-20v, Kuen an Töpsl, 27.1.1756 29 BSB, Clm 26447, fol. 27r-28v, Kuen an Töpsl, 5.5.1756. Vergessene Texte - vergessene Bilder 209 fallend. Dieser hatte 1755 den ersten Band seiner Collectio Scriptorum 30 veröffentlicht, ein Werk, dessen weitere Bände Töpsl in der Folgezeit ausgiebig für seine eigenen Lexikonartikel verwenden sollte. Töpsl musste in seinen Planungen zu diesem Zeitpunkt weit über Deutschland hinaus gedacht haben. Kuen schlug ihm nämlich vor, durch Vermittlung der Bischöfe Frankreichs, Italiens, Spaniens und Österreichs auch die dortigen Chorherrenstifte in die Arbeit einzubinden. Es zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt ein grundlegendes Problem des Töpsl’schen Vorhabens ab: Aufgrund der Töpsl zugänglichen Quellen war sicher eine umfangreiche Namensliste zu erstellen. Bei der Umsetzung dieser Namen in einen Lexikonartikel, der noch dazu verlässliche biographische Angaben enthalten sollte, musste Töpsl jedoch sehr bald an seine Grenzen stoßen. 1757 merkte Kuen in einem Brief an Töpsl an, dass die bisher gesammelte Zahl von 840 Schriftstellern bereits die Zusammenstellung von Hager überschreite. 31 1759 war die Namensliste der zu berücksichtigenden Schriftsteller des Ordens auf 1500 Einträge angewachsen. 32 3. Die Chorherrengalerie Alle vergleichbaren Lexika waren in der Regel ohne Bebilderung. Sowohl die vier Bände des 1750/ 51 erschienen Gelehrtenlexikons von Christian Jöcher 33 als auch das 1758-1762 publizierte Schriftstellerlexikon von Giammaria Mazzuchelli 34 kamen ohne Bilder aus. Auch die Ordensgeschichten von Gabriele Pennotto (1624) 35 und Celso Rosini (1649) 36 hatten keine bildlichen Darstellungen. Franz Töpsl hingegen sah von Beginn an Abbildungen vor. Möglicherweise waren diese zunächst als Vorlagen für die Illustrierung seines Schriftstellerlexikons bestimmt. Spätestens 1757 hatte Töpsl klare Vorstellungen, wie er die Porträts verwenden wollte. Seinem Korrespondenzpartner und Zuarbeiter Trombelli schilderte er seine Vorstellungen: Ego 30 K UEN , Collectio (wie Anm. 16). 31 BSB, Clm 26447, fol. 79r-79v, Kuen an Töpsl vom 29.10.1757. 32 V AN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 4), 179, in einem Schreiben an Trombelli vom 24.9.1759. Am 29.11.1759 kündigte Töpsl auch Andreas Felix von Oefele, dem Leiter der Münchner Hofbibliothek, seinen Catalogus Scriptorum ordinis nostri an und bat ihn um Mitarbeit (BSB, Oefeleana 65). Etwa aus dieser Zeit stammt eine undatierte, alphabetische Namensliste, die jeweils die Fundstelle der Literaturquelle bzw. den Nachweis im Manuskript bei Hager angibt: Catalogus Scriptorum Doctrina et Pietate insignium Ordinis Canonicorum Regularium, Pfarrarchiv Walleshausen, Pollingiana. Die Bezeichnung doctrina et pietate benützte Töpsl auch in seiner Korrespondenz bei der Beschaffung von Bildvorlagen. 33 C HRISTIAN G OTTLIEB J ÖCHER , Allgemeines Gelehrten-Lexikon, 4 Bde., Leipzig 1750/ 51. 34 G IAMMARIA M AZZUCHELLI , Gli scrittori d’Italia, 6 Bde., Brescia 1758-1762. 35 G ABRIELE P ENNOTTO , Generalis totius Sacro Ordinis Clericorum canonicorum Historia tripartita, Rom 1624. 36 C ELSO R OSINI , Lyceum Lateranense illustrium Scriptorum Sacri apostolici Ordinis clericorum canonicorum regularium Salvatoris Lateranensis Elogia, 2 Bde., Cesena 1649. Wolfgang Jahn 210 interea, ut iam semel tibi, insinuari, pergo, quantum negotia altiora et publica permittunt, in colligendis scriptoribus ordinis nostri, cumque in hunc finem undique etiam conquiram imagines, typosque aere incisos virorum illustrium tam pietate quam scientia, maxime ex ordine nostro pro adornanda aliqua pinacotheca, nec dubitare possim, quin plurime eiusmodi virorum celebrium imagines, […] generalium, abbatum, professorum, lectorum aliorumque exstant. 37 Sein Ziel war also die Einrichtung einer pinacoteca, einer Bildergalerie oder eines Bildersaales. Das Projekt der scriptores und das Projekt der pinacoteca erscheinen hier schon getrennt. Das Auswahlkriterium waren pietate quam scientia, die Vorlagen sollte Trombelli nach Polling senden lassen, und Töpsl würde natürlich für alle Kosten aufkommen. Wahrscheinlich plante Töpsl in der Anfangsphase seiner Sammeltätigkeit noch mit einem Bestand von Kupferstichen. Diese konnten, als Vorlagen für neu anzufertigende Stiche, für das geplante Lexikon verwendet werden, hätten aber auch gerahmt als Wandschmuck dienen können. Während der Sammeltätigkeit zu den Namen für das Schriftstellerlexikon waren ihm sicher auch die Abbildungen in den Sammelwerken oder die Bildbeigaben aufgefallen. Die Bildnachweise, auf die Töpsl im Zuge seiner Recherchen stieß, sind jedenfalls alle akribisch in den Lexikonartikeln aufgeführt. 4. Eine erste Wunschliste nach Frankreich Während dieser Sammeltätigkeit muss Töpsl den Plan gefasst haben, vorhandene bildliche Vorlagen von einem Maler nach einem einheitlichen Schema neu malen zu lassen. In weiteren Schreiben an seine Korrespondenzpartner stellte Töpsl seine Projekte vor und warb um Mitarbeit. So beschrieb er 1760 in einem Brief 38 an Alexander Guy Pingré, Chorherr im Pariser Stift Sainte-Geneviève, in drei Punkten sein Vorhaben des Schriftstellerlexikons und der Gemäldegalerie. Zunächst rechtfertigte er den Bedarf der Scriptores, weil es Vergleichbares nicht gebe, und nannte als Vorbilder Jacques Echard und Jacques Quétif, die Verfasser der Scriptores Ordinis Praedicatorum, die zwischen 1719 und 1721 in Paris erschienen waren. Dann erläuterte er seinen Plan der Einrichtung einer eigenen Bibliothek der Schriftsteller des Ordens. 39 Er wolle dabei nicht nur die Werke von „alten“, sondern auch von novi canonici nostri, ubi ubi edunt sammeln. Dank dieser Erwerbungspolitik konnte sich Töpsl in einer Vielzahl von Lexikonar- 37 BSB, Clm 26438, fol. 51r-52v, Töpsl an Trombelli vom 13.4.1757. 38 BSB, Clm 26438, fol. 109r-111r, Schreiben Töpsl an Pingré vom 4.11.1760; in Auszügen auch bei VAN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 4), 180 und Anm. 26. 39 Cupio instruere bibliothecam particularem scriptorum ordinis nostri; BSB, Clm 26438, fol. 110r. Vergessene Texte - vergessene Bilder 211 tikeln rühmen, dass die von ihm zitierten Werke in der Pollinger Bibliothek vorhanden wären. 40 Anschließend schilderte er seine Absichten mit den bildlichen Darstellungen: 3. Ut confratres mei pro oculis habeant semper, quos imitentur, singula ambulatoria nostra, imaginibus virorum ordinis nostri illustrium, ad vivum depictis, exornare volo, et hac sola Lalemantii sunt, vivo admodum penicillo iuxta ectypon in aere impressum elaborate fuerant. An non licet effigies tales, atque icones aere impressas virorum clarorum congregationis tuae a te sperare? An nulla adhuc talis pinacotheca in Galliis? 41 Sodann führte Töpsl eine erste „Wunschliste“ von siebenundreißig französischen Chorherren an, von denen er gerne eine Abbildung hätte. 42 Die alphabetische Aufstellung beginnt mit Joseph Barré (1693-1764), Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris, und Kanzler der Universität. Das für Töpsl wichtigste Werk Barrés war dessen Allgemeine Geschichte Deutschlands. 43 Thomas Le Berger (1632-1711) war Prior von S. Denis, Reims, und Abt von Valdes-Ècoliers, Liège. 44 Jean-Baptiste Bernard (1710-1772) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 45 René Biet (1696-1767) war Abt von Saint-Léger, Soissons, und Direktor der dortigen Akademie. 46 François Blanchart (1606- 1675) war Generaloberer und Abt von Sainte-Geneviève, Paris, 47 und Gabriel de Boissy (1627-1679) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 48 François Boulart (1605-1667) war Abt von Sainte-Geneviève und zweiter Generalpropst der gallischen Kongregation. 49 Johannes Bovin gehörte der 40 BSB, Clm 26435 überliefert mit den Buchstaben L-Z den zweiten Teil eines Bibliothekskatalogs der Schriftsteller des Chorherrenordens, die in der Pollinger Bibliothek vorhanden waren. Vgl. dazu S TE- PHAN K ELLNER / A NNEMARIE S PETHMANN , Historische Kataloge der Bayerischen Staatsbibliothek München. Münchner Hofbibliothek und andere Provenienzen (Catalogus codicum manu scriptum Bibliothecae Monacensis, Bd. 11), Wiesbaden 1996, 362-373, hier 371. 41 BSB, Clm 26438, fol. 110r. 42 An non possum [...] habere effigies Barrii, Le Bergeri, P. Bernard, Bielii, Blancharti, P. le Bossu, cuius tractatus de poemate epico ante annos admodum paucos lingua nostra vernacula donatus, parallelum autem principiorum, Aristotelem, inter et Cartesium, a nostro Amortio ante 40 fere annos in linguam latinam versum, sed tum alii communicatum, una cum exemplari gallico deperditum erat, P. Boularti, Bovinii, Brethe, Cauleti, Chaponelii, Chartoneti, Chateneti, Chauberti, Desnosii, D’Antecurtii, Faurii, Frontonis, Fromentii, Foulonii, Gamachii, Gilleti, Grangii, Guillerii, Jamardi, Lelargii, Marsollerii, qui tamen regularitatem, ut aiunt abjecit, Pelletierii, Perroneti, Poussemotii, Prevotii, Riberollesii, Sanetesii, cuius opera vel maxime optarem, Sanlequii, Santolii, Testelletii, P. du Vau ppp. An de canonicis regularibus victorinis nullae exstant? Ast nunquid nimium tibi molestus fio? (BSB, Clm 26438, fol. 110r-110v). 43 J OSEPH B ARRÉ , Allgemeine Geschichte von Deutschland vor und nach Errichtung des Kaiserthums bis auf itzige Zeiten, 8 Bde., Leipzig 1749-1752. Das Bild ist im ersten Band der 1748 in Paris erschienenen französischen Ausgabe, Histoire Générale d’Allemagne, zu finden; Barré ist im weißen Chorhemd eines französischen Regularkanonikers in einem kleinen Brustbild abgebildet. Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 39). 44 BSB, Clm 26401, fol. 210r-211r; ABF I, 618, 41-42. 45 BSB, Clm 26401, fol. 216r-219r; ABF I, 89, 155-160. 46 BSB, Clm 26401, fol. 273r-274v; ABF I, 103, 105-108. 47 BSB, Clm 26401, fol. 280r-281v; ABF I, 109,126-129 48 BSB, Clm 26401, fol. 306r-309r. 49 BSB, Clm 26401, fol. 417r-418r; Clm 26418b, fol. 285r-286v.; das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 57). Wolfgang Jahn 212 gallischen Kongregation an. 50 Ludovicus le Brethe (1625-1664) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 51 Etienne-François Caulet (1610-1680) war Bischof von Pamiers. 52 Raymond Chaponel d’Antescourt (1636-1700) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 53 Léonard Chastenet (geb. 1623) verfasste eine Biographie des Ordensoberen Alain de Solminihac. 54 Anton Franciscus Chartonet war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 55 Louis Chaubert war Abt von Sainte-Geneviève und Generaloberer der gallischen Kongregation. 56 Nicolas Desnos (1621-1679) war Prior im Kloster von Provins, Diözese Sens. 57 Jean-Baptiste Antecourt (1643-1718) war Chorherr in Sainte- Geneviève, Paris. 58 Charles Faure (1594-1644) war zunächst Prior, dann 1634 Abt von Sainte-Geneviève und erster Generaloberer. 59 Jean Fronteau (1614-1662) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris, und Kanzler der Universität. 60 Bei dem in der Wunschliste an Pingré aufgeführten Fromentii handelt es sich um einen Chorherrn der lothringischen Kongregation, der als Froment, cong. S. Salv. in Lothar. im Elenchus von 1762 aufgeführt ist. 61 Joseph Foulon (1545-1607) war Abt von Sainte-Geneviève, Paris. 62 Etienne- Simon de Gamaches (1672-1754), Chorherr in Sainte-Croix de la Bretonnerie, war Philosoph und Astronom und Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris. 63 Louis-Joachim Gillet (1680-1753) war Bibliothekar von 50 BSB, Clm 26401, fol. 411r-413r und Clm 26401, fol. 311r-311v. 51 BSB, Clm 26401, fol. 453r. 52 Bischof von Pamiers, BSB, Clm 26402b, fol. 3r, nur der Name im alphabetischen Register von Buchstabe C aufgeführt; zur Person vgl. K ONRAD E UBEL , Hierarchia catholica medii aevi sive summorum pontificum, S. R. E. cardinalium, ecclesiarum antistitum series, Bd. 4, Münster 1935, 88 und Anm. 5, sowie Bd. 5, Münster 1952, 91 und Anm. 2, sowie ABF I, 192, 253-271; II, 130, 63-68. 53 BSB, Clm 26419, fol. 133r-135r; ABF I, 205, 289. 54 BSB, Clm 26419, fol. 138r-139r, fol. 138: ... et theses edidit, „Memoriae numquam intermoriturae sanctissimi viri Alani de Solmini” hac inscriptas, quae cum effigie Alani [= Alanus de Solminihac], eleganter aeri insculpta, extt apud nos. Es handelt sich um L EONARD C HASTENET , Idea boni praelati sive vita Alani de Solminihac Episcopi, Baronis et comitis Cadurcensis nec non monasterii B. M. V. Cancellatae canonicorum regularium ordinis S. Augustini in diocesi Petragoricensi Abbatis regularis, Kempten 1673, die Abbildung von Solminihac auf der linken Seite des Titelblattes. Zu Chastenet vgl. auch ABF I, 213, 158. 55 BSB, Clm 26419, fol. 135r. 56 BSB, Clm 26402a, fol. 3v, nur der Name in der alphabetischen Aufstellung von Buchstabe C aufgeführt. Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 59). 57 BSB, Clm 26403, fol. 51r-53v; ABF I, 312,385. 58 BSB, Clm 26418, fol. 175v-178v. 59 BSB, Clm 26405, fol. 70r-75v, Zweitschrift fol. 78r-85v. Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 83). 60 BSB, Clm 26405, fol. 330r-344v; ABF I, 425, 108-134. 61 F RANZ T ÖPSL , Elenchus Onomasticus Scriptorum Sacri Et Apostolici Ordinis Canonicorum Regularium Sancti Augustini, o.Ort 1762, 7. Bei Töpsl ist keine Biographie überliefert. 62 So bei T ÖPSL , Elenchus (wie Anm. 61), 7, aufgeführt; keine Biographie von Töpsl überliefert. Weitere biographische Einzelheiten bei ABF I, 413, 260f. 63 Gamaches, Steph. Simon de, de Menlan, Can. Reg. de S. Croix de la Bretonnerie, so bei T ÖPSL , Elenchus (wie Anm. 61), 7; keine Biographie von Töpsl überliefert. Zur Biographie siehe ABF I, 431, 213-222; III, 200, 275. Vergessene Texte - vergessene Bilder 213 Sainte-Geneviève, Paris. 64 Charles de la Grange (ca. 1646-1709) war Chorherr in Saint-Viktor, Paris. 65 Pierre Guillery (1619-1673) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 66 Thomas Jamard (geb. 1734) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris, Astronom und Akademiemitglied in Rouen. 67 Alain Lelarge (1639-1705) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris, und Abt von Val-des-Ècoliers, Liège. 68 Auch ein Bild von Jacques Marsollier (1647- 1724), Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris, wurde angefragt, trotz der von Töpsl geäußerten Zweifel, ob er noch als Chorherr zu bezeichnen sei. 69 Robert-Martin Le Pelletier (1682-1748) war Chorherr der Gallischen Kongregation 70 ebenso wie Joannes Paulus Perronet (1699-1780). 71 Petrus de Poussemothe de l’Estoille (1644-1718) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 72 Claude Prevost (Prevot) (1693-1752) war Chorherr und Bibliothekar in Sainte-Geneviève, Paris. 73 Gabriel de Riberolles (1647-1733) war Abt von Sainte-Geneviève, Paris, und Val-des-Ècoliers, Liège. 74 Claude de Sainctes (1525-1591) war Chorherr in Saint-Cheron, Chartres, und Bischof von Évreux. 75 Louis de Sanleque (1652-1714) war Chorherr in Sainte- Geneviève, Paris. 76 Jean-Baptiste de Santeul (1630-1697) war Chorherr in in S. Viktor, Paris. 77 Philiberte Testellete (gest. 1680) war Chorherr in Sainte- Geneviève, Paris 78 und Ludovicus de Vau (gest. 1738) war Chorherr in Sainte-Geneviève, Paris. 79 Von diesen französischen Gelehrten sind bis auf einen alle in den verschiedenen Stadien des Töpslschen Lexikons nachzuweisen. In der Regel bereits im Elenchus von 1762 aufgeführt, sind sie mit Lexikonartikeln in der ersten oder zweiten Serie zu finden. Von fünf Gelehrten sind außerdem die 64 Vgl. oben Anm. 25. 65 BSB, Clm 26406, fol. 419r; vgl. ABF I, 580, 80. 66 BSB, Clm 26406, fol. 567r-569r; vgl. ABF I, 492, 248 67 BSB, Clm 26421, fol. 212r-212v; vgl. ABF I, 537, 25-27. 68 BSB, Clm 26409, fol. 72r-74r; vgl. ABF I, 638, 273-278. 69 Qui tamen regularitatem, ut aiunt abjecit, BSB, Clm 26438, fol. 110r-110v; zur Biographie BSB, Clm 26410, fol. 103r; vgl. ABF I, 711, 74-93. 70 BSB, Clm 26412, fol. 102r-108r und Clm 26423, fol. 81r-85v; vgl. ABF I, 648, 1, 9-11; II, 411, 451. 71 BSB, Clm 26412, fol. 128r-128v und Clm 26423, fol. 99r. 72 BSB, Clm 26404, fol. 173r-176v und Clm 26420, fol. 182r-185r. 73 BSB, Clm 26412, fol. 341r-343r und Clm 26423, fol. 256r-257v; vgl. ABF I, 856, 308; 857, 146. 74 BSB, Clm 26424, fol. 61r-61v; vgl. ABF I, 889, 39. 75 BSB, Clm 26414, fol. 13r-36r; vgl. ABF I, 32, 199; 924, 400-416; 571, 189-192. 76 BSB, Clm 26414, fol. 62r-65v; vgl. ABF I, 923, 272-277, 936, 397-409; das Bild ist vorhanden: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 72). 77 BSB, Clm 26414, fol. 68r-109v; vgl. ABF I, 937, 175-198; die Anfertigung als Bild innerhalb des Chorherrenzyklus erwähnt in X AVER W EINZIERL , Hirtenpflicht oder Blumen auf das Grab des verklärten Franz Toepsl, Propstes zu Polling, gestreut von seinen Söhnen im Jahr 1796, München 1796, 46; vgl. J OHANNES M ADEY , Santeul, Claude de, in: F RIEDRICH -W ILHELM B AUTZ (Hrsg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 8, Nordhausen 1994, 1338f. 78 BSB, Clm 26426, fol. 12r-13r; vgl. ABF I, 982, 139. 79 BSB, Clm 26416, fol. 17r und Clm 26427, fol. 14r-15v. Wolfgang Jahn 214 von Töpsl in Auftrag gegebenen Gemälde erhalten, die Anfertigung eines weiteren Gemäldes ist sicher. Zu Bossu fügt Töpsl als Begründung an: cuius tractatus de poemate epico ante annos admodum paucos lingua nostra vernacula donatus, parallelum autem principiorum, Aristotelem, inter et Cartesium, a nostro Amortio ante 40 fere annos in linguam latinam versum, sed tum alii communicatum, una cum exemplari gallico deperditum erat. 80 Die Motive bei der Auswahl der zu Porträtierenden sind nur im Zusammenhang mit der Anfertigung des Lexikons zu sehen. Eine Voraussetzung war die „Berühmtheit“ aufgrund der pietas und der scientia, wie Töpsl schon 1757 an Trombelli geschrieben hatte. Dazu zählten auch, aufgrund ihrer Stellung, Ordensobere und Äbte. Töpsl wurde nie müde, zu betonen, dass er eine lebensgetreue Vorlage der einzelnen Schriftsteller wollte. Die Übersendung einer „Wunschliste“ an seine Korrespondenzpartner erschien ihm im Hinblick auf die Umsetzung dieses Vorhabens am effektivsten. Naturgemäß konnte Töpsl allerdings nur dann in den Besitz einer geeigneten Vorlage kommen, wenn sich - wie etwa im Fall des oben angeführten Pierre Lalemants - zu dem betreffenden Chorherrn in einem biographischen oder anderen Druckwerk eine Abbildung fand. Gedacht war der Gemäldezyklus zum Ansporn der Mitbrüder. Aufgehängt in den Gängen des Klosters, sollten die Gemälde, den Pollinger Chorherren als Vorbild dienen. Damit war natürlich klar, dass sich Töpsl nicht mit der Platzierung von übersandten Kupferstichen oder Zeichnungen begnügen, sondern diese Vorlagen für die Anfertigung von Gemälden für einen einheitlichen Zyklus verwenden wollte. Obwohl Töpsl aufgrund der überdimensionierten Anlage seines Schriftstellerlexikons nie wissen konnte, welche Bildvorlagen er von welchem Schriftsteller erhalten würde, bemühte er sich doch stets zielgerichtet, die verschiedenen Regionen Europas abzudecken. Mit Trombelli und Abt Antonio Suardi von S. Maria della Passione in Mailand hatte er zuverlässige italienische Mitarbeiter; das Kloster Sainte-Geneviève in Paris sollte den französischen Teil abdecken, und für das belgisch-lothringische Gebiet konnte er sich an seinen bewährten Partner Haghen 81 vom Kloster Rolduc wenden. Auch ihn unterrichtete er in einem Schreiben vom November 1760 über seine Pläne. Zunächst bat er ihn, von gelehrten Ordensmitgliedern veras, ut vocant, effigies, aere incisas, aut pictas adderes. 82 Nicht nur Kupferstiche, sondern auch Zeichnungen bzw. Gemälde waren als Vorlage gewünscht. 80 Clm 26438, fol. 110r-110v. 81 Lexikonartikel BSB, Clm 26421, fol. 11r-14v, Haghen, Joannes Josephus (5.3.1699-14.12.1781), Abt seit 1757. 82 BSB, Clm 26438, fol. 114r-115v, Töpsl an Haghen, 12.11.1760. Vergessene Texte - vergessene Bilder 215 Er plane nämlich erstens eine eigene Bibliothek nur mit Schriftstellern und berühmten Männern des Ordens und deshalb wolle er alle Werke sammeln, wo immer er sie auch bekommen könne. Dies verbinde er mit einer zweiten Absicht: quod virorum istorum effigies veras undique conquiram tam ut particularem ex illis pinacothecam conficiam, tam ut id genus homines de republica litteraria, nostroque sacro ordine bene meritos, saltem ex parietibus, in quibus eorum imagines suspenduntur, perpetuis temporibus reviviscere faciam. 83 In diesem Sommer habe er deshalb bereits zwanzig Gemälde, die er nach Kupferstichvorlagen habe malen lassen, in den Gängen wie in einer Allee aufhängen lassen, damit seine Mitbrüder immer vor Augen hätten, wem sie nacheifern sollten. 5. Die ersten Bilder Ein glücklicher archivalischer Fund erlaubt einen tieferen Einblick in den 1761 vorhandenen Bildbestand: Im März 1761 sandte Töpsl einen Katalog der bereits in Polling vorhandenen Bildvorlagen an den Münchner Hofbibliothekar Andreas Felix von Oefele (1706-1780): P.S. Adjungo catalogum virorum clarorum ordinis nostri, quorum effigies penes me habeo. XIIX ex his iam sunt depicti, reliqui post Pascha depingentur. Si aliorum effigies tibi sunt ad manus placeat ad tempus commodare. Postquam fuerint depicti, iterum restituam. 84 Die Liste hat sich in von Oefeles 85 Nachlass erhalten. Sie ist die erste Aufstellung von vollendeten oder geplanten Gemälden der Chorherrengalerie, umfasst 28 Namen und bietet einen repräsentativen Querschnitt. Im Einzelnen führte Töpsl unter dem Titel Effigies virorum clarorum ex ordine canonicorum regularium quas modo possideo diese Chorherren auf: Basilius Zanchi (1501-1560) war Chorherr in der Lateranensischen Kongregation und Kustos der Vatikanischen Bibliothek. 86 Joannes Chrysostomus Zanchi (16. Jahrhundert) war Chorherr in der Lateranensischen Kongregation, 87 Valeriano Olmo (gest. 1560) gehörte ebenfalls dieser Kongregation an. 88 Bei allen drei Gelehrten dürfte die Vorlage des Gemäldes derselben Quelle, dem 1664 erschienen Werk von Donato Calvi über die Schriftsteller Bergamos, entnommen sein. 89 Töpsl schreibt im Artikel über Basilius Zanchi, er habe 83 Ebd. 84 BSB, Clm 26434, fol. 191r-192v, Töpsl an Oefele, 4.3.1761. 85 BSB, Oefeleana 65, Oefele an Töpsl, 7.3.1761. Die Liste lag Töpsls Brief vom 4.3.1761 bei und wird jetzt als Beilage zur Antwort Oefeles aufbewahrt. 86 BSB, Clm 26417, fol. 14r-17v, fol. 18r-33v; Clm 26428, fol. 39r-39v, fol. 40r-48v. Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 28). 87 BSB, Clm 26428, fol. 52r-55r. 88 BSB, Clm 26422, fol. 114r. 89 D ONATO C ALVI , Scena letteraria degli scrittori bergamaschi, Bergamo 1664. Wolfgang Jahn 216 für dessen nun im Ambulatorium hängendes Bild (Abb. 2) den bei Donato Calvi publizierten Kupferstich als Vorlage verwendet. 90 Marcus Marini (gest. 1594) war Chorherr in San Giovanni, Brescia, und als Orientalist für Papst Gregor XIII. und die Republik Venedig als Übersetzer tätig. 91 An seinem Beispiel lassen sich die Bemühungen Töpsls um die beste Vorlage sehr gut dokumentieren: Im Februar 1761 bot Trombelli an, Töpsl eine Vorlage zur Verfügung zu stellen. Canonicorum nostrorum, tamersi praeclarissimorum, imagines retinere, veteres Patres nostri omiserunt. Ego ex antiqua icone descriptam Marci Marini imaginem ere incidi jussi. Mittam, sit u vis. 92 Da Töpsl annahm, dass es einen Kupferstich in Venedig gäbe, bat Trombelli den venezianischen Chorherren Danielo Avelloni 1762 um ein Bild von Marini. 93 Im folgenden Jahr erhielt der Pollinger Propst von Mingarelli eine Vorlage, die dieser offensichtlich Marinis Hauptwerk Arca Noe entnommen hatte. 94 Caesar Nicolaus Bambacari (1647-1725) war Abt des Klosters S. Frigdiani in Lucca. Auch bei ihm ist im Lexikonartikel ein Hinweis auf jenes Werk zu finden, aus dem Töpsl seine Vorlage bezogen hatte. 95 Bei Giovanni Crisostomo Trombelli, seinem Korrespondenzpartner, bemühte sich Töpsl ebenfalls sehr früh um eine Bildvorlage. 96 Töpsl schreibt im Lexikonartikel, dass er die Vorlage dem 1749 in Leipzig erschienenen 102. Band der Zuverlässige[n] Nachrichten von Jöcher entnommen habe (Abb. 3): et unde ego aliquando pro exornando ambitu copiam feci. 97 Er versuchte mehrfach, diese eher jugendliche Darstellung durch eine zeitgemäßere Abbildung zu ersetzen, was ihm allerdings nicht gelang (Abb. 4). Da sich das Gemälde von Matteo Bosso (1427-1502) nicht erhalten hat, können in diesem Fall keine gesicherten Aussagen bezüglich der verwendeten Vorlage getroffen werden; vermutlich stammte sie aus einem Werk des Autors. 98 90 BSB, Clm 26417, fol. 14r-33v. 91 Chorherr der Kongregation S. Salvatore, erwähnt in T ÖPSL , Elenchus (wie Anm. 61), 10; Töpsl schrieb am 27.4.1763 an Mingarelli, dass er bereits ein Bild von Marini vorliegen habe. G OLDBRUN- NER , Töpsl (wie Anm. 8), 425. Ein Lexikonartikel fehlt aufgrund der unzureichenden Überlieferung des Buchstabens M. 92 BSB, Clm 26456, fol. 223r-224r, Trombelli an Töpsl, Kal. Februar 1761. 93 BSB, Clm 26439, fol. 126r-126v, Töpsl an Avelloni 28.1.1762. 94 Arca Noe. Thesaurus linguae sanctae novus. Dictionarium Latino Hebraeum ex thesauro decerptum. Zus. 3 Teile in 1 Bd. Venedig, 1593; BSB, Clm 26456, fol. 23r-24r, Mingarelli an Töpsl, 17.4.1763: Quod spectat ad imagines aeri incisas nostrorum Canonicorum difficile eas invenies, ne illustriorum quidem. Esset autem non mediocri[um] immense[m] eas aeri incidendas curare. Töpsl erhielt mehrere Bildvorlagen. 95 BSB, Clm 24601, fol. 49r-55r, extat ibi etiam eius veneranda effigies in habitu abbatiali, a rocho pozzi sculpta. Als Vorlage gibt Töpsl den zweiten Band der Opere spirituali del S. Abate D. Cesare Nicolao Bambacari, Can. Reg. Lat., Lucca 1733-1734 an. 96 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 82). 97 Für ambitu stand ursprünglich das Wort Museo, das durchgestrichen ist. 98 BSB, Clm 26418b, fol. 247r-270v und Clm 26401, fol. 350r-381r. Vergessene Texte - vergessene Bilder 217 Abb. 2: Basilius Zanchi (1501-1560), Öl auf Leinwand; Archiv der Ludwig-Maximilians- Universität München (Inv.-Nr. 28). Raymundus Duell (1694-1769) war Chorherr im Kloster St. Pölten und unentbehrlicher Zuarbeiter. 99 Simon Gourdan (1646-1729) war Chorherr von Saint-Victor (Paris) und verfasste theologische und historische 99 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 7). Wolfgang Jahn 218 Abb. 3: Giovanni Crisostomo Trombelli (1697-1784), Kupferstich, in: Christian Gottlieb Jöcher, Zuverlässige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften, 102. Teil, Leipzig 1748. Schriften. 100 Thomas von Kempen (1379/ 80-1471), seit 1399 im Stift St. Agnetenberg bei Zwolle, war einer der bedeutendsten Mystiker seiner Zeit. 101 Joannes Ruysbroeck (um 1293-1381) war Kaplan der Stiftskirche St. Gudula zu Brüssel. Er war seit 1350 Prior der Regularkanonikergemeinschaft von Groenendael, südöstlich von Brüssel. Seine Schriften zur Mystik und seine Briefe in mittelniederländischer Sprache wurden bald in das Lateinische übersetzt und fanden sehr schnell Verbreitung in Europa. 102 Joannes 100 In der Aufstellung als Simon Gouda aufgeführt. 101 Lexikonartikel als Konzept Clm 26447, fol. 129r-134r. 102 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 31). Vergessene Texte - vergessene Bilder 219 Abb. 4: Giovanni Crisostomo Trombelli, Öl auf Leinwand; Archiv der Ludwig-Maximilians- Universität München (Inv.-Nr. 82). Wolfgang Jahn 220 Garet (gest. 1571) war zunächst Chorherr im Kloster St. Maartensdal in Lüttich (Windesheimer Kongregation), dann im Peterskloster in Gent. 103 Marco Girolamo Vida (1470-1566) war Regularkanoniker von S. Marco in Mantua, dann Kanoniker von S. Giovanni in Laterano, seit 1532 Bischof 104 von Alba. Sein Hauptwerk ist das 1535 in Cremona erschienene Versepos Christias; sein Werk De arte poetica, Rom 1527, wirkte bis in die französische Klassik nach. 105 Die Bildvorlage für das Porträt Vidas besaß Töpsl bereits im Februar 1761. 106 Dabei handelte es sich um jenen Kupferstich, der 1587 in Nikolaus Reusners Icones sive Imagines Virorum Literis 103 Konzept eines Lexikonartikels BSB, Clm 26447, fol. 81r-82v. 104 E UBEL , Hierarchia (wie Anm. 52), Bd. 3, 113; BAA 578, 35; ABI I, 991, 405-410; II, 660, 316-333; II S 86, 282; III, 430, 218-220. 105 E STHER L AUER , Vida, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), 778 (1485-27.9.1566). 106 BSB, Clm 26438, fol. 194v-195r, Töpsl an Antonio Suardi, 21.2.1761. Abb. 6: Marco Girolamo Vida, Öl auf Leinwand; Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München (Inv.-Nr. 19). Abb. 5: Marco Girolamo Vida (1470-1566), Kupferstich, in: Nikolaus Reusner, Icones sive Imagines Virorum Literis Illustrium, Straßburg 1587. Vergessene Texte - vergessene Bilder 221 Illustrium erschienen ist (Abb. 5). 107 Dem Werk Reusners entnahm Töpsl auch die Textzeile Poetarum Scholae Christianae facile princeps. Das Gemälde (Abb. 6) wurde noch im selben Jahr geschaffen. 108 Die Anfertigung als Gemälde innerhalb des Chorherrenzyklus’ wird auch im Nachruf auf Töpsl erwähnt. 109 Aufgrund des Widerspruchs der Lebensdaten Vidas und den auf dem Gemälde angegebenen Daten ist die Identifizierung mit Vida problematisch. Die Lebensjahre sind mit 96 zwar richtig angegeben, doch im Lexikonartikel wird von Töpsl selbst das richtige Todesjahr 1566 angeführt. Dafür spricht, dass Vida Bischof von Alba im Piemont war. 1721 erschien eine zweibändige Ausgabe seiner Gedichte. 110 Möglich wäre, dass bei der Anfertigung des Gemäldes 1761, wie bei dem Gemälde von Louis Sanlecque, Töpsl eine falsche Jahreszahl vorgelegen hat. 111 Eine Abbildung von Joseph Barré stand bereits 1760 auf der Wunschliste an Pingré. 112 Pierre Lalemant (1622-1673) war Chorherr in Sainte- Geneviève, Paris, und Kanzler der Universität. 113 Bei Battista Vernazza (1497-1587) handelt es sich um eine der wenigen Kanonissen. 114 Martinus Azpilcueta (1492-1586), genannt Navarrus, war einer der bekanntesten Theologen des 16. Jahrhunderts und Beamter der Finanzverwaltung von König Philipp II. 115 Claude du Molinet (1620-1687) war von 1675 bis 1687 Bibliothekar von Sainte-Geneviève, Paris. Neben seiner Arbeit als Bibliothekar baute er auch ein Raritätenkabinett auf, das er in dem mit vielen Kupferstichen versehenen Band Le Cabinet de la Bibliothèque de S. Geneviève beschrieb. Molinets Werk, das posthum 1692 in Paris erschienen war, entnahm Töpsl auch die Vorlage für das Gemälde (Abb. 7). Vorlagen für Joannes Baptist Santeul 116 und Jean Fronteau 117 hatte Töpsl schon 1760 aus 107 N IKOLAUS R EUSNER , Icones sive Imagines Virorum Literis Illustrium, Straßburg 1587, L3v. Als Einzelblatt hat sich das Porträt Vidas auch im Bestand der Staatlichen Graphischen Sammlung in München erhalten (Inv.-Nr. 243819). 108 Aufgeführt auf einer Liste Töpsl vom 4.3.1761, BSB, Oefeleana 65, Oefele an Töpsl, 7.3.1761. Oefeleana 65, 3.12.1761, Töpsl an Oefele: Arisius sparsim multa habet singularia de Hyeronimo Vida ex Canonico Regulari lateranensi ad Albenses Infulas promoto, quae excerpsimus. Albrechto scripsi hodie, quae sapienter monuisti. 109 W EINZIERL , Hirtenpflicht (wie Anm. 77), 46. 110 M ARCI H IERONYMI , Vidae poemata omnia, 2 Bde., Padua 1721. 111 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 19). 112 Siehe oben Anm. 43. 113 Lexikonartikel Töpsls in BSB, Clm 26409, fol. 15ff. Hier auch fol. 24r ein Hinweis auf ein Porträt in: C HARLES P ERRAULT , Les hommes illustres. Avec leurs portraits au naturel, Paris 1696, 56. 114 BSB, Clm 26416, fol. 57r-64v, Praefixa effigie venerabilis sequitur praefatio italica pag 34, diversa ab illa, quo in aliis editionibus exstat, (fol. 60v). Vgl. auch die Notiz BSB, Clm 26438, fol. 243r-244r, Töpsl an Frova, 15.5.1761, hat ein Bild von Battista Vernazza anfertigen und in den Gängen des Klosters aushängen lassen. 115 BSB, Clm 26400a, fol. 201r-220r und Clm 26418, fol. 257r-266v. 116 Siehe oben Anm. 77. - Töpsl dürfte als Vorlage den bei P ERRAULT , Les hommes illustres (wie Anm. 113) abgedruckten Stich verwendet haben. Wolfgang Jahn 222 Frankreich erbeten. Onophrius Zarrabini (1535-1589) war Chorherr in Sancti Joannis Evangelistae, Ravenna. 118 Bei Fortunat Troyer (1612- 1707) handelte es sich um den Propst von Neustift bei Brixen. 119 Bei Ascanius Varese, einem Generalabt der Lateranensischen Kongregation, der 1727 ein Bullarium Lateranense veröffentlichte, konnte Töpsl auf einen Kupferstich zurückgreifen. 120 Auch bei Sebastianus Varese (ca. 1662-1721), einem Generalabt der Rhenanischen Kongregation, war die Vorlage ein Kupferstich. 121 Das Gemälde von Kardinal Antonio Andrea Galli (1697- 1768) nimmt im Umfeld des Pollinger Chorherrenzyklus eine Sonderstellung ein. Es zeigt nur das Porträt; die sonst übliche dreizeilige Kurzbiographie fehlt. Der Abgebildete war zunächst Chorherr in der Kongregation SS. Salvatore in Bologna. Als Generalabt der Kongregation wurde er 1753 von Papst Benedikt XIV. zum Kardinal ernannt. Er war Pönitentiar, Präfekt der Indexkommission und der Glaubenskommission. Zu Polling hatte Galli auch brieflichen Kontakt. 122 Woher Töpsl die Vorlage für Timotheus Maffei Senior bezogen hat, ist noch unklar. 123 Petrus Fourier (1565-1640) begründete die Kongregation der Chorfrauen (Augustinerinnen) mit, deren Aufgabe unter anderem die Erziehung und Ausbildung der weiblichen Jugend war. Bis 1632 war Fourier Ge- 117 Siehe oben Anm. 60. 118 Töpsl schrieb am 27.4.1763 an Mingarelli, dass ihm bereits ein Bild von Zarrabini vorliege: G OLDBRUNNER , Töpsl (wie Anm. 8), 425. Im Lexikonartikel BSB, Clm 26417, fol. 59r-62v nennt Töpsl den Werktitel von Zarrabini Belle Prediche della Quadragesima fino al terzo giorno di Pasqua und fügt an, in der Ausgabe Venedig 1585 sequitur effigies authoris. [...] In Effigie etiam cernere est arma eius gentilizia. Weitere Fassungen: BSB, Clm 26428, fol. 72r-73r, 74r-77r. 119 P IRMIN L INDNER , Monasticon metropolis Salzburgensis antiquae, München 1908, 124. 120 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 21). 121 Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (Inv.-Nr. 20). 122 Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 51, Rom 1998, 605-608; V AN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 4), 121, 142, 149; G OLDBRUNNER , Töpsl (wie Anm. 8), 414; E UBEL , Hierarchia (wie Anm. 52), Bd. 6, 17. 123 Timoteus Maphaeus Senior ist nur bei T ÖPSL , Elenchus (wie Anm. 61), 10, aufgeführt; ein Lexikonartikel ist nicht erhalten. Vgl. H EINRICH R UEBEN , Der Humanist und Regularkanoniker Timoteo Maffei aus Verona (ca. 1415-1470). Eine Biographie zum Problem des christlichen Humanismus in der italienischen Renaissance, Köln 1975. Abb. 7: Claude du Molinet (1620-1687), Öl auf Leinwand; Archiv der Ludwig-Maximilians- Universität München (Inv.-Nr. 26). Vergessene Texte - vergessene Bilder 223 neraloberer seiner lothringischen Kongregation, in der er auch als Reformer wirkte. 124 Die Vorlage für das Gemälde von Alain de Solminihac (1593- 1659), Abt in Chancellade und 1636 Bischof von Cahors, konnte Töpsl wieder einem Druckwerk entnehmen. 125 Diese Gemälde bildeten den Grundstock der Pollinger Chorherrengalerie. Im Mai 1761 war die Realisierung der pinacoteca schon ziemlich weit fortgeschritten. Aufgrund eigener Recherchen hatte sich Töpsl bereits einen Grundbestand an zu Porträtierenden erarbeitet und aus der ihm zugänglichen Literatur sowohl die Bildvorlagen beschafft als auch schon die grundlegenden Entscheidungen über das formale Aussehen der Gemälde getroffen. Alle Gemälde besitzen ein einheitliches Maß, sowohl in der formalen Größe als auch im Bildaufbau. Die Höhe beträgt etwa 90 cm und die Breite etwa 70 cm. Das untere Sechstel jedes Gemälde ist für die Widmung freigehalten. Auch die Darstellung des Porträtierten hat schon eine einheitliche Form gefunden. Durchgängig ist die Wiedergabe als Brustbild, wobei die Blickrichtung des einzelnen Chorherren variieren kann. Grundsätzlich orientierte sich aber Töpsl, soweit überprüfbar, an der ihm zur Verfügung stehenden Bildvorlage. Ein Vergleich der 1761 bereits angefertigten Bilder zeigt, dass die Bildunterschrift ein wesentliches Element alle Gemälde der pinacoteca war. Die einheitliche Form der Würdigung in einer dreizeiligen elogia ist bereits seit den ersten Bildern von 1761 durchgängig und wird auch später fortgesetzt. Die Kurzbiographie lässt bei manchen Bildern zwar noch einen gewissen experimentellen Charakter erkennen. So finden sich bei Zanchi 126 (Abb. 2) in der ersten Zeile die wichtigsten biographischen Angaben zu Wirkungsstätte und Lebenszeit; dann in Zeile zwei und (der fehlenden) Zeile drei eine kurze Würdigung, die wörtlich dem Druck mit dem Kupferstich entnommen ist. Später wurde gerade das Todesjahr auch als formaler Schlusspunkt an das Ende der dritten Zeile platziert. 6. Der weitere Fortgang des Projektes 1761 hatte der Pollinger Propst Franz Töpsl guten Grund zur Annahme, dass die beiden großen Projekte, die Chorherrengalerie und das Schriftstellerlexikon, in angemessener Zeit fertig zu stellen seien. Aufgrund seiner Recherchen für das Lexikon hatte er eine Reihe von Bildvorlagen gefunden, die 124 BSB, Clm 26405, fol. 235r-240r; Clm 26405, fol. 241r-248r. Das Bild ist erhalten: Archiv der LMU München (ohne Inv.-Nr.). 125 BSB, Clm 26414, fol. 298r-301r. 126 Siehe oben Anm. 87. Wolfgang Jahn 224 er in einheitlicher Form für die Klostergänge malen ließ. Seine Korrespondenzpartner versorgten ihn weiter mit Hinweisen und Vorlagen, so dass in den folgenden Jahren die Zahl der Bilder der Chorherrengalerie auf über 200 anstieg. Eine „Vollständigkeit“ im Sinne einer bildlichen Dokumentation aller bedeutenden Schriftsteller des Augustiner-Chorherrenordens wurde nie angestrebt. Bei der Anfertigung des Schriftstellerlexikons war es umgekehrt. Hier verhinderte die angestrebte „Vollständigkeit“ im Sinne einer schriftlichen Dokumentation der Biographien aller bedeutenden Schriftsteller des Ordens und ihrer Werke eine Fertigstellung. Die Zahl der abgeschlossenen, konzipierten und geplanten Artikel sollte bis zum Tod des Pollinger Prälaten 1796 auf etwa 2700 anwachsen. Für dieses einzigartige Lexikon fand Töpsl zu Lebzeiten keinen Verleger, der das Wagnis einer Publikation eingegangen wäre. Auch in den wenigen Jahren bis zur Aufhebung der bayerischen Klöster 1803 blieben alle Publikationsversuche 127 ohne Erfolg. 127 Vgl. dazu J AHN , Nicht zur Erbauung (wie Anm. 1), 13f. Kunst und Geschichtsschreibung St. Emmeram zu Regensburg im Barockzeitalter Alois Schmid Für den engen Zusammenhang zwischen Geschichtsschreibung und Kunst im Zeitalter des Barock liefert das Benediktinerkloster St. Emmeram zu Regensburg sicherlich ein höchst aussagekräftiges Beispiel. Dieses Haus gehörte seit seiner Gründung im beginnenden 8. Jahrhundert bis zu seiner Aufhebung im Jahr 1810 zu den bedeutendsten monastischen Niederlassungen im katholischen Oberdeutschland. Seine herausragende Stellung basierte auf einem ungewöhnlich breiten wirtschaftlichen Fundament, das den Konvent zu einer besonders intensiven Pflege religiöser und auch kultureller Aktivitäten befähigte. Das Kloster durchlebte vier Höhepunkte: im karolingischen 9. Jahrhundert, im 11. Jahrhundert der Kirchenreform, im frühhumanistischen 15. und beginnenden 16. Jahrhundert und ein letztes Mal im barockzeitlich-aufgeklärten 18. Jahrhundert. 1732 wurde das Kloster in den Reichsfürstenstand erhoben. Dieser Spätblüte soll hier im Rahmen der eingangs angeführten Leitfrage der Blick gelten. Die höchst anspruchsvolle Kulturpflege des Klosters im 18. Jahrhundert ist in der wissenschaftlichen Literatur oftmals bearbeitet worden: Vor allem Andreas Kraus, 1 Karl Babl, 2 Egon Johannes Greipl 3 und Peter Morsbach 4 sind in der langen Reihe der Autoren 5 hervorzuheben, die sich diesem Arbeitsfeld gewidmet haben. Schwerpunkte der vorliegenden breiten Literatur waren die religiöse, künstlerische und wissenschaftliche Entwicklung im Zeitalter von Barock und Aufklärung. Das hier abzuhandelnde Problem zielt 1 A NDREAS K RAUS , P. Roman Zirngibl von St. Emmeram in Regensburg, ein Historiker der Alten Akademie (1740-1816), in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 66 (1955), 61-151 und Fortsetzung in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 67 (1956), 39-203; D ERS ., Die Bibliothek von St. Emmeram. Spiegelbild der geistigen Bewegungen der frühen Neuzeit, in: M AX P IENDL (Hrsg.), Die Bibliotheken zu St. Emmeram in Regensburg (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 7), Kallmünz 1971, 1-42. 2 K ARL B ABL , Emmeram von Regensburg. Legende und Kult (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 8), Kallmünz 1973. 3 E GON J OHANNES G REIPL , Abt und Fürst. Leben und Leistung des Reichsprälaten Johann Baptist Kraus von St. Emmeram zu Regensburg (1700-1762), Regensburg 1980. 4 P ETER M ORSBACH , St. Emmeram zu Regensburg (Großer Kunstführer Schnell & Steiner, Nr. 187), Regensburg 1993; P ETER M ORSBACH / A NTON J. B RANDL , Kunst in Regensburg, Regensburg 1995, 110f. mit Abb. 98. 5 H ANS S CHLEMMER , St. Emmeram in Regensburg: Kirche und Kloster im Wandel der Zeit, Kallmünz [1972]; St. Emmeram in Regensburg: Geschichte - Kunst - Denkmalpflege (Thurn und Taxis- Studien, Bd. 18), Kallmünz 1992; H ANS -C HRISTOPH D ITTSCHEID , Barock und Rokoko in Regensburg: Erneuerung als Programm, in: P ETER S CHMID (Hrsg.), Geschichte der Stadt Regensburg, Bd. 2, Regensburg 2000, 1155-1176, bes. 1163-1167. Alois Schmid 226 auf die Verdeutlichung des Zusammenhangs von Wissenschaft und Kunst am Beispiel der Darstellung der Hausgeschichte. Diese Frage lässt sich im Kloster St. Emmeram mit seiner ungewöhnlich breiten Überlieferung durch mehrere Jahrhunderte besonders gut verfolgen. Im Folgenden soll der Blick auf einen Ausschnitt von hervorgehobener Aussagekraft konzentriert werden: die Barockisierung der Klosterkirche in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts. 6 1. Die Bau- und Ausstattungsmaßnahmen Das Reichsstift St. Emmeram (Abb. 1) hat sich nach einem schlimmen Brandunglück 1642 an der breiten Bauwelle des Barockzeitalters beteiligt. Auch diese bedeutende Abtei wurde von der Begeisterung der Epoche für prachtvolle Kirchen und Klöster erfasst. 7 Sie hat ihren Baubestand dem neuen Stilempfinden umfassend angepasst, obwohl hier keine Millenarfeier veranstaltet wurde. Eine solche wäre durchaus denkbar gewesen. Denn das Kloster St. Emmeram hat seine Gründung immer in das Jahr 652 datiert. Doch wurde nach den noch immer spürbaren Schädigungen des Dreißigjährigen Kriegs und vor allem dem Brandunglück von 1642 nicht an größere Feierlichkeiten gedacht, 8 obwohl die Memorialkultur in dieser Epoche in ihrer ganzen Breite einsetzte. Die Erneuerung des Baubestands erfolgte in zwei Schüben: Eine erste Barockisierung wurde bereits in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts unter Abt Cölestin Vogl (reg. 1655-1691) durchgeführt. 9 Die letzten Vorstände des Klosters Anselm Godin (reg. 1725- 1742), Johann Baptist Kraus (reg. 1742-1762), Frobenius Forster (reg. 6 Vgl. dazu vor allem B ERNHARD R UPPRECHT , Die Umgestaltung des Innenraumes von St. Emmeram im 18. Jahrhundert, in: St. Emmeram in Regensburg: Geschichte - Kunst - Denkmalpflege (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 18), Kallmünz 1992, 225-234; vgl. ferner M EINRAD VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005, 596-599. 7 H ERMANN B AUER / A NNA B AUER , Klöster in Bayern, eine Kunst- und Kulturgeschichte der Klöster in Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz, München 1985, 220-227. 8 H ERBERT W. W URSTER , Die Regensburger Geschichtsschreibung im 17. Jahrhundert. Historiographie im Übergang vom Humanismus zum Barock, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 119 (1979), 7-75; Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 120 (1980), 69-210, insbes. [Teil II] 162-167. 9 M AX P IENDL (Hrsg.), Quellen und Forschungen zur Geschichte des ehemaligen Reichsstiftes St. Emmeram in Regensburg (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 1), Kallmünz 1961, 135-146, Nr. 140; D ERS ., St. Emmeram in Regensburg. Die Baugeschichte seiner Klostergebäude (Thurn und Taxis- Studien, Bd. 15), Kallmünz 1986, 133-364, hier 280-298; C HRISTINE R IEDL , Die Deckenmalereien im Westquerhaus von St. Emmeram in Regensburg. Ein Beitrag zur Ordenspropaganda der Benediktiner im 17. Jahrhundert, in: 1250 Jahre Kunst und Kultur im Bistum Regensburg. Berichte und Forschungen (Kunstsammlungen des Bistums Regensburg - Diözesanmuseum Regensburg: Kataloge und Schriften, Bd. 7), München/ Zürich 1989, 371-409; D IES ., Die Ausstattung der Klosterkirche St. Emmeram unter Abt Cölestin Vogl (1655-1691), in: St. Emmeram in Regensburg: Geschichte - Kunst - Denkmalpflege (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 18), Kallmünz 1992, 209-223. Kunst und Geschichtsschreibung 227 Abb. 1: Regensburg, ehem. Benediktinerkloster St. Emmeram, Grundriss, Kupferstich, in: Coelestin Vogl, Mausoleum [...], Regensburg 3 1680. 1762-1791) und Cölestin Steiglehner (reg. 1791-1810) haben das Kloster am Rande der Regensburger Altstadt noch einmal zu einem viel beachteten Brennpunkt der monastischen Kultur ausgebaut. Dabei gingen sie mit unverkennbarer Behutsamkeit ans Werk. Sie haben den Komplex nicht völlig neu aufgeführt, sondern den überkommenen Architekturbestand beibehalten und im Stil der Zeit umgestaltet. Der Konvent begnügte sich mit zurückhaltenden Modernisierungen, die am Grundbestand der Architektur keine gravierenden Änderungen vornahmen. Der Respekt vor der reverentia und magnificentia der Geschichte 10 war hier größer als die zeitübliche Eitelkeit und die Absicht, zu den großen Bauprälaten der Epoche in Konkurrenz zu treten. 11 Die Modernisierung konzentrierte sich auf eine höchstrangige Innenausstattung. Sie wurde etwa im Bibliotheksraum realisiert. 12 Damit gehö- 10 M ICHAEL S CHMIDT , Reverentia und Magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert, Regensburg 1999. 11 G ERDA M AIER -K REN , Die bayerischen Barockprälaten und ihre Kirchen, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 3 (1969), 123-324. 12 M AX P IENDL , Bedeutende Kunstentdeckung: Ein Werk von Cosmas Damian Asam in der Fürstlichen Bibliothek, in: Regensburger Almanach (1968), 25-32; D ERS ., Baugeschichte (wie Anm. 9), 302- 321; E BERHARD D ÜNNINGER , Die Bibliothek von St. Emmeram als Spiegel von Literatur und Wissenschaft, in: St. Emmeram in Regensburg (wie Anm. 5), 235-243. Alois Schmid 228 ren die Emmeramer Klostervorstände - wie etwa auch der Propst des Augustiner-Chorherrenstiftes Polling, Franziskus Töpsl (reg. 1744-1796) 13 - zu jenen Prälaten, die aus Ehrfurcht vor der Leistung der Alten auf deren Fundamenten aufgebaut und auch den Baubestand lediglich dem Geiste der Zeit angepasst haben. Hier ist hauptsächlich P. Johann Baptist Kraus zu nennen, der seit 1730 das Amt des St. Emmeramer Cellerars bekleidete und 1742 zum Abt gewählt wurde. 14 Er hat im Wesentlichen den Umbau als renovatio realisiert; sein Grundziel war, das Gotteshaus ad modernam maiestatem et magnificentiam zu führen. 15 Dabei ist wichtig: Diese Baumaßnahmen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verleihung der Reichsfürstenwürde im Jahre 1732. Dieses Grundziel der Emmeramer Prälaten wurde zur gleichen Zeit auf zwei Wegen angesteuert: durch eine anspruchsvolle Bautätigkeit und flankierende wissenschaftliche Abhandlungen. Die wichtigste Maßnahme im Baubereich war die Neugestaltung der Kirche. 16 Der romanische Grundriss der dreischiffigen Basilika wurde beibehalten. 17 Eine umfassende Stuckierung und malerische Ausgestaltung sollten sie dem Stilempfinden der Zeit anpassen. Diese Arbeiten vertrauten Fürstabt Godin und sein Cellerar Kraus den besten erreichbaren Künstlern an. Es wird nicht verwundern, dass der leistungsfähige Konvent dafür keine Geringeren als die Brüder Asam gewinnen konnte. 18 Beide hatten sich durch die vorausgehende Barockisierung des Doms zu Freising für diese Aufgabe empfohlen. In den Jahren 1731 bis 1733 arbeiteten sie für das Reichsstift St. Emmeram und haben dessen Kirche im Wesentlichen die Ausstattung vermittelt, die sie noch heute aufweist. Die Bauarbeiten wurden Johann Michael Prunner aus Linz übertragen. Hier ist vor allem das ikonographische Programm von Interesse (Abb. 2), das der Umgestaltung der Klosterkirche zugrunde liegt. Die barocke Ausstattung fußt nämlich auf einem Konzept, das mit bemerkenswerter Konsequenz umgesetzt wurde. 19 Es können vier Teile unterschieden werden: 13 R ICHARD VAN D ÜLMEN , Propst Franziskus Töpsl (1711-1796) und das Augustiner-Chorherrenstift Polling. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Aufklärung in Bayern, Kallmünz 1967, bes. 52- 60. Zu Töpsl siehe auch den Beitrag von W OLFGANG J AHN im vorliegenden Band. 14 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 56-77. 15 So J AKOB P ASSLER , Hierosophia (1747), MS Pfarrarchiv St. Emmeram Regensburg, p. 656. Druck in: P IENDL , Quellen (wie Anm. 9), 156. 16 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 56-77; M ORSBACH , St. Emmeram (wie Anm. 4), 20. 17 P IENDL , Baugeschichte (wie Anm. 9), 325-331; J OCHEN Z INK , Zur frühen Baugeschichte der ehem. Benediktinerklosterkirche St. Emmeram in Regensburg, in: 1250 Jahre (wie Anm. 9), 79-176, bes. 171-176; D ERS ., Neue Forschungen zur Baugeschichte von St. Emmeram und St. Rupert, in: St. Emmeram in Regensburg: Geschichte - Kunst - Denkmalpflege (Thurn und Taxis-Studien, Bd. 18), Kallmünz 1992, 117-162. 18 B ERNHARD R UPPRECHT , Die Brüder Asam, Regensburg 1980; B RUNO B USHART / B ERNHARD R UPPRECHT (Hrsg.), Cosmas Damian Asam 1686-1759. Leben und Werk, München 1986, 254- 257, Tafel 75-78. 19 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 61-77. Kunst und Geschichtsschreibung 229 Abb. 2: Regensburg, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Emmeram, Einblick. a) Der größte Block sind die insgesamt zehn großflächigen Fresken an den Seitenwänden des Langhauses. Ihr verbindendes Thema ist - naheliegenderweise - die Geschichte des Klosterpatrons, des hl. Emmeram. Der Alois Schmid 230 Freskenzyklus setzt die hier immer bekannte und in hohen Ehren gehaltene vita mit den miracula des Klosterpatrons 20 in folgerichtiger Anordnung bildlich um. Die Themen der zehn Fresken im Langhaus sind: - Herzog Theodo von Bayern (reg. ca. 680-725/ 728) bittet den ins Awarenland ziehenden Bischof Emmeram, in Bayern zu bleiben. - Bischof Emmeram übt im Herzogtum seine Missionstätigkeit durch Predigt aus. - Emmeram übernimmt die Verantwortung für die Schwangerschaft der Herzogstochter Uta. - Auf einer Romreise wird Emmeram bei Aschheim vom Gefolge des Herzogs zur Verantwortung gezogen. - Emmeram wird seiner Kleider beraubt und gemartert. - Bewohner der Umgebung von Aschheim nehmen den Sterbenden in ihre Obhut. - Pflügende Bauern entdecken abgeschlagene Gliedmaßen des getöteten Bischofs. - Emmeram wird in der Kirche zu Aschheim begraben. - Emmeram wird nach der Translation nach Regensburg in der Georgskirche bestattet. - Durch eine Wundertat wird ein den Heiligen schmähender Graf auf der Stelle bestraft. Dieser Freskenzyklus wird zu gleichen Teilen auf die beiden Längswände verteilt. In den Zyklus ist auch das Altarblatt des Hochaltares einbezogen, das freilich nicht erst in diesem Zusammenhang geschaffen wurde, sondern älter ist. Es wurde bereits 1666 von Joachim Sandrart gemalt: 21 Thema ist das grausame Martyrium des hl. Emmeram. Dieses ältere Bild wird in den Zyklus integriert. Obwohl es dessen Geschlossenheit durchbricht, bildet es durch seine Platzierung auf dem Hochaltar den Mittelpunkt der Bildersequenz. Das Hochaltarblatt wird aber auch thematisch sinnvoll genau an der richtigen Stelle zwischen Bild 5 und 6 eingefügt. Das ist der erste Teil. b) Diese zehn Szenen aus der Emmeramsgeschichte werden überwölbt vom Deckenfresko des Hauptschiffs, 22 das die Geschichte des Klosters zum 20 Druck: A RBEO VON F REISING , Vita vel Passio S. Haimhrammi episcopi et martyris Ratisbonensis, hrsg. von B RUNO K RUSCH (Monumenta Germaniae Historica SrG), Hannover 1920. 21 C HRISTIAN K LEMM , Joachim von Sandrart, Kunstwerke und Lebenslauf, Berlin 1986, 270-273, Nr. 133. 22 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 69f.; M ORSBACH , St. Emmeram (wie Anm. 4), 6, 26-28. Vgl. H ER- MANN B AUER , Über einige Gründungs- und Stiftungsbilder des 18. Jahrhunderts in bayerischen Klöstern, in: A NDREAS K RAUS (Hrsg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag II (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 79), München 1984, 259-272, hier 264-266 mit Abb. 5; B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), Tafel 4. Kunst und Geschichtsschreibung 231 Abb. 3: Regensburg, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Emmeram, Langhaus, Marterberg und Exemtion des Klosters, Deckenfresko, Cosmas Damian Asam, 1731-1733. Alois Schmid 232 Thema hat (Abb. 3). Wie an vielen Orten werden im zentralen Deckenfresko die wesentlichen Stationen der Geschichte des Hauses zur Darstellung gebracht. Hier wird eine zweite Ebene erreicht, die die Besonderheit des Klosters verdeutlichen will. Dabei wird diesem großflächigen Bild nicht mehr nur ein Ereignis zugrunde gelegt, es werden wesentliche Stationen der Vergangenheit des Hauses in einer großen Komposition zusammengefasst. So wird auf die römische Tradition mit der angeblichen Hinrichtung von Märtyrern an diesem Ort, der auch als mons martyrum bezeichnet wurde, Bezug genommen; damit ist ein über die Anfänge aller anderen bayerischen Klöster zurückweisendes Alter postuliert. Es werden die verschiedenen Kaiser vorgestellt, die mit dem Kloster in Zusammenhang stehen: Karl der Große (reg. 768-814), Arnulf von Kärnten (reg. 887-899), Heinrich II. (reg. 1002-1024). Der hl. Dionysius stellt die Verbindung zum französischen Königshaus her. Mit Dionysius, Wolfgang und Emmeram werden gleich drei Heilige in engsten Zusammenhang mit dem Kloster gebracht. Papst Leo III. (reg. 795-816), der angeblich die Exemtion verliehen habe, verknüpft den Konvent mit der römischen Kurie. Diese Einzelheiten ergeben insgesamt ein anderes Gesamtprogramm: Während auf den Fresken der Seitenwände die bayerische Geschichte den entscheidenden Bezugsrahmen abgibt, weitet das Deckenfresko des Hauptschiffs den Blick über Bayern hinaus auf das Reich. Wie sich das Heilige Römische Reich in die Nachfolge des Imperium Romanum stellte, wird auch hier der Bezug sowohl zum Römischen Reich der Antike als auch zum Heiligen Römischen Reich des Mittelalters hergestellt. Im Vergleich mit den umliegenden Klöstern werden als wesentliche Vorzüge das höhere Alter, die besondere Förderung durch namhafte Kaiser, die Exemtion durch den Heiligen Stuhl und das Wirken gleich mehrerer Heiliger hervorgehoben. Das Deckenfresko unterstreicht also den Reichsstiftcharakter des Klosters, dessen Ausstrahlungskraft sogar noch darüber hinaus gereicht habe. Damit wird an zentraler Stelle der entscheidende Unterschied zu den vielen Klöstern der bayerischen Umgebung herausgestellt, die nur landsässig waren. c) Eine dritte Ebene wird im Deckenfresko des Chors 23 erreicht, welches das Kloster in die Geschichte des Ordens der Benediktiner einbettet (Abb. 4). Im Mittelpunkt steht, auf einer Wolke schwebend, der Ordensvater Benedikt, aus dessen Gründung sich weitere Ordensgemeinschaften herausentwickelt hätten. Diese werden unterteilt in ordines spirituales und ordines militares, die dann einzeln mit bezeichnenden Attributen vorgestellt werden. Zentrales Thema dieses Bildes ist der hl. Benedikt als Vater des abendländischen Mönchtums und damit der abendländischen Kirche und 23 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 74f. Kunst und Geschichtsschreibung 233 Abb. 4: Regensburg, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Emmeram, Chor, Der hl. Benedikt als Vater des abendländischen Mönchtums und der abendländischen Kirche (Glorie des hl. Benedikt), Deckenfresko, Cosmas Damian Asam, 1731-1733. Alois Schmid 234 Kultur. Die Benediktiner tragen sie in alle Kontinente und verteidigen sie als entscheidende Helfer des Papsttums gegen die vielfältigen Anfechtungen der Häresie. Dieses Fresko ist eine große Lobeshymne auf den Orden des hl. Benedikt. Es wurde unverkennbar nach einer literarischen Vorlage konzipiert. 24 d) Neben diesen drei Freskengruppen, der „wohl bekanntesten und sicherlich künstlerisch bedeutendsten Bilderreihe zu Ehren Emmerams“ 25 , sind die jeweils fünf Statuen zu betrachten, die Egid Quirin Asam als monumentale Stuckfiguren im Chor und an den Längswänden zwischen den Gemälden plazierte. 26 Malerei und Skulptur treten in ein spannungsvolles Nebeneinander. Auf jeder Seite werden fünf Stuckplastiken angebracht, die Cosmas Damian Asam gefertigt hat. Auch hier lässt sich eine Rangordnung herausarbeiten. In den Chor stellte Asam mit Karl dem Großen und Heinrich II. die zwei höchstrangigen weltlichen Förderer des Stifts, die beide seit dem Hochmittelalter kanonisiert waren, an die herausragende Stelle. Im Langhaus plazierte er dann Statuen der bedeutendsten Persönlichkeiten, die aus dem Konvent hervorgegangen sind und segensreich im Reich gewirkt haben: Tuto, Gunther, Wilhelm von Hirsau, Adalbert, Tagino, Ramwold, Boso, Aspert. Auch diese Stuckstatuen unterstreichen die Beziehungen zum Reich und die dorthin ausstrahlende Bedeutung des Hauses. Zusammenfassend ist festzustellen: Die bildliche Ausstattung lässt ganz deutlich eine Dreigliederung erkennen. Sie verweist auf drei Ebenen, in denen die Bedeutung des Klosters gesucht wird und durch die es sich vom monastischen Umfeld abhebt: Die Emmeramsgeschichte stellt Bezüge zur bayerischen Geschichte her. Die Beziehungen zum Kaiser- und Papsttum betonen den Rang als Reichsstift. Darüber hinaus wird vor allem die Einbettung in den Ordensverband der Benediktiner hervorgehoben. 27 Durch die Anordnung der Ausstattungselemente ist zugleich eine Wertordnung vorgegeben, die fest im Denken vor allem des Cellerars Kraus verwurzelt ist. Er erkannte von den beiden Komponenten des Doppelcharakters des Stiftes als weltlicher und geistlicher Einrichtung eindeutig der geistlichen Komponente den Vorrang zu. 28 Damit trat er in einen gewissen Gegensatz zu vielen Prälaten seiner Zeit, die andere Akzente setzten. Johann Baptist Kraus ist zusammen mit seinem Konvent mehr der konservativen Richtung 24 A RNOLD W ION , History des gantzen Ordens S. Benedicti, übersetzt von Carl Stengel, Augsburg 1607. 25 B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 286. 26 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 74f. 27 Vgl. dazu auch K ARL S CHLEMMER , Die barocke Benedictusvita als Bildprogramm im Refektorium der ehemaligen Reichsabtei St. Emmeram in Regensburg, Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 19 (1985), 133-137. 28 Diese Rangordnung der Grundmotive bringt zutreffend zum Ausdruck schon im Haupttitel G REIPL , Kraus (wie Anm. 3): Abt und Fürst. Kunst und Geschichtsschreibung 235 innerhalb der Barockprälaten zuzurechnen. Er gehört mehr in die Richtung, wie sie etwa auch der Pollinger Prälat Franziskus Töpsl vertrat. 29 Somit bleibt festzuhalten: Mit den Mitteln der Kunst wird bei der Innenausstattung der Klosterkirche St. Emmeram ein Programm zum Ausdruck gebracht, das eine mehrfache historische Aussage beinhaltet. Die wesentlichen Elemente sind: - Das Kloster ist eine der ältesten geistlichen Einrichtungen in Regensburg und Bayern, mit der die Anfänge des Christentums im Lande verbunden sind: Die Anfänge von Kirche und Kloster reichen in die Römerzeit zurück. - Das Kloster steht in enger Verbindung zu den Herzögen von Bayern, die es gegründet und vielfach gefördert haben. Die Verbindungen auch zu den Wittelsbachern sind vielfältig. - Doch sind darüber hinaus von hier machtvolle Impulse für das Reich ausgegangen, indem einzelne Mönche in der Reichsgeschichte eine führende Rolle spielten. Die Gegenleistung der Kaiser war eine rege Förderung durch alle Jahrhunderte des Mittelalters. Deswegen war es ein Grundziel der Umbaumaßnahme, ecclesiam augustiorem reddere: ihr ein besonderes kaiserwürdiges Aussehen zu verschaffen. 30 Der Chor der Kirche wird geradezu in Anlehnung an einen Kaisersaal gestaltet. - Das Kloster steht aber auch in enger Verbindung zum Heiligen Stuhl in Rom. - Es stellt einen der großen Brennpunkte des kirchlichen und klösterlichen Lebens - nicht nur in Bayern, sondern durchaus auch in Deutschland - dar. - Dennoch sah der Konvent seine vornehmste Aufgabe nicht in der Wahrung seiner weltlichen Position. Er legte noch größeren Wert auf seine Bedeutung als wichtiger Baustein der benediktinischen Welt, unter deren Oberdach er seinen Beitrag zur Evangelisierung der Menschheit erbrachte. 2. Die wissenschaftlichen Grundlagen Die künstlerische Ausstattung der Klosterkirche basiert also unverkennbar auf einem Programm, das in jeder Einzelheit durchdacht, in sich stimmig und geschlossen ist. Es wurde, vom Konvent vorgegeben, mit Konsequenz umgesetzt. Die Fürstäbte Anselm Godin und Johann Baptist Kraus waren 29 V AN D ÜLMEN , Töpsl (wie Anm. 13), 317-329. 30 So P ASSLER , Hierosophia (wie Anm. 15). Alois Schmid 236 sehr kulturbewusste Persönlichkeiten, die sich mit Fragen der Geschichte ihres Hauses intensiv beschäftigten und auch literarisch hervorgetreten sind. 31 Godin und Kraus waren an der Erstellung des ikonographischen Programms beteiligt. Es basiert auf der eingehenden Kenntnis einerseits der Geschichte des Hauses, andererseits aber auch der allgemeinen Geschichte Bayerns, des Reiches und der Kirche. Diese Disziplinen wurden im Hausstudium seit alters intensiv gepflegt. Im Konvent lebte und wirkte der bedeutendste Historiker, über den der bayerische Raum damals verfügte: P. Roman Zirngibl (1740-1816), der im Umkreis der frühen Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine herausragende Rolle spielte. 32 Das Ausstattungsprogramm der Klosterkirche wurde vom Kloster vorgegeben, wo hoher geschichtlicher Sachverstand beheimatet war. Dieses ausgeprägte historische Interesse hat seinen Niederschlag zum anderen in einer ungewöhnlich regen Hausgeschichtsschreibung gefunden, die sich durch alle Jahrhunderte zieht. Und damit ist der zweiten Sektor angesprochen, der die künstlerische Aussage vorbereitete, begleitete und unterbaute: die Historiographie. Sie wurde im Kloster St. Emmeram von den Anfängen durch alle Jahrhunderte intensiv gepflegt. Die Beschäftigung mit diesem literarischen Genus setzt mit der Vita des hl. Emmeram aus der Feder des Bischofs Arbeo von Freising (reg. 764/ 765-782/ 783) ein. 33 Weil der Konvent in dieser Frühzeit noch über keinen hinreichend qualifizierten eigenen Literaten verfügte, hat er den besten erreichbaren Autor in seine Dienste genommen und von diesem eine Lebensbeschreibung des Klosterpatrons im Stil der Zeit anfertigen lassen. 34 Diese Vita ist bis heute die entscheidende Quelle. Im 11. Jahrhundert haben ihr der Konventuale Arnold von St. Emmeram 35 und andere 36 ein neues zeitgemäßes sprachliches Kleid verliehen. In allen Jahrhunderten hat sie der Konvent in Ehren gehalten. 37 31 A NDREAS K RAUS , Die benediktinische Geschichtsschreibung im neuzeitlichen Bayern, in: Studien zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 80 (1969), 205-229 sowie in: D ERS ., Bayerische Geschichtswissenschaft in drei Jahrhunderten. Gesammelte Aufsätze, München 1979, 106-148, hier 116f., 140, 178f., 215, 234 und 237. 32 K RAUS , P. Roman Zirngibl (wie Anm. 1). 33 A RBEO VON F RESING , Vita vel Passio (wie Anm. 20); vgl. B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 38-60. 34 Zu Arbeo von Freising zusammenfassend H UBERT G LASER , Bischof Arbeo von Freising (764-783), in: G EORG S CHWAIGER (Hrsg.), Christenleben im Wandel der Zeit, Bd. 1, München 1987, 21-34. 35 A RNOLD VON S T . E MMERAM , Libro de S. Emmerammo, hrsg. von G EORG W AITZ (Monumenta Germaniae Historica Scriptores in folio IV), Hannover 1841, 543-574. Zu Arnold vgl. A NDREAS K RAUS , Die Translatio S. Dionysii Areopagitae, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1972. 36 B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 60-68. 37 Zur Emmeramsverehrung grundlegend B ERNHARD B ISCHOFF , Literarisches und künstlerisches Leben in St. Emmeram (Regensburg) während des frühen und hohen Mittelalters, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 51 (1933), 102-142; D ERS ., Studien zur Geschichte des Klosters St. Emmeram im Spätmittelalter (1324-1525), in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 65 (1951), 152-194 (erweiterter Kunst und Geschichtsschreibung 237 Das gilt auch für das 17. und 18. Jahrhundert, wo man sich im Zuge der allgemeinen Rückbesinnung auf die Quellen intensiv mit ihr beschäftigte. Die Vita liegt in den Fassungen Arbeos und Arnolds dem Freskenzyklus im Langhaus unverkennbar zugrunde. Für jedes dieser Fresken lässt sich in dieser Hauptquelle die entsprechende Bezugsstelle ermitteln. Der Freskenzyklus ist die bildliche Umsetzung der Hauptkapitel der Emmerams-Vita. Anders sind die Deckenfresken angelegt. Sie sind die summierende Kompilation eines großen historischen Mosaiks, in dem das ausgeprägte Geschichtsbewusstsein des Hauses zum Ausdruck gebracht wurde. Dieses umfassende Geschichtsbewusstsein hat in mehreren Gesamtdarstellungen im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg seinen literarischen Niederschlag gefunden. Das Reichsstift St. Emmeram hat eine ungewöhnlich rege und hochrangige Hausgeschichtsschreibung gepflegt. Es sind vor allem drei Fassungen zu unterscheiden: a) Am Anfang steht ein schmächtiger Quartband von Abt Cölestin Vogl, mit dem Titel: Mausoleum oder Herrliches Grab des Bayrischen Apostels und Bluttzeugens Christi S. Emmerami, erstmals erschienen im Jahre 1661 (Abb. 5a und b). Weitere Auflagen folgten rasch. 38 Abt Vogl verfasste sein Werk aus zweierlei Gründen. Er war zum einen ein großer Verehrer des Hausheiligen. Zum anderen war es ihm ein besonderes Anliegen, den Rang und die Größe seines Klosters einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das gilt besonders für die unmittelbare Umgebung in der Reichsstadt Regensburg, die sich seit mehr als einem Jahrhundert zum Protestantismus bekannte. Diesem andersgläubigen Umfeld wollte er den herausragenden Rang des Hauses und seines Hauptpatrons mit Nachdruck vor Augen stellen. Er wollte den hl. Emmeram sogar als bayerischen Landespatron ins Gespräch bringen. b) Ein halbes Jahrhundert nach Abt Cölestin Vogl machte sich der Nachfolger im Amt des Klostervorstands Anselm Godin an eine Überarbeitung in wesentlich ausgeweiteter Form (Abb. 6a und b). Er legte seine Fassung ungleich breiter an. Sie trug den Titel: Ratisbona politica und erschien 1729. 39 Im Wesentlichen handelt es sich um eine historische Beschreibung der Stadt Regensburg, die den herausragenden Stellenwert des Klosters in diesem politischen Umfeld verdeutlichen sollte. Die Neubearbeitung steht Nachdruck dieser Studien in: D ERS ., Mittelalterliche Studien, Bd. 2, Stuttgart 1967, 77-155); B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 38-125. 38 C ÖLESTIN V OGL , Mausoleum oder Herrliches Grab des bayrischen Apostels und Bluttzeugens Christi S. Emmerami, Stadtamhof 1661, 1672, 1680; vgl. B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 93-95; G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 156-165. 39 A NSELM G ODIN , Ratisbona politica, das ist […] erster Teil des erneuerten Mausolei, Regensburg 1729; vgl. B ABL , Emmeram von Regensburg (wie Anm. 2), 95f., 198-202; G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 165-169. Alois Schmid 238 Abb. 5a: Coelestin Vogl, Mausoleum [...], Regensburg 3 1680, Titelblatt. Kunst und Geschichtsschreibung 239 Abb. 5b: Martyrium des hl. Emmeram und Ansicht des Klosters, Kupferstich, in: Coelestin Vogl, Mausoleum [...], Regensburg 3 1680. natürlich in engstem Zusammenhang mit dem Kampf um die Reichsfürstenwürde, deswegen erhielt sie den Obertitel Ratisbona politica. Doch vermochte der vielbeschäftigte Fürstabt sein ehrgeiziges Vorhaben nicht zum Alois Schmid 240 Abb. 6a: Anselm Godin, Ratisbona politica [...], Regensburg 1729, Titelblatt. Kunst und Geschichtsschreibung 241 Abb. 6b: Das mit „glorwürdigen Helden“ besetzte Schiff des Hauses Bayern wird auf dem „unerschöpflichen Gnadenmeer“ der göttlichen Wohltaten vor dem Panorama der Hauptstadt Regensburg kraftvoll vorangetrieben, Kupferstich, in: Anselm Godin, Ratisbona politica [...], Regensburg 1729. Abschluss zu bringen. Die geplanten weiteren Teile über die Kloster- und Kirchengeschichte sind nie im Druck erschienen. c) Aus diesem Grund machte sich der Nachfolger im Amt des Klostervorstands Johann Baptist Kraus schon wenige Jahre später erneut ans Werk (Abb. 7). Die von ihm vorgelegte dritte Fassung ist besonders wichtig, weil sie sich wieder stärker auf die Klostergeschichte konzentrierte. Sie erhielt den bezeichnenden Titel Ratisbona Monastica. 40 Der Hauptinitiator der Umgestaltung konnte seine Ausarbeitung unmittelbar nach dem Abschluss der Baumaßnahme im Jahre 1752 vorlegen. Kraus behandelte die Hausgeschichte in ungleich größerer Ausführlichkeit als seine Vorgänger und zog zur Untermauerung auch zahlreiche Urkunden bei. Dieser mächtige Quartband ist bis heute wichtig für jede Beschäftigung mit der Geschichte des Klosters. d) Neben diesen drei zur Veröffentlichung gebrachten und deswegen gut bekannten Gesamtdarstellungen liegt noch ein viertes, nicht zum Druck gelangtes Werk vor, das der Konventuale P. Jakob Paßler (1705-1772) ver- 40 J OHANN B APTIST K RAUS , Ratisbona monastica - Clösterliches Regensburg 1: Mausoleum [...] S. Emmerami, Regensburg 1752; vgl. G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 169-171. Alois Schmid 242 Abb. 7: Johann Baptist Kraus, Ratisbona monastica [...], Regensburg 4 1752, Titelblatt. Kunst und Geschichtsschreibung 243 fasst hat. Es trägt den Titel Hierosophia (1747). 41 Auch Paßler arbeitete in diese noch ausführlichere Darstellung zahlreiche Dokumente ein, die nicht mehr im Original erhalten sind. Zudem werden hier viele Einzelheiten aus dem inneren Leben des Konventes geboten. Unter anderem geht P. Jakob Paßler ausführlich auf die Baumaßnahmen des Konventes ein. In diesem Rahmen gibt er auch eine genaue Beschreibung der Fresken, 42 die zudem in einer separaten Printversion auf dem Buchmarkt zur Veröffentlichung gebracht worden sind. 43 Alle diese Werke der ungewöhnlich regen und bedeutenden Emmeramer Haushistoriographie sind zur Interpretation der Ausstattung des Kirchenumbaus beizuziehen. In ihnen sind die Grundgedanken einerseits zur Emmerams-Vita, andererseits zum Selbstverständnis des Konventes literarisch niedergelegt. Für jedes der Gemälde lässt sich hier das interpretatorische Grundgerüst nachweisen. - Den Nachweis hat Egon Johannes Greipl in seiner Dissertation im Einzelnen geführt. 44 - Deswegen ist die barocke Ausstattung der Klosterkirche von St. Emmeram ein aussagekräftiger Beleg für den hier untersuchten Zusammenhang von Geschichtsschreibung und Kunst. Der Blick in die Historiographie ist sogar besonders wichtig; denn anderes Quellenmaterial wie Rechnungen oder Briefe stehen für diesen Vorgang nicht zur Verfügung. 45 Deswegen liefert die Historiographie den entscheidenden Schlüssel zur Interpretation der barocken Innenausstattung. 3. Die Hochgräber Der hier zur Behandlung anstehende Zusammenhang von Kunst und Geschichtsschreibung kann an anderen Gegenständen der Geschichte dieses Klosters weiterverfolgt werden. Ein nicht minder aussagekräftiges Untersuchungsobjekt sind die viel beachteten Hochgräber in St. Emmeram, 46 die überwiegend in das hohe und beginnende Spätmittelalter zu datieren sind. 41 P ASSLER , Hierosophia (wie Anm. 15). Deswegen wurden mehrere Abschnitte aufgenommen in die grundlegende Quellensammlung: P IENDL , Quellen (wie Anm. 9), 152-168, Nr. 146; vgl. G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 61f. 42 P ASSLER , Hierosophia (wie Anm. 15), 657-746. 43 Sanctus Emmeramus glorreicher Martyrer aus Liebe Gottes und des Nächsten vorgestellt in der fürstlichen Stiffts-Kirchen S. Emmerami in Regensburg durch Herrn Cosmas Damian Asam, berümten Mahler, Regensburg: Lang 1740 (ein Exemplar: Regensburg, Bibliothek des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, Nr. 2091). 44 G REIPL , Kraus (wie Anm. 3), 58-77. 45 Zur Quellenlage vgl. R UPPRECHT , Die Umgestaltung (wie Anm. 6), 225f. 46 A LOIS S CHMID , Die Herrschergräber in St. Emmeram zu Regensburg, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 32 (1976), 333-369. Alois Schmid 244 Abb. 8: Regensburg, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Emmeram, Grundriss mit Eintragung der Begräbnisstätten, Kupferstich, in: Coelestin Vogl, Mausoleum [...], Regensburg 3 1680. Kunst und Geschichtsschreibung 245 Abb. 9a und b: Legende zu den Begräbnisstätten in Abb. 8. Alois Schmid 246 Der Konvent zeichnete sich weiterhin durch eine bemerkenswerte Pflege der Sepulkralkultur aus (Abb. 8, 9a und b). 47 Diese Ausstattungselemente bringen dieselben Grundgedanken zum Ausdruck wie die Fresken. Es sind, erstens, die bedeutendsten Mitglieder des Konvents, die durch Hochgräber geehrt werden: die Abtbischöfe Emmeram, Tuto (reg. 894-930) und Wolfgang (reg. 972-994) sowie der Reformabt Ramwold (reg. 975-1000). Es sind, zweitens, bedeutende Vertreter der Reichsgeschichte, die die Verbindung zum Reich auch auf dieser Ebene unterstreichen: Kaiser Arnulf von Kärnten (reg. 887-899) und König Ludwig das Kind (reg. 900-911) sowie Königin Hemma (um 810-876), die Gemahlin Ludwigs des Deutschen (reg. 817-876). Und es sind zum Dritten herausragende Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte, die durch Hochgräber geehrt wurden. Die als Selige verehrte Aurelia sollte - wie der hl. Dionysius und der letzte Merowingerkönig Childerich III. (reg. 743-751) - die Verbindung zur politischen und kirchlichen Geschichte in Frankreich und damit Europa herstellen. Dabei ist man sogar vor falschen Zuweisungen nicht zurückgeschreckt. Dass der Luitpoldingerherzog Arnulf (reg. 907-937) hier bestattet sein könnte, erscheint ausgeschlossen. Mit Gewissheit ist auch Herzog Heinrich II., der Zänker, nicht hier, sondern im Stift Gandersheim zur letzten Ruhe gebettet worden. Dennoch wurde für die Luitpoldingerherzöge ein Hochgrab gezeigt, das in beiden Fällen bis heute als gewichtiges Argument für die Lokalisierung ihrer Grabstätten in Anspruch genommen wird. Ähnliches gilt für das Hochgrab des Grafen Warmund (Daten unbekannt), dessen auf der Deckplatte eingemeißeltes Todesjahr 1010 und Zuweisung zu den Grafen von Wasserburg große Schwierigkeiten bereiten. Die auffallenden Bemühungen des Klosters um die Sepulkralkultur setzten bereits im hohen Mittelalter ein und dauerten bis zur Säkularisation nahezu ungebrochen fort. Auch die angestrengte Pflege dieser einzigartigen Sepulkralkultur fand Untermauerung in der regen Haushistoriographie. Das macht die bereits genannte früheste Gesamtdarstellung der Klostergeschichte von Cölestin Vogl durch den programmatischen Titel deutlich: Mausoleum sancti Emmerami. 48 Der besondere Rang des Hauses wurde in erster Linie mit den vielen hochrangigen Toten begründet, die in der Kirche wirklich ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten oder aber auch für das Kloster nur in Anspruch genommen wurden. Der bereits hier verwendete entscheidende Begriff mausoleum spielt in allen Neubearbeitungen der Klostergeschichte eine zentrale Rolle. Gerade dieser Sachverhalt erfuhr 1751 noch einmal eine programma- 47 E CKHARD F REISE / D IETER G EUENICH / J OACHIM W OLLASCH (Bearb.), Das Martyrolog - Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg (Monumenta Germaniae Historica Libri memoriales et Necrologia NS 3), Hannover 1986. 48 V OGL , Mausoleum oder Herrliches Grab […] S. Emmerami (wie Anm. 38). Kunst und Geschichtsschreibung 247 tische Neufassung durch den für die an dieser Stelle zu untersuchende Thematik besonders wichtigen Fürstabt Johann Baptist Kraus: Bericht von denen heiligen Leibern und Reliquien, welche in dem fürstlichen Reichsgotteshaus S. Emmeram aufbehalten werden. 49 St. Emmeram hat seine einzigartige Bedeutung innerhalb der Bavaria sancta immer mit den Gräbern herausragender Personen unterstrichen, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Die Grabstätten wurden mit den Mitteln einerseits der Kunst und andererseits der Wissenschaft mit großem Nachdruck hervorgehoben. Diese Tatsache bestätigt die bei der Betrachtung der Innenausstattung getroffene Feststellung: Im Kloster Sankt Emmeram lässt sich der Zusammenhang von Geschichtsschreibung und Kunst in mehrfacher Hinsicht illustrieren. In diesem Sinne urteilte völlig zu Recht Bernhard Rupprecht: „Von den zahlreichen Umbauten und Neugestaltungen älterer Kirchen in der Barockzeit dürfte St. Emmeram mit dieser Vielfalt von anschaulich gemachten programmatischen Dimensionen mit Abstand die wichtigste und interessanteste sein“. 50 49 J OHANN B APTIST K RAUS , Bericht von denen heiligen Leibern und Reliquien, welche in dem fürstlichen Reichsgotteshaus S. Emmeram aufbehalten werden, Regensburg 1751. 50 R UPPRECHT , Die Umgestaltung (wie Anm. 6), 234. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk und die Visualisierung benediktinischer Tradition Werner Telesko Obwohl die Ausstattung der Stiftskirche von Melk (Niederösterreich) bereits mehrfach Gegenstand von historischen und kunsthistorischen Untersuchungen war, sind keineswegs alle damit zusammenhängenden Forschungsprobleme geklärt. So ist etwa weder die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung des Programms und dessen visueller Umsetzung noch jene nach dem konkreten Anteil Abt Berthold Dietmayrs (reg. 1700-1739) als gelöst anzusehen. 1 In die Amtszeit dieses für Melk so wichtigen Prälaten fällt die Diskussion um die Entscheidung, wie man mit dem Altbau des Stifts im Sinn eines Um- oder Neubaus umgehen sollte. Am 30. Juli 1701 ließ Abt Berthold Dietmayr, der am 18. November 1700 zum Melker Abt gewählt worden war und am 20. April 1701 von Papst Clemens XI. die Bestätigung erhalten hatte, 2 mit einer deutlichen persönlichen Präferenz für eine radikale Lösung im Konvent über die weitere Vorgangsweise abstimmen. 3 Aus den 27 erhalten gebliebenen Stellungnahmen sind jene von Pater Bonifaz Gallner (1678- 1727), der für einen vollständigen Neubau der Kirche mit zwei Westtürmen und einer Kuppel votierte, und jene von Pater Basilius ohne Zweifel die interessantesten Dokumente. 4 Essentiell für die Gesamtplanung ist vor allem das 1 Zusammenfassend zu den Fresken vgl. E RICH H UBALA , Johann Michael Rottmayr, Wien / München 1981, 63-82, 164-167; 900 Jahre Benediktiner in Melk, Ausst.-Kat., Melk 1989, 324-328; H ELL- MUT L ORENZ (Hrsg.), Barock (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 4), München / London / New York 1999, 342f., Nr. 96 (K ARL M ÖSENEDER ); W ERNER T ELESKO , „Sanctus Benedictus triumphans“. Die Langhausfresken der Stiftskirche von Melk (1720/ 1721) und die Rolle Abt Berthold Dietmayrs, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 117 (2006), 213-235. 2 F RIEDRICH H OLLY , Abt Berthold Dietmayr von Melk, Diss. phil. Mskpt., Wien 1949, 28; W ILFRIED K OWARIK / G OTTFRIED G LASSNER / M ETA N IEDERKORN -B RUCK , Melk, in: U LRICH F AUST / W ALTRAUD K RASSNIG (Bearb.), Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol (Germania Benedictina, Bd. III/ 2), St. Ottilien 2001, 526-654, hier 556f. 3 G ERHARD F LOSSMANN , Der Bau der Melker Stiftskirche (1701-1715), in: W ILFRIED K OWARIK (Schriftl.), Stift Melk. Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Melk 1980, 11-36, hier 14; L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Zur Planentwicklung des Melker Stiftsbaues unter Abt Berthold Dietmayr (1700-1739), in: W ILFRIED K OWARIK (Schriftl.), Stift Melk. Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Melk 1980, 120-171, hier 142. 4 Melk, Stiftsarchiv, 6. Konvent 3; P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Planentwicklung (wie Anm. 3), 125- 131, Abb. 13; H UBERTA -A LEXANDRA W EIGL , Die Klosteranlagen Jakob Prandtauers, Bd. 1, Diss. phil. Mskpt., Wien 2002, 29f., Anm. 119, Abb. 20; zusammenfassend: D IES ., Architekt und Auftraggeber. Jakob Prandtauer, Abt Berthold Dietmayr und das „Gesamtkunstwerk“ Stift Melk, in: W ILLI- Werner Telesko 250 Faktum, dass mit dem Tag der Abstimmung und seinen Ergebnissen das zuvor ventilierte Umbauprojekt der Stiftskirche hinfällig wurde. 5 Wesentlich in diesem Zusammenhang scheint zudem, dass die Ausstattungsgeschichte der Melker Stiftskirche nicht primär von Künstlern gesteuert wurde, sondern vom Abt höchstpersönlich: Bereits in den Kontrakt mit Prandtauer (1702) ließ Abt Dietmayr den Passus aufnehmen, dass ohne sein Wissen und Einverständnis nichts geändert werden dürfe. Im Jahr 1716 sicherte er sich überdies ein Mitspracherecht für den Fall der Freskierung vertraglich ab. 6 Als 1702 der Bau der Stiftskirche tatsächlich in Angriff genommen wurde, besaß Berthold Dietmayr höchstwahrscheinlich noch keine präzise Vorstellung, in welcher Weise dieses umfangreiche Projekt zu Ende geführt werden sollte. 7 Am 6. April 1716 schloss der Abt mit Johann Michael Rottmayr einen Vertrag über die Anfertigung der Deckenfresken der Stiftskirche und die Ausführung zweier Altarbilder ab. 8 Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Kontrakts blieb allerdings offen, ob entweder nach dem Ihme Herrn Rothmayr vorlegenten oder von demselben selbst zu erfünden habenden Desegno 9 zu freskieren sei. Das Bildkonzept wurde Rottmayr offenbar von Antonio Beduzzi vorgelegt, dessen Entwurfsskizzen im Jahr 1716 vorhanden gewesen sein dürften. Die Entwürfe dieses italienischen Dekorationskünstlers betrafen die Kuppel, die Kuppelpendentifs, das Presbyterium, die Leopoldskapelle sowie die Emporen. Für das Langhaus ist hingegen kein Entwurf überliefert. Huberta Weigl stellte sich in ihrer grundlegenden Arbeit zu Prandtauers Œuvre Beduzzis Rolle in Bezug auf die Freskierung in einer Funktion als „Mittler zwischen dem namentlich nicht bekannten Konzeptersteller und dem ausführenden Freskanten Rottmayr“ 10 vor. Der italienische Künstler hätte dergestalt das ausführliche lateinische Concetto in Entwürfe umgesetzt, das Rottmayr dann in der Folge zur Ausführung der Langhausfresken (1720/ 1721) übergeben wurde. Der entscheidende programmatische Ausgangspunkt, nämlich die Frage der konkreten Entstehungsumstände des Concetto, liegt aber trotz mancher Erhellungen im Bereich der gestalterischen Umsetzung nach wie vor weitgehend im Dunkeln. Aus gutem Grund wird man bei der Suche nach dem Programmverfasser auf Abt Dietmayr, BALD R OSNER / R EINELDE M OTZ -L INHART (Hrsg.), Junge Forschung in Niederösterreich (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, Bd. 49), St. Pölten 2007, 9-42. 5 W EIGL , Klosteranlagen (wie Anm. 4), 30f. 6 Ebd., 58. 7 Ebd., 59. 8 Melk, Stiftsarchiv, Kontrakt- und Quittungsbuch, 127-131, 11. Bauamt 1; W EIGL , Klosteranlagen (wie Anm. 4), 60, Anm. 240; H ANS T IETZE (Bearb.), Die Denkmale des politischen Bezirkes Melk (Österreichische Kunsttopographie, Bd. 3), Wien 1909, 196; 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1), 253, Nr. 28.12. 9 Zit. in: T IETZE , Melk (wie Anm. 8), 196. 10 W EIGL , Klosteranlagen (wie Anm. 4), 60, Anm. 242. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 251 den entscheidenden „Regisseur“ und die „oberste Instanz des Bauunternehmens“, 11 verweisen müssen. Diese gleichsam omnipräsente Bedeutung des Abtes für die Belange des Bau- und Ausstattungsgeschehens wird nicht zuletzt auch aus einer undatierten und unsignierten Entwurfszeichnung Antonio Beduzzis für die zum Torwartlhof gewandte Seite des Eingangstraktes 12 deutlich: Darin wird der auf der Spitze des Dreiecksgiebels angebrachte Stern als Sinnbild des Klosters bezeichnet, doch indiziert der (goldene) Stern in Blau zudem eine unmissverständliche Bezugnahme auf das persönliche Wappen Dietmayrs, das im ersten und vierten goldenen Feld die Hälfte eines schwarzen Adlers mit herausgeschlagener Zunge, ausgebreiteten Flügeln und vor sich gespreizten Waffen zeigt, im zweiten und dritten blauen Feld einen goldenen Stern sowie im Herzschild die Schlüssel des Stiftswappens. 13 1. Das Programm der Langhausfresken An die Frage nach dem Anteil Dietmayrs in Bezug auf die Erstellung des Programms schließt sich notwendigerweise die Frage nach der spezifischen inhaltlichen Ausrichtung der Melker Langhausfresken (Abb. 1) an. Diese kann von der monastischen und kulturellen Situation des Stifts in den Jahren um 1700 nicht getrennt gedacht werden. Der Inhalt der Melker Fresken gipfelt in einer ungewöhnlichen doppelten gloria Benedictina, nämlich in jener des Ordensvaters und in der des Abtes. Im Folgenden soll nun der entscheidenden Frage nachgegangen werden, in welcher Weise das im Archiv des Stifts verwahrte schriftliche Programm zu den Deckenmalereien der Kirche 14 mit den aktuellen Ambitionen des Abtes und den historiographischen Strömungen im Stift Melk in Verbindung gebracht werden kann. Dabei gilt 11 Ebd., 62, 64. 12 Melk, Stiftsarchiv, Plansammlung, Nr. 275; W EIGL , Klosteranlagen (wie Anm. 4), 84, Abb. 110. 13 Zum Wappen Dietmayrs vgl. I GNAZ F RANZ K EIBLINGER , Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Niederösterreich, seinen Besitzungen und Umgebungen, Bd. 1, Wien 1851, 942, Anm. 2; A LFRED G RENSER , Die Wappen der Aebte des Stiftes Melk in Niederösterreich, in: Jahrbuch des Heraldisch- Genealogischen Vereines Adler in Wien 2 (1875), 159-173, hier 169f.; H OLLY , Dietmayr (wie Anm. 2), 28f.; W EIGL , Klosteranlagen (wie Anm. 4), 84. Die mit Datum 12. Februar 1739 im Namen des Priors P. Adrianus, des zukünftigen Abtes Adrianus Pliemel (reg. 1739-1745), und des Konvents auf Abt Berthold Dietmayr verfasste Totenrotel (Melk, Stiftsarchiv) veranschaulicht im Text und in den beigefügten Emblemen eindrucksvoll die Möglichkeiten der - auf Dietmayr bezogenen - metaphorischen Deutung von Stern und Adler (vor allem auf der Basis von Ez 17,3 [siehe fol. 1r]). Letzterer findet auch mit dem Abt unmittelbar Gleichsetzung (Aquilam dixero Abbatem nostrum BERTHOLDUM [fol. 1v]). Das erste und vierte Feld von Abt Pliemels Wappen entspricht dem Wappen Dietmayrs; vgl. K EIBLINGER , Geschichte, 977, Anm. 1. 14 Melk, Stiftsarchiv, 11. Bauamt 2; abgedruckt bei T IETZE , Melk (wie Anm. 8), 197; 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1), 252, Nr. 28.09; D AGMAR W EIDINGER , Die Freskenausstattung der Melker Stiftskirche von Johann Michael Rottmayr, phil. Diplomarbeit Mskpt., Wien 2004, 20-23, 64f.; T ELESKO , Langhausfresken (wie Anm. 1), 216f. Werner Telesko 252 es auch, die weit zurückreichende Tradition der Auffahrt Benedikts in den Himmel in die Betrachtung einzubeziehen. 15 Das Thema der drei Langhausfresken basiert auf den um 593/ 594 entstandenen und als literarische Quelle berühmten Dialogen Gregors des Großen (II 37): 16 Sie zeigen die triumphale Auffahrt des hl. Benedikt in die Glorie, wie sie zwei Mönche in der Todesstunde des Ordensvaters als Vision erblickt haben sollen. Nach dieser Erzählung sagte Benedikt einigen seinen Schülern, die sich bei ihm aufhielten, und einigen, die in der Ferne weilten, den Tag seines Todes voraus. Am Tag des Sterbens stand er, die schwachen Glieder unter den Händen seiner Schüler aufrecht haltend, mit zum Himmel erhobenen Händen und tat unter Worten des Gebetes den letzten Atemzug. 17 Die gleichzeitige Vision zweier Ordensbrüder an weit auseinander liegenden Orten beschreibt, wie eine mit Tüchern belegte und von unzähligen Lampen beleuchtete Straße von Benedikts Zelle zum Himmel führt. 18 Die beiden Mönche, denen die Vision zuteil wurde, sind höchstwahrscheinlich im östlichsten Joch des Langhauses dargestellt, von dem der Weg in den Himmel führt. 19 Den Weg repräsentiert eine von Lampen beleuchtete Stoffbahn, welche die durch die Gurtbögen getrennten Szenen des Langhauses verbindet und zum Teil durch - vor den Scheiteln der Gurtbögen positionierte - Wolken zu einer Einheit verschleift. Die Draperie fungiert somit als ein höchst ingeniöses „textkonformes Mittel der formalen Zusammenfassung“ 20 . In diesem Sinn wird dem Bericht der Gregordialoge zu einer völlig neuen Anschaulichkeit verholfen: Die Stoffbahn wird im wahrsten Wortsinn als Folie und Erzählinstrument für den triumphalen Aufstieg des Ordensvaters einge- 15 Grundlegend zur barocken Ikonographie des hl. Benedikt vgl. G REGOR M ARTIN L ECHNER , Der heilige Benedikt in der Ikonographie, in: 1500 Jahre St. Benedikt. Patron Europas, Ausst.-Kat. des Dommuseums zu Salzburg, Graz 1980, 21-45; D ERS ., Typologie und Gestaltwandel in der Darstellung des hl. Benedikt von Nursia, in: Alte und Moderne Kunst 25 (1980), H. 170, 22-27. 16 Des Heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge. Aus dem Lateinischen übersetzt von Prälat J OSEPH F UNK (Bibliothek der Kirchenväter 2. R. Bd. III), München 1933, 102f. 17 Zitiert nach G REGOR , Dialoge II 37 (F UNK [wie Anm. 16], 102f.); vgl. K ARL G ROSS , Der Tod des hl. Benedictus. Ein Beitrag zu Gregor d. Gr., Dial. 2, 37, in: Revue Bénédictine 85 (1975), 164-176, hier 172-175. 18 F UNK , Dialoge (wie Anm. 16), 103; G ROSS , Tod (wie Anm. 17), 171-175; V INCENZO R ECCHIA , La visione di S. Benedetto e la „compositio“ del secondo libro dei „Dialoghi“ di Gregorio Magno, in: Revue Bénédictine 82 (1972), 140-155. 19 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass sich das Stift Melk einer überaus frühen Tradition hinsichtlich der Überlieferung der Dialoge Gregors erfreute; die erste Übertragung dieses Textes ins Hochdeutsche durch den Mönch Johannes von Speyer um 1450 lässt sich bereits im Melker Codex 570 (olim 140) nachweisen; vgl. G EORG D UFNER , Die Dialoge Gregors des Großen im Wandel der Zeiten und Sprachen (Miscellanea erudita, Bd. 19), Padua 1968, 44f.; M ETA B RUCK , Profeßbuch des Klosters Melk, 1. Teil 1418-1452, in: W ILFRIED K OWARIK (Schriftl.), Stift Melk. Geschichte und Gegenwart, Bd. 4, Melk 1985, 79-202, hier 100, Nr. 1h. 20 B ERND E ULER -R OLLE , Form und Inhalt kirchlicher Gesamtausstattungen des österreichischen Barock bis 1720/ 30, Diss. phil. Mskpt., Wien 1983, 183; H UBALA , Rottmayr (wie Anm. 1), 70. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 253 Abb. 1: Benediktinerstiftskirche Melk, Langhausfresko, Johann Michael Rottmayr, 1720/ 21. Werner Telesko 254 setzt; Handlungsablauf und allegorische Überhöhung werden zu einer innovativen Einheit verbunden. 21 Im Mitteljoch, dem Zentrum des Geschehens, geleiten Engel den greisen, wie im Augenblick seines Hinscheidens aufrecht stehenden Benedikt in seine Glorie, deren „entzeitlichter“ Zustand durch das „Stillstehen“ des Handlungsablaufs 22 indiziert wird. Nur in diesem Stadium, das die Auffahrt in den Himmel in einen quasi endzeitlichen und somit entzeitlichten Zustand transzendiert, 23 ist eine Integration der - in Melk deutlich moralisch konnotierten - Triumphalikonographie möglich und sinnvoll, wird doch gerade im Mitteljoch des Langhauses der Verlauf der Draperie - und somit der „durchlaufende“ Text der Gregordialoge - zugunsten eines bedeutungsvollen „Inserts“ unterbrochen (Abb. 2). Wie eine barocke Rezeptionsgeschichte von Rottmayrs Melker Langhausfresken liest sich deshalb ein Passus aus einer im Stift im Jahr 1743 gehaltenen und Abt Adrian Pliemel dedizierten (unpaginierten) Predigt des Servitenpaters Eduardus Maria Fresacher aus Maria Langegg mit dem Titel Erbauliche Lob-Rede, von der Verlassung des Zeitlichen und vollkommener Nachfolg Christi, So in dem Heiligen Ertz-Vatter BENEDICTO entdecket und angeruehmet hat [...] (Krems an der Donau 1743): [...] aber der Weeg [sic! ] ware, wie es Maurus gesehen, mit Lampen gezieret, und auf das herrlichste geschmucket, auf welchen BENEDICTUS in das obere Sion Sieg-prangend eingezogen, nachdem er das untere Babel so großmuethig verlassen. Die Konzentration der das Langhausprogramm dominierenden Handlungsmomente im Mitteljoch geschieht überdies in raffinierter Weise im Schnittpunkt dreier (! ) Visionen - zum einen in jener Vision, die die beiden Mönche in der Sterbestunde des Ordensvaters erfuhren, und zum anderen in den beiden Offenbarungen, die Benedikt selbst zuteil wurden: einerseits die Vision der Weltkugel bzw. Dreifaltigkeit in der Todesstunde des Bischofs Germanus von Capua, 24 die im westlichsten Joch die zentrale Darstellung des Benediktschülers Placidus von Subiaco (mit einer Zunge, die ein den Heiligen bekrönender Putto als Attribut in der Rechten hält) und die Menschengestalt in der Kugel (als Seelenbild des Bischofs Germanus von Capua) miteinander kombiniert, andererseits die Positionierung der beiden Putten (mit Lilie und Äbtissinnenstab) am Scheitel des an- 21 Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang die bereits vor längerer Zeit geäußerte Vermutung, Prandtauer habe zunächst eine Tonne, die für eine (durchgehende) Visualisierung der Benediktauffahrt ohne Zweifel deutliche Vorteile geboten hätte, anstelle einer Folge von Platzlgewölben vorgesehen; vgl. 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1), 443; W EIGL , Architekt (wie Anm. 4), 26. 22 H UBALA , Rottmayr (wie Anm. 1), 71: „Das ‚ewig verweilende‘ Zentrum im zweiten Joch des Melker Langhauses [...]“. 23 Diese „Entzeitlichung“ steht in Gegensatz zur Ausrichtung der zehn kleinen Medaillons am Ansatz der Gurtbögen sowie am Scheitel des Triumphbogens und des westlichsten Bogens, die jeweils auf die vita activa des Ordensgründers hinweisen. Sie wurden erstmals bei W EIDINGER , Freskenausstattung (wie Anm. 14), 40, Abb. 61-70, ausführlicher behandelt. 24 G REGOR , Dialoge II 35; F UNK , Dialoge (wie Anm. 16), 99-102. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 255 Abb. 2: Benediktinerstiftskirche Melk, Langhausfresko (Detail), Johann Michael Rottmayr, 1720/ 21. grenzenden Gurtbogens als Hinweis auf die Benediktvision der zum Himmel auffahrenden Seele von Benedikts Schwester Scholastika. 25 Die Erzählung der Handlungen in den drei Jochen des Langhauses wird durch die raffinierte Verklammerung dieser drei Visionen in formaler und inhaltlicher Hinsicht vereinheitlicht und im Mitteljoch mit dem triumphalen Erscheinen des Protagonisten (als Visionär und selbst Geschauter) gleichsam zum Stillstand gebracht. Nicht ohne Hintersinn erscheint in diesem vielschichtigen Netz von Visionen der Anteil des Betrachters (bzw. Konvents), der durch diese feinsinnige Konzeption in besonderer Weise angesprochen wird, 26 selbst thematisiert; nur er kann die Fülle der Offenbarungen „sehen“. In dieser betrachterzentrierten „Schau“ wird der Suggestionsgrad der dargestellten Ereignisse und der damit verbundenen inhaltlichen Implikationen zu einer unerhörten Intensität gesteigert. Das „Stillstehen“ der Handlungsmomente auf dem Weg in den Himmel gibt zudem die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem „Terrestrischen“, indem der beispielgebende Heilige und Ordensvater seinen „Triumph“ höchst konkret am Beispiel der 25 G REGOR , Dialoge II 34; F UNK , Dialoge (wie Anm. 16), 99. 26 H UBALA , Rottmayr (wie Anm. 1), 72. Die Konzeption der Fresken des Langhauses erschließt sich nicht ohne Hintersinn am schlüssigsten aus dem Presbyterium bzw. aus der Position des Konvents im Chorgestühl; vgl. E ULER -R OLLE , Form (wie Anm. 20), 183, Anm. 280. Werner Telesko 256 siegreichen mönchischen Tugenden castimonia und poenitentia gegen alle Anfechtungen und Laster des (irdischen) Lebens demonstriert. Das überdeutlich präsente Benediktuskreuz (mit der Inschrift Crux Sacra Sit Mihi Lux, / Non Draco Sit Mihi Dux. / Vade Retro Sathana, Nunquam Suade Mihi Vana: / Sunt Mala, Quae Libas, Ipse Venena Bibas. 27 ) komprimiert diesen moralischen Anspruch in ebenso traditionsmächtiger wie apotropäischemblematischer Weise. 28 Der himmlische Triumph Benedikts kann somit in keiner Phase von dessen irdischer Präsenz und den damit verbundenen Aufgaben einer Ordensgemeinschaft gelöst werden. Auf letztere weisen auch die im Programm genannten triumphi signa hin, die sich sowohl auf das reiche Fortleben des Ordens (foecundissimam [sic! ] Ordinis Benedictini subolem) als auch auf dessen fortwirkende Wirksamkeit in der Gemeinschaft der Märtyrer, Bekenner, Bischöfe, Kardinäle und Päpste beziehen. Letzterer Aspekt wird in der Reihe benediktinischer Päpste über den Emporen besonders deutlich. Triumph und Glorie Benedikts weisen somit der „irdischen“ Kirche und somit jedem einzelnen Mitglied dieser Kirche den (rechten) „Weg“ - gipfelnd im vorbildlichen Blutzeugnis für Christus. Dieser Aspekt wird im westlichen Joch mit dem hl. Placidus 29 deutlich gemacht, der sich nicht ohne programmatischen Hintersinn in der Achse Benedikts befindet, 30 zudem aber in den diesen zentralen Gedanken der „Nachfolge Christi“ weiterführenden Fresken des Presbyteriums sowie im Hochaltar. 27 Vgl. B ONIFACIUS G ALLNER , Regula emblematica Sancti Benedicti, Wien 1780 (im Jahr 1725 als miniaturierte Pergamenthandschrift [Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 510 rot bzw. 1698 alt] entstanden), 3f.; G REGOR M ARTIN L ECHNER , Emblemata. Zur barocken Symbolsprache, Ausst.-Kat. des Graphischen Kabinetts und der Stiftsbibliothek Göttweig, Krems an der Donau 1977, 37f., Nr. 22; Benedikt (wie Anm. 15) 156, Nr. 142, 143. Gallners Regula emblematica wurde im späten 18. Jahrhundert auch in Wandmalereien umgesetzt; vgl. M ARTIN M ÁDL / A NKE S CHLECHT / M ARCELA V ONDRÁ 1 KOVÁ , „Detracta larva juris naturae“ - Studien zu einer Skizze Wenzel Lorenz Reiners und zur Dekoration der Klosterbibliothek in B 3 evnov (Opera minora historiae artium, Bd. 2), Praha 2006, 138-165. 28 Im Concetto zu den Deckenmalereien war zusätzlich eine - allerdings nicht ausgeführte - Anspielung auf Benedikts Kampf gegen Idolatrie und Heidentum vorgesehen (Zerstörung eines Apollotempels zugunsten eines Martinsheiligtums in Montecassino), womit in Kombination mit der Ikonographie des südlichen Querarmaltars der Stiftskirche eine Allusion auf den historischen Anspruch des Stiftes Melk (1699 in die Cassinenser Kongregation aufgenommen) als „neues“ Montecassino vermutet werden darf; vgl. M EINRAD VON E NGELBERG , Abt und Architekt. Melk als Modell des spätbarocken Klosterbaus, in: R ICHARD VAN D ÜLMEN / S INA R AUSCHENBACH (Hrsg.), Denkwelten um 1700. Zehn intellektuelle Profile, Köln / Weimar / Wien 2002, 181-208, hier 199f. 29 E ULER -R OLLE , Form (wie Anm. 20), 183f.; L ORENZ , Barock (wie Anm. 1), 343. 30 Zu einer Interpretation des Heiligen als jugendlicher Benedikt mit Lorbeerkranz und Palme als „eschatologischen Siegeszeichen“ vgl. Benedikt (wie Anm. 15), 140, Nr. 46; H UBALA , Rottmayr (wie Anm. 1), 73, votierte hingegen für eine - nicht unproblematische - Doppelfunktion als Benedikt und den Erzähler der Vision. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 257 2. Die Programmatik der Fresken und die Rolle Abt Dietmayrs Das Programm der Deckenmalereien des Melker Langhauses zielt in erster Linie auf eine Visualisierung der mönchischen Vision in der Sterbestunde des Ordensvaters ab. Die darin enthaltene fundamentale Betonung des Himmels bzw. dessen „Schau“ führt unmittelbar zum Text der (unpaginierten) Totenrotel Dietmayrs, die unter dem Titel Neuer Himmel zu Moelck. Erleuchtet im Leben: Verfinsteret im Todt [...] vom Wiener Schottenmönch Aemilianus Daneli verfasst und im Jahr 1739 in Wien gedruckt wurde. Auffällig ist, dass darin die himmlischen Gestirne - unter dem Motto Sydus virtus est, & homo virtutum est Coelum. - direkt auf die für Abt Dietmayr in Anspruch genommenen Tugenden (Astra virtutes), unter anderen Gerechtigkeit, Klugheit, Mäßigkeit und Weisheit, bezogen werden. In diesem Sinn wird der tugendhafte Abt Berthold als ein neuer Himmel (Daneli) apostrophiert, was letztlich die Abwandlung eines auf den hl. Benedikt angewendeten Topos bedeutet. Besondere typologisch konnotierte Bedeutung wird Dietmayr in Danelis Totenrotel auch deshalb zuteil, da dort der Melker Abt, dieses gestirnte Firmament, als dieser Aaron, bzw. zweimal als anderer Moyses unter dem Volck bezeichnet wird, was besonders unter dem Gesichtspunkt von Rottmayrs Darstellung des Ordensvaters im Mitteljoch des Langhauses essentiell erscheint. Für diese typologische Verbindung zwischen Moses und Benedikt von Nursia, die Erich Hubala 31 im Zusammenhang mit den Melker Fresken ohne nähere Argumente in die Diskussion gebracht hat, ist nicht nur die beispiellose historische Bedeutung des Ordensvaters maßgeblich, sondern in besonderer Weise der Bezug zwischen dem Tod Benedikts und dem Geschehen nach Exodus 17,8-16, das den Sieg Mose über die Amalekiter schildert. Das dabei wichtigste erzählerische Element, das hinsichtlich der beschriebenen Gestik eine direkte Verbindung zur Haltung Mose in der Amalekiterschlacht nahelegt, ist der Sterbevorgang, den Benedikt - wie in Gregors Bericht ausgeführt -, von Schülern gestützt und in stehender Haltung, mit zum Himmel erhobenen Händen, 32 erfuhr. Zusätzlich evoziert der Gestus der ausgebreiteten Arme Benedikts eine deutliche Anspielung auf die ausgestreckten Arme Christi am Kreuz, den Antitypus des alttestamentlichen Ereignisses. Auch der Name Benedictus konnte unter diesem Aspekt eine neue und typologisch vielfältig ausdeutbare Konnotierung erfahren, da der Name des Ordensvaters unmittelbar auf Abraham bezogen wurde: Man glaubte, aus der berühmten Prophezeiung Gottes an Abraham nach Genesis 12,2, 31 H UBALA , Rottmayr (wie Anm. 1), 70, 167, Anm. 8. 32 G REGOR , Dialoge II 37 (F UNK , Dialoge [wie Anm. 16], 103); Die „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Darmstadt 11 1993, 245. Werner Telesko 258 welche die Worte benedicam und benedictus enthält, eine unmittelbare Anspielung auf den Ordensvater und die von ihm begründete Mönchsgemeinschaft herauslesen zu können, wie dies etwa in den Ausstattungen der Stiftskirchen von Weltenburg und Einsiedeln deutlich wird. 33 Im Jahr 1701, anlässlich der Feier zur Abtweihe Berthold Dietmayrs, erschien in Wien eine von Seiten des Priors und Konvents herausgegebene (unpaginierte) Druckschrift mit dem Titel Series Abbatum Mellicensium Honori Reverendissimi ac Amplissimi Sui Praesulis Bertholdi pro eiusdem consecrationis die à Priori et Conventu Mellicensi Devotissimo affectu aDornata aC DeDICata. Im abschließenden Abschnitt wird unter dem Titel Bertholdus Abbas (mit gestochenem Brustporträt) dem Abt in einer GRATULATIO zwei Mal, als Instaurator bzw. als Instaurator Ecclesiae, gehuldigt. 34 Eine ebenfalls anlässlich der Amtseinführung Dietmayrs erschienene (unpaginierte) Jubelschrift des Melker Professen P. Josephus de Wertema mit dem Titel Applausus gratulatorius reverendissimo, perillustri, ac amplissimo Domino, Domino Bertholdo Mellicensium abbati dignissimo, dum Sacrâ Infulâ decoraretur, institutus [...] (Wien 1701) 35 preist - unter anderem mit eingefügten Stichen - die Tugenden Dietmayrs mit deutlichem Bezug zur Astralsymbolik und zum persönlichen Wappen des Abtes. Stern und Adler als wesentlichste heraldische Elemente erscheinen auch am unteren Saum der Stoffbahn im östlichsten Joch des Langhauses, die an dieser Stelle von drei Engelputti in die Höhe gehalten und somit bewusst sichtbar gemacht werden. 36 Die Schrift Wertemas gibt die entscheidende programmatische Richtung vor, indem sie den Abt unmittelbar in die Verherrlichung des Ordensvaters einbindet, den Klostervorsteher als „Sohn Benedikts“ anspricht und Benedikt sowie Berthold unter dem Leitbegriff virtus verbindet: BERTHOLDE! hucusque te Praesulem dixi, nunc filium Benedicti appello. Bina sunt nomina, sed una virtus. In weiterer Folge wird in diesem Traktat der mühevolle Weg Abt Dietmayrs im Rahmen des klösterlichen cursus honorum zu den Ehren der Erlangung der Mitra mit zwei Bändern (Infuln) in direkter Weise auf den Aufstieg Benedikts in den Himmel bezogen. Die beim Tod Benedikts gegenwärtige himmlische Stimme, die das Zeugnis des Ereignisses anzeigt, ist nun das ganze Kloster (! ), und die Tugend des Abtes erscheint auf einen Weg von besonde- 33 B RUNO B USHART / B ERNHARD R UPPRECHT (Hrsg.), Cosmas Damian Asam 1686-1739. Leben und Werk, Ausst.-Kat. Kloster Aldersbach, München 1986, 222, Nr. F X 6 (Benediktinerstiftskirche Weltenburg, Wandgemälde der Südwand in der Hauptkuppel [Ankunft der Benediktiner in Amerika], 1734-1736); ebd., 240, Nr. F XIV 15, 16 (Benediktinerstiftskirche Einsiedeln, Fresko über dem südlichen Seitenaltar, 1724-1727). 34 P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Planentwicklung (wie Anm. 3), 127, Anm. 26. 35 Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis, Ausst.-Kat. Stift Melk, Wien 1960, 221, Nr. 383. 36 W EIDINGER , Freskenausstattung (wie Anm. 14), 42, Abb. 53; T ELESKO , Langhausfresken (wie Anm. 1), 227, Abb. 3. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 259 rer Helligkeit bezogen: Nunquam aliâ ad coeli decora ivit viâ Benedictus quam stellatâ: non altero tu ad Coenobij honores eluctaris tramite, quam virtutis sidere. Testis Benedicti est vox illa coelitus allapsa: Haec est via, quâ dilectus Domino Benedictus ascendit in coelum. Testis tuus est vocale tuum Coenobium: Virtus via est candore notabilis ipso, quâ dilectus Mellicio BERTHOLDUS ascendit ad mitram. Der Anspruch, der hier - unter Zitation von Ovids Beschreibung der Milchstraße (candore notabilis ipso 37 ) - formuliert wird, und in einem davor eingebundenen Stich (Nr. 3) unter dem Titel Magno speCIosa DeCore (wahrscheinlich von Johann Andreas Pfeffel d. Ä. und Christian Engelbrecht nach Petrus Schubart von Ehrenberg gestochen) eine anschauliche und in deutlicher Analogie zum Aufstieg Benedikts in den Himmel konzipierte Visualisierung (Sternenbahn bzw. Milchstraße) 38 findet (Abb. 3), ist in der Tat kein geringer. Er parallelisiert nämlich den „Weg“ des hl. Benedikt in den Himmel als Leitthema von Rottmayrs Melker Langhausfresken mit der Erlangung der Abtwürde durch Berthold Dietmayr, der als Stern inmitten der Milchstraße Verherrlichung erfährt. Mit diesem Stich in Wertemas Schrift erfolgt zudem eine höchst ungewöhnliche Rezeption der antiken Idee von der Anwesenheit der Seelen hervorragender Verstorbener in der Milchstraße, die unter anderem bei Marcus Manilius (oder Manlius) 39 (1. Jahrhundert n. 37 O VID , Metamorphosen I 169. Dieser Passus Ovids wird bereits in einem Porträt des Göttweiger Abtes Berthold Mayr (reg. 1689-1715), kurz vor 1700 entstanden, verwendet; vgl. G REGOR M ARTIN L ECHNER / M ICHAEL G RÜNWALD , Göttweiger Ansichten. Graphik - Gemälde - Kunsthandwerk, Ausst.-Kat. des Graphischen Kabinetts Göttweis, Melk 2002, 66f, Nr. 15. 38 Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ein bekanntes Werk des auch in Melk gelesenen (T HOMAS W ALLNIG , Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709 [Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 48], Wien / München 2007, 106) Jesuiten Henricus (Hendrik) Engelgrave (1610-1679) mit dem Titel Lux evangelica sub velum sacrorum emblematum recondita in omnes dominicas [...], Teil 1, Köln 1690 (Antwerpen 1 1657), 39f., die Symbolik der Milchstraße unter mythologischen (O VID , Metamorphosen [siehe Anm. 37]) und monastischen (hl. Benedikt) Vorzeichen interpretiert: […] fingunt Poëtae viam lacteam in caelo, per quam heroës ascenderunt; Hac iter est superis. Haec via innumeris stellis lucidissima, lactea nomen habet, candore notabilis ipso. Consimiles virtutum stellae viam lacteam sanctissimo Patriarchae Benedicto stravere: qui ubi e vivis excessit, viderunt duo Religiosi viam amplam & rectam innumeris stellis fulgentem: tum vocem hanc de caelo delapsam excepere: Hac est via, qua dilectus Domino Benedictus ascendit in caelum; zu Engelgraves Lux evangelica vgl. I NGRID H ÖPEL / U LRICH K UDER (Hrsg.), Mundus symbolicus, Bd. 1 - Emblembücher aus der Sammlung Wolfgang J. Müller in der Universitätsbibliothek Kiel, Katalog, Kiel 2004, 95-98, Nr. 18; zur barocken Symbolik der Milchstraße vgl. C ORNELIA K EMP , Angewandte Emblematik in süddeutschen Barockkirchen (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 53), München / Berlin 1981, 161 (Nr. 24.5), 250 (Nr. 136.2). In der jesuitischen Symbolik erfüllt die Milchstraße eine ähnliche Funktion wie in Wertemas Publikation zu Dietmayr, vgl. hier etwa die Jubiläumsfestschrift Imago primi saeculi Societatis Jesu a provincia flandrobelgica [...] (Antwerpen 1640), welche auf S. 464 die Mariensodalen mit einer Darstellung der Michstraße und dem Lemma Hac iter ad Superos feiert. 39 Astronomicon I 758-761; vgl. T HEODORUS B REITER (Hrsg.), M. Manilii Astronomica, Bd. 1 (Carmina), Leipzig 1907, 25; Bd. 2 (Kommentar), Leipzig 1908, 28f.; B ERND W OLFGANG L INDEMANN , Bilder vom Himmel - Studien zur Deckenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Worms 1994, 84, Anm. 193; grundlegend: W ILHELM B OUSSET , Die Himmelsreise der Seele, in: Archiv für Religionswissenschaft 4 (1901), 136-169 und 229-273, wiederabgedruckt in: D ERS ., Die Himmelsreise der Seele, Darmstadt 1960. Werner Telesko 260 Chr.) sowie in Ciceros (106 v. Chr.- 43 v. Chr.) berühmtem Somnium Scipionis 40 bezeugt ist. Der in Wertemas Broschüre formulierte Hinweis auf die Vorstellung von der Bedeutung der Milchstraße als Sitz der Seelen großer (Staats-)Männer ist einerseits auf den hl. Benedikt bezogen, dem als Lohn für seine Tugenden das selige Leben im Himmel winkt, andererseits aber auch auf den durch die virtus ausgezeichneten Klostervorsteher Dietmayr. Letzterem wird in Danelis Totenrotel mit einer signifikanten Engführung zwischen den Begriffen „Tugend“ und Gestirn“ gehuldigt (Sydus virtus est, & homo virtutum est Coelum.). Der Stern, der den Heiligen Drei Königen den Weg gewiesen hatte (Mt 2,1-12), wird in der frühneuzeitlichen emblematischen Tradition sehr eng mit der Visualisierung eines „Weges“ verbunden, 41 was im konkreten Fall die ideale Möglichkeit bot, die Heral- 40 De re publica VI (Scipios Traum), c. 16; vgl. K ONRAT Z IEGLER (Hrsg.), Cicero, Staatstheoretische Schriften, lateinisch und deutsch (Schriften und Quellen der alten Welt, Bd. 31), Berlin 1984, 190, Z. 34-192, Z. 3; K ARL B ÜCHNER , Somnium Scipionis. Quellen - Gestalt - Sinn (Hermes, Einzelschriften, Bd. 36), Wiesbaden 1976, 70-81. Die Bedeutung ciceronianischer Vorbilder wird in Melk besonders an mehreren Stellen von Pez’ Protrepticon philologicum (in: M ARTIN K ROPFF , Bibliotheca Mellicensis [...], Wien 1747, 609-656) deutlich (freundliche Mitteilung von Thomas Wallnig, Wien). 41 Vgl. J ACOBUS B OSCHIUS , Symbolographia sive de arte symbolica sermones septem, Augsburg / Dillingen 1701 (Instrumentaria Artium 6 [Graz 1972]), class. III, Nr. 60: Emblem mit strahlendem Stern (SPLENDOR COMES / HÆRET EVNTI. oder LUMINE SIGNAT ITER.). Auch der Adler fungiert in der frühneuzeitlichen Emblematik als Hinweis auf den „rechten“ Weg, vor allem in Bezug auf den Unterricht der Novizen (! ); vgl. ebenda, class. I, Nr. 206 (DUX AD ASTRA NOVITIIS.). Das Benedictus, qui venit als zweiter Teil des Sanctus vor dem Canon Missae kombiniert gleichsam den Namen des Ordensgründers mit der Metaphorik des „Weges“. Ein interessanter Bezug zwischen dem liturgischen Benedictus und dem hl. Benedikt wird in G ABRIEL B UCELINUS ’, Menologium Benedictinum Sanctorum, Beatorum atque illustrium ejusdem Ordinis virorum, Feldkirch 1655, 214, angesprochen. Letzteres Werk war nachweislich Gegenstand der Tischlesungen im Melker Konvent; vgl. W ALLNIG , Gasthaus (wie Anm. 38), 105; zusammenfassend zu Bucelinus’ Aktivitäten vgl. S TEFAN B ENZ , Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien, Bd. 473), Husum 2003, 557-561; C LAUDIA M ARIA N EESEN , Gabriel Bucelin OSB (1599-1681). Leben und historiographisches Werk (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3), Sigmaringen 2003, 400f. Abb. 3: Magno speCIosa DeCore, Kupferstich in: Josephus de Wertema, Applausus gratulatorius [...], Wien 1701, Taf. 3. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 261 dik des Abtes und die Metaphorik eines „Weges“ inhaltlich eng aneinander zu koppeln. Auch in der oben zitierten Schrift Series Abbatum Mellicensium, verfasst vom Melker Benediktiner Anselm Schramb, erscheinen Glanz und Ruhm des als österreichischer Leuchtturm bezeichneten Abtes unmittelbar auf das gleich dem „Licht der Weisheit“ wirksame Strahlen der (heraldisch gegenwärtigen) Sterne bezogen: Austriae appellaberis Pharus, / In cujus apice gentilitiae stellae suae par lumen / Sapientiae radiis micat BERTHOLDUS. Wie in Danelis Totenrotel werden auch in Wertemas Broschüre Bertholds virtus und sapientia unter deutlichem Bezug zur Astralsymbolik gepriesen. Gerade aus Wertemas Schrift wird erkennbar, dass das im Concetto zentrale Thema des glanzvollen Aufstiegs Benedikts in den Himmel nur unter dem aktuellen Gesichtspunkt der Erlangung der Abtwürde durch den tugendhaften Berthold Dietmayr seine besondere Bedeutung und Bildwürdigkeit erlangen konnte, somit die konkrete Themenwahl für das Freskenprogramm im Langhaus in engster Abstimmung mit der Panegyrik auf den neuen Klostervorsteher betrachtet werden muss. Vor der legendarischen „Folie“ von Benedikts Vision und Heimgang in den Himmel schaut der Betrachter gleichsam Dietmayrs „Aufstieg“ zu dessen Rangerhöhung. Dass die Position Wertemas keine isolierte Meinung darstellte, sondern geradezu als Leitmotiv in der Genese der Programmatik angesehen werden kann, demonstriert das sich in vertrauter Rede an den Abt wendende Abstimmungsblatt von Pater Basilius 42 zum geplanten Kirchenneubau in Melk vom 30. Juli 1701; 43 Pater Basilius meinte hier unter anderem, dass der angestrebte Bau der Kirche jene Straße sei, auf welcher der Abt am Ende seines Wirkens als ein von Gott Gesegneter (benedictus [! ]) zu ewiger Belohnung und Freude emporsteigen werde ([...] idipsum tandem via, qua benedictus a Domino ad praemia, ad gaudia aeterna ascendes.) Eben dieser letzte Punkt im Text des Suffragiums, der in seiner Formulierung deutlich auf den Text der Gregordialoge (II 37) rekurriert (Erklärung der Vision durch einen „leuchtenden Mann“ mit den Worten: Dies ist der Weg, auf dem Benedikt, der vom Herrn Geliebte, zum Himmel emporstieg.) 44 und in Wertemas Abthuldigung (Virtus via est candore notabilis ipso, quâ dilectus Mellicio BERTHOLDUS ascendit ad mitram.) eine Parallele besitzt, ist als eine dem Klostervorsteher dargebrachte Huldigung zu verstehen. Dieser Lobpreis spielt in unübersehbarer Weise mit dem historischen und semantischen Doppelsinn des Wortes benedictus und stellt „in der Vorausschau auf das vollendete Werk den durch die Erbauung der neuen 42 P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Planentwicklung (wie Anm. 3), 146. P. Basilius ist zwischen 1701 und 1703 als curator der äußeren Notwendigkeiten des Kirchenbaus nachgewiesen. 43 Ebd., 146f., 169f. (Anhang 2). 44 F UNK , Dialoge (wie Anm. 16), 103. Werner Telesko 262 Kirche ausgezeichneten Lebensweg des Abtes“ 45 unter das Bild der Glorie des Ordensvaters, somit unter das Leitthema der Langhausfresken. Die darin manifeste und wahrscheinlich von Anfang an geplante Verschmelzung von Abtpanegyrik und Visualisierung der berühmten Vision aus den Gregordialogen lag nahe und erscheint im Suffragium von P. Basilius, das zusammen mit Wertemas Jubelschrift den konzeptuellen Kern in der Genese der Programmatik der Melker Stiftskirche reflektiert, ausgesprochen: Der Triumph des Ordensvaters, die Panegyrik auf Abt Berthold Dietmayr sowie der implizit gegebene Hinweis auf die Rolle und die Lebensführung jedes einzelnen Gläubigen verschmelzen zu einer untrennbaren und im Langhaus höchst raffiniert visualisierten Einheit, die weit über die nüchterne Illustration des bekannten patristischen Vorwurfs hinausgeht. Auf der Basis des ständig gegenwärtigen Leitmotivs der via triumphalis gehen die benediktinische Glorie, die Rangerhöhung des neuen Abtes und die Zuspitzung auf die via (und somit vita) jedes Einzelnen gleichsam ineinander über. Auffahrt und Triumph des magister virtutum eigneten sich als prägende Handlungsmuster geradezu in idealer Weise zur Veranschaulichung von „Lebensweg“, Tugendhaftigkeit und geistlicher Rangerhöhung. Wertemas Schrift scheint in diesem Sinn mit der Semantik des Wortes via gerade zu spielen, da hier Benedikts ascendit in coelum mit Abt Dietmayrs ascendit ad mitram in gewissem Sinne fast austauschbar erscheint. 3. Die Melker Historiographie im frühen 18. Jahrhundert Die unumschränkte Rolle des Abtes bei der Konzeption des Klosterneubaus erklärt sich letztlich auch daraus, dass sich die kulturelle Situation in Melk gegenüber dem späten 17. Jahrhundert radikal verändert hatte. Als Pater Martin Kropff 1739 die Nachfolge von Bernhard Pez als Bibliothekar antrat, hatte sich der Buchbestand gegenüber dem Jahr 1678 immerhin verdreifacht. 46 Auch die historiographische Reflexion der Stiftsgeschichte scheint in diesen Jahren in eine völlig neue Phase getreten zu sein, wofür etwa das Chronicon Mellicense Pater Anselm Schrambs (1702) ein äußerst beredtes Zeugnis ablegt. Bernhard Pez, Bibliothekar von 1709 bis zu seinem Tod 1735 47 sowie großer Gegenspieler Dietmayrs und dessen scheinbar unumschränkter Monarchia potestas im Stiftsleben, 48 ging noch einen Schritt weiter 45 P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Planentwicklung (wie Anm. 3), 147. 46 T HOMAS W ALLNIG , Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709, Diss. phil. Mskpt., Graz 2004, 87-89. 47 Grundlegend W ALLNIG , Studien (wie Anm. 46), 87-89. 48 H UGO H ANTSCH , Bernhard Pez und Abt Berthold Dietmayr, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71 (1963), 128-139; W ALLNIG , Gasthaus (wie Anm. 38), 122. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 263 und beanspruchte für seine Forschungen innerhalb des gesamten Ordens Gültigkeit. Sein - letztlich gescheitertes - Ziel war die Erarbeitung eines umfassenden Schriftstellerkatalogs, der den Namen Bibliotheca Benedictina tragen und sämtliche Autoren des Ordens umfassen sollte. 49 Thomas Wallnig hat in verdienstvoller Weise darauf hingewiesen, dass Forschen und Schreiben in Melk in den Jahren um 1700 in einem monastischen und religiösen Kontext eingebettet und für das Kloster sowie sein Umfeld als Teil einer historiographisch konzipierten, ordensumspannenden gloria Benedictina gedacht war. In diesem Sinne spielen hier die „Rückbesinnung auf die eigene benediktinische Tradition“ 50 und die „Wiederauferstehung der benediktinischen Geistigkeit“ 51 eine zentrale Rolle. Der im Gegensatz dazu vor allem als Traditionszerstörer auftretende Dietmayr, der die Sinnhorizonte von Geschichte und Tradition vor allem um seine persönliche Prärogative neu definierte, musste zwangsweise in einen tiefen Konflikt mit den gelehrten und nach „historisch-kritischen“ Kriterien arbeitenden Editoren benediktinischer Überlieferung (hier vor allem Bernhard Pez) 52 geraten. Zugespitzt formuliert lebte die materiell durch den Klosterneubau zum Teil vernichtete Geschichte des Stiftes Melk 53 sowohl in den intensiven und dezidiert positivistisch ausgerichteten Bemühungen der „Historisierung“ durch die Brüder Pez als auch im umfassenden Freskenprogramm der Stiftskirche in jeweils unterschiedlicher Weise weiter. Die Fresken visualisieren eine der „großen Erzählungen“ der Ordensgeschichte, den Sterbebericht des hl. Benedikt nach Gregor dem Großen; dabei verweisen sie nicht auf die Tradition der Kommunität, sondern beziehen sich auf den quasi monarchisch 54 agierenden Bauherrn. Die Interpretation von höchst sensibler und zugleich wirkungsmächtiger monastischer Tradition erscheint somit untrennbar mit Dietmayrs zentralen Leitmotiven einer persönlichen „Aktualisierung“ von Geschichte im Sinn einer Akzentuierung der ecclesia militans 55 verbunden. Eine solche Neudeutung der Benediktsvision in Gestalt von Rottmayrs Freskierung bereichert den Text Gregors des Großen, wirkt wieder auf ihn zurück und verbindet sich mit diesem zu einer neuen und höchst suggestiv 49 T HOMAS W ALLNIG , Mönche und Gelehrte im Kloster Melk um 1700. Ein Essay über Kontexte und Zielsetzungen von monastischer Wissensproduktion, in: M ARTIN S CHEUTZ / W OLFGANG S CHMA- LE / D ANA Š TEFANOVÁ (Hrsg.), Orte des Wissens (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 18/ 19), Wien 2004, 325-336, hier 329. 50 W ALLNIG , Mönche (wie Anm. 49), 330, 333f. 51 W ALLNIG , Studien (wie Anm. 46), 101. 52 Ebd., 105-113; vgl. auch E NGELBERG , Abt (wie Anm. 28), 201, 206. 53 Mit dem Neubau verschwand etwa auch das 1362 gestiftete, aufwändig gestaltete Grabmal des hl. Koloman; vgl. 900 Jahre Benediktiner (wie Anm. 1), 161, Nr. 18.14. 54 Anselm Schramb, Autor des Chronicon Mellicense, stellte die positiven Seiten der Monarchie als natürlichste und gottgewollte Form des Gemeinwesens deutlich in den Vordergrund: A NSELM S CHRAMB , Ethica seu philosophia moralis [...], Wien 1 1695; vgl. W ALLNIG , Studien (wie Anm. 46), 98-100. 55 W ALLNIG , Studien (wie Anm. 46), 101. Werner Telesko 264 vorgetragenen Einheit. Der Teppich als jenes Element, das die unterschiedlichen Erzählmomente der sich über drei Joche erstreckenden Deckenmalereien verbindet, indiziert dabei nicht ohne Grund eine deutliche Anspielung auf die Tapisserie als Herrschaftszeichen, zugleich ist der Teppich ein Hinweis auf ein traditionelles Medium der Demonstration fürstlicher Ruhmestaten. 56 Die Inspiration des „Alten“ im Sinn der von Bernhard Pez vertretenen Vision einer „weltumspannenden Identität“ 57 in Bezug auf den gesamten Orden, wie sie in dessen Vorhaben einer Bibliotheca Benedictina in kongenialer Weise projektiert war, stand somit gegen die nicht universell gedachte „Aneignung“ von Vergangenheit unter persönlichen Vorzeichen, wie sie in der Folge in der umfassenden Neugestaltung des Stifts Melk durch Abt Berthold Dietmayr realisiert werden sollte. 58 Der einzigartige Anspruch des Melker Langhausfreskos besteht deshalb in einer innovativen „Adaptierung“ der Ikonographie des Ordensvaters für einen konkreten und auf die Person des Klostervorstehers bezogenen Zweck: Die Visualisierung Benedikts erhielt zusätzlich zu ihrer traditionellen weltumspannenden Funktion eine spezifische Semantik unterlegt, die nur aus dem aktuellen Anspruch der Rangerhöhung Berthold Dietmayrs zu verstehen ist. Eine derartig enge Bindung des in Melk auftretenden neuen Benediktbildes an die persönlichen Ambitionen und Symbole des Abtes musste von vielen als unbotmäßige Provokation verstanden werden, insbesondere von jenen, die - wie Bernhard Pez - ganz auf die Karte der universell zu vermittelnden Schriftlichkeit setzten. 4. Die Bedeutung der Benediktsregel im 18. Jahrhundert Die hier skizzierte Problematik der Neuinterpretation benediktinischer Traditionen erschließt sich zur Gänze erst aus der Rezeptionsgeschichte des 18. Jahrhunderts: Der Lilienfelder Historiker Chrysostomus Hanthaler 56 W OLFGANG B RASSAT , Tapisserien und Politik. Funktionen, Kontexte und Rezeption eines repräsentativen Mediums, Berlin 1992; U RSULA R EINHARDT , La Tapisserie feinte. Un genre de décoration du maniérisme romain au XVI e siècle, in: Gazette des Beaux-Arts 6.F., 84 (1974), 285-296. 57 W ALLNIG , Studien (wie Anm. 46), 121. 58 Der glorreiche Heimgang Benedikts von Nursia als zentrales Thema der Melker Langhausfresken bot einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Verherrlichung des Abtes, da dieses Thema im Rahmen der benediktinischen Literatur des 17. Jahrhunderts unter anderem auch mit der Bedeutung unterlegt wurde, dass der Ordensvater, der Augustissimus Imperator noster (! ), durch sein Wirken jeden Luxus sowie sämtliche kaiserliche Triumphe übertroffen hätte: G ABRIEL B UCELINUS , Aquila imperii Benedictina. Cuius ordinatissima pennarum serie, Monachorum Ordinis S.P.N. Benedicti [...], Venedig 1651, 23, zieht den Vergleich zwischen dem Tod des Ordensvaters und dem Triumph der Imperatoren. Konkret wird hier auf das - für Kaiser Vespasian (vgl. S UETONIUS , De vita Caesarum, vita Divi Vespasiani, c. XXIV) belegte - Motto der römischen Kaiser (OPORTET IMPERATOREM STAN- TEM MORI) Bezug genommen, das - so Bucelinus - eine direkte Verbindung zum Tod des hl. Benedikt ermöglicht: Vt hac quoque Triumphi gloria, certum sit, omnem omnium Imperatorum, & Romani luxus maiestatem, quam longissime exsuperasse. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 265 (1690-1754) nahm in seiner emblematischen Auslegung der Benediktsregel unter anderem auch auf den Glaubenseifer der Mönche Bezug und versinnbildlichte diesen - wie auch Wertema - mit dem Bild eines Sternenhimmels und dem Lemma CLARAE OMNES, LICET DIFFERANT 59 (Abb. 4), das 59 C HRYSOSTOMUS H ANTHALER , Quinquagena Symbolorum Heroica, in praecipua capita et dogmata S. Regulae Sanctissimi Monachorum Patris et Legislatoris Benedicti [...], Krems an der Donau 1741, 87f. (Symbolum XLIV: Honore omnes praeveniendi.); zu Hanthalers Auslegung der Benediktsregel vgl. L ECHNER , Emblemata (wie Anm. 27), 42f., Nr. 25. Die Gestirnsymbolik eignete sich auch bei anderen Orden in idealer Weise zur Verherrlichung der Protagonisten, vgl. hier etwa die Darstellung des hl. Ignatius als Gestirn in: I GNATIUS Q UERCK , Acta S. Ignatii de Lojola [...], Wien 1698, Nr. 25 (Inter minora sydera) bzw. Nr. 100 (In Sanctorum numerum adscribitur), oder die Verewigung berühmter Zisterzienser als Gestirne am Himmel in: A UGUSTINUS S ARTORIUS , Cistercium bis-tertium seu Historia elogialis [...], Prag 1700, 820 (Emblem zum Titulus XXVI [Cisterciensium Elogia]); grundlegend: B RUNO R IEDER , Contemplatio coeli stellati. Sternenhimmelbetrachtung in der geistlichen Lyrik Abb. 4: Symbolum XLIV. Honore omnes praeveniendi, Kupferstich, in: Chrysostomus Hanthaler, Quinquagena Symbolorum Heroica [...], Krems a.D. 1741. Abb. 5: Symbolum VI. Prodesse debet, quisquis praeest, Kupferstich, in: Chrysostomus Hanthaler, Quinquagena Symbolorum Heroica [...], Krems a.D. 1741. Werner Telesko 266 die unterschiedliche Intensität mönchischen Glaubens und Eifers vorstellt. Besonders kennzeichnend ist ein weiteres Emblem, das sich auf die geforderten Eigenschaften eines Abtes bezieht (PRÆEVNTEM SEQVVN- TVR) 60 und - offensichtlich auf der Textbasis des Physiologus - zwei kleine Adler (Mönche) zeigt, die einem größeren und zur Sonne fliegenden Adler (Abt) folgen (Abb. 5). Licht- und Adlermetaphorik, essentielle Elemente der persönlichen Repräsentation Abt Dietmayrs, erfüllen hier im Rahmen der Auslegung der Benediktsregel kurz vor der Mitte des Jahrhunderts eine allgemeine und moralisierende Funktion. 61 Einen ähnlichen Weg beschreitet auch der Melker Benediktiner Bonifaz Gallner mit dem Emblem SINE DIVERTICVLO 62 (Abb. 6), das im Rahmen der Fragestellung, wie man am besten zu Christus gelangen könne, das durch die Ikonographie des Heimgangs Benedikts verbreitete Bild einer von Lampen flankierten vertikalen Stoffbahn aufnimmt. Der Mönch wird hiermit auf die Notwendigkeit der - ohne Abbzw. Umwege (diverticulum) - anzustrebenden celsitudo perfectionis aufmerksam gemacht. Man kann davon ausgehen, dass Abt Dietmayr seine Ansprüche auf der Basis einer breiten Kenntnis jesuitischer emblematischer Traditionen, hier des 17. Jahrhunderts. Interpretationen zur neulateinischen Jesuitenlyrik, zu Andreas Gryphius und zu Catharina Regina von Greiffenberg (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, Bd. 11), Bern u.a. 1991, 43-118. 60 H ANTHALER , ebd., 11f. (Symbolum VI: Prodesse debet, quisquis praeest.). Erklärend (ebd., 12) fügt Hanthaler hinzu, dass der Abt in seinem Amt dann am ruhmvollsten agieren könne, wenn er sich in der Funktion eines Adlers zeige und durch seinen Flug zur „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 4,2 [zumeist auf Christus bezogen]) seine Mitbrüder herausfordere: Nihil itaque Gloriosius egerit Praesul, quam si Aquilam se praebuerit, propriaeque Virtutis volatu ad Solem Justitiae pullos suos provocaverit. 61 Die Bedeutung der Adlersymbolik im monastischen Zusammenhang wird auch in der für den Zisterzienserorden wichtigen Publikation Cistercium bis-tertium seu Historia elogialis (Prag 1700) von Augustinus Sartorius deutlich (wie Anm. 59), wo auf S. 315 als Emblem zum Titulus XII die Zisterzienserpäpste (Cistercienses Pontifices Maximi) mit Hilfe der zur Sonne fliegenden Adler verherrlicht werden. 62 G ALLNER , Regula (wie Anm. 27), 186, Emblem Nr. 186. Abb. 6: SINE DIVERTICVLO, Emblem Nr. 186, Kupferstich, in: Bonifacius Gallner, Regula emblematica Sancti Benedicti, Wien 1780. Universalistische und persönliche „Aneignung“ der Historie 267 vor allem Jacobus Boschius und Henricus Engelgrave, formulierte. 63 Es bleibt aber bemerkenswert, dass eine umfassende - und handbuchartig vorgetragene - Popularisierung der Auslegung der Benediktsregel erst in der zweiten Jahrhunderthälfte zu konstatieren ist. Eben in diesem Zeitabschnitt werden in den wichtigsten Auslegungen der Regel (Chrysostomus Hanthaler und Bonifaz Gallner) die signifikantesten Charakteristika der Adler-, Licht- und Sternikonographie mit hoher Allgemeinverbindlichkeit einer breiten Öffentlichkeit und somit jenem „universellen“ christlichen Publikum vermittelt, das - im Gegensatz zu Dietmayrs subjektiv motivierten Deutungen und Umdeutungen - der eigentliche Adressat von Bernhard Pez’ literarischen Bestrebungen gewesen ist. 63 Nicht zuletzt ist eine intensive Kenntnis der profanen Repräsentation anzunehmen, die den Stern gezielt als Symbol zur Verherrlichung hervorragender Persönlichkeiten einsetzt; vgl. hier den Kupferstich von Paulus Pontius nach Peter Paul Rubens’ Ölskizze (Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, 1625/ 26) mit Don Gaspar de Guzman, Herzog von Olivares (F RANCES H UEMER , Portraits I [Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Bd. 19], Brüssel 1977, 44, fig. 9, 11 - mit vertauschten Legenden: freundlicher Hinweis von Franz Matsche, Bischberg). Jerusalem oder Prag? Traditionsstiftung bei den Kreuzherren mit dem roten Stern Arkadiusz Wojty a Der Sieg des katholischen Bündnisses in der Schlacht am Weißen Berg (1620) war nicht nur eine Wende in der Geschichte Böhmens, sondern zog auch eine entscheidende Umwälzung im Europa der Frühen Neuzeit nach sich. Der größte Teil der in ihrem Glauben beharrenden Protestanten, also die intellektuelle Elite des Landes, wurde zur Auswanderung gezwungen. An ihre Stelle traten der katholische Adel und die Geistlichkeit, die durch kaiser- und papsttreue Vertreter dieser beiden Stände außerhalb Böhmens (z.B. aus Österreich, Italien und sogar Spanien) verstärkt wurden. Parallel zu den politischen, gesellschaftlichen und konfessionellen Umgestaltungen vollzog sich ein tief greifender Wandel in Mentalität und Weltanschauung: Das Erbe der hussitischen Bewegung und der Reformation wurde aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängt, statt dessen orientierte man sich an einer Vorstellung des Mittelalters, das als vielseitige Blütezeit dargestellt wurde. Die Tragödien des Dreißigjährigen Krieges bewogen einfache Leute zur Flucht in Wahrsagerei und irrationale Erklärungswelten. All dies bildete die Basis für verschiedene Interpretationen, die die Legitimität der katholischen Kirche bestätigen und deren Bedeutung unterstreichen sollten. Historiographie und Kunst wurden unmittelbare Ausdrucksträger dieser Ideologien, zu deren Verbreitung sie maßgeblich beitrugen. Auf welche Weise und mit welchen Mitteln dies geschehen konnte, soll im Folgenden am Beispiel des Hospitalordens der Kreuzherren mit dem roten Stern dargelegt werden. 1 1 F RANZ J ACKSCHE , Geschichte des ritterlichen Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern, Prag 1904; K ARL E ISTERT , Beiträge zur Geschichte des Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern vom Breslauer Matthiasstift, in: 300 Jahre des Matthiasgymnasiums zu Breslau 1638-1938. Eine Erinnerungsschrift, Breslau 1938, 1-51; P AUL D ITTRICH , Die Besitzungen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Matthiasstiftes bzw. der Kreuzherren mit dem roten Stern, in: Festschrift des Königlichen St. Matthiasgymnasiums zur Jahrhundertfeier 1811-1911, Breslau 1911, 5-93; E WALD VON K LEIST , Beiträge zur Geschichte des Kreuzherrenordens mit dem roten Stern besonders in Schlesien, Breslau 1911; J OSEPH S OSSALA , Die Säkularisation der Matthias-Stiftkommende Neuhof bei Kreuzburg, Ohlau 1937; V ÁCLAV B / LOHLÁVEK / J OSEF H RADEC , D 0 jiny 2 eskych k 3 ížovník 9 s 2 ervenou hv 0 zdou, 2 Bde., Praha 1930; V ÁCLAV B / LOHLÁVEK (Hrsg.), Kniha památní na sedmisetleté založeni 2 eskych k 3 ížovník 9 s 2 . hv., Praha 1933; J OSEF H RADEC , Snahy slezských k 3 ížovník 9 o rytí 3 ský titul, in: Od Karlova Mostu. Zpravy z 3 ádu k 3 ížovník 9 s 2 ervenou hv 0 zdou 2 (1929), 128-131; W ILLY L ORENZ , Die Kreuzherren mit dem roten Stern, Königstein 1964. Arkadiusz Wojty a 270 1. Die Anfänge des Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern Die Kreuzherren mit dem roten Stern bemühten sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um den Status eines Ritterordens. Aus diesem Grund suchten sie intensiv nach Argumenten, die die Rechtmäßigkeit dieser Auszeichnung bestätigen konnten. Die freie Interpretation der Ordensnomenklatur und der Funktion der Attribute, die schon im Mittelalter den Kreuzherren mit dem roten Stern nach der Art der Ritterorden zuerkannt wurden, führte zur Formulierung einer Ideologie, die die Anfänge des Ordens im Heiligen Land und seine Verdienste während der Kreuzauffindung und Erhöhung betonte. Der Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern entstand 1238 in Prag aus der Hospitalbruderschaft, die 1233 durch Prinzessin Agnes von Böhmen (1211-1282), der Tochter P 3 emysls Ottokar I. (um 1155-1230), gegründet wurde. Wenig später ließ sich der Orden - dank der Hilfe von Agnes’ Schwester Anna (um 1201-1265) - in Breslau (Schlesien) nieder. Von Anfang an genossen vor allem die böhmischen Kreuzherren mit dem roten Stern ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Der Grund hierfür lag in der adeligen Herkunft der Klostergründerin und der Tatsache, dass der Kreuzherrenorden mit dem roten Stern der älteste auf böhmischen Boden gegründete Orden war und in Prag seinen Hauptsitz hatte. Vermutlich waren es die in der Kreuzzugsbewegung engagierten P 3 emysliden, die den Kreuzherren den Status eines Ritterordens verleihen wollten. Die Mutter von Agnes, Königin Konstanze von Ungarn (um 1177/ 81- 1240) schenkte den Kreuzherren die vom Deutschritterorden erkaufte Kommende in Po 3 í 2 bei Prag, die ihnen in den Jahren 1235-1252 als Hauptsitz diente (dann St. Franziskus Kloster bei der Brücke in Prag). In Po 3 í 2 übernahmen die Kreuzherren neben den Gütern auch die wichtigste Aufgabe des Deutschritterordens, die Hospitaltätigkeit. Darüber hinaus eigneten sie sich verschiedene Attribute des Deutschritterordens an, Ordensnomenklatur (z. B. Kommenden, d.h. die Hospitäler, mit denen eine Kirche verbunden war) und verschiedene Traditionen. Davon zeugen einige Bestimmungen in den ältesten Ordensstatuten von 1292. Bezüglich des Aussehens der Laienbrüder wurde beschlossen Laici autem Fratres non radant barbam nisi sub mento, teneant autem in hoc consuetudinem Fratrum Domus Theutonicorum. 2 Ferner durften die Kreuzherren auf Reisen oder bei anderen besonderen Aufgaben die Waffe (ein kurzes Schwert - Cultellum sive Gladium Preactum) verwenden - allerdings immer nur zum Schutz, nicht für den 2 Zit. in: VON K LEIST , Beiträge (wie Anm. 1), 24, 31. Jerusalem oder Prag? 271 Angriff. 3 So wie die Ritterorden wurden die Kreuzherren mit dem roten Stern vom Heiligen Stuhl vom Zehnt befreit. 1305 wurde der Prager Ordensmeister als Supremus Magister bezeichnet und dadurch zur Visitation aller Ordenskommenden, Kirchen und Krankenhäuser ermächtigt. Sowohl der Titel als auch der umfangreiche Zuständigkeitsbereich des Großmeisters belegen die bewusste Anknüpfung an den Ritterorden. 4 Der an Gütern reiche Kreuzherrenorden gewann die Vertreter des böhmischen Adels für sich. Diese setzten sich dafür ein, dass die Kreuzherren die Attribute der höheren Geistlichkeit und eines Ritterordens verwenden durften. In den 80er Jahren des 14. Jahrhunderts wurde der Ordensgroßmeister Zden 0 k (reg. 1380-1407? ) vom päpstlichen Legat, Kardinal Pietro Pileus de Prata (gest. um 1400), mit einem Ring 5 ausgezeichnet. Bald verlieh Papst Urban VI. (reg. 1378-1389) den 30 böhmischen Kreuzherren das Recht als Kopfbedeckung verzierte Kornetten (Caputia cum Leripipiis seu Corneta) nach Art der der Johanniter zu tragen. 6 Während der Hussitenkriege verloren die Kreuzherren mit dem roten Stern die meisten ihrer Krankenhäuser. So konzentrierten sie sich vor allem auf die Verbreitung der katholischen Lehre in dem durch konfessionelle Streitigkeiten zerrissenen Königreich. Während der Reformation blieben die Kreuzherren der Kirche treu. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begannen sie eine führende Rolle beim Wiederaufbau des Prager Erzbistums zu spielen. Zu dieser Tätigkeit wurden sie von ihrem Großmeister Anton Brus (reg. 1552-1580) angeregt, der während der türkischen Kriege den Ruhm eines hervorragenden Feldkaplans erworben hatte und zum Bischof von Wien und Erzbischof von Prag ernannt worden war. Auf seinen Befehl übernahmen die Ordensmitglieder verschiedene verlassenen Pfarreien, vor allem in Westböhmen, das bald als „Diözese der Kreuzherren“ bezeichnet wurde. 7 Anzumerken ist ferner, dass die mährischen Kreuzherren aus Hradišt 0 / Pöltenberg während dieser Zeit der Unruhen systematisch ihre Propstei mit der Waffe verteidigen mussten. 8 Deshalb fügten einige Propsteien schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Bezeichnung militaris dem Ordensnamen bei. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ring: Attribut der Hohen Geistlichkeit, Kornetten-Attribut des Ritterordens. 6 B / LOHLÁVEK / H RADEC , D 0 jiny 2 eskych k 3 ížovník 9 (wie Anm. 1), Bd. 1, 61f., 207f., Anm. 39. 7 Ebd., 97-136. 8 E DUARD S LÁDEK , Železná hul a pistole, in: Od Karlova Mostu. Zpravy z 3 ádu k 3 ížovník 9 s 2 ervenou hv 0 zdou 1 (1928), 169-170. Arkadiusz Wojty a 272 2. Jerusalem oder Prag? Die Suche nach den Wurzeln Unter diesen Rahmenbedingungen entstand um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die Auffassung vom ritterlichen Status des Ordens, dessen Wurzeln angeblich in Palästina liegen. Um diese Annahme zu beweisen, stützten sich die Kreuzherren auf zwei Quellen: erstens, auf das - 1524 von Priester Simon verfasste - „Leben der seligen Agnes von Böhmen“. Und zweitens, auf Bartholomaeus Paprockýs Werk Zrcadlo Slawného Markrabstvii Moravského aus dem Jahr 1593, in dem eine Erwähnung aus dem Jacobus Menuels De Militaribus Ordinibus zitiert wurde. 9 Der in diesem Werk erwähnte Ordo Bethlehemitorum Jesu Christi, der Kreuz und Stern im Wappen führte, wurde von Paprocky mit den Kreuzherren mit dem roten Stern gleichgesetzt. Dies wiederum führte zu der Annahme, die Kreuzherren mit dem roten Stern würden zur Familie der großen Ritterorden gehören, stünden also im selben Rang wie die Tempelherren, der Deutschritterorden, die Kreuzherren vom Heiligen Grab und der Jakobussowie Lazarus-Orden. Interesse verdient in diesem Zusammenhang ein Stich aus Paprockýs Zrcadlo, der die Kreuzigungsgruppe am Kalvarienberg in Jerusalem, umrahmt von Abzeichen der 12 größten Ritterorden, zeigt (Abb. 1). Er war vor allem bei den mährischen Kreuzherren sehr populär und wurde wiederholt nachgebildet - insbesondere in Handschriften, die sich mit dem ritterlichen Status des Kreuzherrenordens befassten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts stellte der Prior des Prager Kreuzherrenklosters St. Franziskus, Johann Georg Manner (reg. 1648-1659), verschiedene Versionen der Geschichte seines Ordens zusammen, die den Ursprung der Kreuzherren mit dem roten Stern sowohl aus dem Heiligen Land als auch aus Prag ableiteten. Nach der Analyse der Urkunden verwies er darauf, dass der Kreuzherrenorden im 13. Jahrhundert in Prag von Prinzessin Agnes gegründet worden war. 10 Trotzdem bezeichnete er seinen Orden als „Ordo Militaris“. Als 1662 - drei Jahre nach Manners Tod - der Grundstein zum Bau des neuen St. Franziskus Klosters gelegt wurde, gewann die Version über den palästinischen Ursprung der Kreuzherren mit dem roten Stern an Bedeutung. Die Grundsteinlegungsurkunde bezeugt dies. 11 9 Narodní Archiv (Prag, Nationalarchiv), 4 ad K 3 ižovníci (im Folgenden zit. als NA 4 K 4 ), Sign.: karton 11; NA Archiv Arcibiskupstvi Pražského (im Folgenden zit. als NA APA), Sign.: Kniha I, B 65/ 3: Liber miscellaneorum [...] de Sacro Ordine Crucigerorum cum rubea Stella. 10 B / LOHLÁVEK / H RADEC , D 0 jiny 2 eskych k 3 ížovník 9 (wie Anm. 1), Bd. 1, 127. 11 NA 4 K 4 , Sign.: karton 175. „A[nno] 1662 die 22 Mai / Domus haec a Beata Agnete filia Regis Bohemiae pro Pauperibus erecta et fundata, Crucigeris [que] cum rubea Stella perpetuo Possidendo tradita circa Annum 1234 [...] His te Venerabilis Posteritas monitam velim, Ordinem Crucigerorum cum rubea Stella, Jerusalem oder Prag? 273 Abb. 1: Kreuzigungsgruppe am Kalvarienberg in Jerusalem umrahmt von den Abzeichen der 12 größten Ritterorden, Kupferstich, in: Bartholomaeus Paprocký, Zrcadlo Slawného Makrabstvii Moravského, Olomutii 1593. Eine erweiterte Version dieser Geschichte wurde einige Jahre später, während der feierlichen Installierung des Großmeisters Johann Friedrich von Waldstein (reg. 1668-1694), von dem Jesuitenpater Sigismund Hartmann (1632-1681) in der Mutterkirche der Kreuzherren mit dem roten Stern in Prag präsentiert. Er versicherte den zahlreich versammelten Teilnehmern, ad Quos Domus haec pertinet ab Origine sua militarem esse, Crucigeri enim Palestina Pulsi huc Pragam Bo[h]emiae Metropolim venientes [...]. Arkadiusz Wojty a 274 dass es ihm durch langwierige Nachforschungen gelungen sei, die wahren Anfänge des Kreuzherrenordens zu ergründen: 12 Der Orden hätte zusammen mit den Johannitern und Deutschrittern zur Familie der „Kreuzhelden“ gehört und sich durch sein Alter besonders ausgezeichnet. Die Kreuzherren mit dem roten Stern wären auf Anregung des Heiligen Geistes vom Nachfolger des hl. Petrus, „Papst Cletus“ (reg. ca. 80-92 bzw. ca. 77-80), aus dem Kreis der ersten und eifrigsten Christen berufen worden. Dieser neue Orden hätte in Bethlehem den Armen, Kranken und den „heiligen Christi Märtyrern“ gedient. Am Ende des 17. Jahrhunderts brachte der Kreuzherrenorden zwei bedeutende Geschichtsschreiber hervor. Im Prager Konvent wirkte Pater Jan Beckovský (1658-1725), Verfasser einer Geschichte Böhmens, 13 und in Breslau Michael Fibiger (reg. 1696-1712), Großmeister des schlesischen Ordenszweiges, bekannt vor allem aufgrund seiner Silesiographia renovata und Das in Schlesien gewaltthaetig eingerissene Luthertum. 14 Beckovský zufolge war der Kreuzherrenorden nach seiner Gründung in Bethlehem tätig und dies genau bei jener Kirche, die am Geburtsort Christi erbaut worden war. Mehr als 800 Jahre hätten die Ordensmitglieder „mit Hilfe des Kreuzes“ gegen Sarazenen gekämpft, denen sie die „ägyptischen, palästinischen, phönizischen und die anderen Ostländer“ weggenommen hätten. Nach der Verdrängung aus dem Heiligen Land wären die Kreuzherren mit dem roten Stern 1217 nach Prag gekommen, wo sie unter den Schutz der Königin Konstantia gestellt wurden. Diese fromme Monarchin verlieh ihnen die drei bei Prag gelegenen Dörfer (siehe 3.1.), unter ihnen auch Hloup 0 tin, wo sich die Kreuzherren niederließen und in kurzer Zeit die Kirche zum hl. Georg - „dem Ritter und Märtyrer“ geweiht - erbauten. 15 Auch der Breslauer Ordensmeister Michael Fibiger nahm sich der gründlichen Erforschung der Ordensvergangenheit an. Trotz seines umfassenden Wissens und intensiver Recherchen gelang es ihm allerdings nicht, im Archiv irgendeine Urkunde zu finden, die die Herkunft des Ordens aus Palästina eindeutig bestätigen konnte. Fibiger zögerte nicht, seine Zweifel bezüglich der langen Ordenstradition publik zu machen. Scharfe Kritik sei- 12 NA APA, Sign.: Kniha I, B 65/ 3 (wie Anm. 9): Lob=und Ehren Red so an dem Hochansehlichen Herren [...] Hans FrIDrIch Von VValDsteIn [...], 1668. 13 J AN B ECKOVSKÝ , Poselkyn 0 Starých P 3 íb 0 h 9 w Cžeských aneb Kronyka Cžeska [...], Bd. 1, 365, 405. 14 M ICHAEL J OSEPH F IBIGER , Nicolai Henelii [...] Silesiographia renovata, necessaris scholiis, observationibus et indice aucta, Wratislaviae et Lipsiae 1704; D ERS ., Das in Schlesien gewaltthaetig eingerissene Luthertum: und die dadurch erfolgte schwere Verfolgung der roem. Kirchen und Geistlichkeit, Breslau auffm Dohm [ca. 1713]. 15 B ECKOVSKÝ , Poselkyn 0 Starých P 3 íb 0 h 9 w (wie Anm. 13), Bd. 1, 365, 405. Jerusalem oder Prag? 275 tens der Prager Kreuzherren war die Folge. Zwei Mal wurde die Handschrift seiner Dissertatio de Ortu […] zensiert. 16 Schon im ersten Kapitel wies Fibiger nach, dass bisher weder das Datum der Stiftung des Ordens noch der Ort seiner Entstehung, geschweige denn die Namen der Gründer ermittelt worden seien, wobei Fibiger allerdings den Verlust der entscheidenden Dokumente während der Irrfahrt aus dem Heiligen Land nicht ausschloss. 17 Eine andere Sichtweise bietet die von Prag korrigierte Version, in der das fehlende Wissen um die Gründung des Ordens ins Positive gewendet wurde. Dort heißt es nämlich: „Unsere Tradition ist zweifellos so groß, dass wir nichts über ihre jugendlichen Anfänge wissen.“ 18 Fibiger stand naturgemäß entschlossen in Opposition zu der These, wonach die Ordensanfänge „wenigstens“ in die Zeit der Apostel und des Papstes Cletus zurückgehen oder die Ordensstifter mit der hl. Helena, Gottfried von Bouillon oder König Baldwin II. zu identifizieren seien. Er selbst vermutete, der Kreuzherrenorden sei in Böhmen im 13. Jahrhundert gegründet worden. In Reaktion auf die neuen Veröffentlichungen brachte Fibiger eine Reihe von Beispielen vor, die seine Thesen untermauern sollten und darüber hinaus auch für die ebenfalls angezweifelte Hospitaltätigkeit des Ordens sprachen. Fibiger hatte nicht nur im Hinblick auf die Gründungsgeschichte des eigenen Ordens massive Bedenken, sondern bezweifelte auch die Gründung des Johanniterordens durch Johann Hyrcanus, den Sohn von Judas Makkabäus, und die Stiftung des Kreuzherrenordens vom Heiligen Grabe durch den hl. Jakob. Der Breslauer Meister gab ausdrücklich zu verstehen, dass die in den ersten Jahrhunderten des Christentums wirkenden Orden gar nicht durch das Kreuz bezeichnet werden konnten, weil - wie allgemein bekannt - dieses Zeichen von den damals verfolgten Christen nicht verwendet wurde. Demnach konnten die Anfänge der Kreuzherren frühestens in das 4. Jahrhundert fallen. Fibiger stützte sich in seiner Argumentation auf ein Ereignis, das sich während der Kreuzauffindung durch Helena 326 in Jerusalem zugetragen haben soll. Damals hielt Makarios, Patriarch von Jerusalem, eine Rede über die Wahrheit und Macht des Kreuzes, von der die Mitglieder aus dem Gefolge Helenas angeblich ergriffen wurden. Die Gefolgsleute sollen Helena um die Erlaubnis gebeten haben, das Kreuzzeichen - nach der Art der Soldaten von Kaiser Konstantin - verwenden zu dürfen. Infolgedes- 16 NA 4 K 4 , Sign.: karton 35: M ICHAEL J OSEPH F IBIGER , Dissertatio de Ortu et Progressu Sacri Militaris Ordinis Crucigerorum cum Rubea Stella Anno 1706 conscripta; [D ERS .,] Controversia super edendo libri de Ortu et Progressu Ordinis Nostri a Magistro Wratislaviensi D. Fibiger de Anno 1706. 17 F IBIGER , Dissertatio (wie Anm. 16). 18 F IBIGER , Controversia (wie Anm. 16): Tante nimirum antiquitatis nostrum est Institutum, ut de primoevo illius ortu certe quidquam statuere, nescimus. Arkadiusz Wojty a 276 sen habe die Kaiserin einen zur Verteidigung des Heiligen Kreuzes verpflichteten Ritterorden gegründet. 19 Alle Teile in Fibigers Werk, die zweifelhaft erschienen, wurden von den Prager Zensoren gestrichen. 20 Die von Prag vorgeschlagene Version wiederum stieß auf den strengen Widerstand des Breslauer Bischofs und Domkapitels. Fibiger fand sich in einer schwierigen Lage. Er konnte weder dem Entschluss der Generalbehörde widersprechen, noch die Meinung der höheren Geistlichkeit von Breslau ignorieren. Erst nach einigen Jahren bot sich ihm die günstige Gelegenheit, seinen Standpunkt zu bekräftigen: 1709 wurde zeitgleich in Leipzig und Breslau die zweite Auflage des Kurtzen Entwurffes der Geist- und Weltlichen Ritterorden von Christian Gryphius veröffentlicht. 21 Der Verleger Christian Bauch widmete dieses Werk Fibiger, zum Dank für die von ihm beigebrachten Informationen über den Kreuzherrenorden, die in der ersten Auflage nicht berücksichtigt worden waren. In der zweiten Auflage sollte dieser Mangel behoben werden. So schildert hier nun bereits die Vorrede die gesamte Geschichte des Kreuzherrenordens. Der Verlauf der Erzählung ist erstaunlich und verrät eine starke Orientierung an der ersten, nicht von Prag korrigierten Version von Fibigers Dissertatio De Ortu et Progressu […] 22 Gleich zu Beginn wird betont: Wer denen in der Historie schlechten Grund habenden und also auch schlechten Beifall verdienenden alten Traditionibus blindlings glauben sollte, den würden einige wohl auf die Zeiten der Apostel und des heil. Cleti hinaus weisen, oder ja mit der Muthmassung angestochen kommen, ob habe die Kaeyserin Helena, [...] diesem Orden den Anfang gegeben. 23 Nach Fibigers Tod (1712) bemühte sich sein Nachfolger, Meister Ignaz Georg Magnet (reg. 1712-1719), der sich - erfolglos - um den Status eines Ritterordens für den schlesischen Ordenszweig bewarb, die Ordensgeschichte im anerkannten Katalog der Ritterorden von Filippo Bonanni (1658- 1723) zu veröffentlichen. 24 Bonanni sagte ab, weil er keine Dokumente in der apostolischen Kanzlei finden konnte, die den ritterlichen Status des Kreuzherrenordens bestätigten. Als Antwort darauf sandte ihm Magnet ein Verzeichnis der den Kreuzherren zugebilligten ritterlichen Vorrechte. Ferner schickte er ihm die von Prag korrigierte „palästinische“ Version der Ge- 19 F IBIGER , Dissertatio (wie Anm. 16). 20 F IBIGER , Controversia (wie Anm. 16). 21 C HRISTIAN G RYPHII , Kurtzer Entwurff der Geist- und Weltlichen Ritter-Orden nach des hn. Autoris seel. Tode zum Andernmahl weit verbesserter, und mit Einrückung vieler vorhin mit Stillschweigen übergangener Ritter-Orden und Gesellschafften vermehrter heraus gegeben, Leipzig / Breslau 1709. 22 F IBIGER , Dissertatio (wie Anm. 16). 23 G RYPHIUS , Kurtzer Entwurff (wie Anm. 21), Vorrede. 24 F ILIPPO B ONANNI , Ordinum Equestrium et Militarium Catalogus, Roma 1712. Jerusalem oder Prag? 277 Abb. 2: Bildnis eines Großmeisters der Kreuzherren mit dem roten Stern, Kupferstich, in: Filippo Bonanni, Ordinum equestrium et militarium catalogus, Rom 1712. Arkadiusz Wojty a 278 schichte der Kreuzherren mit dem roten Stern und ein Bildnis des Großmeisters (Abb. 2). Schließlich gab Bonanni den Bitten Magnets nach und fügte im Anhang zur zweiten Ausgabe seines Kataloges auch die Geschichte der Kreuzherren mit dem roten Stern hinzu, die eine für diesen Orden entscheidende Erwähnung enthielt: Hunc nonnuli affirmat originem habere a S. Helena. 25 Allerdings wollte Bonanni für diese Auskunft keine Verantwortung übernehmen. So schrieb er diplomatisch unter den Text, dass der ganze Bericht von Magnet stammte. 26 In den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde das Werk Fibigers durch den Breslauer Ordenssekretär Anton Tudetius (Lebensdaten unbekannt) - in Zusammenhang mit den nochmaligen Bemühungen des schlesischen Ordenzweiges um die Bestätigung des Rittertitels - fortgesetzt. Das Unternehmen zeichnet sich durch große Gelehrsamkeit aus. Schon am Anfang erwähnt der Verfasser zahlreiche Kataloge der Ritterorden, die sowohl in Italien, Spanien, Frankreich als auch in Mitteleuropa veröffentlicht wurden. 27 Außer der umfangreichen Geschichte der Kreuzherren mit dem roten Stern im Heiligen Land stellte er alle Urkunden zusammen, die den ritterlichen Status seines Ordens bestätigten. 3. Bildpropaganda 3.1. Die Georgs-Kirche in Hloup tin Obwohl die Kreuzherren mit dem roten Stern, nach einer kurzen Episode in Po 3 í 2 , ihren Hauptsitz immer im Franziskus Kloster in der Prager Altstadt hatten, betrachteten die verschiedenen historiographischen Werke des Ordens stets das zunächst dem Deutschritterorden gehörende Dorf Hloup 0 tin (heute Praha-Hloub 0 tin) als ersten Zufluchtsort der aus dem Heiligen Land vertriebenen Kreuzherren. In der dortigen Georgskirche wurde in der Barockzeit ein interessantes, leider nicht erhaltenes Programm realisiert, das wir dank einer Beschreibung von Karl Bienenberg und eines Kircheninventars nachvollziehen können. 28 Das über den Kircheneingang sichtbare Chronogramm e PaLästIna BethLe- 25 „Manche behaupten, dass [der Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern] seinen Ursprung von der Hl. Helena abgeleitet hatte.“ Vgl. K LEIST , Beiträge (wie Anm. 1), 27. 26 B ONANNI , Ordinum Equestrium (wie Anm. 24), Roma 2 1713. 27 Biblioteka Uniwersytetu Wroc l awskiego, Oddzia l R e kopisów (Breslau, Universitätbibliothek, Handschriftenabteilung), Sign.: IV Q 215; A NTONIUS T UDETIUS , Epitome historica Sacri Mil. Ord. Crucigerorum cum rubea stella ex variis famosis Scriptoribus, Historicis, et ipsis Sacri Ordinis Archivorum documentis authenticis, jam olim conscribi coepta a Rev. Per. ac Ampl. D. D. Mich. Io. Fibiger. 28 K ARL J. R ITTER VON B IENENBERG , Analekten zur Geschichte des Militaerkreuzordens mit dem rothen Stern, Prag / Wien 1787. Jerusalem oder Prag? 279 heMItae hVC VenerVnt informierte ausdrücklich über die Ankunft des Ordens 1217 aus dem Heiligen Land in Hloup 0 tin. Diese Aussage setzte das Programm im Kircheninneren bildlich um. Die vier Ölbilder an den Seitenwänden, die durch Inschriften ergänzt wurden, stellten die Irrfahrt der von den Sarazenen aus Palästina vertriebenen Kreuzherren dar. Das erste Gemälde zeigte die an den Mauern von Bethlehem ausgetragene Schlacht gegen die Sarazenen. Während dieses Kampfes wurden die Verwundeten von den Ordensmitgliedern betreut, die das in der Beschreibung erwähnte Hospital führten. Über die Doppelmission des Ordens, die sowohl den Militärdienst als auch das Krankenhauswesen umfasste, berichteten die Inschriften MILItIa In terra sanCta und CVra In BethLeheM 29 . Die in den Chronogrammen „verborgenen“ Daten 1154 und 1156, die wahrscheinlich auf die Stiftung des Ordens hinwiesen, wirken im Kontext der Historiographie der Prager Kreuzherren, die ihre Ordensanfänge in apostolischer Zeit suchten, überraschend. Dies umso mehr, als sich nur der Breslauer Meister, Michael Fibiger für eine so vorsichtige Datierung entschied. Die Inschriften aus der Georgskirche bezeugen, dass ähnliche Zweifel auch in Prag bestanden - vielleicht gerade aufgrund von Fibigers Werk. Kraft der Bulle von Papst Hadrian IV. (reg. 1154-1159) Christiane fidei ratio wurde 1154 die in Jerusalem wirkende Hospitalbruderschaft zum hl. Johannes offiziell in einen Ritterorden umgewandelt. Ein Jahr davor hatten die Brüder ihren ersten militärischen Erfolg gefeiert: Sie hatten im Heiligen Land den Hafen Askelon erobert. In den kritischen Bearbeitungen der Geschichte der Johanniter, die mit der legendären Abstammung des Ordens brachen, wurde gerade dieses Datum zum tatsächlichen Beginn des Ordo militaris S. Joannis Baptistae erklärt. Das Chronogramm beweist, dass auch die Kreuzherren mit dem roten Stern bereit waren, auf die fiktive tausendjährige Tradition des Ordens zu verzichten. Aber sie sagten sich keineswegs von der Herkunft im Heiligen Land los. Das zweite Datum (1156), das die im Zusammenhang mit der Hospitaltätigkeit stehende Inschrift nannte, bezog sich vermutlich auf den zwei Jahre später vollzogenen Wechsel vom Militärzum Hospitalorden. Gemäß Bienenbergs Bericht stellte ein weiteres Bild die Ankunft der Kreuzherren in Hloup 0 tin dar; es zeigte einen Ordensritter auf einem Pferd und seinen Großmeister mit der Ordensfahne. Die beiden anderen Gemälde schilderten die Übergabe der Kirche St. Peter in Po 3 í 2 durch den König (Wenzel I.? ) und die der Kirche St. Franziskus in Prag durch Agnes. An der Decke war der Kampf Konstantins gegen Maxentius dargestellt. In seiner kurzen Beschreibung erwähnt Bienenberg allerdings nur das am 29 Ebd., 125f. Arkadiusz Wojty a 280 Abb. 3: Ehem. Wallfahrtskirche Maria Kulm, Grundriss. Himmel erscheinende Kreuz, umgeben von der Inschrift In hoc signo vinces, sowie die verschiedenartigen Kreuze an den Rüstungen der Ritter Konstantins. 30 Im Einklang mit der katholischen Historiographie, wurde während dieser Schlacht das erste christliche Heer berufen, das zum Vorbild für alle Ritterorden, somit auch für den Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern, wurde. 3.2. Die Wallfahrtsklosteranlage Maria Kulm Weitere Beispiele der künstlerischen Selbstdarstellung des Ritterordens der Kreuzherren mit dem roten Stern und seiner palästinischen Vergangenheit finden wir in der Wallfahrtsklosteranlage Chlum nad Oh 3 í / Maria Kulm in Westböhmen, die um 1687 begonnen und 1728 vollendet wurde. 31 Schon bei einer oberflächlichen Betrachtung des Grundrisses kann man mühelos 30 B IENENBERG , Analekten (wie Anm. 28), 125. 31 R UDOLF 1 APEK , Maria-Kulm. Eine geschichtliche Darstellung des weltberühmten Wallfahrtortes nebst Beschreibung der Sehenswürdigkeiten, einer Wallfahrtsandacht u.a., Eger 1926; V OJT / CH S ÁDLO , Kostel na Chlumu sv. Ma 3 í, in: Zprávy památkove pe 2 e 13 (1958), 225-238. Jerusalem oder Prag? 281 Abb. 4: Ehem. Wallfahrtskirche Maria Kulm, Marienkapelle, Emporen und Gewölbe. die Konturen eines Kreuzes und eines Sterns erkennen, 32 die offensichtlich an das Ordensabzeichen anspielen (Abb. 3). Das kreuzförmige Langhaus und die westlich angrenzende Marienkapelle - mit einem Sternumriss in der Struktur und Ausschmückung des Gewölbes sowie dem Wechsel von Kreuz- und Sternmotiven in der Gewölbedekoration des Umgangs und dem häufigen Vorkommen dieser Zeichen in der Kirchenausstattung - dienen der Verherrlichung des Ordensabzeichens (Abb. 4 und 5). Der Freskenzyklus in der Sakristei mit drei Szenen aus der Kreuzauffindungslegende (1 Kreuzauffindung, 2 Schlacht Konstantins gegen Maxentius, 3 Kreuzerhöhung) (Abb. 6 und 7) und die nicht erhaltene Darstellung der Schlacht Konstantins gegen Maxentius unter der Orgelempore 33 visualisierten mit Nachdruck die Verdienste der Ordensmitglieder in der Erhöhung des Heiligen Kreuzes. Die Schilde der Soldaten von Konstantin werden mit roten Kreuzen gekennzeichnet (Sakristei: Schlacht gegen Maxentius). Das am Himmel erscheinende Siegeszeichen hat die Form eines roten Malteserkreuzes, das eindeutig an 32 Vgl. F RANZ M ATSCHE , Kostel sv. Ma 3 i Magdaleny K. I. Dientzenhofera v Karlovych Varech, in: Um 0 ní 39 (1991), 16-32, über die Anspielung an Ordensabzeichen in der Architektur von St. Maria Magdalena in Karlsbad, die zu den Kreuzherren gehörte. 33 1 APEK , Maria-Kulm (wie Anm. 31), 38. Arkadiusz Wojty a 282 das im 18. Jahrhundert modifizierte Abzeichen der Kreuzherren anknüpft. Im Unterschied dazu zeigt die Szene der Kreuzauffindung Makarios, den Bischof von Jerusalem, in Begleitung von Geistlichen. Deren Gewänder mit weißen, zweiteiligen Kragen gehörten auch zur Tracht der Kreuzherren mit dem roten Stern. Dagegen wird Kaiser Heraklius, der das Kreuz auf seinen Schultern trägt, von Geistlichen und Kreuzrittern begleitet, die mit roten Malteserkreuzen bezeichnet sind. Wie oben erwähnt, spielten auch die mährischen Kreuzherren mit dem roten Stern eine wichtige Rolle bei der Formulierung der ordo militaris-Ideologie. Die Propstei am Pöltenberg (Hradišt 0 ) Znaim (Znojmo), die König Wenzel I. 1240 dem Orden anvertraute, entstand am Felsenabhang über dem Flussbett die Thaya, an der Stelle einer mährischen Burg, die eine wesentliche Rolle im Befestigungssystem der Südgrenze des Landes spielte. Dieser mit Mauern und Wällen befestigte Berg funktionierte als letzter Brückenkopf im Abwehrsystem der nahen Stadt Znaim, mit der die Burg - nach einer Legende - durch einen unterirdischen Gang verbunden war. Die Aufgabe der Verteidigung der Propstei fiel auch ihren nächsten Besitzern, den Kreuzherren mit dem roten Stern, zu. Noch im 16. Jahrhundert wurde diese Propstei in den Quellen als Festung bezeichnet. 34 Erst in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde ein reiches Programm in der neu umgestalteten Hippolytkirche am Pöltenberg realisiert, das über die palästinische Herkunft der Kreuzherren mit dem roten Stern und ihre ritterlichen Schutzheiligen informiert. Für unsere Betrachtung ist das Kuppelfresko mit der Auffindung des Heiligen Kreuzes von großer Bedeutung, das von Franz Anton Maulbertsch und seiner Werkstatt 1766 ausgeführt wurde (Abb. 8) 35 . 34 S LÁDEK , Železná hul a pistole (wie Anm. 8), 169f. 35 K LARA G ARAS , Franz Anton Maulbertsch (1724-1796), Budapest 1960, 74-76, 215, 246f. Abb. 5: Ehem. Wallfahrtskirche Maria Kulm, Umgang, Wölbung. Jerusalem oder Prag? 283 Abb. 6: Ehem. Wallfahrtskloster Maria Kulm, Sakristei, Schlacht Konstantins gegen Maxentius, Fresko, unbekannter Künstler, zweite Hälfte 18. Jahrhundert. Abb. 7: Ehem. Wallfahrtskirche Maria Kulm, Sakristei, Auffindung des Kreuzes, Kaiser Heraklius trägt das Heilige Kreuz nach Jerusalem, Fresko, unbekannter Künstler, zweite Hälfte 18. Jahrhundert. Arkadiusz Wojty a 284 Abb. 8: Ehem. Propsteikirche Pöltenberg, Auffindung und Verherrlichung des Heiligen Kreuzes, Kuppelfresko, Franz Anton Maulbertsch und Werkstatt, 1765/ 66. An diesem Wunderereignis nehmen Vertreter des Malteser- und Kreuzherrenordens teil, die im Unterschied zu den in Anbetung versunkenen Gläubigen stolz und sicher wie in einer Parade marschieren. Ihre Gewänder sind bereits im Zeichnungsentwurf sehr genau und detailliert ausgearbeitet (Abb. 9). 36 Deshalb kann man an der Kleidung des Kreuzherren außer dem Ordenszeichen am Mantel auch die Reitstiefel erkennen. In der Kuppellaterne erscheint ein Engel mit einem Pektorale in der Form des Abzeichens der Kreuzherren mit dem roten Stern, das als eine Art Schlussstein fungiert. Obwohl die Zeichnung und Ölskizze Maulbertschs vom Auftraggeber akzeptiert wurden, realisierte man die ritterlichen Motive mit Äbänderungen. So nimmt in der Kuppellaterne Gottvater die Stelle des Engels mit dem Ordensabzeichen ein. Darüber hinaus weist der Mantel des Kreuzherren mit 36 Monika Dachs hat diese Zeichnung Joseph Winterhalder d. J. zugeschrieben, und als Nachzeichnung des Freskos interpretiert. Vgl. dazu M ONIKA D ACHS , Franz Anton Maulbertsch und sein Kreis. Studien zur Wiener Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 3 Bde., Habilitationsschrift Mskpt., Wien 2003, 246f., Kat. 77, 364f., Kat. 148; vgl. ferner http: / / www.freieskunstforum.de/ hosch_ 2006a_maulbertsch_maehren.pdf. Der Autor des vorliegenden Bandes hat die Korrespondenz zwischen Maulbertsch und Ordensgroßmeister Anton Jacob Suchánek (1755-1795) gefunden, die die Autorenschaft von Maulbertsch bestätigt. Vgl. dazu A RKADIUSZ W OJTY L A , Sztuka barokowa zakonu krzy z owców z czerwon a gwiazd a a idea Ordo Militaris, 2 Bde., Diss., Breslau 2006. Jerusalem oder Prag? 285 Abb. 9.: Ehem. Propsteikirche Pöltenberg, Auffindung und Verherrlichung des Heiligen Kreuzes, Zeichnung des Kuppelfreskos, Josef Winterhalder d.J. (? ), ca. 1766. dem roten Stern nur noch ein rotes Kreuz auf; man verzichtete auf den Stern, der - in der Meinung der Kreuzherren - erst nach ihrer Ankunft in Prag zum Ordensabzeichen wurde (Abb. 10). Auch während des Umbaus ihres Hauptsitzes, des Breslauer Matthiasstifts, bemühten sich die schlesischen Kreuzherren um den Status eines ritterlichen Ordens. Die Literatur betont mehrfach, dass das von der gotischen Kirche getrennte Barockkloster (Abb. 11) an die Kastellform anknüpft. Die strenge Form der Fassaden, die Wagenschuppen im Erdgeschoss des Nordflügels und der daran anstoßende, nicht mehr erhaltene Turm, der vor allem Arkadiusz Wojty a 286 Abb. 10: Ehem. Propsteikirche Pöltenberg, Auffindung und Verherrlichung des Heiligen Kreuzes, Detail. Abb. 11: Breslau, ehem. Matthiasstift, Nordflügel, um 1704-1715. Jerusalem oder Prag? 287 als Waffenkammer diente, wurden vor dem Hintergrund der militärischen Aufgaben des Ordens interpretiert. Möglicherweise hatte das im nördlichen Teil mit den Stadtbefestigungen verbundene und mit dem Fürstenschloss benachbarte Kloster im vorhergehenden Jahrhundert eine wichtige Funktion bei der Verteidigung Breslaus erfüllt. 37 Die meisten Studien zur Klosterarchitektur weisen gleichzeitig auf enge Verbindungen mit dem Palaisbau hin. Das auf dem Gebiet der fürstlichen Kurie errichtete Matthiasstift wurde mit dem in der Rangordnung der schlesischen und böhmischen Ordenskommenden hohen Titel des Domus Ducalis bedacht. Die in Architektur und Ikonographie des Breslauer Klosters verknüpften Sinnebenen des Ordo Militaris und des Domus Ducalis sind mit Degen und Mitra auch im Tympanon des Hauptportals bezeugt sowie in den vier Büsten der fürstlichen Gründer (Anna von Böhmen [um 1201-1265], Heinrich III. [1227/ 30-1266], Ladislaus [um 1237-1270], Konrad I. [1228/ 31- 1273/ 74] oder Boleslaus II. Rogatka [1220/ 25-1278]), die ursprünglich auf der Brüstung des Turmes aufgestellt waren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Figur des hl. Matthias an der Nordfassade unter anderem auch auf die ritterliche Vergangenheit der Kreuzherren mit dem roten Stern hinweisen sollte. Dieser Heilige wurde von den niederländischen Kreuzherren als Beschützer des Rittertums verehrt. 38 Alle diese Bezugnahmen auf die ritterliche bzw. palästinische Vergangenheit des Ordens wurden im ikonographischen Programm des sogenannten Saals unter der Kuppel entfaltet, der im Zentrum des Nordflügels lag. Der Freskenzyklus, vom Breslauer Maler Johann Jakob Eybelwieser (1667- 1744) 1715 ausgeführt und teilweise während des Zweiten Weltkrieges zerstört, stellte die Verherrlichung des Heiligen Kreuzes und des Kreuzherrenordens dar. Ursprünglich war die Kuppelkalotte mit vier Fresken ausgeschmückt; sie thematisierten die Schlacht Konstantins gegen Maxentius, die Auffindung des Heiligen Kreuzes, die Stiftung des Prager Franziskushospitals durch Prinzessin Agnes sowie die Gründung des Breslauer Matthiasstifts durch ihre Schwester, Fürstin Anna (Abb. 12). Der Tambour wurde mit den 37 W OLFGANG T UNK , Die historische Architektur des St. Matthiasgymnasiums zu Breslau, in: 300 Jahre (wie Anm. 1), 55-60; J AN W RABEC , Barokowy klasztor s w. Macieja we Wroc l awiu. Architektura i jej kontekst, Wroc l aw 2000, 78-88, 99-101. 38 M ARIA S TARNAWSKA , Mi e dzy Jerozolim a a L ukowem. Zakony krzy z owe na ziemiach polskich w s redniowieczu, Warszawa 1999, 176f.; A RKADIUSZ W OJTY L A , Szpitalnicy czy kawalerowie krzy z a i gwiazdy? Rola praskich wzorców artystycznych i ideowych w kszta l towaniu rycerskiej to z samo s ci s l a skich krzy z owców, in: M ATEUSZ K APUSTKA / A NDRZEJ K OZIE L / P IOTR O SZCZANOWSKI (Hrsg.), S l a sk i Czechy- Wspólne drogi sztuki, Wroc l aw 2007, 207-280. Arkadiusz Wojty a 288 Abb. 12: Breslau, ehem. Matthiasstift, Schlacht Konstantins gegen Maxentius, Auffindung des Heiligen Kreuzes, Stiftung des Prager Franziskushospitals durch Prinzessin Agnes und Gründung des Breslauer Matthiasstifts durch Fürstin Anna, Kuppelfresko, Johann Jakob Eybelwieser, 1715 (Foto: von 1936). Darstellungen der böhmischen und schlesischen Kommenden der Kreuzherren geschmückt und das Gewölbe des Saals mit den zahlreichen Darstellungen, die sich auf Christi Kreuz beziehen. 39 1732 kaufte der neu gewählte Meister des schlesischen Ordenszweigs, Daniel Joseph Schlecht (reg. 1732-1745), zu einem ungewöhnlich hohen Preis die in der Nähe der Stadt gelegenen Güter, in Deutsch Lissa (Le s nica, heute Breslau) samt dem Schloss, zu dem diese gehörten. Die Ausgaben stiegen beträchtlich, als der Prälat sich für eine radikale Umgestaltung des 39 E WALD VON K LEIST , Das Matthiasstift des Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern, in: Festschrift des Königlichen St. Matthiasgymnasiums zur Jahrhundertfeier 1811-1911, Breslau 1911, 114- 116; W RABEC , Barokowy klasztor s w. Macieja we Wroc l awiu (wie Anm. 36), 100f. Jerusalem oder Prag? 289 Abb. 13: Deutsch Lissa (Breslau), Schloss, Ansicht von Südosten. Schlosses entschied. Auch bei diesem Umbau versuchte man, den militärischen Charakter der Anlage zu erhalten. So wurden die Ecktürmchen, deren Helme ursprünglich mit den Ordensabzeichen verziert waren, hervorgehoben (Abb. 13). Auch an dem anachronistischen Befestigungssystem des Schlosses, das in dieser Zeit nur noch von symbolischer Bedeutung war, hielt man fest. Überdies wurden auf Befehl des Meisters vier Kanonen auf den Wällen aufgestellt, die aus der Waffenkammer des Matthiasstifts stammten. 40 40 K URT B IMLER , Burg Lissa in Breslau, Breslau 1940; D ITTRICH , Besitzungen (wie Anm. 1), 85; B O- GUS L AW C ZECHOWICZ , Pa l ac i park w Le s nicy, obecnie Dom Kultury „Zamek“, pl. S wi e toja n ski 1, in: J AN H ARASIMOWICZ (Hrsg.), Atlas architektury Wroc l awia, Bd. 2, Wroc l aw 1999, 15-17. Arkadiusz Wojty a 290 Somit kann man als Resümee festhalten, dass die Kreuzherren mit dem roten Stern in ihrer Historiographie und Ikonographie die Darstellung ihrer Ordensgeschichte in erster Linie für propagandistische Ziele instrumentalisierten. Bewahren & Erinnern Heiltum - Historie - Herrscherlob Zur 900-Jahr-Feier des Benediktinerstiftes Kremsmünster Sibylle Appuhn-Radtke Das Benediktinerstift Kremsmünster (Oberösterreich) feierte 1677 sein 900jähriges Gründungsjubiläum. Das Festprogramm wurde detailliert in Wort und Bild beschrieben, so dass dessen einzelne Phasen noch heute anschaulich zu machen sind. Obwohl gelegentlich auf dieses Fest eingegangen worden ist, 1 scheint der barocke Bericht bedeutend genug zu sein, um erneut kulturhistorisch gewürdigt zu werden. Im Folgenden soll zunächst eine Kurzbeschreibung der drei Festtage gegeben werden, um dann relevant erscheinende Aspekte näher zu behandeln: die Reflexion der Gründungsgeschichte, das Lob des regierenden Herrscherhauses und die Präsentation der hauseigenen Heiltümer. Parallel dazu ist zu fragen, wie sich diese Aspekte in Realien manifestierten, die speziell zu diesem Anlass entstanden sind. 1. Quellen Die wichtigste gedruckte Quelle sind die Annales monasterii Cremifanensis, die im Vorfeld des Jubiläums verfasst wurden und 1677 bei Johann Baptist Mayr in Salzburg erschienen sind. 2 Als Autor dieser Klostergeschichte fungierte P. Simon Rettenpacher (1634-1706), der als Dichter und Universalgelehrter über Kremsmünster hinaus Bedeutung gewonnen hat. 3 Das Fron- 1 A LTMAN K ELLNER , Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster, Kassel / Basel 1956, bes. 245-256; A LFONS M ANDORFER OSB, Jubiläumsfeiern in Kremsmünster, in: Jahresbericht des öffentlichen Gymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster 119 (1976), 10-20, bes. 14-20; R ALPH S CHULLER , Jubiläum, Funktion oder zentenare Memoria? Zur retrospektiven Wahrnehmung der klösterlichen Jubiläumskultur, in: W INFRIED M ÜLLER u.a. (Hrsg.), Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus (Geschichte, Forschung und Wissenschaft, Bd. 3), Münster u.a. 2004, 139-156, bes. 144-151. 2 ANNALES MONASTERII CREMIFANENSIS IN AUSTRIA SUPERIORE, SCRIPTI à P. SI- MONE RETTENPACHER Ord[inis] S[ancti] Benedicti ibidem Professo, ANNO MONASTERII SAECULARI NONGENTESIMO à Partu Virgineo M.DC.LXXVII [...] SALISBURGI, EX Typographéo JOANNIS BAPTISTAE MAYR, Typographi Aulico-Academici. Originalrechnung Mayrs über 376 Gulden im Stiftsarchiv: II/ 8/ IIb Kammereirechnungen 1677, Nr. 202; vgl. B ERNHARD P Ö- SINGER , Kunst und Handwerk in den Kammerrechnungen des Stiftes Kremsmünster (archivalische Vorarbeiten zur Kunsttopographie Kremsmünster), ms. Manuskript, Wien 1961, Nr. 2045 (Dr. Huberta Weigl, Wien, sei herzlich für ihren Hinweis auf das Repertorium gedankt). Deutsche Übersetzung: D ANIEL W ILHELM S ICK , Geschichte des Norikums mit der Chronick von dem Kloster Kremsmünster in Oberösterreich geschrieben von P. Simon Rettenpacher, o. O. 1793. 3 Simon Rettenpacher studierte an den Universitäten Salzburg, Rom und Padua Philosophie, Jura und moderne Sprachen, bevor er 1661 in Kremsmünster die Profess ablegte und 1664 Primiz feierte. Nach einem weiteren Studienaufenthalt in Rom amtierte er ab 1667 als Leiter des Gymnasiums in Krems- Sibylle Appuhn-Radtke 294 tispiz seines Buches, eine Allegorie auf die 900-jährige Geschichte des Stiftes, wurde von dem Zeichner P. Benedikt Schnepf (1649-1722) 4 entworfen und von Bartholomäus Kilian (1630-1696) 5 in Augsburg gestochen, während eine als Falttafel beigebundene Vogelschau der Stiftsanlage von Clemens Beutler (gest. 1682) 6 gezeichnet und von Matthäus Küsel (1629-1681) 7 in Augsburg gestochen wurde. 8 Die hier zu diskutierende Festbeschreibung mit vier unbezeichneten Kupfertafeln 9 ist als unpaginierter Appendix der Annales erschienen und dem Geschichtswerk beigebunden. 10 Den kompletten Text des ebenfalls von Rettenpacher verfassten musikalischen Schaupiels zum Jubiläumsfest überliefert die Edition einer Auswahl seiner dramatischen Werke, die fünf Jahre nach dem Jubiläum in Salzburg münster. 1671-1676 lehrte Rettenpacher in Salzburg Geschichte und Ethik; als Pater comicus inszenierte er drei „Finalkomödien“. Rettenpacher wurde ins Stift zurückgerufen, als die Vorbereitungen für das Jubiläum seine Anwesenheit erforderlich machten; bis 1689 wirkte er hier als Bibliothekar. Vgl. A LTMAN K ELLNER , Profeßbuch des Stiftes Kremsmünster, Kremsmünster 1968, 236-239; K ELLNER , Musikgeschichte (wie Anm. 1), 249-259; S IBYLLE D AHMS , Theater und Musik im Rahmen der Benediktineruniversität, in: St. Peter in Salzburg, Ausst.-Kat., Salzburg 1982, 141-148, bes. 146; W ALDEMAR F ROMM , Rettenpacher, Simon, in: Neue deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, 448. 4 Benedikt (Karl) Schnepf kam 1671 aus dem Wiener Schottenstift nach Kremsmünster, um bei der Vorbereitung der Jubiläumsfeierlichkeiten zu helfen. Nachdem er 1675 zum Priester geweiht worden war, wurde er 1678 in den Konvent von Kremsmünster aufgenommen und erhielt in erneuter Profess den Namen Ildefons. Vgl. K ELLNER , Profeßbuch (wie Anm. 3), 251f.; K URT H OLTER , Die Bibliothek. Handschriften und Inkunabeln, in: Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes Kremsmünster II: Die stiftlichen Sammlungen und die Bibliothek (Österreichische Kunsttopographie XLIII, Teil II), Wien 1977, 152, 218; K ELLNER , Musikgeschichte (wie Anm. 1), 266f. 5 R OBERT Z IJLMA , Hans Ludwig Kandtpaltung to Bartholomäus Kilian (Hollstein’s German Engravings, Etchings and Woodcuts, Bd. XVI), Amsterdam 1975, 87-204; zu Kilians Biographie und dessen Produktion an Thesenblättern vgl. S IBYLLE A PPUHN -R ADTKE , Das Thesenblatt im Hochbarock. Studien zu einer graphischen Gattung am Beispiel der Werke Bartholomäus Kilians, Weißenhorn 1988. 6 G EORG W ACHA , Beutler, Clemens, in: Allgemeines Künstlerlexikon (AKL), Bd. 10, München / Leipzig 1995, 291. 7 Nicht bei R OBERT Z IJLMA , Maria Magdalena Küsel to Johann Christoph Laidig (Hollstein, wie Anm. 5, Bd. XX), Amsterdam 1977, 15-62. 8 Der Zeichner Beutler erhielt laut Rechnung für seine Zeichnung nur 24 Gulden (Stiftsarchiv: II/ 8/ IIb 1677, Nr. 718), während der Stecher Küsel 200 Gulden für die Druckplatte, 24 Gulden für 800 gedruckte Exemplare und 32 Gulden für Papier in Rechnung stellte (ebd., Nr. 201). Beschreibung der Ansicht bei L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Alte Ansichten, Modelle und Pläne, in: E RIKA D OBERER u.a. (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes Kremsmünster (Österreichische Kunsttopographie XLIII, Teil I), Wien 1977, 31, Nr. 20. 9 Zwei von ihnen wurden laut Rechnung ebenfalls von Matthäus Küsel ausgeführt: Portal und Procession (Stiftsarchiv: II/ 8/ IIb 1677, Nr. 201). Küsel berechnete dafür 75 Gulden, für den Druck in 1600 Exemplaren 16 Gulden, für das Papier 6 Gulden 24 Schilling. 10 Verwendete Exemplare: Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Sign. F 5 III 129 (für die hieraus reproduzierten Vorlagen zu Abb. 2, 4f., 7f. danke ich Huberta Weigl bzw. dem Eigentümer); Kremsmünster, Stiftsbibliothek; München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 2 H.mon. 186a. - Ob der Festbericht vor der eigentlichen Feier als eine Art Programm formuliert und gedruckt wurde (und damit nur eingeschränkt die Realität des Festes wiedergibt), muss offen bleiben. Heiltum - Historie - Herrscherlob 295 gedruckt wurde. 11 Hilfreich für das Verständnis der Festbestandteile aus der Sicht des 18. Jahrhunderts ist schließlich P. Marian Pachmayrs erweiterte Klostergeschichte von 1782. 12 2. Der Ablauf des Festes Die dreitägigen Feierlichkeiten zum Stiftsjubiläum fanden auf Geheiß des amtierenden Abtes, Erenbert II. Schrevogl (reg. 1669-1703), 13 vom 23. bis zum 26. Oktober statt. 14 Sie begannen am 23. gegen 12 Uhr mit einem Salutschießen zum Empfang des höchstrangigen Ehrengastes, des Passauer Fürstbischofs Sebastian Graf von Pötting. 15 Anschließend wurde in der Stiftskirche das Te Deum gesungen. 16 Am nächsten Morgen (24. Oktober) fand eine Predigt von P. Donatus Willinger, Definitor der österreichischen Kapuzinerprovinz, statt; lobend merkt Rettenpacher an, dass der Kapuziner seine Aufgabe eleganter & aptissime in rem vollbrachte. 17 Vermutlich erwähnte Willinger die Reliquien der hl. Candida, die sein Orden dem Benediktinerstift geschenkt hatte, 18 denn anschließend wurden die neuen Heiltümer zur Verehrung dargeboten: Zusammen mit dem älteren Reliquiar des hl. Agapitus, des Kirchenpatrons, wurden sie zur Kirche St. Sigismund 19 und zurück in die Stiftskirche getragen. Die Prozession durchquerte auf ihrem Weg drei Ehrenpforten, von denen die erste (ohne ephemere Ausstattung) noch vorhanden ist. 20 Ein Hochamt schloss sich an, bei dem der Bischof zusammen mit Abt Erenbert zelebrierte. 21 Nach dem festlichen Mittagsmahl begann der erste 11 S IMON R ETTENPACHER , Selecta dramata diversis temporibus conscripta & in scena recitata, Salzburg: Johann Baptist Mayr 1683, 358-439; Nachdruck: B ENNO W INTERSTELLER (Hrsg.), Simon Rettenpacher, Dramen, Bd. 1, 376-457 (Wiener Neudrucke 18) Wien / Berlin 2007. 12 M ARIANUS P ACHMAYR , Historico-chronologica series abbatum et religiosorum monasterii Cremifanensis [...], Teil IV, Steyr: Abraham Wimmer 1782. 13 Der aus Schongau stammende Schrevogl studierte nach seiner Profess in Kremsmünster (1651) Theologie in Salzburg und feierte 1658 Primiz. Nach einem Jahr als Spiritual am Benediktinerinnenkloster Niedernburg und Geschäftsträger des Stifts an der bischöflichen Kurie in Passau wurde er 1669 zum Abt gewählt. Er vollendete in seiner 34-jährigen Amtszeit die Barockisierung der Stiftsgebäude und mehrerer Pfarrkirchen. Vgl. K ELLNER , Profeßbuch (wie Anm. 3), 245f. 14 K ELLNER , Musikgeschichte (wie Anm. 1), 248f. 15 Zur Amtszeit Pöttings (1673-1689) vgl. K ARL M ÖSENEDER , Stuckdekoration und Deckenmalerei, in: K ARL M ÖSENEDER (Hrsg.), Der Dom in Passau, Passau 1995, 149-237. 16 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 6. 17 Ebd. - Wenn die Festbeschreibung tatsächlich vor der Feier gedruckt wurde (vgl. Anm. 10), ist dieses Lob als topisch zu werten. 18 Ebd., ungez. S. 10f. 19 Ebd., Anm. 28f. 20 Ebd., ungez. S. 2-6. 21 Ebd., ungez. S. 7. Sibylle Appuhn-Radtke 296 Teil von Rettenpachers Schauspiel im Stiftstheater, 22 das im Jahr zuvor umgebaut worden war. 23 Am folgenden Tag (25. Oktober) weihte Bischof Sebastian von Pötting die neue Marienkapelle im Süden der Stiftskirche, 24 die deren mittelalterlichen Vorgängerbau ersetzte. Nachmittags folgten die zwei weiteren Akte des Schauspiels. Der letzte Vormittag des Festes (26. Oktober) war einer feierlichen Disputation gewidmet; 25 das zu diesem Zweck angefertigte Thesenblatt ist erhalten (Abb. 6). Danach reiste der Bischof ab und das Fest klang aus. 3. Historische und kunsthistorische Aspekte der Feier 3.1. Geschichtliches Selbstverständnis Interesse an der eigenen Geschichte entstand in Kremsmünster offenbar nicht erst im 17. Jahrhundert, sondern spätestens Anfang des 14. Jahrhunderts: 26 1304 wurde ein neues Grabmal für Gunther, den vor 777 auf der Keilerjagd umgekommenen Sohn des Klosterstifters, Herzog Tassilos III. von Bayern, errichtet, 27 und 1378 weihte Abt Martin von Polheim die Kirche St. Sigismund, eine Rotunde am mutmaßlichen Ort von Gunthers Jagdunfall. Sie kann sowohl als Memorialbau für den legendären Stiftungsanlass, Gunthers Tod, als auch für das 600-jährige Jubiläum Kremsmünsters gedacht gewesen sein. 28 Diese Kirche wurde knapp 100 Jahre später (1476) durch einen Neubau ersetzt 29 - möglicherweise nun zur Feier des 700jährigen Jubiläums. Der 1787 abgebrochene spätgotische Bau ist auf einer 22 L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Brückentortrakt, in: D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 344. 23 M ANDORFER , Jubiläumsfeiern (wie Anm. 1), 17f., Anm. 20. 24 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 12. 25 Ebd. 26 Um 1300 schrieb Bernardus Noricus die ersten erhaltenen Beiträge zur Klostergeschichte: B ERNAR- DUS N ORICUS , Liber de origine et ruina monasterii Cremifanensis (Monumenta Germaniae historica, Scriptores 25), Hannover 1880, 641; DERS ., Opusculum V. anecdotum de Genealogia Fundatoris Coenobii Cremifanensis, in: Monumenta boica, München 1777, 493-507. Literatur zur Identität des Autors und weiteren Ausgaben bei B ENEDIKT P ITSCHMANN , Kremsmünster, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol (Germania Benedictina III/ 2), St. Ottilien 2001, 164, Anm. 9. Geschichtlicher Überblick aus heutiger Sicht: ebd., 163-252. 27 Wer hier wirklich begraben wurde, ist unklar, möglicherweise Tassilos Sohn Theodbert. Vgl. P ITSCHMANN , Kremsmünster (wie Anm. 26), 164. Der heutige Standort des Grabmals im südlichen Westturm existiert erst seit 1948. Ursprünglich stand das Hochgrab mit einer Reliefplatte aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Mittelschiff der Kirche am Lettner, nach dessen Abbruch 1509 östlich des Kreuzaltars im Chor. 1712 wurde die Platte zusammen mit den Überresten Gunthers und den Reliquien des seligen Wisinto in die Gruft unter dem Hochchor gebracht. Vgl. E RIKA D OBERER , Zur mittelalterlichen Baugeschichte des Klosters und der bestehenden Stiftskirche, in: D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 157-160. 28 B ENEDIKT P ITSCHMANN , Mittelalterliche Quellen, in: D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 93f.; D OBERER , Baugeschichte, in: ebd., 166f. 29 Ebd., 166f. Heiltum - Historie - Herrscherlob 297 Miniatur von Eberhard Schöfftlmair (Schoeftlmayer) 30 im Rotelbuch von 1595 bzw. 1607 (Abb. 3) hinter dem sterbenden Gunther abgebildet. 31 Der Miniaturmaler suggerierte damit eine Verbindung zwischen dem Bau und dem Auslöser der Gründung. 32 Die Patres des 17. Jahrhunderts knüpften also an ein älteres Geschichtsbild ihres Hauses an, das wesentlich mit der Stiftermemoria verbunden war. Der Neubau der Marienkapelle 33 unter Abt Erenbert ordnet sich so in die Reihe früherer Memorialbauten ein. Er stand offenbar nicht nur im Zeichen der gesamten Barockisierung des Stifts, sondern setzte eine hauseigene Tradition fort. Auch Rettenpachers Annales bilden keinen kompletten Neuansatz, sondern sind als Versuch zu lesen, vorhandene historiographische Quellentexte zu systematisieren. Neu und zeittypisch erscheint hingegen eine „archäologische“ Komponente dieser stiftischen Selbstvergewisserung: die Öffnung des Gunther- Grabes im Juni 1677 und die sorgfältige Dokumentation des Vorgefundenen. Wie Rettenpacher berichtet, enthielt das Grab zwei steinerne Urnen, deren Inhalt durch Bleitäfelchen benannt war: Es handle sich um die Überreste des Stiftersohnes Gunther und des sel. Wisinto. 34 In den Urnen liegende Schildchen verwiesen auf ältere Umbettungen in den Jahren 1232 und 1509. Für Rettenpachers historisches Interesse spricht, dass er den vollen Wortlaut dieser Tafeln wiedergibt. Allerdings diente die hierdurch belegte Kontinuität der Überlieferung zweifellos auch dem Echtheitsnachweis der verehrten „Reliquien“. Abt Erenbert ließ die Gebeine in Seide betten und schloss sie in neue, ebenfalls beschriftete Kupferurnen ein, bevor sie wieder beigesetzt wurden. 35 Als zeittypisch kann man auch die allegorische Deutung der geschichtlichen Inhalte in dramatischer und monumentaler Form werten: Rettenpachers an zwei Tagen aufgeführte Trilogie Callirhoes ac Theophobi amores, seu 30 1603 in die Münchner Malerzunft aufgenommen. Vgl. H ANS V OLLMER (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler (im folgenden zitiert als T HIEME -B ECKER ), begr. von Ulrich Thieme und Felix Becker, Bd. 30, Leipzig 1936, 216. 31 H OLTER , Bibliothek (wie Anm. 4), 217; D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 59, Abb. 5. 32 Auch Simon Rettenpacher gibt in seinem Vorwort zur Callirhoe an, dass St. Sigismund nahe an der Stelle stehe, an der Gunther umgekommen sei. Vgl. R ETTENPACHER , Selecta dramata (wie Anm. 11), 358. Allerdings ist auch die Filialkirche Oberrohr bei Kremsmünster als „Jubiläumsbau“ zur 700-Jahr- Feier interpretiert worden: M ANDORFER , Jubiläumsfeiern (wie Anm. 1), 13. Zu der auf Pachmayr zurückgehenden Vorstellung, dass Kremsmünster Jahrhundertjubiläen mit der Errichtung von Neubauten gefeiert habe, vgl. S CHULLER , Jubiläum (wie Anm. 1), 144-151. 33 L EONORE P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Stiftskirche, in: D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 286-292. 34 Der um 1066 gestorbene Mönch wurde in Kremsmünster spätestens seit dem 13. Jahrhundert so verehrt, dass man seine Gebeine wie Reliquien behandelte. Vgl. K ELLNER , Profeßbuch (wie Anm. 3), 99f. 35 R ETTENPACHER , Annales (wie Anm. 2), ungez. S. 245f.; P ACHMAYR , Series abbatum (wie Anm. 12), 552. Sibylle Appuhn-Radtke 298 Abb. 1: Stift Kremsmünster, Brückentor mit Figuren von Johann Peter II Spaz, 1666-1667. Heiltum - Historie - Herrscherlob 299 Abb. 2: Stift Kremsmünster, Brückentor mit Adaptierung anlässlich des 900-jährigen Gründungsjubiläums, Kupferstich, in: Simon Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis, Salzburg 1677. Sibylle Appuhn-Radtke 300 Monasterii Cremifanensis Fundatio, Eversio et Instauratio 36 stellte den Zuschauern die drei wichtigsten Phasen aus der Geschichte Kremsmünsters in allegorischer Einkleidung vor: die Gründung, die Zerstörung während der Ungarneinfälle und den Wiederaufbau des Stiftes unter Kaiser Heinrich II. In den ersten Teil ist die Gründungslegende einbezogen, so dass auch Herzog Tassilo und seine Familie auf der Bühne erschienen. Parallel zur Stiftsgeschichte wird eine allegorische Liebesgeschichte erzählt, die Beziehung der Flussnymphe Callirhoe (des Kremstals) zu dem Schäfer Theophobus (dem Stift). Das Paar erlebt die gleichen Höhen und Tiefen wie die Historie, lässt aber das Wirken der Providentia divina anschaulich werden. Geschichte wurde nicht als bloßer Ablauf von Ereignissen vermittelt, sondern, poetisch verbrämt, als lokale Heilsgeschichte. Monumentale Gestalt gewann die Stiftermemoria - bereits zehn Jahre vor dem großen Jubiläum - am „Brückentor“ des Stiftes, dem 1666-1667 von Johann Peter II Spaz 37 als permanente Ehrenpforte gestalteten Eingangsportal zum Prälatenhof (Abb. 1). 38 Über der Ädikula mit Sprenggiebel, an deren Fries der Wappenschild des Auftraggebers, Abt Placidus Buechauers (reg. 1644-1669), 39 angebracht ist, sind drei gestaffelte Figurennischen eingetieft. In der mittleren und höchsten steht der Stifter, Herzog Tassilo, der ein Kirchenmodell in der Hand hält; ein beigegebener Schild erinnert an die Gründung von 777. Die beiden seitlichen Nischen zeigen die Figuren Kaiser Karls des Großen und Kaiser Heinrichs II., deren Rolle als Confirmator (783) bzw. Restaurator (1004) Schriftschilde betonen. Auf dem Kupferstich des Festberichts, der das Brückentor abbildet (Abb. 2), sind die Texte vergrößert auf Schriftbändern wiedergegeben; die Zuordnung zu den Schilden der Herrscherfiguren erfolgt über eingesetzte Ziffern. Der Stich macht darüber hinaus klar, dass das permanent vorhandene Portal für den Festanlass ephemer bereichert wurde: Zu Füßen Tassilos liegt der sterbende Gunther, neben ihm das Wildschwein, das seinen Tod verursachte. Ob diese Figuren plastisch oder als Figurentafel(n) ausgebildet waren, muss offenbleiben. Deutlich ist hingegen, dass sich der Inventor an der Miniatur des oben genannten Rotelbuchs (Abb. 3) orientiert hat. 36 „Die Liebe von Callirhoe und Theophobus oder Gründung, Zerstörung und Wiederherstellung des Klosters Kremsmünster.“ Textausgaben wie Anm. 11. Neben den Schülern des Stiftsgymnasiums waren Schauspieler aus benachbarten Stiften angeworben worden, denn die Aufführung mit musikalischer Untermalung und Chören erforderte 77 Mitwirkende, darunter Sänger und Tänzer. Die Kammereirechnungen verzeichnen einen entsprechenden Aufwand an Kostümen, Requisiten und gemalten Kulissen. Vgl. K ELLNER , Musikgeschichte (wie Anm. 1), 255f. 37 T HIEME -B ECKER , Allgemeines Künstlerlexikon (wie Anm. 30), Bd. 31, 339f. - Zu dessen Tätigkeit für Kremsmünster vgl. D OBERER , Kunstdenkmäler (wie Anm. 8), 272, 280, 282, 287, 291, 359, 372f., 384, 399f. 38 P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Brückentortrakt (wie Anm. 22), 347f. 39 K ELLNER , Profeßbuch (wie Anm. 3), 224-226. Heiltum - Historie - Herrscherlob 301 Abb. 3: Eberhard Schöfftlmair, Gunthers Tod, Miniatur aus dem Rotelbuch von 1595-1607 (Stiftsbibliothek Kremsmünster). Beiderseits des Portals waren je zwei Emblemschilde angebracht, deren Motti in Kartuschen standen. Wie aus Rettenpachers Festbeschreibung hervorgeht, 40 beziehen sie sich auf die dargestellten Fürsten: den früh verstorbenen Gunther, 41 den tugendreichen Tassilo, 42 Karl den Großen 43 und den verdienstvollen Heinrich. 44 Allen Latein sprechenden Festgästen wurde mit dieser Ausstattung des Brückentors verdeutlicht, unter was für einem mächtigen Schutz das Stift von Anbeginn stand. Wer dieses Ausstattungsprogramm des Brückentors erdacht und umgesetzt hat, ist nicht überliefert. Naheliegend wäre es, dass Simon Rettenpacher die Konzeption entwickelte, denn drei Jahre später hielt er andere, wohl selbst erdachte Embleme schriftlich fest: Anlässlich eines kaiserlichen Besuchs in Kremsmünster (1680) entwarf Rettenpacher eine Dedicatio an Leopold I. und seine Gemahlin zusammen mit sieben Emblemen, deren Picturae und Motti in seinen Epistolae variae notiert sind. 45 Ob diese ebenfalls einen Triumphbogen schmücken sollten oder in anderer Form der fälligen Panegyrik dienten, geht aus der Quelle nicht hervor. 40 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 2f. 41 Motto: NIMIUM BREVIS AEVI. Pictura: ausgerissene Sonnenblume. 42 Motto: VIRTUTIS PRAEMIA. Pictura: Öllampe auf Hochgrab. 43 Motto: VTRINQ[ue] MAGNUS. Pictura: Minerva und Herkules umarmen sich. Dabei handelt es sich um eine Variante auf die topische Herrschertugend „ex utroque“; vgl. u.a. A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 67-71. 44 Motto: TERGEMINA DECORAT. Pictura: Kranz aus Lorbeer, Ölzweigen und Lilien. 45 Kremsmünster, Stiftsbibliothek: Epistolae variae R[everendi] P[atris] Simonis Rettenpacher P[rofessi] Cremif[anensis]. Briefcodex Ep I (CCn 1166), pag. 479f. Für den Hinweis auf diese Handschrift sei P. Benno Wintersteller, Kremsmünster, herzlich gedankt. Sibylle Appuhn-Radtke 302 Als Zeichner bzw. Maler, der Rettenpachers Concetto ins Bild umzusetzen hatte, bot sich Benedikt Schnepf an, der das Frontispiz zu Rettenpachers Annales und das 1677 verwendete Thesenblatt vorzeichnete. Auch auf der vielteiligen Komposition des Frontispizes (Abb. 4) durchdringen sich Historie und Allegorie: Vor der Fassade der Stiftskirche mit den frühbarocken Turmhauben 46 spricht das Stift über sich selbst: Post saecula novem pulchrius resurgo („Nach neun Jahrhunderten erhebe ich mich [umso] schöner“). Sechs allegorische und historische Figuren assistieren bei dieser „Auferstehung“. Ihre Rolle ist teils durch Beischriften erläutert: Chronos als Personifikation des verflossenen Zeitraums hat die Sense geschultert und deutet auf das Baumaterial. Minerva mit Lot und Zirkel steht neben dem Stifter, Herzog Tassilo (Fundavi). Karl der Große (Firmavi) und Heinrich II. (Restitui), die befehlend ihre Szepter erhoben haben, sind ebenso wie am Brückentor als Wohltäter vertreten. Eine Personifikation der Religio oder Fides scheint ihr Tun mit ausgestrecktem Kreuz zu unterstützen. Alle sechs blicken zum Himmel auf, wo der Salvator mundi 47 erscheint, flankiert vom hl. Benedikt und dem hl. Agapitus. Auch ihre Rollen werden durch Beischriften erläutert: Der Ordensgründer leitet das Stift an (Regente), Agapitus fungiert als Patron (Patrocinante) und der Salvator schützt es (me protegente). Die Qualität dieses Blatts liegt weniger in der künstlerischen Aufbereitung als in dem stringenten Concetto. Er variiert die Figurenausstattung des Brückentors und steht in Einklang mit der dreiteiligen Gliederung von Rettenpachers Jubiläumsschauspiel, das etwa parallel zu den Annales entstanden sein dürfte. Ob Rettenpacher bereits die Figurenausstattung des Portals (1666/ 67) mitbestimmt hat, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist groß; denn er kehrte gerade als neuer Rektor des Gymnasiums ins Stift zurück, als die Vergabe der Arbeiten an Spaz erfolgte. 48 Rettenpachers Inventorenrolle für die hochbarocke Ikonographie von Kremsmünster ist kaum zu überschätzen. 46 P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Stiftskirche (wie Anm. 33), 209. 47 Der Typus verweist eher auf Gottvater, aber das Patrozinium des Salvators - P ITSCHMANN , Kremsmünster (wie Anm. 26), 161 - macht es wahrscheinlich, dass dieser gemeint ist. Offenbar gab es in Kremsmünster eine eigene ikonographische Tradition der Darstellung des Salvators im Typus Gottvaters, die beispielsweise auch in einer Miniatur von Theodor Schrödter im Rotelbuch von 1641 anschaulich wird: Tassilo kniet hier vor dem auf dem Globus schwebenden weißbärtigen Gottvater, der als Salvator segnend die Rechte hebt und den Reichsapfel trägt. Vgl. 1200 Jahre Kremsmünster. Stiftsführer, Linz 1977, 3, sowie die Miniatur von Eberhard Schöfftlmair, 1595 (abgebildet ebd., 36). Der gleiche Typus fand auch im frühbarocken Hochaltar der Stiftskirche Verwendung: L EONORE P ÜH- RINGER -Z WANOWETZ , Metamorphosen eines Kunstwerks. Der Hochaltar der Pfarrkirche von Grünau im Almtal und seine Vorgeschichte im Raum der Stiftskirche von Kremsmünster 1511-1712, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 27 (1974), 83-139, bes. Abb. 87. 48 Ein Konzept zum Vertrag Abt Placidus Buechauers mit Spaz ist erhalten. Vgl. E RICH H ILLBRAND u.a. (Bearb.), Linzer Regesten: Stiftsarchiv Kremsmünster, Bd. 1, Linz 1956, 235, Nr. 680; vgl. dazu T HEOPHILUS D ORN , Abriß der Baugeschichte Kremsmünsters, in: Heimatgaue 10 (1929) Nr. 2/ 3 [Linz 1931], 97-150, bes. 122. Heiltum - Historie - Herrscherlob 303 Abb. 4: Frontispiz zu Simon Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis, Salzburg 1677. Sibylle Appuhn-Radtke 304 3.2. Herrscherlob - Bezug auf die Domus Austriaca Eine Betrachtung des Verdienstes historischer Patrone konnte leicht in das Herrscherlob der Gegenwart münden. Tatsächlich wurde auch diesem Aspekt ein eigener Triumphbogen gewidmet, der in der Mitte des Prälatenhofs in Sichtweite der Kirchenfassade stand (Abb. 5). Hier war der Entwerfer in der formalen Gestaltung freier, weil er sich nicht an bereits bestehende Bauformen anpassen musste. Wem die Ehrenpforte galt, macht der gekrönte Doppeladler mit Schwert und Szepter klar, der über einem Sockel mit dem Wappenschild der österreichischen Erblande schwebt: dem Heiligen Römischen Reich unter der Herrschaft Habsburgs. 49 Auch das zentrale Emblem unter dem Wappenschild preist das Haus Habsburg als mythische Nachkommenschaft des Herkules. 50 Die sonstige Ausstattung des Triumphbogens mit vier Personifikationen und sechs Emblemen lässt jedoch erkennen, dass speziell der regierende Kaiser, Leopold I., angesprochen ist. Die beiden Personifikationen auf dem Kranzgesims mit zwei zugehörigen Emblemen verbildlichen die Imprese des Kaisers Consilio et Industria, 51 die ein ausgewogenes Regierungsprogramm mit Besonnenheit und Tatkraft verkündet. Entsprechend flankieren Personifikationen von Consilium ([Guter] Rat) 52 und Industria (Fleiß, Tatkraft) 53 den Sockel mit dem Doppeladler. Consilium ist ein Emblem zugeordnet, das erneut auf die mythische Abstammung der Habsburger anspielt. 54 Ihm entspricht ein zweites unterhalb von Industria, das gezügelte Tatkraft lobt. 55 Die Personifikationen und ihre Embleme sind in der Aussage verschränkt: Der „Gute Rat“ ist wirkungslos ohne Aktivität (Herkules, der die Hydra erschlägt), und der „Fleiß“ darf sich nicht unge- 49 Vgl. auch R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 3. 50 Motto: NON SENTIT ONVS. Pictura: Atlas mit der Weltkugel. Zur Thematik vgl. G UIDO B RUCK , Habsburger als Herculier, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 50 (1953), 191- 198. Zu der entsprechenden literarischen Prägung des Herrscherbildes Maximilians I. in der „Austrias“ vgl. E LISABETH K LECKER , Impius Aeneas - pius Maximilianus, in: Wiener humanistische Blätter 37 (1995), 50-65. 51 Eigenhändige Verwendung bereits 1657 in der Wiener Universitätsmatrikel. Vgl. S IBYLLE A PPUHN - R ADTKE , Allegorie und Emblem, in: J OSEF P AUSER / M ARTIN S CHEUTZ / T HOMAS W INKELBAUER (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg.Bd. 44), Wien / München 2004, 971-1005, Abb. 10. Zur Bedeutung der Imprese im Ordensdrama vgl. J UTTA S CHUMANN , Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I. (Colloquia Augustana, Bd. 17), Berlin 2003, 306-320, bes. 308. 52 Vgl. C ESARE R IPA , Iconologia, Rom 1603, 85f. 53 Die Ausstattung der weiblichen Figur mit Stundenglas sowie Pfeil und Bogen, die offenbar auf das Verhältnis von Zeit und zielstrebiger Aktivität anspielt, ist originell. Vgl. I LSE W IRTH , Fleiß, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 9, München 2003, 1043-1108, bes. 1065f. 54 Motto CONSILIO VICTOR. Pictura: Herkules erschlägt die Hydra. Diese Szene wurde im 17. Jahrhundert vielfach auf Erfolge in den Türkenkriegen bezogen. Vgl. z.B. ein Thesenblatt aus Olmütz, 1674: A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 148-151, Nr. 25. 55 Motto: INDUSTRIA FRŒNAT. Pictura: eine Hand aus den Wolken legt einem Pferd das Zaumzeug an. Heiltum - Historie - Herrscherlob 305 Abb. 5: Triumphbogen zu Ehren Kaiser Leopolds I., Kupferstich, in: Simon Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis, Salzburg 1677. Sibylle Appuhn-Radtke 306 hemmt Bahn brechen (Pferd mit Zügel). Die in Leopolds Imprese angelegte Antithese wird also noch einmal in sich gespiegelt. Sie setzt sich in den Nischenfiguren des Triumphbogens fort. Hier stehen Mars in antikisierender Rüstung und eine Personifikation der Pietas mit einem Weihrauchgefäß. Das Emblem unterhalb von Mars beschwört den Sieg über die Feinde des Reichs. 56 Das Pendant 57 unterhalb von Pietas spielt auf die häufig gefeierte Pietas Austriaca 58 an. Seitlich im Portalgewände waren zwei weitere Emblemschilde befestigt, die den Niedergang des osmanischen Reichs im Gegensatz zum ewigen Bestand der Domus Austriaca darlegten. 59 Der zweite Triumphbogen verband also politische Aussagen mit solchen, die auf die Frömmigkeit des Hauses Österreich Bezug nahmen. An diese Zielrichtung der Panegyrik schließt sich das Thesenblatt an, das während der feierlichen Disputation am Morgen des dritten Festtags Verwendung fand (Abb. 6). 60 Es war ebenfalls von Benedikt Schnepf vorgezeichnet und von Bartholomäus Kilian in Augsburg gestochen bzw. gedruckt worden. 61 Derartige Graphiken bildeten stets einen erheblichen Kostenfaktor öffentlicher Disputationen - aber der in diesem Fall besonders hohe Preis von 1017 Gulden für 800 Exemplare auf Papier und 27 auf Seide, den Kilian forderte, provozierte offenbar eine verärgerte Rückfrage Abt Erenberts und einen (erhaltenen) Rechtfertigungsbrief des Kupferstechers. 62 Offenbar verringerte Abt Erenbert daraufhin den Umfang der Bestellung, denn Kilians Lieferschein vom 2. Oktober 1677 weist nur 700 Exemplare auf Papier und zwölf Seidendrucke aus. Dennoch erhielt der Stecher laut Rechnungsbuch immerhin 1075 Gulden für das Thesenblatt und das Frontispiz zu den Annales. Die kostbare Fracht wurde mit einem Passierschein von Abt Erenbert 56 Motto: SE TENEBRIS CONDUNT. Pictura: der zur Sonne fliegende Adler, vor dem sich die „Vögel der Nacht“ zerstreuen. Mögliche Inventionsquelle: D IEGO DE S AAVEDRA F AJARDO , Idea de un principe politico christiano [...], Amsterdam 1659, Nr. 12 (A RTHUR H ENKEL / A LBRECHT S CHÖNE , Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, 15f. 57 Motto: PENETRABIT SIDERA NIDOR. Pictura: Altar mit brennendem Opfer. 58 Grundlegend dazu: A NNA C ORETH , Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock, Wien 1982. 59 Auf der Seite des Mars: AMITTIT LUNA NITOREM. Pictura: abnehmender Mond bei Sonnenaufgang. Vgl. ein Wiener Thesenblatt von 1667: A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 96-98, Nr. 6. - Auf der Seite von Religio: NEC FLUCTUS NEC TELA MOREBUNT. Pictura: pyramidenförmiger Fels im Meer, darüber das Auge der Vorsehung. 60 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 12. 61 Erhaltenes Exemplar im Oberösterreichischen Landesmuseum, Linz, Inv.Nr. KS IV 4761. Vgl. W ER- NER T ELESKO , Thesenblätter österreichischer Universitäten, Ausst.-Kat. des Barockmuseums Salzburg (Schriften des Salzburger Barockmuseums, Bd. 21), Salzburg 1996, 167-176, Nr. 28. 62 Kilian führte zwei Gründe für die Höhe seiner Rechnung an: die in der Tat beeindruckende Größe des Blattes (104,5 x 153,4 cm) und die notwendige Überarbeitung der ihm zugesandten Vorzeichnung. Etwas beleidigt setzt der Stecher hinzu, dass er von anderen Auftraggebern sonst zusätzlich zum Rechnungsbetrag sogar ein „Honorar“ erhalte. Quellentexte bei A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 44f. Dort noch nicht aufgeführte Quellen ebenfalls im Stiftsarchiv, Kammereirechnungen 1677, Belege zu Nr. 200, 205. Heiltum - Historie - Herrscherlob 307 Abb. 6: Thesenblatt von Bartholomäus Kilian nach Benedikt Schnepf, Kupferstich, 1677. versehen, bevor sie in einer Kiste über Straubing, Passau und Linz nach Kremsmünster transportiert wurde, damit sie zollfrei über die verschiedenen Grenzen gelangen konnte. 63 Aus der Anzahl der gelieferten Thesenblätter kann man die ungefähre Zahl der eingeladenen Teilnehmer erschließen - außer dem zu dieser Zeit 82 Professen zählenden Konvent 64 dürften es ca. 600 Gäste gewesen sein. Die zwölf Seidendrucke waren üblicherweise für die Ehrengäste bestimmt - sicherlich für den Bischof von Passau sowie für einen Vertreter Kaiser Leopolds I., der selbst nicht anwesend war. Ingesamt 21 Kupferstiche wurden auf Stangen montiert, um aufgehängt und gerollt werden zu können. Die farbliche Differenzierung der Stangen weist darauf hin, dass auch hier unterschiedliche zeremonielle Erfordernisse und heraldische Präferenzen beachtet wurden. 65 63 Kilian musste außerdem bescheinigen, dass er den Fuhrlohn nicht ausgelegt habe; inklusive der Verpackung betrug dieser noch 27 Gulden und 45 Schilling. 64 Priester, Novizen und Laienbrüder (freundliche Mitteilung von P. Benedikt Pitschmann, Kremsmünster). Man kann davon ausgehen, dass zumindest jeder der feierlichen Professen ein Exemplar des Thesenblattes erhalten hat. 65 Stiftsarchiv: Kammereirechnungen 1676, zu Nr. 724. In der Rechnung des Fassmalers Nicolaus Gramer sind folgende Lackierungen aufgeführt: 1 Paar Stangen versilbert und vergoldet, 3 Paare blau mit silbernen Knöpfen, 2 Paare rot-weiß, 15 Paare rot mit rot-weißen Knöpfen. Sibylle Appuhn-Radtke 308 Das Thesenblatt verzeichnet neben den zu disputierenden theologischen Thesen auch die Namen der Beteiligten: Als Präses fungierte der 1677 als Prorektor der Universität Salzburg amtierende P. Gregor Wimperger (1640- 1705), 66 als Defendenten traten ein späterer Abt, P. Honorius Aigner (1651- 1704), 67 und P. Ämilian Falkensteiner (1652-1717) 68 auf. Die beiden jungen Theologen waren vier Jahre zuvor in den Konvent aufgenommen worden, hatten ihr Theologiestudium in Salzburg abgeschlossen und feierten gemeinsam am 15. November 1677 ihre Primiz. 69 Zweifellos hatte der Abt Anlass, stolz auf seine jungen Konventualen zu sein und ihnen eine öffentliche Disputation in Anwesenheit hochgestellter Gäste zuzutrauen. Wie man sich eine solche Veranstaltung vorstellen kann, zeigt ein jüngeres Thesenblatt aus Kremsmünster. 70 Während Rettenpacher das Thesenblatt nur erwähnte, machte sich Pachmayr ein Jahrhundert später die Mühe, den Bildinhalt des als kostbar und sehr groß charakterisierten Kupferstiches zu beschreiben. 71 Er verstand seinen Exkurs ausdrücklich als Hilfestellung für den Betrachter, den die gelehrte Invention möglicherweise ratlos lasse. Der Autor beginnt mit dem ihm wichtigsten Bildmotiv, dem Kaiserpaar Leopold und Eleonore auf dem Triumphwagen rechts im Bild. 72 Er geht auf Ornat und Attribute beider Fürsten ein und schmückt seine Beschreibung mit einem ins Gegenteil verkehrten Zitat aus Ovids Metamorphosen - das Herrscherpaar vermittle den Eindruck, dass „Majestät und Liebe beisammen wohnen“. 73 Mit der Bemerkung, dass Leopold „vom Feuer der Himmlischen leuchte“, streift Pachmayr nur pauschal die mehrfigurige Himmelssphäre des Blatts. Der Zeichner hatte das Gottesgnadentum des Kaisers durch Strahlen verbildlicht, die vom Salvator (Me duce) 74 ausgehen und von acht Heiligen auf Leopolds Herz gespie- 66 K ELLNER , Profeßbuch (wie Anm. 3), 234. 67 Als Abt (1703-1704) war Aigner besonders an einer Reform des Stiftsgymnasiums und an der Fertigstellung bzw. Renovierung der barocken Kirche interessiert (ebd., 265f.). 68 Ebd., 248. 69 Ebd., 248, 265. 70 S IBYLLE A PPUHN -R ADTKE , „Domino suo clementissimo ...“. Thesenblätter als Dokumente barocken Mäzenatentums, in: R AINER A. M ÜLLER (Hrsg.), Bilder - Daten - Promotionen. Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 24), Stuttgart 2007, 56-83, bes. 59-61, Abb. 1. 71 P ACHMAYR , Series (wie Anm. 12), 555f. 72 Die Beischrift Nascentur nova Sidera Mundo bezieht sich auf die erhoffte Kontinuität des Hauses Habsburg, die von der zweiten Gemahlin Leopolds erwartet wurde. 73 Vgl. O VID , Metamorphosen, 2,846 (Werbung des Jupiter um Europa): Non bene conveniunt nec in una sede morantur maiestas et amor. Die Wendung dieser Aussage ins Positive war anscheinend vor allem im benediktinischen Sprachgebrauch nicht selten. Vgl. beispielsweise die Verwendung des Mottos auf einem Salzburger Thesenblatt von 1681 und einem Thesenblatt der Bayerischen Benediktinerkongregation, Scheyern 1692: A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 214-217, Nr. 49; 226f., Nr. 52. 74 Ebenso wie auf dem Frontispiz zu den Annales im Typ Gottvaters dargestellt (siehe Anm. 47). Heiltum - Historie - Herrscherlob 309 gelt werden: Wie im Dedikationsbrief des Thesenblatts geschildert, erscheinen als Ordensbzw. Klosterpatrone 75 zur Rechten des Erlösers der hl. Benedikt von Nursia und der hl. Placidus (Monachus et Martyr) mit Palme und Schwert, der zugleich Tagesheiliger des 26. Oktobers (des Disputationstags) ist. 76 Neben diesem steht - in antikisierender Rüstung - der Märtyrer Severinus Boëthius, der gelegentlich als Patron der Philosophen verehrt wurde. 77 Zur Linken des Salvator erscheinen als Tutela patriae die hll. Agapitus, Leopold und Gregor der Große. Neben diesen stehen weitere Namenspatrone des Kaisers, die hll. Primus und Felician. 78 Wichtiger als dieser Heiligenhimmel ist Pachmayr die Angabe, dass sich der Triumphzug auf einen „Tempel der Tugend“ 79 zubewege und dass der Zug nach Art der römischen Triumphi gestaltet sei. Gewappnete schreiten dem Zug voran, deren Schilde Eroberungen und Siege des Kaisers im Bild zeigen. 80 Tugendpersonifikationen begleiten den Zug: Pachmayr benennt sie, wohl dem Dedikationsbrief folgend, als Glaube 81 und Liebe, Stärke und Gerechtigkeit 82 sowie Rat und Fleiß, die Tugenden der kaiserlichen Imprese (Wahlspruchs). Von Bedeutung ist dem Autor auch der Adler des Jupiter, der oberhalb des Zuges fliegt und statt eines Blitzbündels das Szepter trägt. Das Ziel des Zuges, der „Tugendtempel“, ist kein geschlossenes Gebäude, sondern ein Triumphbogen, unter dem die porträthaft wiedergegebenen Vorfahren Leopolds den amtierenden Kaiser erwarten. 83 Vor ihnen stehen Virtus und Herkules, von denen Pachmayr sagt, dass sie dem Triumph vorangeschritten seien. Herkules 84 sei im Begriff, seine Keule, Bild der Stärke, an den Kaiser abzugeben; Virtus halte einen „Globus“ (den Reichsapfel als 75 Beischrift: Cognati Proceres studijs animisque favemus. 76 Vgl. A EGIDIUS R ANBECK , Calendarium annale Benedictinum per menses et dies sanctis eiusdem ordinis, Bd. 4, Augsburg [um 1675], 201-210. 77 Boethius wurde meist nicht als Märtyrer, sondern als Philosoph dargestellt (vgl. G IOVANNI B ATTISTA P ROJA / A NGELO M ARIA R AGGI , Boezio, in: Bibliotheca Sanctorum, Bd. 3, Rom 1963, 218-227). Die Benennung ist allein anhand des Dedikationsbriefs auf dem Blatt selbst möglich. 78 Beischrift: Propter aras et focos. Als Namenspatrone des Kaisers u.a. auch auf einem Thesenblatt der Prager Universität nach Entwurf von Karel Škréta, 1672 dargestellt. Vgl. A PPUHN -R ADTKE , Thesenblatt (wie Anm. 5), 101-105, Nr. 8. 79 Inschriften auf den Pfeilerplinthen: Hinc Habspurgica Gloria und Hinc Decus Anicium. 80 Auf den Schilden der Milites: Superbo ex hoste triumpho. Attollit vires in milite causa. Caesareis Aquilis subdor procul este profani. 81 Das Attribut des Ankers legt nahe, dass entweder der Aspekt der Hoffnung mitgedacht wurde, um die Theologischen Tugenden in zwei Personifikationen zu vereinen, oder dass die Autoren von Text und Zeichnung sich nicht vollkommen abgestimmt haben (vgl. auch Anm. 82). 82 Das Spiegelattribut käme eher der Prudentia zu als der Justitia; offenbar sind das Konzept des Dedikationsbriefs und das Konzept der Zeichnung nicht deckungsgleich. 83 Zum stellvertretenden Charakter der Fürstenporträts siehe F RIEDRICH B. P OLLEROSS , Zur Repräsentation der Habsburger in der bildenden Kunst, in: Welt des Barock, Ausst.-Kat., St. Florian 1986, 87- 104. 84 Beischrift: Alcidi monstris patuerunt astra subactis. Sibylle Appuhn-Radtke 310 Insignie des orbis terrarum imperium) 85 und übergebe dem Kaiser die Eichenkrone. Auch Mars blickt dem Zug entgegen. 86 Zwei Personifikationen der Fama verkünden den Ruhm Leopolds und der gesamten Domus Austriaca. Im Vordergrund kommt der Disputationsort ins Spiel. Links und rechts von der Vedute Kremsmünsters 87 erscheinen die Flussgöttin Cremsa mit einer Krone aus Schilfrohr, die das Blatt mit den zu disputierenden Thesen vorführt, und Pallas als Patronin der Wissenschaften, die das Blatt mit dem Dedikationsbrief an den Kaiser hält. Pachmayrs Beschreibung bezieht sich wesentlich stärker auf die politischen und antikisierenden Momente der Komposition, als es der Inventor des 17. Jahrhunderts vorsah - die religiöse Komponente fiel 1782 nahezu aus. Ganz anders der Dedikationsbrief von 1677: Er beginnt in der Himmelssphäre und schließt die Schar der heiligen Patrone an, deren Reflexe den Kaiser mit seinem speziellen Gnadenstand versehen. Nur auf dieser Basis war im 17. Jahrhundert politisches Lob denkbar. 3.3. Heiligenverehrung Dass die religiöse Komponente 1677 eine wichtige Rolle spielte, zeigt auch der dritte Triumphbogen, der vor dem Eingangsportal der Kirche (AFFLIC- TORVM ASYLO) stand (Abb. 7). 88 Er war nach Rettenpacher den heiligen Schutzpatronen des Klosters, der Diözese und Österreichs gewidmet. Die breit gelagerte, mit korinthischen Pilastern gegliederte Front der Ehrenpforte wird von einem gesprengten Dreiecksgiebel bekrönt. Drei Sockel auf dem Kranzgesims tragen Figuren, weitere stehen seitlich in Nischen. Fünf Emblemschilde und drei Schrifttafeln bereichern und erläutern das Programm. Den höchsten Punkt der Ehrenpforte nimmt der Stiftspatron, der hl. Agapitus von Praeneste, ein, dessen Reliquien seit 893 in Kremsmünster nachweisbar sind. 89 Der Heilige ist auch hier als junger Römer mit Märty- 85 Zur Tradition dieses Motivs siehe F RIEDRICH B. P OLLEROSS , „Austrie est imperare orbi universo“. Der Globus als Herrschaftssymbol der Habsburger, in: 1492-1992: Spanien, Österreich und Iberoamerika. Akten des 7. Spanisch-Österreichischen Symposions, 16.-21.3.1992 in Innsbruck (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Bd. 86), Innsbruck 1993, 35-50. 86 Beischrift: Adsisto pio iustoque duella. 87 Keine verkleinerte Wiederholung des großen Kupferstichs in den Annales; jedoch ebenfalls eine Ansicht des Stifts von Süden - im Gegensatz zu G EORG M ATTHÄUS V ISCHERS Vedute in: Topographia Austriae Superioris modernae, o.O. 1674, Nr. 23. 88 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 3, 5f. 89 A LTMAN K ELLNER , Der hl. Agapitus von Praeneste, Patron des Stiftes Kremsmünster, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 48 (1930), 404-434; E KKART S AUSER , Agapitus von Praeneste, in: Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI), Bd. 5, Rom u.a. 1973, 43; W ILLIBRORD N EUMÜLLER , S. Agapitus in Kremsmünster, in: Jahresberichte des Öffentlichen Stiftsgymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster 117 (1974), 15-28, bes. 18-21. Heiltum - Historie - Herrscherlob 311 Abb. 7: Triumphbogen zu Ehren der heiligen Patrone, Kupferstich, in: Simon Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis, Salzburg 1677. Sibylle Appuhn-Radtke 312 rerpalme dargestellt und legt eine Hand auf den Kopf des Löwen, der ihn der Legende nach verschonte. Auf dem Figurensockel erscheint der Doppeladler mit dem Bindenschild. Eine Emblemkartusche darunter verweist sowohl auf den Baufortschritt des Stifts als auch auf den Chordienst der Konventualen - beides dient dem Lob Gottes. 90 Zur Rechten des Agapitus steht auf etwas niedrigerem Sockel der hl. Benedikt mit dem zersprungenen Becher auf dem Regelbuch; neben ihm sitzt der Rabe. Ihm ist ein Emblem zugeordnet, das Sicherheit in der Sphäre Gottes verspricht. 91 In der Nische unterhalb von Benedikt steht der hl. Stephanus, der „Fürst der Märtyrer“, mit Steinen als Zeichen seines Martyriums. Als Patron des Passauer Doms hatte er besondere Bedeutung für die gesamte Diözese. Das Emblem über ihm versichert, dass der Christ himmlischen Lohn für alle Härten des Lebens erwarten darf. 92 Zur Linken von Agapitus erscheint der hl. Leopold als Patron des Landes und Namenspatron des regierenden Kaisers, der wie üblich den Erzherzogsornat mit Fahne und Schild trägt. Sein Emblem verweist auf die fruchtbringenden Folgen der Pietas Austriaca. 93 Unterhalb von Leopold steht der Bischof Gotthard mit einem Totenkopf. 94 Das zugehörige Emblem deutet einen geistigen Stafettenlauf an: 95 Der Abt, der von Niederaltaich aus die Altgorzer Reform einleitete und Kremsmünster damit eine neue Eigenständigkeit bescherte, 96 sollte seinen Nachfolgern als Vorbild dienen. Die neuen Reliquien der hl. Candida 97 wirkten sich hingegen nicht auf die Gestaltung des Triumphbogens aus. Man hat den Eindruck, dass das Geschenk der Kapuziner mit einer neuen historischen Kritikfähigkeit betrachtet wurde: Rettenpacher druckte alle verfügbaren Schriftquellen in voller Länge ab, den Brief des Luigi Bevilacqua, Patriarch von Alexandrien, an 90 Motto: CONSURGO, LAUDOQUE DEUM. Pictura: Vogel vor einem Haus mit Baugerüst. - Als Bild für das Lob Gottes wird häufiger der Gesang der Lerche (Alauda) verwendet, aber Rettenpacher nennt ausdrücklich die Nachtigall: R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 3. Zur Allegorik der Nachtigall vgl. D IETRICH S CHMIDTKE , Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100-1500), Diss. Berlin 1966, 352f. 91 Motto: NON FULMINA TERRENT. Pictura: Olymp im Gewitter. Vgl. H ERNANDO DE S OTO , Emblemas moralizadas […], Madrid 1599, 26b, bei H ENKEL / S CHÖNE , Emblemata (wie Anm. 56), 60f. 92 Motto: PER DURA CORONAM. Pictura: Gekrönter Turm. - Wohl eine Paraphrase auf Dicta wie Per aspera ad astra oder Per angusta ad augusta. Vgl. G ABRIEL R OLLENHAGEN , Selectorum emblematum centuria secunda, Utrecht / Arnheim 1613, Nr. 85. 93 Motto: NON DEFICIET UNQUAM. Pictura: Ölbaum voller Früchte mit dem Bindenschild am Stamm. 94 Zum Attribut vgl. M ATTHÄUS R ADER , Bavaria Sancta - Heiliges Bayern, München 1615 (Faks. Neudruck, hrsg. von C ARSTEN -P ETER W ARNCKE , Dortmund 1981), 86f. 95 Motto: SEQUERE, PRAEIVI. Pictura: Hand aus den Wolken, die einer anderen eine brennende Fackel reicht. 96 P ITSCHMANN , Kremsmünster (wie Anm. 26), 167. Für die Auswahl des Heiligen mag auch eine Rolle gespielt haben, dass der Überlieferung nach die ersten Mönche von Kremsmünster aus Niederaltaich kamen. Heute nimmt man hingegen Mondsee als Mutterkloster an (ebd., 165, 167). 97 G IAN M ICHELE F USCONI , Candida, in: Bibliotheca sanctorum, Rom 1963, 735. Heiltum - Historie - Herrscherlob 313 Abb. 8: Prozession mit den Reliquien des hl. Agapitus und der hl. Candida, Kupferstich, in: Simon Rettenpacher, Annales monasterii Cremifanensis, Salzburg 1677. den Wiener Kapuzinerpräfekten und Bischof Emericus a Komarón (1622- 1685), 98 dem er die Reliquien am 25. Februar 1677 zusammen mit einer Authentik (Echtheitszertifikat) aus Rom geschickt hatte, ebenso wie das Schreiben des Kapuziners an Abt Erenbert vom 14. Oktober 1677, das die Schenkung an Kremsmünster beurkundete. 99 Der Kapuziner ermächtigte das Stift, die Reliquien zur öffentlichen Verehrung auszusetzen - was dann auch geschah. Bei der Festprozession wurde den Reliquien der hl. Candida zum ersten Mal die gebührende Position eingeräumt. Der mit einer Legende versehene Kupferstich von Matthäus Küsel (Abb. 8) zeigt die teilnehmenden Gruppen: Hinter den Zünften mit ihren Standarten wurden die Kirchenfahnen getragen, dann folgten die Sodalen der Rosenkranz- und der Corpus Christi- Bruderschaft mit ihren Prozessionsfiguren. 100 Hinter einer Gruppe von Blechbläsern schritten die geladenen Kapuziner; danach kam der Benediktinerkonvent mit Fanfarenbläsern, die die Reliquien der hl. Candida ankün- 98 Lexicon Cappuccinorum. Promptuarium Historico-bibliographicum Ordinis Fratrum minorum Cappuccinorum (1525-1950), Rom 1951, 1579. 99 R ETTENPACHER , Annales - Appendix (wie Anm. 2), ungez. S. 10f. 100 Erkennbar sind eine Madonna mit Rosenkranz, eine Mater dolorosa und eine weitere Marienfigur mit nicht identifizierbarem Attribut. Sibylle Appuhn-Radtke 314 digten. Auf einem Podest, das von einer Palmenkrone überwölbt ist, erkennt man zwei kleine Reliquienschreine. Nach dem Sängerchor erschien die aus Silber getriebene, vergoldete Statue des hl. Agapitus, die unter Abt Placidus Buechauer angefertigt worden war. 101 Darauf folgte der Klerus, zuletzt der Bischof von Passau. Die Adeligen und Abgeordneten der Landstände beschlossen den Zug. Da der Altar der hl. Candida (als Gegenstück zum neuen Altar des hl. Agapitus) erst 1682-1684 angefertigt wurde, 102 musste 1677 ein provisorisches Altarbild gemalt werden, das als Zielpunkt der Prozession dienen konnte und eine parallele Verehrung zu der des hl. Agapitus ermöglichte. Für diesen war 1664 unter Abt Placidus ein Gemälde angefertigt worden, das den jugendlichen Heiligen umgeben von Löwen in einer Arena zeigt (Abb. 9). 103 Den Heiligen umfängt eine Säulenexedra, in der Phasen seines Martyriums zu sehen sind; eine Schriftkartusche zu seinen Füßen benennt den Inhalt des Bildes. Offenbar bewusst als Gegenstück zu Agapitus gestaltet ist das wenig größere Abbild der hl. Candida (Abb. 10). Die kostbar gekleidete jugendliche Märtyrerin steht vor sechs kulissenartig gestaffelten Kastenbühnen in Ruinenbauten, in denen Szenen ihrer Vita gezeigt werden. Die Inschrift in der Sockelkartusche spricht sehr deutlich aus, wozu das Gemälde dienen sollte: S. CANDIDA. Ein römische Matron [...] Dero Heylige Gebeiner sambt dem Haubt von EREMBERTO Hochwürdigsten Abbten des Löblichen Stüffts Cremsmünster ANNO 1677 In Segengruss des Neunten Jubeljahrs von erster Stüfftung Rechtmässig erhalten und mit möglichen CAERE- 101 R ETTENPACHER , Annales (wie Anm. 2), ungez. S. 243. - Die Reliquien waren 1654 in einem aus Wiblingen stammenden Schrein deponiert und auf dem Stephanusaltar in der südlichen Chorkapelle zur Verehrung ausgesetzt worden. Vgl. K ELLNER , Agapitus (wie Anm. 89), 430f. 102 Die Altäre wurden in den Chorseitenkapellen errichtet und mit Gemälden von Daniel Seiter und Figuren von Michael Zürn d. J. ausgestattet. Die originalen Reliquienschreine sind nicht erhalten. Vgl. P ÜHRINGER -Z WANOWETZ , Stiftskirche (wie Anm. 33), 257f. 103 Öl auf Leinwand, 172 x 131 cm (ebd., 270, 294, Abb. 161). Abb. 9: Stiftskirche Kremsmünster, Hl. Agapitus, Öl auf Leinwand, 1664. Heiltum - Historie - Herrscherlob 315 MONIEN in Gegenwärtiger Closter-Kirchen zu jedermänniglicher öffentlicher Verehrung beygesezet worden sein. 104 Damit erfüllte es den von dem Reliquienstifter angesprochenen Zweck. Möglicherweise stammt das (unsignierte) Bild von Benedikt Schnepf, dem Zeichner von Thesenblatt und Frontispiz, der sicher auch an der Ausführung der Ehrenpforten beteiligt war. Wenn das richtig ist, lässt das Heiligenbild noch etwas von der Wirkung der verlorenen Triumphtore ahnen, durch die die Prozession zog. 4. Resümee Die Bestandteile der Jubiläumsfeier verdeutlichen, wie sehr sich das Selbstverständnis des Stifts Kremsmünster an der Gründungsgeschichte und den fürstlichen Patronen orientierte. Dabei wird das Bestreben fassbar, nicht nur die vorhandene Historiographie zu erneuern, sondern das überkommene Wissen durch „archäologische“ Erkenntnisse und Urkunden abzusichern. Jedoch wurde 1677 noch keine säkulare Stiftsgeschichte angestrebt. Wie am Thesenblatt anschaulich wird, ist es das Wirken Gottes und der Heiligen, das die fürstlichen Patrone zu ihren Wohltaten für das Stift veranlasst hat. Die Verehrung der Reliquien und die neue Marienkapelle dienten daher nicht nur der Verfestigung des Kults in der Bevölkerung; sie ließen auch den Beistand der Heiligen für die Zukunft des Stiftes erhoffen. Die Erinnerung an die eigene Geschichte, das Lob des Herrscherhauses und der Kult bedingten einander wechselseitig. Die im Einführungsbeitrag von Huberta Weigl (57-63) gestellte Frage nach den Wechselwirkungen von Geschichtsforschung und künstlerischer Erfindung lässt sich für das untersuchte Fest folgendermaßen beantworten: Es ist wahrscheinlich, dass Simon Rettenpacher der „Spiritus rector“ aller 104 Öl auf Zinn, 179 x 138 cm (ebd., 269f.). Abb. 10: Stiftskirche Kremsmünster, Hl. Candida, Benedikt Schnepf (? ), Öl auf Zinn 1677. Sibylle Appuhn-Radtke 316 visuell fassbaren Festbestandteile war. Seine Kenntnis der Geschichte und seine Inventionsgabe wären jedoch nicht ohne Weiteres in Realien umzusetzen gewesen, wenn mit dem Wiener „Gastarbeiter“ Benedikt Schnepf nicht ein Künstler zur Verfügung gestanden hätte, der Rettenpachers Concetti in Zeichnungen festhalten konnte. Zur Ausführung der Objekte wurden schließlich Kunsthandwerker beigezogen, die durch ihre Professionalität repräsentative Kunstwerke gewährleisteten. Dass stiftseigene ikonographische Traditionen (Salvator) gegenüber den literarischen Konzepten Eigenständigkeit behielten, spricht für eine zweigleisige Bilderfindung, die der Gelehrte Rettenpacher und der Zeichner Schnepf gemeinsam verantworteten. Legitimation aus der Geschichte Die Ausstattungsprogramme der Zisterzienserabtei Salem im 17. und 18. Jahrhundert Ulrich Knapp 1. nullius diocesis: Exemtion der Zisterzienserabtei Am 3. März 1802 starb Abt Robert Schlecht von Salem (reg. 1778-1802), während dessen Abbatiat die Zisterzienserabtei nahezu vollständig im Stil des Klassizismus umgestaltet worden war. Bereits am 11. März wählte der Konvent dessen langjährigen Sekretär, Caspar Oexle (reg. 1802-1804, gest. 1820), zum Abt. Die päpstliche Bestätigung der Abtswahl traf Ende März in Salem ein, doch verzögerte sich die Benediktion des neuen Abtes bis September 1802. Der Grund hierfür lag nicht in den äußeren politischen Bedingungen, sondern am Konstanzer Diözesanbischof Karl Theodor von Dalberg (reg. 1800-1817), der wegen der Formulierung nullius diocesis (keiner Diözese angehörend) in der Papsturkunde die Benediktion nicht vollziehen wollte. Die Kontroverse bezog sich auf die Exemtion der Zisterzienserabtei, die sich nicht nur auf das allgemeine Exemtionsprivileg für die Klöster des Ordens, sondern auch auf die Bestätigungsurkunde Papst Innozenz’ II. vom 17. Januar 1140 berufen konnte. Bischof Karl Theodor bestand auf eine Abänderung der Urkunden und die Formulierung nullius dioecesis in diocesi Constantiensi (keiner Diözese [angehörend] in der Diözese Konstanz). Die Abtei Salem konnte ihre Exemtion bis zu ihrer Aufhebung in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 behaupten. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert versuchten die Konstanzer Diözesanbischöfe darauf hinzuwirken, dass die Bestätigungsurkunde die Formulierung nullius diocesis nicht enthielt. 1540 betrieb Bischof Johann III. von Weze (reg. 1538-1548) die Umwandlung der Abtei in eine dem Bistum unterstellte Kommende, scheiterte aber am Widerstand von Abt Johannes III. Fischer (reg. 1534-1543). 1562 unternahm Bischof Kardinal Markus Sittich von Hohenems (reg. 1561-1589, gest. 1595) abermals den Versuch, die Abtei als Kommende dem Bistum einzugliedern, konnte sich jedoch gegen Abt Georg II. Kaisersberger (reg. 1558-1575), der sich an Kaiser Ferdinand I. wandte, nicht durchsetzen. In den päpstlichen Bestätigungen der Abtswahl wurde die Abtei jeweils als nullius dioecesis bezeichnet - eine Formulierung, die ständig Anlass für Auseinandersetzungen mit den Bischöfen von Konstanz bot, da diese hierin Ulrich Knapp 318 einen Eingriff in ihre Rechte sahen. Wiederholt kam es aus diesem Grund zu bisweilen erheblichen Verzögerungen bei der Benediktion der Äbte, doch bestand die Abtei jeweils erfolgreich auf ihren alten Privilegien. Auch 1802, als bereits offen über die Aufhebung der geistlichen Institutionen diskutiert wurde, 1 verzögerte dieser Konflikt die Benediktion von Caspar Oexle, die erst am 5. September 1802 vollzogen werden konnte. Dies erfolgte in aller Stille und Verschwiegenheit, um die politischen Gegner nicht zu provozieren. 2 Da der Weihetermin kurzfristig festgesetzt werden musste, konnte die Weihe auch nicht mit den zunächst vorgesehenen Beteiligten vollzogen werden. Der Konstanzer Bischof wurde durch den nach Augsburg emigrierten Bischof von Valence, Gabriel Melchior de Messey (reg. 1778-1791), vertreten, die bereits im Mai geladenen Assistenten, die Äbte von Kaisheim und Wettingen, durch die Äbte von Weissenau und Petershausen. Am 25. September 1802 stattete Papst Pius VII. (reg. 1800-1823) den Abt mit den Vollmachten eines Generalabts über die Zisterzienserklöster der Oberdeutschen Kongregation aus. Kaum eine Woche später, am 1. Oktober 1802, traf eine badische Kommission unter Leitung des Geheimen Rats Reinhard in Salem ein, um die Abtei provisorisch für Markgraf Karl Friedrich von Baden (geb. 1728, Markgraf 1746-1803, Kurfürst 1803-1806, Großherzog 1806-1811) in Besitz zu nehmen. Die Abtei wurde kurz darauf ebenso wie die Benediktinerabtei Petershausen Bestandteil des Bodensee- Fideikommisses. 3 An den Fassaden der Gebäude wurden die Herrschaftszeichen des alten Reichs abgenommen und durch die Zeichen der neuen Herrschaft ersetzt. Bemerkenswerterweise erfuhren die wichtigsten Repräsentationsräume der Abtei, in denen die erworbenen Rechte und Privilegien thematisiert wurden, in der Folge keine Veränderung. Dies mag zu einem wesentlichen Teil darin begründet sein, dass die nunmehrige Standesherrschaft Salem als legitimer Rechtsnachfolger der freien Reichsabtei verstanden wurde und diese Rechte bzw. deren Surrogate nunmehr auf die Standesherrschaft übergegangen waren. 4 1 Die entsprechenden Streit- und Flugschriften wurden in Salem gesammelt und befinden sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg. Vgl. U LRICH K NAPP , Der Übergang, in: R AINER B RÜNING / U LRICH K NAPP (Hrsg.), Salem. Vom Kloster zum Fürstensitz. Ausstellung zur Säkularisation in Schloß Salem - Bibliothek, Ausst.-Kat., Karlsruhe 2002, 160f. und 163, Nr. IX.3 und 4 (Ulrich Knapp). 2 Vgl. dazu U LRICH K NAPP , Salem und Petershausen nach der Säkularisation, in: Alte Klöster - Neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803, Bd. 2.2, Ausst.-Kat., Ostfildern 2003, 1119-1134, insbes. 1122. 3 Zu diesen Vorgängen vgl. R AINER B RÜNING , Der Übergang des Klosters Salem an das Haus Baden (1802-1804), in: R AINER B RÜNING / U LRICH K NAPP (Hrsg.), Salem. Vom Kloster zum Fürstensitz (Ausstellung zur Säkularisation in Schloß Salem - Bibliothek), Ausst.-Kat., Karlsruhe 2002, 63-70; K NAPP , Salem und Petershausen (wie Anm. 2), 1123-1127. 4 K NAPP , Salem und Petershausen (wie Anm. 2), 1123-1127; Salem. Vom Kloster zum Fürstensitz (wie Anm. 1), 166, Nr. IX.11 (U LRICH K NAPP ). Legitimation aus der Geschichte 319 Das Fundament dieser Rechte und Privilegien bildeten die Bestätigung der Stiftung durch Heinrich von Heiligenberg, Landgraf des Linzgaus, 5 und Herzog Friedrich II. von Schwaben im Jahr 1138, 6 die päpstliche Bestätigung von 1140 und die Bestätigung von Stiftung und königlicher Schutzvogtei durch König Konrad III. 1142. Die römischen Könige bestätigten regelmäßig diese Privilegien und erweiterten sie in der Folge. Königsaufenthalte in Salem sind für Rudolf I. 1280 anlässlich der Bestattung von Graf Hugo I. von Werdenberg in der Klosterkirche, 7 Sigismund 1414, 8 anlässlich der Schlussweihe der Abteikirche, und für Friedrich III. im Jahr 1485 9 belegt. Herzog Sigismund von Österreich gestattete der Abtei 1458, sein Wappenschild am Tor anzubringen, 10 und unter Maximilian I. war der Abt von Salem zwischen 1500 und 1521 Mitglied des Reichsregiments. Die öffentliche Anbringung von Herrschaftszeichen lässt sich in der Folge regelmäßig nachweisen. Sie wurden insbesondere an den Feldseiten der Tore, im Bereich der Abtei, aber auch am 1588-1593 neu errichteten Chorgestühl an hervorgehobener Stelle plaziert. Bereits vor 1615 gab es im Bereich der Abtei neben der großen Hofstube einen oberen großen Saal vor der Stube des Abtes, in dem Porträts der römischen Könige und Kaiser angebracht waren. 11 Beim Neubau der Abtei (Abb. 1) wurde dieses Bauprogramm weiterentwickelt. Der reich ausgestattete Bau wurde im Dreißigjährigen Krieg stark verwüstet, und in der Nacht vom 9./ 10. März 1697 wurde der wiederhergestellte und neu ausgestattete Bau ein Raub der Flammen. 2. Der Klosterneubau 1697-1708 Unmittelbar nach dem Brand wurden die Vorbereitungen für den Wiederaufbau getroffen. Dabei wurden sowohl ein Wiederaufbau der zerstörten Anlage als auch ein vollständiger Neubau diskutiert. Doch schon rasch er- 5 F RIEDRICH VON W EECH , Codex Diplomaticus Salemitanus, Urkundenbuch der Abtei Salem, Karlsruhe 1883ff., Bd. I, 1-2, Nr. 1. 6 V ON W EECH , Codex (wie Anm. 5), Bd. I, 2, Nr. 1. 7 Zu der Bestattung vgl. ebd., Bd. 2, 265, Seelgerätstiftung von Graf Hugo II. von Werdenberg. 8 Vgl. dazu U LRICH K NAPP , Salem - Die Gebäude der ehemaligen Zisterzienserabtei und ihre Ausstattung (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg, Bd. 11), 2 Bde., Stuttgart 2004, 68. 9 Ebd., 68. 10 V ON W EECH (wie Anm. 5), Bd. 3, 434, Nr. 1392; A UGUSTINUS S ARTORIUS , Apiarium Salemitanum oder Salmansweylischer Bienen=Stock [...], Prag 1708, 35f. Dieses Privileg wurde in der Folge regelmäßig erneuert; vgl. beispielsweise S ARTORIUS , Apiarium, 37f.: Bestätigung Sigmundts, Herzog von Österreich vom 19.12.1605. 11 Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK) 62/ 8648, Abteirechnung 1613/ 14, fol. 79 und 62/ 8649, Abteirechnung 1614/ 15, fol. 208. Ulrich Knapp 320 Abb. 1: Salem, Rekonstruktion von Konvents- und Abteigebäude 1615-1690. Die hellgrau angelegten Bauten wurden 1615-1620, der dunkelgrau angelegte Baukörper wurde nach 1648 errichtet. Legitimation aus der Geschichte 321 folgte die Entscheidung zugunsten eines Neubaus nach Entwurf und Modell des Vorarlberger Baumeisters Franz II Beer (1659-1722). 12 Am 30. April schloss Abt Emanuel Sulger (reg. 1680-1698) den ersten Vertrag mit Franz Beer über die Errichtung des ersten Bauabschnitts, der vom Südwestpavillon des Südflügels bis zum Mittelpavillon des Südflügels sowie des daran anschließenden Teils des Sakristeiflügels bis zum dortigen Treppenhaus reichte. 13 Zu diesem Zeitpunkt war die Grundkonzeption des gesamten Neubaus einschließlich der zugewiesenen Raumnutzungen bereits festgelegt. Planänderungen betrafen nur Details der Fassadengestaltung und den vorläufigen Verzicht auf die Errichtung des Kreuzgangnordflügels. Das anlässlich der Neubauplanung angefertigte Holzmodell hat sich erhalten. 14 Die Veränderungen an dem Modell (Abb. 2) belegen, dass es zunächst entsprechend der ursprünglichen Planung, die durch Idealansichten aus dem Jahr 1704 auch bildlich belegt ist, ausgeführt worden war und im Zuge der späteren Planmodifikationen während des Bauablaufs verändert wurde. Diese Veränderungen betrafen jedoch nicht die grundsätzliche Raum- disposition und die Nutzungsverteilung innerhalb des Gebäudekomplexes. Der Neubau setzt sich im Kern aus zwei großen Vierflügelanlagen zusammen, die durch einen großen Mittelpavillon an der Südseite verbunden werden. Das westliche Geviert wird an seiner Nordseite von der Abteikirche abgeschlossen und nahm die Räume der Klausur auf. Das östliche Geviert wird in den Verträgen als Hofgebäw bezeichnet. Hier waren die Räume des Abtes, die Repräsentationsräume der Abtei, die Gästeappartements für hochgestellte Gäste, Archiv und Bibliothek, Kanzlei und das Krankenhaus untergebracht. In dem verbindenden Mittelpavillon waren übereinander das Sommerrefektorium im Erdgeschoss, darüber das Winterrefektorium, das Museum und das Vestiarium angeordnet. 15 Ein überdachter Verbindungsgang verband den Nordwestpavillon des Abteigebäudes mit dem Chor der Abteikirche. Der Nordflügel des Hofgebäudes besitzt als einziger Bauteil der Anlage eine repräsentative Fassade. Der elfachsige Mittelflügel wird durch einen 12 M ATTHIAS F ELDBAUM , Beer, 4. Franz (II), in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 8, Leipzig 1994, 239f. 13 GLAK 4/ 7609. 14 Zu dem Holzmodell vgl. Die Kunst- und Alterthumsdenkmale im Großherzogthum Baden, Bd. 1, Die Kunstdenkmäler des Kreises Konstanz, Freiburg 1887, 581; L UDWIG H EINRICH H EYDENREICH , Architekturmodell, in: Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1937, 918-940, hier 929; D ORIS A ST , Die Bauten des Stiftes Salem im 17. und 18. Jahrhundert. Tradition und Neuerung in der Kunst einer Zisterzienserabtei (Diss. phil. München 1976), Wiesbaden 1977, 49; H ANS R EUTHER / E KEHART VON B ERCKENHAGEN , Deutsche Architekturmodelle. Projekthilfe zwischen 1500 und 1900, Berlin 1994, 130f., Nr. 341; K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 332f. 15 Die Legende zur Idealansicht von Christoph Lienhardt, als Frontispiz dem Apiarium Salemitanum beigebunden, nennt folgende Raumabfolge: Refectorium, Studierstuben und Auditorium. Ulrich Knapp 322 Abb. 2a-2c: Salem, Modell zum Klosterneubau 1697. Grundrisse der drei Hauptgeschosse. Die hellgrau angelegten Flächen sind Verkehrsflächen, die leicht abgedunkelten Flächen die Gemeinschaftsräume des Konvents, die mittelgrau angelegten Räume sind die Haupt-säle der Prälatur, die dunkelgrauen Räume bezeichnen die Räume der Prälatur und die Gästeappartements bzw. Zimmer. Abb. 2a: Erdgeschoß Abb. 2b: Erstes Obergeschoß Legitimation aus der Geschichte 323 Abb. 2c: Zweites Obergeschoß dreiachsigen Mittelrisalit mit großen Rundbogenfenstern und dreigeschossigem Giebelaufsatz ausgezeichnet. Um zwei Fensterachsen von dem Risalit abgesetzt befinden sich beidseitig große Rundbogenportale. Das heutige Erscheinungsbild geht auf Umgestaltungen 1788 16 und nach 1803 17 zurück. Die zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausgeführte Fassade lässt sich nach den Quellen weitgehend rekonstruieren (Abb. 3). Die Portale verfügten über Säulenädikulen ionischer Ordnung mit Sprenggiebeln und einem kleinen zentralen Balkon. Am Mittelrisalit waren die Zeichen des Reichs, der Abtei und des amtierenden Abtes angebracht. Am Fries des Hauptgebälks war eine auf Maria bezogene Inschrift geplant. Darüber befanden sich Steinskulpturen: am ersten Giebelgeschoß Maria als Himmelskönigin, über ihr die Heilig Geist Taube, am zweiten Giebelgeschoß der Salvator, seitlich Putten mit Schriftbändern und an der Giebelspitze Gottvater. 18 Die beiden Eckpavillons treten um je eine Fensterachse aus den Gebäudefluchten hervor, sind um ein Geschoß erhöht und mit reich geschmückten Giebelaufsätzen versehen. Die Fassade kombiniert mit den Pavillons Ele- 16 Neugestaltung der Fassaden nach Entwürfen von Johann Georg Wieland durch Giovanni Antonio Morisi. GLAK 65/ 457 III, fol. 60v, Eintrag zum 6. April 1788: Itali coepere monasterium nostrum [...] exterius dealbare, longo temporis tractu factis denigratum.; 62/ 8885, Bursamt, 1788/ 89, S. 64: den Italienern / Diesen ist wegen Weißtünchung des ganzen, außeren Klosters, und wegen Auszierung einiger Zimmer bezalt worden 2500 fl. 17 Ersetzung der Marienskulptur durch das Wappen der Standesherrschaft Salem; vgl. Salem. Vom Kloster zum Fürstensitz (wie Anm. 1), 166, Nr. IX.11 (U LRICH K NAPP ). 18 Rekonstruktion nach der Feuchtmayer zuzuweisenden Skizze in GLAK 98/ 1519-2; K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 28f., Nr. 34. Ulrich Knapp 324 Abb. 3: Salem, Prälaturfassade, Rekonstruktion des Zustands von 1708. mente der zeitgenössischen französischen Architektur mit dem in Oberschwaben seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreiteten vierflügeligen Schlossbau. Prototyp war das ab 1557 für Graf Froben Christof von Zimmern (1519-1567) erbaute Schloss Meßkirch, dem die Schlösser Wolfegg, 1578-1583 für Truchsess Jakob von Wolfegg errichtet und das 1598 begonnene Schloss Zeil folgten. 19 Im Gegensatz zu diesen oberschwäbischen Schlossbauten verfügt die Salemer Prälatur über eine aufwändige Eingangsfassade. Während die genannten Schlösser nur vergleichsweise enge Treppenaufgänge zu den Repräsentationsräumen besaßen, öffnen sich die beiden Tore der Salemer Prälaturfassade zu einem repräsentativen, mit zahlreichen Podesten versehenen und auf die Anforderungen des Empfangszeremoniells zugeschnittenes Treppenhaus. Die östliche Durchfahrt war permanent benutzbar, bei der westlichen Durchfahrt ermögliche eine hölzerne Brücke eine stufenlose Verbindung zwischen dem Treppenhaus und den westlichen Hochparterreräumen. 20 Bei Empfängen konnte diese Brücke hochgeklappt werden, so dass beide Durchfahrten benutzbar waren und sich die vorfahrenden und die abfahrenden Kutschen nicht begegneten. Zuschnitt und Ausstattung dieses Treppenhauses sind durch das Empfangszeremoniell bestimmt und führen auf die im zweiten Obergeschoß angeordneten Haupträume hin. Zielpunkt von Raum- und Ausstattungsprogramm ist der eineinhalbgeschossige Kaisersaal. 21 Der Saal nimmt die 19 Zu diesem Komplex vgl. U LRICH K NAPP , Schloßbauten des oberschwäbischen Adels im 18. Jahrhundert, in: Adel im Wandel. Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Ausst.-Kat., Bd. 2, Ostfildern 2006, 677-700, 679-682. 20 Bedingt durch den Geländeabfall im östlichen Bereich des Klosterarreals. 21 In der Idealansicht von Christoph Lienhardt ist der Saal lediglich als der grosse Sal bezeichnet. Legitimation aus der Geschichte 325 gesamte Breite des Baukörpers ein und trennt den nördlichen vom südlichen Teil des zweiten Obergeschosses. Nach Süden schließen sich die Fürstenzimmer an, im Norden befinden sich das Audienzzimmer, die Abtskapelle und die Sommerprälatur. Das repräsentative Tafelzimmer der Abtei liegt im ersten Obergeschoß, unterhalb des Kaisersaals. Mit der Anordnung der Haupträume im zweiten Obergeschoß und dem Zuschnitt des Kaisersaals als trennendem Raum zwischen der Prälatur und dem Fürstenappartement steht das Salemer Hofgebäude in der Tradition der fürstlichen Schlossbauten Oberschwabens. Die Parallele war sicher nicht unbeabsichtigt. Der Bauherr, Abt Stephan I. Jung (reg. 1698-1725) bemühte sich um die Erhebung in den Reichsfürstenstand. 22 Zwar scheiterte dieses Bemühen, doch zeigen die Ereignisse bei der Aufwartung Abt Stephans I. bei Kaiser Karl VI. 1711 in Augsburg und dessen bevorzugte Behandlung, 23 welche Position der Abt von Salem innerhalb des Reichs hatte. Das unter Abt Stephan I. ausgeführte Bau- und Bildprogramm der Salemer Prälatur wird erst vor diesem Hintergrund in seiner ganzen Tragweite verständlich. Ein weiteres Beispiel einer solchen programmatischen Architektur ist das ab 1712 nach Entwürfen von Christoph Gessinger (1670-1735) für Graf Anton III. von Montfort (1686-1733) errichtete Neue Schloss in Tettnang. Die Anlage greift die älteren Bautypen von Wolfegg und Zeil auf. Der Bauherr, Graf Anton III. von Montfort, bemühte sich ebenfalls, in den Reichsfürstenstand erhoben zu werden. 24 Das neu erbaute Schloss sollte den Anforderungen dieser angestrebten Standeserhöhung genügen. 3. Raum und Bildprogramm der Repräsentationsräume 3.1. Die Prälatur mit dem Kaisersaal Der Zugang zum Kaisersaal, dem Hauptrepräsentationsraum der Abtei, führt über das Haupttreppenhaus im Nordflügel über Gänge im zweiten Obergeschoss. An der Decke des Lichtschachtes im Haupttreppenhaus mahnt der Sturz des Phaeton, ein Gemälde des Rottweiler Malers Jakob Christoph Achert (um 1690-1750), 25 den Besucher vor den Folgen von Anmaßung und Übermut. Die Gänge im zweiten Obergeschoss sind zu- 22 GLAK 98/ 269. 23 GLAK 98/ 936; 1969: Bericht über die Reise Abt Stephans nach Augsburg, um Kaiser Karl VI. seine Aufwartung zu machen. 24 K NAPP , Schoßbauten (wie Anm. 19), 683. Zur Baugeschichte des Schlosses siehe H ARALD O SSWALD , Materialien zur Baugeschichte des Neuen Schlosses zu Tettnang 1712-1780, phil. Lizenziatsarbeit, Mskpt., Zürich 1986. 25 W INFRIED H ECHT , Achert, 1. Jakob Christoph, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 1, Leipzig 1993, 225. Ulrich Knapp 326 Abb. 4: Salem, Kaisersaal, Blick nach Norden. rückhaltend mit Deckenstuck und stukkierten Türrahmungen ausgeschmückt. In den Supraporten sind Reste eines Reliefzyklus römischer Kaiserporträts erhalten. Besonders ausgezeichnet ist das Portal zum Kaisersaal am Südende des Gangs, der von der Sommerprälatur zum Kaisersaal führt. Das von einer Ädikula überfangene Portal wird von lebensgroßen Stuckplastiken der Fortitudo (Stärke) und der Caritas (Barmherzigkeit) flankiert. In der Mitte des Portalsprenggiebels ist eine weibliche Büste, vermutlich Maria, angebracht. Das entsprechende Portal an der Südseite, also am Nordende des Gangs vom Fürstenzimmer zum Kaisersaal wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts verändert. Das ebenfalls erhaltende Pendant an der Südostseite wird ebenfalls von zwei etwa lebensgroßen Stuckplastiken flankiert, Pomona an der Westseite und eine männliche Figur mit zwei Tauben an der Ostseite. Der Kaisersaal (Abb. 4) selbst ist reich mit Stuck, Stuckplastiken und Gemälden ausgestattet. Die Ausstattungsaufträge wurden ab 1708 vergeben. 26 Zuvor hatte sich Abt Stephan I. offensichtlich von verschiedener Seite 26 Zum Kaisersaal vgl. H ELGA W AGNER , Barocke Festsäle in süddeutschen Klosterbauten, Diss. phil. München 1965, 49-51; A RNULF H ERBST , Zur Ikonographie des barocken Kaisersaals, in: Berichte Legitimation aus der Geschichte 327 beraten lassen. 1705/ 06 übersandte eine Stuckator aus Ehingen einen Riss. 27 Kurz darauf, am 4. Juni 1706, empfahl Graf Franz Maximilian Euseb von Königsegg-Aulendorf (1669-1710) einen Stuckator aus Como di Stato Milano gebürtig, der in dessen neuem Schloss in Aulendorf Zimmer mit zierlichen Figuren ausgearbeitet habe. 28 Die dekorativen Stuckarbeiten wurden am 20. März 1708 Franz Joseph Feuchtmayer (1660-1718) verdingt; 29 am 29. August 1708 wurden ihm auch die Stuckplastiken der römischen Könige und der Papstbüsten vergeben. 30 Erst nach der Ausführung der Wandstuckaturen wurden die hölzernen Fensterstöcke eingesetzt. Die dabei verursachten Beschädigungen wurden von Georg Lughardt und seinen Cameraden repariert. 31 Zur Ausstattung des Kaisersaals haben sich eine Skizze zur Positionierung der Deckengemälde 32 sowie das Fragment eines schriftlichen Programmentwurfs erhalten. 33 Das ausgeführte Bildprogramm zeigt an der Südwand Stuckplastiken von Lothar III. (reg. 1124-1137) 34 und Konrad III. (reg. 1137-1152), dazwischen ein Gemälde mit einem Reiterporträt Karls VI. (reg. 1711-1740), darüber die Büste von Papst Callixtus II. (reg. 1119-1124). Im Wechsel von Ost nach West folgen an den Stirnseiten der Wandzungen Stuckplastiken der römischen Könige (Abb. 5 und 6), beginnend mit Rudolf I. (reg. 1273- 1291), fortgeführt mit Albrecht I. (reg. 1298-1308), Friedrich dem Schönen (reg. als Gegenkönig / König 1314-1330), Albrecht II. (reg. 1438-1439), Friedrich dem Sanften/ III. (reg. 1440-1493), Maximilian I. (reg. 1493- 1519), Karl V. (reg. 1519-1558), Ferdinand I. (reg. 1558-1564), Maximilian II. (reg. 1564-1576), Rudolf II. (reg. 1575-1612), Matthias I. (reg. des Historischen Vereins Bamberg 106 (1970), 207-344, insbes. 299-301; F RANZ M ATSCHE , Kaisersäle - Reichssäle. Ihre bildlichen Ausstattungsprogramme und politischen Intentionen, in: R AINER A. M ÜLLER (Hrsg.), Bilder des Reiches (Irseer Schriften, Bd. 4), Sigmaringen 1997, 323-355, insbes. 339-349; F RANZ M ATSCHE , Prachtbau und Prestigeanspruch in Festsälen süddeutscher Klöster im frühen 18. Jahrhundert. Zum Typus und zur Verbreitung des Kolonnadensaals und zur Frage des „Reichsstils“, in: M ARKWART H ERZOG / R OLF K IESSLING / B ERND R OECK (Hrsg.), Himmel auf Erden oder Teufelsbauwurm? Wirtschaftliche und soziale Bedingungen des süddeutschen Klosterbarock (Irseer Schriften NF, Bd. 1), Konstanz 2002, 81-118, insbes. 108f.; K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 364-372. Eine monographische Darstellung des Salemer Kaisersaals und seiner Ausstattung ist in Vorbereitung. 27 GLAK 62/ 9183, Rentamt 1705/ 06, S. 73: den 29 Marzen Einem gibser von Ehingen so ainen Riss zum Saal gemacht, und damit sich umb arbaith angemelt, auß gn. befelch 8 fl. 28 GLAK 98/ 934. 29 GLAK 62/ 9212, Rentamt, 1708/ 09, Beilage. 30 GLAK 65/ 11546, S. 189. 31 GLAK 62/ 8804, Bursamt 1708/ 09, S. 60. 32 GLAK 62/ 9212, Rentamt, 1708/ 09, Beilage; K NAPP , Salem (wie Anm. 8), Nr. 43. 33 GLAK 98/ 1519-9. 34 In der Schriftkartusche als Lotharius II. bezeichnet. Diese Bezeichnung entspricht derjenigen bei S ARTORIUS , Apiarium Salemitanum (wie Anm. 10), 2. Ulrich Knapp 328 Abb. 5: Salem, Kaisersaal, Ostwand. Abb. 6: Salem, Kaisersaal, Westwand. Legitimation aus der Geschichte 329 Abb. 7: Salem, Kaisersaal, Südwand. 1612-1619) und Ferdinand II. (reg. 1619-1637). Die Reihe der Könige schließt an der Nordwand mit Ferdinand III. (reg. 1637-1656), Leopold I. (reg. 1656-1705) und in der Mitte mit dem Reiterporträt Josephs I. (reg. 1705-1711). Jeweils in den Fensterachsen sind die Büsten von Päpsten angebracht, die dem Zisterzienserorden oder der Abtei Salem eng verbunden waren. Ihre Reihe endet mit dem Bildnis Papst Clemens XI. (reg. 1700- 1721). An dieser Folge von Königsbildnissen und Papstbüsten fällt auf, dass bezogen auf den Zeitpunkt der Programmkonzeption das Ende von Königs- und Papstreihe an der Nordwand liegt, wobei hier der regierende König und Kaiser und der amtierende Papst übereinander angeordnet gewesen wären. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeiten, 1712, war allerdings eine entscheidende Änderung der politischen Situation eingetreten, da Joseph I. 1711 völlig überraschend verstorben war und somit bei der Vollendung des Saals der regierende Kaiser nicht im Bildprogramm vertreten gewesen wäre. So dürfte es zu erklären sein, dass das Bildnis Karls VI. an der Südwand, zwischen Lothar III. und Konrad III. plaziert wurde (Abb. 7). Hier wäre eine Darstellung der Gründungslegende bzw. des Stiftungsakts zu erwarten gewe- Ulrich Knapp 330 sen. Der heute festzustellende Bruch innerhalb der Königsabfolge kann nur mit dem überraschenden Tod Josephs I. sowie der von Abt Stephan I. mit Nachdruck betriebenen Annäherung an Karl VI. sowie dem Bemühen, in den Reichsfürstenstand erhoben zu werden, sinnvoll erklärt werden. Für Abt Stephan I. und seine politischen Ambitionen dürfte die Vervollständigung des Bildprogramms um den amtierenden Kaiser wichtiger gewesen sein, als die Darstellung des Stiftungsaktes, der durch die Bildnisse Lothars III. und Konrads III. sowie die Büste Callixtus II. bereits thematisiert war. Die Abfolge der Königs- und Papstporträts wird im Wandbereich durch mehrfigurige Plastikgruppen über den vier Portalen ergänzt, deren Interpretation das erhaltene Programmfragment liefert: Über dem Nordwestportal, durch das man aus dem Gang in den Kaisersaal gelangt, befindet sich eine Allegorie auf die Kirche, verkörpert durch Ecclesia mit dem Attribut der Tiara und den Schlüsseln des hl. Petrus; ihr zu Seiten Fides (Glaube) und Spes (Hoffnung). Über dem nordöstlichen Portal, das zum Audienzzimmer führt, befindet sich eine Figurengruppe, die die Früchte des Friedens und der guten Herrschaft thematisiert. Auf der gegenüberliegenden Seite, das heißt der Seite zu dem Fürstenzimmern, ist über dem südwestlichen Portal eine Allegorie auf den Frieden, verkörpert durch Königin Anna von England (1574-1619) dargestellt und am südöstlichen Portal die Allegorie auf den Krieg und seine Schrecken. Die Portalgruppen der Nordseite lassen sich damit in kirchlichem und jene der Südseite in weltlichem Kontext interpretieren 35 und stehen somit in unmittelbarem Bezug zu den sich daran anschließenden Räumen der Prälatur bzw. der Fürstenzimmer. Oberhalb des Hauptgesimses wechselt das Programm in eine andere Realitätsebene. Atlanten tragen den Rahmen des Deckenspiegels. Jagdszenen in der Voute vermitteln zwischen der Folge der Könige des Heiligen Römischen Reichs und den Päpsten der römisch-katholischen Kirche sowie dem Deckenspiegel mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. In den Ecken der Voute, das heißt in der Übergangszone sind durch Königsbüsten die vier antiken Weltreiche symbolisiert: Cyrus für das Perser- und Medäerreich (SW-Ecke), Nimrod für das Reich der Assyrer (SO-Ecke), Alexander der Große für das Reich der Griechen (NO-Ecke) und Julius Caesar für das römische Reich (NW-Ecke). An den Schmalseiten befinden sich in der Voute das Wappen des Konvents (S) und des Abtes (N). Das Zentrum der Gesamtkomposition nimmt das monumentale Gemälde der Ausgießung des Heiligen Geistes von Franz Carl Stauder (um 1660/ 64? -1714) ein, eingefasst von den Wappen des Klosterstifters (S) und des Ordens (N). Die Nebenbilder des Deckenspiegels zeigen Elias im Feuer- 35 Vgl. dazu K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 369f. Legitimation aus der Geschichte 331 wagen (S) und Daniel in der Löwengrube (N). Die Vermittlung zwischen der theologischen Sphäre der Deckenbilder und der weltlich-politischen Sphäre der Wandzone bilden die Gemälde der Voute in der Mittelachse der Längsseiten. Im Westen: König Rudolf I., der einem Priester sein Pferd gibt. Und im Osten: Maximilian I. an der Martinswand. Beide Themen sind zentrale Elemente der Pietas Austriaca. Das Gesamtprogramm des Saals stellt das Heilige Römische Reich in die Nachfolge der vier Großreiche der Antike. Als Garanten des Reichs erscheinen die der römisch-katholischen Kirche verpflichteten Könige und Kaiser des Reichs und die Päpste. Die Reihe der Könige ist dabei unmittelbar auf die Geschichte Salems bezogen, wie auch die Inschrift am SW-Portal belegt: CAESARIS ET PAPAE QUOTQUOT NITIT AULA FIGURIS, TOT PIA SALEMIO IURA DEDERE SUO 36 - Alle Kaiser und Päpste, deren Bildnisse diesen Saal schmücken, haben Salem heilige Privilegien verliehen. Das schriftliche Programmfragment nennt weitere vier Kaiser, die für das Bildprogramm in Erwägung gezogen wurden: Karl der Große und Konstantin, Otto der Große und Theodosius. 37 Gleichzeitig wird durch die Darstellungsebene im Gewölbespiegel die Einbindung der weltlichen Herrschaft in das göttliche Heilsgeschehen thematisiert. Das Ungewöhnliche an der Reihe der Königsbildnisse ist die Aufnahme der Könige Albrecht I. und Friedrich des Schönen, Albrecht II. und Friedrich III., der hier als Friedricis pacificus bezeichnet wird. 38 Albrecht I. war 1308 bei Windisch ermordet worden; Friedrich der Schöne war Gegenkönig zu Ludwig dem Bayern. Abt Konrad von Ensingen (reg. 1311-1337, gest. 1343) war dem Habsburger als Beichtvater und Testamentsvollstrecker eng verbunden. Die Beziehungen zu Friedrich dem Schönen waren im frühen 14. Jahrhundert durchaus zum Nachteil der Abtei. Auch die Baueinstellung am Münster ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts jedoch unterstrich die Unterstützung des wenig glückreichen Habsburgers die Loyalität der Abtei gegenüber dem herrschenden Kaiserhaus und war damit durchaus den Interessen Abt Stephans I. förderlich. Gleichzeitig zu der Ausarbeitung des Bildprogramms für den Kaisersaal ließ Abt Stephan I. durch den Zisterzienser Augustinus Sartorius aus dem Kloster Osek / Ossegg eine historische Darstellung der Geschichte Salems 36 „Der Saal glänzt von den Bildern aller Kaiser und Päpste, die das Ihre zu den frommen Rechten Salems gegeben haben.“ 37 GLAK 98/ 1519-9. 38 Diese Bezeichnung dürfte wegen der Aufnahme von Friedrich dem Schönen in das Skulpturenprogramm gewählt worden sein. Dieser wurde in der offiziellen Herrscherzählung nicht berücksichtigt, so dass es entweder einen König mit Namen Friedrich außerhalb der Zählung oder eine Doppelung unter der Zählung „III.“ gegeben hätte. Ulrich Knapp 332 Abb. 8: Salem, Audienzzimer, Blick nach Südwest. sowie der Rechte und Privilegien der Abtei verfassen, die 1708, also in demselben Jahr, in den die Bildprogramme des Kaisersaals in Auftrag gegeben wurden, in Prag im Druck erschien. Es liegt nahe, dass das Erscheinen des Apiarium Salemitanum unmittelbar auf die Programmkonzeption für den Kaisersaal eingewirkt hat. Der Rückbezug auf die Geschichte des Klosters, insbesondere auf die mittelalterliche Geschichte, wird als Instrument der Sicherung aktueller Ansprüche der Abtei eingesetzt. So heißt es im ersten Kapitel des Apiarium: Es hat die Abbtey Salmansweyl, welche die Römischen Kayser und Könige ihr Königliches Stifft getaufft haben, bey des heiligen Cistercienser=ordens Gottes=Häusern in gantz Teutschland, ja gantz Europa ihres gleichen wenig, oder glaublicher, gar keine: Und führen dessen jeweilige Praelaten schon von vielen hundert Jahren hero den Titul: Abbte und Herren des Königlichen Eximirt= und Befreyten Heiligen Römischen Reichs=Stiffts und Münsters Salmansweyl. Und zwar mit bestem Fug, weilen der erste Fundator Guntramus von Adelsreite den Orth völlig frey und Niemandes Bothmäßigkeit unterworfen von seinen auch allzeit freyen Vornehmen Eltern Regijs quasi & omnimodis Jurisdictionibus besessen, und in solcher Form Imperante Lothari II An: 1134, auch Legitimation aus der Geschichte 333 selben nachgehends Conrado Suevo, dieser aber hinnach Römischer König, als ein eigenes Königliches freyes Geschenck dem Heil: Cistercienser=Orden ohne einigem Vorbehalt übergeben, und selbigem in seinen sonderbaren Königlichen Schutz auff= und angenommen hat: Vermög eines An: 1142 hierüber verfertigten Diplomatis. 39 Die Ausstattung der an den Kaisersaal anschließenden Räume stand in einem inneren Bezug zum Kaisersaal. Weitgehend erhalten blieb nur die Ausstattung im Audienzzimmer des Abtes (Abb. 8), das vom Gang und über das Nordostportal des Kaisersaals sowie von der Abtskapelle aus zugänglich war. Über der Tür zum Kaisersaal ist eine Allegorie auf Sapientia (Weisheit) angebracht, über der gegenüberliegenden nördlichen Tür eine Allegorie auf Fortitudo (Stärke). Die Voute der 1707 datierten Stuckdecke nehmen symbolhafte Szenen ein, die Stärke, Mut und die Folgen der Selbstüberschätzung zum Inhalt haben. Das zentrale Deckenbild, 1730 von Franz Joseph Spiegler (1691-1757) gemalt, 40 zeigt das Urteil Salomons (Abb. 9). Es ist die Mahnung an den Abt, sich der Weisheit Salomos zu erinnern. In der anschließenden Abtskapelle blieb von der Erstausstattung (1706/ 07) noch das Gemälde der Aufnahme Mariens in den Himmel von Franz Carl Stauder erhalten. Die Räume südlich des Kaisersaals, das Fürstenzimmer und die daran anschließenden Gästezimmer wurden wiederholt verändert. Das Fürstenzimmer besaß eine besonders aufwändige Decke des Stuckators Simon Bader. 41 Im Diarium Salemitanum heißt es zum 10. Mai 1790: Destructa ornamenta Habitaculi principalis, vulgo Fürstenzimmer. Es war vorhin verzieret mit Stockador Arbeit, fast wie das Somer refectorium: einigen Mahlereyen auf tuch angeworfen, gipsmarmornen Verzierungen. 42 Aus den Rechnungen ergibt sich, dass das Fürstenzimmer mit einem aufwändig mit Malereien geschmückten Ofen 43 und einem Gemälde des Erzengels Michael von Franz Carl Stauder ausgestattet war. 44 Hinzu kam eine kostbare Uhr. 45 Die Ausstattung des großen Tafelzimmers der Abtei, das unterhalb des Kaisersaals angeordnet war, lässt sich nur in Ansätzen erschließen. 1705 wurde der Raum mit Stuckaturen versehen und 1714/ 15 lieferte Jacob Carl Stauder ein großes Porträtgemälde für den Raum. Das Tafelzimmer war sowohl von den Räumen der Prälatur als auch von den Gästeappartements aus zu erreichen und über den hofseitigen Gang zugänglich. 39 S ARTORIUS , Apiarium Salemitanum (wie Anm. 10), 2f. 40 K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 416. 41 GLAK 62/ 8797, Bursamt, 1701/ 02, S. 10: Simon Bader von der Fürstencamer und Zimer neben dem Fürstengemach 39 fl. 42 GLAK 65/ 457, Bd. IV, fol. 19v. 43 GLAK 62/ 9183, Rentkammer, 1705/ 06, S. 73. 44 GLAK 62/ 9210, Rentkammer, 1706/ 07, Beil. 100. 45 GLAK 62/ 9187, Rentkammer, 1709/ 10, S. 66. Ulrich Knapp 334 Abb. 9: Salem, Audienzzimmer, Das Urteil Salomons, Öl auf Leinwand, Franz Joseph Spiegler, 1730. 3.2. Die Klostergeschichte in den Bild- und Ausstattungsprogrammen Die Räume der Klausur wurden in mehreren Abschnitten ausgestattet. Selbst das Sommerrefektorium erhielt seine heutige Ausstattung in drei Kampagnen zwischen 1698 und 1733/ 34. Die Stiftung des Klosters und seine Ge- Legitimation aus der Geschichte 335 schichte werden hier nur ansatzweise berührt, so etwa in einem heute verschollenen Gemäldezyklus, den Jacob Christoph Achert 1732/ 33 für das Winterrefektorium geschaffen hatte. Der Zyklus umfasste Bildnisse des hl. Bernhard, seiner Eltern und seiner Brüder, des ersten Abtes von Salem, Frowin, des ersten Abtes des Salemer Tochterklosters Raitenhaslach, Gero und von Abt Eberhard I. von Rohrdorf. (1201-1240). Zwei weitere Gemälde zeigten den Klosterstifter Guntram von Adelsreute und den Einsiedler Heinrich Fink, den Bruder von Egg, der 1278 seine Einsiedelei unterhalb von Heiligenberg dem Kloster stiftete. Die Klosterstiftung nimmt in diesen Bildprogrammen nur eine Randstellung ein. Ebenso verhält es sich bei der Sakristei, die gleichfalls in der ersten Phase ihre Ausstattung erhielt. Malereien in den Gurtbögen zeigen Putti mit den liturgischen Gerätschaften, die der Abt von Salem nutzen durfte. Es werden hier die kirchenrechtlichen Privilegien der Salemer Äbte verbildlicht. Eine besondere Stellung nimmt die Bibliothek des Klosters ein. In der Erstausstattung vermutlich nur mit Stuckaturen geschmückt, erhielt sie ab 1730/ 38 ein reiches Bildprogramm. Die Gemälde von Anton Bastian sind allerdings weitgehend übertüncht oder zerstört, so dass das Gesamtprogramm nur über das schriftliche Bildprogramm erschlossen werden kann. Während die zentralen Deckenbilder theologischen Themen vorbehalten sind, von der Erschaffung des Universums bis zur Traditio clavium und dem Jüngsten Tag, zeigten die Gemälde in den Stichkappen auf der Ostseite die Klosterstiftung und das Wirken bedeutender Salemer Äbte und jene auf der Westseite eine Karte mit den Salem unterstellten Frauenklöstern, die Abtei Salem als Vorkämpferin des Glaubens und die Wiederbesiedelung der drei in der Säkularisation aufgehobenen Klöster Bebenhausen, Maulbronn und Tennenbach während des Dreißigjährigen Kriegs. Die reichsrechtliche Sonderstellung Salems wird in zwei Feldern thematisiert. Eines zeigt König Sigismund, der während des Konstanzer Konzils im Salemer Pfleghof in Konstanz logierte, das andere Karl IV., der Salem wieder in seine alten Rechte einsetzte, nachdem Graf Albrecht I. von Heiligenberg unter Vorlage unechter Urkunden zunächst die Vogtei über das Kloster erlangt hatte. Schließlich wird der Salzburger Erzbischof Eberhard, der Salem 1202 eine Saline in Hallein übertragen hatte, als zweiter Gründer des Klosters dargestellt und das letzte Bild der Westseite zeigte die Verbrüderung zwischen dem Domkapitel von Salzburg und dem Salemer Konvent im Jahr 1237. Ulrich Knapp 336 3.3. Zwischenergebnis Vergleicht man nun die Bildprogramme in den Räumen der Abtei und in jenen der Klausur, so ergeben sich deutlich unterschiedliche Schwerpunkte. Zwar tritt der Stiftungsakt und die Person des Stifters, sei es in Form seines Wappens, eines Porträts oder einer Darstellung des Stiftungsakts in beiden Bereichen der Anlage auf, doch sind die Schwerpunkte merklich verschieden gewichtet. Im Klausurbereich überwiegt das Gedenken an den Klosterstifter. Im Bereich der Prälatur hingegen wird der weltlich-politische Aspekt der Klosterstiftung mit den damit verbundenen Besitzrechten thematisiert. Die programmatische Zuspitzung auf die der Abtei durch die römisch-deutschen Könige verliehenen Schutzprivilegien und Rechte einerseits und die durch die Päpste erteilten kirchenrechtlichen Privilegien andererseits erfolgt aber alleine im Kaisersaal, dessen Bildprogramm gleichsam die Verfassung der Reichsabtei zum Inhalt hat. Damit sind zugleich die Adressaten dieses Bildprogramms benannt: zum einen die Territorialherren, die die Abtei bedrängen, und die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, die an ihre Schutzpflichten gegenüber der Abtei erinnert werden, zum anderen die kirchlichen Würdenträger, die auf die exemte Stellung der Abtei und die kirchenrechtlichen Privilegien der Salemer Äbte hingewiesen werden. 4. Das Schicksal des Bildprogramms der Prälatur und des Kaisersaals im 18. Jahrhundert Die Räume der Prälatur und die Gästezimmer wurden im 18. Jahrhundert teilweise mehrfach umgestaltet. Zuletzt erfolgte eine klassizistische Umgestaltung des Tafelzimmers, der Fürsten- und Grafenzimmer sowie der Winterabtei. Die Räume erhielten dabei jeweils eine dem aktuellen Zeitgeschmack entsprechende Ausstattung, ohne dass ein auf die Geschichte der Abtei bezogener Themenschwerpunkt erkennbar wäre. Einzig das Bildprogramm des Kaisersaals blieb bis zur Aufhebung der Reichsabtei 1803 nahezu unverändert erhalten. Zwar waren wiederholt Reparaturen erforderlich, eine Veränderung der Bildthemen erfolgte dabei allerdings nicht. Bereits um 1720 hatte sich der Baugrund derart gesetzt, dass erhebliche Verformungen und Schäden an den Stuckaturen eintraten. Mit der Reparatur der Schäden wurden die Stuckateure Sebastian Zepf und Anton Lankmaier, die für Dominikus Zimmermann arbeiteten und unmittelbar davor die Stuckaturen im Tafelzimmer des Neubaus von Schloss Maurach ausgeführt hatten, betraut. An den Stuckaturen der Wände sind keine großflächigen Reparaturen zu beobachten, anders verhält es sich mit dem Deckenspiegel: Sämtliche glattge- Legitimation aus der Geschichte 337 putzten Flächen 46 gehören einer zweiten Stuckierungsphase an und unterscheiden sich sowohl in Material als auch Technik des Stuckauftrags von den älteren Teilen der Stuckdecke, das heißt den ornamentalen Rahmen und den Engelsreliefs. Nach den Befunden wurde der ältere Stuck zwischen den Rahmenfeldern und den Stuckreliefs abgeschlagen. Die beschädigten Stellen der älteren Stuckornamente wurden mit dem neuen, wesentlich weicheren und poröseren Material ergänzt. 47 Die bei der Reparatur angewandte Technik ist im Bodenseeraum ab etwa 1720 nachgewiesen. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass die Arbeiten von Simon Bürkner und seinen Gesellen sowie von Anton Lankmaier und Sebastian Zepf 1723/ 24 ausgeführt wurden. 48 Nach der Reparatur erhielt der Saal seine heutige Fassung durch Gervasius Feuchtmayer, einem Bruder von Joseph Anton Feuchtmayer. Im späten 18. Jahrhundert wurden wohl die Fenster verändert und die zu rekonstruierenden steinernen Zwischenstürze der Hauptfenster entfernt. Bis zur klassizistischen Erneuerung der Fassadengestaltung 1788 waren diese Arbeiten ausgeführt. Es bleibt damit festzuhalten, dass trotz Reparatur- und Umbaumaßnahmen im Bereich des Kaisersaals keine Eingriffe und Veränderungen in das Bildprogramm erfolgten. Der Kaisersaal blieb das thematische Zentrum der Selbstdarstellung der Abtei. Ungeachtet der klassizistischen Umgestaltung von Tafelzimmer, Fürsten- und Grafenzimmer sowie der Winterabtei lassen sich keine Pläne für eine klassizistische Umgestaltung des Kaisersaals nachweisen, der auch weiterhin genutzt wurde. 5. Die Gründungsgeschichte des Klosters als Thema der Münsterausstattung Im Salemer Münster befanden sich vor den Stufen des Hochaltars die mit bronzenen Grabplatten ausgezeichneten Gräber des Klosterstifters und Abt Frowins. 49 Die Platten wurden im Dreißigjährigen Krieg geraubt. Die Grabstätten bildeten das Zentrum der Memoria. Wappen des Stifters, des Heiligen Römischen Reichs und der jeweils amtierenden Äbte zierten die Ausstattungsstücke des Münsters. Sie dienten wie die Wappen der Stifter und Wohltäter deren Memoria und nicht der Einforderung eines weltlichpolitischen Anspruchs. Eine nachhaltige Änderung wird hier erst mit der 46 Es ist nicht auszuschließen, dass die heute glatt geputzten Deckenflächen ursprünglich mit Akanthusranken oder anderem dekorativem Stuck geschmückt waren. 47 U LRICH K NAPP , Bauhistorisches Kurzgutachten zum Kaisersaal vom 18. Februar 2007. Ein Exemplar befindet sich bei der Markgräflichen Bauverwaltung Salem. 48 GLAK 62/ 8819, Bursamt 1723/ 24, S. 54. Bürkner und sein Geselle arbeiteten je 22 ½ Tage im Saal, Zepf und Lankhmaier je 21 ½ Tage. 49 Vgl. K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 198, 323. Ulrich Knapp 338 Abb. 10: Salem, Münster, Stiftermonument, Ansicht von Südwest. Legitimation aus der Geschichte 339 klassizistischen Neuausstattung des Münsters greifbar. Am nordwestlichen Vierungspfeiler wurde als Pendant zum Äbtemonument am südwestlichen Vierungspfeiler ein Stiftermonument (Abb. 10) geplant. Erste Entwürfe weisen auf ein eher allgemein historisch-theologisches Programm hin. Das Zentrum sollte eine monumentale Platte mit der historia fundationis bilden, gehalten von Putten und Engeln mit den Insignien der Salem Äbte. Eine Skulptur der Religio sollte den östlichen Eckpfeiler der Gruppe bilden. 50 Erst nach einer Planänderung gelangte das heutige Monument zur Ausführung. Östlich der Platte mit der Gründungsgeschichte erscheint an Stelle der Religio des ersten Entwurfs eine Gruppe, bestehend aus Guntram von Adelsreute, dem Stifter, und König Konrad III., der das Kloster unter königliche Schutzvogtei gestellt hat. Diese Skulpturengruppe ist auf den Hochaltar und das Chorgestühl ausgerichtet. An der Westseite des Monuments, auf den Laienraum der Kirche ausgerichtet, befinden sich die Skulptur Papst Urbans VI. (reg.1378-1389), der den Äbten Salems das Recht verlieh, die Pontifikalien zu tragen. Zu seinen Füßen erblickt man ein Salzfass, Symbol für Erzbischof Eberhard II. von Salzburg, der dem Kloster eine Saline in Hallein schenkte und als zweiter Stifter im Kloster verehrt wurde. 51 Die Inschrift der Schriftplatte nennt die auf die dargestellten Personen bezogenen historischen Daten und endet mit der Bezeichnung der Abtei als prima Imperii Romano- Germanici Praelatura. 6. Schluss Episoden der Klostergeschichte zählen zu den Bildprogrammen im Bereich des Abteigebäudes, in den Räumen der Klausur und in der Klosterkirche (Münster). Die Auswahl der Episoden aus der Geschichte des Klosters zeigen sich abhängig vom Anbringungsort. Die Ausgestaltung der Szenen ist auf die jeweiligen Adressaten abgestimmt. Im Bereich der Klausur wird die Ordensgeschichte und die Memoria des Klosterstifters hervorgehoben. Das Stiftermonument im Münster vereinigt das Gedenken an den Klosterstifter mit der Absicherung der Stiftung durch die Bestätigungen seitens des Papstes und den römischen Königs. An den zweiten Stifter erinnert nur das Attribut des Salzfasses. Papst Urban VI. symbolisiert das Privileg der Salemer Äbte, die Pontifikalien tragen zu dürfen. Das Bildprogramm des Kaisersaals hingegen stellt den Stiftungsakt in einen größeren historischen Zusammenhang und formuliert gleichzeitig den politischen Anspruch des auftraggebenden Abtes Stephan I. Jung. Auch 50 Berlin, SMPK, Kunstbibliothek Hdz 5638; K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 92f., Nr. 178. 51 K NAPP , Salem (wie Anm. 8), 464, Nr. 179. Ulrich Knapp 340 wenn sich die politischen Ziele der Salemer Äbte wandelten, blieb die Grundaussage des Bildprogramms das Fundament ihrer politischen Ambitionen, die unter Abt Anselm II. - er hatte 1748 den Titel eines Wirklichen Geheimen Rats am Wiener Kaiserhof erlangt - einen Höhepunkt erreichte. Der Bezug auf die mittelalterliche Geschichte des Klosters und die ungebrochene Tradition der Privilegien bis in die Gegenwart, wie sie im Kaisersaal bildlich zum Ausdruck gebracht wurde, war bis zur Aufhebung der Reichsabtei 1803 ein Kern ihrer Außendarstellung. Hierin dürfte auch der Grund zu sehen sein, dass der Kaisersaal, der bis zur Aufhebung der Reichsabtei entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung genutzt wurde, seine originale Ausstattung nahezu vollständig erhalten hat, während die angrenzenden Räume der Prälatur dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend verändert wurden. In gewisser Weise findet der Erhalt der Architektur des hochgotischen Münsters trotz der wechselnden Ausstattungen des 17. und 18. Jahrhunderts eine Parallele in der fast unveränderten Erhaltung des Kaisersaals. Das Bewusstsein um historische Zusammenhänge und die Aktualität der Geschichte sind die Ursache für die Erhaltung der im Grunde altertümlichen Architektur bzw. Raumausstattung. Inszenierte Vergangenheit Mittelalterliche Bildwerke im Kontext barocker Klöster Tobias Kunz Im Rahmen der Barockisierung älterer Sakralbauten stellt die Wiederverwendung mittelalterlicher Bilder ein interessantes, aber noch unzureichend erforschtes Phänomen dar. Dass die Beweggründe für eine Übernahme dieser Werke seitens des Auftraggebers, um die es der Kunstgeschichte vorrangig gehen sollte, durch den Mangel eindeutiger Quellenaussagen oft unverständlich bleiben, mag dies nur zum Teil erklären. 1 Erschwerend hinzu kommt, dass sich nach dem originalen oft auch der barocke Kontext nicht mehr erhalten hat, oder dass sich die exakte Provenienz eines Einzelwerks nicht über das 19. Jahrhundert hinaus zurück verfolgen lässt. Zur Musealisierung mittelalterlicher Skulptur und Tafelmalerei im Zeitalter der Denkmalpflege, besonders in Kirchen mit weitgehend intakter romanischer oder gotischer Bausubstanz, gehörte in der Regel eine Tilgung des sekundären Zusammenhangs, also Entfernung von späteren Rahmen, Baldachinen und - noch heute nicht unüblich - auch von neuzeitlichen Farbfassungen, die von vornherein als grob und entstellend angesehen wurden. Ein solcher puristischer Eifer war natürlich dort nicht opportun, wo die Barockarchitektur dominierend und das gotische Bild vollkommen in das neue Ausstattungskonzept aufgegangen war. Besonders diese Fälle erlauben heute Rückschlüsse auf die Hintergründe der lebendigen Konservierung älterer Bildwerke im 17. und 18. Jahrhundert. Herbert Beck hat sich in seiner grundlegenden Frankfurter Dissertation von 1967 dieser Frage in erster Linie durch eine ästhetische Betrachtungs- 1 Nur am Rande soll es hier um die Wiederverwendung wundertätiger Gnadenbilder gehen, zu deren Alter, Versehrt- oder Unversehrtheit in Hinblick auf ihre Neuaufstellung im barocken Rahmen sich eine Fülle zeitgenössischer Aussagen zusammentragen ließen. Ihre kunsthistorische Auswertung in Form einer Überblicksdarstellung steht noch aus; wichtige Arbeiten: G ABRIELA S IGNORINI , Das spätmittelalterliche Gnadenbild. Eine nachtridentinische invention of tradition? , in: D AVID G ANZ / G EORG H ENKEL (Hrsg.), Rahmen-Diskurse. Kultbilder im konfessionelen Zeitalter, Berlin 2004, 302-329; G RA YNA J URKOWLANIEC , Epoka nowo ytna wobec redniowiecza. Pami tki przesz ó ci, cudowne wizerunki, dzie a sztuki, Breslau 2008. Zu Grundlagenforschungen der Nachbardisziplinen vgl. H ANS D ÜNNIGER , Processio peregrinationis. Volkskundliche Untersuchungen zu einer Geschichte des Wallfahrtswesens im Gebiet der heutigen Diözese Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 23 (1961), 53-176 (Teil I) und 24 (1962), 52-188 (Teil II), bes. 87-107; L EOPOLD K RETZENBACHER , Das verletzte Kultbild. Voraussetzungen, Zeitschichten und Aussagewandel eines abendländischen Legendentypus, München 1977. Wertvolle Hinweise und begriffliche Orientierungen in: H ANNES E TZLSTORFER , Gotisches - im barocken Kleid. Stil- und Kultbildadaptionen im 17. und 18. Jahrhundert, in: L OTHAR S CHULTES / B ERNHARD P ROKISCH (Hrsg.), Gotik. Schätze Oberösterreich, Ausst.-Kat., Linz u.a. 2002, 459-484. Tobias Kunz 342 weise genähert. 2 Seine wichtigen Beobachtungen zum formalen Verhältnis der mittelalterlichen Gestalt des Einzelwerks zum barocken Altar als Rahmen, die sich auf das Gebiet der Diözese Salzburg beziehen, sind bislang nicht weitergeführt worden. Der von Beck auch nur angerissene Zusammenhang zur historisierenden Architektur, zum Umgang mit älterer Bausubstanz im 17. Jahrhundert, lässt sich nach der inzwischen intensivierten Forschung auf diesem Gebiet vertiefen. Mittelalterliche Skulpturen und Gemälde waren Teil einer umfassenden renovatio oder reverentia gegenüber der Historizität einer bestehenden Kirche. 3 Dies wird gerade im monastischen Bereich deutlich, wo sich die unterschiedlichen Strategien der Vergangenheitsinszenierung besonders scharf abzeichnen. Bei der Beschäftigung mit dem reichen Material muss man sich aber vor Analogieschlüssen und einengenden Begriffen hüten. Die Motivation für die jeweilige Übernahme älterer Bildwerke und die Intention ihrer Inszenierung scheinen von Fall zu Fall unterschiedlich gewesen zu sein. Zudem handelt es sich selten um einen Vorgang, der sich auf eine einzige Umbauphase beschränkte, der Einbettung in einen aufwändigen Barockaltar gingen oft mehrere Etappen der Weiterverwendung voraus. Diesen komplexen Prozess möchte ich an drei Beispielen aufzeigen, die sich aufgrund ihrer spezifischen Situation als besonders aussagekräftig erweisen. 4 2 H ERBERT B ECK , Mittelalterliche Skulpturen in Barockaltären, veröffentlicht in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 108 (1968), 209-293. 3 M ICHAEL S CHMIDT , „Reverentia“ und „Magnificentia“. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14.-17. Jahrhundert, Regensburg 1999; U LRICH F ÜRST , Die lebendige und sichtbahre Histori. Programmatische Themen in der Sakralarchitektur des Barock (Fischer von Erlach, Hildebrandt, Santini), Regensburg 2002; mit Bemerkungen zum Umgang mit alter Ausstattung vgl. M EINRAD VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005. 4 Vorliegender Text ist Teil einer größeren Studie, in der ich mich umfassender mit den hier geschilderten Phänomenen auseinandersetzen werde. Vgl. auch T OBIAS K UNZ , Vom Alterswert des Kultbildes. Abb. 1: Mainz, ehem. Stiftskirche St. Peter (1748- 1756), Ansicht von Nordwesten. Inszenierte Vergangenheit 343 Abb. 2: Mainz, ehem. Stiftskirche St. Peter, Innenansicht nach Osten, links der Altar mit dem spätmittelalterlichen Kruzifix. 1. Das schwarze Kreuz in der Stiftskirche St. Peter in Mainz Der am 12. Juli 1747 von Erzbischof Johann Friedrich Carl von Ostein genehmigte Neubau der Mainzer Stiftskirche St. Peter war ein groß angelegtes und ambitioniertes Projekt (Abb. 1 und 2). Die Arbeiten nach Plänen Johann Valentin Thomans (1695-1777) begannen 1748, bereits 1752-1755 konnte der Kurmainzer Hofmaler Joseph Ignaz Appiani (1706-1785) den Innenraum mit Fresken versehen; am 2. Mai 1756 weihte der Erzbischof den Neubau, die Realisierung der beweglichen Ausstattung zog sich noch bis in die 1760er Jahre hin. 5 Vorlagen für die 1754-1756 ausgeführten Stucka- Protomuseale Ausstellung mittelalterlicher Bildwerke in Sakralräumen des 18. Jahrhunderts, in: W OLFGANG B RÜCKLE / P IERRE -A LAIN M ARIAUX / D ANIELA M ONDINI (Hrsg.), Ausstellen im Mittelalter, ausgestelltes Mittelalter. Blicke aufs Museum und Blicke zurück, Bern 2010 (im Druck). 5 Grundlegend zum Bau: J OHANNES S PENGLER , Der Kurmainzer Architekt Johann Valentin Anton Thoman 1695-1777, München / Berlin 1987, 99-117, hier 109-113. Die Kirche erlitt bei dem Fliegerangriff auf Mainz am 27. Februar 1945 schwerste Schäden, die bewegliche Ausstattung wurde zuvor gesichert, die Fresken jedoch weitgehend zerstört. Appians Decken- und Wandbilder waren 1943 mit Farbdias dokumentiert worden und wurden auf dieser Grundlage 1979-1988 rekonstruiert. Kri- Tobias Kunz 344 turen sowie wahrscheinlich auch die Altarentwürfe lieferte der führende Mainzer Hofschreiner Franz Anton Herrmann (1711-1770). 6 Die inneren Seitenaltäre an den Wandpfeilern zum Chor hin, um die es hier geht, waren laut Inschrift 1756 vollendet: Der südliche zeigt im Zentrum die Figur einer Immaculata, der nördliche ein spätgotisches Kruzifix. Stifter der Altäre sowie eines Großteils der Ausstattung war der Stiftskantor Niclas Jäger (gest. 1771), dessen Wappen mit Inschrift am Hochaltar angebracht ist und der als Initiator des Kreuzaltars genannt wird. 7 Der Corpus Christi aus Eifelsandstein und das zugehörige Kreuz des späten Mittelalters sind mit schwarzem Stuck überzogen und in ein barockes Kreuzaltarprogramm integriert (Abb. 3). Der Aufbau des insgesamt 9,40 m hohen und 3,85 m breiten Altars aus rotbuntem und schwarzem Lahnmarmor ist - wie der des gegenüber liegenden Marienaltars - in drei Zonen gegliedert: Der Sockelzone mit Mensa und quer gestellten Postamenten folgt eine hohe, von Doppelpfeilern gerahmte Bildnische, in der sich das Kruzifix über dem Sakramentstabernakel und zwischen den vergoldeten, Peter Heinrich Hencke (gest. 1777) zugeschriebenen 8 Holzfiguren der Maria und des Johannes erhebt. In der oberen Zone befinden sich über dem Gebälk zwei Engel mit den Arma Christi (Speer, Ysopstengel, Essigschwamm) sowie das Auge Gottes, am Kreuzesfuß ein Pelikan. Im unteren Bereich der Rückwand, beiderseits der Expositionsnische, ist eine geteilte Inschrift zu lesen: ARA I ES V C HR I STO C R VCI F IX O / POS I TA / À N IC O L AO I ÄGER / I NS I GN I S E CCL ES I AE / C O LL EG I ATAE , sowie die Fortsetzung SAN C T I PETR I / APOSTO LI / C ANON IC O C AP I T VL AR I IV B IL AR I O / A VL AE SA C E LL ANO 9 ; das Chronogramm ist mit 1756 aufzulösen. Auf der vergoldeten Kartusche am unteren Kreuzstamm verweist die Inschrift ALTARE / PRIVILIGIATUM / SINGULIS / DIEBUS auf ein Ablassprivileg zu bestimmten Tagen, also auf die Funktion als Gnadenbild. 10 tisch zu der nur bedingt „fotografisch genauen Rekonstruktion“ der Details: G EORG P ETER K ARN , Die Rekonstruktion der Fresken von St. Peter in Mainz, in: C HRISTIAN F UHRMEISTER / S TEPHAN K LINGEN / R ALF P ETERS / I RIS L AUTERBACH (Hrsg.), „Führerauftrag Monumentmalerei“. Eine Fotokampagne 1943-1945, Köln / Weimar / Wien 2006, 199-209. 6 P ETER A LFRED W OLF , Das Werk des Mainzer Hofschreiners Franz Anton Herrmann (1711-1770), in: Mainzer Zeitschrift 65 (1970), 1-65, hier 22-24. 7 Für die beiden inneren Seitenaltäre stellte Jäger jeweils 6000, für die äußeren 3000 Gulden zur Verfügung; G EORG P ETER K ARN , Eine Schatzkammer der Frömmigkeit. Zur Bau- und Ausstattungsgeschichte der Stiftskirche St. Peter, in: P ETER B ERGER (Hrsg.), Die Herrlichkeit dieses Hauses. 250 Jahre St. Peter in Mainz 1756-2006, Mainz 2006, 64-108, hier 87. 8 Ebd., 85f. 9 „Der Altar wurde zu Ehren Jesu Christi des Gekreuzigten gesetzt von Nikolaus Jäger, der ausgezeichneten Stiftskirche des heiligen Apostels Petrus Stiftsherr, Jubilar und Hofkaplan.“ 10 F RITZ A RENS , Mainzer Inschriften von 1651 bis 1800, Bd. 2: Kirchen- und Profaninschriften (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 27), Mainz 1985, 205; Übersetzung nach K ARN , Schatzkammer (wie Anm. 8), 88. Inszenierte Vergangenheit 345 Abb. 3: Mainz, ehem. Stiftskirche St. Peter, Kreuzaltar, 1756. Die Inszenierungsweise ist in mehrerer Hinsicht hochinteressant, aufgrund der künstlerisch-ästhetischen Qualitäten, aber auch durch die Spiegelung des komplexen historischen Kontextes: Schon Wilhelm Klepper hat 1874 ver- Tobias Kunz 346 mutet, dass das dem Umkreis Hans Backofens zugeschriebene Kreuz aus der alten, 1658 abgetragenen Peterskirche extra muros übernommen wurde. 11 Diese lag nicht am Ort des gegenwärtigen Baus, sondern nördlich der Stadt, in Höhe der heutigen Kaiserstraße. 12 Sie war am 24. August 948 geweiht und von Erzbischof Friedrich von Lothringen (reg. 937-954) zur Stiftskirche erhoben worden. Ihre wohl auf spätere Veränderungen zurückgehende Gestalt ist nur in groben Zügen bekannt, allerdings weiß man durch Grabungen, dass es sich bereits hier um eine Doppelturmanlage gehandelt hat. 13 Unklar ist aber, wo sich das steinerne Kruzifix dort befunden haben könnte. Dass es Teil eines Retabels am Hochaltar gewesen ist, wie angenommen wurde, kann wohl ausgeschlossen werden. 14 Das Material spricht für eine Aufstellung im Freien; steinerne Kreuzigungsgruppen am Außenbau einer Kirche oder auf dem umgebenden Friedhofsareal waren in Mainz und am Mittelrhein fester Bestandteil eines Sakralbaus. 15 Stammt das Steinkreuz tatsächlich aus dem 1658 im Rahmen der Befestigungspläne des Erzbischofs Johann Philipp von Schönborn (reg. 1647- 1673) abgerissenen Petersstift, so muss es bis zu seiner Aufstellung im Neubau von 1748-1756, also annähernd 100 Jahre, an einem anderen Ort aufbewahrt worden sein. Dies wäre die erste Phase der Wiederverwendung in einem neuen Kontext, der wahrscheinlich bereits an der Stelle der heutigen Peterskirche zu lokalisieren ist. Dort befand sich zuvor die Pfarrkirche St. Maria, das seit dem 14. Jahrhundert so genannte Odenmünster, die das Petersstift 1313 vom Deutschen Orden erworben hatte 16 und wohin die Stiftsherren nach Abbruch ihrer Kirche übersiedelten. 17 Diese spezielle Situation ist an prominenter Stelle im Freskenprogramm Appianis thematisiert: Über dem südlichen, ehemals zum Kreuzgang führenden Portal ist das Odenmünster dargestellt (Abb. 4). Eine weibliche Per- 11 W ILHELM K LEPPER , Die St. Peters-Kirche in Mainz, Mainz 1874, 28. 12 Dorthin war sie von einem wiederum anderen Ort verlegt worden; die erste Peterskirche stammt vermutlich aus spätrömischer Zeit, ein Kollegiatstift hat dort zunächst noch nicht existiert; A DAM B ERNHARD G OTTRON , Wo stand die älteste Peterskirche in Mainz? , in: Mainzer Zeitschrift 44/ 45 (1949/ 50), 67-69; F RITZ A RENS , Die Inschriften der Stadt Mainz von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650, Stuttgart 1958, 57f. 13 Ebd., 58. 14 So vermuten K LEPPER , St. Peters-Kirche (wie Anm. 11), 28 und W OLF G OELTZER , Der „Fall Hans Backoffen“. Studien zur Bildnerei in Mainz und am Mittelrhein am Ausgang des Spätmittelalters (Diss. Mainz 1989), in: Mainzer Zeitschrift 84/ 85 (1989/ 90), 1-78 (Teil 1) und 86 (1991), 1-64 (Teil 2), hier Teil 2, 35, Anm. 282. 15 W INFRIED W ILHELMY , Die Kreuzigungsgruppen des Hans Backoffen. Zur Stiftungspolitik des Mainzer Domkapitels im unteren Erzstift am Vorabend der Reformation, in: N ORBERT B OOS (Red.), Pfarrkirche St. Peter und Paul Eltville 1353-2003, Eltville 2002, 230-241. 16 W ILHELM J UNG , St. Peter in Mainz, ehemals Stifts-, heute Pfarrkirche, Mainz 1989, 2. 17 Das Odenmünster war zum Zeitpunkt seiner Niederlegung 1747 selbst Ruine, wie Dekan und Kapitel dem Erzbischof Johann Friedrich Carl von Ostein am 2.12.1746 mitteilten (Staatsarchiv Würzburg, MRA, Stifte und Klöster K 667/ 280, fol. 1-2); vgl. auch S PENGLER , Thoman (wie Anm. 6), 99. Inszenierte Vergangenheit 347 Abb. 4: Mainz, ehem. Stiftskirche St. Peter, Fresko über dem Südportal mit der Darstellung des alten Odenmünsters, Joseph Ignaz Appiani, 1752-1755, rekonstruiert von Hermenegild Peiker, 1979-1988. son, wohl die hl. Elisabeth, hält eine Vedute der eintürmigen Kirche und darüber an einem Band das Deutschordenskreuz. Mit der Linken weist sie abwärts, um den Standort dieses Baus an dem gegenwärtigen zu verdeutlichen. Dass es sich bei der gemalten Kreuzigungsgruppe um eine Darstellung des schwarzen Kreuzes handelt, ist in den Quellen leider nicht überliefert, doch durchaus denkbar - was bedeuten würde, dass es ursprünglich aus dem Odenmünster stammt. Vis-à-vis, über dem Nordportal, wird Alt-St. Peter gezeigt, gehalten vom Stifter Erzbischof Friedrich von Lothringen (Abb. 5). Doppelturmfassade und Konventsgebäude markieren den klaren Unterschied zur schlichteren Architektur des Odenmünsters; durch die unmittelbare Nähe zum flammenden Herz, Symbol der Gottesliebe, werden die Rundtürme besonders betont. Dieses Motiv, im Neubau von Thoman auf städtebaulich wirksame Weise wieder aufgenommen, war offenbar identitätsstiftend und trotz der annähernd 100 Jahre zurückliegenden Zerstörung von Alt-St. Peter nicht vergessen worden. Tobias Kunz 348 Abb. 5: Mainz, ehem. Stiftskirche St. Peter, Fresko über dem Nordportal mit der Darstellung des mittelalterlichen Petersstifts, Joseph Ignaz Appiani, 1752-1755, rekonstruiert von Hermenegild Peiker, 1979-1988. Im Kreuzaltar von 1756 ist das spätmittelalterliche Bild in aufschlussreicher Weise mit einer modernen Altarkonzeption verknüpft: Nahezu über die gesamte Breite des Mittelbildes ist das Hauptgebälk aufgebrochen, durch die extreme Überhöhung des Corpus bis in den Auszug wird die architektonische Gliederung negiert, durch die sehr steile Gesamtgestalt die vertikale Wirkung des Altars gesteigert. Die zeitgenössische Rezeption und das Aufsehen, das diese Lösung erregt haben mag, zeigen sich in der zweimaligen Wiederholung in unmittelbarer Nähe: in der Mainzer Pfarrkirche St. Ignaz (1774/ 75) und in St. Peter und Paul in Hochheim am Main (1775). 18 Auch hier wird die Überhöhung einer - freilich spätbarocken - Christusfigur durch die niedrigere Platzierung der Maria am südlichen Seitenaltar betont. Die achsiale Bezugnahme von Hauptbild und Auszug gehört zwar zu den geläufigen Kompositionsprinzipien eines barocken Altaraufbaus, zumal nach 18 F RITZ A RENS , Die St. Ignazkirche, ihre Ausstattung und die letzten Wiederherstellungen, in: F RITZ A RENS (Hrsg.), Die Baugeschichte der St. Ignazkirche in Mainz (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 22, Teil I), Mainz 1974, 15-28, hier 23; C HRISTOPH W URBS , St. Peter und Paul Hochheim am Main, Hochheim am Main 2006, 8. Inszenierte Vergangenheit 349 1700, doch wurde sie nur selten bis zum Aufbrechen des Gebälks oder gar bis zum Übergreifen einer einzigen Figur in beide Bereiche getrieben. Im Œuvre Franz Anton Herrmanns wird dieses Motiv nicht wiederholt, der 1761 datierte Hochaltar der Pfarrkirche in Gernsheim, seit 1780 in Ockenheim (Rheinhessen), zeigt in klassischer Weise eine Kreuzigungsgruppe vor der Mittelnische. 19 Es dürfte also klar sein, dass der Mainzer Lösung eine auf die spezielle Bildaussage hin ausgerichtete Intention zu Grunde lag. Beim berühmten Hochaltar der Wallfahrtskirche Mariazell (Steiermark) von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723) handelt es sich um einen möglichen Vorläufer. Bereits in der Entwurfszeichnung von 1692 (Abb. 6) 20 finden sich zwei wesentliche Motive, die auch in der sonst abweichenden Ausführung beibehalten wurden: die spezielle Präsentation des Kruzifixes und die Tendenz, den Auszug durch Wolken nahezu unsichtbar zu machen, wodurch der Bogen zwischen den Gebälkansätzen den Platz des Auszugs einnimmt. Neben einer „formalen Analogie zwischen Altar und Triumphbogen“ 21 ist hier eine Bildstrategie zu beobachten, die auf die Charakterisierung einer überirdischen Erscheinung abzielt. Dies geschieht erstens durch die Aufhebung oder zumindest Verschleierung des bekannten altararchitektonischen Aufbaus, wozu im Entwurf auch die Verunklärung der Rahmensituation durch unregelmäßige Kolonnaden und Wechsel von Säulen und Pfeilern 19 W OLF , Herrmann (wie Anm. 6), 32. 20 Graz, Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum, Alte Galerie, Inv. Nr. HZ 332; I NGEBORG S CHEMPER -S PARHOLZ , Der Hochaltar des J. B. Fischer von Erlach in Mariazell und seine Vollendung unter Kaiser Karl VI., in: Der Mariazeller Hochaltar, hrsg. von der Basilika Mariazell, St. Pölten u.a. 2001, 54-78. 21 F RIEDRICH P OLLEROSS , Kunstgeschichte oder Architekturgeschichte. Ergänzende Bemerkungen zur Forschungslage der Wiener Barockarchitektur, in: F RIEDRICH P OLLEROSS (Hrsg.), Fischer von Erlach und die Wiener Barocktradition, Wien u.a. 1995, 59-128, hier 95. Abb. 6: Entwurf für den Hochaltar der Wallfahrtskirche Mariazell, Johann Bernhard Fischer von Erlach, 1692; Graz, Joanneum, Alte Galerie. Tobias Kunz 350 gehört. Dadurch erhält das Gefüge nach Hans Sedlmayr „etwas geheimnisvoll Undurchsichtiges“ 22 . Der überirdische Charakter der Erscheinung wird zweitens dadurch sinnfällig, dass das Kreuz keinen Sockel besitzt, sondern von Gottvater gehalten in der Luft schwebt. Dazu kommt drittens der gezielte Einsatz von unterschiedlichen und verschiedenfarbigen Materialien, die die irdische und himmlische Sphäre klar abgrenzen. Friedrich Polleroß hat wahrscheinlich gemacht, dass Fischer bei der Konzeption auch aus dem jesuitischen Umfeld beraten wurde, in dem die symbolische Deutung kostbaren Materials besonders weit getrieben wurde. 23 In einem 1709 von dem Jesuiten Jacob Pettinati (Lebensdaten unbekannt) verfassten Lobgedicht auf den Altar wird explizit die Differenzierung der Materialien hervorgehoben. 24 Zwei dieser konstatierten Bildstrategien sind auch am Mainzer Kreuzaltar des aus Wien stammenden Herrmann zu beobachten: der gezielte Einsatz unterschiedlicher Farben und Materialen sowie die Überschreitung der architektonischen Grenzen. Das Erscheinungshafte des Mainzer Kreuzes wird durch die szenische Vereinzelung des Gekreuzigten verstärkt; Maria und Johannes stehen sehr weit unter dem Kreuz und können Christus eigentlich gar nicht sehen. Der Schwärzung und mittelalterlichen Gestalt des Gekreuzigten kommt vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung zu. Durch die im deutlichen Kontrast zu den weit ausladenden Gestalten des 18. Jahrhunderts stehende Kontur, das die Binnenzeichnung weitgehend negierende Kolorit und die stumpfe Oberfläche gehört der Corpus einer anderen Wirklichkeitsebene an. Die Barockisierung des Mainzer Kreuzes entspricht der von Herbert Beck aufgezeigten, im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmenden Tendenz zur „Verbildlichung“, das heißt zur Negierung des dreidimensionalen Charakters des in einen barocken Altarkontext integrierten mittelalterlichen Bildwerks zugunsten einer an zeitgenössische Altarblätter erinnernden Wirkung. 25 Darüber hinaus hat aber auch die Farbe oder besser: die „Nicht-Farbe“ Schwarz eine besondere Bedeutung. Wir berühren hier die schwierige Frage der ästhetischen Wertung schwarzen Kolorits oder Inkarnats eines verehrten Bildwerks. Es muss nicht ausgeführt werden, dass es sich um die rangniedrigste Farbgebung handelt, dass eine undifferenzierte schwarze Oberfläche jede in der barocken Altarbildkonzeption grundsätzlich geforderte Identifikation mit dem Dargestellten unmöglich macht. Im Fall der Schwarzen Madonnen fehlt es im 17. und 18. Jahrhundert nicht an exegetischen Argumentationen: So wird etwa die 22 H ANS S EDLMAYR , Johann Bernhard Fischer von Erlach (Neuausgabe mit einem Vorwort von Hermann Bauer), Stuttgart 1997, 109. 23 P OLLEROSS , Kunstgeschichte (wie Anm. 21), 95. 24 Sacer Marianae Styriae Zodiacus, zit. in: S CHEMPER -S PARHOLZ , Hochaltar (wie Anm. 20), 71. 25 B ECK , Mittelalterliche Skulpturen (wie Anm. 2), 244-246. Inszenierte Vergangenheit 351 schwarze Braut des Hohenliedes zitiert, das dunkle Inkarnat Marias als Folge übergroßen Liebesglühens zu ihrem Sohn oder des Verbrennens durch die Sonne als Symbol Christi gesehen. 26 Wichtig ist die Deutung der Schwarzfärbung als Folge des Leids, als Visualisierung seelischen Schmerzes der Muttergottes, als „Spiegel von heftigen Emotionen“ 27 , da sie sich auf Darstellungen des Gekreuzigten übertragen lässt. Die Schwärze Christi kann zugleich als Folge der Passion und Liebe für die Menschheit gedeutet werden; als Signum der Versehrtheit, etwa infolge eines Brandes, verleiht sie dem alten Werk aber auch identifikatorische Bedeutung. 28 Zudem dient sie der ästhetischen Entrückung und erfüllt somit eine der wesentlichen Prämissen des Kultbildes. 29 Die ungewohnten Formen des mittelalterlichen Werks, die schwarze Farbe und die Sprengung des architektonischen Rahmens erzeugen in der Summe den starken Eindruck einer Erscheinung aus einer anderen Wirklichkeitsdimension als der der Barockkirche. Damit ist eine der wesentlichen Wirkungsabsichten mittelalterlicher Bildwerke im Kontext barocker Altäre angesprochen. Was aber ist für die Frage nach dem monastischen Traditionsbezug aus diesem Fall zu gewinnen? Bei der Verlegung des Klosters 1658 wurden vor allem die Grab- und Altarsteine mitgenommen, da sie als unverzichtbarer Bestandteil der eigenen Geschichte angesehen wurden. Heinrich Engels, Kanoniker an St. Peter (Lebensdaten unbekannt), setzte sich für die Transferierung ein und hatte bereits zuvor die Inschriften abgeschrieben. 30 Wie untypisch dieser pietätvolle Umgang für die Jahre während und unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg war, verdeutlicht etwa die Aufforderung des Freisinger Fürstbischofs Veit Adam von Gepeckh (reg. 1618-1651), „nutzlose“ Grabsteine seines Doms als Baumaterial für die monumentale Treppenanlage im Ostchor zu verwenden. 31 Im Neubau des 18. Jahrhunderts hatten die Grabsteine und Epitaphien des Odenmünsters zeitgemäß keinen Platz mehr und wurden an den Außenbau versetzt. 32 Im Innern war lediglich das Kruzifix als älteres Werk präsent. 26 G REGOR M ARTIN L ECHNER , „Schön schwarz bin ich“. Zur Ikonographie der Schwarzen Madonnen der Barockzeit, in: Heimat an Rott und Inn 1971, 41-61; K LAUS S CHREINER , Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, München 1996, 214-248. 27 G EORG H ENKEL , Rhetorik und Inszenierung des Heiligen. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung zu barocken Gnadenbildern in Predigt und Festkultur des 18. Jahrhunderts (Diss. phil. Münster 2003), Weimar 2004, 195. 28 K RETZENBACHER , Kultbild (wie Anm. 1), 106-117. 29 S CHREINER , Maria (wie Anm. 26), 213; H ENKEL , Rhetorik (wie Anm. 27), 194f.; S IGNORI , Gnadenbild (wie Anm. 1). 30 A RENS , Inschriften bis 1650 (wie Anm. 12), 21. 31 Aufforderung an das Domkapitel vom 30.3.1621, Archiv des Erzbistums München und Freising 8 0 641, Propositiones factae, pag. 81f.; L EO W EBER , Die Erneuerung des Doms zu Freising 1621-1630, München 1985, 163f. 32 A RENS , Inschriften bis 1650 (wie Anm. 12), 58. Tobias Kunz 352 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die schwarze Färbung, die ja die mittelalterlichen Kreuzbalken inkludiert, also die gesamte alte Substanz umfasst, auch als Zeichen des Alters zu verstehen. Es sei daran erinnert, dass der Bau von 1748-1756 mit seiner Doppelturmfassade und dem die Vertikale stark betonenden Aufriss auf Alt-St. Peter, zumindest aber auf eine mittelalterliche Klosterkirche rekurriert. 33 Das Steinkreuz hatte demnach, so scheint es, vielfältige Funktionen zu erfüllen: Im Rahmen des Gesamtprogramms gehört es zur Ausstattung des Kreuzaltars und war zudem ein mittelalterliches Gnadenbild, dessen Wirkung durch die Fremdheit von Form und Farbe verstärkt wurde. Es konnte aber auch innerhalb eines Beziehungsgeflechts verschiedener historisierender Anspielungen am Bau und in der Ausstattung von Neu-St. Peter als Zeuge der alten Stiftsgeschichte gelten. 2. Das Wilhelmitenkloster Oberried im Schwarzwald Am Fall des ehemaligen Wilhelmitenklosters Oberried lässt sich die Vielschichtigkeit des Prozesses der Wiederverwendung mittelalterlicher Kunst in Barockklöstern mustergültig vorführen. Zwei Phänomene treten hier besonders markant hervor. Erstens: Nach der Verlegung des Klosters wird etliches Inventar mitgenommen, sicherlich nicht nur, um die Kosten für die Neuausstattung einzusparen, 34 sondern auch zur Sicherung einer gewissen visuellen Kontinuität im Kirchenraum. Zweitens: Nach der Auflösung des Konvents übernimmt ein anderer Orden oder ein Kloster, in diesem Fall St. Blasien, Gebäude und Ausstattung. Diese werden nun nicht radikal verändert, sondern im Gegenteil als Zeugen der älteren Geschichte bewahrt und inszeniert, parallel zur intensiven Erforschung der - aus Sicht der neuen Herren - fremden Klostergeschichte. Das Wilhelmitenkloster war 1252 am Fuße des Feldbergs gegründet, doch schon 1262 nach Freiburg verlegt worden, wo es als Stadtkloster bestehen blieb. Wenige Jahre darauf (1266) erfolgte eine Wiederbesiedlung des abgelegenen Waldklosters, das parallel zum Freiburger Konvent bis 1507 existierte. 35 Das seitdem wieder vereinigte Haus wurde 1644, wie alle Vorstadtklöster Freiburgs, in Erwartung der kaiserlichen Truppen gesprengt, unverzüglich aber wieder errichtet und 1656 neu geweiht. 36 Allerdings geriet 33 V ON E NGELBERG , Renovatio (wie Anm. 3), 324. 34 Diesen wichtigen Aspekt betont E TZLSTORFER , Gotisches (wie Anm. 1), 459f. 35 F ERDINAND G IESSLER , Die Geschichte des Wilhelmitenklosters in Oberried bei Freiburg im Breisgau, Freiburg 1911, 25-40; F RANZ Q UARTHAL , Oberried, in: F RANZ Q UARTHAL (Bearb.), Germania Benedictina 5: Baden-Württemberg, St. Ottilien 1975, 448-454; K ARL S USO F RANK , Oberried. Pfarrkirche Mariä Krönung, Regensburg 1999. 36 G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 72-74. Inszenierte Vergangenheit 353 es bald in eine politisch prekäre Position, als Freiburg 1677-1697 unter französischer Herrschaft stand: Der damalige Prior Benedikt Hefelin (reg. 1677-1704) war ein Parteigänger Österreichs, in dessen Hoheitsgebiet außerhalb der Stadt Besitz und Herrschaft des Klosters lagen. Er löste die Verbindung mit Freiburg und unterstellte sich dem Schutz Kaiser Leopolds I. (reg. 1658-1705), der die Wilhelmiten 1681 von der städtischen Vogtei befreite. 37 Die Verlegung des Klosters aus dem französischen Freiburg in das habsburgische Umland war unumgänglich, und so kam es 1682 zur Neugründung in Oberried, tiefer im Dreisamtal und damit weniger abgelegen als die mittelalterliche Anlage. Mit den Arbeiten an den Konventsgebäuden wurde 1684 begonnen. 1688 fand der erste Gottesdienst in der freilich erst 1699 vom Konstanzer Bischof geweihten Kirche statt. Neben verhältnismäßig wenigen neuen Ausstattungsstücken wurden Inventar und Bauteile des nur einige Jahrzehnte zuvor neu errichteten Freiburger Hauses verwendet. 38 Oberried, damals mit den Töchtern Sion (Wallis / Schweiz) und Mengen (Deutschland / Baden-Württemberg) die letzte in Südwestdeutschland bestehende Niederlassung des inzwischen weitgehend bedeutungslosen Wilhelmitenordens, konnte sich nur noch kurz halten. Nach der Auflösung 1724 wurde der Konvent in die Gemeinschaft des mächtigen Benediktinerklosters St. Blasien im Südschwarzwald aufgenommen. 39 Es begann eine letzte, intensive Neuausstattung des Klosters, die große Rücksicht auf den alten Bestand nahm. Die Bedeutung, die das Priorat Oberried für St. Blasien in der Folgezeit hatte und die sich auch in der künstlerischen Ausschmückung niederschlug, war besonders auf den Umstand zurückzuführen, dass die drei von 1727 bis 1764 regierenden Fürstäbte von St. Blasien zunächst Priore in Oberried waren: Franziskus Schächtelin (1725-1727 Prior in Oberried, 1727-1747 Abt von St. Blasien), Cölestin Vogler (Prior 1742- 1747, Abt 1747-1749) und Meinrad Troger (Prior 1747-1749, Abt 1749- 1764). 40 Es müssen also zwei historisch und intentional völlig unterschiedliche Ausstattungsphasen differenziert werden. Die erste steht im Zusammenhang mit dem Neubau des Klosters, einer schlichten, vierflügligen Anlage, die nach Plänen des Tiroler Franziskaners Vitus Rastpichler (1617-1699) zügig ausgeführt wurde. 41 Auch im Konventbereich wurde Inventar aus Freiburg 37 Ebd., 75-81. Zur politischen Situation vgl. R UDOLF R EINHARDT , Die Beziehungen von Hochstift und Diözese Konstanz zu Habsburg-Österreich in der Neuzeit, Wiesbaden 1966, 114f., 248f. 38 G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 81-96. 39 Ebd., 97-101; K ASPAR E LM , Beiträge zur Geschichte des Wilhelmitenordens, Köln / Graz 1962. 40 Q UARTHAL , Germania Benedictina (wie Anm. 35), 452; F RANK , Oberried (wie Anm. 35), 8f. 41 G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 84. Tobias Kunz 354 aufgestellt, wie eine heute im Kreuzgang platzierte Brunnenschale. 42 Besonders interessant ist die Verwendung alten Materials am Kirchenbau: Das Portal aus rotem Sandstein (Abb. 7) trägt im Giebel das Wappen Hefelins und die eingemeißelte Inschrift CELLA MARIE mit der Jahreszahl 1687. Mehrere Umstände sprechen jedoch dafür, dass es sich um das Portal der nach 1644 neu errichteten Freiburger Kirche handelt: neben stilistischen Gründen - Spitzbogen, gestuftes Gewände, Renaissanceornamentik und die Engelsköpfe in den Zwickeln - auch die Tatsache, dass die Bezeichnung Cella Mariae für das Stadt- und nicht das Waldkloster (Corona beate Marie) überliefert ist. 43 Betrachtet man die Steine genauer, fallen Brüche und Unregelmäßigkeiten auf. Der Giebel scheint für den Transport in kleinere Stücke gebrochen worden zu sein, die Jahreszahl 1687 nachträglich und ungelenk eingehauen, die Bearbeitungsspuren der einzelnen Stücke unterscheiden sich. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die äußeren Ecken des Giebels wie das Wappen 1687 neu gearbeitet wurden, das Portal mit der Inschrift CELLA MARIE aber von dem Jahrzehnte zuvor errichteten Freiburger Kloster stammt. Im Kircheninnern (Abb. 8) kamen die wichtigsten Ausstattungsstücke wiederum aus dem Stadtkloster. Während die Seitenaltäre, deren Altarblätter den Erzengel Michael sowie die Kommunion des Wilhelm von Maleval, des Ordensgründers, durch den hl. Bernhard darstellen, 44 neu errichtet wurden, translozierte man das Hochaltarbild aus Freiburg. Das 1613 datierte und von 42 Das nirgends, auch nicht in F RANZ X AVER K RAUS (Bearb.), Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden, Bd. VI.1, Leipzig 1904, 316-319, erwähnte Stück ist sicher älter als 1685; es zeigt denselben stilisierten Engelskopftyp wie das gleichfalls ältere Kirchenportal. 43 Darauf wies auch F RANK , Oberried (wie Anm. 35), 10f., hin. Die heutige Bezeichnung als Marienkron ist mehrfach, etwa bei der Auflösung 1507, für das Waldkloster überliefert; K RAUS , Kunstdenkmäler (wie Anm. 42), 317. 44 Sie wurden 1724 entfernt und befinden sich heute an den seitlichen Chorwänden, siehe unten. Abb. 7: Oberried (Schwarzwald), ehem. Wilhelmitenkloster, Westportal der bis 1656 neu errichteten Freiburger Klosterkirche, 1687 nach Oberried überführt. Inszenierte Vergangenheit 355 Abb. 8: Oberried (Schwarzwald), ehem. Wilhelmitenkloster (um 1686-1688), Einblick. Joachim Reiber (Lebensdaten unbekannt) signierte Gemälde (Abb. 9) 45 zeigt eine Marienkrönung, die sich zugleich als Erscheinung einer links unten im Bild dargestellten Gruppe deuten lässt. Es könnte eine Sequenz aus der Vita Wilhelms sein, dem Maria kurz vor seinem Tod erschien; ob es sich bei dem Knienden im weißen Gewand tatsächlich um den Ordensgründer handelt, muss aber bezweifelt werden. 46 Die wilhelmitische Ausrichtung des Bildes illustriert jedenfalls das Mönchspaar rechts unten als zweite Zeugengruppe der Parusie. 47 Es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass ein spätmittelalterliches Retabel aus dem Umkreis des Meisters HL aus der Stadt nach Oberried mitgenommen wurde. Das Triptychon im Freiburger Augustinermuseum zeigt in der Mitte die Reliefs des Laurentius und Jakobus d. Ä., auf den Flügelin- 45 F RANK , Oberried (wie Anm. 35), 20. 46 Diese Vermutung ebd., 20. Die Marienerscheinung erfolgte, nachdem Wilhelm von Dämonen heimgesucht worden war; auf einem um 1600 entstandenen Kupferstich Adriaen Collaerts mit Vitenszenen tritt Maria jedoch zu dem liegenden Eremiten, um ihn eigenhändig zu heilen - eine ganz andere Szene also als auf dem Altarblatt; L IESELOTTE S CHÜTZ / K ARL G EORG K ASTER , Wilhelm von Maleval, in: W OLFGANG B RAUNFELS (Hrsg.), Lexikon der Christlichen Ikonographie, Bd. 8, Freiburg i.Br. 1976, 607-612, Abb. 3. 47 Auch dieses Bild wurde versetzt, als man nach 1724 einen neuen Hochaltar errichtete, siehe unten. Tobias Kunz 356 nenseiten Wilhelm und Bernhard. 48 Die Mitteltafel befand sich zuletzt in der 1718 neu errichteten Laurentiuskapelle zu Hofsgrund, die zum Klosterbesitz gehörte, die Flügel in der St. Wilhelmskapelle oberhalb von Oberried. Es ist anzunehmen, dass das Retabel von den Benediktinern nach 1724 aus der Klosterkirche entfernt, möglicherweise auch getrennt und zur Ausstattung kleinerer Kapellen verwendet wurde. 49 Die explizit wilhelmitische Ikonographie und die veraltete, nur schwer in einen barocken Rahmen zu integrierende Gestalt machen diesen Schritt vor dem Hintergrund der einheitlichen Neuausstattung verständlich. Es ist aber bezeichnend, dass das nun „zweitrangig“ gewordene religiöse Objekt nicht gänzlich entfernt, sondern in einem „Reservat“ weiterverwendet wurde, mit den Worten Hans Dünningers: „In einem Widerstreit zwischen Religiösität und Zeitgeschmack findet die Pietät den Kompromiß.“ 50 Das wichtigste Stück aus dem Freiburger Kloster ist das Wundertätige Kreuz an der Nordwand des Langhauses der Oberrieder Kirche (Abb. 10). 51 Es befand sich mit einiger Sicherheit am spätestens 1481 errichteten Kreuzaltar der mittelalterlichen Kirche. 52 Das höchst eindrucksvolle und qualitätvolle Werk der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird mehrfach und früh in den Quellen erwähnt. Auf einem 1629 datierten Zettel, der sich wahrscheinlich im Corpus 48 Inv. Nr. S 88/ 10 (Mitteltafel), 11546 und 11547 (Flügel); die Flügel wurden 1899 erworben, das Mittelstück ist seit 1969 als Leihgabe der katholischen Kirchengemeinde Hofsgrund im Museum; D ETLEF Z INKE (Hrsg.), Bildwerke des Mittelalters und der Renaissance 1100-1530, Auswahlkatalog des Augustinermuseums Freiburg, München 1995, 143-146, Nr. 82-84. 49 Alle drei Tafeln waren ursprünglich monochrom gefasst und wurden mehrfach übermalt, ein Indiz für die Weiterverwendung im barocken Kontext; ebd., 143, 145. 50 H ANS D ÜNNINGER , Deponia pia, in: Jahrbuch für Volkskunde 1 (1978), 238-240, hier 239. 51 Die wichtigen Quellen zum Kreuz in: G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 107-114; vgl. außerdem E NGELBERT K REBS , „Der schwarze Christus“ von Oberried, in: Schau-ins-Land 38 (1911), 74-76; F RANZ K ERN , Das Dreisamtal mit seinen Kapellen und Wallfahrten, Freiburg i.Br. 1986, 73-75, 83f. 52 G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 110. Abb. 9: Oberried (Schwarzwald), ehem. Wilhelmitenkloster, Hochaltarbild des Freiburger Konvents, Öl auf Leinwand, Joachim Reber, 1613, seit 1687 am Hochaltar in Oberried, nach 1724 auf den Mönchschor versetzt. Inszenierte Vergangenheit 357 befunden hat, ist die Rede von einer umfassenden Renovierung desselben sowie einer Erneuerung der Kreuzbalken 1628; erwähnt wird zudem die Schenkung des Echthaars aus dem Frauenkloster Günterstal bei Freiburg; am 20. Mai 1628 sei das Kreuz aufgerichtet worden. 53 Verfasser der Mitteilung ist Johann Sodt (Lebensdaten unbekannt), Mitglied der bereits seit dem 15. Jahrhundert an dem Wilhelmitenkloster bestehenden Kreuzbruderschaft. Eine weitere Maßnahme ist am Werk selbst dokumentiert: Auf dem Goldblech, das die Seitenwunde umrahmt, sind die Jahreszahl 1654 und die Namen L. Frey A. M. Fiotin eingraviert, möglicherweise handelt es sich um eine Votiv- oder um eine Stiftung anderer Art. Im Zuge der erwähnten Neuweihe des Wilhelmitenklosters am 24. September 1656 durch den Weihbischof Sigismund Georg von Konstanz (reg. 1654- 1686) wird auch ein Altar „zu Ehren des heilbringenden Kreuzes“ genannt. 54 Nach der Überführung des Kreuzes nach Oberried im späten 17. Jahrhundert scheint es keine größere Renovierung gegeben zu haben. Ich möchte sogar annehmen, dass das in vielerlei Hinsicht für den Konvent immens wichtige Werk in seiner Gestalt von 1628 bzw. 1654 unverändert und ohne besonderen Rahmen an den heutigen Ort seiner Anbringung, also in eine eigens ausgesparte Wandnische gebracht wurde. Wie ist diese Maßnahme zu bewerten? Es fällt auf, dass bereits 1628 lediglich das mittelalterliche Erscheinungsbild konserviert werden sollte. Auch an den anderen Stücken aus der Freiburger Kirche, dem Hochaltarbild von 1613 und dem Retabel im Augustinermuseum, sind offenbar keine umfangreichen Veränderungen vorgenommen worden. Man kann nicht davon sprechen, dass die Wilhelmiten in ihrem neuen Kloster ihre eigene Freiburger Vergangenheit ästhetisch inszenierten, sie war, so scheint es, noch allgegen- 53 Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 11 St. Blasien, Specialia, Abt. 200 Akten Freiburg Stadt: Oberried, Kopialbuch Nr. 752T, teilweise abgedruckt ebd., 111. 54 Ebd., 112f. Abb. 10: Oberried (Schwarzwald), ehem. Wilhelmitenkloster, Wundertätiges Kreuz aus dem Freiburger Kloster, zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, 1628 restauriert, seit 1687 in Oberried. Tobias Kunz 358 wärtig durch die kontinuierliche Nutzung des Altarschmucks. Auch die Wiederverwendung des Kirchenportals (Abb. 7) sollte in diesem Sinn gedeutet werden: Zu wenig wurde hier unterschieden zwischen Alt und Neu, zu spannungslos das Wappen in den Giebel eingefügt, als dass sich der Eindruck eines ostentativen Vergangenheitsbezugs einstellen würde. Das Traditionsbewusstsein des Ordens ist hier vielmehr selbstverständlicher Natur; es unterscheidet sich klar von den aufwändigen und komplizierten Programmen der mächtigen Reichsklöster nach 1700. Ganz anders setzten sich nach 1724 die Benediktiner von St. Blasien mit der wilhelmitischen Vergangenheit auseinander: Neben einem archivalischen Interesse an der Erforschung von Geschichte und Kunst wurden die älteren Objekte nicht etwa entfernt, sondern teilweise gezielt im neuen Rahmen inszeniert. Bereits in den ersten Jahren begann die Umgestaltung des Kircheninnenraums. 55 Das Blatt des alten Hochaltars wurde in den Mönchs-, den so genannten Psallierchor östlich des Hochaltars versetzt und in eine breite hölzerne Altarwand mit gemalter Stuckimitation integriert (Abb. 9). Den benediktinisch gewordenen Mönchen von Oberried blieb also ihr altes, wilhelmitisches Hauptbild erhalten, während der neue Hochaltar (Abb. 8) nach einem Programm des St. Blasianer Abts Franz Schächtelin die neue Zugehörigkeit eindrucksvoll demonstrierte, ohne jedoch das alte Patrozinium des Altars zu übergehen: Der Auszug zeigt die Himmelfahrt Mariä. 56 Mit der Aufstellung der beiden Begleitfiguren Blasius und Benedikt sowie den Engeln, wichtige Frühwerke des Freiburger Bildhauers Johann Christian Wentzinger (1710-1797), der abschließenden Vergoldung und Marmorierung war der Altar 1737/ 38 vollendet. 57 Die Seitenaltäre wurden beibehalten, allerdings hängte man die wilhelmitischen Altarblätter in den Chor und ersetzte sie durch wahrscheinlich zwei spätmittelalterliche Skulpturen, die möglicherweise aus St. Blasien hierher gebracht wurden. 58 Vor allem erhielt nun das Kreuz einen neuen Rahmen (Abb. 11) - ein Vorgang, über den wir gut informiert sind: Bereits 1726, also zwei Jahre nach der Übernahme des Klosters durch St. Blasien, beschäftigte sich der dortige Historiker Stanislaus Wülberz (1695-1755) mit dem verehrten Kreuz, indem er nach einer Abschrift des erwähnten Zettels von 1628 ver- 55 Ebd., 114f. 56 Das Hauptbild des St. Blasianer Hofmalers Gottlieb Reble zeigt Gottvater mit den Herzen Jesu und Marias nach einem Text der Freiburger Ursulinin Euphemia Dorer (1667-1752), der geistigen Mutter Schächtelins. Der Wortlaut der ins Bild gesetzten Vision in: Das Leben und die Schriften der gottseligen Euphemia von Baden, hrsg. von den Ursulinerinnen in Brig, Bd. 2, Luzern 1886, 132. 57 I NGEBORG K RUMMER -S CHROTH , Johann Christian Wentzinger. Bildhauer, Maler, Architekt 1710- 1797, Freiburg i.Br. 1987, 26f., 275. 58 Die linke Josephsfigur von 1932 könnte eine in unbekannter Zeit verloren gegangene Vorgängerin besessen haben; F RANK , Oberried (wie Anm. 35), 18; K RAUS , Kunstdenkmäler (wie Anm. 42), 318, hat sie 1904 bereits nicht mehr gesehen. Inszenierte Vergangenheit 359 Abb. 11: Oberried (Schwarzwald), ehem. Wilhelmitenkloster, wundertätiges Kreuz in barockem Rahmen, Stuckaturen 1727/ 28 von Franz Joseph Vogel. Tobias Kunz 360 langte. 59 1728 bezeichnete Pelagius Vorster in seinem Manuskript Analecta ex archivo monasterii in Oberried collecta das Kreuz als crux thaumaturga, als „wundertätig“. 60 1727 wurde ein Vertrag mit dem angesehenen Freiburger Stuckateur Franz Joseph Vogel (1684-1756) geschlossen, der den Kreuzaltar mit Gyps fassen sollte. 61 Ein zeittypisches Rahmengeflecht aus Bandelwerk und Arabesken erweitert die Altarausstattung über die Nische hinaus. Bildfelder zeigen Engel mit Leidenswerkzeugen sowie oben Gottvater mit der Taube des hl. Geistes, wodurch die Altarausstattung zu einem Dreifaltigkeitsbild erweitert wird. Auf die Rückwand der Nische sind Maria, Johannes, Magdalena und trauernde Engel sowie die Sonnenfinsternis dargestellt, am Fuß des Kreuzes befindet sich ein Schrein mit mehreren Reliquien, unter anderem von Wilhelm. Interessanterweise ähnelt die Inszenierung des Kruzifixes der wenig späteren Präsentation des schwarzen Kreuzes in Mainz. Beibehalten wurde die im 17. Jahrhundert erneuerte mittelalterliche Fassung und somit die drastische Betonung der leiblichen Qualen durch bläuliche Adern, Bluttrauben und strähniges menschliches Haar. 62 Sie stellt einen starken Kontrast dar zu den mit leichten, hellen Farben gemalten Darstellungen der Nischenrückwand. Kompositorisch und konzeptionell wird der Corpus eingebunden in ein eschatologisches Programm, dennoch bleibt er in seiner Wirkung isoliert. Dem Betrachter wird das Zwiegespräch mit dem verehrten Bildwerk möglich, indem sich der neue Rahmen visuell ausblenden lässt. Das Erscheinungshafte des Mainzer Kreuzes ist auch dem in Oberried eigen, es wird verstärkt durch das einfallsreiche Motiv der Sonnenfinsternis als Zeichen der Momenthaftigkeit und Singularität des sichtbaren Ereignisses. Eine vergleichbare Inszenierung eines mittelalterlichen Kruzifixes hat es zur selben Zeit in Freiburg selbst gegeben. Der um 1380/ 90 entstandene Cruzifixus dolorosus aus der Dominikanerinnenklosterkirche St. Catharina de Senis („auf dem Graben“) wurde in die 1701 errichtete Kapelle des Klosters überführt und dort auf dem Hauptaltar zur Aufstellung gebracht. 63 Die Anlage des Altars, auf dessen Tabernakel sich das Kreuz erhob, zu seinen 59 G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 111. Wülberz hatte zuvor die Aufnahme der drei Wilhelmitenkonvente in die Kongregation von St. Blasien dokumentiert: Nova incrementa Congr. S. Blasianae seu tria monasteria in Oberried, Sion et Mengen, 1725 (Manuskript im Klosterarchiv Einsiedeln). 60 Das Manuskript gelangte nach der Säkularisierung von St. Blasien mit den Mönchen und der Bibliothek nach St. Paul im Lavanttal; K ONRAD S UTTER , Die Aufhebung der Abtei St. Blasien und Neubeginn in St. Paul / Kärnten, in: H EINRICH H EIDEGGER / H UGO O TT (Hrsg.), St. Blasien. Festschrift aus Anlass des 200-jährigen Bestehens der Kloster- und Pfarrkirche, München u.a. 1983, 301-314. 61 Zitiert nach G IESSLER , Geschichte (wie Anm. 35), 107, ohne Quellenangabe. 62 Das, wie bereits erwähnt, 1628 aus dem Zisterzienserinnenkloster Günterstal gestiftete Echthaar wurde zuletzt 1906 ersetzt; ebd., 113. 63 Überliefert ist diese Aufstellung durch eine Federzeichnung von 1786; H ERMANN S CHMID , Aus dem Leben der Freiburger Dominikanerinnen im 18. und 19. Jahrhundert. Von den Ordensstatuten zum Staatsregulativ, in: Freiburger Diözesan-Archiv 107 (1987), 77-153, hier Abb. S. 118. Inszenierte Vergangenheit 361 Füßen eine große, wohl barocke Dolorosa, dürfte erst Jahrzehnte nach der Kapellenerrichtung entstanden sein. In der Kapelle versammelte sich eine mit päpstlichen Privilegien ausgestattete, 1707 erstmals nachgewiesene Hl.- Kreuz-Bruderschaft. 64 Nach der Zusammenlegung der Nonnen des Grabenklosters mit denen des Neuklosterkonvents 1786 wurde das Ensemble aufgelöst und das verehrte Kreuz in einen neuen Altar der Kirche des Neuklosters überführt. 65 Votivstiftungen, Kupferstiche und Medaillen legen eine Verehrung als wundertätiges Gnadenbild schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, möglicherweise auch früher, nahe, 66 also in Konkurrenz zum Kreuz des damals noch in der Stadt gelegenen Wilhelmitenklosters. In dieser Zeit wurde es auch neu gefasst, 67 eine aufwändige Inszenierung im Rahmen und mit den Möglichkeiten eines Barockaltars erfolgte jedoch wie in Oberried erst deutlich später, hier gegen Mitte des 18. Jahrhunderts. 3. St. Ulrich im Schwarzwald Der sorgfältige, gleichermaßen von Pietät und wissenschaftlich-antiquarischem Interesse motivierte Umgang mit der fremden Geschichte durch die neuen Herren in Oberried ist kein Einzelfall. Gerade im Umkreis der beiden im frühen 18. Jahrhundert mächtigsten Schwarzwaldklöster, wozu auch St. Peter gerechnet werden muss, war Traditionspflege nicht nur am eigenen Haus, sondern auch in den inkorporierten Abteien üblich. Ein interessanter Fall ist das ehemalige Cluniazenserkloster St. Ulrich im abgelegenen Möhlintal am Südhang des Schauinsland. Das 1087 vom hl. Ulrich von Zell gegründete Priorat besaß vor allem im 13. und 14. Jahrhundert durch die Verehrung Ulrichs und den nahen Silberbergbau einige Bedeutung, verlor diese jedoch im späten Mittelalter. 1544 wurde es aufgelöst, 1560 und de jure 1578 von der Benediktinerabtei St. Peter übernommen. 68 Eine Darstellung aus dem Jahr 1560 zeigt die Bescheidenheit der Anlage, die im Dreißigjähri- 64 S EBASTIAN B OCK / L OTHAR A. B ÖHLER (Hrsg.), Bestandskataloge der weltlichen Ortsstiftungen der Stadt Freiburg i.Br., Bd. 2: Die Bildwerke Mittelalter - 19. Jahrhundert, Amsterdam 1999, 148f. 65 Ebd., 149. Dieser 1791 geweihte Altar in der neuen Klosterkirche wurde 1930 wieder entfernt. 66 Nachweise ebd., 149. 67 Ebd., 146. 68 Zur Klostergeschichte vgl. K RAUS , Kunstdenkmale (wie Anm. 42), 448-459; W OLFGANG M ÜLLER , St. Ulrich, in: Germania Benedictina 5 (wie Anm. 35), 615-620; P ETER S CHWARZ (Red.), Bollschweil. Chronik des Ortes, Bd. 1: St. Ulrich, Freiburg i.Br. 1993. Zur Ulrichswallfahrt vgl. H ERMANN B ROMMER , Wallfahrten im Erzbistum Freiburg, München / Zürich 1990, 137f.; W IL- HELM S TRATMANN , Gabriel Bucelin und die Vita des Ulrich von Zell, Diss. phil. Mskpt., Regensburg 1988; T OBIAS K UNZ , Authentische Orte - authentische Bilder. Die Inszenierung von Orten und Objekten älterer Heiligenkulte im Schwarzwald des 18. Jahrhunderts, in: W ERNER O ECHSLIN (Hrsg.), Heilige Berge - heilige Landschaften. Akten des achten Barocksommerkurses der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Zürich 2010 (im Druck). Tobias Kunz 362 Abb. 12: St. Ulrich (Schwarzwald), ehem. Cluniazenser-Abteikirche, Kreuzaltar mit der Liegefigur des hl. Ulrich von Matthias Faller, 1757. gen Krieg beschädigt wurde. 69 1739 beschloss der Konvent von St. Peter, die Prioratskirche St. Ulrich völlig neu zu errichten und verpflichtete den zuvor an St. Peter tätigen Peter Thumb (1681-1766). 70 Die heutige Anlage datiert aus den Jahren 1740/ 41 und basiert auf den Plänen des Vorarlbergers, die freilich in einigen Punkten stark verändert wurden. 71 Auch in St. Ulrich bezieht sich die Ausstattung auf die lokale Gründungsgeschichte und integriert bzw. inszeniert älteres Inventar. Wie schon im Fall Oberrieds war der maßgebliche Initiator, Abt Philipp Jakob Steyrer 69 Erhalten in einer Abzeichnung von 1758: Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 65, Nr. 532 bei 412; Abbildung in: St. Ulrich / Schwarzwald, hrsg. vom Kath. Pfarramt St. Ulrich, Regensburg 2000, 3. 70 F RANZ K ERN , Die Verträge von Peter Thumb und Josef Ganter mit Abt Benedikt Wülberz über den Kirchenbau in St. Ulrich, in: Freiburger Diözesan-Archiv 80 (1960), 288-290; K LAUS P ETER S CHWARZ , Zur Baugeschichte der barocken Klosterkirche in St. Ulrich, in: Schau-ins-Land 84/ 85 (1966/ 67), 193-206, hier 198f.; H ANS -M ARTIN G UBLER , Der Vorarlberger Barockbaumeister Peter Thumb 1681-1766, Sigmaringen 1972, 71-73. 71 Zu Veränderungen und Bauablauf vgl. S CHWARZ , Baugeschichte (wie Anm. 70), 199-201. Inszenierte Vergangenheit 363 Abb. 13: St. Ulrich (Schwarzwald), Brunnenschale des hl. Ulrich, um 1100, ursprünglich Läuferstein einer Erzmühle, 1756 im Kreuzgang aufgestellt. von St. Peter (reg. 1749-1795), 72 zuvor Vikar an St. Ulrich und dem Kloster dadurch verbunden. 1757 wurde das Grab Ulrichs unter den von Matthias Faller (1707-1791) neu geschaffenen Kreuzaltar verlegt (Abb. 12). Das eindrucksvolle Kunstwerk zeigt die Liegefigur des Heiligen hinter durchbrochenem Maßwerk und erinnert somit, geschickt zeitgenössische Sehgewohnheiten nutzend, an die Präsentation der Gebeine römischer Katakombenheilige in süddeutschen Kirchen. 73 Die Fresken der Kirche, 1767 von Franz Ludwig Herrmann (1710-1791) ausgeführt, zeigen in großer Ausführlichkeit 25 Szenen der Vita Udalrici nach einer textlichen Vorlage Steyrers von 72 F RANZ K ERN , Philipp Jakob Steyrer. Abt und Wissenschaftler, in: H ANS -O TTO M ÜHLEISEN (Hrsg.), Das Vermächtnis der Abtei. 900 Jahre St. Peter auf dem Schwarzwald, Ausst.-Kat. St. Peter, Karlsruhe 1993, 39-55. 73 Faller zitierte auch das ältere Grabmal des Heiligen, das an einer Seitenwand des Chors stand und hinter durchbrochenem Maßwerk den Sarkophag zeigte, eine Liegefigur befand sich oberhalb der Mensa. Zu dem wohl wichtigsten und produktivsten badischen Bildschnitzer der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. H ERMANN B ROMMER , Künstler und Kunsthandwerker im st.-petrinischen Kirchen- und Klosterneubau des 18. Jahrhunderts, in: H ANS -O TTO M ÜHLEISEN (Hrsg.), St. Peter im Schwarzwald, München / Zürich 1977, 50-93, hier 74-77; S TEPHANIE Z UMBRINK (Hrsg.), Matthias Faller. Der Barockbildhauer aus dem Schwarzwald, Ausst.-Kat., St. Märgen 2007. Tobias Kunz 364 1756. 74 Teil des auf die Person Ulrichs zugeschnittenen Ausstattungsprogramms ist auch die Steinschale (Abb. 13), die aufgrund ihrer ungeheuren Größe (2,59 m Durchmesser) und der frühen Reliefs der Zeit um 1100 Rätsel aufgab, in der Schrift Steyrers von 1756 als „Teufelsstein“ bezeichnet und in einem eigenen Stich dargestellt wurde. Er steht seit 1968 im Vorhof der Kirche, diente aber 1560 und 1756 als Brunnenschale im Kreuzgang. 75 Der wahrscheinlich ursprüngliche Läuferstein einer Erzmühle befand sich bereits vor der Ankunft der Mönche um Ulrich im Möhlintal und wurde von ihnen um 1100 zu einer Brunnenschale umgearbeitet. Die heute kaum mehr erkennbare, bei Steyrer wiedergegebene Inschrift wird unterschiedlich übersetzt, sie lässt sich auch als spezifisch monastischer Predigtauftrag lesen: OR- DO DEO PLENUS MUNDO CLAMAT DUODENUS QUOD VERBO FIDEM 76 . Nach der Vorstellung des 18. Jahrhunderts handelte es sich hier also um eine Berührungsreliquie des Klostergründers, ein unmittelbar auf ihn zurückgehendes Werk, dessen Darstellungen und Inschrift, auch durch die Anspielung auf die monastische Vergangenheit, größte Authentizität besaßen. 77 4. Schluss Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass mit der Wiederverwendung älterer Bildwerke in Barockklöstern besondere Akzente innerhalb umfassender Inszenierungen der lokalen Geschichte gesetzt werden konnten. Dabei wurden formale Kontraste und die Aura des Altertümlichen geschickt genutzt, um die typischen Eigenschaften eines Gnadenbildes oder hagiographischen Kultobjektes zu erfüllen, aber auch um die institutionelle Vergangenheit zu visualisieren, als deren Teil die Bildwerke begriffen wurden. Dieses Phänomen konzentriert sich, soweit ich sehe, auf die Zeit nach 1700, zuvor handelte es sich in der Regel um eine andere Form der Wiederverwendung, die ich als Weiterverwendung bezeichnen möchte. Die deutliche Differenzierung zwischen altertümlicher Gestalt der Skulptur und neuem Rahmen sowie die gestalterische Nutzung des Fremden finden sich erst später. Schließ- 74 Leben und Wunder-Thaten des heiligen Udalrici [...], Freiburg i.Br. 1756. Grundlage waren mehrere ältere Texte, besonders die inzwischen verlorene Biographie des Regensburger Augustiners Paul von Bernried, die in Auszügen im Geschichtswerk des Weingartener Benediktiners Gabriel Bucelin (1599- 1681) übernommen wurde; S TRATMANN , Bucelin (wie Anm. 68). 75 W OLFGANG E. S TOPFEL , Taufstein - Brunnenschale - Erzmühle? Eine kunsthistorische Nachbemerkung, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 29 (2000), 88-90. 76 „Der von Gott erfüllte Orden kündet der Welt das gleiche wie die Apostelschar mit ihrem Wort: den Glauben.“ 77 Ausführlicher zu St. Ulrich im Kontext der Revitalisierung von Heiligenkulten im Schwarzwald des 18. Jahrhunderts: K UNZ , Authentische Orte (wie Anm. 68). Inszenierte Vergangenheit 365 lich ist festzuhalten, dass Erforschung und Inszenierung von Klostergeschichte nicht nur am eigenen Haus durchgeführt wurden, sondern auch an abhängigen Prioraten. Wertvolle Hinweise auf die spezielle Geschichte der vor 1803 untergegangenen Kongregationen verdanken wir oft den neuen Herren des 18. Jahrhunderts. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ Die Barockisierung des böhmischen Klosters Ossegg am Beginn des 18. Jahrhunderts Anett Matl 1. Zur Geschichte des Klosters Ossegg Das Kloster Osek / Ossegg im Norden Böhmens wurde ursprünglich 1192/ 93 von Graf Johannes Milhošt in Maštov / Maschau bei Chomutov / Komotau gegründet und mit zwölf Zisterziensermönchen aus Waldsassen besetzt. Schon 1199 musste das Kloster nach Ossegg an den Fuß des Erzgebirges verlegt werden. Hier liegt es im Tal zwischen Teplice / Teplitz und Most / Brüx unweit der Grenze zu Sachsen. Durch die Lage im politischen und religiösen Grenzgebiet war das Kloster in seiner Geschichte mehrfach von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen. Nach der Blüte des Klosters im Hochmittelalter setzte seit den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts ein wirtschaftlicher Niedergang ein, der durch den Überfall der Hussiten 1421 verstärkt wurde. Anfang des 16. Jahrhunderts trat nahezu das ganze Gebiet südlich des Erzgebirges zum Luthertum über, so dass das Kloster zahlreiche Untertanen und damit Steuereinnahmen verlor. Verschuldung und Verkauf von größeren Gütern waren die Folge. 1580 wurde das Kloster aufgelöst, seine Besitzungen vorübergehend dem Tafelgut des Prager Erzbischofs eingegliedert. 1 Erst nach längeren Verhandlungen und im Zug der Rekatholisierung Böhmens nach der siegreichen Schlacht am Weißen Berg (1620) restituierte der Prager Erzbischof Harrach (reg. 1623-1667) 1626 das Kloster im Auftrag Kaiser Ferdinands II. (reg. 1619-1637). 2 Die Zisterziensermönche kehrten zurück, blieben aber vorerst ohne eigenen Abt. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Kloster 1631 durch die Sachsen geplündert und 1640 von den Schweden in Brand gesteckt. War die spätromanische Kirche 1 K ATE 4 INA C HARVÁTOVÁ , Historie Oseckého kláštera od založení do roku 1421 (mit deutscher Zusammenfassung), in: 800 let klaštera Osek, jubilejni sbornik / 800 Jahre Kloster Ossegg, Festschrift, Osek 1996, 49-62. 2 M EINRAD S IEGL , Die Abtei Ossegg in Böhmen, in: S EBASTIAN B RUNNER (Hrsg.), Ein Cisterzienserbuch. Geschichte und Beschreibung der bestehenden und Anführung der aufgehobenen Cisterzienserstifte in Österreich-Ungarn, Deutschland und der Schweiz, Würzburg 1881, 280-353, hier 303- 311; B ERNHARD S CHEINPFLUG , Bruchstücke aus der Geschichte des Cistercienserstiftes Ossegg, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen 11 (1873), 276-289. Anett Matl 368 Abb. 1: Ossegg, Zustand des Klosters vor dem Umbau (im Hintergrund eine Darstellung des seligen Abtes Ero von Armentaria) in: Augustinus Sartorius, Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium, Oder Cistercienser Ordens-Historie, Prag 1708, 105. von Ossegg 1640 vom Feuer verschont geblieben, so brannte sie im Jahre 1646 völlig aus. Wenig später, 1650, erhielt das Kloster mit Laurentius Scipio (reg. 1650-1691) erstmals wieder einen eigenen Abt. 3 Es konnte sich nun in einer Periode anhaltenden Friedens allmählich wieder erholen. Abt Scipio sanierte die Klosterwirtschaft, zahlte die Schulden ab und begann mit ersten Erneuerungsmaßnahmen an Klostergebäuden und Kirche. Schon 1682 konnte das Kloster wieder größere Kontributionen für den Türkenkrieg leisten. 4 Dem folgenden Abt Benedikt Simon Littwerig (reg. 1691-1726) gelang es, an die wirtschaftlichen Erfolge seines Vorgängers anzuknüpfen. 5 Er baute die Landwirtschaft weiter aus, ließ 1694 eine erste Strumpfmanufaktur durch das Kloster gründen und belebte den Silber-, Zinn- und Braunkohle- 3 Im selben Jahr wurde er noch von Kaiser Friedrich III. bestätigt und erhielt Sitz und Stimme im böhmischen Landtag, gleich den früheren Ossegger Äbten. Josef R. G RUNERT , Ossegg. Historischtopographischer Führer für Ossegg und Umgebung, Dux 1886, 110. 4 L EONARDO D ONT , Index chronologicus Monasterii Ossencensis [...], Osek 1778, in: Státní oblastní archiv, Litom 03 ice, 4 ád cisterciák 9 Osek, kart. 305, inv. 2 . 1690 M. IV. 28, S. 24; J AROSLAV M ACEK , Geschichte des Oseker Klosters seit den Hussitenkriegen bis 1947/ 1950, in: 800 let klaštera Osek (Anm. 1), 63-83, hier 79. 5 [Unbekannter Autor] Geschichte von Kloster Ossegg, 1193-1785, nach 1785, in: Státní oblastní archiv, Litom 03 ice, 4 ád cisterciák 9 Osek, kart. 305, inv. 2 . 1687 M.IV. 25, S. 143f.; M. R. T REUHAN , Benedikt Simon Littwerig. Abt des Zisterzienserstiftes Ossegg von 1691-1726, in: Erzgebirgs-Zeitung, Monatsschrift für Volkskunde und Heimatforschung, Wanderpflege und Fremdenverkehr 59 (1938), Nr. 3f., 37-39; H ERBERT S TURM (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 2, München 1984, 472. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 369 bergbau wieder. 6 Mit dieser erfolgreichen wirtschaftlichen Basis konnte sich Littwerig 1693, kurze Zeit nach seiner Wahl zum Abt, dem Ausbau des Klosters zuwenden. Ein Stich in der von Augustinus Sartorius (1663-1723) verfassten, 1708 in Prag erschienenen deutschen Ausgabe der Geschichte der Zisterzienserklöster Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (tschechische Erstausgabe: Prag 1700) überliefert das damalige Aussehen der Anlage (Abb. 1). 2. Die Barockisierung 2.1. Die erste Phase (1693-1711) Der Klosterausbau begann zuerst mit Arbeiten an den Wirtschaftsbauten: 1693 entstand ein großer Speicher und 1700-1702 die Klosterbrauerei. Um 1703 übernahm der Architekt Octavio Broggio (um 1670-1742) aus Litom 03 ice / Leitmeritz, Sohn eines aus Oberitalien eingewanderten Architekten, die Leitung der Baumaßnahmen. 7 Unter seiner Regie wurde um 1704 die Planung ausgedehnt: Vorgesehen war nun eine umfangreiche Erweiterung der Wirtschafts- und Konventsbauten sowie ein Neubau der Prälatur; 8 die spätromanische Kirche sollte hingegen - zunächst - beibehalten werden. Ein Stich, abermals aus der deutschsprachigen Ausgabe der Geschichte der Zisterzienserklöster von Sartorius, zeigt den geplanten Umbau (Abb. 2). Der beigefügte Text erläutert: Unten ist selbiges Kloster vorgebildet wie es ietzt würcklich gebauet wird. 9 Die Ansicht des Klosters ist von Osten aus der Vogelperspektive dargestellt: Im Vordergrund ist die Prälatur mit hervortretendem Mittelrisalit zu sehen, an die die zwei Konventshöfe anschließen; der östliche (vordere) Hof besitzt an der Nordseite einen Torturm. Die Innenseite des westlichen (hinteren) Hofes beinhaltet den Kreuzgang. An diesen fügt 6 H EINRICH J. U RBANI , Cistercienserstift Ossegg mit seinen Umgebungen, Leitmeritz 1839, 3; J AROS- LAV M ACEK , D 0 jiny oseckého kláštera od husittských válek do rok 9 1947-1950, in: 800 let klaštera Osek (Anm. 1), 63-83, hier 79. 7 Octavio hatte seine erste Ausbildung in der Maurerwerkstatt seines Vaters, Giulio Broggio, erhalten und war in dieser - nach seiner Gesellenwanderung - spätestens ab 1699, dem Datum seiner Erlangung der Meisterwürde, als Polier tätig. Zu den frühen Werken Octavios gehören Pläne zur Wallfahrtskirche in Bohosudov / Mariaschein (vor 1701) und der Entwurf für die Prager Dreifaltigkeitskirche der Trinitarier (1708). Broggio war in Ossegg und vorwiegend im nordböhmischen Raum bis zu seinem Tode 1742 tätig; vgl. V / RA N A N KOVÁ , Broggio, in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 14, Leipzig 1996, 336f. 8 P ETR M ACEK , Osek, in: M OJMÍR H ORYNA / J AROSLAV M ACEK / P ETR M ACEK / P AVEL P REISS (Bearb.), Oktavián Broggio. 1670-1742, Ausst.-Kat. Litom 03 ice, Galerie výtvarného um 0 ní, Litom 03 ice 1992, 95-106. 9 A UGUSTINUS S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium, Oder Cistercienser Ordens-Historie [...], Prag 1708, 858. Eine Abbildung des mittelalterlichen Klosters und seiner Kirche, ebd., 105, sowie im Hintergrund des Thesenblatts von Sartorius aus dem Jahre 1693; vgl. S IBYLLE A PPUHN - R ADTKE , Das Thesenblatt im Hochbarock. Studien zu einer graphischen Gattung am Beispiel der Werke Bartholomäus Kilians, Weißenhorn 1988, 272-276. Anett Matl 370 Abb. 2: Johannesreliquiar, darunter das Projekt für den Klosterumbau, in: Augustinus Sartorius, Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium, Oder Cistercienser Ordens-Historie, Prag 1708, 858. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 371 Abb. 3: Zisterzienserkloster Ossegg, Kapitelsaal. sich nördlich die romanische Kirche an, die im Zentrum der gesamten Anlage liegt, und ebenfalls im Norden der Wirtschaftshof an. Sie sollte, wie auch der Kreuzgang, ihr mittelalterliches Aussehen beibehalten. Sartorius beschreibt die Bautätigkeit unter Abt Littwerig folgendermaßen: Die so wohl wihrtschafftliche / als Conventual- und andere Gebäude seines Klosters hat selbiger meistens von Grund auff in seine schöne Ordnung theils schon gebracht / theils aber ist er in würcklicher unaussetzlicher Arbeit begriffen / dieselbe auch fernerhin in erwünschten Stand zubringen. Der ansehnliche hohe und breite Kreuzgang stehet noch von der Fundation desgleichen das Refectorium, und Capitel-Hauß / so auch in Veränderung anderer Gebäuder zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums / und wehrtesten Stiffter unverruckt in ihrem alten Weesen sollen gelassen werden. 10 Deutlich benennt er das Andenken an die eigene Klostergeschichte und die Stifter als Grund für die Erhaltung der mittelalterlichen Bauteile, wie den zwischen 1225 und 1350 entstandenen Kreuzgang, den Kapitelsaal (Abb. 3), in dem sich noch heute das um 1230 entstandene Lesepult befindet, und das Refektorium. Die Kirche erwähnt Sartorius nicht eigens; anzunehmen ist aber, dass auch sie aus Ehrfurcht vor der Tradition im überkommenen Zustand bewahrt werden sollte. 10 S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 855f. Anett Matl 372 Abb. 4: Zisterzienseklosterkirche Ossegg, Ostfassade. Der Umbau der Konventsgebäude begann 1705-1708 mit den um den Kreuzgang liegenden Trakten im Westen und Süden (Abb. 2). Gleichzeitig wurde der neue Konventsflügel im Osten erbaut, der den südlichen Flügel des Kreuzgangs verlängert. Um 1710 wurde parallel zu diesem Südflügel im Norden ein Flügel mit einem Torturm, der Hauptzufahrt zum Konvent und zur Abtei errichtet. Der geplante Neubau der Prälatur im Osten wurde erst 1719-1723 ausgeführt und damit dieser östliche Hof geschlossen. 2.2. Die zweite Phase unter Einbeziehung der Kirche (ab 1711) Ab 1711 wurde die 1206-1221 als spätromanische dreischiffige Basilika mit ausladendem Querschiff und geradem Chorschluss errichtete Kirche (Abb. 2) in die Planungen der Modernisierung einbezogen. 11 Bis 1718 wurde sowohl ihr Äußeres als auch ihr Inneres umgeformt (Abb. 4 und 5): Broggio blendete ab 1711 im Westen eine Fassade mit einem Portikus vor, die deren basilikalen Querschnitt in ihre Gliederung mit Pilastern und Pilasterbündel 11 R EINHARDT H OOTZ (Hrsg.), Kunstdenkmäler in der Tschechoslowakei. Ein Bildhandbuch, Böhmen und Mähren, Text von E MANUEL P OCHE , Leipzig 1986, 427; S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 105. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 373 Abb. 5: Zisterzienserklosterkirche Ossegg, Innenansicht nach Osten. Anett Matl 374 mit korinthisierenden Kapitellen über drei Geschoße hinweg aufnimmt. Die konkav und konvex gebogenen Wandflächen und die schräg gestellten Stützen verleihen der Fassade eine gewisse Dynamik. Die Fassade Broggios bildet die Bühne für die Aufstellung von 13 großen bewegten Sandsteinfiguren: der vier Evangelisten, der vier Lateinischen Kirchenväter, der Apostel Petrus und Paulus sowie des hl. Johannes des Täufers, der auf das Lamm Gottes auf dem Giebel und zwei Engel verweist. Johannes der Täufer wurde in Ossegg besonders verehrt, da das Kloster eine Fingerreliquie des Heiligen besaß (Abb. 2). 12 Gemeinsam bilden die Architektur von Broggio und die Skulpturen von Franz Anton Kuen (1669-1742) 13 sowie Edmund Johann Richter (gest. 1747) aus dem Jahr 1713 einen römisch-katholischen Triumphbogen an der Straße von Most nach Teplice. Der Klosterkirche in Ossegg wurde nicht nur im Westen eine neue Fassade vorgeblendet, sondern auch die Langhausseiten, das Querschiff und die Ostfront wurden in ein barockes Gewand gekleidet. Broggio legte den gotischen Stützpfeilern Pilaster vor, versah die Fenster mit barocken Rahmungen und ließ die Wandflächen weißen. Über den Pilastern des nördlichen Seitenschiffes stehen alternierend vier große, von Kuen 1713 gefertigte Sandsteinfiguren der böhmischen Landespatrone mit Prunkvasen. Der ehemals gerade Chorschluss der romanischen Basilika, der auf der Darstellung des alten Klosterzustandes von 1708 (Abb. 1) zu sehen ist, wurde am stärksten verändert (Abb. 4). Über den Chorseitenkapellen im Norden und Süden wurden zwei runde Türme mit barocken Helmen und kleiner Laterne aufgesetzt, die die Ostfront zu einer Zweiturmanlage ergänzen. An den Türmen stehen jeweils zwei weitere Heiligenfiguren von Kuen, darunter der hl. Bernhard von Clairvaux und der hl. Benedikt von Nursia aus dem Jahre 1715; auf der Spitze des abschließenden Dreieckgiebels im Osten steht die Figur des Christus Salvator (1716). Die prächtige Zweiturmfassade im Osten und die mit einem Turm bekrönte Zufahrt zum Kloster bilden ein gemeinsames Ensemble, das ankommende Besucher des Abtes wie des Konvents empfing. 12 Vgl. S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 858; vgl. dazu auch 800 Jahre des Klosters in Osek (1196-1996), Ausst.-Kat., Osek 1996, 65f, Kat.-Nr. 4 (D ANA S TEHLÍKOVA / B OHUSLAVA C HLEBORÁDOVÁ ). 13 Kuen stammte aus einer Bregenzer Architektenfamilie und war um 1710 im Norden von Prag im Schloss Veltrusy / Weltrus tätig; vgl. O SCAR S ANDNER , Die Kuen, Konstanz 1962; O LD 4 ICH J. B LAŽÍ 1 EK , Socha 3 ství vrcholného baroka v 1 echách, in: R UDOLF C HADRABA (Hrsg.), D 0 jiny 2 eského vytarného um 0 ní. 2,2 Bd.: Od po 2 átk 9 renesance do záv 0 ru baroka, Prag 1989, 480-509; O LD 4 ICH J. B LAŽÍ 1 EK , Der Bregenzer Bildhauer Franz Anton Kuen in Böhmen, in: Vorarlberg 8 (1970), 29-36; O LD 4 ICH J. B LAŽÍ 1 EK , Socha 3 ství baroku v 1 echách. Plastika 17. a 18. veku, Prag 1958, 159-162; P AVEL Z AHRADNIK , O vzniku zámku ve Véltrusich, in: Pr 9 zkumy památek 8 (2001), 85-96, hier 94. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 375 Dem Inneren der Kirche (Abb. 5) wurde ein farbenfrohes, reich geschmücktes barockes Aussehen verliehen. Das Langhaus erhielt eine Tonnendecke, in die Lünetten einschneiden. Über der Vierung erhebt sich eine niedrige Pendentifkuppel mit Laterne. Den alten Stützen wurden Pilaster vorgelegt und ihre Kompositkapitelle durch ein mächtiges Abschlussgebälk verbunden. Üppige, ab 1713 entstandene weiße Stuckformen von Giacomo Antonio Corbellini (1674-1742) 14 rahmen die Deckengemälde mit kräftigen Akanthusgirlanden und Muschelformen. Die Fresken an der Decke im Mittelschiff, die der zuvor in Waldsassen tätige Johann Jakob Stevens von Steinfels (1651-1730) 15 zwischen 1713 und 1714 ausführte, zeigen Szenen aus dem Leben Christi, dem Alten Testament und die göttliche Weisheit. In den Seitenschiffen sind die Martyrien der Apostel sowie allegorische und biblische Szenen, in den äußeren Enden der Querhausarme Himmelsglorien der Propheten und der Märtyrer zu sehen; sie stammen von Wenzel Lorenz Reiner (1689-1743) und entstanden in den Jahren bis 1719. 16 Im Langhaus stehen an den Pfeilern zu den Seitenschiffen hin paarweise angeordnet Altäre mit Gemälden von Michael Leopold Willmann (1630-1706), Jan Krištof Liška (um 1650-1712), Wenzel Lorenz Reiner und Anton Kern (1709- 1747). Die reich geschmückte Kanzel datiert aus dem Jahr 1715 und trägt auf dem Schalldeckel die figürliche Darstellung der Taufe Jesu von Franz Anton Kuen. Das mit Intarsien geschmückte Chorgestühl der Mönche (1714-1716) ist aufwendig mit Puttenköpfen, Engeln, Girlanden, sechs großformatigen, versilberten Reliefs Szenen aus dem Leben Jesu darstellend und Gemälden der Ordensheiligen (hl. Wilhelm, hl. Robert, seliger Eugen, seliger Konrad) dekoriert. 17 Der Hauptaltar wurde 1718 von Abraham Kitzinger entworfen, in den er das Gemälde der „Himmelfahrt Mariä“ von Jan Krištof Liška aus dem Jahre 1696 vom Vorgängeraltar übernahm. Die Figuren aus Stuckmarmor stammen von Corbellini. Motive der Altarkomposition, wie das Schweben der Taube des heiligen Geistes vor einer rückseitig beleuchteten Glorie und das Aufschweben eines überdimensionierten Kreu- 14 Zu Giacomo Antonio Corbellini vgl. V / RA N A N KOVÁ , Corbellini, Giacomo Antonio, in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 21, Leipzig 1999, 149- 150. 15 Vgl. P AVEL P REISS , „nach seiner renommierten Kunst ... nach denen disfalls angegebenen Dessins“. Johann Jakob Stevens von Steinfels im Stift Waldsassen im Zusammenhang seines Gesamtwirkens, in: P AUL M AI / K ARL H AUSBERGER (Hrsg.), Waldsassen. 300 Jahre Barockkirche (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Bd. 38), Regensburg 2004, 305-317. 16 P AVEL P REISS , Václav Vav 3 inec Reiner, in: H ORYNA u.a., Oktavián Broggio (Anm. 8), 176-178. 17 J AN R OYT , Barocke Kulte der Heiligen und Votivbilder. Im Zeichen des Blutes und der Milch, in: 800 Jahre des Klosters in Osek (Anm. 14), 69-75, hier 72. Anett Matl 376 zes, erinnern an die hochbarocken Inszenierungen Gianlorenzo Berninis und Andrea Pozzos. 18 Während der Modernisierung arbeiteten die Künstler in Ossegg zwischen 1712 und 1718 eng zusammen, so dass ein aufeinander abgestimmtes Ensemble entstand. Ein Gesamtplan oder Gesamtkonzept der Umgestaltung des Klosters Ossegg ist nicht überliefert. Das persönliche Interesse Abt Littwerigs lässt sich durch zahlreiche weitere Bautätigkeiten in seinem Stiftsgebiet bestätigen. Die formale Gestaltung lag in den Händen des Hausarchitekten Broggio sowie den ausführenden Künstlern, die einzelne Entwürfe lieferten. Vergleichbare barocke Erneuerungen unter Beibehaltung der alten Bausubstanz lassen sich zum Beispiel auch im Zisterzienserkloster von Neuzelle in der Niederlausitz (1654-1658 und 1720-41) oder in der Prager Minoritenkirche Sankt Jakob (1690-1702) finden. Die reich ausgestattete Kirche in Ossegg und ihre mit Figuren geschmückte Fassade sind als Siegeszeichen der seit 1620 einsetzenden Gegenreformation zu verstehen, in deren Zug auch das Kloster 1626 restituiert worden war und der Zisterzienserorden im „Konfessionellen Zeitalter“ neu erblühte. 19 Nach dem Umbau der Kirche entstand 1719-1723 in Ossegg die Prälatur, die die Klosteranlage (Abb. 2) im Osten abschließt. Sie nahm die Wohnung des Abtes und weitere repräsentative Räume, darunter auch einen großen Festsaal, auf. In den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden das Klosterkrankenhaus (1720) im Süden, anschließend an den westlichen Flügel, gebaut und die Klosterbibliothek (1725) eingerichtet; bereits unter dem nächstfolgenden Abt Hieronymus Besnecker (reg. 1726-1749) wurden die Gärten mit den Teichen und den Pavillons (1726-1732) angelegt. Die barocke Klosteranlage ist in Ossegg verglichen mit böhmischen, süddeutschen oder österreichischen Klöstern in ihren Ausmaßen eher bescheiden. Dennoch möchte sie den Anspruch des Abtes als geistlichen Landesherrn dokumentieren. Dessen politische Stellung war in Böhmen 1627 gestärkt worden, nachdem er vor dem böhmischen Adel den ersten Stand im böhmischen Landtag erhalten hatte. 20 Der Klosterbau in Ossegg entstand in 18 E VA H OLANOVÁ , Klášter Osek, Prag 1970, 27f. und 83-90; E MANUEL P OCHE (Hrsg.), Umelecké památky Cech, Bd. 2, Prag, 1978, 545-549; M OJMÍR H ORYNA , Osek. Klášterní kostel Nanebevzetí P. Marie, Prag 1983, 105-111. 19 F RANZ M ACHILEK , Die Zisterzienser in Böhmen und Mähren, in: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen - Mähren - Schlesien 3 (1973), 185-220, hier 194. 20 K ARL R ICHTER , Die böhmischen Länder von 1471-1740, in: K ARL B OSL (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 2: Die böhmischen Länder von der Hochblüte der Ständeherrschaft bis zum Erwachen eines modernen Nationalbewusstseins, Stuttgart 1974, 99-414, hier 288 und 367; F RIEDRICH B. P OLLEROSS , Die österreichischen Stifte und ihre Bauherren im 17. und 18. Jahrhundert, in: Kunst und Mönchtum an der Wiege Österreichs, Ausst.-Kat. Stift Seitenstetten (Niederösterreichische Landesausstellung), Wien 1988, 256-270, hier 262; H ELLMUT L ORENZ , Der habsburgische „Reichsstil“. Mythos und Realität, in: T HOMAS W. G AEHTGENS (Hrsg.), Künstleri- „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 377 Konkurrenz zu den Schlössern des böhmischen Adels, beispielsweise zu Schloss Duchcov / Dux in unmittelbarer Nachbarschaft, das den Herren von Waldstein gehörte und das ebenfalls zwischen 1675-1728 zu einer prächtigen Barockanlage umgebaut wurde. 21 3. Orte des Bewahrens und Erinnerns Wie das Zitat aus dem Werk von Sartorius, das zugleich der Titel des Beitrags ist, belegt, wurden in Ossegg bei der barocken Umgestaltung des Klosters wesentliche Teile der mittelalterlichen Anlage - Kreuzgang, Kapitelsaal und Refektorium - ganz bewusst als Zeugnisse der eigenen Vergangenheit erhalten. Die romanische Kirche blieb zunächst unberührt, wurde dann aber in der zweiten Bauetappe mittels Stuck und Farbe in ein barockes Gewand gekleidet, ganz anders als zum Beispiel die Kirche des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz in Niederösterreich, wo sich die Modernisierung um 1700 weitgehend auf eine neue Altarausstattung beschränkte. So ist in Ossegg nicht der Erhalt der alten Bausubstanz das Besondere, sondern der auf uns gekommene schriftliche Nachweis, dass dies bewusst zum Andencken des lieben Alterthums / und wehrtesten Stiffter zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Abt und Konvent veranlasst wurde. 22 Im Kapitelsaal wurden die Wandflächen oberhalb des Gestühls bis 1756 durch Johann Peter Molitor (1702-1756) freskiert. Eine der Darstellungen zeigt Papst Innozenz III. (reg. 1198-1216), wie er die Statuten und Privilegien des Zisterzienserordens bestätigt (Abb. 6). Innozenz III. steht auch in direkten Bezug zur Geschichte Osseggs, da er 1207 das Kloster unter päpstlichen Schutz stellte. Ein großer Zyklus von Gemälden mit Zisterzienserheiligen entstand im Kreuzgang. Er wurde von den Ossegger Konventualen Jan und Pavel 1656 begonnen und von den Malern Gerard Angermayer (1692-1701) und Benedikt Kern (1758-1777) weitergeführt. 23 Reste dieser „Galerie“ haben sich im Nordflügel des Kreuzganges erhalten. Weitere Ordensheilige finden sich, scher Austausch - Artistic Exchange. Akten des XXVIII. Internationalen Kongress für Kunstgeschichte Berlin, 15.-20. Juli 1992, Bd. 2, Berlin 1993, 163-175. 21 Zuerst leitete von 1675-1685 Jean-Baptiste Mathey den Umbau für den Prager Erzbischof Johann Friedrich von Waldstein. Mit Letzterem stritt das Kloster immer noch um die bei der Restitution des Klosters beim Erzbistum verbliebenen Nutzungsrechte des Waldes Sommerleithen. Anfang des 18. Jahrhunderts ließ Johann Josef von Waldstein den Umbau des Schlosses Duchcov von Marcantonio Canevale vornehmen; ab 1714 leitete Franz Maximilián Ka 7 ka den Bau. Matthias Bernard Braun schuf hier ab 1719 Skulpturen für die Schlosskapelle, für den Ehrenhof und das Spital; vgl. J I 4 Í T. K OTALÍK , Architecture of the Baroque (Ten Centuries of Architecture, Bd. 4), Prag 2001, 144; I VO K O 4 AN , Braunové, o.O. 1999, 94-98. 22 S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 855f. 23 R OYT , Barocke Kulte (wie Anm. 17), 72. Anett Matl 378 Abb. 6: Kapitelsaal des Zisterzienserklosters Ossegg, Papst Innozenz III. bestätigt die Statuten des Zisterzienserordens, Fresko, Johann Peter Molitor, vor 1756. wie schon angeführt, am Chorgestühl der Kirche; Teil dieser Serie sind auch die frontseitigen Bildnisse des hl. Benedikt und hl. Bernhard. Die Darstellung der Ordensheiligen und damit der eigenen Ordensgeschichte war auch bei den Zisterziensern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts üblich. Ein frühes Beispiel für Wandgemälde, die die Geschichte der Ordensheiligen erzählen, bietet die Ausmalung der Klosterkirche Ebrach von 1650-1652. In der Klosterkirche von Waldsassen, dem Mutterkloster von Ossegg, schildern fünf Deckenfresken im Chorbereich (1695-1698) die Gründungslegende; hinzu kommen Darstellungen von Zisterzienserheiligen. 24 Wie in Waldsassen - und im Gegensatz zu Ebrach - sind in Ossegg die ordenshistorischen Themen nicht im öffentlichen Bereich angebracht; sie dienten daher in erster Linie der Unterweisung der Konventmitglieder. Den Stiftern des Klosters wurde in Ossegg mit der Aufstellung zweier barocker Grabmäler von Corbellini im vorderen Teil der Chorseitenschiffe, also in dem Bereich, der nur den Mönchen zugänglich war, gedacht: Auf der 24 D AVID K LEMM , Ausstattungsprogramme in Zisterzienserkirchen Süddeutschlands und Österreichs von 1620 bis 1720 (Europäische Hochschulschriften: Reihe Kunstgeschichte, Bd. 293, Diss. phil. Hamburg 1992), Frankfurt a.M. 1997, zu Ebrach 33-39 und 45-50, zu Waldsassen 103-105 und 117f. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 379 Evangelienseite des Hochaltars befindet sich das Grabmal mit den Gebeinen des fünften Klosterabtes Slavko von Hrabišic (reg. 1234-1239), Enkel des zweiten Klostergründers (Abb. 7), mit der Personifikation der Freigiebigkeit und der Abkehr vom weltlichen Leben mit Buch, Mitra und Waage, in der ein Kelch schwerer wiegt als die Krone, sowie einem trauernden Putto. Auf der Epistelseite ist das Grabmal mit den Überresten der Familie Hrabišic angeordnet (Abb. 8). Seitlich des Sarkophags stehen links Chronos, die Vergänglichkeit symbolisierend, und rechts eine Personifikation der Trauer. Der große Obelisk mit der Schlange über dem Sarkophag kündet zusammen mit dem einen Lorbeerkranz haltenden Engel vom ewigen Ruhm der Stifterfamilie, worauf auch die Inschriften verweisen. 25 In Anbetracht ihres Aufstellungsortes im „publikumsfreien“ Chorbereich dienen die künstlerisch anspruchsvollen Ossegger Stiftergräber in erster Linie der hausinternen Pflege der Memoria. Damit unterscheiden sie sich von anderen ähnlichen „Grab- Denkmälern“, wie etwa den 1714 im Auftrag von Abt Benedikt Knittel in 25 Vgl. R OYT , Barocke Kulte (wie Anm. 17), 71. Abb. 7: Zisterzienserklosterkirche Ossegg, Chorraum (Nordseite), Grabmal für Slavko von Hrabišic, Giacomo Antonio Corbellini, 1717. Abb. 8: Zisterzienserklosterkirche Ossegg, Chorraum (Südseite), Grabmal für die Familie von Hrabišic, Giacomo Antonio Corbellini, 1717. Anett Matl 380 Abb. 9: Zisterzienserkloster Ossegg, Prälatur, Festsaal, Deckenfresko, König Ottokar I. bestätigt das Kloster und seine Güter, Johann Peter Molitor und Josef Kramolín, vor 1776. der Vorhalle von Kloster Schöntal aufgestellten Zenotaphen, 26 die vor allem auf eine publikumswirksame Inszenierung der eigenen Historie abzielten. Etwas später wurde in der Prälatur von Ossegg an einem für ausgewähltes Publikum öffentlichen Ort und zwar im Festsaal die eigene Klostergeschichte verbildlicht: Das um 1740 von Molitor begonnene und in einer zweiten Phase von Josef Kramolín (1730-1802) vor 1776 vollendete Deckengemälde des Saals (Abb. 9) zeigt, wie König Ottokar I. (reg. 1198- 1230) die Güter des Klosters zwischen 1203-1207 bestätigte und erweiterte. Die enge Bindung an das böhmische Königtum hat die Geschichte des Klosters und sein Selbstverständnis tief geprägt. 27 Im Fresko ist zu sehen, wie der auf einem Thron sitzende König Ottokar I. dem vor ihm knienden unbekannten Abt die gesiegelte Bestätigungsurkunde überreicht. Seitlich neben 26 In Schöntal wurden drei Epitaphien (darunter das für Papst Alexander III. und für Kaiser Friedrich I. Barbarossa) im gotischen Stil neu angefertigt und mit einem alten Epitaph sowie zwei Bronzefiguren eines ehemaligen Grabmales aus dem Chor in der Vorhalle zusammen aufgestellt, um ein Geschichtsbild, wie den nicht vorhandenen kaiserlichen und päpstlichen Schutz seit der Zeit der Klostergründung, zu fingieren; vgl. J OHANNES B RÜMMER , Abt Benedikt Knittel (1650-1732) und sein Wirken im Zisterzienserkloster Schöntal (Forschungen aus Württembergisch-Franken, Bd. 40), Sigmaringen 1994, 153-158. 27 C HARVÁTOVÁ , Historie Oseckého kláštera (wie Anm. 1), 49-62. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 381 dem Thron verneigt sich der zweite Gründer des Klosters, der Kammerherr Slavko von Hrabišic (Herr von Ossegg und Reisenburg), der den Ossegger Hof zur Umsiedlung des Konvents zur Verfügung gestellt und dessen Familie das Kloster gefördert hatte. Er weist auf zwei am unteren Rand des Bildes sitzende Knaben, die einen Plan halten; dieser zeigt jedoch nicht das mittelalterliche, sondern das barocke Kloster im Zustand von 1740. Weitere Stifter und Förderer des Klosters sind im selben Raum in großformatigen Ölbildern an den Wänden zu sehen, darunter Kaiser Ferdinand II. und der erste Klostergründer Graf Milhošt. Im Festsaal wird die eigene Klostergeschichte thematisiert, während in Kapitelsaal, Kreuzgang und am Chorgestühl die allgemeine Ordensgeschichte im Vordergrund steht. Der behutsame Umgang mit alten Bauteilen sowie die Einrichtung von speziellen Orten der Erinnerung an die Kloster- und Ordensgeschichte gerade im Klausurbereich lassen auf ein ausgeprägtes historisches Interesse des Ossegger Konvents schließen, das im Folgenden näher beleuchtet werden soll. 4. Geschichtsbewusstsein und wissenschaftliche Tätigkeit Während der wechselvollen Geschichte - insbesondere in den Hussitenkriegen, in der Verwaltungszeit des Prager Erzbischofs Lamberg (reg. 1607- 1612), der Rechtsdokumente des Klosters absichtlich vernichten ließ, in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs sowie durch die Plünderungen des preußischen Heeres 1759 und 1762 - sind dem Kloster wichtige Urkunden und Handschriften verloren gegangen. 28 Durch die Rechtsstreitigkeiten um die Restitution des Klosters zu Beginn des 17. Jahrhunderts sowie um die Nutzungsrechte der dazugehörigen Gebiete, kam dem Wissen um die eigene Vergangenheit und die daraus resultierenden Rechte ein besonderer Stellenwert zu. Sartorius berichtet 1708 in seiner Geschichte der Zisterzienser: In der Bibliothec seynd noch viele M.S. Libri, oder geschriebene alte Bücher vorhanden / welche / weilen sie von unsrigen liebsten Geistlichen Vorfahrern und Comprofessen / als ein an= und Erbtheil ihres Fleisses bey damaliger Ermangelung des Drucks herrühren / dahero im besonderen […] als ein wehrtes Alterthum gehalten werden. Selbige hat der berühmte Historicus R. P. Bohuslaus Balbinus s. J. als er sich eine geraume Zeit in Ossegg aufgehalten / selbst durchgesehen / und sie durch darauff=geschriebenen Buchstaben nach der Ordnung des Alphabets bemercken lassen. 29 Der von Sartorius erwähnte Aufenthalt des Jesu- 28 J AROSLAV M ACEK , Das Archiv des Klosters Osek / Ossegg (mit deutscher Zusammenfassung), in: 800 let klaštera Osek (wie Anm. 1), 194-199. 29 S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 857. Anett Matl 382 iten Bohuslaus Balbin (1621-1688), der sich um die Erschließung der böhmischen Geschichtsquellen bemühte, im Kloster Ossegg und die damit verbundene erste systematische Ordnung der Klosterbibliothek wird für das Jahr 1679 angesetzt. 30 Neben Balbin widmeten sich aber auch die Ossegger Mönche selbst der hauseigenen Geschichte. Sartorius berichtet: Die Annales und vollkommene Fundations=Historie nebst allen Privilegien / bis auff gegenwärtige Zeiten thuet würklich R. P. Malachias Welcker, Sub-Senior zu Ossegg / […] hoffentlich zu einer auch anderwerts=frucht=baren AEmulation, in besonderem Volumen zusammen verfassen. 31 Malachias Welcker (1644-1712), der Philosophieprofessor war, verfasste eine Series Abbatum monasteri B. V. Mariae de Ossek […] a fundatione usque ad annum 1706 und die Historia monasterii Ossec. 32 Auf ihn folgte der schon mehrfach erwähnte Historiker und Theologe Augustinus Sartorius, der als Konventarchivar und ab 1700 als öffentlicher Notar sowie Vikariatssekretär des Abtes Littwerig wirkte. In der letztgenannten Funktion reiste er wahrscheinlich mit dem Abt 1699 nach Cîteaux, wo er Kontakte geknüpft und Informationen für seine Zisterziensergeschichte gesammelt haben könnte. Seine literarische Tätigkeit widmete er vor allem der Übersetzung und Herausgabe theologisch-historischer Schriften. 33 1700 erschien die lateinische Ausgabe seiner Geschichte des Zisterzienserordens Cistercium Bis- Tertium. Acht Jahre später publizierte er sein um die Klöster in ganz Teutschland erweitertes Werk (Abb. 10) in deutscher Sprache: Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium. Es folgten 1715 Ordo ordinum religiosorum virorum, virginum, militum, ein Handbuch der katholischen Heiligen, herausgegeben von Johann Georg Behr und 1717 die Übersetzung und Ergänzung von Wilhelm Gumpenbergs Marianischer Atlas oder Beschreibung der Marianischen Gnadenbilder durch die ganze Christenwelt sowie 1718 das Compendium annalium ecclesiastiorum eminentissimi cardinalis Caesaris Baronii. 34 Die reiche literarische Tätigkeit von Welcker und Sartorius zu Beginn des 18. Jahrhunderts bezeugt ein reges historisch-ordnendes Denken, das weit über die eigene Klostergeschichte hinaus reichte und durch vielfältige Kontakte im Zusammenhang mit der wiederholten Stellung des Ossegger 30 Von ihm verfasst wurden die Epitome historica rerum Bohemicarum von 1673-1677 und Miscellanea historiea regni Bohemiae 1679-1688; vgl. B ALBINUS B OHUSLAV , in: H ERIBERT S TURM (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 1, München 1979, 43; 800 Jahre des Klosters in Osek (Anm. 14), 44. 31 S ARTORIUS , Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium (wie Anm. 9), 857. 32 B ERNHARD W OHLMANN , Beiträge zur Geschichte der Cistercienserstifte Ossegg mit Verzeichnis der Handschriften in der Bibliothek des Stiftes Ossegg, in: Xenia Bernardina II, 3 (1891), 233-249; H ANSWILHELM H AEFS , Theologische, wissenschaftliche, literarische Arbeiten der Ossegger Mönche, in: 800 let klaštera Osek (Anm. 1), 273-280. 33 D ANA S TEHLÍKOVÁ , Augustin Sartorius, in: 800 Jahre des Klosters in Osek (Anm. 14), 100. 34 800 Jahre des Klosters in Osek (wie Anm. 14), 100-103. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 383 Abb. 10: Augustinus Sartorius, Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium, Oder Cistercienser Ordens-Historie, Prag 1708, Titelblatt. Abtes als Generalvikar und Visitator der Ordensprovinz der böhmischen Länder und der Lausitz ermöglicht wurde. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden in Ossegg kontinuierlich weitere historische Schriften, die sich überwiegend auf die eigene Klostergeschichte konzentrierten. 35 35 H ANSWILHELM H AEFS , Theologische, wissenschaftliche, literarische Arbeiten der Ossegger Mönche, in: 800 let klaštera Osek (wie Anm. 1), 273-278. Anett Matl 384 Die Ossegger Ordensmitglieder erwarben ihre theologische Bildung regelmäßig auf Hochschulniveau in Prag, im erzbischöflichen Seminar des hl. Adalbert oder im Zisterzienserkolleg des hl. Bernhard, um ihr Studium in weiteren Fächern dann an der Karl-Ferdinand-Universität fortzusetzen. Abt Littwerig war zum Beispiel ab 1685 Professor der Philosophie und 1686- 1690 Rektor des eben genannten Zisterzienser-Kollegs in Prag, das er im Jahr 1693 für das Ossegger Klosters erwarb und 1725 erweitern ließ. Das Bernhard-Kolleg war für die Zisterzienser der böhmischen, schlesischen und lausitzer Klöster von besonderer Bedeutung, da ihr Nachwuchs hier gemeinsam studierte. In den Viten des Abtes Littwerig in den Klosterchroniken des 18. und 19. Jahrhunderts wurde stets besonders vermerkt, dass er „auch die wissenschaftliche Ausbildung seiner Ordensbrüder nicht außer Acht ließ und bemüht war, jedes wissenschaftliche Streben zu fördern und zu unterstützen.“ 36 Für seine Amtszeit wie auch für die folgenden Jahrzehnte sind zahlreiche Brüder als Professoren, nicht nur als Theologen, sondern auch als Historiker, Naturwissenschaftler, Mathematiker und Astronomen belegt. 37 Für das Hausstudium der Mönche in Ossegg war vor allem die Bibliothek von großer Bedeutung. Auch für sie wurde Littwerigs Engagement stets besonders hervorgehoben. 1725 gipfelte es nach zahlreichen Buchankäufen in der Neueinrichtung der Bibliothek im Südflügel der Konventsgebäude. 38 5. Die Stellung Osseggs in der Baupolitik der Zisterzienser und speziell der böhmischen Zisterzienserklöster Im 17. und 18. Jahrhundert entfalteten die geistlichen Orden in Mitteleuropa eine rege Bautätigkeit mit zahlreichen Renovierungen ihrer Klöster und Kirchen bis hin zu Neubauten. Aufgrund der strengen Verpflichtung zu schlichter Ausstattung und des Turmverbots im Mittelalter ist das Verhältnis der Zisterzienser zum Barock mit seiner zumeist reichen Dekoration für die Forschung besonders interessant. Die Ordensstatuten der Zisterzienser gaben in der Neuzeit weniger detailliert Anweisungen über die Art des Kirchenbaus und seine Ausstattung als im Mittelalter. Sie mahnten 1584, 1609 und 1768 vielmehr die Äbte unter Strafandrohung allgemein zur Instandhaltung und 36 Zit. nach M EINRAD S IEGL , Die Abtei Ossegg in Böhmen (wie Anm. 2), 323. Das Staatliche Gebietsarchiv (Státní oblastní archiv) in Litom 03 ice bewahrt diverse handschriftliche Chroniken des Ossegger Klosters auf. 37 D ANA S TEHLÍKOVÁ , Bibliothek, Bildung und Wissenschaft, in: 800 Jahre des Klosters in Osek (wie Anm. 14), 99. 38 S IEGL , Die Abtei Ossegg (wie Anm. 2), 323; J ANA M ICHLOVÁ , Knihovna kláštera cisterciákú v Oseku (mit dt. Zusammenfassung), in: 800 let klaštera Osek (Anm. 1), 200-211; D ANA S TEHLÍKOVA , Bibliothek, Bildung und Wissenschaft, in: 800 Jahre des Klosters in Osek (Anm. 14), 99. „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 385 Vervollständigung der Kirchenausstattung, insbesondere nach Kriegsschäden. Oft wurde bei den Empfehlungen von einer „geziemenden“ Ausstattung gesprochen. Ob aber die mittelalterliche oder barocke Form „geziemend“ für die Zisterzienser sein sollte, war jedem Kloster nach der Untersuchung von Doris Ast, die sich auf die von Joseph M. Canivez herausgegebenen Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis, 1116- 1768 bezieht, selbst frei gestellt. 39 Dennoch ist bei den französischen wie auch den süddeutschen und österreichischen Zisterziensern eine nur zögerliche Verwendung der barocken Architekturformen bis um 1700 zu beobachten. 40 Der sorgsame Umgang mit dem mittelalterlichen Baubestand der Zisterzienser ist ein mitteleuropäisches Phänomen, das noch einer umfassenden Studie harrt. Die allgemeine verstärkte Aufnahme von barocken Bau- und Ausstattungsformen bei den Zisterziensern Mitteleuropas nach 1700 ist auch in ihrer gemeinsamen Ordensprovinz Böhmen, Mähren, Nieder- und Oberlausitz zu beobachten. Hier finden wir zahlreiche Barockisierungen bzw. nach der von Engelberg eingeführten Terminologie: „Renovationen“ mit der Anpassung des Kirchenraumes an den herrschenden Zeitgeschmack. 41 Das mit Ossegg eng verbundene Zisterzienserkloster Neuzelle in der Niederlausitz formte beispielsweise seine gotische Hallenkirche bis 1747 ähnlich umfassend barock um wie Ossegg. 42 Die Klosteranlagen wurden oft als umfangreiche barocke Residenzen neu erbaut, als ambitioniertestes Projekt soll hier die Anlage des Zisterzienserklosters Plasy/ Plass genannt werden, dass 1710 bis 1740 unter der Leitung von Giovanni B. Santini-Aichel (1677-1723) und Kilian Ignaz Dientzenhofer (1689-1751) errichtet wurde. 43 Die Gründe für die Verwendung der Barockformen bei den Zisterziensern der Ordensprovinz Böhmen, Mähren, der Nieder- und Oberlausitz könnten neben der wirtschaftlichen Blüte der Klöster im gemeinsamen gegenreformatorischen Streben nach der Demonstration des katholischen Glaubens und in ihrer Verbindung zum habsburgischen Kaiser zu suchen sein. 39 D ORIS A ST , Die Bauten des Stifts Salem im 17. und 18. Jahrhundert. Tradition und Neuerung in der Kunst der Zisterzienserabtei, München 1977, 11-14; J OSEPH M. C ANIVEZ (Hrsg.), Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis. Ab anno 1116 ad annum 1786 (Bibliothèque de la Revue d’Histoire Ecclésiastique 14 A), Bd. 7: 1546-1786, Louvain 1939, 168 und 760. 40 D AVID K LEMM , Ausstattungsprogramme in Zisterzienserkirchen Süddeutschlands und Österreichs von 1620 bis 1720 (Europäische Hochschulschriften: Reihe Kunstgeschichte, Bd. 293), Diss. phil. (Hamburg 1992), Frankfurt a.M. 1997, 185 und 198-203. 41 M EINRAD VON E NGELBERG , Renovatio Ecclesiae. Die „Barocksierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005, 19. 42 J OACHIM F AIT / J OACHIM F RITZ (Hrsg.), Neuzelle. Festschrift zum Jubiläum der Klostergründung vor 700 Jahren 1268-1968, Leipzig 1968. 43 F ITZ B ARTH , Santini 1677-1723. Ein Baumeister des Barock in Böhmen, Ostfildern-Ruit 2004, 414. Anett Matl 386 Die für Ossegg in den historischen Quellen dokumentierte Achtung der Werke der Vorfahren, sowohl Handschriften wie auch einzelne Bauteile des Konvents betreffend, ist weniger für den gegenreformatorischen Diskurs und die öffentlichen Zurschaustellung der eigenen langen Klostertradition bedeutsam. Die erhaltenen Bauteile liegen im Klausurbereich und müssen wohl, wie auch die Handschriften, neben dem Andenken an die Werke der Vorfahren eher als Dokument des beginnenden Interesses an einer wissenschaftlichen Geschichtserforschung verstanden werden. Abbildungsnachweise Appuhn-Radtke Abb. 1, 2, 4, 5, 7, 8, 9, 10: Huberta Weigl, Wien. Abb. 3: Reproduktion nach Erika Doberer u.a. (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes Kremsmünster (Österreichische Kunsttopographie XLIII, Teil I), Wien 1977. Abb. 6: Oberösterreichisches Landesmuseum Linz. Bauer Abb. 1: CDB BD 12, 108, Kai-Uwe Nielsen, München. Abb. 2: CDB BD 2, 590, Wolf-Christian von der Mülbe, Dachau. Abb. 3: CDB BD 2, 591, Wolf-Christian von der Mülbe, Dachau. Abb. 4: CDB BD 8, 37, Wolf-Christian von der Mülbe, Dachau. Abb. 5: CDB BD 4, 86, Wolf-Christian von der Mülbe, Dachau. Abb. 6: CDB BD 4, 83, Wolf-Christian von der Mülbe, Dachau. Abb. 7: CDB BD 11, 23, Kai-Uwe Nielsen, München. Abb. 8: CDB BD 11, 37, Kai-Uwe Nielsen, München. Abb. 9: CDB BD 11, 39, Kai-Uwe Nielsen, München. Abb. 10: Huberta Weigl, Wien. Früh Abb. 1-10: Margrit Früh und Thomas Lüthi, Denkmalpflege Thurgau, Frauenfeld. Grünwald Abb. 1-3, 9, 10: Graphische Sammlung Stift Göttweig, Digitalisat: Department für Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems. Abb. 4-8: Stift Göttweig, Kunstsammlungen. Jahn Abb. 1 und 3: München, Bayerische Staatsbibliothek. Abb. 2, 4, 6 und 7: Augsburg, Haus der Bayerischen Geschichte (A. Voithenberg). Abb. 5: München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 243819. Knapp Abb. 1-10: Ulrich Knapp, Leonberg. Abbildungsnachweise 388 Kunz Abb. 6: Repro nach Ingeborg Schemper-Sparholz, Der Hochaltar des J. B. Fischer von Erlach in Mariazell und seine Vollendung unter Kaiser Karl VI., in: Der Mariazeller Hochaltar, hrsg. von der Basilika Mariazell, St. Pölten u.a. 2001, 54-78. Abb. 1-5, 7-13: Tobias Kunz, Berlin. Mádl / Vácha Abb. 1-10: Martin Mádl, Prag. Matl Abb. 1, 2 und 10: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 3, 5, 6 und 9: Martin Mádl, Prag. Abb. 4, 7 und 8: Anett Matl, Fulda. Matsche Abb. 1-3, 10: Franz Matsche, Bischberg. Abb. 4, 5: Repro nach Karl Schlagmann, Füssener Kloster-Heraldik, in: Alt-Füssen. Jahrbuch des Historischen Vereins Füssen 1982, 83f. Abb. 6: Thomas Riedmiller, Kulturamt der Stadt Füssen. Abb. 7, 8: Huberta Weigl, Wien. Abb. 9: Repro nach Gerd Zimmermann (Hrsg.), Festschrift Ebrach 1127-1977, Volkach 1977. Schmid Abb. 2, 3, 4: Zentralinstitut für Kunstgeschichte München. Abb. 1, 5a, 5b, 6a, 6b, 7, 8, 9: Universitätsbibliothek Eichstätt. Stockinger Abb. 1: Augsburg, Haus der Bayerischen Geschichte (A. Voithenberg). Abb. 2-5: Stift Herzogenburg. Abb. 6: Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Wien. Telesko Abb. 1: Martin Mádl, Prag. Abb. 2-5: Werner Telesko, Archiv, Wien. Abbildungsnachweise 389 Weigl Abb. 1, 3-5, 7-10, 12-15, 18, 19, 21: Huberta Weigl, Wien. Abb. 2, 11: Archiv, Huberta Weigl, Wien. Abb. 6: Repro nach Leonore Pühringer-Zwanowetz, Matthias Steinl, Wien / München 1966. Abb. 16, 17: Stift Klosterneuburg. Abb. 20: Stift Lambach. Wojty a Abb. 1, 2, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 13: Repro / Foto Arkadiusz Wojty a. Abb. 3: Vojt 0 ch Sádlo, Kostel na Chlumu sv. Ma 3 í, in: Zprávy památkove pe 2 e, XIII (1958). Abb. 4: Vojt 0 ch Obereigner, Národní památkovy ústav, Prag. Abb. 9: Klara Garas, Franz Anton Maulbertsch (1724-1796), Budapest 1960. Abb. 12: Herder-Institut, Marburg. Autoren und Herausgeber Prof. Dr. Sibylle Appuhn-Radtke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, und apl. Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Anna Elisabeth Bauer M.A., München. Dr. Margrit Früh, Frauenfeld (Schweiz); ehemalige Direktorin des Historischen Museums des Kantons Thurgau. Mag. Michael Grünwald M.A., Göttweig / Wien; stv. Kustos der Graphischen Sammlung und Kunstsammlungen Stift Göttweig. Dr. Markwart Herzog, Direktor der Schwabenakademie Irsee. Dr. Wolfgang Jahn, Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg. Dr. Ulrich Knapp, Leonberg. Dr. Tobias Kunz, Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung. PhDr. Martin Mádl, Ph.D., Institut für Kunstgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prag. Anett Matl M.A., Fulda. Prof. Dr. Franz Matsche, Bischberg. Prof. Dr. Alois Schmid, Ludwig-Maximilians-Universität München. Mag. Thomas Stockinger, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Wien. Univ.-Doz. Dr. Werner Telesko, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. PhDr. Št 0 pán Vácha, Ph.D., Institut für Kunstgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prag. MMag. Dr. Huberta Weigl, Wien. Dr. Arkadiusz Wojtyła, Institut für Kunstgeschichte, Universität Breslau. Personenregister - A - Achert, Jakob Christoph: 325, 335 d’Achéry, Luc: 29f., 38 Adalbero: 51, 63, 124-126 Adalbert, Graf Huosi: 74f., 144 Adam von Ebrach: 157 Adelheid von Eppan: 76, 77 Adelheid von Frontenhausen- Lechsgemünd: 38 Adelheid von Megling: 77, 85-92 Agapitus von Praeneste: 295, 302, 309f., 312-314 Agnes von Böhmen: 270, 279, 287 Aigner, Honorius: 308 Alain von Auxerre: 187 Alberada von Vohburg: 137, 143 Alberich: 187, 192f., 199f. Albrecht I.: 123, 327, 331, 335 Albrecht II.: 327, 331 Albrecht von Bonstetten: 102 Albrecht, Benedikt: 76 Alexander III.: 195, 200 Alexander III.: 380 Alexander IV.: 121 Alexander VI.: 121 Alexander VII.: 40 Altmann von Passau: 60, 119, 121-133 Ammann, Heinrich: 141 Anastasia: 24 Andre Christoph von Aichburg: 34 Angermayer, Gerard: 377 Anianus: 90 Anna von Böhmen: 270, 287 Anselm II.: 340 Antecourt, Jean-Baptiste: 212 Anton III. von Montfort: 325 Antonius von Butrio: 178 Appiani, Joseph Ignaz: 343, 346-348 Arbeo von Freising: 236f. Aribo I.: 93 Arnold von St. Emmeram: 236f. Arnulf von Kärnten: 232, 246 Asam, Cosmas Damian: 77f., 228, 231, 233f. Asam, Egid Quirin: 228, 234 Asam, Hans Georg: 74f. Aspert: 234 Augustinus: 77, 82 Aurelia: 246 Avelloni, Danielo: 216 Azpilcueta, Martinus: 221 - B - Baader, Johann Baptist: 94f. Baader, Matthias: 93 Bacchini, Benedetto: 39 Backofen, Hans: 346 Bader, Simon: 333 Balbin, Bohuslaus: 382 Baldwin II.: 275 Bambacari, Caesar Nicolaus: 216 Barré, Joseph: 211, 221 Bartolus von Sassoferrato: 178f., 181 Basilius: 249, 261f. Bastian, Anton: 335 Bauch, Christian: 276 Baumeister, Gregor: 158 Bausch, Burkhard: 65 Beckovský, Jan: 274 Beduzzi, Antonio: 250f. Behr, Johann Georg: 382 Benedikt von Nursia: 14, 24, 56f., 74, 131, 141, 150, 187, 192, 195, 199f., 232, 234, 252, 254-264, 266, 294, 296, 302, 306, 309, 312, 374, 378 Benedikt XIV.: 222 Benz, Stefan: 21, 24, 26, 29, 63, 65 Berengar I. von Sulzbach: 85f., 88f. Bergmüller, Johann Georg: 152, 160f. Bernard, Jean-Baptiste: 211 Bernhard von Baden: 159 Personenregister 392 Bernhard von Clairvaux: 62, 185, 187f., 195f., 200, 335, 341, 346, 349f., 354, 356, 374, 378, 382, 384 Bernini, Gianlorenzo: 376 Berno von Ebrach: 152, 156f. Bero von Lenzburg: 102f. Berthold von Garsten: 132 Berthold von Ronsberg: 14, 17 Berthradis: 155 Besnecker, Hieronymus: 376 Bessel, Gottfried: 22, 32-34, 39, 60, 67, 122, 124 Beutler, Clemens: 294 Bevilacqua, Luigi: 312 Biet, René: 211 Blanchart, Fran ç ois: 211 Boethius: 309 Boissy, Gabriel de: 211 Bolland, Jean: 31 Bonanni, Filippo: 276, 278 Bonifaz IX.: 121f., 123 Bonschab, Ignaz: 84, 87-90 Boschius, Jacobus: 260, 267 Boso (Priester): 76, 234 Bosso, Matteo: 216 Botzenhardt, Hieronymus: 207 Boulart, Fran ç ois: 211 Bovin, Johannes: 211 Bozenhart, Hieronymus: 207 Božet 0 ch: 127 Braun, Matthias Bernard: 377 Brethe, Ludovicus le: 212 Broggio, Giulio: 369 Broggio, Octavio: 369, 374, 376 Brus, Anton: 271 Bruschius, Caspar: 13 Bucelin, Gabriel: 22, 40, 64f., 361, 364 Buechauer, Placidus: 314 Bürgisser, Leodegar: 27 Burkhardt, Joseph: 118 Bürkner, Simon: 337 - C - Callixtus II.: 327, 330 Calvi, Donato: 215f. Candida: 295, 312-314 Canevale, Marcantonio: 377 Canivez, Joseph M.: 385 Carolus Sölch von Seeon: 80 Carracci, Annibale: 121 Castelli, Giovanni: 132 Caulet, Etienne-Fran ç ois: 212 Chadalhoh: 123 Chaponel d’Antescourt, Raymond: 212 Chartonet, Anton Franciscus: 212 Chastenet, Léonard: 212 Chaubert, Louis: 212 Childerich III.: 246 Christina von Walberberg: 79 Cicero: 12, 260 Clemens XI.: 249, 329 Cletus: 274f. Collaert, Adriaen: 355 Corbellini, Giacomo Antonio: 375, 378 - D - Dalberg, Karl Theodor von: 317 Daneli, Aemilianus: 257, 260f. Decio, Filippo: 179 Degen, Nikolaus: 35f. Desnos, Nicolas: 212 Dientzenhofer, Johann Leonhard: 153 Dientzenhofer, Kilian Ignaz: 385 Dietmayr, Berthold: 249-251, 257- 264, 266f. Dionysius: 232 Dizent, Johannes: 128 Dlabacž, Johann Gottfried: 184 Dominikus: 98, 106, 112 Dorer, Euphemia: 358 Drentwett, Jonas: 116f. Duell, Raymundus: 168, 217 Dürer, Albrecht: 143 - E - Eberhard I. von Rohrdorf: 335 Eberhard von Salzburg: 79 Eberhard II. von Salzburg: 339 Eberwin von Rottenbuch: 85f., 92 Echard, Jacques: 210 Einhard: 149 Eleonore (Kaiserin): 308 Personenregister 393 Eliland: 24, 72 Elisabeth von Schöngau: 197 Emericus a Komarón: 313 Emmeram: 230, 236f., 246 Engelberg, Meinrad von: 47, 66 Engelbrecht, Christian: 259 Engelgrave, Henricus (Hendrik): 259 Engels, Heinrich: 351 Engilrich: 169-171, 173, 175, 177f. Erath, Augustin: 163-168, 172-174, 176-181 Erb, Anselm: 152 Erenbert II. Schrevogl: 295, 297, 306, 313 Ermiswint: 147 Ero von Armentaria: 99 Esterbauer, Balthasar: 138, 154 Eugen III, Papst: 151 Eugen III.: 195f., 200 Eva von Lüttich: 197f., 200 Eybelwieser, Johann Jakob: 287f. Eysner, Georg I.: 171 - F - Falkensteiner, Ämilian: 308 Faller, Matthias: 362f. Faure, Charles: 212 Felician: 309 Ferdinand I.: 317, 327 Ferdinand II.: 187, 329, 367, 381 Feuchtmayer, Franz Joseph: 323, 327 Feuchtmayer, Gervasius: 337 Feuchtmayer, Joseph Anton: 159, 337 Fibiger, Michael: 274-276, 278f. Fink, Heinrich: 335 Fischer von Erlach, Johann Bernhard: 342, 349f. Fischer, Joachim: 80, 82, 91 Forster, Frobenius: 226 Foulon, Joseph: 212 Fourier, Petrus: 222 Franz II Beer: 321 Fresacher, Eduardus Maria: 254 Friedrich der Sanfte: 327 Friedrich der Schöne: 327, 331 Friedrich I. Barbarossa: 49, 76, 156, 380 Friedrich II. von Schwaben: 123, 156f., 319 Friedrich III.: 171, 177, 179, 319, 368 Friedrich von Lothringen, Erzbischof von Mainz: 346f. Froben Christof von Zimmern: 324 Fromentii: 212 Fronteau, Jean: 212, 221 Frowin: 335, 337 Frueauf d.J., Rueland: 61 - G - Gabriel Melchior de Messey: 318 Galli, Antonio Andrea: 222 Gallner, Bonifaz: 249, 266f. Gallus: 74 Gamaches, É tienne-Simon de: 212 Garet, Joannes: 220 Gebhard: 124-126 Georg II. Kaisersberger: 317 Georg II. Mayr: 71 Gepeckh, Veit Adam von: 351 Gerhard von Clairvaux: 195 Germanus von Capua: 254 Gertrudis: 153, 156 Gessinger, Christoph: 325 Gillet, Louis-Joachim: 208, 212 Glöggl, Arsenius: 207 Godin, Anselm: 226, 228, 235-237 Gottfried von Bouillon: 275 Gottfried von Ronsberg: 14, 17 Gotthard (Bischof): 312 Gottschalk von Baumburg: 86, 92f. Gourdan, Simon: 217f. Gozzadini, Ludovico: 179 Grabenberger, Johann Bernhard: 126, 132 Gramer, Nicolaus: 307 Grange, Charles de la: 213 Gratian: 179 Gregor der Große: 252, 257, 263, 309 Gregor II. Heller: 129-131 Gregor VII.: 124, 127 Gregor XI.: 121 Personenregister 394 Gregor XIII.: 216 Gregor XV.: 29 Greiffenberg, Catharina Regina von: 266 Grundtner, Karl: 118 Gryphius, Andreas: 266 Gryphius, Christian: 276 Guibert von Nogent: 38 Guillery, Pierre: 213 Gumpenberg, Wilhelm: 382 Gunther (Sohn Tassilos III.): 51f., 61f., 234, 296f., 300f. Guntram von Adelsreute: 335, 339 Guzman, Don Gaspar de: 267 - H - Hackinger, Wolfgang I.: 171 Hadrian IV.: 279 Hager, Johann Chrysostomus: 207, 209 Haghen, Joannes Josephus: 214 Hahn, Franz Joseph von: 33 Halbax, Michael Wenzel: 125 Hanthaler, Chrysostomus: 33f. , 264- 267 Harding, Stephan: 187, 191, 199f. Härl, Virgil: 90 Harrach: 367 Hartmann von Göttweig: 122, 128, 133 Hartmann, Sigismund: 273 Hartwig von Salzburg: 84 Hefelin, Benedikt: 353f. Heinecke, Johann Michael: 176, 180 Heinrich II.: 75f., 96, 174, 232, 234, 246, 300-302 Heinrich IV.: 127, 146 Heinrich Markgraf von Ronsberg: 13- 15 Heinrich V.: 122, 132 Heinrich VII.: 146 Heinrich von Heiligenberg: 319 Heinrich II.: 49f. Heiss, Elias Christoph: 116f. Heisterbach, Heinrich von: 193f., 199 Helena: 275f., 278 Hemma: 246 Hencke, Peter Heinrich: 344 Henriquez, Chrisostom: 189, 192f., 197 Henschen, Gottfried: 40 Heraklius: 282f. Hermann von Vohburg: 137, 143 Hermann I.: 159 Hermann, Franz Georg: 137, 143-146, 159, 161 Hermann, Franz Ludwig: 55 Herrgott, Marquard: 65 Herrmann, Franz Anton: 344, 349f. Herrmann, Franz Ludwig: 363 Hiebeler, Hans Georg: 143 Hildebrandt, Johann Lucas von: 131 Hildegard: 146, 149, 151 Högl, Joachim: 80, 84 Hönel, Michael: 47f. Honorius III.: 98 Hötzendorfer, Johann Samuel: 124 Hrabišic, Slavko von: 379, 381 Hueber, Eugenius: 86 Hueber, Philibert: 63 Hugo I. von Werdenberg: 319 Hugo II. von Werdenberg: 319 Hugo von Tennenbach: 191 Hugo, Charles Louis: 40, 63 Hyrcanus, Johann: 275 - I - Idda: 102, 104 Ignatius von Loyola: 265 Innozenz II.: 121, 317 Innozenz III.: 377 Ivo: 187 - J - Jäger, Nikolaus: 344 Jakob von Wolfegg: 324 Jamard, Thomas: 213 Jaromir von Prag: 127 Jöcher, Christian Gottlieb: 209, 216, 218 Johann von Ypern: 174 Johannes Cirita von Taruca: 99 Johannes III. Fischer: 317 Personenregister 395 Jongelin, Gaspar: 189 Joseph I.: 168, 329f. Joseph II.: 39 Judas Makkabäus: 275 Judith von Pihartingen: 71f. Juliane von Lüttich: 197 Jung, Stephan I.: 339 - K - Ka 7 ka, Franz Maximilian: 377 Kaiser Friedrich III.: 122 Kapfing, Johann Franz Eckher von: 71 Karl der Große: 140-149, 151, 158, 232, 234, 300-302, 331 Karl Freiherr von Lamberg: 381 Karl Friedrich von Baden: 318 Karl IV.: 146, 335 Karl V.: 153, 327 Karl VI.: 154, 168, 325, 327, 329f. Kellerer, Liebhard: 79 Kendlbacher, Johann Eustachius: 76 Kern, Anton: 375 Kern, Benedikt: 377 Kilian, Bartholomäus: 104, 294, 306f. Klein, Wirnto: 135 Kleiner, Salomon: 133f. Klopstein, Gottfried: 134 Knecht, Frigdian: 34, 37, 56 Knedlseder, Placidus: 118 Knittel, Benedikt: 379f. Koloman: 263 Konrad I.: 33, 151 Konrad III. 156 Konrad III.: 153, 156f., 319, 327, 329f., 339 Konrad von Ensingen: 331 Konrad von Konstanz: 151 Konrad von Salzburg: 76 Konstantia von Böhmen (von Ungarn, später böhmische Königin): 274 Konstantin der Große: 275, 279-281, 287, 331 Kramolín, Josef: 185, 188, 199f., 380 Kraus, Johann Baptist: 225f., 228, 234- 237, 241, 247 Kropff, Martin: 260, 262 Kuen, Franz Anton: 374f. Kuen, Michael: 207-209 Kunigunde: 50, 75f. Kuno von Megling: 76f., 85 Kupelwieser, Leopold: 125 Küsel, Matthäus: 131f., 294, 313 - L - Lalemant, Pierre: 214, 221 Lamberg von Passau: 133 Lamberg, Johann Philipp Reichsgraf von: 118, 165f. Landfrid: 24, 72 Lankmaier, Anton: 336f. Lantz, Friedrich: 343 Lazius, Wolfgang: 172f., 178 Le Berger, Thomas: 211 Le Pelletier, Robert-Martin: 213 Leibniz, Gottfried Wilhelm: 176 Lelarge, Alain: 213 Leo III.: 147, 149, 232 Leonicenus, Desiderius: 204 Leopold I.: 22, 301, 304-310, 312, 329, 353 Leopold II.: 124, 127 Leopold III., Markgraf (Babenberger): 52f., 61, 131, 143 Leopold III., Erzherzog: 141-143 Leopold IV. von Bayern: 123 Lienhardt, Christoph: 321, 324 Liška, Johann Christoph: 184, 186, 375 Littwerig, Benedikt Simon: 368f., 371, 376, 382, 384 Lothar III.: 327, 329f. Ludovici, Ludwig: 153 Ludwig das Kind: 246 Ludwig der Bayer: 146, 154, 331 Ludwig der Deutsche: 246 Ludwig der Strenge: 51, 77f. Lughardt, Georg: 327 - M - Mabillon, Jean: 21, 30-33, 38, 40, 57, 71, 73f., 96, 174, 177, 180 Maffei, Timotheus: 222 Magnet, Ignaz Georg: 276, 278 Personenregister 396 Makarios: 275, 282 Mändl, Patritius: 38 Manilius, Marcus: 259 Mannagetta, Matthäus: 119f., 131f. Manner, Johann Georg: 272 Manrique, Angelo: 189, 192f., 195 Manuel: 153 Marchstaller, Hieronymus: 47 Marcquard: 146 Margareta von Antiochien: 82 Maria von Brabant: 77 Marini, Marcus: 216 Marinus: 90 Markus Sittich von Hohenems: 317 Marquart von Marquartstein: 85f., 88f. Marsollier, Jacques: 213 Martin von Polheim: 296 Massuet, René: 39 Mathey, Jean-Baptiste: 184, 377 Matthias I.: 327 Maulbertsch, Franz Anton: 282, 284 Maurus: 29 Maxentius: 279, 281, 283, 287f. Maximilian I.: 122, 319, 327, 331 Maximilian II.: 327 Mayr, Andreas: 38 Mayr, Berthold: 116, 118, 129 Mayr, Franz Alois: 80, 81 Mazzuchelli, Giammaria: 209 Meichelbeck, Georg: 72 Meichelbeck, Karl: 24, 26, 29, 32f., 39, 65, 71-74, 79 Menocchio, Giacomo: 178 Milhošt, Johannes: 367, 381 Mingarelli, Giovanni Luigi: 205, 216 Molinet, Claude du: 221 Molitor, Johann Peter: 377, 380 Montag, Eugen: 153 Morisi, Giovanni Antonio: 323 Müller, Frantz Anton: 185, 191, 193f., 196, 198-200 Müller, Franz Anton: 188 Munggenast, Joseph: 167 - N - Nagel, Philipp: 51 Necker, Paulus: 13, 17 Neß, Rupert II.: 146f., 149, 151f. Nickel, Leopold: 168, 176 Nikolaus III.: 121 Nikolaus V.: 121, 123 Noricus, Bernardus: 296 - O - Oatker: 74f. Odilo I. Eder: 134 Oefele, Andreas Felix von: 209, 215 Oexle, Caspar: 317, 318 Olmo, Valeriano: 215 Ospel, Anton Johann: 42, 44 Ostein, Johann Friedrich Carl von: 343, 346 Otkar (Oatker), Graf (Huosi): 144 Otmar: 74 Otto der Große: 331 Otto Herzog von Bayern und Schwaben: 76 Otto I.: 151 Otto III.: 168-179 Otto IV.: 93 Ottokar I.: 380 Ottokar I. P 3 emysl: 270, 279 Ottokar II. P 3 emysl: 123 Ovid: 259, 308 - P - Pachmayr, Marian: 295, 297, 308-310 Papebroch, Daniel: 31, 40, 174 Paprocký, Bartholomaeus: 272 Paschalis II.: 121, 123 Paßler, Jakob: 241, 243 Paul von Bernried: 364 Pawanger, Jakob: 43 Pendtner, Robert: 62 Pennotto, Gabriele: 209 Perronet, Joannes Paulus: 213 Petrus, Franz: 206f., 213 Pettinati, Jacob: 350 Personenregister 397 Pez, Bernhard: 22, 27, 29, 32f., 39f., 65-67, 167f., 176, 206, 259f., 262- 264, 267 Pfalzer, Johann Jakob: 128 Pfeffel d. Ä., Johann Andreas: 259 Philipp II.: 221 Piazol, Johann: 132f. Picinelli, Filippo: 163, 208 Pileus, Pietro: 271 Pilgrim von Passau: 165 Pingré, Guy: 210, 212, 221 Pink, Jakob Anton: 185-188, 190, 196, 198-200 Pippin I.: 139-142, 144-146 Pius VII.: 318 Placidus Buechauer: 300, 302 Placidus von Subiaco: 254, 256 Placidus: 300, 309 Plaichshirn, Gregor: 39 Pliemel, Adrianus: 251, 254 Plönstein, Matthias Helfried von: 166 Po, Pietro del: 121 Pontius, Paulus: 267 Poussemothe de l’Estoille, Petrus de: 213 Pozzo, Andrea: 376 Prandtauer, Jakob: 167 Prechler, Joseph Gottfried: 58 Prevost (Prevot), Claude: 213 Primus (Heiliger): 309 Prokop (Heiliger): 127 Prunner, Johann Michael: 228 - Q - Quétif, Jacques: 210 - R - Raimund (Heiliger): 99 Rainald: 192 Ramwold: 234, 246 Ranbeck, Aegidius: 108 Rastpichler, Vitus: 353 Reble, Gottlieb: 358 Reher, Pius: 27 Rehling, Angelus von: 32 Reiber, Joachim: 355 Reiner, Wenzel Lorenz: 375 Remy, Magnus: 13, 15 Rettenpacher, Simon: 293-297, 299, 301-306, 308, 310-316 Reusner, Nikolaus: 220f. Ribadeneira, Pedro de: 62 Riberolles, Gabriel de: 213 Richter, Edmund Johann: 374 Richwin: 153, 156f. Rieger, Oswald II.: 171f. Ripa, Cesare: 94 Robert Schlecht von Salem: 317 Roman von Quarient: 118 Rosini, Celso: 209 Rottmayr, Johann Michael: 249-257, 259, 263 Rubens, Peter Paul: 267 Ruckenbaum, Anton von: 167, 172 Rudmar: 123 Rudolf II.: 327 Rudolf I.: 319, 327, 331 Rueber, Donatus: 132 Ruysbroeck, Joannes: 218 - S - Sainctes, Claude de: 213 Sandrart, Joachim: 230 Sanlecque, Louis de: 213, 221 Santeul, Jean-Baptiste de: 213 Santeul, Joannes Baptist de: 221 Santini-Aichel, Giovanni B.: 385 Santini-Aichel, Johann Blasius: 184f., 199 Sartorius, Augustinus: 22, 62f., 79, 189, 191-193, 195, 197, 331, 368f., 371f., 374, 377, 381f. Schächtelin, Franziskus: 353, 358 Scheffler, Felix Anton: 83f., 91 Scheffler, Thomas Christian: 84 Schlecht, Daniel Joseph: 289 Schlegel, Franz Xaver: 134 Schmerling, Wilhelm: 173 Schmid, Peter: 55f. Schmidt, Martin Johann: 128, 133 Schmutzer, Johann Adam: 124 Schnepf, Benedikt: 294, 302, 306f., 315f. Personenregister 398 Schöfftlmair (Schoeftlmayer), Eberhard: 297, 301f. Scholastika: 132 Schönborn, Friedrich Karl von: 155 Schönborn, Johann Philipp von, Erzbischof von Mainz: 346 Schönborn, Lothar Franz von: 154 Schönleben, Bartholomäus: 120 Schramb, Anselm: 22, 63, 261-263 Schrödter, Theodor: 302 Schubart von Ehrenberg, Petrus: 259 Schweiger, Mauritius: 118 Scipio, Laurentius: 368 Scipio, Stevens von Laurentius: 368 Sebastian Graf von Pötting: 295f. Sebastian II. Eder: 120 Seiter, Daniel: 314 Sifried: 193 Sigismund von Schrattenbach: 80 Sigismund: 319, 335 Silach: 147, 151 Sizo: 84f. Škréta, Karel: 309 Sodt, Johann: 357 Sölch, Carolus: 80, 86 Söllner, Wilhelm: 137, 153-156 Solminihac, Alain de: 212, 223 Spaz, Johann Baptist: 52 Spaz, Johann Peter II: 298, 300, 302 Spiegler, Franz Joseph: 333f. Spinoza, Baruch de: 137f. Stauder, Franz Carl: 330, 333 Stauder, Jakob Karl: 147f. Steigenberger, Gerhoch: 94 Steiglehner, Cölestin: 227 Steinfels, Johann Jakob: 375 Steinl, Matthias: 53 Stengel, Karl: 60, 63 Stephan I.: 325f., 330f., 339 Stephan III. von C î teaux: 99 Stephanus (Erzmärtyrer): 312 Steyrer, Philipp Jakob: 55f., 159, 362- 364 Stoy, Celestin: 188 Straub, Johann Baptist: 140 Streler, Bernhard: 207 Sturm, Anton: 141 Suardi, Antonio: 208, 214 Sulger, Emanuel: 321 - T - Tagino: 234 Tarrisse, Grégoire: 26f. Tassilo III. von Bayern: 76, 95f., 296, 300-302 Tassilo: 51, 61 Testellete, Philiberte: 213 Theodbert (Sohn Tassilos III.): 296 Theodo von Bayern: 230 Theodosius: 331 Thoman, Johann Valentin: 343, 346f. Thomas von Kempen: 218 Thumb, Peter: 362 Töpsl, Franz: 94, 96, 228, 235 Trattner, Johann Thomas: 134 Troger, Meinrad: 353 Trombelli, Giovanni Chrysostomo: 208-210, 214, 216, 218f. Troyer, Andreas: 184 Troyer, Fortunat: 222 Tschudi, Aegidius: 26 Tudetius, Anton: 278 Tuto: 234, 246 Tyttl, Eugen: 184-188, 197, 199 - U - Ulrich von Augsburg: 151 Ulrich von Passau: 85, 88f. Umbach, Jonas: 104 Urban II.: 121-123 Urban IV.: 197f., 200 Urban VI.: 271, 339 Uta: 230 - V - Valle, Rolando della: 179 Varese, Ascanius: 222 Varese, Sebastianus: 222 Vau, Ludovicus de: 213 Vergil: 89 Vernazza, Battista: 221 Vespasian: 264 Personenregister 399 Vida, Marco Girolamo: 220f. Virgil von Salzburg: 76 Vizedom, Georg von: 47 Vladislav II.: 187, 192 Vogel, Franz Joseph: 359f. Vogl, Coelestin: 22, 26, 226, 237, 246 Vogler, Cölestin: 353 Vorster, Pelagius: 360 Vratislav II.: 127 - W - Walch, Joseph Anton: 141-143 Waldram: 24, 72 Waldstein, Johann Friedrich von: 273, 377 Waldstein, Johann Josef von: 377 Walter von Lengbach: 171-173, 179 Warmund: 246 Wasmutius, Georg: 187 Weigant, G. F.: 155 Weigel, Christoph: 116 Welcker, Malachias: 382 Welf IV.: 160 Welf VI.: 140, 142 Welf VII.: 140 Wentzinger, Johann Christian: 358 Wenzel I.: 282 Wertema, Josephus de: 258-262, 265 Weze, Johann III. von: 317 Widhalm, Maurus: 134 Wieland, Johann Georg: 323 Wilhelm von Hirsau: 234 Wilhelm von Maleval: 345f., 354-356, 360f. Willinger, Donatus: 295 Willmann, Michael Leopold: 375 Wimperger, Gregor: 308 Winterhalder d.J., Josef: 285 Wisinto: 296f. Wladislaw II.: 199 Wolfgang, Georg Andreas: 116 Wolfgang: 232, 246 Wülberz, Stanislaus: 358, 360, 362 Wurmbrandt, Johann Wilhelm von: 168, 176 - Z - Zanchi, Basilius: 215, 217, 223 Zanchi, Joannes Chrysostomus: 215 Zarrabini, Onophrius: 222 Zden 0 k: 271 Zeiller, Franz Anton: 149f. Zeiller, Johann Jakob: 149f. Zepf, Sebastian: 336f. Zick, Johann: 62 Zimmermann, Dominikus: 336 Zimmermann, Johann Baptist: 71f. Zirngibl, Roman: 236 Zobel, Elias: 147 Zürn d.J., Michael: 314