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Hermopolis Magna und das Heiligtum für Ptolemaios III.

2020
978-3-7398-0567-2
UVK Verlag 
Wolfram Hoepfner

In Hermopolis Magna in Mittelägypten entstand in den Jahren nach 240 v.u.Z. der älteste Ringhallentempel korinthischer Ordnung. Das ist wenig bekannt, obwohl ein ägyptischer Archäologe die vollständige Weihinschrift des Tempels schon 1945 entdeckt hatte und wenig später 16 Kapitelle ans Licht kamen. Das Heiligtum des Königs Ptolemaios III. und seiner Frau Berenike war in der Spätantike Opfer der Pläne des Bischofs geworden, an derselben Stelle eine Basilika zu errichten. Immerhin fanden die Ausgräber der Universität Alexandria 1950 und 1951 viele Bauteile des hellenistischen Heiligtums und publizierten einen Vorbericht. Wolfram Hoepfner besuchte Hermopolis 1969 und studierte die Bauteile zum Vergleich mit einem zeitgleichen Bauvorhaben in Alexandria. 50 Jahre später folgte er der Anregung eines Kollegen und suchte seine vergilbten Aufzeichnungen hervor. Er staunte nicht schlecht, als sich die disparaten Bauglieder zu einem veritablen Heiligtum ergänzen ließen. In der Provinz war mit dem Ringhallentempel korinthischer Ordnung und einer Skenographia ein höchst modernes Bauensemble entstanden. Der Clou ist freilich, dass sich das zentralperspektivisch aufgefasste gebaute Bild (Skenographia) als Nachklang noch an Wandbildern des 2. Stils in Pompei feststellen lässt.

Wolfram Hoepfner Hermopolis Magna und das Heiligtum für Ptolemaios III. Eine Nachlese Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller Heft 53 Wolfram Hoepfner Hermopolis Magna und das Heiligtum für Ptolemaios III. Xenia Konstanzer Althistorische Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller Heft 53 Wolfram Hoepfner Hermopolis Magna und das Heiligtum für Ptolemaios III. Eine Nachlese UVK Verlagsgesellschaft mbH Zum Autor: Prof. a.D. Dr. Wolfram Hoepfner ist Archäologe, Bauhistoriker und Topograph. Er lehrte Baugeschichte und Städtebau der Antike an der Freien Universität Berlin. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0936-8663 ISBN 978-3-86764-912-4 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2020 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 www.uvk.de 5 Vorwort des Herausgebers Die gesamte Alte Welt und ihre Bauten sind das Arbeitsfeld Wolfram Hoepfners. Nach der Teilnahme an zahlreichen Ausgrabungen wurde er Leiter des Architekturreferats am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin, danach Ordinarius an der Freien Universität Berlin, die Ausgrabungen gingen weiter. Mit dem vorliegenden Band erscheint als weiteres Ergebnis dieser Ausgrabungen abermals ein Werk Hoepfners in den „Xenia“, ein Zeichen dafür, dass diese Gastgeschenke von beiden Seiten gerne gegeben und entgegengenommen werden. Wolfram Hoepfner beginnt zudem, nicht mehr nur noch Gast zu sein. Nach den „Philosophenwegen“ (Band 52) war er ebenfalls an dem auf den vorliegenden Band folgenden über die Athener Akropolis auch dadurch maßgeblich beteiligt, dass er viel für das Zustandekommen des ihm zugrunde liegenden Kolloquiums getan hat. Der Herausgeber dankt dem Autor Wolfram Hoepfner, er dankt Uta Corinna Preimesser vom UVK Universitätsverlag Konstanz für die Betreuung des Bandes - und er dankt abermals Heinz Breuninger, der durch sein damaliges Mäzenatentum die Reihe erst möglich gemacht hatte. Wolfgang Schuller 7 Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vorbemerkung und Kurzfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Topographie und Stadtpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Berichte früher Besucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Philippos Arridaios und der Neubau des Tempels des Thot und des Hermes Trismegistos . . . . . 14 Temenosmauer oder Umfassungsmauer des Phrourion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die beiden Hauptstrassen Plateia und Dromos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Der ‚repair Papyrus‘ Vindob. Gr. 12565 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Grabungen im ptolemäischen Heiligtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Agora und Temenos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Genaue Lage der Basilika und des ptolemäischen Temenos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Basilika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Für den Bau der Basilika wiederverwendete Fundamente des ptolemäischen Temenos . . . . . . . . 24 Kapitel III: Dedikation und Katoiken-Reiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die Inschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die Stifter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Der 3. Syrische Krieg ein Raubzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kapitel IV: Form und Konstruktion des Heiligtums für Ptolemaios III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Korrektur der Grösse des rechteckigen, ummauerten Temenos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Zuordnung der Bauglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Baumaterial und Technik. Brüchiger Kalkstein. Lehmziegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Propylon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Verwandte Torbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Altar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Stoai (Hallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Der korinthische Peripteros (Ringhallentempel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Die korinthischen Säulen und das Gebälk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Versammlungs- und Gelageräume einer Kultgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kultstatuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kult und Ritus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Museion und Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Das Serapeion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Geschwisterbauten: Das Temenos in Hermopolis und ein Bauvorhaben im Königsviertel . . . . . 38 Politische Ereignisse führen zum Baustopp in Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 8 Inhalt Kapitel VII: Kunstgeschichte - Baugeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Der älteste bekannte Ringhallentempel korinthischer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Form und Farbe der korinthischen Kapitelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Ionische und dorische Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive . . . . . . . . . . . 47 Die Feierlichkeit ägyptischer Tempelanlagen beeinflusst griechische Architekten . . . . . . . . . . . . 47 Das Artemision in Magnesia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Das Ptolemäerheiligtum in Hermopolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Parmenion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Vorgänger und Nachklänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 9 Vorbemerkung und Kurzfassung Als ich von Stefan Zink gebeten wurde, eine Rekonstruktion des korinthischen Kapitells in Hermopolis Magna für seine Studie zur Farbigkeit der griechischen Architektur zur Verfügung zu stellen, schaute ich etwas unwillig in meine Notizen vom Januar 1969. Doch zunehmend begeisterte ich mich für das ferne Beispiel ptolemäischer Architektur, ahnte aber noch lange nicht, dass sich über den provinziellen Rahmen hinaus weitreichende Ergebnisse zu Theorien hellenistischer Architekten ergeben würden. Das nämliche Problem behandelt Lothar Haselberger in einem im Druck befindlichen Buch Der Pergamonaltar und der Architekt Hermogenes. Schatten, Raum und Wahrnehmung. Ich bin gespannt, ob es Übereinstimmungen gibt. Die in Hermopolis Magna in Mittel-Ägypten stationierten Katoikenreiter (Elitetruppe der Kavallerie mit ihnen zugewiesenem Landbesitz) stifteten nach dem 3. Syrischen Krieg (nach 241 v.u.Z.) für erwiesene Wohltaten im Stadtzentrum ein ansehnliches Heiligtum für die Verehrung der Königspaare Ptolemaios III. Euergetes und seines Vorgängers Ptolemaios II. Philadelphos. Bei Ausgrabungen des Service of Antiquities kam 1945 die vollständig erhaltene Dedikationsinschrift ans Licht. Darin werden genannt agalmata (Statuen), temenos (Heiligtum), naos (Tempel) und stoai (Hallen). In den Fundamenten der später dort entstandenen Basilika trafen die Ausgräber um Alan Wace von der Alexandria Universität 1950 und 1951 viele Bauglieder des Heiligtums an. Es handelt sich um rein griechisch-hellenistische Architektur ohne ägyptische Einflüsse. Wace publizierte 1959 einen anschaulichen Vorbericht, konnte aber krankheitshalber die Ausgrabungen nicht fortsetzen. Zehn Jahre später widmete sich Wolfram Hoepfner, Archäologe und Bauforscher, mit Erlaubnis der Behörden dem Heiligtum und den zahlreichen Bauteilen. Weil sich später ein längerer Aufenthalt in Hermopolis nicht realisieren liess, folgt hier endlich eine Nachlese auf der Grundlage damals entstandener Aufzeichnungen. Zugang zu dem fast 130 m langen rechteckigen Temenos mit Hallen dorischer Ordnung auf drei Seiten gewährte ein aufwendiges Propylon mit zweimal 6 Säulen dorischer und ionischer Ordnung. Der im Hof weit zurück liegende Tempel war ein Peripteros mit 6 auf 8 korinthischen Säulen (16 Kapitelle sind erhalten). Der älteste Ringhallentempel dieser Ordnung besticht durch die Vielzahl und Farbigkeit seiner Kapitelle. Dem Altar mit Umfassungsmauer kann ein Architrav-Fries-Balken mit gemalten Guirlanden auf Stuck-Quadern zugewiesen werden. Ein Fünftel der Gesamtlänge des Temenos nahmen im Westen Räume für Syssitia der Kultgemeinschaft ein. Die Tiefe der Räume von 17 m lässt an Andrones für je 30 Klinen denken. Bemerkenswert sind die Überlegungen im Kapitel VIII zu einer Skenographia, die dem Entwurf des bislang unbekannten Architekten zugrunde liegt. Der langgestreckte Hof sollte dem zwischen den Eingangssäulen stehenden Betrachter ein Bild mit gestaffelten Architekturen bieten. Das Hauptelement, die Front des Tempels stellte sich bei grosser Entfernung (wie bei einem Teleobjektiv) dem Betrachter in verzerrungsfreier orthogonaler Ansicht dar. Eine wichtige Aufgabe kam den Säulenfluchten der seitlichen Hallen zu: Sie vermittelten dem Betrachter die räumliche Tiefe und waren quasi Ersatz für die herkömmliche Skenographia, die auf der Betrachtung der Objekte in Schrägstellung beruhte. Die neue ‚Inszenierung‘ mit zentralperspektivischer Darstellung von Architektur entspricht der gesellschaftlichen Gliederung, die den göttlichen König und Pharao im Zentrum sieht. Entsprechende Anlagen finden sich in Kleinasien (Magnesia), die Vitruv dem Architekten Hermogenes zuschreibt. Dessen Werke datieren jedoch in das letzte Viertel des 3. Jhs. Den Architekten der ältesten, neuartigen gebauten Bilder müssen wir in Alexandria suchen. Denn Wandbilder des 2. Stils in Pompeji sind verblüffende Nachklänge, deren Vorbilder in der Metropole der Ptolemaier zu suchen sind. 10 Abkürzungen v.u.Z. = vor unserer Zeitrechnung u.Z. = unserer Zeitrechnung Wace 1959 = A. J. B. Wace - A. H. S. Megaw - T. C. Skeat, Hermopolis Magna, Ashmunein, The ptolemaic Sanctuary and the Basilika, Alexandria University Press 1959 Roeder 1959 = G. Roeder, Ein Jahrzehnt deutscher Ausgrabungen in einer ägyptischen Stadtruine. Deutsche Hermopolis-Expedition 1929-1939 (Hildesheim 1959) Ashmunein 1980 u.F. = D. M. Bailey - V. W. Davies - A. J. Spencer, Ashmunein 1980 - Weitere Ausgrabungen der British Museum Expedition zitiert mit Spencer u.A. Ashmunein 1981 bis 1985. Hoepfner, Zwei Ptolemaierbauten 1971 = W. Hoepfner, Das Ptolemaierweihgeschenk in Olympia und ein Bauvorhaben in Alexandria. 1. Beiheft der AM (Berlin 1971) Mähler - Strocka 1976 = H. Maehler - V. M. Strocka (ed.), Das ptolemäische Ägypten, Symposion Berlin 1976 (Berlin 1979) Kamal, Annales 46 = Kamal, Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 46, 1946, 741-745. 11 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna Als Günther Roeder 1929 Hermopolis Magna besuchte, war er offensichtlich sehr beeindruckt von der Vorstellung der Ägypter, wonach der Jahrtausende alte Tell Chmunu am breiten Fruchtstreifen des Nil in Mittelägypten der Ort der Entstehung der Welt ist. Der Sage nach erhob sich hier aus dem Ur-Meer die Acht-Stadt, in der als Urwesen Frösche und Schlangen wohnten, und hier stieg aus einer Lotosblüte die Sonne empor und brachte das Licht. 1 In der Acht-Stadt Chmunu, beim heutigen Dorf Ashmunein wurde der ibis- oder paviangestaltige Gott Thot verehrt. Er war Herr des Kalenders und der Wissenschaft, den die Schreiber anriefen. Thot hat, wie Texte berichten, die Masse und doch wohl auch die Formen für neue Tempel vorgegeben. In der Zeit der Ptolemaier hiess die Stadt Hermopolis, denn als Äquivalent zu Thot wurde Hermes Trismegistos, der dreifach grosse Hermes verehrt. Wir werden sehen, dass Ptolemaios III. mit Gründung und Bau des Tempels von Edfu eine besondere Beziehung zu Thot-Hermes bekundete. Der Ägyptologe Günther Roeder, 1915 bis 1945 Direktor des Pelizaeus Museums in Hildesheim, hatte schon als junger Mann in Ägypten und auch in Nubien an Ausgrabungen teilgenommen. 1929 entschied er sich, unter dem Generalthema Stadtforschung in Hermopolis Magna den Spaten anzusetzen. Es gelang es ihm, ein Team bedeutender Spezialisten zusammenzustellen. Dazu gehörten Prähistoriker, die eine ausgefeilte Grabungstechnik aus Europa mitbrachten, Bauforscher aus der Schule von Koldewey, die bei der Ausgrabung von Lehmziegelarchitektur im Vorderen Orient erstaunliche Ergebnisse erzielt hatten, sowie Althistoriker und Philologen, die sich den zu erwartenden Papyri und Inschriften widmen sollten. Die ägyptischen Behörden stimmten dem Vorhaben zu. In zehn Kampagnen durchpflügte Roeder mit bis zu 200 m langen Schnitten das Zentrum und den nördlichen Teil der Stadt. Den erhofften Überblick über die Geschichte des Tell brachten sie nicht. Als 1939 die Arbeiten eingestellt werden mussten, war das Generalthema Stadtforschung noch in weiter Ferne. Roeder hatte freilich 1929 nicht ahnen können, dass die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland der Ausführung einer teuren und langwierigen Ausgrabung in Ägypten entgegenstand. Vor allem aber entsprachen die örtlichen Gegebenheiten nicht den Erwartungen: So verhindert in Hermopolis-Ashmuneion ein sehr hoher Grundwasserspiegel Tiefgrabungen im Stadtgebiet, so dass Schichten des Alten Reiches nicht erreichbar sind. Und die jüngeren Phasen folgen so dicht aufeinander, dass an vielen Stellen eine Trennung nicht möglich ist. Denn die dörflichen Bewohner tragen jährlich die Sabbach genannte fruchtbare Acker-Krume zur Düngung ihrer Felder ab. Die Dorfbevölkerung trägt noch zu einem weiteren Übelstand bei: Über die ganze Stadt verstreut finden sich Kalköfen (im Hof des Ptolemaion allein sieben). Diese sind Zeugnisse der Jahrhunderte geübten Praxis, historische Kalksteinbauten zu zerschlagen und zu brennen, um Kalkmörtel und Estrich herzustellen. Roeder und seine Mitarbeiter berichteten jährlich in den Kairener Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Eine zusammenfassende, prägnante und doch detaillierte Dokumentation konnte Roeder erst 1959, Abb. 1 Karte der Preussischen Ägypten-Expedition (Ausschnitt) mit der Lage von Hermopolis Magna in Mittelägypten im Fruchtland auf der linken Seite des Nil. 12 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna 20- Jahre nach Abschluss der Arbeiten vorlegen. 2 Klaus Parlasca würdigte 1960 in einer Rezension Roeders Engagement. 3 Dessen Dokumentation ist auch deshalb wichtig, weil sich die Stadt nur 30 Jahre später in einem noch trostloseren Zustand befand. A.J. Spencer und D.M. Bailey, ein Ägyptologe und ein Klassischer Archäologe vom British Museum in London, widmeten sich sechs Jahre lang Ausgrabungen in Hermopolis Magna. Dem Bericht über die erste Kampagne 1980 schickten sie einen Alarmruf voraus, in dem auf Abb. 2 Hermopolis Magna. Karte der französischen Ägypten-Expedition 1798 mit Eintragung relevanter historischer Bauten und Strassen. 13 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna den bedrohlichen Anstieg des Grundwassers seit dem Bau des Assuan-Staudamms hinwiesen. Das hat zur Folge, dass die Fläche des Tell sich ständig verkleinert, und die wenigen sichtbaren Ruinen in Pfützen stehen: Salt is a major Problem in Ashmuneion; water and salt make the site a prime candidate for rescue excavation. 4 Topographie und Stadtpläne Die Ruinen von Hermopolis Magna liegen etwa 8 km vom heutigen Bett des Nil entfernt mitten in der Fruchtebene des westlichen Ufers (Abb. 1). Weiter nach Westen gleichweit entfernt ist der Gebirgszug Tuna el-Gebel mit Nekropole und Steinbrüchen. Aus den Feldern der Fruchtebene erhebt sich der Tell um 2 bis 4- m. Er hat ovalen Grundriss bei etwa 1500 m Ausdehnung in Nord- Süd-Richtung und etwa 1100 m in Ost-West-Richtung. Die Fläche beträgt etwa 150 ha. Das entspricht einer antiken griechischen Grossstadt. Stadtmauern sind nicht nachgewiesen. Das Dorf Ashmunein mit engen Gassen bedeckt den Süden, das Dorf Idara den Nordosten des Tell. Einen ziemlich genauen Gesamtplan von Hermopolis Magna hatten Teilnehmer der Ägypten- Expedition Napoleons 1798 gezeichnet. Beinahe 150 Jahre orientierten sich Besucher an diesem Plan (Abb. 2). Erst im Zusammenhang mit der Ausgrabung Roeder stellte Arnold Nöldeke, ein Schüler von Koldewey, mit Theodolit und Nivelliergerät auf Einzelblättern im Massstab 1: 1000 einen neuen Gesamtplan her. Roeder publizierte diesen Plan 1959 im Massstab 1: 2000 in zwei gefalteten Teilen. Nöldeke nennt nur drei als Ruine erkennbare Monumente im Stadtgebiet, die er als Fixpunkte seiner Vermessung nutzen konnte: Die Basen des ‚Portikus‘ vom Tempel des Thot und Hermes Trismegistos (dessen Säulen bereits ein Opfer der Kalkbrenner geworden waren), ferner die Ruinen des Amun-Tempels Sethos II. und weiter südlich Reste von Kolossalstatuen Ramses II. Im Nöldeke-Plan sind Schuttberge mit Mauerresten genau verzeichnet, aber ohne Ausgrabung bleiben sie ohne Deutung. Im Westen nennt Nöldeke ein „Koptisches Wohnviertel “ und ergänzt Mauern zu einem Hofhaus. Im Südosten vermutet er griechische Wohnhäuser. Die Einzeichnung des Komasterion beruht ebenso auf Vermutung wie die Lage des Makellon (Fleischmarkt im Phrourion? ). Statt eines erneuten Abdrucks des Nöldeke- Plans lege ich im Hinblick auf die Diskussion des Temenos für Ptolemaios III. eine Skizze vom nördlichen Stadtgebiet vor, die weniger Anspruch auf genaue Lage der Monumente erhebt, aber neuere Forschungen berücksichtigt (Abb. 3). Berichte früher Besucher Reisende des frühen 19. Jahrhunderts trafen am Ort noch die mächtigen Säulen vom ‚Portikus‘ des Thot-Tempels an. Die damals entstandenen Stiche wurden in Ermangelung der Originale zum Wahrzeichen von Hermopolis Magna (Bilder im Internet). Vivant Denon, Direktor der Nationalen Museen in Paris und Teilnehmer an Napoleons Ägypten-Expedition, veröffentlichte gleich nach seiner Heimkehr einen Bericht über Reisen durch Ober- und Unter-Egypten. Die deutsche Übersetzung erschien in Berlin und Hamburg schon 1803. Dort heisst es p. 189-191: Den folgenden Tag um 4 Uhr befanden wir uns zwischen Antinoe und Hermopolis. Ich war nicht sehr neugierig Antinoe zu besuchen; Monumente aus Hadrians Jahrhundert hatte ich schon gesehen, und das, was er in Egypten gebaut hatte, konnte nicht viel reizender und neues für mich haben, aber ich brannte vor Begierde nach Hermopolis zu gehen, wo sich, wie ich wohl wusste, ein berühmter Portikus befand. Meine Freude war daher sehr gross, als Desair mir sagte: wir wollen 300 Mann Kavallerie mitnehmen, und geschwinde nach Achmounein reiten, während sich die Infanterie nach Melaui begeben wird. 5 Als wir uns der Höhe, auf welcher der Portikus gebaut ist, befanden, sahe ich, wie er sich am Horizonte abzeichnete, und seine Riesenformen entwickelte. Wir gingen über den Kanal Abuassi und bald darauf mitten durch die Berge von Trümmern, bis wir endlich dies schöne Monument, ein Überbleibsel des allerhöchsten Altertums, erreichten. (Abb. 4) Wenige Jahre später besuchte der österreichische General, Diplomat und Orientreisender Anton von Prokesch- Abb. 3 Hermopolis . Skizze mit der Lage wichtiger Monumente im nördlichen Stadtgebiet (Verf.). 14 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna Osten mit einer Reisegesellschaft Hermopolis Magna. 1829 veröffentlichte er Erinnnerungen aus Ägypten und Kleinasien (Band I, Wien 1829). Er lobte den Enthusiasmus von Denon, korrigiert aber dessen Vorstellungen vom Alter des‚Portikus‘. Auf p.114-116 heisst es: Der Portikus bestand aus 12 Säulen zu 41' 6'' Höhe (13,12 m) und 27' 10'' Umfang (8,53 m), in zwei Reihen geordnet, mit einer Säulendicke Abstand zwischen den äußeren und 12' zwischen den beiden mittleren, so daß die Fronte 120' (= 37,93 m) betrug. Die ganze Höhe war 60'. Der Architrav und das Fries bestanden, der Eine und das Andere, aus fünf Blöcken, jeder 22' (6,70 m) lang... Die Säulenfusten (Schäfte) stellten Bündel vor am Obertheile, am unteren aber die Lotuspflanze. Die knäufe (Kapitelle) waren die einzigen in ihrer Art; ernster als die dorischen, aber zugleich reicher. Hieroglyphen und Bilder, dann ein Mäander mit gelb-roten Sternen auf blauem Grunde, zierten die Überlage (Decke). Weiter p.119: Denon irrte, wenn er diesen Bau aus der ältesten Zeit glaubte. Die Ringe, die ich unter den Hieroglyphen fand, weisen auf die Herrschaft der Ptolemäer. Aber er hatte Recht, wenn er hier den Typus der ägyptischen Baukunst sah, ... denn die griechischen Herrscher in Ägypten bewahrten in ihren Bauten den Stil aus der Zeit der Pharaonen. … (Hinweis: 1 Wiener Fuss im 19. Jahrhundert 31,61 cm, 1-Zoll 2,63 cm) Beide Reisende verlieren kein Wort zur offensichtlichen Unfertigkeit des Monuments. Auf der Zeichnung Abb. 4 ist zu erkennen, dass die Arbeiten eingestellt wurden, als vor dem 12-Säulensaal gerade die Wand mit fünf Durchgängen errichtet worden war. Philippos Arridaios und der Neubau des Tempels des Thot und des Hermes Trismegistos Kartuschen mit dem Namen Philippos Arridaios, des Bruders und Nachfolgers Alexanders, hatte schon 1821 Johann Heinrich Freiherr von Minutoli am ‚Portikus‘ des Thot Tempels entdeckt (Roeder, 1959, 53). 6 Das bedarf einer Erklärung. Als Alexander im Jahr 332/ 331 Alexandria ad Aegyptum gründete, war er bereits als neuer Pharao anerkannt. Damals soll er die Wiederherstellung der in der Perser- Zeit vernachlässigten und vielleicht 347 v.u.Z. bei der Rückeroberung der abtrünnigen Provinz zerstörten Heiligtümer befohlen haben. 7 Auf dem Sterbebett in Babylon im Juni 323 hatte Alexander seinen Siegelring Perdikkas übergeben und angeblich mit der Aufgabe betraut, für die Königsherrschaft des Philippos Arridaios Sorge zu tragen: προστασία τῆς Ἀρριδαίου βασιλείας. 8 So wurde der Stief bruder Alexanders zusammen mit dem noch nicht geborenen Kind der Roxane (das ein Junge werden sollte) vom Heer zum Nachfolger und König erhoben (Paus. 1,25,3). Das Königtum von Philippos Arridaios dauerte nur sechs Jahre. Im Jahr 317 wurde er ein Opfer der Kämpfe um die Macht im aufgeteilten Reich Alexanders. Arridaios war nie in Ägypten. Die dort seinen Namen tragenden Bauten wie das Barkensanktuar im Tempel des Weltenherrschers Amun in Karnak in Oberägypten 9 waren im Sinn Alexanders Zeichen der Achtung der ägyptischen Religion und der dort herrschenden Verhältnisse. Auch in Hermopolis handelten die mächtigen Priester im Namen des Pharao Arridaios. Der Neubau des Thot- Tempels erfolgte in rein ägyptischem Stil. Der griechi- Abb. 4 Hermopolis. Ansicht der 12-Säulen des Tempels des Thot und des Hermes Trismegistos, die beim Besuch der napoleonischen Forscher 1798 noch erhalten waren (Jaubert bei Denon 1803). 15 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna sche Gott Hermes (hier als der Dreimalgrosse) erscheint zwar neben Thot, aber die Architektur bietet keinen Hinweis auf griechische Formensprache. Reliefs, Hieroglyphen-Beschriftung und Farbe entsprechen am 12-Säulensaal ägyptischen Vorbildern. Die Decke war als Sternenhimmel farbig ausgemalt, wie Reisende berichten. Mit 40 m Breite des 12-Säulensaales gehörte der Neubau des Thot-Tempels zu den grossen Bauwerken Ägyptens. M. Kamal und E. Baraize vom Service of Antiquities haben um 1945 den Ort des ‚Portikus‘ gereinigt, einen Plattenboden festgestellt, von den Säulen aber nur noch die Standspuren der drei westlichen Basen angetroffen. Die Bewohner der Dörfer hatten fast ausnahmslos allen Kalkstein zu Kalk verbrannt. Leider erstreckte sich die Reinigung des Service nicht auf die sich nach Norden anschliessenden wichtigsten Räume des Heiligtums. Weil ägyptische Tempel dieser Grösse einem baulichen Schema entsprechen, kann uns aber ein Vergleich mit dem gut erhaltenen Tempel in Edfu (Abb. 5) nützlich sein. 10 Dieser Vergleich ist auch deshalb naheliegend, weil beide Bauten gleich gross sind und zur selben Zeit begonnen wurden. In Edfu folgt auf den grossen 12-Säulensaal nach Norden ein kleinerer 12-Säulensaal und dann in dreiseitiger Anordnung Kammern, die die Cella, das Allerheiligste umschliessen, wo eine Statue den dort anwesenden, aber unsichtbaren Gott darstellte. Die knapp 20- qm grossen 14 Kammern dienten verschiedenen Zwecken, und jede war für den Kultus wichtig. Das mag in Hermopolis Magna ähnlich gewesen sein. Jedenfalls ist damit zu rechnen, dass sich der dortige Tempel über den 12-Säulen- Saal hinaus nach Norden noch wenigstens 50-m erstreckte. Der Tempel gehörte zu den wichtigen Neubauten ptolemäischer Zeit in Ägypten. Einen Säulenfuss mit Kartusche von Philippos Arridaios fanden Spencer und Kollegen (Ashmunein 1982 p.62, Pl. 10a) in der Nähe des 12-Säulen-Saales (Abb. 6). Der Hieroglyphen-Text lautet: Arridaios geliebt von Shepses. Der Kalksteinblock besteht aus zwei Scheiben von zusammen 96-cm Höhe, einem Säulendurchmesser von 1,92- m und einem Durchmesser der Basis von 2,45-m. Es scheint sich um einen verschleppten Fuss einer der 12 Säulen zu handeln. Überraschend stellten Spencer und Kollegen mit einer Grabung vor dem 12-Säulen-Saal fest, dass der späte Thot-Tempel keinen Vorhof und auch keinen Pylon besass (Ashmunein 1981 p. 4). Prokesch Osten hatte allerdings noch in etwa 100 m Entfernung grosse Steinmassen beobachtet, die vielleicht doch zu einem Pylon gehörten. Jedenfalls war das Heiligtum unfertig geblieben. 11 Der 12-Säulensaal hatte hier die Funktion eines Propylon. Weil die Bauzeiten so grosser Objekte sich über Jahrzehnte oder sogar über Jahrhunderte erstreckten, scheint das nicht ungewöhnlich zu sein. Auch in Edfu entstand der Säulenhof erst sehr viel später. Im Zusammenhang mit dem Neubau des Tempels in Hermopolis muss der Grosspriester Petosiris genannt werden, dessen prächtiges Grabhaus mit gut erhaltenen Bildern (im Internet zu sehen) in der Nekropole Tuna el Gebel westlich von Hermopolis heute Fachleute und Touristen anzieht. 12 Petosiris rühmt sich, die durch fremde Invasion (der Perser) zerstörten Tempel und deren Landgüter restauriert zu haben. Der Papyrologe Abb. 5 Edfu. Der 130 m grosse Tempel wurde unter Ptolemaios III. begonnen. Der Hof mit dreiseitigem Peristyl entstand erst im 2. Jh. v.u.Z. (Zeichnung bei Kurth, PKG 15). Abb. 6 Hermopolis. Säulenfuss vom Tempel des Thot mit Kartusche von Philippos Arridaios (Spencer - Bailey 1982). 16 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna Jean Bingen erläutert dazu: Die heiligen Domänen sind geschlossene Einrichtungen, Scharnier zwischen dem Gouverneur des Gaues und seinem Land. Die Ländereien der Domäne wurden direkt von Petosiris und seinen Intendanten verwaltet. Sie produzierten Flachs und Getreide, wahrscheinlich Weizen und Gerste. Auch Weingärten, Obstgärten, Gehege für gehörnte Tiere, Kleinvieh und Geflügel sowie Papyrus, Fischfang und die Jagd sind organisiert, um eine Ergänzung der Einnahmen zu bewirken. 13 Grosspriester hatten eine machtvolle Stellung. Sie verfügten über die Einnahmen aus den Erträgen der zum Heiligtum gehörenden landwirtschaftlichen Betriebe und konnten selbst Neubauten und Restaurierungen in Auftrag geben und finanzieren. Wenn aber am Thot-Tempel auf Kartuschen der verbauten Quader der Pharao Philippos Arridaios als geliebt von Shepses bezeichnet wird, so muss dieser Neubau als sein Projekt angesehen werden. Seine Ermordung im Jahr 317 könnte die Einstellung (oder Unterbrechung) der Finanzierung aus weiteren Erträgen pharaonischer Ländereien bewirkt haben. Der ptolemäische Neubau war in unfertiger Form über sechs Jahrhunderte Mittelpunkt des religiösen Lebens in Hermopolis. Erst im 4. und 5. Jahrhundert u.Z. wurde das Gelände anders genutzt, wie Spencer und Bailey betonen. Zum Vorgänger-Bau, von dem Fundamente festgestellt wurden Ashmunein 1982 p. 7-10 Temenosmauer oder Umfassungsmauer des Phrourion? Wichtiges Ergebnis der langen Schnitte von Roeder und Gerhard Bersu war die Feststellung einer riesigen Umfassungsmauer aus Lehmziegeln. Bei einer Stärke von 15- m (? ) (Höhe unbekannt) beherrscht sie den Norden der Stadt und umschliesst ein fast quadratisches Rechteck von mehr als 600 m Seitenlänge (Abb.-3). Im Westen trennt eine spätere Zwischenmauer, ein Diateichisma einen schmaleren Streifen ab (Roeder 1959 p.106). Funde datieren diese gewaltige Mauer in die Zeit der 30. Dynastie, also in das 4. Jahrhundert v.u.Z. Weil eine Temenosmauer von dieser Stärke kaum vorstellbar ist, sollte erwogen werden, dass die unbeliebten Perser sich nach der Rückeroberung Ägyptens dieses Phrourion (das Wort kommt in Papyri vor) zum eigenen Schutz errichtet hatten. Weil in diesem Bereich ältere Heiligtümer lagen und dort in der Mitte des etwa 4- ha grossen Geländes auch der neue Tempel des Thot und des Hermes Trismegistos zur Zeit des Arridaios entstand, wurde der östliche Teil des Phrourion nach Abzug der Perser Heiliger Bezirk genannt. Die Schnitte von Roeder und Bersu ergaben, dass die gewaltige Lehmziegelmauer schon im 2. Jahrhundert v.u.Z. verfiel und keine militärische Bedeutung mehr hatte. Die beiden Hauptstrassen Plateia und Dromos In Papyri wird ein mit Platten gepflasterter Dromos oder auch ein Dromos des Hermes genannt (Roeder 1959 p.54). Es handelt sich um die wichtige Prozessionsstrasse zum Heiligtum des Thot und des Hermes Trismegistos. Hermann Schmitz, der über hellenistische Städte in Ägypten promoviert hatte, erkannte den Dromos in einer sich im Gelände abzeichnenden Vertiefung, die vom ‚Portikus‘ nach Süden führt. Spencer und Bailey sind der Sache nachgegangen und es gelang ihnen, das Plattenpflaster dieses Dromos an zwei Stellen ungefähr in der Mitte der 260- m langen Strecke zwischen dem Zwölf-Säulen-Saal des Thot-Hermes-Tempels und dem Pylon Ramses II. und zu entdecken (Abb.- 3). Der Verlauf entsprach weitgehend dem benachbarten, dem modernen nord-südlich verlaufenden Weg. Das Pflaster des Dromos besteht aus weissen, in einem Bett aus hellrotem Mörtel verlegten Kalksteinplatten (Ashmunein 1984, p.6.7). Weiter südlich war ein Pylon Ramses II. aufgedeckt worden, dessen östliche Hälfte in ptolemäischer Zeit abgetragen worden war, um dem Dromos Platz zu machen. Spencer hat diese Stelle mit dem Pylon Ramses II., und dem Sphinx-Tor im letzten Jahr seiner Forschungen in Hermopolis untersucht und festgestellt, dass es vor diesen Toren in symmetrischer Anordnung Obelisken gab (Ashmunein 1985, p.1-17, danach hier Abb. 7). Sind es die Obelisken, die Roeder 1959 p.53 als Stiftung eines Königs Nacht-Hor-hebti für seinen Vater Toth, den „zweimal Grossen, Herrn von Chmu-nu in seinem Hause erwähnt? An dieser Skizze zeigt sich deutlich, dass in Hermopolis wegen des jährlichen Abtragens der Sabbach-Erde (S. xx) Bauteile sehr unterschiedlicher Zeiten ohne trennende Schichten nebeneinander liegen können: Hier das Sphingentor des 4. Jhs. und Säulen eines spätkaiserzeitlichen Baus. Ich vermute, dass Spencer und Bailey wegen dieser Schwierigkeiten die Arbeit in Hermopolis einstellten. Schmitz erkennt auf der Karte von 1798 (Abb.- 2) an den seitlichen Rändern des Stadthügels die Ansatzstellen von Dämmen, die über die feuchten Felder führten: im Osten zum etwa 10- km entfernten Nil und weiter nach Antinoopolis jenseits des Flusses (wo heute Ausgrabungen der Universität Florenz im Gang sind). Im Westen führte ein gleicher Damm zur Nekropole von Tuna el Gebel mit den bekannten, ausgezeichnet erhaltenen Gräbern hoher Beamter (dort läuft ein internationales Projekt, und unter den Teilnehmern ist ein Vertreter des Pelizaeus-Museums Hildesheim, dem Roeder als Direktor vorstand). Die Verbindung der beiden Ansätze der Dämme ergibt eine fast gerade Linie: Hier verlief die in Papyri πλατεῖα genannte Hauptstrasse, der, wie die Karte von 1798 zeigt, nach 3000 Jahren im östlichen Teil noch immer ein Weg entspricht. Wie alle Strassen dieser Ordnung war der Fahrweg der antiken Strasse mindestens 7-m breit. Vom Sonnentor im Osten zum Mondtor im Westen (Papyri) hatte diese πλατεῖα eine Länge von 1140-m. 17 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna Dazu Anton von Prokesch-Osten 1829, p.115-116: Das Erste was, in Betreff der inneren Anordnung der Stadt, aus dem Anblicke der Schuttlagen hervorgeht, ist, daß sie in Form eines Kreuzes von zwei großen Straßen durchschnitten war. Eine Vertiefung, höher als die Ebene war also nicht das Bett eines Canals von 40 bis 60 Fuss Breite (12-18 m), sondern bezeichnet die Strasse von Süd nach Nord ... An dem südlichen Ende ragt noch ein Thorpfeiler aus mächtigen Blöcken, etwa 8 Fuß über dem Schutt, und hat vor sich, wo jetzt einige Dattel- und Suntbäume ein freundliches Gebüsch bilden, mehrere Granitsäulen liegen; eine derselben steht auch noch aufgerichtet. Es scheint, daß vor diesem Thore ein Säulengang bestanden habe ... zur Rechten, wo beide Straßen sich schneiden, vier Granitsäulen zu 7' 4'' Umfang (Umfang = 2,23 m; Durchmesser = 71-cm), und abermals Grundfesten aus gebrannten Ziegeln und Stein. Diese Reste sind römische. Der Gedanke an rechtwinklig sich kreuzende Hauptstrassen, an Cardo und Decumanus, ist nicht abwegig. Auch bei anderen Städten wie Apameia in Syrien datiert ein solches Strassenkreuz in Stadtmitte in das 3. Jahrhundert v.u.Z. Der Eintrag „Colonnes de Granit“ im Plan von 1798 bestätigt die Aussage von Prokesch-Osten: Es gab eine ostwestlich verlaufende Säulenstrasse. Der Ausbau der alten Plateia zu einer Säulenstrasse erfolgte in der späteren römischen Kaiserzeit, wie die am Boden liegenden Säulen und korinthischen Kapitelle beweisen. Abbildung der vom Schutt befreiten, am Boden liegenden Trümmer der Säulenstrasse bei Kamal, Annales 46 Pl. 71. An der Stelle der Kreuzung der Säulenstrasse mit dem nord-südlich verlaufenden Dromos stand an den Ecken je eine Säule. Sie bildeten eines von mehreren Tetrastyloi (S. 22). Wahrscheinlich war dieses von Prokesch- Osten genannte Tetrastylon das im ‚repair Papyrus‘ vorkommende grosse Tetrastylon (das nicht zu verwechseln ist mit der gleichen Bezeichnung für den Nebeneingang zur Basilika). Die hohen Säulen trugen vermutlich je eine Skulptur. Die grossen Städte, die reichen Poleis im Osten (Kleinasien, Syrien) lieferten sich in der Spätantike, im 3. Jahrhundert u.Z. einen Wettbewerb um die schönsten und längsten dieser Prunkstrassen, die manchmal sogar zu einem entfernten Hafen führten. Sie waren Promenaden, wurden oft beiderseits von Ladengeschäften begleitet und hatten wirtschaftliche Bedeutung. 14 Der ‚repair Papyrus‘ Vindob. Gr. 12565 Diesen Papyrus des 3. Jhs. u.Z. aus Hermopolis hat der Althistoriker Hermann Schmitz, ein Mitarbeiter von Roeder, zu einem Rekonstruktionsversuch des Stadtzentrums genutzt. Es handelt sich um Rechnungen, die aufwendige Reparatur-Arbeiten an der ost-westlich verlaufenden Säulenstrasse und an benachbarten Bauten be- Abb. 7 Hermopolis. Ausgrabung am Sphinxtor mit symmetrisch angeordneten Obelisken und auf demselben Niveau Säulen der kaiserzeitlichen Hallenstrasse in Falllage (Spencer - Bailey 1985). 18 Kapitel I: Chmunu - Hermopolis Magna treffen. Diese im Text genannten Bauten gehören teilweise ptolemäischer Zeit an (Athena-Tempel), teilweise der frühen Kaiserzeit (Augustus-Tempel, Domitian-Tempel) und der mittleren Kaiserzeit (Hadrians-Tempel, Antinoos-Tempel). Genannt sind ausserdem ein östliches und ein westliches Nymphäum (nach Schmitz auf dem zentralen Platz, wo sich Dromos und Plateia kreuzen), ein Serapeion, ein Neileion (Nilstand-Anzeiger), ein Komasterion (dort Beginn der Prozessionen? ), ein Tycheion und ein Makellon (Fleischmarkt). M. Kamal, Annales 46 p. 289-293 befasste sich ebenfalls mit dem Papyrus Gr. 12565. Er nennt die vier Abschnitte, die der Autor Aurelius Appianus beschreibt und betont, dass auch mehrere private Häuser vorkommen. An Bauten und an der Säulenstrasse waren die Dächer repariert worden. Säulen und Gebälke kommen in der Inschrift nicht vor. Trotz der Unsicherheiten (der Text ist unvollständig) füge ich einige Überlegungen an. Das in der Rechnung genannte Verbrauchsmaterial hat einen gewaltigen Umfang. In Zeile 167 (nach Schmitz) wird für Leistungen ein Gesamtbetrag von 65 Silber Talenten berechnet. Das scheint eine enorme Summe zu sein, aber die Drachme hatte seit der Zeit Alexanders sehr viel an Wert verloren. Silber Talente dieser späten Kaiserzeit waren nur noch versilberte Talente. Dazu der Spezialist Henderson: Though called silver, the coinage was actually of very base alloy. 15 In Zeile 160 werden 900 Balken zu je 8 Ellen (um 4-m) genannt. Auf Zeile 168 kommt Eisen vor (Nägel? Betrag fehlt) und in Zeile 169 wird Holz mit fast 4000 Raum- Ellen angegeben. In einfachen Längen-Ellen wären das 2000 laufende Meter Holz, vermutlich Balken oder Sparren oder Bretter einer Schalung zur Aufnahme eines Estrichs (Flachdach). In zahllosen, überall im Gelände anzutreffenden Öfen wurde aus Kalksteinen ruinöser Gebäude Kalk gebrannt. In Gruben mit Wasser gelöscht, wurde er zu Baukalk. Kalkmörtel (Plin. Nat. 36,63) diente mit Sand und Asche zur Herstellung eines 1/ 2 Fuss (etwa 15- cm) hohen Estrichs für Flachdächer (Vitruv 7,1), der indessen nicht völlig wasserdicht war. 16 Die Estrich-Flachdächer mussten von Zeit zu Zeit erneuert werden. Dachziegel sind in Hermopolis nicht gefunden worden. Die Simen der Dächer ptolemäischer Zeit in Ägypten haben keine Wasserspeier. In Zeile 162 des Papyrus werden 5216 Schilfbündel genannt, das Bündel zu 4 Obolen, zusammen 2256 Drachmen. Kleingeschnittenes Schilf wurde Lehmziegeln beigegeben, um deren Festigkeit zu erhöhen. Der Bedarf an Lehmziegeln war gross, denn nicht nur die Rückwände der Hallen, sondern alle festen Wände (auch die des Tempels im ptolemäischen Temenos S. 28) wurden aus diesem preiswerten Material errichtet. Lehmziegelwände mussten witterungsbedingt verputzt werden. Zeile 160 des Papyrus nennt Mörtel für immerhin 19 Talente. Hier stellt sich noch die Frage, warum das grosse Ptolemäer-Temenos im ‚repair Papyrus‘ nicht vorkommt. Vielleicht war es auf einer der nicht erhaltenen Seiten genannt. Möglich ist aber auch, dass dieser von Privatleuten gestiftete und vermutlich von einem Verein unterhaltene Bau nicht zum Restaurierungs-Programm gehörte, von dem wir annehmen, dass der Auftrag von der lokalen Administration erteilt worden war. 19 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. Grabungen im ptolemäischen Heiligtum Als 1939 nach Ausbruch des Weltkriegs sich abzeichnete, dass Roeder seine Grabungen nicht fortsetzen würde, begann Emile Baraize, Direktor am Department of Antiquities, eine Reinigung des Stadtzentrums in Hermopolis. Diese Arbeiten setzte der Archäologe und Mitarbeiter am Department Moharrem Kamal 1942 fort. Nach fünf Monaten konnte er wichtige Ergebnisse vorweisen. 17 Sie betreffen die Säulenstrasse, die er nach jeder Seite 124 m weit verfolgen konnte. Stellenweise ist das Strassenpflaster aus Kalksteinblöcken erhalten. Bruchstücke monolither Säulenschäfte, Kapitelle, und Gebälke kamen ans Licht. Noch aufrecht stehende Säulen südlich der Säulenstrasse hatten Roeder und Schmitz für Hallen der Agora gehalten. Hier ergab die Reinigung von Schutt, dass diese Säulen zu einer bedeutenden spätantiken Basilika gehörten. Sensationell waren Funde hellenistischer Bauteile, die Kamal in den Fundamenten der Basilika antraf. Dazu zählen fünf wohl erhaltene und zusammen gehörige Architrav-Blöcke mit einer eingeritzten Widmungsinschrift in grossen Lettern. Die Ausgräber Baraize und Kamal wurden Entdecker des interessantesten Heiligtums für den hellenistischen Königskult. Alan J.B. Wace, Universitätsprofessor und eigentlich Spezialist für mykenische Archäologie war schon Pensionär und folgte 1945 dennoch einem Ruf auf eine Professur am Department of History and Archaeology der Alexandria University in Ägypten. Im selben Jahr 1945 machte er den Fund der genannten Dedikationsinschrift im Journal of Hellenic Studies unter der Überschrift Recent Ptolemaic Finds in Agypt p.106-109 bekannt. Angeregt durch den Fund der Inschrift begann Alan Wace 1949 mit Kollegen und Studenten der Universität Ausgrabungen in Hermopolis Magna, die er 1950 und 1951 fortsetzte. Mittelpunkt seiner Forschungen war das in der Dedikation genannte Heiligtum für Ptolemaios III. Euergetes. Im Oktober 1959 erschien unter seinem Namen ein Bericht mit zahlreichen Fotografien und Plänen. 18 Seine Schilderungen auf knapp 30 Seiten und 27 Tafeln sind die einzigen dieses hoch interessanten Monuments und werden hier auf den folgenden Seiten oft zitiert. Alan Wace betont in seinem Bericht, dass er kein Spezialist für ptolemäische Architektur sei. Er hoffe auf die Teilnahme eines Fachmanns bei künftigen Ausgrabungen. Leider musste er bald darauf krankheitsbedingt nach England zurückkehren, so dass weitere Ausgrabungen unterblieben. Samy Shenouda vom Department of History and Archaeology der Universität Alexandria fügte der genannten Publikation ein Acknowledgement an, umriss den Stand der Forschung in einer Introduction und hob die Verdienste aller an den Ausgrabungen Beteiligten hervor. Es sei noch erwähnt, dass Emile Baraize, Fachmann für die Herrichtung von Grabungsstätten, 1945 eine ganze Reihe von Säulen der Basilika wieder aufrichten liess. Wieder aufgerichtet wurden auch die vier grossen Säulen eines Tetrastylon, das einen Nebeneingang zur Basilika darstellte. 1968 reiste ich als Stipendiat des Deutschen Archäologischen Instituts nach Ägypten. In Alexandria widmete ich mich mit Erlaubnis und Hilfe der Direktoren H. Riad (der früher Mitarbeiter von Kamal in Hermopolis gewesen war) und Y. H. Shehata des Griechisch-Römischen Museums zunächst den seit Achille Adriani vergessenen, im Hof des Museums aufbewahrten Bauteilen eines unvollendeten Bauvorhabens im Zentrum von Alexandria (S. 38). Auf meine Frage nach der Herkunft zweier korinthischer Kapitelle mit Farbspuren im Museum nannte mir der Direktor das ptolemäische Heiligtum in Hermopolis Magna. Kurz entschlossen reiste ich im Januar 1969 mit der Erlaubnis der Antikenbehörde nach Hermopolis Magna. Zwei Tage studierte ich die verlassenen Ruinen und Bauteile des Heiligtums für Ptolemaios III. Einige Notizen nutzte ich für meine Publikation des unvollendeten Bauvorhabens in Alexandria. 19 Ich hoffte später in Hermopolis Magna genauere Studien durchführen zu können. Als ich nach Jahren dafür Zeit fand, teilte mir Peter Grossmann aus Kairo mit, dass der Ort unsicher sei und nicht besucht werden könne. Später, als Lehrer an der Universität hielt ich nach Interessenten für die Fortsetzung der von Alan Wace begonnenen Forschungen Ausschau. Weil sich niemand fand, habe mich entschlossen, meine damaligen Notizen auszuwerten und einen Bericht vorzulegen. Agora und Temenos Wie könnte eine in Papyri als besonders schön bezeichnete Agora ausgesehen haben? In einem öffentlichen Zent- 20 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. rum griechischer oder von Griechen dominierter Städte sollten wir neben Heiligtümern und Altären Bauten wie Gericht, Börse, Prytaneion, Buleuterion, Gymnasion (in Papyri erwähnt), Bäder (ebenfalls erwähnt) und Hallen antreffen. Ein Marktplatz mit Verkaufsständen und Ladengeschäften für verderbliche Waren wäre in der Nachbarschaft getrennt von der politischen Agora zu suchen. 20 Für unsere Studie ist Zeile 176 (nach Schmitz) des ‚repair papyrus‘ wichtig, weil im Zusammenhang mit dem Hadrians-Tempel und einem benachbarten Antinoos-Tempel (nach Schmitz beide im Zentrum östlich der grossen Kreuzung) das Wort Agora vorkommt. Näheres erfahren wir aus dem Papyrus nicht. Die Agora der Ptolemaierzeit in Hermopolis hat zweifellos in diesem zentralen Bereich gelegen. Kurt Bittel, damals Mitarbeiter von Roeder, hat dort südlich des Hügels Kom el Kanissa (Kirchenhügel) die Ruine eines Bades entdeckt und untersucht. 21 Foto (Abb. 8) und Grundriss-Skizze Bittels beweisen kaiserzeitliche Umbauten, zeigen aber auch, dass hier ursprünglich ein Rundbad mit kreisförmig angeordneten Sitzwannen stand. Das war der weit verbreitete Typus öffentlicher Bäder in klassischer und hellenistischer Zeit. Solche Bäder wurden nahe der Stadttore errichtet, finden sich aber auch nicht selten am Zugang zur Agora. Ich zeige ein gut erhaltenes Beispiel bei der Agora in Thessaloniki aus dem 3. Jahrhundert v.u.Z. (Abb. 9). 22 Für Hermopolis vermute ich, dass das öffentliche Bad 3 mit 24 Wannen am südlichen Zugang zur Agora lag, die sich nach Norden bis zur grossen Säulenstrasse erstreckte. Es sei noch darauf hingewiesen, dass im Plan der Ausgrabung Wace (Abb. 10) im Süden und im Westen aussen direkt an der Temenosmauer kleine Räume verzeichnet sind, die auf Ladengeschäfte und Handwerksbetriebe (Kaiserzeit) schliessen lassen. Die Agora der Ptolemaierzeit nahm zunächst einen mehr als 1 ha grossen Raum südlich der Hauptstrasse ein. Auf diesem, um die Mitte des 3. Jhs. v.u.Z. noch teilweise unbebauten Gelände, fanden die Katoikenreiter zusammen mit ihrem Architekten einen Bereich, auf dem das Temenos für Ptolemaios III. mit Ehefrau und Eltern errichtet werden konnte. Das Grundstück für das Temenos war 9000 m 2 (knapp 1 ha) gross (die langgestreckte Form wird S. xx erklärt). Seine Abtrennung von der Agora, dürfte nur mit Zustimmung des griechischen Gouverneurs bzw. der Stadtverwaltung möglich gewesen sein. Abb. 8 Hermopolis. Zerstörtes Bad 3 am Rand der Agora (Foto K. Bittel). Abb. 9 Thessaloniki. Frühhellenistisches Rundbad mit Sitzbadewannen am Rand der Agora (Foto Ergo Makedonia 10A) 21 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. Abb. 10 Hermopolis. Plan der Ausgrabung Wace. Ptolemäisches Heiligtum und frühchristliche Basilika. Aussen an der Umfassungsmauer Werkstätten und Läden (Bauaufnahme und Zeichnung Istephanos 1951). 22 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. Mit der Lage an der ost-westlichen Plateia (später Antinoos-Strasse) waren dem Temenos für Ptolemaios III. nach Aussage des ‚repair Papyrus‘ Vindob. Gr. 12565 weitere Heiligtümer der Ptolemäerzeit und dann auch der Kaiserzeit benachbart. Weitere Bauten wie etwa ein Vespasian-Tempel werden in bruchstückhaft erhaltenen Steininschriften genannt. Genaue Lage der Basilika und des ptolemäischen Temenos Die Ausgräber hatten am Rand der ost-westlich verlaufenden Hauptstrasse vier in einer Reihe stehende Säulen ausgemacht, die sie anfangs irrtümlich für Reste eines Tetrapylon hielten. 23 Später nannten sie diese Säulen Tetrastylon, und noch später zeigte sich, dass das ein Nebeneingang zur Basilika war, die am Ort des ptolemäischen Temenos im 4. Jahrhundert errichtet worden war. In einem vorläufigen Grabungsbericht von Roeder gibt es eine Skizze mit der punktgenauen Einzeichnung des Tetrastylon an einem Durchgang durch die Phrourion- Mauer. Dieser Durchgang ist genau 80 m von der Stelle entfernt, wo der moderne Weg in Fortsetzung des Dromos die Phrourion-Mauer kreuzt. Das ist wichtig, denn mit der genauen Lages des Tetrastylon und der Basilika ist auch die Lage des Temenos gesichert, wie aus dem Plan von Wace (Istephanos) zu sehen ist (Abb. 10). Basilika Dank der noch aufrecht stehenden und aufgerichteten Säulen ist heute die Basilika die Hauptsehenswürdigkeit in Hermopolis. Auf Anregung von Alan Wace interessierte sich der Director of Antiquities of Cyprus H. E. S. Megaw für die Basilika und schrieb in der Publikation von Wace einen kurzen Beitrag, in dem er die kunstgeschichtliche Bedeutung der Basilika hervorhob. Die Ausgräber haben die breite Treppenstufen im Westen (Abb. 11) für einen Zugang zum griechischen Temenos gehalten. Richtig ist, dass diese breiten Treppenstufen den Hauptzugang von Westen in die Basilika darstellten. Der Irrtum war möglich, weil fehlende Schichten zwischen den beiden Phasen Gleichzeitigkeit suggerieren. Peter Grossmann nennt in seinem Handbuch Christliche Architektur in Ägypten 24 die Basilika in Hermopolis Magna eine der bedeutendsten Repräsentanten der frühchristlichen Baukunst in Oberägypten und betont, dass es sich nicht um eine Dreikonchenbasilika handelt, sondern um den Typus Querhausbasilika (Abb. 12). Die Querschiffe mit je 10 vor der Wand stehenden Säulen sind knapp 7 m breit und also schmal im Verhältnis zum 12,40 m breiten Längsschiff. Für die Aufbewahrung von Reliquien boten sie die geeignete Feierlichkeit. Und an mindestens zwei Stellen gibt es unterirdische Grüfte (eine in der Südost-Ecke der Umfassungsmauer), Abb. 11 Hermopolis. Stufen einer breiten Treppe des Haupteingangs zur Basilika im Westen. Im Hintergrund aufgerichtete Säulen der Basilika (Foto Verf. 1969). 23 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. Abb. 12 Hermopolis. Querhausbasilika, teilweise auf den Fundamenten des Temenos für Ptolemaios III. errichtet (Grossmann). die vermutlich aus Platzmangel für weitere Reliquien angelegt wurden. Die nahe Wüste spricht in Hermopolis Magna für die Deutung der Basilika als Stätte der Verehrung für Eremiten. Dieses Phänomen hatte im 4. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreicht. 25 Die Säulen und die korinthischen, weit ausladenden Kapitelle der Basilika sind Spolien der späten Kaiserzeit der Säulenstrasse. Schliesslich sei noch ein Schatzfund „dicht am Westende der Basilika“ erwähnt, der während der Ausgrabung Wace gemacht wurde. Auf 46 Goldmünzen sind die römischen Kaiser von Konstantin bis zu Valentinian und Abb. 13 Hermopolis. Plan von Istephanos (rot) der Ausgrabung Wace mit Einzeichnung der rekonstruierten hellenistischen Bauten im Ptolemaion. Der Abstand der Front des Tempels vom Propylon beträgt das Dreifache der Breite des Objektes (Tempelfront) (Istephanos - Verf.) 24 Kapitel II: Lage und Erforschung des Temenos für Ptolemaios III. Valens (mit Ausnahme von Julian) dargestellt. 26 Valens regierte in Antiochia und fand 376 in einer Schlacht gegen die Goten den Tod. In seiner kurzen Regierungszeit oder doch kurz danach muss der Sich chatz vergraben worden sein. Für den Bau der Basilika wiederverwendete Fundamente des ptolemäischen Temenos Aus Bequemlichkeit, vielleicht auch aus rechtlichen Gründen haben die Bauherren der Basilika, wie schon erwähnt, die Umfassungsmauern des hellenistischen Temenos weiter benutzt. Natürlich verlangte der Plan der Basilika mit drei Apsiden sehr spezielle Fundamente, zumal der Neubau zwar die Richtung beibehält, aber aus der Mittelachse des Temenos verschoben ist (Abb.- 10). Aber dort, wo eine Übereinstimmung in der Lage von Mauern beider Epochen möglich war, wurden die alten Fundamente nochmals benutzt. Das war möglich, weil das Laufniveau sich nicht verändert hatte. Das Fundament der westlichen Säulenstellung des Propylon trug später die Grundmauer der grossen Apsis (Abb. 13). Besonders wichtig für die Rekonstruktion der Gesamtanlage ist die Vermutung, dass die auffallend starke Narthex-Aussenmauer der Basilika auf älteren Grundmauern des Tempels aufsitzt. Denn hier muss, wie unten (S. 32) erläutert wird, die Front des Tempels gelegen haben. Nicht zufällig liegt diese Mauer genau in der Mitte des 120 m langen Temenos. Das muss ein Grundstein des Entwurfs gewesen sein. 25 Kapitel III: Dedikation und Katoiken-Reiter Die Inschrift Die auf fünf Architraven einer dorischen Ordnung vollständig erhaltene Dedikationsinschrift (Abb. 14. 15.) die - wie oben erwähnt - in den Fundamenten der Basilika in Hermopolis Magna angetroffen wurden, lautet: Βασιλεῖ Πτολεμαίωι τῶι Πτολεμαίου καὶ Ἀρσινόης, θεῶν Ἀδελφῶν, καὶ βασιλίσσηι Βερενίκηι τῆι ἀδελφῆι αὐτοῦἱ καὶ γυναικὶ θεοῑς Εὐεργετέταις καἱ Πτολεμαίωι καὶ Ἀρςινόηι θεοῖς Ἀδελφοῖς τὰ ἀγάλματα καὶ τὸν ναὸν καὶ τὰ ἄλλα ἐντὸς τοῦ τεμένος καὶ τὴν στο[ά]ν, οἱ τασσόμενοι ὲν τῶι Ἑρμοπολίτηι νομῶι κάτοικοι ίππςε[ῖ]ς, εὐεργεσίας ἕνεκεν τῆς εἰς αὐτούς. ΒΑΣΙΛΕΙ ΠΤΟΛΕΜΑΙΩΙ ΤΩΙ ΠΤΟΛΕΜΑΙΟΥ ΚΑΙ ΑΡΣΙΝΟΗΣ ΘΕΩΝ ΑΔΕΛΦΩΝ ΚΑΙ ΒΑΣΙΛΙΣΣΗΙ ΒΕΡΕΝΙΚΗΙ ΤΗΙ ΑΔΕΛΦΗΙ ΑΥΤΟΥ ΚΑΙ ΓΥΝΑΙΚΙ ΘΕΟΙΣ ΕΥΕΡΓΕΤΑΙΣ ΚΑΙ ΠΤΟΛΕΜΑΙΩΙ ΚΑΙ ΑΡΣΙΝΟΗΙ Θ? ΕΟΙΣ ΑΔΕΛΦΟΙΣ ΤΑ ΑΓΑΛΜΑΤΑ ΚΑΙ ΤΟΝ ΝΑΟΝ ΚΑΙ ΤΑ ΑΛΛΑ ΕΝΤΟΣ ΤΟΥ ΤΕΜΕΝΟΣ ΚΑΙ ΤΗΝ ΣΤΟ[Α]Ν OI ΤΑΣΣΟΜΕΝOI ΕΝ ΤΩΙ ΕΡΜΟΠΟΛΙΤΗΙ ΝΟΜΩΙ ΚΑΤΟΙΚΟΙ ΙΠΠE[I]Σ ΕΥΕΡΓΕΣΙΑΣ ΕΝΕΚΕΝ ΤΗΣ ΕΙΣ ΑΥΤΟΥΣ Übersetzung von Stefan Pfeiffer: Ptolemaios und Arsinoe, der Geschwistergötter, und der Königin Berenike, seiner Schwester und Gemahlin, den Wohltätergöttern, und dem Ptolemaios und der Arsinoe, den Geschwistergöttern, (haben) die im hermopolitischen Gau stationierten Reitersiedler die Statuen und den Tempel und alles andere, was sich im heiligen Bezirk befindet, und die Stoa aufgrund der ihnen erwiesenen Wohltaten (geweiht). Mit anderen Worten: Die im hermopolitischen Gau stationierten Katoiken-Reiter haben für die ihnen erwiese- Abb. 14.15 Hermopolis. Dedikations-Inschrift auf Archtraven von der Front des Propylon am Ptolemaion. Abb. 15 zeigt die nördliche Ecke mit Übergang zur Langseite (Fotos Verf. 1969). 26 Kapitel III: Dedikation und Katoiken-Reiter nen Wohltaten ihrem König Ptolemaios III. und dessen Frau und Schwester Berenike II., den Wohltätergöttern, sowie seinen Eltern, Ptolemaios II. und Arsinoe, den Geschwistergöttern, die Statuen und den Tempel und alles im Heiligtum und die Stoen geweiht. Bei diesem Text handelt sich um eine Formel, denn Berenike II. war die Tochter des Megas von Kyrene und der Apama und nicht, wie in der Inschrift gesagt, die leibliche Schwester von Ptolemaios III. Diese Berenike II. führte den Titel Schwester und Frau des Königs. 27 Damit ist bewiesen, dass es sich um einen offiziellen Text handelt. Die Stifter Für die ptolemäischen Könige hatten die Aussenpolitik und die im Mittelmeer agierende Flotte grösste Bedeutung. Im Inland, in Ägypten waren die κάτοικοι ίππεῖς, Plateiadie Katoiken-Reiter die wichtigste militärische Elite des Reiches. Stefan Pfeiffer betont, dass ihr nur Makedonen, Thrakier und Thessalier angehörten. 28 Einige Ägypter wurden später in diese königstreue Truppe aufgenommen. Wie aus dem Wort oikos hervorgeht, waren den Reitern Landlose zugeteilt worden. Deren Verpachtung sicherte ihnen einen hohen Lebensstandard. Im Ägypten des 3. Jhs. funktionierte die Zirkulation des Geldes nur unzureichend. L’ insufficance de la circulation monétaire et des disponibilités financière erörterte der Papyrologe Jean Bingen. 29 Katoiken-Reiter waren vermutlich in allen volkreichen Städten bis nach Oberägypten stationiert und natürlich auch mit grosser Garnison in Alexandria vertreten, wo sie auf der Akra (Burg) in Nachbarschaft der königlichen Paläste Dienst taten. Für Hermopolis Magna vermutet Roeder, dass die Garnison in dem durch eine Quermauer abgetrennten Streifen der grossen Umfassung lag (Abb.- 3). Dort sollen auch das einzige Gymnasion der Stadt und ein Viertel der Juden gewesen sein. Ergänzend hat Stephan Pfeiffer nach Prüfung der Quellen (Papyri) dargelegt, dass ein Teil der ptolemäischen Soldaten in private Häuser einquartiert wurden. Die Besitzer mussten ihren ‚Gästen‘ die Hälfte des Hauses zur Verfügung stellen. 30 Diese Anordnung des Pharao hatte aber vermutlich nicht finanzielle Gründe, sondern diente der Integration, der vor allem Sprachschwierigkeiten entgegenstanden. 31 Der 3. Syrische Krieg ein Raubzug? Worin die in der Inschrift in Hermopolis Magna genannten Wohltaten des Königs bestanden, verrät die Dedikations-Inschrift nicht. Vermutlich hatten die Katoiken-Reiter Sonderzuwendungen in Form von Geldgeschenken oder an anderen Formen von Edelmetall erhalten. Der für Ptolemaios III. sehr erfolgreiche 3. Syrische Krieg (246-241 v.u.Z.) war jedenfalls der Anlass für diese Wohltaten. Die Vorgeschichte dieses Krieges beginnt mit dem Ende des 2. Syrischen Krieges (262-253 v.u.Z.). Im Friedensvertrag hatte der syrische König Antiochos zugesagt, Berenike (die jüngere Berenike), die Tochter Ptolemaios II. zu heiraten und sich von seiner ersten Frau Laodike zu trennen. Durch diese neue dynastische Verknüpfung sollten künftig beide Reiche freundschaftlich verbunden sein. Aber später hatte Antiochos verfügt, dass doch Seleukos, sein ältester Sohn aus erster Ehe ihm auf dem Thron folgen sollte. Der kranke König hielt sich zu dieser Zeit in Ephesos auf, vermutlich um dort Laodike zu treffen, der Ephesos als Aufenthaltsort zugewiesen worden war. In Bedrängnis geraten, rief Berenike ihren Bruder Ptolemaios III., der 246 gerade Pharao geworden war, zu Hilfe und löste so den den 3. Syrischen Krieg aus. Denn Ptolemaios III., so scheint es, nutzte die Gelegenheit, mit Fussvolk, mit Reiterei, mit einer Flotte und mit troglodytischen und äthiopischen Elefanten im benachbarten Syrien einzufallen. Die Adulis-Inschrift, in der die gewaltige Streitmacht Ptolemaios III. aufgeführt wird, war nach dem Ende des Krieges in der Hafenstadt Adulis am Roten Meer geschrieben worden (sie ist aus der späten Abschrift eines Mönches bekannt). 32 Sie schmeichelt dem König, der hier megas basileus (Grosskönig) genannt wird und Mesopotamien, Babylonien, Susiana, Persis und Medien und alles übrige Land bis Baktrien seinem Gebot unterstellt hat und alles, auf was von den Persern an heiligen Gegenständen aus Ägypten weggeführt worden war, aufspürte und mit den anderen Schätzen von diesen Orten nach Ägypten bringen liess. Dann schickte er die Streitkräfte durch die Kanäle zurück. 33 In einer weiteren Quelle zu diesem Feldzug, der als Raubzug wirklich glaubhaft ist 34 , im Papyrus Gorub, ist von einem Schatz von 1500 Talenten in Kilikien die Rede, den sich Berenike angeeignet hatte, und der Ptolemaios III. in Antiochia in die Hände fiel. Daraus könnten die Wohltaten bestehen, mit denen der König seine Katoikenreiter belohnte. Die Rückkehr der von den Persern aus den ägyptischen Tempeln geraubten Götterbilder werden später im Dekret von Kanopos von den dankbaren Priestern als grosse Tat Ptolemaios III. gewürdigt. 27 Kapitel IV: Form und Konstruktion des Heiligtums für Ptolemaios III. Korrektur der Grösse des rechteckigen, ummauerten Temenos Wichtig für die Rekonstruktion des Temenos ist eine Korrektur im Plan des Temenos von Sharl Istephanos, des Architekten der Fakultät der Universität Alexandria. Wace bildete diesen Plan (hier Abb.- 10) ganzseitig ab und lobt zu Recht die Genauigkeit. Falsch eingezeichnet ist nur die nordöstliche Seite der Temenos-Mauer. Weil die nördliche Ecke nicht erhalten ist, lässt sie Isthephanos in seiner Zeichnung das hier später errichtete Babtisterium umfahren, und setzt sie auf der Nordostseite als gestrichelte Linie fort. Seine Mauer schwenkt aus, weil er das grosse Fundament nicht als ein vorspringendes Propylon erkannt hat. Die richtige östliche Temenosmauer (in der Zeichnung in blau gestrichelt) liegt 6- m weiter westlich. Zu dieser östlichen Temenosmauer gehört ein 1,50 m breites Mauerstück aus acht Quadern (mit seltsam hakenförmiger Verzahnung). Eine Bestätigung liefert die Proportion 1: 2 des nunmehr etwas kürzeren Temenos-Rechtecks, das nun zweifellos richtig 120-m Länge und 60-m Breite aufweist. Zuordnung der Bauglieder Die Dedikations-Inschrift legt nahe, dass das Heiligtum für Ptolemaios III. gleich nach dem Laodike-Krieg begonnen wurde. Die zahlreichen Bauglieder der Gebäude im Temenos belegen, dass nur griechische Architekten und Handwerker am Werk waren. Es waren Fachleute, vermutlich aus der Metropole Alexandria, die die Herstellung griechischer Formen beherrschten. Wace betont die Qualität der Bauglieder. Weil vom aufgehenden Mauerwerk mit Ausnahme einiger Stylobatplatten der Hallen und Fundamenten nichts in situ angetroffen wurde, war es für die Ausgräber nicht einfach, die vielen entdeckten Bauglieder den in der Inschrift genannten Bauten zuzuordnen. Es handelt sich um eine kleinere und eine grössere dorische Ordnung, Teile einer ionischen Ordnung und Bauteile einer korinthischen Ordnung. Heute wissen wir mehr über hellenistische Architektur, und es bedarf nicht einmal eines besonderen Fachwissens, um diese Serien den in der Inschrift genannten Bauten zuzuordnen. Im Osten, an der Temenosmauer befand sich ein Propylon mit sechs Säulen dorischer Ordnung an der die Dedikationsinschrift tragenden äusseren Front und sechs Säulen ionischer Ordnung auf der Hofseite. Der Tempel muss in der Tiefe des Hofes gelegen haben. Ihm gehörten mindestens 16 korinthische Kapitelle, 14 Basen, viele Säulentrommeln und einige an der Grösse und Form erkennbare Architrave an. Von der Umfassung des in der Inschrift nicht genannten Altars stammt ein Architrav-Fries- Balken mit farbiger Bemalung (Guirlanden), der wegen seiner Länge an anderer Stelle nicht unterzubringen ist. Den Hallen der auf drei Seiten an der Umfassungsmauer lehnenden Hallen gehörte eine kleinere dorische Ordnung an. Davon gibt es ein einziges Kapitell und viele unfertige Balken des Triglyphon, die nie versetzt waren. Baumaterial und Technik. Brüchiger Kalkstein. Lehmziegel Muschelkalkstein aus den Steinbrüchen in den Bergen westlich von Hermopolis ist das Material aller Bauglieder des hellenistischen Heiligtums. Die Techniken der Steinbearbeitung unterscheiden sich nicht von denen in Alexandria und Rhodos. Der Stein ist homogen und lässt sich leicht bearbeiten. Bossierte Flächen wurden mit Spitzmeisseln hergestellt, Spuren feiner Zahneisen sind auf den erhaltenen Oberflächen zu sehen. Sie dienten zur Herstellung rauher Flächen für die Aufnahme von Stuck. Der Farbauftrag erfolgte mit einer feinen, 2 bis 3- mm starken Stuckschicht. Dieser Kalkstein hat den grossen Nachteil, wenig tragfähig zu sein. Die Furcht vor Brüchen veranlasste den Architekten zu Notlösungen: Bauglieder mit geringer Höhe wurden mit anschliessenden Elementen in einem Stück gearbeitet, Basen und Kapitelle mit Säulenfuss oder Säulenhals. Auch bei Gebälken liegt der Steinschnitt nicht über dem Architrav, sondern in der Ebene des Frieses (dorische Ordnung) oder noch darüber (ionische Ordnung, korinthische Ordnung). Steinbalken der Decke in den Hallen des Propylon, die von den Fronten zur mittigen Wand reichten, wurden rinnenförmig ausgearbeitet, um ihr Gewicht zu verringern (Abb. 16). Wie beim Tempel in Karnak nachgewiesen, wurden die untersten Fundamentschichten in eine ausgleichende Sandschicht gebettet. Besondere Probleme bereitete der Baugrund im Osten des Heiligtums. Denn das Fundament des Propylons besteht aus 11 Schichten etwa gleich hoher Kalksteinblöcke. Im Westen neben der späten Freitreppe liegen vier, vielleicht sogar fünf gleiche Blöcke, die Teile eines Antenkopfes sind (Abb. 17). Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass 28 der schmalere Teil der an den quadratischen Kopf anschliessenden Wand grob gespitzte Seitenflächen aufweist. Das diente zur Aufnahme einer Putzschicht (Abb. 18). Und diese Putzschicht setzte sich zur Wand hin fort und schützte dort den Kern der Mauer aus Lehmziegeln. Wie die Umfassungsmauern des Heiligtums bestanden alle Wände des Tempels aus Lehmziegeln, die auf einer Steinschicht aufsassen. Die Ägypter hatten eine Jahrtausende lange Tradition in der Herstellung von Lehmziegeln und nutzten dieses zu ihren Füssen liegende Material nicht nur für Wohnbauten. 35 Vitruv 2,3 beschreibt die Herstellung der gestrichenen luftgetrockneten Lehmziegel, betont die Auswahl des richtigen Sandes (keine Erde! ) und die notwendige jahrelange Lagerung der fertigen Ziegel. Es muss in jeder Stadt grosse Lager nicht nur zum Trocknen von Bauholz, sondern auch von Lehmziegeln gegeben haben. Vielleicht geben Papyri dazu Auskunft. Vitruv 2,3,3 erwähnt Pentadoron- und Tetradoron- Ziegel, die fünf oder vier Handbreit gross waren (quadratisch oder Halbziegel). Wenn eine Handbreit 7,4 cm misst, so waren die Mauern in Hermopolis 3 Ziegel + 2-mal 3 cm Putz, also um 1,16 m breit. In der Nekropole Tuna el Gebel können noch heute aufrecht stehende Grabhäuser aus Lehmziegelmauern beobachtet werden, deren Stuckschicht eine sorgfältig ausgeführte Quaderung aufweist (Abb. 19). 36 Abb. 16 Hermopolis. Architrav der ionischen Ordnung des Propylon. Über der Fascie Innenseite mit U-förmig ausgearbeiteten Rinnen für die Aufnahme ausgehöhlter Balken aus Kalkstein. Abstand der Balken 1,15 m (Foto Verf. 1969). Abb. 17 Hermopolis. Am Rand der spätantiken Treppe liegen fünf Blöcke des südlichen Antenkopfes des Tempels (Foto Verf. 1969). Abb. 18 Hermopolis. Skizze der Konstruktion der Antenmauer aus Lehmziegeln mit Kopf aus Kalkstein (Zeichnung Verf.). Abb. 19 Tuna el Gebel. Ptolemäische Lehmziegelmauer eines Grabhauses mit Stuckverkleidung in Form einer Quaderwand (Foto Pensabene 1993). 29 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Propylon Ein griechisches Heiligtum wurde in aller Regel von Osten betreten (Ausnahme Artemision in Magnesia mit Kult bei Vollmond). 37 In Hermopolis befindet sich in der Mitte der östlichen Mauer des Heiligtums das aus 11 Steinschichten bestehende Fundament des Propylon. Auf Fotos von Januar 1969 sind 7 Schichten rechteckiger Blöcke aus Kalkstein zu erkennen (Abb. 20). Die Stylobatblöcke, die untereinander verklammert waren, sind nicht erhalten. Die oberste der sichtbaren Schichten scheint der Krepis anzugehören. Wace spricht p. 6 nicht vom Propylon, sondern von einem kleinen Bau about eleven metres wide. Die Grösse trifft zu, aber auf der Nordseite muss eine weitere mindestens 20 cm breite Plattenreihe ergänzt werden, denn das Propylon ist in der Mitte des Temenos anzunehmen. Die Gesamtbreite des Stylobat betrug 12,10 m, und an der Front standen sechs dorische Säulen. Die erhaltenen fünf dorischen Architravbalken mit Dedikationsinschrift (Gesamtlänge 11,71 m) passen dazu auf den Zentimeter genau (Abb. 21). Die Länge der drei mittleren Archtrave beträgt 2,28 m, 2,26 m und 2,25 m. Die beiden Eckblöcke sind mit 2,467 m und 2,460 m je 20 cm länger. Das betrifft den ‚dorischen Eckkonflikt‘. 38 Dieser resultiert aus der Tatsache, dass die Ecksäule mittig unter dem Architrav der anschliessenden Langseite stehen muss, zu der eine Ecktriglyphe überleitet. Im Normalfall wird die Ecksäule dichter an die vorletzte Säule herangerückt. Bei einer Front aus nur 6 Säulen kann das als misslich empfunden werden. Unser Architekt hat deshalb eine ‚gemilderte Eckkontraktion‘ ausgeführt, indem er die Eckarchitrave um 20 cm, um den halben Betrag des eigentlich nötigen Einrückens, verlängerte. Aus dieser Konstellation ergeben sich quadratische Stylobatplatten mit einer Seitenlänge von 1,11 m. Die Platten zwischen den Ecksäulen waren mit 98 cm etwas kürzer. Der linke obere Halb-Eckblock des Frieses bestehend aus Ecktriglyphe und quadratischer Metope von 69- cm Breite ist vollständig erhalten (Abb. 22) und bestätigt diese Rekonstruktion. Wace publiziert Taf. 16,3.4 ein am Abakus stark bestossenes Kapitell, das dem Propylon vermutlich angehörte. Der Schnitt der Triglyphen ist, wie im 3. Jahrhundert häufig, geometrisierend einfach. 39 Am Geison (wenigstens zwei Blöcke erhalten) bemerken wir flache, nur 5 mm hohe Tropfen und entsprechende Mutulusplatten. Die mit dem Geison verbundene Schräg-Sima mit steilem s-förmigen Profil ist auf dem Foto Abb. 23 deutlich zu sehen und beweist einen Giebel. Das kann nur ein Abb. 20 Hermopolis Magna. Acht Schichten des Kalkstein- Fundamentes des Propylon. Oben links unterste Stufe der Krepis (Foto Verf. 1969). 30 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung ‚blinder‘ Giebel gewesen sein, denn wie der Tempel wird auch das Propylon ein flaches Dach gehabt haben. Man kann von einer Art Kulissenarchitektur sprechen. 1969 notierte ich: Der Rand der Tropfenplatten blau und die Rinne unter der Geison-Nase rot. Auf der zum Hof weisenden Seite standen sechs ionische Säulen. Davon sind drei sehr verstümmelte Kapitelle erhalten (Abb. 24). Die Voluten und sogar die Hauptblätter des ionischen Kyma waren abgeschlagen worden, um bei Verwendung im Fundament der Basilika Zwischenräume zu vermeiden. Diese Fragmente hatten die Ausgräber zusammengestellt. Darunter ist eine mit Blättern belegte Volute eines Eckkapitells. Das Normalkapitell zeigt keine Besonderheiten. Vom Hauptkyma waren an der Front fünf Blätter sichtbar. Das Kyma an der Abakusplatte ist nicht im Detail ausgearbeitet. Vermutlich war es in den Farben blau und rot aufgetragen. Aus statischen Gründen wurden die Kapitelle (H-31,2-cm) mit dem Säulenhals (24 oben halbkreisförmig abschliessende Kanneluren) in einem Stück gearbeitet. Bei den erhaltenen Exemplaren des Gebälks bestehen ebenfalls aus statischen Gründen Architrav und Fries aus einem einzigen Block (Abb. 25). Messbare Exemplare haben die erforderliche Jochlänge von 2,27 m bei einer Höhe von 95 cm. Abb. 22 Hermopolis. Der erhaltene obere Teil des Eck-Friesblocks der grösseren dorischen Ordnung bestätigt die Rekonstruktion (Foto Verf. 1969). Abb. 23 Hermopolis. Geisonfragment mit Tropfenplatte und Sförmiger Sima von der rechten Ecke des Propylon (Foto Verf. 1969). Abb. 24 Hermopolis. Die Ausgräber fanden fünf der sechs ionischen Kapitelle des Propylon und stellten sie mit Säulenbasen und Säulentrommeln zusammen. Alle waren für die Zweitverwendung in Fundamenten der Basilika verstümmelt worden (Foto Ver. 1969). Abb. 25 Hermopolis. Ionischer Architrav-Frieblock von der Hofseite des Propylon. Ansicht der Innenseite mit zwei Faszien und ionischem Kyma über doppeltem Rundstab (ungewöhnlich) unter dem weiss stuckierten Fries. Länge 2,27 m (Foto Verf. 1969). Abb. 21 Hermopolis. Rekonstruktion der südlichen Ecke der Front des dorischen Propylon (Zeichnung Verf.). 31 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Verwandte Torbauten Auf Abb. 13 ist eine Rekonstruktion des Torbaus im Verhältnis zu den sichtbaren Fundamenten zu sehen. Im Osten ist an einer Stelle die oberste Stufe der Krepis erhalten. Da die Lage der Torwand gesichert ist (S. 22), ergibt sich für die dorische Halle eine Tiefe (Mitte Wand bis Mitte Säule) von 6,60 m. Und weil auf der anderen Seite die Mauer der Basilika-Apsis das ältere Fundament des Propylon benutzt, ist die Tiefe der ionischen Halle mit 7,20-m bestimmbar (Abb. 26). Unbekannt bleibt die Tür. Der Torbau zum Heiligtum der Grossen Götter auf Samothrake (Abb.26) war von Ptolemaios II. Philadelphos gestiftet worden. Bei fast gleicher Grösse trägt auch dieser Marmorbau aussen am Architrav eine Dedikationsinschrift. Sie wird von sechs ionischen Säulen mit schönen Kapitellen getragen. Auf der zum Temenos weisenden Seite standen sechs korinthische Säulen. 40 Von diesen Kapitellen sind Bruchstücke des feingliedrigen Akanthus erhalten. Von den Nordpropyläen in Epidauros habe ich schon früher vermutet, dass sie der Reihe ptolemäischer Kleinbauten zuzurechnen sind. 41 G. Roux schreibt in seinem bedeutenden Buch L’Architecture de l’Argolide zur Datierung der Nordpropyläen in Epidauros: Le plan évoque celui du Ptolémaion de Samothrace. In Hermopolis war die prunkvolle korinthische Ordnung für den peripteralen Tempel reserviert. Deutliche Verwandschaft (dieselben Bauleute? ) wird bei stilistischer Betrachtung der korinthischen Kapitelle des Tempels in Hermopolis mit denen des Propylon in Epidauros deutlich: teigige Akanthusblätter mit tüllenförmigen Blattrippen und grossen Augen. Altar Für die genaue Lage des zweifellos einst vorhandenen, aber in der Inschrift vielleicht nur vergessenen Altars östlich des Tempels und westlich vor dem Propylon gibt es wenig Anhaltspunkte (S. 27). Dem Altar zuzuweisen ist ein ungewöhnlich langer Architrav-Fries-Balken (Abb. 27. 28). Er lag 1969 direkt nördlich des Brunnens bei der Basilika, wo er von Wace gesehen und fotografiert worden war. Mit nur 55 cm Tiefe und erstaunlichen 5,41- m Länge muss für diesen zerbrechlich wirkenden Abb. 26 Samothrake - Hermopolis - Epidauros. Drei Torbauten des 3. Jahrhunderts v.u.Z. sind etwa gleich gross und zeigen bei sechssäuligen Fronten einen Wechsel der Säulenordnungen. Bemerkenswert ist der Innenraum der Nordpropyläen in Epidauros mit 14 korinthischen Kapitellen (Pläne nach Frazer - Verf. - Roux). Abb. 27.28 Hermopolis. Ein einziger Block (Architrav und Fries kombiniert) zeichnet sich durch erstaunliche 5,41 m Länge aus. Vermutlich gehörte er zu einer Umfassungsmauer des Altars, denn das Motiv der Ranken (von Wace noch beobachtet) kommt in diesem Zusammenhang häufig vor (Foto und Zeichnung Verf.) 32 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Balken ein besserer Stein ausgesucht worden sein. Er kann eigentlich nur der Umfassungsmauer eines Opferaltars zugewiesen werden. Wie am grossen Altar des Artemistempels in Magnesia, dem grossen Altar in Pergamon und noch bei der Ara Pacis war vermutlich auch der Opferaltar im Ptolemaion von einer rechteckigen Einfassung, die einen Windschutz darstellte, umgeben. 42 Der breite Durchgang dieser Umzäunung (dargestellt an der Ara Pacis und am Artemision in Magnesia) erlaubte Opfertieren den Zugang zum Opfertisch, erlaubte aber auch dem im Tempel verehrten Gott die Teilnahme am Opfer. In Magnesia ist der Fries mit Guirlanden geschmückt, die von Stierköpfen gehalten werden (Abb. 29). In Hermopolis hat Wace nach der Ausgrabung des Balkens noch rote, auf blauem Grund gemalte Guirlanden erkannt. Red and blue were the principal colours (Wace p.7). Auf dem Foto Wace Pl. 12,3 sind diese Guirlanden zu sehen. Besonders interessant ist das Foto desselben Blocks von 1969 (Abb.- 27): Über drei ungleich hohen Fascien leitet ein plastisch ausgearbeitetes, ausgezehrtes lesbisches Kyma zu einer Leiste über. Darüber folgt eine Frieszone. Auf der mit dem Kammeisen aufgerauten Oberfläche sind drei Stuckschichten zu erkennen: Auf einem Unterputz liegt eine weisse Stuckschicht auf, und auf dieser sind noch Reste einer Quaderung zu sehen. Ich glaube zu erkennen, dass oben in den Fugen der Quader Nägel und Schlaufen gemalt waren, mit denen die roten Guirlanden befestigt waren. Dieser Balken hat natürlich ein Gesims getragen. Davon ist nichts erhalten. Ähnliche noch heute erhaltene Stuck-Quader an der Aussenwand eines Grabhauses habe ich im Zusammenhang mit Lehmziegelwänden des Tempels erwähnt (S. 28). In Pompeji sind kürzlich bei neuen Grabungen Reste ähnlicher Stuck-Quaderwände der frühhellenistischen Zeit ans Licht gekommen. Kollegen sprechen vom „Stil Zero“, weil diese Wände lange vor dem Ersten Stil entstanden sind. 43 In Makedonien sind frühe Stuck-Quaderwände nicht selten: so bei den berühmten Kammergräbern und auch in Innenräumen von Wohnhäusern. In Ägypten, wo es selten regnet, konnten solche Dekorationen auch an Aussenwänden angebracht werden. Beziehungen zu Makedonien müssen in der Ptolemäerzeit eng gewesen sein. Stoai (Hallen) Nach dem Plan der Ausgrabung Wace (Abb. 10) wurde der 49 m tiefe Hof auf drei Seiten von Hallen umgeben. Diese in der Dedikationsinschrift erwähnten Stoai hatten eine Tiefe von 4,50 m. Die Rückwände bestehen aus Lehmziegeln und sind knapp 2 m breit. Diese Mauern wurden beim Bau der Basilika als Aussenmauer des Bezirks erneut benutzt. Auf dem Plan von Istephanos sind an zwei Stellen Stylobatplatten mit quadratischen Dübellöchern für die untersten Trommeln dorischer Säulen zu erkennen. Das Joch kann auf 1,90 m geschätzt werden. Wace spricht von halb-kannelierten Säulenschäften der Hallen. Zeichnungen oder Fotos gibt es davon nicht. Ein am Ort befindliches dorisches Kapitell zeigt kaum Verwitterungsspuren (Abb. 30. 31). Die in langen Reihen erhaltenen Triglyphen-Metopen-Friesblöcke haben unfertige bossierte Oberseiten (Abb. 32). Der Bauprozess wurde just in dem Augenblick unterbrochen, als die Friesbalken der Hallen versetzt werden sollten. Die Hallen blieben unvollendet und hatten vielleicht nur provisorische Dächer. Der korinthische Peripteros (Ringhallentempel) In Hermopolis hatte M. Baraize vom Service of Antiquities nach dem sensationellen Fund der Dedikationsinschrift 1945 westlich vor der Basilika den zum Temenos gehörigen naos gesucht. Es entstand ein grosses Loch, aber von von einem Tempel war nichts zu sehen. Fundamente und Mauern des Tempels müssen ausgeraubt worden sein, um die Blöcke zum Bau der Basilika wieder zu verwenden. In der Tiefe gefundene bauliche Reste mit abweichender Ausrichtung wurden vom Ausgräber als augenscheinlich pharaonisch bezeichnet (Abb.-10). Die höchst bemerkenswerte Reihe von 16 korinthischen Kapitellen mit je 95 cm Höhe (Abb. 33) trafen die Ausgräber in den Fundamenten der Basilika an. Die Fundorte der Kapitelle markierte Isthephanos in seinem Abb. 29 Magnesia. Die zum Tempel weisende Säulenhalle der Altar-Umfassung des Artemision muss (wie bei Humann im Grundriss angedeutet) einen breiten Durchgang gehabt haben, um den Zugang zum Opfertisch zu ermöglichen. Der mittlere Friesblock mit Guirlanden ähnelt dem langen Friesblock in Hermopolis (Zeichnung Arvanitis). 33 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Plan (Abb.-10). Nicht weit entfernt trafen die Ausgräber auf ein ‚Nest‘ von Säulentrommeln. Die Front des Tempels ist in der Nähe zu suchen. Ich habe schon erwähnt, dass das genau in der Mitte des Temenos-Rechtecks liegende Fundament des Narthex der Basilika ursprünglich die Front des Tempels getragen zu haben scheint. 16 korinthische Kapitelle sind an einem Tempel in Form eines Prostylos nicht unterzubringen. Es muss sich um einen Peripteros, um einen Ringhallentempel handeln. Zugehörig sind mindestens drei Architravbalken. Sie liegen im Westen bei der spätantiken Treppe (Abb.-11) und sind grösser als die Architrav-Fries-Blöcke des Propylon. Ein ganz erhaltener Balken ist 3,48 m lang. Diese Säulenstellung ergibt auch bei der Annahme von nur sechs Säulen an der Front für den Tempel die geforderte deutlich grössere Breite als die des Propylon (Abb.- 13). Auf den Langseiten des Tempels können nur 8 Säulen gestanden haben, weil bei 10 Säulen nur ein enger Durchgang zwischen Tempel und Versammlungsräumen bliebe. Es ergibt sich also der Grundriss eines Peripteros mit 6 auf 8 Säulen. Als Vergleich bietet sich der Zeus-Tempel im karischen Labraunda an, der bei kleinerem Joch geringere Ausmasse hat (Abb. 34). 44 Von der Architektur des Tempels sind mehrere Blöcke der Antenköpfe erhalten. Sie liegen im Bereich der Treppe zur Basilika (Abb.-17). Die Cella unseres Tempels musste vier Sitzbilder der beiden vergöttlichten Königspaare aufnehmen. So ist ein Opisthodom zwar nicht unmöglich, aber wenig wahrscheinlich. Abb. 30.31 Hermopolis. Von den dorischen Hallen des Temenos Ptolemaios III., die nur zum geringen Teil fertig gestellt wurden, hat sich nur ein einziges dorisches Kapitell erhalten (Foto und Zeichnung Verf. 1969). Abb. 32 Hermopolis. Teilweise unfertige Friesblöcke der Stoai. Sie gleichen den Metopen-Triglyphen-Blöcken vom Propylon, sind jedoch bedeutend kleiner (Foto Verf. 1969). Abb. 33 Hermopolis. An keinem der aufgefundenen, sehr gleichmässig gearbeiteten 16 korinthischen Kapitelle sind Voluten erhalten. Auffallend sind die dicken, kannelierten Innen-Helices und die geschweiften, keine Stelle des Kalathos frei lassenden Ranken. Diese wurden, wie das Kapitell links im Bild zeigt, teilweise aus Stuck modelliert (Verf. 1969). 34 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Die korinthischen Säulen und das Gebälk Den zahlreich erhaltenen korinthischen Kapitellen lassen sich im Gelände gefundene Bauteile zuordnen, so dass eine Rekonstruktion der Ordnung versucht werden kann. Wace p.8 erwähnt 14 im Durchmesser passende attische Säulenbasen mit 26,7 cm Höhe. Sie sind mit dem Säulenfuss in einem Stück gearbeitet (Abb. 35). Unter den bei Wace p. 8 genannten 61 Säulentrommeln mit 24 Kanneluren sind nicht wenige, die mit etwa 80 bis 82 cm Durchmesser sich als Teile der korinthischen Säulen erweisen. Auf dem Foto bei Wace Pl. 16,1 sind korinthische Kapitelle zusammen mit vielen Säulentrommeln zu sehen. Die Höhe der Trommeln schwankt. Die Säulenhöhe ist unsicher. Ich habe bei meinem Rekonstruktionsversuch (Abb. 36) die Säulenhöhe mit 9½ unteren Durchmessern angenommen. Eine Säule bestand vermutlich aus 6 Trommeln. Die erwähnten Architrave des Tempels sind 75 cm hoch und oben 1,02 m breit (Abb.- 11). Die Aussenseiten zeigen drei Fascien, Perlstab und ionisches Kyma (gemalt) und waren, wie ein nicht gebrochenes Exemplar zeigt, 3,48 m lang. Das Joch mit 3,48 m ergibt perfekt ein Verhältnis von unterem Durchmesser zu Interkolumnium wie 1: 3. Das ist der Diasstylos bei Vitruv 3,3,4. Im Gelände sind keine steinernen Kassettenblöcke vom Umgang des Tempels aufzufinden. Wahrscheinlich sind alle diese Blöcke in frühchristlicher Zeit zu Kalk gebrannt worden. Ob über dem Fries ein Zahnschnitt folgte, ist unsicher, denn ich habe damals kein Exemplar finden können. Bei Wace Pl. 16,3 ist ein Geisonblock mit horizontal weit ausladender Traufnase zu sehen, der sicher vom Tempel stammt, wenngleich Wace das nicht erwähnt. 45 Auf dem nämlichen ziemlich unscharfen Foto (hier Abb. 36 a bei Anm.- 45), ist zu erkennen, dass Geison und Sima in einem Stück gearbeitet waren. Die Sima war steil, aber Details der Front (Ranken ? ) sind nicht zu erkennen. Theoretisch trägt dieser Block dazu bei, sich eine Front des Tempels aus Basen, Säulenschäften korinthischen Kapitellen, Architrav und Fries und eben auch aus Geison und Sima vorzustellen. In der Zeichnung Abb. 36 habe ich auf die Darstellung des Dachrandes verzichtet, weil keine Masse vorliegen. Wichtig ist, dass der besagte Block eine Oberseite parallel zum Auflager hat. Daraus ist zu schliessen, dass es keine Wasserrinne gab und kein Satteldach ausgeführt war. Wie im regenarmen Ägypten üblich hatte auch der ko- Abb. 34 Grundrisse der kurzen Tempel in Hermopolis und in Labraunda mit 6/ 8 Säulen, dargestellt im gleichen Masstab. Weil am Tempel für den Herrscherkult in Hermopolis das Säulenjoch grösser ist, ergibt sich ein Grössenverhältnis wie 4: 5 (Zeichnungen Hellström - Verf.). Abb. 35 Hermopolis. Die von den Ausgräbern zusammengestellten 14 Basen des Tempels sind mit dem Säulenfuss in einem Stück gearbeitet. Die unteren Wülste wurden abgeschlagen, damit sich bei Wiederverwendung in Fundamenten der Basilika keine Zwischenräume ergeben (Foto Verf. 1969). 35 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung Abb. 36 Hermopolis. Rekonstruktion eines Jochs des Tempels. Der relativ grosse Abstand der Säulen entspricht dem Diastylos bei Vitruv (Zeichnung Verf.). 36 Kapitel V: Rekonstruktion der Bauten und Fragen der Nutzung rinthische Tempel ein Flachdach mit einer blinden Sima. Ob dieses aus Steinplatten bestand, wie das bei ägyptischen Tempeln die Regel ist, oder aus einer etwa 15 cm hohen Schicht aus hydraulischem Mörtel ist nicht zu entscheiden. Zugehörig zum Tempel ist ein Fragment der grossen Tür mit seitlichen Konsolen zum Tragen einer Verdachung (Abb. 37). 46 Versammlungs- und Gelageräume einer Kultgemeinschaft Wie eingangs erwähnt lagen im Westen 17 m tiefe Räume, die über die West-Stoa erschlossen wurden. Weil wir hier Räume einer Kultgemeinschaft vermuten, liegt es nahe, an quadratische Banketträume zu denken, die 30 an den Wänden stehende Klinen aufnahmen. Die Mitte blieb frei für Schaustellungen und Musikanten. Gleich grosse Räume für Syssitien, für gemeinsame Mahlzeiten und Trinkgelage sind aus hellenistischen Palästen bekannt. Ich verweise auf das Festhaus in Aigai, wo die Gesandten griechischer Städte die Hochzeit der Tochter Philipp II. feiern sollten. 47 In der nordwestlichen Ecke legten die Ausgräber einen Brunnen mit 5,80 m Durchmesser und Wänden aus Kalksteinquadern frei. Diese Technik ist ein Indiz für eine Entstehung in ptolemäischer Zeit (Wace 1959 p.10). Kultstatuen In der Dedikationsinschrift werden Kultstatuen an erster Stelle genannt. Es gab vier Statuen, die auf Thronen sitzend dargestellt waren: Ptolemaios III. und seine Ehefrau Berenike und Ptolemaios II. und dessen Ehefrau Arsinoe. Vier grössere Bruchstücke einer etwas überlebensgrossen sitzenden Frauenstatue wurden zusammen mit kleineren Bruchstücken aus weissem Marmor verbaut im Fundament der Basilika gefunden. Wace p. 9f. vermutet, dass die Bruchstücke dem Kultbild der Berenike angehörten. Die beiden publizierten Fotos lassen nicht viel erkennen. Wo die Fragmente sich heute befinden, ist mir nicht bekannt. Andere, spätere Weihungen von Soldaten der Garnison in Hermopolis erwähnt Peter Herrmann (Roeder 1959 p.133). Kult und Ritus Es gilt zu beachten, dass die Stifter des Temenos die in Hermopolis stationierten Katoikenreiter waren. Sie bildeten die Kultgemeinschaft, vielleicht in Form eines Vereins. Dieser wäre verantwortlich für die Unterhaltung des Temenos gewesen. Denn anders als die vom Pharao grosszügig mit Land ausgestatteten offiziellen Heiligtümer scheinen Temene für den Herrscherkult eine Sache lokaler Autoritäten gewesen zu sein. In der Kaiserzeit lebten, wie Papyri beweisen, viele Griechen und Griechisch sprechende Bewohner in Hermopolis, so dass sich eine Kultgemeinschaft aus diesen Kreisen rekrutieren konnte. Die Feiern zu Ehren der vergöttlichten Königspaare fanden vermutlich monatlich am Geburtstag Ptolemaios III. und am Tag seiner Inthronisation statt. Es mehren sich Beweise dafür, dass der korinthische Tempel einschliesslich der Kultstatuen fertig gestellt war und der Kult der vergöttlichten Königspaare praktiziert wurde. Wie Wace überzeugend feststellte, gibt es auch für die Kaiserzeit keine Hinweise auf eine andere Nutzung der Gebäude. Allerdings dürften die hellenistischen Königspaare zugunsten eines oder mehrerer zeitgemässer Synnnaoi in den Hintergrund getreten sein. So könnte dem in Ägypten vielerorten bewunderten und verehrten Augustus diese Ehre zuteil geworden sein. Ich erinnere daran, dass im spätkaiserzeitlichen ‚repair papyrus‘ Tempel für die Verehrung römischer Herrscher genannt werden. Erst als Theodosius I. im Jahr 380 u.Z. das Christentum zur Staatsreligion erhob und die alten Kulte verbot, kam auch das Ende der Herrscherkulte. Vermutlich hatte der Bischof von Hermopolis die Macht, die Zerstörung des alten Heiligtums anzuordnen und an seiner Stelle eine Basilika zu errichten. Abb. 37 Hermopolis. Rahmung von der Tür des Tempels mit umlaufendem lesbischen Kymation und Ansatz der Verdachung über einem grösseren lesbischem Kyma und mit seitlicher Konsole (Foto Verf. 1969). 37 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria Museion und Bibliothek Weil die syrischen Könige mit sich selbst beschäftigt waren, hatte Ptolemaios III. die Hände frei für Aktivitäten im Mittelmeer und in Ägypten. Der Ausbau Alexandrias und die Förderung des Museion standen an erster Stelle. Galen spricht von der Sammelleidenschaft Ptolemaios-III. für Bücher. Ankommende Schiffe wurden auf Befehl des Königs nach Büchern durchsucht, und die Eigentümer mussten sich dann mit Abschriften begnügen. In einer anderen Anekdote heisst es, Ptolemaios III. habe für 15 Talente aus Athen die von Lykurg wiederhergestellten Manuskripte der Werke von Aischylos, Sophokles und Euripides kommen lassen, behielt auch diese und liess genaue Abschriften nach Athen zurück schicken. Ich habe an anderer Stelle vermutet, dass die Bibliothek unter den ersten Ptolemaiern so stark anwuchs, dass sie aus dem Museion, aus dem Musen-Heiligtum ausgegliedert wurde. Denn nicht grundlos schildert Strabon bei seinem Rundgang durch die Stadt das Museion ausführlich, ohne die Bibliothek zu erwähnen. Ein solcher Umzug verbunden mit einem Neubau der Bibliothek wäre in der langen und weitgehend friedlichen Regierungszeit Ptolemaios III. vorstellbar. Museion und Bibliothek lagen im Zentrum der Stadt, im Königsviertel südlich der Paläste auf der Halbinsel Lochias (Abb. 38). 48 Das Serapeion Tatsächlich durch Funde belegt und sogar inschriftlich gesichert ist die Bautätigkeit Ptolemaios III. für das Serapeion in Alexandria im alten Stadtteil Rhakotis. Ptolemaios I. Soter hatte dort den Kult des Osiris Apis mit Wesenszügen griechischer Götter (Zeus, Hades, Dionysos) eingeführt. 49 Die Ausgrabungen am Ort, zuerst die der Expedition Sieglin, dann weitere von Achille Adriani Abb. 38 Alexandria. Rekonstruktionsversuch der Stadtmitte in hellenistischer Zeit mit Einzeichnung der Fundorte von Baugliern und Skulpturen nach Achille Adriani. Die grosse Baustelle erstreckte sich vom alten Küstenwachhaus mehr als 100m nach Osten (Zeichnung Verf. 1999). 38 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria brachten verwirrend viele Phasen meist der Kaiserzeit ans Licht. Es war eine Überraschung als vor 120 Jahren in einem Raum mit Kieselboden ein Altar mit farbig aufgetragener Dedikation von Ptolemaios II. und Arsinoe II. gefunden wurde. Das ist eines der wenigen archäologischen Zeugnisse der frühen Zeit des Heiligtums. Von noch wichtigeren Funden berichtet Alan Wace, damals Professor an der Universität Alexandria, im Journal of Hellenic Studies 1945 p.106-109 über Recent Ptolemaic finds in Egypt. Dazu zählen Ausgrabungen im Osten, Süden und Westen des Serapeion von Achille Adriani. Es waren umlaufend Felsbettungen eines langgestreckten rechteckigen Temenos festgestellt worden. Dieses bestand aus einem Peristyl wahrscheinlich ionischer Ordnung mit Hallen in zwei Geschossen und dahinter liegenden kleinen Räumen. Wie Wace weiter berichtet, waren an zwei Ecken des grossen Temenos, im Südosten und im Südwesten in flachen Vertiefungen im Felsen Gründungstafeln in situ gefunden worden. Steinräuber hatten diesen Fund glücklicherweise übersehen. Jedes dieser Depots besteht aus 10 Tafeln verschiedener Materialien, je eine in Gold, Silber, Faience und Nilschlamm und fünf aus dunklem, ursprünglich rotem Glas (Abb. 39). Die griechische Inschrift dieses sensationellen Fundes nennt den Sohn der Geschwisterliebenden Gottheiten Ptolemaios und Arsinoe. Danach war Ptolemaios III. Euergetes der Erbauer des Serapeion: ΒΑΣΙΛΕΥΣ ΠΤΟΛΕΜΑΙΟΣ ΠΤΟΛΕΜΑΙΟΥ ΚΑΙ ΑΡΣΙΝΟΗΣ ΘΕΩΝ ΑΔΕΛΦΩΝ ΣΕΡΑΠΕΙ ΤΟΝ ΝΑΟΝ ΚΑΙ ΤΟ ΤΕΜΕΝΟΣ Der ursprünglich griechische Text war in Hieroglyphen übersetzt worden. Auf den Metall-Tafeln sind die griechischen Buchstaben in kleinen Punkten eingraviert (gepunzt), während die Hieroglyphen mit Tusche geschrieben waren und heute fast unsichtbar sind. Michael Sabottka hat als Bauforscher den komplizierten Befund am Ort der Ausgrabung zu entwirren versucht. Seine Dissertation ist in der von Jean-Yves Empereur herausgegebenen Reihe Études alexandrines 2008 als Band 15 gedruckt worden. 50 Danach war das ptolemäische Temenos ein Rechteck von 175,70 m Länge (nord-südlich) und 77 m Tiefe. Die Ecken im Nordwesten und Nordosten liegen unter einem modernen Friedhof und können nicht ausgegraben werden. Diese Situation eines sich nord-südlich erstreckenden Temenos mit einem kleinen Naos griechischer Form in der südwestlichen Ecke des Hofes und einem Zugang über ein Propylon auf der Langseite entspricht nicht griechischen Gepflogenheiten. Der Tempel (etwa 24 m Tiefe und 14 m Breite) behauste wahrscheinlich ein Götterbild des bärtigen Serapis mit Polos. Hatte die topographische Situation den Architekten zu dieser Ausrichtung des Heiligtums und der Lage des Tempels in der nordöstlichen Ecke des Hofes gezwungen? Geschwisterbauten: Das Temenos in Hermopolis und ein Bauvorhaben im Königsviertel Wie einleitend erwähnt, habe ich 1968 in Alexandria die von Guiseppe Botti und Achille Adriani ausgegrabenen und im Museum aufbewahrten Bauteile eines ins Stocken geratenen Bauvorhabens gezeichnet und 1971 zusammen mit dem Ptolemaierweihgeschenk in Olympia vorgelegt. 51 Hier will ich nur in aller Kürze ausführen, was im Zusammenhang mit dem Temenos in Hermopolis wichtig ist. Die erwähnten Bauglieder wurden in Alexandria 1902 bei der Anlage des neuen Hafens am alten Küstenwachhaus gefunden. Auf alten Fotos sind in Falllage ionische Kapitelle und daneben ein unfertiger Block eines dorischen Triglyphon zu erkennen (Abb. 40). Der Bauplatz lag also an der Küste und erstreckte sich über weit mehr als 100 Meter nach Osten. Das beweisen Baustellen mit Steinabschlägen. Es gibt geringe Unterschiede zwischen dem Bauvorhaben in der Metropole und dem in der Provinz. Unübersehbar sind Gemeinsamkeiten, die sich nicht nur auf technische Details beschränken. Werfen wir zunächst einen Blick auf die grösseren dorischen Ordnungen beider Orte, so zeigen sich fast vollständige Übereinstimmungen: Abb. 39 Alexandria. Achille Adriani fand bei der Grabung im Serapeion die Gründungstafeln Ptolemaios III., hier Exemplare in Goldblech und grünem Glas (nach Grimm, Alexandria 1998). 39 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria Normal Joch in Alexandria = 2,21 m (Abb. 41) Normal Joch in Hermopolis = 2, 26m (Abb. 42) Metopen in Alexandria Breite = 66-cm und Höhe 66-cm Metopen in Hermopolis Breite = 67-cm und Höhe 69-cm. Von ionischen Kapitellen wurden in Alexandria ausgezeichnet erhaltene Exemplare gefunden (Abb. 43). Die ionischen Kapitelle in Hermopolis sind stark bestossen und zerstört (Abb. 44). Dennoch beweisen wichtige Masse, dass die Serien sich in Grösse und Form glichen: Hermopolis Höhe Kapitell = 20,0 cm; Abstand zwischen Voluten ca. 50,6 cm; Alexandria Höhe Kapitell = 19,6 cm; Abstand zwischen Voluten 47,8 cm. Beide Serien gleichen sich formal mit Ausnahme des lesbischen Kyma am Abakus, das in Hermopolis nur als geschwungenes Profil ausgeführt ist. Für die Provinz genügte die einfachere Ausführung. In Hermopolis zeigte das Propylon aussen dorische und auf der Hofseite ionische Säulen. Das könnte für Alexandria auch geplant gewesen sein. Korinthische Kapitelle, wie sie in Hermopolis dem Tempel zuzuschreiben sind, wurden in Alexandria nicht gefunden. Die Frage ist, ob auch hier der Tempel in korinthischer Ordnung geplant Abb. 41.42 Alexandria - Hermopolis. Die dorischen Gebälke vom grossen Bauvorhaben in Alexandria und vom Propylon in Hermopolis unterscheiden sich in der Grösse minimal und gleichen sich formal (Zeichnungen Verf.). Abb. 40 Alexandria. Zum Versatz bereiter Friesblock (unfertige Oberseiten, bossierte Seiten) der dorischen Hallen von der grossen Baustelle am Küstenwachhaus. Die Gleichheit mit entsprechenden Blöcken in Hermopolis ist frappant (Foto Verf. 1968). 40 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria war. Denn möglicherweise waren die Spezialisten für korinthische Kapitelle noch in Hermopolis beschäftigt, wo das entsprechende Vorhaben weiter fortgeschritten war. Stimmt diese Vermutung, wäre der Torbau mit beiderseitig ionischen Säulen anzunehmen. Kleinere dorische Friese aus Triglyphen und Metopen kommen an beiden Orten vor und gleichen sich bis in Details (Glyphenschnitt) und sind in beiden Fällen unfertig (Abb. 45. 46). Sie waren vermutlich für Hallen vorgesehen, deren Ausführung unterblieb, weil sie für die Leiturgia nicht unbedingt notwendig waren. An beiden Orten waren Handwerker derselben Hütte tätig, und beide Projekte scheinen gleiche gewesen zu sein. Das bedeutet, dass auch die in der Dedikationsinschrift genannten Auftraggeber dieselben waren. Die grösste Truppe der Katoikenreiter war zweifellos in Alexandria stationiert. Ihre Garnison ist in der Nähe der Paläste in der Akra Lochias zu suchen, etwa 500 m vom Bauvorhaben entfernt (Abb.-38). Es ist jedenfalls naheliegend, dass diese ausgesuchten und besonders königstreuen Offiziere in Alexandria sich bei der Verehrung des Euergetes nicht von Offizieren in der Provinz überbieten liessen. Politische Ereignisse führen zum Baustopp in Alexandria Warum wurde dieses Bauvorhaben plötzlich unterbrochen und blieb dann liegen? Die einfachste Erklärung wäre, dass die Geldgeber wegen gestiegener Kosten oder nicht eingehaltener Termine die Zahlungen einstellten. Das mag oft zutreffen, ist in diesem Fall aber unwahrscheinlich, denn es handelt sich um ein Prestigeprojekt im Königsviertel, das die Auftraggeber nicht ohne Gesichtsverlust aufgeben konnten. Plausibler ist die Vermutung, dass es von ägyptischer Seite ein wachsendes Unbehagen an diesem rein griechischem Projekt gab, so dass schliesslich der König selbst die Einstellung der Arbeiten veranlasste. Bei der Suche nach entsprechend folgenreichen Ereignissen ist das Zusammenleben von Griechen und Ägyptern zu befragen. François Daumas, ein Fachmann des hellenistischen Ägypten, nennt die Ptolemäerzeit „verhältnismässig ruhig“. 52 Anders Willy Peremans und Leon Mooren. Ersterer spricht von einer Kette von Aufständen 53 und bemängelt, dass auf Kultszenen in ägyptischen Tempeln die beiden ersten Ptolemäier nie erscheinen. Und nach Mooren fühlte sich die ägyptische Elite vernachlässigt: …die ptolemäische φιλοι-Gruppe war eine hellenische Gesellschaft. Die Ägypter - wir denken besonders an den ägyptischen Adel - sahen sich den Weg zur Macht versperrt. Die Führung des Staates war eine Sache der Fremden. 54 Es könnte also tatsächlich so gewesen sein, dass Ptolemaios III. seinen überaus erfolgreichen Feldzug in Syrien abbrach, weil in Ägypten ein Aufstand seine Anwesenheit erforderte. Es gibt aber viele Zeugnisse dafür, dass der dritte Ptolemaier in der Folgezeit ein gutes Verhältnis zu den Ägyptern anstrebte. Das betraf in erster Linie die Religion der Ägypter und die Stellung der mächtigen Priester. Am bedeutendsten aller ägyptischen Heiligtümer, am grossen Heiligtum des Weltenherrschers Amun in Karnak liess sich als erster der makedonischen Könige Ptolemaios III. im Relief darstellen: ... am „Euergetes-Tor, östliche Tordicke, nördlicher Teil, 2. Register von unten“, wie der Liste von Erich Winter zu entnehmen ist. 55 Der Kö- Abb. 43.44 Alexandria - Hermopolis. Die ionischen Kapitelle vom grossen Bauvorhaben in Alexandria und die stark zerstörten vom Propylon in Hermopolis sind massgleich (Fotos Verf. 1968.1969) Abb. 45.46 Alexandria - Hermopolis. An beiden Orten kommen in grosser Zahl dorische Friesblöcke vor, die für Hallen bestimmt waren. An beiden Orten sind jeweils mehrere Elemente in einen Block zusammengefasst. Die Oberseiten sind noch in der Bosse und lassen darauf schliessen, dass Teile der Hallen unvollendet blieben. 41 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria nig und Pharao ist auf dem von ihm erbauten Pylon zu sehen, wie er mit seiner Ehefrau Berenike II. von Thot, dem in Hermopolis verehrten Gott der Wissenschaften, das Königtum empfängt (Abb. 47) 56 . Für die Griechen war der „dreifach grosse Hermes“ das Äquivalent zu Thot. Wenn Ptolemaios III als Hermes dargestellt wurde, nackt, mit einer über die Schulter geworfenen Chlamys (Abb. 48), so ist damit auch eine Beziehung zu Thot gegeben, und es ist anzunehmen, dass solche Statuen und Statuetten in Hermopolis im Heiligtum des Thot und des Hermes Trismegistos und wohl auch im Heiligtum für Ptolemaios III. standen. 57 Dabei ist anzufügen, dass das griechische Phänomen „Heroische Nacktheit“ für Ägypter schwer erträglich gewesen sein muss. Ausschlaggebend für die Beantwortung der Frage nach den Ursachen des Baustopps ist das Priesterdekret von Kanopos besonders wichtig. Bruchstücke fanden sich an verschiedenen Orten, so dass der komplette Text ergänzt werden konnte. Dazu liegt seit 2004 eine dataillierte Studie von Stefan Pfeiffer vor. 58 Alle drei Versionen des Textes, ägyptisch, demotisch und griechisch sind im Buch einschliesslich einer deutschen Übersetzung zu finden. Abb. 47 Karnak. Relief mit Beischriften auf dem Pylon Ptolemaios III.: Der Pharao Ptolemaios III. und Berenike II. erhalten des Königtum von Thot, dem Gott der Schreiber und der Wissenschaften (Zeichnung nach Quaegebeur). Abb. 48 Die vermutlich lebensgrosse Statue in einem ägyptischen Museum stellt Ptolemaios III. als Hermes dar. Damit bekundete der König auch sein gutes Verhältnis zum ägyptischen Gott Thot der Schreiber und der Wissenschaften (Wikipedia 2019 s.v. Ptolemaios III.) 42 Kapitel VI: Neubauten und Aktivitäten in Alexandria Im März 238 waren die Hohenpriester, die Flügelträger und die Tempelschreiber Ägyptens im Heiligtum der Wohltätergötter in Kanopos zusammengekommen. Es muss also in Kanopos im Delta ein Heiligtum für die Ptolemaier gegeben haben, in dem sich mehrere hundert Personen zu Beratungen versammeln konnten. Es ging um Ehrungen für Ptolemaios III. Euergetes, dem Wohltäter, dem laut Dekret ausdrücklich gedankt wurde für Rückführung der von den Persern geraubten Götterbilder, die ihren Tempeln wieder zugeführt worden waren. Ferner hatte Polemaios Ägypten vor einer Hungersnot gerettet, als er bei einer Dürreperiode grosse Mengen Getreide im Ausland aufkaufen liess. Die Ehrungen für die Ptolemaier sind erstaunlich weitreichend und werden im Dekret detailliert geschildert. Einrichtung einer fünften Phyle, öffentliche Prozessionen, „fünf Tage lang Bekränzungen, Rauchopfer und Trankopfer“ unter Berücksichtigung der Jahreszeiten. Pfeiffer spricht vom offensichtlichen Integrationsbemühen der Ptolemäer. Das ist sicher zutreffend, man kann aber weitergehend festhalten, dass es den Hohen Priestern gelungen ist, mit übergrossen Ehrungen den König in das komplizierte System ägyptischer Religiosität verpflichtend einzuspannen. Der fremde Pharao war - wie es der Titel verlangt - Teil des Ritus geworden. Laut Dekret war jeder Priester im Lande auch Priester der Wohltätergötter geworden. Für die Verehrung Ptolemaios III. in einem neuen, rein griechischen Tempel war nun kein Platz mehr. Das Jahr 238 war ein Terminus ante quem non für die Einstellung der Arbeiten am grossen Bauvorhaben in Alexandria. 43 Kapitel VII: Kunstgeschichte - Baugeschichte Der älteste bekannte Ringhallentempel korinthischer Ordnung Die Entdeckung von 16 gleichen, grossen korinthischen Kapitellen zwingt zu der Folgerung, dass in Hermopolis in den Jahren nach dem Dritten Syrischen Krieg der älteste bislang bekannte korinthische Ringhallentempel errichtet wurde. Ob ein entsprechender korinthischer Peripteros auch in Alexandria im Rahmen des grossen Bauvorhabens geplant war, ist anzunehmen, kann aber nicht bewiesen werden. Möglich ist immerhin, dass die Steinmetzen für korinthische Kapitelle (von denen es nicht viele gegeben haben wird) zunächst in Hermopolis beschäftigt waren. Andere Diadochen hatten sich noch früher der königlichen Ordnung bedient. Lysimachos liess sich in der Nähe seiner Residenz Ephesos um 290 v.u.Z. ein originelles Grabmal aus Marmor mit einer Ringhalle korinthischer Ordnung auf einem hohen Sockel errichten. 59 Das erste Beispiel der sozusagen totalen Anwendung dieser fürstlichen Ordnung ist erst der Dipteros des hellenistischen Olympieion in Athen, dessen Bau der syrische König Antiochos IV. Epiphanes finanzierte. Nicht nur aussen gab es eine doppelte Reihe korinthischer Säulen, den Innenraum des gewaltigen Baus schmückten vermutlich ebenfalls korinthische Säulen, hier in zwei Geschossen unterschiedlicher Grösse. Das kann als eine Antwort auf entsprechende Projekte der Seleukiden in Antiochia gesehen werden. Form und Farbe der korinthischen Kapitelle Die Untersuchung von Heinrich Bauer zu den frühen korinthischen Kapitellen erschien vor 50 Jahren und zeichnet sich durch unübertroffene Detailstudien aus. 60 Bauer zeigte, dass alle frühen Kapitelle individuelle Schöpfungen sind und sich nur in der Grundform ähneln. Erst im 3. Jahrhundert.setzten sich Kapitelle mit hohen Blattkränzen und kräftigen über Eck gestellten Voluten und quadratischen Abakusplatten als Grundform durch. Die Entwicklung führt zur kanonischen Form des Olympieion-Kapitells, dessen direkte Vorformen in Syrien (Antiochia) zu suchen sind. Die gut datierten Kapitelle in Hermopolis Magna (Abb. 49) bezeichnen schon die letzte Phase dieses Weges. Charakteristisch für die ägyptische Variante sind die nackten Schilf blätter, deren Eckvoluten nicht gestützt werden. In Hermopolis bemerken wir Abb. 49 Eines der beiden relativ gut erhaltenen korinthischen Kapitelle (H 95 cm) vom Tempel Ptolemaios III. in Hermopolis, jetzt im Griechisch-Römischen Museum in Alexandria (Foto Verf. 2000). Abb. 50 Laodike Bau in Milet. Den Kapitellen in Hermopolis verwandt sind die Kapitelle des ptolemäischen Bauwerks in Milet: Das bezieht sich auf den Dekor des Kalathos und die frei schwebenden Voluten (Foto Verf. 1968). 44 Kapitel VII: Kunstgeschichte - Baugeschichte schmale runde Scheiben, die die Voluten unsichtbar mit dem Kalathos verbanden. Leider ist keine einzige Volute am Kapitell erhalten und auch keine gefunden worden. Die schönen Marmor-Kapitelle vom sog. Laodike-Bau in Milet (Abb. 50) sind die nächsten, etwas älteren Verwandten der Hermopolis-Kapitelle. Heinrich Bauer hat nicht Unrecht, wenn er bei unseren, um 240 entstandenen Kapitellen einen zunehmend flimmernden Schmuckreichtum bemerkt. 61 Er meint die Felder über den mittleren Hochblättern mit kannelierten und geschwungenen Helices, die sich am Stengel einer Mittelblühte einrollen und in Fruchtknoten enden. Den Schmuck vervollständigen kleine Schirmblüten in Zwickeln und Ranken unter der Kalathos-Lippe. Ganz ähnliche, feinere Elemente schmücken die exzellenten Marmor-Kapitelle in Milet. Zur Farbigkeit der Hermopolis-Kapitelle schreibt Alan Wace: The background is violet, the acanthus stalks are orange yellow, and the flowers are red and blue. 62 Meine Rekonstruktion (Abb. 51) beruht auf Skizzen und Notizen, die ich während eines Aufenthaltes im März 2000 in Alexandria machte. Im Griechisch-Römischen Museum durfte ich dank der Erlaubnis und Hilfe des Direktors die beiden dort befindlichen korinthischen Kapitelle aus Hermopolis Magna studieren. Ich notierte: Kalathos: lila; Akanthusblätter: aussen grasgrün (Abb. 52); Blattüberfälle: rot, eher dunkelrot; Fruchtkolben der Helices: kräftig rot bis rotbraun (Abb. 53); oberer Teil der Helices: an drei Stellen Blau erhalten; Stengel der Mittelranke: gelb - ocker; Abakus: keine Farbreste erkennbar. Gesamteindruck: sehr bunt! Es gibt aber eine gewisse Verwandtschaft mit den wenig älteren korinthischen Kapitellen am Mausoleum von Belevi bei Ephesos (Abb. 54). Zu diesen schreibt Theuer: Kalathos blau, das oben abschliessende Band rot. ... die umgeschlagenen Hinterseiten (der Akanthusblätter) rot. Für die Vorderseiten ist dann wohl grün vorauszusetzen, das aber restlos verschwunden ist. Die Augen der Mittelvoluten rot, Abb. 51 Hermopolis. Rekonstruktion der Farbfassung der korinthischen Kapitelle am Temenos Ptolemaios III. (Verf. 2000). 45 Kapitel VII: Kunstgeschichte - Baugeschichte die Arazeenblüten gelb mit rötlich-gelben Schattierungen. Die grossen Voluiten und die Zwickelpalmetten mit ihren Kelchen sind heute farblos. Das lesbische Kyma (gemalt) auf rotem Grund Blätter mit blauen Innenflächen und weissem Rand. 63 Buntheit charakterisiert die ägyptische Architektur der hellenistischen Zeit (Abb. 55). Wie eine Haut überziehen Schrift und Dekor Säulen, Wände und Decken. Grün kommt überall, so auch an den Kapitellen vor. Bei meiner Rekonstruktion (Abb.-51) bezweifeln Fachleute das Grün der Blätter, das ich in den Furchen erkannt zu haben glaube. Vitruv 7,10 und 7,14 nennt neben farbigen Erden als Ersatz für Purpur, Attisch-Ocker auch den Ersatz von Berggrün und Indigo: Diejenigen ferner, die Berggrün wegen seines hohen Preises nicht verwenden können, verfärben Stahlblau mit einem Kraut das Luteum (Gilbkraut) genannt wird, und haben dann ein leuchtendes Grün zur Verfügung. Dies wird infectiva genannt. Abb. 52 Akanthusblatt von Kapitell Abb. 49. In den Furchen der Blattteile mit den grossen Ösen Spuren grasgrüner Farbe (Foto bei Kunstlicht Verf. 2000). Abb. 53 Detail von Kapitell Abb. 49. Detail der kannelierten Innen-Helices mit Spuren der kräftig roten Fruchtknoten. Stengel der Mittelblüte geschlängelt (Foto Verf. 2000). Abb. 54 Belevi bei Ephesos. Mausoleum des Lysimachos um 280 v.u.Z. Nach der Freilegung des Marmor-Gebälks waren Farbreste erhalten: am Kapitell lila Kalathos, Überfall und Innenseiten der Akanthusblätter rot (Forsch. in Ephesos VI). 46 Kapitel VII: Kunstgeschichte - Baugeschichte Ionische und dorische Ordnungen Im Beiheft 1 der Athenischen Mitteilungen „Zwei Ptolemaierbauten. Das Ptolemaierweihgeschenk in Olympia und ein Bauvorhaben in Alexandria“ (Berlin 1971) habe ich die ionischen Kapitelle beider Vorhaben verglichen und darauf hingewiesen, dass die des Weihgeschenks für Ptolemaios Philadelphos und der Arsinoe in ihrer kompakten Form (dort Taf. 10.11) an solche des 4. Jhs. erinnern, während die eine Generation später entstandenen vom grossen Bauvorhaben in Alexandria (dort Tafel 14.15) mit drahtig wirkenden Kymatien deutlich hellenistisch sind. Im riesigen Alexandria wird es Bauschulen unterschiedlicher Stilrichtungen gegeben haben. Für die Bauten dorischer Ordnung gilt das nicht. Detailformen haben sich über viele Jahrzehnte kaum verändert. Der Peripteros der Athena in Ilion aus dem Anfang des 3.- Jhs. zeigt mit einer balkenlosen Kassettendecke technische Neuerung 64 , während Kapitelle und Triglyphenfries von den hier besprochenen, um 240 geplanten Bauten kaum zu unterscheiden sind. Abb. 55 Philae in Oberägypten. Auf seiner Ägyptenreise hielt der Maler David Roberts 1838 die damals noch sichtbare überwältigende Farbenpracht im 12-Säulensaal des ptolemäischen Isis-Tempels fest (nach Kurth, Edfu Taf. 2). 47 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Die Feierlichkeit ägyptischer Tempelanlagen beeinflusst griechische Architekten Die nobelste Schöpfung griechischer Architektur ist der Ringhallentempel, dessen allseitig gleiche Säulenelemente keine Steigerung zur Mitte kennt. Nur bei Schrägansicht offenbart er seine Vollkommenheit. Wie kam es zu der ganz anderen Anschauung, bei der frontale Ansicht und strenge Symmetrie herrschen? Die ägyptischen architektonischen Anlagen sind ein Abbild der strengen hierarchischen Gliederung der Gesellschaft. Die schier unglaublichen steinernen kolossalen Tempel sind als Resultat eines tief wurzelnden religiösen Glaubens zu verstehen. Die hellenistischen Herrscher stellten sich als Pharaonen, als göttliche Könige in diese Tradition und rüttelten nicht an den Grundfesten des Systems. Der Spagat ihrer Politik wird sichtbar beim System der Katoikenreiter, die die griechisch-makedonische Herrschaft garantierten und den immensen Anstrengungen, mit Neubauten und Weiterbauten die herkömmliche ägyptische Religiosität zu bedienen. Fast absurd mutet es an, wenn jeder Herrscher mit dem Bau eines weiteren Pylon an der riesigen Tempelanlage in Karnak seine Loyalität zu beweisen suchte. Sechs Pylone steigern die Feierlichkeit, Symmetrie und Monumentalität dieser Anlage, die sich bei weiteren ersten Tempeln nicht minder eindrucksvoll wiederholt. Festzüge bewegen sich auf Prozessionsstrassen, werden mit monumentalen Fassaden riesiger Pylone mit Fahnenmasten und Obelisken konfrontiert. Höfe mit seitlichen Hallen und Säulenfluchten vermitteln ein Raumerlebnis. Säle mit gedrängt stehenden, 20 m hohen farbigen Säulen und farbigen Wänden und farbigen Decken beeindruckten jeden Besucher und so auch griechische Architekten. Für ihre gleichsam demokratische Anordnung von Bauelementen war in diesem Land kein Platz. Die strenge, achsiale Ordnung des Temenos für Ptolemaios III. in Hermopolis ist ägyptischen Raumvorstellungen verpflichtet. Das Artemision in Magnesia Berhard Schmaltz hat in seinem Aufsatz zu Hermogenes und Vitruv plausibel vorgeführt, wie der Architekt Hermogenes aus Alabanda in Kleinasien bei der Anlage des Temenos der Artemis in Magnesia eine neuartige Skenographia ausführte. 65 Im Gegensatz zu den ‚gebauten Bildern‘ klassischer Zeit, bei denen das Hauptobjekt in Schrägansicht erscheint, hat Hermogenes eine achsialsymmetrische Anordnung mit frontaler Sicht vom Propylon auf Altar und Tempel entworfen und gebaut, wobei seitlich begleitende Säulenhallen unverzichtbar sind, weil sie - im Bild zentralsymmetrisch gedacht mit einem Fluchtpunkt in Bildmitte - dem Betrachter die räumliche Tiefe vermitteln. Ein Clou dieser Skenographia in Magnesia ist die Einpassung der zum Altar gehörigen Reliefs an der rückseitigen Umfassung des Altars in die Bildkomposition: Der zwischen den Säulen des Propylon stehende Betrachter hat den Eindruck, dass Skulpturen der Götter (Zeus in der Mitte thronend, die anderen stehend) sich vor dem Tempel bewegen (Abb. 56). Ein Blick auf den Plan des Artemisheiligtums ist wenig erfreulich, weil er zu Irrtümern Veranlassung gibt und zudem ungenau ist. Die Zeichnung von Julius Kohte beruht nur auf Skizzen von Carl Humann mit wenigen Massangaben. 66 Um die Zeichnung lesbarer zu machen, habe ich getan, was man eigentlich nicht tun sollte: Ich habe die irreführenden Linien, die mit der Berührung einer Basis zusammenhängen, entfernt und stattdessen mit gestrichelten Linien die Aussenwand des Temenos angedeutet, die (nach Kohte im Text) ungefähr mit der späten byzantinischen Mauer zusammenfällt. Die Skizze des Tempels habe ich durch den genaueren Detailplan des Pseudodipteros ersetzt (Normaljoch 3,94 m, Mitteljoch 5,25 m). Im so entstandenen Plan steht der Betrachter genau in der Mittelachse des tiefen Hofes zwischen den mittleren Säulen des Propylon und blickt auf Altar und Tempel. Die Sehstrahlen zielen auf die Stylobatkanten des Tempels (Abb. 57). Um ein möglichst orthogonales, ein verzerrungsfreies Bild der Tempelfront zu erhalten, musste der Abstand des Tempels vom Betrachter dem Bild eines Fotoapparates mit Teleobjektiv entsprechen. Das ist, wie die Zeichnung zeigt, etwa das Dreifache der Breite des Objektes (der Tempelfront). Die Breite des Hofes ist mit 96 m gerade ausreichend für das Erlebnis der perspektivischen Verkürzung der Säulenhallen. Je schmaler der Hof, umso eher verdecken sich die folgenden Säulen und ‚verklumpen‘ im Bild des Betrachters. 48 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Abb. 56 Artemision in Magnesia am Mäander. Das Schaubild zeigt die vom Architekten Hermogenes entworfene und baulich ausgeführte Skenographia: Der am Propylon stehende Betrachter sah die Front des Tempels als orthogonales Bild. Die Säulenfluchten der seitlichen Hallen gewähren das räumliche Erlebnis. Der Tempel steht auf einer erhöhten Krepis (Schmaltz). Abb. 57 Artemision in Magnesia am Mäander. Plan nach Skizzen von Carl Humann und Julius Kohte mit Einzeichnung der Sehstrahlen des am Propylon stehenden Betrachters (Umzeichnung Verf.). 49 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Das Ptolemäerheiligtum in Hermopolis Alle im Folgenden gegebenen Masse sind von der genauen Grundrisszeichnung von Sharl Istephanos abgegriffen. Weil eine Stufe der Krepis erhalten ist, kann die Lage des Propylon exakt bestimmt werden (Abb. 13). Die langestreckte Form des Hofes (Breite zu Tiefe 1: 2) kann nur mit der Notwendigkeit eines grossen Abstandes zwischen Propylon und Tempel erklärt werden (Abb. 58). Wie beim Artemis-Heiligtum in Magnesia stand der Betrachter der Skenographia im Propylon zwischen den mittleren ionischen Säulen (Abb. 13). Es ergeben sich: Abstand des Betrachters zu den Säulen des Tempels: 54,70 m; Breite der Tempelfront, gemessen an den Ecken des Stylobat 18,23 m. 54,70 : 18,23 = 3. Also betrug der Abstand des Betrachters von der Front des Tempels das Dreifache der Stylobat-Breite. Das gewährte ein annähernd verzerrungsfreies Bild des Objektes. Der Sehwinkel beträgt 1/ 20 des Vollkreises (beiderseits der Höhenlinie h je 9 Grad). Der zwischen den Säulen des Propylon stehende Betrachter nahm die seitlichen Hallen zentralperspektivisch wahr. Der grösstmögliche Sehwinkel, den die ihnen zur Seite stehenden Säulen erlauben, beträgt etwa ein Drittel des Vollkreises (120 Grad). Die Ähnlichkeit der Temene in Hermopolis und in Magnesia mit einem Tempel im langrechteckigen Säulenhof kann kaum zufällig sein. Parmenion? In mehreren Quellen wird als Architekt des Serapeion in Alexandria Parmenion genannt. Hans Riemann hat die dürftigen Quellen für die Realencyklopädie zusammengestellt und befasst sich vor allem mit dem Bau in Rhakotis. 67 Der uns besonders wichtig erscheinende Hinweis von Vitruv, dass Parmenion ein Fachmann für Sonnenuhren sei, kommt bei Riemann nicht vor. Vitruv 9,8,19 schreibt dem Architekten Parmanion die Erfindung einer Sonnenuhr προς τα ιστορουμενα zu. Die Berechnung einer Sonnenuhr war eine sehr schwierige Aufgabe, deren Lösung mathematische Kenntnisse erforderte. Damit stellt Vitruv den Architekten Parmenion in die Reihe der bedeutenden Wissenschaftler der frühhellenistischen Zeit. War dieser Parmenion der Erfinder der neuen Skenographia, der auf Zentralperspektive beruhenden Darstellung von Architektur? Permenion lebte zur Zeit Ptolemaios III. Von dieser Generation griechischer Architekten ist zu erwarten, dass sie mit der ägyptischen Baukultur vertraut waren, ja dass es auf manchen Ebenen zu einer Zusammenarbeit kam. Wir haben gesehen, dass Ptolemaios III. Euergetes um Anerkennung der ägyptischen Bevölkerung bemüht war. Dass war nur durch religiöse Toleranz erreichbar. Die Übernahme der jeweiligen an den Kult gebundenen Abb. 58 Hermopolis Magna. Rekonstruktion des Temenos Ptolemaios III. mit Sehstrahlen eines am Propylon stehenden Besuchers: Zentralperspektivischen Skenographia mit orthogonalem Bild des Tempels und seitlichen Säulenfluchten der Hallen. Im Westen Räume für Syssitia der Kultgemeinschaft (Verf. 2016). 50 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Formensprache stand aber nicht zur Debatte. Aber unser Architekt in Hermopolis scheint, wie schon erwähnt, die streng symmetrische Anordnung der Bauten mit Blick auf eine dominierende Mitte und rahmende Säulenfluchten von ägyptischen Vorbildern übernommen zu haben. Die Teilnehmer am Hermogenes-Kolloquium 1988 in Berlin waren überwiegend mit einer Datierung des von Vitruv hochgelobten Schöpfers des Artemision in Magnesia in das letzte Drittel des 3. Jhs. einverstanden. 68 Das früher entstandene Heiligtum für Ptolemaios III. Euergetes im mittelägyptischen Hermopolis zwingt zu einer neuen Diskussion dieser Frage. Wie ist es zu erklären, dass der umsichtige Vitruv Architekten und Bauten in Alexandria (mit Ausnahme der Stadtgründung) nicht erwähnt? Das entspricht in keiner Weise der Bedeutung und dem Einfluss der Weltstadt, von der wir wissen, dass sie sogar auf die Kunst im Pompeji eingewirkt hat. Der Römer Vitruv kannte sich in Kleinasien aus. Fand er in den von Sulla herangeschafften Büchern vergleichsweise wenig über das ptolemäische Ägypten? Oder sind es die damaligen chaotischen politischen Turbulenzen in der einstigen Weltmetropole, die alles andere überschatteten? Vorgänger und Nachklänge Fast alle bisher bekannten Beispiele der zentralperspektivisch aufgefassten Architekturensembles sind in Kleinasien anzutreffen. Ich füge hier nur ein besonders charakteristisches Beispiel an. Das von Ioannis Arvanitis gezeichnete Schaubild der Theaterstrasse in Pergamon (Abb. 59) zeigt, dass dem Architekten der Blick entlang der Säulenhallen auf den erhöhten viersäuligen ionischen Dionysos-Tempel so wichtig war, dass er das Bühnenhaus des Theaters als abbaubare Holzkonstruktion ausführen liess (das Theater ist im Schaubild rechts über der Säulenhalle zu erkennen). Nur so konnte die Skenographia ungestört ihre Wirkung entfalten. 69 Die phantasievollen Architekturkompositionen des frühen Zweiten Stils an Wänden von Pompeji geben Fachleuten noch heute Rätsel auf. Josef Engemann hat ausführlich und mehrfach auf die Bühnenmalerei und Bühnendekoration als Vorbilder verwiesen. 70 Aber das löst das Problem nicht, denn die Bühnenmaler und Dekorateure orientierten auch an realer Architektur. Karl Schefold hat in den Bildern des frühen Zweiten Stils einen Abglanz der fast ganz verloren gegangenen alexandrinischen Architektur gesehen. Sicher zu Recht. Ein Gang durch das Griechisch-Römische Museum in Alexandria konfrontiert uns mit Gesimsen, Kassettendecken, Kapitellen, Böden und Aedikulen. Das Fehlen einer lokalen Tradition und auch der Umgang mit Stuck (den der Nummelitenkalkstein erforderte), begünstigten das Entstehen neuer Formen der Dekoration. Ein gut erhaltenes korinthisches Kapitell aus der Frühzeit der Metropole mit gefiedertem Akanthus und völlig à jour gestalteten Ranken besteht, wie am Fussring zu er- Abb. 59 Pergamon. Der von der Altarterrasse kommende Betrachter betritt die Strasse am Theater und erlebt eine perfekte Skenographia: In der Tiefe das orthogonale Bild des viersäuligen, auf hoher Krepis stehenden Dionysos-Tempels, während Säulenfluchten der seitlichen Hallen die räumliche Tiefe vermitteln (Zeichnung Arvanitis). 51 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Abb. 60 Alexandria, Griechisch-Römisches Museum. Frühes korinthisches Kapitell aus dem Königsviertel. Das zierliche Innenraum- Kapitell mit dünner Abakus-Platte und à jour gearbeiteten Voluten und Ranken geht in das Kapitell eines Pilasters über, der mit einer Wand verbunden war (Foto Verf. 1968). Abb. 61 Oplontis bei Pompeji. Das Wandbild in der Villa. Zentralperspektivische Darstellung einer Prunkwand mit vorgekröpften Säulen und Darstellung von Säulenfluchten seitlicher Hallen. Nachahmung einer Skenographia wie sie nach 240 v.u.Z. im Temenos Ptolemaios III. als reale Architektur gebaut worden war (Bild nach A. de Franciscis). 52 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive kennen ist, aus einer an einen Pfeiler oder Pilaster gelehnten Halbsäule (Abb. 60). Auf der Rückseite des Pilasters schliesst ein Mauerstück an mit gepickter oder jedenfalls aufgerauter Oberfläche, das vermutlich in eine Wand eines Innenraumes eingelassen war. Vor einer Innenraumwand stehende Pilaster mit angearbeiteter Halbsäule und auf alexandrinische Weise verkröpften beiden Kapitellteilen sind Beispiele einer frühen phantasievollen Prunkarchitektur, ein Vorbild für Bilder des Zweiten Stils in Pompeji. Denn dort ist oft eine entsprechende Schichtung zu sehen, und nicht selten beleben vorgekröpfte freistehende oder mit Pfeilern versehene Säulen die stuckierten Wände. Das Kapitell wurde im Königsviertel gefunden und war dort vermutlich auch verbaut. 71 Als Beispiel pompejanischer prunkvoller Innenräume sei ein Wandbild aus dem Raum n.23 der Villa Romana in Oplontis gezeigt. Ein grosser Rahmen gibt den Blick auf eine orthogonal dargestellte Fassade mit vorgesetzten Säulen und einer Aedikula als Höhepunkt frei (Abb. 61). Wir erkennen ägyptische Uräus-Schlangen unter der Maske in der zentralen Aedikula und sehen das gerade erwähnte Motiv der vorgekröpften Säulen. Die oben auf beiden Seiten dargestellten Säulenfluchten von Hallen wirken seltsam unmotiviert. Sie sind den östlichen Skenographiae entlehnt. 72 Auch auf dem Bild der rechten Seitenwand des cubiculum M in der Villa des P. Fannius Sinistor sind komplizierte architektonische Schichtungen abgebildet (Abb. 62). 73 Ein durchbrochener Giebel ermöglicht den Blick auf einen zierlichen Rundtempel, der in einem Peristyl steht. Die Säulen der seitlichen Hallen sind zentralperspektivisch dargestellt und und zweifellos auch hier ein wichtiges, die räumliche Tiefe betonendes Element. In der Renaissance, im Zeitalter der aufkeimenden Wissenschaften, war die Entdeckung, Erforschung und Darstellung der Perspektive für fast alle Künstler ein Faszinosum. Auf kostbaren Gemälden mit einem religiösen Thema finden sich oft im Hintergrund mit Fluchtpunkten konstruierte Architekturdarstellungen. Abb. 62 Pompeji. Wandbild im Cubiculum M der Villa des Fannius Sinistor. Zentralperspektivische Darstellung der Hallen eines säulenumstandenen Hofes. Der durchbrochene Giebel gibt den Blick frei auf einen Rundtempel im Hof. Die seitlichen Hallen erscheinen als Säulenflucht in Fenstern der orthogonal dargestellten Fronthalle (Bild nach J. Engemann). 53 Kapitel VIII: Skenographiai (Gebaute Bilder): Orthogonale Projektion und Zentralperspektive Eine Besonderheit ist eine Architekturvedute der Frührenaissance in der Gemäldegalerie in Berlin, bei der die Darstellung einer Zentralperspektive das Hauptthema ist (Abb. 63). Der Betrachter schaut durch ein Tor, dessen seltsame horizontale Decke von vier dünnen kannelierten Säulen mit Blattkapitellen getragen wird. Dahinter ist eine menschenleere Strasse zu sehen, die von dreistöckigen Häusern mit unterschiedlichen Fassaden gesäumt wird. Im Hintergrund ist bei strenger Einhaltung der Perspektive im Fluchtpunkt überraschend ein Hafen mit grossen Segelschiffen zu sehen. Das akribisch konstruierte und in kühlen Farben gehaltene, wie gefroren wirkende Bild demonstriert die starke Wirkung einer Skenographia auf den Betrachter. Das Bild wird Francesco di Georgio Martin aus Siena zugeschrieben, der sich auch anderweitig mit kunsttheoretischen Studien befasst hat. 74 Abb. 63 Einzigartige Architekturvedute der Frührenaissance mit akribisch konstruierter Zentralperspektive: Blick durch ein Tor auf eine breite Strasse zwischen Hausreihen und einem Hafen mit Schiffen im Fluchtpunkt. 54 Anmerkungen Anmerkungen 1 G. Roeder, Ein Jahrzehnt deutscher Ausgrabungen in einer ägyptischen Stadtruine. Deutsche Hermopolis-Expedition 1929-1939 (Hildesheim 1951) 3-6. 2 G. Roeder (Hrsg.), Hermopolis 1929 - 1939. Ausgrabungen der Deutschen Hermopolis-Expedition in Hermopolis, Ober- Ägypten (Hildesheim 1959). 3 K. Parlasca, Hermopolis Magna in römischer Zeit, in: Jahrbuch des Röm.-Germanischen Zentralmuseums Mainz 7, 1960, 197-207. 4 Ashmunein 1980, 1. 5 Mellawi, heute Bahnstation und Verwaltung, mit Antikendienst und Museum. 6 Minutoli und die mit Unterstützung der Preussischen Akademie und des Königs 1820-1822 durchgeführte Forschungsreise (auf den Spuren der Napoleon-Expedition) Kat. Zur Ausstellung Hegel in Berlin (Berlin 1981/ 82) 208-211. 7 R. Lane Fox, Alexander der Grosse (Hamburg 2010) 258. 8 Nach K. Brodersen, in: H. Schmitt - E. Vogt (ed), Kleines Wörterbuch des Hellenismus (Wiesbaden 1988) p. 54. 9 J.-C. Golvin - J.-C. Goyon, Karnak Ägypten. Anatomie eines Tempels (Tübingen 1987) 126 (Verzierung mit Goldblechen). 10 D. Kurth, Edfu. Ein ägyptischer Tempel gesehen mit den Augen der alten Ägypter (Darmstadt 1994). 11 Ashmunein 1981, 4. - Spencer meint, der Bau sei in der 30. Dynastie begonnen worden, und unter Arridaios sei die Dekoration ausgeführt worden. 12 G. Lefebvre, Le tombeau des Petosiris. I. Description. II. Les Textes. III. Vocabular et planches (1923-1924). 13 J. Bingen, Économie Grecque et groupes sociaux indigènes dans l‘Egypte du IIIe siècles, in: Maehler - Strocka 1976 213. 14 Abbildung der rekonstruierten Kolonnadenstrasse von Apameia bei A. Gabucci, Rom und sein Imperium (Stuttgart 2005) p. 173. 15 J. Henderson, Egyptian Money, in: Select Papyri II, LCL 282 ((Cambridge Mass. - London) Reprint 2003 XXXIII. 16 Zu Kalk, Mörtel und Estrich: W. Osthues, Wissensgeschichte der Architektur, Band II: Vom Alten Ägypten bis zum Antiken Rom (Edition Open Aaccess 2014) 315-323; A. Neuburger, Die Technik des Altertums, 3. Aufl. Leipzig 1919, 406-409. 17 A. Kamal, Excavations of the Antiquities Department (1942) in the so-called „Agora“ of Hermopolis (Ashmunein), in: Annales dui Service des Antiquitéesde l’Egypte XL289-295 mit Tafeln. 18 Wace 1959 Preface XI-XIII und The Ptolemaic Sanctuary p.-4 - 11. 19 Hoepfner, Zwei Ptolemaierbauten 1971 p. 78-84. 20 W. Hoepfner - L. Lehmann, Die griechische Agora, Koll. Berlin 2003 (Mainz 2006). 21 Bei Roeder 1959, 130 findet sich auch der Hinweis auf das Planquadrat H 11. Das kann nur zutreffen, wenn der Hügel im Planquadrat H 10 Kom el Kanissa hiess. Wie Baraize und Kamal feststellen, bezieht sich der Name jedoch auf den wenig weiter nördlich liegenden wirklichen Kirchenhügel (Wace 1959 p. 1). 22 To archaiologiko Ergo sti Makedonia kai Thraki 10A, 1996 Titelbild, Foto Ephoria. 23 Farbabbildung bei Roeder 1959 Taf. 93. 24 P. Grossmann, Christliche Architektur in Ägypten. Handbook of oriental studies Vol. 61(Leiden 2002) 437-441 mit Plan Abb.-59 p. 108. 25 J. Burckhardt, Die Zeit Konstantins des Grossen, 9. Abschnitt.; p. 260-262 zur frühen Plünderung heidnischer Tempel. 26 A. Wace, in: The Journal of Hellenic Studies 65, 1945 p. 109. 27 H. Volkmann, Der kleine Pauly 1 (München 1979) 864 s.v. Berenike 3. 28 S. Pfeiffer, Griechische und lateinische Inschriften zum Ptolemäerreich und zur römischen Provinz Aegyptus (Berlin 2015) p.45 spricht von „meist nichtägyptischen Soldaten ... mit Status der Hellenen“. 29 J. Bingen, Économie Grecque et groupes sociaux indigènes dans l‘Egypte du IIIe siècles, in: Maehler - Strocka, Das ptolemäische Ägypten 1976 211- 219. 30 S. Pfeiffer, Zur Einquartierung von Soldaten des ptolemäischen Heeres. Rechtsgrundlagen, Konflikte und Lösungsstrategien, in: S. Pfeiffer (ed.), Ägypten unter fremden Herrschern. Zwischen persischer Satrapie und römischer Provinz (Frankfurt a. M. 2007) 165-183. 31 R.L. Fox, Alexander the Great (Reprint 1978) 488-489. 32 Griechischer Text und Übersetzung bei B. Beyer-Rotthoff a.O. 42-44. 33 K. Brodersen - H. H. Schmitt, Historische Griechische Inschriften in Übersetzung, Bd. III Nr. 403; Pfeiffer a.O. p. 56. 34 Angelos Chaniotis vermutet in seinem gerade erschienenen und schon viel gelobten Buch „Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus“ p.98.99, dass sich der selbstbewusste König in der Adulis-Inschrift selbst lobt. Mir scheint, dass der den Text abschreibende Mönch zwei bedeutende Herrscher durcheinander gebracht hat: Der Zug (die „Anabasis“) Antiochos III. bis nach Indien dauerte ganze sieben Jahre (von 212 bis 205) und trug diesem König den Beinamen „der Grosse“ ein. 35 Zur Technik sehr kompetent J.-C. Golvin - J.-C. Goyon, Karnak Ägypten. Anatomie eines Tempels (Tübingen 1987) passim. 36 P. Pensabene, Elementi architettonici di Alessandria. Studi Misscellanei 28 (Roma 1993, Fig. 64.65. Danach Abb. 19. 37 O. Bingöl, Magnesia am Mäander. Magnesia ad Maeandrum (Istanbul 2007) 72-79. 38 E.-W. Osthues, Studien zum dorischen Eckkonflikt, JdI 120, 2005, 1-154. 39 Dazu ausführlich ausgehend von ptolemäischer Architektur auf Thera: J. Giese, Der Dionysos-Tempel in Thera (ungedruckte Dissertation, Freie Universität Berlin 2019) Kapitel III.4.1. 40 A. Frazer, The Propylon of Ptolemy II, Samothrace 10, Princeton New Jersey 1990. 41 W. Hoepfner, Philadelpheia. Ein Beitrag zur hellenistischen Architektur, AM 99, 1984, 353-364. 42 W. Hoepfner, Zu den grossen Altären von Magnesia und Pergamon, AA 1989, 601-643. 43 J.-P. Brun, Uno stile zero? , in: G. G. Guzzo - M. Paolo Guidobaldi (ed.), Atti Convegno Internazional Roma 2007, Scavi 2003-2006 (Roma 2008) p. 61 - 70. 44 P. Hellström - Th. Thieme, Labraunda. The Temple of Zeus (Stockholm 1982) mit absolut sicherem, völlig regelmässigem Grundriss. 55 Anmerkungen 45 Wace Pl. 16.3 , hier Abb.36a, dokumentiert den einzig erhaltenen Block aus Geison und Sima des Tempels. (Auf meinen Filmstreifen aus Hermopolis kommt das wichtige Stück leider nicht vor.) 46 Hoepfner, Zwei Ptolemaierbauten 1971 Tafel 24c. 47 Neue Interpretation mit Rekonstruktion bei W. Hoepfner, Philosophenwege, Konstanz 2018, 55-57. 48 W. Hoepfner (ed.), Geschichte des Wohnens I, 460 mit Abb.-456. 49 G. Grimm, Alexandria, die erste Königsstadt (Mainz 1998) 81- 83. 50 M. Sabottka, Das Serapeum in Alexandria. Untersuchungen zur Architektur und Baugeschichte des Heiligtums von der frühen ptolemäischen Zeit bis zur Zerstörung 391 n.Chr. 51 W. Hoepfner, Zwei Ptolemaierbauten a.O. - Eine komplette Säule des Weihgeschenks in Olympia ist inzwischen am Ort unter Verwendung originaler Bauteile wieder errichtet worden. 52 F. Daumas, Architektur der Spätzeit, in: C. Vandersleyen, Das alte Ägypten, PKG 15 (Propyläen Verlag Berlin 1975) p. 196- 205). 53 W. Peremans, Les revolutions égyptiennes sous les Lagides, in: Maehler - Strocka, Das ptolemäische Ägypten 1978, 39-50, hier 44.45. 54 Leon Mooren, Macht und Nationalität, in: Das ptolemäische Ägypten a.O. 51-57. 55 E. Winter, Der Herrscherkult in den ägyptischen Ptolemäertempeln, in: Das ptolemäische Ägypten a.O. 147-160, hier p.-149. 56 Darstellung nach Jan Quaegebeur über die ptolemäischen Königinnen, in: Mähler - Strocka, Das ptolemäische Ägypten a.O. p. 254). 57 H. Kyrieleis, Bildnisse der Ptolemäer (Berlin 1975)mit Erörterung einer Statuette Ptolemaios III als Hermes im Akademischen Kunstmuseum in Bonn I.Nr. C. 301 Bronze H 22 cm. Die lebensgrosse Statue Abb. 49 wird bei Wikipedia s.v. Ptolemaios III. gezeigt. 58 S. Pfeiffer, Dass Dekret von Kanopos. Kommentar und historische Auswertung eines dreisprachigen Synodaldekretes der ägyptischen Priester zu Ehren Ptolemaios III. und seiner Familie. Archiv für Papyrusforschung Beiheft 18 (Leipzig 2004). 59 W. Hoepfner, Zum Mausoleum von Belevi (Rekonstruktion), AA 1993, 111-123. 60 H. Bauer, Korinthische Kapitelle des 4. und 3. Jahrhunderts v.-Chr. (Berlin 1973). 61 Bauer a.O. 122f. Taf. 32,5. 62 The Journal of Hellenic Studies 65, 1945, 109. 63 C. Praschniker - M. Theuer, Forschungen in Ephesos VI (Wien 1979), Die Polychromie der Architektur (Theuer) hier p.-61. 64 W. Hoepfner, Zum Entwurf des Athena-Tempels in Ilion, Athen. Mitteilungen 84, 1969, 165-181. 65 B. Schmaltz, ‚Aspectus‘ und ‚Effectus‘ - Hermogenes und Vitruv, in: RM 102, 1995, 133-140. Computergestütztes Schaubild von H. O. Svenshon und D. Vogel als Klapptafel bei S.-134. 66 C. Humann - J. Kohte - C. Watzinger, Magnesia am Mäander. Bericht über die Ergebnisse der Ausgrabungen (1904) Blatt II. Skizze mit Sehstrahlen schon bei W. Hoepfner, Hermogenes und Epigonos. Pergamon zur Zeit Attalos I. JdI 112, 1997, 109- 148, Abb. 1a. 67 H. Riemann in RE 18,4 (München 1949) sp. 1567-1569. Neuer: R. Vollkommer (ed), Künstlerlexikon der Antike (Hamburg 2007) 622 s.v. Parmenion (W. Müller). 68 W. Hoepfner - E. L. Schwandner (ed.), Hermogenes und die hochhellenistische Architektur, Koll. Berlin 1988 (Mainz 1990) passim. 69 W. Hoepfner, Hermogenes und Epigonos, JdI 112, 1997 121- 123 Abb. 8. 70 J. Engemann, Architekturdarstellungen des des frühen Zweiten Stils. 12. Ergänzungsheft DAI Abt. Rom, (Heidelberg 1967) 39.131. 71 Zum Eintrag in der Fundkarte von Achille Adriani W. Hoepfner, Geschichte des Wohnens I (ed.), 460 (Plan) p. 460. 72 A. di Franciscis, La Villa Romana di Oplontis , in: B. Andreae - H. Kyrieleis (ed.), Neue Forschungen in Pompeji und den anderen Vom Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschütteten Städten (Recklinghausen 1975) 9-38, Abb. 13. 73 J. Engemann, Architekturdarstellungen a.O. Taf. 36. 74 Auch Piero della Francesca hat sich etwa gleichzeitig (um 1475) intensiv mit der Konstruktion zentralperspektivisch dargestellter Architektur-Kompositionen befasst. Band 52 Wolfram Hoepfner Philosophenwege 2018, 114 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-861-5 Über die Methoden der Lehre und die Lehrstätten der Philosophen der spätklassischen Zeit kursieren abenteuerliche Vorstellungen. Trotz einseitiger Quellenlage lassen sich die Wege von Sokrates in Athen, Platons Reisen nach Syrakus und Aristoteles Aufenthalte in Makedonien aber erstaunlich genau nachvollziehen. Philosophen nutzten für ihre Lehre bestimmte schattige Rundwege, um sich bei gleichmäßiger Bewegung mit einem oder zwei Schülern auf einen dialogos zu konzentrieren. Schon für die Historiker der späten Antike wie Diogenes Laertius war dieses Verhalten zum Rätsel geworden. Das Phänomen lässt sich dennoch erklären und sogar topographisch festlegen. Das Hauptaugenmerk gilt den Schulen der Philosophen. In vielen Fällen war damit der Peripatos gemeint, ein Bau-Typus, den Platon in der Akademie kreiert hatte. Wie er aussah, welche Räumlichkeiten vertreten waren und wie lange solche Lehrstätten Bestand hatten, ist Thema dieses Buches. Band 51 Iza Biezunska Studien zur rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der griechischen Frau im griechisch-römischen Ägypten 2019, 80 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-860-8 Das vorliegende Buch untersucht die rechtliche und wirtschaftliche Lage der griechischen Frauen in dem Ägypten, das durch die Eroberung Alexanders des Großen zu einem Teil der griechischsprachigen Welt geworden war. Es fragt nach dem Verhältnis der Griechinnen zu den einheimischen Ägypterinnen sowie nach ihrer freieren Stellung im Vergleich zu den Frauen des griechischen Mutterlandes. Das Buch war eine im Jahr 1939 gedruckte Magisterarbeit an der Universität Warschau, wurde jedoch durch den fast gleichzeitig ausgebrochenen Krieg und während der Verfolgung der Autorin Iza Biezunska (1917-1995) durch die deutsche Besatzung fast völlig vernichtet. Auf ihren Wunsch erscheint es jetzt in seiner vorliegenden Form. Trotz der langen Zeit, die seitdem vergangen ist, ist es wegen seiner Qualität nach wie vor nützlich und wurde durch einen bibliographischen Nachtrag ergänzt. Band 50 Shoufu Jin Richten und Schlichten Formen, Normen und Werte der altägyptischen Rechtskultur 2014, 332 Seiten, fester Einband ISBN 978-3-86764-458-7 Shoufu Jin hat in diesem Buch reiches, aber verstreutes Material zusammengetragen und daraus einen Zentralbereich der ägyptischen Standesethik des hohen Beamtentums erschließen können, den er »die Tugenden des Richters« nennt. Er formuliert dazu zwei klare Thesen: 1. Die Rechtspflege wurde als »Tugend« verstanden, in der es keinen ausdifferenzierten Normenkatalog gab, sondern Rechtsnormen integrierte Bestandteile sowohl der Moral als auch der Verwaltung waren. 2. Nach diesem Rechtsverständnis geht es nicht nur um ein logisch richtiges Urteil, sondern es dominieren die Ziele der Versöhnung der Streitenden und der sozialen Harmonie, sofern nicht zwischen Täter und Opfer unterschieden und dem Opfer durch Bestrafung des Täters zu seinem Recht verholfen werden muss. XENIA Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Herausgegeben von Wolfgang Schuller www.uvk.de Erhältlich auch in Ihrer Buchhandlung. : Weiterlesen . ´ . ´ ISBN 978-3-86764-912-4 www.uvk.de In Hermopolis Magna in Mittelägypten entstand in den Jahren nach 240 v.u.Z. der älteste Ringhallentempel korinthischer Ordnung. Das ist wenig bekannt, obwohl ein ägyptischer Archäologe die vollständige Weihinschrift des Tempels schon 1945 entdeckt hatte und wenig später 16 Kapitelle ans Licht kamen. Das Heiligtum des Königs Ptolemaios III. und seiner Frau Berenike war in der Spätantike Opfer der Pläne des Bischofs geworden, an derselben Stelle eine Basilika zu errichten. Immerhin fanden die Ausgräber der Universität Alexandria 1950 und 1951 viele Bauteile des hellenistischen Heiligtums und publizierten einen Vorbericht. Wolfram Hoepfner besuchte Hermopolis 1969 und studierte die Bauteile zum Vergleich mit einem zeitgleichen Bauvorhaben in Alexandria. 50 Jahre später folgte er der Anregung eines Kollegen und suchte seine vergilbten Aufzeichnungen hervor. Er staunte nicht schlecht, als sich die disparaten Bauglieder zu einem veritablen Heiligtum ergänzen ließen. In der Provinz war mit dem Ringhallentempel korinthischer Ordnung und einer Skenographia ein höchst modernes Bauensemble entstanden. Der Clou ist freilich, dass sich das zentralperspektivisch aufgefasste gebaute Bild (Skenographia) als Nachklang noch an Wandbildern des 2. Stils in Pompei feststellen lässt. Professor a. D. Dr. Wolfram Hoepfner ist Archäologe, Bauhistoriker und Topograph. Er lehrte Baugeschichte und Städtebau der Antike an der Freien Universität Berlin.