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Wie russische Kinder Deutsch lernen

2012
978-3-7720-5445-7
A. Francke Verlag 
Nataliya Soultanian

Die Mehrsprachigkeit im Kindesalter ist heute ein viel diskutiertes Thema in Politik, Medien und wissenschaftlichen Fachkreisen. Immer mehr Kinder wachsen zwei- oder mehrsprachig auf und erhalten damit die Chance mehrere Sprachen auf gutem funktionalem Niveau zu beherrschen. Allerdings müssen für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb besondere Kommunikationsbedingungen geschaffen und bestimmte Verhaltensweisen im Alltag etabliert werden. Dieses Buch führt auf leicht verständliche Weise in die wissenschaftlichen Grundlagen der Mehrsprachigkeit ein und erläutert optimale sozialen und kommunikative Bedingungen des Zweitspracherwerbs. Die konkreten Beispiele liegen im Bereich russisch-deutsch aufwachsender Kinder und deren institutionelle und familiäre Fördermöglichkeiten. Das Buch versteht sich auch als Ratgeber für Pädagogen, Erzieherinnen und Lehrer und möchte einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis kindlicher Spracherwerbsprozesse und zur systematischen Förderung russisch-deutsch aufwachsender Kinder leisten. Der Sprachförderansatz unterscheidet sich außerdem durch die besondere Betonung der Muttersprache, die, entgegen geläufiger Vorstellungen, auf keinen Fall vernachlässigt werden darf, und durch ein differenziertes Förderkonzept für beide Sprachen, anhand dessen eine erfolgreiche Förderung etabliert werden kann.

Wie russische Kinder Deutsch lernen Sprachförderung in der Familie und im Kindergarten Nataliya Soultanian Wie russische Kinder Deutsch lernen Nataliya Soultanian Wie russische Kinder Deutsch lernen Sprachförderung in der Familie und im Kindergarten Prof. Dr. Nataliya Soultanian ist Professorin an der SRH Hochschule Heidelberg, Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in the EU ISBN 978-3-7720-8445-4 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kapitel 1 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit: Einführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Kindliche Mehrsprachigkeit als gesellschaftliche Herausforderung und Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Wie stehen die Betroffenen selbst zur Zweisprachigkeit? . . . . . . . . . . 9 Einstellungen der Eltern zur institutionellen Förderung der Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Formen der Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Zweisprachigkeit - Balance zwischen beiden oder Dominanz der einen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Erwerbsszenarien: parallel oder nacheinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Zwei Wege zur Zweisprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Zur Begrifflichkeit der Sprachenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Erstsprache versus Muttersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Zweitsprache versus Umgebungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Die Rolle der Muttersprache beim Zweitspracherwerb . . . . . . . . . . . . . . 18 Die Muttersprache als Sprungbrett zum Erlernen weiterer Sprachen 18 Präsenz und Sichtbarmachung der Muttersprachen in Kindertageseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Erziehungspartnerschaft mit Eltern lohnt sich! . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Muttersprachen fördern in Familien: klar und konsequent . . . . . . . . 22 „Mama sprich bitte nur Deutsch mit mir! “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Sprachmischungen - sprachliche Alltagspraktiken von Zweisprachigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Code-switching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Interferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Sprachwechselstrategien beim Kind: Das nächste Umfeld ist prägend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 VI Inhalt Kapitel 2 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb - Was ist anders? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Kindlicher Spracherwerb - eine kurze Entwicklungsskizze . . . . . . . . . . 33 Die ersten Äußerungen … kontextgebunden und mehrdeutig . . . . . 34 Erwachsene führen Sprachregie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kindlicher Spracherwerb: Ein mehrstufiger Prozess . . . . . . . . . . . . . . 35 Der kindliche Zweitspracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Übergangsgrammatiken - unterwegs zur Zielsprache . . . . . . . . . . . . . 39 Erst- und Zweitspracherwerb - ähnliche Wege zum Ziel . . . . . . . . . . 40 Ausgewählte Beispiele für den Grammatikerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Das Erlernen von Fragestrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Verneinung - ich nicht sagen jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Wo kommt das Verb hin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Ein Kaktus - zwei Kaktusen, oder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 „Der“, „die“, „das“ - als Hemmer schnellen Deutscherwerbs . . . . . . . 43 Erst- und Zweitspracherwerb: Ähnlich und doch mit eigenem Entwicklungsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Wortschatzentwicklung im frühen Zweitspracherwerb . . . . . . . . . . . . . . 45 Erweiterung des Wortschatzes bei Zweisprachigen . . . . . . . . . . . . . . . 45 Der Wortschatz alleine reicht nicht aus! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? . . . . . . 47 Die sprachliche Umgebung des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Sprachverhalten von Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Sprachmischungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Sprachentwicklung von Simon im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . 50 Zweisprachige Zukunftsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Konsequenzen für die Praxis der Sprachförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kapitel 3 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Zweisprachige Erziehung in der Familie und wie sie am besten gelingt 57 Ohne Fleiß kein Preis oder: Ein paar Prinzipien müssen sein . . . . . . . . . 58 Brücken zur eigenen Kultur bauen - Eltern sind gefragt . . . . . . . . . . . . . 64 Motivationsstrategien zum Sprachwechsel - Ziel: ausbalancierte Zweisprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Gesprächsführung mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Der Kindergarten - Zusammenprall der Sprachkulturen im Kleinen . . . 70 Inhalt VII Kapitel 4 Umgang mit Medien in der Familie - Wissenswertes für die Eltern . . . . . 74 Mediennutzung von russischsprachigen Migranten . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Kindliche Mediennutzung: einige Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Eltern als Vorbilder des medialen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Kapitel 5 Interkulturelle Kommunikation russisch-deutsch „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen. . . . . . . . . 80 Das russische Alphabet: Buchstaben und Laute . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Einige Wortarten im Russischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Die Wortstellung im Russischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Der Wortschatz im Russischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Eine Auswahl an russischen Redewendungen für den pädagogischen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Russischsprachige in Deutschland: Wer sind sie? . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Familienleben und Erziehung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Institutionelle Vorschulbetreuung in der ehemaligen Sowjetunion . . 100 Feierliche Anlässe und religiöse Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Wie funktioniert die Kommunikation? Sprachrituale im russischsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Über das Russische der Russischsprachigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Wie es um die Spracherziehung in russischen Familien bestellt ist. . . . . 108 Die sprachliche Heterogenität der russisch-deutsch aufwachsenden Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Kapitel 6 Literalität als Zugang zur Schriftkultur und zum Literaturgut . . . . . . . . . . . 114 Die ersten Versuche mit der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Literalität in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 VIII Inhalt Kapitel 7 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? . . . . . 118 Gespräche gestalten, führen und fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Sprachförderung im Morgenkreis. Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Vorlesen und Bilderbuchbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Dialogisches Vorlesen - eine erfolgreiche Lesestrategie für den Kindergarten und zu Hause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Freies Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Empfehlungen für die Bücherwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Kapitel 8 Förderkonzept der ausgewogenen russisch-deutschen Zweisprachigkeit . 130 Leitgedanke und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Zusammenarbeit mit den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Einführender Elternabend zum Thema „Parallele Sprachförderung des Deutschen und des Russischen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Sprachförderkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Struktureller Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Inhaltlicher Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Einige methodische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Handreichungen für den Kindergarten und die Familie. . . . . . . . . . . . . . 147 Themenbereich 1: Ich und meine Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Themenbereich 2: Unser Kindergarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Themenbereich 3: Meine Familie und mein Zuhause . . . . . . . . . . . . . 149 Themenbereich 4: Tierwelt − Haustiere, Wildtiere, Vögel . . . . . . . . . 152 Themenbereich 5: Phantasiewelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Themenbereich 6: Urlaubsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Themenbereich 7: Jahreszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Themenbereich 8: Formen, Mengen und Eigenschaften . . . . . . . . . . 162 Themenbereich 9: Sport und gesunde Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . 166 Themenbereich 10: Meine Lieblingsmärchen und -geschichten . . . . 169 Spiel- und Beschäftigungsideen für den Kindergarten und die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Inhalt IX Kapitel 9 Ein kleines Schlussplädoyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . 179 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Erstspracherwerb/ Kindlicher Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Mehrsprachigkeit/ Interkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Sprachförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Russische Sprache und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Medien und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Empfohlene Literatur für die Eltern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Tabellen-, Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Empfohlene Links für Eltern und Pädagogen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Vorwort In diesem Buch dreht sich alles ums Sprachenlernen - um Arten der Zweisprachigkeit, um entscheidende Schritte im Spracherwerb, um förderliche Kommunikation und um direkte Sprachförderung. Sprache ist nicht nur die Grundlage aller menschlichen Kommunikation, sondern ebenso eine Grundlage für alle kognitiven Leistungen wie Lernen, analytisches Denken, komplexe Gedächtnisleistungen oder für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten. Ich werde deshalb versuchen, auf leicht zugängliche Weise, die Erwerbsverläufe im Zweitspracherwerb zu präsentieren, ohne dabei allzu viel linguistische Kenntnisse vorauszusetzen. Wer sich über die theoretischen Grundlagen informieren möchte und neugierig ist auf die sprachwissenchaftlichen Probleme der Mehrsprachigkeit, dem seien die ersten beiden Kapitel ans Herz gelegt. Es geht mir hier im Wesentlichen darum, Pädagogen und Eltern einige Strukturmomente unserer Sprachfähigkeit und deren Bedeutung für die Phasen der kindlichen Entwicklung zu vermitteln und sie dadurch für sprachbezogene Themen und sprachförderliches Verhalten zu sensibilisieren. Die praktisch Interessierten können gleich weiterblättern: in Kapitel 3 bis 8 informiere ich über den mehrsprachigen Alltag, vor allem bei russisch-deutsch aufwachsenden Kindern, mache anschaulich, welche kulturellen Besonderheiten es gibt und stelle dann zahlreiche Tipps und Fördervorschläge zusammen. So werden Empfehlungen und Beispiele gegeben, wie man den zweisprachigen Alltag mit Kindern förderlich und zugleich spannend gestalten kann und den Eltern durch zahlreiche Empfehlungen und Orientierungshilfen Wege gezeigt, wie Kinder in ihren zweisprachigen Kompetenzen gestärkt werden können. Die deutsch-russische Zweisprachigkeit bildet dabei das zentrale Beispiel für den Aufbau paralleler Sprachkompetenzen, da diese Kombination in Deutschland heute sehr vital und häufig als zweisprachige Sprachpraxis vertreten ist. Ein wesentliches Vorhaben ist dabei auch, den deutschen Pädagoginnen und Erzieherinnen die Gruppen der russischsprachigen Eltern näher vorzustellen und ihnen deren Sprache, Kultur, geschichtlichen Hintergrund näher zu bringen. Die anderen Lebenswelten kennen zu lernen, sie zu verstehen und sie anzuerkennen, ist die Basis für alle weiteren Kooperationsinitiativen und Bildungsprozesse in der pädagogischen Arbeit. Der Schwerpunkt liegt hierbei, wie gesagt, auf der Sprache. Was für eine strukturelle Beschaffenheit hat das Russische, welche systematischen Probleme gibt es beim Zweitspracherwerb 2 Vorwort in der Kombination Russisch-Deutsch, wie sieht das Familienleben und die Spracherziehung in russischsprachigen Familien aus? Auf diese Fragen möchte das Buch näher eingehen und dem Leser die Möglichkeit bieten, in die Welt des Russischen und der russischsprachigen Bevölkerungsteile in Deutschland einzutauchen. Dies scheint mir umso wichtiger, da die Gruppe der russischsprachigen Migranten mit ihrer Kultur, ihrer Einwanderungsgeschichte, ihren Verhaltensweisen im Alltag, ihren Erziehungsstilen und ihrem kulturellen Hintergrund hierzulande, auch in pädagogischen Fachkreisen, immer noch wenig bekannt zu sein scheint. Die Möglichkeiten gezielter Sprachförderung im Kita- und Familienalltag auf der Grundlage einer intensiven Zusammenarbeit zwischen den Familien und den vorschulischen Einrichtungen werden eingehend behandelt, außerdem wird ein interaktives Kommunikationskonzept vorgestellt, das in zehn thematische Bereiche untergliedert ist. Im Blick auf die Organisation der sprachstimulierenden Aktivitäten mit Kindern geht es darum, möglichst viele, die Themen und Interessen der Kinder betreffende Gesprächsanlässe zu schaffen, sie interaktiv zu gestalten und dabei selbst ein gutes Sprachvorbild zu sein. Das gilt für die einsprachige Entwicklung genauso wie für die parallele Sprachförderung. Das Deutsche kann im Kindergarten, das Russische durch die Eltern im familiären Bereich unterstützt und gefördert werden. Dieses komplexe Vorhaben kann aber nur dann erfolgversprechend sein, wenn Pädagogen und Eltern sich konsequent absprechen und an einem Strang ziehen! Auch die anderen sprachförderlichen Aktivitäten wie Vorlesen, Bilderbuchbetrachtung, freies Erzählen und die allgemeine Gesprächskultur mit Kindern werden vorgestellt, gerade weil sie so wenig Vorbereitung und Aufwand benötigen. Kinder können in jeder alltäglichen Situation, sei es zu Hause, sei es draußen, sei es in einer Einrichtung oder im Bekanntenkreis, ihre Sprachkompetenz üben und vervollkommnen. Sprachförderung erfolgt auch dann, wenn Erwachsene Kindern Geschichten erzählen, mit ihnen gemeinsam Bücher anschauen, mit ihnen visuell-sprachlich phantasieren, wenn Kinder beim Spielen mit Wörtern gezielt und kreativ unterstützt werden, wenn mit Sprache experimentiert und Phantasiewelten sprachlich ausgearbeitet werden. Ich hoffe, mit diesem Buch Pädagogen, Erziehern, Eltern und allen an dem „Wunder“ kindlichen Spracherwerbs Interessierten hilfreiche Einsichten zu präsentieren und praktische Empfehlungen geben zu können, die sie in ihrer alltäglichen Sprach- und Sprachförderpraxis leicht umsetzen können. Zuletzt möchte ich gerne all jenen danken, die mich bei Schreiben dieses Buches hilfreich unterstützt und beraten haben: zuerst Herrn Freudl, der dieses Buchprojekt initiiert und mich dabei sehr ermutigt hat, dann dem Lektor des Francke Verlags, Herrn Dr. Villhauer, für die konstruktive und angenehme Zusammenarbeit. Mein Dank gilt weiterhin dem ukrainischen Zeichner Mykola Dufynets, der mir für das Sprachförderkonzept eine Auswahl seiner Zeichnun- Vorwort 3 gen zur Verfügung gestellt hat. Mein besonderer Dank gilt schließlich meinem Mann, der mir mit zahlreichen Anregungen, konstruktiver Kritik und seiner stoischen Gelassenheit fortwährend zur Seite stand. Nataliya Soultanian Heidelberg, Januar 2012 Kapitel 1 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit: Einführende Überlegungen Kindliche Mehrsprachigkeit als gesellschaftliche Herausforderung und Bereicherung Die bildungspolitischen und gesellschaftlichen Bemühungen der letzten Jahre sind offensichtlich verstärkt auf eine Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus, auf eine angemessene Bildungsintegration von Zuwanderern, auf die strukturelle Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und, seit langem, auf eine Abschwächung sozialer Ungleichheiten im Bildungswesen gerichtet. All das steht in direktem Zusammenhang mit frühkindlicher Bildung und Erziehung, bzw. mit der Schlüsselrolle der Sprachkompetenz und der grundlegenden sprachlichen und schriftlichen Ausdrucksfähigkeit von Kindern. Die PISA-Studien dokumentierten ein allgemeines Absinken des Bildungsniveaus, besonders in den Bereichen sprachlichen und schriftsprachlichen Ausdrucks- und Differenzierungsvermögens. Welche zentrale Rolle hier eine professionalisierte frühkindliche Sprachförderung spielen kann, liegt auf der Hand. Sie legt den Grundstein für alle wesentlichen sozialen und kognitiven Kompetenzen, die für jeden weiteren Bildungsprozess, vor allem auch für Bildungsoffenheit und Bildungsmotivation, notwendig sind. Mehr Bildungsangebote im Elementarbereich als Grundlage von Chancengleichheit Deutschland ist eines der Länder mit der stärksten Zuwanderung weltweit, daher wird die Frage der Integration immer wichtiger. Integration aber bedeutet vor allem soziales und kulturelles Lernen auf der Grundlage von Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten. Hier wird offensichtlich, welche zentrale Rolle gerade die Sprachförderung spielt und zukünftig noch viel mehr spielen muss. Weiterhin erfordert der sich seit langem vollziehende demographische Wandel auch die schon so lange überfällige Realisierung einer „kinderfreundlichen, strukturell-rücksichtsvollen Gesellschaft“. Eine Gesellschaft, die einen wesentlichen Anteil ihrer Angehörigen allein auf die private familiäre Kindererziehung festlegt, wird zukünftig noch viel weniger Bestand haben als heute. Eine pro- 6 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit duktive und erfüllende Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit ist also, jenseits aktueller medienwirksamer Diskussionen, ein umfassendes gesellschaftliches Zukunftsprojekt, das ebenfalls den Ausbau professionalisierter Kinderbetreuung und frühkindlicher Förderung notwendig macht. Die Abmilderung der Auswirkungen sozialer Ungleichheit im Bildungswesen, auf der Grundlage von institutionalisierter Chancengleichheit, ist eine der ältesten und ehrwürdigsten Projekte der Bundesrepublik und westlicher Industriegesellschaften überhaupt. Es ist daher eine geradezu ironische Entwicklung, wenn zu Beginn der sich etablierenden „Wissensgesellschaft“ das Bildungsniveau insgesamt sinkt, die Schere zwischen unten und oben größer wird und die Integration sogenannter bildungsferner Schichten ein größeres Problem darstellt als je zuvor. Dass hier ein gut strukturiertes System frühkindlicher Bildungsangebote in Kooperation mit einer neu gestalteten Familienförderung entscheidende Veränderungen bewirken kann, ist offensichtlich. Eine umfassende, erfolgreiche frühkindliche Bildung stellt ein wichtiges Fundament, eine Voraussetzung zur Bewältigung dieser gesellschaftlichen Herausforderungen dar. Die Sprache und Sprachförderung nimmt in diesem Kontext eine zentrale Stellung ein, da sie für alle anderen Entwicklungs- und Bildungsbereiche die Grundlagen bereitstellt. Mehrsprachigkeit als alltägliche Kommunikationspraxis in Deutschland? Erst seit wenigen Jahren wird die stark monokulturelle und damit auch monolinguale Ausrichtung unserer Gesellschaft in politischen Debatten und fachlichen Diskussionen thematisiert und kritisch hinterfragt. Einsprachigkeit als kulturelle Selbstverständlichkeit hat historische Wurzeln und speist sich unter anderem aus der Idee des Nationalstaates, dessen konstituierendes Element gerade auch die sprachliche Identität ist (vgl. Roth 2008). Mittlerweile findet ein Umdenken statt, das sich darüber bewusst zu werden beginnt, dass Mehrsprachigkeit 1 zu den alltäglichen Kommunikationspraktiken und kulturellen Gegebenheiten unserer multiethnischen Gesellschaften gehört. Diese Thematisierung der Mehrsprachigkeit ist auch eine Folge der oft schlechten Sprachkompetenz bei Kindern mit Migrationshintergrund, die erst in der Schule offensichtlich wird und u. a. auch zum ersten großen „PISA-Schock“ führte, der die Bildungslandschaft in Deutschland in Aufruhr versetzte. Mangelnde Sprachkenntnisse im Deutschen stehen Kindern mit Migrationshintergrund immer noch im Weg, um bessere schulische Leistungen und bessere Bildungschancen nach der Schule erreichen zu können. Die grundlegende Bedeutung und Wichtigkeit von Mehrsprachigkeit ist in einer globalisierten Welt, in der die Hälfte der Weltbevölkerung zweisprachig ist, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das Beherrschen von zwei und mehr 1 Die Begriffe der Mehrsprachigkeit und Zweisprachigkeit werden hier synonym benutzt. Gesellschaftliche Herausforderung und Bereicherung 7 Sprachen eröffnet Wege zum leichteren Aufbau sozialer Kontakte, zur kulturübergreifenden Verständigung und zu besseren Chancen auf Arbeitsmärkten. Die Bildungsrichtlinien der Europäischen Kommission artikulieren ein deutliches Bestreben, Mehrsprachigkeit in Europa als einen Normalfall zu etablieren, was sich auch in Bemühungen äußert, jedem Bürger zusätzlich zu seiner Muttersprache, das frühzeitige Erlernen von weiteren Sprachen zu erleichtern (vgl. Triarchi-Herrmann 2003, Gogolin 2007, Esser 2008). Kindliche Mehrsprachigkeit - positiv und bereichernd für das Kind? Viele Eltern, die ihr Kind zweisprachig erziehen möchten, oder Eltern mit Migrationshintergrund, deren Situation auf Zweisprachigkeit angelegt ist, stellen sich die Frage, ob die Zweisprachigkeit die Entwicklung des Kindes fördert, verlangsamt oder sogar belastet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte unter Wissenschaftlern die Meinung vor, dass Zweisprachigkeit eine Gefahr nicht nur für die kognitive, sondern auch für die gesamte Entwicklung des Kindes darstelle, weil sich durch eine angebliche Überforderung keine der beiden Sprachen vollständig entwickeln würde. Durch zahlreiche wissenschaftliche Studien wurde aber seitdem klar belegt, dass das Erlernen von zwei und mehr Sprachen im Kindesalter bei einer normalen Gesamtentwicklung keine negativen Folgen hat. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es vereinzelte Fallstudien, die die positiven Aspekte der Zweisprachigkeit betonten. Hier sind Ronjat (1913), Stern/ Stern (1928) und Leopold (1949) zu nennen, die die sprachliche Entwicklung ihrer eigenen Kinder in Form von Tagebüchern jahrelang detailliert aufgezeichnet haben. Ein entscheidender Fortschritt in der Erforschung der Zweisprachigkeit ist aber späteren Längsschnittsstudien zu verdanken. Lambert (1972) hat im Rahmen einer differenzierten Längsschnittsuntersuchung den schulischen Erwerb des Französischen bei anglophonen Kindern untersucht und mit einer Kontrollgruppe von französischen Schulkindern verglichen. Seine Ergebnisse zeigten eindeutig höhere Testwerte in der allgemeinen Intelligenz, den schulischen Leistungen und der affektiven Entwicklung der anglophonen, also zweisprachig aufwachsenden Gruppe (vgl. Lambert 1972). Aus heutiger Sicht wird Zweisprachigkeit als kognitionsförderliche, individuelle Ressource, als positiv und bereichernd gesehen. Somit kann die Mehrsprachigkeit ohne Bedenken als eine „übliche Lebensform“ betrachtet werden (Schaner-Wolles 2007). Hinzu kommen positive Ergebnisse der Neurobiologie zum frühen Erlernen von Sprachen. Bei den Kindern, die von Geburt an mit zwei Sprachen aufwachsen, greift, wie wir heute wissen, das Gehirn bei beiden Sprachen auf die gleichen Areale und Verarbeitungsmechanismen zurück, während beim späteren Sprachlernen die früher und die später erlernte Sprache im Gehirn unterschiedlich repräsentiert werden. Die frühe Zweisprachigkeit bildet dadurch auch eine sehr gute Grundlage für den späteren Erwerb weiterer Sprachen. Zweisprachige 8 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Personen besitzen eine höhere metalinguistische Kompetenz. Sie können leichter als Einsprachige Sprachvergleiche ziehen, sind regelsensibler und besitzen allgemein eine gut ausgebildete und differenzierte Sprachwahrnehmung (vgl. Roth 2008). Die empirischen Forschungen und die neueren Erkenntnisse der Neurowissenschaften der letzten Jahrzehnte haben also das vormals negative Bild des zweisprachigen Aufwachsens geradezu auf den Kopf gestellt. Anstelle von Defiziten in der Entwicklung zeigt sich eher ein Spektrum an Vorteilen und förderlichen Grundlagen für weitere Lernprozesse. Mehrsprachige Familien - einsprachige Kindergärten Um Kinder mehrsprachig zu erziehen, muss man auch eine „mehrsprachige Lebensform“ praktizieren und fördern. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Meisel bemerkt treffend: „Wer Mehrsprachigkeit erreichen möchte, der muss aber auch Mehrsprachigkeit fördern. Sie darf folglich nicht nur als Übergangsphase zur deutschen Einsprachigkeit ausgenutzt werden. Dies würde eine Vergeudung der Lebenschancen von Individuen und einen unnötigen Verzicht auf gesellschaftliche Ressourcen bedeuten“ (Meisel 2003, 8). Damit zum mehrsprachigen Habitus zwei oder mehr Sprachen gehören, müssen diese als gleichwertig betrachtet und gleich wünschenswert angesehen und gefördert werden. In der elementarpädagogischen Praxis bringt diese Aufwertung der Zweisprachigkeit neue Herausforderungen, aber auch neue Arbeitsmethoden und Grundlagen für die Förderung der Kinder. Die Sprachbildung im Elementarbereich müsste dabei mehr Individualisierung erfahren, die individuelle Förderung jedes Kindes, besonders von Kindern mit Migrationshintergrund, müsste ausgehend von individuellen sprachlichen Ressourcen geplant werden. Wie erfolgreich diese sprachliche Bildung verläuft, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit die Familiensprachen in diesem Prozess berücksichtigt werden. Wie kann ein Kind selbst offen für seine Zweisprachigkeit sein, wenn seine nächste Umgebung im Kindergarten, in der es im Durchschnitt täglich 6 Stunden verbringt, keinerlei Interesse, geschweige Begeisterung für seine Familiensprache zeigt? Die Familiensprachen führen oft ein auf die innere Familie begrenztes Schattendasein. Die Vielfalt der mitgebrachten Muttersprachen müsste im pädagogischen Alltag mehr Aufwertung erfahren. Die Tatsache, dass immer mehr Kinder in bilingualen Familien aufwachsen oder ihre Eltern einen Migrationshintergrund mitbringen, müsste in pädagogischen Fachkreisen deutlicher vor Augen geführt werden. Durch die unterschiedlichen Lebensbedingungen, die auch stark von den sozioökonomischen Verhältnissen der Familien abhängig sind, hat man es mit verschiedenen mehrsprachigen Kommunikationsformen, mit unterschiedlichen Sprachpraktiken und Bildungsressourcen zu tun. Zur öffentlichen Anerkennung und dem Interesse an den Familiensprachen der Kinder gehört auch das professionelle Interesse von Kindheitspädagogen, eine interkulturelle und mehrsprachige Bildung zusammen mit den Familien zu Gesellschaftliche Herausforderung und Bereicherung 9 gestalten. Das pädagogische Ziel sollte sein, Kindern zu möglichst ausgeglichener Zweisprachigkeit zu verhelfen. Bildungsintegration in unserer Gesellschaft ist nicht mit Einsprachigkeit und rein deutscher Sprachkompetenz gleichzusetzen. Im Gegenteil: gesellschaftliche Integration gelingt nur auf Basis der Anerkennung von Herkunftskulturen, deren Basis die jeweilige Muttersprache darstellt. Gute Beispiele für die Förderung von Mehrsprachigkeit im Rahmen gesellschaftlicher Integration findet man beispielsweise in Kanada, wo ca. 60 % aller Kindergartenkinder aus Familien kommen, deren Muttersprache kein Englisch ist. Wie stehen die Betroffenen selbst zur Zweisprachigkeit? Ergebnisse einer Elternbefragung zur Zweisprachigkeit ihrer Kinder Bei einer von mir durchgeführten Befragung von russisch- und ukrainischsprachigen Familien 2 wurden zwei zentrale Aspekte thematisiert. Zum Einen wurden die Eltern gefragt, inwieweit es ihnen wichtig ist, dass ihre Kinder die Erstsprache beherrschen. Zum Anderen wurden ihre Erwartungen an die elementarpädagogischen Einrichtungen bezüglich einer Förderung von Zweisprachigkeit erfragt. Die Gruppe der Befragten war heterogen. In der Gruppe, die nach außen als „russischsprachig“ auftritt, lassen sich vier Untergruppen unterscheiden, die soziale, kulturelle, ökonomische und sprachbezogene Unterschiede aufweisen. Die erste Untergruppe bestand aus Russlanddeutschen, die bereits seit längerem in Deutschland leben. Die zweite Untergruppe wurde durch zweisprachige Familien, in denen ein Elternteil, meistens die Mutter, aus der Ukraine oder Russland stammt, vertreten, die dritte Untergruppe war durch so genannte Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion präsentiert, die vierte Untergruppe bestand meist aus ukrainischsprachigen Eltern. Muttersprache eröffnet den Zugang zu Kultur und Traditionen Die meisten Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder die Muttersprache lernen und auf gutem funktionalem Niveau kommunizieren können. Besonders wichtig ist für sie der Erhalt der Muttersprache zur Pflege von Familienbeziehungen im Heimatland. Die Bindung zur Heimat der Eltern und der dort meist lebenden Großeltern und Verwandten betrachten die Eltern als wichtige Ressource für die emotionale Stabilität der Kinder und als kulturelle Bereicherung für sie. Mit der Sprache des Landes verbinden sie verständlicherweise einen besseren 2 Im Rahmen der Elternbefragung wurden russisch- und ukrainischsprachige Familien aus dem Raum Heidelberg, Lörrach und Freiburg zu Ihren Einstellungen zur Förderung der Muttersprachen der Kinder interviewt. 10 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Zugang zu den kulturellen Wurzeln, der Geschichte und den Traditionen ihrer Heimat. Der familiäre Sprachgebrauch der Kinder Aus den Befragungen geht weiter deutlich hervor, dass der Sprachgebrauch der Kinder stark von der Sprachverteilung in der Familie abhängt. Entscheidend für den bevorzugten Gebrauch einer Sprache ist, ob die Kinder in bilingualen deutsch-russischen oder in monolingualen russischen Familien aufwachsen. In russischsprachigen Familien bevorzugen die Kinder erwartungsgemäß das Russische als Familiensprache, Russisch ist demzufolge ihre Muttersprache. In manchen Fällen 3 gebrauchen die Kinder sogar beim monolingualen russischen Habitus der Familie Deutsch als dominante Sprache. Die alltägliche Sprachpraxis zeigt somit, dass Kinder individuelle Sprechgewohnheiten und Präferenzen für die Sprachwahl in der familiären Situation entwickeln. In diesem Fall ist nicht die Sprache der Eltern, sondern die eigenen Sprachvorlieben und der Grad der Sprachbeherrschung des Deutschen bei den Kindern ausschlaggebend und leitend für die familiäre Kommunikation. Dies hängt sicherlich auch von den Erwerbsbedingungen, von dem Einreisealter des Kindes nach Deutschland und/ oder von der Intensität der sozialen Kontakte zu der deutschsprachigen Umgebung ab. Darüber hinaus haben die älteren Geschwister in der Familie eine Vorbildfunktion für die Sprachwahl der jüngeren Kinder. In den bilingualen Familien zeigt sich eine Tendenz zum Gebrauch des Deutschen oder beider Sprachen in der familiären Kommunikation. Das Russische wird in diesem Fall zur schwächeren Sprache. Die Zweisprachigkeit der Kinder wird bei den Eltern als eine günstige Grundlage für weiteres Fremdsprachenlernen gesehen, als ein hilfreiches „Hirntraining“ und eine Vorbereitung auf die Lernprozesse im schulischen Fremdsprachenunterricht oder auch als nützliche Ressource für das Berufsleben auf einem internationalisierten Arbeitsmarkt. Zu den geschätzten Vorteilen der Zweisprachigkeit gehören außerdem größere kognitive Flexibilität und eine sprachliche und kulturspezifische Vermittlungskompetenz der Kinder. Bei den befragten Eltern zeigt sich eine gewisse Gratwanderung in den Einstellungen zur familiären Spracherziehung. Einerseits ist es für die meisten von ihnen von großer Bedeutung, dass ihre Kinder Russisch bzw. Ukrainisch beherrschen, andererseits besteht eine gewisse Sorge, dass die Kinder im Kindergarten und später in der Schule Probleme in sprachlicher Hinsicht haben werden. Deshalb entscheiden sich mehr Eltern im familiären und umso mehr im öffentlichen Sprachgebrauch für die deutsche Sprache. Insgesamt tolerieren die Eltern aber die eigene Sprachwahl ihrer Kinder. 3 Bei sieben von 30 befragten Familien. Gesellschaftliche Herausforderung und Bereicherung 11 Aus der Befragung ging auch hervor, dass es in der gelebten Praxis verschiedene Arten der Zweisprachigkeit und Kombinationen für den Sprachgebrauch in der Familie gibt. Außerdem zeigten sich Unterschiede bei der funktionalen Sprachtrennung und der Intensität in der Benutzung der Muttersprache. Einstellungen der Eltern zur institutionellen Förderung der Mehrsprachigkeit Alle befragten Eltern wünschen sich, dass in den Kindertageseinrichtungen mehr über die kulturellen Hintergründe der Kinder, auch mittels Märchen und kulturtypischen Geschichten, erklärt wird und die Muttersprache der Kinder zum Thema und zum festen Bestandteil im pädagogischen Alltag gemacht wird. Nach Aussagen der Eltern ist der Kindergarten zu 100 % deutsch, der absolute Funktionsverlust der Muttersprachen im öffentlichen Leben wird damit bestätigt. Die Muttersprachen der Kinder bleiben in der Öffentlichkeit „außen vor“ Die zweisprachige Erziehung wird allein durch Eigeninitiative der Eltern unterstützt. Die Kindertageseinrichtungen zeigen häufig wenig Öffnung für konkrete Auseinandersetzung und einem Einbeziehen anderer Kulturen. Das kindliche Selbstbewusstsein bezüglich der eigenen Zweisprachigkeit könnte durch Kindertageseinrichtungen deutlich mehr gestärkt und als kognitive Ressource aufgewertet werden. Stark ist im öffentlichen Denken auch die Teilung zwischen den Sprachen mit hohem und mit niedrigem Prestige und gesellschaftlichem Status verankert. Letztere werden als unbedeutend und, laut Aussage vieler Eltern, als „komisch“ empfunden. Damit wird dem Kind von Anfang an eine negative Einstellung zur Zweisprachigkeit vermittelt. Zweisprachigkeit wird hingegen gefördert, wenn es um „europäische Weltsprachen“ geht, wie Englisch oder Französisch. Diejenigen Erstsprachen, die in Deutschland in den geläufigen Stereotypen mit niedrigem sozialem und wirtschaftlichem Status verbunden werden, werden kaum unterstützt. Die befragten Eltern wünschen sich, stärker in die Arbeit der Einrichtung einbezogen zu werden, um dadurch ihr Interesse an den Bildungsprozessen ihrer Kinder zum Ausdruck bringen und aktiv mitwirken zu können. Von diesen aktiven elterlichen Angeboten wird offensichtlich zu wenig Gebrauch gemacht. Insgesamt äußerten die Eltern keine hohen Erwartungen bezüglich der institutionellen Förderung der Zweisprachigkeit, auch im Hinblick auf die begrenzten personellen, finanziellen und anderen Ressourcen der Kindertageseinrichtungen. Einigkeit herrscht darüber, dass zusätzliche Bildungsstrukturen, die die Förderung der Muttersprachen institutionell ermöglichen würden, weitgehend fehlen. Ein Thema für russischsprachige Eltern ist auch der Dialektgebrauch der Erzieherinnen. Sie sehen diese Frage problematisch, abgesehen davon, dass 12 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit manche Eltern Dialekt nicht gut verstehen. Sie meinen, dass die Kinder Hochdeutsch lernen sollten, zeigen aber Ängste, diese Frage mit dem Fachpersonal näher zu thematisieren. Verschiedene pädagogische Konzepte, wie z. B. das offene Betreuungskonzept, ist für manche Eltern unverständlich und unübersichtlich bzw. der pädagogische Wert nicht nachvollziehbar. Diese kurze Darstellung der Ergebnisse einer Elternbefragung zeigt, dass im Bereich der interkulturellen Erziehung, der Förderung von Zweisprachigkeit und der Kooperation mit Migranteneltern durchaus noch manches verbessert werden könnte. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den Fragen der Wertschätzung, Respektierung und Integration der vertretenen Muttersprachen in der Einrichtung könnte zum Ansatz einer wirklichen interkulturellen Öffnung werden. Mehrsprachigkeit stellt generell eine immense Bildungsressource dar. Je früher die Kinder mit mehreren Sprachen konfrontiert werden, desto positiver verläuft die Entwicklung ihrer sprachlichen, kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen insgesamt. Formen der Mehrsprachigkeit Viele Kinder wachsen weltweit von Geburt an mit zwei oder mehreren Sprachen auf oder lernen mehrere Sprachen in frühem Kindesalter. Hier wird die individuelle kindliche Mehrsprachigkeit angesprochen, im Unterschied zur gesellschaftlichen, institutionellen oder territorialen Mehrsprachigkeit (Riehl 2006, Olariu 2007, Tracy 2009). Der Erwerb der individuellen Mehrsprachigkeit im Kindesalter kann bezüglich des Sprachgebrauchs sehr unterschiedlich verlaufen. Je nach Person, Ort, Situation oder Thema wählt das Kind die eine oder andere Sprache und kann zwischen beiden Sprachen „umschalten“. Je nach Gebrauchshäufigkeit einer Sprache kommt es in verschiedenen Lebensphasen zur Ausbildung einer schwachen und einer starken Sprache, deren Gewichtung im Laufe der Zeit variieren kann. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund dominiert bis zum Eintritt in den Kindergarten natürlicherweise erst die Familiensprache, ab dem 3. Lebensjahr nimmt die Rolle der Umgebungssprache mehr und mehr zu und mit Zunahme an sozialen Kontakten wird die Umgebungssprache auch zur starken Sprache. So wird ersichtlich, dass die Mehrsprachigkeit kein statisches Produkt, sondern sehr dynamisch und veränderlich ist. Die Sprachkompetenz in einer Sprache kann sich erweitern, die in der anderen Sprache dagegen zurückgehen oder sich in beiden Sprachen parallel weiterentwickeln. Formen der Mehrsprachigkeit 13 Zweisprachigkeit - Balance zwischen beiden oder Dominanz der einen Sprache Eine Umgewichtung der beiden Sprachen kann sich im Kindesalter schnell vollziehen, die zum Abbau oder sogar zum Verlust der Sprache, in der Fachliteratur unter dem Begriff „Sprachattrition“ oder „Sprachkorrosion“ bekannt, führt. In einer Studie, in der ich drei russischsprachige Kinder über einen Zeitraum von 15 Monaten in ihrer Sprachentwicklung begleitet habe, wurde diese Dynamik in der Sprachenverteilung ersichtlich. Zu Beginn des Kontaktes mit den Kindern 4 war das Russische bei ihnen fast die einzige Sprache der alltäglichen Kommunikation. Die Kinder haben sich natürlicherweise geweigert, mit mir Deutsch zu sprechen. In den letzten zwei Monaten der Beobachtung haben die Kinder automatisch die Sprache des Gesprächspartners, Deutsch, übernommen. Mit zunehmendem Alter rückte das Russische mehr und mehr in den Hintergrund und wurde von den Kindern nicht mehr „freiwillig“ als Sprache ihrer Kommunikation gewählt. Wenn man Zweisprachigkeit näher definieren möchte, bemerkt man schnell, dass sie sich eher selten durch eine perfekte Beherrschung zweier oder mehrerer Sprachen bestimmen lässt. Mehrsprachig wird man dann, wenn man beide Sprachen auf einem guten funktionalen Niveau beherrschen lernt und in Gesprächssituationen je nach Gegebenheiten zwischen den Sprachen umschalten kann. Das Ziel der mehrsprachigen Erziehung im Vorschulalter ist eine solche ausgewogene Sprachkompetenz in beiden Sprachen. Metaphorisch kann man die Zweisprachigkeit als Ebbe und Flut bezeichnen, die in einem Gezeitensystem ineinander übergehen, mal gegeneinander drängen, mal sich ergänzen und unterstützen. Ausschlaggebend sind dabei die soziale Umgebung und der Erwerbsrahmen für beide Sprachen. Für den erfolgreichen Erwerb mehrerer Sprachen kommt es auf die Erwerbsbedingungen an, die sehr unterschiedlich ausfallen können. Hier sind folgende Aspekte relevant: • Alter des Kindes beim Erstkontakt mit der Sprache • Dauer des Erwerbs • Qualität und Quantität des Inputs • Intensität des Sprachgebrauchs in und außerhalb der Familie, im Kindergarten • Sprachenverteilung und somit die Art der Vermittlung der Sprachen • Lebensweltliche Bedeutsamkeit und das Prestige der Sprachen. 4 Zwei Kinder waren zu Beginn der Beobachtung 3 Jahre und ein Kind 4 Jahre alt. 14 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Erwerbsszenarien: parallel oder nacheinander In der Fachliteratur wird bei der Unterscheidung von verschiedenen Formen der Mehrsprachigkeit das Alter der Kinder als entscheidendes Kriterium genannt (vgl. Dittmann 2002, Szagun 2010). Wir sprechen hier entweder von simultaner oder von sukzessiver Zweisprachigkeit. Simultane Zweisprachigkeit Mit simultaner Zweisprachigkeit ist die Erwerbssituation gemeint, bei der beide Sprachen parallel, im günstigsten Fall von Geburt an, erworben werden. Das ist in den bilingualen Familien der Fall, in denen ein Elternteil Deutsch repräsentiert, der andere Elternteil aber eine andere Muttersprache spricht. Dieser doppelte Erstspracherwerb kann unter verschiedenen familiären Bedingungen ablaufen. Häufig ist es der Fall, dass die Eltern verschiedene Sprachen sprechen, so erwirbt das Kind von Geburt an zwei Sprachen, z. B. deutsch und russisch. Es kann aber auch sein, dass in der Familie eine Sprache und in der Umgebung eine andere gesprochen wird. Das ist der Fall, wenn das Kind beispielsweise in einer russischsprachigen Familie aufwächst, wo beide Elternteile mit dem Kind russisch sprechen und die Sprache der Umgebung Deutsch ist und das Kind von früh an eine Krippe besucht. Studien zur Spracherwerbsforschung belegen, dass die zweisprachig aufwachsenden Kinder sehr früh beide Sprachen auseinander halten können, wobei es zum parallelen Gebrauch von beiden Sprachen kommt. Eine Sprache kann sich auch schneller und die andere langsamer entwickeln. Dies hängt sicherlich vom sprachlichen Umfeld in beiden Sprachen und von den Erfahrungen des Kindes in der Kommunikation mit den zweisprachigen Sprechern ab. Wenn Kinder merken, dass sie in einer Sprache gut verstanden werden, entfällt für sie die Notwendigkeit zwischen den Sprachen zu wechseln. Die hier an verschiedenen Stellen erwähnten unterschiedlichen Rahmenbedingungen beim bilingualen Erwerb, wie Quantität und Qualität des Inputs, das Sprachverhalten der nächsten Umgebung, die Möglichkeit und Notwendigkeit beide Sprachen abwechselnd zu sprechen - all das trägt dazu bei, dass die Kinder ihre Sprechvorlieben und Sprechstile individuell entwickeln. Sukzessive Zweisprachigkeit Bei sukzessiver Zweisprachigkeit wird eine zweite Sprache nach der ersten erworben, wenn eine Sprache sich in groben Zügen bereits entwickelt hat. In diesem Fall ist der Zweitspracherwerb dadurch gekennzeichnet, dass er nicht mit der Geburt, sondern erst später, mit ca. 3 Jahren bei Eintritt in den Kindergarten, beginnt. Sukzessive Zweisprachigkeit liegt vor, wenn das Kind beispielsweise in einer russischsprachigen Familie aufwächst, in der beide Elternteile rus- Formen der Mehrsprachigkeit 15 sisch sprechen und die Sprache der Umgebung Deutsch ist. Das Kind bekommt erst mit dem dritten Lebensjahr durch den Kindergartenbesuch regelmäßigen Kontakt zum Deutschen. Das dritte Lebensjahr wird als Einschnittstelle für die Unterscheidung verschiedener Formen der Zweisprachigkeit eingesetzt, da in Deutschland an diesem Alter entlang die Alterszuordnung für unterschiedliche institutionelle Kinderbetreuungen (Krippe - Kindergarten) verläuft. Die Kinder, die in der Familie eine andere Sprache als Deutsch sprechen, werden erst ab diesem Alter regelmäßig mit der deutschen Sprache konfrontiert. In der Spracherwerbsforschung ist auch die Fortsetzung der Mehrsprachigkeit im schulischen Bereich von großem wissenschaftlichem Interesse. Im Schulalter ist es offen, inwieweit die Kinder in beiden Sprachen alphabetisiert werden und wie gut die mehrsprachig aufwachsenden Kinder im späteren Leben die Schriftsprache beherrschen. Viele Kinder mit Migrationshintergrund, die in Deutschland aufwachsen, behalten ihre „schwachen“ Sprachen nur auf der mündlichen Ebene. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass im schulischen Bildungssystem die schriftliche Mehrsprachigkeit keine weitere Unterstützung erfährt, geschweige denn im Curriculum fest verankert ist. So hängt der Erfolg des Schriftspracherwerbs in der Familiensprache von den Bemühungen und der Förderung der Eltern ab. Viele Eltern versuchen durch zusätzliche Bildungsangebote, Eigeninitiativen oder Vereine ihren Kindern den Schriftspracherwerb auch in den Muttersprachen zu ermöglichen. Zwei Wege zur Zweisprachigkeit Ein weiteres Kriterium für die Unterscheidung der Zweisprachigkeitsformen ist die Art und Weise, wie beide Sprachen erlernt werden. Werden die Sprachen ohne Anleitung und pädagogische Steuerung erlernt, sprechen wir von natürlicher Zweisprachigkeit. Das Kind wächst in einer natürlichen sprachlichen Umgebung auf und hört diese Sprachen von den Muttersprachlern. Im Gegensatz dazu steht die gesteuerte Zweisprachigkeit. Eine weitere Sprache wird im Unterricht, durch bewusstes Erlernen von Regeln und Wörtern erworben, wenn die Kinder ihre ersten Erfahrungen mit Deutsch in der Schule machen. Wenn man die Vielfalt der Biographien der zugewanderten Kinder in Deutschland berücksichtigt, kann man die natürliche und die gesteuerte Zweisprachigkeit nicht strikt voneinander trennen. Wenn die Kinder erst mit 5 Jahren nach Deutschland kommen, lernen sie Deutsch sowohl in der natürlichen Umgebung als auch im gesteuerten Schulunterricht. Auf jeden Fall ist es von Vorteil, möglichst früh mit dem Erwerb beider Sprachen zu beginnen. Es gibt auch verschiedene „Einstiegsmöglichkeiten“ in die Mehrsprachigkeit, denen verschiedene Erwerbsrahmenbedingungen zugrunde liegen. Festzuhalten ist, dass sich die Szenarien für den Erwerb mehrerer Sprachen sehr individuell gestalten und von einem Bündel an sozialen, institutionellen und individuellen Faktoren abhängen. 16 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Zur Begrifflichkeit der Sprachenverteilung In der Fachliteratur und in verschiedenen Medien kommen im Zusammenhang mit der Mehrsprachigkeit verschiedene Bezeichnungen vor, um die eine oder andere Sprache zu markieren. Für die deutsche Sprache werden Begriffe wie Zweitsprache, Mehrheits- und Umgebungssprache benutzt. Die Muttersprache wird als Erstsprache, Familiensprache und Minderheitssprache bezeichnet. Deshalb hier zu Beginn einige begriffliche Klärungen. Erstsprache versus Muttersprache Mit der Erstsprache ist die Sprache gemeint, die das Kind als erstes hört und lernt, also mit ihr in engen Kontakt kommt. Diese Sprache wird als erste erworben. Das kann die Familiensprache oder die Sprache der Mutter sein. Gebräuchlich sind auch andere Bezeichnungen für die Sprache, die zuerst, meistens von den nächsten Bezugspersonen wie der Mutter und/ oder dem Vater, vermittelt wird. Hier nenne ich nur einige davon: Herkunftssprache, Minderheitssprache oder Familiensprache. Der Begriff „Erstsprache“ scheint im Gegensatz zum Begriff „Muttersprache“ neutraler und nicht mit den soziokulturellen und emotionalen Konnotationen besetzt zu sein. Hingegen setzt der Begriff „Muttersprache“ bestimmte Merkmale voraus. Ist die Muttersprache die Sprache der Mutter oder die zuerst gehörte Sprache oder die Sprache der Heimat und die der Kindheit? Muss die durch diese Merkmale definierte Muttersprache eine starke Sprache des Kindes bleiben? Diese Fragen sind nicht allgemein zu beantworten. Am Beispiel meines eigenen Kindes, das zweisprachig aufwächst, lässt sich nur schwer bestimmen, welche Sprache (Deutsch oder Ukrainisch) welchen Status hat. Sein aktueller Sprachstand mit 3 Jahren und 8 Monaten ist, dass Deutsch bei ihm dominiert und folglich in den meisten kommunikativen Situationen bevorzugt wird. Und dies, obwohl ich mit ihm von Geburt an ausschließlich Ukrainisch spreche. Welches ist nun die Muttersprache? Hier würde ich sagen, dass Deutsch seine Muttersprache ist, ausgehend von folgenden Kriterien: Sprachbeherrschungsgrad, Gebrauchsintensität der Sprache und die persönlichen Prioritäten bei der Sprachenwahl. In allen drei Fällen ist dies die deutsche Sprache. Hier würde ich eher eine Unterscheidung entlang der aktiven Sprachproduktion, der Sprachwahrnehmung und Sprachperzeption ziehen. Ukrainisch ist hier die Erstsprache im Sinne der Sprachwahrnehmung, Deutsch die Zweitsprache im Sinne der Sprachperzeption, die Erstsprache im Sinne der Sprachproduktion. Die Erstsprache kann entsprechend die vom Kind zuerst gehörte Sprache sein, im weiteren Entwicklungsverlauf wohl aber nicht die am besten beherrschte. Die Muttersprache beinhaltet zusätzlich den Sprachbeherrschungsgrad, d. h. dass sie die Sprache ist, die am besten beherrscht wird. Begrifflichkeit der Sprachenverteilung 17 Im Weiteren werde ich beide Begriffe - „Erstsprache“ und „Muttersprache“ - verwenden und meine damit die Sprache der Eltern, die vorwiegend in familiärer Umgebung mit unterschiedlicher Intensität von ihren Trägern gesprochen wird (vgl. Oksaar 2003, 13f.). Zweitsprache versus Umgebungssprache Beim Begriff „Zweitsprache“ ist die Palette an Interpretationsmöglichkeiten groß. Die Zweitsprache wird in der Erwerbsreihenfolge als die Sprache gesehen, die nach der Erstsprache erworben wird. Der Begriff kann aber auch auf die Umgebungssprache verweisen, die im Land gesprochen wird. Bei der Abgrenzung der Zweitsprache von einer „Fremdsprache“ ist das Kriterium der Erwerbsart wichtig. Die Zweitsprache wird in der natürlichen Umgebung erlernt, ohne gesteuerten Schulunterricht, wie dies bei der Fremdsprache gewöhnlich gerade nicht der Fall ist. Die Zweitsprache kann parallel zur Erstsprache erworben werden, dann sprechen wir vom doppelten oder simultanen Erstspracherwerb. Sie kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt erworben werden, beispielsweise nach dem Eintritt in den Kindergarten. Die Kinder zeigen bei der Sprachaneignung je verschiedenes Sprachverhalten, Sprachverständnis und am Ende verschiedene Sprachbeherrschungsgrade in beiden Sprachen. Abhängig ist dies vom soziokulturellen Rahmen und von den Erwerbsbedingungen. Hier muss der Kontaktbeginn und die Kontaktdauer mit beiden Sprachen und die Tatsache berücksichtigt werden, ob die Sprachen nacheinander oder parallel erworben werden. Unabhängig von der begrifflichen Klärung bezüglich der Sprachtypen, ist die Frage der Verwendungshäufigkeit beider Sprachen und die Umgewichtung, die beide Sprachen bis zur Einschulung erfahren können. Es geht hier um dominante und nicht-dominante Sprache oder schwache und starke Sprache. Die Verwendungsbereiche beider Sprachen können stark personen-, situations-, themen- und ortsbezogen bestimmt sein. Die eine Sprache wird ausschließlich mit der Mutter, dem Vater oder beiden Eltern gesprochen, die andere kann als Verkehrssprache nach außen verwendet werden. Die Erstsprache des Kindes kann zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel bis zum Eintritt in den Kindergarten, als dominant und stark auftreten, nach dem Kindergarteneintritt gewinnt die Zweitsprache mehr an Bedeutung und kann sich mit der Zeit, durch Zunahme an sozialen Kontakten, zur starken Sprache des Kindes entwickelt. Die Erstsprache rückt so auf die zweite Stelle und ihr funktionaler Gebrauch kann auf einzelne, besondere Situationen reduziert werden. 18 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Die Rolle der Muttersprache beim Zweitspracherwerb Aus der einschlägigen Literatur wissen wir, dass die Erstsprache ein Fundament für den Erwerb weiterer Sprachen dargestellt. Es liegen bereits Ergebnisse aus der Spracherwerbsforschung vor, die zeigen, dass die Erstsprache das Erlernen der Zweitsprache nicht behindert und das Beherrschen von mehr als einer Sprache keine Überforderung für die Kinder ist (Franceschini 2006, Tracy 2008). Die Studien, in denen die Rolle der Sprachkompetenz in der Erstsprache für den Zweitspracherwerb näher untersucht wurde, zeigen eine Korrelation zwischen der Erstsprachkompetenz und dem Beherrschungsgrad der Zweitsprache. Die Kinder mit gut entwickelter Erstsprache besitzen einen größeren Wortschatz und durchlaufen die grammatischen Entwicklungsabschnitte in der Zweitsprache schneller (vgl. Apeltauer 2003, 2007). Auch liefert eine Schweizer Studien zur Sprachförderung der Erst- und Zweitsprache vor der Einschulung Belege dafür, dass die Kinder, bei denen die Erstsprache gefördert wurde, einen besser ausgebauten Wortschatz, bessere phonologische Bewusstheit und bessere Ergebnisse beim Lesen zeigen (vgl. Moser 2008, 37). Deswegen ist es von großer Bedeutung, dass der Erstspracherwerb mit dem Eintritt in den Kindergarten bei Kindern mit Migrationshintergrund nicht unterbrochen wird und die Kinder weiterhin genügend Sprachanregung in beiden Sprachen erhalten. Die Muttersprache als Sprungbrett zum Erlernen weiterer Sprachen Die Muttersprache 5 ist die wichtigste Lerngrundlage beim Erwerb einer zweiten Sprache. Ihre kontinuierliche Entwicklung begünstigt den Einstieg und die Entwicklung der Zweitsprache und schafft eine emotional stabile Voraussetzung für den Erwerb weiterer Sprachen. Die Denkstrukturen und ihr sprachlicher Ausdruck in der Erstsprache stellen eine kognitive und strukturelle Grundlage für den Erwerb einer zweiten Sprache dar. Nach dem Erwerbsbeginn einer zweiten Sprache ist es wichtig, die Erstsprache möglichst auf allen Ebenen weiter zu fördern. Wissenschaftler betonen, dass der konsequente Gebrauch der Muttersprache in der Familie nicht nur zur sprachlichen Entwicklung insgesamt, sondern auch zur emotionalen und motivationalen Stabilität des Kindes beiträgt (vgl. Gogolin 2004, Oksaar 2003). In einer Untersuchung zum Zweitspracherwerb konnte überzeugend nachgewiesen werden, dass in Familien, in denen eine fehlerhafte Herkunftssprache gesprochen wurde, bei Kindern sprachliche und emotionale Probleme auftraten. Mit anderen Worten: das Fehlen der durch einer von den Eltern hergestellten sprachlichen Geborgenheit beeinträchtigt die kindlichen Entwicklungsprozesse insgesamt (Oksaar 2003, 159). 5 Hier werden die Begriffe „Muttersprache“ und „Erstsprache“ synonym gebraucht. Die Muttersprache als Sprache der Eltern ist in der Regel die erste Sprache, der das Kind mindestens in den ersten Lebensjahren intensiv ausgesetzt ist. Rolle der Muttersprache 19 Mit dem Einstieg des Kindes in den Kindergarten sollte die Förderung der Muttersprache also auf keinen Fall unterbrochen werden. Hier stehen die Eltern vor der wichtigen Aufgabe, die Sprachförderung in der Muttersprache konsequent weiter zu unterstützen. Vor dem Hintergrund unseres Wissens über diese fundierende und identitätsstiftende Rolle der Muttersprache - Wissenschaftler sprechen hier auch von Identitätskonzepten, die stark durch die Sprache bestimmt werden - könnte man auf bildungspolitischer Ebene eigentlich konkrete Handlungsschritte in Richtung einer integrierten Förderung des Deutschen und der jeweiligen Muttersprachen erwarten. Neuere Forschungen zeigen allerdings, dass viele Herkunftssprachen in unserer Gesellschaft immer noch eine Art soziales und kulturelles Schattendasein führen müssen (Brizic 2007, Krumm 2001). In unserer Gesellschaft sind die Identitätskonzepte immer noch einseitig monolingual - die vielen Familiensprachen spielen nach wie vor, wenn überhaupt, nur eine periphere Rolle. Muttersprache als erstes Kommunikationsmittel Die ersten Wörter, die Kinder in ihrer sprachlichen Umgebung hören und selbst in ihr Sprachrepertoire übernehmen sind diejenigen der Muttersprache. Das Erlernen der Muttersprache geht weit über den rein verbalen Ausdruck hinaus und trägt wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Vermittlung kultureller Normen bei. Mit der Muttersprache wird die Symbolfunktion der Sprache erlernt. Das Benennen und In-Worte-Fassen der unmittelbar wahrgenommenen Umgebung führt zur Ausbildung differenzierter sprachlicher Handlungsmuster, die Kindern mit zunehmender Sozialisation ein effektives Mittel der Verständigung innerhalb der Familie und im Kontakt mit der weiteren sozialen Umgebung zur Verfügung stellen. Der Erwerb einer Sprache ist nicht nur mit der Aneignung von sprachspezifischen Strukturmerkmalen einer Sprache (Grammatik, Satzbau und Morphologie), sondern auch mit dem Erwerb von Konzepten, d. h. der Kenntnis und dem Wissen über die Welt, verbunden. Wenn die Erstsprache nicht altersgemäß entwickelt ist, verfügen die Kinder dementsprechend über wenige oder schlecht ausgebildete und undifferenzierte Konzepte. Pädagogen berichten immer wieder, dass Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erlernen, konzeptuell oft ungenügend entwickelt sind. In den Bereichen „Tiere“, „Farben“ oder „alltägliche Gegenstände“ fehlt oft differenziertes begriffliches Wissen. Das Fehlen solcher Grundlagen in der Erstsprache erschwert nämlich den Erwerb neuer Wörter in der Zweitsprache, da die Kinder in diesem Fall erst fehlende Konzepte verinnerlichen müssen, bevor sie entsprechende Bezeichnungen in der Zweitsprache erlernen können. Umgekehrt wirkt sich nachweislich eine stabile kontinuierliche Entwicklung von Begriffen in der Muttersprache positiv auf die kognitive Entwicklung und das Sprachbewusstsein des Kindes auch beim Zweitspracherwerb aus. 20 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Die gezielte familiäre und institutionelle Unterstützung der Erstsprache des Kindes führt zu einer positiven bikulturellen Identität und ist somit ein stabilisierender Faktor in der frühen Biographie des Kindes. Bezüglich ihrer genannten systematischen institutionellen Vernachlässigung betont Wieler (2008), „dass die Nichtbeachtung der Erstsprache von Migrantenkindern durchweg negative Konsequenzen für deren sprachliches Selbstkonzept nach sich zieht, was wiederum eine herausragende Rolle bei der Erklärung von Unterschieden in Schulleistungen spielt“ (Wieler 2008, 232). Eine offene, auch für die Kinder transparent gestaltete Anerkennung und Wertschätzung der Familiensprachen würde hier entscheidend dazu beitragen, dass die betreffenden Kinder Vertrauen in die eigenen Stärken, in ihre kommunikativen Fähigkeiten und in die Wirksamkeit des eigenen Ausdruckes entwickeln. So würden sie nicht nur eine emotional stabile Basis für den weiteren Erwerb der Muttersprache, sondern auch für den Erwerb des Deutschen aufbauen. Präsenz und Sichtbarmachung der Muttersprachen in Kindertageseinrichtungen In den ersten Jahren entwickeln Kinder nicht nur ein feines Gefühl für die Sprachwahl in Abhängigkeit vom jeweiligen Interaktionspartner, sondern auch das Gefühl für die soziale und gesellschaftliche Wertschätzung ihrer Muttersprache. In den Kindergärten werden die Deutschkenntnisse der Kinder mit Migrationshintergrund hoch geschätzt, während die jeweiligen Muttersprachen gar keinen oder nur einen unbedeutenden Stellenwert besitzen. Auch andere Kinder, auch deutsche, sollten deshalb stärker bezüglich der Mehrsprachigkeit im Kindergarten sensibilisiert werden. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, bewegen sich von Anfang an zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachwelten, sie entwickeln ein feines Gefühl für Sprache und sprachliche Zugehörigkeit. Die öffentliche Ignoranz ihren Muttersprachen gegenüber, erweckt den „Eindruck von einer existierenden Sprachenoligarchie […], nach der es lernenswerte Sprachen gibt - das sind die in Öffentlichkeit und Schulwesen kanonisierten Sprachen, allen voran Englisch - und solche, die zu schätzen oder gar zu lernen für unwichtig gehalten wird, eben die Herkunftssprachen der MigrantInnen […]“ (Krumm 2008, 9). Dabei wäre es leicht, diese immer noch bestehende, völlig unzeitgemäße und im Hinblick auf allgemeine Integrationsbestrebungen gänzlich abträgliche Praxis zu verändern. Pädagogische Fachkräfte können die Eltern bei der Förderung der Muttersprachen bewusst und gezielt unterstützen, in dem sie in erster Linie den Familiensprachen der Kinder gegenüber Interesse und Wertschätzung zeigen und den Eltern das Gefühl vermitteln, dass ihre Muttersprachen wahrgenommen und respektiert werden. Das ist der erste Schritt, um eine harmonische und auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Beziehung zu den Eltern aufzubauen, Rolle der Muttersprache 21 im Rahmen einer heute viel beschworenen Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Einrichtungen. Die Frühpädagogen, als Experten der frühkindlichen Bildung, sollten die Eltern auf jeden Fall in der weiteren Förderung der Muttersprache bekräftigen. Das Ziel der sprachlichen Bildung von Migrantenkindern ist nicht, aus ihnen monolinguale deutsche Sprecher zu machen, sondern bei ihnen eine möglichst ausgewogene Zwei- oder Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Dazu gehört beispielsweise auch, dass das Fachpersonal in der Kita die einfachen Begrüßungs- und Verabschiedungsformen in den Muttersprachen der Kinder kennt und praktiziert. Auch könnten schriftliche Informationsaushänge, Menüpläne, Projektpräsentationen und ähnliches in den jeweiligen Muttersprachen der Kinder ausgehängt werden. Das Interesse muss sich nicht nur auf sprachlicher Ebene entfalten, sondern kann auch kulturspezifische Eigenheiten, Gestik, Mimik, Interaktions- und Benehmensformen beinhalten und beispielsweise anhand von Plakaten oder Hospitationen der Eltern vermittelt werden. Hier ist die Mitarbeit der Eltern bei der Übersetzung und Vorbereitung der Materialien in der Muttersprache und der Vermittlung elementarer Kulturkenntnisse gefragt. Migranteneltern nehmen allerdings oft eine abwartende Haltung ein, da sie sich selbst nicht trauen, ihre Hilfe anzubieten. Wenn sie aber von der Leitung des Kindergartens gefragt werden, zeigen sie oft großes Engagement. Ein positives Moment dabei ist, dass die Eltern sich so auch bestärkt fühlen, ihre Muttersprachen mit dem Kind weiter zu sprechen und deren Bedeutung ernst zu nehmen. Die Einführung fester Sprachrituale, wie das Erlernen neuer Reime, Fingerspiele, kurzer Gedichte in den jeweiligen Muttersprachen stößt auf großes Interesse der Kinder, öffnet sie für den Klang anderer Sprachen und macht sie auf ihre „Sprachkompetenz“ in anderen Sprachen stolz - wenn sie beispielsweise ihre Lieblingsbücher in ihren Muttersprachen in die Kita mitbringen und sie mit anderen Kindern besprechen können. Dies führt nicht nur zu steigendem Sprachbewusstsein der Zweisprachigkeit, sondern trägt auch zur gleichmäßigen Erweiterung des Wortschatzes in beiden Sprachen bei. Die Aufgabe des Fachpersonals besteht hier darin, die Rahmenbedingungen und eine methodische Unterstützung zu schaffen. Ohne Zweifel wäre es auch für deutsche Kinder eine Bereicherung und Erweiterung ihrer kulturellen und literalen Horizonte, wenn sie Märchen anderer Länder und den Klang anderer Sprachen kennenlernen würden. Wortlernkarteien - eine Methode für die Wortschatzerweiterung in beiden Sprachen Für eine ausgewogene Unterstützung des Wortschatzes in beiden Sprachen kann die Methode der Wortlernkarteien empfohlen werden. Dabei werden deutsche Wörter (z. B. Wörter der Woche, Wörter aus einem Lied, Wörter aus 22 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit einem Projekt, Alltagsbegriffe aus dem Kindergarten) auf Wortkarteien geschrieben und den Kindern nach Hause mitgegeben. Die Eltern schreiben dann auf der Rückseite die Übersetzungen dazu und die Aussprache auf Deutsch, damit das Fachpersonal die Wörter in der Muttersprache lesen und mit den Kindern wiederholen kann. Die Eltern bekommen so auch die Möglichkeit, neue Inhalte aus dem Kindergarten mit dem Kind in den Muttersprachen zu besprechen und zu vertiefen, was eine Grundlage für die gleichmäßige Entwicklung verschiedener Wortschatzbereiche in beiden Sprachen bietet. Diese Methode fördert eine kooperative Erziehungspartnerschaft und trägt unmittelbar dazu bei, dass der kindliche Wortschatz gleichmäßig in beiden Sprachen erweitert wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Eltern über genügend Deutschkenntnisse verfügen, um die Begriffe aus der Erstsprache auf Deutsch aufschreiben zu können. Diese Methode trägt außerdem dazu bei, dass die Eltern über die aktuellen Themen im Kindergarten informiert werden. Die Eltern selbst können durch „Aufschreibarbeit“ auf den Wortlernkarteien ihr Deutsch verbessern. Erziehungspartnerschaft mit Eltern lohnt sich! Abschließend ist zu erwähnen, dass die unmittelbare Einbeziehung der Eltern als kompetente Sprecher der Muttersprachen in die pädagogische Arbeit als eine sehr effektive, aber bislang viel zu wenig eingesetzte Ressource betrachtet werden kann. Viele Eltern würden sich freuen, in dieser Angelegenheit angesprochen zu werden, um kleine Einblicke in ihre Kultur, Geschichte und Sprache zu geben. Auf diesem Wege können Eltern bei der methodischen Unterstützung des Fachpersonals Geschichten ihres Landes auf Deutsch erzählen oder die Kinder auf spannende Phantasiereisen in fremde Länder mitnehmen, zum Beispiel im Rahmen eines kleinen Kochkurses, in dem traditionelle Speisen zubereitet werden. Durch diese organisierte Einbeziehung der Eltern in die Sprachförderung werden die Kinder ermutigt, ihre erworbenen kulturellen Identitäten in die Kita hineinzubringen. Eine reflektierte Präsenz der Muttersprachen in den Einrichtungen und ihre stete Beachtung in der pädagogischen und der Elternarbeit bildet die Grundlage für eine gelingende Zweisprachigkeit, die wiederum eine der wesentlichen Grundlagen der deutschen Sprachkompetenz liefert. Muttersprachen fördern in Familien: klar und konsequent Beim Sprachverhalten der Eltern kommt es besonders darauf an, im Alltag nach klaren Regeln vorzugehen. Welche Sprache spreche ich mit meinem Kind in öffentlichen Situationen, auch dann, wenn zweisprachige Personen anwesend sind? Welches konsequente Sprachvorbild möchte ich vermitteln, welche Ori- Rolle der Muttersprache 23 entierungshilfen und Regeln kann ich im Tagesablauf geben, um den Erwerb der Muttersprache zu unterstützen? Die funktionale Sprachtrennung nach dem Prinzip „eine Person - eine Sprache“ oder „eine Situation - eine Sprache“ und deren konsequente Einhaltung sind von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche zweisprachige Entwicklung. Eine ausgewogene Sprachkompetenz in beiden Sprachen wird dann erreicht, wenn der Kontakt zu beiden Sprachsystemen kontinuierlich, umfassend und differenziert genug ist und die Familie sowie die weitere soziale Umgebung eine positive Einstellung zur Zweisprachigkeit vermittelt. In der alltäglichen Praxis verzweifeln Familien mit Migrationshintergrund häufig daran, dass ihre Kinder durch Kontakte in Kindergärten oder in Schulen und durch das Anwachsen des deutschsprachigen Freundeskreises ihre Motivation und Lust verlieren, in den Muttersprachen zu sprechen. Die Eltern fühlen sich überfordert, weil es nicht einfach ist, eine für alle Familienangehörigen akzeptable und klare „Sprachpolitik“ durchzuhalten. Dennoch soll hier noch einmal betont werden, wie sehr es auf die verschiedenen Aspekte der sprachlichen und kommunikativen Vorbildrolle der Eltern ankommt. Eine gezielte Unterstützung der Kinder durch sprachförderliche Einstellungen, klare Vorgaben zum Sprachgebrauch, Sprachentrennung sowie die Freude an sprachlicher Kommunikation, am Vorlesen, Erzählen, und an kleinen sprachlichen Experimenten bieten beste Voraussetzungen gelingender Zweisprachigkeit. Die Besuche der Großeltern und anderer Verwandter und Freunde sind für die Belebung der Muttersprachen ein sehr wirksames Instrument. Wie nützlich es ist, zwei Sprachen zu sprechen, können die Kinder selbst auf solchen Reisen feststellen. Viele Eltern berichten, dass solche Reisen viel für die Bejahung und Akzeptanz der Zweisprachigkeit bewirken können: die Kinder kommen auf den Geschmack, ihre Muttersprachen zu sprechen, sie lernen hier, dass diese durchaus die Rolle der sozial und kulturell dominanten Sprache spielen kann. Außerdem kommen passive, sich in der deutschen Sprachumgebung kaum zeigende Kenntnisse nun ausdrücklich zum Tragen. Meist nimmt die strukturelle Vielfalt schnell zu, die Sprache des Kindes wird differenzierter, der Wortschatz entwickelt sich in kurzer Zeit sehr stark. Eltern wundern sich oft in solchen Situationen, was die Kinder in ihrer scheinbar schwachen Sprache schon beherrschen und wie schnell sie sich weiterentwickeln. Über solche Besuche in einer muttersprachlichen Umgebung lässt sich auch leicht eine positive Einstellung zur Zweisprachigkeit und Freude und Stolz über die sich entwickelnde zweisprachige Kompetenz herstellen. 24 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit „Mama sprich bitte nur Deutsch mit mir! “ Damit die zweisprachigen Kinder eine positive Einstellung zu beiden Sprachen entwickeln und dementsprechend beide Sprachen in ihrem aktiven Gebrauch beibehalten, bedarf es einer engen Kooperation zwischen der Familie und den elementaren Bildungseinrichtungen. In der Familie des Kindes liegt der Schwerpunkt auf der stetig weiteren Förderung der Muttersprache, in der Kindergartenumgebung muss die Sprachförderung zum integrativen Bestandteil pädagogischen Handelns werden. Dabei ist es besonders wichtig, die Kinder mit der Lust und Freude an sprachlicher Kommunikation „anzustecken“ und Zweisprachigkeit selbst auf verschiedene Weise positiv zu thematisieren. Selbstverständlich kommt es in den ersten Lebensjahren zu verschiedenen Gewichtungen im Sprachgebrauch. Zuerst spielt die Sprache der Mutter oder der Familie die wichtigste Rolle, nach dem Eintritt in den Kindergarten und mit Zunahme der außerfamiliären sozialen Kontakte des Kindes wird dem Deutschen eine größere Bedeutung zugewiesen. Damit Kinder dann nicht sagen: „Mama, sprich bitte nur Deutsch mit mir! “, was leider häufig vorkommt, bedarf es der oben skizzierten sprachlichen Bildung in der Familie und der wertschätzenden Haltungen und der Einbeziehung der Muttersprachen in den Einrichtungen. Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder Sprachmischungen - sprachliche Alltagspraktiken von Zweisprachigen Beim Lernen zweier Sprachen geschieht es natürlicherweise, dass beide Sprachen in Berührung kommen und sich gegenseitig beeinflussen. Zweitspracherwerb ist deshalb von besonderen Phasen der Sprachmischung, der kreativen wechselseitigen Sprachstützung und einer besonders interessanten Improvisationsdynamik gekennzeichnet. Wie bereits der Name verrät, verstehen man unter einer „Sprachmischung“ die gleichzeitige Verwendung beider Sprachen - so werden innerhalb einer einzigen Äußerung Wörter oder Satzteile der Sprache, die im Moment des Redens nicht aktiv ist, eingefügt. Die Sprachmischungen können in diesem Fall die Folge der Dominanz einer von beiden Sprachen sein. Je nach Häufigkeit des Auftretens solcher Sprachmischungen können diese nicht nur den Redefluss des Sprechens sondern auch die Verständigung insgesamt beeinflussen oder stören. Am Beispiel von gemischten Äußerungen bei einem bilingual ukrainischdeutsch aufwachsenden Jungen, Simon (2,6 Jahre alt) kann man sehen, wie plastisch das Kind zwischen zwei Sprachen manövriert und beide mit bewunderungswerter Leichtigkeit zusammenbringt. Hier seine Äußerungen, die meistens im familiären Umfeld auftreten: Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder 25 (1) ich will noch einmal маленький (malen’kyj - klein) sein 7 (2) ganz ein bisschen вкусити (vkusyty - abbeißen) (3) треба (treba - muss man) musik anmachen da 6 Solche Sprachmischungen werden besonders häufig in der frühen Phase der kindlichen Sprachentwicklung - zwischen dem zweiten und dem dritten Lebensjahr - beobachtet. Sie sind meistens durch lexikalische Lücken, d. h. durch eine gewisse Wortschatzarmut in einer Sprache oder durch spontane Wortfindungsschwierigkeiten im Moment des Sprechens verursacht. Bei Sprachmischungen handelt es sich folglich um „Ausweichstrategien“, die benutzt werden, wenn das Kind das Wort in der gerade verwendeten Sprache nicht findet, die korrekte Bezeichnung in der Sprache nicht kennt oder eine der beiden Bezeichnungen durch häufigen Gebrauch beim Sprechen schneller aktiviert wird. Es gibt darüber hinaus weitere Faktoren, die Sprachmischungen verursachen können. Sie liegen nicht im linguistischen Bereich und hängen nicht mit der tatsächlichen Sprachkompetenz in einer Sprache zusammen, sondern liegen im kommunikativ-sozialen Umfeld. Die Sprachmischungen dürfen deshalb gerade nicht als „Ausdruck defizitärer Sprachentwicklung“ interpretiert werden (vgl. auch Tracy 1996). So konnte ich oft beobachten, dass Kinder mit zweisprachigen Gesprächspartnern die Sprachen mischen und mit einsprachigen deutschsprachigen Personen die beiden Sprachen konsequent auseinander halten. 7 Der andere Faktor betrifft die Sprachgewohnheiten des Kindes und die seiner Umgebung in bestimmten Situationen. Ein Kind aus einer bilingualen Familie spricht beispielsweise Deutsch und fügt je nach Kontext z. B. die üblichen Tierbezeichnungen aus einer anderen Sprache in die deutschen Sätze ein. Dieses Verhalten ist für beide Elternteile mit verschiedenen Muttersprachen nicht störend. Es handelt sich oft um schön klingelnde Ausdrücke für Speziesbezeichnungen, die sich fast wie Eigennamen anhören und so in die familiäre Sprachpraxis Eingang gefunden haben. Solche sprachlichen Transfererscheinungen erfüllen bei Kindern auch eine identitätsstiftende Funktion. Die zweisprachigen Kinder entwickeln ganz klare Vorlieben bei sprachlichen Ausdrucksweisen, die sich auf bekannte und beliebte Bezeichnungen aus den unmittelbaren Lebenswelten beziehen. So gehört es zu den üblichen Sprachpraktiken der zweisprachigen Kinder, dass sie beim Sprechen der Muttersprache deutsche Wörter wie Hexe, Krankenwagen, Polizei, Gummibärchen, Bagger, Auto usw. einfügen. 6 Die russischen und ukrainischen Äußerungen werden in der deutschen wissenschaftlichen Transkription angeführt und übersetzt. 7 Dies geht aus eigenen Beobachtungen im Rahmen der muttersprachlichen Sprachförderung in einer Samstagssprachschule hervor. 26 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit Ein letzter Aspekt der gemischten Sprachäußerungen hat sprechökonomische Gründe, so, wenn sich bestimmte Begriffe und kulturelle Konzepte in einer Sprache nur schwer und mühevoll in der anderen beschreiben lassen. Auf diese Strategie greifen besonders gerne erwachsene Sprecher zurück, manchmal auch ohne zu berücksichtigen, dass ihr Gegenüber nur einsprachige Kompetenz besitzt (Dirim 2001, 85). Code-switching Als eine der Formen der Sprachmischungen gilt das „Umschalten“ zwischen den Sprachen, in der Fachliteratur Code-switching genannt. Code-switching ist eine besondere kommunikative Leistung der Zweisprachigen und kommt zustande, wenn eine Person innerhalb einer Äußerung zwischen den Sprachen wechselt. Es gibt zahlreiche internationale Untersuchungen zum Phänomen des Switchens (vgl. Auer 1998, Grosjean 2001, Özdil 2010), auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann. Ein Wechsel in die andere Sprache kann bei Kindern mehrere Gründe haben. Meistens ist der Wechsel personenbezogen, wenn zweisprachige Gesprächspartner anwesend sind. Er kann aber auch einen emotionalen Hintergrund haben oder vom Gegenstand des Gespräches abhängig sein. So werden bei zweisprachigen Kindern die Kontexte aus dem Kindergarten eher auf Deutsch und die familiären Zusammenhänge in der jeweiligen Muttersprache kommuniziert. Ein Grund für Umschalten kann auch in einer gewissen Bequemlichkeit beim Sprechen liegen. Zweisprachige Kinder wählen innerhalb einer Kommunikation die Wörter aus, die ihnen am schnellsten einfallen oder die ihnen intuitiv am besten geeignet für den jeweiligen kommunikativen Zweck erscheinen. Solche Strategien können schnell zur kommunikativen Gewohnheit werden, die auch von den Eltern praktiziert wird. Wenn die gemischten Äußerungen regelmäßig in verschiedenen Gesprächskontexten der Kinder auftreten und zu einer Kommunikationsnorm werden, kann dies zur Entstehung einer Mischsprache führen. Hier sind die Eltern als markante Sprachmodelle einflussreich. Das Code-Switching innerhalb der Sprache der Eltern ist deshalb kritisch zu sehen und keine empfehlenswerte Strategie (vgl. Bogdain 1989). Im Gegensatz dazu kann eine klar nachvollziehbare, themen-, personen- und ortsbezogene Sprachtrennung der Eltern als ein hilfreicher Wegweiser für das Sprachverhalten der Kinder fungieren. Die Situationen, bei denen die beiden Sprachen in Berührung kommen, sind stark von verschiedenen Variablen, wie den Gesprächspartnern, dem Thema des Gespräches und dem Schwierigkeitsgrad des Ausdrucks und dem gesamten sprachlichen Umfeld bei der Kommunikation abhängig. Die Kinder lernen, sich schnell in ihrer sprachlichen Umgebung zu orientieren und in der einsprachigen Kommunikation die eine Sprache zu gebrauchen. Dabei zeigen sie Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder 27 eine bewundernswerte Schnelligkeit und Sicherheit beim kontextabhängigen Umschalten zwischen den Sprachen. Beispiel Eine Situation beim Einkaufen an der Kasse. Die russischsprachige Mutter sagt zum Kind auf Russisch, dass es sich bei der Kassiererin fürs Schokolädchen bedanken und sich von ihr verabschieden soll. Das Kind antwortet: sp … danke schön tschüss. Die ersten zwei Buchstaben waren auf Russisch „spasibo“ (danke), dann hat das Kind blitzschnell die Situation erfasst und in die Sprache des Umfeldes gewechselt. Beim Erlernen der zweiten Sprachen kann sich der Einfluss der Erstsprache als fördernd oder hemmend erweisen. Wenn bestimmte Regeln der Erstsprache auf die Zweitsprache übertragen werden, spricht man von einem Transfer. Dieser kann die Lernprozesse in der Zweitsprache fördern oder sich als hinderlich beim Regelerwerb in der Zweisprache auswirken. Von förderlicher Wirkung spricht man, wenn der Transfer erstsprachlicher Regeln zu einer zielsprachlichen Äußerung in der Zweitsprache führt. Ein Beispiel ist die Übertragung der Grundmuster der Reihenfolge im einfachen Satz (Subjekt-Verb-Objekt) auf das Deutsche: Я мою руки (Ja moju ruki - Ich wasche die Hände). Im Gegensatz dazu führt die negative Übertragung aus der Erstsprache auf die Zweitsprache zu fehlerhaften Strukturen, die es in der Zweitsprache nicht gibt. Ein Beispiel stammt von einem russischsprachigen Jungen im Alter von 4 Jahren: (4) mich Nudeln nicht schmecken (5) ich nicht auf Deutsch sprechen Abgesehen davon, dass das Verb im Infinitiv am Ende des Satzes steht, stellt er „nicht“, wie es im Russischen üblich ist, vor das Verb. Im Deutschen steht die Verneigung „nicht“ aber hinter dem Verb. Kindliche Sprachmischungen: Eine vorübergehende Erscheinung Sprachmischungen gehen allgemein gegen Ende des dritten Lebensjahres zurück. In der Altersspanne zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr entwickelt sich eine Bewusstheit der eigenen Zweisprachigkeit und eine Bewusstheit für das Sprachverhalten der Umgebung. Durch den reflektierten Umgang mit den Sprachen entwickeln sich bei Kindern dann positive oder negative Einstellung zu einer der beiden Sprachen. Als Einflussfaktoren sind die Einstellungen der Familie, das allgemeine Sprachprestige, das Bedürfnis, in beiden Sprachen zu sprechen, die Häufigkeit des Gebrauchs der Sprachen und der Gesprächssituationen zu nennen. Dazu kommen der Grad der Sprachbeherrschung und 28 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit die emotionale Belegung der Sprachen durch das Kind selbst. Grundsätzlich ist für eine zweisprachige Erziehung die funktionale Sprachentrennung in der nächsten Umgebung des Kindes, die eine Vorbildfunktion erfüllt und das konsequente Durchhalten dieses Prinzips von entscheidender Bedeutung (Dittmann 2002, 94). Für zweisprachig aufwachsende Kinder sind der alltägliche Gebrauch und das Umschalten zwischen beiden Sprachen eine selbstverständliche Kommunikationsstrategie. Es gehört auch zur normalen Sprachentwicklung, beide Sprachen entweder zu mischen oder auch auseinander zu halten, je nachdem, welche Vorbilder die Kinder in ihrer bilingualen Umgebung erleben. Es hängt folglich von der Sprachkultur der Umgebung insgesamt ab, welche Gebrauchsregeln die Kinder für beide Sprachen entwickeln und sich zu Eigen machen. Interferenzen Von Interferenzen spricht man, wenn es um einen Transfer von Elementen, Strukturen und Regeln der stärkeren Sprache auf die schwächere geht. Interferenzerscheinungen können auf allen sprachlichen Ebenen auftreten. Es handelt sich dabei um lautliche, grammatikalische und lexikalische Interferenzen. Bei lautlichen Interferenzen sind die Aussprache, die Wort- und Satzmelodie und der Sprachrhythmus betroffen. Lautliche Interferenzen treten häufig bei ähnlich klingenden Wörtern in beiden Sprache auf. Aus meinen eigenen Untersuchungen geht hervor, dass es in vielen Fällen die im kindlichen Wortschatz häufig vorkommenden Wörter, meist Fremdwörter, wie: Problem, Garage, Thema, Pistole, Papagei, Traktor, Kamin, stopp, sind, die übertragen werden. Die phonologische Ähnlichkeit dieser Wörter in beiden Sprachen ist der Grund dafür, dass die Kinder diese Wörter, besonders in den Anfängen des Erwerbs des Deutschen, aus der Erstsprache übertragen. Beispiel Ein russisch-deutsch sprechender Junge überträgt die Aussprache aus dem Russischen ins Deutsche. Die Wörter „konstruktor“ und „traktor“ spricht der Junge als [kanstruktar] und [traktar] aus. Dieses Aussprachephänomen im Russischen, das [o] in unbetonter Position als [a] auszusprechen, übertragen übrigens nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene Deutschlerner im Fremdsprachenunterricht auf das Deutsche. Bei lexikalischen Interferenzen werden lexikalische Elemente aus der anderen, im Moment des Sprechens nicht aktivierten Sprache, entlehnt. Es sind meistens Substantive, Verben, Adjektive oder feste Redewendungen. Diese Art von Interferenzen tritt meist bei bestehenden Wortschatzlücken in der zu erlernenden Sprache auf, ist allerdings auch stark durch die Praxis der Sprachtrennung beeinflusst, die sowohl von der individuellen Entwicklung als auch vom Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder 29 Sprachverhalten der Eltern und der sozialen Umgebung abhängig ist. Ein häufiger und schneller Wechsel zwischen beiden Sprachen fördert ebenfalls diese lexikalischen Interferenzen. Beispiel Das Kind sagt auf Ukrainisch: я хочу (ja cho č u - ich will) gummibärchen. Diese lexikalische Übertragung ist eindeutig auf eine gewisse „sprachliche Trägheit“, eine allgemeine Tendenz, es sich so einfach wie möglich zu machen, zurückzuführen. Es ist eben am einfachsten und schnellsten, Sammelbezeichnungen aus einer Sprache ohne Übersetzung in eine andere zu übertragen. Diese Strategie der direkten Übernahme praktizieren sehr oft auch Erwachsene, wenn es um Sachen und Phänomene geht, die sie eher im deutschsprachigen Raum erleben. So werden oft von Erwachsenen solche Ausdrücke wie „Krankenkassen“, „Arbeitsamt“, „Konto“ nicht übersetzt. Solche Sprachverhaltensweisen haben dann eine Vorbildfunktion und eine ansteckende Wirkung auf den kindlichen Sprachgebrauch. Zuletzt sind grammatische Interferenzen zu erwähnen. Strukturelle Merkmale der einen Sprache werden dabei auf die andere übertragen. Diese Art der Interferenz tritt häufig beim Artikelgebrauch, der Partizipbildung, der Pluralbildung, der Wortstellung und dem Präpositionsgebrauch auf. Beispiel Der 2,7-jährige Simon überträgt die deutsche Pluralendung -s ins Ukrainische und hängt sie an den ukrainischen Wortstamm: „ цьоця -s“ (cjocjas - Tanten). Oder er überträgt das Präfix „ge“ für die Bildung des Vergangenheitspartizips und die deutsche Endung -t für die Partizipbildung „geїс -t” (gegessen). So kreiert er ein deutschukrainisches Wort, welches sogar von zweisprachigen Sprechern nicht sofort verstanden wird. Häufig übernimmt er auch den bestimmten Artikel in ukrainischen Kontexten oder die deutsche Infinitivendung „-en“ und hängt sie an den ukrainischen Verbstamm: papa куп -en (Papa kauft), ich habe schon geспати ( спати - spaty - schlafen), die дівчинка (div č hynka - das Mädchen) ist schön. Beim letzten Beispiel kommt noch dazu, dass das Kind den Artikelgebrauch an das Geschlecht des Wortes im Ukrainischen anpasst und statt „das Mädchen“ „die Mädchen“ sagt. Interessanterweise lässt sich häufig beobachten, dass Kinder von Anfang an nicht wahllos und mit jedem Gesprächspartner die Sprachen mischen, sondern die gemischten Äußerungen in bestimmten sozialen Kontexten und nur mit bestimmten Personen vorkommen. Das heißt, dass Kinder bereits von Beginn an ihre sprachliche Produktion kontextsensitiv steuern. Diese Fähigkeit der Sprachsteuerung nennt man metasprachliches Bewusstsein, dass sich bereits ab dem zweiten Lebensjahr zu zeigen beginnt (vgl. Bialystok 1991). Viele Kinder 30 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit entwickeln für sich klare Gebrauchsregeln für beide Sprachen. Zu Hause sprechen sie beispielsweise mit Papa ausschließlich Deutsch, mit der anders sprechenden Mama verwenden sie ihre Muttersprache. Im Kindergarten sprechen sie konsequent Deutsch. Häufig staunen die Eltern, dass ihre Kinder durch einen Heimatbesuch oder durch eine neu entstandene Freundschaft sprachliche „Wunder“ vollbringen und beginnen, in der „schwachen“ Sprache sehr gut zu sprechen. Manchmal ist es eine Frage der Zeit, wann die eher passive Sprache zu ihrem vollen Einsatz kommt. Voraussetzung ist, dass die Eltern und die Umgebung dem Kind einen möglichst regelmäßigen Zugang zu dieser Sprache anbieten. Die Übernahme von grammatischen Elementen und Strukturen werden meistens als Übertragungen aus der dominanten Sprache in die schwächere beobachtet, als ein vorübergehender Transfer von in der dominanten Sprache stark markierten Strukturen in die schwache Sprache. Die Pluralendung -s ist zum Beispiel am häufigsten in Übergeneralisierungen zu finden, wie verschiedene wissenschaftliche Studien belegen (vgl. Mills 1986, Rohtweiler 1997). Die Kinder bilden Hypothesen beim Sprachenlernen, überprüfen sie in der Praxis durch mehrmalige Anwendung und erschließen für sich langsam die Grammatik der zu lernenden Sprache durch Analogiebildung, Ableitung neuer Regeln und Übertragung bestehender Regeln auf „unbekannte“ Fälle. Weitere Beispiele für Interferenzen im russisch-deutschen Erwerbskontext sind etwa Auslassungen von Artikeln oder die Nichtbeachtung der Übereinstimmung in Genus, Numerus und Kasus zwischen Artikel und Substantiv. Das Fehlen der Artikel tritt besonders in den frühen Phasen des kindlichen Zweitspracherwerbs auf. Das Russische hat keine Artikel und Kinder tendieren dazu, die Elemente einer Sprache, die keine inhaltlich-semantische Bedeutung haben, mindesten zu Beginn der Konfrontation mit einer Zweitsprache auszulassen. Beispiele für eine direkte Übertragung des Genus aus der Erstsprache Russisch ins Deutsche sind: die mädchen, die wasser, die auto. Solche Beispiele wurden bei russischsprachigen Kindern zwischen 3 und 5½ Jahren regelmäßig dokumentiert. Falsche Positionen von flektierten Verben im Hauptsatz können auch, unter Vorbehalt, zu den grammatischen Interferenzen aus dem Russischen gezählt werden. Im Russischen ist die Verbstellung sowohl im Hauptals auch im Nebensatz nicht festgelegt. Eine gängige Verbstellung ist auch an der dritten Stelle möglich. So wurden bei russischsprachigen Kindern, die Deutsch mit ca. 3 Jahren gelernt haben, Sätze wie ich allein kann (Jakob 3; 3,0), ich das mach’ kaputt alles (Jakob 3; 2,3) häufig beobachtet. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die V3-Stellungen auch bei anderen ausländischen Kindern beim Deutscherwerb beobachtet wurden (vgl. Meisel 1985, Kaltenbacher 1990, Tracy 2007). Sprachmerkmale zweisprachiger Kinder 31 Kleine Übersetzungskünstler Mit zunehmender Sprachbewusstheit entwickeln sich zweisprachig aufwachsende Kinder zu simultanen Dolmetschern und kreativen Übersetzern. Es lassen sich hier vier Rahmensituationen hervorheben, in denen es zu einem geplanten oder sich aus der Situation ergebenden Sprachwechsel kommt und Kinder die Äußerungen anderer oder auch eigene Äußerungen übersetzen. In familiären Situationen In einer zweisprachigen Familie, in der Elternteile verschiedene Muttersprachen sprechen, tritt das Kind häufig als Sprachvermittler auf. Die besonderen Übersetzungstalente zweisprachiger Kinder kommen auch häufig bei Besuchen der Eltern im Herkunftsland zum Ausdruck - ohne sie ist die Kommunikation mit den Großeltern und den restlichen Verwandten nicht möglich. Beispiel Simon (2,8 Jahre): oma wir spielen jetzt. wir bauen häuschen und dann kommt hexe Oma: Добре, добре, але я тебе не розумію . (dobre, dobre, ale ja tebe ne rozumiju - Ist gut, gut aber ich kann dich nicht verstehen) Simon: ми бавимся хатинку будувати (my bavymsja chatynku buduvaty - wir spielen Häuschen bauen) und dann kommt die hexe Bei selbständigen Spielsituationen, die vom Kind sprachlich begleitet werden Begleitendes Dolmetschen eigener Äußerungen soll die besondere Intensität und das Interesse des Kindes an seiner aktuellen Beschäftigung vermitteln und verstärken. Diese Sprechstrategie lässt sich bei vielen zweisprachigen Kindern beobachten und zeigt, mit welcher unbewussten Leichtigkeit die Kinder zwischen den Sprachen wechseln und um welche beeindruckende Fähigkeit es sich handelt. In der Kommunikation mit anderen Kindern Die Kinder übersetzen in Interaktionen mit anderen Kindern, vor allem, um den Sinn der Äußerungen für die Anderen zugänglich zu machen. Aus spielerisch-strategischen Gründen übersetzen die Kinder für andere Kinder, um im Spiel mit ihren momentanen Spielaktivitäten voranzukommen. In verschiedenen außerfamiliären Situationen im sozialen Umfeld Häufig finden wir in der Literatur zum Thema „Zweisprachigkeit“ Beispiele, in denen Kinder ihre Eltern sprachlich unterstützen und in Alltagssituationen für 32 Kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit sie dolmetschen, sei es beim Behördengang oder beim Gespräch mit der Lehrerin in der Schule. Dies kann als ein positives Moment der Stärkung beider Sprachen für das Kind gelten, wenn es den Nutzen seiner Sprachkompetenz in beiden Sprachen direkt erfährt und beide Sprachen öffentlich praktizieren kann. Allerdings können die Situationen, in denen das Kind für die Eltern dolmetscht, für das Kind auch negativ beladen sein. Die Äußerung eines 10jährigen Mädchens zu seiner Mutter soll das veranschaulichen: „Mama, du muss heute zum Elternabend nicht gehen. Du wirst da sowieso nichts verstehen.“ Der Grat zwischen mit Stolz und Selbständigkeit verbundenem Dolmetschen und Scham bezüglich der sprachlichen Inkompetenz der Eltern oder einer allgemeinen Überforderung ist schmal. Sprachwechselstrategien beim Kind: Das nächste Umfeld ist prägend Als Fazit lässt sich festhalten, dass zweisprachig aufwachsende Kinder die beiden Sprachen auseinander halten, die Trennungsstrategien aus der nächsten Umgebung übernehmen und sich dabei an Erwachsenen, an Eltern, Verwandten, Bekannten und Freunden orientieren. Die Erwachsenen vermitteln durch ihr aktiv praktiziertes Sprachverhalten die Anhaltspunkte für die Sprachwahl und den Umgang und Kombinationsrahmen für die beiden Sprachen. Die konkrete Realisierung dieser Anhaltspunkte kann sich bei den Kindern sehr individuell entfalten. Die häufigsten Wechselstrategien sind eine Person - eine Sprache, eine Situation - eine Sprache oder ein Ort - eine Sprache. Je nach Sprachengewichtung kommt es bei diesen Kombinationen zum gemischten Gebrauch beider Sprachen mit unterschiedlicher Intensität. Kapitel 2 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb - Was ist anders? Hier sollen die Verläufe im natürlichen Zweitspracherwerb bei russisch-deutsch aufwachsenden Kindern dargestellt und die Unterschiede zum Erstspracherwerb veranschaulicht werden. Wie erlernen Kinder eine zweite Sprache? Greifen sie dabei auf ihre Erstsprache zurück? Verläuft der Zweitspracherwerb im Vorschulalter anders als der Erstspracherwerb? Machen ausländische Kinder mehr Fehler beim Spracherwerb als einsprachig aufwachsende Kinder und sind zweisprachig aufwachsende Kinder vielleicht kognitiv überfordert? Zuerst aber: wie verläuft überhaupt der Erstspracherwerb? Kindlicher Spracherwerb - eine kurze Entwicklungsskizze Kinder lernen Sprachen unabhängig vom Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Sprache, in kurzer Zeit, ohne besondere Anstrengung und ohne gezielte, gesteuerte Hilfe von außen. Durch die Kommunikation mit Menschen und in der aktiven Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Gegenstandswelt erlernen sie die jeweilige Sprache normalerweise vollständig. Eltern machen die Erfahrung, dass die Kinder Sprache(n) nebenbei, neben der motorischen, kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung, erlernen. Der kindliche Wortschatz wird mit zunehmendem Alter umfangreicher und differenzierter. So beginnen die Kinder mit ca. 2 Jahren, mit einem zunehmenden Repertoire an Wörtern, grammatisch zu kombinieren und Sätze zu bilden. Der kindliche Spracherwerb stellt einen mehrdimensionalen Prozess dar, der in der vorsprachlichen Phase beginnt und, eng mit der allgemeinen geistigen Entwicklung verbunden, verläuft. Kinder kommunizieren zuerst nonverbal, mittels körperlichen Ausdrucks, durch Blickkontakt, Mimik, Gestik und durch den Einsatz der Stimme. Sie übernehmen die Klangmelodie der Laute von erwachsenen Bezugspersonen und probieren diese dann selbst aus. Durch den permanenten alltäglichen, lautlichen Input bilden sich die rhythmisch-melodischen Fähigkeiten, die Laute der Muttersprache unterscheiden und dann selbst reproduzieren zu können. 34 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Die ersten Äußerungen … kontextgebunden und mehrdeutig Von Geburt an sind Kinder in der Lage, Laute der verschiedensten Sprachen zu erkennen. Ab dem 10. Lebensmonat nimmt diese Fähigkeit ab, die Kinder legen sich auf die Laute ihrer muttersprachlichen Umgebung fest. Die sprachlichen Laute gewinnen mit der Zeit für die Kinder mehr an Bedeutung, indem sie systematische Beziehungen zwischen ihnen und Handlungen und Gegenstände feststellen und bemerken, dass sie mit der Sprache bei den Bezugspersonen etwas bewirken können. Mit zunehmender Entwicklung orientiert sich die lautliche Produktion an den Besonderheiten der Muttersprache und legt sich im weiteren Verlauf auf deren typisches Lautsystem fest (vgl. Papousek 2008). Die ersten Sprachäußerungen des Kleinkindes bleiben noch undeutlich und können nur in unmittelbaren Situationen und klaren Kontexten, zusammen mit dem nonverbalen Ausdruck, erschlossen werden. Die Erwachsenen achten bei Kleinkindern auf ihren Gesichtsausdruck, ihre Körperhaltung, auf die Richtung ihrer Bewegungen, um ihre Wünsche und Bedürfnisse besser zu verstehen und ihnen nachgehen zu können. Sie begleiten das kindliche Tun, indem sie die kindlichen Handlungen versprachlichen, nachfragen, wiederholen und die Aufmerksamkeit der Kinder auf einen gemeinsamen Gegenstand richten. Dadurch bekommt das Kind den sprachlichen Input, der für den Ausbau der eigenen Sprachfähigkeiten notwendig ist. Zur Unterstützung der Verständigung achten die Erwachsenen darauf, dass ihre Körpersprache und ihre Blickrichtung dem Kind zugewandt sind, um ihm das Verstehen von Sätzen zu erleichtern und es zu weiteren Gesprächen und Interaktionen zu animieren. Erwachsene führen Sprachregie Spracherwerb vollzieht sich grundlegend in zwischenmenschlicher Kommunikation. Gerade die an das Kind gerichtete Sprache, die Kommunikation und der Dialog gehören zu den unabdingbaren Motivationen, Anregungen und strukturellen Vorgaben der Sprachentwicklung. Die Kinder hören alltäglich Sprache, die um sie herum gesprochen wird, aber besonders auch die Sprache, die unmittelbar an sie gerichtet ist und die alltägliche Bedürfnisse und routinierten Vorgänge im Tagesablauf betrifft, wie Anziehen, Essen, Spielen, Spazierengehen, Waschen usw. Die Art und Weise, wie Erwachsene mit Kindern kommunizieren unterscheidet sich von der Kommunikation zwischen Erwachsenen. Wir sprechen mit Kindern in einem bestimmten sprachlichen Modus, wir passen uns an die Entwicklung der Kinder an, was auch durch besondere emotionale Zuwendung (Blickkontakt, gleiche Augenhöhe, Lächeln, Kopfnicken), durch langsames und deutliches Sprechen, durch Pausen beim Sprechen, durch eine bestimmte Stimmhöhe und Hervorhebung einzelner Wörter durch besondere Betonung gekennzeichnet ist. Das Sprechen der Erwachsenen wird von besonderer Mimik, Gestik, und Zeigebewegungen begleitet, was zur Verständlichkeit Kindlicher Spracherwerb - eine kurze Entwicklungsskizze 35 der zu vermittelnden Inhalte beiträgt und die kommunikative Beziehung zu den Kindern intensiviert. Kindlicher Spracherwerb: Ein mehrstufiger Prozess Der kindliche Spracherwerb durchläuft verschiedene Stadien. Innerhalb dieser Stadien erschließt sich das Kind schrittweise das Regelwerk der Sprache. Die Kinder lernen, indem sie die formalen Gesetzmäßigkeiten der Sprache im ständigen Ausprobieren festigen, den Wörtern feste Bedeutungen zuweisen und dies in konkreten, kontextbezogenen Situationen einüben. Es müssen phonologische (lautliche), semantische (bedeutungstragende) und syntaktische (satzbaubezogene) Regeln, die das Kind in verschiedenen kommunikativen Kontexten erprobt, eingeübt werden. In seinem Verlauf unterliegt das Erlernen einer Sprache also einer gewissen Systematik des Erwerbs von Lauten und Lautkombinationen, grammatischen Strukturen und der Erweiterung des Wortschatzes. Den Spracherwerb kann man allgemein als eine sukzessive Progression des Ableitens vom Konkreten zum Abstrakten und als einen feinen Differenzierungsprozess auf allen drei genannten Ebenen betrachten. Die Zunahme der strukturellen Komplexität folgt einem zeitlichen Muster, demgemäß in bestimmten Zeitperioden bestimmte Strukturen und Fähigkeiten entwickelt werden. So beginnen die Kinder … Auf der syntaktischen Ebene beginnen die Kinder mit Einwortsätzen, die mit ca. einem Jahr vorkommen. Dies nennt man die „holophrastische Phase“: der Inhalt eines Satzes wird mit einem einzigen Wort ausgedrückt und ist für Erwachsene unter Einbeziehung des gesamten situativen Kontextes nachvollziehbar. Wenn das Kind beispielsweise „Auto“ sagt, kann das bedeuten, dass es ein Auto gesehen hat, mit einem Auto spielen möchte, vor ihm erschrocken ist usw. Die Bedeutung und die kindliche Kommunikationsabsicht sind nur aus der jeweiligen Situation und unter Einbeziehung körperlichen Ausdruckes erkennbar (und oft genug gar nicht oder nur falsch interpretierbar). gehen dann langsam aber sicher zur nächsten Entwicklungsstufe über … Mit ca. 1,6 Jahren beginnt die zweite Phase, in der Zwei- und Dreiwortsätze (z. B. mehr banane, milch trinken, licht an, auto spielen mama) gebildet werden. Diese Wortkombinationen kann man noch nicht im Sinne der Erwachsenensprache als vollständige, grammatisch korrekte Sätze bezeichnen. Die kindliche Art, Wörter miteinander zu verbinden, nennt man „telegraphischen Sprachstil“. 36 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb In dieser Phase nimmt die Komplexität des Ausdruckes und der Verständigungsmöglichkeiten zu, komplexere Inhalte und Absichten lassen sich schon verständlich machen. … werden sicherer und schreiten weiter voran … Ab dem 2. Lebensjahr erweitern die Kinder dann ihre Fähigkeiten und bilden Sätze, deren Komplexität kontinuierlich zunimmt. Sie sind jetzt in der Lage, Inhalte, Ideen, Bedürfnisse und Absichten klarer auszudrücken. Sie beherrschen den Satzbau einer Sprache, indem sie die Wörter in den Sätzen in die richtige Reihenfolge bringen. So lernen sie beispielsweise in dieser Phase, dass das Verb im deutschen Aussagesatz an die zweite Stelle und in einem Nebensatz auf die letzte Stelle positioniert werden muss. … werden zu leidenschaftlichen Rednern … Im 3. Lebensjahr kommt es zum expansiven Ausbau an phonologischen, semantisch-lexikalischen, grammatischen und pragmatischen Fähigkeiten, der Wortschatz nimmt stark zu, der Satzbau wird komplizierter, die Ausdrucksformen variationsreicher, die Themen vielfältiger. Mit 3-4 Jahren ist die Grammatikentwicklung der Muttersprache in ihren Grundzügen abgeschlossen, die weitere Sprachentwicklung vollzieht sich von da an langsamer und weist keine klaren Entwicklungsabschnitte mehr auf. … sind angekommen … aber nur zur Rast - es geht weiter … Nach dem 4. Lebensjahr findet ein weiterer Ausbau des Wortschatzes, seine feine Differenzierung und eine Vervollständigung des erworbenen strukturellen Repertoires verschiedener Satztypen statt. Die Vielfalt des sprachlichen Ausdruckes wird mit zunehmendem Alter variationsreicher (vgl. Klann-Delius 1999, Dittmann 2002, Szagun 2010). Innerhalb der Erwerbsstadien kann es zu so genannten Übergangsgrammatiken kommen, die durch eine gewisse Variabilität und Übergeneralisierungen gekennzeichnet sind. Ein Beispiel für eine Übergeneralisierung ist die falsche Bildung von Vergangenheitspartizipien wie z. B. geesst, gelauft, gerennt, getut oder Übergeneralisierung der Mehrzahlendungen: Auten (anstatt Autos), Buchen (anstatt Bücher), Zugen (anstatt Züge). Zu solchen kreativen „Überbrückungshilfen“ kommt es bei Kindern, wenn sie die Regeln für die Bildung der Form nicht kennen oder auf eine allgemeine Regel zurückgreifen, die sie kennen, die sich aber auf den gegebenen Fall nicht korrekt übertragen lässt. Hier spielt das Lernprinzip der Analogie eine Rolle, wenn die bereits erlernten Formen und Strukturen auf die neuen analog übertragen werden. Daran lässt sich gut erkennen, wie Kinder sich selbst die Zusammenhänge innerhalb sprachlicher Strukturen Kindlicher Spracherwerb - eine kurze Entwicklungsskizze 37 schaffen und durch Experimentieren und kreativem Umgang mit dem gehörten Input zu sprachlicher Ausdrucksfähigkeit gelangen. Die Kommunikationsfreude nimmt zu … Das Sprachverständnis ist mit 4 Jahren weitgehend ausgebildet, die Kinder können ihre Gedanken facettenreich ausdrücken. Die soziale Funktion der Sprache etabliert sich durch den aktiven Gebrauch von verschiedenen Kommunikationsmustern, die Kinder situativ einsetzen. So sprechen sie beispielsweise eine an die gegebene Situation angepasste „Babysprache“, wenn sie mit sehr kleinen Kindern zu tun haben. Wenn sie aber mit Erwachsenen sprechen und diese beispielsweise von etwas überzeugen möchten, verwenden sie einen ganz anderen Sprechstil, führen Argumente an und zeigen einfallsreiche Überredungstalente, um eigene Kommunikationsziele zu erreichen. Die Fähigkeit, Gespräche zu führen, entwickelt sich also schrittweise mit zunehmendem Alter weiter. Kleinkinder zwischen 2 und 3½Jahren tendieren dazu, „Selbstgespräche“ zu führen, in dem sie eigene Handlungen im Spiel sprachlich kommentieren. Die dialogische Gesprächsführung kann man hingegen zwischen Kindern beobachten, wenn sie routinierte Rollenspiele wie „Kochen“, „Familie“ oder „Mutter-Kind-Spiele“ spielen. Kleinere Kinder sprechen insofern über Vergangenes und Zukünftiges, als dass sie ihre eigene, zeitlich stark geraffte Zeitskala entwickeln und eigene Vorstellungen von den stattgefundenen und noch stattfindenden Ereignissen aufbauen. Diese geraffte Zeitskala wird zunächst durch „gestern - heute - morgen“ definiert, wobei „gestern“ bereits mehrere Monate oder noch länger zurückliegen kann. Danach findet langsam eine feinere zeitliche Differenzierung statt, indem die Kinder, z. B. auf die Zukunft bezogen, Fragen stellen wie „Wie viele Nächte muss ich noch schlafen, bis der Weihnachtsmann kommt? “. Im Alter von 4 - 5 Jahren verändern sich auch die Inhalte der Gespräche. Die Kinder sind dann in der Lage, zusammenhängend über vergangene Ereignisse zu sprechen und die Zeitabläufe angemessen zu ordnen. Ab dem 5. Lebensjahr zeigen Kinder auf allen sprachlichen Ebenen eine der Erwachsenensprache beinahe ebenbürtige Sprachentwicklung. Ihre weiteren Lernfortschritte sind dann eher kontinuierlicher Natur, nicht so rasant wie in den vorhergehenden Entwicklungsphasen und dienen, analog dem sich vertiefenden Wissenserwerb, der Erweiterung und Verfeinerung. Mit dem Eintritt in den Kindergarten um das dritte Lebensjahr bekommen die Kinder einen umfassenden und regelmäßigen Zugang zur Kommunikation mit gleichaltrigen und erwachsenen Bezugspersonen als Träger der dominanten institutionellen Sprache. Dies ist, wie gezeigt, eine besonders lernintensive und sensible Entwicklungsphase. Kinder lernen Sprachen nicht isoliert, indem sie Aussprache, Wortschatz und Grammatik auswendig lernen, sondern ganzheitlich mit allen Sinnen und in realen Alltagssituationen. Bei der gleichzeitigen Aktivierung von Sinneswahrnehmungen und sprachlichem Tun merkt sich das 38 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Kind sprachliche Informationen besser als beispielsweise durch nur passives Zuhören. Aktive emotionale Beteiligung am Geschehen, Orientierung an den Interessen und Themen des Kindes sowie Aktivierung von allen Sinnen (visuell, taktil, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch) schaffen eine natürlich gestaltete, sprachanregende und sprachfördernde Situation. Die umfassende, aber dennoch beiläufige Sprachförderung in der Kindergartenumgebung stellt dementsprechend ein wesentliches Element des Sprechenlernens dar, besonders auch im Falle des parallelen Erwerbs von zwei oder mehr Sprachen. Der kindliche Zweitspracherwerb Durch wissenschaftliche Studien zur Spracherwerbsforschung wissen wir mittlerweile, dass dem Erstspracherwerb und dem natürlichen Zweitspracherwerb grundsätzlich die gleichen Erwerbsmechanismen zugrunde liegen. Die von Geburt an zweisprachig aufwachsenden Kinder weisen sehr ähnliche Erwerbsszenarien und Erwerbsverläufe wie einsprachige Kinder auf. Sie können auch sehr früh beide Sprachen trennen und personenbezogen oder situationsbezogen gebrauchen (vgl. Tracy 2000, Dittmann 2002). Auch im frühen Zweitspracherwerb, d. h. wenn Kinder mit ca. drei Jahren den ersten intensiven Kontakt mit dem Deutschen haben, erwerben sie die Sprache nach ähnlichen Mustern wie einsprachige Kinder ihre Muttersprache. Sie erschließen sich bestimmte grammatische Bereiche schneller und manche Bereiche, die sich strukturell stark von der Erstsprache unterschieden, etwas langsamer. Transfererscheinungen (Übertragungen) sprachlicher Muster von einer Sprache auf die andere können dabei die Aneignung der Sprache beschleunigen oder verlangsamen (vgl. Siebert-Ott 2008). Die Erwerbstechniken wie Verallgemeinerung, Nachahmung, Analogiebildung, Experimentieren mit der Sprache und Schaffung individueller Wortschöpfungen gehören zum Repertoire sowohl einsprachig als auch zweisprachig aufwachsender Kinder. Die mittlerweile zahlreich vorliegenden Studien aus dem Bereich der vorschulischen Zweitspracherwerbsforschung veranschaulichen, dass auch die Kinder, die erst mit dem Eintritt in den Kindergarten einen regelmäßigen Input im Deutschen haben, die Grundstrukturen des Deutschen innerhalb eines Jahres gut beherrschen lernen (vgl. Rothweiler 2007, Thoma/ Tracy 2006, Kostyuk 2004). Zur Verdeutlichung des Erlernens von grammatischen Strukturen der Zweitsprache sollen nun kurz einige ausgewählte Ergebnisse einer eigenen Studie vorgestellt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Frage, wie russischsprachige Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren die deutsche Sprache erlernen. In der Studie konnte gezeigt werden, dass und wie die Erstsprache eine „unterstützende“ Funktion beim Erwerb einer zweiten Sprache übernimmt. Die Kinder ziehen ihr Vorwissen und ihre sprachliche Vorerfahrung aus der Erstsprache. Das in der Erstsprache erworbene Wissen spielt somit Kindlicher Spracherwerb - eine kurze Entwicklungsskizze 39 eine beträchtliche Rolle (vgl. Kostyuk 2004, Triarchi-Hermann 2003, Jampert 2002). Manche grammatischen Strukturen erwerben die Kinder problemlos schnell und fehlerfrei. In anderen Bereichen müssen sie mehr Arbeit leisten, bis sie die Strukturen der Zielsprache beherrschen. Als Beispiel können Kasus- und Genuserwerb oder Pluralbildung dienen. In diesen Bereichen kommen über längere Zeit hinweg von der Zielsprache abweichende Formen vor: (1) so ein grüne (= Blatt) hat die tannenbaum (Artur 4; 10,27) (2) ich will der tiger haben (Artur 4,11) (3) haaren, spielzeugens, freunden, elefante, ohre - inkorrekte Pluralbildung (Jakob, zwischen 3,00 und 3,11 Jahren) Die Subjekt-Verb-Übereinstimmung (z. B. ich fahre, du fährst, wir fahren) oder die Wortfolge im Hauptsatz eignen sich die Kinder schneller an als beispielsweise die korrekte Bildung von unregelmäßigen Verbformen (ich empfehle, du empfiehlst) oder die Zuweisung von Artikel und Bildung der Fälle (Nominativ, Dativ, Akkusativ). Übergangsgrammatiken - unterwegs zur Zielsprache In bestimmten Entwicklungsetappen verwenden sowohl einals auch zweisprachige Kinder Formen, die in der Erwachsenensprache als falsch gelten. Auf dem Weg zur vollen Sprachbeherrschung weist die Kindersprache bestimmte Zwischenetappen auf, die in Fachkreisen als „Interlanguage“, als „Lernersprache“, bezeichnet wird. In der Kindersprache sind diese „falschen“ Formen eine vorübergehende Erscheinung und ein Zeichen für den Übergang zur nächst höheren Entwicklungsstufe. Bei zweisprachigen Kindern geht es um ein spezifisches System, das Züge beider Sprachen sowie Übergangsstrukturen aufweist, die von der Erst- und Zweitsprache unabhängig sind. Sicherlich hat jeder schon einmal die „falsch“ gebildeten Partizipien wie „geschneidet“, „abgebeißt“, „getut“ oder „gelauft“ in der Kindersprache gehört. Solche übertragenen Formen kommen sowohl beim Erst- und wie beim Zweitspracherwerb vor. Mit Übertragung ist gemeint, dass diese Formen nach dem regelmäßigen Muster wie „gemacht“ oder „gelacht“ gebildet werden. Bei Erwerb des Deutschen als Zweitsprache können sie über längere Zeiträume vorkommen und bedürfen manchmal zusätzlicher Förderung. 40 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Erst- und Zweitspracherwerb - ähnliche Wege zum Ziel Wir können festhalten, dass ein- und zweisprachige Kinder viele ähnliche Entwicklungsschritte gemeinsam durchlaufen, bis sie sich zu kompetenten Sprechern des Deutschen bzw. beider Sprachen entwickeln. Es gibt im natürlichen Zweitspracherwerb Phasen, die sich durch eine gewisse Stabilität im Sprachverhalten auszeichnen und Phasen, die Schwankungen und sogenannte sprachliche „Unregelmäßigkeiten“ enthalten. Die Verlaufsspezifik des frühen Zweitspracherwerbs betrifft demnach hauptsächlich die zeitlichen Verzögerungen und die Gebrauchshäufigkeit der einen oder anderen Struktur oder Form. Kinder lernen Sprachen sehr individuell, die beteiligten Prozesse können in manchen Bereichen sprunghaft und in anderen Bereichen kontinuierlich verlaufen. Viele Eltern zweisprachig aufwachsender Kinder können sicherlich bestätigen, dass sie bei ihren Kindern Phasen beeindruckend schneller Sprachentwicklung in der Erweiterung des Wortschatzes und in der Zunahme an Komplexität der Sätze beobachtet haben. Es gibt aber auch zweisprachige Kinder, die „sich richtig Zeit lassen“, die zweite Sprache aktiv zu sprechen, obwohl sie sie jeden Tag hören. So berichtet eine mir bekannte Mutter mit Begeisterung und tiefer Bewunderung für ihr Kind, dass das Mädchen nach dem Kindergarteneintritt ein halbes Jahr lang kein Deutsch gesprochen habe, dann aber, an einem Tag plötzlich anfing, viel und gutes Deutsch zu sprechen. Solche Beispiele zeigen, wie individuell der Spracherwerb bei jedem Kind verlaufen kann. Die Prozesse der Aneignung, besonders einer zweiten Sprache, sind außerdem eng mit dem emotionalen Wohlbefinden der Kinder und ihrer Vertrautheit mit der sozialen Umgebung verbunden. Ausgewählte Beispiele für den Grammatikerwerb Zweisprachige Kinder wechseln von einer Erwerbsphase zur nächsten manchmal schneller, manchmal langsamer als einsprachige Kinder. Bei den von mir untersuchten russischsprachigen Kindern, die erst mit dem Kindergarteneintritt der deutschen Sprache intensiv ausgesetzt waren, konnte ich eher ungleichmäßige und sprunghafte und in einigen speziellen Grammatikbereichen verlangsamte Entwicklung beobachten. Das Erlernen von Fragestrukturen Als Beispiel wird hier der Erwerb von Fragestrukturen des Deutschen angeführt. Im Erstspracherwerb erwerben die Kinder zuerst die Intonationsfragen (Auto fährt? ), danach kommen die W-Fragen (Was machst du? ) und schließlich die Inversionsfragen (hast du schon geschlafen? ) und Partikelfragen (Wann Ausgewählte Beispiele für den Grammatikerwerb 41 machst du das denn endlich? ) (vgl. Chlahsen 1983, Wode 1976). Die Kinder im Erstspracherwerb erlernen verschiedene Fragetypen in einer bestimmten Reihenfolge - Intonationsfragen - W-Fragen - Inversionsfragen - Partikelfragen. Im Zweitspracherwerb muss es diese Reihenfolge nicht unbedingt geben, er ist eher durch gleichzeitiges Vorkommen von verschiedenen Strukturen und individuelle Variationen gekennzeichnet. Ein Kind, Artur, bevorzugt anfangs die Intonationsfragen mit der Tendenz für die zunehmende Bildung von Inversionsfragen, die eine Subjekt-Verb-Umstellung benötigen. Zum Schluss der 1,3-jährigen Beobachtung bildet Artur verschiedene Fragen mit abwechselnder Dominanz. Das zweite Kind, Igor, fängt gleich mit den W-Fragen an und ergänzt sein Repertoire mit den Inversionsfragen. Das dritte Kind, Jakob benutzt gleich zu Beobachtungsbeginn alle drei Fragetypen. Das gemeinsame bei allen drei Kindern ist, dass sie während der gesamten Beobachtungszeit immer wieder Intonationsfragen bilden. Die Intonationsfragen, die ausschließlich durch steigende Intonation gebildet werden, sind für das Russische typisch und kommen auch im gesprochenen Deutsch in der Dialogform vor. Diese zwei Aspekte könnten dafür verantwortlich sein, dass diese Art Fragen von den Kindern häufig benutzt wird. Verneinung - ich nicht sagen jetzt Beim Erlernen von Verneinungen konnte folgende Entwicklungsabfolge beobachtet werden: nein - nicht - kein. Die Verwendung dieser Verneinungen trat bei den untersuchten Kindern parallel auf und wurde von ihnen teilweise korrekt, teilweise falsch eingesetzt, beispielsweise so: (4) ich nicht sagen jetzt (Igor 3; 2) (5) ich hab’ keine luscht mehr (Igor 3; 3) (6) guck des malt nicht (Igor 3; 3) (7) es nicht ich gemacht (Igor 3; 3) Hier kommen also die richtigen ((5), (6)) und falschen ((4), (7)) Formen im gleichen Zeitraum parallel vor. Es wird ersichtlich, dass in manchen strukturellen Bereichen eine gewisse Diskontinuität in Bezug auf die Annäherung an die zielsprachige Grammatik besteht. Im Gegensatz dazu ist der Erstspracherwerb durch eine gewisse Strukturiertheit in der Reihenfolge des Erwerbs bestimmter Strukturen und der Zunahme an Komplexitätsgraden der Äußerungen gekennzeichnet. Für den frühen Zweitspracherwerb kann man eher von gleichzeitigem Vorkommen verschiedener Formen und Strukturen sprechen. Wir können beobachten, dass einfache und komplexere Formen parallel existieren: 42 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb (8) ich will eine mädchen und baby auch (Artur 4; 3) (Kommentar: das Kind möchte gerne mit einem Mädchen und einem Baby spielen) (9) wenn andere kinder nicht verstande, dann, dann sage ich dir (Artur 4; 4) (10) ich hab’ einfach vergessen, wie das heißt (Artur 4; 10) Im Satz (9) vergisst das Kind, ein Hilfsverb am Ende des Satzes, das zur vollständigen Partizipform gehört, hinzuzufügen. Dadurch ist der Satz nicht nur strukturell unvollendet sondern auch sinngemäß unverständlich. Gleichzeitig bildet das Kind aber vollständige Nebensätze mit korrekter Endstellung des Verbs im Nebensatz (10). Grundsätzlich sind eine große Invarianz bzw. verschiedene Entwicklungslinien beim Erwerb von Nebensätzen zu verzeichnen. Wo kommt das Verb hin? Langsam bilden die Kinder die korrekte Verbstellung im einfachen Hauptsatz heraus. Die beobachteten falschen Verbstellungen könnte man auf den Einfluss der Erstsprache zurückführen. So bilden die Kinder Sätze mit der Verbdrittstellung, wie z. B. auf Russisch ich sprechen (Artur 4; 0), ich das machen hier (Artur 4; 0), ich was zeigen dir (Artur 4; 0). Die Verschiebung des Verbs nach rechts kann aber auch mit der Aufnahme neuer Elemente im Satz und mit der Hervorhebung eines Satzelementes verbunden sein. Die Kinder greifen nicht in jedem grammatischen Bereich auf ihr Vorwissen aus der Erstsprache zurück und die Strukturunterschiede in der Erst- und Zweitsprache führen nicht immer zu Interferenzen. Die Abweichungen von der Zielsprache können durch die strukturelle Komplexität der zu erwerbenden Sprache begründet werden. Ein Kaktus - zwei Kaktusen , oder? Ein problematischer Bereich beim Zweitspracherwerb liegt in der Wortformbildung bzw. beim Erwerb von Pluralendungen. Für Nicht-Muttersprachler des Deutschen ist das ein großes Problem. Die Kinder bevorzugen bei der Bildung von Pluralformen die -en Endung. Die zweithäufigst gebrauchte Form ist die Endung -e. Beispiele wie Haaren, Fischen, Schweinen, Spielzeugen, Bäre, Wurme, Blatten, Wolfen, Hefter - kommen regelmäßig zusammen mit korrekten Formen vor. Dies macht es wahrscheinlich, dass Kinder in diesem Entwicklungsstadium (in den ersten sechs Monaten nach dem Kindergarteneintritt) die neuen Pluralformen nicht durch die Beherrschung morphologischer Regeln, sondern durch lexikalisches Lernen und durch Analogie zu konkreten Mustern aus der sprachlichen Umgebung bilden. Dies betonen auch andere Autoren, die sich mit dem Spracherwerb von Kindern wissenschaftlich auseinandersetzen. Sprach- und Erziehungswissenschaft- Ausgewählte Beispiele für den Grammatikerwerb 43 ler haben im Rahmen einer Begleituntersuchung des Sprachförderprogramms der Landesstiftung Baden-Württemberg beispielsweise festgestellt, dass Kinder mit Migrationshintergrund Probleme in der Wortformbildung zeigen. Ihnen fällt es schwer, aus dem Input die richtigen Endungen herauszuhören. Sie konzentrieren sich besonders zu Beginn des Zweitspracherwerbs auf die Inhalte der Aussagen und nicht auf das formelle Gerüst. Die weiteren Problembereiche, so die Autoren, liegen im Gebrauch von Artikeln und in der Kasusbildung (Knapp/ Kucharz/ Gasteiger-Klispera 2010, 74f.). „Der“, „die“, „das“ - als Hemmer schnellen Deutscherwerbs Ein weiterer problematischer Bereich beim Erwerb der Zweitsprache ist die Geschlechtsunterscheidung, d. h. die Unterscheidung zwischen „der/ ein“, „die/ eine“ und „das/ ein“. Das Genus erwerben deutschsprachige Kinder in den frühen Phasen problemlos und machen in diesem Bereich wenig Fehler. Im Gegensatz dazu erwerben zweisprachige Kinder die Kategorie Genus erst allmählich und zeigen dabei entwicklungsspezifische Übergangsstrategien wie die Übergeneralisierung einer Genusform auf die anderen. Zuerst werden die prototypischen Genuszuweisungsregeln erworben, die ein hohes Wirkungsspektrum besitzen (vgl. Dieser 2008). Zu Beginn des Zweitspracherwerbs achten die Kinder dabei, wie gesagt, nicht so sehr auf die formale Seite sondern eher auf die Vermittlung der Inhalte. So dominiert in der frühen Phase des Zweitspracherwerbs die Genusform „die/ eine“, die auch perzeptuell gut wahrnehmbar ist: (11) das is die auge (I. 3; 9,16) (12) wo is die würfel? (J. 3; 6,20) (13) da siehsch du die auto kommt her (A. 4; 11,24) (14) da isch eine hund (A. 4; 2,12) Bei den untersuchten russischen Kindern zeigte sich eine große Variation im Gebrauch verschiedener Artikel ohne erkennbare Regelanwendung. Ein Unterschied zum Erstspracherwerb wird deutlich, wenn man die Erwerbsreihenfolge der drei grammatischen Kategorien des Substantivs vergleicht. Die einsprachigen Kinder erwerben die Kategorien Genus, Numerus und Kasus, also Geschlechts-, Mehrzahl- und Fallzuweisung, gleichzeitig. Im frühen Zweitspracherwerb können wir vom allmählichem Erwerb dieser Kategorie sprechen und zwar in der Reihenfolge Numerus-Kasus-Genus. Zuerst kommen sporadische, aus dem Input ganz übernommene Mehrzahlformen wie Autos, Hände, Kinder in Verbindung mit unbestimmten Artikeln vor. Später erweitert sich die kindliche Ausdrucksweise um Kombinationen mit bestimmten Artikeln, was zur Ausdifferenzierung nicht nur des Kasus-, sondern auch des Genussystems führt. 44 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Dazu kommt, dass die russischsprachigen Kinder hier nicht auf Muster der Erstsprache zurückgreifen können. Das Russische besitzt ja keine Artikel, das Geschlecht wird morphologisch an den Endungen von Substantiven markiert. Das Kasussystem des Russischen ist im nominalen Bereich stark flektiert und formenreich. Neben den vier Fällen des Deutschen kommen noch zwei weitere hinzu - Instrumental und Präpositiv. Strukturell einfacher sieht es hingegen mit dem Genussystem des Russischen aus. Das Geschlecht der russischen Substantive ist in den meisten Fällen eindeutig nach der Substantivendung zu bestimmen. Im Deutschen hingegen ist das Geschlecht sehr regellos zugeordnet und ist somit im Fremdsprachenunterricht „Feind Nr. 1“. Diese formalen Unterschiede können den Erwerb des Deutschen bei russischsprachigen Kindern erschweren. Außerdem sind die Kasusformen im Deutschen akustisch schlecht unterscheidbar, man denke etwa an den oft kaum hörbaren Unterschied zwischen „den“ und „dem“ oder „einen“ und „ein“. Hier ist also ein klarer entwicklungsspezifischer Unterschied zu den einsprachigen Kindern, die das grammatische Geschlecht der Nomina fast ohne Fehler früh erwerben, hervorzuheben. Erst- und Zweitspracherwerb: Ähnlich und doch mit eigenem Entwicklungsprofil Im Fall des sukzessiven Zweitspracherwerbs, wenn die zweite Sprache ab etwa dem dritten Lebensjahr erworben wird, ist in diesem Bereich entsprechend auch eine zeitlich verzögerte Entwicklung mit längeren Phasen, die abweichende Formen beinhalten, zu beobachten. Das Erlernen grammatischer Strukturen des Deutschen stellt sich als ein sukzessiver Prozess dar. Kinder durchlaufen verschiedene Entwicklungsstufen, bis sie die Grammatik der Zielsprache beherrschen. Dabei greifen sie auf ihr Wissen aus der Erstsprache zurück und verfügen zugleich über Übergangsgrammatiken, die durch die Struktur der Zweitsprache begründet werden. Mit der Zeit spielt die formale Seite der Sprache eine zunehmend größere Rolle. Die Differenzen zwischen dem Erst- und Zweitspracherwerb betreffen sowohl die Frequenz einer bestimmten grammatischen Struktur als auch den zeitlichen Rahmen, also das Erwerbstempo oder den Grad der Sprachbeherrschung. Verschiedene Verlaufsmuster des Zweitspracherwerbs und des Niveaus der Sprachbeherrschung sind auf verschiedene Erwerbsbedingungen zurückzuführen. Zu nennen sind hier: • Beherrschungsgrad der Erstsprache und ihre weitere Förderung • Beginn des Erstkontaktes mit der Zweitsprache • Intensität des Kontaktes mit der Zweitsprache • Qualität und Quantität des Inputs in der Zweitsprache • Sprachgebrauch und Sprachentrennung in der Familie • soziale Wertschätzung der Erstsprache/ familiäre Wertschätzung der Zweitsprache. Wortschatzentwicklung im frühen Zweitspracherwerb 45 Wortschatzentwicklung im frühen Zweitspracherwerb Beim Erwerb einer zweiten Sprache müssen die Kinder im natürlichen Zweitspracherwerb nicht nur die formalen Eigenschaften der Zweitsprache erschließen, sondern auch die neuen Wortbedeutungen und dazu gehörende Begriffe erlernen. Bedingt durch die fortgeschrittene kognitive Entwicklung und die Beherrschung der Erstsprache haben die zweisprachigen Kinder andere Zugänge zum Lernen neuer Wörter als die Lerner der Erstsprache. So greifen die zweisprachigen Kinder auf semantische Netzwerke und die in der Erstsprache bestehenden Wortbedeutungen zurück und erschließen sich so die neuen Wörter und Bedeutungen in der Zweitsprache. Da der Wortschatz in der Erstsprache im Vorschulalter noch in ständiger Entwicklung ist, kann auch die Zweitsprache auf die Wortschatzentwicklung in der Erstsprache ergänzend einwirken. So verfügen z. B. die Kinder, die bis zum dritten Lebensjahr nur in der Erstsprache kommuniziert haben, vorwiegend über einen Wortschatz, der sich auf die alltäglichen Lebensbereiche der Kinder wie Familie, Essen, Spielen und Spielzeuge, Spazierengehen, usw. beschränkt. Durch den Eintritt in den Kindergarten lernen die Kinder eine neue Sprache und mit ihr auch neue Begriffe aus dem Kindergartenalltag. Solche Begriffe, wie „Schulanfänger“, „Schule“, „Stuhlkreis“, „Laternenumzug“ usw. werden erst in der Zweitsprache gelernt und können dann zu Hause durch die Eltern in der Erstsprache erklärt werden. So kommt es zur Bereicherung des Wortschatzes durch eine enge Wechselwirkung beider Sprachen. Durch die Nutzung der bestehenden Wissensressourcen über Begriffe und Wortbedeutungen in der Erstsprache und den Aufbau eines neuen Wortschatzes in der Zweitsprache kann man eine optimale fortlaufende Erweiterung des aktiven und des passiven Wortschatzes in beiden Sprachen erreichen (Kauschke 2000, Zangl 1998, Peltzer-Karpf 1998). Erweiterung des Wortschatzes bei Zweisprachigen Zweisprachig und einsprachig aufwachsende Kinder zeigen verschiedenes Tempo bei der Erweiterung des Wortschatzes. Beim regelmäßigen Besuch des Kindesgartens bauen die zweisprachigen Kinder relativ schnell einen grundlegenden Wortschatz auf. Seine Referenzbereiche drücken die Interessen, die aktuellen Themen und Bedürfnisse der Kinder aus. Das Wortschatzwachstum kann sukzessiv oder sprunghaft verlaufen. Bei letzterem spricht man von einem „vocabulary spurt“. Diese sprunghafte Zunahme an Wörtern wird nicht bei allen Kindern beobachtet und stellt somit einen jeweils individuellen Entwicklungsweg dar. Mit zunehmendem Alter nimmt der Wortschatz nicht nur quantitativ zu, sondern es erweitert sich auch das Spektrum der Ausdrucksweise und des Abstraktionsgrades. Zuerst vollzieht sich eine Ausdifferenzierung des Wortschatzes in den Wortklassen der Substantive, Verben, Adjektive und Adver- 46 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb bien. Mit zunehmendem Alter werden abstrakte Begriffe, Oberbegriffe und Bezeichnungen für nicht-gegenständliche Sachverhalte zum festen Bestandteil der Alltagssprache. Zu Beginn des Zweitspracherwerbs kann man beobachten, dass die Kinder ganze Formeln und einheitlich gespeicherte Ausdrücke aus der Zweitsprache übernehmen. Durch zunehmende Interaktionsmöglichkeiten wird der Wortschatz erweitert. Damit ist die besondere Rolle des kontinuierlichen, gut differenzierten und abwechslungsreichen Sprachinput als eine der grundlegenden Bedingungen der erfolgreichen Wortschatzerweiterung angesprochen. Bei zusammengesetzten und schwer auszusprechenden Wörtern dauert der Erwerb manchmal länger. Die Alltagskommunikation im Kindergarten und auch im familiären Umfeld weist viel Routine auf, so dass der Wortschatz sich oft auf für das Kind bekannte Ereignisse beschränkt. Die Kinder erweitern ihren Wortschatz durch Übernahme aus dem Input, durch eigene Neuschöpfungen, die sie dann in den aktuellen Kommunikationskontexten einsetzen und ausprobieren. Nicht alle gehörten Wörter gehen dabei in den aktiven Wortschatz des Kindes über. Ein Wort muss akustisch gut präsentierbar und seine Bedeutung verständlich sein. Durch die gegenständliche Präsentation von Wörtern, zusammen mit der Aktivierung aller Sinne, werden Wörter nachweislich besser erlernt. Wenn ein zweisprachig aufwachsendes Kind zu Beginn des Kindergartenaufenthaltes den Satz hört: „Komm, gehen wir eine Laterne basteln! “, wird es die Wörter „Laterne“ und „basteln“ erst dann verstehen, wenn es die Handlung, die damit verbunden ist, „life“ erlebt und mehrmals selbst ausprobiert hat. Der Wortschatz alleine reicht nicht aus! Allein die Zunahme des kindlichen Wortschatzes sichert noch nicht den erfolgreichen Spracherwerb. Er ist eine wichtige Komponente der gelungenen Sprachentwicklung, aber kein ausreichender Gradmesser für die Sprachbeherrschung insgesamt. Entscheidend ist vielmehr, wie die Kinder die morphologischen und syntaktischen Regeln der Sprache auf diesen Wortschatz anwenden können. Und hierin zeigen besonders Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus bildungsfernen Schichten gravierende Mängel, die ihnen dann in der Schule den Einstieg ins Lesen und Schreiben erschweren. So können Kinder beispielsweise über einen gut entwickelten Wortschatz für bestimmte relevante Themenbereiche wie Spiele, Essen, Kleidung usw. verfügen, sind aber nicht in der Lage, differenzierte syntaktische Strukturen zu bilden. Die fehlende Beherrschung beispielsweise der unserer gesamten sprachlichen Kommunikation zugrundeliegenden transitiven Strukturen (Akkusativ) führt beispielsweise zu folgenden Sätzen: „Mutter anziehen Jacke Junge“, oder „Mutter gibt Ball der Junge“, die im aktuellen Redekontext, einschließlich bestimmter Zeigegesten, Körperhaltungen, Blickrichtungen durchaus Verstän- Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? 47 digung erlauben, die aber in weniger konkreten Situationen und erst recht beim Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen völlig unzulänglich sind. Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? Wie der Name schon sagt, bedeutet der bilinguale Erstspracherwerb, dass beide Sprachen von Geburt an oder auf jeden Fall sehr früh zeitlich parallel erworben werden. Das heißt, dass das Kind in einer natürlichen sprachlichen Umgebung aufwächst, in der beide Sprachen regelmäßig gesprochen werden. Der zeitliche Faktor der parallelen Beherrschung zweier Sprachen trägt wesentlich dazu bei, dass in beiden Sprachen muttersprachliche Kompetenz erreicht werden kann. Wie gut die beiden Sprachen dann am Ende entwickelt sind, hängt von vielen Faktoren ab, wie die Intensität und Regelmäßigkeit des Inputs in beiden Sprachen, die Bedeutung der Sprache für das Kind, die Einstellung der Eltern und der nächsten Umgebung zu beiden Sprachen. Die kindliche Zweisprachigkeit kann sich auch so entwickeln, dass die Kinder nur in einer Sprache eine hohe Kompetenz erreichen. Die andere, schwache Sprache wird nicht weiter unterstützt und aktiv gesprochen. Es ist also nicht selbstverständlich, dass die Kinder, die von Geburt an beiden Sprachen ausgesetzt werden, diese beiden Sprachen gleich gut sprechen oder überhaupt später in der Schulzeit weiter behalten. Hier möchte ich als Beispiel des bilingualen deutsch-ukrainischen Erstspracherwerbs den Spracherwerb bei meinem Sohn Simon näher darstellen. Simon ist 3,8 Jahre alt und besucht seit dem ersten Lebensjahr eine Kindertagesstätte. Die sprachliche Umgebung des Kindes Ich bin geborene Ukrainerin, die seit fünfzehn Jahren in Deutschland lebt, der Vater ist deutschsprachig. Unser 3,8jähriger Sohn Simon wächst zweisprachig Deutsch und Ukrainisch auf. Die familiäre Kommunikation verläuft in den meisten Fällen strikt nach dem Prinzip ‚eine Person - eine Sprache‘. Ich verwende eine doppelgleisige Strategie bei der Sprachwahl. In vielen alltäglichen Situationen, deren Inhalte dem Vater wohl bekannt sind, spreche ich in Anwesenheit des Vaters mit Simon ausschließlich ukrainisch. In den Situationen, in denen für den Vater interessante, neue und ihn betreffende Informationen dazu kommen, gebrauche ich zwei Sprachen. Ich teile zuerst den Sachverhalt für das Kind auf Ukrainisch mit und dann übersetze ich den Inhalt konsekutiv für den Vater ins Deutsche. So hört das Kind ein und denselben Sachverhalt in einer Kommunikationssituation in beiden Sprachen. Ansonsten spreche ich konsequent ukrainisch und mein Mann Deutsch mit Simon. 48 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Hier ist zu bemerken, dass es in Deutschland immer mehr bilinguale Familien gibt, in denen ein Elternteil aus dem russischsprachigen Raum kommt. Aus einem großen Bekannten- und Freundeskreis höre ich öfter, dass die Frauen mit dem Kind nicht mehr russisch oder ukrainisch sprechen, da die deutschsprachigen Väter dieses Vorhaben nicht gerne unterstützen. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich sein. Väter fühlen sich aus der Kommunikation ausgeklammert, wenn die Frauen in ihrer Anwesenheit ihre Muttersprache sprechen oder sie sind grundsätzlich der Meinung, dass Kinder, die in Deutschland aufwachsen, kein Russisch und Ukrainisch zu lernen und zu beherrschen brauchen. Dies ist bedauerlich. Die zweisprachige Erziehung verlangt eigentlich kaum mehr Aufwand als die einsprachige, wenn man einige grundlegende Regeln, wie die genannte Sprachentrennung, konsequent beachtet. Die weiteren sozialen Kontakte bei Simon verlaufen meistens auf Deutsch. Dies sind Freundschaften aus dem Kindergarten, Freunde auf dem Spielplatz, deutschsprachige Kinder aus dem Freundeskreis der Eltern. Der Kontakt zu ukrainischen Kindern lässt sich aber mit der Zeit erweitern, so dass auch hier eine ausgeglichenere zweisprachige Umgebung sprachfördernd wirken kann. Sprachverhalten von Simon Durch die ungleichmäßige Verteilung beider Sprache in der Umgebung des Kindes ist bei Simon Deutsch eine dominante und Ukrainisch eine schwache Sprache. Bis zu seinem dritten Lebensjahr hat er Deutsch fast immer als Sprache der Kommunikation gewählt. Auch mir antwortete er nur auf Deutsch. Ich habe ihm selbst gezeigt, dass ich auch Deutsch verstehe und diese Sprachwahl in den Gesprächen mit mir akzeptiere. Simon zeigte keine offensichtliche Verweigerung, die Sprache der Mutter zu sprechen. Der Grund, warum er Deutsch wählte, war eher sprachlich-praktischer Natur. Auf Ukrainisch konnte er seine vielfältigen Sprachabsichten nicht realisieren. Er versuchte manchmal, den Satz auf Ukrainisch zu beginnen, merkte aber bald, dass ihm die Worte und Verknüpfungsregeln fehlten und wechselte ins Deutsche. In Gesprächen mit mir versuchte er häufig, sein ganzes Wortrepertoire auf Ukrainisch in deutsche Sätze einzufügen. Solche Beispiele wie: Wir gehen in магазин (magazyn - Laden) und купen (kupen - kaufen) dort машина -s (maschinas - Autos) veranschaulichen seine Versuche. Er benutzte deutsche Umrahmungen und füllte sie teilweise mit ukrainischen Wörtern auf. Bei der Bildung der Wortformen zog er die deutschen Regeln heran und fügte deutsche Endungen an die ukrainischen Substantiv- und Verbstämme: die Form „kup-en“ existiert im Ukrainischen nicht, die Endung -en ist die typische Infinitivendung für deutsche Verben. Ein anderes Beispiel ist Simons Kreation von „maschina-s“, wo er sehr sprachsicher die s-Endung für Mehrzahlbildung aus dem Deutschen ins Ukrainische übertrug. Ab dem dritten Lebensjahr, nachdem ihn die ukrainische Oma in Deutschland besucht hatte, und er dann den Großeltern einen Gegenbesuch abstattete, Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? 49 hat sich sein Verhältnis zum Ukrainischen wesentlich geändert. Diese Umstellung konnte man direkt beobachten. Nach dem dritten Tag des Aufenthaltes in der Ukraine hatte er begriffen, dass seine ukrainische Umgebung kein Wort Deutsch versteht und spricht. Seine größte Enttäuschung war, als er in einem Cafe das Eis auf Deutsch bestellen wollte und dies nicht erfolgreich war. Daraufhin entschied er, in der Ukraine auch ukrainisch zu sprechen und hat durch die dann erfolgte tägliche Übung seine Sprachkompetenz innerhalb von zwei Wochen erstaunlich verbessert. Für das Kind besteht offensichtlich die größte Motivation, in beiden Sprachen zu sprechen dann, wenn es die Notwendigkeit verspürt, beide für kommunikative Zwecke zu benutzen. Seitdem spricht Simon mit mir und den Freunden ukrainisch, mit dem Vater und der deutschen Umgebung ebenso selbstverständlich deutsch. Sprachmischungen Bei Simon werden Sprachmischungen nur mit den bilingualen deutsch-ukrainischen Sprechern beobachtet, wenn das Kind weiß, dass es vom Gesprächspartner verstanden wird. Meistens sind es ukrainische Substantive, die es dann in deutsche Sätze einfügt. Es entsteht der Eindruck, dass das Kind auf Deutsch spricht, dabei aber den Wortschatz beider Sprachen benutzt und die Wörter nach den Regeln deutscher Grammatik kombiniert. Einige Beispielsätze, die bei Simon zwischen 2; 0 und 2; 4 Jahren vorkamen: (15) ich nehmen паста (pasta - Zahnpaste) (16) песик (pesyk - Hund) weint (17) я (ja - ich) хочу (cho č u - möchte) nicht (18) діти (dity - Kinder) kommt gleich In der Krippe und später im Kindergarten konnten die Sprachmischungen überhaupt nicht beobachtet werden, hier sprach und spricht er rein deutsch. Die vertraute familiäre Umgebung, in der das Kind täglich beide Sprachen hört und seine persönlichen alltäglichen Kommunikationserfahrungen sammelt, verleitet es dazu, im deutschen Satz ukrainische Wörter einzusetzen. Obwohl Simon ganz genau weiß, dass sein Spielkamerad das nicht versteht, lässt er sich von seinem Plan nicht abbringen, die ihm vertrauten, emotional sehr positiv gefärbten Bezeichnungen aus der anderen Sprache einzubringen. Er sagt beispielsweise zu einer deutschsprachigen Freundin: (19) schau mal, schau mal ein песик (pesyk - Hund), ein kleiner pesyk, schau mal! (20) wollen wir zusammen einen мультик (multik - Zeichentrickfilm) schauen? (21) ich bringe dir gleich цукорок (cukorok - Praline). Mama hat es uns erlaubt. 50 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb All diese Wörter tragen positive Konnotation und sind mit positiven Erlebnissen mit der Mutter, der Trägerin des Ukrainischen, verbunden. Sprachmischungen kommen also bei ihm nur unter bestimmten Bedingungen vor - in der Kommunikation mit der Mutter, ab und zu, wenn bilinguale deutsch-ukrainische Personen dabei sind oder in den besonderen Situationen, in denen er vertraute und emotional beladene Inhalte vermitteln möchte. Sprachmischungen gelten aus heutiger wissenschaftlicher Sicht als eine positive Erscheinung im mehrsprachigen Kontext, „der Wechsel zwischen zwei Sprachen stellt sogar eine ganz besondere Kompetenz von mehrsprachigen Personen dar“ (Anstatt 2007, 142). Die metasprachliche Fähigkeit, sich seiner Mehrsprachigkeit bewusst zu werden, entwickelte sich bei Simon gegen Ende des zweiten Lebensjahres und äußerte sich dadurch, dass er seinen Sprachgebrauch steuerte und die eine oder andere Sprache gezielt einsetzte. Ein Ausschnitt aus dem Dialog mit dem Vater veranschaulicht die bewusste Wortwahl aus der einen oder anderen Sprache: Simon (3,2 Jahre): papa gib’ mir bitte зеркало (zerkalo - Spiegel)! Papa: Was möchtest du? Simon: зеркало (zerkalo - Spiegel) Papa: Zeig mir bitte, was du möchtest! Simon: hier zeige ich dir doch зеркало (zerkalo) Die Mutter kommt dazu. Simon sagt zur Mutter voller Stolz: papa hat mir deinen spiegel gegeben. Dieses Beispiel zeigt, wie leicht das Kind zwischen beiden Sprachen manövriert. Hier wird Papa getestet, ob er nicht doch Ukrainisch versteht und mit Vergnügen dem Vater ukrainisch und der Mutter deutsch vorgemacht. Sprachentwicklung von Simon im engeren Sinne In der simultanen Entwicklung beider Sprachen baut Simon allmählich den Wortschatz parallel in beiden Sprachen auf. Die ersten Worte - auto, ball, papa - sagte er mit ca. einem Jahr auf Deutsch. Das weitere kindliche Wortrepertoire verteilte sich auf zwei Sprachen und sah so aus: Deutsch: banane, apfel, flasche, joghurt, wasser, spielplatz, nüsse, weg, auf, zu, mit, meiner, mehr, mund, schuhe, blau, musik, ich auch, weh bauch, genug, weiter, ich schauen auch. Ukrainisch: цьоця (cjocja - Tante), діти (dity - Kinder), спати (spaty - schlafen), їсти (jisty - essen), корова (korova - Kuh), бик (byk - Stier), кіця (kicja - Katze), песик (pesyk - Hund), Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? 51 нема (nema - gibt es nicht), дякую (djakuju - danke), ножка (nožka - Beinchen), босий (bosyj - barfuß); мавпа (mavpa - Affe), ведмідь (vedmid´ - Bär), малий (malyj - klein), великий (velykyj - groß), мій трактор (mij traktor - mein Traktor), мама сядь (mama sjad´ - Mama setzt dich), тут (tut - hier), око (oko - Auge), вухо (vucho - Ohr), носик (nosyk - Nase), вія (vija - Wimper), волосся (volossja - Haare), музика (muzyka - Musik), пусто (pusto - leer), мокро (mokro - nass), пташка (ptaška - Vögelchen), люди (ljudy - Leute). Für gewöhnlich benutzte Simon bis zu seinem zweiten Lebensjahr keine Doppelbezeichnungen für Sachverhalte, Gegenstand oder Vorgänge, verstand aber dieselbe Bezeichnung z. B. „wasser - вода (voda)“ oder „kinder - діти (dity)“ in beiden Sprachen. Mit einem Jahr und 11 Monaten erreichte er die 50-Wörter- Schwelle. Ab da fing er an, die Wörter miteinander zu kombinieren: buche lese, kuchen essen, ich puste, ich auch malen, lampe aufmachen, papa weint, paprika heiß, kann nicht, papa küssen, nase putzen, papa kommt. Bis dahin hatte sich sein Wortschatz in beiden Sprachen mehr oder weniger gleichmäßig verteilt, er lernte neue Wörter in beiden Sprachen. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres wiederholte er oft unmittelbar gehörte Wörter, was für dieses Alter typisch ist und zur schnellen Wortschatzzunahme beiträgt. Bei längeren Wörtern wiederholte er die zwei letzten Silben - banane - nane, gefunden - funden. Die Äußerungslänge nahm zu, es kamen Dreiwortäußerungen dazu. Erst stand das Verb im Infinitiv, dann kamen in dieser Zeit die ersten konjugierten Verbformen in der 3. Pr. Sg. vor: ich muss essen/ ich darf aber/ darf nicht/ muss schauen dazu. Mit 2 Jahren entwickeln Kinder allgemein ein stark ausgeprägtes Gefühl der Zugehörigkeit und des Besitzes. Die meisten Sachen in der kindlichen Umgebung bekommen das „Prädikat“ „meins“. Das Possessivpronomen „mein“ benutzte Simon in verschiedenen Kontexten, auch in der Kombination mit Substantiven: meiner Kuchen, meine Wurst. Mit ca. 2 Jahren gebrauchte er die Mehrzahl, die ersten Formen werden als Ganzheit aus dem Input übernommen: Kinder, Autos, Photos, діти (dity - Kinder). Auf der Satzebene war auch ein rascher Fortschritt in Richtung der Zielsprache zu sehen. Simon wandte die S/ V-Kongruenz an, was bedeutet, dass Substantiv mit dem Verb in Person und Numerus übereinstimmend auszudrücken: jacke brauche ich, er schläft, er weint. Die ersten Partizipformen waren auch gegen Ende des zweiten Lebensjahres vorhanden: kaputtgegangen, geduscht. Nach dem zweiten Lebensjahr bezog er sich auch sprachlich auf vergangene Ereignisse und benutzte zunehmend die Vergangenheitsform mit dem Partizip. In dieser Zeit kamen viele sogenannte Übergeneralisierungen vor, wie geschneidet, gefliegt, gelauft, gegesst. Solche von der Zielsprache abweichende Formen werden auch bei Kindern im Erstspracherwerb in dieser Phase häufig beobachtet und sind eine vorübergehende Erscheinung. 52 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Zu erklären sind sie so, dass die Kinder zuerst ein Bildungsprinzip des Partizips nach dem Muster „machen - gemacht“ aus dem Input herausfiltern und es auf andere Verben übertragen. So gibt es, wie oben schon dargestellt, in der Kindersprache zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr sowohl richtige Partizipien wie probiert, geküsst, gebracht - als auch „falsche“ Formen wie - gebleibt, gelasst, getut, gebrungen. Die Wortverbindungen und kurzen Sätze wie z. B. Substantiv + Verb, benutzte Simon aber ausschließlich auf Deutsch. Diese Tatsache ist auf den Einfluss der deutschen Krippe zurückzuführen, aber auch ein individueller Lernweg des Kindes. Das kann bei anderen Kindern anders verlaufen. Zwischen 2½ und 3 Jahren kamen beim ihm häufiger zielsprachig richtige Formen und Sätze vor, im Sinne der genannten „Übergangsgrammatik“, bei der die Kinder viel durch Nachahmung, Hypothesenbildung und durch Analogie, Übertragung und Verallgemeinerung Wörter miteinander verbinden. Richtige Formen kommen in dieser Zeit parallel mit Abweichungen vor: Simon mit 2½ Jahren: (22) mama holt mich ab (23) ich zeige dich (24) zwei ball brauche ich nehmen Satz (22) ist korrekt und weist eine komplizierte Grammatik auf, die besagt, dass trennbare Vorsilben beim Verb im einfachen Hauptsatz am Satzende stehen müssen. Diese Regel wendet er hier aktiv an. Im zweiten Satz (23) ist das Verb richtig gebeugt, anstelle des Dativ von „du“ gebraucht Simon „dich“. Dies ist eine häufige Zwischenstufe beim Kasuserwerb, auch im Erstspracherwerb, wenn die Kinder zuerst eine duale Kasusgegenüberstellung Nominativ - Akkusativ beherrschen und danach auch Dativformen dazu kommen. Der letzte Satz (24) klingt nach den Kriterien der Erwachsenensprache völlig falsch. Einerseits fehlt die Mehrzahl von „Ball“ und der Partikel „zu“ vor dem zweiten Verb ist auch nicht vorhanden. Anderseits stellt man bei genauerem Hinsehen fest, dass der Satz die wichtigsten Bausteine der deutschen Syntax enthält: das Verb steht an der zweiten Stelle, das zweite Verb ist richtig an die letzte Stelle im Satz platziert und das Kind wendet sogar die Subjekt-Verb-Inversion an. Die Subjekt- Verb-Inversion besagt, dass das Subjekt des Satzes nach dem Verb stehen muss, wenn die erste Stelle im Satz bereits besetzt ist. All dieses grammatische Wissen ist in diesem Satz vorhanden, auch wenn er an der Oberfläche völlig falsch klingt. Zwischen dem zweiten und dem dritten Lebensjahr kann man also einen raschen Zuwachs im Wortschatz im Deutschen und auch zunehmende Grammatikalität beobachten, was sich auch in der Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten widerspiegelt. Dem Kind stehen nun mehr sprachlich differenzierte Von Geburt an mit beiden Sprachen aufwachsen - wie geht das? 53 Ausdruckmöglichkeiten zur Verfügung, was die zunehmende Motivation und das Interesse an Kommunikation erklärt. Simon beherrscht die Konventionsformen der Dialogführung in der Erwachsenensprache und setzt sie pragmatisch ein, um seine Kommunikationsabsichten zu erreichen. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr entwickelte sich bei Simon Deutsch semantisch und syntaktisch weiter, indem die Entwicklung im Ukrainischen in dieser Zeit in produktiven Bereichen stark zurückblieb. Da ich mit ihm weiterhin auf Ukrainisch sprach, bekam er einen begrenzten, aber regelmäßigen Input in dieser Sprache. Er verstand alles, sprach selber aber kein Ukrainisch. Auf der Ebene des Satzbaues war im Ukrainischen kein Fortschritt zu sehen, die beiden Sprachen entwickelten sich sehr ungleichmäßig: die Entwicklung im Deutschen verlief bei ihm wie im Erstspracherwerb, die weitere Entwicklung im Ukrainischen war bis zum Alter von 3½ Jahren völlig offen. Man konnte damit rechnen, dass das Kind bei deutlicher Dominanz des Deutschen in seiner Umgebung, weiterhin ein nur passives Verständnis in der zweiten Sprache aufbaut, wobei die Struktur der Sätze stark reduziert und bei Verknüpfungsregeln für die Wörter der Einfluss des Deutschen stark zu spüren war. Nach der oben beschriebenen Wende zum aktiven Sprechen mit ca. 3½ begann er aber, sich schnell in dieser Sprache zu entwickeln. Dies lässt sich damit erklären, dass er gute „Vorräte“ in Wortschatz und Grammatik gesammelt hatte, aber in der deutschsprachigen Umgebung keinen richtigen Anstoß dafür fand, seine Sprachkompetenz im Ukrainischen wirklich einzusetzen und zu entfalten. Es gehört zum Wesen der Zweisprachigen, zwischen den Sprachen zu wechseln, wenn sie sich ständig zwischen zwei Sprachumgebungen bewegen. Neurobiologen von der Universität Kansas beschreiben die Sprachverarbeitungsprozesse bei Bilingualen sehr bildhaft. Das bilinguale Gehirn ist wie ein Kühlschrank und die beiden Sprachen sind Orangen und Äpfel. Wenn man Äpfel möchte, greift man gezielt zu und nimmt sich Äpfel und keine Orangen und umgekehrt. Es kann aber wohl ab und zu vorkommen, dass eine Orange mit einer Apfelsorte verwechselt wird, was zu Sprachmischungen führt. Im Großen und Ganzen läuft aber die Sprachwahl problemlos ab und stellt keine Überforderung des menschlichen Gehirns dar (vgl. Vitevitch 2011). Tabelle 1 veranschaulicht noch einmal den Entwicklungsverlauf in beiden Sprachen bei Simon im Überblick. Im Deutschen zeigte sich eine Entwicklungstendenz, wie sie auch für den Erstspracherwerb üblich ist. Beim Erwerb der schwachen Sprache ist eher ein sprunghafter Verlauf typisch, der sich erst stark auf den Wortschatzaufbau konzentriert und sich dann in der aktiven Anwendung der Satzstrukturen zeigt. 54 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Tabelle 1: Sprachliche Entwicklung bei einem bilingualen Kind Erwerbsphase Deutsch/ Beschreibung Ukrainisch/ Beschreibung I ca. 1. Lebensjahr Einwortäußerungen: Floskeln Aus dem Input ganz übernommene Einheiten einzelne Wörter (meistens Substantive und Adverbien) II 1,9-2,5 Jahren Zweiwortphase: Infinitivformen des Verbs, sporadische Beugung der Verben; Wortstellung SVO, vereinzelt Gebrauch der Artikel Mäßige Erweiterung des Wortschatzes, kein Ausbau der Satzstruktur, Übernahme ganzer Einheiten aus dem Input (z. B. Substantiv + Verb) III 2,5-3 Jahren Stabilisierungsphase: korrekte Verbbeugung, richtige Stellung des Verbs im Hauptsatz, Mehrzahl der Substantive, Partizip-Vergangenheitsform, Übergeneralisierung von Partizipien Keine Progression in der Sprachproduktion IV ab dem 3. Lebensjahr Erweiterungsphase: richtiger Artikelgebrauch, Nebensätze, richtige Verbstellung im Nebensatz Zunahme des Wortschatzes, Hauptsätze, Verbbeugung, Gebrauch von Substantiven mit verschiedenen Präpositionen, Vergangenheit, Modalverben Zweisprachige Zukunftsaussichten Zweisprachigkeit ist keine Entwicklung, die nach statischen Regeln und Gesetzmäßigkeiten verläuft, sondern ein sehr plastischer und beweglicher Prozess, der von vielen sozialen Umweltfaktoren abhängig ist. Jedes menschliche Gehirn hat in dieser Hinsicht seine eigene, individuelle Entfaltungs- und Lerndynamik. In dem oben beschriebenen Fall hat das Kind in einer Sprache eine altersgemäße gut ausgebaute muttersprachliche Kompetenz erreicht. In der schwachen Sprache besitzt es gute rezeptive Fähigkeiten, die viel besser ausgebaut sind als die aktive Sprachproduktion. Die Eltern behalten weiterhin die Sprachentrennung konsequent bei, geben damit Input in beiden Sprachen. Welche Entwicklung dann weiterhin eintritt, liegt sehr viel an der Persönlichkeit des Kindes, an der individuellen Lerndynamik, an der sozialen Bedeutung beider Sprachen im Familien- und Freundeskreis und an einer positiven Einstellung und Förderung sprachlicher Aktivitäten überhaupt. Eine eindeutige Prognose und ein Patentrezept mit Erfolgsgarantie zur zweisprachigen Entwicklung lassen sich niemals ganz sicher erstellen. Konsequenzen für die Praxis der Sprachförderung 55 Konsequenzen für die Praxis der Sprachförderung Sprache und Sprachentwicklung stellen uns vor besondere Probleme und Herausforderungen. In kaum einem anderen Bereich der menschlichen Fähigkeiten ist die Kluft zwischen praktischer Kompetenz und explizitem Regelwissen so groß wie hier. Wir alle sind nahezu perfekte Sprecher unserer Muttersprache, aber wenn es darum geht, die Regeln unserer Grammatik und die hier genannten Strukturen bewusst zu machen, beginnen die Schwierigkeiten. So ging es in diesem Kapitel auch darum, die grammatische Beschaffenheit des Deutschen, unsere eigene Sprachfähigkeit und die zugrundeliegenden Strukturen bewusster zu machen - selbstverständlich ohne dabei in einen klassischen Grammatikunterricht (an den sich doch viele von uns nur mit Schaudern erinnern) zu verfallen. Eine solche Kenntnis von der Spezifik des Zweitspracherwerbs und der strukturellen Unterschiede zwischen beiden Sprachen bereichert sicherlich nicht nur das pädagogische Handlungsspektrum der Frühpädagogen, sondern vermittelt auch eine differenziertere Sichtweise, die Variationen von vermeintlichen Sprachdefiziten bei zweisprachigen Kindern unterscheiden zu können. Wesentlich ist, wie wir gesehen haben, dass es sich hier gar nicht um Defizite handelt, sondern um verschiedene Phasen einer von vielen Faktoren geprägten, kreativen Entwicklung. Eine solche Sichtweise sollte einen ganz anderen Zugang zur vorschulischen Sprachförderung ermöglichen. Die ausländischen Kinder stehen vor der schwierigen Aufgabe, das Regelwerk des Deutschen samt zahlreichen Abweichungen und Unregelmäßigkeiten zu erwerben. Um ihnen diese Aufgabe zu erleichtern und im spielerischen Rahmen sprachliche Angebote anzubieten, bedarf es auch einer erweiterten metasprachlichen Kompetenz des verantwortlichen Fachpersonals. Ein wirksames Prinzip einer solchen differenzierten Sprachförderung ist beispielsweise die ständige Sprachbegleitung von Handlungen, bei denen Erwachsene und Kinder zusammen arbeiten. Sprache ermöglicht die Fortsetzung und differenzierte Ausarbeitung von handgreiflichen Tätigkeiten. Im Kontext des gemeinsamen täglichen Tuns werden Satzmuster erlernt, in denen sich Tätigkeiten und Bewegungen abbilden und die deswegen als Strukturmuster erkannt und leicht übernommen werden können. So spiegelt etwa die Regel der Verb-Zweitstellung die Handlungssituation, indem sie zuerst denjenigen benennt, der handelt, und danach dasjenige benennt, was er tut. Die praktischen Konsequenzen ergeben sich aus der bewussten Reflexion der eigenen Sprachanwendung und der eigenen Sprachpflege. Pädagogische Fachkräfte sollten sich deshalb reflektiert und bewusst mit der Struktur der eigenen Sprache auseinandersetzen, eigene artikulatorische und rhetorische Fähigkeiten üben, bewährte Fördertechniken erwerben und eine eigene, klare und wortschatzreiche Ausdrucksweise einsetzen. Hier nützt der oft übliche Rückgriff auf standardisierte Sprachförderprogramme wenig, denn es gibt erstens inzwischen eine fast unübersehbare Fülle an 56 Verläufe im frühen Zweitspracherwerb Konzepten, Materialien und Programmen, die aber wenig evaluiert und daher nur schwer in ihrer Qualität und Wirksamkeit einzuschätzen sind und zweitens bedürfen gerade die besten Sprachförderprogramme in ihrer Umsetzung der genannten Sprachbewusstheit und Sprachförderkompetenz. Sicherlich hängen die Sprachfördermaßnahmen von verschiedenen Faktoren ab, wie Beginn, Dauer, Intensität und Rahmenbedingungen der Förderung. Ein zentraler Faktor sind aber die Beteiligten selbst. Die Haltung, Kenntnis und metasprachliche Praxis von Verantwortlichen entscheidet darüber, ob und wie Kinder ihre Sprachpotenziale dauerhaft entfalten können. Die Sprachförderwirkungen in vorschulischen Einrichtungen hängen davon ab, wie kompetent Erzieher und Erzieherinnen eine explizite, in den Alltag integrierte, Sprachförderung im Kindergartenalltag aufzubauen und konsequent umzusetzen vermögen. Kapitel 3 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Zweisprachige Erziehung in der Familie und wie sie am besten gelingt Beim Thema ‚Mehrsprachigkeit‘ geht es nicht nur um die Förderung des Deutschen, die natürlich bei den in Deutschland aufwachsenden Kindern Vorrang hat. Es geht bei den zweisprachig aufwachsenden Kindern um die Entwicklung einer funktional ausgewogenen Zweisprachigkeit, die eine gute Kompetenz in beiden Sprachen ermöglicht und von der sie später in Schule und Beruf profitieren können. Deshalb ist die Förderung der Muttersprache wichtig. Wie wir aus der Zweitspracherwerbsforschung wissen, bildet die Muttersprache ein Fundament für das Erlernen einer zweiten Sprache. Damit dieses Fundament als eine stabile Grundlage für das Erlernen von Strukturen und Besonderheiten anderer Sprachen standhält, muss es entsprechend stabil angelegt werden. Die Weichen der Sprachbildung werden in der Familie in den frühen Phasen der Entwicklung gestellt. Wie sich die Kinder entwickeln, hängt stark von Bildungserfahrungen und Erziehungspraktiken des Elternhauses ab. Bei der täglichen Kommunikation in der Familie liegt der Fokus nicht so sehr auf der Sprache an sich, sondern auf dem Erreichen kommunikativer Ziele und auf der Übermittlung von einfachen routinierten Alltagsinformationen und Handlungsanweisungen. Die sprachliche Form dieser Informationen und die Korrektheit des sprachlichen Ausdrucks stehen dabei meist nicht im Vordergrund. Der Erwerb von Sprachen hat im frühen Kindesalter sehr günstige biologische und entwicklungspsychologische Bedingungen. Diese Phase zeichnet sich durch gute Aufnahme- und Merkfähigkeit der Kinder und hohe Lernleistungen aus, die von den Eltern gezielt unterstützt werden können. Im Mittelpunkt weiterer Ausführungen steht die Frage, wie Eltern mit einem reflektierten und gezielten Verhalten ihre Kinder zu einer harmonischen Mehrsprachigkeit führen können. Beim Erwerb zweier Sprachen treten die Eltern als Vorbilder auf, die den Kindern klare Strukturen und Orientierung im sprachlichen Alltag liefern. Viele Eltern, die in Deutschland leben und ihre Herkunftssprachen sprechen, entscheiden sich heute bewusst, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen. Das Deutsche plus die Herkunftssprache zu erlernen ist kein zu ehrgeiziges Ziel für Kinder aus Zuwanderungsfamilien, sondern eine 58 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Voraussetzung auch gerade einer Kompetenz im Deutschen (vgl. Siebert-Ott 2009). Eltern, die sich entschieden haben, ihr Kind zweisprachig zu erziehen, stehen ziemlich rasch vor der Frage, wie sie beide Sprachen funktional gebrauchen sollen. Dabei sollte man sich stets vor Augen halten: Der Spracherwerb ist ein kreativer Konstruktionsprozess des Kindes, der sich durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten, aber auch durch eine große Variationsbreite an individuellen Besonderheiten und Erwerbsstilen auszeichnet. Von entscheidendem Einfluss sind die Haltungen der Eltern zur familiären Sprachbildung und die konsequente Einhaltung der Prinzipien der Sprachentrennung und des Sprachenwechsels. Dazu kommt eine breite methodische Palette an Fördermöglichkeiten. Zweisprachige Erziehung gelingt am besten, je bewusster und konsequenter die Eltern bestimmten Prinzipien folgen und die Besonderheiten eines zweisprachigen Umgangs mit den Kindern in den unterschiedlichen Lebenssituationen berücksichtigen. Ohne Fleiß kein Preis oder: Ein paar Prinzipien müssen sein Zweisprachige Kinder beherrschen ihre beiden Sprachen meist unterschiedlich gut und zwar unabhängig davon, welche Sprache sie zuerst gelernt haben. So ist es etwa sehr wahrscheinlich, dass bei Kindern mit russischer Erstsprache, die in Deutschland leben, das Russische nach und nach zur schwächeren Sprache wird. Diese ungleichmäßigen Entwicklungstendenzen während des doppelten Spracherwerbs sind häufig zu beobachten - die eine Sprache entwickelt sich zur starken, die andere zur schwachen Sprache. Besser wäre es natürlich, wenn der Spracherwerb ausgewogener verlaufen würde. Um gleichwertige Erwerbsbedingungen zu schaffen, sollten Eltern daher die Häufigkeit des Sprachgebrauchs und die Intensität des sprachlichen Inputs, des Sprachangebots, ausgleichen. Doch wie können sie das erreichen? Orientierungshilfen für den Sprachgebrauch im Familienalltag „Eine Person - eine Sprache“ Für deutsch-russische Elternpaare bietet sich in erster Linie das weltweit am weitesten verbreitete Prinzip „Eine Person - eine Sprache“ an, das sich als besonders praxistauglich erwiesen hat. Eine Sprache wird hierbei jeweils an eine bestimmte Person gebunden und so für das Kind leichter unterscheidbar und abgrenzbar gemacht. Die russische Mutter redet also ausschließlich russisch mit ihrem Kind, der deutsche Vater kommuniziert nur auf Deutsch mit ihm. Dieses Prinzip erlaubt den Eltern, in ihrer Erstsprache mit dem Kind zu sprechen und so die optimale Breite an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu nutzen. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Dittmann bemerkt dazu: „Die Eltern Ohne Fleiß kein Preis oder: Ein paar Prinzipien müssen sein 59 können (…) nach dem „Partnerprinzip“ - eine Person, eine Sprache - mit dem Kind in ihrer jeweiligen Muttersprache sprechen. Auf diese Weise können beide Elternteile ihre sprachliche Identität im Umgang mit dem Kind wahren, die jeweiligen Eigenheiten ihrer Muttersprache in die Kommunikation mit dem Kind einbringen (z. B. Kinderreime, Wörter der Ammensprache) und zugleich die Voraussetzungen einer Verständigung der Kinder mit etwa im Ausland lebenden Großeltern schaffen“ (Dittmann 2002, 92). An dieser Stelle muss bemerkt werden, dass dem Prinzip „Eine Person - eine Sprache“ kein Alleinstellungsmerkmal zugeschrieben werden kann, also sprachliche Erziehungsmethoden nicht auf ein Prinzip reduziert werden können. Dieses Vorgehen ist dann zu empfehlen, wenn eine familiäre Sprachsituationen durch unterschiedliche Mutterbzw. Vatersprachen gekennzeichnet sind. Es handelt sich dabei um simultanen Erstspracherwerb, bei dem beide Sprachen von Geburt auch parallel erworben werden. Dieses Prinzip kann besonders zur Stärkung der schwachen Sprache beitragen. Nicht nur die Eltern können es sich zunutze machen, sondern genauso gut auch Verwandte (Tanten, Onkel, Cousins, Großeltern) und Freunde der Familie. Stets geht es darum, dass jede Person in der Kommunikation mit dem Kind nur eine und immer die gleiche Sprache verwendet. Wie die Praxis in zweisprachigen Familien zeigt, ist die konsequente Beibehaltung dieses Prinzips am schwierigsten. Sie erfordert ein hohes Durchhaltevermögen, eine große Kompetenz in der verwendeten Sprache und ein hohes Maß an eigener Sprachbewusstheit und -kontrolle. Wenn beispielsweise eine russischsprachige Mutter ihrer Tochter etwas auf Russisch erzählt, sollte sie es auch auf Russisch zu Ende führen und nicht zwischen drin, schon gar nicht mitten in einem Satz, ins Deutsche wechseln. Wie die Praxis zeigt, ist es für bilinguale, also zweisprachige Erwachsene nicht immer leicht, in ihrer Erstsprache fortzufahren, wenn sie es beispielsweise gewohnt sind, für bestimmte Sachverhalte aus dem Alltagsleben ihre Zweitsprache zu verwenden. Es ist problematisch, wenn die Eltern zunehmend zum gewohnheitsmäßigen Gebrauch gemischte Äußerungen verwenden. Solch eine gemischtsprachige Kommunikation kann zum Standard für Kinder werden und zur Entstehung einer Mischsprache führen. Wenn die Kinder eine derartige Kommunikation gewohnt sind, wird sie von ihnen nicht als normabweichend empfunden. Diese Redestrategie, bei der zwei Sprachsysteme aktiviert werden, ist auch deswegen mit Vorsicht zu genießen, weil sich die Sprachen der Kinder nicht unbedingt auf dem gleichen Entwicklungsniveau befinden und so die Differenzierung und Zuordnung von Strukturen erschwert werden kann. Dazu muss man allerdings sagen, dass zweisprachige Kinder in öffentlichen Kontexten erstaunlich gut beide Sprachen auseinander halten lernen. 60 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel „Eine Situation - eine Sprache“ Neben der personenbezogenen Sprachentrennung kann man die Wahl der Sprache natürlich auch von der gerade bestehenden Situation abhängig machen. Dann gilt das Prinzip „Eine Situation - eine Sprache“. Eine naheliegende Umsetzung dieses „situativen Prinzips“ ist etwa die Vereinbarung, dass die Familienmitglieder untereinander ausschließlich Russisch sprechen (Familiensituation) oder in bestimmten festen Familiensituationen (z. B. beim Essen) eine Sprache gesprochen wird. Dies ist ein schönes Prinzip, das - wie wir aus Befragungen russisch- und ukrainischsprachiger Familien wissen - in der Praxis bald über den Haufen geworfen wird, sobald beispielsweise zu den Familienmitgliedern Deutsche hinzukommen - dann wird in der Regel nur noch deutsch gesprochen. Dieses Verhaltensmuster ist häufig auf Spielplätzen, in Kitas, bei gemeinsamen Feierlichkeiten oder generell an öffentlichen Orten zu beobachten. Aus einer Befragung russisch- und ukrainischsprachiger Eltern ein- und zweisprachiger Familien 1 hinsichtlich ihrer zweisprachigen Erziehungspraxis geht hervor, dass sie in den alltäglichen Kommunikationen mit den Kindern häufig ins Deutsche wechseln. Der Grund dafür ist, dass sich das Kind sonst „emotional unwohl und ausgegrenzt fühlt“. Darüber hinaus sind die Eltern um gute Deutschkenntnisse ihrer Kinder sehr besorgt. Sie möchten ihnen einen guten Start in der Schule ermöglichen und die Grundlagen für den sozialen Anschluss an die deutsche Umgebung mitgeben. Begleitet wird diese Praxis häufig von der Überzeugung, dass sich das Russische schon irgendwie innerhalb der Familie erhalten und weiterentwickeln werde. Der Sprachgebrauch hängt also offensichtlich eng mit den sozialen und kulturellen Identitätsvorstellungen der Eltern und mit ihren Integrationsbestrebungen innerhalb der deutschen Gesellschaft zusammen. Diese sowie die Öffnung für die deutsche Sprache, Gesellschaft und Kultur sind sicherlich zu begrüßen, wenn dabei nicht die eigene Erstsprache und Landeskultur, die den Kindern immer auch bewusst und unbewusst vermittelt und vorgelebt wird, vernachlässigt wird. Auch hier sind die Ausgewogenheit beider Sprachen und die Zugehörigkeiten von entscheidender Bedeutung. Wird diese situative Unterscheidung im Sprachgebrauch, also das Prinzip „Eine Situation - eine Sprache“, im Blick auf die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre konsequent beibehalten und werden beide Bereiche sprachlich und kulturell gefördert, können sich beide Sprachkompetenzen parallel gut entwickeln. Der subjektiv stark empfundene, soziale Anpassungsdruck zur einseitigen Ausweitung und Förderung der deutschen Sprache führt dazu, dass die slawische Erstsprache sehr 1 Unter „einsprachige Familie“ verstehe ich eine Familie, bei der beide Eltern dieselbe Erstsprache sprechen; eine zweisprachige Familie ist hier dadurch gekennzeichnet, dass die Eltern unterschiedliche Muttersprachen aufweisen. Ohne Fleiß kein Preis oder: Ein paar Prinzipien müssen sein 61 schnell ein immer eingeschränkteres und öffentlich sowie gesellschaftlich nicht relevantes Schattendasein fristet. Natürlich besitzt das soziale Wohlbefinden der Kinder, die sprachliche Integration in Freundeskreise, in der Schule und anderen Einrichtungen, oberste Priorität. Die Furcht der Eltern, dass ihre Kinder es in Anwesenheit deutschsprachiger Kinder als unangenehm empfinden, von den Eltern auf Russisch angesprochen zu werden, ist sicherlich begründet. Bereits Kleinkinder reagieren mit seismographischer Empfindsamkeit auf soziale und kulturelle Diskriminierung, auf Zeichen sozialer Zugehörigkeit oder Ausschließung, auf Statusunterschiede und soziale Bewertungen ihrer selbst und ihrer sozialen Umwelt. Das Sprechen einer Fremdsprache in der Öffentlichkeit führt deshalb schnell zu befremdlichen Reaktionen anderer Kinder und zur defizitären Selbstwahrnehmung beim sich fremdsprachlich ausdrückenden Kind. Die aus diesem Grund in der Öffentlichkeit bevorzugte Landessprache Deutsch wird dadurch aber meistens zur stark präferierten primären Sprache, mit der die slawische Erstsprache bald nicht mehr mithalten kann. Wenn das Kind zunehmend Situationen erlebt, in denen es mit seinem Deutsch gut zurecht kommt und überall verstanden wird, gerät der Gebrauch der schwachen Sprache automatisch in den Hintergrund, so dass die Kinder eigentlich nur noch deutsch und gar kein Russisch mehr sprechen möchten. Da die slawische Erstsprache aber im privaten Kontext und bei Treffen im weiteren Familien- und Freundeskreis, beispielsweise im Herkunftsland, weiterhin eine große Rolle spielt und der deutsche Input durch die Eltern häufig nicht die Qualität besitzt, die eine angemessene Förderung einer einzigen Primärsprache haben müsste, bleibt anstelle einer ausgewogenen Zweisprachigkeit, die auch für die Entwicklung und Reifung eines doppelten kulturellen Zugehörigkeitsverständnisses grundlegend wäre, oft nur eine defizitär angeeignete starke Sprache und eine verkümmerte, schwache Erstsprache. Das Prinzip „Eine Person - eine Situation“ stellt durchaus eine erfolgversprechende Strategie zur Förderung kindlicher Zweisprachigkeit dar, wenn die beiden Sprachen beispielsweise bewusst und gezielt auf verschiedene Situationstypen verteilt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Eltern dem Ziel ausgewogener Zweisprachigkeit ihrer Kinder genauso viel Wert beimessen wie einer gelingenden sozialen Integration. Betrachten wir als Beispiel eine alltägliche Situation auf dem Spielplatz: Ein Mädchen spielt ausschließlich mit deutschen Kindern. Die russischsprachige Mutter wechselt in solchen Situationen ins Deutsche, damit sich ihre Tochter „nicht ausgeschlossen“ fühlt. Das ist eine der Möglichkeiten des Sprachverhaltens der Eltern. Die andere wäre, dem Kind immer wieder zu erklären, wie wichtig es für die Mutter ist, ihre russische Erstsprache mit ihrer Tochter zu sprechen, und wie gut es für das Kind ist, beide Sprachen verwenden zu können. Dies ist ja auch wichtig für den Besuch in Russland und bei der Kommunikation mit den Großeltern und Freunden. Deshalb muss die Erstsprache oft und überall gesprochen und geübt werden. 62 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Solche Gespräche mit einem Kind über den Stellenwert der russischen Erstsprache sind eine unabdingbare Voraussetzung für eine positive Einstellung des Kindes zu seiner eigenen Zweisprachigkeit. Den deutschsprachigen Spielkameraden des Kindes kann die Mutter ebenso erklären, welche Sprache sie spricht, warum sie das tut und wie wichtig dies für die Familie insgesamt ist. So kann in der Regel von vornherein verhindert werden, dass die üblichen Abwehrhaltungen gegenüber dem Fremden und Anderen entstehen, die auch schon bei kleinen Kindern nachweislich festzustellen sind. Mit einigen einfachen, aber mit der Forderung nach Konsequenz, Reflektiertheit und gezielter Motivation doch anspruchsvollen Mitteln lässt sich so eine eher sozial deklassierte „Fremd-Sprache“ mit einem auch für Kinder interessanten, positiven Vorhaben verbinden. Es kommt also entscheidend auf die Haltung der Eltern an, wie sie mit dem eigenen Sprachgebrauch umgehen, wie wichtig es für sie ist, den Kindern ein sprachliches Vorbild zu sein und ihnen durch das eigene Sprachverhalten bestimmte Regeln, Anwendungsstrategien und auch soziale Akzeptanz überzeugend vermitteln zu wollen. „Eine Zeit - eine Sprache“ Bei einem dritten Prinzip, „Eine Zeit - eine Sprache“, legen die Erwachsenen die Zeiten für den Sprachgebrauch der einen und der anderen Sprache fest. Der Sprachwechsel findet hier zeitlich gebunden an die im Tagesablauf des Kindes wiederkehrenden Situationen oder Handlungen statt. So redet beispielsweise die russischsprachige Mutter mit ihrem Sohn zu bestimmten Zeiten russisch, etwa beim morgendlichen Wecken, am Frühstückstisch, vor dem Schlafengehen oder beim gemeinsamen Einkaufen. Diese Regel des „Eine Zeit - eine Sprache“ ergänzt und überschneidet sich natürlich mit der Regel „Eine Situation - eine Sprache“, beide können in der Praxis gut miteinander kombiniert werden. „Ein Ort - eine Sprache“ Man kann Zweisprachigkeit auch durch gezielte Raumgestaltung in manchen Bereichen der Wohnung nach dem Prinzip „Ein Ort - eine Sprache“ in seinen Alltag integrieren. Beispielsweise lassen sich bei der Einrichtung einer Leseecke die russischen und die deutschen Bücher nach beiden Sprachen getrennt ordnen. Durch die anschauliche visuelle Trennung können sich die Kinder leichter die für sie interessanten Bücher heraussuchen und sich bewusster für oder gegen eine der Sprachen entscheiden. Dieselbe Ordnung lässt sich auch bei Spielsachen anwenden. Es gibt Spielsachen, die von den Kindern als „deutsch“, und andere, die beispielsweise als typisch „russisch“ angesehen werden. Solche sich oft von selbst ergebende Einteilungen sind bei Kindern von Assoziationen getragen, die mit der einen oder der anderen Spielzeuggruppe verbunden sind. Hierbei spielt es eine Rolle, wo die Spielsachen gekauft wurden, welche Personen sie geschenkt haben, mit wem zusammen die Kinder damit gespielt haben Ohne Fleiß kein Preis oder: Ein paar Prinzipien müssen sein 63 oder wie sie von den Eltern und anderen Bezugspersonen eingeführt wurden. So können beispielsweise Puppen oder Kuscheltiere jeweils nur einem Sprach- und Kulturbereich zugeordnet werden. Diese von selbst erfolgenden Differenzierungen von Gegenständen nach dem jeweiligen Kulturkreis bieten wunderbare Anknüpfungspunkte für ausgiebige Dialoge und eine selbstverständlich erscheinende Sprachentrennung. Zusammenfassend lässt sich empfehlen: In Familien, in denen beide Eltern eine slawische Erstsprache aufweisen, sollte mit den Kindern möglichst konsequent Russisch, Ukrainisch etc. gesprochen werden. Beim Sprachverhalten der Eltern kommt es besonders darauf an, im Alltag nach klaren und gut überlegten Regeln vorzugehen. Welche Sprache spreche ich mit meinem Kind in öffentlichen Situationen, auch dann, wenn zweisprachige Personen anwesend sind, welches konsequente Sprachvorbild möchte ich für mein Kind vermitteln, welche Orientierungshilfen und Regeln kann ich im alltäglichen Tagesablauf geben, um den Erwerb der Erstsprache zu unterstützen? Das Deutsche, die Sprache der sozialen Umgebung, wird dann durch Kita, Kindergarten und im weiteren sozialen Umfeld sowieso erlernt und tritt von ganz allein häufig in den Vordergrund. Eine Möglichkeit der alltäglichen Sprachförderung in der Familie ist die „Ritualisierung“ im Tagesablauf. Festgelegte und sich immer zu bestimmten Zeiten in bestimmter Weise wiederholende Abläufe prägen sich den Kindern leicht ein, werden positiv bewertet und schnell auch aktiv gewollt und umgesetzt. Dies kann eine feste Tageszeit sein, um den Kindern etwas vorzulesen, mit ihnen bestimmte Spiele zu spielen, Lieder zu singen und Geschichten zu hören. Es kann sich hier um die ganze Breite verschiedener Aktivitäten und Beschäftigungen mit den Kindern handeln, wichtig ist nur, dass in diesen ritualisierten Beschäftigungen alles ganz selbstverständlich in stets derselben Sprache, in der Regel der schwächeren Zweitsprache, stattfindet und die Kinder dies bewusst in ihren Tagesablauf aufnehmen. Das Einführen der Handpuppe, die nur Russisch versteht, im Gegensatz zur zweisprachigen Mutter, kann bei den Kindern einen Sprachwechsel bewirken. Die Handpuppe wird zur täglichen Gesprächspartnerin, der man am Abend die Ereignisse des Tages erzählen kann. So werden Erlebnisse in der Erstsprache noch mal wiederholt. Der Grad der Beherrschung des Russischen hängt von der Quantität und Qualität der auf das Kind gerichteten Sprache ab. Aus einer Untersuchung von Prof. Dr. Anstatt, die im Rahmen des Forschungsprojektes „Verbalaspekt bei bilingualen russisch-deutschen Kindern“ durchgeführt wurde, geht hervor, dass „ein starkes Mischen der Sprachen innerhalb der einzelnen Äußerungen seitens der Eltern sich nachteilig auf die Russischkompetenz der Kinder [auswirkt]“ (Anstatt 2008, 6). Die beschriebene funktionale Sprachtrennung und die konsequente Einhaltung der genannten Prinzipien sind hierbei von entscheidender Bedeutung. 64 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Eine ausgewogene Sprachkompetenz im Russischen und Deutschen wird dann erreicht, wenn der Kontakt zu beiden Sprachsystemen kontinuierlich, umfassend und differenziert genug ist und die Familie ebenso wie die weitere soziale Umgebung eine positive Einstellung zur Zweisprachigkeit vermittelt. Brücken zur eigenen Kultur bauen - Eltern sind gefragt In der alltäglichen Praxis verzweifeln deutsch-slawische Familien oft daran, dass ihre Kinder durch ihre Kontakte in Kindertagesstätten, Kindergärten oder Schulen und durch ein Anwachsen des deutschsprachigen Freundeskreises ihre Motivation und Lust verlieren, in der Erstsprache von Vater oder Mutter zu sprechen. Die Eltern fühlen sich überfordert, weil es nicht einfach ist, eine für alle Beteiligten entspannte und klare „Sprachpolitik“ einzuführen. Jedoch kann hier nicht genug betont werden, wie sehr es auf die verschiedenen Aspekte der sprachlichen und kommunikativen Vorbildrolle der Eltern ankommt. Es gibt keine Garantie, dass die genannten Prinzipien und konsequent umgesetzten Förderungsmaßnahmen zum gewünschten Resultat führen - zu groß ist der individuelle Anteil, den jedes Kind zum Spracherwerb mitbringt. Ebenso wenig gibt es Patentrezepte, denen man blind folgen kann, auch wenn viele Ratgeber und populärwissenschaftliche Sprachförderkonzepte dies den Leuten weismachen wollen. Man kann jedoch festhalten, dass eine gezielte Unterstützung der Kinder bei der Entwicklung zur Zweisprachigkeit durch sprachförderliche Einstellungen, klare Vorgaben zum Sprachgebrauch, Sprachentrennung sowie eine vorbildhafte Freude an sprachlicher Kommunikation, am Vorlesen, Erzählen, an Sprachspielereien und kleinen sprachlichen Experimenten beste Voraussetzungen gelingender Zweisprachigkeit bieten. Am bedeutsamsten ist und bleibt, den Kindern zu vermitteln, wie wichtig es der Bezugsperson ist, mit ihren Kindern in ihrer Erstsprache sprechen zu können. Bereits kleine Kinder im Alter von weniger als zwei Jahren hören aufmerksam zu, wenn Eltern ihre russischen Äußerungen als interessant verpackte Geschichten präsentieren. Mein eigener dreijähriger Sohn spitzt jedes Mal die Ohren, wenn ich ihm in meiner Erstsprache Ukrainisch etwas über meine Eltern berichte, die er nur ein paar Mal als Baby gesehen hat und die nicht in Deutschland leben. Diese Erzählungen regen ihn dazu an, sich eigene Bilder und Vorstellungen von seinen Großeltern zu machen. Oft kommt es vor, dass er nach einigen Tagen Genaueres zu den Erzählungen wissen möchte. Ich kommuniziere mit ihm ausschließlich auf Ukrainisch, auch wenn er, durch den starken Einfluss seiner Kita-Umgebung, mehr und mehr Deutsch spricht und meist auf Deutsch seine Fragen artikuliert, so dass wir oft eine zweisprachige Unterhaltung führen. Dennoch sind alle Themen, die meine Familie und mein Land betreffen, stark mit meiner Erstsprache verbunden, was sich auch darin äußert, dass mein Sohn bei diesen Brücken zur eigenen Kultur bauen - Eltern sind gefragt 65 Themen häufiger Ausdrücke aus dem Ukrainischen verwendet, beispielsweise, wenn er sich nach Oma und Opa oder nach seinem Onkel erkundigt. Durch kleine Erzählungen baue ich so Brücken zu meiner Herkunftskultur, deren Traditionen, wie in allen Familien mit zwei Sprachen und zwei Kulturen, immer eine Rolle spielen. Die explizite Vermittlung meiner ukrainischen Kultur im Rahmen von Alltagserzählungen, durch Bezugnahme auf Feste oder das typische Essen und die Küche des Landes, stellt eine sehr gute Grundlage für die Förderung der Zweisprachigkeit dar. Koch- oder Backexperimente beispielsweise sind auch schon bei kleineren Kindern sehr beliebt. Dabei lässt sich einfach und selbstverständlich in der Landessprache Kulturelles und Sprachliches vermitteln und muttersprachliche Normalität und Alltäglichkeit herstellen. Wenn ich mit meinem Sohn gemeinsam Piroggen 2 zubereite, ist das für ihn nicht nur ein kulinarisches Erlebnis sondern auch eine kleine Reise in die kulturelle Welt der Mutter. Ein Dialog veranschaulicht, wie offen Kinder für Neues und wie wissbegierig sie in solchen Situationen sind 3 Simon (3,8 Jahre) hilft der Mutter, den Teig für die Piroggen vorzubereiten: Simon: piroggen schmecken mir sehr gut. Mutter: Das freut mich sehr. Wenn das deine Oma hören würde, würde sie sich auch sehr freuen. Simon: wenn nora zu mir kommt, bekommt sie auch von unseren piroggen, ja, mama? Mutter: Selbstverständlich. Du kannst ihr dann erklären, was das genau ist. Simon: im kindergarten gibt es keine piroggen. Mutter: Ja, da gibt es andere leckere Sachen. Piroggen macht man in der Ukraine. Simon: und wenn wir zu oma in die ukraine fahren, helfe ich ihr auch, piroggen machen. Mutter: Schön, das wird ihr großen Spaß machen. Die ständige Betonung, wie wichtig es ist und wie sehr sich die Großeltern in der Ukraine freuen, wenn die Kinder bei einem Besuch mit ihnen und der ganzen Familie Ukrainisch sprechen können, ist ein weiteres Element, um Kinder zum Gebrauch der Erstsprache zu motivieren. Es ist ganz einfach, die kindliche Neugier für derartige Besuche zu wecken. Wie nützlich es ist, zwei Sprachen sprechen zu können, werden sie selbst auf solchen Reisen feststellen. Viele Eltern berichten, dass Auslandsaufenthalte wahre Wunder für die 2 Piroggen gehören zu den Lieblingsgerichten der osteuropäischen Küche. In Russland, in der Ukraine und in Polen zählen sie zu den Nationalgerichten. Es handelt sich um Teigtaschen mit verschiedener Füllung, z. B. Weißkrautfüllung oder Kartoffel-Quark-Füllung, die mit gerösteten Zwiebeln und saurer Sahne gereicht werden. Im Sommer werden die Piroggen mit Blaubeeren oder Sauerkirschen gefüllt. 3 Die Mutter hat im Dialog mit dem Kind ukrainisch gesprochen. Zur leichteren Verständlichkeit wurde die Sprache der Mutter ins Deutsche übersetzt. 66 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Akzeptanz der Zweisprachigkeit bewirken können: die Kinder kommen auf den Geschmack, ihre slawische Zweitsprache zu sprechen, sie lernen, dass diese durchaus die Rolle der sozial und kulturell dominanten Sprache spielen kann. Außerdem kommen passive, in der deutschen Sprachumgebung sich kaum zeigende Sprachkenntnisse nun ausdrücklich und aktiv zum Tragen. Meist nimmt die strukturelle Vielfalt schnell zu, die Sprache des Kindes wird differenzierter und der Wortschatz entwickelt sich in kurzer Zeit. Eltern wundern sich dann in solchen Situationen, was die Kinder in ihrer scheinbar schwachen Sprache schon beherrschen und wie schnell sie sich weiterentwickeln. Solche Besuche in einer muttersprachlichen Umgebung tragen sehr zu einer positiven Einstellung zur Zweisprachigkeit und auch zur Freude und zum Stolz auf die sich entwickelnde zweisprachige Kompetenz bei. Dieser letzte Punkt ist nicht zu unterschätzen. Es ist für Kinder nachweislich ein stark motivierendes, positives Erlebnis von Selbstständigkeit und eigener Kompetenz, wenn sie feststellen, dass sie zwei Sprachen verstehen und sich sowohl auf Deutsch als auch auf Russisch verständlich machen können - vor allem, wenn sie dafür von ihrem Umfeld auch außerhalb der Familie Bewunderung und Lob erhalten. Kinder entwickeln auf dieser Grundlage dann auch schnell effektive Strategien, wie sie die unterschiedlichen Elemente der beiden Kulturen am besten integrieren können. Während meiner Arbeit im Rahmen eines Integrationsprojektes mit russischsprachigen Familien bin ich vielen Kindern begegnet, die sich schon erstaunlich früh mit Zweisprachigkeit beschäftigt und sich ihre eigenen Gedanken dazu gemacht haben. So fragte mich beispielsweise ein vier Jahre alter Junge, ob der Papagei in dem Buch, das wir gerade gemeinsam anschauten, auch zwei Sprachen sprechen könne. Die anschließende kleine Unterhaltung nebst einer Geschichte über mehrsprachige Kinder in der ganzen Welt zeigte, wie sehr ihn dieses Thema faszinierte. In einer anderen Situation erkundigte sich ein 3½ Jahre altes Kind nach Folgendem: „Wenn ich mal „ein Kinderlein“ (so die Originalsprache des Kindes) bekommen würde, könnte dies dann auch gleich zwei Sprachen sprechen? “ Solche Beschäftigungen von Kindern mit diesem Thema lassen sich sehr gut zum Anlass nehmen, um die Grundlagen für ein Verständnis der Bedeutung und der positiven Bewertung einer doppelten sprachlichen Kompetenz zu schaffen. In Situationen, in denen bei schwacher slawischer Sprache gewöhnlich ein Wechsel ins Deutsche stattfindet, muss erst recht eine gezielte Förderung und Unterstützung des Russischen oder Ukrainischen stattfinden. In diesen Fällen ist der Sprachwechsel ins Deutsche meist themenbezogen, weil es den Kindern leichter fällt, über bestimmte Ereignisse, z. B. einen lautstark geführten Streit mit einem deutschen Spielkameraden, auf Deutsch zu erzählen. Hier genügt es oft schon, am Ende der Erzählung des Kindes den Inhalt auf Russisch zu wiederholen, muttersprachlich nachzufragen und unter Einbeziehung ähnlicher Situationen aus der familiären Umgebung das Gespräch weiterzuführen. Ein Motivationsstrategien zum Sprachwechsel 67 Teil einer sehr wirkungsvollen Sprachförderung im Alltag besteht entsprechend darin, Berichts- oder Erzählrituale einzuführen, bei denen die Kinder jeden Tag ihre Erlebnisse und Eindrücke berichten und Vater oder Mutter das Geschilderte dann noch einmal in ihrer Zweitsprache zusammenfassen, hinterfragen und ergänzen. Motivationsstrategien zum Sprachwechsel - Ziel: ausbalancierte Zweisprachigkeit Gesprächsführung mit Kindern Wie geht beispielsweise ein russisch-deutsches Elternpaar mit familiären Situationen um, in denen ein Kind ihnen in seiner schwachen Sprache etwas radebrechend erzählt und dabei unüberhörbare Unsicherheiten im sprachlichen Gebrauch zeigt? Hier möchte ich einige Aspekte bei der Gesprächsführung und Dialogsteuerung mit dem Kind hervorheben. Mit sprachlichen Fehlern des Kindes empfiehlt es sich, sehr vorsichtig umzugehen und Korrekturen nicht direkt anzubringen oder direkt auf Fehler hinzuweisen, sondern zu versuchen, die Äußerungen des Kindes korrekt zu wiederholen oder zu umschreiben. Dadurch lässt sich der korrekte sprachliche Input vermitteln, ohne das Kind in seinen ohnehin schon unsicheren Sprechversuchen weiter zu verunsichern. Die Erwachsenen werden auch ein gutes Sprachmodell für ihr Kind sein, wenn sie die Endungen deutlich aussprechen und viele Wiederholungen und Umschreibungen in Gespräche einbringen. Es ist nicht von Vorteil, mit dem Kind „Babysprache“ zu sprechen, denn das kann den Spracherwerb des Kindes verlangsamen und zu Schwierigkeiten bei der Aussprache bestimmter Laute führen. Wenn das Kind das Russische nur in begrenzter Umgebung hört, ist es sinnvoll, ihm den struktur- und wortschatzreichen Input anzubieten. Kinder brauchen in Allem das Gefühl, gehört und wahrgenommen zu werden. Besonders spürbar ist das, wenn sie sich mitteilen wollen. Wichtig ist dabei, dem Kind aktiv zuzuhören und durch bestätigende Äußerungen zu signalisieren, wie sehr die Erwachsenen an den erzählten Inhalten interessiert sind. Ein solches Gespräch mit dem Kind kann leicht durch offene Fragen und Kommentare weiter in Gang gehalten werden. Außerdem ist die positive emotionale Begleitung des Gespräches durch Körpersprache, Blickkontakt und zugeneigte Gesichtsmimik dialogstimulierend und fördernd für den interaktiven Charakter der Kommunikation. Eine andere häufig vorkommende Problematik ist, wenn ein Kind ganz deutlich nur eine Sprache bevorzugt und die Eltern sich vor das Problem gestellt sehen, wie sie ihr Kind motivieren können, auch die andere Sprache zu gebrauchen, zu üben und in verschiedenen Kommunikationssituationen zu akzeptieren. Folgende „Strategien“ sind hier zu empfehlen: 68 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel „Wie bitte“-Strategie Wenn das Kind in einer Sprache spricht und die Mutter oder der Vater möchte, dass das Kind in ihre/ seine Sprache wechselt, kann das höfliche Nachfragen ihrerseits es dazu zu motivieren. Durch kurze und spontane Nachfrage zwecks Verständigung kann beim Kind leicht ein spontaner und von ihm gar nicht „geplanter“ Sprachwechsel ausgelöst werden. „Übersetzen“-Strategie Diese Strategie schließt zwei Verhaltensmuster ein. Entweder übersetzen die Eltern die betreffende Äußerung ins Deutsche und geben dem Kind dadurch wenigstens den „passiven Input“, d. h. sie liefern dem Kind Sprachvorlagen und das Kind hört den Klang und die Melodie der Sprache. Die andere Möglichkeit ist, das Kind selbst zur Übersetzung zu motivieren. Kinder haben oft viel Freude daran, kleine Übersetzer zu spielen und sich als kompetente Sprecher beider Sprachen in Szene zu setzen. Dies lässt sich spielerisch inszenieren und zur zweisprachigen Förderung ausnutzen und sollte eine der Grundlagen des sprachfördernden Engagements der Eltern in bilingualen Familien sein. Eine charakteristische Situation hierzu: In einer zweisprachigen Familie spricht der Vater deutsch und die Mutter russisch. Die Familien- und Umgebungssprache ist Deutsch, das Kind spricht also zu Hause, in der Schule und in der Freizeit deutsch. Russisch wird zur schwachen Sprache und überhaupt nur als Kommunikationssprache mit der Mutter gebraucht. Gerade hier ist es zu empfehlen, dass die Mutter es sich zu einer festen Regel macht, dem Kind die gehörten Inhalte ins Russische zu übersetzen bzw. das Kind selbst in der eben beschriebenen Weise zum Übersetzen zu motivieren. Dieses begleitende Übersetzen bewirkt, dass das Kind dieselben Inhalte und Wortfelder (etwa zu den Themengebieten Kindergarten, Fußball, Puppen etc.) parallel in beiden Sprachen erwerben kann. Außerdem eignet sich dafür die strukturelle Beschaffenheit des Russischen besonders gut. Es zahlt sich in jedem Fall aus, wenn Eltern eine solche Strategie in ihrem täglichen Sprachverhalten einführen und möglichst konsequent anwenden. Beispiel Mit vielfältigen Strategien wie Motivation, Lob, positivem Vorbild, spannenden Erzählungen und Pflegen sozialer Netzwerke versuche ich, mein Kind in seiner Zweisprachigkeit zu unterstützen. Ich versuche, es durch zahlreiche Anregungen zu motivieren, auch meine Muttersprache, zu sprechen. Auf meine freundlichen, aber nachdrücklichen Bitten, denselben Inhalt auf Ukrainisch zu sagen, geht er manchmal ein: Motivationsstrategien zum Sprachwechsel 69 Simon (2,5 Jahre): mama mama, blume da! Mutter: так молодець. А як по-українськи ? (Tak molodec’. A jak po-ukrajins’ky? - Ja sehr schön. Und wie sagst du dazu auf Ukrainisch? ) Simon: квітка (kvitka - Blume). „Die freundliche Bitte“-Strategie Diese Strategie kann besonders dann effektiv sein, wenn das Kind gut gelaunt und entspannt ist. Auch hier lassen sich alltägliche Momente und Situationen nutzen, um die schwache Sprache für das Kind hervorzuheben. Die spielerische Leichtigkeit, mit der beispielsweise ein zweijähriges Kind zwischen zwei Sprachen wechselt bzw. beide Sprachen kombiniert, bietet eine ideale Voraussetzung, um mit kleinen sprachlichen Aufmerksamkeiten, Anregungen, Dialogen, Fragen usw. auch die schwache Sprache auszubauen und zu festigen. Bei der Anwendung der genannten Strategien müssen die Eltern viel Feingefühl zeigen und oft situativ und individuell entscheiden, wie sie bei ihren Kindern auch die schwache Sprache aktivieren und stärken können. Dabei kommt auch der emotionalen Zuwendung, die dem Kind in der jeweiligen Sprache entgegengebracht wird, große Bedeutung zu. Viele Untersuchungen belegen, dass die affektive Bindung, die ein Kind zu einer Bezugsperson entwickelt, eine starke Auswirkung auf den kindlichen Erwerb von deren Sprache hat. Eine negative emotionale Bindung kann sogar zu einer völligen Sprachverweigerung führen (vgl. Triarchi-Hermann 2003). Die wichtigste Voraussetzung für die Eltern besteht daher darin, dass sie gerne mit ihren Kindern reden und ihnen das auch offen zeigen. Die positiven Einstellungen der Eltern und der Kinder zur Zweisprachigkeit sind ein Fundament des erfolgreichen mehrsprachigen Spracherwerbs. Eltern sollten positive Emotionen bei der Verwendung der Sprache und ihre Begeisterung zeigen, wenn ihr Kind versucht, sie auf Russisch anzusprechen oder ihnen etwas mitzuteilen und dabei die „grammatische Rauheiten“ übersehen, wenn das Kind den Satz falsch sagt oder Worte falsch verwendet. Wesentlich für die Umsetzung der oben skizzierten Prinzipien und Verhaltensstrategien innerhalb der Familie ist es, den alltäglichen Umgang mit Sprache nicht als bloßes Mittel zur Kommunikation anzusehen, um Tagesabläufe oder Formen von sozialer Integration zu erleichtern (obwohl dem selbstverständlich eine zentrale Bedeutung zukommt), sondern ihn auch als Vermittlung kultureller Werte und Traditionen, als eine Brücke zum Aufbau einer ausgewogenen bikulturellen Welt beim Kind, zu betrachten. 70 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Der Kindergarten - Zusammenprall der Sprachkulturen im Kleinen Der Eintritt in einen Kindergarten stellt für die Kinder mit Migrationshintergrund einen entscheidenden Einschnitt dar. Der Besuch einer Einrichtung, in der eine Sprache gesprochen wird, die das Kind noch nicht beherrscht, ist eine große geistige und emotionale Herausforderung. Die von mir untersuchten Kinder zeigten zu Beginn im Kindergarten bestimmte Verhaltensweisen, die durch Distanz zu anderen Kindern, Zurückhaltung, Verschwiegenheit oder auch Aggressivität gekennzeichnet waren. In der Anfangsphase weigerten sie sich, aufgrund ungenügender Deutschkenntnisse, diese Sprache zu gebrauchen. Diese anfängliche „Sprachverweigerung“ aufgrund sozialer und kommunikativer Unsicherheit ist oft der Beginn einer Entwicklung, die einen ausgewogenen Erwerb doppelter Sprachkompetenz erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Die hierbei relevanten Faktoren besitzen mindestens eine emotionale, eine soziokulturelle und eine sprachliche Dimension. Es muss hier den Eltern immer wieder vermittelt werden, dass die Kenntnis dieser Zusammenhänge und der Faktoren, die den Verlauf der zweisprachigen Entwicklung beeinflussen, eine wichtige Grundlage für das Gelingen der zweisprachigen Erziehung und der kindlichen Entwicklung insgesamt darstellen. Die emotionale Dimension Eine ausschlaggebende Rolle für einen stressfreien Eintritt in eine Kindertageseinrichtung spielt erwiesenermaßen die emotionale Bindung des Kindes an die Mutter oder an die nächste Bezugsperson. Ein Kind, das sich zu Hause geborgen fühlt, viel Zuwendung und liebevolle Atmosphäre in der Familie erlebt, besitzt eine stabile Grundlage für die weitere Sozialisation in der Kita. Für die weitere Motivation des Kindes, beide Sprachen zu sprechen, ist eine positive Einstellung zum Russischen und zum Deutschen unabdingbar. Wenn Kinder sich schämen, in der einen Sprache zu sprechen, kann dies negative Folgen für ihre Sprachentwicklung insgesamt haben. Die positive Bestätigung und sogar Bewunderung anderer deutschsprachiger Kinder ist für ein zweisprachig aufwachsendes Kind sehr wertvoll. Eine Situation aus dem Alltag verdeutlicht das: Ein deutsch-russisch aufwachsender Junge ist mit seiner Mutter zu Besuch bei einem Mädchen aus dem Kindergarten. Dazu kommen zwei ältere Cousinen des Mädchens im Schulalter. Als sie hören, wie die Mutter zum Kind in ihrer Muttersprache spricht und das Kind auch in dieser Sprache antwortet, sind sie begeistert und möchten selbst einfache Begrüßungsformen auf Russisch lernen. Das ist für den Jungen ein positives Erlebnis und eine Ermunterung für den Gebrauch beider Sprachen, was er Der Kindergarten - Zusammenprall der Sprachkulturen im Kleinen 71 in einem Gespräch mit seiner Mutter einen Tag später zeigte: „Mama, ich kann doch по-русски говорить (auf Russisch sprechen) gell? “ Der sozioökonomische Status der Familie hat allgemein großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Dies gilt auf besondere Weise auch für Familien mit Migrationshintergrund, beispielsweise mit einem russisch-deutschen Elternpaar. Viele Kinder aus deutsch-russischen Familien erfahren zum ersten Mal in den Kindertageseinrichtungen, welche Einstellungen die Deutschen zu den „nicht-deutschen“ Aspekten ihrer Persönlichkeit und ihrer Lebensverhältnisse haben. Diese Einstellungen reichen von offenem, herzlichem Interesse und von Akzeptanz über vorsichtige Gleichgültigkeit bis zu negativ abwertenden und ablehnenden Haltungen. Dass sich Akzeptanz und empfundene Gleichwertigkeit der eigenen Erstsprache in einem starken Maße positiv auf das zweisprachige Kommunikationsverhalten auswirken, liegt auf der Hand. Eine selbst „unterschwellige“ Abwertung der russischen bzw. ukrainischen Sprache und Kultur führt bei den Kindern meist zu einem verstärkten Anpassungsdruck und damit zur inneren Distanz und zur Schwächung der Erstsprache. Die sprachliche Dimension Die sprachliche Reizumgebung eines Kindes spielt bei der Herausbildung grammatischer Strukturen, bei der Entwicklung der Artikulation und bei der Erweiterung des Wortschatzes eine große Rolle. Dieser Input hält den Spracherwerb in Gang und liefert den Kindern konkrete Beispiele der Zielsprache. Es sind erwiesenermaßen weniger die Quantität und die Qualität, als vielmehr die kontinuierliche Präsenz der sprachlichen Reize, die für die Sprachbeherrschung ausschlaggebend ist (vgl. Dittmann 2002). Dies gilt ebenso für einwie für zweisprachig aufwachsende Kinder. Um eine gelingende Zweisprachigkeit zu erreichen, müssen die sprachlichen Reizumgebungen in beiden Sprachen entsprechend ähnlich und qualitativ und quantitativ ausgewogen sein. Die mit dem Eintritt in den Kindergarten oder in die Krippe beginnende Verlagerung des Sprachgebrauchs, die dazu führt, dass zweisprachige Kinder Deutsch zunehmend auch in Gesprächen zu Hause gebrauchen, lässt sich nur durch die oben beschriebenen, konsequent in den Alltag integrierten Vorgehensweisen auffangen und kompensieren. Oft weigern sich die Kinder, die Erstsprache zu sprechen und wollen sich auch mit ihren Eltern ausschließlich auf Deutsch verständigen. Zu Beginn wird dies verständlicherweise meist von den Eltern unterstützt, da sie ja dem Erwerb der sozial notwendigen Sprache Deutsch nicht im Weg stehen wollen. Später sehen die Eltern dann aber oft die Gefahr, dass ihre Kinder ihre Erstsprache verlernen könnten - eine nicht unbegründete Befürchtung, wie mittlerweile viele Fälle in der Praxis zeigen. 72 Verhalten der Eltern: Zwei Sprachen - ein Ziel Nach Kita und Kindergarten besuchen die Kinder eine deutsche Schule, haben deutsche Freunde und Bekannte und sind Teil deutscher Jugendkulturen. Hier könnten slawische Herkunft und Muttersprache dann endgültig auf der Strecke bleiben. In der Praxis des Bilingualismus zeigt sich bei zweisprachig aufwachsenden Kindern auch die Tendenz, eine der beiden Sprachen nicht aktiv zu gebrauchen, sobald sie bemerken, dass ihnen eine Sprache für die Kommunikation in ihrer Umgebung ausreicht (vgl. Egger 1994, Grosjean 1996). Oft wird auch hier ganz selbstverständlich der einfachste Weg gewählt. Diese Tendenz lässt sich durch meine eigenen Beobachtungen bestätigen. Eines der beobachteten Kinder, Jakob, gebrauchte in der Familie, in der Vater und Mutter russisch sprechen, nur die deutsche Sprache. Im Laufe der Beobachtung, die über ein Jahr verlief, ließ sich Jakob kein einziges Mal dazu ermutigen, russisch zu sprechen. Da seine Eltern mit ihm in der Familie Russisch sprechen, war anzunehmen, dass er die russische Sprache verstand, sich aber weigerte, sie zu gebrauchen. Allerdings hatten die Eltern frühzeitig signalisiert, dass sie deutsch verstehen können, daher verspürte das Kind in der Kommunikation mit den Eltern kein Bedürfnis, aktiv ins Russische zu wechseln. Bei einem anderen, von mir beobachteten Kind, Artur, hatte sich die monolinguale Situation der Familie nach der Scheidung der Eltern zu einer zweisprachigen entwickelt. Die starke Sprache der Mutter ist eindeutig das Russische, bei Artur hatte sich durch den Besuch des ganztägigen Kindergartens Deutsch zur dominanten Sprache entwickelt. Die Mutter stand nun vor der schwierigen Aufgabe, wie sie das Russische für ihr Kind wieder ‚attraktiv‘ machen, es zum aktiven Gebrauch ermutigen und die Lese- und Schreibkompetenz fördern könnte. Erst eine intensive sprachliche Beschäftigung mit dem Kind über einen langen Zeitraum und der mit vielen Anreizen und Nachhilfebemühungen unterstützte Erwerb der russischen Schrift führten zu einem aktiven Gebrauch und einer Akzeptanz des Russischen bei diesem Kind. Die sprachliche Erziehung in russischsprachigen Familien weist ein breites Spektrum von Verhaltensweisen und Einstellungen der Eltern auf. Dieses reicht von der strikten Trennung beider Sprachen in der Familie und der Förderung beider Sprachen, wenn sich eine solche Möglichkeit natürlicherweise ergibt, bis zur starken Vernachlässigung der russischen Sprache durch die Eltern, die sich mit dem passiven Verstehen dieser Sprache durch das Kind zufrieden geben. Die Notwendigkeit, Kinder zu motivieren, ihre Erstsprache positiv zu beurteilen und weiter zu gebrauchen, führt übrigens keineswegs automatisch zu einer Schwächung des Deutschen, sondern im Gegenteil zu einer besseren Beherrschung der deutschen Sprache. Über die Beziehung zwischen der Erstsprache und der Zweitsprache schreibt Ehlich Folgendes: „[Die sprachlichen Basisfunktionen in der Muttersprache] sind Voraussetzungen für den Erwerb der komplexeren schriftsprachlichen und allgemein schulsprachlichen Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten bedürfen einer Förderung, die an die muttersprach- Der Kindergarten - Zusammenprall der Sprachkulturen im Kleinen 73 lich ausgebildeten Fähigkeiten der Familiensprache anknüpft und sie schulisch weiterführt. […] Die Begriffsbildung und auch weitere Identitätsbildung entwickeln sich in enger Bindung an die Muttersprache“ (Ehlich 1996,107 f.). Kapitel 4 Umgang mit Medien in der Familie - Wissenswertes für die Eltern Mediennutzung von russischsprachigen Migranten Heute spielen Medien, vor allem nach wie vor das Fernsehen, eine zentrale Rolle als Bildungs- und Unterhaltungsquelle, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. In vielen Familien ist Fernsehen ständig präsent und prägt mehr oder weniger den Tagesablauf, auch den der Kinder. Der Fernseher ist zum „festen Familienmitglied“ geworden, ohne welches unser Leben eintöniger, farbloser und reizloser wäre. Dies belegen auch die statistischen Daten zum Fernsehkonsum: ca. 3½ Stunden täglich ist der durchschnittliche Fernsehkonsum bei Erwachsenen in Deutschland (vgl. Angaben der Gesellschaft für die Konsumforschung). Dazu kommen in den letzten zehn Jahren die digitalisierten Medien und das Internet. Diese Medialisierung des Alltags ist auch in zunehmendem Maße schon bei Vorschulkindern zu beobachten. Wenn man sich die statistischen Daten des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen anschaut, findet man erstaunliche Zahlen über den Fernsehkonsum von Kindern. Beinahe 20 % der Kinder unter 2 Jahren schauen fern. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr steigt die Zahl auf 74 %, bei den Vier- und Fünfjährigen sind es 96 %. Im Durchschnitt beträgt die Sehdauer etwa 86 Minuten am Tag. Die Untersuchungen zeigen, dass Kinder bereits sehr früh fernsehen und dieses Medium einen festen Platz in ihrem Tagesablauf einnimmt. Ohne Zweifel ist das Fernsehen bei den Vorschulkindern „mit großem Vorsprung vor anderen Medien die Nummer eins - und wenig spricht zurzeit dafür, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird“ (Feierabend/ Klingler 2004, 162). Es gibt bis jetzt noch wenig wissenschaftliche Studien, die sich mit dem Thema Mediennutzung in Migranten-Familien und dem Medienkonsum ihrer Kinder befassen. Die russischsprachige Bevölkerung in Deutschland hat verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise durch Satellitenverbindung, russisches Fernsehen oder diverse Sender aus Russland und der Ukraine zu empfangen. Aus einer Studien von Selensky über die Mediennutzung von jugendlichen Aussiedlern geht hervor, dass diese Zielgruppe 3½ Stunden pro Tag fernsieht und dabei das deutsche Fernsehen bevorzugt (vgl. Selensky 2002). Unter- Kindliche Mediennutzung: einige Empfehlungen 75 suchungen zur Mediennutzung von russischsprachigen Vorschulkindern in Deutschland stehen noch aus. Zum kindlichen Fernsehkonsum und zur Einstellung zum Medienkonsum allgemein lassen sich aber Daten des Medienkonsums aus Russland heranziehen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, Anfang der 90er Jahre, verschlechterte sich die Qualität des Kinderfernsehens in Russland, was eine Verschlechterung der Mediensozialisation der Kinder insgesamt zur Folge hatte. Ergebnisse verschiedener Untersuchungen aus Russland über die Freizeitgestaltung von Kindern liefern einige Daten, die nachdenklich stimmen. Aus einer Studie geht hervor, dass der Fernsehkonsum mit 76,7 % bei Kindern und jungen Jugendlichen auf dem ersten Platz der medialen Freizeitbeschäftigungen steht, Lesen hingegen erst auf dem vierten Platz (vgl. Šarikov/ Č udinova 2007). Eine andere Befragung, in der 1900 Kinder russlandweit und 700 Kinder direkt in Moskau befragt wurden, zeigt, dass Vorschulkinder ca. 2 Stunden täglich vor dem Fernseher verbringen. Dazu kommt, dass diese nicht nur Zeichentrickfilme und Kindersendungen rezipieren, sondern jedes zweite Kind der Befragung auch aktiver Zuschauer von Werbespots und aller möglichen Shows und Unterhaltungsprogramme ist. Das heutige russische Fernsehen bietet immer weniger Sendungen, die für Vorschulkinder geeignet sind und einen erkenntniserweiternden und kindgerechten Charakter haben. Die meisten Kindersendungen werden vormittags ausgestrahlt zu einer Zeit, in der die meisten Kinder nicht zu Hause sind. Am Nachmittag oder am frühen Abend gibt es für die Kinder bis 6 Jahre kaum geeignete Sendungen, weshalb sie gezwungen sind, auf Erwachsenenfilme „auszuweichen“ (vgl. Šarikov/ Č udinova 2007, 68 ff.). Dies ist relevant für russischsprachige Kinder in Deutschland, da in vielen Familien russische Sender empfangen werden. Ohne Zweifel beeinflusst das Fernsehen das Spielverhalten der Kinder, indem sie die Personen aus den Sendungen nachahmen und versuchen, ihnen ähnlich zu sein, was sich oft auch im sprachlichen Ausdrucksverhalten widerspiegelt. Auch hier liegen überzeugende Ergebnisse einer russischen Umfrage zum Thema „Vorschulkind und Fernsehen“ vor, die zeigen, dass über 50 % der befragten Jungen Batman und Ninja-Schildkröten für ihr Vorbild halten und ihre Fernsehhelden um ihre Tapferkeit beneiden. Man kann also davon ausgehen, dass das Fernsehen für die Kinder russischsprachiger Zuwanderer in Deutschland ebenso eine große Rolle spielt und es, zusammen mit anderen Medien, einen festen Bestandteil des Alltages von Kindern und Jugendlichen ausmacht. Kindliche Mediennutzung: einige Empfehlungen Hier stellen sich eine Reihe grundlegender Fragen: Wie sollen Eltern mit der Mediennutzung ihrer Kinder umgehen, ab welchem Alter und wie sollen Kin- 76 Umgang mit Medien in der Familie - Wissenswertes für die Eltern der fernsehen? Ist Fernsehen 1 für die Gesamtentwicklung des Kindes fördernd oder abträglich? Wie lässt sich der Medienkonsum von Kindern in eine wirksame Sprachförderung integrieren? Wichtig ist hier zuerst einmal, dass Eltern eine klare Strategie bezüglich des Fernsehkonsums ihrer Kinder verfolgen, indem sie die Sendungen genau auswählen und festlegen, wann das Kind allein oder mit einem Elternteil zusammen fernsieht. Eine gerade in russischsprachigen Familien häufig zu beobachtende Tendenz, das Fernsehen als „Lebensbegleiter“ ständig im Hintergrund laufen zu haben, während gegessen, geplaudert, gelesen, gespielt, diskutiert oder sogar während das Kind zu Bett gebracht wird, ist sicherlich wenig förderlich und wenig kindgerecht. Die meisten Eltern bemerken sicherlich, dass Kinder unter 6 Jahren eine sehr selektive Wahrnehmung des Gesehenen haben, was sich in einem Durcheinanderbringen der zeitlichen Abfolgen und der räumlichen Darstellung äußert. Kinder nehmen eine Sendung, sei es einen Zeichentrickfilm oder einen realen Filmausschnitt, nicht als Ganzes in seinem zeitlichen und räumlichen Nacheinander und seinem logischen Ablauf wahr, sondern konzentrieren sich auf Details. Dabei versuchen sie, einen persönlichen Bezug zu ihren Lebenswelten herstellen. So stellen sie Verbindungen zwischen den gesehenen Tieren, Autos, Puppen, Schlössern und den Gegenständen her, die sie persönlich besitzen. Oder sie vergleichen sich direkt mit den gesehenen Helden und Hauptfiguren. Dabei ist die emotionale Beteiligung am Geschehen bei Vorschulkindern nachweislich sehr hoch. Eltern können deshalb viel bewirken, in dem sie nur anwesend sind und das Fernsehen zum gemeinsamen Erlebnis machen, über das gesprochen wird, das kommentiert, nacherzählt, zusammengefasst und erklärt wird. (vgl. Neuß/ Koch 2001). Fernsehen hat, besonders bei kleinen Kindern, erst dann eine sprachfördernde und wissensvermittelnde Funktion, wenn das Gesehene mit Bezugspersonen intensiv besprochen wird, unverständliche Inhalte geklärt werden, schwer Verständliches vereinfacht wird. Unmittelbar im Anschluss an den geschauten Zeichentrickfilm, die Animation oder den Filmausschnitt bietet sich eine gute Gelegenheit, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, sie nach ihren Eindrücken und Gefühlen zum Gesehenen zu fragen, eventuell Geschichtsabläufe zu erklären, die sie nicht oder falsch verstanden haben. Die in diesem Sinne bewusste Reflexion des Gesehenen hat positive Bedeutung für die Kinder. Häufiges Fernsehschauen als rein passive Rezeption führt hingegen nicht automatisch zur Erweiterung des kindlichen Horizontes oder auch nur des Wortschatzes. Besonders kleineren Kindern bis drei Jahren fällt es nachweislich schwer, beim Fernsehschauen eine Verbindung zwischen Wörtern und Gegenständen herzustellen. Erst wenn die Erwachsenen die Aufmerksamkeit 1 In meinen weiteren Ausführungen ist hauptsächlich die Rede vom Fernsehkonsum bei den Kindern von 3 bis 6 Jahren. Kindliche Mediennutzung: einige Empfehlungen 77 des Kindes im anschließenden Gespräch auf einen Gegenstand oder ein Thema lenken, wird es möglich, dass das Kind die betreffenden Worte in sein aktives Wortschatzrepertoire übernimmt und ein angemessenes Verständnis der Dinge und Situationen ausbildet (vgl. Dittmann 2002, Neuß/ Koch 2001). Fernsehen kann innerhalb der Familie auch zum parallelen Spracherwerb beitragen. Es liegt hier an den Eltern, für die Kinder ein Repertoire an deutschen und russischen Kindersendungen zusammenzustellen, die in den Wochenablauf aufgenommen werden. Es ist für die Formung des kindlichen Fernsehverhaltens wegweisend, wenn das wöchentliche Fernsehprogramm für die Kinder ritualisiert wird und eine klare Struktur besitzt. So kann man einführen, dass das Kind abwechselnd deutschsprachige und russischsprachige Kindersendungen schaut, als ein festgelegtes wöchentliches Programm, auf das es sich freuen und gespannt warten kann. Weiter ist von Bedeutung, dass die Kindersendungen sprachlich eine gute Qualität haben. Sie sollten eine klare, für die Kinder verständliche Sprache aufweisen, die auch über das sprachliche Entwicklungsniveau der Kinder hinausgeht. So bekommen sie sowohl wortschatzmäßig als auch grammatikalisch höheren Sprachinput. Damit die Kinder die im Fernsehen gehörten Sprachvorlagen in ihren aktiven Gebrauch übernehmen, ist, wie gesagt, die Kommunikation mit Erwachsenen oder auch mit Gleichaltrigen von entscheidender Bedeutung. So sind die Inhalte, die Kinder in den Sendungen wahrnehmen, eine informativ neue Grundlage für die alltägliche Kommunikation, die aktuelle Interessen und Themen der Kinder widerspiegeln und deshalb auch intensive emotionale Bedeutung haben. Auch deutschsprachige Sendungen können die Eltern mit den Kindern in ihrer Muttersprache besprechen. Positiv dabei ist, dass die auf Deutsch gehörten Inhalte in die Muttersprache „transferiert“ werden, was sicherlich zur gleichmäßigen Erweiterung des thematischen Wortschatzes in beiden Sprachen beiträgt. Die Eltern haben wie in allen Verhaltensbereichen, auch beim Medienkonsum eine starke Vorbildfunktion. Wenn sie ihren Kindern zeigen, dass sie selbst dazu tendieren, ohne zeitliche Begrenzung und nicht selektiv fern zu schauen oder wenn das Fernsehen ständig als Begleit- und Hintergrundmedium läuft, vermitteln sie Umgangsformen mit dem Medium, die abträglich sein können für die Entwicklung der Konzentrationsfähigkeit oder die Kreativität des kindlichen Spieles. Auch die Medienerziehung sollte folglich mit einer Reflexion des eigenen Fernsehkonsums bei den Erwachsenen beginnen. Durch das Vorbild der Eltern lernen die Kinder auf einfache, selbstverständliche Weise einen selektiven und moderaten Umgang mit Medien. 78 Umgang mit Medien in der Familie - Wissenswertes für die Eltern Eltern als Vorbilder des medialen Verhaltens Wissenschaftler empfehlen, nicht mehr als eine halbe Stunde täglichen Fernsehkonsums bei Kindergartenkindern. Kinder im Alter bis zu 6 Jahren haben eine begrenzte Aufnahmekapazität und können sich entsprechend auf eine Sendung nur eine begrenzte Zeit konzentrieren. Kleine Kinder fühlen sich überfordert von schnell wechselnden Zeit-, Orts- und Personensträngen in Sendungen. Linear aufgebaute Geschichten, in denen einzelne Handlungen deutlich nachvollziehbar sind, eignen sich gut für 3-4-jährige Kinder. Sie konzentrieren sich dann auf einzelne Ausschnitte, in denen sie Anknüpfungspunkte aus der eigenen Erfahrung suchen. Die Welt der Kinder ist in diesem Alter noch stark auf die eigene Person bezogen, sie können sich noch nicht in die Lage von Anderen versetzen. Bei 5-6-jährigen Kindern kann die Komplexität der dargestellten Ereignisse in der Sendung zunehmen, da sie zunehmend in der Lage sind, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Geschichtssequenzen herzustellen und eine bessere Wahrnehmung der Gesamterzählung zeigen. Allgemein ist bei der Heranführung der Kinder an den Fernsehkonsum zu empfehlen: • klare Regeln zum Mediengebrauch einzuführen (zu welchen Zeiten, was und wie lange darf das Kind fern schauen) • dem Kind eventuell Ausnahmen zu gestatten (ein neuer Film, Zeichentrickfilm, ein Kinderbesuch usw.) • beim Essen mit dem Kind kein Fernsehen zu schauen • den Fernseher nicht ins Kinderzimmer zu stellen • Fernsehen nicht als Strafe oder als Belohnung einzusetzen • für einen angemessenen Ausgleich zum Fernsehschauen durch Spaziergänge, Sport, Musik, Spiele, Toben und andere gemeinsame Aktivitäten mit dem Kind zu sorgen • dem Kind nicht zu erlauben, vor dem Schlafengehen lange zu schauen (manche Sendungen regen die Kinder sehr auf, rufen starke Emotionen hervor) • für die Kinder zwischen 3 und 6 Jahren kurze und abgeschlossene Geschichten heraus zu suchen, die bildhaft und klar gestaltet sind • zu versuchen, die mit dem Kind gemeinsam verbrachte Zeit beim Fernsehen als spannende, interessante und lehrreiche Kommunikation zu etablieren • Fernsehen nicht begleitend zu anderen Beschäftigungen laufen zu lassen, sondern gezielt einzuschalten. Um die sprachfördernden Effekte des Fernsehens zu unterstützen, empfiehlt es sich, den Kindern eine, vielleicht aus der eigenen Medienerfahrung stammende, Orientierung bei der Wahl der Sendungen zu geben. Auf diese Weise gewinnt das Fernsehschauen einen persönlichen Bezug zu den Erinnerungen und Kindheitserlebnissen der Eltern. Zur Förderung kommunikativer Fähigkei- Eltern als Vorbilder des medialen Verhaltens 79 ten ist die Besprechung der Sendungen zu empfehlen. Hier kann man auf die Aspekte eingehen, die für das Kind eventuell unverständlich, verwirrend oder beängstigend waren. Das Gesehene kann durch weitere Ausdrucksformen wie Malen, Bewegung oder Rollenspiele aufgearbeitet werden. Die Kinder können sich die Lieblingssendungen wiederholt anschauen, um sich die Inhalte besser zu merken und ein besseres Verständnis für zusammenhängende Abläufe zu bekommen. Bei der Wahl einer Sendung wird empfohlen, die Sendungen in beiden Sprachen - Deutsch und Russisch - auszuwählen. Besonders wichtig ist es, bei der Auswahl der Sendungen auf die Qualität der Sprache zu achten: Satzbau, Komplexität der Sätze, gehobene Ausdrucksweise, abwechslungsreicher Wortschatz, Einführung neuer Begriffe. Auf diese Weise lässt sich der Medienkonsum von Vorschulkindern auch für die Sprachentwicklung gewinnbringend einsetzen. Kapitel 5 Interkulturelle Kommunikation russisch-deutsch „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen Das Russische gehört zur Gruppe der ostslawischen Sprachen, zu denen auch das Ukrainische und das Weißrussische zählen. Die ostslawischen Sprachen gehören zusammen mit den süd- und westslawischen Sprachen zur indogermanischen Sprachfamilie. Das Russische wird von ca. 167. Mio. Menschen als Muttersprache gesprochen. Insgesamt gibt es ca. 260. Mio. Sprecher des Russischen weltweit. In Deutschland ist Russisch die Sprache der Russlanddeutschen und der Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die eine eher heterogene Gruppe darstellen. Somit ist das Russische auch in Deutschland eine sehr vitale Sprache, die von hunderttausenden Sprechern als Sprache der Familie und auch der alltäglichen Kommunikation außerhalb der Familie benutzt wird. Für die deutschen Pädagogen ist es von Vorteil bei der Sprachunterstützung von Kindern mit russischsprachigem Hintergrund, zu wissen, über welche Sprachressourcen diese Kinder im Russischen bereits verfügen und wie sich dies gegebenenfalls auf den Erwerb des Deutschen auswirken kann. Das setzt voraus, dass die Pädagogen einige Informationen über die Beschaffenheit des Russischen erhalten, die ihnen helfen, die in der Erstsprache vorkommenden Übergangsformen beim kindlichen Grammatikerwerb besser zu verstehen. Wie lässt es sich beispielsweise bei einem 3½-jährigen Mädchen mit Russisch als Erstsprache interpretieren, wenn es den Satz „Ich dir nicht gebe und nicht bitte darum“ äußert? Wahrscheinlich würde man solche Äußerungen einfach als grammatisch falsch abtun. Für das Kind ist hingegen diese Reihenfolge im Satz sehr vertraut und sozusagen „eingefahren“, weil es der übliche Satzbau des russischen Satzes ist - die Verneinung steht dort beispielsweise immer vor dem Verb. Dieses Wissen überträgt das Kind auf das Deutsche und bildet automatisch den falsch klingenden Satz. Diese Überlegung ist sicherlich hilfreich, einige sprachförderliche Schlussfolgerungen zusammenzufassen: Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen 81 • das Kind zeigt einen entwicklungsgemäßen Sprachstand im Russischen, was auch anerkannt und gewürdigt werden muss • das Kind hat anscheinend eine Hypothese, dass im Deutschen diese Sätze dieselbe Struktur haben wie im Russischen • die Pädagogin weiß, in welchen Bereichen das Kind noch Schwierigkeiten hat • sowohl bei der gezielten Sprachförderung als auch in der alltäglichen Kommunikation werden dann diese Grammatikbereiche mehr beachtet, eingeübt und gefördert. Eine detailliertere Sprachanalyse kann den Pädagogen helfen, die Kinder gezielter zu fördern und dabei auf den Sprachressourcen der Kinder selbst aufzubauen. Deswegen seien hier einige Besonderheiten des Russischen vorgestellt. Die russische Sprache besitzt eine komplexe, hoch flektierte Grammatik und eine breite Palette an strukturellen Ausdrucksmöglichkeiten. Im Russischen gibt es eine ganze Reihe struktureller Eigenarten, die sich beim Erwerbsprozess des Deutschen meist als störend erweisen - z. B. bei der Umsetzung russischer Konstruktionen mit „es gibt“ (1), bei der Auslassung des im Deutschen obligatorischen „es“ in bestimmten Satzmustern (2), bei der Wortstellung in Haupt- und Nebensätzen (3). Dies ist keine Frage der grammatischen Norm, sondern eine Frage des Stils. Auch bei der Verneinung zeigen sich positionelle Unterschiede zwischen dem Russischen und dem Deutschen. Die Verneinung steht im Russischen vor dem negierenden und nicht wie im Deutschen nach dem negierenden Verb. Dazu kommt, dass im Russischen in einem Satz zwei oder mehrere Verneinungen vorkommen können (5) (siehe Tab. 2). Tabelle 2: Auswahl grammatischer Unterschiede zwischen dem Russischen und dem Deutschen Einige grammatische Unterschiede Beispiel Russisch Beispiel Deutsch Konstruktion „es gibt“ Тут можно увидить много интересного . (tut možno uvidit’ mnogo interesnogo) Wörtlich: Hier kann man viel Interessantes sehen. Es gibt hier viel Interessantes zu sehen. „Es“ als Platzhalter für das Subjekt oder mit Verben der Witterung Птица залетела в комнату . (Ptica zaletela v komnatu) Wörtlich: Vogel flog ins Zimmer hinein. Идет снег . (Idjot sneg) Wörtlich: Geht Schnee Es flog ein Vogel ins Zimmer hinein. Es schneit. 82 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Wortstellung im Haupt- und Nebensatz Мне нравится ходить в детcкий сад . (Mne nravitsja chodit´ v detskij sad) Wörtlich: Mir gefällt gehen in den Kindergarten. Я тебе об этом расскажу, потому что ты мой друг . (Ja tebe ob etom rasskažu, potomu č to ty moj drug) Wörtlich: Ich dir darüber erzähle, weil du mein Freund Ich gehe gern in den Kindergarten. (Im Hauptsatz steht das Verb an der zweiten Stelle) Ich erzähle dir davon, weil du mein Freund bist. (Im Nebensatz steht das Verb an der letzten Stelle) Stellung der Verneinung. Im Russischen vor dem negierenden Verb. Ребенок не спит . (Rebjonok ne spit) Wörtlich: Das Kind nicht schläft. Das Kind schläft nicht. Vorkommen von mehreren Verneinung im Russischen Никто никуда не идет . (Nikto nikuda ne idjot) Wörtlich: Niemand nirgendwohin nicht geht) Niemand geht irgendwohin. Das russische Alphabet: Buchstaben und Laute Die ostslawischen Sprachen, darunter auch das Russische, werden mit dem kyrillischen Alphabet geschrieben, das im Zuge der christlichen Missionierung Russlands entstanden ist. Es gibt im Russischen 33 Buchstaben im Gegensatz zu den 26 Buchstaben des deutschen Alphabets. Das Russische kennt keine Umlaute (wie im Deutschen ä, ö, ü). Einige Buchstaben sind den lateinischen Buchstaben ähnlich, besitzen aber ein anderes Lautbild - C, c (= S, s), P, p (= R, r), H (= N, n), X, x (= Ch, ch). Dies kann für die Kinder besonders beim Erwerb der Schriftsprache verwirrend sein. Deswegen empfehle ich die Alphabetisierung in beiden Sprachen nicht parallel durchzuführen, sondern nacheinander. Zum Beispiel werden dem Kind die russischen Buchstaben und das Schreiben vor der Einschulung oder erst in der 2. Klassen beigebracht, wenn das Kind das deutsche Alphabet bereits kennt. Zur weiteren Verwirrung kann es beim Thema „Groß-/ Kleinschreibung“ kommen. Im Russischen werden die Wörter nur am Satzanfang und die Eigennamen groß geschrieben. Das Russische verfügt über 42 Phoneme 1 (36 Konsonanten und 6 Vokale), die im Unterschied zur deutschen Sprache je nach der Position im Wort sowohl weich als auch hart ausgesprochen werden können. Die Zahl der Laute ist also, wie im Deutschen, größer als die der Buchstaben. Zum Beispiel kann ein / l/ im 1 Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache. Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen 83 Russischen sowohl weich als auch hart ausgesprochen werden. Im Deutschen kann / l/ bekanntermaßen nur weich sein. Bei russischsprachigen Kindern hat dies insoweit eine Konsequenz, dass sie die weiche Aussprache aus dem Deutschen ins Russische oder auch umgekehrt übertragen können. Die Länge der Vokale spielt im Russischen keine Rolle. Im Deutschen hat der Aussprachewert lang/ kurz eine bedeutungsunterscheidende Funktion und ist für die richtige Aussprache des Wortes von Bedeutung. Ein Beispiel dafür wäre die Aussprache in ‚der Weg‘ und ‚weg‘ oder ‚das Bett‘ und ‚das Beet‘. Russischsprachige Sprecher haben oft Schwierigkeiten mit der Realisierung der langen geschlossenen Vokale und der kurzen offenen im Deutschen. Dies kann zu falscher Aussprache, erschwertem Verstehen und Verständigungsproblemen führen. Eine Besonderheit in der Aussprache des Russischen liegt bei unbetonten Vokalen. So wird das unbetonte [o] als kurzes [a] und das unbetonte [e] als kurzes als [i] ausgesprochen - козá - ([kaza] - Ziege), лесá - ([lisa] - Wälder). Die Betonung ist frei und beweglich. Der Wechsel des Wortakzents zeigt sich oft bei der Deklination der Substantive, z. B. beim Wechsel vom Nominativ zum Genitiv. Eine falsche Betonung kann zu Missverständnissen führen und die Kommunikation erschweren. Hier einige Beispiel dazu: пóтом - потóм [pótam - patóm], (mit Schweiß - dann, später), зáмок - замóк [zámok - zamók], (Schloss - Türschloss). Tabelle 3: Russisches Alphabet Kyrillische Buchstaben Lateinische Buchstaben Aussprache in deutschen Wörtern А, а A, a warm Б, б B, b Birke В, в W, w Vase Г, г G, g gut Д, д D, d dort Е, е E, e/ e, je Leben/ jetzt Ё, ё Jo, jo Joghurt Ж, ж Sch, ch stimmhaft wie im „Journal“ З, з S, s stimmhaft, wie im „sorgen“ И, и I, i wir Й, й J, j Mai К, к K, k Kuh Л, л L, l Will (englische Aussprache des Namens) М, м M, m Mann Н, н N, n Nase s J 84 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte О, о O, o Oma П, п P, p Park Р, р R, r Rot С, с S, s Basteln Т, т T, t Tag У, у U, u Universität Ф, ф F, f Frage Х, х Ch, ch Dach Ц, ц Z, z Zeit Ч, ч Tsch, tsch Deutsch Ш, ш Sch, sch Schach Щ, щ Schtsch, schtsch Borschtsch Ъ, ъ Härtezeichen Die vorhergehenden Konsonanten werden hart ausgesprochen Ы, ы Y, y Tisch Ь, ь Weichheitszeichen Bezeichnet die Weichheit des Konsonanten Э, э E, e Äste Ю, ю Ju, ju Jupiter Я, я Ja, ja Januar Einige Wortarten im Russischen Die Substantive Das Russische ist eine sowohl im nominalen als auch im verbalen Bereich stark flektierte und formenreiche Sprache. Die Gestalt eines Wortes ändert sich bei der Bildung grammatischer Kategorien durch Hinzufügung von Endungen oder durch Veränderung des Wortstammes. Substantive sind die formenreichste Wortart im Russischen. Mit sechs Fällen, drei grammatischen Geschlechtern und drei Deklinationstypen stellen sie die Lerner auf eine harte Probe. Die ersten vier Fälle werden ähnlich wie im Deutschen verwendet. Der fünfte Fall (Instrumental) und der sechste Fall (Präpositiv) sind im Deutschen nicht vorhanden. Der Instrumental bezeichnet ein Instrument, mit dem etwas getan wird. Am häufigsten wird mit dem Instrumental die Präposition „c“ (mit) verwendet, auch manche Verben regieren diesen Fall - копать лопатой (kopat’ lopatoj - mit Schaufel graben). Der Präpositiv wird nur zusammen mit Präpositionen gebraucht. Im Gegensatz zum Deutschen besitzt das Russische keine Artikel. Dies hat zur Folge, dass russischsprachige Deutschlerner die Artikel häufig auslassen. Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen 85 Das Russische besitzt drei Geschlechter. Das Geschlecht kann man in der Regel durch die Endung am Substantiv in den meisten Fällen eindeutig bestimmen (männliche Substantive enden auf einen Konsonant, die weiblichen auf -a/ я und die sächlichen auf -o/ -e). Im Deutschen ist das Genus dagegen nur bei bestimmten Endungen, bzw. bei äußeren Merkmalen genau zu bestimmen. Das grammatische Geschlecht stimmt nicht immer in beiden Sprachen überein. In diesem Bereich kann man beim Deutschunterricht bei Erwachsenen auch gehäufte Fehler bei der Artikelzuweisung beobachten. Hier einige Unterschiede im Geschlecht bei häufig gebrauchten Wörtern: Haus (n) - дом (m) (dom) Mädchen (n) - девочка (f) (devo č ka) Kind (n) - ребенок (m) (rebjonok) Sprache (f) - язык (m) (jazyk) Erziehung (f) - воспитание (n) (vospitanije) Auto (n) - машина (f) (mašyna) Stadt (f) - город (m) (gorod). Die Adjektive stimmen mit dem Substantiv, wie auch im Deutschen, in Geschlecht, Zahl und Fall überein. Adjektive und andere Wortarten wie Zahlwörter und Eigennamen werden im Russischen gebeugt. Die Lerner des Russischen haben es besonders schwer, den Dschungel der Formenvielfalt zu durchdringen. Dazu kommt ein sehr verzweigtes und kompliziertes Deklinationssystem. In diesem System muss man nicht nur Geschlecht, Mehrzahl und Fälle berücksichtigen, sondern auch die Kategorie belebt/ unbelebt unterscheiden. Diese Kategorie spielt bei der Deklination der Substantive eine entscheidende Rolle für die Wahl des Deklinationstyps. Bei den belebten Nomina entspricht das grammatische Genus, wie im Deutschen, dem natürlichen Geschlecht. 2 Das Pluralsystem im Russischen weist im Vergleich zum Deutschen eine einfachere Paradigmenbildung auf, der transparente Zuweisungsregeln zugrunde liegen. Im Nominativ Plural kommen die Endungen ы , -u, -a, я , oder -e vor. Als Konsequenz für die pädagogische Praxis folgt, dass im Bereich der Wortbildungsmuster bei den Kindern Übertragungen aus dem Russischen ins Deutsche zu erwarten sind. Dies betrifft sowohl das grammatische Geschlecht (Genus), die Nominalflexion (Fehler bei der Fallzuweisung), die Mehrzahlbildung, den Gebrauch von Artikeln und Präpositionen. Darüber hinaus kann man bei Deutschlernern verschiedenen Alters mit Auslassungen des Artikels und der Personalpronomina rechnen. 2 Mehr zum russischen Kasussystem siehe Gladrow 2001, Beier 2007. 86 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Die Verben Die Verben werden im Russischen wie im Deutschen gebeugt, indem ihnen verschiedene Personalendungen hinzugefügt werden. Die russischen Verben weisen eine deutlich kleinere strukturelle Formenvielfalt auf als im Deutschen. Es gibt im Russischen nur drei grammatische Zeiten (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) und eine einfache Bildung der Vergangenheit. Was es im Deutschen nicht gibt ist, dass Verben nicht nur nach Zeitform und Numerus, sondern in der Vergangenheit auch nach Geschlecht gebeugt werden. Im Russischen gibt es also ein Präteritum, das den drei deutschen Vergangenheitsformen entspricht. Die Zeitformen des Deutschen, die mit Hilfe des Hilfsverbs „haben“ und „sein“ gebildet werden, kommen im Russischen gar nicht vor. Eine Besonderheit der russischen Verben besteht darin, dass sie zwei unterschiedliche Formen haben, um eine Handlung im Zeitgeschehen als vollendet oder unvollendet näher zu beschreiben. In der sprachwissenschaftlichen Literatur wird diese verbale Kategorie als „Aspekt“ bezeichnet. Einige Verben bilden Aspektpaare und haben den gleichen semantischen Bedeutungskern, bezeichnen aber verschiedene Handlungszustände. Mit dem unvollendeten Aspekt wird eine Handlung oder Situation in ihrem Verlauf bezeichnet, mit dem vollendeten Aspekt wird die Handlung oder Situation als abgeschlossenes Ganzes beschrieben: Я писала письмо - ich habe einen Brief geschrieben (mit einem offenem Endergebnis) Я написала письмо - ich habe einen Brief zu Ende geschrieben (mit einem vollendeten Ergebnis). Einige Verben können durch Vorsilben, Nachsilben oder Stammveränderung Aspektpaare bilden. Anders als im Deutschen ist auch die Verwendung von einem so gebräuchlichen Verb wie „sein“. Dieses Verb wird im Russischen in der Vergangenheit und Zukunft gebraucht, in der Gegenwart wird es ausgelassen - Ich bin müde - я устал (ja ustal - ich müde); ich bin Mutter - я мама (ja mama - ich Mutter). Die deutsche Konstruktion mit „haben“ in der Bedeutung „besitzen“ wird im Russischen ganz anders und zwar mit Hilfe von „bei mir/ dir/ ihr/ ihm + sein“ ausgedrückt. Der deutsche Satz „ich habe eine Schwester“ lautet auf Russisch: у меня есть сестра „bei mir ist Schwester“. Im Russischen gibt es wie auch im Deutschen reflexive Verben. Im Deutschen werden sie mit Hilfe des Reflexivpronomens „sich“ gebildet, im Russischen markieren spezielle Endungen wie ся (sja) und сь (s’) die Reflexivität des Verbs. 3 Die reflexiven Verben im Russischen fallen nicht immer mit den 3 Das reflexive Verb drückt jene Tätigkeit des Sprechers aus, die sich auf ihn selbst bezieht. Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen 87 reflexiven Verben im Deutsch zusammen (lernen - учиться (u č itsja), sich unterhalten - беседовать (besedovat’), sich erholen - отдыхать (otdychat’). Die russischen Verben werden verneint, indem die Verneinung vor und nicht wie im Deutschen nach dem Verb steht - Радио не работает (radio ne rabotajet - wörtlich: Das Radio nicht funktioniert). Die Wortstellung im Russischen Im Gegensatz zur deutschen Wortstellung in Haupt- und Nebensätzen müssen russisch aufwachsende Kinder keine festen Wortstellungsregeln lernen. Im russischen Hauptsatz muss das Verb nicht unbedingt an der zweiten und im Nebensatz an der letzten Stelle stehen, wie das im Deutschen der Fall ist. Die Wortfolge im Russischen ist folglich weniger streng festgelegt als im Deutschen. Die Nebensätze im Russischen haben dieselbe Wortfolge wie die Hauptsätze, ein Satz besteht in der Regel aus mindestens zwei Satzgliedern: Subjekt und Prädikat. Es gibt aber auch so genannte Einwortsätze: Зима . (Zima) - Es ist Winter. Холодно . (Cholodno) - Es ist kalt. Моросит . (Morosit) - Es nieselt. Die Reihenfolge der Satzglieder im russischen Satz wird nicht so stark von syntaktischen als viel mehr von stilistischen Kriterien bzw. von der jeweiligen Aussageabsicht bestimmt. Die Verbindung der Wörter untereinander kommt im Russischen hauptsächlich durch die Mittel der Formbildung zustande. Die Wortfolge im Satz hängt vom Ziel der Äußerung ab. Sie richtet sich folglich danach, welche neuen, wichtigen Informationen der Sprecher übermitteln oder besonders hervorheben möchte. Diese Zielsetzung des Sprechers wird durch die Gliederung des Satzes in zwei Teile - das Thema und das Rhema - markiert. Das Thema nennt den Gegenstand der Äußerung, das Rhema stellt den Hauptinhalt der Aussage dar und enthält eine neue Information über das Thema (vgl. Kostyuk 2004). Als Thema und Rhema können im Satz verschiedene Satzglieder auftreten. Vor allem wird das Subjekt als Thema markiert und steht dann am Satzanfang: Мама укладывает ребенка спать . (Mama ukladyvajet rebjonka spat’) Die Mutter legt das Kind zum Schlafen hin. Das Prädikat und Objekt können auch als Thema auftreten: 88 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Приехали мои родители . (Prijechali moi roditeli) Angekommen sind meine Eltern. Обед уже готов . (Obed uže gotov) Wörtlich: Das Mittagessen bereits fertig. Die Anfangsstellung des Prädikats (5) ist im Russischen häufig verbreitet und kommt überwiegend mit Verben mit der Bedeutung „sein“, „beginnen“, „kommen“, „sich befinden“ und „werden“ vor: Наступило лето . (Nastupilo leto) Wörtlich: Ist gekommen der Sommer. Häufig ist es im Russischen der Fall, das das Verb in einem einfachen Hauptsatz an der dritten Stelle steht: Сегодня дети идут в зоопарк . (Segodnja deti idut v zoopark) Wörtlich: Heute die Kinder gehen in den Zoo. In deutschen Sätzen muss in solchen Fällen eine Inversion (Umstellung vom Subjekt und Prädikat) auftreten. Eine gewisse Flexibilität herrscht auch bei der Platzierung von Objekten, besonders pronominalen Objekten. Das pronominale Objekt kann sowohl vor wie hinter das Verb gestellt werden: Я ее люблю = Я люблю ее - Ich sie liebe = Ich liebe sie). Zur Wortstellung im Fragesatz Im Russischen gibt es zwei Fragetypen: Intonations- und W-Fragen. Bei den Intonationsfragen bleibt die Wortfolge wie im Aussagesatz. Bei den W-Fragen werden die Fragen durch verschiedene lexikalische Mittel wie Fragepronomina, Frageadverbien realisiert: Где ты был ? - Gde ty byl? Wo du warst? . Da die Fragesätze ohne Fragewort im Russischen ausschließlich durch die Intonation gebildet werden, besteht auch hier eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die russischsprachigen Deutschlerner zumindest am Anfang des Erwerbs die Fragesätze im Deutschen nur durch die Intonation markieren. Der Wortschatz im Russischen Der Wortschatz im Russischen ist sehr umfangreich und durch eine große Formenvielfalt ausgezeichnet. Viele Substantive, darunter auch Eigennamen, Sprachportrait „Russisch“ - Wissenswertes für Erzieherinnen 89 können verschiedene Verkleinerungs- und Verniedlichungsformen haben. Russen benutzen diese Verkleinerungsformen in der Kommunikation mit Kindern besonders gern. Die neuen Wörter werden mittels verschiedener Vorsilben und Endungen von demselben Stamm gebildet. Der größte Anteil des Wortschatzes ist allgemein slawischen Ursprungs, weshalb russische Sprecher auch andere slawische Sprachen wie Polnisch, Ukrainisch, Bulgarisch, oder Kroatisch zumindest verstehen und lesen können. Es gibt im Russischen als Folge der europäischen Geschichte der letzten Jahrhunderte viele Fremdwörter aus dem Französischen, Deutschen und Englischen. In Adelskreisen war es im 18. Jh. üblich, in der öffentlichen Abgrenzung von unteren Schichten, Französisch zu sprechen, als ein Erkennungszeichen von guter Bildung und feinen Manieren. Auch Wörter lateinischer Herkunft sind im Russischen zahlreich vertreten. Hier sind z. B. solche Bezeichnungen wie спорт (sport - Sport), республика (respublika - Republik), аспект (aspekt - Aspekt), фрукты (frukty - Obst). Deutsche Wörter gingen in den russischen Wortschatz durch die deutschen Einwanderer ab dem 17. Jh. ein, wie beispielsweise: маштаб - Maßstab [maštab] рюкзак - Rucksack [rjuksak] программа - Programm [programma] пюре - Püre [pjure] шнур - Schnur [šnur] бутерброд - Butterbrot [buterbrot] стул - Stuhl [stul] бухгалтер - Buchhalter [buchalter] бургомистр - Bürgermeister [burgomistr] ландшафт - Landschaft [landšaft] брудершафт - Bruderschaft [bruderšaft] апельсин - Apfelsine [apel’sin] Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, die Deutsch lernen, kann man beobachten, dass sie bei den in beiden Sprachen ähnlich klingenden Wörtern die russische Aussprache im Deutschen beibehalten. So kommt es besonders am Anfang des Zweitspracherwerbs zu phonologischen Interferenzen. Einige Beispiele dazu: (1) der herkules ist nicht so alt wie die папугай ([papugaj] - Papagei) (2) ich will das трактор ([traktar] - Traktor) (3) ich habe eine große пистолет ([pistalet] - Pistole) Eine Auswahl an russischen Redewendungen für den pädagogischen Alltag Anschließend möchte ich einige gebräuchliche Ausdrücke und Redewendungen aus dem Russischen vorstellen. Die kleinen Gesten des Interesses und der 90 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Wertschätzung der Sprache des Kommunikationspartners, wie eine Begrüßung oder Verabschiedung in der Muttersprache, können Hemmschwellen beim Aufbau der erziehungspartnerschaftlichen Arbeit mit den Familien überwinden helfen. Dadurch kann eine offene und zum weiteren Gespräch einladende Grundlage geschaffen werden. Beim ersten Leseversuch und Kennenlernen kommt die Aussprache für jemanden, der nie zuvor mit slawischen Sprachen zu tun hatte, sehr befremdend und schwierig vor. Nach einigem lauten Vorlesen und ein wenig Übung wird es jedoch viel einfacher. Guten Morgen! Доброе утро ! [Dobraje utra! ] Guten Tag! Добрый день ! [Dobryj djen! ] oder Здравствуйте ! [Zdrastvujte! , Sie-Anrede] Auf Wiedersehen! До свидания ! [Da svidanija! ] Wie geht es dir/ Ihnen? Как ваши/ твои дела ? [Kak vašy/ twai dela? ] Wie heißt du? Wie heißen Sie? Как тебя/ вас зовут ? [Kak tebja/ vas zavut? ] Woher kommst du (kommen Sie)? Откуда вы/ ты ? [Atkuda vy/ ty? ? ] Vielen Dank! Большое cпасибо ! [Balšoje spasiba! ] Bitte, keine Ursache. Пожалуйста, не за что [Pažalusta, ne za što] Entschuldige! Entschuldigen Sie! Извини! Извините ! [Izvini! Izvinite! ] Alles Gute! Всего доброго ! [Vsevo dobrava! ] Einen guten Rutsch ins Neue Jahr! С Новым годом ! [S Novym godam! ] Frohe Weihnachten! С Рождеством Хрестовым ! [S Raždestvom Chrestovym! ] Pfingsten Троицын день [Troicyn den] Sommerferien Летние каникулы [Letnije kanikuly] Urlaub/ Ferien Отпуск/ каникулы [Otpusk/ kanikuly] Wo haben Sie/ hast du im Sommer Urlaub gemacht? Где вы/ ты отдыхали/ -л летом ? [Gde vy/ ty odtychali/ otdychal letam? ] Alles Gute zum Geburtstag! Поздравляю/ -ем с днем рождения ! [Pazdravlaju/ pazdravlajem s dnjom raždenija! ] Wir wünschen Ihnen/ dir alles Gute! Желаем вам/ тебе всего хорошего ! [Želajem vam/ tebe vsevo charoševa! ] Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 91 Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet In der für die Frühpädagogik relevanten Perspektive auf interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Erziehung lässt sich der Kulturbegriff je nach Themenschwerpunkt als gelebte Tradition, als Verhaltens- und Kommunikationsweisen, als Normen und Wertorientierungen oder als Umgangsformen und Erziehungspraktiken einer ethnischen Gruppe definieren. Mit einem kurzen Einblick in die kulturellen Lebenswelten der russischsprachigen Gruppen in Deutschland möchte ich dazu beitragen, für alle, die mit diesen Gruppen oder der Betreuung und Förderung ihrer Kinder professionell zu tun haben, ein erstes Kennenlernen zu ermöglichen. Eine bessere Kenntnis ihrer Lebenseinstellungen, Familienstrukturen und Erziehungspraktiken eröffnet überhaupt erst die Chance, Elternkontakte partnerschaftlich zu gestalten und Kinder mit russischsprachigem Hintergrund bewusster wahrzunehmen und zu unterstützen. Dabei soll zuerst versucht werden, den Gruppen russischsprachiger Migranten ein differenzierteres, schärferes Profil zu geben, um den pädagogischen Fachkräften für die Elternarbeit und für die interkulturellen Praktiken im Kindergartenalltag eine kulturspezifische Perspektive zu vermittelt. Russischsprachige in Deutschland: Wer sind sie? Die russischsprachige Gruppe von Zuwanderern zeichnet sich durch große Heterogenität hinsichtlich des Herkunftslandes, der Biographien und ihrer sprachlichen Orientierungen aus. Die Angehörigen dieser Gruppe leben in unterschiedlichen sozioökonomischen und soziokulturellen Situationen. Wir sprechen hier von Russlanddeutschen, von jüdischen Zuwanderern und von Russen aus Russland. Hinzu kommen andere Nationalitäten aus der ehemaligen Sowjetunion (z. B. Ukrainer und Weißrussen), die meistens untereinander russisch als Kommunikationssprache verwenden. Die Heterogenität der Gruppe zeigt sich auch in den verschiedenen Einwanderungsgründen, die sie nach Deutschland führten. Russlanddeutsche Zuwanderer: Status und Geschichte Bei den russlanddeutschen Aussiedlern handelt es sich um ethnisch deutsche und deutschstämmige Minderheiten aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach Deutschland ausgewandert sind. Sie gelten im Sinne des Grundgesetzes als Deutsche und haben somit in rechtlicher und politischer Hinsicht einen sicheren Status. Zur sprachlichen Integration von Russlanddeutschen ist anzumerken, dass ihr Anteil mit deutscher Muttersprache am Anfang der Zuwanderungsbewe- 92 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte gung hoch war, später aber die Zahl der rein russischsprachigen Aussiedler stark zugenommen hat (vgl. Rosenberg 2001). Die erste Einwanderungswelle 4 der Deutschen nach Russland liegt in der zweiten Hälfte des 18. Jh., als Deutsche von der gebürtigen Deutschen Zarin Katharina II. eingeladen wurden, sich in den ländlichen, wenig besiedelten Gebieten im Osten Russlands niederzulassen. 5 Es ging dabei darum, neue ländliche Gebiete zu erschließen und so die russische Landwirtschaft zu stärken. Die damaligen Einwanderer aus Deutschland erhielten als Anreiz Sonderrechte, wie die Befreiung von Steuern oder auch die Möglichkeit einer Bewahrung der eigenen kulturellen und nationalen Identität im öffentlichen Leben. Die ersten deutschen Einwanderer kamen aus Hessen und Rheinland-Pfalz, später dann vorwiegend aus dem süddeutschen Raum. Diese „Russlanddeutschen“ siedelten in sehr unterschiedlichen Regionen innerhalb des Russischen Zarenreiches. Daher kamen die auch heute noch manchmal gebrauchten Bezeichnungen der „Wolgadeutschen“, „Wolhyniendeutschen“, „Krimdeutschen“, „Kaukasiendeutschen“, „Schwarzmeerdeutschen“ und „Russlanddeutschen aus Sibirien“. Die Thronnachfolger Katharinas, die Zaren Paul I. (1796-1801) und Alexander I. (1801-1825), förderten die Einwanderungspolitik, weshalb es zur massiven Erweiterung der Siedlungskolonien kam. Große Siedlungen entstanden zwischen den Flüssen Dnestr und Don, auf der Halbinsel Krim und im Kaukasus. Bis ins 19. Jh. waren für die deutschen Aussiedler sehr günstige Bedingungen gegeben, sich landwirtschaftlich zu etablieren und ihre nationale Identität, Kultur und Sprache im öffentlichen Leben und im Bildungswesen zu erhalten. Gegen Ende des 19. Jh. schlug diese siedlerfreundliche Politik um, indem ihnen der privilegierte Status entzogen wurde und sie stärker einer „Russifizierung“ ausgesetzt wurden. In der Folgezeit nahm der politische Druck zur Assimilierung an die russische Kultur und Gesellschaft deutlich zu und eskalierte in der Zeit des I. Weltkrieges bis zu Pogromen und Deportationen der deutschen Siedler. Als die Sowjets nach der Oktoberrevolution 1917 an die Macht kamen, wurde kurz die Hoffnung auf die nationale Selbstbestimmung der Deutschen in Russland lebendig, unter Stalins Regime aber wieder hinfällig. Von da an bis zum Zerfall der Sowjetunion war die Zeit für die Deutschen mit Repressalien und Zwangsumsiedlungen verbunden und durch immer stärkere Anpassung an die russische, vom Staat propagierte, einheitliche Nationalpolitik geprägt (vgl. Stumpp 1964, Ingenhorst 1997, Klötzel 1999). Eine Folge von 60 Jahren Diskriminierung und Zwangseingliederung der Deutschen in Russland ist der teilweise oder der gänzliche Verlust der deutschen Sprache. Die absolute Dominanz des Russischen prägt seitdem stark die Sprach- 4 Die Tabelle 4 enthält eine Übersicht über die Ein- und Auswanderungsgeschichte der Deutschen. 5 Die Ursprünge der deutschen Aussiedlung in Russland gehen auf das 15. Jahrhundert zurück, als qualifizierte Fachleute aus Westeuropa in den großen russischen Metropolen angeworben wurden. Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 93 biographien der Deutschen, nicht nur im öffentlichen sondern auch im privaten Leben. Dies erklärt auch die Tatsache, warum viele Russlanddeutsche mit nur geringen deutschen Sprachkenntnissen nach Deutschland einwanderten. Auswanderung nach Deutschland Zwischen 1990 und 2009 sind insgesamt rund 2,5 Millionen Menschen als Aussiedler, Spätaussiedler oder deren Angehörige aus der Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaaten zugewandert (vgl. Migrationsbericht 2009, 53). Da die Zuwanderung nach Deutschland in verschiedenen, aufeinander folgenden Etappen geschah, spricht man von unterschiedlichen Ausreiserahmenbedingungen und Integrationsverläufen für verschiedene Zuwanderungsgruppen. Die Aussiedler der ersten Zuwanderungswelle kamen aus den ehemaligen deutschsprachigen Gebieten und verfügten durchschnittlich über gute Sprachkenntnisse. Nach der Einreise in Deutschland hatten sie bessere sprachliche und gesellschaftlich-soziale Rahmenbedingungen für die berufliche und soziale Integration. Untersuchungen zur sprachlichen Integration der Russlanddeutschen bestätigen heute, dass sie sich aktiv an ihre neue Sprachumgebung anpassen. Das Russische dominiert allerdings in der alltäglichen Kommunikation untereinander (vgl. Berend 1998). Tabelle 4: Überblick über die Einwanderungsgeschichte der Deutschen nach und aus Russland 6 Etappen in der Einwanderungsgeschichte nach und aus Russland Unter welcher Regierung Wohin Gesellschaftlicher Status I. Einwanderungswelle Katharina II (1729-1796) Gebiete um Oranienbaum und Petersburg, Wolgagebiet, Schwarzmeergebiete Sonderrechte und Privilegien für das Bewahren kultureller und nationaler Identität II. Einwanderungswelle Alexander I (1801-1825) Schwarzmeerküste, Wolhynien Weitere Förderung des Kolonialwesens; neue qualitative Anforderungen an die Kolonisten (berufliche Qualifizierung, Vorhandensein eines Mindestbesitzes) 6 Näheres zur Geschichte der Russlanddeutschen in Russland siehe Stumpp 1964, Ingenhorst 1997, Klötzel 1999). Die Angaben in der Tabelle beziehen sich auf diese Autoren. 94 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Weitere Entwicklung Alexander II (1855-1881) Umsiedlung (wegen Bevölkerungsdichte) Nordkaukasus, Dongebiet, Sibirien Aufhebung der Sonderstellung deutscher Einwanderer, Reformierung des Bauernwesens, Russifizierung Assimilationspolitik Alexander III (1881-1894) Zunahme der Russifizierungs-politik, Unterdrückung des Deutschtums Der 1. Weltkrieg 1914-1918 Weitere Diskriminierung, Enteignung und Deportationen Zeit der Sowjetunion Nach der Oktoberrevolution 1917 Recht auf Selbstbestimmung - Gründung der Autonomen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (1924) Zeit der Sowjetunion Unter Stalin (1924-1953) Repressionen Der 2. Weltkrieg 1945 - 1949 Umsiedlung nach Sibirien, Kasachstan Zwangsumsiedlungen Nachkriegszeit Chruschtschow- Ära (1953 - 1964) Vollständige Assimilationspolitik, Verbot, in die Heimat zurückzukehren Zerfall der Sowjetunion Gorbatschow (1985 - 1991) Nach Deutschland Beginn der Auswanderung nach Deutschland (seit 1987) Jüdische Zuwanderer Seit 1991 haben jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit nach Deutschland einzuwandern. Die Hauptherkunftsländer dieser Gruppen sind die Ukraine und Russland. Ein Teil der Migranten kommt auch aus den kaukasischen und asiatischen Republiken der früheren Sowjetunion (Usbekistan, Tadshikistan, Aserbaidshan, Georgien, Armenien), ein noch kleinerer Anteil stammt aus Moldawien und Weißrussland. Laut Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wanderten zwischen 2003 und 2009 203.215 Personen dieser Gruppe nach Deutschland ein (vgl. Migrationsbericht 2009). Jüdische Zuwanderer weisen ein relativ hohes Bildungsniveau auf, bringen häufig eine abgeschlossene Hochschulausbildung und langjährige Berufserfahrung mit. Sie sind meist motiviert, Deutschkenntnisse zu erwerben und in den Arbeitsmarkt einzusteigen, oft aber ist die Integration ins Berufsleben doch durch mangelnde Sprachkenntnisse behindert. Oft wird auch die ausländische Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 95 Berufsqualifikation nicht anerkannt, was zu relativ häufiger Arbeitslosigkeit und Frustration in Hinsicht auf mögliche Berufschancen führt. Diese Zielgruppe nimmt häufig am kulturellen Leben der etablierten jüdischen Gemeinden in Deutschland teil. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat ca. 104.000 Mitglieder in 108 Gemeinden und ist damit die drittgrößte in Europa. Ca. 90 % ihrer Mitglieder sind heute jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Russen und andere Nationalitäten aus der ehemaligen Sowjetunion Eine weitere Gruppe von Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion ist, durch verschiedene biographische Bedingungen motiviert, nach Deutschland gekommen. Zu dieser Gruppe gehören russischsprachige Familien, die beispielsweise durch ein Studium oder ein Arbeitsverhältnis nach Deutschland kamen, oder bilinguale Mischfamilien, in denen meistens russischsprachige Frauen einen deutschen Mann geheiratet haben. Sowohl die einsprachigen Familien aus Russland oder der Ukraine, die nach Deutschland zum Zweck des Studiums, der Arbeit oder durch Heirat gekommen sind, als auch bilinguale Familien, in denen meisten die Mutter russischsprachig ist, zeigen hohe Integrationsbereitschaft, was zum Teil durch eine positive berufliche Situation bedingt ist. Durch die berufliche Stabilität und gute Deutschkenntnisse ist diese Migrantengruppe an dem sozial-gesellschaftlichen Leben in Deutschland interessiert, was sich auch durch die Pflege der sozialen Kontakte zur deutschsprachigen Bevölkerung ausdrückt. Auch in den Kindertageseinrichtungen sind sie interessiert und bemüht, am dortigen Leben ihrer Kinder aktiv teilzunehmen. Das Leben in Deutschland - Schwierigkeiten und Herausforderungen All diese Migrantengruppen kommen aus ganz verschiedenen Teilen der ehemaligen Sowjetunion und bringen in das Aufnahmeland ein etabliertes und gelebtes Normen- und Wertesystem und entsprechende Verhaltensweisen mit, die sich in manchem von den deutschen unterscheiden und dadurch nicht selten Missverständnisse und Ablehnung hervorrufen. Die meisten dieser Familien kamen nach Deutschland, um ihren Kindern eine bessere Zukunft, bessere Berufschancen und damit einen höheren wirtschaftlichen Status zu sichern. Deshalb spielt die berufliche Integration eine große Rolle und umso größer ist die Enttäuschung, dass berufliche Qualifikationen aus dem Heimatland nicht anerkannt werden. Dies führt häufig zu längerfristiger Arbeitslosigkeit, 7 zu sozialer Isolation und zu schwachen sozioökonomischen Verhältnissen. 7 Die Aussiedlerfamilien sind von der Arbeitslosigkeit besonders stark betroffen (vgl. Rosenberg, 2009). 96 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Die Schwierigkeiten, in Deutschland eine Arbeit zu finden, geschweige eine der mitgebrachten Berufsqualifikationen gemäße, führt zur Veränderung der Beziehungen innerhalb der Familie. Besonders bei den Männern gerät dabei auch ihre traditionelle Rolle als Ernährer und Garant für wirtschaftliche Stabilität in der Familie ins Wanken. In den Herkunftsgesellschaften hatte die Familie eine Vorbildfunktion für die Kinder, Rollen, Aufgaben und Respektsbeziehungen waren recht klar bestimmt. Aus zahlreichen Gesprächen mit Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion lässt sich ermitteln, dass sie, abgesehen von den sprachlichen und beruflichen Schwierigkeiten, in dieser Hinsicht spürbare Identitätsprobleme haben. In Deutschland kommt es zu einer gewissen „Inkompatibilität“ zwischen den traditionellen familiären Erziehungsstilen, Erziehungsvorbildern und den in der Aufnahmegesellschaft gelebten Umgangsformen mit Kindern, Erziehungsstilen und -idealen. Die soziale Isolation, Schüchternheit und manchmal von außen falsch interpretiertes Desinteresse am zivilen Leben in Deutschland hängt vor allem mit den mangelnden Sprachkenntnissen zusammen. Unzureichende Deutschkenntnisse verunsichern die Eltern, so dass sie sich eher ins Familiäre zurückziehen und seltener Kontakt zu Institutionen aufnehmen oder an institutionellen Angeboten teilnehmen. Die angebotenen Sprachkurse („Integrationskurse“ genannt), die sich aus 600 Stunden Deutschunterricht und 45 Stunden Landeskunde zusammensetzen, reichen oft für berufliche Ziele nicht aus. Deshalb ist es das Schicksal vieler Migranten, schlecht bezahlte und weit unter ihren Berufsqualifikationen liegende Jobs oder mehrere solcher Jobs parallel annehmen zu müssen. In einer solchen Situation bleibt wenig Zeit, um zusätzlich Deutsch zu lernen. Die Familie wird dann noch mehr als zuvor zum Ort des Zusammenhaltes, der emotionalen Geborgenheit und des Rückzuges, die ein fehlendes außerfamiliäres Sozialleben zumindest teilweise zu kompensieren versucht. Familienleben und Erziehung der Kinder Russisches Familienleben ist oft ausgesprochen konservativ und traditionell geprägt und zeigt einige Unterschiede zu deutschen Familienstrukturen, familiären Einstellungen und Erziehungsstilen. Da die Gruppe der Russischsprachigen in Deutschland heterogen ist, sind allerdings auch die Erziehungspraktiken und Lebenseinstellungen in den Familien unterschiedlich. Eine große Rolle spielt dabei das Alter der Migranten und ob sie im sowjetischen System oder in der postsowjetischen Zeit aufgewachsenen sind. Hier wird versucht, einige kulturelle und mentalitätsprägende Charakteristika der russischsprachigen Migranten zu skizzieren, auch wenn dies nicht vollständig, und, aufgrund der genannten Heterogenität dieser Gruppe, immer nur eine Annäherung sein kann. Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 97 Die kulturell-gesellschaftlichen Erfahrungen, die russischsprachige Migranten aus ihren Herkunftsländern mitbringen, kommen im Alltag beispielsweise in den Umgangsformen und den Arten der Gesprächsführung (Etikette, Small Talk, Umgangs- und Verhaltensformen, Einladungen, Verbindlichkeiten), in Geschmack, Konsumstilen, traditionellen religiösen und weltlichen Festivitäten zum Ausdruck. Hier sind natürlich Erziehungswerte, Einstellungen, der Stellenwert von Kindern überhaupt und Erziehungspraktiken von besonderer Bedeutung. Der Familie wird im russischsprachigen Raum eine große identitätsprägende und haltgebende Rolle zugesprochen. Der Zusammenhalt im Familienleben, gegenseitige Unterstützung und die Pflege von Verwandtschaftsbeziehungen prägen das Bild des russischen Familienlebens. Die gesamte sowjetische Ideologie wurde stark vom Gedanken des Kollektiven in allen Gesellschaftsbereichen geprägt und auch das Privatleben wurde in die kollektiven Strukturen eingebunden. Auch in der Familie findet sich dieser „Geist des Kollektiven“ wieder, indem man sich gegenseitig unterstützt, die enge Absprache mit den Familienmitgliedern bei kleinen und großen Entscheidungen für selbstverständlich hält und oft dem Rat und den Meinungen der Eltern und Älteren folgt. Die individuellen Interessen und eine gewissen Unabhängigkeit im Handeln rücken folglich auf den zweiten Platz. Dazu kommt die besondere Bedeutung, die die Familie in der Zeit der Perestrojka besaß, als sich die Lebensqualität der Menschen massiv verschlechterte und der Zusammenhalt mehr denn je überlebenswichtig wurde. Die Familie spielt folglich in der persönlichen Biographie der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion eine Schlüsselrolle und steht, zusammen mit der Religion, im Zentrum des Wertesystems. Die russische Familie war und ist zum Teil noch heute ein mehrgenerationaler Familienverband, bestehend aus Großeltern, Eltern und Kindern, oft in engem Zusammenhalt mit Tanten und Onkeln. Man kann hier von „Mehrgenerationsfamilie“ sprechen, in der auch die Kinderbetreuung und -erziehung bei Berufstätigkeit beider Eltern den Großeltern anvertraut wird. Zwischen den Familienmitgliedern besteht eine enge emotionale Bindung, die auf gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Zuwendung beruht. Dazu kommen die Wertschätzung, der Respekt und der fürsorgliche Umgang mit älteren Personen. Die Hochachtung vor dem Alter und die Selbstverpflichtung, für die Eltern im Alter zu sorgen, begründen die für diese Zuwanderungsgruppen typische „generationsübergreifende“ Lebensform. Klein und Groß, Jung und Alt, und das alles in verhältnismäßig engen Wohnverhältnissen - „klassisches“ Familienleben in der ehemaligen Sowjetunion. Nichtsdestoweniger haben die Kinder für gewöhnlich abwechslungsreiche und glückliche Kindheiten mit viel Freiraum für Spiel und der Erforschung der Welt. In den letzten Jahren sind durch gesellschaftliche Wandlungen und einer Verwestlichung des Lebensstils die Familienstrukturen in den Staaten des russischsprachigen Raums einem Wandel unterworfen. Für junge Leute mit 98 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte guter finanzieller Ausgangslage entsteht beispielsweise die Möglichkeit, von den Eltern getrennt zu wohnen und ein modernes Kleinfamilienleben zu leben, oft auch mit Inanspruchnahme einer institutionellen Kinderbetreuung. In der Mehrzahl leben die Kinder aber, auch noch während des Studiums, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils aus Bequemlichkeit, weiterhin zu Hause und ziehen erst nach der Gründung einer eigenen Familie aus dem Elternhaus aus. Die Führung des Haushaltes und die Kinderversorgung übernehmen häufig die Großeltern. „Kinder sind die Zukunft des Landes“ - unter diesem Motto wurde der Erziehung der Kinder in der ehemaligen Sowjetunion größte Bedeutung beigemessen. Im Vordergrund stand die Erziehung zur gemeinschaftstauglichen Persönlichkeit. Größter Wert wurde deshalb auf die frontale Wissensvermittlung gelegt und eine gewisse „Dressur“ der für das gemeinschaftliche Leben notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten praktiziert. Das einzige, was zählte, war das Ergebnis und nicht der Prozess der Wissensaneignung. Eine stark auf Leistung orientierte Erziehung in der Familie und auch schon im Kindergarten verlangte von Kindern viel Fleiß, Ausdauer, Disziplin, Ordnungssinn und vollständigen Gehorsam gegenüber den Erwachsenen. Vorbild- und Autoritätsfunktionen prägten das Verhältnis von Eltern zu Kindern. Die traditionellen Erziehungsorientierungen sind auch heute noch durch großen Respekt gegenüber älteren Menschen und älteren Familienmitgliedern geprägt. Das äußert sich in den Anrede- und Umgangsformen mit älteren Menschen. Sie werden immer mit „Sie“ angesprochen und respektvoll behandelt, indem die Entscheidungen und Wünsche der älteren Familienmitglieder ernst genommen und ausgeführt werden. Das Erziehungsprinzip von Strafe und Belohnung ist dabei dominierend. Die äußeren Verhaltensweisen und die Erfüllung der von Erwachsenen formulierten Erwartungen stehen im Vordergrund. Die Belohnung ist meistens materiell und kollidiert damit oft mit einer intrinsischen Motivation des Kindes, etwas zu erledigen oder durchzuführen - Freude und Interesse an der Sache bleiben dabei oft auf der Strecke. Diesen hierarchisch geprägten Familienstrukturen ist eine eher erwachsenenzentrierte Gesprächsführung eigen. Die in Deutschland mittlerweile übliche Kommunikations- und Diskussionskultur zwischen Erwachsenen und Kindern in der Familie „auf gleicher Augenhöhe“ ist daher eher untypisch. Die übliche Einstellung ist sehr gut in dem Satz ausgedrückt, den Kinder oft von ihren Eltern hören: „Wenn du so alt bist wie ich, kannst du diskutieren und deine eigene Meinung sagen“. Kinder haben sich unterzuordnen und ohne Einwände den Erwachsenen zu gehorchen. Bei der familiären Erziehung geht es in erster Linie darum, den Kindern die höflichen Umgangsformen und Verhaltensmuster zu vermitteln, sie zu Disziplin, Ordnung und Sauberkeit anzuleiten. So steht bei der Erziehung in der Familie an erster Stelle, dass: Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 99 • Kinder Erwachsene beim Sprechen nicht unterbrechen sowie geduldig und zurückhaltend sind, • sie erst dann sprechen, wenn sie wirklich angesprochen werden, • sie ihre Kleidung nicht schmutzig machen, • sie beim Essen nicht sprechen, nicht zu viel in den Mund nehmen und nicht schmatzen, • sie mit gerader Haltung des Rückens sitzen und bei Tisch nicht zappeln, • sie den älteren Personen, besonders den Großeltern, immer zu Hilfe eilen und beistehen, im öffentlichen Verkehr den Platz frei machen, helfen, schwere Taschen zu tragen, einkaufen zu gehen oder die Wohnung aufzuräumen, • sie schwächere und kleinere Kinder verteidigen und ihnen bei Bedarf helfen (vgl. dazu auch Protassova 1996). Besonders „hart“ wird diese Erziehungspolitik dann bei älteren, pubertierenden Schülern und Schülerinnen und jungen Studierenden. Die strenge Erziehungshand der Eltern wird auf die Interessen- und Lebenswelten der jungen Personen gelegt und reguliert die Freizeitgestaltung wie Ausgehen, Besuch von Diskos, Alkoholkonsum, Rauchen - insgesamt eine strenge Kontrolle der Tätigkeiten der Jungen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man in russischsprachigen Familien eine Variation an Erziehungsstilen feststellen kann, deren Spektrum von einer autoritären, konservativen, bis zu liberaleren Erziehungsstilen reicht. Das oft anzutreffende traditionelle Erziehungsmuster beinhaltet allerdings ein klassisch autoritäres Verhalten der Eltern, besonders der Väter, und eine „Philosophie der Achtung und Ehrerbietung“ gegenüber den Großeltern und Älteren. Geschlechterrollen in der Familie Bei der Erziehung der Kinder orientiert man sich stark an Geschlechterrollen. Jedem Geschlecht werden konventionelle Geschlechterrollen und -verhaltensweisen zugeordnet. Das betrifft die geschlechtstypische Teilung der Spielzeuge in „Spielzeuge für Mädchen“ und „Spielzeuge für Jungen“ oder typische Beschäftigungen und Interessen für Jungen und Mädchen. Die Geschlechterzuweisung ist auch stark bei der Wahl der Spielsachen seitens der Eltern und Verwandten zu spüren. Zur Spielwelt der Mädchen gehören Puppen, Sich-Verkleiden, Mutter-Kind-Spielen und eher ruhige Beschäftigungsarten. Bei Jungen geht es in erster Linie um Autos, Bauen und beweglichere Aktivitäten, bei denen sie sich austoben können. Nicht nur die Wahl der Spiele und Beschäftigungsinteressen der Jungen und Mädchen werden von den Erwachsenen stark gesteuert und vom Geschlecht des Kindes ausgehend „vorprogrammiert“. Wenn beispielsweise Jungen mit Puppen spielen werden sie ausgelacht und verhöhnt. „Mädchenkram“ für die Jungen zu kaufen wird, in den Augen der meisten Familien, 100 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte dazu führen, dass die Entwicklung zum Mann beeinträchtigt wird. Dies betrifft auch die Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften, die von Mädchen und Jungen zu erwarten sind. So zählen zu den typischen Eigenschaften für Jungen Mut, Stärke, Tapferkeit, starker Entscheidungswille, Ehrlichkeit und ein hohes Maß an Verantwortung. Für Mädchen sind Fleiß, Geschicklichkeit, Bescheidenheit und Gehorsam charakteristisch. Die moralische Position des Familienoberhauptes in russischsprachigen Familien liegt bei der Frau - bei der Mutter oder bei der Großmutter, die aufgrund der Berufstätigkeit der Mutter für die Kindererziehung zuständig war. Die Frauen kümmern sich in der Familie um alles - Kochen, Kinder versorgen, Waschen, Aufräumen, Einkaufen. Haushalt und Einkauf sind fast ausschließlich die Aufgaben der Frau, meist zusammen mit ihrer beruflichen Vollzeitbeschäftigung. Die Männer sind in der Familie, neben ihrem Beruf, besonders für den handwerklichen Bereich, für Reparaturarbeiten, Renovierungen und Transporte verantwortlich. Trotz der Tatsache, dass die meisten Frauen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion berufstätig waren und weiterhin berufstätig sind, fühlen sich die Männer als Hauptverdiener, wollen als solche anerkannt und geschätzt werden. Heutzutage kann es durchaus öfter der Fall sein, dass Männer die Besserverdienenden sind, früher waren die Verdienstmöglichkeiten für beide Geschlechter relativ gleich. So war die geschlechtliche Rollenverteilung und Arbeitsteilung in der ehemaligen Sowjetunion. Trotz einer aktuellen Tendenz zur Verwestlichung mancher Einstellungen und Lebensformen kommen die russischsprachigen Familien mit diesen Rollenverständnissen, Familienidealen, Beziehungsstrukturen und einer mehr oder weniger ausgeprägten patriarchalen Erziehungsvorstellung nach Deutschland. Institutionelle Vorschulbetreuung in der ehemaligen Sowjetunion Auch in der institutionellen Kinderbetreuung der ehemaligen Sowjetunion ist bis heute eine starke Tendenz spürbar, die Kinder im sozialistischen Geist zu erziehen. Das bedeutet Kollektivität, wenig Selbständigkeit beim Treffen von Entscheidungen, Autorität und Führung durch die Erwachsenen, frühe Vorbereitung auf das Leben, d. h. auf die Schule durch frontale Wissensvermittlung und viel Auswendiglernen. Bereits im Kindergarten werden von Kindern gewisse Verhaltensformen erwartet, die den gesellschaftlichen Normen entsprechen. Den Erwachsenen gegenüber höflich sein und nicht widersprechen, die Anweisungen von Erwachsenen erfüllen, ohne sie in Frage zu stellen, beim Spielen nicht laut werden, mit anderen Kindern in der Gruppe friedlich spielen, alles teilen, eigene Wünsche unterdrücken, die Ziele der Gruppe über die eigenen zu stellen - das alles gehört zum „Verhaltenskodex“ eines Kindergartenkindes. Außerdem müssen die Kinder einiges können, um für „gut“ und Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 101 „unauffällig“ gehalten zu werden. Es wird von ihnen eine gewisse Selbständigkeit verlangt bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben wie An- und Ausziehen, auf die Toilette gehen, vor dem Essen Hände waschen, den Erwachsenen im alltäglichen Kindergartenleben beim Tischdecken und Aufräumen helfen. Viele Beschäftigungen im Kindergarten sind stark ergebnisorientiert. Die Kinder müssen ihre Arbeiten, sei es Malen, Ausschneiden, Basteln, ordnungsgemäß mit einem guten Ergebnis zu Ende bringen. Dabei wird der kindlichen Kreativität und individuellen Lösungsvorschlägen wenig Beachtung geschenkt. Die Erwachsenen haben ihre starren Vorstellungen von dem, was die Kinder im Kindergarten zu lernen und zu beherrschen haben und weichen ungern davon ab. Die Zusammenarbeit mit den Eltern hat auch einen gewissen starren Rahmen. Die Eltern werden zweimal im Jahr zu Elternabenden und auch zu Festen, bei denen die Leistungen der Kinder und der Erzieherinnen feierlich vorgestellt werden, eingeladen. Da auch der vorschulische Bereich schlecht finanziert wurde, halfen und helfen die Eltern, den Kindergarten arbeitsfähig zu halten, mit kleinen finanziellen Unterstützungen und eigenem Engagement, z. B. bei Reparaturarbeiten. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist das pädagogische Personal auch bemüht, sich an westlichen Erziehungskonzepten zu orientieren. Der Übergang ist aber schwer und zögerlich, es fehlen institutionelle Fortbildungsangebote für diese Berufsgruppe. Das neue Wissen eignen sich die Erzieherinnen oft selbst an und machen Umschulungen auf eigene Kosten. Im Mittelpunkt des pädagogischen Umdenkens steht ein angemesseneres Bild vom Kind und seinen Bildungsprozessen. Dabei steht die Individualität des Kindes, kindliche Selbständigkeit und Kreativität im Vordergrund. Das Ziel pädagogischer Bemühungen ist demzufolge, Individualität, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit des Kindes zu fördern und dafür geeignete Lernumgebungen zu schaffen. Nach vielen Jahren sozialistischer Kollektiverfahrungen, in denen das Individuum nur im Kontext der Gemeinschaft eine Rolle spielte, ist diese Umstellung sicherlich nicht einfach. Dieser Hintergrund prägt die Einschätzungen und Erwartungshaltungen, mit der russischsprachige Zuwanderer in Deutschland, zumindest anfangs, auf deutsche Kinderbetreuungseinrichtungen zugehen. Feierliche Anlässe und religiöse Feste In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion feiert man gerne und ausgiebig, dementsprechend bereitet man sich gründlich auf die diversen Feste vor. Feierlichkeiten sind fast immer mit einem üppig gedeckten Tisch verbunden, nicht selten mit Tanz und Gesang. Ein Feiern ohne mit viel Pathos und Humor vorgetragene Trinksprüche und Tischreden ist bei russischsprachigen Kulturen undenkbar. Auch bei Kindergeburtstagen ist es üblich, dass die Eltern, Tanten, 102 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Onkel und Pateneltern dem Kind ausgiebige Glückwünsche am Tisch aussprechen. Bei feierlichen Anlässen oder gemütlichem Beisammensein unter Freunden ist Witzeerzählen eine sehr beliebte Angelegenheit. In Russland existiert dementsprechend eine altehrwürdige Erzählkultur. Stundenlang können ein Gast oder alle Anwesenden abwechselnd Witze oder unterhaltsame Anekdoten erzählen. Bei feierlichen Anlässen sieht die Bewirtung oft anders aus als in Deutschland. Mit Kaffee und Kuchen allein kommt man bei den Gästen nicht davon. Meist wird viel zu viel vorbereitet und oft bleibt nach dem Fest am nächsten Tag viel übrig. Es gehören auf den Tisch verschiedene Salate, kalte Vorspeisen wie Wurst- und Käseteller, Heringe, mariniertes Gemüse, Kaviarbrötchen und andere Leckereien, die alle von der Gastgeberin selbst zubereitet sind. In den letzten Jahren gibt es bei feierlichen Anlässen viele neue Salatkreationen, die eine Mischung aus slawischer und westeuropäischer Küche darstellen. Dazu zählen beispielsweise der griechische Salat, diverse Salate mit Ananas und Hühnerfleisch oder Krabben, Sellerie und Eier. Danach kommt die Fortsetzung in Form eines warmen Hauptgerichtes. Zum Schluss kommt, neben anderen üppigen Nachspeisen, noch eine cremige, künstlerisch verzierte Torte dazu. Getrunken wird meistens Wodka und Kognak, nicht erst nach dem Essen, sondern von der Vorspeise an begleitend. Zum süßen Nachtisch kann auch Sekt angeboten werden. Wein und Bier werden seltener serviert und sind in der ehemaligen Sowjetunion bei feierlichen familiären Anlässen nicht Bestandteil einer alten Trinktradition. Diese Üppigkeit bei der Bewirtung ist einer der Klassiker russischer Gastfreundlichkeit. Manche in Deutschland lebenden russischsprachigen Familien übernehmen allerdings mittlerweile die „deutsche Variante“ für das Feiern von Geburtstagen, nämlich Kaffee mit Kuchen, weil dies eine große Entlastung für die Gastgeberin bedeutet. Es gibt im Russischen sehr viele Sprichwörter über die Gastfreundschaft, die ihre besondere Rolle im Leben der russischsprachigen Bevölkerung noch einmal betonen: „Ohne Salz und Brot kann es kein gutes Gespräch geben“ ( Без соли, без хлеба худая беседа ) oder „Man darf die Gäste nicht zu einem leeren Tisch einladen“ ( За пустой стол гостей не сажают ). Geburtstagsfeiern heißt üppige Geschenke, viel Essen, viele Gäste (Verwandtschaft und Freunde). Zu Kindergeburtstagen kommen entweder die Eltern zusammen mit Kindern oder die Kinder, vor allem Schulkinder, werden gebracht und dann später von den Eltern abgeholt. Bei Kindergeburtstagen wird sehr viel Süßes serviert. Die russischsprachigen Bevölkerungsteile legen mehr Wert auf Geschenke als Deutsche. Man achtet auch darauf, wie viel Geschenke kosten. Ein Geburtstagstisch ist nicht üblich, auch die Geschenke gleich auszupacken ist von Familie zu Familie unterschiedlich. Die Kinder werden zum Kindergeburtstag eher Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 103 telefonisch oder beim vorherigen Treffen eingeladen. Postkarten zu verschicken ist nicht üblich. Die Eltern, die Ihre Kinder zum Kindergeburtstag bringen, bringen auch ein kleines Geschenk (meistens ist das ein alkoholisches Getränk und eine Schachtel Pralinen) für die Eltern oder die Mutter des Geburtstagskindes. Geburtstagskinder werden an diesem Tag feierlich angezogen. Russischsprachige Eltern achten meist streng darauf, dass die Kinder ihre schönen Kleider nicht beschmutzen und erlauben ihnen nicht, Dinge zu tun oder Spiele zu spielen, die die Sauberkeit der Kleider gefährden könnten. Die Religion spielt im Leben der russischsprachigen Zuwanderer nach wie vor eine große Rolle. Dementsprechend werden auch die Kinder früh mit Religiosität und den damit verbunden Sitten, Bräuchen und Glaubensritualen vertraut gemacht. Den Kindern werden sehr früh Kindergebete beigebracht, sie beten jeden Tag, oft vor dem Essen und vor dem Schlafengehen. Sonntags gehen viele Familien mit den Kindern gemeinsam zum Gottesdienst. Auch hier ist zu bemerken, dass von den Kindern dabei Ausdauer und Disziplin verlangt werden, da es in der Kirche kaum Sitzplätze gibt (wenn, dann nur für die Älteren) und der Gottesdienst gut zwei Stunden dauern kann. Religiös vorgeschriebene Verhaltensweisen werden streng eingehalten und so den Kindern weitergegeben. Zum Beispiel die Vorschrift, dass sonntags im Haushalt keine schweren Arbeiten verrichtet werden dürfen: es wird nicht gewaschen, gebügelt oder gesaugt. Auch die großen religiösen Feste wie Weihnachten oder Ostern werden eher rituell und nach einem traditionell festgelegtem Ablauf und Szenario in familiärem Kreis gefeiert. Weihnachten und Ostern - feierlich und traditionell Weihnachten - Рождество Христово (Roždestvo Christovo) Die Weihnacht feiert man in Russland und in der Ukraine nach dem alten Julianischen Kalender am 7. Januar. 8 Auf dieses Fest bereitet man sich lange vor, es geht ihm eine 40-tägige Fastenzeit voraus. In der Sowjetzeit war es verboten, religiöse Feste zu feiern. Viele Familien pflegten aber die alten feierlichen Traditionen weiterhin und gaben sie so auch ihren Kindern weiter. Seit 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, wurde Weihnachten wieder zum offiziellen Feiertag erklärt. Vor dem Essen am Heiligen Abend geht man, begleitet von festlichem Gesang, zum langen Gottesdienst in die Kirche und erst danach wird man zum feierlich gedeckten Tisch gebeten. Am heiligen Abend, dem 6. Januar, auf Russisch „So č elnik“, kommen 12 landestypische Gerichte auf den Tisch, die kein Fleisch enthalten. Diese Zahl steht für die 12 Jünger Jesu. Unter den 8 Der 7. Januar im Julianischen Kalender entspricht dem 25. Dezember im Gregorianischen Kalender. 104 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Tisch legt man etwas Heu als Symbol für die Krippe. Ein traditionelles Gericht am Heiligabend ist Kutja, die aus mit Honig, Mohn und Walnüssen gekochtem Buchweizen besteht. Sie wird in einer traditionellen, großen Schüssel gereicht und symbolisiert Ruhe und Unsterblichkeit. Dazu trinkt man Uzvar, ein Kompott aus getrockneten Äpfeln, Birnen und Pflaumen. Außerdem werden bei Tisch magere Gerichte, wie Piroggen mit Kartoffeln und Quark oder solche mit Pilzen und Gemüsefüllung gereicht oder Kohlrolladen mit Reis, Blini und viel Gebackenes. Zu den traditionellen Suppen gehören Borschtsch, Pilzsuppe und Sauerkrautsuppe. Je nach Region und familiären Traditionen können sich die Gerichte unterscheiden. Kutja und Uzvar sind obligatorisch. Am heiligen Abend und danach wird viel gesungen. Ein typischer Gesang zu Ehren der Geburt Christi heißt „koljada“. Das Verb dazu lautet „koljadovat“ und bedeutet so viel wie „Weihnachtslieder singen“ und mit dem Gesang den Mitmenschen zur Geburt Christi zu gratulieren. Die von Tür zu Tür ziehenden Sänger bekommen für ihren Gesang etwas vom Weihnachtstisch, Süßigkeiten oder symbolisches Geld. Auch Schüler gehen von Tür zu Tür und singen, dafür bekommen sie ein kleines Taschengeld. In der Weihnachtszeit sind kleine theatralische Inszenierungen, „vertep“ genannt, in denen die Szenen der Geburt Christi gezeigt werden, sehr beliebt. Dieses weihnachtliche „Wandertheater“ ist bis heute tief in der ostslawischen Tradition verankert. Am 7. Januar ist, nach der langen Fastenzeit und den Gottesdiensten, die Feierstimmung auf dem Höhepunkt, die feinsten Sachen werden serviert, z. B. Fisch in Sülze und Aspik, Piroggen, feiner Kochschinken, Würste und Pasteten, Eingelegtes, die feinsten Arten des Gebäcks und Süßigkeiten. Als Begrüßung sagt man „S roždestvom christovym! “ „Frohe christliche Weihnacht! “. Das orthodoxe Weihnachten kennt keine Bescherung, dagegen beschenkt man sich gegenseitig zu Silvester. Traditionell bringt „Väterchen Frost“ (auf Russisch: Ded Moroz) in Begleitung seiner Helferin, dem Schneeflöckchen (auf Russisch: Sneguro č ka), den Kindern Geschenke. Es gibt in der ehemaligen Sowjetunion kein Kind, das nicht die beiden Figuren kennen würde. Als Väterchen Frost wird oft ein Freund oder Bekannter der Familie engagiert. Silvester ist in Russland auch ein Familienfest. Den Beginn des Neuen Jahres feiert man zu Hause, mit der Familie, Verwandten und Freunden am reich gedeckten Tisch. Jugendliche feiern, wie in Deutschland, oft unter sich, laden Freunde ein oder gehen auf Silvesterpartys. Ostern - Пасха (Pas-cha) Katholische und orthodoxe Ostern fallen nicht immer auf den gleichen Tag. Der Grund dafür liegt, wie oben bereits erwähnt, in den unterschiedlichen Kirchenkalendern. Ostern ist das größte, schönste und feierlichste religiöse Fest in der orthodoxen Welt. Ostern als Feier von Christi Auferstehung ist mit feierlichem Russische Familien: Was die Kulturen unterscheidet 105 Gang in der Kirche und mit der an den Gottesdienst anschließenden Einweihung des Osterkorbs mit Osterbrot und bemalten Ostereiern verbunden. Dieses fröhliche Familienfest soll die Seele reinigen und jedem Freude, gute Hoffnung und Frieden bringen. Nach der feierlichen Ostermesse begrüßt man sich mit dem Ausruf Христос воскрес ! (Christos voskres - Christus ist auferstanden! ), worauf man antwortet: „ Воистину воскрес ! “ (Voistinu voskres - Christus ist wahrhaftig auferstanden! ). Der Ostersonntag beginnt mit einem Familienfrühstück mit Osterbrot und geweihten Ostereiern, mit feinen Wurst- und Schinkensorten, Käse, speziellen Saucen und mit all den Köstlichkeiten, auf die man während der Fastenzeit verzichtet hat. Nach dem Osterfrühstück besucht man sich gegenseitig und tauscht die Osterbrote aus. Die Bemalung der Ostereier hat in Russland und der Ukraine eine lange Tradition. Es gibt eine alte Tradition kunstvollster Eierbemalung, eine jahrhundertealte Volkskunst. Dabei werden Kinder in die Bemalungskunst von klein auf miteinbezogen und so die Traditionen weitergegeben. Den Osterhasen allerdings, der Eier versteckt und eventuell noch andere kleine Geschenke bringt, gibt es im russischsprachigen Raum nicht. Wie funktioniert die Kommunikation? Sprachrituale im russischsprachigen Raum Jede Kultur hat eigene Normen und Wertorientierungen bezüglich zwischenmenschlicher Kommunikation. Kommunikations- und Interaktionsformen sind durch kulturspezifisches sprachliches Verhalten geprägt. Jeder Sprachgemeinschaft sind in ihrem alltäglichen sozialen Agieren charakteristische Sprachmerkmale und Rituale eigen, als sprachlicher Ausdruck traditioneller Wertvorstellungen und sozialer Normen (vgl. auch Huber 2010). Die russischsprachigen Zuwanderer unterhalten sich gerne bei gelegentlichen Treffen mit Freunden, Verwandten usw. und können spontan und ohne Zeitdruck eine halbe Stunde bei zufälliger Begegnung mit dem Gesprächspartner kommunizieren, ohne dabei in Eile zu geraten. Auch bei Tür- und Angelgesprächen im Kindergarten ist das zu berücksichtigen. Bei der Gesprächsführung ist nicht immer eine klare Struktur nachvollziehbar. Man erzählt gerne Geschichten, erinnert sich an erlebte Szenen aus dem Leben, aus dem Urlaub oder anderen Gegebenheiten und geht dabei manchmal mit penibler Präzision auf die Schilderung der Einzelheiten ein. Die Unterschiede in der Gesprächsführung liegen in der Äußerung von Emotionen und einem betonten Gebrauch nonverbaler Kommunikationsmittel. So betrachten die befragten Eltern als „typisch russisch“ die Neigung zur Emotionalität und zum Gefühlsausdruck, als typisch „deutsch“ hingegen eine besondere Sachlichkeit und Rationalität. Russen ist eine größere zeitliche Flexibilität eigen, was sich durch eine bedingte Pünktlichkeit bei der Terminwahrnehmung kennzeichnet. Im öffentlichen 106 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Leben, beim Arztbesuch oder beim Behördengang rechnen sie mit „ungefähren“ Terminangaben. Grundsätzlich mag man keine festen Termine und keine streng geplanten Sitzungen und Besprechungen. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wird man im Berufsleben keine Probleme bekommen, wenn man zur angekündigten Teambesprechung etwas zu spät kommt oder wenn der Ablauf der Besprechung ohne strenge Agenda abläuft und bald in lockere Gespräche übergeht. Man kann insgesamt von einem eher lockeren Umgang mit Terminen, Besprechungen und Teamtreffen ausgehen. Auch hinsichtlich des Telephonierverhaltens unterscheiden sich beide Kulturen. Es ist durchaus üblich, privat oder geschäftlich am Wochenende anzurufen oder später am Abend. Wenn beispielsweise die Patienten ohne Notfall den Arzt privat anrufen, um sich von ihm wegen eines Medikamentes beraten zu lassen, ist dies eine gewöhnliche Sache und sorgt beim Angerufenen nicht für Aufregung. In Deutschland werden solche Anrufe für inakzeptabel gehalten. Die Verwendungsnormen von „Du“ und „Sie“ sind sehr kulturspezifisch. Bei der Begrüßung sind geschlechtsspezifische Unterschiede zu bemerken. Ein Händedruck bei Frauen ist überhaupt nicht üblich, unter den Männern aber Usus. Die Anredeform ist immer „Sie“ - die Gesprächspartner werden, im Unterschied zum Deutschen, mit Vor- und Vatersnamen angesprochen. Ein Beispiel: mein Name ist Nataliya und mein Vater heißt Igor, so ist die übliche Anredeform im beruflichen Leben „Nataliya Igorivna“. Für die russischsprachigen Eltern ist es gewöhnungsbedürftig, ohne „Aufwärmezeit“ zu den Erzieherinnen und anderen Personen im öffentlichen Leben „Du“ zu sagen. Noch schwerer fällt es ihnen, ältere Personen mit „Du“ anzusprechen. Bei der Kommunikation zwischen älteren und jüngeren Personen ist es verbreitet, dass die Jüngeren per „Du“ angesprochen werden. Den Kindern wird von klein auf beigebracht, Erwachsene zu siezen. Alle Erwachsenen sind für Kinder im russischsprachigen Raum „Tanten“ und „Onkel“, was mit den in Deutschland üblichen Anredeformen, zu den Erzieherinnen „Du“ zu sagen, in starkem Kontrast steht. In manchen Familien mit konservativ-traditionellen Einstellungen haben die Kinder auch ihre Eltern mit „Sie“ anzusprechen. Deutsche Pädagogen können das Wissen über die Kommunikationsgewohnheiten, die Feierkultur und die Umgangsformen im russischsprachigen Raum in ihrer pädagogischen Arbeit einsetzen, um die russischsprachigen Eltern, ihre Handlungen und ihren verbalen Ausdruck besser zu verstehen. Vor einem interkulturellen Kenntnishintergrund, wie er hier nur bruchstückhaft skizziert werden konnte, wird sicherlich manches, was Deutschen bisher bei russischsprachigen Zuwanderern als unverständlich, merkwürdig, fremd oder gar frech und provozierend vorkam, verständlicher werden. Über das Russische der Russischsprachigen 107 Über das Russische der Russischsprachigen Die russische Sprache ist in Deutschland mit ca. 3 Mio. Sprechern vertreten, sie ist dementsprechend die meist gesprochene Migrantensprache (vgl. Anstatt 2008). Die russischsprachigen Migranten in Deutschland stellen, wie bereits oben geschildert wurde, eine heterogene Gruppe dar. Es kann sich um russischsprachige Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, um jüdische Migranten, um Russlanddeutsche oder um andere Nationalität aus der ehemaligen Sowjetunion handeln, deren Kommunikationssprache russisch ist. Durch die Heterogenität dieser Migrantengruppe lassen sich die unterschiedlichen Praktiken in der Anwendung und der Beibehaltung des Russischen erklären. Durch den intensiven Sprachkontakt mit dem Deutschen als Umgebungssprache zeigt das Russische der Russischsprachigen Tendenzen struktureller Veränderung, bis hin zum völligen Sprachabbau oder einer Verarmung der muttersprachlichen Kompetenz. Dies spiegelt sich im Wortschatz und in der Grammatik. Wegen der Sprachwechselpraktiken kann man bei russischsprachigen Zuwanderern häufig lexikalische Übertragungen aus dem Deutschen beobachten. Wir haben es hier mit einer verschieden ausgeprägten „Verdeutschung des Russischen“ zu tun. Dies zeigt sich durch zahlreiche Entlehnungen aus dem Deutschen für die Bezeichnungen alltäglicher Dinge, die einen festen Platz im Leben dieser Sprecher einnehmen. Nicht selten kann man, z. B. im öffentlichen Verkehr eine Szene beobachten, wenn sich zwei russischsprachige Sprecher unterhalten und Ausdrücke wie „Arbeitsamt“, „Krankenversicherung“, „Anmeldung“, „Fahrkarte“, „Angebot“ usw. in ihre russische Unterhaltung einfügen. Das Interessante dabei ist, dass die deutschen Wörter in russischen Sätzen auch an die russische Grammatik angepasst werden. Ein typisches Beispiel ist das deutsche Wort „sich anmelden“, das oft in russische Sätze eingefügt wird: Tы уже анмельдовала его на рисование ? (Ty uže anmel’dovala ego na risovanije) Hast du ihn schon für den Malkurs angemeldet? Dieses Verb wird also nach den korrekten Regeln der Beugung und der Bildung der Vergangenheitsform des Russischen gebraucht. So geht das Gespräch schneller voran. Besonders „verlockend“ für Sprachmischungen ist die Kommunikation mit bilingualen Sprechern. Die Gründe für die Übernahme deutscher Wörter und Ausdrücke ins Russische liegen darin, dass deutsche Ausdrücke expressiver oder kürzer sind oder der russische Ausdruck im Moment des Sprechens nicht greifbar ist. Deutsche Wörter und Ausdrücke können zudem treffender die kulturspezifischen Lebensrealien wiedergeben (Protassova 2007, 313, 325 ff.). 108 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte Im öffentlichen Leben ist das Russische in Deutschland durch zahlreiche Zeitschriften, Zeitungen, Läden, sowie russisch-deutsche Unternehmen und Vereine gut vertreten. Ohne Zweifel hat die russische Sprache in Deutschland einen großen Vitalitätsgrad. Besonders im familiären Leben wird sie als Kommunikationssprache gebraucht. Sogar wenn die Eltern sich entscheiden, im öffentlichen Leben mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen, behält das Russische weiterhin Vorrang im emotionalen Bereich, beim Ausdruck von Gefühlen und affekt-geladenen Erlebnissen. Es ist von vielen Faktoren abhängig, mit welcher Intensität das Russische gebraucht wird. Je nach der beruflichen Situation oder der sozialen und familiären Beziehungen zum Deutschen ist die Anwendung des Russischen und entsprechend der Grad sprachlicher Kompetenz im Russischen unterschiedlich. Verschiedene öffentliche Einstellungen zum Russischen und die Sprachpraktiken in der Familie führen zu unterschiedlichen, manchmal ungünstigen, Lernbedingungen für die Kinder. Einerseits erwerben sie im familiären Kontext das Russische als ihre Erstsprache, während sie mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnen, Deutsch zu lernen. Zugleich erfahren sie mit Zunahme an sozialen Kontakten, wie wertlos und funktionslos ihre Muttersprache im gesellschaftlichen Leben hier ist. Die Kinder, die Englisch und Deutsch oder Französisch und Deutsch sprechen, werden oft von anderen Kindern bewundert und um ihre Zweisprachigkeit beneidet. Bei den Sprachkombinationen Deutsch mit den weniger prestigeträchtigen Sprachen wie Russisch oder Ukrainisch wird eher zurückhaltend bis negativ reagiert. Würden auch die sozial und kulturell weniger angesehenen Sprachen und solche Sprachkombinationen mehr öffentliche Beachtung und Wertschätzung erfahren, würden die Kinder sich in ihren zweisprachigen Ressourcen sicherer fühlen und mehr Selbstbewusstheit entwickeln. Wie es um die Spracherziehung in russischen Familien bestellt ist Kulturelle Prägungen und soziokulturelle Wertvorstellungen der russischsprachigen Familien haben starken Einfluss auf die Erziehungsstile, den Umgang mit Kindern und damit auch auf die familiäre Spracherziehung. Die russischsprachigen Familien in Deutschland sind in erster Linie daran interessiert, dass ihre Kinder gute Deutschkenntnisse erwerben. Viele Eltern machen sich deswegen Sorgen, da sie einerseits klar sehen, welchen Stellenwert eine gute deutsche Sprachkompetenz ihrer Kinder für deren weiteren Bildungsweg und die berufliche Karriere hat, sie aber andererseits selbst wenig zur deutschen Spracherziehung beitragen können. Es gibt auch kultur- und bildungsorientierte Unterschiede in den russischsprachigen Gruppen in Deutschland, beispielsweise zwischen den Russlanddeutschen und anderen russischen Familien. Die Integrationsbestrebungen Spracherziehung in russischen Familien 109 sind bei den Ersteren anders gelagert, ebenso wie das Verhältnis zur deutschen Sprache, die von der älteren Generation teilweise noch beherrscht und als ehemalige Mutter- und Kultursprache angesehen wird. So tritt hier die russische Sprache schneller in den Hintergrund und verliert an alltäglicher Bedeutung. Je nach Bildungsgrad vertreten viele Eltern anfänglich die Auffassung, dass das Russische als Schriftsprache für ihre Kinder nicht erforderlich sei und dass die Kinder auch ohne besondere Unterstützung in der Lage sein werden, russisch zu sprechen. Aufgrund dieser weit verbreiteten Einstellung wird häufig wenig Wert auf Lese- und Schreibkompetenz im Russischen gelegt. Es gibt dann kaum russische Kinderbücher zu Hause, kaum gezielte sprachliche Unterstützung und wenig Bemühungen, die muttersprachlichen Erzählformen, Geschichten oder Märchen durch regelmäßiges Vorlesen zu vermitteln. Die frühe Aufnahme der sozialen Kontakte bei russischsprachigen Kindern, die bereits mit dem Eintritt in einen deutschen Kindergarten beginnt, führt zur weiteren Loslösung von der Erstsprache und deren Kultur. Für die Eltern ist es in diesem Fall selbstverständlich, dass ihre Kinder die russische Sprache irgendwie beibehalten werden, obgleich das eigentliche Sprachniveau hier kaum eine Rolle zu spielen scheint. Auch in den russisch-deutschen Mischehen haben die Kinder eingeschränkte Bedingungen, das Russische aktiv zu sprechen und als Familiensprache zu erleben. Die russischsprachigen Mütter in den bilingualen Familien entscheiden sich oft aus verschiedenen Gründen für Deutsch als Hauptsprache in der Familie. Hier sind verschiedene familiäre Sprachpraktiken möglich. Die Alltagspraktiken dieser Mütter zeigen, dass die konsequente Sprachentrennung in bilingualen Gesprächssituationen in der Familie keine leichte Aufgabe ist. Wenn der deutschsprachige Vater anwesend ist, kann die Kommunikation mit dem Kind aus Höflichkeits- und Verständigungsgründen nicht immer konsequent auf Russisch weitergeführt werden. In solchen kommunikativen Situationen ist es üblich, zwischen den Sprachen zu wechseln und zu manövrieren. Nach Aussagen der Eltern bergen solche Situationen die Gefahr, dass man irgendwann aus Bequemlichkeitsgründen endgültig ins Deutsche wechselt und das Deutsche sich dann als starke Sprache nicht nur bei den Eltern sondern auch bei den Kindern durchsetzt. Daher kommt es, dass manche Kinder sich weigern, mit den Müttern überhaupt Russisch zu sprechen. Dies verunsichert die russischsprachigen Mütter bei dem Projekt, ihre Kinder weiterhin zum Russischsprechen zu animieren. So bestehen sie nicht darauf und wechseln selbst ins Deutsche. Eine andere Gruppe von Eltern ist der Meinung, wenn ihre Kinder in Deutschland aufwüchsen, bräuchten sie kein Russisch. Zweisprachigkeit steht hier nirgends im Vordergrund der Sorgen und Bemühungen, da man entweder von einem selbstverständlichen, beiläufigen Erwerb der Muttersprache ausgeht oder sich nur um die sprachliche Integration in Deutschland sorgt. Es gibt aber auch eine Gruppe von Eltern, die großen Wert darauf legen, dass das Russische als Familiensprache beibehalten wird. Diese Zuwanderer, 110 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte als Träger russischer Kultur, legen großen Wert auf den kulturellen Erhalt und die Weitergabe von Sprache und Traditionen. Die Pflege des Kontaktes zu den Großeltern, der Verwandtschaft und des kulturellen Kontaktes mit ihrem Herkunftsland überhaupt sind hier von großer Bedeutung. Aus zahlreichen Gesprächen und Begegnungen mit Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion lässt sich folgern, dass die meisten Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder Russisch beherrschen und die Geschichte und Kultur ihres Landes kennenlernen. Es gibt viele eifrige Eltern, die sich darüber hinaus wünschen und dies auch zu realisieren versuchen, dass ihre Kinder im Russischen alphabetisiert werden und ihre künstlerischen Begabungen und Talente auch auf Russisch entwickeln. Diese Gruppe von Eltern hat sich von Anfang an entschieden, Russisch als durchgängige Kommunikationssprache mit den Kindern zu etablieren. Sie hoffen zwar auf eine ausgewogene Zweisprachigkeit, da diese den Kindern die Teilnahme an beiden Kulturen und auch bessere Zukunftschancen in Ausbildung und Beruf ermöglicht, bemerken aber, wie schnell sich Deutsch zur dominanten Sprache entwickelt und die Erstsprache verdrängt (vgl. Protassova 2007, Anstatt 2007 und 2009). Hier ist es das Ziel der sprachlichen Erziehung, russisch-deutschen Kindern eine bilinguale Sprachkompetenz zu ermöglichen, die es ihnen erlaubt, im Mündlichen und im Schriftlichen in beiden Sprachen zu kommunizieren. Umso wichtiger ist es, dass auch diese Zuwanderergruppe in ihren spracherzieherischen Bemühungen durch Beratung und aktive Zusammenarbeit im Kindergartenalltag und in der Schule unterstützt wird. Die sprachliche Heterogenität der russisch-deutsch aufwachsenden Kinder Die Kompetenz im Russischen bei russischen Kindern ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Man kann hier je nach Sprachbeherrschungsgrad folgende Gruppen von Kindern unterscheiden: • Kinder, die Russisch auf der Ebene der muttersprachlichen Kompetenz beherrschen • Kinder, die gute bis mittlere Sprachbeherrschung aufweisen • Kinder, die schwache aktive aber gute passive Sprachfähigkeit besitzen • Kinder, die Sprachverweigerung des Russischen zeigen. Hier variiert die Sprachbeherrschung auf einer Skala von muttersprachlicher Kompetenz bis zur vollständigen Sprachverweigerung des Russischen (vgl. Anstatt 2009). 111 Die Auswertung einer Befragung von Eltern bestätigt die Tendenz, dass Kinder (in der Altersspanne zwischen 3 und 15 Jahren) Deutsch in alltäglichen Kommunikationssituationen bevorzugen und ungern in die Muttersprache eines der Elternteile wechseln. Bei einigen Kindern ist überhaupt nur ein passives Verständnis der Erstsprache vorhanden. Befragt wurden monolinguale (also einsprachige) russisch- und ukrainischsprachige sowie bilinguale Familien, in denen der Vater Deutscher ist. Für beide Familientypen war eine deutliche Tendenz bei den Kindern zum dominanten Gebrauch des Deutschen festzustellen. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Kinder später die deutsche Sprache besser beherrschen werden als ihre Eltern. Das ist keineswegs neu: Die beiden Wissenschaftler Georges Lüdi und Bernard Py haben schon vor mehr als zwei Jahrzehnten festgestellt, dass mit dem Heraustreten aus dem familiären Interaktionsfeld die ursprüngliche Zweitsprache schnell zur dominanten Sprache werden kann (Lüdi/ Py 1984, 26 f.). Frau Anstatt, Professorin für Slavistische Sprachwissenschaft an der Universität Bochum, beschäftigt sich in ihrer Forschung intensiv mit dem Thema der Entwicklung des Russischen bei bilingualen Kindern. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat sie die Sprachkompetenz im Russischen bei 32 bilingualen, in Deutschland lebenden Kindern mit den Russischkenntnissen von 23 monolingualen russischen Kindern verglichen. Ihr Fazit lautet, dass: „die russisch-deutschen Kinder in Bezug auf Ihre Sprachfähigkeiten im Russischen auf einem Kontinuum anzusiedeln sind, das von Sprachfähigkeiten, die nicht von monolingualen Gleichaltrigen unterscheidbar sind, bis hin zu fast nicht vorhandenen aktiven Fähigkeiten reicht“ (Anstatt 2009, 128). Die schwach ausgeprägten Kenntnisse im Russischen sind laut der Wissenschaftlerin auf den niedrigen Input und das Fehlen an routinierter Sprechkommunikation im Russischen zurückzuführen. Bei einem Teil der untersuchten Kinder sind gute russische Sprachfähigkeiten vorhanden (Anstatt 2009, 128 f.). Wir können vereinfacht und der Übersicht halber von verschiedenen Sprachpraktiken in zwei Familientypen - in russischsprachigen und bilingual russisch-deutschen Familien - sprechen. Bei den russischsprachigen Familien kommt es zu folgender Sprachverteilung: Sprachliche Heterogenität der russisch-deutsch aufwachsenden Kinder 112 „Russisch“ - Sprache, Kultur, Geschichte *Es kann in russischen Familien der Fall sein, dass Eltern oder ein Elternteil mit dem Kind abwechselnd auch auf Deutsch spricht oder beide Sprachen gemischt verwendet. ** Hier können die Kinder verschiedene Praktiken bei der Sprachwahl zeigen: vom konsequenten Gebrauch des Russischen in der Kommunikation mit den Eltern über den gemischten Gebrauch von zwei Sprachen bis zum bevorzugten Gebrauch des Deutschen. *** Der Kontakt zu russischsprachigen Sprechern kann unterschiedlich intensiv ausfallen. Abbildung 1: Familiäre und institutionelle Sprachverteilung bei Kindern aus russischsprachigen Familien Bei russisch-deutschen Paaren wurde in allen Fällen Deutsch als Familiensprache und als starke Sprache der Kinder angegeben. Weil in diesen Familien die deutschsprachigen Väter meist keine oder nur sehr geringe Kenntnisse des Russischen besitzen, kommt es zu folgender Sprachverteilung: Sprachliche Heterogenität der bilingual aufwachsenden Kinder 113 *Der Kontakt zu russischsprachigen Sprechern nach außen ist meistens beschränkt. Abbildung 2: Familiäre und institutionelle Sprachverteilung bei Kindern aus bilingualen deutsch-russischen Familien Häufig bleiben die Mütter in den bilingualen Familienkonstellationen die einzigen Träger und Förderer des Russischen ihrer Kinder. Umso wichtiger ist hier ein Ausbau der sozialen Netzwerke in der Nichtumgebungssprache. Durch die sozialen Kontakte erhalten die Kinder den sprachlichen Input, den sie als Modell für die Aussprache, für Wortschatzbereicherung und die Entwicklung der Grammatik benötigen. Viele der befragten Eltern geben an, dass sie soziale Netzwerke in ihrer jeweiligen Muttersprache pflegen und dass ihre Kinder dadurch die Möglichkeit bekommen, auch das Russische wenigstens zu hören. Zugleich wurde aber angemerkt, dass die Kinder meistens ungern ins Russische wechseln und auch im Spiel unter sich weiterhin Deutsch sprechen - selbst wenn Verwandte, Freunde und Bekannte sich auf Russisch unterhalten. Bei geselligen Zusammenkünften im Familien- und Freundeskreis bekommen die Kinder dennoch gute Möglichkeiten, ihre Sprachkenntnisse im Russischen auszuprobieren. Zum Beispiel, wenn bei Bekannten- und Verwandtschaftstreffen auch Sprecher dabei sind, die nur Russisch verstehen und sprechen können. Außerdem können die erwachsenen Sprecher immens zur Stärkung der schwachen Sprache beitragen, indem sie die Spielhandlungen der Kinder auch sprachlich begleiten (vgl. Leist-Villis 2004). Kapitel 6 Literalität als Zugang zur Schriftkultur und zum Literaturgut Zu den wichtigen Grundlagen für den Schulerfolg und die Bildungslaufbahn von Kindern gehört die Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz. Seit der Veröffentlichung der PISA-Studien setzt sich auch bei uns dafür der Begriff „Literacy“ oder auf Deutsch „Literalität“ durch (siehe Abb. 3). Das Text- und Sinnverständnis, die Vertrautheit mit der Schriftsprache und der literarischen Sprache, Abbildung 3: Bausteine des Begriffs „Literalität“ Die ersten Versuche mit der Schrift 115 das Interesse und die Freude an Schrift- und Buchkultur, und später die Fähigkeit, sich selbst schriftlich auszudrücken, macht den Begriff „Literalität“ aus. Eine solch umfassende kulturelle Kompetenz bedarf einer frühen Förderung und einer entsprechend sprachbewussten sozialen Umgebung. Besonders wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Kinder bereits im Kindergarten ein großes Interesse an Geschriebenem zeigen und sehr offen für die ersten Lese- und Schreibexperimente sind. Im Normalfall besitzen auch zweisprachig aufwachsende Kinder am Ende des Kindergartenaufenthaltes eine für ihre alltäglichen Kommunikationsbedürfnisse gut ausgebaute sprachliche Kompetenz. Für die Schule benötigen sie in ihrem aktiven sprachlichen Repertoire allerdings auch differenzierte Sprachstrukturen und eine vielfältige Ausdrucksweise. Diese können sie erst dann erwerben, wenn sie die Erfahrungen mit der Schriftsprache, bzw. mit den geschriebenen Normen des Deutschen gemacht haben. Die ersten Versuche mit der Schrift Durch Erzählen, Vorlesen, erste Schreibversuche und Auseinandersetzungen mit Lauten, Worten und Buchstaben machen die Kinder bereits im späteren Kindergartenalter ihre ersten Erfahrungen mit der Schrift. Die geschriebene Sprache unterscheidet sich von der gesprochenen Sprache durch die Abgeschlossenheit des Ausdrucks, strukturelle Vielfalt und Komplexität und durch einen vielfältigeren und gehobenen Wortschatz. Beispielsweise lässt sich ein und derselbe Sachverhalt wie „Das Wetter ist schön und ein Junge geht ins Schwimmbad“ ganz unterschiedlich ausdrücken. So wird der betreffende Junge selbst diesen Inhalt umgangssprachlich in zwei Sätzen wiedergeben: „Das Wetter ist schön. Ich geh’ mit Freunden ins Schwimmbad“. Im geschriebenen Deutsch, z. B. in einem Kinderbuch, könnte dieser Sachverhalt aber wie folgt lauten: „Heute ist ein herrlicher Tag. Deshalb habe ich vor, mit meinen Freunden ins Schwimmbad zu gehen“. Der Unterschied zwischen diesen beiden Wiedergaben liegt in der Komplexität der Satzstrukturen. In der Schule müssen die Kinder imstande sein, auch komplizierte Strukturen der Schriftsprache nicht nur zu verstehen, sondern auch aktiv zu gebrauchen. Auf die Praktiken der geschriebenen Sprache werden die Kinder dann gut vorbereitet, wenn sie sich möglichst früh mit Büchern auseinandersetzen, sie gemeinsam mit Erwachsenen lesen und besprechen und selbst dabei die ersten „Leseversuche“ unternehmen. Kinder im Kindergarten zeigen oft schon großes Interesse am Geschriebenen und experimentieren gern, indem sie die einzelnen Buchstaben zu schreiben versuchen oder Vorlesen imitieren. Erwachsene liefern dann eigentlich nur günstige Rahmenbedingungen für die Entfaltung des kindlichen Interesses an Kulturtechniken und geben ihnen Ideen, wie sie sich auch im Schriftlichen erproben können. Die Kinder diktieren beispielsweise der Erzieherin eine 116 Literalität als Zugang zur Schriftkultur und zum Literaturgut Geschichte, sie schreibt sie auf, die Kinder malen Bilder dazu und unterschreiben das Blatt als „Koautoren“. Durch aktive Teilnahme am Aufschreibprozess können sie ganz genau nachvollziehen, wie die Erzieherin den Stift hält, wie sie einzelne Buchstaben schreibt, wie sie sitzt, wie sie die Geschichte in kürzere, logisch abgeschlossene Absätze einteilt. Dieses „Lernen am Modell“ hat großen Einfluss auf die Herausbildung der eigenen Vorgehensschemata bei den Kindern und bereitet den Schriftspracherwerb in der Schule vor. Literalität in der Familie Die ersten Erfahrungen mit der geschriebenen Sprache, mit dieser für die Kinder völlig neuen sprachlichen Form, machen sie für gewöhnlich in der Familie. Schon mit drei Jahren zeigen sie häufig Interesse an Büchern, die ihnen vorgelesen werden. Sie nehmen sie in die Hand, „lesen“ sie mit einer entsprechenden „Erzählintonation“, folgen dabei den Zeilen mit dem Finger von links nach rechts. Außerdem imitieren sie gerne Erwachsene, indem sie etwas „aufschreiben“ oder einen Brief an ihre Freunde schreiben. Etwas später, zwischen 4 und 5 Jahren, können sie ihren Namen schreiben und kennen einzelne Buchstaben. Die Anbahnung der Literalität beginnt also ziemlich früh, ab etwa dem dritten Lebensjahr. Es hängt viel von den Eltern ab, wie intensiv sie dem Kind verschiedene literale und kulturelle Erfahrungen ermöglichen. Lesen die Eltern selbst, besprechen sie das Gelesene, schreiben sie selbst Briefe oder Wunschkarten an Freunde und beziehen sie in ihre Schreibaktivitäten auch die Kinder mit ein - dann prägt dies das kindliche Verhalten und ist grundlegend für die literale Entwicklung. Aus zahlreichen Untersuchungen geht hervor, dass die Kinder, die in früher Kindheit solche vielfältigen Erfahrungen mit Literalität hatten, später in der Schule langfristig bessere Entwicklungen im sprachlichen Bereich und im Lesen und Schreiben zeigen (vgl. Whitehurst/ Lonigan 1998). Andere Studien stellen einen Zusammenhang zwischen früher Vorlesesozialisation und späterer Lesemotivation in der Schule fest (Richter/ Plath 2007). Wieder andere Studien zeigen allerdings, dass in deutschen Familien Kindern wenig vorgelesen wird. In 42 % der befragten Familien lesen die Eltern den Kindern gar nicht oder eher selten vor. 1 Literalität und damit die literalen Erfahrungen in der Familie sind eine Form sozialer Interaktion, bei der Beziehungen auf besondere Weise gestärkt und entwickelt werden. Es geht hier nicht nur um sprachliche Bildung sondern auch um Umgangsformen, um positive Zuwendung und einen aufgeschlossenen interaktiven Kommunikationsstil innerhalb der Familie. Jede Familie hat eigene „Handlungs- und Interaktionsszenarien“ - wie man mit dem Kind spricht, wie man Wissen und Kenntnisse vermittelt, wie man das Weltbild der Kinder 1 Näheres zu den Ergebnissen der Studien unter: www.stiftunglesen.de. Literalität in der Familie 117 erweitert. Gerade durch Vorlesen können Kinder deshalb in ihrer Gesamtentwicklung kognitiv-sprachlich optimal gefördert werden. Eine wichtige Aufgabe der Elternarbeit des Kindergartenpersonals bestünde also auch darin, den Eltern zu vermitteln, wie wichtig regelmäßiges Vorlesen in der Familie und seine Etablierung in Form von „Familienritualen“ ist. Vielen Eltern ist nämlich gar nicht bewusst, welche großen Förderpotenziale in „harmlosen“ Vorlesesituationen liegen können, besonders wenn das Kind dabei durch Fragen motiviert wird, sich am Gespräch zu beteiligen. Bestimmte Grundformen der Literalität sollten also von Anbeginn zu den wesentlichen Aufgaben der familiären Erziehung gehören, auch wenn die mündliche Interaktion im Vorschulalter im Vordergrund steht. Kapitel 7 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? Gespräche gestalten, führen und fördern Wann sprechen wir „nur“ mit Kindern und wann fördern wir sie sprachlich? Sehr viele Situationen, in denen wir mit Kindern sprechen, gemeinsam Bücher lesen, singen, Dialoge führen, Wortspiele machen usw. können wohl zu den sprachförderlichen zählen. Sprachförderung ist im Kindergarten und in der Familie allgegenwärtig. Das Wichtigste dabei ist, wie und wie häufig wir mit Kindern kommunizieren und der Rahmen, in dem diese Kommunikation stattfindet. In den weiteren Ausführungen möchte ich einige kommunikative Situationen hervorheben, die für Kinder besonders viele sprachliche Informationen und sprachliche Anregungen liefern. Schwerpunkte sind hier die Vermittlung von literalen Erfahrungen, die Schaffung von intensiven Sprechanlässen, die Entwicklung der dialogischen Kommunikationsfähigkeiten und die Erweiterung der Erzählkompetenz der Kinder durch die Übernahme sprachlicher Strukturen, die sie in ihrer sozialen und kulturellen Umgebung wahrnehmen. Sprachförderung ist eine Interaktion, die bewusst, abwechslungsreich und für das Kind spannend zu gestalten ist. Wenn Kinder in ihrer nächsten Umgebung im Kindergarten und in der Familie einer kontinuierlich differenzierten und handlungsbezogenen Sprache ausgesetzt sind, brauchen sie keine zusätzliche Sprachförderung. Dabei kommt es stark auf die Sprachanreize und die Qualität der Sprachvorlage der erziehenden Personen an. Pädagogische Fachkräfte und Eltern sollten sich entsprechend ihrer Vorbildrolle und der Bedeutung des eigenen Sprachverhaltens bewusst sein. Die Kommunikationen mit den Kindern sollten so gestaltet werden, dass die Kinder zu weiterer Interaktion und Auseinandersetzung mit den besprochenen Themen motiviert werden. Die Sprache der Erwachsenen sollte dabei eine gut ausgebaute strukturelle Vielfalt und eine abwechslungsreiche und detaillierte Wortwahl anbieten. Die Gesprächssteuerung seitens Erwachsener, selbst in belanglosen alltäglichen Situationen, bietet auf einfache Weise verschiedene sprachliche Gespräche gestalten, führen und fördern 119 Interaktionsszenarien, die ganz unterschiedliche Wirkung auf das Kind haben können. Wenn hier die Rede von Gesprächen mit Kindern ist, muss man sich bewusst machen, dass nicht jede sprachliche Äußerung in ein Gespräch mit dem Kind mündet. Als ein gelungenes Gespräch kann man die Kommunikationen bezeichnen, bei der die Sprechfreude, Neugier und das Interesse des Kindes am Gespräch und am Thema geweckt wird. Von Bedeutung ist, dass Eltern oder Erzieher sich an der Aufmerksamkeitsausrichtung der Kinder orientieren, die aktuellen Themen und Beschäftigungen der Kinder ansprechen und sie dann sprachlich begleiten. Sehr förderlich ist das handlungsbegleitende Sprechen, wenn Erwachsene versuchen, die relevanten Gegenstände, Handlungen und Emotionen in Worte zu fassen und für das Kind die Ursache- und Wirkungszusammenhänge sprachlich verständlich zu machen. Die W-Fragen und Klärungsfragen können dabei weitere Gespräche und Interaktionen initiieren. Sprachförderung im Morgenkreis. Ein Beispiel Ohne Zweifel werden bei näherem Hinsehen einige konstante Elemente des Kindergartenalltags intensiver und gezielter für die Sprachförderung der Kinder genutzt als andere. So stellt beispielsweise der Morgenkreis ein großes Potenzial für die Sprachbildung dar. Im Rahmen der Morgenkreise bekommen die Kinder nicht nur wertvollen Input (neue Wörter, grammatische Strukturen), sondern haben auch die Möglichkeiten, sich miteinander und mit den Erzieherinnen intensiv auszutauschen. Sie lernen eine ausgeprägte Gesprächskultur kennen und werden in der Dialogführung eingeübt. Hier ein Beispiel für die alltagsintegrierte Sprachförderung im Rahmen des Morgenkreises in einem bilingualen Kindergarten. 1 Eine Erzieherin benutzt diese Situation für die Einführung neuer Themen wie Wetter und Natur im Herbst und greift auf verschiedene Arbeitsmethoden wie Erzählung, Gespräch, Lied, Rätsel zurück. Schematisch kann man den thematischen Ablauf für den genannten Morgenkreis folgendermaßen darstellen: 1 Im Rahmen des Projektes „Bilingualer Kindergarten“ wurde die Sprachkompetenz der pädagogischen Fachkräfte in verschiedenen alltäglichen Situationen wie freiem Spiel, Morgenkreis, Mittagessen, Malen und Basteln, näher untersucht. 120 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? Abbildung 4: Ablauf eines Morgenkreises Die Erzieherin wendet abwechselnd verschiedene Arbeitsmethoden an: • Sie beginnt den Morgenkreis damit, dass sie sich an die Kinder wendet und sie ganz persönlich begrüßt. Dann singen alle gemeinsam ein Begrüßungslied. • Um die Kinder zur aktiven Teilnahme zu animieren, vergibt die Erzieherin kleine Aufgaben, wie z. B. die, alle anwesenden Mädchen, alle Jungen und alle Erwachsenen zu zählen. • Das neue Thema „Der Herbst“ wird durch einleitende Fragen eingeführt. Die Fragen beziehen sich auf die Kinder selbst, was jedes Kind motiviert, diese Frage zu beantworten. Die Frage lautet etwa, wer heute in den Kindergarten zu Fuß, mit der Straßenbahn oder mit dem Auto gekommen ist. Eine Erzählung über die Natur im Herbst wird in dialogischer Form angeboten. Die Erzieherin lässt offene Stellen in der Geschichte und bittet die Kinder, ihr zu helfen oder sie stellt zwischendrin offene Fragen, die sich auf den Text der Erzählung beziehen. • Das Thema wird in einem Rätsel vertieft. Durch heranführende Fragen hilft die Erzieherin den Kindern dann, dieses Rätsel zu lösen. • Die Auflösung des Rätsels bietet einen weiteren Anlass, sich mit Aspekten des Themas zu beschäftigen. Die Kinder setzten sich mit dem Begriff „Laub“ auseinander. Zum Schluss wird mit den Kindern diskutiert, wie man die Blätter am besten trocknen kann. • Der Morgenkreis wird mit einem Abschiedslied abgeschlossen. Anschließend möchte ich ausführlicher auf die Sprachkompetenz der Erzieherin und den tatsächlichen sprachlichen Input, welchen die Kinder während des 40-minütigen Morgenkreises erfuhren, eingehen. So lässt sich demonstrieren, wie vielfältig und differenziert die Erzieherin in unserem Beispiel ihre Gespräche gestalten, führen und fördern 121 Sprachressourcen einsetzt und dabei als sprachliches Lernmodell auftritt. Eine Auswahl der verwendeten Sprachstrukturen im engeren Sinne lässt sich folgendermaßen beschreiben: • einfache und zusammengesetzte abgeschlossene Sätze. Bei den zusammengesetzten Sätzen handelt sich um Nebensätze mit Einleitern wie „welche“, „weil“, „dass“, „damit“, „um … zu“, „wie“, „wer“. • verschiedene Fragetypen: - offene Fragen - „Wie viele Jungen haben wir, Goscha, im Kreis? “; „Wen können wir noch zählen? “; „Was könnte er gesehen haben? “ - alternative Fragen: „Was denkt ihr, ist das unsere Erzieherin? “; „Was denkt ihr, was er ihnen geantwortet hat? “ - klärende Fragen: „Bist du ein Mädchen oder ein Junge? “ - präzisierende Fragen: „Könnt ihr euch an unseren schönen, großen Baum erinnern? “ • Vergangenheitsformen der Verben (sah, gefiel, saß) • Mehrzahl der Substantive (Blätter, Dächer, Vasen, Kinder, Erzieherinnen) • Kombination von Substantiven mit verschiedenen Präpositionen: auf dem Baum, mit dem Wind, vor der Fenster, auf dem Boden, auf der Straße. Viele Gruppensituationen im Kindergartenalltag können für die Förderung kommunikativer und sprachlicher Fähigkeiten noch gezielter und umfangreicher genutzt werden. Wie gezeigt, hat die Erzieherin die Situation des Morgenkreises benutzt, um die alten Themen zu wiederholen und die neuen einzuführen. Dabei hat sie eine große Palette an Arbeitsformen, wie narrative Elemente, Lieder, Rätsel, Gespräche zum Thema herangezogen, die zur Aufrechterhaltung des Interesses bei den Kindern beigetragen haben. Bei der Gestaltung von individuellen oder gruppenbezogenen Angeboten empfiehlt es sich, auf die kommunikativen und motivationalen Aspekte zu achten. Dies unterstützt die Sprechfreude bei Kindern und verleitet sie zu längeren Konversationen. Wichtig ist, den Kindern viel Zeit für ihre Antworten lassen, ohne sie zu unterbrechen, ohne sie zu drängen oder ihnen die Antworten vorweg zu nehmen. Die dialogische Form für die Gesprächsführung ist sprachstimulierender als lange Monologe der Erwachsenen. Die Einbeziehung der Kinder in die Entscheidungsprozesse animiert sie zur aktiven Teilnahme am Geschehen. In den Erwachsenen-Kind-Interaktionen sind Zeichen des aktiven Zuhörens durch nonverbale und verbale Signale zu vermitteln. Zu einem klaren Gestaltungsrahmen des Gespräches trägt auch die deutliche Markierung des Beginns und des Endes des Gespräches bei. 122 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? Vorlesen und Bilderbuchbetrachtung Kinder lernen Sprachen im Vorschulalter auf ganz natürliche Weise, also im Spiel und in den alltäglichen Interaktionen mit anderen Kindern und Erwachsenen. Vorlesen und Erzählen als Medium der Kommunikation, des Ausdrucks der eigenen Identität und Persönlichkeit mit allen ihren Facetten ist, wie betont, eine der effektivsten Methoden der Sprachförderung. Auch bei Kindern, die nur wenig Deutsch können, ist diese Art der Förderung wichtig, da sie dabei etwas über die Symbolfunktion der Sprache lernen. Sie müssen sich beim Vorlesen und Erzählen ausschließlich auf die Sprache konzentrieren, um deren Botschaft zu entschlüsseln. In alltäglichen Gesprächen können sie oftmals erraten oder erahnen, worum es geht und was von ihnen verlangt wird. Dabei orientieren sie sich am Tonfall, an Gestik und Mimik ihres Gesprächspartners und an ihrer gegenständlichen Umgebung. Durch Vorlesen und Erzählen werden diese Kinder angeregt, ein Gespräch zu beginnen, sich Gedanken über gehörte Geschichten zu machen, nachzufragen und Interesse am Gespräch zu zeigen. Das Büchervorlesen hat nicht nur eine wichtige Bedeutung für die Lesesozialisation, denn die ersten Erfahrungen mit der Schriftkultur spielen eine immense Rolle für die sprachliche Entwicklung insgesamt. Beim Vorlesen und bei gemeinsamer Buchbetrachtung wird der Wortschatz aufgebaut, grammatische Strukturen und phonologische Aufmerksamkeit eingeübt. Die Kinder lernen durch aktives Zuhören verschiedene Textmuster kennen und haben dabei die Möglichkeit, ihre eigene Erzählkompetenz zu erweitern. Beim Vorlesen kommen verschiedene Sprachstile und Textsorten zum Einsatz, wodurch die Kinder Erfahrungen mit verschiedenen elaborierten Codes machen können, die in der umgangssprachlichen Kommunikation oft kaum eine Rolle spielen. Vor dem Lesen muss eine gemütliche und ruhige Atmosphäre geschaffen werden, um das Kind auf das Vorlesen einzustimmen. Das Vorlesen wird dann mit eigenen Kommentaren, Ergänzungen, Bemerkungen und mit Bildern begleitet. Dies verstärkt die Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung. Auch ist es wichtig, auf eine deutliche Aussprache zu achten. Der Einsatz der Stimme und Variationen der Stimme sind ebenfalls ein wirksames Mittel, um die Stimmungen der handelnden Personen und die gesamte Atmosphäre der Ereignisse wiederzugeben. Einhaltung von Pausen, besonders vor den Höhepunkten der Geschichte oder auch die Einbeziehung einer Puppe sind ebenso wirkungsvoll für eine gute Kommunikation. Eine solche Puppe kann in einer Kita beispielsweise die Kinder einmal in der Woche besuchen und ihnen spannende Geschichten erzählen. Das dabei ausschließlich durch Gestik und Mimik unterstützte Erzählen fördert die Konzentration, besonders bei den Kindern, die von Hause aus wenig literarische Erfahrungen haben oder in den Zweitspracherwerb erst einsteigen. Vorlesen und Bilderbuchbetrachtung 123 In der Familie und im Kindergarten kann sich eine Erzählkultur etablieren, indem Erzählen einen festen Platz im Tagesablauf einnimmt. Durch Ritualisierungen wie beispielsweise der Festlegung bestimmter Erzähltage und Erzähluhrzeiten wird das Erzählen bei Kindern zu einem gewohnten, und meist auch freudig erwarteten Ereignis ihres Wochenablaufes. Anzustreben ist hierbei, den Kindern Erzählen, Vorlesen und Bilderbuchbetrachtungen regelmäßig zwei bis drei Mal in der Woche anzubieten. Im Kindergarten kann man eine Vorlesestunde in kleineren Gruppen gestalten, in der jedes Kind die Möglichkeiten hat, aktiv in den Leseprozess einbezogen zu werden. Außerdem kann man in der Kleingruppe eine angenehmere Vorlesesituation schaffen. Auch zu Hause können Freiräume für das gemeinsame Vorlesen auf ähnliche regelmäßige Weise geschaffen werden. Was wird beim Vorlesen gefördert? • Symbolfunktion der Sprache - die Kinder konzentrieren sich auf die akustische Wahrnehmung der Sprache • Erfahrung mit der Schriftkultur - die Kinder lernen verschiedene Textmuster und verschiedene elaborierte Ausdrucksweisen kennen • Wortschatz - Erweiterung thematischer Wortfelder • Grammatik - verschiedene Satztypen, verschiedener Grad an grammatikalischer Komplexität • Phonologische Aufmerksamkeit - die Kinder konzentrieren sich auf die gehörte Sprache, auf den Klang und die Sprachmelodie. Tipps zum Vorlesen • eine gemütliche, ruhige Atmosphäre schaffen • auf den Einsatz der Stimme achten, um eine entsprechende Vorlesestimmung zu schaffen • das Vorlesen ritualisieren, indem man feste Erzählstunden und -tage bestimmt • zwischendurch Pausen einlegen, um mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, das Vorgelesene mit eigenen Kommentaren zu ergänzen und nachzufragen. Eltern fragen immer wieder, warum das Vorlesen und die Bilderbuchbetrachtung eigentlich so förderlich für die sprachliche und kognitive Entwicklung sind. Eine Antwort lässt sich hier noch einmal zusammenfassen: Durch eine individuell gestaltete Vorlesesituation fühlt sich das Kind geborgen und erfährt ganz allgemein eine Nähe, die besonders der Kommunikation innerhalb der Familie zugute kommt. Kinder lernen beim Umgang mit Texten auch ein anderes Sprachniveau als das des umgangssprachlichen Ausdruckes kennen. Es ist den Eltern bei gewohntem Vorlesen oft gar nicht bewusst, wie viele wertvolle sprachliche Informationen auf verschiedenen Ebenen eine vorgelese- 124 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? ne Geschichte enthält. Das lässt sich am Beispiel der Geschichte „Der Wecker“ aus dem Buch „Zum Glück gibt’s Freunde“ des bekannten deutschen Kinderbuchautors Helme Heine gut veranschaulichen. 2 • Wortschatz: vielfältiges Verbrepertoire wie rasseln, klappern, knarren, kichern, losrollen, sich überschlagen, purzeln, häufiger Gebrauch von Eigenschaftswörter wie eifersüchtig, friedlich, unheimlich, vergnügt; Gebrauch von zusammengesetzten Wörtern (Komposita): Seilchenspringen, Ringelschwanz, Badewasser, Kirchturm, Wetterhahn. • Neue Begriffe werden eingeführt: z. B. Schiffsplanken, Rennwagen, Dorfteich, Schmiere stehen. • Grammatik - häufiger Gebrauch des Präteritums (unterbrach, begann, schlief, schlugen, gingen), Präpositionen mit einem Adjektiv/ Possessivpronomen und Substantiv: am nächsten Morgen, in einem günstigen Augenblick, durch das offene Schlafzimmerfenster, zum Seilspringen, mit ihren Ringelschwänzchen, Steigerungsstufen von Adjektiven: der größte Wunsch, die schönste Vorfreude. • Förderung des Satzbaus: z. B. feststehende Satzkonstruktionen, abgeschlossene, vollständige Sätze, viele Nebensätze mit verschiedenen Konjunktionen, anders als im gesprochenen Deutsch: Der größte Wunsch der drei kleinen Freunde war es, einmal bis Mitternacht aufzubleiben; Sie konnten es kaum erwarten, bis die Sonne untergegangen war und der Sternenhimmel zu funkeln begann. 3 3 Regelmäßige Vorlesesituationen ermöglichen es, mit dem Kind in Dialog zu kommen, gemeinsames Vorlesen schafft eine Brücke zum eigenen Leben und Erleben des Kindes. Erwachsene haben die Möglichkeit, das Vorlesetempo und den Dialog individuell zu gestalten. Als Beispiel dazu ein Satz aus „Mullewapp“ von Helme Heine: „Jetzt kann man unbesorgt losflitzen durch Feld und Flur und tiefe Pfützen“. Diese Ausdrucksweise in Reimform weckt Phantasiebilder im Kind und kann zu kreativem sprachlichem Ausprobieren animieren. Die gehörten Geschichten werden von Kindern gerne aufgegriffen, indem sie nacherzählen oder phantastisch neu kombinieren. Dabei werden das kindliche Sprachgedächtnis und die Merkfähigkeit für Details und für die Gesamtstruktur einer Geschichte trainiert und das Weltwissen erweitert. Dialogisches Vorlesen - eine erfolgreiche Lesestrategie für den Kindergarten und zu Hause Vorlesen kann noch spannender werden, wenn man es dialogisch gestaltet. Im Zentrum dieser Beschäftigung steht dann nicht die vorzulesende Geschichte, 2 Alle Beispiele sind dem Buch „Zum Glück gibt’s Freunde“ von Helme Heine entnommen. 3 Für russischsprachige Eltern sind die sehr kunstvoll gestaltete Bücher von Helme Heine auch in russischer Übersetzung erhältlich. Der Titel des erwähnten Buches lautet auf Russisch: „ Друзья навceгда “. Die Eltern werden sicherlich selbst viel Spaß haben, wenn sie die Abenteuerwelt der „Freunde“ und die wunderbaren Aquarelle von Helme Heine entdecken. Vorlesen und Bilderbuchbetrachtung 125 sondern das Kind, seine Wahrnehmung des Gehörten und das Gespräch mit ihm. Durch Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus auf die Wahrnehmung des Buches durch das Kind wird nicht nur die Beziehungsebene zum Kind gestärkt sondern auch sprachliche und kognitive Fähigkeiten gefördert. Die Kinder werden selbst zu aktiven Gestaltern des Geschehenen und fühlen sich herausgefordert, ihre Meinungen und Eindrücke zum Text zu äußern. Am Beispiel einer Episode aus der Geschichte „Der Wecker“ von Helme Heine möchte ich die dialogische Leseart genauer demonstrieren. Das Vorlesen der Geschichte wird durch offene Fragen an das Kind unterbrochen, neue Begriffe werden erklärt. Bei den offenen Fragen geht um die Fragen, die keine „Ja“- oder „Nein“-Antwort suggerieren. Weitere Rück- und Verständnisfragen helfen zu klären, ob das Kind die Bedeutung und den Ablauf der Geschichte verstanden hat. Die Fragen sollten dabei natürlich einfach, verständlich und klar formuliert sein, um aus der Vorlesestunde keine „Prüfungssituation“ werden zu lassen. Durch diese aktive Beteiligung im Gespräch über das Vorgelesene hat das Kind die Möglichkeit, eine andere, differenzierte Sprachkompetenz zu entfalten, als dies in umgangssprachlicher Kommunikation möglich ist. Dabei ist ebenso wichtig, dem Kind Zeit zu lassen, auf die gestellten Fragen zu antworten, es nicht zu unterbrechen oder durch eigene Kommentare zu verunsichern. Der Wecker 4 Der größte Wunsch der drei kleinen Freunde war es, einmal bis Mitternacht aufzubleiben. Sie hätten es auch schon längst getan, wenn Franz nicht solche Angst gehabt hätte, am nächsten Morgen zu verschlafen, denn über einen Hahn, der verschläft, lachen sogar die Hühner. 4 Auswahl an Fragen an das Kind: • Was bedeutet das Wort „Mitternacht“? • Warst du schon mal bis Mitternacht wach? • Bist du schon mal von einem Hahn geweckt worden? Wo und wann war das? • Ist es dir schon mal passiert, dass du verschlafen hast? Aber eines Tages hatte der dicke Waldemar, wie so oft beim Essen, eine gute Idee. „Wisst ihr, was wir brauchen? “, schmatzte er laut. „Einen Wecker! “ „Und wo sollen wir den herkriegen? “, unterbrach ihn Franz. 4 Der Text der Geschichte stammt aus dem Sammelband „Zum Glück gibt’s Freunde“, Helme Heine, genehmigte Lizenzausgabe für die Verlagsgruppe Weltbild GmbH. 126 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? Auswahl an Fragen an das Kind: • Was für eine Idee hatte das Schwein? • Hast du einen Wecker? • Wie klingelt der Wecker? • Was denkst du, wo kriegen die Freunde den Wecker her? „Den leihen wir uns von Bauer Husemann“, grinste Johnny Mauser, der sich in dessen Bauerhof gut auskannte. Während Franz und Waldemar im Hof Schmiere standen, schlüpfte Johnny in einem günstigen Augenblick ins Haus und warf den Wecker durch das offene Schlafzimmerfenster zu ihnen hinaus. Die Freude war riesig, denn Vorfreude ist die schönste Freude. So konnten sie kaum erwarten, bis die Sonne untergegangen war und der Sternenhimmel zu funkeln begann. Auswahl an Fragen an das Kind: • Was bedeutet „Schmiere stehen“? • Wie ist es den Freunden gelungen, den Wecker zu holen? • Was haben sie dann gemacht? Hast du eine Idee? • Weißt du was es heißt „Vorfreude ist die schönste Freude? • Hast du schon mal einen funkelnden Sternenhimmel gesehen? Die Komplexität der Fragen hängt vom Alter des Kindes, seinem Entwicklungsstand und seiner Sprachkompetenz im Deutschen ab. Solche dialogische Art, Bücher vorzulesen, bringt ganz unterschiedliche Gesprächsverläufe mit sich und kann in vielen Wiederholungen der gleichen Geschichte immer wieder anderes gestaltet werden. Das klassische Vorlesen kann mit freiem Erzählen kombiniert werden, wenn beispielsweise der Inhalt unverständlich oder zu kompliziert dargestellt ist. So wechselt der Erwachsene dann ins freie Erzählen und ermöglicht dem Kind, der Geschichte weiter folgen zu können. Außerdem wirkt die Geschichte lebendiger und lässt individuelle Kürzungen oder Ergänzungen zu. Im Kindergarten empfiehlt es sich, die Vorleserunden in kleinen Gruppen zu gestalten. So kann jedes Kind zu Wort kommen und hat Gelegenheit, der Geschichte im Buch zu folgen und die Bilder zu betrachten. Im kleinen Kreis kann eine vertraute Atmosphäre geschaffen werden, die besonders schüchternen Kindern oder Kindern mit geringen Deutschkenntnissen hilft, offener zu sein und sich sprachlich mehr zuzutrauen (vgl. Whitehurst/ Lonigan 1998). Durch die Regelmäßigkeit solcher Situationen erweitern die Kinder ihre monologische Erzählkompetenz und fühlen sich in den alltäglichen Dialogsi- Freies Erzählen 127 tuationen mit Gleichaltrigen sicherer, können dann auch immer besser ihren eigenen Standpunkt vertreten. Die Erwachsenen können das Interesse des Kindes am Geschehenen noch stärker fesseln, wenn sie Stimme, Gestik und Mimik bewusst zum Einsetzen bringen. Wirkungsvoll und spannend ist es für die Kinder, wenn man die Geschichte mit verschiedener Lautstärke, mal laut, mal leise, mal flüsternd, mal aufgeregt, erzählt. Wichtig ist es, Pausen zu machen. So kann das Kind die Bilder anschauen und hat Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Freies Erzählen Im Kindergarten und in der Familie wird nicht nur vorgelesen, sondern auch viel frei erzählt. Manche Erwachsene ziehen freies Geschichtenerzählen dem klassischen Vorlesen vor. Dies verlangt aber von dem Erzählenden, sich an einige Rahmenbedingungen der Erzählstruktur zu halten. Das freie Geschichtenerzählen wie auch die dialogische Art des Vorlesens schaffen viele Sprechanlässe, die über alltägliche Gespräche mit dem Kind hinausreichen. Freies Erzählen ermöglicht dem Erzählenden auch, den Verlauf der Geschichte immer wieder zu ändern und eigene Erlebnisse, Welt- und Fachwissen, eigene Erfahrungen in die Geschichte einzubauen. So bekommt das Kind viele Lernmöglichkeiten, die kindgemäß, ohne Zwang und Belehrung ablaufen. Die frei erzählten Geschichten haben häufig Informationen über Lebensbereiche, die weit über die Reichweite der eigenen Hände und der alltäglichen Kommunikationskontexte der Kinder hinausgehen. Freies Erzählen ist ungebundener und lässt viel Raum für körperlichen Ausdruck. Die Einbeziehung von Körpersprache, Gestik und Mimik macht das Erzählen zu einem spannenden Erlebnis für das Kind und fesselt seine Aufmerksamkeit. Dazu kommt, dass die Körpersprache zum Verständnis der Sprache beiträgt. Die Kinder lernen beim freien Geschichtenerzählen, dass dieser literalen Form eine Ordnungsstruktur zugrunde liegt. Eine Geschichte muss einen Einstieg, ein besonderes Ereignis und einen guten Abschluss haben. Die Kinder orientieren sich dann in ihren eigenen Erzählungen nach einiger Zeit selbst an dem strukturellen Ablauf einer Geschichte. Besonders wichtig werden diese Kenntnisse dann in der Schule, wenn eine Geschichte schriftlich wiedergegeben werden soll. Die Vorlagen dafür erhalten die Kinder also recht früh, wenn ihnen Erwachsene Geschichten frei erzählen oder auch durch die beschriebenen Varianten des Vorlesens. Eine wichtige Rolle spielen die Pausen, die eine spannende Erzählatmosphäre aufrechterhalten und dem Kind ermöglichen, das Gehörte wahrzunehmen und zu begreifen. Beim freien Erzählen steht die Kommunikation im Vordergrund: Erzähltempo und die Art und Weise der Erzählens lassen sich dabei gut an die Aufmerksamkeit und die jeweilige Stimmung der kleinen Zuhörer anpassen. Als Erzähltechnik hat sich bewährt, viele feststehende Formulierungen, 128 Reden, lesen, spielen - Wie wird die Sprachentwicklung gefördert? Redewendungen und Wiederholungen einzubauen. Die Kinder können sich so den Ablauf der Geschichte besser merken und verwenden diese Mittel dann selbst beim Erzählen (vgl. Merkel 2005). Sowohl Vorlesen als auch freies Erzählen bieten viele Möglichkeiten, das Gehörte mit den Kindern zu vertiefen und aufzuarbeiten. Die Kinder können die neue Geschichte malen. Sie können diese Geschichten dann auch im Rollenspiel aufarbeiten. Das Rollenspiel ist ein wesentliches Element der sich ständig ergänzenden und veränderten Kinderwelten. Durch Rollenspiel lernen sie die Mehrperspektivität eines Ereignisses oder einer Handlung zu erfassen und auch sprachliche Rollen zu übernehmen. Kinder übernehmen dabei die Sprechweise der angenommen Rolle, üben Perspektivenwechsel und erweitern ihr stimmliches und intonatorisches Repertoire. Je nach Stimmungslage der Kinder kann die Beteiligung der Erwachsenen am Rollenspielen förderlich sein und neue anregende Sprachvorlagen und Gesprächsideen einbringen. Empfehlungen für die Bücherwahl Die Wahl eines Buches fällt bei der heutigen Vielfalt am Kinderbüchermarkt nicht immer leicht. Die Eltern, aber auch Erzieherinnen fragen sich, welche Bücher für ihre Kinder am ehesten geeignet sind. Die Erzieherinnen haben in ihrem pädagogischen Alltag den entsprechen Rahmen, die Wirkung verschiedener Bücher auf die Kinder auszuprobieren. Das erste Kriterium ist hier, dass die Bücher dem Entwicklungsstand des Kindes angemessen sein sollten. Sie sollten aus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Sicht der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotski 1987) beim Kind entsprechen. Bei der Wahl des Buches rücken drei Aspekte in den Vordergrund, nämlich der Inhalt, die Gestaltung bzw. die dazugehörigen Illustrationen und der sprachliche Ausdruck. Der Inhalt soll einen erkenntniserweiternden Wert haben, der in einen spannenden Erzählrahmen eingebettet ist. Besonders bei Kindern mit geringen Deutschkenntnissen ist es sinnvoll, mit Büchern beginnen, die dem Kind bereits bekannt und kurz und klar geschrieben sind und viele Bilder enthalten. Es bietet sich an, Gegenstände, die in dem Buch vorkommen, bereit liegen zu haben, damit das Kind sie sehen, anfassen und die bildliche Darstellung mit dem realen Gegenstand verknüpfen kann. Speziell für die Erweiterung des Wortschatzes sind die Wimmelbilderbücher mit ihren vielen kleinen Details besonders gut geeignet. Bei der Themenwahl geht man von den Interessen, aktuellen Beschäftigungen und Vorlieben des Kindes aus. Gut geeignet sind die Bücher, in denen sich die täglichen Erfahrungen des Kindes widerspiegeln. Für ein Gespräch mit dem Kleinkind eignen sich besonders Bücher, in denen Handlungen, die sie aus ihrem Alltag kennen, dargestellt werden (Z. B. Familie am Tisch, Spaziergang in den Park, Ausflug mit der Gruppe). Empfehlungen für die Bücherwahl 129 Bei den Bildern geht es nicht in erster Linie um ihren künstlerischen Wert, sondern um ihre narrative Funktion. Sie sollten den Inhalt veranschaulichen und zu seinem Verständnis beitragen (vgl. Ulich 2003). Nicht selten ist es in Büchern so, dass neue Schlüsselsituationen oder neue Gestalten und Helden im Text eingeführt werden, bildlich aber nicht dargestellt sind. Dies kann beim Kind zu Verwirrung oder Enttäuschung führen. Das Anschauen der Bilder animiert Kinder auch zum Sprechen, Fragen stellen, Kommentieren; reines Vorlesen verleitet das Kind eher dazu, die passive Zuhörerrolle einzunehmen. Das Erzählen nach Bilderbüchern können die Kinder selbst aktiv mitgestalten, indem sie ihre eigenen Geschichten zu den Bildern erzählen und so ihre Phantasien ausleben. Der gehörten Geschichte, frei erzählt oder vorgelesen, kann man weitere Ausdrucksformen geben, indem man sie im Rollenspiel nacherzählt, pantomimisch darstellt oder als kleines Theaterstück inszeniert. Bei der Bücherwahl kann man nicht von „richtig/ gut“ oder „falsch/ schlecht“ ausgehen. Das Buch kann für das Kind zu schwierig oder zu einfach sein oder einfach nicht gefallen. Sprachlich gesehen sollten die Bücher dem Komplexitätsgrad der Sprache des jeweiligen Alters entsprechen. Ein umfangreicher, abwechslungsreicher Wortschatz, die Vielfalt des sprachlichen Ausdruckes sowie die ästhetische Gestaltung sollten hierbei leitend sein. Kapitel 8 Förderkonzept der ausgewogenen russisch-deutschen Zweisprachigkeit Leitgedanke und Ziele Knapp ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. In sechs Städten liegt dieser Anteil bei über 60 %. Dazu zählen z. B. Nürnberg (67 %), Frankfurt (65 %), Düsseldorf und Stuttgart (jeweils 64 %) (Statistisches Bundesamt 2007). Kinder mit Migrationshintergrund sind ein fester Bestandteil deutscher Kindertageseinrichtungen. In der Praxis, in den Medien und in den öffentlichen bildungspolitischen Debatten wird die Sprachkompetenz und Integration dieser Kinder in die deutsche Gesellschaft zum Thema zahlreicher Diskussionen. Die Leistungen und Ressourcen dieser Kinder werden an der Beherrschung der deutschen Sprache gemessen. Zu selten wird ihrer Mehrsprachigkeit, ihrer Fähigkeit zwischen zwei oder sogar drei Sprachen zu wechseln und ihrer interkulturellen Kompetenz wirkliche Wertschätzung geschenkt. Es ist unbestritten, dass in heutigen Kindertageseinrichtungen keine Sprachverbote bezüglich der verschiedenen Muttersprachen mehr herrschen. Die Mehrsprachigkeit als Arbeitsmethode und Ressource zur Förderung aller Kinder fand bislang jedoch noch zu wenig konzeptuelle Verankerung im pädagogischen Alltag der vorschulischen Bildungseinrichtungen. Die sprachliche Entwicklung des Kindes und der Erwerb einer gut entwickelten Sprachkompetenz ist ein zentraler Bereich kindlicher Kompetenzentwicklung. Die Sprachfähigkeit, und allgemein Symbolfähigkeit, bildet die Grundlage für alle höheren kommunikativen, sozialen, lernbezogenen und metakognitiven Kompetenzen und stellt eine Grundlage für breite Bildungshorizonte dar. Gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund besteht ein großer Bedarf an einer ergebnisorientierten Sprachförderung, um ihnen einen erfolgreichen Zugang zu breiten Bildungshorizonten in der Schule und auf späteren Lebenswegen zu erleichtern. Ziel dieser Bemühungen ist also eine vielseitig ausdifferenzierte Sprachfähigkeit. In der Fachliteratur wird zwischen zwei Kompetenzniveaus der Sprachfähigkeit unterschieden. Das erste wird als BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) bezeichnet und setzt sprachliche und kommunikative Grundfertigkeiten für die alltäglichen Kommunikations- Leitgedanke und Ziele 131 bedürfnisse voraus. Die zweite, höhere Sprachbeherrschungsstufe heißt CALP (Cognitive Academic Language Proficiency) und bezeichnet die sogenannte Bildungssprache. Diese Ebene der Sprachbeherrschung verlangt eine gute schriftsprachliche Fertigkeit - sich in Wort und Schrift differenziert ausdrücken zu können und eine gut ausgebaute Schriftsprache. Die beiden Kompetenzniveaus wurden von dem kanadischen Pädagogen Jim Cummins eingeführt. Auf Grund seiner eigenen Forschungsergebnisse zu Sprachfähigkeiten von Kindern mit Migrationshintergrund in der Schule weist er darauf hin, dass diese Kinder über gut entwickelte altersübliche konversationelle Kenntnisse in der Zweitsprache verfügen, die höheren kognitiven und abstrakten sprachlichen Fähigkeiten aber erst im Laufe der Schulzeit, nach 5 bis 7 Jahren, ausgebaut werden (vgl. Cummins 1979, 1984). Das hier vorgeschlagene Konzept einer konsequenten Sprachförderung fußt entsprechend auf der Schaffung kommunikativer Situationen, in denen jedes Kind in Dialogen oder beim freien Erzählen, durch Fragen oder Kommentare zu Wort kommt. Dabei haben die Erzieherinnen vielfältige Sprachvorlagen (mögliche Fragen an die Kinder, zahlreiche Beispielsätze, die von den Kindern überprüft und beantwortet werden, Vorlagen für das Geschichtenerzählen). Die Kinder haben die Möglichkeit, ihren thematischen Wortschatz intensiv zu erweitern und hören komplexe und komplizierte grammatische Strukturen. Die methodischen Bausteine des Konzeptes - Gesprächsführung - Dialogführung - freies Erzählen - Beantworten gezielt formulierter Fragen - Vorlesen - führen die Kinder an das für die Schule notwendigen CALP-Niveau heran. So lernen sie Regeln des Deutschen, trainieren ihre auditive Sprachwahrnehmung und werden auf den Schrifterwerb in der Schule vorbereitet. Ziele der parallelen russisch-deutschen Sprachförderung • Aufbau und Erweiterung kommunikativer und narrativer Kompetenz der Kinder in beiden Sprachen • Verständliche, zielsprachenorientierte Aussprache, Wort- und Satzbetonung, Satzmelodie • Aufbau eines altersangemessenen, gut differenzierten Wortschatzes • Beherrschung des deutschen und russischen Satzbaus und Erwerb von morphologischen Verknüpfungsregeln. Die Sprachförderung stellt eine Querschnittsaufgabe im Kindergartenalltag dar. Ohne Zweifel ist der größte Teil der alltäglichen Kommunikation im Kindergarten sprachlicher Natur. Wie und wie häufig wir mit Kindern Gespräche führen, variiert von Einrichtung zu Einrichtung. Pädagogische Fachkräfte müssten dafür sorgen, dass verschiedene Alltagssituationen für Gesprächsanlässe optimal genutzt werden und dass die Kinder Anregungen für Kommunikationen zu verschiedenen Themen aus den Kinderwelten erhalten. 132 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Der Leitgedanke des hier vorgestellten Konzeptes besteht dementsprechend in der parallelen Förderung der Erst- und der Zweitsprache im Alltag. Es basiert auf intensiver Einübung und Unterstützung kommunikativer Fähigkeiten in dialogischen Situationen und auf der spielerischen Förderung der narrativen Fähigkeiten von Kindern. Die Sprachförderung wird ausschließlich in die natürlichen Kontexte der Spiel-, Kommunikations- und Handlungssituationen eingebettet. Eine differenzierte Sprachbeherrschung der deutschen Sprache bei gleichzeitiger Förderung der Sprachkompetenz im Russischen ist das Ziel der Sprachförderung der Bevölkerungsgruppe, um die es in diesem Buch hauptsächlich gehen soll, obwohl sich die grundlegenden Konzepte und konkreten Umsetzungen auch auf alle anderen Bereiche der Förderung von Zwei- und Mehrsprachigkeit übertragen lassen. Kinder sollten ihre Kenntnisse in der Muttersprache vertiefen und weiter ausbauen können, während sie parallel ein gutes Niveau der Sprachbeherrschung des Deutschen erreichen. Wie sind diese Ziele im pädagogischen und familiären Alltag zu erreichen? Die Erstsprache Russisch wird durch die Eltern in der familiären Umgebung und Deutsch durch die pädagogischen Fachkräfte in der Einrichtung unterstützt. So hat ein deutsch-russisch sprechendes Kind eine optimale Möglichkeit, den thematischen Wortschatz in beiden Sprachen beinahe gleichmäßig zu erweitern und ihn durch den regelmäßigen Input in beiden Sprachen auch strukturell zu verankern. Der Erfolg der gleichzeitigen Förderung hängt vor allem von der Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen und den Eltern und der Langfristigkeit und Regelmäßigkeit der Sprachförderangebote ab. Sprachförderung beginnt mit der Orientierung am aktuellen Entwicklungsstand, den Fähigkeiten und Interessen der Kinder und im Anknüpfen an ihre aktuelle Lebenssituation. Die Kenntnisse über die Verläufe des Zweitspracherwerbs bei russischsprachigen Kindern, sowie strukturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede in beiden Sprachen können für eine gezielte, an den Fähigkeiten der Kinder orientierte Sprachförderung genutzt werden. Tabelle 5 zeigt die Unterschiede in der Grammatik beider Sprachen. So kann man leichter die Ursachen dafür nachvollziehen, warum es im Deutsch der russischsprachigen Kinder zu bestimmten grammatischen Unregelmäßigkeiten und inkorrekten Formen und Bildungen kommt. In vielen Fällen können sie auf den Einfluss des Russischen zurückgeführt werden. Wenn ein dreijähriger russischsprachiger Junge zu Beginn seines Kindergartenaufenthaltes sagt: heute ich nicht gehe können wir annehmen, dass dem Jungen diese Stellung von nicht vor dem Verb aus dem Russischen bekannt ist, er also auf seine vorhandenen Sprachressourcen im Russischen zurückgreift und diese auf das Deutsche anwendet. Für Erzieherinnen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass solche Unregelmäßigkeiten vorübergehende Erscheinungen sind, bei denen die Kinder das vorhandene Sprachwissen heranziehen und ihre Hypothesen Leitgedanke und Ziele 133 bilden und sie überprüfen, indem sie mit der Sprache experimentieren, bis sie die zielsprachlich richtige Grammatik erworben haben. Bei differenziertem und regelmäßigem korrekten Input im Deutschen gehen solche grammatischen Inkorrektheiten in der Kindersprache schnell zurück. Tabelle 5: Grammatikalische Unterschiede zwischen dem Deutschen und Russischen Grammatischer Bereich Deutsch Russisch Mögliche strukturelle Übertragung aus dem Russischen/ Beispiele Verbstellung im Hauptsatz V2* Die Wortreihenfolge ist nicht festgelegt. Sie hängt vom Äußerungsziel und stilistischen Kriterien ab Ich dich liebe. Ich dir gebe. Verbstellung im Nebensatz VE** Die Wortreihenfolge ist nicht festgelegt Rate mal, wer war das? Fragesätze ohne Fragewort Inversion (Prädikat-Subjekt- Austausch) erforderlich Frage wird durch fragende Intonation markiert Du wartest auf mich? Fragesätze mit Fragewort Verb-Zweitstellung erforderlich Üblich ist die V3-Stellung/ kann variieren Warum du tust das? Gebrauch von „sein“ in der Gegenwart Im deutschen Satz obligatorisch Wird in der Gegenwart nicht gebraucht Z. B. der Satz „ich müde“ ist im Russischen vollständig und korrekt Konstruktion „ich habe“ Ich habe ein Auto Wird durch die Konstruktion у + Besitzer (Genitiv) + Zeitform von быть + Besitz (Nominativ) ausgedrückt: У меня есть машина Transfer von einer in die andere Sprache wird nicht beobachtet. Es wird den Eltern empfohlen, diese Konstruktion auf Russisch zu üben Gebrauch von Artikeln „der“, „die“, „das“ und Artikel „die“ im Plural für drei Geschlechter Keine Artikel Im früheren Deutscherwerb werden Auslassungen von Artikeln und falsche Artikelzuweisungen beobachtet 134 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Verneinung „nicht“ steht nach dem Prädikat oder dem Satzglied, das negiert wird „ не “ steht vor dem Prädikat oder dem Satzglied, das negiert wird. Die doppelte Verneinung - я никуда не иду (wörtlich: ich gehe nirgendwohin nicht hin) ist möglich Ich nicht sagen jetzt. Das nicht Auge ist. Deklination der Substantive Vier Fälle: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, kaum Kasusmarkierung am Substantiv selbst Stark flektiert und formenreich. Es gibt 6 Fälle (wie im Deutschen + Instrumental und Präpositiv), drei Deklinationstypen, Kasusmarkierung erfolgt am Substantiv durch Hinzufügen von verschiedenen Endungen, viele unregelmäßige Formen Im frühen Zweitspracherwerb werden Kategorien Genus, Nummerus und Kasus sukzessiv in der Reihenfolge Numerus-Kasus-Genus erworben. Beim Erstspracherwerb eher gleichzeitig. Die Unterschiede: verzögerter zeitlicher Ablauf, niedrige Gebrauchshäufigkeit und fehlerhafte Formenbildung Vergangenheitsformen des Verbs Drei Vergangenheitsformen (Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt) Nur eine Vergangenheitsform. Einfache Formbildung, Unterscheidung in der Vergangenheit nach Genus und Numerus: она писала/ он писал/ они писали Im Deutschen müssen die Kinder ein ganz anderes Markierungssystem für die Vergangenheitsformen beherrschen Gebrauch der Verben mit festen Präpositionen (anrufen, stören, sich freuen, sich verabschieden usw.) Zum Beispiel: anrufen + Akkusativ, stören + Akkusativ Zum Beispiel: звонить (anrufen) + Dativ мешать (stören) + Dativ Ich rufe dir an. Du störst mir. Aspekt des Verbs Wird im Deutschen morphologisch nicht realisiert. Im Russischen haben alle Verben einen Aspekt (vollendet/ unvollendet): писать - написать (schreiben), делать - сделать (machen) Keine Übertragungen wurden beobachtet. Den Eltern wird empfohlen, diesen Grammatikbereich des Russischen gezielt zu fördern. Rahmenbedingungen 135 Es-Sätze Die unpersönlichen „es“-Sätze“ sind im Deutschen häufig verbreitet. Das Subjekt wird nicht realisiert. Regnet. Mir schmeckt nicht. Mir ist auch warm. Geht nicht. *V2 - das Verb steht im Deutschen in einem einfachen Satz an der zweiten Stelle: ich gehe ins Kino. **VE - das Verb steht im Deutsch in einem Nebensatz am Satzende: Das Kind ist eingeschlafen, weil es sehr müde war. Rahmenbedingungen Aus zahlreichen Untersuchungen zur Zweitspracherwerbsforschung geht hervor, dass Kinder mit Migrationshintergrund das Deutsche umso leichter und schneller erwerben, je früher sie in den Deutscherwerb einsteigen. Somit wird empfohlen, mit der Sprachförderung der Kinder unmittelbar nach dem Eintritt in den Kindergarten, nach der Eingewöhnungsphase, zu beginnen. Es ist den pädagogischen Fachkräften überlassen, wie die Gruppe zusammengesetzt wird. Die Sprachförderung mit den vorgeschlagenen Themenbereichen kann in der Gruppe mit allen Kindern mit Migrationshintergrund oder nur mit den russischsprachigen Kindern durchgeführt werden. Die Gruppenzusammensetzung hängt von den jeweiligen Förderzielen der Einrichtung ab und vom Entwicklungsstand des Deutschen. Die Gruppe sollte möglichst altershomogen sein und sich ungefähr am gleichen Sprachentwicklungsstand orientieren. Wenn Kinder mit Migrationshintergrund beim Kindergarteneintritt über gar keine Kenntnisse im Deutschen verfügen, muss ihre Sprachförderung gezielt methodisch organisiert und in kleinen Gruppen durchgeführt werden. Wenn sie schon Kenntnisse im Deutschen besitzen, ist es empfehlenswert, die Sprachförderung zusammen mit deutschen Kindern zu gestalten. Es hat positive Zugehörigkeitseffekte zu einer Gruppe und verhindert gruppenbezogene Aussonderungen. Es spricht außerdem nichts dagegen, dass auch deutsche Kinder ihre sprachliche Gewandtheit verfeinern und positive und bereichernde Erfahrungen im interkulturellen Kontext sammeln. Der Erfolg bei der Sprachförderung generell und insbesondere bei der parallelen Sprachförderung beider Sprachen hängt von der Regelmäßigkeit der Durchführung und der zeitlichen Kontinuität ab. Dazu müssen die angebotenen Inhalte an das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes angepasst werden und einen gewissen Fortschritt in der Komplexität und der thematischen und strukturellen Vielfalt enthalten. Die gelernten Inhalte im Rahmen gezielter Sprachförderung sollten in den alltäglichen Abläufen im Kindergarten oft wiederholt werden. 136 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Zusammenarbeit mit den Eltern Wenn die Kinder die Möglichkeit haben, mehrsprachig aufzuwachsen, ist es die Aufgabe der Umgebung, ihnen dafür günstige Rahmenbedingungen zu schaffen und sie dabei gezielt, konsequent und regelmäßig zu unterstützen. Unter Berücksichtigung großer sprachlicher Vielfalt in deutschen Kindertageseinrichtungen ist die Entwicklung ausbalancierter Mehrsprachigkeit bei Kindern auf die Zusammenarbeit und enge Absprache mit den Eltern angewiesen. Die Eltern, in unserem Fall mit russischsprachigem Hintergrund, können durch die enge Kooperation im Hinblick auf eine gemeinsame russisch-deutsche Sprachförderung ihrer Kinder tiefere Einblicke in die pädagogische Praxis der Einrichtung bekommen und durch eine intensive Auseinandersetzung mit der Sprache auch ihre eigene Kompetenz und Einstellung zur Sprachbildung und Erziehung neu überdenken und stärken. Eine erfolgreiche Förderung seitens der Einrichtungen ist ohne Unterstützung der Familie und Eltern nicht möglich. Durch eine für interkulturelle Begegnungen aufgeschlossene Atmosphäre in der Einrichtung kann der erste Schritt für die Kontaktaufnahme zu den Eltern erleichtert werden, Respekt und Interesse an den anderen Kulturen bieten gute Grundlagen für die Zusammenarbeit. Dazu gehören z. B. ein Begrüßungsplakat in den entsprechenden Familiensprachen, eine Übersetzung wichtiger Informationen zum Kita-Alltag in die häufig vertretenen Familiensprachen, die Beschaffung zweisprachiger Bücher, eine Weltkarte im Flur oder Foyer, informelle Tür- und Angelgespräche mit den Eltern usw. Wie kann im konkreten Fall der russisch-deutschen Zweisprachigkeit und doppelten kulturellen Umgebungen eine ausbalancierte Sprachunterstützung in der Praxis umgesetzt werden? Folgende Graphik soll das veranschaulichen. Abbildung 5: Organisationsschritte einer Sprachförderung im Kindergarten Zusammenarbeit mit den Eltern 137 Im ersten Schritt (Abbildung 5) muss im Team abgesprochen werden, dass man sich gemeinsam auf den Weg der konsequenten Sprachförderung begibt. Die Ressourcen der Einrichtung, der Plan und die verantwortlichen Personen bei der Durchführung dieses Projektes und die Zusammensetzung der Zielgruppe stehen zuerst auf der Agenda einer Teambesprechung. Zielführend ist die Förderung und Wertschätzung von beiden Sprachen. Durch das Konzept paralleler Sprachförderung erfährt das Russische als Sprache der Familienkommunikation und Sprache der Eltern oder zumindest eines Elternteiles eine Anerkennung und motiviert die Eltern, sich an der Förderaktivität der Einrichtung zu beteiligen. Auf die Beherrschung der deutschen Sprache als die der sozialen Umgebung wird ebenfalls großer Wert gelegt, indem ein solches Projekt zum integrierten Bestandteil der pädagogischen Arbeit wird. Diese Entscheidung impliziert auch die Herausbildung einer professionellen Haltung in Bezug auf das eigene Sprachverhalten und die Reflexion eigener Kommunikationsweisen mit den Kindern. Die Einrichtung muss, ausgehend vom eigenen Handlungsbedarf und der Zahl der Kinder, die zweisprachig aufwachsen, entscheiden, ob die sprachfördernden Maßnahmen in kleinen Gruppen oder im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten und Angebote, wie z. B. dem Morgenkreis, einem Stuhlkreis, Gesprächsrunden etc. eingebettet werden können. Die Themen der Sprachförderung, die im vorliegenden Buch angesprochen werden, orientieren sich an den Welten und den Interessen der Kinder und sind gut geeignet, in verschiedenen Situationen im Kindergartengeschehen umgesetzt zu werden. Im zweiten Schritt ist die Gewinnung der Eltern und ihre Einbeziehung in die Sprachförderung der Kinder zu überlegen. Zu Beginn bietet sich ein einführender Elternabend an, um in das Thema der Mehrsprachigkeit und der kombinierten Möglichkeit der Sprachförderung zu Hause einzuführen und den Eltern das Gesamtkonzept vorzustellen. Einführender Elternabend zum Thema „Parallele Sprachförderung des Deutschen und des Russischen“ 1 Hier wird ein Beispiel eines einführenden thematischen Elternabends vorgestellt. Für den ersten Elternabend empfehle ich folgende Themen, die bei späteren Elternabenden wieder aufgegriffen und erweitert werden können. 1 Das Team des Kindergartens muss entscheiden, in welchem Rahmen die Sprachförderung durchgeführt wird. Bei einer großen Anzahl von Kindern mit russischsprachigem Hintergrund kann die Sprachförderung als parallele Förderung der beiden Sprachen verlaufen. Die Sprachfördereinheiten können aber auch in der gesamten Gruppe oder in einer kleineren Gruppe mit Kindern verschiedener Muttersprachen im Kindergarten durchgeführt werden. 138 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Einführung ins Thema „Kinder sprachlich fördern“ Die Pädagogen können den Eltern in einer überzeugenden Einführung in das Thema der Mehrsprachigkeit zeigen, wie sie mit minimalem Aufwand ihre Kinder sprachlich stärken können. Das eigentliche Rezept scheint auf den ersten Blick sehr einfach und leicht durchführbar: die Eltern sollen mit dem Kind in ihrer/ seiner Erstsprache sprechen, sprechen, sprechen! Das Spiel als Medium und treibende Kraft auch sprachlicher Entwicklung ist für sprachliche Anlässe, die Einführung und Vertiefung verschiedener Themen und neuer Begriffe am besten geeignet. Die Eltern haben im Spiel mit dem Kind die Möglichkeit, ihre Sprache reflektierter und bewusster einzusetzen. Sie können ihre Vermutungen und Überlegungen zu kinderrelevanten Themen laut äußern, sie können mit ihrer Sprache experimentieren, indem sie einzelne Wörter und Wortverbindungen reimen, ungewöhnliche und phantasiereiche Wortbilder schaffen. Das alles macht Kindern und Erwachsenen Spaß - die Freude am Sprechen und die positiven Spracherlebnisse sind Schlüsselmomente für erfolgreiche Lernprozesse beim Sprachenlernen. Auf den ersten Blick belanglose und alltägliche Situationen, wie das gemeinsame Kochen oder das Benennen und Anschauen der Sachen in der Wohnung, tragen nachweislich viel zum erfolgreichen Spracherwerb bei. Die Aufgabe der Eltern ist es hier, solche Situationen zu initiieren und sie aktiv zu gestalten. Empfehlungen für mehrsprachige Erziehung Wenn die Eltern oder ein Elternteil eine andere Sprache als Deutsch sprechen, haben die Kinder eine gute Möglichkeit, früh beide Sprachen zu lernen. Das gelingt bei normaler Entwicklung des Kindes meistens ohne große Mühe. Die wichtigste Voraussetzung dazu ist, dass die Kinder die beiden Sprachen konsequent hören und genug Gelegenheiten im Alltag bekommen, sie aktiv zu gebrauchen. Besonders für die Familien, in denen beide Elternteile eine andere Sprache sprechen, ist es wichtig, dem Kind die Muttersprache zu vermitteln und so auch seine Identität und sein Selbstbewusstsein zu stärken. Mit ihr werden nicht nur Emotionen und Gefühle ausgedrückt, sondern auch kulturelle Aspekte, darunter die Literatur, Kunst und Geschichte des eigenen Herkunftslandes vermittelt. All dies prägt die Persönlichkeit des Kindes und bietet ihm Grundlagen, sich in beiden Kulturen und Sprachen zu Recht zu finden und heimisch zu fühlen. Um dem Kind das Erlernen beider Sprachen zu erleichtern, kann man den Eltern empfehlen, die Sprachen nicht zu mischen und so für das Kind ein gutes Sprachvorbild zu sein. Das personenbezogene Prinzip können die Eltern wegen verschiedenen Sprachkonstellationen in der Familie und dem Sprachbeherrschungsgrad beider Sprachen nicht immer durchhalten. Sie können alternativ mit dem Kind die Sprachen situationsbezogen gebrauchen. So werden Zusammenarbeit mit den Eltern 139 bestimmte Zeiten, Tage oder Situationen festgelegt, in denen mit dem Kind in einer Sprache konsequent gesprochen wird (siehe Kap. 3). Vorstellung des Konzeptes der parallelen Sprachförderung Durch gleichzeitige Förderung beider Sprachen wird nicht nur der Wortschatz und die Grammatik beider Sprachen eingeübt, sondern auch ein Weltwissen vermittelt, das sich aus beiden Sprachen speist und sich wechselseitig beeinflusst. Um das Interesse der Eltern an der kindlichen Sprachentwicklung und Sprachförderung zu wecken, sind Hospitationen im Kindergarten eine bewährte Arbeitsmethode. Die Eltern bekommen dadurch die Möglichkeit, Sprachförderung life zu erleben und sich zu beteiligen. Aus den Hospitationen können sie neue methodische Ideen mitnehmen, ihre Anwesenheit im Kindergartenalltag kann auch für die Kinder positive, selbstbewußtsein-stärkende Wirkung haben. Die folgende Tabelle soll Eltern eine Übersicht über die Bereiche geben, die bei gemeinsamen Aktivitäten mit dem Kind in der Muttersprache gefördert werden. Tabelle 6: Sprachförderbereiche (in Anlehnung an Knapp & Kucharz & Gasteiger- Klicpera 2010) Die zu fördernden Sprachbereiche Wie sieht es in der Praxis aus? Aussprache Die Aussprache einzelner Laute und Silben sowie die Wahrnehmung der Lautstruktur der Wörter und Sätze wird gefördert. Die Satzmelodie des Russischen wird eingeübt. Die Aussprache schwer auszusprechender und langer Wörter wird durch elterliche Aussprache ebenfalls geübt. Eltern sprechen langsam und deutlich und liefern dem Kind so die korrekten Aussprachemuster des Russischen. Lieder werden gemeinsam gesungen oder gehört, Reime und Gedichte vorgelesen. Das Kind klatscht die einzelnen Silben des Wortes, bestimmt an welcher Stelle sich ein bestimmter Laut befinden (z. B. „o“ im „ корова “, „ ворота “, „ девочка “ - am Anfang, in der Mitte oder am Ende) Grammatik Sprachliche Formen von Substantiven, Verben, Adjektiven und anderen Wortarten werden eingeübt (Deklination der Substantive, Gebrauch verschiedener Präpositionen, Beugung des Verbs, Gebrauch der Zeitformen, Bildung der Mehrzahl, Gebrauch des Verbaspekts, Deklinationen der Adjektive und Ordnungszahlwörter). Satzstrukturen des Haupt- und Nebensatzes werden befestigt und erweitert. Bei jedem Gesprächsanlass werden grammatische Strukturen geübt. Die Eltern versuchen, das Kind zum Sprechen/ Erzählen zu motivieren und unterstützen das Gespräch durch Nachfragen, Erweiterungen kindlicher Äußerungen, Einführung neuer Gesprächsthemen. Durch Vorlesen und Erzählen liefern die Eltern dem Kind vielfältige Sprachmuster für die grammatischen Strukturen. 140 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Wortschatz Der Wortschatz wird qualitativ und quantitativ erweitert, neue Begriffe werden durch begleitende Erklärungen eingeführt und in Gesprächen mit dem Kind befestigt. Durch Benennen der Gegenstände, Handlungen und Erscheinungen erweitert das Kind ständig seinen Wortschatz. Die Eltern achten darauf, dass ihre Ausdrucksweise vielfältig und abwechslungsreich ist. Bei verschiedenen Aktivitäten, wie gemeinsamem Spaziergang, gemeinsamem Kochen oder Einkaufen begleiten Eltern ihre Handlungen sprachlich. Durch themenbezogene Gespräche und gemeinsame Spielbeschäftigungen fördern sie den kindlichen Wortschatz. Erzählkompetenz des Kindes stärken Eine gut ausgebaute Erzählkompetenz ist eine notwendige Grundlage für den schulischen Unterricht. Im Vordergrund steht dabei der logische Aufbau der Erzählung und eine zusammenhängende Darstellung des Inhaltes. Das Kind beschreibt sein eigenes Tun (malen, bauen, spielen). Die Eltern schaffen im Alltag spontane und in den ritualisierten, geplanten Situationen Erzählmöglichkeiten für das Kind. Das Kind erzählt das von ihm Erlebte, Gehörte oder Gesehene. Vorlesen/ Nacherzählen Die Eltern lesen dem Kind Geschichten und Märchen vor und motivieren es dadurch, das Gehörte in der Dialogform zu besprechen. Es ist sehr förderlich, das Interesse an den Mitteilungen des Kindes zu zeigen, es nicht zu unterbrechen und durch aktives Zuhören die Sprechfreude des Kindes aufrechtzuerhalten. Gespräche führen Die Eltern initiieren Gespräche mit dem Kind im Alltag, motivieren es durch weiterführende Fragen. Nach Fernseh- oder Filmsequenzen besprechen die Eltern mit dem Kind das Gesehene. Im Rahmen eines Elternabends könnte man auf die einzelnen Punkte in der Tabelle 6 aufmerksam machen und sie durch Beispiele aus dem Alltag für die Eltern veranschaulichen. Im dritten Schritt überlegt sich die Kindertageseinrichtung die weiteren Kommunikationswege mit den Eltern. Was die Kommunikation und den Austausch mit den Eltern betrifft, empfiehlt sich hier eine Stecktafel (Tabelle 7), die die Eltern über den Stand der Sprachförderung informiert. So können sie genau verfolgen, welche Themen und Aspekte der Grammatik die Kinder im Moment behandeln. Außerdem kann die Einrichtung Arbeitsblätter und andere Materialien für die Förderung zu Hause zum Mitnehmen auslegen. Alle in diesem Zusammenarbeit mit den Eltern 141 Buch vorgeschlagen Sprachfördereinheiten und zusätzlichen Sprachspielideen können ohne gesonderte Vorbereitung in kommunikativen Situationen mit Kindern zu Hause durchgeführt werden. Für die Eltern bedeutet das keinen zusätzlichen Vorbereitungsaufwand. Tabelle 7: Infotafel zum aktuellen Stand der Sprachförderung, ein Beispiel Aktuelles Thema Wörter der Woche Grammatik der Woche Arbeitsmaterialien zum Mitnehmen Wünsche, Fragen, Bemerkungen Tierwelt Bezeichnungen für Wildtiere, Verben der Bewegung (springen, schleichen, hopsen, hüpfen), Eigenschaftsadjektive (schnell, flink, schwungvoll, leichtfüßig) Verbbeugung in der Gegenwart, Adjektiv + Substantiv (schnelles Tier, flinke Bewegung), Substantive + Präposition (auf dem Baum, hinter dem Gebüsch) Kopien mit den Sprachspielen aus dem Themenbereich 4. Die Sprachförderung im Kindergarten sollte für die Eltern möglichst transparent und visuell gut strukturiert gestaltet werden. Im Rahmen eines Elternnachmittags können sie mit den Erzieherinnen einmal im Monat ihre persönlichen Erfahrungen über die Kommunikationen und Sprachspiele zu Hause austauschen. Eltern müssen nachhaltig in die Sprachförderung der Kinder eingebunden sein - sie sind eigentlich die idealen Sprachförderer, sie kennen ihre eigenen Kinder am besten, kennen ihr Sprachverhalten, ihre Vorlieben in der Ausdrucksweise. Deshalb hat die Einbeziehung der Eltern in die Sprachförderung viele positive Momente. Sie werden die Sprachentwicklung des Kindes bewusster erleben und dementsprechend gezielter selbst gestalten. Das Thema „Sprache und Sprachförderung“ kann für Eltern ein Antrieb sein, um selbst ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen oder einen Sprachkurs zu besuchen. Außerdem werden sie ihr eigenes Sprachverhalten offener und bewusster erleben, was zu neuen Kommunikationsformen und intensiverem Einsatz von Sprache in den alltäglichen Interaktionen mit dem Kind führen kann. 142 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Sprachförderkonzept Struktureller Ablauf Alle folgenden thematisch sortierten Spielideen können in verschiedenen Konstellationen durchgeführt werden. Die möglichen Gruppenkonstellationen für die Sprachförderung ergeben sich aus der Gesamtsituation und der Zielsetzung einer Einrichtung. Die Sprachförderung kann sowohl in der Kleingruppe mit russischsprachigen Kindern oder in der Kleingruppe mit Kindern mit Migrationshintergrund, unabhängig von deren Erstsprache, durchgeführt werden. Das Sprachförderkonzept kann auch mit wenig Aufwand in das gesamte Konzept der Einrichtung eingebettet werden. In diesem Fall werden die Themenbereiche in der gesamten Gruppe aufgearbeitet. Jeder Kindergarten entscheidet individuell, in welchem Rahmen die Sprachfördereinheiten durchgeführt werden sollen. Jeder Themenbereich enthält drei bis vier Sprachspiele oder Kommunikationsideen und wird innerhalb von 2 Wochen bearbeitet. Es ist zu empfehlen, die vorgeschlagenen Themen 2 bis 3-mal in der Woche in Form von Stuhlkreisen und Erzählrunden zu behandeln. In der zweiten Woche wird der thematische Wortschatz wiederholt und die Themen für die Eltern mit Hilfe der Stecktafel (siehe Kap. 8.3) weiter vermittelt. Alle 10 thematischen Bereiche erstrecken sich dann insgesamt auf eine Sprachförderung von ca. 6 Monaten. Abschließend wird ein Elternabend organisiert, an dem Eltern und Erzieher ihre Erfahrungen, Probleme und Fortschritte der Kinder besprechen können. Es empfiehlt sich, den gesamten Ablauf der Sprachförderung in Form von Photocollagen und kurzen Kommentaren für die Eltern, für die Kinder selbst und für die Öffentlichkeit zu dokumentieren. Auch für eigene Evaluationszwecke der Einrichtung ist eine digital festgehaltene Dokumentation eine gute Grundlage für die Selbstreflexion und Verbesserung der pädagogischen Arbeit. Zeitlich gesehen sind die Vormittage für solche Gesprächs- und Spielkreise am besten geeignet, da die Kinder sich besser konzentrieren können und durch ihre eigenen Spielaktivitäten im Kindergarten noch nicht zu stark abgelenkt sind. Ein Themenbereich enthält drei bis vier Spielideen, die kaum zusätzliche Materialien erfordern. An die Themenbereiche anschließend findet sich eine Zusammenstellung von weiteren Spielideen, die an das aktuelle Thema im Kindergarten angepasst werden können. Die vorgeschlagenen Spielideen lassen sich sowohl mit dreijährigen Kindern unmittelbar nach ihrer Eingewöhnungsphase als auch mit älteren Kindern gut bearbeiten. Die wichtigste Orientierungsgröße ist dabei der aktuelle Entwicklungsstand in der jeweiligen Sprache des Kindes und seine kommunikativen Möglichkeiten. Bei Kindern, die erst seit kurzem im Kindergarten sind und hier ihre ersten Erfahrungen mit der deutschen Sprache machen, empfiehlt es sich, klar und langsam zu sprechen, kurze Sätze zu wählen, den sprachlichen Ausdruck Sprachförderkonzept 143 durch Bilder und Gegenstände sowie durch Mimik, Gestik und eine eindeutige Körpersprache zu veranschaulichen. Gegenüber den Kindern, die bereits gut ausgebaute Deutschkenntnisse besitzen, kann der sprachliche Ausdruck komplexer und abstrakter sein. Die neuen Inhalte, Zusammenhänge und Ereignisse können mehr rein sprachlich vermittelt werden. Aus der neueren Forschung zum natürlichen Zweitspracherwerb wissen wir, dass Kinder mit Migrationshintergrund bereits innerhalb von 10 bis 12 Monaten die Grundlagen der deutschen Sprache so beherrschen lernen, dass sie ihre Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck bringen können und die grundlegenden sprachlichen Routinen gut meistern (vgl. Tracy 2007). Um aber auf die Schule gut vorbereitet zu sein, müssen die Kinder weiterhin ihre Sprachkompetenz konsequent erweitern. Das bedeutet konkret, sich in ihren weiteren Entwicklungsschritten den komplizierten Teilen der deutschen Grammatik zu nähern, zusammengesetzte Sätze zu bilden, die Formenvielfalt der Wörter zu verfestigen und den Wortschatz zu erweitern. Tabelle 8: Strukturelle und inhaltliche Angaben zum Sprachförderkonzept Gruppenkonstellation Je nach Förderbedarf. Möglich sind folgende Gruppenzusammensetzungen: • kleine Gruppe mit Kindern mit der L1 Russisch • kleine Gruppe mit Kindern mit Migrationshintergrund • für die Gesamtgruppe Beginn • Nach dem dritten Lebensjahr • Nach der Eingewöhnungsphase Dauer der Sprachförderung • Ca. 6 Monate • Beginn - einführender Elternabend • Abschluss - Fest und Elterntreffen Häufigkeit 2 bis 3-mal in der Woche Dauer der Sprachfördereinheit 20 - 40 Minuten Förderrahmen Morgenkreis, Stuhlkreis, Gesprächs- und Erzählrunde Zeit Vormittags zwischen 9.00 und 11.30 Uhr Umfang der Sprachförderung • 10 Themenbereiche mit jeweils 3 bis 4 Sprachspielen und/ oder Kommunikationsideen • Variable Abfolge von Themen • Empfohlene Durchführung: ein Themenbereich in zwei Wochen Elternkommunikation • Stecktafelkonzept • Tür- und Angelgespräche mit den Eltern. • Weitere Empfehlungen: Elternbriefe, Elternabende, • Elterncafe 144 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Teilnahme der Kinder • Einen Stempel- oder Aufkleberzettel für jedes Kind anlegen, ermöglicht die Häufigkeit der Teilnahme bei jedem Kind nachzuvollziehen Wiederholung • Jede zweite Woche werden die Themen, Begriffe und Wortschatz vom aktuellen Themenbereich wiederholt • In der zweiten Wochen bekommen die Eltern mittels der Stecktafel genaue Informationen zu durchgeführten Fördereinheiten Materialien • Bildvorlagen • Sprach- und Kommunikationsspiele zu jedem Themenbereich • Zusätzliche Spielideen • keine zusätzliche Materialienbeschaffung notwendig Dokumentation der Sprachförderung • Kommentierte Photoreihen und Photocollagen • Ein Tagebuch anlegen für die Dokumentation einzelner Sprachfördereinheiten. Inhaltlicher Aufbau Die Handreichungen für die alltäglichen Sprachförderanlässe sind in zehn thematische Einheiten untergliedert, die die Kinderwelten, ihre Interessen und individuelle Themen widerspiegeln. Das Sprachförderkonzept umfasst 10 Themenbereiche: • Ich und meine Umwelt • Unser Kindergarten • Meine Familie und mein Zuhause • Tierwelt: Haustiere, Wildtiere, Vögel • Phantasiewelten • Urlaubsziele • Jahreszeiten • Formen, Mengen und Eigenschaften • Sport und gesunde Ernährung • Meine Lieblingsmärchen und -geschichten Die einzelnen Themenbereiche können in beliebiger Abfolge angeboten werden, je nach Sprachentwicklungsstand der Kinder, aktuellen Themen in der gesamten Gruppe und personellen oder zeitlichen Bedingungen. Die vorgeschlagenen Spiele und Beschäftigungsideen haben einen Gesprächscharakter und tragen zur Förderung kommunikativer Fähigkeiten und der Dialogführung bei. Die Themen sind weiter entwickelbar und können von den pädagogischen Sprachförderkonzept 145 Fachkräften vertieft werden. Die Untergliederung in Themenbereiche dient der Wortschatzerweiterung und seiner weiteren Ausdifferenzierung. Die vorgeschlagenen Themen schaffen interessante Gesprächsanlässe und geben den Kindern die Möglichkeit, in vertrauter Umgebung ihre Meinung zu äußern und Gespräche zu führen. Die frei gestalteten Kommunikationssituationen tragen wesentlich dazu bei, dass jedes Kind zu Wort kommt und sich als bedeutend und wirksam erleben kann. Die Tatsache, dass Evaluationsergebnisse von gezielten, formal ausgeklügelten Sprachförderprogrammen keine nachweisbare Verbesserung der Sprachkompetenz der geförderten Kinder belegen, bekräftigt die hier getroffene Wahl der freien Kommunikation und der Schaffung von Gesprächsanlässen als zentrale Arbeitsmethode mit den Kindern. 2 Diese Methode setzt eine sorgfältige Planung der Gesprächsthemen, eine durchdachte Vorgehensweise für die Initiierung der Anlässe und eine konsequente Selbstreflexion des eigenen Sprachverhaltens bei den beteiligten Erwachsenen voraus. Alle vorgeschlagenen Spielideen und Gesprächsthemen können sowohl für den Kindergartenalltag als auch in familiären Situationen verwenden werden. Sie sind für die individuellen Situationen mit einzelnen Kindern und auch in Gruppen gut praktikabel. Das Konzept ermöglicht es, dank seines offenen Charakters, Kinder mit Russisch als Erstsprache, aber auch Kinder mit Migrationshintergrund allgemein und sogar deutsche Kinder einzubeziehen. Der Leitgedanke des Konzeptes besteht in der parallelen Unterstützung kindlicher Sprachentwicklung mit der Zielsetzung einer gut ausdifferenzierten Zweisprachigkeit. Die enge Kooperation zwischen dem Kindergarten und den Familien und ein ständiger Informationstransfer bezüglich aktueller Themenbereiche, der Grammatik und dem Wortschatz sind hierbei der Garant für einen nachhaltigen Erfolg. Einige methodische Hinweise Die meisten Themen aus den zehn Bausteinen werden in einer gemütlichen Atmosphäre eines Stuhlkreises oder eines Sitzkreises mit Kissen auf dem Boden, durchgeführt. Alle zehn Themenbereiche können spielerisch und interaktiv gestaltet werden. Die Arbeitsmethoden beruhen auf Prinzipien des kindgerecht gestalteten Lernens und betreffen die aktuellen Lebenslagen der Kinder. 2 Im Rahmen einer Evaluationsstudie EVAS (Evaluation der Sprachförderung von Vorschulkindern) wurden die gezielten Sprachfördermaßnahmen im Vergleich zu unspezifischer Förderung im Kindergarten evaluiert. Außerdem wurden die Sprachleistungen der geförderten und nicht speziell geförderten Kinder verglichen. Die Studienergebnisse offenbarten keine unmittelbar nachvollziehbaren Effekte von gezielten, formal durchorganisierten Sprachfördermaßnahmen. Die Kinder haben ihre Sprache „gemäß der zu erwartenden Entwicklungsfortschritte“ verbessert, nicht mehr und nicht weniger (vgl. Schöler/ Ross 2010). 146 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Der Fokus der Förderung liegt in der Entwicklung kommunikativer und narrativer Kompetenz. So sind Erzählungen, dialogisch gestaltetes Vorlesen, Nacherzählen, Rollenspiel, Theaterspiel, Unterhaltung in der Gruppe über ein bestimmtes Thema, Dialogführung mit gezielt formulierten Fragen die häufigsten Arbeitsmethoden im Rahmen der Stuhlkreise, Gesprächsrunden und Kinderkonferenzen. Die pädagogischen Fachkräfte können das sprachliche Lernen von Kindern fördern, wenn sie die Lernprozesse vor dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Kenntnisse gestalten. Wichtig ist, dass die neuen Themen und Inhalte auf vielfältige Weise präsentiert werden und die Lernprozesse unter Aktivierung von motorischen, emotionalen, kognitiven und sprachlichen Fertigkeiten ablaufen. Je mehr Sinne und Tätigkeitsrepertoires gleichzeitig angesprochen werden, desto höher ist die Aufnahme- und Gedächtniskapazität. Kurze Bewegungseinheiten zwischendurch fördern beides. Wie auch beim Fremdsprachenlernen von Erwachsenen ist beim kindlichen Lernen die methodische Vielfalt von Bedeutung. Abwechslung schafft einerseits Entspannung, um neue Informationen zu verarbeiten, andererseits sorgt sie dafür, dass mehr Wahrnehmungswege aktiviert werden. So wird empfohlen, zwischen freiem Spiel, Gruppenarbeit, Erzählrunde, Musizieren, Malen oder Bewegungsspiel zu wechseln und neue Informationen in „kleinen Portionen“ und in kleinen Zeiteinheiten von ca. 10 bis 15. Minuten, einzuführen. Zu viel Neues ist hingegen kontraproduktiv und nicht mehr anregend. Wichtig ist weiterhin, das neu Erlernte aktiv in der Praxis auszuprobieren und auch im Laufe des Tages und in der Kindergartenwoche einzuüben. Bei der Einführung neuer Wörter sollte man darauf achten, dass die Substantive mit einem Artikel eingeführt werden. Bei den Kindern, für die Deutsch die Zweitsprache ist, sollte man besonders auf die deutliche Aussprache bei den Artikeln und den Endungen achten. Neue Inhalte sollten in verschiedenen Kontexten angeboten werden, dass die Kinder die neuen Wörter und Begriffe in verschiedenen Formen und verschiedenen Wortumgebungen hören. Neue Sprachinhalte werden besser behalten, wenn sie bildhaft und durch visuelles Material dargestellt werden. Gerade beim Spracherwerb ist es wichtig, dass Kinder aktiv sprechen und ihre Kommunikation selbst gestalten. Kleine Erfolgserlebnisse fördern gerade auch den sprachlichen Lernprozess. Eine positiv gestaltete emotionale Atmosphäre und ein ermutigender Erziehungsstil sind für den Spracherwerb unabdingbar. Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 147 Handreichungen für den Kindergarten und die Familie Themenbereich 1: Ich und meine Umwelt a. Gesprächsrunde im Stuhlkreis Dieser Themenbereich ist sehr facettenreich und besteht aus vielen kleineren Themen, die die Lebenswelten der Kinder in ihrer Vielfalt widerspiegeln. Viele Themen kann man in der Gruppe in Stuhlkreisen mit den Kindern besprechen. Mögliche Themen für die Gesprächsanlässe sind: • Wie geht es mir heute? Wie fühle ich mich heute? • Mit wem verbringe ich gerne Zeit im Kindergarten? • Was lese ich gerne? • Wie verbringe ich meine Freizeit? • Was interessiert mich zurzeit im Kindergarten? • Mein Lieblingsspiel/ meine Lieblingsbeschäftigung? Die Erzieherin kann zwei bis drei Gesprächsthemen in der Woche einführen. Dafür kann sie die Vorlage 1 (im Anhang) benutzen, um die Antworten der Kinder schriftlich festzuhalten. Dies kann ein informationsreiches Material bei der Erstellung eines Portfolios des Kindes sein und kann in Entwicklungsgesprächen mit den Eltern benutzt werden. Die Eintragungen können auch in verschiedenen Altersstufen gemacht werden, um nachvollziehen zu können, wie sich die Interessen, Themen, Freunde und Sichtweisen auf die Dinge beim Kind verändern. b. Zum Thema „Körper“ Das Thema kann mit Kindern frei gestalten werden. Als Warm-up könnten die Kinder Ihre Lieblingspuppen und Kuscheltiere mitbringen oder sich im Kindergarten heraussuchen und die Körperteile benennen und genau beschreiben. Die Gesprächsrunde kann dann näher auf die Unterschiede zwischen dem Körperbau bei Mädchen und Jungen, bei Menschen und Tieren eingehen. Dies ist natürlich vom Alter der Kinder und ihrem Sprachentwicklungsstand abhängig. c. Zum Thema „Kleidung nach Jahreszeiten und Anlässen“ Die Kinder sitzen im Kreis. Die Erzieherin stimmt für das Thema „Meine Kleidung, wann ziehe ich was an“ ein und beginnt am eigenen Beispiel die Gesprächsrunde: „Im Frühling ziehe ich Übergangsjacken an und bei warmen 148 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Wetter ziehe ich was Leichtes, eine Bluse oder ein T-Shirt an. Was ziehst du gerne an? Mögliche Fragen sind: • Was ziehst Du im Frühling/ Sommer/ Herbst/ Winter an? • Was ziehst Du besonders gerne an? • Was nimmst Du an Kleidung mit, wenn du in Urlaub fährst? • Was ziehst Du beim Schifahren an? • Wie ziehen sich Erwachsene an, wenn sie feiern? • Wann verkleiden sich die Leute hier in Deutschland, und wie? • Als Ergänzung: die Kinder malen Bilder zu diesem Thema. Themenbereich 2: Unser Kindergarten a. Wir haben im Kindergarten viel zu tun Material: Fotos mit den Räumlichkeiten des Kindergartens und des Spielplatzes Der Erwachsene breitet die Photos auf dem Tisch aus, so dass jedes Kind sie gut sehen kann. Die Kinder schauen sich die Bilder genau an. Danach wird gefragt, in welchen Räumen und auf welchen Plätzen sie sich womit beschäftigen. Mögliche Fragen sind: • Was macht Ihr im Bistro/ Essraum? • Ist der Schlafraum gemütlich? • Womit kann man sich im Gruppenraum beschäftigen? • Was unternimmt man auf dem Spielplatz? b. Interview im Kindergarten Material: ein echtes oder ein improvisiertes Mikrofon Der Erwachsene (nach der ersten Spielrunde auch ein Kind) stellt sich in die Mitte des Kreises und berichtet, dass er ein Journalist ist und gerne alle Kinder über das Kindergartenleben interviewen möchte. Das Spiel kann in verschiedenem Tempo durchgeführt werden. Dabei sollte man schnell, aber deutlich sprechen. Die erste Spielrunde kann in normalem Tempo, die nächsten Runden können in schnellerem Tempo durchgeführt werden. Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 149 Mögliche Fragen sind: • Wie heißt die Leiterin des Kindergartens? • Was hast Du gestern zu Mittag gegessen? • Was gefällt Dir im Kindergarten am besten? • Was würdest Du in deinem Gruppenraum ändern? • Welche Spiele vermisst du? • Wie heißt deine Lieblingsgeschichte? • Mit wem spielst Du gerne? • Wie heißt das Lied, welches ihr im Kindergarten zuletzt gesungen habt? • Welche Feste feiert Ihr im Kindergarten? • An welchen Tagen ist der Kindergarten geschlossen? c. Steigerung der Adjektive Von was/ wem gibt es im Kindergarten mehr? Der Erwachsene stellt Fragen und die Kinder antworten der Reihe nach. Manche von diesen Fragen können die Kinder ohne Vorbereitung nicht beantworten. Die Kinder gehen diesen Fragen auf den Grund, indem sie sich die Gruppenräume und den Spielplatz genauer anschauen. Es können, um eine spielerische Wettstreitsatmosphäre zu schaffen, Gruppen gebildet werden. Wer die meisten richtigen Antworten gegeben hat, hat gewonnen. Der Erwachsene muss vorher für sich die richtigen Antworten vorbereiten. Dann wechselt man die Rollen und die Kinder stellen verschiedene Fragen mit „mehr“, „weniger“, „am wenigsten“ und „am meisten“, und die Erwachsenen antworten. Mögliche Fragen sind: • Gibt es in unserer Gruppe mehr Jungen oder mehr Mädchen? • Gibt es in unserer Gruppe mehr Puppen oder mehr Autos? • In welchem Raum befinden sich die meisten Bücher (Spielsachen, Hörkassetten)? • Gibt es im Gruppenraum mehr Tische oder mehr Stühle? • Gibt es im Kindergarten mehr Fenster oder mehr Türen? • Gibt es draußen mehr Bäume oder mehr Büsche? Themenbereich 3: Meine Familie und mein Zuhause a. Finde heraus, was hier falsch ist! Der Erwachsene stimmt die Kinder auf das Spiel ein. Man stellt den Kindern ein imaginäres Buch vor, in dem die Wörter sehr ‚frech‘ sind. Sie tauschen die Plätze um, „schlüpfen in die falschen Sätze hinein“ und so kommt es zu den 150 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit grammatischen und logischen Fehlern und sinnlosen Sätzen. Die Aufgabe der Kinder ist es, diese Fehler aufzudecken. Der Erwachsene schlägt den Kindern vor, sich diese Sätze aufmerksam anzuhören und die Fehler zu finden. Diese Übung fördert logisches Denken, ist für die Erschließung des Satzsinnes und die Entwicklung der auditiven Wahrnehmung und des Humors gut geeignet. Beispielsätze sind: * • Meine Kuschelhase zu Hause hat lange Augen. (Mein Kuschelhase zu Hause hat lange Ohren) • Meine Oma hat in der Suppe ein Topf gekocht. (Meine Mutter hat im Topf eine Suppe gekocht) • Die Mutter hat ein Apfelkuchen gekocht. (Die Mutter hat einen Apfelkuchen gebacken) • Im Kühlschrank schlaft unsere Katze. (Im Wohnzimmer schläft unsere Katze) • Meine Eltern gehen jede Tag in die Schule. (Meine Eltern gehen jeden Tag zur Arbeit) • Meine Familie sitzt unter den Tisch und isst zu Mittag. (Meine Familie sitzt am Tisch und isst zu Mittag) • Unser Garten hat viele Zimmern. (Unser Haus hat viele Zimmer) • Nach dem Schlafengehen liest mir meine Mutter aus dem Malbuch. (Vor dem Schlafengehen liest mir meine Mutter aus dem Buch vor) *Die markierten Wörter weisen falsche Grammatik auf. b. Zum Thema: „Meine Familie“ Die Kinder bringen Photos ihrer Familie (max. 4 Photos) in den Kindergarten mit. Beim gemeinsamen Basteln bekommt das Kind eine bunte Pappe, schneidet die Bilder oder Bildepisoden aus und klebt sie auf die Pappe. Die Kinder haben dabei die Möglichkeit, die eigene Familie ganz persönlich darzustellen, dazu auch auf der Pappe Bilder zu malen. Die Erwachsenen helfen den Kindern, die Pappen zu beschriften und eventuell Kommentare zu den Bildern aufzuschreiben. Variante: Aus vielen Bildern kann eine wunderschöne Collage aller Familien gemacht und im Vorraum des Kindergartens aufgehängt werden. c. Bildung der Mehrzahl oder „Ein Auto - zwei Autos“ Die Eltern stellen zwei Abzüge von einem oder zwei Photos bereit. Die Photos können Familienmitglieder oder Spielsachen des Kindes darstellen. Die Kinder schneiden die ausgewählten Bilder aus und kleben sie auf Memoriekärtchen. So entsteht ein ganz individuelles Memoriespiel für die gesamte Gruppe. Dabei üben die Kinder die Bildung der Mehrzahl, indem sie beim Umdrehen der Kärt- Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 151 chen das Geschilderte auch in der Mehrzahl benennen. Erweiternd können die Kinder noch sagen, wessen Photo es jeweils ist. Das Spiel ist auch gut geeignet, um das Gedächtnis zu trainieren. d. Beschreibe das Bild! Kinder sitzen im Kreis. Die Erzieherin zeigt ein Bild (Bild 1 unten), auf dem eine Familie abgebildet ist. Jedes Kind wird der Reihe nach aufgefordert, seine Meinung zum Bild zu sagen. Die folgenden Fragen können dem Kind dabei behilflich sein: • Wen siehst Du auf dem Bild? • Was gefällt Dir auf dem Bild besonders gut? • Was findest du auf dem Bild ungewöhnlich/ komisch/ eigenartig? • Was möchtest Du über deine Familie erzählen? • Wer gehört zu Deiner Familie? In so gestalteten Kommunikationskreisen lernen die Kinder Ihre eigene Meinung, ihre Gefühle und Einstellungen zu äußern. Bild 1: Meine Familie 152 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Themenbereich 4: Tierwelt − Haustiere, Wildtiere, Vögel a. Was passt nicht in die Reihe? Der Erwachsene sagt eine Wortreihe zum Thema „Tierwelt“, in die ein Wort nicht passt. Die Kinder wiederholen die Reihe und lassen das unpassende Wort aus. Die Kinder lernen dabei, die Sachen bestimmten Oberbegriffen zuzuordnen und zu kategorisieren. Beispiele mit Wortreihen: • Löwe - Tiger - Hase - Puma (Raubtiere) • Küken - Henne - Hahn - Wurm (Hühner) • Katze - Hund - Hamster - Ratte (Haustiere) • Schmetterling - Specht - Kuckuck - Nachtigall (Vogelarten) • Wolf - Hund - Känguru - Marder (Vierbeiner) b. Stimmen der Tiere nachahmen Die Kinder sitzen in einem Kreis, es werden ihnen Kärtchen mit verschiedenen Tieren gezeigt. Der Reihe nach benennen die Kinder die Tiere und ahmen sie nach. Erweiternd kann dieses Spiel in der Turnhalle durchgeführt werden, indem die Kinder noch die Körperhaltungen und Fortbewegungsweise der Tiere nachahmen sollen. Das Spiel ist sehr gut geeignet, um verschiedene Stimmlagen und Stimmstärken sowie die Grob- und Feinmotorik zu üben. Variante: Den Kindern werden Bilder mit Tieren und ihrem Nachwuchs gezeigt. Sie benennen die Jungen der Tiere. Zum Beispiel: Wie heißt das Kind einer Kuh/ eines Pferdes/ eines Schafes/ eines Schweins, eines Hundes? c. Typische Eigenschaften von Tieren Den Kindern werden Bilder mit Tieren gezeigt. Die Kinder versuchen, die charakteristischen Eigenschaften für diese Tiere zu finden. Beispiele: • Ameise - fleißig • Bär - stark, tollpatschig • Affe - flink, gewitzt • Biene - fleißig • Esel - dumm, stur • Fuchs - schlau, listig • Hahn(Gockel) - stolz, überheblich • Hase - schnell, ängstlich • Katze - geschmeidig • Lamm - unschuldig, sanft, brav • Löwe - mutig, stolz • Luchs - wachsam, schlau • Rabe - schlau • Reh - scheu • Pfau - hochmütig, eitel • Schaf - dumm, einfältig • Schildkröte - langsam • Schwein - schmutzig, verfressen Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 153 d. Die Welt der Fortbewegungsverben Das Spiel ist am besten in der Turnhalle durchzuführen und ist sehr gut sowohl zur Erweiterung des thematischen Wortschatzes als auch zur Unterstützung motorischer Koordination geeignet. Der Erwachsene nennt ein Verb, z. B. „kriechen“ und fragt zuerst die Kinder in der Runde, welche Tiere kriechen. Nachdem diese Frage geklärt ist, versuchen alle Kinder, die Fortbewegung dieser Tiere nachzuahmen. Beispiele: • Kriechen: Schlange, Raupe, Wurm, Eidechse • Hüpfen: Frosch, Hase, Grashüpfer • Fliegen: Vögel, Schmetterling, Biene, Käfer • Schwimmen: Fisch, Wal, Delfin, Walross, Robbe, Pinguin Bild 2: Tierwelt 154 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Zum Themenbereich „Tierwelt“ finden sie das Bild 2 mit verschiedenen Tieren, die in unseren Regionen vorkommen. Anhand des Dargestellten kann man mit den Kindern die Vielfalt der Tierwelt besprechen, neue Tierbezeichnungen einführen und so ihren Wortschatz erweitern. Die mehrperspektivische Darstellung auf einem solchen Bild kann dafür genutzt werden, verschiedene Präpositionen auf, vor, unten, hinter, in, an, links, rechts und Adverbien wie oben, unten, hinten, vorne, sowie Konstruktionen wie im Hintergrund, im Vordergrund, in der Mitte einzuüben. Solche Wörter und Wortverbindungen mit räumlichen Angaben werden häufig in narrativen Konstruktionen genutzt. e. Schachtel und Tiere Anhand der Bilder (Bild 3 und Bild 4) müssen die Kinder das Tier und seine Position in Bezug zur Schachtel benennen. Zum Beispiel: Die Maus hüpft auf der Schachtel. Die Schlange ist in der Schachtel usw. Das ist eine gute Übung für räumliche Präpositionen (vor, von, aus, auf, in, hinter, neben, unter, durch, um … herum, mit, über). Themenbereich 5: Phantasiewelten a. Eine offene Geschichte … Im Stuhlkreis beginnt die Erzieherin eine Geschichte zu erzählen. Der Anfang könnte so lauten: „Es war einmal im Sommer. Nach langen Hitzetagen sammelten sich am Himmel dunkle Wolken und es donnerte bereits in der Ferne. Es begann zu dunkeln. Die Straßen waren menschenleer. Nur eine alte Frau mit einem riesig großen Regenschirm, der sie zur Hälfte bedeckte, so dass ihr Gesicht nicht mehr zu sehen war, ging durch die Straße. Auf einmal fing es an, stark zu regnen. Plötzlich hat die alte Frau ….“ Der Reihe nach setzen die Kinder nun die Geschichte fort. Dabei können sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen und lernen, in logischen Zusammenhängen zu erzählen. Die Kinder stellen dabei selbst fest, dass eine Geschichte eine Einleitung, einen Hauptteil mit einem spannenden Höhepunkt und einen Abschluss haben muss. Nachdem die Geschichte fertig erzählt wurde, suchen die Kinder gemeinsam einen Titel für sie. b. Spiel „Stell dir vor …“ Jedes Kind soll sich vorstellen, dass sich bei ihm zu Hause ein Tierchen heimlich eingenistet hat und das Kind dieses Wesen eines Tages entdeckt. Das kann eine beliebige Gestalt aus den allen Kindern bekannten Märchen und Geschichten, wie z. B. Kater Findus (Geschichten von Pettersson und Findus), Herr Nilson Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 155 Bild 3: Präpositionen-Spiel: Was machen die Tiere? 156 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Bild 4: Präpositionen-Spiel: Was machen die Tiere? (Teil II) Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 157 (der Affe von Pippi Langstrumpf) oder ein kleiner Dinosaurier (Der kleine Dino) sein. Die Erwachsenen können den Kindern dann folgende Fragen stellen: • Was machst du mit dem Tier? • Was wirst du ihm zu Essen geben? • Wie wirst du ihm sein Zuhause einrichten? • Wohin wirst du mit ihm spazieren gehen? • Wie wirst du deine Eltern davon überzeugen, dass das Tierchen bei dir wohnen bleiben soll? c. Zauberwörter sammeln Das Spiel hat einen Wettbewerbscharakter. Die Kinder werden aufgefordert, möglichst viele Höflichkeitswörter zu nennen, die man als „Zauberwörter“ kennt. Wenn man diese Zauberwörter benutzt, können viele Kinderwünsche in Erfüllung gehen, viele Missverständnisse ausgeräumt und viele Freundschaften gerettet werden. Was sind das für Wörter? Die Kinder nennen nacheinander ein Wort. Es wird empfohlen, das Spiel in einer kleinen Gruppe mit max. 6 Kindern zu spielen. Die möglichen Zauberwörter und -phrasen sind hier: Entschuldigung - Verzeih mir! - Das wollte ich nicht! - Guten Appetit! - Danke - Bitte - Es tut mir Leid - Kann ich dir helfen? - Wie geht es dir? - Ich freue mich, dich wieder zu sehen - Mach’s gut - Viel Glück! - Alles Gute! - Auf Wiedersehen - Es hat mich gefreut, dich zu sehen. d. Ist das wahr? Die Kinder sitzen im Kreis und hören die Sätze, die der Erwachsene vorliest oder frei spricht. Wenn der Satz richtig ist, klatschen sie in die Hände, wenn der Satz falsch ist, schütteln sie verneinend mit dem Kopf. Danach kann man die Kinder bitten, ihre Antworten zu begründen. Beispielsätze: • Ein Wolf fliegt über dem Fluss. Ist das wahr? • Ein Eichhörnchen liest ein Buch. Ist das wahr? • In der Nacht scheint die Sonne? Ist das wahr? • Eine böse Hexe wohnt im Wald? Ist das wahr? • Pipi Langstrumpf geht nicht in die Schule, weil sie noch klein ist? Ist das wahr? • Ein Hase läuft über den Schnee. Ist das wahr? • Die Vögel zwitschern im Frühling? Ist das wahr? • Auf den Bäumen wachsen Gummibärchen. Ist das wahr? 158 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Themenbereich 6: Urlaubsziele a. Was hast du dir auf dem Bild/ Photo gemerkt? Material: verschiedene Photos oder Bilder mit beliebigen Motiven zum Thema „Urlaub und Erholung“ (max. 6 Stück). Sehr gut sind dafür die eigenen Fotos der Kinder aus dem Urlaub geeignet, weil sie persönlichen Bezug zu den Kinderwelten schaffen. So sind die Kinder motivierter und interessierter, über die eigenen Erlebnisse zu sprechen. Der Erwachsene zeigt den Kindern kurz ein Bild (ca. 5 Sek.). Dann erzählen die Kinder, was sie gesehen haben. Der Erwachsene motiviert durch detaillierte Fragen, sich an die Einzelheiten zu erinnern. Unterstützende Fragen sind: • Welche Gegenstände habt ihr auf dem Bild gesehen? • Was war auf dem Bild im Vordergrund, was war im Hintergrund? • Welche Farben waren auf dem Bild? • Wie viele Gegenstände gab es? • Wie viele Personen hast du auf dem Bild gesehen? b. Rate mal, was ich im Urlaub gegessen/ getrunken/ gespielt/ gehört/ gesehen habe! Diese Spielidee ist sehr gut geeignet, um den Kindern den letzten Urlaub und die schönsten Momente noch einmal in Erinnerung zu rufen. Bei diesem Spiel werden wichtige grammatische Aspekte wie Bildung des Partizips Perfekt und Akkusativbildungen bei den Substantiven geübt. Unterstützende Fragen sind: • Wo warst du im Urlaub? • Mit wem hast du deinen letzten Urlaub verbracht? • Was hast du im Urlaub gegessen? • Was hat dir am besten geschmeckt? • Mit wem und was hast du im Urlaub gespielt? • Was hast du im Urlaub Spannendes und Interessantes gesehen? Das Spiel kann auch so ablaufen, dass ein Kind zu seinem letzten Urlaub Fragen stellt und die anderen Kinder die Antworten erraten müssen. So geht das Spiel der Runde nach weiter. Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 159 c. Gesprächsthema: „Ab in den Urlaub. Aber womit? “ Als „Aufwärmphase“ beginnt der Erwachsene mit der Einführung ins Thema. In Frage-Antwort-Form werden, anhand der zwei Bilder (Bild 5 und Bild 6), mögliche Verkehrsmittel mit den Kindern besprochen. Die Fragen werden so formuliert, dass man den persönlichen Bezug zu diesen Themen herstellt. Die möglichen Fragen können lauten: • Wie kommst du in den Kindergarten - zu Fuß oder mit einem Verkehrsmittel? • Welches Verkehrsmittel benutzt du besonders gerne? • Womit fährst du mit den Eltern in den Urlaub? • Womit bist du noch nie gefahren? Ein Gespräch anhand von Bildern über Verkehrsmittel ist auch den Eltern zu Hause zu empfehlen. Die deutsche Konstruktion „fahren/ fliegen mit …“ wird auf Russisch anders gebildet. Hier ist ein Verb + ein Substantiv mit der Präpositionen „auf“ zu gebrauchen. Da es eben verschiedene Ausdrucksweisen für die Verkehrsmittel in beiden Sprachen gibt, ist es für den Lernerfolg wichtig, sie mit den Kindern zu Hause bewusst zu üben. Themenbereich 7: Jahreszeiten a. Rate mal, was das ist! Der Erwachsene denkt an eine Jahreszeit und an etwas, dass diese Jahreszeit näher beschreibt. Die Kinder haben zu raten, um was es sich handelt. Als Hilfe kann der Erwachsene die unten vorgeschlagene assoziative Reihenfolge benutzen. Das Spiel fördert auch das assoziative Denken und die Bildung von Sammel- und Oberbegriffen. Beispiele: • Stamm, Zweige, Blätter (Baum) • Wellen - Salz - warm - schwimmen (Meer) • es donnert - es blitzt - windig - unheimlich (Unwetter) • gelbe Blätter - kalte Nächte - Sturm - Ernte sammeln (Herbst) • Schlittschuh fahren - Schneeflöckchen - Schneemann - Weihnachten (Winter) • Baumblüte - Naturerwachen - Duft von Blüten - Zwitschern der Vögel (Frühling) • Ferien - heiße Tage - Schwimmbad - Urlaub (Sommer) 160 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Bild 5: Verkehrsmittel (Teil I) Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 161 Bild 6: Verkehrsmittel (Teil II) 162 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit b. Warum-Spiel Der Erwachsene stellt im Stuhlkreis Fragen, um nach dem Grund bestimmter Sachen und Ereignisse zu fragen. Zu Beginn kann der Erwachsene, um den Kindern Muster für die Antwortsätze zu zeigen, den ersten Teil des Satzes bei der Antwort übernehmen (z. B. Im Winter zieht man sich warm an, weil es kalt ist und man friert). Dieses Spiel ist gut geeignet, um die weil-Nebensätze einzuüben. Der Erwachsene soll darauf achten, dass die Kinder mit den vollständigen Sätzen antworten. Mögliche Fragen zum Thema „Jahreszeiten“: • Warum zieht man sich im Winter warm an? • Warum ist es draußen nass geworden? • Warum sind im Winter keine Fliegen zu sehen? • Warum sind Blätter im Herbst gelb und rot und braun? • Warum wird die Wäsche im Sommer draußen schnell trocken? • Warum braucht man im Sommer manchmal eine Sonnenbrille? c. Was uns die Bilder über die Jahreszeiten verraten Anhand der vier Bilder zu Jahreszeiten (Bild 7 und Bild 8) kann man mit den Kindern ein Gespräch beginnen. Es sollte zum Anlass genommen werden, sich mit den Kindern über das Wetter, Aktivitäten, Feste und Feiertage und eigene Vorlieben und Lieblingsbeschäftigungen in den verschiedenen Jahreszeiten auszutauschen. Die Kinder können sich von den Bildern inspirieren lassen und eigene Bilder zu dieser Thematik malen. Themenbereich 8: Formen, Mengen und Eigenschaften a. Präpositionen-Spiel „Was ist worin? “ Im Stuhlkreis sagt der Erwachsenen jeweils zwei Wörter und bittet die Kinder, aus diesen Wörtern einen Satz zu bilden. Beispielsätze: • Suppe, Topf (Die Suppe ist im Topf) • Hand, Ball (Der Ball ist in der Hand) • Blumen, Vase (Die Blumen sind in der Vase) • Buch, Bild (Das Bild ist im Buch) • Kinder, Kindergarten (Die Kinder sind im Kindergarten) • Haus, Junge (Der Junge ist im Haus) • Wasser, Glas (Das Wasser ist im Glas) • Geld, Geldbeutel (Das Geld ist im Geldbeutel) Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 163 Bild 7: Jahreszeiten: Frühling, Sommer 164 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Bild 8: Jahreszeiten: Herbst, Winter Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 165 Variante für Fortgeschrittene: Der Erwachsene wirft einen Ball einem Kind mit der Aufforderung der ersten Wortkombination zu. Das Kind antwortet und überlegt sich die nächste Wortkombination für ein anderes Kind und wirft dabei den Ball weiter zum nächsten Kind. b. Ähnlichkeiten bemerken Material: Spielsachen mit verschiedenen Eigenschaften - rund, viereckig, gelb, rot, grün, schmal, breit. Der Erwachsene stellt verschiedene Spielsachen und Gegenstände auf den Tisch. Die Kinder benennen zuerst die Gegenstände. Im nächsten Schritt überlegen sie sich, welche weiteren Gegenstände ähnliche Eigenschaften besitzen. Beispiele: • Gegenstände nennen, die so rund sind wie ein Ball (Sonne, Melone, Apfel, Tomate, Aprikose, Luftballon, Kartoffel, Rad). • Gegenstände nennen, die so rot sind wie eine Tomate (roter Apfel, Pfirsich, Kirchen, rote Blätter im Herbst). • Gegenstände nennen, die so dünn sind wie eine Schnur (Strohhalm, Gürtel, Springseil, Faden). • Gegenstände nennen, die so „viereckig“ sind wie ein Würfel (Buch, Heft, Tisch, Tafel, Bilderrahmen, Schwamm). c. Wie ist das? Anhand des Bildes (Bild 9) können sich die Kinder die markantesten Eigenschaften der dargestellten Gegenstände bewusster einprägen, indem sie sie benennen. Die Kinder können das Spiel weiter führen, in dem sie nach Gegenständen mit entgegengesetzten Bedeutungen in ihrer Umgebung suchen. Es geht um folgende Paare: kalt - warm rund - viereckig 166 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit leicht - schwer dick - dünn groß - klein Bild 9: Eigenschaften benennen Themenbereich 9: Sport und gesunde Ernährung a. Was ich gerne esse? Der Erwachsene erzählt, was er gerne isst und gerne kocht. Danach erzählt das Kind über seine Vorlieben beim Essen. Dabei wird im Kindergarten danach gefragt, was Mama oder Papa zu Hause kochen und das Kind gerne isst. Zu Hause fragen die Eltern umgekehrt. Variante I: In Form eines Kreises unterhält man sich mit den Kindern zum Thema „Essen“. Die Kinder erzählen beispielsweise, was sie in letzter Zeit gegessen haben und was ihnen besonders geschmeckt und nicht geschmeckt hat. Variante II: Um die Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen zu sensibilisieren, erfragt der Erwachsene, wie bestimmte Sachen schmecken. Man kann konkrete Lebensmittel zum Ausprobieren einsetzen. Die Kinder probieren die Sachen mit geschlossenen Augen und müssen raten, was sie gerade gegessen haben. Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 167 b. Welches Essen ist gesund/ ungesund? Anhand der Bildvorlage (Bild 10) sitzen die Kinder im Kreis und unterhalten sich über ihre Essgewohnheiten. Das Bild soll darauf einstellen, über gesundes und ungesundes Essen zu sprechen. Bild 10: Gesundes/ ungesundes Essen c. Sportarten, die ich kenne Die Kinder sitzen im Kreis und betrachten das Bild mit verschiedenen Sportarten (Bild 11). Sie müssen die auf dem Bild dargestellten Sportarten benennen. Danach zeigt die Erzieherin weitere Sportarten. Die Kinder müssen raten, um welche Sportarten es sich handelt. Mögliche Sportarten zum Raten: Fechten, Boxen, Rennen, Hockey, Golf, Paddeln, Volleyball. Damit die Kinder auch in Bewegung kommen, kann das Spiel verändert werden, indem auch die Kinder abwechselnd Sportarten vorstellen. 168 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Bild 11: Sportarten Handreichungen für den Kindergarten und die Familie 169 d. Luftkünstler Das Spiel ist gut geeignet, um die Bewegungskoordination, visuelles Gedächtnis und anschauliches Denken zu fördern. Der Erwachsene erzählt den Kindern eine Geschichte und malt dabei in der Luft verschiedene Linien, Figuren und Bilder, die die Geschichte begleiten. Die Kinder werden aufgefordert, die Bewegungen des Erzählenden nachzuahmen. Die Geschichte wird in langsamem Erzähltempo erzählt, damit die Kinder sowohl dem Inhalt folgen als auch die Bewegungen mitmachen können. Die Geschichte über den Luftkünstler Es gab einmal einen Künstler. Er hat alles gemalt, was er um sich herum sah. An einem frühen Morgen wachte er auf und sah einen Horizont. (Der Erwachsene zeichnet mit einer imaginären horizontalen Linie den Horizont). Da sah er plötzlich eine brennende rote Kugel. Das war die Sonne. (Hier und im Weiteren malen der Erwachsene und die Kinder in der Luft. Hier malen sie die Sonne). Die Sonne schien auf die Berge („Berge“ malen), dann auf den Fluss („Fluss“ malen), wanderte weiter und schien auf den Wald, in dem sehr viele Tannen wuchsen („Tannen“ malen). All das hat der Künstler gemalt. Als er weiter malen wollte, sah er auf einmal eine große dunkle Wolke („Wolke“ malen). Und bald danach fing es an, zu regnen („Regen“ malen). Der Regen machte die Dächer („Dächer“ malen), den Sandkasten („Sandkasten“ malen) und die Kinder, die im Sandkasten spielten, nass. Bald hörte es wieder auf zu regnen. Im Himmel erschien ein wunderschöner Regenboden („Regenbogen“ malen) und die Sonne („Sonne“ malen) kam wieder heraus. So schöne Bilder malte der Künstler. Und ihr, Kinder, habt ihm dabei geholfen! Variante: Die Kinder erzählen ihre eigene zusammengestellte Geschichte und versuchen, mit Händen und Körper die Geschichte zu unterstützen. Ein Kind sagt einen Satz und begleitet ihn mit entsprechenden Bewegungen. Das zweite Kind setzt die Geschichte fort. So wird die Geschichte zu Ende erzählt. Themenbereich 10: Meine Lieblingsmärchen und -geschichten a. Ich bin ein Märchenerzähler! Die Kinder sitzen im Kreis. Heute ist ein Tag, an dem jedes Kind die Möglichkeit hat, sein Lieblingsmärchen zu erzählen. 3 Die Aufgabe kann komplizierter gemacht werden, indem vom Erwachsenen 3 bis 4 Wörter für die Geschichte des Kindes angeboten werden. Beispielsweise erzählt ein Kind eine Geschichte, die es frei erfindet oder schon mal gehört hat und es muss dabei folgende Wörter: Weg, Wald, Reise, Gefahr in den Text der Erzählung einfügen. 3 Je nach der Anzahl der Kinder in der Gruppe muss der Stuhlkreis fürs Märchenerzählen mehrmals angeboten werden, damit jedes Kind zu Wort kommt. 170 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit b. Unser Gruppenmärchen Im Stuhlkreis werden die Kinder gebeten, sich an Ihr Lieblingsmärchen und dessen Hauptfiguren zu erinnern. Dann schlägt der Erwachsene vor, dass alle Kinder zusammen ein gemeinsames Märchen erzählen. Dabei können sie ihre Lieblingsgestalten aus den bekannten Märchen übernehmen und in ein gemeinsames neues Märchen integrieren. Der Erwachsene führt Regie, indem er die Anfangssätze für die Kinder ansagt und jedes Kind fügt dann eine eigene Fortsetzung der Geschichte hinzu. So entsteht ein ganz neues Märchen in der Gruppe. Es ist wichtig, die Kinder dabei oft zu loben, anzuleiten, zu unterstützen und ihnen so Wertschätzung und die Anerkennung ihrer Phantasien und ihrer bildhaften Vorstellungen zu zeigen. Dieses Spiel fördert das monologische Sprechen bei Kindern, ihre Phantasie und ihre schöpferische Vorstellungskraft. Beispiele für den Anfang der Sätze: • Es war einmal … • Sie waren sehr … • Über alles in der Welt liebten sie … • Deswegen gingen sie oft … • Einmal gingen sie in … und hörten … • Es zeigte sich, dass es … • Sie haben sofort … • Und plötzlich ist etwas Ungewöhnliches passiert. … • Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch und … Spiel- und Beschäftigungsideen für den Kindergarten und die Familie Korrekte Bilderreihen Auf dem Tisch werden Kärtchen mit verschiedenen Bezeichnungen (Kleidung, Obst und Gemüse, Gesichter mit dem Ausdruck verschiedener Emotionen, Verkehrsmittel, Jahreszeiten, Möbel usw.) ausgebreitet. Die Kinder müssen die Kärtchen ordnen, indem sie verschiedene thematische Reihen bilden. Geförderte Bereiche: thematischer Wortschatz, Kategorisierung von Gegenständen. Kindzentrierte Bilderbuchbetrachtung Das Kind und der Erwachsene kommentieren abwechselnd, was sie im Buch sehen und ob ihnen das gefällt. So wird die Aufmerksamkeit auf Details gelenkt. Spiel- und Beschäftigungsideen für den Kindergarten und die Familie 171 Das Kind oder der Erwachsene sagt dann seine eigene Meinung zum Gesehenen. Ein Beispiel: Ich sehe hier ein kleines Häuschen und es gefällt mir. Es erinnert mich an das Häuschen aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“. Geförderte Bereiche: Akkusativ, Plural, Erweiterung der Ausdrucksweise und des Wortschatzes. Spielideen mit Bällen Spielen mit unterschiedlichen Bällen (klein, groß, mittelgroß) aus unterschiedlichem Material (Stoff, Plastik, Holz, Gummi). Das Kind beschreibt die Form und das Material des Balles. Geförderte Bereiche: Adjektive, Steigerung der Adjektive, Erweiterung des Wortschatzes, Training der Feinmotorik der Finger. Variante: Die Kinder beschäftigen sich mit der Frage, was man mit den Bällen machen kann (z. B. werfen, rollen, fangen, kicken). Jedes Kind sagt ein Verb dazu und versucht, mit diesem Verb einen Satz zu bilden (z. B. rollen - Der Ball rollt unter den Stuhl, hinter die Tasche, auf die Hand, zwischen die Stuhlbeine). Geförderte Bereiche: Einüben von Verben und räumlichen Präpositionen. Betrachten von Wimmelbüchern Gegenstände suchen und benennen und die Bilder beschreiben. Wimmelbücher sind gut geeignet, um das Spiel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ zu spielen. Die Erwachsenen sollen darauf achten, dass sie als Vorbilder für das Sprachverhalten des Kindes in vollständigen Sätzen sprechen und vielfältige Wortwahl einsetzen. Geförderte Bereiche: Konzentration, thematischer Wortschatz, Satzstrukturen. Sortierübung mit Knöpfen Die Kinder müssen große, mittlere und kleinere Knöpfe in drei Reihen aussortieren. Beim Aussortieren benennen sie die Farbe der Knöpfe. Zum Schluss zählen sie, wie viele Knöpfe sie in jeder Reihe haben. Geförderte Bereiche: Steigerung der Adjektive, Zahlen, Größe und Formen. „Detektiv mit der Lupe“ Als Vorlage nimmt man ein Buch, eine Kinderzeitschrift oder ein Photo. Das Kind betrachtet das Bild durch die Lupe und beschreibt die gesehenen Gegenstände, Personen, Bilder. Geförderte Bereiche: Erweiterung des Wortschatzes, Förderung der Konzentration, Einüben der Adjektive, die den Gegenstand näher charakterisieren. 172 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit Collagen-Zusammenstellung Aus verschiedenen Werbeprospekten (Spielsachen, Lebensmittel, Bekleidung, Möbel) die Sachen aus einem thematischen Feld ausschneiden und auf einen Karton aufkleben. Geförderte Bereiche: Wortfeldarbeit zu bestimmten Themen, Feinmotorik. Ein Gegenstand weniger Auf dem Tisch breitet man fünf bis zehn Gegenstände/ Bilderkärtchen aus (je nach Alter des Kindes). Gemeinsam schaut man sich alle Bilderkärtchen an. Das Kind dreht sich danach um und der Erwachsene nimmt einen Gegenstand/ ein Bilderkärtchen weg. Das Kind soll durch gezielte Fragen erraten, was fehlt. Zum Beispiel fragt das Kind „Ist es groß oder klein? Kann man es essen? Haben wir es im Kindergarten oder zu Hause? Geförderte Bereiche: Wortschatz, Fragestrukturen. Was passt nicht in die Reihe? Der Erwachsene sagt eine Wortreihe, in die ein Wort nicht passt. Die Kinder wiederholen die Reihe und lassen das unpassende Wort aus. Beispiele mit Wortreihen: • Kreis - Viereck - Linie - Dreieck - Springseil • Tag - Woche - Monat - Bild - Jahr • Sommer - Winter - Nacht - Frühling - Herbst • Tasse - Brei - Teller - Schale - Glas • Regen - Schnee - Hagel - Pferd - Nebel • Tante - Onkel - Cousine - Nichte - Haus • Tisch - Stuhl - Hocker - Sofa - Katze Geförderte Bereiche: thematischer Wortschatz, Merkfähigkeit, Kategorisierung Sprechende Farben Man gibt dem Kind Buntstifte, das Kind sucht sich einen Stift in bestimmter Farbe heraus und sagt, was es damit alles malen kann. Z. B.: Mit blauem Stift kann ich den Himmel, das Meer, die Blume malen. Danach malen die Kinder ihre Bilder. Geförderte Bereiche: Farbbezeichnungen, Phantasie, Feinmotorik. Spiel- und Beschäftigungsideen für den Kindergarten und die Familie 173 Sag’ den Gegensatz und sammle die Taler! Der Leiter/ die Leiterin des Spiels sagt ein Wort, die anderen Spieler müssen den Gegensatz zu diesem Wort nennen. Für jede richtige Antwort bekommt der Spieler einen Taler. Als Taler können Knöpfe oder Schokotaler genommen werden. Wer die meisten Taler hat, hat gewonnen. Beispiele für Antonyme: • vorwärts - rückwärts • Freund - Feind • nass - trocken • hell - dunkel • sauber - schmutzig • hoch - niedrig • süß - sauer • Tag - Nacht • schmal - breit • kalt - warm Geförderte Bereiche: Eigenschaftsadjektive, Antonyme. Wie riecht das? Anhand der vorhandenen Sachen und Gegenstände in der Wohnung oder im Kindergarten können die Kinder ihre Vermutungen und Erfahrungen austauschen, wie bestimmte Sachen riechen (z. B. Blumen, Brot, Obstsorten, Seifen, Shampoos, Essen). Geförderte Bereiche: thematischer Wortschatz, olfaktorische Sinneswahrnehmungen. Rate mal, was ich gerade mache? Der Erwachsene oder ein Kind zeigt eine Aktivität und die anderen Kinder erraten, um welche Aktivität es geht. Beispielaktivitäten können „essen“, „saugen, „putzen“, „telefonieren“, „bügeln“, „lesen“ usw. sein. Geförderte Bereiche: Vorgangsverben, körperliche Aktivität, Vorstellungsvermögen. Pantomime mit Gesichtern Durch Pantomime zeigt ein Erwachsener oder ein Kind bestimmte Gefühle. Die anderen erraten, um welche Gefühle es geht. Geförderte Bereiche: körperliche Ausdrucksweise, Wörter zum Ausdruck innerer Zustände. Sprache in Bewegung Der Erwachsene spielt selbst ein Instrument oder lässt Musik laufen (eine Melodie oder ein Kinderlied), das Kind/ die Kinder laufen im Kreis oder bewegen 174 Förderkonzept der ausgewogenen Zweisprachigkeit sich frei im Raum. Nachdem die Musik verstummt, bekommen die Kinder eine Aufgabe gestellt, wie z. B. mit der Hand die Nase zu berühren, sich auf ein Bein zu stellen, mit der Hand den Boden zu berühren. Variante: Beim Verstummen der Musik können die Kinder die Aufgabe bekommen, verschiedene Tierbewegungen nachzuahmen. Geförderte Bereiche: Sprachverständnis, Rhythmus, Bewegungskoordination. Eine Geheimaufgabe Die Kinder sitzen im Kreis. Der Erwachsene hält einen Ball in der Hand, überreicht ihn dem nächstsitzenden Kind und flüstert ihm ein Wort/ eine Wortverbindung mit einer bestimmten Aufgabe ins Ohr. Das Kind gibt den Ball dem zweiten Kind und flüstert das Gehörte weiter. Wenn das Geflüsterte das letzte Kind erreicht, spricht es dieses laut aus und muss die genannte Aufgabe ausführen. Danach wechseln das erste und das letzte Kind die Plätze. Dann kommt die nächste Aufgabe. Die Aufgaben können sein: • ein Lieblingsgedicht erzählen • ein Lieblingslied vorsingen • Bewegung eines Tieres nachahmen • in die Hände klatschen • auf einem Bein herumspringen Geförderte Bereiche: Auditive Wahrnehmung, Grob- und Feinmotorik, Sprachverständnis. Finde das passende Wort! Der Erwachsene sagt eine Wortkombination aus einem Adjektiv und einem Substantiv. Die Kinder müssen der Reihe nach das entgegengesetzte Wortpaar, das logisch dazu passt, sagen. Beispiele: • Kalter Regen - heißer Tag (Feuer) • Hoher Berg - niedriger Hocker (Tisch) • Großes Haus - kleine Hütte (Keller) • Harter Boden - weiches Kissen (Decke) • Schwarzer Rabe - weiße Katze (Maus) • Saure Zitrone - süße Torte (Banane) • Tiefer See - flacher Teller (Schale) Spiel- und Beschäftigungsideen für den Kindergarten und die Familie 175 • Mutiger Krieger - ängstlicher Hase (Mensch) • Junges Mädchen - alte Oma (Tante) Geförderte Bereiche: Geschlecht der Substantive, Benennung von Gegensätzen, Wortschatz, Spontanität. Mit diesen und ähnlichen spielerischen Übungen lässt sich im Kindergarten und in den Familien eine zweisprachige Sprachförderung aufbauen und weiter entwickeln, die nicht nur sehr effektiv sondern auch vergnüglich sein kann und die Kinder nicht überfordert. Auf diese Weise lässt sich, wenn die beschriebene Förderung regelmäßig und konsequent durchgeführt wird, eine gute Grundlage zur Entwicklung zweisprachiger Sprach-, Denk- und Lernkompetenzen schaffen. Kapitel 9 Ein kleines Schlussplädoyer Die Integrationsproblematik von Zuwanderern in unseren Gesellschaften ist grundsätzlich Bildungsproblematik, allen voran, wie gerade in Deutschland die Diskussionen seit der ersten PISA-Studie deutlich belegen, Sprachbildungsproblematik. Gesellschaftliche Integration heißt Lebensplanung und Lebensgestaltung im Rahmen gesellschaftlicher Möglichkeiten, Rechte und Pflichten, unter Wahrung von kulturellen Eigenheiten und Traditionen. Dies ist ein aktiver Prozess, an dem sich alle Betroffenen auch aktiv beteiligen müssen. In diesem Sinne fängt Integration „von unten“ an, nicht als Gesetzgebungs- und Verwaltungsakt, sondern in der täglichen Arbeit und im persönlichen Engagement aller Betroffenen, wie beispielsweise in der hier betonten Zusammenarbeit der Einrichtungen mit den Eltern, in den kleinen Schritten gegenseitigen Entgegenkommens und täglicher gemeinsamer Bemühungen. Ein Ziel der Sprachförderung bei Kindern mit Migrationshintergrund in der Vorschulzeit ist es selbstverständlich auch, eine gute deutsche Sprachbasis für schulisches Lernen und bessere Berufs- und Bildungschancen aufzubauen. Aber gerade diese deutsche Sprachkompetenz ist leichter und sicherer zu erreichen, wenn die jeweiligen Muttersprachen nicht vernachlässigt werden. Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens unter Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, von der Sprachwissenschaft über die Entwicklungspsychologie bis zur Neurobiologie, bezüglich der positiven Wirkung von Zweisprachigkeit auf die kindliche Gesamtentwicklung. Die hier vorgestellte, gezielte und im Alltag gut zu integrierende Förderung von Zweisprachigkeit liefert eine gute Grundlage der allgemeinen kognitiven Entwicklung der Kinder. Eine gut ausgebaute Kompetenz in der jeweiligen Muttersprache und im Deutschen trägt außerdem zum positiven Selbstbild des Kindes bei, stärkt sein Identitätskonzept und vermittelt ihm das Gefühl der Selbstwirksamkeit im Zusammenhang mit seinen sprachlichen Fähigkeiten und seiner kulturellen Herkunft. Von mehrsprachigen Kindern und ihren Sprachkompetenzen in den Erstsprachen können auch einsprachige Kinder in den Einrichtungen profitieren. Diese werden durch die Präsenz und die Thematisierung der sprachlichen Vielfalt und Förderung bereits im Vorschulalter an das Thema Mehrsprachigkeit herangeführt. So wird bei ihnen ein Interesse an anderen Kulturen und Sprachen geweckt. Wenn auch einsprachige Kinder positive Erfahrungen mit dem Ein kleines Schlussplädoyer 177 Erlernen fremder Sprachen machen können, ist dies als emotionale und motivationale Vorstufe für das eigene schulische Fremdsprachenlernen von Nutzen. Die Erziehung zur Mehrsprachigkeit stellt für alle Beteiligten einen individuellen Weg dar, auf den man sich unbedingt begeben sollte, wenn dafür die mehrsprachigen Rahmenbedingungen gegeben sind. Der Dialog und die zwischenmenschliche Kommunikation, als soziale Übungsfelder für die Sprachen, sind ein integraler Bestandteil jeglicher Erziehungs- und Bildungsprozesse in verschiedenen Lebenskontexten des Kindes, wie der Familie, im Kindergarten, auf dem Spielplatz oder unter Freunden. Um eine Sprachunterstützung im Kindergartenalltag möglichst effektiv umzusetzen, bedarf es der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen, die folgende Aspekte einschließen. 1. Die wesentliche professionelle Voraussetzung ist die fachliche Qualifikation der Erzieherinnen. Das Fachwissen von Pädagoginnen über die Bedeutung von Sprache und über ihre grammatische Beschaffenheit ist grundlegend für die gezielte Sprachförderung in der pädagogischen Praxis. In diesem Sinne sollte auch die Ausbildung bzw. das Studium des Fachpersonals zukünftig die sprachrelevanten und interkulturellen Aspekte mehr berücksichtigen. 2. Lern- und entwicklungspsychologische Erkenntnisse sollten im pädagogischen Alltag stärker berücksichtigt werden. Bei kindlichen Lernprozessen ist die Selbstbeteiligung ein wichtiges Kriterium für die dauerhafte Speicherung der gehörten Inhalte. Gespräche zwischen den Erzieherinnen und den Kindern sind hier zentral. Die unmittelbaren Themen betreffen dabei die Welten der Kinder, ihre Familie, Freunde. Es ist wichtig, dass Kinder selbst aktiv werden, ihre Kommunikation zu gestalten, um sich die sprachlichen Reize und Anregungen zu holen, die sie in der jeweiligen Phase ihrer Sprachentwicklung benötigen. 3. Eine aktuelle Herausforderung stellt, wie gesagt, der Aufbau einer intensiven Kooperation und einer engen Absprache zwischen den Einrichtungen und den Eltern mehrsprachiger Kinder dar. Erst durch eine grundlegend kooperative Vorgehensweise kann eine systematische Förderung in beiden Sprachen stattfinden. Durch die individuelle Förderung zweier Sprachen hat jedes Kind die Chance, die sprachliche Kompetenz in der Muttersprache auf der mündlichen Ebene weiter auszubauen und damit auch eine fundierte Grundlage für die spätere Alphabetisierung in beiden Sprachen zu schaffen. Hier wurde ein paralleles Sprachförderkonzept vorgestellt, bei dem die Kooperation mit den zugewanderten Familien eine Schlüsselrolle spielt. Erst durch die gemeinsam geplante Vorgehensweise bezüglich der Sprachbildung in der Familie und im Kindergarten wird es möglich, individuelle Mehrsprachigkeit zu fördern und zu stärken. Die Eltern für die Interessen und Vorhaben des Kindergartens zu gewinnen, bedeutet dabei auch einen Gewinn für die Eltern selbst. Sie erhalten bessere Möglichkeiten, die Bildungsarbeit der 178 Ein kleines Schlussplädoyer Einrichtung kennenzulernen, sich mit den Lernprozessen des Kindes auseinanderzusetzen und, nicht zuletzt, auch neue Motivation zur Verbesserung der eigenen Deutschkenntnisse. 4. Man kann Eltern nicht genug ermutigen, ihre Kinder beim Erwerb der Mehrsprachigkeit mit allen materiellen und geistigen Kräften zu unterstützen. Besonders auch hinsichtlich der Tatsache, dass durch den Spracherwerb die Partizipation an kulturellen Welten möglich wird. Jede Familie, die sich im mehrsprachigen Lebensraum bewegt, sollte nach individuellen Lösungen für eine bewusste und geplante Förderung der Muttersprache suchen und Möglichkeiten schaffen, die Familiensprache mit dem Kind zu praktizieren. Dies kann im Rahmen der hier behandelten Analysen und des vorgeschlagenen Konzeptes gut realisiert werden. Die in diesem Buch behandelten Aspekte der Förderung bilingual aufwachsender Kinder sollten nicht als schwierige und extreme Herausforderungen angesehen werden, die von Eltern und Pädagogen großen zusätzlichen Aufwand erfordern. Im Gegenteil: sie sollten zeigen, dass mit einem Minimum an Aufmerksamkeit, sprachlicher Reflektiertheit und dem Einhalten einfacher Prinzipien eine erfolgreiche parallele Sprachförderung in den Alltag der Familien und der Einrichtungen integriert werden kann. In diesem Sinne möchte ich alle Beteiligten ermutigen, bei der Förderung einer ausgewogenen Zweisprachigkeit der Kinder zusammenzuarbeiten. Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Die Vorlagen von 1 bis 10 ergänzen die 10 Themenbereiche des Förderkonzeptes. Sie ermöglichen es, auf einem ganz persönlichen Wege, im Gespräch mit dem Kind dessen Vorlieben, Interessen, aktuelle Themen und Kompetenzen in verschiedenen Lebensbereichen näher zu erfahren. Die Vorlagen bieten darüber hinaus einen optimalen Rahmen für die intensive, kindzentrierte Kommunikation und damit für die Förderung sprachlicher Kompetenz beim Kind. Die Vorlage kann mit jedem Kind aus der Gruppe ausgefüllt werden und ist eine informationsreiche Ergänzung der alltäglichen Beobachtungen, die auch ins Portfolio aufgenommen werden. Außerdem können die einzelnen Vorlagen als Grundlage für die Elterngespräche dienen. Vorlagen Vorlage 1: Ich und meine Vorlieben (Themenbereich: Ich und meine Umwelt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Vorlage 2: Kindliche Meinung zu Räumlichkeiten/ Materialien/ Ausstattung (Themenbereich: Unser Kindergarten). . . . . . . . . . . . . . . . 181 Vorlage 3: Meine Familie (Themenbereich: Meine Familie und mein Zuhause) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Vorlage 4: Was ich über Tiere weiß (Themenbereich: Tierwelt − Haustiere, Wildtiere, Vögel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Vorlage 5: Stell dir vor … (Themenbereich: Phantasiewelten) . . . . . . . . . . 184 Vorlage 6: Mein Traumurlaub (Themenbereich: Urlaubsziele) . . . . . . . . . . 185 Vorlage 7: Meine Lieblingsjahreszeit (Themenbereich: Jahreszeiten) . . . . . 186 Vorlage 8: Was weiß ich bereits … (Themenbereich: Formen, Mengen, Eigenschaften) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Vorlage 9: Essen zu Hause (Themenbereich: Sport und gesunde Ernährung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Vorlage 10: Vorlesen in der Familie (Themenbereich: Meine Lieblingsmärchen und -geschichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 180 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Vorlage 1: Ich und meine Vorlieben (Themenbereich: Ich und meine Umwelt) Die Vorlage erlaubt Informationen zu individuellen Themen, Interessen und zur Lebenswelt des Kindes zu sammeln. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Wie fühlst du dich heute? Was interessiert dich zurzeit im Kindergarten? Was liest du gerne? Wer ist dein bester Freund/ deine beste Freundin? Was interessiert dich zurzeit im Kindergarten? Was ist deine Lieblingsbeschäftigung? Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes 181 Vorlage 2: Kindliche Meinung zu Räumlichkeiten/ Materialien/ Ausstattung (Themenbereich: Unser Kindergarten) Die Vorlage dient dazu, die Meinung und Eindrücke der Kinder über die räumlichen Gegebenheiten und Materialien einzuholen. Die daraus gewonnenen Informationen können zur Verbesserung der Strukturqualität beitragen. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Wo spielst du im Kindergarten gerne? Mit welchen Spielsachen spielst du am liebsten? Was wünschst du dir drinnen an neuen Spielsachen? Was wünschst du draußen an neuen Spielsachen/ Geräten? Welcher Spielbereich ist am schönsten/ gemütlichsten? Wo spielst du/ verbringst du Zeit ungern und warum? 182 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Vorlage 3: Meine Familie (Themenbereich: Meine Familie und mein Zuhause) Die Vorlage bezweckt, mehr Informationen über die Familiensituation sowie die Stellung des Kindes in der Familie zu erfahren. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Aus wie vielen Personen besteht deine Familie? Hast du Geschwister? Wie viele und wie alt sie sind? Wie oft siehst du deine Oma und deinen Opa? Wer liest dir in der Familie vor? Wann und welche Märchen und Geschichten? Was machst du zu Hause besonders gern und mit wem? Was unternimmst du mit deiner Familie (Spaziergänge, Theaterbesuche, Verwandtenbesuche, Ausflüge in die Natur)? Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes 183 Vorlage 4: Was ich über Tiere weiß (Themenbereich: Tierwelt: Haustiere, Wildtiere, Vögel) Die Vorlage bietet Anhaltspunkte, mit jedem Kind ins Gespräch über Tiere zu kommen und die Unterhaltung in Gange zu halten. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Was sind deine Lieblingstiere? Welche Tiere hast du bereits gesehen (auf dem Bauerhof, im Zoo)? Welches Tier wünschst du dir und was wirst du mit ihm alles unternehmen? Wodurch unterscheiden sich die Haustiere von den Wildtieren? Welche Vögel können fliegen und welche nicht? Welche Tiere kannst du malen? 184 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Vorlage 5: Stell dir vor … (Themenbereich: Phantasiewelten) Die Aufgaben in dieser Vorlage regen die Phantasie und das Vorstellungsvermögen des Kindes an. Die Fragen können von den Erzieherinnen so modifiziert werden, dass sie in die aktuelle Situation, ins Thema und zur Stimmung des Kindes passen. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Erzähl mir eine Geschichte, die du dir selbst ausgedacht hast! Stell dir vor, du bist ein Zauberer! Wie und was würdest du zaubern? Was stellst du dir vor, wenn du das Wort „Stern“/ “Fee“ hörst? Mit welchen Wörtern reimen sich die Wörter „Sonne“, „Blatt“ usw.? Finde die Wörter, die mit einem „n“, „l“ usw. anfangen! Stellt Dir vor, du bist der beste Koch der Welt! Was würdest du gern für deine Freunde kochen? Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes 185 Vorlage 6: Mein Traumurlaub (Themenbereich: Urlaubsziele) Die Fragen sind meistens im Konjunktiv (Möglichkeitsform) formuliert und somit wird nicht nur diese sprachliche Form eingeübt, sondern auch die Fähigkeit beim Kind gefördert, sich in eine irreale/ mögliche Situation zu versetzen. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Wo würdest du gerne in Urlaub hinfahren? Zu welcher Jahreszeit würdest du in Urlaub fahren und warum? Wen würdest du mitnehmen? Was würdest du gerne im Urlaub unternehmen? Welche Urlaubsziele kennst du? 186 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Vorlage 7: Meine Lieblingsjahreszeit (Themenbereich: Jahreszeiten) Die Fragen sind so formuliert, dass sie die persönliche Meinung des Kindes über Jahreszeiten und seine Einstellung zur Natur erfragen. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Was ist deine Lieblingsjahreszeit? Warum? Was findest du in dieser Jahreszeit besonders schön? Naturerfahrungen: Warst du schon mal in den Bergen, am Meer, im Wald, auf der Wiese, im Feld? Welche Jahreszeit findest du nicht besonders schön? Warum? Was kann man im Sommer/ Winter/ Herbst/ Frühling draußen unternehmen? Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes 187 Vorlage 8: Was weiß ich bereits … (Themenbereich: Formen, Mengen, Eigenschaften) Die Fragen in dieser Vorlage ermöglichen es beim Kind, vormathematische Kenntnisse und das bereits erlernte Verständnis über Formen, Größen und Eigenschaften von Gegenständen zu erfassen. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Nenne mir bitte alle Gegenstände im Raum, die rund/ viereckig/ dreieckig sind! Ordne bitte der Größe nach gelbe und blaue Steine/ Würfel/ Bauklötze! Zähle bitte alle Knöpfe die du/ ich/ dein Freund heute an den Kleidern hast/ habe/ hat und ordne sie der Größe nach! Zeige mir im Raum die zwei Gegenstände, die gleich lang und gleich schwer sind! Zeige mir bitte im Raum einen Gegenstand, der links/ rechts von mir ist, oben/ unten steht, heiß/ kalt/ , leicht/ schwer, groß/ klein ist! 188 Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes Vorlage 9: Essen zu Hause (Themenbereich: Sport und gesunde Ernährung) Auf Grund der Vorlage kommt man mit dem Kind ins Gespräch über die Essgewohnheiten in der Familie und stimmt das Kind darauf ein, über das Thema der gesunden Ernährung nachzudenken. Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Was isst du zu Hause besonders gern? Isst Du zu Hause warmes/ kaltes Essen? Isst du am Tisch, vor dem Fernsehen oder in deinem Kinderzimmer? Isst du zu Hause viele Süßigkeiten? Isst du sie vor oder nach dem Essen? Was weißt du über gesunde Ernährung/ Was ist gesund/ ungesund zu essen? Vorlagen zu den Themenbereichen des Förderkonzeptes 189 Vorlage 10: Vorlesen in der Familie (Themenbereich: Meine Lieblingsmärchen und -geschichten) Eingetragen von: Datum: Situation: Name/ Alter Liest dir deine Mutter/ dein Vater zu Hause vor? Wie oft? Besprichst du die gelesenen Geschichten und Märchen mit der Mutter/ dem Vater? Welche Märchen und Geschichten hast du zu Hause? Gehst du mit deinen Eltern in die Stadtbücherei und leihst du dir dort Bücher aus? Was ist dein Lieblingsbuch zu Hause? Worum geht es in diesem Buch? Glossar aktiver Wortschatz hier: die Gesamtheit aller Wörter, die das Kind kennt und aktiv verwendet. Artikel ein Geschlechtswort, das immer in Verbindung mit einem Substantiv auftritt und es näher bestimmt. Im Deutschen sind es die Artikel: der, die, das und die für die Mehrzahl. Das Russische kennt gar keine Artikel. Aspekt bezeichnet eine verbale Kategorie im Russischen, die eine Handlung als abgeschlossen oder nicht abgeschlossen bezeichnet. Es gibt im Russischen folglich einen vollendeten und einen unvollendeten Aspekt. Der vollendete Aspekt bezeichnet eine abgeschlossene Handlung bzw. das Ergebnis der Handlung. Ein unvollendeter Aspekt bezeichnet hingegen eine unabgeschlossene Handlung, eine Handlung in ihrem Verlauf. Formal wird der Aspekt durch Hinzufügen von Vorsilben und Nachsilben an das Verb gebildet. Ein Beispiel für ein Aspektpaar ist: писать - написать (pisat’ - napysat’, ‚schreiben‘ als Vorgang und ‚schreiben‘ als abgeschlossene Handlung bezogen auf die Vergangenheit oder Zukunft). Begriffsbildung hier: Entwicklung von Erkenntnisstrukturen beim Kind auf Grund des Ausbaus von Kenntnissen über die Gegenstandwelt und über Personen. Code-switching/ Sprachwechsel Wechsel zwischen zwei Sprachen. Erstspracherwerb/ Spracherwerb Erwerb einer natürlichen Sprache, im Einzelnen Erwerb von phonologischen, syntaktischen, morphologischen, semantischen und pragmatischen Regeln einer Sprache. Erwerbsbedingungen hier: beim Zweitspracherwerb. Die Rahmenbedingungen, unter welchen eine zweite Sprache erlernt wird. Dazu zählen z. B. die Kontaktdauer mit der zu erwerbenden Sprache, die Häufigkeit und die Qualität des Inputs und die Intensität des Sprachgebrauchs Flektiertes Verb gebeugtes Verb, z. B. ich fahre, du fährst, er, sie es fährt. Funktionale Sprachentrennung funktional bedingter Wechsel zwischen den Sprachen. Jede Sprache hat einen klaren Anwendungsbereich, wie z. B. eine Person - eine Sprache, eine Situation - eine Sprache oder eine Zeit - eine Sprache. Glossar 191 Genus grammatisches Geschlecht der Substantive. Im Deutschen und Russischen ist das Maskulinum (der Wolf, ребенок (Kind)), Femininum (die Sonne, вода (Wasser)) und Neutrum (das Dorf, солнце (Sonne)). Grammatik Regelsystem einer Sprache, speziell Satzbau Grammatikalität grammatische Wohlgeformtheit/ Korrektheit des Satzbaus einer Sprache. Hilfsverb ein Verb, das nicht selbständig ein Prädikat bildet, sondern nur in Verbindung mit einem Vollverb im Satz vorkommt. Hilfsverben sind beispielsweise „haben“, „sein“ und „werden“ oder „sollen“, „müssen“, „können“ usw. die zusammen mit einem Vollverb verschiedene Zeitformen bilden. Infinitiv Grundform des Verbs, wie machen, gehen, lachen, lernen. Interaktion wechselseitiges Miteinanderhandeln von zwei oder mehr Individuen, die als sprachliche Kommunikation, aber auch durch Gestik und Mimik und nicht-sprachliche Mittel stattfindet. Input hier: im Sinne der Sprache, die das Kind in seiner Umgebung hört. Damit ist der Input in der Erst- und der Zweitsprache gemeint. Interferenz Einwirkung einer Sprache auf eine andere. Im kindlichen Spracherwerb können Interferenzen auf allen sprachlichen Ebenen auftreten. Zum Beispiel eine grammatische Interferenz als Übertragung der Wortreihenfolge aus dem Russischen auf den deutschen Satz, in dem eine ganz andere Wortordnung vorgesehen ist: ich dich liebe - я тебя люблю (ja tebja lublju - ich dich liebe). Inversionsfrage Fragestruktur, die eine Umstellung des üblichen Satzbaus erfordert. Das heißt, dass die Reihenfolge von Subjekt und Prädikat vertauscht wird: Hast du heute Zeit? Instrumental ein Fall des Russischen, mit dem ein Instrument, ein Werkzeug, ein Mittel zur Ausführung einer Handlung, bezeichnet wird. Kasus grammatische Kategorie der nominalen Wortarten (Substantive, Adjektive, Pronomen, Zahlwörter). Der „Fall“ (Kasus) drückt die Beziehung eines Subjektes zu Objekten aus. Beispiel: „Herr Schmitt kauft ein Auto“. „Herr Schmitt“, das handelnde Subjekt, steht im Nominativ, „ein Auto“, das Objekt, auf das sich die Handlung bezieht, steht im Akkusativ. Im Deutschen gibt es vier grammatische Fälle - Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, im Russischen gibt es sechs Fälle, hier kommen noch der Instrumental und der Präpositiv dazu. Kognitive Entwicklung ein komplexer Oberbegriff, der die Prozesse der Wahrnehmung, der Erfahrung und der Erkenntnisse beschreibt. Die kognitive Entwicklung beim Kind spielt eine zentrale Rolle in der Gesamtentwicklung. 192 Glossar Konjunktion Bindewörter, die dazu dienen, die Worte, Wortverbindungen und Sätze miteinander zu verbinden, wie „und“, „oder“. Lexikalische Lücken eine gewisse Armut des Wortschatzes einer Sprache, besonders zu Beginn des Erwerbs einer Sprache. Morphologie ein Teilbereich der Grammatik, der sich mit den Regeln der Wortbildung befasst. Als Beispiel kann man hier die Verbbeugung anführen: ich fahr-e, du fähr-st, er fähr-t. Numerus (Einzahl/ Mehrzahl) grammatische Kategorie des Nomens für die Bezeichnung der Anzahl: ein Stuhl - zwei Stühle. Nonverbal Sprachfähigkeit ruht auf einer reichen Struktur nichtsprachlicher Fähigkeiten auf, ohne die sprachliche Kommunikation nicht möglich wäre; dazu zählen Gestik, Mimik, Körpersprache. Partikelfrage Fragetyp, der Partikel (unveränderliche Füllwörter mit präzisierender Bedeutung) enthält: Wann kommst du denn endlich! Partizipform ist eine Verbform, mit der im Deutschen die zusammengesetzte Vergangenheitsform (Perfekt) gebildet wird: wir sind gestern ins Kino gegangen. Partizipbildung hier: die Bildung des Partizip Perfekt wie z. B. geschlafen, gemacht, geschnitten. Possessivpronomen ein Fürwort, das Besitz anzeigt (mein, dein, sein). Präposition im Deutschen und Russischen unveränderliche Verhältniswörter (beispielsweise in, mit, auf), die eine Beziehung zwischen Gegenstand, Person oder/ und dem Sachverhalt bezeichnen. Präpositiv ein Fall im Russischen, der nur nach bestimmten Präpositionen auftreten kann Satztyp im Deutschen unterscheidet man drei Satztypen: Aussagesatz, Fragesatz und Aufforderungssatz. Satzform betrifft die formale Gestaltung der Sätze. Im Deutschen sind das einfache und zusammengesetzte Sätze. Bei den zusammengesetzten Sätzen geht es um die Satzreihe (wir essen und dann gehe ich nach Hause) und das Satzgefüge (Ich bleibe zu Hause, weil es regnet). Semantisch die Bedeutung von Wörtern und sprachlichen Ausdrücken betreffend. Sprachkompetenz die Fähigkeit, sich in einer Sprache auszudrücken, eine Sprache aktiv zu beherrschen. Sprachmischung die Verwendung von zwei Sprachen innerhalb einer Äußerung. Sprachproduktion unmittelbare Verwendung der Sprache, Sprechen. Glossar 193 Strukturmerkmale einer Sprache hier: Grammatik einer Sprache, die den Satzbau und die Formbildung betrifft. Symbolfunktion der Sprache Sprache als System von sprachlichen Zeichen, die Gegenstände, Sachverhalte oder Personen repräsentieren. Syntax Satzbau (Regeln, wie die Worte und Wortgruppe miteinander zu Sätzen kombiniert werden können). Transfer Übertragung Übergeneralisierung eine Sprachform wird nach dem Muster einer schon erlernten Regel falsch gebildet. Beispiel: die Regel der häufigsten Partizipbildung wird auf alle Verben angewendet, was aber häufig zu Fehlern führt: gelacht oder gefahren ist korrekt, gelauft, gegeht, geesst, geschießt usw. aber falsch. Übergangsgrammatik der kindliche Erwerbsprozess wird als Folge von Übergängen von einem Entwicklungsstadium zum anderen gesehen. Innerhalb dieser Übergänge kommen grammatische Strukturen vor, die von der Zielsprache abweichen, die so genannten Übergangsgrammatiken, die trotz der individuellen Variation eine gewisse Systematik aufweisen. Zum Beispiel: beim Wortstellungserwerb kommt das Verb in den Anfangsphasen des Spracherwerbs an die letzte Stelle im Satz - ich auto bringen. Verbstellung hier: die Stellung des gebeugten Verbs im Satz. Das Verb kann die zweite, erste oder letzte Stelle im Satz einnehmen: ich gehe in die Schule. Hast du Hunger? Ich komme nicht, weil ich krank bin. Vokabulary spurt sprunghafte Zunahme an Wörtern, sprunghafte Erweiterung des Wortschatzes. Zielsprache die Sprache, die das Kind zu erlernen hat. Hier ist damit oft das Deutsche als Sprache der gesellschaftlichen Umgebung gemeint. Register Aspekt im Russischen 86 Bilderbuchbetrachtung 122-127 Bildung, frühkindliche 5-6 Code-switching 26-27 Elternabend 137-141 Erstspracherwerb, bilingualer/ doppelter 17, 47 Erwerbsbedingungen 13, 44 Erzählen 127-128 Erziehungspartnerschaft mit den Eltern 22, 136 Familienleben, russisches 96-99 Formen der Mehrsprachigkeit 12 Fragestrukturen des Deutschen 40-41 Geschlechterrollen in der Familie 99-100 Grammatikerwerb des Deutschen 40-44 Identität, bikulturelle 20 Interferenz 28-30 Literalität 114-117 Medienkonsum 74-79 Mehrsprachigkeit 6-9, 57 Muttersprache 18-24 Ostern, russisches 103-105 Russisch 80-81 Alphabet 82-84 Wortarten 84-87 Wortschatz 88-89 Wortstellung 87-88 Russischsprachige in Deutschland 91-95 Spiel- und Beschäftigungsideen 170-175 Sprache, schwache und starke 17 Sprachentrennung 58-64 Sprachentwicklung s. kindlicher Spracherwerb Spracherwerb, kindlicher 33-38 Spracherziehung in der Familie 108-111 Sprachförderkonzept 142-146 Sprachförderung 55-56, 118-128, 130- 132 Sprachgebrauch 10-11, 60-64 Sprachmischung 24-28, 49-50 Sprachrituale 105-107 Übergangsgrammatik 39 Übergeneralisierung 3 Verbstellung 42 Verneinung 41-42 vocabulary spurt 45-46 Vorlesen s. Bilderbuchbetrachtung Weihnachten, russische 103-104 Wortlernkartei 21 Wortschatzentwicklung 45 Zweisprachigkeit s. Mehrsprachigkeit gesteuerte 15 natürliche 15 simultane 14 sukzessive 14 Zweitspracherwerb 38-39 6 39 , Literatur Erstspracherwerb/ Kindlicher Spracherwerb Bruner, Jerome (1987): Wie das Kind sprechen lernt. Bern. Clahsen, Harald (1983): Spracherwerb in der Kindheit. Tübingen. Clahsen, Harald (1988): Normale und gestörte Kindersprache. Linguistische Untersuchungen zum Erwerb von Syntax und Morphologie. Amsterdam. Clark, Eve (1993): The lexicon in acquisition. New York. Dittmann, Jürgen (2002): Der Spracherwerb des Kindes. Verlauf und Störungen. München. Duden (2009): Duden. Die Grammatik. Band 4. Mannheim. Ehlich, Konrad (1996): Kindliche Sprachentwicklung. Konzepte und Empirie. Opladen. Fthenakis, Wassilios, Oberhuemer, Pamela (2007) (Hrsg.): Sprache und Literacy von 0 bis 8 Jahren. Troisdorf. 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Veröffentlichungen und Projekte zum Thema Sprache und Mehrsprachigkeit) Russisch-deutsche bilinguale/ bikulturelle Vereine, Zentren und Kindergärten Die unten stehenden Links stellen eine Auswahl von russisch-deutschen Vereinen und Organisationen dar, die vielfältige Angebote zur Unterstützung russischer Sprache und Kultur für Kinder verschiedenen Alters anbieten. Auf diesen Internetseiten finden Sie außerdem ein breit gefächertes Kunst-, Tanz, Mal- und Theaterangebot für Kinder sowie verschiedene Kurse, Programme Empfohlene Links für Eltern und Pädagogen 209 und Projekte für erwachsene Russischsprachige in Deutschland. Alle Links sind auf Russisch und auf Deutsch abgefasst. http: / / www.mitra-ev.de (Vereinigung russischsprachiger Eltern und Pädagogen, betreibt bilinguale Kindergärten und eine deutsch-russische Grundschule in Berlin) http: / / www.russisches-haus.de (Russisches Haus der Wirtschaft und Kultur in Berlin) http: / / www.karussell-ev.de (Russischer Sprachverein in Berlin mit einer offenen Platform zur Pflege russischer Sprache und Kultur) http: / / www.weltmir.de (Zentrum der russischen Kultur „Welt-Mir“ in Berlin) http: / / www.kita-ru.de (Deutsch-russischer Kindergarten „Welt für Kinder“ in Berlin) http: / / www.club-dialog.de (Deutsch-Russischer Verein zur Förderung des geistig-kulturellen Austausches in Berlin) http: / / www.istok-bochum.de (Deutsch-Russischer Verein für Kinder und Jugendliche in Bochum) http: / / www.lukomorje-bochum.de (Interkultureller Sprach- und Kulturverein in Bochum) http: / / www.rostok-center.de (Kinderzentrum „Rostok“ in Bochum) http: / / www.teremok-ev.de (Deutsch-Russischer Verein in Braunschweig) http: / / www.ksfvita.de (Kultur-, Sport- und Freizeitverein „Vita“ mit bilingualer Samstagsschule in Dortmund) http: / / www.krone-ev.de (Russisch-Deutscher Kreativ-Verein mit Buch- und Jugendtheaterprojekten in Dortmund) http: / / www.ageeva-schule.com (Institut von Dr. Agejev mit einem breiten Förderangebot für Vorschulkinder und Schulkinder in Dortmund) http: / / www.kin-top.de (Förderzentrum Kon-Top in Düsseldorf) 210 Empfohlene Links für Eltern und Pädagogen http: / / www.my-ukraine.de (Deutsch-Ukrainisches Kultur- und Informationszentrum in Düsseldorf) http: / / www.raduga-duesseldorf.de (Verein für russisch-deutsche Kultur in Düsseldorf) www.rosinka.eu (Deutsch-Russisches Kulturinstitut „Risonka“ in Erding) http: / / www.istok-ev.de (Russisches Kultur-und Bildungszentrum „Istok“ in Frankfurt am Main) http: / / www.slowo-ev.de (Verein zur Pflege der russischen Kultur mit deutsch-russischen Kindergärten und Vorschule in Frankfurt am Main) http: / / www.info-russisch.de (Russisches Zentrum in Gelsenkirchen) http: / / www.gluehwuermchen-online.de (Kinder- und Jugendclub in Göttingen) http: / / www.asbuka.de (Russischsprachiger Verein für Bildung, Kultur und Integration in Hamburg) http: / / www.schkola-mama.de (Schule für Mütter und Kinder in Hamburg) http: / / www.davidstern.de/ RUSSIAN/ Home_rus.html (Liberale jüdische Gemeinde in Hamburg) http: / / www.Zentrum2003.de (Zentrum 2003 e. V. bietet russische Kulturförderung für Kinder und Jugendliche in Hannover) http: / / www.matroschka-online.de („Matroschka“ ist ein Verein für russische Kultur und Bildung, eine Elterninitiative zur Förderung der russischen Sprache und Kultur in Heidelberg) http: / / www.phoenix-cologne.com (Kultur- und Informationszentrum „Phoenix“ in Köln) http: / / www.phoenix-mainz.de (Verein „Phoenix“, Träger der freien Jugendhilfe in Mainz) http: / / www.driv-mg.de (Deutsch-Russischer Integrationsverein in Mönchengladbach) http: / / www.kulturzentrum-gorod.de (GIK-Gesellschaft für Integration und Kultur in Europa in München) Empfohlene Links für Eltern und Pädagogen 211 http: / / www.deutsch-russische-schule.de (Deutsch-Russisches Bildungszentrum in München) http: / / www.schkola-1-muenchen.de (Russische Schule für Kinder verschiedenen Alters mit den Hauptfächern „Russische Sprache und Literatur“ in München) http: / / www.spektrum-ru.de (Verein für zweisprachige Kinder und Jugendliche in München) http: / / www.teremok-muenster.de (Russischer Kunst- und Kulturverein in Münster) http: / / www.ibh-nuernberg.de (Internationales Bildungshaus in Nürnberg) http: / / www.rdkev.de (Russisch-Deutsches Kulturzentrum in Nürnberg) http: / / www.netzwerk-monolith.de (Der Verein „Monolith e. V. - Netzwerk Aussiedler“ in Paderborn) http: / / www.kolobok-ev.de (Deutsch-Russischer Kunst- und Kulturverein „Kolobok“ in Stuttgart-Freiberg) http: / / www.matrioshka.de („Matroschka“ ist ein Heimatverein für russischsprachige Kinder in Trier) http: / / applaus.ucoz.ru (Deutsch-Russisches Kulturzentrum „Applaus“ e. V. in Wuppertal) http: / / www.allezusammen.npage.de (Russisches Kultur- und Bildungszentrum in Deutschland mit den Zentren in Hanau, Frankfurt, Gelnhausen, Offenbach, Mannheim und Heidelberg) http: / / www.dug-rhein-neckar.de/ index.php5? page=34 (Ukrainische Samstagsschule für Kinder in Heidelberg) Die Links wurden zuletzt aufgerufen am 1 .02.2012. 3 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Offensichtlich ist Spracherwerb ein Kinderspiel! In einem Alter, in dem wir Kinder nicht unbeaufsichtigt eine Straße überqueren lassen würden, erschließen sie sich zielstrebig die Strukturen ihrer Erstsprachen. Wie wir mittler weile wissen, gilt dies nicht nur für den Er werb einer Sprache, denn Kinder können von Anfang an mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Auch der frühe Erwerb einer zeitversetzt hinzutretenden Zweitsprache ist ohne Risiko für die Entwicklung des Kindes möglich. Diese Kompetenzen gilt es zu nutzen, vor allem auch für die frühe Zweitsprachförderung von Kindern aus Einwandererfamilien, denen ohne ausreichende Sprachkenntnisse Bildungs- und Berufschancen verwehrt bleiben. Dieses Buch bietet anhand vieler Beispiele einen verständlichen Überblick über den Spracherwerb und schildert die Rahmenbedingungen für eine er folgreiche Unterstützung frühkindlicher Mehrsprachigkeit. Verdeutlicht wird auch, welche sprachlichen Bereiche für Zweitsprachlerner problematisch bleiben, wenn angemessene Unterstützung fehlt. Der Text enthält eine Anleitung für die gezielte Beobachtung von Kindern und eine Fülle von Anregungen für die Förderung. Darüber hinaus weckt er Interesse an Sprache im Allgemeinen und fördert den Spaß an der eigenen Sprachkompetenz. Rosemarie Tracy Wie Kinder Sprachen lernen Und wie wir sie dabei unterstützen können 2., überarb. Auflage 2008 XII, 236 Seiten, €[D] 19,90 / SFr 35,90 ISBN 978-3-7720-8306-8 094208 Auslieferung Oktober 2008.indd 17 22.10.2008 12: 15: 38 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 www.attempto-verlag.de · info@attempto-verlag.de Welche Wege führen in die Mehrsprachigkeit, was passiert dabei im Gehirn, wie können Kinder, aber auch Erwachsene auf diesen Wegen gefördert werden und welche sprachlichen Besonderheiten sind für mehrsprachige Kinder und Erwachsene typisch? Dies sind die hoch aktuellen Leitfragen, die namhafte Experten im vorliegenden Band aus linguistischer, pädagogischer und neurobiologischer Perspektive allgemeinverständlich beleuchten. In letzter Zeit wird zunehmend der Ruf nach früher mehrsprachiger Bildung von Kindern laut, andererseits drängt die Aufgabe der sprachlichen Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Das Buch möchte zeigen, dass Kinder das Potenzial für den unproblematischen Erwerb mehrerer Sprachen besitzen, diese beeindruckende Leistung aber nur bei intensiver Förderung vollbringen können. Mit Beiträgen von: Tanja Anstatt und Elena Dieser · Bernhard Brehmer · Christine Dimroth · Ingrid Gogolin und Hans-Joachim Roth · Kurt Kohn · Grit Mehlhorn · Jürgen M. Meisel · Cordula Nitsch · Renate Thiersch · Rosemarie Tracy Tanja Anstatt (Hrsg.) Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen Erwerb, Formen, Förderung 2007, 226 Seiten, €[D] 29,90/ SFr 48,50 ISBN 978-3-89308-393-0